Das strafprozessuale Zwischenverfahren: Eine Untersuchung zu Bedeutung, Ausgestaltung und Möglichkeiten einer Aufwertung [1 ed.] 9783428582570, 9783428182572

Die Untersuchung wendet sich dem strafprozessualen Zwischenverfahren (§§ 199–211 StPO) zu, das seit jeher zwei zentralen

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 9783428582570, 9783428182572

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Schriften zum Prozessrecht Band 280

Das strafprozessuale Zwischenverfahren Eine Untersuchung zu Bedeutung, Ausgestaltung und Möglichkeiten einer Aufwertung

Von Tobias Wickel

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS WICKEL

Das strafprozessuale Zwischenverfahren

Schriften zum Prozessrecht Band 280

Das strafprozessuale Zwischenverfahren Eine Untersuchung zu Bedeutung, Ausgestaltung und Möglichkeiten einer Aufwertung

Von Tobias Wickel

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18257-2 (Print) ISBN 978-3-428-58257-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Nachstehende Abhandlung wurde im Wintersemester 2020 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde das Manuskript geringfügig überarbeitet. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Januar 2020; neuere Entwicklungen konnten noch vereinzelt Berücksichtigung finden. Besonderer Dank gebührt an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Frank Peter Schuster, Mag. iur. für die jederzeit angenehme Betreuung, das stete Interesse am inhaltlichen Fortgang der Arbeit sowie seine wertvollen Hinweise, welche die Arbeit wesentlich bereichert haben. Prof. Dr. Frank Zieschang danke ich für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit entstand im Wesentlichen während meiner Tätigkeit als akademischer Mitarbeiter an der Juniorprofessur für Strafrecht an der Universität Mannheim, deren Inhaberin Prof. Dr. Suzan Denise Hüttemann, M. Res. ich herzlich für die angenehme Zeit und die gewährten Freiräume danke. Für konstruktive fachliche Diskussionen, die kritische Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anmerkungen gilt mein Dank Dr. Steffen Hauber. Ebenfalls danke ich Sophia Wickel für die zügige und gründliche Durchsicht des Manuskripts. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Martina Lämmle, die die Arbeit nicht nur mit ihrer steten Bereitschaft zu fachlichen Diskussionen, der scharfsinnigen Lektüre des Manuskripts und wertvollen Anmerkungen bereichert hat, sondern mich über die gesamte Entstehungszeit dieser Arbeit begleitet und vorbehaltlos unterstützt hat. Schließlich danke ich dem Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort für die finanzielle Förderung der Publikation dieser Arbeit. Mannheim, im Dezember 2020

Tobias Wickel

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

1. Teil Grundlagen

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A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens seit Inkrafttreten der Reichsstrafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Reichsstrafprozessordnung von 1877: Voruntersuchung und Eröffnungsverfahren 20 1. Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Erhebung der öffentlichen Klage bei dem Tatgericht: Eröffnungsverfahren . . 22 3. Die Diskussion um die Berufung und ihre Bedeutung für das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege von 1924: Abschaffung der Trennung von Eröffnungs- und Tatrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Beseitigung des Zwischenverfahrens 1942 – 1950 und Wiedereinführung . . . . . 25 IV. StPÄG 1964: Implementierung des staatsanwaltschaftlichen Schlussgehörs und „Zulassung der Anklage“ als neuer Inhalt des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . 26 V. Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung und Einschränkung des staatsanwaltschaftlichen Schlussgehörs durch das StrVRG 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 VI. Erörterung des Verfahrensstandes: Absprachen im Zwischenverfahren seit 2009 28 B. Der Ablauf des Zwischenverfahrens und die Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Vorkommen und Verlauf des Zwischenverfahrens nach geltender Rechtslage . . . 30 II. Das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Der Angeschuldigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 V. Der Verletzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Funktionen des Zwischenverfahrens im strafprozessualen Erkenntnisverfahren . . . . . 33 I. Negative Kontrollfunktion: Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Verdachtshypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Gewährung rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Bestimmung des zuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Fixierung des Verfahrensgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Festlegung des Prozessstoffs in tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

8

Inhaltsverzeichnis 2. Würdigung des Prozessstoffs in rechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Vorläufiger Charakter der Fixierung des Verfahrensgegenstandes . . . . . . . . . . 39 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 V. Das Zwischenverfahren als Gestaltungsplattform für die konsensuale Verfahrenserledigung: Eine Funktion des Zwischenverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

D. Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss als Ergebnis des Zwischenverfahrens . . . 41 I. Der Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Rechtsnatur und Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses im System der Strafprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Unanfechtbarkeit des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Mängel des Eröffnungsbeschlusses und Heilungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . 46 II. Der Nichteröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Form und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Anfechtbarkeit durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Die Sperrwirkung der Ablehnung: Positive Schutzfunktion des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 E. Zwischenfazit zum ersten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

2. Teil Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

50

A. Bestehende verfassungsrechtliche Einordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Ernst: Richterliche Kontrolle aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Michler: Keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 III. Heghmanns: Zwingendes Erfordernis aus Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IV. H. Loritz: Erfordernis aus Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 V. Bedeutung der Ansätze für die Ausgestaltung des Zwischenverfahrens . . . . . . . . 54 B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Ausgangsüberlegung: Das strafprozessuale Hauptverfahren als Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Das Grundrecht auf Freiheit der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) „Prozessinterne“ Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) „Prozessexterne“ Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Inhaltsverzeichnis

9

II. Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Tatverdacht als Legitimation der Verfahrensdurchführung? . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Legitimationsversuch mit dem Störermodell nach Krauß . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Die Justizpflicht des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Herleitung aus dem Aufopferungsgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Inhaltliche Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4. Ergebnis: Die Legitimation des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Verfassungsrechtliche Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Materielle Eingriffsschwelle aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . 71 a) Legitimer Zweck und Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Verfahrensmäßige Absicherung durch richterliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Richtervorbehalt, Rechtsschutzgarantie und das Zwischenverfahren . . . . . . 78 b) Präventiver Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Präventiver Richtervorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C. Ergebnis zum zweiten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

3. Teil Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

86

A. Gesetzgeberische und rechtspolitische Entwicklung bis zur heutigen Rechtslage . . . . 87 B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 I. Psychologische Effekte bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen

90

1. Die psychisch herausragende Bedeutung der Erstinformation: Der „Primacyeffect“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Der Inertia- oder Perseveranzeffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Prinzip der selektiven Informationssuche und „confirmation bias“ . . . . . . . 93 II. Übertragung auf das Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Kenntniserlangung von Anklage und Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Feststellung des hinreichenden Tatverdachts bei Erlass des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. „Gegengewicht“ Hauptverhandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Empirische Bestätigung: Die „Mannheimer Untersuchungen“ von Schünemann 100

10

Inhaltsverzeichnis IV. Zwischenfazit und weitere Eingrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

C. Der Stand von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Die Selbstsicht der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Der Beschluss des BVerfG vom 26. 01. 1971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Ausschluss oder Ablehnbarkeit des Eröffnungsrichters? . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Meinungsstand in der Literatur zur Frage der Ablehnbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Meinungsstand in der Literatur zur Reformfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 D. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Rang und Geltung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in der deutschen Rechtsordnung, insbesondere dem Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an die Unparteilichkeit des Richters und die Auslegung durch den EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 III. Überblick über den bisherigen Meinungsstand zur Vereinbarkeit der personellen Besetzung mit der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Analyse der Entscheidungen des EGMR zur Vorbefassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Hauschildt ./. Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Fey ./. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Saraiva de Carvalho ./. Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Castillo Algar ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5. Perote Pellon ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6. Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 7. Binder ./. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 8. Zusammenfassung und Analyse der einschlägigen Entscheidungen . . . . . . . . 124 V. Übertragung auf das deutsche Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Erlass des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Zusätzlicher Erlass eines Haftfortdauerbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Beweiserhebungen nach § 202 S. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 VI. Exkurs: Das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts zur Personenidentität von Tat- und Eröffnungsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Die Rüge der Beschwerdeführer und das Verfahrensrecht im Kanton Zürich zum Entscheidungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Die Argumentation des schweizerischen Bundesgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Geltende Rechtslage in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 F. Ergebnis zum dritten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Inhaltsverzeichnis

11

4. Teil Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens: Mangelnde Kontrollfunktion und „Ineffizienz“

137

A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Nichteröffnungsquote an Amts- und Landgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Freispruchquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Zahlenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Forschungsergebnisse zu den Ursachen für Freisprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 III. Weitere Entscheidungen im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Rücknahme der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Verfahrenseinstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Verweisung an ein niederrangiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Eröffnung mit Änderungen gemäß § 207 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 IV. Datenerhebungen über Aktivitäten der Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 V. Perspektive der Strafverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 VI. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO: Der „eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Entscheidungsmaßstab: Der „hinreichende Tatverdacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Retrospektive Komponente: Begehungswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Prospektive Komponente: Verurteilungswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Wahrscheinlichkeitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4. Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Prognoseentscheidung auch bei Verfahrensfragen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Entscheidungsgrundlage: Das Beweisrecht des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . 161 1. Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren und ihre Fortwirkung im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Rechtstatsächliches zum Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Richterliche Entscheidung auf Aktenbasis: „Zwei-Klassen-Justiz“ im Zwischenverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Rechtslage bis 1974: Höhere Qualität der Entscheidungsgrundlage durch die gerichtliche Voruntersuchung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Ergänzende Beweiserhebungen nach § 202 StPO: Der Aufklärungsumfang im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Restriktive Auslegung durch die herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . 169

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Inhaltsverzeichnis b) Extensive Auslegung durch eine Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Schlussfolgerung bezüglich der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens 175 4. Beweisantragsrecht des Angeschuldigten nach § 201 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StPO 176 a) Auslegung des § 201 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Schlussfolgerung bezüglich der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens 179 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 III. Entscheidungsfindung und ihre rechtlichen und außerrechtlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Materielles Strafrecht als zwingende Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Steuerung der Entscheidungsfindung durch Prozessrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Darlegungs- und Begründungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Kontrolle der Entscheidung durch Rechtsbehelfe und Kollegialentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Anfechtbarkeit des Nichteröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 d) Beteiligungsrechte des Angeschuldigten: Einwendungen nach § 201 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 e) Möglichkeit konsensualer Erledigungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 f) Sicherung durch eigene Durchführung des Hauptverfahrens? . . . . . . . . . . . 188 g) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Weitere steuernde Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Gleiche Arbeitsmethodik von Staatsanwälten und Richtern . . . . . . . . . . . . 189 b) Personalbedarfsberechungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 c) Zulässigkeit des Umlaufverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 d) Formulareröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 e) Rechtsprechung zur Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse . . . . . . 191 5. Schlussfolgerung für die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens . . . . . . . 192

D. Ergebnis zum vierten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

5. Teil Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens und Untersuchung ihrer Tragfähigkeit

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A. Keine Abschaffung des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 B. Antragsgebundene Durchführung: Aufwertung durch „Ressourcenbündelung“ . . . . . 196 I. Konzepte in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Verzichtslösung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

Inhaltsverzeichnis

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IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 C. Änderungen am Prüfungsmaßstab zur Lösung der Voreingenommenheitsproblematik 198 I. Konzepte in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Tendenzen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Prinzipielle Möglichkeit einer Abschichtung nach Verdachtsgraden . . . . . . . . 200 2. Bestehende Ansätze zur Auslegung des Verdachtsgrades „hinreichender Tatverdacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Rechtsprechung und Teile der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Rieß: hoher Wahrscheinlichkeitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Kühne und Paeffgen: hoher Wahrscheinlichkeitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Stuckenberg: gleich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad von Verurteilung und Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 e) Schneider: gleich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad von Verurteilung und Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 f) Steinberg: Abgrenzung nach Tatsachenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 g) Deiters: variable Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Zusammenfassung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4. Eigener Ansatz unter Berücksichtigung des bisherigen Untersuchungsertrages 207 a) Vorfrage: Relevante Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 D. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss und Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . 213 I. Konzepte in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Verbesserung der Filterfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Lösung des Voreingenommenheitsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 III. Begründungspflicht des Eröffnungsbeschlusses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung . . . . . 219 I. Überblick: Konsensuale Verfahrensgestaltung im Zwischenverfahren . . . . . . . . . 220 1. Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a StPO . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Das Strafbefehlsverfahren gemäß §§ 407 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4. Erörterung des Verfahrensstandes gemäß § 202a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 5. Zwischenfazit und Eingrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

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Inhaltsverzeichnis II. Erörterung des Verfahrensstandes: „Anbahnungsgespräche“ im Zwischenverfahren nach § 202a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Voraussetzungen von Erörterungen nach § 202a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) „Erwägen“ der Eröffnung und Ermessen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Erörterungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Erörterungen über Inhalt und Ergebnis des Zwischenverfahrens . . . . . 225 bb) Erörterungen zur Strukturierung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Erörterungen über eine Verständigung in der Hauptverhandlung . . . . . 227 2. Rechtstatsächliche Befunde zu Absprachen im Zwischenverfahren . . . . . . . . . 228 a) Absprachen im Zwischenverfahren in Wirtschaftsstrafverfahren (2007) . . . 228 b) Absprachen im Zwischenverfahren (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Absprachen im Zwischenverfahren (2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Inhalte von Absprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Zwischenfazit: Die „neue“ Funktion des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . 231 III. Stellungnahme zu der Möglichkeit von Erörterungen nach § 202a StPO im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Abgrenzung zur Vorbereitung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Gefahr des missbräuchlichen Einsatzes „verfahrensfördernder Erörterungen“ 233 3. Verschärfung der Problematik der Voreingenommenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Fallbeispiel aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Meinungsstand zur Befangenheit im Rahmen des § 202a StPO . . . . . . . . . . 235 c) Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Unterlegene Stellung des Angeschuldigten im Zwischenverfahren . . . . . . . . . 238 a) Unzureichende Rechte im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Fehlgeschlagene Vorgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Notwendige Verteidigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 5. Fazit und denkbare Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 IV. Reformvorschlag: Übergang in das Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

F. Das Zwischenverfahren zur abschließenden Klärung von Vorfragen mit dem Ziel einer Entlastung der Hauptverhandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Das Konzept von Gössel: Abschließende Entscheidung über die erforderlichen Beweismittel im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

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c) Weitere Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Das Konzept von Wenske: Einwendungsobliegenheit für Verfahrensfragen im Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Weitere Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 G. Gesamtbewertung mit eigenem Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Vorüberlegungen auf Basis des Ertrags der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Ausschluss des Eröffnungsrichters von der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . 258 2. Verbesserte Steuerung des eröffnungsrichterlichen Entscheidungsvorgangs durch die Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . 258 3. Ausweitung des Aufklärungsumfangs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 4. Berücksichtigung von Erledigungsmöglichkeiten und Unzulässigkeit von Verständigungsanbahnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5. Folgewirkung: Verstärkte Einbeziehung der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Verbesserte Rahmenbedingungen und veranlasste Änderungen außerhalb des Zwischenverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

Einleitung und Gang der Untersuchung Nach der Struktur der Strafprozessordnung durchläuft das strafprozessuale Erkenntnisverfahren die Stadien des Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahrens. Während erst- und letztgenanntem Verfahrensabschnitt sowohl in der Rechtspraxis als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung besondere Bedeutung beigemessen wird, erfährt der Abschnitt zur „Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens“, der in den §§ 199 – 211 StPO geregelt ist und gemeinhin als „Zwischenverfahren“ bezeichnet wird,1 in der Prozesswirklichkeit geringere Aufmerksamkeit. Gleichwohl handelt es sich um einen Verfahrensabschnitt von erheblicher Bedeutung, dient er doch dem Schutz des Beschuldigten vor einer voreilig durchgeführten öffentlichen Hauptverhandlung. Diese kann für ihn beträchtliche Belastungen mit sich bringen, was unter anderem in spektakulären Strafverfahren gegen prominente Persönlichkeiten zu besichtigen ist. Neben dem „prominenten“ Angeklagten, der sich der medialen Begleitung eines mitunter monate-, gar jahrelang andauernden (Haupt-)Verfahrens gewiss sein kann, gerät auch der nicht oder weniger prominente Angeklagte in eine missliche Situation, weil zumindest sein soziales Umfeld den Prozess wahrnimmt. Wird der Angeklagte später freigesprochen, begründet schon die schlichte Durchführung des Hauptverfahrens einen Makel in seiner Person. Aufgeworfen ist damit die Frage, wie das Strafverfahrensrecht den Beschuldigten vor derartigen Nachteilen schützt. Gegenwärtig wird dies unter anderem durch eine richterliche Kontrolle der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Anklage gewährleistet. Das Gericht prüft im Zwischenverfahren, ob hinreichender Tatverdacht vorliegt und filtert so jene Anklagen heraus, die voraussichtlich nicht zu einer Verurteilung führen werden. Obschon damit die erhebliche Bedeutung des Zwischenverfahrens benannt ist, wird über den vierten Abschnitt des zweiten Buches der StPO in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts streitet die Strafrechtswissenschaft über Existenzberechtigung und Ausgestaltung des Zwischenverfahrens.2 Beanstandet wird dabei zum einen seine personelle Besetzung: Nach geltendem Recht sind der (erkennende) Richter des Hauptverfahrens und der (eröffnende) Richter des Zwischenverfahrens personenidentisch, was dazu führe, dass sich das Gericht durch die Bestätigung eines „hinreichenden Tatverdachtes“ in Bezug auf 1 Insofern verwendet die Untersuchung den vom Gesetz gebrauchten Begriff „Eröffnungsverfahren“ synonym zu dem in Rechtsprechung und Literatur vornehmlich verwandten Begriff „Zwischenverfahren“. 2 Dazu im Einzelnen Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 15 – 18 m. w. N. sowie unten 1. Teil A. sowie 3. Teil A.

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Einleitung und Gang der Untersuchung

die angeklagten Taten im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses schon vorzeitig auf die Schuld des Angeschuldigten festgelegt habe.3 Zuweilen wird dieser Aspekt gar als „Kardinalproblem des deutschen Strafverfahrens“ bezeichnet.4 Zum anderen wird die geringe Effizienz des Verfahrensstadiums beklagt: Das Zwischenverfahren werde von den Verfahrensbeteiligten nicht in hinreichendem Maße genutzt und würde daher seiner wichtigen Filterfunktion nicht gerecht.5 Die aufgezeigten Mängel führten zu wiederkehrenden Reformdebatten6 und Diskussionen über Wert und Unwert des Zwischenverfahrens, wobei deren Intensität in jüngerer Zeit deutlich nachgelassen hat und – so scheint es – eher in Resignation umgeschlagen ist.7 Zuletzt geriet das Zwischenverfahren allerdings im Rahmen der Reformbestrebungen zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens abermals in den Fokus des Gesetzgebers. So befasste sich die hierfür eingesetzte Expertenkommission auch mit dem Zwischenverfahren und gelangte zu dem Ergebnis, dass es ein für den Schutz der Rechte des Angeschuldigten sowie für die Vorbereitung eines effizienten Hauptverfahrens entscheidendes Verfahrensstadium sei und dass eine kommunikative Verfahrensführung unter Nutzung der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten durch alle Beteiligten entscheidend zu einer Effektivierung des Zwischenverfahrens beitragen könne. Einen konkreten Reformvorschlag unterbreitete die Expertenkommission indes nicht, empfahl aber eine Prüfung, durch welche Maßnahmen eine Stärkung der Filterfunktion des Zwischenverfahrens erzielt werden könnte – vornehmlich mit dem Ziel, das Hauptverfahren zu entlasten.8 Dies nimmt die vorliegende Arbeit zum Anlass, genauer zu untersuchen, ob und wie eine Aufwertung des Zwischenverfahrens erreichbar ist. Dabei sind die beiden soeben herausgestellten Kritikpunkte zentraler Gegenstand des Interesses: Zum einen ist dies die seit jeher umstrittene, von der Expertenkommission gleichwohl nicht erörterte Thematik der personellen Besetzung des Zwischenverfahrens, zum anderen die von der Kommission akzentuierte „Filterfunktion“ des Eröffnungsverfahrens, die durch die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne des § 203 StPO verwirklicht wird. Ziel der Arbeit ist es, diesen beiden zentralen Problem-

3 So etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 3; Wohlers, in: Festschrift für Imme Roxin 2011, 1313 (1314 f.). 4 Schünemann, StraFo 2016, 45 (51). 5 So etwa M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (329 f.). 6 So befasste sich etwa der 60. DJT im Jahr 1994 ausführlich mit dem Zwischenverfahren; die Bundesregierung hat im Jahr 2003 einen (letztlich gescheiterten) Entwurf zum Opferrechtsreformgesetz vorgelegt, der die Einführung eines (fakultativen) Anhörungstermins im Zwischenverfahren vorsah, hierzu BT-Drs. 15/1976. 7 So geht Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur StPO, Vorbemerkungen vor §§ 198 ff. Rn. 17a davon aus, dass man „bis zu den griechischen Kaleden […] auf eine diesbezügliche Gesetzesrevision“ warten müsse; von Galen, ZRP 2016, 42 (43) beschreibt die Vorschrift des § 202 StPO als „praktisch totes Recht“. 8 Abschlussbericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, S. 93.

Einleitung und Gang der Untersuchung

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kreisen näher nachzugehen und auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse einen Reformvorschlag darzubieten. Zu diesem Zwecke erfolgt im ersten Teil der Untersuchung ein grundlegender Überblick über historische Entwicklung, Ablauf und Funktionen des Zwischenverfahrens sowie seiner Bedeutung im Gesamtstrafverfahren. Sodann wird im zweiten Teil der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Eröffnungsverfahrens nachgegangen und untersucht, ob ein Verfahrensabschnitt, der – wie das Zwischenverfahren – eine richterliche Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts vor der Hauptverhandlung zum Gegenstand hat, unter Zugrundelegung der geltenden Prozessstruktur verfassungsrechtlich zwingend notwendig ist. Ausgangsbasis ist dabei die bereits angerissene Überlegung, dass das strafprozessuale Hauptverfahren für den Beschuldigten eine grundrechtsrelevante Belastung ist, womit die Frage aufgeworfen wird, warum der Beschuldigte sich einer solchen Belastung – die gemeinhin als rechtmäßig empfunden wird – überhaupt stellen muss und unter welchen Einschränkungen eine solche Pflicht, sich dem Verfahren stellen zu müssen, als verfassungsrechtlich zulässig bezeichnet werden kann. Damit werden zugleich diejenigen Mindestanforderungen herausgearbeitet, die bei einer etwaigen Reform zu beachten sind. Mit dieser verfassungsrechtlichen Grundlegung ist die Basis bereitet, die vorerwähnten zentralen Problemkreise näher in den Blick zu nehmen. Im dritten Teil wird die personelle Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens einer eingehenden Betrachtung unter verschiedenen Blickwinkeln unterzogen: Zunächst sollen hierfür sozialpsychologische Erkenntnisse zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen dargestellt und auf die Situation des Richters im Eröffnungsverfahren übertragen werden. Sodann wird der gegenwärtige Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur in Deutschland zu dieser Frage dargestellt und bewertet. Zuletzt soll die Rechtsprechung des EGMR zur Garantie der Unparteilichkeit des Richters aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK einbezogen werden, was bislang im Kontext der hier aufgeworfenen Frage selten geschieht. Alsdann wird im vierten Teil der Versuch unternommen, die Ursachen der allenthalben geltend gemachten fehlgehenden Filterfunktion des Zwischenverfahrens zu ergründen: Auf der Grundlage statistischer Daten und anhand einer Analyse des gesetzlich vorgegebenen eröffnungsrichterlichen Prüfprogramms wird die derzeitige gesetzliche Umsetzung der Filterfunktion des Zwischenverfahrens in den §§ 201 – 203 StPO genauer ausgeleuchtet. Schließlich sollen im fünften Teil der Arbeit unterschiedliche – teils schon ergriffene, teils als Reformvorschlag vorgetragene – Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht und zuletzt ein eigener Ansatz vorgestellt werden.

1. Teil

Grundlagen A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens seit Inkrafttreten der Reichsstrafprozessordnung Um eine historische Einordnung des Untersuchungsgegenstandes zu ermöglichen, soll zunächst die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Zwischenverfahrens vom Inkrafttreten der Reichsstrafprozessordnung im Jahr 1879 bis zur letzten Änderung im Jahr 2009 in ihren wesentlichen Stationen nachgezeichnet werden.1

I. Reichsstrafprozessordnung von 1877: Voruntersuchung und Eröffnungsverfahren Zum 01. Oktober 1879 trat mit der Reichsstrafprozessordnung (RStPO) vom 01. Februar 1877 erstmals eine für das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich einheitliche Verfahrensordnung für Strafsachen in Kraft, nachdem zuvor in den einzelnen deutschen Teilstaaten unterschiedliche Strafprozessordnungen bestanden.2 Über Notwendigkeit und Ausgestaltung eines gesonderten Verfahrensabschnitts zwischen Abschluss der Ermittlungen und Beginn der öffentlichen Hauptverhandlung wurde im Rahmen der Beratungen zur RStPO in der Reichsjustizkommission und auch in der Wissenschaft diskutiert.3 Dabei nahm man sowohl die Frage einer richterlichen Voruntersuchung als auch die der richterlichen Eröffnung des Hauptverfahrens in den Blick. Hinsichtlich ersterer sah sich die Begründung zum Gesetzesentwurf zu einer ausführlichen Rechtfertigung ihrer Einführung gezwungen, da die Voruntersuchung gewissermaßen als ein Relikt des geheimen schriftlichen Inquisitionsprozesses begriffen wurde und überdies schlechte Erfahrungen aus Belgien

1 Dies allerdings nur insoweit, als es zum Verständnis der hier anzustellenden Untersuchung beiträgt; eine eingehende rechtshistorische Darstellung des Eröffnungsverfahrens findet sich bei Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 9 ff. 2 Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, Rn. 397; zu der unterschiedlichen Ausgestaltung der einzelnen „Zwischenverfahren“ in den Partikulargesetzen Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 14 ff. 3 Vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 151 ff.; S. 168; Glaser, GS 1867, 119 ff.

A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens

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und Frankreich kolportiert wurden.4 Gleichwohl entschied man sich für die Implementierung der Voruntersuchung in bestimmten Fällen, wobei man Anleihen am französischen und englischen Recht nahm.5 Für die Beantwortung der Frage, in welcher Weise das erkennende Gericht mit der Sache zu befassen sein und die Hauptverhandlung herbeigeführt werden sollte, wurden in den Materialien zur RStPO zwei aus damaliger Sicht gangbare Wege festgehalten: Zum einen könne man die Entscheidung, ob zur Hauptverhandlung geschritten werden solle, der Staatsanwaltschaft überlassen, sodass allein die Anklageerhebung unmittelbar zur mündlichen Verhandlung führe oder man überantworte die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens einem Richter, der berechtigt ist, die Anklage zu prüfen und gegebenenfalls auch zurückzuweisen.6 Erstgenannter Weg wurde unter Verweis auf dessen damalige Geltung in Frankreich zwar erwogen, allerdings entschied man sich – nicht zuletzt, weil die meisten Strafprozessordnungen der Einzelstaaten ebenso verfuhren – für die Einführung eines richterlichen Eröffnungsverfahrens.7 Somit wurde der Verfahrensabschnitt zwischen dem Ende des Vorverfahrens und dem Beginn des Hauptverfahrens wie folgt ausgestaltet: Sah die Staatsanwaltschaft nach Beendigung der eigenen Ermittlungstätigkeit genügenden Anlass zur öffentlichen Klageerhebung, eröffnete § 168 Abs. 1 RStPO zwei Wege zur weiteren Ausgestaltung des letztlich mit einer Eröffnung oder Nichteröffnung endenden Verfahrensabschnittes unmittelbar vor dem Hauptverfahren. Zum einen war die Erhebung der öffentlichen Klage direkt bei dem zuständigen Gericht mit dem sodann stattfindenden Eröffnungsverfahren möglich, zum anderen konnte ein Antrag auf Vornahme der gerichtlichen Voruntersuchung gestellt werden. 1. Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung Bei der gerichtlichen Voruntersuchung handelte es sich der Sache nach um ein richterlich geführtes Ermittlungsverfahren.8 Ihrer Zwecksetzung nach war sie darauf gerichtet, die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens vorzubereiten.9 4 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 152. 5 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 154 f. 6 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 166. 7 Wobei betont wurde, dass „Gründe und Gegengründe sich nahezu das Gleichgewicht halten“, siehe Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 168. 8 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 25; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 18; siehe auch Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, S. 408; von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 487. 9 Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, S. 403.

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1. Teil: Grundlagen

Dies ergab sich aus § 188 Abs. 1 RStPO, wonach die Voruntersuchung nicht weiter ausgedehnt werden konnte, als dies für die Begründung der Entscheidung, das Hauptverfahren zu eröffnen, erforderlich war. Eine weitere Funktion der Voruntersuchung ergab sich aus § 188 Abs. 2 RStPO: Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen stand oder die für eine sachgemäße Verteidigung des Angeschuldigten erforderlich erschienen, konnten hier erhoben werden. Darüber hinaus waren die Schöpfer der RStPO der Ansicht, dass die Voruntersuchung insbesondere dem Schutz des Beschuldigten diene. Dieser wurde darin gesehen, dass im Rahmen der Voruntersuchung nicht der weisungsgebundene Staatsanwalt, sondern der unabhängige Richter, dem mehr Vertrauen entgegengebracht wurde, die Ermittlungen durchführte.10 Statthaft war sie nach § 176 Abs. 3 RStPO nur in Verfahren, die nicht in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fielen. Verpflichtend war sie gemäß § 176 Abs. 1 RStPO vor dem Reichsgericht und in Schwurgerichtssachen. In Verfahren vor dem Landgericht konnte sie von der Staatsanwaltschaft oder dem Angeschuldigten beantragt werden, wobei letzterer „erhebliche Gründe“ vortragen musste, warum eine Voruntersuchung erforderlich sei (§ 176 Abs. 3 RStPO). Eine weitere Möglichkeit, in eine Voruntersuchung einzutreten, war deren Anordnung durch das Gericht nach § 200 Abs. 1 RStPO für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft sogleich Klage bei dem zuständigen Gericht erhoben hatte, dieses aber zur besseren Aufklärung der Sache eine Voruntersuchung für erforderlich hielt. Die Voruntersuchung war begrenzt auf die in der Anklageschrift oder Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bezeichneten Tat. Der Untersuchungsrichter hatte ein förmliches Protokoll über die Untersuchungshandlungen zu errichten (§ 186 RStPO). Dem Angeschuldigten wurde nach Maßgabe von § 191 RStPO die Anwesenheit bei der Vornahme der richterlichen Untersuchungshandlungen gestattet. Die Voruntersuchung endete damit, dass der Untersuchungsrichter, wenn er den Zweck der Voruntersuchung für erreicht hielt, die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Stellung ihrer Anträge übersendete (§ 195 Abs. 1 RStPO). Es blieb also weiterhin die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, bei dem Gericht der Hauptsache anzuklagen, der Untersuchungsrichter selbst hatte keine unmittelbare Entscheidungsbefugnis, was den weiteren Verlauf des Verfahrens betraf.11

2. Erhebung der öffentlichen Klage bei dem Tatgericht: Eröffnungsverfahren Blieb eine Voruntersuchung aus oder war diese beendet und gelangten also die Akten wieder zurück an die Staatsanwaltschaft (§ 195 RStPO), erhob diese die Klage durch Einreichung einer Anklageschrift mit dem Antrag, das Hauptverfahren zu eröffnen. Die Vorschriften über das nunmehr folgende Eröffnungsverfahren, geregelt 10 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 158; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung, Vorbem. § 178 Rn. 4; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 26. 11 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 18.

A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens

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in den §§ 196 – 211 RStPO, entsprechen im Grundsatz den heutigen Vorschriften. Das Gericht beschloss nach § 201 RStPO, das Hauptverfahren zu eröffnen, wenn die Voruntersuchung oder, sofern eine solche nicht stattgefunden hat, das Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens einen hinreichenden Tatverdacht des Angeschuldigten ergab. Die Nichteröffnung regelte § 202 RStPO, der dem heutigen § 204 StPO entspricht. Nach § 203 RStPO war eine vorläufige Einstellung ebenfalls möglich. Den notwendigen Inhalt der Anklageschrift beschrieb § 198 RStPO, der im Wesentlichen dem heutigen § 200 StPO entspricht. Sodann hatte der Vorsitzende des Gerichts nach § 199 Abs. 1 RStPO dem Angeschuldigten die Anklageschrift mitzuteilen und ihn zugleich aufzufordern, Beweiserhebungen zu beantragen oder Einwendungen vorzubringen oder eine Voruntersuchung zu beantragen. Entsprach das Gericht dem Antrag auf Einleitung einer Voruntersuchung nicht, konnte der Angeschuldigte diesen Beschluss im Wege der sofortigen Beschwerde (§ 199 Abs. 3 RStPO) angreifen. Eine Anfechtung etwaiger Beschlüsse zu Anträgen jenseits solcher auf Voruntersuchung war – wie auch heute noch – nicht vorgesehen. Zudem war § 199 RStPO ausweislich dessen Absatz 4 auf Verfahren vor dem Schöffengericht nicht anwendbar. Das Gericht konnte zur besseren Aufklärung der Sache überdies von sich aus eine Voruntersuchung, eine Ergänzung der Voruntersuchung oder – wie heute nach § 202 StPO – einzelne Beweiserhebungen anordnen (§ 200 RStPO), wobei eine Anfechtungsmöglichkeit eines solchen Beschlusses nicht vorgesehen war. Mit Blick auf das Hauptverfahren ist auf die Vorschrift des § 23 Abs. 3 RStPO hinzuweisen, wonach in Verfahren vor der Strafkammer der Berichterstatter des Zwischenverfahrens von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausgeschlossen war und nicht mehr als zwei derjenigen Richter, die an der Eröffnungsentscheidung mitgewirkt haben, an der Hauptverhandlung teilnehmen durften. Den Zweck der richterlichen Anklagezulassung im Zwischenverfahren erblickte man insbesondere im Schutz des Angeschuldigten vor einer unberechtigt durchgeführten Hauptverhandlung. Ferner sollten die Staatsanwaltschaften durch die bloße Existenz der richterlichen Kontrolle zur Erstellung qualitativ guter Anklagen bewegt werden.12

3. Die Diskussion um die Berufung und ihre Bedeutung für das Zwischenverfahren Ein aus historischer Sicht interessanter Aspekt, der aber in der jüngeren Diskussion nur selten in der gebotenen Deutlichkeit hervorgehoben wird,13 ist die Bedeutung des Zwischenverfahrens im Zusammenhang mit der Frage nach dem strafprozessualen Instanzenzug. Bekanntermaßen sind nach der geltenden Rechtslage gegen erstinstanzliche Urteile des Amtsgerichts Berufung zum Landgericht 12 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 168. 13 Soweit ersichtlich nur bei Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 40; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 32 f. streift den Aspekt dagegen nur knapp.

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1. Teil: Grundlagen

sowie (gegebenenfalls: Sprung-)Revision zum Oberlandesgericht möglich, während erstinstanzliche Urteile des Land- und Oberlandesgerichts ausschließlich mit der Revision zum Bundesgerichtshof angegriffen werden können. Die Frage der Installation einer Berufungsinstanz war im Rahmen der Beratungen zur RStPO ein äußerst umstrittenes Thema.14 Während die ersten Entwürfe zur RStPO noch keine Berufung vorsahen, wurde am 18. 09. 1875 in der Reichsjustizkommission erstmals über die Frage einer zweiten Tatsacheninstanz beraten.15 Nach eingehender Diskussion in der Reichsjustizkommission und mit knapper Stimmenmehrheit16 entschied man sich, die Einführung einer Berufungsmöglichkeit in Verfahren vor den Schöffengerichten vorzuschlagen, was nach weiteren Diskussionen im Plenum des Reichstages und nach Stellungnahme des Bundesrats17 angenommen wurde. Dagegen erachtete man die Berufung in landgerichtlichen Strafkammersachen und Schwurgerichtsverfahren als nicht erforderlich, weil diese Verfahren mehr Garantien böten als das eher summarische Schöffengerichtsverfahren.18 Gleichsam als Ersatz für die fehlende Berufungsmöglichkeit wurde in der Folge die Möglichkeit des Angeschuldigten, die gerichtliche Voruntersuchung zu beantragen sowie die Möglichkeit, Einwendungen gegen die Eröffnung der Hauptverhandlung vorzubringen, geschaffen.19 Dies verdeutlicht auch aus systematischer Sicht die Vorschrift des § 199 RStPO, die, mit Ausnahme der dortigen Regelung im Zusammenhang mit der Voruntersuchung, dem heutigen § 201 StPO entspricht und nach deren Absatz 4 die Geltendmachung von Einwendungen gegen die Eröffnung bei Schöffengerichtsverfahren – in denen die Berufung zulässig war – nicht möglich war.20 Das Reichsgericht war in der Folge der Ansicht, dass der Vorschrift des § 201 StPO der Grundgedanke immanent sei, den Angeklagten mit höheren Sicherheiten zu versehen, wenn ihm nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung stünde.21 Insgesamt kann daher gesagt werden, dass Voruntersuchung und Eröffnungsverfahren gemeinhin als Ersatz für eine fehlende zweite Tatsacheninstanz begriffen wurden, wenngleich der 14

Nachgezeichnet bei Stumpf, Die Berufung im deutschen Strafprozess, S. 38 ff. Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 991 f. 16 Zur Abstimmung siehe Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1009; ferner von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 648. 17 Der Bundesrat war die Vertretung der Gliedstaaten im Kaiserreich. 18 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1184 ff. 19 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1602 f.; von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 648; siehe ferner die Äußerung des Abgeordneten Lasker, wonach § 199 RStPO eine derjenigen Garantien, durch welche für die Abschaffung der Berufung Kompensation gewährt werde, Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1226. 20 So auch von Schwarze, GS 31 (1889), 401 (407). 21 RGSt 67, 59 (60); Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung, Teil II, § 201 Rn. 1. 15

A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens

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Beschuldigte nicht im selben Umfang wie in einer Berufungsinstanz mit Rechten ausgestattet war.22 Jedenfalls hatte der historische Gesetzgeber dem Verfahrensstadium zwischen Ermittlungsverfahren und Hauptverfahren eine deutlich gewichtigere Funktion im Gesamtstrafverfahren zugeschrieben, als man dies angesichts der heutzutage üblichen Praxis23 vermuten würde.

II. Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege von 1924: Abschaffung der Trennung von Eröffnungs- und Tatrichter Zwar war das Eröffnungsverfahren auch nach Einführung der RStPO Gegenstand kontroverser Diskurse in der Rechtswissenschaft,24 doch erfuhr es seinen ersten legislatorischen Eingriff erst im Jahr 1924. Infolge der durch die Währungsreform Ende 1923 verursachten finanziell angespannten Lage wurde durch die „Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege“ vom 04. Januar 1924 (so genannte „Emminger-Verordnung“)25 die Vorschrift des § 23 Abs. 3 RStPO gänzlich abgeschafft. In § 21 der Verordnung hieß es dazu lapidar: „Die Mitwirkung bei der Eröffnung des Hauptverfahrens bildet keinen Ausschließungsgrund für die Teilnahme am Hauptverfahren“. Damit war die vormals bestehende Trennung zwischen Tatund Eröffnungsrichter aufgegeben worden. Motiv für die Abschaffung dieser Regelung war die angestrebte Kostensenkung in der Justiz.26 In derselben Verordnung wurde die Voruntersuchung auch bei Verfahren vor dem Amtsgericht eingeführt, was namentlich mit einer Zuständigkeitsverlagerung für zahlreiche Delikte von Land- auf Amtsgerichte zusammenhing.27

III. Beseitigung des Zwischenverfahrens 1942 – 1950 und Wiedereinführung Während der nationalsozialistischen Herrschaft kam es zu einer faktischen Abschaffung des geltenden Eröffnungsverfahrens. Nachdem bereits wenige Jahre nach Inkrafttreten der RStPO zunehmend Kritik aufgekommen war, wonach das Eröffnungsverfahren durch die Gerichte nicht ernsthaft betrieben werde,28 sah sich der 22 23 24 25

1924. 26

Ähnlich Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 33. Hierzu unten 4. Teil B. Dazu Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 35. RGBl. I 1924, S. 15 ff.; dazu allgemein T. Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar

M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (333); Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. StPO, Rn. 1b; Loritz, Zwischenverfahren, S. 55. 27 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 41; zur Zuständigkeit der Amtsgerichte § 6 Emminger-Verordnung. 28 Ausführlich dazu Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 35 ff.

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1. Teil: Grundlagen

nationalsozialistische Gesetzgeber dazu bewogen, auch das bis dahin geltende Eröffnungsverfahren im Rahmen einer umfassenden Reform des Strafprozessrechts umzugestalten. Bereits 1935 wurde die Möglichkeit der Voruntersuchung stark eingeschränkt. Sie konnte nur noch seitens der Staatsanwaltschaft in Ausnahmefällen beantragt werden.29 Mit Verordnung vom 13. August 1942 wurde das Erfordernis eines Eröffnungsbeschlusses eliminiert, stattdessen war nur noch die Anordnung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden des Gerichts erforderlich, um den Angeschuldigten einer Hauptverhandlung auszusetzen.30 Diese Anordnung war nur dann abzulehnen, wenn entweder das Gericht unzuständig war oder aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eine Verurteilung mit Sicherheit nicht zu erwarten stand. Eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts fand also nicht mehr statt. Das durch die RStPO vormals gewährte Schutzniveau für den Angeschuldigten wurde im Ergebnis stark abgesenkt. Erst durch das Vereinheitlichungsgesetz von 1950 wurde der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt.31

IV. StPÄG 1964: Implementierung des staatsanwaltschaftlichen Schlussgehörs und „Zulassung der Anklage“ als neuer Inhalt des Eröffnungsbeschlusses Mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (StPÄG) kam es abermals zu einer Umgestaltung des Verfahrensstadiums zwischen dem Abschluss staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und dem Beginn der Hauptverhandlung. Ziel dieses Gesetzes war eine Stärkung der Beschuldigtenstellung im gesamten Strafverfahren.32 Die Phase zwischen dem Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungstätigkeit und der Eröffnung des Hauptverfahrens war hiervon in zweierlei Hinsicht betroffen. Zum einen wurde das staatsanwaltschaftliche Schlussgehör eingeführt, zum anderen kam es zu einer Änderung, die eher formaler Natur war: Inhalt des Eröffnungsbeschlusses sollte nur noch die „Zulassung der Anklage“ sein. Die neu implementierten Vorschriften über das staatsanwaltschaftliche Schlussgehör in §§ 169a – 169c der StPO i. d. F. v. 196433 verpflichteten die Staatsanwaltschaft, sofern sie Anklage zum Schöffengericht oder einem Gericht höherer Ordnung in Betracht zog, den Beschuldigten nach Abschluss der Ermittlungen und unabhängig von zuvor stattgefundenen Vernehmungen anzuhören. Der Beschuldigte,

29 Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des GVG vom 28. 06. 1935, RGBl I, S. 844 ff. 30 RGBl I, S. 512 ff. 31 BGBl 1950 I, S. 650 ff. 32 BT-Drs. IV/178, S. 17. 33 Art. 2 StPÄG, BGBl 1964 I, S. 1067 ff.

A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens

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dessen Stellung gerade durch das Schlussgehör verbessert werden sollte,34 konnte sich schriftlich äußern, einzelne Beweiserhebungen beantragen, Einwendungen vortragen (§ 169a Abs. 2 StPO i. d. F. v. 1964) oder einen Antrag auf ein mündliches Schlussgehör stellen, dem die Staatsanwaltschaft bei Schöffengerichtssachen entsprechen konnte und in Verfahren vor höherrangigen Gerichten entsprechen musste (§ 169b StPO i. d. F. v. 1964). Erst nachdem dem Beschuldigten in diesem Sinne Gehör gewährt worden war, konnte die Staatsanwaltschaft Klage erheben. Zwar war das Schlussgehör noch Teil des Ermittlungsverfahrens, dennoch sollte es eine frühzeitige Kontrolle der Anklage ermöglichen und ist insofern im Zusammenhang mit dem Zwischenverfahren zu betrachten.35 Auch bei der Implementierung des Schlussgehörs hatte der Gesetzgeber den begrenzten Rechtsweg gegen erstinstanzliche Urteile des Landgerichts im Blick. Die Gesetzesbegründung führt zu § 169b Abs. 1 StPO i. d. F. v. 1964, der dem Angeschuldigten einen Anspruch auf Veranstaltung eines Schlussgehörs bei drohender Anklage zu Land- oder Oberlandesgerichten gewährt, aus, dass die Regelung auch berücksichtige, „daß gegen die Urteile dieser Gerichte die Berufung nicht zulässig“ sei.36 Weiter heißt es: „Der Beschuldigte soll also durch den Anspruch auf eine vorgeschaltete Verhandlung mit dem Staatsanwalt in Form des Schlußgehörs die Möglichkeit erhalten, gerade in den Sachen, in denen es nur einen tatrichterlichen Rechtszug gibt, schon frühzeitig auf die Sachaufklärung Einfluß zu nehmen.“37 Darüber hinaus wurde der gesetzlich notwendige Inhalt des Eröffnungsbeschlusses geändert. Während nach der bis zum StPÄG von 1964 geltenden Rechtslage das spätere Gericht der Hauptsache explizit einen „hinreichenden Tatverdacht“ feststellte, lässt es nach dem neu geschaffenen und noch heute geltenden § 207 Abs. 1 StPO im Eröffnungsbeschluss nur noch die Anklage zur Hauptverhandlung zu („Zulassung der Anklage“), zudem wird die angeklagte Tat nicht mehr dargelegt.38 Mit dieser Umgestaltung sollte der Eindruck, das Gericht hätte sich bereits vor dem Hauptverfahren auf eine bestimmte Würdigung des Falles in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht festgelegt, vermieden werden.39 Am Prüfungsmaßstab selbst (§ 203 StPO) sollte sich freilich nichts ändern, sodass die Änderung als nurmehr kosmetisch bezeichnet werden muss und zu dem durch das StPÄG verfolgten Ziel des Beschuldigtenschutzes faktisch keinen Beitrag zu leisten vermag. In der Literatur wurde dieser Vorgang daher als „verbale Verschleierung“40 oder gar als „Etikettenschwindel“41 bezeichnet. Auch in der Gesetzesbegründung 34 35 36 37 38 39 40 41

BT-Drs. IV/178, S. 17. So auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 49. BT-Drs. IV/178, S. 17. BT-Drs. IV/178, S. 17. Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO (25. Aufl.), § 207 Rn. 10. BT-Drs. IV/178, S. 39. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 3. Schmidt-Leichner, AnwBl 1961, 26 (33).

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1. Teil: Grundlagen

wird hervorgehoben, dass der primäre Zweck der Neuregelung darin liege, dass „künftig das Hauptverfahren viel unmittelbarer als bisher auf der Anklage des Staatsanwalts“ aufbaue, da fortan der Inhalt der gerichtlich zugelassenen Anklage den Prozessstoff bestimme.42

V. Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung und Einschränkung des staatsanwaltschaftlichen Schlussgehörs durch das StrVRG 1974 Eine neuerliche, umfassendere Reform stand mit dem ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StrVRG) im Jahr 1974 an, dessen Ziel es namentlich war, eine Straffung und Beschleunigung des Strafverfahrens „im Interesse des Beschuldigten und zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung“ zu erreichen und das als ein „erster Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden Reform des Strafverfahrensrechts“ betrachtet wurde.43 Eine „Straffung“ der Phase zwischen Ende des Ermittlungs- und Beginn des Hauptverfahrens erzielte die Novelle, indem sie die Voruntersuchung gänzlich abschaffte44 und das staatsanwaltschaftliche Schlussgehör einschränkte45. Mit der Abschaffung der Voruntersuchung entsprach das Gesetz den ohnehin bereits zuvor erhobenen Bedenken gegen die Institution der Voruntersuchung als einem Relikt des durch uneingeschränkte Verfahrensherrschaft des Richters geprägten Inquisitionsprozesses. Namhafte Vertreter der Literatur hatten sich bereits zuvor vermehrt für eine Abschaffung der Voruntersuchung ausgesprochen.46 Neben dem Inquisitions-Argument konnte gegen das Institut der Voruntersuchung zudem deren zusehends abnehmende justizpraktische Bedeutung ins Feld geführt werden: Statistischen Erhebungen zufolge wurden im Jahr 1971 in lediglich 2,85 % aller vor den Landgerichten durchgeführten Verfahren eine Voruntersuchung vorgenommen.47

VI. Erörterung des Verfahrensstandes: Absprachen im Zwischenverfahren seit 2009 Seinen letzten legislatorischen Eingriff hat das Zwischenverfahren im Jahr 2009 erfahren. Durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren wurde die Vorschrift des § 202a StPO mit Wirkung zum 04. 08. 2009 eingeführt. Hiernach 42 43 44 45 46 47

BT-Drs. IV/178, S. 39. So die Zielsetzung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, BT-Drs. 7/551. BGBl. 1974 I, S. 3399. BGBl. 1974 I, S. 3398. Vgl. BT-Drs. 7/551, S. 39. BT-Drs. 7/551, S. 130.

A. Historische Entwicklung des Zwischenverfahrens

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kann das Gericht – sofern es die Eröffnung des Hauptverfahrens erwägt – den Stand des Verfahrens mit den Beteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Die zugehörige Gesetzesbegründung fällt knapp aus und stellt heraus, dass Gegenstand einer „Erörterung“ nach § 202a StPO auch die Besprechung von Möglichkeiten und Umständen einer Verständigung sein kann. Dies sei indes nicht der einzige Zweck der Vorschrift, vielmehr seien auch Fragen etwa hinsichtlich der Strukturierung der Hauptverhandlung oder hinsichtlich des Eröffnungsverfahrens selbst erörterungsfähig. Die Verständigung sei nur ein Unterfall solcher Erörterungen.48 Über die Einführung einer Vorschrift, die jedenfalls im Ansatz Ähnlichkeit mit dem heutigen § 202a StPO hat, wurde schon deutlich früher nachgedacht. Bereits im Regierungsentwurf zum StPÄG im Jahr 1964 wurde die Schaffung eines § 202a StPO vorgeschlagen, nach dem das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag von Staatsanwaltschaft oder Angeschuldigtem eine mündliche, nicht-öffentliche Verhandlung zur Erhebung einzelner Beweise anordnen können sollte. Sogar eine zwangsweise Vorführung des Angeschuldigten sollte nach dieser Vorschrift möglich sein, sofern er der Verhandlung fernblieb.49 Dagegen wandte sich indes der Bundesrat mit der Begründung, dass eine solche Vorschrift im Zwischenverfahren nicht zulässig sei, da insofern eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung zu befürchten stehe und die Einführung der Vorschrift mithin eine nicht tragbare Änderung der Strafverfahrenssystematik zur Folge hätte.50 Letzten Endes konnte sich der Vorschlag nicht durchsetzen. In der Folge wurde die Implementierung eines inhaltlich anderen § 202a StPO im Rahmen des Entwurfs eines Opferrechtsreformgesetzes im Jahr 2003 erwogen. Der Entwurf der Bundesregierung sah folgenden Wortlaut vor: „Erwägt das Gericht die Eröffnung des Verfahrens, so soll es den Beteiligten Gelegenheit zu einer mündlichen Anhörung geben, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“.51 Hintergrund der vorgeschlagenen Regelung war die bereits damals bekannte Erkenntnis, „dass die Möglichkeiten, die das Zwischenverfahren zur Entlastung der Hauptverhandlung bietet, bislang kaum genutzt werden“.52 Dementsprechend sollte der vorgesehene Anhörungstermin die Gesprächsmöglichkeiten des Gerichts im Zwischenverfahren verbessern und die Hauptverhandlung entlasten.53 Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Regelung zwar verworfen, fand aber in leicht modifizierter Form Eingang in den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren des Bundesministeriums der Justiz vom 18. 05. 2006. In diesem Entwurf – der später unverändert Gesetz wurde – wurde § 202a StPO als „Kann“Vorschrift ausgestaltet, der Begriff der „Beteiligten“ durch „Verfahrensbeteiligte“ ersetzt und statt einer „mündlichen Anhörung“ der Begriff „Erörterung“ eingeführt. 48 49 50 51 52 53

BT-Drs. 16/12310, S. 12. BT-Drs. IV/2378, S. 54. BT-Drs. IV/2459, S. 3. BR-Drs. 829/03, S. 3. BT-Drs. 15/1976, S. 11. BT-Drs. 15/1976, S. 11.

30

1. Teil: Grundlagen

Die Vorschrift ist – ebenso wie das gesamte mit dem Verständigungsgesetz von 2009 eingeführte Regelwerk54 – umstritten. Insofern erscheint eine genauere Betrachtung der Auswirkungen der Vorschrift des § 202a StPO auf das Zwischenverfahren geboten und soll an späterer Stelle vorgenommen werden.55

B. Der Ablauf des Zwischenverfahrens und die Verfahrensbeteiligten Wie schon die historische Skizze verdeutlicht hat, darf der Beschuldigte nicht allein auf die Anklage der Staatsanwaltschaft hin mit einem öffentlichen Hauptverfahren überzogen werden. Zuvor hat das Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu befinden und zu klären, ob es die Verurteilung des Angeschuldigten für hinreichend wahrscheinlich erachtet und also hinreichender Tatverdacht vorliegt. Dies findet auch heute noch im Zwischenverfahren statt, welches mit dem Eingang der Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht beginnt (§ 199 Abs. 2 StPO). Im Folgenden sollen der gegenwärtige Gang des Verfahrens und die Rolle der einzelnen Prozessbeteiligten kurz skizziert werden.

I. Vorkommen und Verlauf des Zwischenverfahrens nach geltender Rechtslage Auch wenn das Zwischenverfahren als zwingend abzuhaltender Abschnitt im strafprozessualen Verfahren im ersten Rechtszug installiert wurde und die Architektur der Strafprozessordnung den Eröffnungsbeschluss als die regelmäßige Einleitungsform des gerichtlichen Verfahrens vorsieht, kommt es doch in einem großen Teil der die Strafjustiz tatsächlich beschäftigenden Fälle nicht vor: So findet es im beschleunigten Verfahren nach §§ 417 ff. StPO, im praktisch überaus wichtigen Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO und im vereinfachten Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGG nicht statt. Gleichwohl ist aber auch in diesen Fällen die materielle Eröffnungsvoraussetzung des hinreichenden Tatverdachts zu berücksichtigen.56 Im Falle der Nachtragsanklage im Hauptverfahren findet ebenfalls kein Zwischenverfahren statt, allerdings erfordert der Erlass des Einbeziehungsbeschluss

54

Hierzu etwa Jahn/Müller, NJW 2009, 2625 ff.; Fischer, StraFo 2009, 177 ff. Siehe unten 5. Teil E. 56 So darf ein Strafbefehl ohne hinreichenden Tatverdacht nicht erlassen werden (§ 408 Abs. 2 StPO) und beschleunigtes Verfahren sowie vereinfachtes Jugendverfahren sind nach h. M. mangels Eignung abzulehnen, wenn kein hinreichender Tatverdacht gegeben ist; vgl. Rieß, JURA 2002, 735 (736); Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 408 Rn. 7, § 418 Rn. 3; Loos/Radtke, NStZ 1995, 569 (574). 55

B. Der Ablauf des Zwischenverfahrens und die Verfahrensbeteiligten

31

nach § 266 Abs. 1 StPO, dass die Voraussetzungen für eine Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegen. Eingeleitet wird das Zwischenverfahren durch Erhebung der öffentlichen Klage in Form der Einreichung der Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.57 Zugleich werden nach § 199 Abs. 2 StPO die Akten vorgelegt. Das Zwischenverfahren ist ein in erster Linie schriftliches Verfahren unter Verwendung des gesamten Akteninhalts aus dem Ermittlungsverfahren, den Ergebnissen etwaiger Beweiserhebungen im Zwischenverfahren selbst und einer gegebenenfalls vorliegenden Stellungnahme des Angeschuldigten. Es findet keine mündliche Verhandlung und keine unmittelbare Beweisaufnahme statt, das Gericht prüft die Unterlagen im Wege des Freibeweisverfahrens.58

II. Das Gericht Mit dem Eingang der Anklageschrift geht die Verfahrensherrschaft auf das Gericht über. Das Verfahren wird bei ihm anhängig, aber noch nicht rechtshängig.59 Der Vorsitzende des Gerichts teilt dem Angeschuldigten gemäß § 201 Abs. 1 S. 1 StPO die Anklageschrift mit und fordert ihn auf, binnen einer bestimmten Frist zu erklären, ob er Beweisanträge stellen oder Einwendungen vorbringen möchte. Sodann prüft das Eröffnungsgericht, gegebenenfalls unter Einbeziehung des Vorbringens des Angeschuldigten, ob zum einen die Prozessvoraussetzungen vorliegen und zum anderen die Voraussetzungen für den Erlass eines Eröffnungsbeschlusses gegeben sind und also hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO zu bejahen ist. Hierzu kann es gemäß § 202 StPO zur besseren Sachaufklärung selbst einzelne Beweiserhebungen anordnen. Die Instruktionsmaxime gilt also auch im Zwischenverfahren.60 Nach der vorherrschenden Meinung kann sich das Gericht analog §§ 223 ff. StPO im Wege der Rechtshilfe eines so genannten „ersuchten Richters“ bedienen oder aber selbst tätig werden.61 Es kann aber auch die Staatsanwaltschaft oder die Polizei mit der Beweiserhebung beauftragt werden.62 Das Gericht ist ferner befugt, aus eigener Initiative Erörterungen über den Stand des Verfahrens nach § 202a StPO durchzuführen. 57

Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 6; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 45; Mavany, JA 2015, 488 (490 f.); Rieß, JURA 2002, 735 (736). 58 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 6; Rieß, JURA 2002, 735 (738). 59 BGHSt 29, 341 (343); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 5; Rieß, JURA 2002, 735 (739); Mavany, JA 2015, 488 (491). 60 Rieß, JURA 2002, 735 (739); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 1. 61 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202 Rn. 3 f.; a. A. Stuckenberg, in: LöweRosenberg, StPO, § 202 Rn. 17, der §§ 223 ff. StPO nicht für anwendbar hält, weil die Beweiserhebung noch dem Ermittlungsverfahren zugehörig sei. 62 Rieß, JURA 2002, 735 (739).

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1. Teil: Grundlagen

III. Der Angeschuldigte Mit Einreichung der Anklage bei dem Gericht wird der Beschuldigte zum Angeschuldigten, § 157 StPO. Er wird über die gegen ihn erhobene Anklage nach § 201 Abs. 1 S. 1 StPO informiert und hat die Möglichkeit, Einwendungen oder Anträge vorzubringen, um die Eröffnung des Hauptverfahrens zu verhindern oder eine veränderte Anklagezulassung herbeizuführen. Das Gericht muss sich mit diesen Einwendungen und Anträgen auch im Zwischenverfahren auseinandersetzen, wenngleich die Ablehnungsanforderungen für Beweisanträge nicht so hoch sind wie im Hauptverfahren, da nach der herrschenden Auffassung die engen Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 und 4 StPO nicht gelten sollen.63 Durch die Vorschrift wird sichergestellt, dass dem Angeschuldigten sein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG gewährt wird.64

IV. Die Staatsanwaltschaft War die Staatsanwaltschaft noch „Herrin des Vorverfahrens“,65 wandelt sich diese Rolle mit Erhebung der öffentlichen Klage. Ab diesem Zeitpunkt ist es nämlich das Gericht, das die Herrschaft über das Verfahren innehat.66 Dennoch ist die Staatsanwaltschaft bis zur Eröffnung jederzeit befugt, die Klage zurückzunehmen, was sich aus § 156 StPO ergibt. Sie kann damit in sehr effektiver Weise eine sich gegebenenfalls andeutende, ihr nicht genehme Entscheidung des Eröffnungsgerichts verhindern, indem sie diesem durch Rücknahme der Anklage schlichtweg die Grundlage entzieht.67 Sie muss vor jeder gerichtlichen Entscheidung wegen § 33 Abs. 2 StPO gehört werden. Ferner ist sie auch im Zwischenverfahren immer noch zu eigenen Ermittlungen befugt, sodass auch das gesetzlich nicht vorgesehene Beweisantragsrecht unproblematisch ist.68 Überdies steht ihr gemäß § 210 Abs. 2 StPO das Recht auf sofortige Beschwerde zu, wenn die Eröffnung abgelehnt oder vor einem anderen Gericht beschlossen wird. Insgesamt ist damit die Stellung der Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren als durchaus gewichtig zu bezeichnen.69 63

Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 201 Rn. 8; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 38; Kretschmer, StraFo 2013, 187 (188); a. A. Seidl, in: Kleinknecht/ Müller/Reitberger, StPO, § 201 Rn. 28. 64 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 1; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 1; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 201 Rn. 2; Ritscher, in: Beck-OK, StPO, § 201 Rn. 1. 65 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 79; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 132. 66 Siehe bereits oben 1. Teil B. II. 67 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 133 f. 68 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 133. 69 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 134.

C. Funktionen des Zwischenverfahrens

33

V. Der Verletzte Hinsichtlich der Stellung des Verletzten im Zwischenverfahren ist zwischen dem „einfachen“ Verletzten und dem nebenklageberechtigten Verletzten zu differenzieren. Während ersterer keinen direkten Einfluss auf das Erkenntnisverfahren ausüben kann und nur ein Auskunftsrecht über den Stand des Verfahrens nach § 406d StPO hat, ist dem Nebenkläger oder nebenklagebefugten Verletzten, der einen entsprechenden Antrag gestellt hat, die Anklageschrift nach § 201 Abs. 1 S. 2 StPO zu übersenden. Zwar ist ein Beweisantragsrecht für den Nebenkläger nicht vorgesehen, allerdings finden seine Eingaben ihren Weg in die Akte, die Grundlage der Entscheidung über den Eröffnungsbeschluss ist, sodass das fehlende Beweisantragsrecht unschädlich ist.70 Gemäß § 400 Abs. 2 StPO kann der Nebenkläger sofortige Beschwerde gegen den Nichteröffnungsbeschluss erheben. Gegen die Eröffnung vor einem niederrangigen Gericht nach § 209 Abs. 1 StPO ist ein Rechtsbehelf nicht vorgesehen.71 Alles in allem hat also auch der Verletzte, der nebenklagebefugt ist oder schon als Nebenkläger auftritt, effektive Teilhaberechte im Zwischenverfahren.72

C. Funktionen des Zwischenverfahrens im strafprozessualen Erkenntnisverfahren Dem Stadium des Zwischenverfahrens kommen einige zentrale Funktionen im Gefüge des gesamten strafprozessualen Erkenntnisverfahrens zu. Es dient in erster Linie dem Schutz des Angeschuldigten, indem es eine Kontroll- und Filterfunktion gewährleistet. Darüber hinaus erlangt der Angeschuldigte hier erstmals umfassendes rechtliches Gehör. Ferner wird im Zwischenverfahren das zuständige Gericht sowie der Verfahrensgegenstand (jedenfalls vorläufig) festgelegt.

I. Negative Kontrollfunktion: Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Verdachtshypothese In erster Linie obliegt dem Zwischenverfahren die Aufgabe, die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage zu kontrollieren.73 Ziel dieser Kontrolle ist es, die 70

So auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 138. OLG Karlsruhe, NStZ 1989, 442; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 400 Rn. 8. 72 So auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 138. 73 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Vorbemerkungen § 199 Rn. 1; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. Rn. 5; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 4; Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 4 ff.; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 62 ff.; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 114; Nierwetberg, NStZ 71

34

1. Teil: Grundlagen

Eröffnung einer Hauptverhandlung zu vermeiden, soweit sich die erhobenen Tatvorwürfe als unberechtigt erweisen und die weitere Durchführung eines Strafverfahrens also ebenfalls unberechtigt wäre.74 Man spricht insoweit auch von der „Filterfunktion“75 des Zwischenverfahrens. Das Hauptverfahren erreichen nur jene Fälle, die nicht nach Maßgabe der §§ 199 ff. StPO „ausgesiebt“ werden können. Dabei kann die Anklage vollständig zurückgewiesen oder gemäß § 207 Abs. 2 StPO nur teilweise zugelassen werden. Inhalt und Maß dieser Kontrolle bestimmt § 203 StPO: Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Der Sache nach findet also eine Kontrolle des Tatverdachtes statt.76 Erforderlich für die Bejahung eines hinreichenden Tatverdachts ist nach der herrschenden Auffassung, dass der Verdacht bei einer vorläufigen Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist.77 Da das Gericht im Falle einer Bejahung des hinreichenden Tatverdachtes im Eröffnungsbeschluss die Anklage gemäß § 207 Abs. 1 StPO nur noch „zulässt“78 und einen hinreichenden Tatverdacht nicht mehr ausdrücklich „positiv“ feststellt, wird diese Kontrolle auch als „negative Kontrolle“ bezeichnet.79 Damit korrespondiert, dass das Gericht nach § 204 StPO nur im Falle einer Verneinung des hinreichenden Tatverdachtes anzugeben hat, ob dies aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen der Fall ist und damit also das Fehlen eines hinreichenden Tatverdachtes ausdrücklich feststellt. Die Verdachtskontrolle entfaltet eine Schutzwirkung in zwei Richtungen: Einerseits soll der Angeschuldigte vor infolge sachlich unberechtigter Anklagen durchzuführender Hauptverhandlungen geschützt werden, andererseits soll auch das mit der Sache befasste Gericht vor unberechtigten Hauptverfahren und der damit einhergehenden Mehrbelastung ge1989, 212; Rieß, JURA 2002, 735 (736); ders., in: Festschrift für Rolinski, S. 339 f. und S. 243; Mavany, JA 2015, 488 (489); Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 352; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 2. 74 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 63; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 352; Mavany, JA 2015, 488 (489); siehe zu diesem Aspekt und insbesondere der Frage, ob ein solches Verfahren „unberechtigt“ ist unten 2. Teil B. II. 75 Rieß, JURA 2002, 735 (736); ders., in: Festschrift für Klaus Rolinski, S. 239; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 12; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. Rn. 5; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Vor § 199 Rn. 1; Mavany, JA 2015, 488 (489). 76 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 57. 77 BGH NJW 1970, 1543 (1544); BGHSt 23, 304 (306) = NJW 1970, 2071 (2072); OLG Karlsruhe, StV 2012 (459); OLG Hamm, StV 2017 (301); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, § 203 Rn. 2; anders Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11 („hohe Wahrscheinlichkeit“), zur Auslegung des Begriffs unten 4. Teil C. I. sowie 5. Teil C. III. 78 Siehe hierzu oben 1. Teil A. IV. 79 M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (329); Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 600; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 2; Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081.

C. Funktionen des Zwischenverfahrens

35

schützt werden.80 Mittelbar werden zudem Dritte, etwa Zeugen oder Sachverständige, die im Falle der Hauptverhandlung mit einer Erscheinenspflicht belegt wären, vor einer überflüssigen Inanspruchnahme geschützt.81

II. Gewährung rechtlichen Gehörs Des Weiteren erhält der Beschuldigte im Rahmen des Zwischenverfahrens im Verlauf des gesamten bisherigen Erkenntnisverfahrens erstmals umfassendes rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG.82 Der verfassungsrechtlich fundierte Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet dem Anspruchsinhaber nach allgemeiner Ansicht drei Rechte: Erstens das Recht, vom Gericht über die Sach- und Rechtslage informiert zu werden, zweitens das Recht, sich im Verfahren zu äußern und drittens die Berücksichtigung der vorgebrachten Äußerung durch das Gericht.83 Das Informationsrecht („erste Stufe“) wird durch § 201 Abs. 1 S. 1 StPO sichergestellt, indem der Vorsitzende des Gerichts dem Angeschuldigten die Anklageschrift, die – aus der Sicht der Staatsanwaltschaft – den ausermittelten Gegenstand des Verfahrens bestimmen soll, zur Kenntnis bringt. Auf dieser Basis kann er sein Äußerungsrecht („zweite Stufe“) wahrnehmen und gemäß § 201 Abs. 1 S. 1 StPO Beweiserhebungen beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen, was der Vorbereitung einer wirksamen Verteidigung dient und auch vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 3 lit. a) und b) EMRK geboten ist.84 Zwar ist ein Anspruch auf rechtliches Gehör bereits im Ermittlungsverfahren einfachgesetzlich in § 163a Abs. 1 StPO verankert und der Beschuldigte ist vor Abschluss der Ermittlungen zu vernehmen, gleichwohl können sich auch nach 80

Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Vor § 198 Rn. 1; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vorbemerkungen §§ 198 ff. Rn. 5; Fischer, in: Karlsruher Kommentar StPO, Einleitung Rn. 196; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 196 Rn. 12; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 62 ff.; Paeffgen, NStZ 2002, 281 (282); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 621; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 2; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 352. 81 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 12; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vorbemerkungen §§ 198 ff. Rn. 7a; Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Vor § 198 Rn. 1. 82 Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. Rn. 5; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 4; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 120 ff.; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 120; Rieß, JURA 2002, 735 (736); Mavany, JA 2015, 488 (489); Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 352; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 2. 83 BVerfGE 107, 395 (409) = NJW 2003, 1924 (1926); Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103 Rn. 62; Radtke/Hagemeier, in: BeckOK Grundgesetz, Art. 103 Rn. 7; Rüping, in: Bonner Kommentar Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1 Rn. 76; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 103 Rn. 11. 84 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 1; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 201 Rn. 2.

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1. Teil: Grundlagen

Durchführung dieser Vernehmung aus der Sicht der Staatsanwaltschaft noch Änderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ergeben, sodass der Anklage bei deren Erhebung durchaus ein von der Mitteilung an den Beschuldigten in der Vernehmung abweichender Sachverhalt zugrunde gelegt sein kann.85 Überdies bleibt die Vorschrift des § 163a Abs. 1 StPO in der Praxis mitunter unangewendet.86 Eine solche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird nach der vorherrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur durch das Prozedere des Zwischenverfahrens geheilt.87 Mit Blick auf das Recht auf Berücksichtigung des Vorgebrachten („dritte Stufe“) kann konzediert werden, dass diese Stufe im Zwischenverfahren jedenfalls insoweit umgesetzt wird, als sie aus Sicht des Eröffnungsgerichts Bedeutung für den hinreichenden Tatverdacht nach § 203 StPO oder das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Prozessvoraussetzungen hat. Die Vorschrift des § 201 Abs. 1 StPO ist also Ausfluss des verfassungsrechtlich verbürgten Rechts auf Gehör und gibt dem Angeschuldigten Gelegenheit, sich mit dem ihm grundsätzlich88 abschließend umgrenzten Sachverhalt, wie er ihm zur Last gelegt wird, auseinanderzusetzen und das Recht auf Gehör wahrnehmen zu können.

III. Bestimmung des zuständigen Gerichts Eine weitere dem Zwischenverfahren gesetzlich zugeschriebene Funktion ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts, wodurch zugleich der in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG garantierte Verfassungsgrundsatz des gesetzlichen Richters gewahrt wird.89 Im Eröffnungsbeschluss ist nach § 207 Abs. 1 StPO dasjenige Gericht zu bezeichnen, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Notwendig vorgelagert ist also die Klärung der Frage, welches Gericht das zuständige ist. Zwar erhebt bereits die Staatsanwaltschaft die Anklage bei dem nach ihrer Ansicht zuständigen Gericht, dieses ist aber nach § 206 StPO nicht an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden, eine Zuständigkeit wird also durch die bloße Anklageerhebung noch nicht begründet.90

85

Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 123. Kempf, in: Festschrift AG Strafrecht im DAV, S. 592 (599). 87 LG Düsseldorf, NStZ 1986, 138 (139); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 163a Rn. 1; Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO, § 163a Rn. 50; a. A. Kempf, in: Festschrift AG Strafrecht im DAV, S. 592 (599). 88 Abgesehen von einer etwaigen Nachtragsanklage nach § 266 StPO. 89 Rieß, in: Kühne, Festschrift für Klaus Rolinski, S. 239 (243); Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 112 ff.; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 10; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. Rn. 5. 90 Bindend ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft freilich dort, wo – wie bei §§ 7 ff. StPO – der Staatsanwaltschaft ein Wahlrecht zusteht, Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 206 Rn. 1. 86

C. Funktionen des Zwischenverfahrens

37

Die Entscheidungsmöglichkeiten des Eröffnungsgerichts hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit normiert § 209 StPO. Ist das Eröffnungsgericht der Ansicht, dass ein Gericht niedrigerer Ordnung, das in seinem Bezirk belegen ist, zuständig sei, kann es das Hauptverfahren ohne Umwege vor diesem Gericht nach § 209 Abs. 1 StPO eröffnen. Ist es dagegen der Ansicht, dass ein Gericht höherer Ordnung, zu dessen Bezirk es gehört, sachlich zuständig sei, legt es diesem Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vor (§ 209 Abs. 2 StPO). Gleichwohl kann noch nach der Bezeichnung des zuständigen Gerichts im Eröffnungsbeschluss die sachliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründet werden: So bestimmt § 225a Abs. 1 S. 1 StPO, dass ein Gericht, welches vor Beginn der Hauptverhandlung und – dies ergibt sich aus der systematischen Stellung der Norm im Abschnitt über die Vorbereitung der Hauptverhandlung – nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses91 die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet hält, diesem die Akten zur Entscheidung über die Übernahme der Sache vorlegen kann. Wurde die Hauptverhandlung bereits begonnen, erlaubt es § 270 StPO dem Gericht, die Sache an ein anderes von ihm für zuständig erachtetes Gericht höherer Ordnung durch Beschluss zu verweisen. Eine Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ist dann aber nach § 269 StPO unzulässig. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 16 StPO. Danach muss das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens seine örtliche Zuständigkeit von Amts wegen prüfen. Es darf dann seine Unzuständigkeit nur noch auf Einwand des Angeklagten aussprechen, den dieser aber nur bis zum Beginn seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung geltend machen kann. Danach ist festzuhalten, dass die Bestimmung des zuständigen Gerichts im Zwischenverfahren notwendigerweise stattfinden muss. Allerdings ist nach der Konzeption der StPO die Entscheidung über die Zuständigkeit keineswegs endgültig, sondern kann sich, was die örtliche Zuständigkeit betrifft, bis zu Beginn der Vernehmung zur Sache im Hauptverfahren, was die sachliche Zuständigkeit betrifft, auch noch darüber hinaus, ändern.

IV. Fixierung des Verfahrensgegenstandes Ziel des Strafverfahrens ist die Klärung der Frage, ob ein Beschuldigter strafbarer Handlungen schuldig ist und welche Rechtsfolgen gegen ihn zu verhängen sind.92 Hierzu bedarf es naturgemäß zunächst einer Eingrenzung der zu untersuchenden Handlungen, die dann letztlich Gegenstand des die Strafklage verbrauchenden Urteils sind.93 Diese Eingrenzung findet im Zwischenverfahren, genauer im Eröff-

91 92 93

Arnoldi, in: Münchener Kommentar StPO, § 225a Rn. 3. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 20 Rn. 1; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 639. Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 100.

38

1. Teil: Grundlagen

nungsbeschluss, statt. Er ist somit Ausprägung des ne-bis-in-idem-Grundsatzes.94 Dem Eröffnungsgericht stehen mit Blick auf dessen Abschluss unterschiedliche Entscheidungsmöglichkeiten zu Gebote: Es kann die Anklage vollumfänglich zulassen, es kann mit Änderungen zulassen oder nicht zulassen und also die Eröffnung ablehnen. Auch sind verschiedene Möglichkeiten der Einstellung des Verfahrens gegeben, auf die indes an dieser Stelle nicht näher einzugehen ist. Gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Hauptverfahren zu eröffnen ist, lässt es gemäß § 207 Abs. 1 StPO in dem Eröffnungsbeschluss die Anklage – gegebenenfalls mit Änderungen nach § 207 Abs. 2 StPO – zur Hauptverhandlung zu. Damit wird für alle Verfahrensbeteiligten klar eingegrenzt, welches historische Geschehen in der anstehenden Hauptverhandlung abgearbeitet werden wird. Diese verfahrensthematische Festlegung erfolgt primär in tatsächlicher, jedoch auch in rechtlicher Hinsicht. 1. Festlegung des Prozessstoffs in tatsächlicher Hinsicht Zunächst findet im Eröffnungsbeschluss eine thematische Begrenzung desjenigen Lebenssachverhaltes, der im Rahmen der Hauptverhandlung zu würdigen sein wird, also der Tat im prozessualen Sinne, statt.95 Zwar verhält sich der Eröffnungsbeschluss selbst nicht zu dem konkret angeklagten Lebenssachverhalt, vielmehr wird in ihm „nur“ die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und damit auf diese verwiesen. Dennoch kommt ihm die Funktion zu, das Verfahrensthema sachlich und personell zu konkretisieren: Hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben und damit ihrerseits im Anklagesatz den Prozessstoff umgrenzt, obliegt es nunmehr dem Eröffnungsgericht, den Verfahrensgegenstand zu präzisieren und damit Art und Umfang des Schuldvorwurfs zu bestimmen, der zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.96 Freilich ist das Gericht bei der Eröffnungsentscheidung als Folge des Anklagegrundsatzes seinerseits an die Anklage insofern gebunden, als sich die Untersuchung und Entscheidung des Gerichts nach § 155 Abs. 1 StPO (in der Hauptverhandlung: § 264 Abs. 1 StPO) nur auf die in der Klage bezeichnete Tat beschränkt. Insofern gibt die Anklage den tatsächlichen Rahmen vor, über den das Eröffnungsgericht grundsätzlich nicht hinausgehen darf. Wird der Verfahrensgegenstand durch das Gericht nach § 207 Abs. 2 StPO modifiziert, hat die Staatsanwaltschaft eine entsprechend geänderte Anklageschrift einzureichen (§ 207 Abs. 3 S. 1 StPO). Somit

94 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 20 Rn. 2; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 101. 95 RGSt 68, 105 (107); BGHSt 5, 225 (227); 23, 141 (145); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 3; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 207 Rn. 2; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 409. 96 BGHSt 29, 351 = NJW 1981, 133; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 3; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 3; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 414.

C. Funktionen des Zwischenverfahrens

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ergibt sich der tatsächliche Verfahrensgegenstand aus dem Zusammenspiel von Anklage und Eröffnungsbeschluss.97 2. Würdigung des Prozessstoffs in rechtlicher Hinsicht Neben der Fixierung des in der Hauptverhandlung zu untersuchenden tatsächlichen Lebensvorganges prüft das Gericht auch – und zwar bereits im Rahmen der Klärung des hinreichenden Tatverdachts – die Strafbarkeit des angeklagten Verhaltens. Auch hier sind gemäß § 207 Abs. 2 Nr. 3 StPO Änderungen hinsichtlich der rechtlichen Würdigung im Eröffnungsbeschluss möglich.98 Dieser muss in Verbindung mit der Anklageschrift erkennen lassen, welche Tatsachen nach der Auffassung des Gerichts die gesetzlichen Merkmale des Straftatbestandes erfüllen.99 Relevant wird diese rechtliche Eingrenzung insbesondere hinsichtlich Zuständigkeitsfragen, da sich infolge einer anderen rechtlichen Beurteilung auch eine andere sachliche Zuständigkeit ergeben kann.100 Jedenfalls rein rechtlich betrachtet entfaltet die rechtliche Würdigung des Gerichts im Eröffnungsverfahren keine echte Bindungswirkung.101 3. Vorläufiger Charakter der Fixierung des Verfahrensgegenstandes Hat das Eröffnungsgericht die Anklage zugelassen und somit den Prozessstoff in der oben beschriebenen Weise konkretisiert, bedeutet dies gleichwohl nicht, dass diese Festlegung unabänderlich bis zu einem Urteil feststünde. Vielmehr existieren mehrere prozessuale Möglichkeiten, das Verfahrensthema auch nach der Entscheidung über die Eröffnung auszuweiten oder zu begrenzen. Ändert sich nach dem Eröffnungsbeschluss die rechtliche Einschätzung der angeklagten Taten, so bedarf es eines gerichtlichen Hinweises gemäß § 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO. Hiernach darf der Angeklagte nicht auf Grund eines anderen als des in der zugelassenen Anklage bezeichneten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne dass er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen wurde. Ergeben sich nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses Änderungen in tatsächlicher Hinsicht und wird dadurch ein neuer Sachverhalt bekannt, der in der Anklage so nicht dargestellt wurde, sich aber noch im Rahmen der angeklagten 97 RGSt 68, 105 (107); BGHSt 5, 225 (227); 23, 141 (145); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 3. 98 Vgl. zu dieser anfänglich nicht unumstrittenen Regelung Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 110. 99 BGHSt 23, 304; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 207 Rn. 5. 100 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 110; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 207 Rn. 5. 101 Gleichwohl dürfte eine gewisse Vorprägung der im Eröffnungsverfahren beteiligten Berufsrichter nicht unwahrscheinlich sein.

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1. Teil: Grundlagen

Tat hält, so ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO ebenfalls ein gerichtlicher Hinweis erforderlich, soweit dies zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist. Bestreitet der Angeklagte, auf die neuen Umstände genügend vorbereitet zu sein, so ist das Verfahren nach § 265 Abs. 3 StPO, im Falle einer veränderten Sachlage nach Absatz 4, auf seinen Antrag auszusetzen. In erster Linie handelt es sich bei dieser Vorschrift um eine Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.102 Die Vorschrift des § 265 StPO muss ferner in engem Zusammenhang mit dem Eröffnungsbeschluss gesehen werden und kann als dessen Ergänzung bezeichnet werden.103 Stellt sich im Rahmen der Hauptverhandlung heraus, dass der Angeklagte weitere Straftaten begangen haben könnte, die jenseits der angeklagten Tat im prozessualen Sinne liegen und damit nicht schon nach § 264 StPO Gegenstand des Urteils sein können, ermöglicht die Vorschrift des § 266 StPO eine Nachtragsanklage. Auf diesem Wege ist eine Erweiterung des Verfahrensgegenstandes während des laufenden Hauptverfahrens möglich. Voraussetzung ist aber, dass das Gericht zuständig ist, der Angeklagte der Einbeziehung zustimmt und hinreichender Tatverdacht besteht. Der bei Bejahung aller Voraussetzungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu erlassende Einbeziehungsbeschluss ersetzt den Eröffnungsbeschluss.104 Es besteht die Möglichkeit, das Verfahren nach § 266 Abs. 3 StPO zu unterbrechen, um dem Angeklagten die Möglichkeit zur Verteidigung zu gewährleisten. Die mit § 266 StPO geschaffene Möglichkeit der Nachtragsanklage ist auf den Gedanken der Prozessökonomie zurückzuführen.105 Die Vorschrift ist daher als Ausnahmevorschrift eng auszulegen.106 Dennoch ermöglicht sie eine Aufweichung der durch die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung vorgegebenen und durch das Gericht im Zwischenverfahren präzisierten Umgrenzung des Verfahrensgegenstandes. Letztlich gestattet § 154a Abs. 3 StPO eine Wiedereinbeziehung zuvor nach § 154a Abs. 1 oder 2 StPO ausgeschiedener Taten. Auch hier zeigt sich der fehlende endgültige Charakter der Fixierung des Verfahrensgegenstandes im Zwischenverfahren.

102

BGHSt 11, 88 (91) = NJW 1988, 501; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 265 Rn. 5; Norouzi, in: Münchener Kommentar StPO, § 265 Rn. 5; Schlothauer, StV 1986, 213 (214 f.). 103 BGHSt 13, 320 (324) = NJW 1960, 110; Norouzi, in: Münchener Kommentar StPO, § 265 Rn. 4. 104 BGHSt 9, 243 (245) = NJW 1956, 1366 (1367); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 266 Rn. 21; Rosenau, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 266 Rn. 21. 105 Norouzi, in: Münchener Kommentar StPO, § 266 Rn. 1; Velten, in: Systematischer Kommentar StPO, § 266 Rn. 4; Rosenau, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 266 Rn. 2. 106 OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2001, 209 (210).

D. Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss

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4. Zwischenergebnis Es zeigt sich also, dass die formale Fixierung des Verfahrensgegenstandes vorläufiger Natur ist und damit dem erkennenden Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Möglichkeit offensteht, von der mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses erfolgten Festlegung abzuweichen. Dies ist angesichts der dem Zwischenverfahren zugeschriebenen Hauptfunktion – der Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts als „Filter“ vor unnötigen Hauptverfahren, die erst eine endgültige Klärung herbeiführen sollen – auch begriffsnotwendig erforderlich.

V. Das Zwischenverfahren als Gestaltungsplattform für die konsensuale Verfahrenserledigung: Eine Funktion des Zwischenverfahrens? Von erheblicher praktischer Relevanz im Stadium des Zwischenverfahrens sind die Möglichkeiten konsensualer Verfahrenserledigungen, etwa der Einstellung nach §§ 153 ff. StPO, dem Übergang ins Strafbefehlsverfahren oder Erörterungsgesprächen zur Vorbereitung einer Verständigung nach § 202a StPO.107 Insofern könnte man dem Zwischenverfahren ergänzend zu den beschriebenen „klassischen“ Funktionen auch die Funktion zuschreiben, eine Art Plattform für die konsensuale Erledigung von Strafverfahren zu bieten. Eine entsprechende Vorgehensweise wird in einigen Handbüchern zur Strafverteidigung angeraten.108 Immerhin profitieren davon grundsätzlich alle Verfahrensbeteiligten, da dem Angeschuldigten so das weitere Verfahren erspart bleibt oder zumindest verkürzt werden kann und aufseiten der Justiz zu Ressourcenschonung führt. Inwieweit dies zutrifft, kann an dieser Stelle indes noch nicht abschließend beurteilt werden, da Ziel der Untersuchung gerade die Analyse der Aufwertungsmöglichkeiten des Zwischenverfahrens ist und dazu auch eine Betrachtung der bestehenden Erledigungsmöglichkeiten und deren Ausbau gehört. Daher wird sich diese hier aufgeworfene Frage erst im Laufe der Untersuchung klären lassen.109

D. Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss als Ergebnis des Zwischenverfahrens Am Ende des Zwischenverfahrens können – sofern es nicht zu einer anderweitigen Erledigung des Verfahrens gekommen ist – drei unterschiedliche Gerichts107

Übersicht bei Ignor, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 13 Rn. 5. Wehnert, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 5 Rn. 117 ff.; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 432 f.; Leipold, in: Festschrift für Schlothauer, S. 335 (351). 109 Siehe hierzu unten 5. Teil E. 108

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1. Teil: Grundlagen

beschlüsse stehen: Zunächst zu nennen ist der Eröffnungsbeschluss nach §§ 203, 207 StPO. Des Weiteren kann ein Nichteröffnungsbeschluss gemäß § 204 StPO erlassen werden. Letztlich ist noch auf den Beschluss nach § 205 StPO – vorübergehend bestehendes Prozesshindernis – hinzuweisen.110 Regelmäßig wird es zu einem Eröffnungs-, seltener zu einem Nichteröffnungsbeschluss als Resultat des Zwischenverfahrens kommen.111 Diese beiden Beschlüsse, gleichsam das „Endprodukt des Zwischenverfahrens“, sollen kurz näher beleuchtet werden.

I. Der Eröffnungsbeschluss In der Mehrzahl der Fälle endet das Zwischenverfahren mit einem Eröffnungsbeschluss.112 Dieser ist die vom Gericht herrührende, schriftliche Erklärung, eine bestimmte Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen.113 Der Eröffnungsbeschluss dokumentiert das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachtes und damit das Ergebnis der vom Eröffnungsgericht durchgeführten Kontrolle im Zwischenverfahren.114 Er markiert ferner die Entstehung der Rechtshängigkeit und den Übergang in das Hauptverfahren. Die Möglichkeit zur Rücknahme der Anklage für die Staatsanwaltschaft endet und der Beschuldigte wird vom „Angeschuldigten“ zum „Angeklagten“.115 1. Form und Inhalt Nach § 207 Abs. 1 StPO lässt das Eröffnungsgericht im Eröffnungsbeschluss die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Da das Gericht den angeklagten Sachverhalt gemäß § 206 StPO selbständig zu beurteilen hat, erlaubt § 207 Abs. 2 StPO die Modifizierung des Verhandlungsthemas.116 Möglich sind danach Teileröffnung, abweichende rechtliche Bewertung des angeklagten Sachverhalts sowie die Beschränkung oder Wiedereinbeziehung von Taten. Die veränderte Zulassung ist dann ebenfalls im Eröffnungsbeschluss darzulegen. Ferner muss er in jedem Fall hinreichend bestimmt sein und klar angeben, welche Anklage zur Hauptverhandlung 110 Dagegen handelt es sich bei §§ 206a, 206b StPO um Vorschriften, die auch außerhalb des Zwischenverfahrens anwendbar sind und daher nicht in Zusammenhang mit dem Eröffnungsbeschluss stehen, siehe dazu Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 206a Rn. 1. 111 Zur Häufigkeit von Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschlüssen unten 4. Teil B. I. 112 Siehe unten 4. Teil B. I. 113 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 7; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 33; Rieß, JURA 2002, 735 (740). 114 Heghmanns, in: Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren, Kap. VI Rn. 317; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 2. 115 Heghmanns, in: Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren, Kap. VI Rn. 317. 116 Rieß, JURA 2002, 735 (739).

D. Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss

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zugelassen wurde.117 Dabei gibt er den erhobenen Vorwurf nicht nochmals in eigenen Worten wieder, sondern lässt die Anklage nur noch zu, womit der Anklagesatz zum integrierten Bestandteil des Eröffnungsbeschlusses wird.118 Die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses hat insofern abgenommen, als er früher anstelle des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung zu verlesen war.119 Darüber hinaus kann möglicher Inhalt des Eröffnungsbeschlusses die Entscheidung über Anordnung oder Fortbestand der Untersuchungshaft, die Entscheidung über die reduzierte Besetzung in den Fällen der §§ 76 Abs. 2, 122 Abs. 2 GVG, rechtliche Hinweise im Sinne des § 265 StPO, die Terminierung der Hauptverhandlung und Maßnahmen zu deren Vorbereitung oder Entscheidungen über die Verbindung oder Trennung von verschiedenen Verfahren sein.120 Nach allgemeiner Meinung muss der Eröffnungsbeschluss unter Wahrung der Schriftform erlassen werden, was sich aus § 215 S. 1 StPO ergebe.121 Einer Begründung bedarf der Eröffnungsbeschluss indes nicht.122 Etwas anderes gilt aber für den Fall, dass Anträge des Angeschuldigten zurückgewiesen werden, dann verlangt § 34 StPO eine Begründung der Ablehnung.123 Gleiches gilt für die Teilablehnung nach § 207 Abs. 2 Nr. 1 StPO sowie für die Eröffnung vor einem niedrigeren Gericht nach § 209 Abs. 1 StPO, da diese Entscheidungen von der Staatsanwaltschaft gemäß § 210 Abs. 2 StPO angefochten werden können.124 Der Beschluss muss dem Beschuldigten spätestens mit der Ladung zur Hauptverhandlung bekanntgegeben werden und zwar im Wege der Zustellung (§ 215 S. 1 StPO). Betrachtet man ferner die Bezüge des Eröffnungsbeschlusses zum materiellen Recht, so ist einerseits auf dessen verjährungsunterbrechende Wirkung gemäß § 78c 117 Möglich ist nach Ansicht der Rechtsprechung auch eine konkludente Zulassung der Anklage, soweit eine eindeutig auszulegende Willenserklärung des Gerichts dahingehend vorliegt, dass dieses die Anklage nach Prüfung und Annahme der Eröffnungsvoraussetzungen zweifelsfrei zur Hauptverhandlung zulassen wollte, BGH NStZ 2000, 442 (443); Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 26. 118 BGH GA 1980, 108 (109); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 207 Rn. 1. 119 Siehe etwa RGSt 1, 66 (67); Heghmanns, in: Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren, Kap. VI Rn. 316. 120 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 19 ff.; Rieß, JURA 2002, 735 (740 f.). 121 BGH NStZ 1981, 448; NJW 1990, 1055; StV 2013, 132 (mit Anm. Stuckenberg); BeckRS 2015, 12922; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 33; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 15; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 23. 122 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 41; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 207 Rn. 16; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 207 Rn. 9; Rieß, JURA 2002, 735 (739). 123 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 41; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 207 Rn. 16; zu den genauen Anforderungen an die Begründungstiefe siehe unten 4. Teil C. II. 4. 124 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 207 Rn. 16; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 17; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 41.

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1. Teil: Grundlagen

Abs. 1 Nr. 7 StGB, andererseits auf die Kronzeugenregelung in § 46b StGB hinzuweisen. Hinsichtlich letzterer kommt ihm eine präkludierende Funktion zu, da die Mitwirkung an der Aufklärung nicht mehr für ein Absehen von Strafe oder deren Milderung berücksichtigt werden darf, sobald der Eröffnungsbeschluss erlassen wurde.125 2. Rechtsnatur und Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses im System der Strafprozessordnung Will man den Eröffnungsbeschluss in Kategorien der Strafprozessrechtsdogmatik einordnen, kann zunächst auf seinen Charakter als richterliche Entscheidung in Form des Beschlusses hingewiesen werden, dem eine richterliche Prüfung und Entscheidungsfindung vorangeht.126 Darüber hinaus ist der Eröffnungsbeschluss auch eine Prozesshandlung. Nach der allgemeinen Ansicht sind Prozesshandlungen alle prozessual relevanten Betätigungen gleich welcher Art.127 Differenziert wird dabei zwischen so genannten Erwirkungshandlungen, die nicht unmittelbar eine Rechtsfolge herbeiführen, sondern einen anderen zu einem bestimmten Prozessverhalten veranlassen sollen und Bewirkungshandlungen, bei denen die Rechtsfolge unmittelbar eintritt.128 Der Eröffnungsbeschluss als richterlicher Beschluss stellt dabei eine Bewirkungshandlung dar: Als Rechtsfolge tritt die Rechtshängigkeit des Verfahrens ein. Der vorhergehende Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 199 Abs. 1 StPO ist demgegenüber als Erwirkungshandlung einzuordnen.129 Es ist ferner allgemein anerkannt, dass das Vorliegen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses eine Prozessvoraussetzung ist.130 Prozessvoraussetzungen sind Bedingungen für die Zulässigkeit eines Urteils in der Sache selbst. Das Wesen der Prozessvoraussetzung liegt also darin, dass mit ihr die Zulässigkeit des gesamten Strafverfahrens steht und fällt.131 Die Einordnung des Vorliegens eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses als Prozessvoraussetzung basiert darauf, dass der Eröffnungsbeschluss das Zwischenverfahren abschließt und insbesondere dem Schutz des Angeschuldigten vor unberechtigt durchgeführten Hauptverhandlungen dient. Auf 125

Dazu Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, Einleitung Rn. 239, der darin einen Bedeutungszuwachs für das Zwischenverfahren erblickt. 126 Michler, Der Eröffnungsbeschluss im Strafverfahren, S. 82. 127 BGHSt 26, 384 (386) (Aktenvorlage); Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 296; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 95. 128 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 672; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 296. 129 Michler, Der Eröffnungsbeschluss im Strafverfahren, S. 85 f. 130 Zum Verhältnis der Begrifflichkeiten „Prozessvoraussetzungen“ und „Verfahrenshindernisse“ siehe Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen, S. 35 ff. 131 BGHSt 10, 74 (75) = NJW 1957, 511; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 273; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 21 Rn. 1; Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, Einleitung Rn. 353.

D. Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss

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diesen Schutz soll der Beschuldigte nicht verzichten müssen, weswegen seine Existenz unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens ist.132 Teilweise wird zur Begründung der Eigenschaft als Verfahrensvoraussetzung noch auf andere, bereits oben angesprochene Zwecke des Eröffnungsbeschlusses abgehoben.133 Jedenfalls im Ergebnis ist die Kategorisierung des Eröffnungsbeschlusses als Prozessvoraussetzung allgemein anerkannt.134 Zusammenfassend ist der Eröffnungsbeschluss also richterliche Entscheidung in Form eines Beschlusses, Prozesshandlung in Form einer Bewirkungshandlung und Prozessvoraussetzung.135 3. Unanfechtbarkeit des Eröffnungsbeschlusses Gemäß § 210 Abs. 1 StPO kann der Eröffnungsbeschluss vom Angeklagten nicht angefochten werden. Teilweise wird vertreten, dass eine Anfechtung ausnahmsweise in Betracht komme, wenn der Eröffnungsbeschluss willkürlich oder grob fehlerhaft zustande gekommen ist, was etwa der Fall sein soll, wenn der Eröffnungsentscheidung gar keine Anklage zugrunde lag, weil das Verfahren nicht gegen den Angeklagten, sondern gegen einen Zeugen eröffnet wurde.136 Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur lehnt diese Einschränkung des § 210 Abs. 1 StPO aber ab.137 Der Bundesgerichtshof selbst hat sich zu der Frage bislang nicht geäußert. Auch die Revision bietet dem Beschuldigten keinen Schutz gegen den Eröffnungsbeschluss, da er gemäß § 336 S. 2 StPO in Verbindung mit § 210 Abs. 1 StPO vom Revisionsgericht nicht geprüft wird. Ob die Staatsanwaltschaft den Eröffnungsbeschluss anfechten kann, ist umstritten. Teilweise wird ihr ebenfalls ein Beschwerderecht in Fällen grober Fehlerhaftigkeit oder Willkür zugebilligt.138 Andere erachten § 210 Abs. 1 StPO als auch für die Staatsanwaltschaft abschließend und gewähren ihr nur die Möglichkeit einer Beschwerde gegen den Nichteröff-

132

Rn. 2.

Meyer-Goßner, JR 1981, 214 (217); Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207

133 So etwa Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht, S. 219 f., der maßgeblich auf die Festlegung des Prozessgegenstandes abhebt. 134 BGHSt 10, 278 (279) = NJW 1957, 1244 (1245); BGH NStZ 1986, 276; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 4; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 2; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 284; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 616. 135 So auch Michler, Der Eröffnungsbeschluss im Strafverfahren, S. 121. 136 Peters, Strafprozeß, S. 540; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2001, 209; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 210 Rn. 2. 137 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 210 Rn. 8; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 210 Rn. 2; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 210 Rn. 9; Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, § 210 Rn. 3; Meyer-Goßner, JR 1981, 381. 138 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 210 Rn. 4; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 210 Rn. 9a; Meyer-Goßner, JR 1981, 381.

46

1. Teil: Grundlagen

nungsbeschluss.139 Die vorliegende Untersuchung verzichtet an dieser Stelle noch auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex.140 Festzuhalten ist vorerst lediglich, dass eine Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses durch den Angeklagten grundsätzlich ausscheidet. 4. Mängel des Eröffnungsbeschlusses und Heilungsmöglichkeiten In der Rechtspraxis sind Mängel des Eröffnungsbeschlusses nicht selten. Sie können in unterschiedlicher Form auftreten (bis hin zum Fehlen des Eröffnungsbeschlusses) und ihre Behandlung ist im Einzelnen äußerst umstritten.141 Es besteht bereits Uneinigkeit darüber, ob das vollständige Fehlen einer Anklage oder eines Eröffnungsbeschlusses zur Einstellung des Verfahrens führt.142 Leidet die Anklage an Mängeln und lässt der Eröffnungsbeschluss diese unverändert zu, so ist auch der Eröffnungsbeschluss mangelbehaftet.143 Des Öfteren ist auch das Zustandekommen eines Eröffnungsbeschlusses rechtsfehlerhaft, etwa, wenn nicht die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von Richtern mitgewirkt hat, wenn er nicht unterschrieben wurde oder ein ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat.144 Zur Heilbarkeit des fehlerhaften Eröffnungsbeschlusses besteht eine kaum überschaubare, einzelfallbezogene Rechtsprechung.145 Nach Rieß ist für die Beurteilung der Heilbarkeit solcher Mängel stets entscheidend, ob sie die Funktion des Eröffnungsbeschlusses als Verfahrensvoraussetzung in Frage stellen. In diesem Falle sei eine Einstellung unumgänglich.146 Die Nachholung einer gänzlich fehlenden Eröffnungsentscheidung ist bis zu Beginn der Hauptverhandlung unstreitig möglich.147 Umstritten ist dagegen die Frage der Nachholbarkeit des Eröffnungsbeschlusses im Stadium der erstin139 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 210 Rn. 3; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 210 Rn. 16; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 81. 140 Eine solche soll erst am Ende der Untersuchung fundiert erfolgen, da eine Aufwertung des Zwischenverfahrens durch (gesetzgeberische) Änderungen gerade in diesem Bereich zumindest möglich erscheint. 141 Dazu monografisch Schäpe, Die Mangelhaftigkeit von Anklage und Eröffnungsbeschluß und ihre Heilung im späteren Verfahren. 142 Dazu Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 52; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 27; Rieß, JURA 2002, 735 (742). 143 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 83; OLG Düsseldorf, BeckRS 2010, 21630. 144 Rieß, JURA 2002, 735 (742). 145 Ritscher, in: BeckOK StPO, § 207 Rn. 11; siehe überblickshaft Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 23 ff. 146 Rieß, JURA 2002, 735 (742); ders., in: Löwe-Rosenberg, StPO (25. Aufl.), § 207 Rn. 38. 147 BGHSt 29, 224 (229) = NJW 1980, 1858; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 28; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 83; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 207 Rn. 21; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 57.

D. Eröffnungs- und Nichteröffnungsbeschluss

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stanzlichen Hauptverhandlung. Die Rechtsprechung hält dies für möglich,148 was von der Literatur anders gesehen wird.149 Allgemein ist zu beobachten, dass die Rechtsprechung darum bemüht ist, eine Heilung von Eröffnungsbeschlüssen herbeizuführen, um einen verfahrensverzögernden Leerlauf zu vermeiden. Aus diesem Grunde verfährt sie mit der Heilung fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse sehr großzügig.150 Angesichts der schon oben dargestellten, überaus wichtigen Schutzfunktion für den Beschuldigten scheint diese Vorgehensweise zumindest fragwürdig und kann – was an anderer Stelle beleuchtet wird151 – eine Ursache für die in praxi festzustellende Ineffizienz des Zwischenverfahrens sein.

II. Der Nichteröffnungsbeschluss Neben der – die Praxis dominierende – Eröffnung des Hauptverfahrens kann das Zwischenverfahren aber auch gemäß § 205 StPO wegen vorübergehender Verfahrenshindernisse vorläufig eingestellt oder unter Anwendung der §§ 153 ff. StPO abgeschlossen werden. Vergleichsweise selten ist die Beendigung des Zwischenverfahrens mit der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens in einem Nichteröffnungsbeschluss nach § 204 StPO.152 1. Form und Inhalt Anders als der Eröffnungsbeschluss ist der Ablehnungsbeschluss zu begründen.153 Dabei muss aus dem Beschluss hervorgehen, ob er auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht (§ 204 Abs. 1 StPO). Letzteres ist der Fall, wenn die vorgelegten Beweise keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Angeklagten zu begründen vermögen. Aus Rechtsgründen ist die Eröffnung abzulehnen, wenn die Anklage

148 BGHSt 29, 224 = NJW 1980, 1858; NStZ 1981, 448; NStZ 2014, 664; zustimmend Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 207 Rn. 21. 149 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 4; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 27; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 50 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 13; Rieß, JR 1981, 214 (217); Dencker, NStZ 1982, 152 (154). 150 Rieß, JURA 2002, 735 (742); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 618.1; kritisch auch Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 27; das OLG Hamburg, BeckRS 2019, 5077 hält neuerdings eine Nachholung des (vergessenen) Eröffnungsbeschlusses am Ende der Beweisaufnahme für zulässig, dazu zurecht ablehnend Moldenhauer/Wenske, JA 2019, 941 (942 f.). 151 Siehe unten 4. Teil C. III. 3. e). 152 Dazu unten 4. Teil B. I. 153 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 204 Rn. 13.

48

1. Teil: Grundlagen

funktionelle Mängel enthält, ein Verfahrenshindernis vorliegt oder der angeklagte Sachverhalt eine Strafbarkeit nicht erkennen lässt.154 2. Anfechtbarkeit durch die Staatsanwaltschaft Gegen den die Eröffnung ablehnenden Beschluss steht der Staatsanwaltschaft gemäß § 210 Abs. 2 StPO die sofortige Beschwerde zu. Das gleiche gilt für den Fall, dass entgegen des Antrags der Staatsanwaltschaft die Eröffnung vor einem Gericht niedrigerer Ordnung beschlossen wird. Diese Rechtsmittelungleichheit zwischen Beschuldigtem (keine Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses, § 210 Abs. 1 StPO) und Staatsanwaltschaft findet ihre Rechtfertigung nach der herrschenden Auffassung darin, dass das Verfahren mit einer Nichteröffnung endgültig abgeschlossen wird und nur unter den engen Voraussetzungen des § 211 StPO wieder aufgegriffen werden kann. Die Ablehnung der Eröffnung soll daher einer Kontrolle zugänglich sein, während der Beschuldigte bei einer Eröffnung seine Rechte auch effektiv im nächsten Verfahrensabschnitt geltend machen könne.155 Macht die Staatsanwaltschaft von ihrem Beschwerderecht Gebrauch, kommt es nach Angaben aus der Praxis sehr häufig vor, dass das dann zuständige Oberlandesgericht die Eröffnung des Verfahrens anordnet.156 3. Die Sperrwirkung der Ablehnung: Positive Schutzfunktion des Zwischenverfahrens Wurde die Eröffnung durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluss abgelehnt, was der Fall ist, wenn die Beschwerde erfolglos eingelegt wurde oder die Frist zur Einlegung verstrichen ist, kann gemäß § 211 StPO eine neuerliche Klage nur aufgrund neuer Tatsachen und Beweismittel erhoben werden. Damit wird dem Angeschuldigten insoweit positiver Schutz gewährt, als die vormals zum Gegenstand des (Eröffnungs-)Verfahrens gemachte Tat nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 211 StPO, nämlich der Beibringung neuer Tatsachen oder Beweismittel, erneut zum Gegenstand eines Strafverfahrens gemacht werden kann. Durch die Be-

154 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 204 Rn. 2; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 204 Rn. 17 ff.; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 204 Rn. 6; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 204 Rn. 3 f.; Rieß, JURA 2002, 735 (741). 155 Rieß, JURA 2002, 735 (741); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 210 Rn. 1; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 210 Rn. 2. 156 Ein prominentes Beispiel war die Ablehnung der Eröffnung im so genannten „Loveparade-Verfahren“ durch die fünfte Große Strafkammer des LG Duisburg (LG Duisburg, Beschl. vom 30. 03. 2016 – 35 KLs – 112 Js 23/11 – 5/14), die dann infolge der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft durch das OLG Düsseldorf (Beschl. vom 18. 04. 2017 – III-2 Ws 528 – 577/16) wieder aufgehoben wurde. Zwischenzeitlich kam es nach einer mehr als einjährigen Hauptverhandlung zu Verfahrenseinstellungen.

E. Zwischenfazit zum ersten Teil

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schränkung erneuter Verfolgung in derselben Sache wird der Angeschuldigte bei der Eröffnungsablehnung also positiv vor einer erneuten Verfolgung geschützt.157

E. Zwischenfazit zum ersten Teil Am Ende des hiermit erfolgten grundlegenden Überblicks über das Zwischenverfahren lässt sich resümieren, dass sein ursprünglich intendierter Stellenwert im Strafverfahren deutlich höher war als man dies heute glauben mag. Während das im Jahr 1877 vorgesehene Eröffnungsverfahren eine Teilkompensation für die fehlende Berufungsinstanz darstellen sollte, welche durch die – die Eröffnungsentscheidung vorbereitende – Möglichkeit der gerichtlichen Voruntersuchung zusätzlich aufgewertet wurde und überdies ein anderer Richter mit der Frage der Eröffnung befasst war, als derjenige, der die Hauptverhandlung führen sollte, sind diese Vorkehrungen in der heutigen Ausgestaltung weitgehend nicht mehr vorgesehen. Historisch betrachtet wurde also der vormals recht breit ausgestaltete Abschnitt zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren immer weiter entwertet, sodass das ursprünglich durch ihn gewährte Schutzniveau für den Beschuldigten, das als Teilkompensation für eine fehlende zweite Tatsacheninstanz als hoch beschrieben werden muss, deutlich herabgesunken ist. Nichtsdestotrotz kommt dem Zwischenverfahren auch heute noch eine gewichtige Rolle im Strafverfahren zu, da es die für Beschuldigten und Justiz wichtige „Filterfunktion“ wahrnimmt, dem Beschuldigten erstmals umfassendes rechtliches Gehör gewährt und das zuständige Gericht und den Prozessgegenstand (zumindest vorläufig) festlegt. Der Beschuldigte hat in diesem wichtigen Abschnitt Mitwirkungsrechte und kann schon hier Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens nehmen. Dogmatisch betrachtet wird der besonderen Bedeutung des Zwischenverfahrens die Einordnung seines „Ergebnisses“ Eröffnungsbeschluss als Prozessvoraussetzung, ohne die das Verfahren grundsätzlich nicht durchführbar ist, durchaus gerecht. Vor diesem Hintergrund sind die kursorisch dargestellten, von der Rechtsprechung eröffneten Möglichkeiten der Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse kritisch zu sehen. Inwieweit die mit § 202a StPO bewirkte Öffnung des Zwischenverfahrens für konsensuale Verfahrenserledigungen namentlich mit Blick auf die Funktionen der §§ 199 ff. StPO zu bewerten ist und ob hierdurch bereits eine Aufwertung dieses Verfahrensabschnittes erzielt wurde, wird sich im Laufe der weiteren Untersuchung zeigen.158

157 158

Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, Vor § 198 Rn. 1. Unten 5. Teil E. II. und III.

2. Teil

Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts Immer wieder – wenngleich in jüngerer Zeit seltener – wird die gänzliche Abschaffung des Zwischenverfahrens gefordert.1 Da es seinen Zweck nicht erfülle, erscheine eine Abschaffung aus justizökonomischen Gesichtspunkten erwägenswert. Diese Forderung könnte in Zukunft womöglich auch vor dem Hintergrund des verstärkten Ausbaus der Rechte des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren2 erhoben werden.3 Allerdings muss sich eine Abschaffung des Zwischenverfahrens insbesondere an der Verfassung messen lassen. Zwar ist der Gesetzgeber hinsichtlich der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Strafverfahrens grundsätzlich frei, gleichwohl hat er die Mindestvorgaben des Grundgesetzes zu wahren. Aufgeworfen ist damit die Frage nach der grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedeutung des Verfahrensabschnittes zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren. Nur für den Fall, dass eine – wie auch immer geartete – „Kontrollinstanz“ vor der strafprozessualen Hauptverhandlung von Verfassungswegen nicht erforderlich sein sollte, wäre auch eine gänzliche Abschaffung des Zwischenverfahrens denkbar. Daher soll im folgenden Teil der Untersuchung der Frage nachgegangen werden, ob das Grundgesetz überhaupt eine dem strafprozessualen Hauptverfahren vorgeschaltete „Kontrolle“ erfordert und bejahendenfalls, welche verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an sie zu stellen sind. Zwar gilt das Strafverfahrensrecht – nach einem Wort Roxins – als „Seismograph der Staatsverfassung“4 und wird von vielen als „angewandtes Verfassungsrecht“5 begriffen. Nichtsdestotrotz kann konzediert werden, dass es keineswegs so ist, „dass das Licht der Verfassung schon alle Seiten und Winkel des Strafprozesses ausgiebig beleuchtet hätte“.6 Dies zeigt sich jedenfalls partiell auch am Zwischenverfahren: In den einschlägigen Abhandlungen zur Be1 Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081; ders., NJW 1969, 1137 (1143 f.); Göbel, MDR 1962, 437 (439); Jescheck, JZ 1970, 201 (204); Schünemann, GA 1978, 161 (173, Fn. 59) hält eine Abschaffung immerhin für zulässig; aus jüngerer Zeit insbesondere Linden, 60. DJT, M 44; Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285); Wohlers, in: FS Roxin, S. 1313 (1327). 2 Dazu etwa Satzger, Gutachten C zum 65. DJT 2004, C 3 ff. 3 In diese Richtung etwa von Galen/Wattenberg, ZRP 2001, 445 (447). 4 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 1. 5 BVerfGE 32, 373 (383); BGHSt 19, 325 (330) = NJW 1964, 1139; Sax, in: Die Grundrechte III/2, S. 909 (966 f.); vgl. auch die noch ältere Formulierung von Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rn. 99, wonach die StPO „Ausführungsgesetz zum GG“ sei; Eschelbach/ Gieg/Schulz, NStZ 2000, 565; M. Badura/Kranz, ZJS 2009, 382. 6 So die Formulierung von Stuckenberg, in: Festschrift für Paeffgen, S. 483 (485).

A. Bestehende verfassungsrechtliche Einordnungen

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deutung des Verfassungsrechts für das Strafverfahren werden zwar Ermittlungs- und Hauptverfahren stets thematisiert, das Zwischenverfahren ist den Autoren demgegenüber keine gesonderte Behandlung wert.7 Auch die Untersuchungen speziell zum Zwischenverfahren bieten eine nurmehr kursorische verfassungsrechtliche Einordnung an.

A. Bestehende verfassungsrechtliche Einordnungen Einige der bereits vorliegenden Arbeiten zum Zwischenverfahren setzen sich in unterschiedlichem Umfang und aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Notwendigkeit eines eigenen Verfahrensabschnitts zwischen Ende des Ermittlungsverfahrens und Beginn des Hauptverfahrens auseinander. Die existenten Ansätze sollen im Folgenden kurz dargestellt und gewürdigt werden.

I. Ernst: Richterliche Kontrolle aus dem Rechtsstaatsprinzip Nach Ernst entfaltet die Durchführung der Hauptverhandlung, die bereits in ihren wesentlichen Zügen durch das Ergebnis des Vorverfahrens vorgezeichnet sei,8 stigmatisierende Wirkung auf den Angeklagten.9 Eine Notwendigkeit, bereits vor der Hauptverhandlung zu kontrollieren, ob eine solche wirklich erforderlich ist und damit überflüssige Hauptverhandlungen zu vermeiden, ergebe sich insoweit aus dem Rechtsstaatsprinzip, konkret dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.10 Nur eine richterliche Überprüfung gewährleiste dem Beschuldigten einen hinreichenden Schutz vor unberechtigten Hauptverhandlungen, was an dessen Unabhängigkeit und größerer Objektivität liege.11 Weitergehende, verfassungsrechtlich vertiefte und begründete Erwägungen finden sich bei Ernst indes nicht. Auch die Herleitung des Erfordernisses einer Prüfung der Erforderlichkeit einer Hauptverhandlung aus dem Rechtstaatsprinzip bleibt die Untersuchung schuldig.

II. Michler: Keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit Michler stellt zunächst fest, dass das Zwischenverfahren durch die Gewährung von präventivem Rechtsschutz dem rechtsstaatlichen Postulat nach umfassendem 7 Siehe nur Möstl, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 171; Gusy, StV 2002, 153 (153 ff.). 8 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 10 ff. 9 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 16 ff. 10 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 20. 11 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 25 ff.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

und effektivem Rechtsschutz voll gerecht werde.12 Er prüft sodann, ob ein Verzicht auf die richterliche Anklageprüfung Art. 19 Abs. 4 GG verletzen würde.13 Laut Michler liege aber eine Rechtsverletzung im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG schon nicht vor. Die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft stelle keine Verletzung der Rechte des Beschuldigten dar, sodass sie auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 GG überprüft zu werden brauche. Das Zwischenverfahren gehe bereits über das hinaus, was von Art. 19 Abs. 4 GG gefordert werde.14 Dieser Ansatz überzeugt nicht, weil Michler zwar den präventiven Rechtsschutzcharakter des Zwischenverfahrens erkennt, gleichwohl nur davon ausgeht, dass die Anklageerhebung keiner nachträgliche Prüfung bedarf. Der Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG möglicherweise einen solchen präventiven Rechtsschutz fordert, geht er nicht nach.

III. Heghmanns: Zwingendes Erfordernis aus Art. 19 Abs. 4 GG Nach dem Ansatz von Heghmanns beeinträchtigen die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und ihre Folgen für den Angeschuldigten die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG.15 Legitimiert werde diese Grundrechtsbeeinträchtigung dadurch, dass zu Beginn des Hauptverfahrens dessen Voraussetzungen gegeben seien, was in Ermangelung anderer Kriterien nur dann der Fall sein könne, wenn eine Wahrscheinlichkeit bestehe, dass im Verfahren der Schuldnachweis geführt werden könne, mit anderen Worten also ein im Einzelnen noch näher zu konkretisierender Verdacht vorliege.16 Sodann geht Heghmanns der Frage nach, ob die Anklageerhebung einer richterlichen Kontrolle unterliegen muss, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben könnte. Hierzu untersucht er die Belastungen des Angeklagten im Hauptverfahren,17 die er, angesichts einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts und auch des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG,18 für derart gravierend hält, dass effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG nur durch den Richter und zwar schon präventiv, also vor der Rechtsverletzung im Hauptverfahren, gewährt werden müsse. Ausreichend sei dabei nicht nur der von der Rechtsschutzgarantie vorgesehene „Standardrechtsschutz“ der fakultativen Anfechtbarkeit der Anklageerhebung, vielmehr sei die richterliche Kontrolle der Entscheidung der Staatsanwaltschaft zwingend, weil ein von Amelung so bezeichneter „Fatalismus der Unterschichten“19 erwarten lasse, dass von einem bloßen Anfech12 13 14 15 16 17 18 19

Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, S. 129. Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, S. 130 ff. Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, S. 133. Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 62. Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 63. Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 66 ff. Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 67 f. Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, S. 69.

A. Bestehende verfassungsrechtliche Einordnungen

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tungsrecht durch viele Beschuldigte kein Gebrauch gemacht werden würde.20 Im Ergebnis stellt sich daher nach der Auffassung Heghmanns die richterliche Anklagezulassung als das verfassungsrechtlich zwingende Instrument zum Schutz des Angeklagten vor Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts und des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG dar. Ungeklärt bleibt indes zum einen die verfassungsrechtliche Bedeutung des „hinreichenden Tatverdachts“, zum anderen vermag seine Begründung des Erfordernisses einer zwingenden richterlichen Kontrolle nicht zu überzeugen, da – wie sich noch zeigen wird – Art. 19 Abs. 4 GG für den Rechtsunterworfenen disponibel ist und daher ein Zwischenverfahren auf Antrag – ungeachtet eines etwaigen „Fatalismus der Unterschichten“ – verfassungsrechtlich ausreichend ist.

IV. H. Loritz: Erfordernis aus Art. 19 Abs. 4 GG H. Loritz setzt sich verfassungsrechtlich nurmehr knapp mit Art. 19 Abs. 4 GG auseinander.21 Er fragt danach, ob diese Vorschrift des Grundgesetzes eine richterliche Überprüfung der Pflicht, sich der Hauptverhandlung zu stellen, erfordert. Zu klären ist nach H. Loritz, ob die Durchführung des Hauptverfahrens eine Verletzung eigener Rechte des Angeschuldigten sein könne. Eine Rechtsverletzung liege immer dann vor, wenn ein der Befriedigung der Interessen des Betroffenen dienender Rechtssatz zu seinem Nachteil nicht oder nicht richtig angewendet worden sei. Ein solcher Rechtssatz seien die §§ 170, 203 StPO, aus denen sich ergebe, dass ein Beschuldigter ohne hinreichenden Tatverdacht nicht dem Hauptverfahren unterzogen werden dürfe.22 Daher ergebe sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, dass das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts von einem Richter geprüft werden müsse, wobei auch eine Prüfung auf Antrag des Beschuldigten verfassungsrechtlich ausreichend sei.23 Das auf den ersten Blick schlüssige Konzept vermag aber nicht die Frage zu beantworten, ob eine Abschaffung des Zwischenverfahrens verfassungsrechtlich möglich wäre, weil es die Existenz des § 203 StPO – um dessen verfassungsrechtliche Relevanz es hier letztlich geht – voraussetzt. Ob seine Abschaffung gegen das Grundgesetz verstößt, klärt H. Loritz nicht.

20

Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 69. Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 130 ff. 22 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 132. 23 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 133. 21

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

V. Bedeutung der Ansätze für die Ausgestaltung des Zwischenverfahrens Die genannten Arbeiten setzen sich zwar mit der Notwendigkeit der Existenz eines Verfahrensabschnitts zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren auseinander, gelangen aber wegen verschiedener verfassungsrechtlicher Beurteilungen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Sie reichen von dem verfassungsrechtlich zwingenden Erfordernis einer richterlichen Kontrolle24 zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren über die Möglichkeit einer Durchführung des Zwischenverfahrens nur auf Antrag des Beschuldigten25 bis hin zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abschaffung26 des Eröffnungsverfahrens. Dementsprechend wirken sich die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Grundlegungen auf die jeweils präsentierten Ansätze zur Reform des Zwischenverfahrens aus: Während Ernst den Prüfungsmaßstab erheblich reduzieren will,27 sei nach H. Loritz die Anklageentscheidung nach einem wieder einzuführenden staatsanwaltschaftlichen Schlussgehör nur noch auf Antrag des Beschuldigten, der innerhalb einer Woche zu stellen sei, einer richterlichen Überprüfung zu unterziehen.28 Hofer will ein Zwischenverfahren nur bei unverteidigten Angeschuldigten und solchen, die dies beantragen, durchführen, geht dabei aber nicht auf verfassungsrechtliche Aspekte ein, sondern setzt die Zulässigkeit einer Antragslösung schlicht voraus.29 Heghmanns tritt für eine Beibehaltung der richterlichen Kontrolle ein und fordert darüber hinausgehend noch eine Anfechtungsmöglichkeit dieser Entscheidung durch den Angeschuldigten.30

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes Da die bislang angestellten verfassungsrechtlichen Erwägungen zum Erfordernis eines Verfahrensstadiums zwischen Vor- und Hauptverfahren letztlich keine abschließende und überzeugende Klärung herbeiführen konnten, wird im Folgenden der Versuch einer verfassungsdogmatischen Durchleuchtung des Zwischenverfahrens unternommen, um hieraus Mindestanforderungen an eine etwaige Reform 24

So Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 70. So Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 148. 26 So wohl Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, S. 135, der zwar auch auf die grundrechtswahrende Funktion des Eröffnungsverfahrens hinweist, daraus allerdings nicht schlussfolgert, dass dieses verfassungsrechtlich geboten sei. 27 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 243 f., zu dieser „Antragslösung“ genauer unten 5. Teil B. 28 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 148. 29 Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 129. 30 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 169 ff. 25

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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abzuleiten. Dabei sei die These sogleich vorangestellt: Die richterliche Kontrolle des „hinreichenden Tatverdachts“ zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren ist die verfassungsrechtlich zwingende Mindest(eingriffs-)voraussetzung für die Durchführung des strafprozessualen Hauptverfahrens gegen einen Beschuldigten, das seinerseits einen Grundrechtseingriff darstellt.31 Um diese These näher auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen, werden zunächst die grundrechtsrelevanten Eingriffswirkungen des Hauptverfahrens dargestellt, um sodann nach einem diese legitimierenden Grund zu suchen. Schließlich werden die Einschränkungen der gefundenen Legitimation herausgearbeitet, aus denen sich gegebenenfalls konkrete Anforderungen zur näheren Konturierung der verfassungsrechtlichen Mindestvoraussetzungen ableiten lassen.

I. Ausgangsüberlegung: Das strafprozessuale Hauptverfahren als Grundrechtseingriff Ausgangsbasis der verfassungsrechtlichen Betrachtung des Zwischenverfahrens muss die Erkenntnis sein, dass das strafprozessuale Hauptverfahren ein Eingriff in die Grundrechte – nicht nur32, aber vor allem – des Beschuldigten ist und dieser Eingriff einer Rechtfertigung bedarf.33 1. Das Grundrecht auf Freiheit der Person Unmittelbar einsichtig ist die Beeinträchtigung des Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Denn zu einer der wichtigsten Pflichten (und zugleich einem der wichtigsten Rechte) eines Angeklagten gehört, in der Hauptverhandlung anwesend zu sein, was sich aus § 231 StPO ergibt. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, besteht die Möglichkeit, sie mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Infolge dieser Anwesenheitspflicht ist der Angeklagte daran gehindert, sich körperlich frei fortzubewegen und ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist – für die Dauer der Hauptverhandlung – gegeben.34

31

Das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen bleibt hier unberücksichtigt, da sie ohnehin in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen beachtet werden müssen und daher keine spezifische Frage des Zwischenverfahrens, verstanden als die präventive richterliche Kontrolle der Eingriffsvoraussetzung für das Hauptverfahren, sind. 32 Betroffen können stets auch Grundrechte anderer Verfahrensbeteiligter, etwa von Zeugen oder Schöffen, sein. 33 Diese einleuchtende Erkenntnis setzt sich in der Strafprozessrechtswissenschaft erst seit vergleichsweise kurzer Zeit durch, siehe etwa Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 118; Gaede, ZStW 2017, 911 (917 ff.); Möstl, in Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 179 Rn. 19. 34 So auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 67 f.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Von besonderer Bedeutung für das strafprozessuale Erkenntnisverfahren und namentlich die Hauptverhandlung ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Es ist inzwischen als Grundrecht in Rechtsprechung und Literatur anerkannt.35 Seine Entwicklung in der Rechtsprechung geht zurück auf zivilrechtliche Urteile des Bundesgerichtshofes, in denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB schon zuvor anerkannt wurde.36 Die dogmatische Verankerung in Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG gilt als höchstrichterlich – insbesondere auch verfassungsrechtlich – gesichert.37 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt Verhaltensweisen, die nicht bereits Gegenstand spezieller Freiheitsgarantien sind, aber diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit des Menschen nicht nachstehen.38 Mithin handelt es sich bei dem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 1 GG um eine Ergänzung der übrigen Freiheitsgrundrechte,39 etwa der Meinungs- oder Gewissensfreiheit. Geschützt ist die engere persönliche Lebenssphäre sowie die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.40 Angesprochen ist damit namentlich der Geltungsanspruch des Menschen in der sozialen Welt, die ihn prägt und die er selbst durch sein Handeln prägt.41 Eine abschließende Umschreibung des Schutzbereichs dieses Grundrechts ist bislang nicht erzielt worden, wird von der Rechtsprechung aber auch nicht erstrebt. Vielmehr betont insbesondere das Bundesverfassungsgericht seine Entwicklungsoffenheit.42 In Rechtsprechung und Literatur wird mit der so genannten „Sphärentheorie“43 eine Systematisierung des Schutzbereiches vorgenommen: Die von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmung kann auf unterschiedlichen Ebenen („Sphären“) stattfinden. Anerkannt sind insoweit die Intimsphäre, die Privatsphäre und die Sozialsphäre.44 Dogmatisch handelt es sich bei

35 St. Rspr., siehe nur BVerfGE 6, 389 (432 ff.); 27, 1 (6); 27, 344 (351); 74, 46 (73); 54, 148 (153); 63, 131 (142); 67, 100 (142 f.); 75, 201 (217); 80, 367 (373 f.); 90, 263 (270); 98, 169 (199 f.); 100, 271 (284); 101, 361 (379 f.); aus der strafgerichtlichen Rechtsprechung BGHSt 14, 358 (359); 19, 325 (326); 34, 397 (399); für die Literatur statt vieler Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 36. 36 Siehe etwa BGHZ 13, 334 ff.; 24, 72 ff.; 26, 349 ff.; 27, 284 ff. 37 Siehe nur BVerfGE 54, 148 (153). 38 BVerfGE 54, 148 (153); 95, 220 (241); 99, 185 (193); 101, 361 (380). 39 Badura, Staatsrecht, Kap. C Rn. 34; vgl. auch Michael/Morlok, Grundrechte, Rn. 417. 40 BVerfGE 54, 148 (153); Murswiek/Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 60. 41 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 127. 42 BVerfGE 54, 148 (153 f.); 72, 155 (170); 79, 256 (268); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 147. 43 Auch sie wurde erstmals in zivilrechtlichem Zusammenhang entwickelt, siehe OLG Hamburg, NJW 1967, 2314 (2316), Hubmann, JZ 1957, 521 ff. 44 BVerfGE 27, 344 (351); 32, 373 (379); 80, 367 (373 ff.); 89, 69 (82 f.); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 158.

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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der Sphärentheorie um eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.45 Weiterhin sind unterschiedliche Erscheinungsformen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt46 : Ausprägung des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sind danach neben dem Schutz der Privat- und Intimsphäre47 insbesondere das Recht an der Darstellung der eigenen Person48, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung49, das Namensrecht50, das Recht am eigenen Bild51 und am eigenen Wort52. Im strafgerichtlichen Verfahren gewinnt das allgemeine Persönlichkeitsrecht namentlich für den Beschuldigten besondere Bedeutung, da es de facto in jedem strafprozessualen Erkenntnisverfahren tangiert ist. Es findet in den Worten von Karl Peters „im Verfassungsrecht seine Grundlagen und im Strafverfahrensrecht seine Auswirkung“.53 Geht man diesem Befund näher nach, so fällt der Blick zuvörderst zwangsläufig auf einen offensichtlichen Grundrechtseingriff, der am Ende des strafverfahrensrechtlichen Erkenntnisprozesses stehen kann: Das ehrenrührige und autoritative Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Beschuldigten, das ihm eine defizitäre Einstellung zur Norm attestiert, ihn dadurch bewusst in seinem sozialen Wert- und Achtungsanspruch treffen will und wie keine andere staatliche Maßnahme in seiner Ehre und seinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG trifft.54 Der so definierte Schuldspruch stellt das nach gängiger Auffassung schärfste Eingriffsmittel des Staates dar.55 Andererseits ist zu bedenken, dass bereits der Weg hin zum Schuldspruch – oder einer anderen Form der Erledigung des Strafverfahrens – Grundrechte des Beschuldigten tangieren kann. Die in einem Strafverfahren denkbaren Belastungen für den Beschuldigten können zunächst in Form von zahlreichen Einzelmaßnahmen, etwa durch körperliche Untersuchungen nach §§ 81a ff. StPO, Sicherstellungen oder Beschlagnahmen von Gegenständen nach §§ 94 ff. StPO, Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nach §§ 100a ff. StPO oder der Untersuchungshaft nach 45

Lang, in: BeckOK GG, Art. 2 Rn. 37. Eine Übersicht findet sich etwa bei Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 147 ff. 47 BVerfGE 27, 1 (6); 27, 344 (350 f.); 49, 286 (298); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 47. 48 BVerfGE 35, 202 (220); BVerfG NJW 2000, 1859 ff.; Degenhart, JuS 1992, 361 (365). 49 BVerfGE 65, 1 (43); 78, 77 (84); 84, 192 (194); 92, 191 (197); 96, 171 (181); 101, 106 (121). 50 BVerfGE 78, 38 (49); 97, 391 (399); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 203. 51 BVerfGE 87, 334 (340); 97, 228 (268); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 45. 52 BVerfGE 34, 238 (246); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 45; Murswiek/Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 71. 53 Peters, Strafprozeß, S. 26. 54 BVerfGE 22, 49 (80); 43, 101 (105); 96, 245 (249); 118, 212 (231). 55 BVerfGE 6, 389 (433); 25, 269 (286); 88, 203 (258); 90, 145 (172); Appel, Verfassung und Strafe, S. 19 f. 46

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

§§ 112 ff. StPO auftreten. Jenseits dieser gesetzlich verankerten Ermittlungsmaßnahmen, die jede für sich genommen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und auch anderer Grundrechte des Betroffenen darstellen kann, ist aber auch zu berücksichtigen, dass bereits die Durchführung des gesamten strafprozessualen Erkenntnisverfahrens an sich als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten zu begreifen ist. Denn bereits der bloße Zustand, als Beschuldigter einem Strafverfahren unterzogen zu werden und mithin dem staatlichen Verdacht ausgesetzt zu sein, eine Straftat begangen zu haben, muss als massive Belastung begriffen werden.56 Der Beschuldigte wird durch die Inkulpation gleichsam in einen „Schwebezustand“ versetzt, der schlimmstenfalls in einem ehrenrührigen Unwerturteil in Gestalt des Schuldspruches und möglicherweise massiven Rechtsfolgen gipfeln kann. Worin genau der verfassungsrechtliche Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht und welchen Intensitätsgrad der Eingriff aufweist, ist für die jeweiligen Verfahrensstadien des Strafprozesses isoliert zu prüfen. Für die vorliegende Untersuchung ist dabei die Eingriffsqualität des Hauptverfahrens von Bedeutung, da das Ziel des untersuchungsgegenständlichen strafprozessualen Zwischenverfahrens gerade die Prüfung der „Hauptverhandlungswürdigkeit“ einer Strafsache ist.57 Erhebt die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage und lässt das Eröffnungsgericht diese zu, ist das Hauptverfahren eröffnet und dem Angeschuldigten wird der Status des Angeklagten zugewiesen (§ 157 Var. 2 StPO). Unmittelbare Folge dessen ist, dass er den typischen Belastungen des Hauptverfahrens ausgesetzt ist: Hierbei kann systematisierend von „prozessinternen“ (a)) und „prozessexternen“58 (b)). Grundrechtseingriffen gesprochen werden. a) „Prozessinterne“ Eingriffe Die grundsätzlich59 öffentliche Hauptverhandlung, der „Höhepunkt des Strafprozesses“60, bewirkt mannigfaltige Effekte, die den Angeklagten unmittelbar treffen. Er muss sich für sie zur Verfügung halten, an ihr – wenn auch nur schweigend – teilnehmen und büßt in der Folge Lebenszeit ein.61 Insoweit bewirkt der staatliche Rechtsakt der „Zuweisung in den Angeklagten-Status“ eine finale, unmittelbare und verbindliche Verkürzung der freien Persönlichkeitsentfaltung. Mithin handelt es sich

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BVerfGE 90, 145 (225); Möstl, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 179 Rn. 19. Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 168. 58 Letztere Begrifflichkeit verwendet auch Kölbel, JR 2006, 322 (323). 59 Ausnahmen in §§ 171a ff. GVG. 60 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 1. 61 Gaede, ZStW 2017, 911 (913); Hüls/Reichling, StV 2014, 242 (246); Beukelmann, in: Festschrift für von Heintschel-Heinegg, S. 21 (30); Julius, GA 1992, 295 (303 f.). 57

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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hierbei um einen klassischen Grundrechtseingriff.62 Ferner ist die strafprozessuale Hauptverhandlung vor allem hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität unter einem anderen, in der Rechtswissenschaft soweit ersichtlich nicht eingenommenen Blickwinkel, durchaus problematisch: In ihr werden – gleich ob sie öffentlich oder nichtöffentlich durchgeführt wird – alle verfahrensrelevanten Ergebnisse vorheriger Grundrechtseingriffe kumuliert. So werden etwa im Rahmen von Wohnungsdurchsuchungen beschlagnahmte, gegebenenfalls intime Urkunden verlesen, Gegenstände in Augenschein genommen oder Erkenntnisse aus körperlichen Untersuchungen verwertet. Soweit also bezüglich bestimmter strafprozessualer Standardmaßnahmen deren hohe Eingriffsintensität herausgestellt wird, aktualisiert sich jede schon im Ermittlungsverfahren gegebene Grundrechtsbeeinträchtigung abermals in der Hauptverhandlung, soweit sie verfahrensrelevant ist. Insbesondere aus diesem Blickwinkel scheint es geradezu unausweichlich, in der Durchführung des Hauptverfahrens – nach dem Eingriff durch Anordnung der Untersuchungshaft – einen der stärksten Grundrechtseingriffe des gesamten strafprozessualen Erkenntnisverfahrens zu erblicken.63 b) „Prozessexterne“ Eingriffe Neben diesen „prozessinternen“ Grundrechtseingriffen kommt es regelmäßig auch zu „prozessexternen“ Eingriffen in Form einer gesellschaftlichen Stigmatisierung des Angeklagten. Wird die Tatsache, dass ein Strafprozess gegen ihn geführt wird, in seinem privaten und beruflichen Umfeld bekannt, führt dies regelmäßig zu sozialen Reaktionen der Mitmenschen des Angeklagten: Bekannte oder Verwandte wenden sich von ihm ab, treten ihm aber zumindest misstrauisch gegenüber.64 Intensiviert werden solcherlei Vorgänge durch eine zunehmend offensivere Pressearbeit von Strafverfolgungsbehörden und teils auch Gerichten sowie den Presseberichterstattungen, namentlich durch die sogenannten neuen Medien. Auch der Arbeitsplatz ist unmittelbar gefährdet, da im Arbeitsrecht Verdachtskündigungen gestattet sind.65 Selbst wenn die Hauptverhandlung nicht-öffentlich durchgeführt wird, befinden sich immer noch Richter, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Verteidiger und 62 Zum klassischen Eingriffsbegriff BVerfGE 105, 279 (299 f.); BVerwGE 90, 112 (121); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 27. 63 Ähnlich Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 191: „[…] Es mag zwar Schlimmeres geben, das einem Nicht-Verantwortlichen widerfahren kann, etwa Opfer eines rechtswidrigen Angriffs oder Unglücks zu werden. Einen schwereren Eingriff (dazu von Staatsseite), den wir für rechtmäßig erklären, gibt es nicht.“ 64 Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 68 ff.; Peters, Strafprozeß, S. 419; L. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 546 f.; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 66 f.; für das Ermittlungsverfahren Kühne, Strafprozessrecht Rn. 317; Gaede, ZStW 2017, 911 (914). 65 Siehe aus der Rspr. etwa BAGE 78, 18 (25 ff.); 92, 184 ff.; 134, 349 (354 ff.); 143, 244 ff.; 151, 1 (7); zur indiziellen Wirkung eines Haftbefehls BAG NZA 2013, 137 (139); ferner Graf, NZWiSt 2012, 121 (124); Gaede, ZStW 2017, 911 (914).

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

Urkundsbeamte im Gerichtssaal, in dem über die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten unter notwendiger Einbeziehung persönlicher Umstände verhandelt wird. Der Beschuldigte kann infolge derartiger Vorgänge und in Ansehung des drohenden Schuldspruches gar in klinische Depression verfallen.66 Hinsichtlich der mit dem Hauptverfahren einhergehenden, bisweilen ehrenrührigen Stigmatisierung durch die Öffentlichkeit kann zwar nicht von einer unmittelbaren Folge der Zuweisung des Angeklagten-Status die Rede sein. Vielmehr ist erst die Aktivität des sozialen Umfelds des Angeklagten, mithin der Öffentlichkeit, erforderlich. Sie ist es, die – im Gegensatz zum Staat an eine Unschuldsvermutung nicht gebunden – den Angeklagten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, indem sie ihn ob des laufenden Strafverfahrens rufschädigend diskriminiert.67 Exemplarisch sei hier nur auf die mediale Berichterstattung im „Kachelmann-Verfahren“ verwiesen.68 Insoweit ist nicht von einem klassischen Grundrechtseingriff69, sondern von einer sonstigen Grundrechtsbeeinträchtigung70 auszugehen. Wann in derartigen Fällen von einem relevanten Eingriff zu sprechen ist, ist verfassungsrechtlich noch nicht abschließend geklärt.71 Die bisweilen in der selbst nicht immer einheitlich agierenden Rechtsprechung vorzufindende Formel, wonach die staatliche Maßnahme in Zielsetzung und Wirkung einem Grundrechtseingriff gleichkommen muss, mithin eingriffsäquivalent sein soll,72 führt nicht wirklich weiter. Konsentiert ist jedenfalls, dass Mindestvoraussetzung die Kausalität des Staatshandelns für die grundrechtliche Beeinträchtigung ist.73 Ferner ist anerkannt, dass in Konstellationen, in denen grundrechtliche Schutzgegenstände durch das freiverantwortliche Verhalten anderer Menschen beeinträchtigt werden, dieses dem Staat dann als eigener Eingriff zugerechnet werden kann, wenn er das Verhalten imperativ anordnet oder gezielt steuert.74 Ist dies nicht der Fall, ist von einem Eingriff dann auszugehen, wenn das Verhalten der Bürger nicht ganz fernliegend ist, es sich mit anderen Worten nicht um eine vollkommen ungewöhnliche Reaktion handelt.75 Mit der Durchführung des Hauptverfahrens bezweckt der Gesetzgeber zwar nicht, 66 Gaede, ZStW 2017, 911 (913) m. w. N.; exemplarisch OLG Karlsruhe, VersR 2016, 839 ff. 67 Sternberg-Lieben, ZStW 1996, 721 (734); L. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 548 f. 68 Siehe nur BGH NJW 2013, 1681 ff. 69 Dazu BVerfGE 105, 279 (299 f.); BVerwGE 87, 37 (43); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 27. 70 Dazu BVerfGE 105, 279 (303); 110, 177 (191); 113, 63 (76); 116, 202 (222). 71 Zum Ganzen Sachs, in: Sachs, GG, Vor. Art. 1 Rn. 83 ff.; Herdegen, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 40. 72 Siehe im Zusammenhang mit der Berufsfreiheit etwa BVerfGE 105, 252 (273); 118, 1 (20); 148, 40 (51). 73 BVerfGE 66, 39 (60 ff.); Sachs, in: Sachs, GG, Vor. Art. 1 Rn. 83. 74 BVerfGE 13, 230 (232 f.); 125, 260 (310 f.); Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 89. 75 Sachs, in: Sachs, GG, Vor. Art. 1 Rn. 90; ähnlich OLG Frankfurt a. M. NVwZ-RR 2014, 142.

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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dass der Angeklagte gesellschaftlich in Verruf gerät, er ist – im Gegenteil – an die Unschuldsvermutung gebunden. Insoweit handelt es sich bei den vom Angeklagten zu gewärtigenden Beeinträchtigungen seines Persönlichkeitsrechts durch Dritte weder um eine zielgerichtete, noch um eine imperativ angeordnete oder gezielt gesteuerte staatliche Beeinträchtigung. Man kann vielmehr von einer unbeabsichtigten Nebenfolge sprechen.76 Damit ist indes noch nichts über die Zurechenbarkeit derartiger Nebenfolgen an den Staat gesagt. Die dargestellten sozialen Folgen der Durchführung des Hauptverfahrens sind nämlich gerade nicht atypischer Natur. Sie lassen sich nicht von der Versetzung in den Angeklagten-Status isolieren, gehen mit ihm vielmehr einher und können folglich nicht anders denn als eine typische, im Rahmen der Lebenswahrscheinlichkeit liegenden Folge der Versetzung in den Status eines Angeklagten bezeichnet werden.77 Folglich sind die beschriebenen Nebenfolgen dem Staat zuzurechnen und ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist gegeben. Nichts anderes kann für jene – schon oben dargestellte – Wirkungen gelten, die die Versetzung in den Angeklagten-Status bei dem Beschuldigten selbst auslösen. Auch bei diesen psychischen Wirkungen handelt es sich um keine fernliegenden Reaktionen, selbst wenn sie nicht vom Gesetzgeber intendiert sein mögen. c) Zwischenfazit Danach lässt sich konstatieren, dass die private und wirtschaftliche Entwicklung des Angeklagten typischerweise in erheblichem Maße beeinträchtigt ist.78 Für die hiesige Betrachtung bedeutet dies, dass die Versetzung eines Angeschuldigten in den Stand des Angeklagten79 – mit der Folge der automatischen Durchführung der Hauptverhandlung ohne weitere einschränkende Voraussetzungen – als Eingriffsakt in das allgemeine Persönlichkeitsrecht qualifiziert werden muss: Die Zuweisung in den Angeklagten-Status geht mit (hier so bezeichneten) prozessinternen und -externen, dem Staat zurechenbaren Grundrechtseingriffen einher. In seiner Intensität kann der Eingriff durch Zuweisung in den Angeklagten-Status als einer der stärksten Eingriffe im strafprozessualen Erkenntnisverfahren nach der Anordnung von Untersuchungshaft bezeichnet werden.

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So auch Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 68 ff. 77 L. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 549; Sternberg-Lieben, ZStW 1996, 721 (734); für die einzelne Zwangsmaßnahme auch Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 68 ff. 78 So auch Gaede, ZStW 2017, 911 ff., der insoweit von einer „Sanktion durch Verfahren“ spricht. 79 Auf die Verfahrenseröffnung nach §§ 203, 207 StPO kann hier nicht abgestellt werden, da diese Entscheidung gerade zur Diskussion steht.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

3. Zwischenergebnis Das strafprozessuale Hauptverfahren ist ein Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Eingedenk der eminenten Belastungen, die der Beschuldigte hier erfährt, ist dieser Grundrechtseingriff als einer der gewichtigsten Eingriffe im gesamten strafprozessualen Erkenntnisverfahren zu werten.

II. Legitimation Ist die Versetzung in den Angeklagten-Status mit der Folge des Hauptverfahrens also als erheblicher Grundrechtseingriff zu qualifizieren, ergibt sich die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gegenüber dem Beschuldigten. Damit ist die auf den ersten Blick profan erscheinende Frage aufgeworfen, worin der Rechtsgrund für die Inanspruchnahme eines Beschuldigten zum Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens zu sehen ist, mit anderen Worten also die Frage nach der Legitimation der Verfahrensdurchführung. Dieser eigentlich grundlegenden Frage wendet sich die Strafprozessrechtswissenschaft erst in jüngerer Zeit mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu.80 Für die hiesige Untersuchung ist konkret nach dem Grund für die Verpflichtung des Angeklagten zu suchen, sich dem Hauptverfahren mit all seinen belastenden Wirkungen stellen zu müssen. Zwar stehen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Freiheit der Person unter Gesetzesvorbehalt. Für den Eingriff in das Freiheitsrecht kann insoweit auf § 231 StPO verwiesen werden. Für den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die oben herausgearbeiteten Wirkungen ist dagegen keine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage ersichtlich. Insoweit besteht jedenfalls weiterhin Legitimationsbedarf. Klar ist, dass das am Ende des Erkenntnisverfahrens stehende Urteil dessen Durchführung nicht legitimieren kann, da der Angeklagte bis zum Nachweis des Gegenteils als unschuldig gilt. Erforderlich ist vielmehr ein Rechtsgrund, der eine Durchführung des Hauptverfahrens sowohl gegenüber dem später Verurteilten, der im Stadium des Hauptverfahrens aber immer noch als unschuldig gilt, als auch gegenüber dem später freigesprochenen Unschuldigen zu legitimieren imstande ist. 1. Tatverdacht als Legitimation der Verfahrensdurchführung? Zuweilen wird unkritisch behauptet, dass schon der (nicht näher spezifizierte) Verdacht der Begehung einer Straftat die Einleitung und Durchführung eines Strafverfahrens mit all seinen Belastungen gegenüber dem Beschuldigten legiti-

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Siehe etwa bei Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 118.

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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miere.81 Hierauf dürfte sich auch Heghmanns in seiner Untersuchung zum Zwischenverfahren berufen, der insoweit postuliert, dass ein (Haupt-)Verfahren immer dann gerechtfertigt sei, wenn eine noch näher zu konkretisierende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Schuldnachweis im Hauptverfahren geführt werden könne, mithin ein Verdacht vorliege. Es sei nach Heghmanns „nämlich evident, daß jedenfalls ein Unverdächtiger nicht der Prozedur einer öffentlichen Hauptverhandlung unterzogen werden darf“.82 Einen derart tiefgreifenden Grundrechtseingriff mit dem bloßen Vorliegen eines Verdachts zu rechtfertigen, erscheint aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen liegt der zumeist nicht näher begründeten Behauptung die Vermutung zugrunde, dass sich der Verdacht dem Verdächtigen stets zurechnen ließe, er mit anderen Worten also wegen des von ihm wie auch immer „mitverursachten“ Verdachtes mehr hinnehmen müsse als der Unverdächtige, was zumindest auf den ersten Blick mit der auch verfassungsrechtlich verbürgten Unschuldsvermutung konfligiert.83 Daher ist der Annahme einer Legitimationswirkung des Tatverdachts entgegenzuhalten, dass die Verdachtsverursachung mitnichten in den Verantwortungsbereich des Verdächtigen fallen muss, sondern letztendlich nichts anderes ist als die Beurteilung der Lage durch Dritte.84 Rösinger weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass die Gefahr, eine Verdächtigung als Dritthandlung zu verkennen, bereits im gängigen Vokabular (man spricht von dem „Verdächtigen“ statt dem „Verdächtigten“) angelegt ist.85 Möglich und nicht realitätsfern sind allerdings auch geflissentliche Falschbeschuldigungen, mit denen dem Bürger ein Strafverfahren gleichsam aufgedrängt werden kann.86 Insoweit ist es nicht einsichtig, warum dieses, im Idealfall zwar durch Tatsachen belegte, aber dennoch im Wesentlichen subjektiv eingefärbte Urteil einer (justizangehörigen) Person den oben skizzierten Grundrechtseingriff durch das Strafverfahren legitimieren kann. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass – was sich aus den bisherigen Ausführungen ergeben haben dürfte und überdies von Greco treffend festgestellt wurde – der Verdacht gerade dasjenige ist, was das Strafverfahren legitimationsbedürftig macht, von ihm mithin keinerlei Legitimationswirkung ausgehen kann.87 81 Sax, in: Die Grundrechte III/2, S. 909 (986); Wach, in: Festgabe für Binding, S. 1 (15 f.); Niese, ZStW 1951, 219; Mrozynski, JZ 1978, 255 (256); Sternberg-Lieben, ZStW 1996, 722 (731); Corts/Hege, JA 1976, 379; E. Müller, NJW 1976, 1063 (1066); Hassemer, StV 1984, 40; für das Ermittlungsverfahren Füßer/Viertel, NStZ 1999, 116 (117); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 39 Rn. 16. 82 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 63. 83 Dazu genauer unten 2. Teil B. III. 1. c). 84 Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 290; Stuckenberg, in: Festschrift für Paeffgen, S. 483 (500); Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 168 f. 85 Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 169. 86 Gaede, ZStW 129 (2017), 911 (922). 87 Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 290.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

2. Legitimationsversuch mit dem Störermodell nach Krauß Den soweit ersichtlich einzigen Begründungsansatz der von ihm favorisierten Legitimationswirkung des Verdachts liefert Krauß.88 Er macht den Gedanken des Störers aus dem Polizeirecht fruchtbar und argumentiert wie folgt: Erblickt man die Funktion des Strafverfahrens darin, den Rechtsfrieden wiederherzustellen, erweise sich eine noch ungesühnte Straftat als „Belastungsprobe“ für den Rechtsfrieden, als eine „Lähmung der Rechtsordnung“. Ein Tatverdacht sei mithin als „Störung des Rechtsfriedens“ zu begreifen.89 Diese Störung werde dem Verdächtigen zugerechnet, weshalb ihn die Pflicht treffe, alle zur „Entstörung“, also der Aufklärung des Verdachts, und zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen Maßnahmen zu erdulden.90 Allerdings überzeugt auch dieser Begründungsansatz nicht: Begreift man den Verdächtigen – dem polizeirechtlichen Gedankengang folgend – als Verhaltensstörer, müsste diesem die Störung, also der Tatverdacht, zugerechnet werden, was – wie bereits gezeigt – nicht immer möglich ist, da der Verdacht nicht stets vom Verdächtigen veranlasst wurde.91 Ferner weist Stuckenberg zu Recht auf die grundsätzliche Problematik der Übertragung von Rechtsfiguren aus dem Polizeirecht auf das Strafverfahrensrecht hin, die darin besteht, dass vom strafprozessualen „Störer“ – anders als vom polizeilichen Störer – nicht erwartet wird, die Störung selbst zu beseitigen, sich also selbst zu überführen.92 Zudem verfängt auch der von Krauß gezogene Vergleich zum Polizeirecht genau besehen nicht: Er geht davon aus, dass derjenige, bei dem nur der Anschein gegeben ist, die polizeiliche Gefahr in Gestalt des Tatverdachts verursacht zu haben, als Anscheinsstörer haftet. Die Inanspruchnahme eines Verdächtigen im Strafverfahren kann aber allenfalls mit der polizeirechtlichen Konstellation gleichgesetzt werden, in der ein pflichtgemäß agierender Polizeibeamter davon ausgeht, eine Person sei möglicherweise Störer.93 Eine solche Person fällt aber nicht unter den Begriff des Anscheinsstörers,94 sondern kann nur als Nichtstörer in Anspruch genommen werden.95 Dieser muss keine allzu tiefgreifenden Eingriffe in seine Rechtssphäre hinnehmen. Übertragen auf das Strafverfahren lässt sich sagen, dass die Eingriffsintensität der öffentlichen Haupt-

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Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 153 ff. Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 153 (168). 90 Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 153 (171). 91 Stuckenberg, in: Festschrift für Paeffgen, S. 485 (497); Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 163. 92 Stuckenberg, in: Festschrift für Paeffgen, S. 483 (496). 93 Frister, Schuldprinzip, S. 99 f.; Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 164. 94 Zum Anscheinsstörer etwa Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 21. 95 Frister, Schuldprinzip, S. 99 f.; Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 164. 89

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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verhandlung bereits über das hinausgeht, was einem Nichtstörer in diesem Sinne zuzumuten wäre. Folglich ist der Ansatz von Krauß abzulehnen.96 3. Die Justizpflicht des Beschuldigten Kann sich die Pflicht des Beschuldigten, sich dem Strafverfahren zu stellen, also nicht aus dem gegen ihn bestehenden Verdacht ergeben, ist nach einem anderen legitimierenden Grund zu suchen. Ein solcher könnte sich aus einer allgemeinen Justizpflicht des Bürgers ergeben. a) Herleitung aus dem Aufopferungsgedanken Die Strafprozessordnung selbst benennt seit dem Jahr 2009 in § 48 Abs. 1 StPO nurmehr für Zeugen die Pflicht, bei der Strafverfolgung mitzuwirken. Sie wurde als „staatsbürgerliche Pflicht“ aber auch schon zuvor anerkannt.97 Inwieweit der Beschuldigte verpflichtet ist, an der Strafverfolgung – freilich unter Wahrung des Nemo-tenetur-Grundsatzes – mitzuwirken, indem er sich dem Hauptverfahren unterwirft, erklärt die StPO nicht. Zwar ist auch für den Beschuldigten vorgeschrieben, dass er in der Hauptverhandlung anwesend sein muss (§ 230 Abs. 1 StPO) und auch im Ermittlungsverfahren treffen ihn gemäß § 163a Abs. 3 StPO Anwesenheitspflichten. Diese Vorschriften sind aber schon ausweislich ihres Wortlautes nicht in der Lage, die gesamten durch ein Strafverfahren (hier: das Hauptverfahren) freigesetzten Belastungen zu legitimieren. Folglich ist davon auszugehen, dass es sich bei diesen Vorschriften nur um einfachgesetzliche Konkretisierungen einer auch für den Beschuldigten bestehenden Verpflichtung, sich dem Strafverfahren stellen zu müssen, handelt. Denkbar erscheint es zunächst, eine solche Pflicht dem vom Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege zu entnehmen.98 Dem steht aber entgegen, dass es sich bei der Pflicht zur Einrichtung und Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege um eine Pflicht handelt, die sich an den Staat richtet.99 Bürger können folglich nicht als Pflichtige herangezogen werden, sodass sich aus dem Topos der

96 Ebenso Köhler, ZStW 1995, 10 (21); Frister, Schuldprinzip, S. 99 f.; Stuckenberg, in: Festschrift für Paeffgen, S. 485 (496 ff.); Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 284 ff.; Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 163 ff. 97 BVerfG NJW 2002, 955; Percic, in: Münchener Kommentar StPO, § 48 Rn. 1. 98 Hierzu etwa BVerfGE 33, 367 (383) = NJW 1972, 2214 (2216); BVerfGE 34, 238 (248 f.) = NJW 1973, 891 (893); BVerfGE 36, 174 (186) = NJW 1974, 179 (181); BVerfGE 38, 105 (115) = NJW 1975, 103 (105); BVerfGE 39, 156 (163) = NJW 1975, 1013 (1014). 99 Landau, NStZ 2007, 121 (128).

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

funktionstüchtigen Strafrechtspflege keine Justizpflicht des (beschuldigten) Bürgers ableiten lässt.100 Es kann also festgehalten werden, dass es jenseits der einzelnen Zwangsmittel im Ermittlungsverfahren (grundrechtsrelevante) Pflichten des Beschuldigten im Strafverfahren gibt, die teils auch – siehe etwa § 230 Abs. 2 StPO – mit Zwang durchgesetzt werden können. Der Rechtsgrund für diese – die Grundlagen des Strafverfahrens betreffenden – Pflichten ist aber weder allgemein geregelt, noch wird er in der Literatur mit der gebotenen Aufmerksamkeit behandelt.101 Dass es dennoch eine Justizpflicht des Beschuldigten im Strafverfahren gibt, kann als weitgehend (wenn auch nur stillschweigend) gesichert bezeichnet werden, obschon sich noch keine konsentierte Bezeichnung herausgebildet hat.102 Bereits in der älteren Literatur wurden prozessuale Pflichten des Beschuldigten anerkannt. Nach Eb. Schmidt etwa sei die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, auf das „Staatsverhältnis“ zurückzuführen, sie sei deshalb „staatsbürgerliche Pflicht“.103 Die Begrifflichkeit der „Justizpflicht“ wurde soweit ersichtlich erst von Köhler104 in die Diskussion eingeführt, der neben einer „allgemeinen Justizpflicht“ von Zeugen, Sachverständigen und Laienrichtern auch eine solche für Beschuldigte anerkennt. Sie beruhe auf einer allgemeinen Notwendigkeit für den gemeinsamen Staatsrechtszweck: Der allgemeinen Grundpflicht zur judikativen Staatsfunktion korrespondiere eine notwendige, aber substantiell begrenzte prozessuale Aufopferungspflicht von jedermann, die Justizpflicht.105 Auch der Beschuldigte haftet nach Köhler, der sich gegen den oben geschilderten Ansatz von Krauß wendet, nicht aus Unrechtsverantwortung, da das Strafverfahren erst auf die Klärung der strafrechtlichen Schuldfrage gerichtet sei und Pflichtigkeiten folglich nicht auf eine Präsumtion von Unrecht und Schuld gestützt werden könnten. Die Inanspruchnahme eines (objektiv ex post) unschuldig Verdächtigen lasse sich daher nur auf eine prozessuale Aufopferungspflicht stützen.106 Sie bestehe darin, dass der Beschuldigte sich dem justizförmigen Klärungsprozess stellen müsse.107 Diese Justizpflicht sei funktional strikt begrenzt durch den Verfahrenszweck, den Charakter der Vorläufigkeit, die Zumutbarkeit und gegebenenfalls eine Ausgleichspflicht.108 100

S. 13 f. 101

Ebenso Paeffgen, Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts,

Vgl. Stuckenberg, in: Festschrift für Paeffgen, S. 483 (485). So spricht Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 133 von einer „Prozessduldungspflicht“. 103 Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz Band I, S. 69 Rn. 72. 104 Köhler, ZStW 1995, 10 ff. 105 Köhler, ZStW 1995, 10 (21). 106 Köhler, ZStW 1995, 10 (21). 107 Köhler, ZStW 1995, 10 (22). 108 Köhler, ZStW 1995, 10 (22). 102

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

67

Auch Greco geht der Frage der Rechtfertigung des Strafverfahrens nach und gelangt zu dem Ergebnis, dass das Verfahren, welches im Interesse der Gesellschaft durchgeführt werde, den Einzelnen unter der Bedingung in Anspruch nehmen dürfe, dass dessen Rechtssphäre möglichst intakt bleibe, was bedeute, dass das Strafverfahren einen Ausgleich für die in ihm verkörperte Belastung bieten müsse.109 Gaede leitet die Justizpflicht aus der Verfassung ab. Da diese justizielle Rechte enthalte und das Strafrecht anerkenne, indem sie Strafgesetze prinzipiell zulasse und sich die im Grundgesetz enthaltenen Justizgrundrechte gar nicht anders durchführen ließen als mittels eines Strafverfahrens, liege der Schluss nahe, dass der Staat den rechtsunterworfenen Bürger auch in ein Strafverfahren zwingen dürfe. Mittelbar sei man daher auf das Strafrecht als Legitimation verwiesen, welches ja gerade durch das Strafverfahren durchgesetzt werden soll.110 Der Gegenstand der Justizpflicht ergebe sich aus den Zielen des Strafverfahrens, die Gaede im Einklang mit der herrschenden Meinung in der materiell richtigen, prozessordnungsgemäß zustande kommenden und Rechtsfrieden schaffenden Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten sieht. Dabei sei der Rechtsfrieden erst durch die dem Verfahren nachfolgende Strafe wiederherzustellen und nicht – wie dies nach seiner Einschätzung verbreitet angenommen wird – bereits durch den Prozess. Zwar finden sich letztlich unterschiedliche Begründungsansätze einer Justizpflicht, allerdings ist ihre Existenz soweit ersichtlich nicht bestritten. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass jeden Bürger eine Pflicht trifft, am Strafverfahren zu partizipieren. Es handelt sich bei dieser Pflicht um eine justizielle Aufopferungspflicht. Diese Einordnung bringt den Vorteil mit sich, dass damit eine Legitimation ermöglicht wird, die den Tatverdacht dem Beschuldigten nicht zurechnet und daher eine Gleichbehandlung von Verdächtigem und Unverdächtigem bewirkt: Der Verdächtige muss zunächst einmal Einschränkungen nur in dem Umfang hinnehmen, in dem auch der Unverdächtige herangezogen werden darf. Eine Einschränkung der Aufopferungspflicht kann mit Köhler darin gesehen werden, dass sie sich in den Grenzen der Verfahrensziele (dazu sogleich) halten muss, nur vorübergehend (d. h. für die Dauer des Strafverfahrens), zumutbar und gegebenenfalls ausgleichsfähig ist. Daher überzeugt die Annahme einer Aufopferungspflicht als Legitimation des Strafverfahrens und damit auch des – für die hiesige Betrachtung maßgeblichen – strafprozessualen Hauptverfahrens.111

109 Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 301 ff., zusammenfassend S. 1008 f. 110 Gaede, ZStW 2017, 911 (924 f.) Er sieht die prinzipielle Justizpflicht des rechtsunterworfenen Bürgers ebenfalls durch die Rechtsphilosophie bestätigt, siehe insoweit S. 925 ff. 111 Zur rechtsphilosophischen Herleitung der Justizpflicht Gaede, ZStW 2017, 911 (925 ff.) sowie Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 171 ff.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

b) Inhaltliche Konkretisierung Damit ist aber noch nichts über ihre inhaltliche Ausgestaltung gesagt. Vertreten wird hier, dass die Justizpflicht inhaltlich durch die Ziele des Strafverfahrens konkretisiert wird.112 Da der Inhalt der Justizpflicht auch für die Frage der Hauptverhandlungswürdigkeit einer Strafsache von Bedeutung ist, muss zunächst Klarheit über die Frage der Ziele des Strafverfahrens geschaffen werden, um etwaige Einschränkungen der Justizpflicht des Bürgers zu formulieren. Die Frage der Ziele des Strafverfahrens ist nach wie vor nicht endgültig geklärt.113 Einigkeit besteht aber wohl insoweit, als eine materiell richtige Entscheidung herbeigeführt werden soll.114 Hierfür muss der wahre Sachverhalt festgestellt und darauf das materielle Strafrecht richtig angewendet werden.115 Weiterhin soll dies in einem justizförmigen Verfahren geschehen.116 Ferner soll der durch den Verdacht einer Straftat beeinträchtigte Rechtsfrieden wiederhergestellt werden.117 Meinungsverschiedenheiten bestehen nun vornehmlich zu letztgenanntem Ziel, der Wiederherstellung von Rechtsfrieden. Vereinzelt wird ein solches Ziel gänzlich abgelehnt,118 teilweise wird es nur als „Nebenzweck“119 bezeichnet. Nach anderer Ansicht sei die Wiederherstellung des Rechtsfriedens gar oberstes Ziel des Strafverfahrens.120 Unklar ist weiterhin, was mit dem Begriff „Rechtsfrieden“ überhaupt gemeint sein soll. Zwar ist der Begriff nicht empirisch im Sinne einer Zustimmung der gesamten Bevölkerung zu dem gefundenen Urteil, sondern normativ zu verstehen.121 Dennoch bleiben entsprechende Definitionen diffus: Nach Schmidhäuser führe der Verdacht einer Straftat zu einer „Beunruhigung der Gemeinschaft“, die durch die Schaffung von Rechtsfrieden behoben werden müsse, was bei „einem Zustand, bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, daß sie sich über den Ver112

Köhler, ZStW 1995, 10 (22 f.); Gaede, ZStW 2017, 911 (928 ff.). Dazu etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 3 ff.; Duttge, ZStW 2003, 539 (542 ff.); Murmann, GA 2004, 65 ff.; Klesczewski, ZStW 2011, 737 (759); Dölling, in: Festschrift für Beulke, S. 679 ff.; Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, Einl. Rn. 4 ff.; Radtke, in: Radtke/Hohmann, StPO, Einl. Rn. 4. 114 Siehe nur Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 3; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3; Radtke, in: Radtke/Hohmann, StPO, Einl. Rn. 4. 115 Heger/Pohlreich, Strafprozessrecht, Rn. 16; Kindhäuser/Schumann, Strafprozessrecht, § 1 Rn. 3; Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Einl. B Rn. 32, 43 f. 116 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 3; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3. 117 Grundlegend Schmidhäuser, in: Festschrift für Eb. Schmidt, S. 511 ff.; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 3; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3. 118 Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 102 ff. 119 Sternberg-Lieben, ZStW 1996, 721 (726 f.). 120 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 4; Radtke, in: Radtke/Hohmann, StPO, Einl. Rn. 4; ders., in: Mehr Gerechtigkeit. Aufbruch zu einem besseren Strafverfahren, S. 131 (133). 121 Dölling, in: Festschrift für Beulke, S. 679 (685). 113

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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dacht einer Straftat beruhige“, erreicht sei.122 Nach Ostendorf beinhalte das Rechtsfriedensziel „Befriedung der Bürger, die durch den Normbruch in ihrem Rechtsvertrauen beunruhigt oder gar erschüttert sind (positive Generalprävention). Insoweit hat der Prozess einen funktionellen Eigenwert, ist nicht nur Mittel zum Zweck.“123 Der Ansatz Ostendorfs, das Ziel der Wiederherstellung des Rechtsfriedens und damit das Strafverfahren mit dem Strafzweck der positiven Generalprävention gleichzusetzen,124 muss indes mit großer Vorsicht betrachtet werden: Richtig ist, dass positive Generalprävention, verstanden als das Unternehmen, das Vertrauen in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung zu erhalten und zu stärken, das heißt die Unverbrüchlichkeit des Rechts vor der Rechtsgemeinschaft zu erweisen und die Rechtstreue der Bevölkerung zu stärken,125 am Ende eines Strafverfahrens verwirklicht werden kann. Indes darf das Strafverfahren selbst nicht in den Dienst von Strafzwecken gestellt werden, soll es doch gerade erst hervorbringen, ob Anlass zur Bestrafung besteht. Weist man dem Verfahren nun selbst Strafzwecke zu und „trägt“ das erstrebte Ziel – so man es anerkennt – in den Prozess, wäre zum einen bereits das Strafverfahren eine Sanktion, zum anderen beeinträchtigte dies auch seine Ergebnisoffenheit.126 Im Übrigen werden Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit im Strafverfahren auch andernorts nicht einbezogen: Prominentes Beispiel hierfür ist § 112 Abs. 3 StPO, der nach dem Willen des Gesetzgebers genau diesem Ziel dienen soll und der vom Bundesverfassungsgericht als unverhältnismäßig angesehen wird, sofern er nicht korrigierend ausgelegt wird.127 Der Verfahrenszweck des Rechtsfriedens kann daher nicht so verstanden werden, dass er schon im Verfahren zu verwirklichende Strafzwecke im Blick hätte. Wird also, wie etwa im Rahmen der Frage der Beantragung eines Strafbefehls128 oder – für die hiesige Untersuchung besonders interessant – bei der Frage der Eröffnungsvoraussetzung nach § 203 StPO129, formuliert, dass die Hauptverhandlung in gewissen Konstellationen aus Gründen der Generalprävention durchgeführt werden müsse, ist dem zu widersprechen, da der Beschuldigte im Strafverfahren keine Maßnahmen zu dulden

122

Schmidhäuser, in: Festschrift für Eb. Schmidt, S. 511 (522). Ostendorf, Strafprozessrecht, Rn. 9; ders., ZIS 2013, 172 (173). 124 So auch Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, Rn. 11. 125 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, § 3 Rn. 26 f. 126 Kritisch auch Weßlau, in: Systematischer Kommentar StPO, § 407 Rn. 6; Paeffgen, DRiZ 1998, 317 ff.; speziell auf die Justizpflicht bezogen Köhler, ZStW 1995, 10 (22); Gaede, ZStW 2017, 911 (931). 127 BVerfGE 19, 342 (350); Frister, Schuldprinzip, S. 93; Gaede, ZStW 2017, 911 (931). 128 Siehe etwa Nr. 175 Abs. 3 RiStBV: „Im Übrigen soll von dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nur abgesehen werden, wenn die vollständige Aufklärung aller für die Rechtsfolgenbestimmung wesentlicher Umstände oder Gründe der Spezial- oder Generalprävention die Durchführung einer Hauptverhandlung geboten erscheinen lassen.“ 129 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 4; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 32. 123

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

braucht, die Strafzwecke verwirklichen – das Strafverfahren ist schließlich keine Strafe.130 Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechtsfriedens kann die vorliegende Untersuchung zwar nicht leisten. Klar ist jedoch, dass die Zielbestimmung Rechtsfrieden „mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden kann“131 und somit durchaus problematisch ist. Vorzugswürdig erscheint es daher, den Rechtsfrieden nur mit größter Vorsicht als Ziel des Strafverfahrens zu bezeichnen.132 Bedeutsam für die vorliegende Untersuchung ist, dass extensive Deutungen dieses „Ziels“, wie insbesondere die Gleichsetzung des Rechtsfriedens mit positiver Generalprävention, abzulehnen sind. Rechtsfrieden wird hier also dahingehend verstanden, dass er erst am Ende des Strafverfahrens, also mit Eintritt der Rechtskraft, wiederhergestellt werden kann. 4. Ergebnis: Die Legitimation des Hauptverfahrens Der Grundrechtseingriff „Hauptverfahren“ wird nicht durch einen gegen den Beschuldigten gerichteten Verdacht einer Straftatbegehung legitimiert, da der Verdacht letztlich eine subjektiv geprägte Zuschreibung eines Dritten ist und dem Beschuldigten nicht im Sinne einer Verantwortlichkeit zugerechnet werden kann. Legitimiert wird der Grundrechtseingriff stattdessen durch die Justizpflicht, die es umfasst, sich dem strafprozessualen Hauptverfahren mit all seinen belastenden Wirkungen stellen zu müssen. Es handelt sich bei ihr um eine prozessuale Aufopferungspflicht, der prinzipiell jeder Bürger – also auch der Beschuldigte – unterworfen ist. Der Gesetzgeber darf infolge der Justizpflicht also den Bürger grundsätzlich in das Straf- und damit auch in das strafprozessuale Hauptverfahren zwingen. Sie besteht aber unter der Einschränkung, dass sie nur vorübergehend, zumutbar und gegebenenfalls ausgleichspflichtig ist. Inhaltlich wird sie konkretisiert durch die Ziele des Strafverfahrens. Das bedeutet, dass der Beschuldigte vorbehaltlich weiterer Einschränkungen nur einen Prozess dulden muss, der auf die Feststellung des wahren Sachverhalts in einem justizförmigen Verfahren zur Wiederherstellung des Rechtfriedens am Ende des Verfahrens gerichtet ist. Nicht erfasst ist, dass der Beschuldigte Maßnahmen unterworfen wird, die generalpräventive Zwecke verfolgen.

130

Frister, Schuldprinzip, S. 93; Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, S. 162. 131 So Dölling, in: Festschrift für Beulke, S. 679 (687). 132 So auch Dölling, in: Festschrift für Beulke, S. 679 (687); krit. ferner Kudlich, in Münchener Kommentar StPO, Einleitung Rn. 10.

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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III. Verfassungsrechtliche Begrenzungen Ist somit der Rechtsgrund für die Inanspruchnahme des Beschuldigten zum Zwecke des Hauptverfahrens herausgearbeitet worden, besagt dies noch nicht, dass dieser Rechtsgrund eine Inanspruchnahme des Bürgers ohne weitergehende Einschränkungen erlauben würde. Läge es so, könnte die oben aufgeworfene Frage nach der richterlichen Verdachtskontrolle als (verfassungsrechtliche) Voraussetzung für die Durchführung des Hauptverfahrens recht schnell abschlägig beantwortet werden. Es ist aber zu berücksichtigen, dass zentrale Schwellen des Strafverfahrens, an denen Entscheidungen getroffen werden, die weitere Verfahrensbelastungen bei dem Beschuldigten freizusetzen vermögen, immer vor dem Hintergrund der Einhaltung der Verfahrenslegitimation (d. h. der Justizpflicht) und weiterer, sie einschränkender grundrechtswahrender Garantien betrachtet werden müssen.133 Eine solche „Schwelle“ ist der Eintritt in das Hauptverfahren, der ob der damit einhergehenden Lasten verfassungsrechtlich womöglich weiterer einschränkender Voraussetzungen bedarf, um dem Bürger zumutbar zu sein. Die Justizpflicht ist – wie bereits beschrieben – ihrerseits an Begrenzungen gebunden. Neben hier nicht näher zu behandelnden Fragen der Ausgleichspflicht und der zeitlichen Begrenzung134 ist vor allem die einschränkende Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit der Verfahrensdurchführung – von Köhler als Zumutbarkeit bezeichnet – in den Blick zu nehmen. Sie entspringt dem Verfassungsrecht, welches die Justizpflicht einschränkt.135 1. Materielle Eingriffsschwelle aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist, obwohl er nicht ausdrücklich im Grundgesetz benannt wird, von überragender Bedeutung und unter der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einem zentralen Instrument zur Einschränkung staatlichen Handelns geworden.136 Nach wohl herrschender Meinung ist er aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleiten,137 nach anderer Ansicht aus den Freiheitsgrundrechten als solchen.138 Klarstellend sei vorangeschickt, dass es an dieser Stelle nicht um die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als zusätzliche, ungeschriebene Voraussetzung einer strafprozessualen Maßnahme (hier also: des Hauptverfahrens) geht,139 sondern 133

Vgl. auch Gaede, ZStW 2017, 911 (936). Speziell zu Justizpflicht und Beschleunigungsgarantie Gaede, ZStW 2017, 911 (933 ff.). 135 Gaede, ZStW 2017, 911 (932). 136 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 112. 137 BVerfGE 23, 127 (133); 35, 382 (400); 38, 348 (368); 49, 24 (58); 61, 126 (134); 69, 1 (35); 76, 256 (359); 80, 109 (120); 86, 288 (347); 90, 145 (173); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 146; wohl auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 108. 138 Merten, in: Festschrift für Schambeck, S. 349 (372 ff.); Krebs, JURA 2001, 228 (233 f.). 139 Dazu etwa Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 20; Fischer, in: Karlsruher Kommentar StPO, Einl. Rn. 130. 134

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

um die Anforderungen, die der Gesetzgeber bei der Rechtssetzung zu beachten hat. Bevor eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfolgt, muss daher präzisiert werden, inwieweit der parlamentarische Gesetzgeber überhaupt an diesen Grundsatz gebunden ist. Da die vorliegende Untersuchung auch Reformvorschläge in den Blick nimmt, wird es also darauf ankommen, in welchem Ausmaß Maßnahmen des Gesetzgebers einer verfassungsrechtlichen Kontrolle zugänglich sind. Hierbei ist es anerkannt, dass der Gesetzgeber eingedenk seiner unmittelbar demokratischen Legitimation in besonderer Weise zur Gestaltung der innerstaatlichen Verhältnisse berufen ist und ihm ein weiter Handlungsspielraum gegenüber der Rechtsprechung zuzubilligen ist,140 was sich im Übrigen auch aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergibt.141 Für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedeutet dies, dass Erwägungen des Gesetzgebers auf der Ebene der Geeignetheit und der Erforderlichkeit nur eingeschränkt überprüfbar sind: Im Rahmen der Geeignetheit und der Erforderlichkeit wird dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsund Prognosespielraum zugestanden.142 Dieser Spielraum wird nur dann überschritten, wenn Regelungen „offensichtlich ungeeignet“ bzw. „offensichtlich nicht erforderlich“ sind.143 Auch die Gewichtungsstufe der Angemessenheit ist dem Gesetzgeber anheimgegeben.144 Seine Wertentscheidungen sind nach der herrschenden Meinung im Grundsatz zu akzeptieren, anderes gilt nur, wenn sie „offensichtlich fehlsam“ sind bzw. wenn die Grenze der Zumutbarkeit für den Bürger nicht mehr gewahrt ist.145 Somit wird die Angemessenheitsstufe nur als äußerste Grenze begriffen, die krasse gesetzgeberische Missgriffe verhindern soll. Entsprechend verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass das Mittel nicht „außer Verhältnis“146 zu dem angestrebten Zweck stehen dürfe und die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt werden müsse. Dieser sehr freie Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers muss vorliegend noch insofern eingeschränkt werden, als der geltende Typus und die geltende Grundstruktur des Strafprozesses – insbesondere seine Einteilung in Vorund Hauptverfahren und seine Zielsetzung – nicht in Frage gestellt werden können, sondern die verfassungsrechtliche Betrachtung auf Basis der geltenden Grundstruktur des Strafverfahrensrechts erfolgt.

140

Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 122; Reuter, JURA 2009, 511 (514). So auch Reuter, JURA 2009, 511 (514). 142 BVerfGE 25, 1 (19 f.); 110, 141 (158); 110, 177 (194); 115, 276 (308); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 151; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 122; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 123; Reuter, JURA 2009, 511 (514). 143 BVerfGE 30, 250 (263 f.); 39, 210 (230 f.); 47, 109 (117); 65, 116 (126); 103, 293 (307); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 122; Reuter, JURA 2009, 511 (514). 144 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 122. 145 BVerfGE 76, 196 (207); 95, 173 (183); 97, 228 (260 f.); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 154; Reuter, JURA 2009, 511 (514); nach einer Mindermeinung beinhaltet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein „Optimierungsgebot“, welches eine weitgehende Optimierung der betroffenen Positionen zur Folge habe, dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. 146 BVerfGE 69, 209 (218); 77, 1 (44); 106, 181 (192); 119, 394 (417). 141

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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Im Folgenden soll der Frage nach den Anforderungen des diese Pflicht einschränkenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nachgegangen werden. Letzterer verlangt, dass der Grundrechtseingriff im Hinblick auf den verfolgten (legitimen) Zweck geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist.147 a) Legitimer Zweck und Geeignetheit Der mit dem oben herausgearbeiteten Grundrechtseingriff in Gestalt der Versetzung in den Status eines Angeklagten verfolgte Zweck ist zugleich der Zweck des Strafverfahrens, also die materiell richtige, prozessordnungsgemäß zustande gekommene und – in den oben gezogenen Grenzen – Rechtsfrieden schaffende Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten.148 Das Mittel „Hauptverhandlung“ muss geeignet sein, dieses unstreitig legitime Ziel zu erreichen. Dies ist der Fall, wenn es den gewünschten Erfolg zumindest fördert.149 Die strafprozessuale Hauptverhandlung bietet mit ihren Vorschriften – etwa zur Amtsaufklärungspflicht, den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und der Geltung des Strengbeweisverfahrens – die Möglichkeit der für die Erreichung des Prozessziels notwendigen Wahrheitsfindung und – darauf aufbauend – die materiell richtige Entscheidung herbeiführen zu können und damit den Zweck zumindest zu fördern. b) Erforderlichkeit Weiterhin darf die Maßnahme nicht über das zur Verfolgung ihres Zwecks notwendige Maß hinausgehen, die Durchführung des Hauptverfahrens muss also das mildeste zur Verfügung stehende Mittel zur Erreichung des legitimen Zwecks150 – Herbeiführung einer materiell richtigen Entscheidung durch Ermittlung der Wahrheit und Anwendung des Rechts in einem justizförmigen Verfahren zur Erreichung von Rechtsfrieden – sein. Damit ist die Frage benannt, ob das Verfahrensziel auch ohne Veranstaltung eines Hauptverfahrens erreicht werden kann. Die Strafprozessordnung selbst sieht diese Möglichkeit vor, indem sie etwa das Strafbefehlsverfahren oder Verfahrenseinstellungen nach §§ 153 ff. StPO zulässt.151 Allerdings ist diese Vorgehensweise – auch wenn eine Vielzahl der Strafverfahren auf diesem 147

BVerfGE 65, 1 (54); 67, 157 (173); 70, 278 (286); 92, 262 (273); Grzeszick, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 110. 148 Zum Verfahrensziel etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 1 B II Rn. 3; Beulke/ Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 3; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 4; Dippel, in: Festschrift für Widmaier, S. 105 (113 f.); Dölling, in: Festschrift für Beulke, S. 679 ff.; Kröpil, JR 2013, 14 (15); Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 46. 149 BVerfGE 126, 112 (144); 130, 151 (188); 134, 204 (227); Grzeszick, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 112; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 118. 150 BVerfGE 100, 313 (375); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 113; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 119. 151 Hierzu Möstl, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 179 Rn. 37.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

Wege erledigt werden – nur für bestimmte Fälle vorgesehen. Wann also die Durchführung des Hauptverfahrens das mildeste Mittel ist, bestimmt die StPO, indem sie das Strafbefehlsverfahren oder Einstellungen nur unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht. Da sich diese Festlegung durch den Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht beanstanden lässt, weil diesem gerade auf Erforderlichkeitsstufe ein breiter Beurteilungsspielraum zugestanden wird,152 ist von der Erforderlichkeit der Durchführung des Hauptverfahrens in den hierfür abstrakt vorgesehenen Fällen auszugehen. c) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Schließlich muss die Durchführung des Hauptverfahrens verhältnismäßig im engeren Sinne, also angemessen sein. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist.153 Abzuwägen ist demnach hier die Eingriffsintensität in die Rechtssphäre des Beschuldigten auf der einen sowie das mit der Hauptverhandlung verfolgte Ziel der materiell richtigen, prozessordnungsgemäß zustande gekommenen und Rechtsfrieden schaffenden Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten auf der anderen Seite. Wie bereits dargelegt, ist die Intensität des Eingriffs in die Grundrechte des Angeklagten durch die Veranstaltung der Hauptverhandlung als hoch zu gewichten, was sich insbesondere auch daraus ergibt, dass dort zahlreiche Eingriffe aus dem Ermittlungsverfahren kumulativ auftreten können. Andererseits kann das Interesse der Gemeinschaft an der Aufklärung von Straftaten ebenfalls gewichtig sein. Das skizzierte Spannungsfeld aufzulösen, ist zuvörderst die Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Klärungsbedürftig ist also, inwieweit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Gesetzgeber dahingehende Direktiven macht, da er die Gewichtung der widerstreitenden Interessen wie gezeigt weitestgehend selbst vornehmen darf.154 Dabei ist zunächst fraglich, wie die Gewichtung der widerstreitenden Interessen überhaupt Eingang in das Gesetz finden kann. Denkbar erscheint insoweit die Implementierung von materiellen Eingriffsschwellen, durch welche die vorbezeichnete Abwägung im Gesetz konkretisiert werden kann. In der Tat haben sich Kriterien herausgebildet, anhand derer die vom Gesetzgeber vorgenommene abstrakte Rechtsgüterabwägung regelmäßig erfolgt. Sie finden sodann als Eingriffsvoraussetzungen Eingang in Rechtsnormen, also auch strafprozessualer Maßnah-

152 153 154

Siehe dazu oben 2. Teil B. III. 1. BVerfGE 30, 292 (316); 67, 157 (178); 81, 70 (92); 90, 145 (173). Dazu bereits oben 2. Teil B. III. 1.

B. Entwicklung eines eigenen Ansatzes

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men.155 Gemeint sind damit im Strafverfahrensrecht etwa das Kriterium der Tatschwere, die Rechtsfolgenerwartung, die Ergiebigkeit des Zwangsmittels oder der Tatverdacht bzw. der Grad des Tatverdachtes.156 Zu klären ist also die Frage, ob der Gesetzgeber ein solches Eingriffskriterium speziell vor Durchführung der Hauptverhandlung implementieren muss oder ob er gänzlich auf eine materielle Eingriffsschwelle verzichten kann – womit auch die Abschaffung ihrer (gegebenenfalls richterlichen) Kontrolle vor Durchführung des Hauptverfahrens und damit des Zwischenverfahrens verfassungsrechtlich zulässig wäre. Würde man auf eine – gegebenenfalls noch zu konkretisierende – Eingriffsschwelle im vorbezeichneten Sinne verzichten, hieße das, dass der Staat den Bürger ohne Weiteres und gleichsam willkürlich einer öffentlichen Hauptverhandlung mit all ihren belastenden Wirkungen unterwerfen könnte. Eine derartige, im wahrsten Sinne des Wortes unbegrenzte staatliche Ausforschung des Bürgers ist ihm nicht mehr zuzumuten, mithin unangemessen. Daher ist in einem ersten Schritt festzustellen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zumindest die Schaffung einer Schwelle verlangt, die erreicht werden muss, um den Grundrechtseingriff „Hauptverfahren“ durchführen zu dürfen. In einem zweiten Schritt ist diese Eingriffsschwelle zu konkretisieren und zu klären, welche der genannten Kriterien dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung tragen und damit zur materiellen Eingriffsvoraussetzung dieses Grundrechtseingriffs erkoren werden können. Bereits oben wurden die gegenwärtig in der Strafprozessordnung sowie der verfassungsrechtlichen Judikatur zum Strafverfahrensrecht verwandten Kriterien benannt: Es handelt sich hierbei vornehmlich um den Tatverdacht, die Tatschwere und die Rechtsfolgenerwartung. Das gegenwärtige Recht hat sich in § 203 StPO für das Kriterium des Tatverdachts entschieden. Weitere der genannten Eingriffskriterien werden jedenfalls mittelbar berücksichtigt, indem ein Verzicht auf die Hauptverhandlung im Falle der §§ 153 ff. StPO unter anderem von der Tatschwere – Opportunitätseinstellungen sind nur bei Vergehen, nicht aber bei Verbrechen zulässig – abhängig gemacht werden. Auch das Kriterium der Rechtsfolgenerwartung ist insoweit berücksichtigt, als auf das Hauptverfahren dann verzichtet werden kann, wenn ein Strafbefehlsverfahren durchgeführt wird, das nur bei be155 Siehe etwa BVerfGE 109, 279 (350), sowie BVerfGE 120, 274 (326 f.): „In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte gehört es zur Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu erreichen. Dies kann dazu führen, dass bestimmte intensive Grundrechtseingriffe nur zum Schutz bestimmter Rechtsgüter und erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürfen“. 156 Speziell zum Tatverdacht als gesetzgeberisches Kriterium im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 270; Corts/Hege, JA 1976, 379; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar StPO (1994), Vor § 94 Rn. 10; Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 146 ff., S. 232; Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 153 (173 ff.); nichts anderes dürfte Kühne, NJW 1979, 617 (618) meinen, wenn er davon spricht, dass „der Tatverdacht […] das zeitlich und inhaltlich primäre Kriterium für die Entscheidung über die Zulässigkeit von Ermittlungsmaßnahmen“ ist.

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

stimmten, milden, Rechtsfolgen der Tat zulässig ist.157 Das Kriterium des Tatverdachtes scheint ungeachtet dessen aber zwingend vonnöten zu sein, was die Vermutung nahe legt, dass es sich bei ihm um die entscheidende, hier gesuchte Eingriffsschwelle handelt. Dies wird durch mehrere Aspekte bestätigt: Zum einen ergibt sich die Notwendigkeit der Einbeziehung des Tatverdachts aus dem Zweck des Strafverfahrens, das ja gerade auf die Klärung einer Verdachtslage ausgerichtet ist, sodass es widersinnig erschiene, den Bürger einer ganz und gar verdachtsunabhängigen staatlichen Untersuchung auszusetzen. Weiterhin benennt die Verfassung selbst das Eingriffskriterium des Straftatverdachts im Rahmen des Art. 13 Abs. 3 GG. Überdies ist der Tatverdacht auch in Rechtsprechung und Literatur anerkanntermaßen das primäre gesetzgeberische Differenzierungskriterium für die Frage der Verhältnismäßigkeit.158 Folglich lässt sich festhalten, dass als Eingriffskriterium für das strafprozessuale Hauptverfahren zwingend und begriffsnotwendig der Tatverdacht fungiert. Liegt er in der Person des Bürgers vor, ist es ihm zunächst einmal zumutbar, den Grundrechtseingriff „Hauptverfahren“ hinnehmen zu müssen. Allerdings ist mit dem Abstellen auf den Tatverdacht als maßgebliches Eingriffskriterium eine Frage aufgeworfen, die bereits im Rahmen der Suche nach einer Verfahrenslegitimation angeklungen ist, nämlich die der Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung, die – als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips – ihrerseits Verfassungsrang genießt159 und überdies in Art. 6 Abs. 2 EMRK verbürgt ist. Oben wurde argumentiert, dass dem Beschuldigten allein aufgrund von Zurechnungserwägungen kein höheres Maß an Rechtsgutsbeeinträchtigungen aufgebürdet werden darf, weswegen die Identifikation des Tatverdachts als Eingriffskriterium für das Hauptverfahren an dieser Stelle fragwürdig erscheint. Allerdings ist zu beachten, dass der Tatverdacht hier nur als ein sachliches Kriterium im Rahmen der Frage der Zumutbarkeit des strafprozessualen Hauptverfahrens herangezogen wird und nicht der Legitimation seiner Durchführung dient. Der Regelungsgehalt der Unschuldsvermutung besteht darin, den Beschuldigten vor solchen Nachteilen zu schützen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist.160 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwehrt es die Unschuldsvermutung den Strafverfolgungsbehörden indes nicht, schon vor Abschluss der Hauptverhandlung verfahrensbezogen den Verdacht einer strafbaren Handlung eines Beschuldigten zu beurteilen.161 Vielmehr 157

Siehe § 407 Abs. 2 StPO. BVerfGE 120, 274 (326 f.); Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 270; Corts/Hege, JA 1976, 379; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar StPO (1994), Vor § 94 Rn. 10; Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 146 ff., S. 232; Krauß, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 153 (173 ff.). 159 BVerfGE 82, 106 (114 f.). 160 BVerfGE 74, 358 (371); 82, 106 (115); Möstl, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 179 Rn. 68. 161 BVerfGE 74, 358 (372); 82, 106 (115). 158

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sollen verfahrensbezogene Bewertungen von Verdachtslagen „für die Durchführung eines an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Strafverfahrens unerlässlich“ sein.162 Diese Auffassung wird auch in der Literatur geteilt.163 Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Verwertung eines Tatverdachts beziehungsweise eines bestimmten Verdachtsgrades keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellt, solange damit keine Effekte erzielt werden, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen. Daher ergibt sich auch aus der Unschuldsvermutung das bereits im Rahmen der Justizpflicht aufgestellte Erfordernis der Nichtberücksichtigung von (generalpräventiven) Strafzwecken im Strafverfahren, konkret also die Notwendigkeit, der Hauptverhandlung nicht die Funktion der Generalprävention zuzuschreiben. Andernfalls wäre eine Inanspruchnahme des Beschuldigten zum Zwecke des Hauptverfahrens auch ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.164 Sie verbietet es aber nicht, den Verdächtigen für die Hauptverhandlung in Anspruch zu nehmen, da der Tatverdacht insoweit ein taugliches Differenzierungskriterium darstellt.165 d) Zwischenergebnis Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit schränkt die Justizpflicht des Bürgers also insoweit ein, als er eine materielle Eingriffsschwelle erfordert, die überschritten werden muss, damit sich der Bürger dem strafprozessualen Hauptverfahren infolge seiner Justizpflichtigkeit stellen muss. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies zunächst, dass es einer gesetzlich definierten Voraussetzung bedarf, das Hauptverfahren durchzuführen. Hierbei handelt es sich um den Tatverdacht. 2. Verfahrensmäßige Absicherung durch richterliche Kontrolle Zwar ist nunmehr herausgearbeitet worden, dass von Verfassungs wegen eine Eingriffsvoraussetzung für die Durchführung des Hauptverfahrens notwendig ist. Damit ist aber die Frage noch nicht beantwortet, ob diese Voraussetzung eigens durch einen Richter geprüft werden muss. Denkbar wäre es auch, die Voraussetzungen nur durch die Anklagebehörde, also die Staatsanwaltschaft, prüfen zu lassen und – wenn diese die Voraussetzungen als gegeben ansieht – sogleich in das Hauptverfahren einzutreten oder aber das Eröffnungsgericht nur auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob alle Prozessvoraussetzungen gegeben sind.166 Bei der Beantwortung 162

BVerfGE 19, 342 (347 f.); 82, 106 (115). Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 270; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar StPO (1994), Vor § 94 Rn. 10; Gropp, JZ 1991, 804 (805 ff.). 164 Ähnlich Frister, Schuldprinzip, S. 92 ff. („Die Inanspruchnahme eines nicht rechtskräftig Verurteilten darf nicht mit der Zurechnung von Gefahren für die Normakzeptanz materiell gerechtfertigt werden“). 165 Frister, Schuldprinzip, S. 110 f. 166 Dies ist etwa die geltende Rechtslage in der Schweiz, dazu unten 3. Teil E. VI. 3. 163

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass dem Zwischenverfahren seit jeher der Zweck zugesprochen wird, präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten.167 Das Erfordernis einer (präventiven) richterlichen Kontrolle kann sich verfassungsrechtlich aus einem Richtervorbehalt und der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben. a) Richtervorbehalt, Rechtsschutzgarantie und das Zwischenverfahren Wann die richterliche Mitwirkung im Strafverfahren nun aufgrund der Rechtsschutzgarantie oder des Richtervorbehalts erfolgt, ist nicht immer eindeutig. Umstritten ist insbesondere das Verhältnis von diesem zu jener.168 Für im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in den Blick zu nehmender, denkbarer Reformvorschläge des Zwischenverfahrens ist die Frage, ob die richterliche Kontrolle vor der Hauptverhandlung erforderlich ist, von erheblichem Belang. Daher ist zu untersuchen, ob die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen Richter zwingende Folge von Richtervorbehalt oder Rechtsschutzgarantie ist. Bevor eine Zuordnung zu einer der Rechtsfiguren vorgenommen werden kann, sollen sie zunächst kurz genauer umschrieben werden. Die beiden verfassungsrechtlichen Institutionen eint ihre Funktion, Rechtsschutz durch den Richter im Falle einer Verletzung subjektiver (Grund-)Rechte des Individuums zu gewähren.169 Indes weisen beide Schutzvorkehrungen schon hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte Unterschiede auf. So ist der Richtervorbehalt älter als die Rechtsschutzgarantie. Er war schon in der Paulskirchenverfassung von 1848 für Verhaftungen und Durchsuchungen vorgesehen und fand 1877 Eingang in die Reichsstrafprozessordnung.170 Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wurde demgegenüber erst mit dem Grundgesetz eingeführt, das seinerseits auch Richtervorbehalte kennt171. Bei dem Richtervorbehalt handelt es sich um ein „eigenes – Art. 19 Abs. 4 GG ergänzendes – vorbeugendes Rechtsschutzmodell“.172 Er verlangt, dass von vornherein nur Gerichte über die Zulässigkeit bestimmter Maßnahmen entscheiden dürfen.173 Bedeutend ist ferner der Unterschied des Zeitpunkts 167 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, Materialien, S. 168. 168 Zu dieser Diskussion eingehend Rabe von Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizeiund Strafprozeßrecht, S. 410 ff.; Talaska, Der Richtervorbehalt, S. 56 ff. Zur Abgrenzung von Richtervorbehalt und Rechtsweggarantie ferner Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 92 Rn. 30 f. 169 Für Art. 19 Abs. 4 GG etwa Hufen, Staatsrecht II, § 44 Rn. 3; für den Richtervorbehalt Talaska, Der Richtervorbehalt, S. 56 f. 170 Rabe von Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozeßrecht, S. 27 ff. 171 Etwa in Art. 13 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, Art. 18 S. 2, Art. 21 Abs. 2 S. 2, Art. 98 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 GG. 172 Brüning, HRRS 2007, 250 (252). 173 Vgl. Voßkuhle, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 131 Rn. 2; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 92 Rn. 31; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 92 Rn. 2.

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der richterlichen Mitwirkung. Während der Richtervorbehalt regelmäßig vor der Rechtsverletzung greift, mithin typischerweise präventiven Rechtsschutz gewährt,174 bietet Art. 19 Abs. 4 GG nach herrschender Meinung grundsätzlich nur nachträglichen Rechtsschutz.175 Nur in besonderen Ausnahmefällen gewährt Art. 19 Abs. 4 GG auch präventiven Rechtsschutz.176 Damit ist eine wesentliche Hürde der Rechtsweggarantie benannt, die für eine etwaige Reform des Zwischenverfahrens zu berücksichtigen ist: Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit des Zwischenverfahrens speziell aus Art. 19 Abs. 4 GG kann sich von vornherein nur dann ergeben, wenn eine jener Situationen vorliegt, die präventiven Rechtsschutz veranlassen. Ein weiterer hier zu berücksichtigender Aspekt ist, dass die Rechtsschutzgarantie bereits ausweislich ihres Wortlauts nur die Möglichkeit gewährt, den Rechtsweg zu beschreiten,177 mithin die Schaffung eines Initiativrechts des Bürgers ausreichend ist, während sich der Richtervorbehalt dadurch auszeichnet, dass er nicht erst auf Initiative des Bürgers ausgelöst werden muss, sondern von vornherein ausschließlich ein Richter entscheiden darf.178 Zuletzt ist zu berücksichtigen, dass Art. 19 Abs. 4 GG für den Rechtsunterworfenen disponibel ist und daher keine Beeinträchtigung des Art. 19 Abs. 4 GG vorliegt, wenn der Betroffene wirksam auf Rechtsschutz verzichtet hat.179 Grundsätzlich reicht daher fakultativer Rechtsschutz aus.180 Vor diesem Hintergrund fordern Stimmen in der Literatur eine Reform des Zwischenverfahrens dahingehend, dass dieses nur noch auf Antrag des Beschuldigten hin durchgeführt werden soll.181 Auch der Richtervorbehalt ist allerdings insoweit disponibel, als wirksam in einen Grundrechtseingriff eingewilligt werden kann.182 Ist sonach eine wirksame Einwilligung seitens des Beschuldigten gegeben, kann das Hauptverfahren auch ohne vorhergehende richterliche Entscheidung durchgeführt werden. Handelte es sich also bei der richterlichen Prüfung der Eingriffsvoraussetzung „Tatverdacht“ um einen Richtervorbehalt, wäre die richterliche Prüfung der Eingriffsvoraussetzung zunächst obligatorisch, könnte aber bei einem wirksamen „Verzicht“ des Beschuldigten unterbleiben. Eine Antragslösung, wie sie bei Art. 19 Abs. 4 GG hinreicht, wäre aber nicht möglich. 174

Voßkuhle, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 131 Rn. 1. BVerfGE 139, 64 (135); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 148. 176 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 278. 177 BVerfGE 11, 232 (233); 49, 329 (340); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 134. 178 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 92 Rn. 2. 179 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 51a, Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Rn. 86; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 247; Schenke, in: Bonner Kommentar GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 30, betont, dass Art. 19 Abs. 4 GG primär dem Individualrechtsschutz zu dienen bestimmt ist. 180 So auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 65; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 133. 181 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 159; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 129. 182 Hierzu im Kontext des Ermittlungsverfahrens Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 157 ff. 175

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

Im Folgenden soll geprüft werden, ob die Rechtsschutzgarantie oder ein verfassungsrechtlicher Richtervorbehalt die Prüfung der Eingriffsvoraussetzung durch ein Gericht für die Durchführung des Hauptverfahrens erfordern. b) Präventiver Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG Grundsätzlich gebietet Art. 19 Abs. 4 GG eine richterliche Kontrolle, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Die vorliegend in Rede stehende Rechtsverletzung des Beschuldigten wurde bereits herausgearbeitet: Sie liegt in einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie in das Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 GG und ist in der Versetzung in den Stand eines Angeklagten zu sehen.183 Die Rechtsverletzung müsste durch die „öffentliche Gewalt“ erfolgen. Hierunter fällt nach gängiger Auffassung nur die vollziehende Gewalt. Nicht erfasst sind dagegen Rechtsprechung und Gesetzgebung.184 Die Versetzung in den Angeklagtenstatus erfolgt zwar de lege lata durch das Eröffnungsgericht, welches als Teil der Judikative gerade nicht vom Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG erfasst ist. Sie ist allerdings bedingt durch die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft, die zweifelsohne unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG fällt.185 Da hier zu untersuchen ist, ob eine richterliche Verdachtskontrolle überhaupt nötig ist, muss diese zunächst „weggedacht“ werden. Dann wäre es die staatsanwaltschaftliche Anklageerhebung, die unmittelbar in die Versetzung in den Stand eines Angeklagten mündete und zu den dargestellten Grundrechtsverletzungen führte.186 Daher handelt es sich um die vollziehende Gewalt, die es letztlich in der Hand hätte, eine Grundrechtsverletzung herbeizuführen. Somit wird der Beschuldigte durch die Versetzung in den Angeklagtenstatus durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt. In der Folge steht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG dem Beschuldigten der Rechtsweg offen. Die Vorschrift gewährt insbesondere auch „wirksamen Rechtsschutz“.187 Wichtig scheint es, in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Rechtsverletzung nicht die Anklageerhebung ist, die etwa im Nachhinein durch ein Gericht kontrolliert wird. Entscheidend ist, dass die relevante Rechtsverletzung zeitlich nach der richterlichen Verdachtskontrolle stattfindet. Die Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG greift indes nur ein, wenn sich der Rechtsschutz ausschließlich in präventiver Form als „effektiv“ erweist, 183

Siehe oben 2. Teil B. I. St. Rspr., zuletzt BVerfGE 107, 395 (403); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 42, 44; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 19 Rn. 118; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Rn. 48. 185 BVerfGE 103, 142 (156); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 42. 186 So auch Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 132; Unklar demgegenüber Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 63 ff., der nicht erkennen lässt, durch wen die Rechtsverletzung stattfindet. 187 BVerfGE 25, 263 (274); 101, 106 (122); Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 19 Rn. 143; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 229. 184

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ansonsten wäre repressiver Rechtsschutz ausreichend. Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus einer Analyse der spezifischen Wirkungsweise unter Einbeziehung des Belastungsgehalts des in Frage stehenden staatlichen Handelns. Sodann ist zu ermitteln, welche prozessualen Maßnahmen getroffen werden müssen, um den von Art. 19 Abs. 4 GG geforderten effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.188 Anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass die Rechtsweggarantie nur ausnahmsweise und namentlich dann vorbeugenden Rechtsschutz gewährt, wenn nachträglicher Rechtsschutz die Beeinträchtigung nicht mehr korrigieren könnte, was unter anderem dann der Fall ist, wenn kurzfristig vollendete Tatsachen geschaffen würden.189 Da der hier in Rede stehende Grundrechtseingriff gerade durch die Veranstaltung des (folgenden) Verfahrensabschnittes stattfindet und es sich hierbei zudem um einen faktischen Eingriff handelt, liegt es nahe, anzunehmen, dass nachträglicher Rechtsschutz die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nicht mehr zu korrigieren vermag. Die – der öffentlichen Gewalt zurechenbare – Verletzung findet vornehmlich durch das soziale Umfeld des Beschuldigten statt und er selbst sieht sich mit den geschilderten physischen und psychischen Wirkungen gerade bei der Durchführung des Hauptverfahrens konfrontiert. Auch die Folgewirkungen können selbst im Falle eines nachträglichen Freispruchs – semper aliquit haeret – verheerend sein. Inwieweit diese Rechtsverletzungen durch dem Hauptverfahren nachfolgenden oder im Hauptverfahren selbst gewährten Rechtsschutz wieder korrigiert werden können, ist nicht ersichtlich, ist es doch dieses Verfahren selbst, welches die unumkehrbare Grundrechtsverletzung beinhaltet. Daher spricht vieles dafür, die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens als einen Fall des präventiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG einzuordnen. Somit lässt sich hinsichtlich Art. 19 Abs. 4 GG festhalten: Das strafprozessuale Hauptverfahren ist eine Verletzung von Rechten durch die öffentliche Gewalt im Sinne der Rechtsschutzgarantie. Der damit begründete Anspruch auf effektiven Rechtsschutz wird durch die richterliche Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens gewährt. Zwar ist Art. 19 Abs. 4 GG auf nachträglichen Rechtsschutz angelegt. Für die richterliche Kontrolle des hinreichenden Verdachtes vor dem Hauptverfahren kommt aber nach hier vertretener Auffassung eine Ausnahme in Betracht. Das geltende Zwischenverfahren geht über das von Art. 19 Abs. 4 GG Verlangte hinaus, wenn es die richterliche Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts als zwingendes Recht ausgestaltet. Folglich können die Ausführungen Heghmanns, wonach Art. 19 Abs. 4 GG zwar grundsätzlich nur fakultativen Rechtsschutz gebiete, im Falle der Anklageerhebung aber zwingenden Rechtsschutz durch den Richter erfordere, weil die meisten Beschuldigten keinen Gebrauch von einer fa-

188 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 278 f.; ausführlich Schenke, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 644 ff. 189 BVerfG NVwZ 2009, 977 (978); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 58; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Rn. 107; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 279 spricht von einem „qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis“.

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kultativen Rechtsschutzmöglichkeit nach Anklageerhebung machen würden,190 nicht überzeugen. Denn erstens ist es unbestritten, dass Art. 19 Abs. 4 GG disponibel ist,191 zweitens lässt es sich kaum vertreten, dass der Rechtsschutz nur dann „effektiv“ ist, wenn der Verletzte ihn gewissermaßen ipso iure erlangt, da dies dem Grundgedanken der Rechtsschutzgarantie, die dem jeweils Verletzten ja nur die Möglichkeit des Rechtsschutzes einräumt, ihn aber nicht aufzwingt, widersprechen würde. Den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG ist daher bereits mit fakultativem Rechtsschutz, das heißt etwa einem Zwischenverfahren auf Antrag des Beschuldigten, Genüge getan. c) Präventiver Richtervorbehalt Zu einem anderen Ergebnis könnte man aber gelangen, wenn die richterliche Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens als Richtervorbehalt mit Verfassungsrang einzustufen wäre. Dann könnte von vornherein nur ein Richter über die Durchführung des Hauptverfahrens entscheiden. Die Einordnung als Richtervorbehalt liegt aus historischen Gründen nahe: Nach den Materialien zur RStPO ging die Kommission davon aus, dass schwerwiegende Grundrechtseingriffe, namentlich „Eingriffe in die Person oder die Vermögensrechte“ grundsätzlich „nur dem Richter zustehen“.192 Ferner war man der Ansicht, dass es dem Angeschuldigten nicht allein überlassen werden könne, gegen die Anklageerhebung nach eigenem Ermessen vorzugehen, sondern eine gerichtliche Entscheidung über die Anklage immer zwingend notwendig sei.193 Folglich lässt sich die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens jedenfalls als strafprozessualer, also einfachrechtlicher Richtervorbehalt qualifizieren. Fraglich ist, ob diesem auch Verfassungsrang zukommt. Der Gesetzgeber des Grundgesetzes hat ausdrückliche Richtervorbehalte nur in zwei strafprozessual relevanten Fällen normiert: Zum einen in Art. 13 Abs. 2 und 3 GG für Wohnungsdurchsuchungen, zum anderen in Art. 104 Abs. 2 GG für Freiheitsentziehungen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass das Grundgesetz in anderen Fällen keinen Richtervorbehalt verlangen würde: Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates hatten insbesondere aus historischer Erfahrung die missbräuchliche Wohnungsdurchsuchung im Blick, weswegen aus der eher spärlichen Normierung des Richtervorbehaltes im Grundgesetz nicht der Rückschluss gezogen werden kann, dass andere Grundrechte nicht auch einen Richtervorbehalt verlangen könnten.194 Es ist daher allgemein anerkannt, dass Richtervorbehalte auch jenseits der im Grund190

Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 69. Siehe nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 51a; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Rn. 86; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 247; vgl. auch Schenke, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 30. 192 Vgl. Gusy, GA 2003, 672 (676). 193 Vgl. bei Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, S. 417 Fn. 3. 194 Zur Entstehung der verfassungsrechtlichen Richtervorbehalte siehe Rabe von Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozeßrecht, S. 53 ff. 191

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gesetz ausdrücklich positivierten Fälle aus der Verfassung abgeleitet werden können.195 Für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens kommt daher ein solcher ungeschriebener verfassungsrechtlicher Richtervorbehalt in Betracht, was zur Folge hätte, dass die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zwingend dem Richter vorbehalten wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass bei einer besonders hohen Eingriffsintensität das Verhältnismäßigkeitsprinzip den Gesetzgeber dazu verpflichte, den Grundrechtsschutz nicht nur durch materielle Eingriffsschwellen (hier: der Tatverdacht) zu bewerkstelligen, sondern den Grundrechtsschutz für den Betroffenen auch durch geeignete Verfahrensvorkehrungen zu sichern.196 Angesprochen ist damit die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte, deren Erscheinungsform neben anderen Sicherungen gerade auch der Richtervorbehalt ist.197 Grund hierfür ist die persönliche und sachliche Unabhängigkeit und die strikte Bindung an das Gesetz, die den Richter nach dem Leitbild des Grundgesetzes (Art. 97 GG) charakterisiert und der die Rechte des Betroffenen so am sichersten zu wahren imstande ist.198 Namentlich dem durch die strafprozessuale Hauptverhandlung verletzten allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG lassen sich nach der Rechtsprechung Verfahrensgarantien für einen effektiven Grundrechtsschutz entnehmen.199 Bei der Begründung der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Richtervorbehalts hebt das Bundesverfassungsgericht jeweils auf dessen Zweck ab. Nach Auffassung des Gerichts bestehe dieser einerseits in der besonderen Schwere des Grundrechtseingriffs, der nicht – auch nicht vorübergehend – ohne richterliche Prüfung hingenommen werden müsse; andererseits trage er der prozessualen Besonderheit Rechnung, dass nachträglicher Rechtsschutz nicht mehr ausreichend sei, der Richtervorbehalt kompensiere also die Unmöglichkeit rechtzeitigen Rechtsschutzes,200 wie er ja ohnedies in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt ist. Von entscheidender Bedeutung ist also die Intensität des Grundrechtseingriffs. Dieser ist hier – wie eingangs ausgeführt – als durchaus beträchtlich anzusehen. Das folgt zum einen aus dem besonderen Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wie auch aus der Tatsache, dass die Durchführung der Hauptverhandlung als Vorstufe zu dem schärfsten staatlichen Eingriffsmittel – Verhängung einer Kriminalstrafe – eine der eingriffsintensivsten staatlichen Veranstaltungen sein kann. In dieser Situation sieht sich der im strafprozessualen Hauptverfahren in unangenehm exponierter Lage befindliche Angeklagte den mannigfaltigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht durch Familie, soziales Umfeld, Arbeitgeber, regionalen oder auch 195

Voßkuhle, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 131 Rn. 1. BVerfGE 100, 313 (361); 107, 299 (325); 118, 168 (202); 120, 274 (322, 326). 197 Lisken/Mokros, NVwZ 1991, 609 (610); Gusy, GA 2003, 672; Duttge, Der Begriff der Zwangsmaßnahme im Strafprozeßrecht, S. 213. 198 BVerfGE 77, 1 (51); 103, 142 (151); 107, 299 (325); BVerfG NJW 2004, 999 (1014). 199 Dazu etwa Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Rn. 137; BVerfGE 63, 131 (143). 200 BVerfGE 120, 274 (332); Voßkuhle, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 131 Rn. 33. 196

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2. Teil: Das Zwischenverfahren im Lichte des Verfassungsrechts

überregionalen Medien ausgesetzt und kann sich dem auch nicht auf redlichem Wege entziehen. Nicht umsonst spricht Gaede von einer „Sanktion durch Verfahren“. Gemessen an denjenigen Grundrechtseingriffen, bei denen das Bundesverfassungsgericht das Erfordernis eines Richtervorbehalts angenommen hat,201 steht der Eingriff durch die Versetzung in den Angeklagtenstatus und die damit einhergehende Veranstaltung des strafprozessualen Hauptverfahrens, welches zugleich als „Höhepunkt“ des gesamten Strafverfahrens qualifiziert wird und in dem sämtliche verfahrensrelevante, im Ermittlungsverfahren durch Grundrechtseingriff gewonnene Erkenntnisse abermals zur Sprache kommen, in nichts nach. Daher ist es ein Gebot der verfahrensrechtlichen Dimension des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens dem Richter zwingend vorzubehalten. d) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens dem Richter vorbehalten sein muss. Dies ergibt sich aus der Eingriffsschwere der öffentlichen Hauptverhandlung, deren Erduldung durch den Angeschuldigten nur dann verhältnismäßig ist, wenn zuvor auch verfahrensmäßig abgesichert wird, dass der Grundrechtseingriff wirklich notwendig ist, mithin aus der verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte. Das Rechtsschutzniveau durch den Richtervorbehalt ist insofern weiter als dasjenige durch Art. 19 Abs. 4 GG, als in den Richtervorbehalt zwar eingewilligt werden kann, dieser aber nicht von einem Antrag des Beschuldigten abhängig gemacht werden darf. Mithin ist der Gesetzgeber an das Erfordernis einer obligatorischen richterlichen Kontrolle der Eingriffsvoraussetzungen des Hauptverfahrens gebunden. 3. Ergebnis Die grundsätzlich bestehende Pflicht des Beschuldigten, sich dem strafprozessualen Hauptverfahren stellen zu müssen (Justizpflicht), wird in formeller und materieller Hinsicht eingeschränkt: Materiell, indem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine bestimmte Eingriffsschwelle erfordert, wobei es sich hierbei unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Grundstrukturen und Ziele des Strafverfahrens nur um das Kriterium des Tatverdachts handeln kann. Formell fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die Entscheidung, ob die materielle Eingriffsschwelle 201 Dies kam bisher insbesondere in Fällen des Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, siehe hierzu die Übersicht bei Voßkuhle, in: Handbuch des Staatsrechts der BRD, § 131 Rn. 34 ff.: Speicherung eines genetischen Fingerabdrucks eines verurteilten Straftäters, BVerfGE 103, 21 (34); Observation mittels eines „Global-Positioning-System“, BVerfGE 112, 304 (318 f.); Online-Durchsuchung, BVerfGE 120, 274 (331 ff.); auch wird ein ungeschriebener Richtervorbehalt nicht nur bei heimlichen Maßnahmen gefordert, vgl. dazu Britz, JA 2011, 81 (85).

C. Ergebnis zum zweiten Teil

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auch tatsächlich vorliegt, dem Richter vorbehalten bleibt. Nur wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, ist die Verfahrenslast, die der Beschuldigte im Hauptverfahren zu tragen hat, gerechtfertigt. Damit hat sich die These, wonach die richterliche Prüfung eines Tatverdachts vor Durchführung des Hauptverfahrens verfassungsrechtliche Mindestanforderung an die Phase zwischen Ende des Ermittlungsverfahrens und Beginn des Hauptverfahrens ist, bestätigt.

C. Ergebnis zum zweiten Teil Die Beleuchtung aus verfassungsrechtlicher Perspektive hat einige, in der Diskussion um das Zwischenverfahren oftmals vernachlässigte Erkenntnisse ans Licht gebracht: Zunächst einmal handelt es sich bei der Durchführung des Hauptverfahrens um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Freiheitsrecht des Beschuldigten, der als äußerst intensiv bezeichnet werden muss. Dass der Beschuldigte sich diesem weitverbreitet unkritisch als „rechtmäßig“ empfundenen und erklärten Eingriff, den er indes auch zu Unrecht erleiden kann, stellen muss, folgt nicht aus einem ihm zurechenbaren Tatverdacht, sondern aus einer justiziellen Aufopferungspflicht, die ihrerseits bestimmten Einschränkungen unterworfen ist. Eine zentrale Einschränkung ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches materielle und verfahrensrechtliche Eingriffsschwellen postuliert. Für das Hauptverfahren fungiert als materielle Eingriffsschwelle das Kriterium des Tatverdachts. Welche Anforderungen sich – speziell unter Berücksichtigung der hier entwickelten Einordnung als eine aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fließende Eingriffsschwelle – an die nähere Auslegung des für die Eröffnung notwendigen Tatverdachtsgrades ergeben, wird an späterer Stelle thematisiert.202 Zwingend ist darüber hinaus – als Ausprägung der verfahrensrechtlichen Dimension des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – das Erfordernis einer richterlichen Prüfung des Tatverdachts. Aus diesen Ergebnissen kann der Schluss gezogen werden, dass eine Abschaffung der richterlichen Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts vor Eröffnung des Hauptverfahrens verfassungsrechtlich nicht zulässig ist. Nach alledem kann die Hauptfunktion des Zwischenverfahrens aus verfassungsrechtlicher Perspektive als ein dem Rechtsstaatsprinzip und der verfahrensrechtlichen Dimension des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspringendes Erfordernis bezeichnet werden, welches sicherstellt, dass der Bürger nur in zumutbarem Maße mit einem strafrechtlichen Hauptverfahren belastet wird. Diese Erkenntnis wird im weiteren Verlauf der Untersuchung immer zu berücksichtigen sein und allen Erwägungen über Probleme des Zwischenverfahrens, der Auslegung seiner Vorschriften oder Reformvorschlägen zugrunde gelegt werden; sie ist damit gleichsam das theoretische Fundament der Arbeit.

202

Dazu unten 5. Teil C.

3. Teil

Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren Wie bereits dargestellt, entscheidet das Gericht nach der geltenden Rechtslage im Stadium des Zwischenverfahrens, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist. Zuständig ist gemäß § 199 Abs. 1 StPO dasselbe Gericht, das auch für die Hauptverhandlung zuständig ist, wobei Laienrichter gemäß §§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 1 S. 2 GVG nicht mitwirken, da es sich um eine Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung handelt. Grundlage der Eröffnungsentscheidung sind nicht nur die eingereichte Anklage, sondern auch die Ermittlungsakten sowie Ergebnisse einer vom Eröffnungsgericht gegebenenfalls vorgenommenen Beweiserhebung nach § 202 StPO und eine etwaige Stellungnahme des Angeschuldigten.1 Ein Auswahlrecht hinsichtlich der Ermittlungsakten steht der Staatsanwaltschaft nicht zu, sie hat sämtliche be- und entlastenden Materialien vorzulegen.2 Gemäß § 203 StPO eröffnet das Gericht das Hauptverfahren, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Voraussetzung für die Eröffnung ist mithin ein hinreichender Tatverdacht, der nach der herrschenden Auffassung vorliegt, wenn der Verdacht bei einer vorläufigen Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist.3 Über die genauen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit besteht allerdings Uneinigkeit. Teilweise wird von einem geringeren Tatverdacht als dem des dringenden Tatverdachts im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 StPO gesprochen,4 teilweise wird ein Überwiegen der Verurteilungswahrscheinlichkeit für ausreichend erachtet („es spricht mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch“),5 wiederum andere sprechen von einer „gesteigerten Verdachtsschwelle“6. Einigkeit besteht aber wohl dahingehend, dass jedenfalls dann nicht zu 1

Rieß, JURA 2002, 735 (738); Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 1. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 199 Rn. 2; umstritten ist in diesem Zusammenhang die Vorlagepflicht von für den Beschuldigten „bedeutungslosen“ Vorgängen, namentlich von Spurenakten, siehe hierzu Meyer-Goßner, NStZ 1982, 353 (356). 3 BGH NJW 1970, 1543 (1544); BGHSt 23, 304 (306) = NJW 1970, 2071 (2072); OLG Karlsruhe, StV 2012 (459); OLG Hamm, StV 2017 (301); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11. 4 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 4. 5 OLG Rostock, NZWiSt 2012, 386 (388); OLG Nürnberg, NJW 2010 (3793). 6 Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11. 2

A. Gesetzgeberische und rechtspolitische Entwicklung

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eröffnen ist, wenn – bei gleichbleibender Beweislage – ein Freispruch wahrscheinlicher als eine Verurteilung ist.7 Insoweit lässt sich jenseits der skizzierten Divergenzen im Detail festhalten, dass das Gericht im Falle einer Eröffnung des Hauptverfahrens in dieses mit der selbst gefundenen Überzeugung eintritt, der (dann) Angeklagte habe viel wahrscheinlicher eine Straftat verwirklicht als keine Straftat und wird folglich eher verurteilt als freigesprochen; es antizipiert damit in gewisser Weise die Schuldfrage. Dem gegenüber steht das eigentliche Ziel des Hauptverfahrens. Denn erst hier – auf dem „Höhepunkt des gesamten Strafprozesses“ – soll der endgültige, Rechtskraft schaffende Ausspruch über Schuld oder Unschuld des Angeklagten unter Beiziehung sämtlicher Beweismittel nach den Regeln des Strengbeweises und den Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, unter Kontrolle der Öffentlichkeit ergehen.8 Das Tatgericht legt, dies ergibt sich aus § 261 StPO, dem Urteil seine aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung zugrunde. Wenn aber dieselben (Berufs-)Richter in dieser Hauptverhandlung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten urteilen sollen, die sich zuvor bereits auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Straftatverwirklichung festgelegt haben, erscheint eine unvoreingenommene Herangehensweise prima facie nur schwerlich denkbar. Entsprechend vehement wird die Identität zwischen Tat- und Eröffnungsrichter von zahlreichen Stimmen in der Literatur kritisiert.9 Dieser zentrale Kritikpunkt soll im Folgenden zunächst historisch nachgezeichnet, sozialpsychologisch beleuchtet und sodann dem von der herrschenden Auffassung vertretenen „normativen Richterbild“ gegenübergestellt werden. Abschließend wird die Problematik unter besonderer Berücksichtigung der Garantie auf einen unparteilichen Richter aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK beleuchtet.

A. Gesetzgeberische und rechtspolitische Entwicklung bis zur heutigen Rechtslage Bereits im Rahmen der Beratungen zur RStPO wurde das Problem der Identität von Tat- und Eröffnungsrichter und der dabei entstehende Anschein der Befangenheit erkannt und diskutiert. Während ein erster Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1873 eine Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter noch nicht vorsah, wurde der Entwurf von 1877 mit der bereits erwähnten, im Zuge der Emminger-Verordnung 1924 aus Gründen der Sparsamkeit wieder abgeschafften Vorschrift des § 23 Abs. 3 7

Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 9. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 1. 9 Roesen, NJW 1959, 1861 (1862); Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 61 f.; Schünemann, GA 1978, 161 (172); Sessar, ZStW 1980, 698 (703); Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 74; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 3; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. Rn. 19; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 20; Traut/Nickolaus, StraFo 2012, 51 ff.; M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (335); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 622.1. 8

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

RStPO versehen.10 Danach war der Berichterstatter des Zwischenverfahrens von der Hauptverhandlung ausgeschlossen und insgesamt durften nicht mehr als zwei derjenigen Richter, die an der Eröffnungsentscheidung mitgewirkt hatten, am Hauptverfahren teilnehmen. Die Vorschrift war indes nicht unumstritten. Ihre Gegner führten bereits damals fiskalische Erwägungen und „die Erfahrungen der Praxis“ ins Feld, die zeigten, dass Eröffnungsrichter auch im Hauptverfahren hinreichend unbefangen seien und überdies ein organisatorischer Mehraufwand nicht zu leisten sei.11 Darüber hinaus sei die Tätigkeit eines Richters im Eröffnungsverfahren eine andere als die in der Hauptverhandlung und letztlich besitze auch der Richter des Hauptverfahrens im Falle der Existenz eines separaten Eröffnungsgerichts Zugriff auf die (Voruntersuchungs-)Akten.12 Demgegenüber forderten die Befürworter einer personellen Trennung zunächst den Ausschluss aller Richter vom Hauptverfahren, die an der Eröffnungsentscheidung mitgewirkt haben.13 Es sei „etwas sehr Menschliches“, dass sich der Richter im nachfolgenden (Haupt-)Verfahren von seinen angestellten Erwägungen leiten lasse.14 Dies liege in erster Linie daran, dass der Richter im Eröffnungsverfahren das Aktenmaterial darauf hin zu prüfen habe, inwieweit die dort niedergelegten Beweismittel eine hinreichende Beweiskraft entfalteten und daher eine vorweggenommene Beweiswürdigung durchführen müsse, von der er sich nicht mehr distanzieren könne.15 Letztlich konnten sich in der Kommission die Befürworter durchsetzen. Der Kommissionsbericht hob maßgeblich darauf ab, dass das Argument des verschiedenen Prüfungsmaßstabes von Eröffnungsentscheidung und Schuldspruch nicht durchgreife, da im Eröffnungsverfahren eine derart intensive Befassung des Richters mit der Sache stattfinde, dass sich der Richter im Hauptverfahren hiervon nicht mehr befreien könne.16 Ferner sei mit einer solchen Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens dem Mündlichkeitsprinzip besser Rechnung getragen.17 10

Siehe hierzu oben 1. Teil A. II. Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1226. 12 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1226. 13 Der Ausschluss des Eröffnungsrichters wurde erstmals in der Sitzung vom 11. 06. 1875 von dem Abgeordneten Schwarze beantragt, Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 559 f. 14 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1227. 15 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1226. 16 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1541. 17 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1541. 11

A. Gesetzgeberische und rechtspolitische Entwicklung

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Indes fand der Vorschlag der Kommission im Bundesrat, der Vertretung der Gliedstaaten im Kaiserreich, keine Mehrheit. Hier wurde der generelle Ausschluss des Eröffnungsrichters nicht befürwortet.18 Stattdessen einigte man sich auf eine Kompromisslösung, wie sie sodann mit § 23 Abs. 3 RStPO (Ausschluss des Berichterstatters; nicht mehr als zwei mitwirkende Richter des Eröffnungsverfahrens im Hauptverfahren) im Jahre 1879 in Kraft trat. Nachdem diese Vorschrift durch die Emminger-Verordnung 1924 abgeschafft wurde,19 rückte eine personelle Trennung von Tat- und Eröffnungsgericht erst nahezu 40 Jahre später wieder in den Fokus des Gesetzgebers. Im Zuge der Einführung des StPÄG im Jahre 1964 wurde eine personelle Trennung erneut diskutiert.20 Auch hier beriefen sich deren Gegner, zu denen auch die damalige Bundesregierung gehörte,21 einerseits auf die Impraktikabilität einer solchen Regelung, da bestimmte Gerichte personell spärlich besetzt seien und im Falle eines Ausschlusses des Eröffnungsrichters das ganze Gericht „lahmgelegt“ werden könne, weil nicht mehr ausreichend viele Richter für das Hauptverfahren zur Verfügung stünden.22 Andererseits empfand man die der Forderung zugrunde liegende These einer generellen Voreingenommenheit als mit dem „richtigen Berufsbild des Richters“ unvereinbar und bekräftigte das „Vertrauen zum deutschen Richterstand, daß er diesem Berufsbilde […] entspricht“. Die Befürworter einer personellen Trennung – die im damaligen Rechtsausschuss die Mehrheit für sich beanspruchten – verwiesen im Wesentlichen auf die Argumente, die schon in der Diskussion zur RStPO vorgebracht wurden.23 Im Ergebnis konnten sich die Gegner einer personellen Trennung durchsetzen, sodass es bei einer Aufrechterhaltung des status quo blieb.24 Da aber die Problematik durchaus ernst genommen wurde, sollte die Frage im Rahmen einer großen Prozessreform neu aufgegriffen werden.25 Eine solche Prozessreform steht allerdings bis heute aus. Die Gesetzgebungsentwicklung hat somit verdeutlicht, dass eine Trennung von eröffnendem und erkennendem Gericht von den Urhebern der RStPO als notwendig erachtet wurde. Auch in der Folge wurde die Notwendigkeit einer solchen Ausge18 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 1620. 19 Siehe bereits oben 1. Teil A. II., sowie allgemein zu dieser Verordnung T. Vormbaum, Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924. 20 69. Sitzung der 4. Wahlperiode, S. 3124 ff.; teilweise abgedruckt in DRiZ 1963, 158 (161). 21 Abgeordneter Hoogen, DRiZ 1963, 158 (163). 22 So der Abgeordnete Memmel im Rahmen der Beratung zur zweiten Lesung, DRiZ 1963, 158 (161). 23 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 54. 24 Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 54. 25 Siehe etwa BT-Verh. 4/69, S. 3127 (Abgeordneter Schlee); BT-Verh. 4/132, S. 6472 ff. (Abgeordnete Jahn und Diemer-Nicolaus).

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

staltung des Zwischenverfahrens erkannt, aber eine entsprechende Regelung – primär aus fiskalischen Erwägungen – nicht erlassen, sondern einer großen Reform der StPO überantwortet, die bis heute nicht stattgefunden hat. Bezeichnend ist es dabei insbesondere, dass § 23 Abs. 3 RStPO nur aus Gründen der Sparsamkeit abgeschafft und bis zum heutigen Tage nicht wiedereingeführt wurde.

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse Dass die geltende Regelung in hohem Maße problematisch ist, weil der mit dem Zwischenverfahren vorbefasste Richter im Hauptverfahren letztlich nicht mehr ergebnisoffen agieren wird, lässt sich sozialpsychologisch erklären und empirisch belegen.

I. Psychologische Effekte bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen Am Ende des (idealtypischen) Strafverfahrens verlangt § 261 StPO, dass sich der Richter eine Überzeugung bildet, um ein Urteil fällen zu können. Hierzu muss er vorab die dafür benötigten Informationen wahrnehmen und gedanklich ordnen. Das Strafverfahren ist also in erster Linie ein Erkenntnisprozess.26 Die These vom Richter als „Subsumtionsautomaten“ ist seit langem aufgegeben, es ist eine banale Erkenntnis, dass jeder Strafrichter ein Mensch ist, der seine Persönlichkeit, seine Vorstellungen und Wertungen in den richterlichen Entscheidungsprozess einbringt.27 Richterliche Tätigkeit erfordert auch zahlreiche Wertungen, die Persönlichkeit der Richterperson ist folglich notwendiger Bestandteil von Entscheidungsfindung und Rechtsanwendung.28 Im deutschen Strafverfahren ist es das Stadium des Zwischenverfahrens, das dem Richter die erstmalige Einarbeitung in eine Strafsache abverlangt, in dem er also erstmals mit ihr konfrontiert wird. Nimmt man sich der Problematik der Vorbefassung eines Richters im Verlaufe des (strafprozessualen) Erkenntnisverfahrens an, erscheint es geradezu unumgänglich, sich zunächst mit dem Forschungsstand der Psychologie hinsichtlich der menschlichen Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen vertraut zu machen. 26 Krekeler, Strafprozessordnung, Einl. R. 7; Sommer, Effektive Strafverteidigung, Kap. 3 Rn. 25. 27 Siehe nur Kaufmann, in: Baumann, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag, S. 295 (299); Schreiber, Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag 1985, 757 (761). 28 Küper, Die Richteridee der Strafprozessordnung und ihre geschichtlichen Grundlagen, S. 20 f.; Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 70; Klein, DRiZ 1975, 166 (168); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 24.

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse

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1. Die psychisch herausragende Bedeutung der Erstinformation: Der „Primacy-effect“ Es gilt in der Psychologie als gesichert, dass im Rahmen einer Serie frei und ohne Anleitung aufgenommener Informationen diejenige Information am besten aufgenommen und auch behalten wird, die der Mensch zuerst wahrnimmt. Dieser Effekt wird in der Wissenschaft als „Primacy-effect“ bezeichnet.29 Neuere Untersuchungen lassen erkennen, dass eine starke Tendenz zur Assimilation der späteren Eindrücke an den ersten Eindruck besteht. Daher ist bei jeder Informationsaufnahme die zuerst wahrgenommene Information von herausragender Bedeutung, da alle weiteren, hinzukommenden Informationen an dieser sich im menschlichen Gehirn verfestigten Primärinformation gemessen werden.30 Mit anderen Worten dient eine erstmals wahrgenommene Information stets als Ausgangsbasis für alle weiteren Erwägungen. Zwar ist auch ein gegenteiliger Effekt („Recency-effect“), wonach die später eingehende Information den größeren Einfluss hat, bekannt. Allerdings tritt dieser Effekt meist dann auf, wenn ein Proband bei der Informationsaufnahme angeleitet wird, also etwa eine Serie von Informationen in schneller Abfolge aufnehmen muss, was beispielsweise beim schnellen Auswendiglernen von Begriffen der Fall ist. Daher wird dieser Effekt in erster Linie als Gedächtnisproblem gedeutet.31 In aller Regel kommt es bei der freien Wahrnehmung allerdings zum „Primacy-effect“,32 sodass der Reihenfolge der dargebotenen Informationen – im Strafverfahren also der Beweismittel – entscheidende Bedeutung zukommt. 2. Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger) Ist der erkennende Richter wie jeder andere Mensch vor bestimmten wahrnehmungspsychologischen Phänomenen – wie etwa dem oben skizzierten „Primacy effect“ – nicht gefeit, läuft er Gefahr, vorurteilsbelastet in einen Entscheidungsprozess einzutreten.33 Umgekehrt ist ein gewisser Grad an Vorbefassung, das heißt die Existenz von Vor-Eindrücken bei der Richterperson, geradezu zwingend erforderlich. Denn die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen kann nur er29 Grundlegend Asch, Journal of abnormal and social psychology 41, 258 (271 f.); Fischer/ Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, S. 249 f.; Abele-Brehm, in: Bierhoff/Frey/Bengel, Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, S. 396 (397). 30 Fischer/Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, S. 250. 31 Abele-Brehm, in: Bierhoff/Frey/Bengel, Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, S. 396 (397); Guthke, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, S. 160 (Fn. 33); Der Recency-Effekt wurde zwar bei Geschworenen im anglo-amerikanischen Strafverfahren nachgewiesen, konnte aber für das deutsche Prozessmodell nicht belegt werden, vgl. Bandilla/R. Hassemer, StV 1989, 551. 32 Abele-Brehm, in: Bierhoff/Frey/Bengel, Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, S. 396 (397); Krech/Crutchfield/Wendt, Grundlagen der Psychologie, S. 482. 33 Schneider, DRiZ 1978, 43; Bandilla/Hassemer, StV 1989, 554.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

folgreich funktionieren, wenn bereits ein bestimmtes „Vorwissen“ existent ist, die aktuelle Wahrnehmung mit anderen Worten also auf bereits im Gedächtnis abgespeicherte Wahrnehmungen trifft und mit diesen abgeglichen werden kann.34 Zugespitzt lässt sich formulieren, dass das Vor-Verständnis eine Bedingung des Verstehens ist.35 Anerkannt ist, wie bereits dargestellt, auch, dass einmal gewonnene Vor-Eindrücke die weitere Wahrnehmung eines Menschen maßgeblich leiten.36 Wie Menschen mit den zuvor gewonnenen Wahrnehmungen umgehen, wenn weitere, der ersten Wahrnehmung entgegenstehende Wahrnehmungen hinzutreten, beschreibt die von Festinger entwickelte und von Irle weitergeführte Theorie der kognitiven Dissonanz.37 Sie besagt, dass der menschliche Organismus bestrebt ist, „eine Konsistenz unter den Kognitionen herzustellen“.38 Jeder Mensch erstrebt danach ein inneres Gleichgewicht in seinem kognitiven System im Sinne einer widerspruchsfreien Anordnung seines Wissens.39 Kommt es zu dissonanten, also widersprüchlichen Wahrnehmungen, erzeugt dies bei Menschen einen Druck zur Reduktion dieser Dissonanz, da das menschliche Gehirn bestrebt ist, Widersprüche möglichst schnell aufzulösen.40 Eine solche Dissonanzreduktion kann auf verschiedene Arten erfolgen. Die zwei für die vorliegende Thematik relevanten Mechanismen sollen im Folgenden dargestellt werden. a) Der Inertia- oder Perseveranzeffekt Nach dem so genannten Inertia-Effekt41 („Trägheitseffekt“, auch Perseveranzeffekt genannt) überschätzen Menschen systematisch solche Informationen, die eine zuvor akzeptierte Hypothese bestätigen, während Informationen, die sich zu der vormals akzeptierten Hypothese dissonant verhalten, systematisch unterschätzt werden.42 Das menschliche Gehirn strebt also danach, neu eingehende Wahrneh34 Fischer/Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, S. 191 f.; Schünemann, GA 1978, 161 (168 f.). 35 Kaufmann, in: Baumann, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag, S. 295 (302); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 131. 36 Grassberger, Psychologie des Strafverfahrens, S. 171; Maisch, NJW 1975, 566 (569). 37 Festinger, A theory of cognitive dissonance; Festinger/Irle/Möntmann, Theorie der kognitiven Dissonanz; Irle, Kursus der Sozialpsychologie, S. 302 ff. 38 Festinger/Irle/Möntmann, Theorie der kognitiven Dissonanz, S. 253. 39 Festinger/Irle/Möntmann, Theorie der kognitiven Dissonanz, S. 253; Peus/Frey/Stöger, in: Handbuch der Psychologie, S. 373; Schünemann, StV 2000, 159 (160). 40 Festinger/Irle/Möntmann, Theorie der kognitiven Dissonanz, S. 256; Peus/Frey/Stöger, in: Handbuch der Psychologie, S. 373; Schünemann, StV 2000, 159 (160); Eschelbach, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 29 (32). 41 Erstmals so benannt von Pitz/Downing/Reinhold, Canadian Journal of Psychology 21 (1967), 381. 42 Greitemeyer/Fischer/Frey, in: Handbuch der Psychologie, S. 336 (339 f.); Schünemann, StV 2000, 159 (160); Bandilla/Hassemer, StV 1989, 551 (552 f.).

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse

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mungen der zuvor gebildeten Vorstellung möglichst anzupassen. In extrem gelagerten Fällen kann dieser Effekt also letztlich bewirken, dass einmal gefundene Ansichten geradezu immun gegen neu wahrgenommene, aber zugleich widersprechende Informationen sind.43 b) Prinzip der selektiven Informationssuche und „confirmation bias“ Eine zweite Möglichkeit zur Verringerung erlebter Dissonanz ist die selektive Suche nach Informationen.44 In diesen Kontext sind auch der so genannte „confirmation bias“ (Bestätigungsfehler) und das Prinzip der selektiven Informationssuche einzuordnen.45 Zwar konnte sich keine einheitliche Definition des Begriffs „confirmation bias“ entwickeln, in der Literatur findet sich allerdings des Öfteren folgende, sich teils mit dem Perseveranzeffekt überschneidende, Definition: Es ist anerkannt, dass eine Person, die eine bestimmte Hypothese einmal akzeptiert hat, solche Informationen bevorzugt sucht, eher wahrnimmt, stärker gewichtet und besser in Erinnerung behält, die die Hypothese bestätigen, als solche, die die Information nicht bestätigen.46 Dagegen werden Informationen, die gegen die favorisierte Hypothese sprechen, nicht gesucht, kaum wahrgenommen, unterbewertet, vergessen, nicht dokumentiert oder durch Überhöhung gegenteiliger (im Strafverfahren: verdachtskonformer) Informationen eliminiert.47

II. Übertragung auf das Zwischenverfahren Überträgt man die skizzierten Erkenntnisse der Psychologie auf die gegenwärtige Ausgestaltung des Zwischenverfahrens, so muss die Problematik der Vorbefassung unter zwei vom Normprogramm der §§ 199 ff. StPO vorgegebenen Tätigkeiten des Richters genauer betrachtet werden. Erstens sieht § 199 Abs. 2 StPO vor, dass der Richter im Zwischenverfahren erstmals Kenntnis von Anklage und Akten erlangt. Hält er die Voraussetzung der Eröffnung des Hauptverfahrens für gegeben, muss er – zweitens – das Hauptverfahren eröffnen, trifft damit eine Verurteilungsprognose.48 43

Ähnlich Krech/Crutchfield/Wendt, Grundlagen der Psychologie, S. 482 f. Peus/Frey/Stöger, in: Handbuch der Psychologie, S. 373 (376); Fischer/Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, S. 305; Schünemann, StV 2000, 159 (160); Eschelbach, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 29 (32). 45 Hierzu Peus/Frey/Stöger, in: Handbuch der Psychologie, S. 373 (S. 376). 46 Guthke, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, S. 153 (S. 158); Eschelbach, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 29 (32); Pohl, Cognitive illusions, S. 93. 47 Eschelbach, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 29 (32); Guthke, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, S. 153 (155 ff.); Bandilla/R. Hassemer, StV 1989, 551 (553 f.). 48 Ebenso Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 88 f.; Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 211 f. 44

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

1. Kenntniserlangung von Anklage und Akten Gemäß § 199 Abs. 2 S. 2 StPO legt die Staatsanwaltschaft im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage dem Eröffnungsgericht neben der Anklageschrift auch die Akten vor. Die Lektüre von Anklageschrift und Ermittlungsakten ist eine notwendige Vorstufe zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Hier wird das Gericht erstmals über den Ertrag der bis dahin großenteils49 staatsanwaltschaftlich geführten Ermittlungen in Kenntnis gesetzt. Grundlage dessen sind die von Polizei und Staatsanwaltschaft produzierten Akten. Der Einfluss der Verteidigung ist bis zu diesem Zeitpunkt regelmäßig marginal.50 Bereits diese Kenntnis des Falles „nach Aktenlage“ beeinflusst den ersten Eindruck des Gerichts über den Beschuldigten in entscheidender Weise.51 Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang nämlich die Erkenntnisse der Psychologie über den „Primacy-effect“, wonach das menschliche Gehirn früher eingehende Informationen deutlich besser erinnert als später eingehende, nachfolgende Informationen, so muss konstatiert werden, dass die richterliche Lektüre der Akten – wie sie von § 199 StPO und § 203 StPO vorausgesetzt wird – zumindest zu einer Gefährdung der Unvoreingenommenheit des Richters im Hauptverfahren führen kann.52 Diese Problematik durchzieht gewiss das gesamte folgende Erkenntnisverfahren53 und ist daher nicht rein auf das Zwischenverfahren beschränkt. Gleichwohl nimmt die Problematik im Abschnitt über die Eröffnung des Hauptverfahrens ihren Lauf und kann deshalb in dieser Untersuchung nicht ausgeblendet werden. Aufgrund der Vorbefassung des Richters schon zu Beginn des Zwischenverfahrens liegt es zudem nahe, dass bereits dieser Verfahrensabschnitt psychologisch gesehen nicht mehr gänzlich ergebnisoffen geführt werden kann. Dies liegt zunächst daran, dass sich das Eröffnungsgericht die vonseiten der Staatsanwaltschaft vorgelegte Hypothese in Gestalt von Anklageschrift und Akteninhalt zwar nicht – die Hypothese steht ja gerade zur Überprüfung durch das Gericht – zu eigen macht, wohl aber zur Grundlage seines weiteren Vorgehens machen wird54 und 49

Ungeachtet vereinzelter Maßnahmen des Ermittlungsrichters. Positiv sind daher die jüngeren rechtspolitischen Bestrebungen hinsichtlich eines „partizipatorischen Ermittlungsverfahrens“ zu sehen, siehe nur Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, S. 27 ff. 51 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 92 ff. 52 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 92 ff.; Grassberger, Psychologie des Strafverfahrens, S. 331; Schünemann, in: Gamm, Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht, S. 461 (477 f.); Schünemann, StV 2000, 159 (160); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 215. 53 So würde der Richter auch, wenn er nicht schon als Richter im Eröffnungsverfahren die Akten studiert hätte, diese spätestens im Rahmen der Vorbereitung der Hauptverhandlung lesen. Hier ergäbe sich dann dieselbe Problematik. 54 Arzt, Der befangene Strafrichter, S. 65; Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 93; Schünemann, StV 2000, 159 (160 f.); Kierzkowski, Die Unpartei50

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse

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hierfür das in der Anklageschrift geschilderte Geschehen zunächst einmal akzeptiert. Teils wird die Anklage gar „als wichtiges Mittel für die Durchführung des weiteren Verfahrens“ und in der Folge als „Entlastung der Justiz“ verstanden.55 Bereits das ist aber problematisch, da die Gefahr besteht, dass der Richter infolge der Informationen der Staatsanwaltschaft, namentlich der Anklageschrift, dem „Primacy-effect“ unterworfen ist und demnach alle folgenden eingehenden Informationen unter diesem Blickwinkel wahrnehmen wird.56 Im weiteren Verlauf des Zwischenverfahrens, aber immerhin erst nach der richterlichen Lektüre von Anklage und Akten durch das Gericht, eröffnet § 201 StPO dem Angeschuldigten zwar die Möglichkeit, Einwendungen und Anträge vorzubringen, über die das Gericht zu entscheiden hat. Für den (in der Praxis seltenen57) Fall, dass der Angeschuldigte oder sein Verteidiger solche Einwendungen und Beweisanträge an das Eröffnungsgericht adressiert, erscheint es aufgrund des Perseveranzphänomens zumindest wahrscheinlich, dass die darin vorgebrachten Informationen, die sich zu den von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Informationen tendenziell dissonant verhalten, durch den Richter systematisch unterschätzt werden und damit eine effektive Verteidigung erheblich erschwert wird. Nach § 202 StPO kann das Gericht zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen auch selbst anordnen. Hat sich aber das in den Akten und in der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft niedergelegte Bild des verfahrensgegenständlichen Geschehens bei dem Eröffnungsrichter aufgrund des „Primacy-effects“ bereits verfestigt, so wird er – den Erkenntnissen des Prinzips der selektiven Informationssuche folgend – eher darauf bedacht sein, im Falle der Notwendigkeit einer Sachaufklärung nach § 202 StPO solche Beweismittel zu suchen, die die Anklage stützen, als nach entlastendem Beweisstoff Ausschau zu halten, um so eine (möglicherweise auch unbewusste) Dissonanzreduktion zu erzielen. Gegen diese Bedenken ließe sich einwenden, dass das Zwischenverfahren seinem Zweck nach gerade dazu dient, die Hypothese der Staatsanwaltschaft zu widerlegen und für das Gericht die Aussicht, das Verfahren bei einer Ablehnung der Eröffnung nicht durchführen zu müssen, gar motivierend wirken könne. So könnte man zunächst der Ansicht sein, dass die oben skizzierte psychologische Problematik durch die Aussicht auf „Arbeitsentlastung“ wieder relativiert wird. Dementsprechend wird der bisweilen erhobenen Forderung nach einer Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter entgegengehalten, dass deren Identität gerade vorteilhaft sei, weil das Gericht in Ansehung einer womöglich aufwändigen Hauptverhandlung schon im Zwischenverfahren besonders sorgfältig vorgehe und im Ergebnis das Risiko der

lichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 215. 55 So explizit Rieß, JURA 2002, 735 (737). 56 Beispiel bei Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 93. 57 Siehe hierzu unten 4. Teil B. I.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Befangenheit überwiege.58 Ein solcher Schluss lässt sich aber mit dem geschilderten Phänomen des „Primacy-effects“ nur schwerlich vereinbaren. Die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten und erstmals wahrgenommene Sach- und Rechtslage wird – wie gezeigt – systematisch überschätzt und eher für richtig gehalten. Plausibler erscheint es daher, von einer zu oberflächlichen und unkritischen Prüfung der Voraussetzungen des § 203 StPO auszugehen, was sich durch den so genannten „Schulterschlusseffekt“ zusätzlich untermauern lässt. Diese maßgeblich von Schünemann geprägte Begrifflichkeit beschreibt die Besonderheit, dass die Hypothesen der Staatsanwaltschaft durch Richter grundsätzlich als objektiv interpretiert werden, während solche der Verteidigung eher als subjektive „womöglich erkaufte Zweckhypothesen diskreditiert“ würden. Folge dessen sei, dass in allen kognitiv nicht eindeutigen Situationen der Anklagehypothese ein Vertrauensvorschuss gewährt werde.59 Dies basiere insbesondere auf einer „organisatorischen Verzwirnung“ zwischen Richtern und Staatsanwälten, wie sie im internationalen Vergleich nahezu einmalig sei.60 In der Tat lässt sich die These vom Schulterschlusseffekt nicht ohne Weiteres in Abrede stellen. Er ist sogar, was das Eröffnungsverfahren angeht, in der StPO angelegt. So bewirkt der Gleichlauf der Vorschriften der § 170 und § 203 StPO – beide setzen nach der herrschenden Auffassung denselben Begriff des hinreichenden Tatverdachts voraus61 – dass sich der Richter im Zweifel auf die vorhergehende Prüfung anhand desselben Maßstabs durch einen qualifikationsmäßig ebenbürtigen Staatsanwalt verlassen wird, ihm also einen „Vertrauensvorschuss“ gewährt. Der Gleichlauf der §§ 170, 203 StPO schwächt damit die Argumentation, wonach der Richter, der später selbst verhandeln muss, sorgfältiger prüfe und das Risiko einer Voreingenommenheit aus diesem Grunde zu vernachlässigen sei, massiv ab, was sich nach Schünemann mit der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse erklären lässt, wonach sich eine Person in einer unklaren Situation an der vorangegangenen Beurteilung einer von ihm als kompetent akzeptierten Vergleichsperson orientiert.62 Als problematisch dürfte sich hier zudem die Vorschrift des § 210 StPO erweisen. Sie setzt hier insofern einen falschen Anreiz, als sie die Eröffnung des Hauptverfahrens im Vergleich zur Nichteröffnung deutlich erleichtert, da nur bei letzterer eine Begründungspflicht und die Möglichkeit der Anfechtung dieses Beschlusses besteht.63 Damit begünstigt sie auch aus psychologischer Sicht strukturell die unkritische Eröffnung infolge selektiver Wahrnehmung der angebotenen Beweismittel.

58 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 53 f.; Kulemann, GS 51 (1895), 81 (99). 59 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 69 Rn. 2. 60 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 69 Rn. 2, 13. 61 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 170 Rn. 1; Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 170 Rn. 3. 62 Schünemann, StV 2000, 159 (162); Irle, Kursus der Sozialpsychologie, S. 174. 63 Eschelbach, GA 2019, 593 (604).

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse

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2. Feststellung des hinreichenden Tatverdachts bei Erlass des Eröffnungsbeschlusses Weiterhin problematisch – und Kern der Kritik am Zwischenverfahren in seiner geltenden Form – ist der Erlass des Eröffnungsbeschlusses durch den späteren Tatrichter. Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Gelangt das Eröffnungsgericht nach Durchlaufen des Zwischenverfahrens zu derselben Einschätzung wie die Staatsanwaltschaft, nämlich dass ein hinreichender Tatverdacht gegeben, mit anderen Worten die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist, muss es gemäß § 203 StPO das Hauptverfahren eröffnen. Aus sozialpsychologischer Perspektive zwingt das Gesetz den Richter, der nach der Grundsystematik der StPO erst in der Hauptverhandlung – dem Höhepunkt des Strafverfahrens64 – endgültig über die Strafbarkeit des Beschuldigten entscheidet, zur Bildung einer Hypothese noch vor Beginn dieser Hauptverhandlung. Teilweise wird der Erlass des Eröffnungsbeschlusses daher auch in der Rechtswissenschaft als „gesetzlich verlangtes Vorurteil“ bezeichnet.65 Eine explizit positive Feststellung des Bestehens eines hinreichenden Tatverdachts erfolgt zwar seit dem StPÄG nicht mehr66, gleichwohl ändert dies nichts daran, dass das Eröffnungsgericht nunmehr zu erkennen gibt, es gehe davon aus, der Beschuldigte habe aufgrund der Ermittlungsergebnisse mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Straftat begangen und werde daher bei vorläufiger Tatbewertung verurteilt. Fraglos setzt der zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses erforderliche hinreichende Tatverdacht nach gängiger Definition nur eine „vorläufige Tatbewertung“ voraus, eine anderweitige Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach Erlass eines Eröffnungsbeschlusses ist noch jederzeit möglich.67 Nichtsdestotrotz kann die Entscheidung aus sozialpsychologischer Sicht nicht mehr als nur vorläufig im Sinne einer für die entscheidenden Richter leichten Revidierbarkeit gekennzeichnet werden. Zunächst ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Entscheidung auf einem als abgeschlossen und ausermittelt betrachteten Ergebnis basiert.68 Dies unterscheidet den hier interessierenden hinreichenden Tatverdacht auch maßgeblich vom dringenden Tatverdacht: Während ersterer auf der Grundlage des abgeschlossenen Ermittlungsergebnisses basiert, fußt letzterer auf dem gegenwärtigen Stand der Ermitt-

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Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 44 Rn. 1. Eschelbach, in: Kempf/Jansen/Müller, Festschrift für Christian Richter II, S. 114. 66 Siehe hierzu oben 1. Teil A. IV. 67 BGHSt 23, 304 (306) = NJW 1970, 207; BayObLG NStZ 1983, 123; OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2009, 88; OLG Köln, BeckRS 2014, 22479 Rn. 3; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 3; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 4. 68 Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 213; vgl. ferner Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 11. 65

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

lungen, der sich aber jederzeit ändern kann und also nur vorläufig ist.69 Verstärkt wird der psychologische Charakter der Endgültigkeit der Feststellung des hinreichenden Tatverdachts dadurch, dass der Eröffnungsbeschluss nach vorherrschender Auffassung nicht mehr widerrufen oder zurückgenommen werden kann.70 Aus Sicht der Sozialpsychologie muss daher festgehalten werden, dass das Eröffnungsgericht spätestens in dem Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens eine (Verurteilungs-)Hypothese gebildet hat, die es nun – dem „confirmation bias“ und dem Perseveranzeffekt unterliegend – in der Hauptverhandlung zu bestätigen sucht. Es dürfte sich um keine Besonderheit handeln, wenn im Hauptverfahren letztlich nur noch eine Art bestätigender Abgleich der dort eingeführten Beweismittel mit der dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegten Beweislage stattfindet.71 Dieser psychologisch durch die Theorie der kognitiven Dissonanz erklärbare, gewissermaßen „natürliche“ Druck zur Suche nach konsonanten, das heißt die Verurteilungswahrscheinlichkeit erhärtenden, Informationen im Rahmen der Hauptverhandlung kann zusätzlich durch einen sozialen „Erwartungsdruck“ der Öffentlichkeit, die bereits durch Ermittlungsbeamte seit geraumer Zeit bestehende Einschätzung, wonach sich der Beschuldigte strafbar gemacht habe oder Verantwortungsdruck – etwa aufgrund der langen Dauer eines schon anhängigen Verfahrens – abermals verstärkt werden.72 Es zeigt sich also auch hier, dass eine unvoreingenommene Herangehensweise des im Eröffnungsverfahren mit der Sache vorbefassten Richters nach dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses aus wahrnehmungspsychologischer Sicht nahezu unmöglich erscheint. 3. „Gegengewicht“ Hauptverhandlung? Da die StPO in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung das stets und in jeder Rechtsordnung bestehende Risiko eines nicht mehr unvoreingenommen agierenden Richters durch die Vorschriften der §§ 199 Abs. 2 S. 2, 203 StPO realisiert hat,73 bleibt zu fragen, ob sie in der Folge etwaige Schutzmechanismen zu einer Abmilderung dieser normativ verankerten „Vorbelastung“ vorhält, die in der Diskussion um die Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter womöglich noch nicht gebührend berücksichtigt wurden. Ein solcher Schutzmechanismus im Sinne eines „Gegen69

Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 112 Rn. 7; Graf, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 112 Rn. 7. 70 So auch Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 213; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 43 Rn. 11; Grossmann, Die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses und der Anspruch des Angeklagten auf Freispruch, S. 57 ff.; Michler, Der Eröffnungsbeschluß im Strafverfahren, S. 231 f.; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 18. 71 Eschelbach, in: Festschrift für Christian Richter II, S. 113 (114 f.); ders., in: Fischer/ Hoven, Verdacht, S. 29 (31). 72 Eschelbach, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 29 (33 f.); Velten, GA 2015, 387 (405 ff.); Bandilla/Hassemer, StV 1989, 553 f. 73 So auch Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 622.1.

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse

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gewichts“ zu der Vorbelastung der (Berufs-)Richter könnte der in §§ 243, 244 Abs. 1 StPO vorgesehene Verfahrensgang in der Hauptverhandlung sein.74 Nach der Verlesung des Anklagesatzes und gegebenenfalls einer Mitteilung über stattgefundene Verständigungsgespräche erlangt der Angeklagte die Möglichkeit, sich zur Sache einzulassen und kann damit das Gericht zwingen, sich noch unmittelbar vor der Beweisaufnahme mit seinem Vorbringen aktiv auseinanderzusetzen, § 244 Abs. 1 S. 1 StPO.75 Allerdings erscheint dieses von §§ 243, 244 Abs. 1 StPO vorgegebene Normprogramm unter Berücksichtigung der vorgenannten sozialpsychologischen Erkenntnisse in seiner Tauglichkeit als Schutzmechanismus nur eine sehr begrenzte Wirkung zu entfalten: Zum einen wird vor der Einlassung des Angeklagten der Anklagesatz verlesen und damit eine für die Berufsrichter zunächst konsonante Information vermittelt. Erst dann erfolgt die – in den meisten Fällen dissonante – Information des Angeklagten. Folglich erscheint es wahrscheinlicher, dass die Berufsrichter der Einlassung des Angeklagten weniger Glauben oder gar Aufmerksamkeit schenken werden, wenn sie – wie fast regelmäßig – zu dem gefassten Eröffnungsbeschluss und dem vorgetragenen Anklagesatz in Widerspruch stehen. Auch die Laienrichter erlangen zuerst Kenntnis des vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft vorgetragenen Anklagesatzes und sodann von der – meist dissonanten – Einlassung des Angeklagten. Allein in dem Fall, in dem das Gericht der Einlassung des Angeklagten folgen sollte, wären nachfolgende Informationen im Rahmen der Beweisaufnahme, die den Angeklagten entlasten, keine dissonanten Informationen mehr.76 Jedenfalls insoweit ließe sich von einer freilich beschränkten Schutzwirkung gegen die Vorbelastung durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses sprechen. Zudem ließe sich anführen, dass bei einer Beteiligung von Schöffen nur ein Teil der aufgrund der Hauptverhandlung urteilenden Richter durch die Absolvierung des Zwischenverfahrens vorbelastet sind. Denn Laienrichter nehmen an Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung wie etwa dem Erlass eines Eröffnungsbeschlusses gemäß §§ 30 Abs. 1, 76 Abs. 1 S. 2 GVG nicht teil. Sie haben ferner keine Aktenkenntnis und sind mithin auch nicht durch diese in irgendeiner Form vorbelastet. Folglich können sie im Vergleich zu den Berufsrichtern eher vorurteilsfrei in ein anstehendes (Haupt-)Verfahren eintreten. Gleichwohl wird damit der institutionell angelegten Voreingenommenheit der übrigen Richter keineswegs in ausreichendem Maße vorgebeugt. Zum einen werden Schöffen nur in vergleichsweise wenigen Hauptverfahren eingesetzt, zum anderen werden auch sie durch die Verlesung des Anklagesatzes entsprechend beeinflusst. Es ist ferner unklar, ob und inwieweit Laienrichter sich gegebenenfalls an (vorbefassten) Berufsrichtern orientieren.77 Auch die noch junge Möglichkeit eines so genannten „Opening Statements“ 74

So (allerdings nur mit Bezug auf § 244 Abs. 1 StPO) Albrecht, ZIS 2012, 163 (167). Albrecht, ZIS 2012, 163 (167). 76 Albrecht, ZIS 2012, 163 (167). 77 Anekdotisch Föhrig, Kleines Strafrichter-Brevier: „Wenn der anglo-amerikanische Anwalt es vermag, eine ganze Jury zu überzeugen (manipulieren?), ist der deutsche Richter fehl am Platze, misslingt ihm dies mit bloßen zwei Amateuren.“ 75

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

durch den Verteidiger nach § 243 Abs. 5 S. 3, 4 StPO sowie die Möglichkeit des Kreuzverhörs scheinen wenig wirkungsvoll gegen die durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses verursachte Voreingenommenheit, ist das „Opening Statement“ doch nur in umfangreichen Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht und nur auf Antrag hin vorgesehen und die Veranstaltung eines Kreuzverhörs die absolute Ausnahme in der prozessualen Praxis. Auch ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Hauptverhandlungen häufig längere Unterbrechungen erfahren, womit etwaige Korrekturen der Verteidigung wiederum zunichte gemacht werden können.78 Damit hat sich gezeigt, dass auch die Vorschriften über das Hauptverfahren die Problematik der strukturellen Voreingenommenheit des Strafrichters weder abzumildern noch gar zu beseitigen vermögen.

III. Empirische Bestätigung: Die „Mannheimer Untersuchungen“ von Schünemann Die hier gefundenen Ergebnisse hat Schünemann mit den Methoden der experimentellen Sozialwissenschaften empirisch weitestgehend bestätigt.79 Dabei wurde folgende Versuchsanordnung zugrunde gelegt: 58 zufällig aus dem Bundesgebiet ausgewählte Strafrichter und Staatsanwälte hatten ein (fiktives) Strafverfahren zu führen, welches „kunstfehlerfrei“ sowohl mit einer Verurteilung als auch mit einem Freispruch enden konnte. Als unabhängige Variablen wurden die Aktenkenntnis (vorhanden/nicht vorhanden) und die Möglichkeit zur Zeugenvernehmung (ja/nein) variiert. Ferner wurde sichergestellt, dass der Gesamtinhalt der gegebenen Informationen jedem Teilnehmer letztlich in identischer Form vorlag. Die Versuchsteilnehmer mussten nach durchlaufener Hauptverhandlung – die ebenfalls ambivalent endete und daher tendenziell einen Freispruch nahelegte – ein Urteil fällen. Nach dem Untersuchungsergebnis haben alle (17) Richter, die Aktenkenntnis hatten, verurteilt. Demgegenüber fiel das Urteil derjenigen Richter, die keine Aktenkenntnis hatten, anders aus: zehn Richter gelangten zu einem Freispruch und acht zu einer Verurteilung.80 Deutlich kritischer beurteilten dagegen die befragten Staatsanwälte – in der Untersuchung ebenfalls in der Rolle des „Richters“ – den vorgegebenen Sachverhalt. Staatsanwälte mit Aktenkenntnis verurteilten dreimal und sprachen achtmal frei; Staatsanwälte ohne Aktenkenntnis verurteilten zweimal und sprachen zehnmal frei.81 78

Zieschang, StV 1996, 115 (118, Fn. 36). Schünemann, StV 2000, 159; Schünemann, in: Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger, Verfahrensgerechtigkeit: Rechtspsychologische Forschungsbeiträge für die Justizpraxis, S. 215 – 232; Schünemann, in: Kerner/Kury/Sessar, Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, S. 1109 – 1151; Schünemann, in: Barton/Fischer/ Jahn/Park, Festschrift für Reinhold Schlothauer zum 70. Geburtstag, S. 261 (266 f.). 80 Schünemann, StV 2000, 159 (161). 81 Schünemann, StV 2000, 159 (161). 79

B. Sozialpsychologische und empirische Erkenntnisse

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Damit gelang Schünemann der Nachweis, dass der Richter tendenziell an dem Tatbild festhält, welches er aus den Ermittlungsakten übernommen hat und dazu dissonante Informationen unterschätzt. Die anderen Ergebnisse der Staatsanwälte erklärt Schünemann mit deren nach „verbreiteter Erfahrung“ prinzipiell kritischeren Haltung, was sich insbesondere auch in einer hohen Bereitschaft zur Einstellung von Ermittlungsverfahren mit ungewissem Ausgang niederschlage.82 Im weiteren Verlauf der Untersuchung wurde anhand einer Reihe bestimmter Fragen am Ende der „Hauptverhandlung“ getestet, wie präzise die Probanden den Inhalt der Hauptverhandlung aufgenommen und gespeichert hatten. Versuchspersonen mit Aktenkenntnis erinnerten bei insgesamt elf gestellten Fragen nur 6,59 Fragen zutreffend, während Versuchspersonen ohne Aktenkenntnis 7,69 richtige Antworten lieferten.83 Dieses Ergebnis wird von Schünemann als Bestätigung des Inertia-Effekts interpretiert, der sich hier insoweit ausgewirkt habe, als Richter mit Aktenkenntnis den Entlastungsgehalt der Hauptverhandlung nicht richtig aufgenommen und gespeichert hätten, weil sie nur die ihnen bereits bekannten (belastenden) Informationen aus der Ermittlungsakte apperzipiert und später erinnert hätten.84 Mit Blick auf den Erlass des Eröffnungsbeschlusses führte Schünemann eine weitere Untersuchung durch: Erneut wurde den Versuchspersonen85 eine Ermittlungsakte präsentiert, die inhaltlich sowohl mit Freispruch als auch mit Verurteilung enden konnte. Einer Hälfte der Probanden wurde diese Akte zur Entscheidung über die Frage der Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO), der anderen Hälfte mit einer beigefügten, schon existenten Anklageschrift zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) vorgelegt. Für beide Entscheidungen gilt nach herrschender Meinung derselbe Maßstab (hinreichender Tatverdacht).86 Von den 56 Versuchspersonen (Staatsanwälte und Richter), die über die Frage der Anklage zu entscheiden hatten, lehnten 37 (66 %) eine Anklageerhebung ab. Von den 78 Versuchspersonen, die über die Eröffnung zu entscheiden hatten, lehnten nur 35 (45 %) eine Eröffnung ab.87 Die Untersuchung hat somit bestätigt, dass bei gleicher Informationslage die bloße Existenz einer Anklage zur für den Angeschuldigten nachteiligen Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts führt.88 Eine Gegenüberstellung des Zahlenwerks der Untersuchung ergab weiterhin, dass die Beurteilungsregeln von Staatsanwälten bei 82

Schünemann, StV 2000, 159 (163). Schünemann, StV 2000, 159 (161 f.). 84 Schünemann, StV 2000, 159 (163). 85 An dieser Untersuchung nahmen etwas weniger Versuchspersonen (Strafrichter und Staatsanwälte) teil als an der zuvor geschilderten Untersuchung. 86 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 170 Rn. 1; Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 170 Rn. 3. 87 Schünemann, StV 2000, 159 (162). 88 Schünemann, StV 2000, 159 (163). 83

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der Anklageerhebung und von Strafrichtern beim Eröffnungsbeschluss völlig unterschiedlich sind. Während die Staatsanwälte eine Anklageerhebung mit 19 zu 6 (76 %) ablehnten, eröffneten die Strafrichter mit 23 zu 18 (also 56 %) – bei identischer Tatsachengrundlage. 89 Danach lassen sich die Ergebnisse der Untersuchung von Schünemann wie folgt zusammenfassen: 1. Erlangt der Richter Aktenkenntnis, nimmt er Informationen, die den Erkenntnissen aus der Aktenlektüre widersprechen, nicht so gut auf wie Informationen, die sich konsonant zum Akteninhalt verhalten und hält am Geschehen nach Aktenlage fest. 2. Die Existenz einer Anklage führt offenbar zu einer weniger kritischen Prüfung des hinreichenden Tatverdachts in Zweifelsfällen. Er schlussfolgert aus seiner Untersuchung, dass der idealtypische Richter derjenige ohne Aktenkenntnis sei.90 Zwar hat Schünemann in seiner Untersuchung die Auswirkungen des erlassenen Eröffnungsbeschlusses auf die Hauptverhandlung nicht gemessen, allerdings erscheinen Auswirkungen angesichts der Theorie der kognitiven Dissonanz und der sonstigen empirischen Befunde der Untersuchung hoch plausibel.91 Berücksichtigt man nämlich, dass schon eine fremde Hypothese (nämlich die Anklage durch die Staatsanwaltschaft) offensichtlich zur Voreingenommenheit führt, muss dies erst Recht für eine eigene Hypothese (nämlich den Erlass des Eröffnungsbeschlusses) gelten.

IV. Zwischenfazit und weitere Eingrenzung der Untersuchung Die Beleuchtung der §§ 199 ff. StPO aus sozialpsychologischer Warte hat ergeben, dass bereits die Einleitung des Zwischenverfahrens durch die Konfrontation des Gerichts mit Anklage und Akten zu einer Verzerrung der weiteren Informationsaufnahme, sei es im Zwischenverfahren, sei es in der Hauptverhandlung, führt („Primacy-Effekt“). Es hat sich zudem ergeben, dass die Existenz einer Vorentscheidung in Gestalt der staatsanwaltschaftlichen Anklage zu einer wesentlich unkritischeren Prüfung im Zwischenverfahren zu führen scheint („Schulterschlusseffekt“). Die Problematik des „Primacy-Effekts“ wird durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses nochmals verschärft, da die Berufsrichter ihre damit gefällte Hypothese in der Hauptverhandlung zu bestätigen suchen (Perseveranzeffekt und „confirmation bias“). Daher sind die Richter, die mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses befasst waren, in der Hauptverhandlung sozialpsychologisch betrachtet voreingenommen. Zwar ist auch die Aktenkenntnis eine wesentliche (Mit-)Ursache der Voreingenommenheitsproblematik, gleichwohl muss ihre weitere Behandlung in der vorliegenden Untersuchung unterbleiben, da sie über das verfolgte Ziel der 89 90 91

Schünemann, StV 2000, 159 (162). Schünemann, StV 2000, 159 (163). So auch Guthke, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, S. 153 (157).

C. Der Stand von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft

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Aufwertung des strafprozessualen Zwischenverfahrens deutlich hinausgehen würde und ganz andere, grundlegende strafprozessuale Fragen beträfe, deren Beantwortung den Umfang der Arbeit sprengen würde. Allerdings wird auf die oben beschriebenen Auswirkungen der bloßen Existenz einer Anklage auf die richterliche Entscheidung über die Eröffnung als mögliche Erklärungsursache für die geringe Nichteröffnungsquote noch zurückzukommen sein.92

C. Der Stand von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft Die dargestellten Erkenntnisse der Sozialpsychologie wurden in der Rechtsprechung nicht und in der Literatur nur teilweise rezipiert.

I. Rechtsprechung Namentlich in der Rechtsprechung finden sich Verfechter der lex lata, deren Argumentationslinie im Folgenden nachgezeichnet werden soll. 1. Die Selbstsicht der Richter Dabei bietet sich zunächst ein Blick auf das in der Richterschaft vorherrschende Selbstbild an, da dieses der maßgebliche Ausgangspunkt dafür ist, wie mit den psychologischen Erkenntnissen de lege lata umgegangen wird und worauf de lege ferenda möglicherweise zu achten ist. Zwar werden auch hier Gefahren für eine unparteiliche Herangehensweise gesehen und zuweilen kritisch reflektiert.93 Kommt es allerdings einmal tatsächlich zur Konfrontation eines Gerichts mit einer etwaigen Voreingenommenheit infolge von Vorbefassung, offenbart sich schnell eine Sichtweise, die als „normatives Richterbild“ bezeichnet wird.94 Urheber dieses Richterbildes war das Reichsgericht. Es postulierte seinerzeit, dass der Richter schon kraft seines Amtes nicht parteilich sein könne. Zur Begründung hob es auf den richterlichen Pflichtenkreis ab: Danach bestehe auch für denjenigen Richter, der sich in einer früheren Sache sein Urteil auf eine bestimmte Auffassung des ihm vorliegenden Sachverhalts gestützt habe, die Pflicht, in einem neuen Verfahren, in dem es wieder auf die Beurteilung derselben Vorgänge ankomme, sein Urteil unbefangen und auf Grund des in dem neuen Verfahren vorgetragenen Beweisstoffes zu bilden. Mit der gewissenhaften Erfüllung dieser Pflicht könnten die Beteiligten und insbesondere 92

Siehe dazu unten 4. Teil C. III. 3. a). Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 69 ff.; Eschelbach, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 29 (29 ff.). 94 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 93; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 Rn. 9. 93

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

der Angeklagte rechnen.95 Bis heute hat sich an dieser (Selbst-)Sicht nahezu nichts verändert. So sah sich etwa im Rahmen der Reformdiskussion zum StPÄG der Deutsche Richterbund veranlasst, einer Wiedereinführung der personellen Trennung zwischen Tat- und Eröffnungsrichter „noch einmal mit Nachdruck […] zu widersprechen“.96 Die Befangenheits-These, wonach der Richter „nach geltendem Recht ein Gefangener seiner Vorurteile sei und von ihnen verleitet werde, die Beweise einseitig zu erheben und dadurch die Verteidigung des Angeklagten zu beeinträchtigen, [sei] eine grobe Entstellung der Wirklichkeit“.97 Da der Richter tagtäglich mit nur vorläufigen Beweisergebnissen konfrontiert werde, liefe es auf eine „unverdiente Diffamierung“ hinaus, ihm nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses die Fähigkeit zur unbefangenen Vorgehensweise abzusprechen.98 Auch die jüngere Rechtsprechung weist vorgebrachte Bedenken mit der Argumentation aus den Zeiten des Reichsgerichts ab.99 Zusammenfassen lässt sich die zur ständigen Rechtsprechung gewordene Selbstsicht der Richter also dahingehend, dass Richter trotz Vorbefassung mit einer Sache nicht voreingenommen sind, weil sie es kraft ihres Amtes nicht sein dürfen. 2. Der Beschluss des BVerfG vom 26. 01. 1971 Dass sich an diesem Richterbild „auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes nichts geändert“ habe, sprach das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. 01. 1971 aus.100 Gegenstand dieses Verfahrens war die Frage, ob der als Ergänzungsrichter im Hauptverfahren und der am Eröffnungsbeschluss beteiligte Richter von der Mitwirkung am Wiederaufnahmeverfahren von Verfassungs wegen ausgeschlossen ist. In Betracht kommt insoweit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, der gewährleistet, dass der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, der aus bestimmten Gründen die gebotene Neutralität und Distanz vermissen lässt.101 Maßgebliche Vorschrift der StPO ist dabei § 23 Abs. 2 S. 1, wonach ein Richter, der bei einer durch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, von der Mitwirkung bei Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Klärungsbedürftig war in dem zugrundeliegenden Verfahren mithin die Auslegung des Begriffs der richterlichen „Mitwirkung“. Dabei gelangte das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss keine „Mitwirkung“ im Sinne des § 23 Abs. 2 StPO sei und 95

RGSt 59 (409 f.); 60, 43 (46); 61, 67 (68); 62, 299 (302). Deutscher Richterbund, DRiZ 1963 (115). 97 Deutscher Richterbund, DRiZ 1963 (115). 98 Deutscher Richterbund, DRiZ 1963 (115). 99 BVerfGE 30, 149 (153 f.) = NJW 1971, 1029 (1030); BGHSt 21, 334 (341) = NJW 1968, 710 (711); BGHSt 24, 336 (337) = NJW 1972, 1288; BGH NStZ-RR 2012, 350; BGH NStZ 2015, 46. 100 BVerfGE 30, 149 ff. = NJW 1971, 1029 ff. 101 BVerfGE 30, 149 (153) = NJW 1971, 1029 f. 96

C. Der Stand von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft

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folglich nicht zu einem Ausschluss im Wiederaufnahmeverfahren führe. Der zur Entscheidung berufene zweite Senat argumentierte ausgehend vom normativen Richterbild, das deutsche Verfahrensrecht sei seit jeher von der Auffassung beherrscht gewesen, dass der Richter auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantrete, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet habe. Auch seien in Rechtsprechung und Literatur bislang keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken zu dieser Regelung erhoben worden.102 Entscheidend sei ferner zu berücksichtigen, dass im Gesetzgebungsverfahren zum StPÄG die Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter erwogen, aber letztlich verworfen wurde. Bei der Frage, ob der am Eröffnungsbeschluss beteiligte Richter von der Hauptverhandlung auszuschließen sei, handele es sich folglich nicht um eine Frage verfassungsrechtlicher, sondern um eine solche rechtspolitischer Natur.103 Indes wurde dieses Ergebnis keineswegs einstimmig gefunden, drei Verfassungsrichter waren abweichender Auffassung.104 Die Richter Leibholz, Geiger und Rinck arbeiteten in ihrem Sondervotum heraus, dass die StPO zahlreiche Bestimmungen aufweise, wonach ein Richter, der schon einmal in einer Sache tätig gewesen sei, nicht noch einmal in derselben Sache mitwirken solle. Diese Regelungen trügen dem aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Gebot Rechnung, dass der Richter nicht nur weisungsfrei und in seiner persönlichen Unabhängigkeit institutionell abgesichert, sondern auch gegenüber den Verfahrensbeteiligten als „Nichtbeteiligter“ in Erscheinung treten müsse. Die kraft Gesetz mögliche Mitwirkung des Eröffnungsrichters im Hauptverfahren erscheine demgegenüber als eine Ausnahme, über deren innere Berechtigung der Gesetzgeber in Zukunft zu befinden habe.105 Dagegen sei das vom Reichsgericht vertretene normative Richterbild abzulehnen, da diese Sichtweise verkenne, dass die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren inzwischen eine grundsätzlich andere geworden sei und dieser nicht mehr nur Objekt des Verfahrens, sondern Prozesssubjekt mit eigenständigen Rechten sei.106 Insgesamt lässt sich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts also immerhin entnehmen, dass die gegenwärtige personelle Ausgestaltung des Zwischenverfahrens selbst innerhalb des Bundesverfassungsgerichts nicht einheitlich beurteilt wurde und teilweise als zumindest rechtspolitisch verfehlt begriffen wird. Die vermeintlich gefestigte Rechtslage lässt sich also nach wie vor mit guten Gründen bezweifeln, zumal das Bundesverfassungsgericht hier nur mit der Konstellation befasst war, dass die Mitwirkung des Eröffnungsrichters im Wiederauf-

102 103 104 105 106

BVerfGE 30, 149 (153 f.) = NJW 1971, 1029 (1030). BVerfGE 30, 149 (154 f.) = NJW 1971, 1029 (1030). BVerfGE 30, 149 (157 ff.) = NJW 1971, 1029 (1031 f.). BVerfGE 30, 149 (160) = NJW 1971, 1029 (1031). BVerfGE 30, 149 (161) = NJW 1971, 1029 (1032).

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

nahmeverfahren und nicht im erstinstanzlichen Hauptverfahren geltend gemacht wurde.107 3. Ausschluss oder Ablehnbarkeit des Eröffnungsrichters? Dies öffnet den Blick auf die – auch eingedenk der seit dem Beschluss des BVerfG fortgeschrittenen psychologischen Erkenntnisse durchaus naheliegende – Frage, ob nicht eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 24 Abs. 2 StPO erfolgen könnte, was angesichts eines fehlenden gesetzlichen Ausschlusses die einzig verbleibende Möglichkeit wäre, die Mitwirkung des eröffnenden Richters im Hauptverfahren de lege lata zu verhindern und somit gewissermaßen selbst eine Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter herbeizuführen. Befangenheit ist nach § 24 Abs. 2 StPO dann gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Die Rechtsprechung definiert Befangenheit als einen inneren Zustand des Richters, welcher seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinträchtigen kann.108 Eine tatsächliche Befangenheit ist ausweislich des Wortlauts des § 24 Abs. 2 StPO nicht erforderlich, es kommt auch nicht darauf an, ob der Richter sich selbst für befangen hält.109 Vielmehr ist nach herrschender Auffassung entscheidend, ob ein „vernünftiger Ablehnungsberechtigter“ aufgrund der gegebenen Umstände von seinem Standpunkt aus begründeten Anlass hat, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu hegen.110 Nach gefestigter Rechtsprechung soll nach diesen Grundsätzen eine Befangenheit des Richters infolge der Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss im Hauptverfahren regelmäßig nicht zu besorgen sein.111 Grundsätzlich sei richterliche Vorbefassung nicht geeignet, die Ablehnung zu begründen. Nur in solchen Fällen der Vorbefassung, die der Gesetzgeber ausdrücklich zu Ablehnungsgründen erhoben habe, sei der Richter von der weiteren Mitwirkung ausgeschlossen. Um eine hierüber hinausgehende Ablehnung zu begründen, seien zusätzliche, konkret-verfahrensbezogene Umstände erforderlich, die die Besorgnis rechtfertigten, der Richter sei nicht bereit, sich von seiner bei der Vorentscheidung

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Was Rechtsprechung und Kommentarliteratur freilich nicht daran hindert, den Beschluss auch auf die Mitwirkung im Hauptverfahren zu beziehen. 108 RGSt 61, 67; BGHSt 1, 34 (36) = NJW 1951, 323 (324); BGHSt 21, 85 (86) = NJW 1966, 2321; BGHSt 21, 334 (341) = NJW 1968, 710 (711). 109 BGHSt 21, 334 (341) = NJW 1968, 710 (711); Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 24 Rn. 5; Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar StPO, § 24 Rn. 16. 110 BGHSt 1, 34 (37) = NJW 1951, 323 (324); 21, 334 (341) = NJW 1968, 710 (711); BGH StV 2012, 449; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rn. 8. 111 BVerfGE 30, 149 (155) = NJW 1971, 1019 (1030); RGSt 60, 322 (324); 62, 299 (302); BGHSt 9, 233 (234); 15, 40 (46 f.); 21, 334 (343); 50, 216 (221); BGH NStZ 2011, 44 (46).

C. Der Stand von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft

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gefassten Meinung zu lösen.112 Solche besonderen Umstände sieht der Bundesgerichtshof etwa bei Zwischenentscheidungen, die abwegig sind, den Anschein von Willkür erwecken oder in Fällen, in denen der Richter schon vor der Hauptverhandlung zum Ausdruck bringt, er sei bereits vorher von der (vollen) Schuld des Angeklagten endgültig überzeugt.113 Umgekehrt erkennt er keinen Ablehnungsgrund für den Fall, dass das Gericht im Stadium des Zwischenverfahrens – also noch vor der Bejahung des hinreichenden Tatverdachts – aus eigener Initiative unter Anwendung der Vorschrift des § 202a StPO konkrete Strafmaßprognosen für den Fall eines Geständnisses in Aussicht stellt.114 Entscheidendes Argument der herrschenden Auffassung ist neben dem von der StPO nicht vorgesehenen Ausschluss des Eröffnungsrichters insbesondere das bereits dargestellte normative Richterbild.115 Ferner handele es sich bei der Eröffnungsentscheidung nur um eine vorläufige Einschätzung zur Sache. Ein verständiger Ablehnungsberechtigter könne demnach davon ausgehen, dass ein Richter sich noch nicht (frühzeitig) festgelegt habe und mithin in der Lage sei, seine vormals geäußerte Auffassung zu revidieren.116

II. Meinungsstand in der Literatur zur Frage der Ablehnbarkeit Diese Rechtsprechung wird vonseiten der Literatur weitgehend akzeptiert, eine Ablehnung nach § 24 Abs. 2 StPO wegen der Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss daher jedenfalls de lege lata verbreitet abgelehnt.117 Nur vereinzelt, in jüngerer Zeit allerdings wieder vermehrt, wird vertreten, dass die richterliche Vorbefassung aufgrund der Mitwirkung am Erlass des Eröffnungs112 BGHSt 21, 334 (343); BGHSt 24, 336 (338) = NJW 1972, 1288; BGHSt 48, 4 (8) = NJW 2002, 3484; BGH NStZ-RR 2009, 85; BGH NStZ 2011, 44 (46); Cirener, in: BeckOKStPO, § 24 Rn. 14; Wesslau/Deiters, in: Systematischer Kommentar StPO, § 24 Rn. 14. 113 BGHSt 48, 4 (8) = NJW 2002, 3484; ein weiteres Beispiel findet sich bei BGHSt 50, 216 (221 f.) = NJW 2005, 3436 (3438). 114 BGH NStZ 2013, 411 = StV 2013, 432. 115 Siehe nur BVerfGE 30, 149 (153 f.) = NJW 1971, 1029 (1030); BGHSt 21, 334 (341) = NJW 1968, 710 (711); BGHSt 24, 336 (337) = NJW 1972, 1288; BGH NStZ-RR 2012, 350; BGH NStZ 2015, 46. 116 BGHSt 21, 334 (341) = NJW 1968, 710 (711). 117 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rn. 14; Alexander, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 24 Rn. 16; Weßlau/Deiters, in: Systematischer Kommentar StPO, § 24 Rn. 23 f.; Kudlich/Noltensmeier, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 24 Rn. 10; Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, § 24 Rn. 21; Cirener, in: BeckOK StPO, § 24 Rn. 15.1; Temming, in: Heidelberger Kommentar StPO, § 24 Rn. 18; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 24 Rn. 9; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 43; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 24 Rn. 48; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 36; Beulke/ Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 74; Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 191; ablehnend wohl auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 53 f.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

beschlusses zur Ablehnbarkeit nach § 24 Abs. 2 StPO führt.118 Hierfür werden insbesondere die geschilderten Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie119 ins Feld geführt. Ferner komme es nach § 24 Abs. 2 StPO gerade auf die Perspektive des verständigen Angeklagten an. Vermittele man einem solchen, dass derselbe Richter, der zunächst eine Verurteilung für zumindest wahrscheinlich hielt und deshalb das Hauptverfahren eröffnete, im Anschluss auch über eine Verurteilung im Hauptverfahren entscheidet, so wird sich kaum ein „verständiger“ Angeklagter finden, der kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters hege.120 Vornehmlich in der älteren Literatur finden sich auch einschränkende Ansätze. So ist Arzt der Auffassung, dass zwar die Mitwirkung des Tatrichters im Eröffnungsverfahren grundsätzlich nicht durch das Ablehnungsrecht ausgehebelt werden dürfe, gleichwohl sei eine Ausnahme hiervon dann zu machen, wenn ein umfangreiches und tatsächlich schwieriges Verfahren, welches einen schwerwiegenden Anklagevorwurf zum Gegenstand habe, vorliege. In diesem Fall sei immerhin der Berichterstatter ausnahmsweise ablehnbar.121 Die Ablehnbarkeit sei deshalb begründet, weil die Gefahr der Bildung eines Vorurteils gerade in umfangreichen Sachen besonders groß sei. Als Argument verweist Arzt zudem auf den heute nicht mehr geltenden § 23 Abs. 3 StPO, wonach der Richter der Voruntersuchung vom Hauptverfahren ausgeschlossen war und gleiches für den durch ein umfangreiches Zwischenverfahren vorbefassten Richter gelten müsse.122 Hamm ist der Auffassung, dass „die Identität zwischen eröffnendem und erkennendem Richter an der oberen Grenze der gerade noch hingenommenen Befangenheit“ liege.123 Zwar sei eine generelle Ablehnbarkeit nicht möglich, da die Identität gerade vom Gesetz hingenommen werde, gleichwohl bewirke die Nähe dieser gesetzlichen Ausgestaltung zu den gegebenen Ablehnungsgründen, dass nicht mehr viele besondere Umstände hinzu kommen müssten, um im Einzelfall eine Ablehnung zu begründen. In Übereinstimmung mit der Ansicht von Arzt hält Hamm eine Ablehnbarkeit des Richters dann für gegeben, wenn „Art und Umfang der eigenen Ermittlungstätigkeit des Eröffnungsrichters sich von einer Voruntersuchung kaum noch unterscheidet“.124

118

Isfen, ZStW 2013, 325 (329); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 225 ff.; König, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 41 (45 f.); krit. auch Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar StPO, § 24 Rn. 52 ff. 119 Siehe hierzu oben 3. Teil B. I. 120 Vgl. Ignor, ZIS 2012, 228 (233); König, in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 41 (45 f.). 121 Arzt, Der befangene Strafrichter, S. 70 ff. 122 Arzt, Der befangene Strafrichter, S. 71 f. 123 Hamm, Der gesetzliche Richter und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter besonderer Berücksichtigung des Strafverfahrens, S. 191. 124 Hamm, Der gesetzliche Richter und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter besonderer Berücksichtigung des Strafverfahrens, S. 193.

C. Der Stand von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft

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Alles in allem scheint sich also auch ein Großteil der Literatur mit der Rechtsprechung zu § 24 Abs. 2 StPO abgefunden zu haben. Eine Ablehnung des Eröffnungsrichters ist auch ihrer Ansicht nach grundsätzlich nicht möglich, wenngleich sich in jüngerer Zeit vermehrt Stimmen häufen, die für das Gegenteil eintreten.

III. Meinungsstand in der Literatur zur Reformfrage Etwas anderes gilt aber mit Blick auf eine Reform des Zwischenverfahrens. Hier lässt sich eine vorherrschende Auffassung zur Frage der personellen Besetzung nicht ausmachen. Teilweise finden sich Befürworter der geltenden Regelung.125 Ergänzend zu der bereits oben beschriebenen Argumentation der Rechtsprechung wird vorgetragen, dass eine Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter den Personalbedarf der Justiz sprengen würde und überdies im Falle der Personenidentität eine gründlichere und gewissenhaftere Kontrolle gewährleistet sei, da das Gericht, welches später auch die Hauptverhandlung durchführen müsse, einen sorgfältigeren Prüfungsmaßstab anlege, um unnötige Hauptverhandlungen von vornherein zu vermeiden.126 Darüber hinaus gerate ein separater Eröffnungsrichter in Konflikt mit der Beschleunigungsmaxime, da eine zeitaufwändige Einarbeitung in die Akten durch mehrere Richter erfolgen müsse.127 Im Ergebnis sei deshalb keine gesetzliche Neuregelung veranlasst. Andere Autoren treten demgegenüber für eine personelle Trennung ein.128 Hierfür verweisen sie insbesondere auf die empirisch erwiesene psychologische Problematik 125 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Vor § 199 Rn. 2; Scheuten, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 24 Rn. 8; Meyer-Goßner, ZRP 2000, 345 (347); Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 408; Rieß, in: Festschrift für Klaus Rolinski, S. 239 (250 f.); ders., in: LöweRosenberg, stopp (25. Aufl.), Vor § 198 Rn. 18; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 951; Oetker, GS 99 (1920); 241 (250); Peters, Strafprozeß, § 51 V (S. 468); Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 143; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 53 f.; Mavany, JA 2015, 488 (490). 126 Creifelds, JR 1965, 1 (4); Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 408; Schmitt, in: MeyerGoßner/Schmitt, StPO, Vor § 199 Rn. 2; Pfeiffer/Hannich, in: Karlsruher Kommentar stopp (6. Aufl.), Einl. Rn. 43; anders jetzt aber Fischer, in: Karlsruher Kommentar StPO, Einl. Rn. 196; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 54; Peters, Strafprozeß, § 51 V (S. 469). 127 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 751. 128 Roesen, NJW 1959, 1861 (1862); Roxin, in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 61 f.; Schünemann, GA 1978, 161 (172); Sessar, ZStW 1980, 698 (703); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 622.1; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 74; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 3; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vorbemerkungen vor §§ 198 ff. Rn. 19; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 20; Traut/Nickolaus, StraFo 2012, 51 ff.; M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (335); Momsen/Washington, in: Festschrift für Eisenberg zum 80. Geburtstag, S. 453 (473); krit. auch Eschelbach, GA 2019, 593 (604 f.).

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

des Perseveranz- oder Inertia-Effekts129 und den ursprünglichen Willen der Schöpfer der RStPO.130

D. Stellungnahme Die Frage nach einer personellen Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter hat – trotz ihrer mehr als ein Jahrhundert währenden Diskussion – nichts an Aktualität und Brisanz eingebüßt. Im Folgenden sollen die zentralen Argumente dieser Diskussion einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Zunächst soll auf die Frage der Ablehnbarkeit nach der Generalklausel des § 24 Abs. 2 StPO eingegangen und geprüft werden, ob die psychologische Problematik möglicherweise durch eine extensivere Auslegung dieser Vorschrift gelöst werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein, ist überdies eine Stellungnahme zur Reformfrage veranlasst. Im Ausgangspunkt muss nochmals in Erinnerung gerufen werden, dass die StPO zahlreiche Ausschlussgründe wegen Vorbefassung kennt: So bestimmt § 22 Nr. 4 StPO, dass ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn er in derselben Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist, nach Nr. 5 ist er auch ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen wurde. Nach § 23 Abs. 1 StPO ist die Mitwirkung eines Richters in einer durch Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung ausgeschlossen, sofern er an dieser Entscheidung mitgewirkt hat. Dasselbe gilt nach § 23 Abs. 2 S. 1 und 2 StPO für die Mitwirkung im Wiederaufnahmeverfahren. Dort stellt darüber hinaus die Vorschrift des § 140a GVG sicher, dass gar eine Identität zwischen dem Erst- und dem Wiederaufnahmegericht ausgeschlossen wird. Aus dogmatischer Sicht ist fraglich, ob es sich hierbei um abschließende Regelungen handelt, die eine Sperrwirkung für andere Konstellationen der Vorbefassung und deren Vermeidung über eine Anwendung des § 24 StPO entfalten.131 Dagegen spricht bereits, dass sich auch außerhalb der §§ 22 f. StPO Ausschlussgründe infolge Vorbefassung finden: So sieht das Gesetz in § 354 Abs. 2 StPO die Zurückverweisung einer Sache bei deren Aufhebung an ein anderes Tatgericht als das vormals urteilende vor. Für die Vorbefassung mit dem Zwischenverfahren ist in diesem Zusammenhang auf § 210 Abs. 2 und 3 StPO hinzuweisen: Sollte das zuständige Gericht nämlich einen Nichteröffnungsbeschluss erlassen und die Staatsanwaltschaft hiergegen gemäß § 210 Abs. 2 StPO sofortige Beschwerde eingelegt haben, kann das Beschwerdegericht bestimmen, dass die Hauptverhandlung vor einer anderen als der vorbefassten Kammer stattzufinden hat. Das Gesetz hegt also Bedenken, ein Gericht mit der Hauptverhandlung zu betrauen, welches deren Eröffnung zuvor abgelehnt hat. Folglich kann auch der umgekehrte 129 130 131

Dazu ausführlich oben 3. Teil B. I. Dazu oben 3. Teil A. So auch Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar StPO, § 24 Rn. 52.

D. Stellungnahme

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Fall – die Betrauung eines Gerichts mit der Hauptverhandlung bei Eröffnung – nicht unbedenklich sein.132 Danach lässt sich zunächst festhalten, dass nach der inneren Systematik der StPO die Vorbefassung eines Richters in derselben Sache grundsätzlich beachtlich ist. Der fehlende Ausschluss des Eröffnungsrichters von der Hauptverhandlung muss in Übereinstimmung mit dem Sondervotum der Verfassungsrichter Leibholz, Geiger und Rinck133 als (eigentlich nicht vorgesehene) Ausnahme betrachtet werden. Die Rechtsprechung hat sich von diesem Grundsatz einer Beachtlichkeit der Vorbefassung jedoch im Laufe der Zeit abgewendet und sie für unschädlich erklärt, soweit nicht besondere Umstände hinzutreten und damit die Ausnahme zur Regel gemacht. Auch das von der Rechtsprechung gezeichnete normative Richterbild ist durchaus kritisch zu sehen. Zwar kann einem Richter nicht pauschal unterstellt werden, er sei nicht bestrebt, über eine Sache unvoreingenommen zu entscheiden. Sofern das Reichsgericht noch ausführte, für den Richter bestehe die Pflicht, sich nach Vorbefassung mit einer Sache unbefangen auf neuen Sachvortrag einzulassen und der Beschuldigte dürfe sich auf die gewissenhafte Einhaltung dieser Pflicht verlassen, mag das angesichts der seinerzeit zwar schon bekannten,134 aber wissenschaftlich noch nicht hinreichend belegten psychischen Phänomene nachvollziehbar sein. Nicht mehr nachvollziehbar erscheint indes die nahezu unkritische Gefolgschaft, die die reichsgerichtliche Judikatur durch die Rechtsprechung und Teile der Literatur bis heute erfährt, denn wie sich inzwischen herausgestellt hat, handelt es sich dabei schlichtweg um eine Behauptung, die jegliche sozialpsychologische Erkenntnis ausblendet. Überspitzt ließe sich die Selbstsicht der Richterschaft dahingehend zusammenfassen, dass ein Richter nicht voreingenommen sein kann, weil er nicht voreingenommen sein darf135 – eine Sichtweise, die wissenschaftlich erwiesenen Wahrnehmungsmechanismen zuwiderläuft und daher deutlich zu kurz greift. Hieran ändert es auch nichts, dass die Entscheidung über die Eröffnung nur vorläufiger Natur ist. Hat das Gericht erst einmal die (Verurteilungs-)Hypothese gebildet, fällt es ihm schwer, hiervon wieder abzurücken. Hinzu kommt, dass das normative Richterbild aus einer Zeit stammt, in der der Beschuldigte zwar schon als Prozesssubjekt galt,136 allerdings ist die Argumentation, wonach der Beschuldigte de facto darauf zu vertrauen hat, dass der Richter letztlich alles „richtig“ machen wird, nicht recht mit dem heutigen, maßgeblich durch das Grundgesetz geprägten Bild vom Beschuldigten als

132

(395). 133

Miehe, in: Samson, Festschrift für Gerald Grünwald zum siebzigsten Geburtstag, S. 379

Siehe oben 3. Teil C. I. 2. Vgl. zur Diskussion im Gesetzgebungsverfahren oben 3. Teil A. 135 Treffend Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar StPO, § 24 Rn. 52: „[Es wird] ein normativer Soll- schlicht zum Ist-Zustand deklariert.“. 136 Dazu ausführlich Kahlo, KritV 1997, 183 (189 ff.). 134

112

3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Prozesssubjekt, das sich gegen möglicherweise unrichtige staatliche Machtausübung selbständig und effektiv zur Wehr setzen können soll, in Einklang zu bringen.137 Soweit das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass das deutsche Verfahrensrecht seit jeher von der Auffassung beherrscht gewesen sei, dass der Richter auch dann unbefangen an die Sache herantrete, wenn er sich zuvor schon einmal ein Urteil gebildet hätte, ist dies für die Vorbefassung speziell im Eröffnungsverfahren als zumindest unpräzise zu bezeichnen, da die RStPO ja ursprünglich vom Gegenteil ausging. Wenn diese – auch von der Rechtsprechung gelegentlich vorgebrachte – Argumentation mit Verweis auf den gesetzgeberischen Willen und der Reform von 1964 untermauert wird, so muss dem Folgendes entgegengehalten werden: Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen der „kleinen Strafprozessreform“ von 1964 zwar mit der Problematik auseinandergesetzt und sich für die Beibehaltung der Rechtslage entschieden. Indes sollte die auch damals sehr strittige Frage nicht endgültig entschieden, sondern im Rahmen einer weiteren Reform beantwortet werden.138 Letztlich handelt es sich hierbei also nicht um eine explizite Wertentscheidung, sondern nur um die gesetzgeberische Entscheidung, die Frage (jetzt) noch nicht zu beantworten und daher den geltenden Zustand – der ursprünglich aus rein fiskalischen Gründen geschaffen worden war – aufrechtzuerhalten. Aus diesen Gründen sollte dem Argument, der gegenwärtige Zustand entspräche dem gesetzgeberischen Willen, keine allzu große Bedeutung beigemessen werden. Daher kann auch der gesetzgeberische Wille nicht per se zu einer „Sperrung“ des § 24 StPO für nicht ausdrücklich normierte Fälle der Vorbefassung führen. In der Gesamtschau sprechen folglich gewichtige Argumente dafür, die Frage der Ablehnbarkeit des Eröffnungsrichters nach § 24 Abs. 2 StPO neu zu beantworten. Insoweit dürfte im Grundsatz den Ausführungen von Hamm beizupflichten sein, der die Vorbefassung durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses an der obersten Grenze einer von der StPO gerade noch hingenommenen Befangenheit ansiedelt, was auch durch die bisherigen Ausführungen gestützt wird. Legt man dies zugrunde, folgt daraus, dass die Rechtsprechung zu § 24 Abs. 2 StPO als nicht haltbar bezeichnet werden muss. Zwar ist ihr im Ausgangspunkt insoweit zuzustimmen, als über die schlichte Tätigkeit des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses nach vorhergehender Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen hinaus zusätzliche Umstände vorliegen müssen, um § 24 Abs. 2 StPO zu bejahen. Indes dürfen die Anforderungen an diese zusätzlichen Umstände nicht in dem Maße überspannt werden, wie es die Rechtsprechung gegenwärtig tut, vielmehr sind sie wegen der schon bestehenden Voreingenommenheit deutlich herabzusetzen. Es ist angesichts der Vielgestaltigkeit denkbarer Befangenheitskonstellationen schwierig, abstrakte Maßstäbe für diese die Ablehnbarkeit begründenden, zusätzlichen Umstände zu definieren. Betrachtet man jedoch den Abschnitt der §§ 199 ff. StPO, so dürften solche Umstände praktisch 137 Ähnlich Sondervotum der Richter Leibholz, Geiger und Rinck, in BVerfG NJW 1971, 1029 (1032). 138 Siehe oben 3. Teil A.

D. Stellungnahme

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häufig anzutreffen sein: Zunächst ist hier die Vorschrift des § 202 StPO zu nennen, die es dem Eröffnungsrichter erlaubt, einzelne Beweiserhebungen vorzunehmen. Die Vornahme solcher Beweiserhebungen zur Erhärtung des hinreichenden Tatverdachts müssen bereits als problematisch eingestuft werden, da der Richter hier über eine schlichte, „passive“ Prüfung der Aktenlage hinaus Gefahr läuft, sich in zu intensivem Umfang mit der Sache auseinanderzusetzen und die Hauptverhandlung gleichsam vorwegnimmt oder in gravierenden Fällen einen womöglich unbewussten „Belastungseifer“ an den Tag legt. Des Weiteren problematisch ist die Vorschrift des § 202a StPO, die es dem Eröffnungsrichter gestattet, aus eigener Initiative noch vor Eröffnung den Verfahrensausgang mit den Beteiligten zu besprechen.139 Die Möglichkeit der Ablehnung entlastender Beweiserhebungen, die der Angeschuldigte nach § 201 Abs. 1 S. 1 StPO beantragt hat, dürfte streng genommen schon als zusätzlicher Umstand ausreichen, soweit es hierfür – wie regelmäßig – keine Begründung gibt. Auch die nach der Studie von Schünemann häufig vorkommende unkritische Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen infolge der Existenz einer Anklage erweckt gegenüber einem Angeschuldigten den Anschein der Willkür und müsste daher zur Ablehnbarkeit des Richters führen. Tatsächlich wird dies aber nicht gelingen, da die unkritische Prüfung kaum einmal von einem Richter zugegeben wird und sich überdies mangels Begründungspflicht der Eröffnung praktisch nicht nachweisen lässt. Letztlich liefe die vorzugswürdige (extensive) Auslegung des § 24 Abs. 2 StPO also darauf hinaus, die Handlungsmöglichkeiten des Gerichts im Zwischenverfahren faktisch zu beseitigen und es damit auch seiner Effektivität weitgehend zu berauben. Zudem wäre das Verfahren dann durch zahlreiche Befangenheitsanträge belastet und würde so künstlich in die Länge gezogen, zumal es sich dann jeweils um schwer prognostizierbare Einzelfallentscheidungen handelte. Die Vorschrift des § 24 Abs. 2 StPO erweist sich danach für die Beseitigung der Probleme des Zwischenverfahrens als nicht sachgerechte Lösung. Im Ergebnis ist daher eine Reform des Zwischenverfahrens dahingehend anzustreben, dass Tat- und Eröffnungsrichter personenverschieden sind. Eine solche Gesetzesänderung ist angesichts der aus sozialpsychologischer Sicht befangenheitsfördernden Ausgestaltung des Zwischenverfahrens und der fehlenden Korrekturmöglichkeit über § 24 StPO nachgerade unausweichlich. Der gegen diese Forderung vorgebrachte Einwand, wonach die (Vor-)Prüfung im Zwischenverfahren durch das spätere Tatgericht gewissenhafter vorgenommen werde als von einem separaten Eröffnungsgericht, vermag als valides Argument in der hier diskutierten Frage nicht zu überzeugen. Zunächst einmal darf davon ausgegangen werden, dass auch der Richter, der „nur“ mit der Frage der Eröffnung befasst ist, diese Frage sorgfältig und nach den Anforderungen des Gesetzes beantwortet. Insofern steht das Argument auch in einem gewissen Widerspruch zum normativen Richterbild, wonach sich der Beschuldigte auf den Idealtypus des 139 Dazu nochmals ausführlich unten 5. Teil E., a. A. aber BGH NStZ 2013, 411 = StV 2013, 432.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Richters stets verlassen dürfe. Darüber hinaus deuten auch die sozialpsychologischen Erkenntnisse („Schulterschlusseffekt“) darauf hin, dass sich nach der geltenden Rechtslage das Gericht auf die Anklage der Staatsanwaltschaft weitgehend verlässt und also auch hier eine gewissenhaftere Prüfung nicht gewährleistet ist. Im Gegenteil erscheint eine sorgfältigere Herangehensweise tendenziell eher durch ein Gericht gewährleistet, dem ausschließlich die Klärung der Frage der Eröffnung zugewiesen ist. Insoweit könnte auch durch die personelle Trennung dem Problem der fehlenden Effizienz des Zwischenverfahrens begegnet werden. Das Argument der gewissenhafteren Prüfung ist folglich nicht stichhaltig. Auch die gegen eine personelle Trennung angeführten Aspekte des Personalaufwandes und des möglicherweise kollidierenden – auch im Zwischenverfahren geltenden140 – Beschleunigungsgrundsatzes vermögen nicht zu überzeugen. Die Prüfung des hinreichenden Tatverdachtes vor der Eröffnung des Hauptverfahrens dient gerade dem Schutz des Beschuldigten, ist mit anderen Worten also als rechtsstaatlicher Sicherungsmechanismus zu verstehen. Auch die Aufhebung und Zurückverweisung eines Urteils durch ein höherrangiges Gericht stellt für sich genommen noch kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dar,141 sodass gleiches für ein zeitlich (marginal) verlängertes, dafür aber verbessertes Zwischenverfahren gelten muss. Zu erwägen wäre in diesem Zusammenhang die Schaffung neuer Richterstellen.142 Alles in allem scheint es danach zwingend geboten, diejenigen Richter, die zuvor am Eröffnungsverfahren mitgewirkt haben, von der Hauptverhandlung zwingend auszuschließen.

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK Bislang wurde die Rechtslage nur anhand der StPO beleuchtet. In jüngerer Zeit wird allerdings vermehrt die Frage aufgeworfen, ob die personelle Ausgestaltung des Zwischenverfahrens mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an einen unparteilichen Richter kompatibel ist. Der Klärung dieser Frage soll sich der folgende Teil der Untersuchung widmen.

140 141 142

BVerfG StV 2014, 35. EGMR, EuGRZ 2009, 566 (575); BGH StV 2006, 237 (240); NJW 2008, 307 (310). Traut/Nickolaus, StraFo 2012, 51 (58).

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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I. Rang und Geltung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in der deutschen Rechtsordnung, insbesondere dem Strafverfahrensrecht Bei der EMRK handelt es sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, der am 03. 09. 1953 nach der Ratifizierung durch zehn Mitgliedsstaaten in Kraft getreten ist. In ihrem ersten Abschnitt verbürgt die EMRK Menschenrechte und Grundfreiheiten, die gemäß Art. 1 EMRK von den Vertragsstaaten der Konvention gegenüber allen ihrer Hoheitsgewalt unterstellten Personen zu gewährleisten sind.143 Allerdings bleibt es den jeweiligen Vertragsstaaten selbst überlassen, wie sie die EMRK innerstaatlich umsetzen.144 In der Bundesrepublik Deutschland besitzt sie weder den Status von Verfassungsrecht noch den einer allgemeinen Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG.145 Vielmehr nimmt die Konvention den Rang eines einfachen Bundesgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ein.146 Entsprechend dieser Vorschrift wurde die EMRK durch ein Gesetz in die deutsche Rechtsordnung transformiert.147 Damit ist sie unmittelbar geltendes deutsches Recht und bindet Rechtsprechung und vollziehende Gewalt. Indes misst das BVerfG der EMRK trotz ihres formal „nur“ einfachgesetzlichen Ranges eine besondere Bedeutung innerhalb der deutschen Normenhierarchie zu. Dem Prinzip der völkerrechtsfreundlichen Auslegung folgend sei das gesamte deutsche Recht – auch das Verfassungsrecht selbst – im Lichte der EMRK zu interpretieren. Solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet seien, treffe deutsche Gerichte die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben.148 Von besonderer Relevanz sind die Judikate des EGMR. Art. 32 EMRK weist ihm eine (nicht ausschließliche) Kompetenz für alle die Auslegung und Anwendung der Konvention betreffenden Angelegenheiten zu. Die endgültigen Urteile des Gerichtshofes entfalten völkerrechtliche Bindungswirkung für die am Verfahren beteiligten Parteien. Der verurteilte Vertragsstaat muss folglich das gegen ihn ergangene Urteil befolgen und umsetzen, was sich auch aus Art. 46 Abs. 1 EMRK ergibt. Zwar entfaltet die Rechtsprechung des Gerichtshofes inter-partes-Wirkung, nicht aber eine echte erga-omnes-Wirkung.149 Dennoch geht von den Urteilen des EGMR nach der herrschenden Meinung eine faktische Orientierungswirkung für andere, 143 Zur Entwicklung des Menschenrechtsschutzes durch die EMRK Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, EMRK Einf. Rn. 42 ff. 144 BVerfG NJW 2004, 3407 (3408); Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (16). 145 Esser, in: Ahlbrecht et al., Internationales Strafrecht, Rn. 6. 146 Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, S. 79. 147 Gesetz vom 07. 08. 1952, BGBl. II, S. 685. 148 BVerfGE 11, 307 (317) = BVerfG NJW 2004, 3407 (3411); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 11 Rn. 13. 149 Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, Art. 46 EMRK Rn. 11; Esser, in: Ahlbrecht et al., Internationales Strafrecht, Rn. 474.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

nicht am konkreten Verfahren beteiligte Staaten aus.150 Das BVerfG hat die innerstaatliche Pflicht aller staatlicher Stellen zur Berücksichtigung der Spruchpraxis des EGMR über das Prinzip vom Vorrang des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich abgesichert.151 Teilweise wird gar vertreten, die Rechtsprechung entfalte Bindungswirkung für parallel gelagerte Fälle.152 Jedenfalls lässt sich festhalten, dass der Auslegung der Konvention durch den EGMR über den entschiedenen Fall hinaus eine normative Leitfunktion zukommt, an der sich die Vertragsstaaten orientieren müssen.153 Im Strafverfahren kommt der EMRK deshalb besondere Bedeutung zu, weil sie zahlreiche strafrechtlich relevante Garantien gewährleistet.154 Von herausragender Bedeutung ist dabei – auch im hiesigen Kontext – Art. 6 EMRK. Er gewährleistet in unterschiedlichen Ausprägungen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK).

II. Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK an die Unparteilichkeit des Richters und die Auslegung durch den EGMR Die EMRK selbst konkretisiert die Anforderungen an die Unparteilichkeit des Gerichts nicht, sondern spricht in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nur davon, dass jede Person das Recht hat, dass über eine gegen sie erhobene Anklage von einem unparteiischen Gericht entschieden wird. Nach der Rechtsprechung des EGMR muss das Gericht gegenüber jeder Verfahrenspartei und daher auch gegenüber einem Beschuldigten im Strafverfahren frei von Vorurteilen und Voreingenommenheit sein.155 Ob Unparteilichkeit gegeben ist, ist nach dem EGMR anhand zweier, nicht stets voneinander zu trennender, „Tests“ zu ermitteln.156 150 Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, Art. 46 EMRK Rn. 11; Grabenwarter, JZ 2010, 857 (860). 151 BVerfGE NJW 2004, 3407 (3410); NJW 2007, 204 (205); NJW 2011, 1931; BGH NJW 2007, 237 (239); Esser, StV 2005, 348 ff.; ders., in: Ahlbrecht et al., Internationales Strafrecht, Rn. 475. 152 So Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (18 f.), die dies unmittelbar aus Art. 1 EMRK ableiten wollen; wohl auch Esser, in: Ahlbrecht et al., Internationales Strafrecht, Rn. 473; vgl. auch Satzger, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, Art. 46 EMRK Rn. 11. 153 BVerfG NJW 2004, 3407 f.; NJW 2013, 3291 (3292) = NStZ-RR 2013, 324; Gusy, JA 2009, 406 (410); Payandeh, DÖV 2011, 382 (384); Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 15 (18 f.); Ambos, ZStW 2003, 583 (590); Esser, in: Ahlbrecht et al., Internationales Strafrecht, Rn. 474 ff. 154 Überblick bei Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 11 Rn. 26 ff. 155 „[…] impartiality normally denotes absence of prejudice and bias“, EGMR, Urt. vom 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien – 8692/79, Ziff. 30; Urt. vom 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern – 73797/01, Ziff. 118. 156 Gaede, in: Münchener Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 109; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rn. 44.

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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Nach dem subjektiven Test ist die Garantie auf ein unparteiliches Gericht verletzt, wenn die persönliche Einstellung im konkreten Verfahren nicht frei von Vorurteilen und Voreingenommenheit ist.157 Dabei wird die subjektive Unparteilichkeit widerleglich vermutet.158 Der Beschwerdeführer muss also vor dem EGMR beweisen, dass der Richter tatsächlich persönlich voreingenommen war,159 was regelmäßig schwer fallen wird.160 Nach dem objektiven Test liegt eine Verletzung der Garantie auf ein unparteiliches Gericht vor, wenn hinsichtlich eines mitwirkenden Richters – unabhängig von dessen persönlichem Verhalten – Umstände bestehen, welche aus objektiver Sicht den berechtigten Eindruck einer Befangenheit hervorrufen.161 Ausreichend ist hier bereits der Anschein der Unvoreingenommenheit.162 Ein solcher Anschein kann sich etwa aus dem Verhalten des Richters, vorangegangenen Funktionen im Verfahren selbst163 oder etwaigen Beziehungen zu Verfahrensbeteiligten ergeben.164 Dabei legt der EGMR grundsätzlich strengere Maßstäbe an die Unparteilichkeit des Gerichts an und weicht von der häufig restriktiven Rechtsprechung der Mitgliedsstaaten in der Befangenheitsfrage des Öfteren ab.165 Im Rahmen des objektiven Tests kommt es auch darauf an, ob die mitgliedsstaatlichen, organisatorischen und verfahrensrechtlichen Bestimmungen hinreichende Gewähr für die Unparteilichkeit des Richters bieten.166 Hier kann auch die 157

EGMR, Urt. vom 28. 01. 2010, Stechauer ./. Österreich – 20087/06, Ziff. 53; Urt. vom 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland – 42224/02, Ziff. 38; Urt. vom 27. 09. 2012 – Perusˇ ./. Slowenien – 35016/05, Ziff. 35; Gaede, in: Münchener Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 110; Meyer, in: Systematischer Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 86. 158 EGMR, Urt. vom 23. 06. 1981, Le Compte, Van Leuven und De Mayere ./. Belgien – 6878/75, Ziff. 58; Urt. vom 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien – 8692/79, Ziff. 30; Urt. vom 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island – 13778/88, Ziff. 50; Urt. vom 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland – 75737/01, Ziff. 39; Urt. vom 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland – 42224/02, Ziff. 38; Urt. vom 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien – 35016/05, Ziff. 35. 159 EGMR, Urt. vom 25. 06. 1992, Thorgeir Thorgeirson ./. Island – 13778/88, Ziff. 50. 160 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rn. 43; Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 119. 161 EGMR, Urt. vom 01. 10. 1982, Piersack ./. Belgien – 8692/79, Ziff. 30; Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 48; Urt. vom 26. 02. 1993, Padovani ./. Italien – 13396/87, Ziff. 25; Urt. vom 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern – 73797/01, Ziff. 118; Urt. vom 10. 08. 2006, Schwarzenberger ./. Deutschland – 75737/01, Ziff. 38; Urt. vom 28. 01. 2010, Stechauer ./. Österreich – 20087/06, Ziff. 53; Urt. vom 27. 01. 2011, Krivoshapkin ./. Russland – 42224/02, Ziff. 39; Urt. vom 27. 09. 2012, Perusˇ ./. Slowenien – 35016/05, Ziff. 34. 162 Meyer, in: Systematischer Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 88. 163 EGMR, Urt. vom 15. 12. 2005, Kyprianou ./. Zypern – 73797/01, Ziff. 121; Urt. vom 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien – 9186/80, Ziff. 26; Grabenwarter/Pabel, § 24 Rn. 48; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 213. 164 Meyer, in: Systematischer Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 88. 165 Meyer, in: Systematischer Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 89. 166 EGMR, Urt. vom 26. 10. 1984, De Cubber ./. Belgien – 9186/80, Ziff. 26; Grabenwarter/ Struth, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 6 II 1 Rn. 41.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Frage der Unparteilichkeit wegen Vorbefassung lokalisiert werden, die bereits Gegenstand zahlreicher Judikate des EGMR war und die im deutschen Strafverfahren pointiert durch die Befassung mit dem Eröffnungsbeschluss in Erscheinung tritt.

III. Überblick über den bisherigen Meinungsstand zur Vereinbarkeit der personellen Besetzung mit der EMRK Der vorliegend interessierenden Frage, ob es mit der EMRK vereinbar ist, dass der Richter des Zwischenverfahrens später auch in der Hauptverhandlung eingesetzt wird, wurde bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch der EGMR selbst war mit der Frage noch nicht befasst und konnte demzufolge keine Klärung herbeiführen. Soweit ersichtlich haben sich Wohlers167 und Kierzkowski168 vertiefter mit dieser Frage auseinandergesetzt. Beide gelangen zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtige Ausgestaltung des Zwischenverfahrens nicht mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar sei und stützen dies auf eine Analyse der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR zur Vorbefassung. Da die Fragen, die der Richter für die Entscheidung über den Eröffnungsbeschluss und die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten nach § 261 StPO zu beantworten hat, inhaltlich identisch seien, müsse nach den aufgestellten Maßstäben des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK von einem voreingenommenen Gericht ausgegangen werden.169 Im Übrigen finden sich keine ausführlichen Stellungnahmen bezüglich der Problematik der Vorbefassung unter spezifisch konventionsrechtlicher Perspektive. Hinzuweisen ist noch auf die Untersuchung von Esser, der das Zwischenverfahren für noch vereinbar mit Art. 6 Abs. 1 EMRK hält, und daher eine Reform für nicht erforderlich, wohl aber wünschenswert erachtet.170 Wenske vermag ebenfalls keinen Verstoß gegen die EMRK zu erkennen, da die Entscheidung über die Eröffnung und die abschließende Überzeugung nach § 261 StPO verschieden seien.171 Zuweilen wird auf ein jüngeres Judikat des EGMR172 zur Vorbefassung aufgrund richterlicher Tätigkeit im Rahmen der Entscheidung über Prozesskostenhilfe im deutschen Zi-

167

Wohlers, in: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 ff. Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 235 ff. 169 Wohlers, in: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1327); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 237. 170 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, S. 585 f. 171 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 38. 172 EGMR, Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07 = EGMR NJW 2012, 3019. 168

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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vilprozess verwiesen, in dem kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK erkannt wurde.173

IV. Analyse der Entscheidungen des EGMR zur Vorbefassung Dies veranlasst dazu, den Versuch zu unternehmen, anhand einer Darstellung und Analyse einschlägiger Entscheidungen des EGMR herauszuarbeiten, wann eine unzulässige, das heißt mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK unvereinbare, Konstellation der Vorbefassung vorliegt. Darauf aufbauend kann dann eine Prüfung der Vorbefassung des Richters im deutschen Zwischenverfahren anhand der Maßstäbe des EGMR erfolgen. 1. Hauschildt ./. Dänemark Eine grundlegende Entscheidung zur Unparteilichkeit wegen Vorbefassung traf der EGMR in dem Verfahren Hauschildt ./. Dänemark174. In diesem Fall sah der Beschwerdeführer das Recht auf einen unparteiischen Richter darin verletzt, dass ein Richter, der ihn verurteilt hatte, zuvor als Ermittlungsrichter tätig gewesen war und dabei unter anderem einen Haftbefehl gegen ihn erlassen und aufrechterhalten hatte.175 Der Gerichtshof stellte zunächst klar, dass die Mitwirkung an solchen Entscheidungen nicht per se die Besorgnis der Befangenheit begründe, maßgeblich sei vielmehr eine Beurteilung im Einzelfall.176 Er stellte ferner fest, dass die Fragen, die ein Richter im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beantworten müsse, andere seien, als die Fragen, die für das Urteil entscheidend seien. Während der Richter im Ermittlungsverfahren das vorhandene Beweismaterial nur summarisch bewerte, um zu prüfen, ob prima facie Gründe für einen Tatverdacht sprächen, müsse er für ein endgültiges Urteil bewerten, ob die im Verfahren vorgebrachten und erörterten Beweise ausreichten, um eine Schuld des Angeklagten festzustellen. Ein Verdacht und eine verfahrensmäßige Feststellung der Schuld seien insoweit nicht dasselbe.177 Gleichwohl gelangte der Gerichtshof im Fall Hauschildt ./. Dänemark zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK gegeben war. Nach den (seinerzeit geltenden) Vorschriften der dänischen Strafprozessordnung musste sich der Richter versichern, dass besonders begründete Verdachtsmomente („particularly confirmed suspicion“) dafür sprechen, dass der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat begangen hätte. Dieser Wortlaut wurde im Verfahren vor dem EGMR dahingehend präzisiert, dass ein hoher Grad an Klarheit („a very high degree of clarity“) 173 174 175 176 177

Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rn. 14. EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83. EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 43. EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 49. EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 50.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

hinsichtlich der Frage der Schuld bestehen müsse. Nach Ansicht des Gerichtshofs ist der Unterschied zwischen diesem hohen Grad an Klarheit und der endgültigen Entscheidung im Urteil so gering, dass der Eindruck der Befangenheit gerechtfertigt ist und er folglich einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK angenommen hat.178 2. Fey ./. Österreich Anders lag es in dem Verfahren Fey ./. Österreich179. Hier war eine Richterin im Ermittlungsverfahren mit der Zeugenvernehmung auf ein Rechtshilfeersuchen des Ermittlungsrichters hin vorbefasst.180 Die Richterin protokollierte die Aussage, holte noch Informationen von einer Bank und zwei Versicherungsinstituten ein und übersandte die Akte an ein anderes Gericht.181 Dabei war nicht absehbar, dass die Richterin später im Hauptverfahren tätig sein würde.182 Der Gerichtshof verwies zunächst auf seine Hauschildt-Rechtsprechung, wonach Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters nicht schon gerechtfertigt sein könnten, weil dieser zuvor Entscheidungen im Ermittlungsverfahren getroffen habe. Sodann stellte er heraus, dass für die Frage der Unparteilichkeit das Ausmaß und die Natur der Maßnahmen des Richters im Ermittlungsverfahren („extent and nature of the pretrial measures taken by the judge“) maßgeblich seien.183 Gemessen daran sei die verfahrensgegenständliche Form der Vorbefassung – die Protokollierung einer Zeugenbefragung und vereinzelte Informationsbeschaffungsmaßnahmen – nicht geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.184 3. Saraiva de Carvalho ./. Portugal Eine erste Entscheidung, die die Eröffnung des strafprozessualen Hauptverfahrens betraf, fällte der EGMR in dem Verfahren Saraiva de Carvalho ./. Portugal185. Hier beanstandete der Beschwerdeführer, dass der erkennende Richter zum einen mit dem Erlass des so genannten despacho de pronúncia und zum anderen mit der Anordnung der Haftfortdauer vorbefasst gewesen war und daher ein Verstoß gegen

178 179 180 181 182 183 184 185

EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 52. EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88. EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 31. EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 31, 32. EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 31. EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 30. EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 34 ff. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89.

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vorgelegen hätte.186 Der Gerichtshof vermochte dem nicht zu folgen.187 Im Zuge des Erlasses eines despacho de pronúncia stellt der Richter erstens fest, dass es zu keinen Unregelmäßigkeiten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gekommen ist und dass dem Verfahren keine sonstigen Hindernisse entgegenstehen.188 Ferner muss er prüfen, ob es hinreichende Beweise gibt, um eine zuverlässige Bewertung der Wahrscheinlichkeit der Schuld des Angeklagten vorzunehmen.189 Zunächst stellte der EGMR klar, dass die Mitwirkung an Zwischenentscheidungen für sich genommen keine Zweifel an der richterlichen Unparteilichkeit rechtfertigen kann. Entscheidend seien Umfang und Natur der richterlichen Maßnahmen vor dem Hauptverfahren.190 Der Gerichtshof betonte, dass der Richter sich hier nicht – wie im Verfahren Hauschildt ./. Dänemark – vom Bestehen besonders begründeter Verdachtsmomente („particularly confirmed suspicion“) überzeugen musste, sondern vom Vorliegen von „prima facie evidence“.191 Insoweit sei der Fall eher mit dem Verfahren Nortier ./. Niederlande192 vergleichbar, in dem von erheblichen Anhaltspunkten („serious indications“) die Rede sei.193 Eine solche vorläufige Bewertung der Beweismittel könne nicht mit der Feststellung der Schuld am Ende eines Verfahrens verglichen werden, zumal der Richter auch keinerlei Untersuchungen oder Ermittlungshandlungen vorgenommen habe.194 4. Castillo Algar ./. Spanien Im Verfahren Castillo Algar ./. Spanien195 ging es um ein (Militär-)Strafverfahren, in dem zwei der drei entscheidenden Richter zuvor an einer Entscheidung beteiligt waren, mit der die Beschwerde des Beschuldigten gegen den auto de procesamiento zurückgewiesen und damit die Anklage zum Hauptverfahren zugelassen wurde. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die Garantie des unparteilichen Richters vorliege,196 da der Wortlaut der Entscheidung so wirke, als hätte das Gericht, welches die Beschwerde gegen die Anklage zurückwies und das mit zwei der später erkennenden Richter besetzt war, die Auffassung der Vorinstanz,

186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196

EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 30. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 40. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 12, 36. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 12. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 35. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 38. EGMR, Urt. vom 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande – 13924/88. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 38. EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 38. EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien – 28194/95. EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien – 28194/95, Ziff. 51.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

wonach hinreichende Beweise („sufficient evidence“) dafür vorlagen, dass eine Straftat begangen wurde, schlichtweg übernommen.197 5. Perote Pellon ./. Spanien In dem ähnlich gelagerten Fall Perote Pellon ./. Spanien198 monierte der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, weil zwei beteiligte Richter die Beschwerde gegen die Eröffnung des Verfahrens zurückgewiesen und festgestellt hätten, dass aufgrund zahlreicher gewichtiger und eindeutiger Indizien davon auszugehen sei, dass der Beschuldigte sich an einem Delikt beteiligt habe.199 Zugleich hatten die Richter die Haftfortdauer angeordnet und Rechtsmittel dagegen zurückgewiesen.200 Der Verweis auf die Vorläufigkeit der Entscheidung überzeugte den EGMR dabei nicht. Er erkannte auf einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und begründete diesen mit dem bereits beschriebenen Wortlaut der Entscheidung und der Beteiligung der Richter an mehreren Vorentscheidungen gegen den Beschwerdeführer, die vom Verfassungsgericht aufgehoben wurden.201 6. Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien Einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK sah der Gerichtshof auch in dem Verfahren Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien202. Dabei rügte der Beschwerdeführer die unzulässige Vorbefassung wegen der Eröffnung des Hauptverfahrens und Zurückweisung einer Beschwerde des Beschuldigten hiergegen.203 Wiederum betonte der EGMR, dass bloße Zwischenentscheidungen für sich genommen keine Zweifel an der Unparteilichkeit rechtfertigen, entscheidend vielmehr der Umfang der vorangehenden richterlichen Maßnahmen sei.204 Zwar hatte die Kammer in ihrer Entscheidung, das mündliche Verfahren zu eröffnen, darauf hingewiesen, dass es sich nur um vorläufige Entscheidungen handele, gleichwohl entnahm der EGMR dem Wortlaut dieser Entscheidung die Eignung, Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter zu hegen: Da die Richter auf mögliche Rechtfertigungsgründe oder mildernde Umstände verwiesen, könne vermutet werden, dass die Richter bereits von

197

EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien – 28194/95, Ziff. 48. EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien – 45238/99. 199 EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien – 45238/99, Ziff. 15. 200 EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien – 45238/99, Ziff. 18 ff. 201 EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002, Perote Pellon ./. Spanien – 45238/99, Ziff. 50. 202 EGMR, Urt. vom 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien – 21369/04. 203 EGMR, Urt. vom 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien – 21369/04, Ziff. 55. 204 EGMR, Urt. vom 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien – 21369/04, Ziff. 64. 198

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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verwirklichten Straftaten ausgingen.205 Daher könne davon ausgegangen werden, dass die Richter sich bereits mit Fragen der Schuld des Beschwerdeführers befassten.206 7. Binder ./. Deutschland Von Interesse dürfte in dem hier relevanten Zusammenhang auch das Verfahren Jürgen Binder ./. Deutschland207 sein, in dem der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Recht auf einen unparteilichen Richter darin gesehen hat, dass der in einem Zivilrechtsstreit in der Berufungsinstanz entscheidende Richter zuvor einen Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen hatte. Der EGMR stellte zunächst klar, dass eine Vorbefassung des Richters grundsätzlich zu Zweifeln an der Unparteilichkeit des Richters führen könne, wenn er zuvor an der Verhandlung zur Sache teilgenommen und am angegriffenen Urteil mitgewirkt habe und nun über die Richtigkeit seiner eigenen Auslegung und Anwendung des Rechts entscheiden müsse. Maßgeblich sei aber, ob es bei der im vorherigen Verfahren zu entscheidenden Frage um denselben Sachverhalt ging, wie in dem aktuellen Verfahren. Mit Verweis auf seine Rechtsprechung zum Strafverfahrensrecht hob der EGMR hervor, dass die Tatsache, dass ein Richter vor der Hauptverhandlung eine Entscheidung getroffen habe, allein noch keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertige. Der entscheidende Gesichtspunkt sei vielmehr, dass es zwischen einer summarischen Prüfung eines Falles („summary examination of a case“) einerseits – die sich nur darauf beziehe, ob eine Person verdächtig sei, die Straftat begangen zu haben – und der förmlichen Schuldfeststellung andererseits einen Unterschied gebe und diese nicht miteinander gleichgestellt werden könnten. Dieselben Grundsätze gölten auch für das zivilgerichtliche Verfahren. Da die Prüfung nach § 114 ZPO nur summarisch auf Basis der verfügbaren Informationen erfolgte und insbesondere nicht erkennbar war, dass der erkennende Richter seinerzeit über diese nur summarische Prüfung hinausgegangen wäre oder der Unterschied zwischen den beiden Fragen, die er zu entscheiden hatte, sonst verwischt worden wäre, liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht vor.208 205 EGMR, Urt. vom 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien – 21369/04, Ziff. 68. 206 EGMR, Urt. vom 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien – 21369/04, Ziff. 68. 207 EGMR, Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07; die in NJW 2012, 3019 wiedergegebene Entscheidung wurde mit einem redaktionellen Leitsatz versehen, wonach die summarische Prüfung des hinreichenden Tatverdachts vor Eröffnung des Hauptverfahrens noch kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK bedeute und auch in der Kommentarliteratur wird sie teilweise als Beleg dafür herangezogen, dass die Vorbefassung durch Erlass des Eröffnungsbeschlusses nicht gegen die EMRK verstoße (so etwa Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 24 Rn. 14), was aber, wie sich aus den weiteren Ausführungen ergeben wird, in dieser Pauschalität nicht zutrifft. 208 EGMR, Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

8. Zusammenfassung und Analyse der einschlägigen Entscheidungen Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Entscheidungen des EGMR keineswegs einheitlich anhand klarer Kriterien ergehen, was sicherlich auch an der Besetzung der jeweiligen Spruchkörper mit Richtern aus unterschiedlichen Ländern mit verschiedenen Rechtstraditionen liegen mag. Infolgedessen erscheint die Prognose einer Entscheidung des EGMR zur personellen Besetzung des deutschen Zwischenverfahrens schwierig.209 Zudem drängt sich der Eindruck auf, dass der Gerichtshof mit fortschreitender Zeit deutlich großzügiger mit einer Vorbefassung umgeht und seltener einen Verstoß gegen die Garantie des unparteilichen Richters aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK annimmt. Es soll nunmehr versucht werden, die wesentlichen Aussagen der vorgestellten Entscheidungen des EGMR dergestalt zu strukturieren, dass eine Subsumtion der §§ 199 ff. StPO jedenfalls im Ansatz geordnet erfolgen kann. Im Ausgangspunkt ist klar, dass nicht jede Mitwirkung an Vorentscheidungen per se problematisch ist.210 Maßgeblich sind vielmehr Ausmaß und Natur der jeweiligen vorangegangenen Maßnahme des Richters.211 So kann es etwa problematisch sein, wenn der Richter im Rahmen seiner Vorentscheidungen ermittelnde und justizielle Funktionen zugleich wahrgenommen hat.212 Oftmals stellt der Gerichtshof einzelfallbezogen213 auf den Wortlaut der jeweiligen Entscheidung ab.214 Er differenziert dabei auch zwischen einer nur summarischen Prüfung einerseits, die grundsätzlich unschädlich ist und der förmlichen Feststellung der Schuld am Verfahrensende andererseits.215 Zwar vermag die Vorbefassung des Richters in Form einer nur summarischen Prüfung im Rahmen der Vorentscheidung noch keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu begründen. Allerdings zieht der Gerichtshof dann eine Grenze, wenn der Richter über die nur summarische Prüfung hinausgeht216 oder die Fragen, die er im Rahmen der Zwischenentscheidung und der verfahrensabschließenden Entscheidung beantworten muss, derart nahe beieinanderliegen, dass sie sich kaum mehr voneinander unterscheiden, der Richter also letztlich mit den gleichen

209 So auch Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 235. 210 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 49; Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 35. 211 EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 30; Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 35. 212 Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, Art. 6 Rn. 46. 213 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 49. 214 EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien – 28194/95, Ziff. 48; Urt. vom 22. 07. 2008, Gomez de Liaño y Botella ./. Spanien – 21369/04, Ziff. 68. 215 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 50. 216 EGMR, Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07.

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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Fragen befasst war, die er dann in der Hauptsache erneut beantworten muss.217 Der Gerichtshof nimmt hierbei auch den Grad des zu prüfenden Verdachtes in den Blick und unterscheidet zwischen unschädlichem „prima facie evidence“218 und besonders begründeten Verdachtsmomenten („particularly confirmed suspicion“), die zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK führen.219 Allerdings verlaufen auch hier die Grenzen zwischen zulässiger und unzulässiger Vorbefassung fließend: Während einerseits das Vorliegen von „serious indications“ noch im Rahmen sein soll,220 sei „sufficient evidence“ jedenfalls dann problematisch, wenn die Beurteilung von der vorangehenden Instanz ohne Weiteres übernommen wurde.221 Verglichen mit der deutschen Rechtsprechung zur Befangenheit infolge von Vorbefassung, wonach der Beschuldigte grundsätzlich auf die Neutralität des vorbefassten Richters zu vertrauen hat, es sei denn, es liegen zusätzlich konkret-verfahrensbezogene Umstände vor, die Gegenteiliges besorgen lassen, ist der hier skizzierte Maßstab des EGMR aber durchaus strenger und zugleich präziser, da eine Befangenheit nicht erst aus zusätzlichen Umständen jenseits der Vorbefassung, sondern aus Inhalt und Gegenstand der Vorbefassung selbst abgeleitet werden kann.222

V. Übertragung auf das deutsche Zwischenverfahren Wendet man die sich aus der EGMR-Judikatur ergebenden Maßstäbe auf die Vorbefassung des Richters durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses im Zwischenverfahren an, sind drei Tätigkeiten des Richters in den Blick zu nehmen: Erstens der Erlass des Eröffnungsbeschlusses, zweitens der zusätzliche Erlass eines Haftfortdauerbeschlusses sowie drittens die dem Gericht eröffnete Möglichkeit, nach § 202 StPO eigenständig Beweise zur Klärung der Tatverdachtsfrage zu erheben. 1. Erlass des Eröffnungsbeschlusses Bekanntermaßen hat der Richter im Zwischenverfahren die Zuständigkeit und die sonstigen Prozessvoraussetzungen zu prüfen sowie den Verfahrensgegenstand festzulegen. Hinsichtlich der Befassung mit diesen Fragen ist eine Kollision mit der 217 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 52; Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07; Wohlers, in: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1322). 218 EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 38. 219 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989, Hauschildt ./. Dänemark – 10486/83, Ziff. 52. 220 EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 38; Urt. vom 24. 08. 1993, Nortier ./. Niederlande – 13924/88. 221 EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998, Castillo Algar ./. Spanien – 28194/95, Ziff. 48. 222 Ähnlich Gaede, in: Münchener Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 116.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Garantie auf ein unparteiliches Gericht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht zu befürchten, da der Richter hier keinen Fragen nachgeht, die er zur Schuldfeststellung benötigen würde; vielmehr handelt es sich hierbei um die Prüfung bloß formaler Voraussetzungen. Anders könnte es sich aber mit der materiellen Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen verhalten, also der Beantwortung der Frage, ob hinreichender Tatverdacht gegeben ist. Sie könnte sehr wohl einen unzulässigen Fall der Vorbefassung bilden. Betrachtet man zunächst die einschlägigen Vorschriften der §§ 207, 203 StPO, wonach das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschließt, „wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint“ und in „dem Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet wird, […] das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu[läßt]“, so dürfte eine Beurteilung allein anhand des Wortlauts der Vorschriften keinerlei Probleme mit den oben herausgearbeiteten Maßstäben des EGMR ergeben. Allerdings griffe eine solche abstrakte Betrachtung deutlich zu kurz, da es nach der Rechtsprechung des EGMR maßgeblich auf den Inhalt der Entscheidung ankommt. Prüfungsmaßstab ist der hinreichende Tatverdacht, der nach allgemeiner Ansicht vorliegt, wenn der Verdacht bei einer vorläufigen Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist.223 Eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden Tatverdacht ist nicht erforderlich.224 Dass es sich um eine nur vorläufige Beurteilung handelt, ist nach der Rechtsprechung des EGMR im Verfahren Perote Pellon ./. Spanien jedenfalls nicht beachtlich.225 Fraglich ist indes, ob es sich bei dieser Prüfung um eine bloß summarische Prüfung oder schon eine Schuldfeststellung im Sinne der EGMR-Rechtsprechung handelt, wofür der Prüfungsmaßstab für die Eröffnung des Hauptverfahrens, genauer: der hinreichende Tatverdacht, betrachtet werden muss. Inhaltlich erfordert diese Entscheidung eine tatsächliche und rechtliche Würdigung. Der Richter muss dabei im Rahmen seiner Verurteilungsprognose hinsichtlich der Beurteilung von Rechtsfragen grundsätzlich von der Strafbarkeit des Angeschuldigten mit Sicherheit ausgehen und darf nicht nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil fällen.226 Es handelt sich dabei nicht um eine nur vorläufige Prüfung, sondern um eine in jeder Hinsicht erschöpfende rechtliche Bewertung, die bezogen auf den noch unsicheren (also vorläufigen) Sachverhalt als endgültig bezeichnet werden kann.227 223 BGH NJW 1970, 1543 (1544); BGHSt 23, 304 (306) = NJW 1970, 2071 (2072); OLG Karlsruhe, StV 2012 (459); OLG Hamm, StV 2017 (301); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11. 224 OLG Celle, StV 2016, 13; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 4. 225 Dazu oben 3. Teil E. IV. 5. 226 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 8; Leipold, in: Festschrift für Schlothauer, S. 345 (349); Rieß, JURA 2002, 735 (737). 227 Miehe, in: Festschrift für Grünwald, S. 379 (387).

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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Wird die noch unsichere Tatsachengrundlage im Hauptverfahren bestätigt, kann also gesagt werden, dass zumindest in rechtlicher Hinsicht keine summarische Prüfung vorgenommen wird, sondern eine Vor-Festlegung gegeben ist, zumal das Gericht gemäß § 265 Abs. 1 StPO den Angeklagten in der Hauptverhandlung darauf hinweisen muss, wenn es von dem im Eröffnungsverfahren gefundenen Ergebnis abweichen und ihn aufgrund eines anderen als in der zugelassenen Anklage bezeichneten Gesetzes verurteilen will. Es ist anerkannt, dass im Zwischenverfahren die Anklage nicht nur summarisch, etwa auf ihre Schlüssigkeit hin untersucht wird, sondern eine gründliche Prüfung der Beweislage anhand des Aktenmaterials erfolgt.228 Auch der Grad des Verdachts kann nach der gängigen Definition nicht nur als „prima facie evidence“ bezeichnet werden, ist doch immerhin eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit erforderlich, wobei der Richter auch die strengbeweisliche Reproduzierbarkeit des Beweisstoffes in der Hauptverhandlung in den Blick zu nehmen hat. Näher liegt vielmehr eine Parallele zu der in dem Verfahren Castillo Algar ./. Spanien vom EGMR beanstandeten Kombination aus „sufficient evidence“ und der schlichten Übernahme dieser Bewertung aus der Vorinstanz, die in Deutschland zwar kein Gericht, dafür aber die Staatsanwaltschaft wäre. Insoweit lässt sich zunächst feststellen, dass die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts weder eine nur summarische Prüfung ist,229 noch als endgültige und förmliche Schuldfeststellung bezeichnet werden kann. Daher muss – gewissermaßen in einem zweiten Schritt – geklärt werden, ob die Fragen, die der Richter im Rahmen der Eröffnung und am Ende des Hauptverfahrens zu beantworten hat, so nahe beieinanderliegen, dass sie sich kaum mehr voneinander unterscheiden, der Richter also letztlich mit den gleichen Fragen befasst ist.230 Auf das deutsche Recht übertragen stellt sich die Frage des Verhältnisses zwischen § 203 StPO einerseits und § 261 StPO andererseits. Zunächst einmal kann diese dahingehend beantwortet werden, dass § 203 StPO nur die Feststellung einer (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit verlangt, während § 261 StPO die Überzeugung des Tatrichters von der Schuld des Angeklagten erfordert. Mit Überzeugung ist dabei allerdings keine „mathematische Gewissheit“ gemeint, sondern vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht mehr aufkommen.231 Hinsichtlich der Beantwortung rechtlicher Fragen ergibt sich hier kein Unterschied zu den obigen Ausführungen, insoweit verläuft die Un228 Eisenberg, JZ 2013, 672; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 38; unklar Meyer, in: Systematischer Kommentar StPO, Art. 6 EMRK Rn. 90. 229 So auch Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1325); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 237. 230 Dazu oben 3. Teil E. IV. 8. 231 BGH NStZ 1988, 236; 2010, 102; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 90; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 261 Rn. 2.

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3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

terscheidung zwischen der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts und der Urteilsfällung auf tatsächlicher Ebene, genauer der Tatsachengrundlage der jeweiligen Entscheidungen. Während die Eröffnungsentscheidung auf Basis der Aktenlage erfolgt, hat das erkennende Gericht allein aufgrund der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren zu entscheiden.232 Die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde liegende Beurteilung steht also unter dem Vorbehalt, dass sich im Rahmen der überlegenen Erkenntnismethoden der Hauptverhandlung etwas anderes herausstellen kann.233 Wenske erblickt in diesem Unterschied – Prüfung nach Aktenlage hier, Prüfung im Strengbeweisverfahren dort – den entscheidenden Punkt für die konventionsrechtliche Beurteilung und geht daher von einer „prima-facie“-Prüfung aus, die den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK standhalte.234 Demgegenüber ist Wohlers der Ansicht, dass die Prüfung im deutschen Zwischenverfahren gar weit über das hinausgehe, was der EGMR in den Fällen Castillo Algar ./. Spanien und Perote Pellon ./. Spanien als unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bezeichnet habe.235 Ferner weist er darauf hin, dass sich das Ergebnis der Hauptverhandlung und die Aktenlage bisweilen vollständig entsprechen können, nämlich dann, wenn das Selbstleseverfahren mit dem Verzicht der Verfahrensbeteiligten auf etwaige Zeugenvernehmungen nach §§ 251 ff. StPO kombiniert würden.236 Infolgedessen entspreche die Prüfung, die das erkennende Gericht bei der Urteilsfällung vorzunehmen habe, derjenigen bei Verfahrenseröffnung.237 Letztere Argumentation kann anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Selbstleseverfahren noch weitergeführt werden: Dieses soll auch dann ordnungsgemäß durchgeführt worden sein, wenn die Urkunden bereits vor der Anordnung der Selbstlesung, etwa bei der Prüfung der Eröffnungsentscheidung, gelesen wurden.238 In diesem Fall findet eine Prüfung im Hauptverfahren schlicht nicht mehr statt, vielmehr entscheidet der Tatrichter auf derselben Grundlage wie im Zwischenverfahren, er beantwortet mithin nicht einmal mehr zweimal dieselbe Frage, sondern nur einmal und zwar im Rahmen der Eröffnung. Folglich muss jedenfalls diese nach deutschem Recht zulässige Praxis als nicht vereinbar mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bezeichnet werden. Inwieweit jenseits dieser speziellen Konstellation ein genereller Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vom Gerichtshof angenommen würde, lässt sich schwer beantworten, da unklar ist, wie der EGMR die hier herausgestellten Unterschiede 232

Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1324). Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1324); Miehe, in: Festschrift für Grünwald, S. 379 (387). 234 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 38. 235 Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1325 f.). 236 Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1324). 237 Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1327); dem folgend Isfen, ZStW 2013, 325 (328); Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 237. 238 BGH, Beschl. vom 10. 01. 2012 – 1 StR 587/11 = NStZ 2012, 346 (347) mit Bespr. Albrecht, ZIS 2012, 163 ff. 233

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

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zwischen den Entscheidungen nach § 203 StPO und § 261 StPO würdigen würde und Anhaltspunkte hierfür in seiner Rechtsprechung nicht ersichtlich sind. In der Literatur wurde bislang nur vereinzelt zu der Frage Stellung bezogen: Während Wenske einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK ablehnt,239 vertreten Wohlers240 und Kierzkowski241 die Auffassung, dass das Zwischenverfahren aus dem vorbezeichneten Grund nicht kompatibel mit der EMRK sei. Allerdings muss der Argumentation Wenskes, der maßgeblich auf den Unterschied zwischen der richterlichen Prüfung im Freibeweisverfahren und dem im Hauptverfahren geltenden Strengbeweisverfahren abhebt, entgegengehalten werden, dass bereits die Eröffnungsentscheidung nach der herrschenden Auffassung eine Prognose hinsichtlich der prozessordnungsgemäßen Beweisbarkeit am Ende des Hauptverfahrens erfordert,242 womit die strengbeweisliche Reproduzierbarkeit Eingang in die Eröffnungsentscheidung findet und die von ihm betonten Unterschiede als marginal bezeichnet werden müssen. Zwar kann die vorliegende Untersuchung den Ausgang eines potentiellen Verfahrens vor dem EGMR nicht antizipieren. Allerdings kann als weiterer Anhaltspunkt die Entscheidung Binder ./. Deutschland dienen, in der der Gerichtshof in der richterlichen Prüfung der Erfolgsaussichten nach § 114 ZPO eine unschädliche summarische Prüfung sah, einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ablehnte und die in Teilen der Literatur – ohne nähere Begründung – auf die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts im Strafverfahren übertragen wird. Dieser Vergleich ist bereits deshalb zweifelhaft, weil im Verfahren Binder ./. Deutschland – und das betont auch der EGMR243 – zwischen der Vorbefassung im Rahmen einer Entscheidung über Prozesskostenhilfe und der nachfolgenden Befassung in der Berufung immerhin eine Instanz lag und der Richter mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Urteils befasst war, was bei der hier interessierenden Frage gerade nicht der Fall ist. Da der Gerichtshof ohne nähere Begründung davon ausgeht, dass der Richter im Rahmen des § 114 ZPO nur eine summarische Prüfung im Sinne der EGMR-Rechtsprechung vornehme,244 ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit die Prüfungsmaßstäbe von § 114 ZPO einerseits und § 203 StPO andererseits vergleichbar sind. Bereits ein erster Blick in die Kommentarliteratur zeigt, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten bei § 114 ZPO vorherrschend als „summarisch“ bezeichnet wird,245 was bei § 203 StPO nicht geschieht.246 Hinreichende Aussicht auf 239

Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 38. Wohlers, in: Festschrift für C. Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1326 f.). 241 Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 237. 242 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; ferner unten 4. Teil C. I. 2. 243 EGMR, Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07, NJW 2012, 3019. 244 EGMR, Entsch. vom 20. 09. 2011, Binder ./. Deutschland – 44455/07, NJW 2012, 3019. 245 Wache, in: Münchener Kommentar ZPO, § 114 Rn. 50; Zempel, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 114 Rn. 25; Reichling, in: BeckOK ZPO, § 114 Rn. 28. 240

130

3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Erfolg im Sinne des § 114 ZPO besteht bereits dann, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Partei, die um Prozesskostenhilfe nachsucht, für vertretbar hält und von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist,247 wobei es für diese Möglichkeit grundsätzlich genügt, dass eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der bedürftigen Partei ausgehen wird.248 Mithin ist die Prüfung im Rahmen des § 114 ZPO deutlich durchlässiger als diejenige des § 203 StPO. Dieser Befund kann überdies verfassungsrechtlich abgesichert werden, da beide Prüfprogramme grundrechtlich determiniert sind: Während im Strafverfahren die Eingriffsintensität der Hauptverhandlung berücksichtigt werden muss und daher tendenziell hohe Anforderungen an die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts zu stellen sind,249 ergibt sich für die Gewährung von Prozesskostenhilfe aus dem Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Sozialstaatsprinzip, dass grundsätzlich jeder die Möglichkeit haben muss, seine Rechte unabhängig von seinen finanziellen Möglichkeiten durchzusetzen.250 Folglich dürfen die Anforderungen bei § 114 ZPO nicht überspannt werden.251 Alles in allem ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des EGMR in der Sache Binder ./. Deutschland nicht auf die Vorbefassung des Eröffnungsrichters übertragen werden kann. Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne des § 203 StPO wohl nicht als nur summarische Prüfung im Sinne der EGMR-Rechtsprechung bezeichnet werden kann und in der Folge das Potential in sich birgt, vom Gerichtshof als konventionswidrig bezeichnet zu werden, sofern dieser seine bisherige Rechtsprechung konsequent fortführt und die im Rahmen von § 203 StPO einerseits und § 261 StPO andererseits zu beantwortenden Fragen genau in den Blick nimmt. Sicher ist dies jedoch nicht, da der Gerichtshof im Verfahren Binder ./. Deutschland bedauerlicherweise eine eher oberflächliche Betrachtung der fraglichen nationalen Norm (§ 114 ZPO) angestellt hat.

2. Zusätzlicher Erlass eines Haftfortdauerbeschlusses Befindet sich der Angeschuldigte in Untersuchungshaft oder ist er einstweilen untergebracht, beschließt das Eröffnungsgericht nach § 207 Abs. 4 StPO neben der Eröffnung des Hauptverfahrens zugleich von Amts wegen über die Fortdauer der 246 Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass es sich gerade nicht um eine summarische Prüfung handelt, so z. B. Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 38. 247 BGH NJW 1988, 266 (267); NJW 1994, 1160 (1161); Reichling, in: BeckOK ZPO, § 114 Rn. 28. 248 BVerfG NJW-RR 2002, 1069; NJW 2008, 1060 (1061). 249 Siehe hierzu noch unten 5. Teil C. III. 250 BVerfG NJW-RR 2002, 1069; NJW 2014, 1291. 251 BVerfG NJW 1991, 413; NJW-RR 2002, 1069; NJW 2014, 1291 (1292); Zempel, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 114 Rn. 2.

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

131

Untersuchungshaft oder einstweiligen Unterbringung. Für diese bedarf es bekanntermaßen eines dringenden Tatverdachts, sodass ein Konflikt zu der dargestellten Rechtsprechung des EGMR geradezu augenfällig wird: Der Begriff des dringenden Tatverdachts bringt einen gegenüber dem wie soeben gezeigt bereits für sich genommen problematischen hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO deutlich stärkeren Verdachtsgrad zum Ausdruck, verlangt also einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für Täterschaft und Schuld und setzt voraus, dass eine Verurteilung mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.252 Bedenkt man hier, dass der EGMR die Annahme besonders begründeter Verdachtsmomente („particularly confirmed suspicion“) im Sinne eines hohen Grades an Klarheit („a very high degree of clarity“) hinsichtlich der Frage der Schuld durch den vorbefassten Richter für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK hält,253 fällt die konventionsrechtliche Beurteilung der Eröffnung des Hauptverfahrens nebst Fassung eines Haftfortdauerbeschlusses eindeutig aus: Zunächst ist die Prüfung des dringenden Tatverdachts im Rahmen des § 207 Abs. 4 StPO keine nur summarische bzw. vorläufige Prüfung, weil – anders als dies etwa im Laufe des Ermittlungsverfahrens der Fall sein mag – der Sachverhalt ausermittelt ist. Gibt der Richter mit der Fassung eines Haftfortdauerbeschlusses also zu erkennen, dass er auf Basis dieses ausermittelten Sachverhalts hoch wahrscheinlich von der Täterschaft des Angeschuldigten und auch seiner Verurteilung ausgeht, geht er mit einem hohen Grad an Klarheit von der Schuld des Angeschuldigten aus und verstößt nach den oben dargestellten Maßstäben des EGMR gegen die Garantie der Unparteilichkeit des Gerichts. 3. Beweiserhebungen nach § 202 S. 1 StPO Auch die dem Gericht durch § 202 S. 1 StPO eröffnete Möglichkeit, zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anzuordnen, birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK in sich. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann es an der Unparteilichkeit des Richters nämlich fehlen, wenn er zuvor als Ermittlungs- oder Untersuchungsrichter („no steps in the investigation or the prosecution“) beteiligt war, wobei auch hier wiederum Ausmaß und Natur der Maßnahme entscheidend sind.254 So entschied der EGMR in dem Verfahren Adamkiewicz ./. Polen255, dass ein Richter voreingenommen im Sinne der EMRK sei, wenn er zuvor die Ermittlungen geführt und bei Abschluss der Ermittlungen festgestellt habe, dass die aufgefundenen Hinweise darauf hindeuteten, der Beschwerdeführer sei der Täter und die Sache sodann an das Jugendgericht abgab.256 Um252

Siehe nur Lind, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 112 Rn. 19 m. w. N. Siehe oben 3. Teil E. IV. 1. (Hauschildt ./. Dänemark). 254 EGMR, Urt. vom 22. 04. 1994, Saraiva de Carvalho ./. Portugal – 15651/89, Ziff. 38. 255 EGMR, Urt. vom 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen – 54729/00. 256 EGMR, Urt. vom 02. 03. 2010, Adamkiewicz ./. Polen – 54729/00, Ziff. 97, 102; siehe auch Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, S. 195 f. 253

132

3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

gekehrt kann nicht schon von einer unzulässigen Vorbefassung ausgegangen werden, wenn der Richter nur einzelne Ermittlungsmaßnahmen durchführt, wie dies etwa im Fall Fey ./. Österreich geschah.257 Nur „einzelne Beweiserhebungen“ sieht § 202 StPO allerdings gerade vor. Bei genauerer Betrachtung kommt eine unzulässige Vorbefassung durch eine Tätigkeit im Sinne des § 202 S. 1 StPO nur in Betracht, wenn das Gericht Beweiserhebungen anordnet, die der Komplettierung eines hinreichenden Tatverdachtes dienen, da Erhebungen zur Erhärtung eines bestehenden Tatverdachts unzulässig258 und Erhebungen zur Entlastung unproblematisch sind. Auch angesichts der rechtspraktischen Tatsache, dass Gerichte ohnehin selten von § 202 S. 1 StPO Gebrauch machen,259 dürfte sich allenfalls dann ein Problem mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK ergeben, wenn etwaige Beweiserhebungen deutlich zu weit gehen und eigentlich ein Nichteröffnungsbeschluss ergehen müsste. Nichtsdestotrotz besitzt die Vorschrift das Potential, im Einzelfall in Konflikt mit den Anforderungen an einen unabhängigen Richter im Sinne der EMRK zu geraten.260

VI. Exkurs: Das Urteil des schweizerischen Bundesgerichts zur Personenidentität von Tat- und Eröffnungsrichter Wenig Aufmerksamkeit hat in der deutschen Strafrechtswissenschaft ein Urteil des schweizerischen Bundesgerichts261 erfahren, demzufolge die seinerzeit geltende Regelung im Zürcher Strafverfahrensrecht zur personellen Identität zwischen dem Richter, der die Anklage prüft und zulässt und dem Richter im Hauptverfahren dem aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Recht auf einen unparteilichen Richter nicht genügt.262 1. Die Rüge der Beschwerdeführer und das Verfahrensrecht im Kanton Zürich zum Entscheidungszeitpunkt Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung des Bundesgerichts entschied im Kanton Zürich – inzwischen ist in der Schweiz eine bundeseinheitliche Strafprozessordnung in Kraft getreten263 – in Sachen des Geschworenen- und des Obergerichts eine 257 EGMR, Urt. vom 24. 02. 1993, Fey ./. Österreich – 14396/88, Ziff. 34 ff.; Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, S. 585. 258 Siehe nur Beining, HRRS 2016, 407. 259 Dazu unten 4. Teil B. IV. 260 Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, S. 585 f. sieht in Anbetracht des Wortlauts von § 202 StPO keinen zwingenden Reformbedarf hinsichtlich der personellen Ausgestaltung des Zwischenverfahrens, hält eine Trennung von Tat- und Eröffnungsgericht aber dennoch für wünschenswert. 261 Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 ff. 262 Und darüberhinausgehend auch nicht der schweizerischen Bundesverfassung. 263 Dazu Riedo/Fiolka/Niggli, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Rn. 27 ff.

E. Die Vorbefassung des Eröffnungsrichters im Lichte der EMRK

133

Anklagekammer über die Zulassung der Anklage. Sie teilte die Anklageschrift nach Eingang schriftlich dem Angeklagten und seinem Verteidiger mit und setzte zugleich Frist zur Erhebung von Einwendungen und zur Erklärung, ob der eingeklagte Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung in der Anklage anerkannt würden oder nicht. Die Anklagekammer prüfte die Untersuchungsakten auf das Vorhandensein von Mängeln in der Form oder in der Sache; sie prüfte die Anklageschrift insbesondere auf ihren Inhalt, die örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, die Frage der Verjährung und der abgeurteilten Sache sowie auf das Vorliegen eines Strafantrages.264 Ferner war zu prüfen, ob der Angeklagte eines strafbaren Verhaltens hinreichend verdächtig erscheint. Hinsichtlich der die Anklageprüfung abschließenden Entscheidung konnte die Anklagekammer die Anklage entweder zulassen, sie einstweilen nicht zulassen und den Entscheid von einer gebotenen Mangelbeseitigung abhängig machen oder die Anklage nicht zulassen, wobei die Nicht- oder Teilzulassung zu begründen war, nicht aber die einfache Zulassung. Das urteilende Gericht war an die Entscheidung der Anklagekammer nicht gebunden.265 Verglichen zum geltenden deutschen Zwischenverfahren ergeben sich also kaum Abweichungen. Die Beschwerdeführer lehnten in dem der Entscheidung vorausgegangenen Verfahren zwei Richter des Hauptverfahrens als nicht mehr unvoreingenommen ab, da sie zuvor an der Entscheidung über die Zulassung der Anklage mitgewirkt hatten.266 2. Die Argumentation des schweizerischen Bundesgerichts Das Bundesgericht sah in der Mitwirkung der Tatrichter im Anklagezulassungsverfahren einen Verstoß gegen Art. 58 der schweizerischen Bundesverfassung und Art. 6 Abs. 1 EMRK, wobei es den Verstoß gegen die EMRK parallel zu dem Verstoß gegen die schweizerische Bundesverfassung begründete: Die Anklagekammer beurteile im Anklagezulassungsverfahren mit großem Entscheidungsspielraum eine sehr ähnliche Frage wie im Hauptverfahren und fälle eine für den Gang des Verfahrens ausschlaggebende Entscheidung.267 Der Strafrichter habe sich zwar erst im Hauptverfahren von der definitiven Schuld des Angeklagten zu überzeugen, während der Zulassungs- und Überweisungsrichter lediglich provisorisch hinreichenden Tatverdacht bejahe. Die Terminologie allein sei aber nicht entscheidend. Es komme vielmehr darauf an, dass in beiden Verfahrensabschnitten eine ähnliche oder qualitativ gleiche Frage geprüft werde. Diese Prüfung könne zudem aufgrund einer umfassenden Würdigung des Untersuchungsergebnisses erfolgen.268 264 265 266 267 268

Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (66). Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (67). Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (52). Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (69 f.). Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (69).

134

3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

Bestehe teilweise personelle Identität zwischen dem Zulassungs- und Überweisungsrichter einerseits und dem Sachrichter andererseits, so erwecke dies die Besorgnis, dass sich der Sachrichter bereits eine Meinung gebildet habe und demnach der Ausgang des Hauptverfahrens vorbestimmt und somit nicht mehr offen sei. Der Angeklagte könne mit Grund befürchten, dass der Sachrichter, der das Untersuchungsergebnis bereits einmal überprüfte, dieses im Hauptverfahren nicht mehr einer unvoreingenommenen Prüfung unterziehe.269 Die Besorgnis der Befangenheit sei umso größer, als der Richter wegen seiner Vorkenntnisse im Richterkollegium ein verstärktes Gewicht ausüben könne.270 Damit zeigt sich auch hier, dass in der Schweiz ebenso wie am EGMR eine höhere Sensibilität für die Frage der Vorbefassung herrscht und in der Folge auch der Maßstab zur Beurteilung, wann ein Richter befangen ist, präziser ausgestaltet ist als in Deutschland. 3. Geltende Rechtslage in der Schweiz Nachdem zwischenzeitlich eine bundeseinheitliche Strafprozessordnung in der Schweiz in Kraft getreten ist, soll noch kurz die geltende Rechtslage in der Schweiz dargestellt werden: Es gibt kein eigenes Anklagezulassungsverfahren mehr, sondern nur noch eine „Prüfung der Anklage“, die in Art. 329 schweiz. StPO geregelt ist und damit systematisch Teil des Hauptverfahrens ist. Danach prüft die Verfahrensleitung, ob die Anklageschrift und die Akten ordnungsgemäß erstellt sind, die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind und Verfahrenshindernisse bestehen. Ergibt sich aufgrund dieser Prüfung oder später im Verfahren, dass ein Urteil zurzeit nicht ergehen kann, so sistiert das Gericht das Verfahren. Falls erforderlich, weist es die Anklage zur Ergänzung oder Berichtigung an die Staatsanwaltschaft zurück. Kann ein Urteil definitiv nicht ergehen, so stellt das Gericht das Verfahren ein, nachdem es den Verfahrensbeteiligten und weiteren durch die Einstellung beschwerten Dritten das rechtliche Gehör gewährt hat. Soll das Verfahren nur in einzelnen Anklagepunkten eingestellt werden, so kann die Einstellung zusammen mit dem Urteil ergehen.

VII. Fazit Betrachtet man die personelle Ausgestaltung des Zwischenverfahrens aus spezifisch konventionsrechtlicher Perspektive, zeigt sich zunächst, dass die Unterscheidung zwischen zulässiger und unzulässiger Vorbefassung im Vergleich zur deutschen Diskussion deutlich differenzierter vonstattengeht. Während dem Beschuldigten in Deutschland nahezu jeder Einwand mit Verweis auf das normative Richterbild abgeschnitten wird, betrachtet der EGMR jede gerügte Konstellation der Vorbefassung im Einzelfall und klärt, ob der Richter im Ergebnis zweimal über die 269 270

Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (70). Schweiz. BGE 114 (1988) I a S. 50 (71).

F. Ergebnis zum dritten Teil

135

gleiche Frage zu befinden hatte, wobei auch hier nicht jegliche Vorbefassung zur Besorgnis der Befangenheit führt. Überprüft man anhand dieses Maßstabes die richterliche Vorbefassung im deutschen Zwischenverfahren, so liegt ein Verstoß gegen die Garantie auf ein unparteiliches Gericht aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK aus den oben ausgeführten Gründen durchaus nahe, wenngleich eine sichere Prognose aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich erscheint und daher eine Klärung des EGMR abzuwarten bleibt. Gleichwohl ist es angezeigt, etwaigen Unwägbarkeiten aus Straßburg von vornherein die Grundlage zu entziehen und daher die Frage der personellen Besetzung kritisch zu überdenken. Für die dieser Untersuchung zugrundeliegende Frage nach einer Aufwertung des Zwischenverfahrens kann ferner der Schluss gezogen werden, dass, je mehr Handlungsmöglichkeiten oder Verpflichtungen dem Gericht im Zwischenverfahren auferlegt werden, desto wahrscheinlicher ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK wird. Bereits aus diesem Grunde scheint eine personelle Trennung zwischen Tat- und Eröffnungsrichter geboten.

F. Ergebnis zum dritten Teil Zusammenfassend lassen sich damit zur Problematik der Personenidentität von Tat- und Eröffnungsrichter folgende Ergebnisse formulieren: Die Frage der personellen Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens war seit jeher umstritten und ist es bis heute. Die Meinungsdivergenzen bestehen nicht umsonst, ist doch das Zwischenverfahren ein Stadium von zentraler Bedeutung im strafprozessualen Erkenntnisverfahren, da das Gericht hier erstmals mit dem von der Staatsanwaltschaft aufbereiteten Ermittlungsmaterial konfrontiert wird. Aus spezifisch sozialpsychologischer Sicht führt das Durchlaufen des Zwischenverfahrens, namentlich die dort stattfindende Kenntnisnahme der Anklage und des Akteninhalts sowie der Erlass des Eröffnungsbeschlusses, zu einer empirisch belegten Voreingenommenheit der Richter. Trotz dieser wissenschaftlich fundierten Erkenntnis sind Teile der Literatur und die Rechtsprechung weitestgehend unbesorgt und halten an einem normativen Richterbild fest, welches die psychologischen Dimensionen der Problematik vollständig ausblendet. Umgekehrt wird sich die Problematik der Vorbefassung mit all ihren (negativen) psychologischen Folgewirkungen nie ganz vermeiden lassen, da nach dem gegenwärtigen Prozessmodell jedenfalls das Lesen der Ermittlungsakten zwingend notwendig ist. De lege lata erschiene es zwar vorzugswürdig, dem Angeschuldigten das Ablehnungsrecht nach § 24 Abs. 2 StPO zuzubilligen, was allerdings zu Rechtsunsicherheit und erheblichen Verfahrensverzögerungen führen würde. De lege ferenda ist daher eine Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter zu befürworten. Berücksichtigt man die Rechtsprechung des EGMR zur Unparteilichkeit eines Richters trotz Vorbefassung, gelangt man zu dem Ergebnis, dass die §§ 199 ff. StPO das Potential in sich bergen, vom Gerichtshof als unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK bezeichnet zu werden. Daher erscheint es schon deshalb

136

3. Teil: Die personelle Besetzung im Zwischenverfahren

geboten, eine Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter (wieder) einzuführen, zumindest aber ist die Auslegung des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK durch den EGMR im weiteren Verlauf der Untersuchung bei der Vorstellung, Entwicklung und Bewertung einzelner Lösungsvorschläge zu einer Aufwertung des Zwischenverfahrens zu berücksichtigen.

4. Teil

Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens: Mangelnde Kontrollfunktion und „Ineffizienz“ Neben der soeben erörterten Problematik um die Personenidentität von Tat- und Eröffnungsrichter wird als weiteres Defizit des geltenden Eröffnungsverfahrens allenthalben dessen mangelnde Effizienz moniert.1

A. Vorbemerkungen Bereits die Begrifflichkeit „Ineffizienz“ bedarf der Präzisierung, können ihr doch unterschiedliche Bedeutungen beigemessen werden. Man kann „Ineffizienz“ einerseits im Sinne von „wirkungslos“ verstehen, andererseits aber auch im Sinne von „unwirtschaftlich“. Bezogen auf das Zwischenverfahren heißt das also, dass die mit ihm intendierte Filterfunktion nicht zur Wirkung gelangt oder der Verfahrensabschnitt im strafprozessualen Erkenntnisverfahren unwirtschaftlich ist und sich also vom Aufwand her betrachtet „nicht lohnt“. In der Diskussion um das strafprozessuale Zwischenverfahren wird regelmäßig geäußert, dass es seine vorgesehene Filterfunktion nicht erfülle.2 Als Ursache dieser Behauptung wird geltend gemacht, dass die Verfahrensbeteiligten die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten nicht hinreichend ausnutzen würden und insbesondere deshalb die Filterfunktion in der Praxis weitgehend leerlaufen würde: So finde eine eingehende richterliche Prüfung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsergebnisse regelmäßig nicht statt, die Eröffnung des Hauptverfahrens erfolge nicht selten weitgehend routinemäßig und formulargestützt, wobei auch die Verteidigung von den ihr zugedachten Beteili-

1

Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, Vor § 198 Rn. 24; Seidl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberger, StPO, Vorbemerkungen zu §§ 198 ff. StPO Rn. 1; Wehnert, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 5 Rn. 8 ff.; Linden, 60. DJT, M 44; E. Müller, 60. DJT, M 76; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 139 ff.; Roesen, NJW 1959, 1861 f.; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 67 ff.; Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 33; Gössel, in: Festschrift für Kleinknecht, S. 131 (145); Eschelbach, in: Festschrift für Christian Richter II, S. 115; Rieß, in: Festschrift für Klaus Rolinski, S. 240; Abschlussbericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, S. 94 f.; M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (329); Leipold, in: Festschrift für Reinhold Schlothauer, S. 345 (346 f.). 2 Siehe bereits die Nachweise in Fn. 639.

138

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

gungsrechten keinen Gebrauch mache.3 Teilweise werden die §§ 201 ff. StPO gar als „totes Recht“ bezeichnet.4 In der Folge dieses Befunds zeichnet sich die rechtspolitische Tendenz ab, das Zwischenverfahren – da es im zweiten oben genannten Sinne offenbar als zu unbedeutend und „unwirtschaftlich“ empfunden wird – auszuweiten und nicht mehr nur darauf zu beschränken, „unnötige“ Hauptverhandlungen zu vermeiden, sondern schon dieses Verfahrensstadium für eine Entlastung der später stattfindenden Hauptverhandlung zu nutzen und es in diesem Sinne zu effektuieren. Erste dahingehende Aktivitäten hat der Gesetzgeber mit der Implementierung des § 202a StPO entfaltet;5 andere Erweiterungen haben bereits in die rechtspolitische Debatte Eingang gefunden. Hierauf wird noch zurückzukommen sein.6 Diese Tendenz ist nicht von vornherein abzulehnen, sie erscheint aber vorschnell, da zwar mit einer solchen inhaltlichen Erweiterung die Bedeutung des Verfahrensabschnitts aufgewertet werden mag, indes das eigentliche Problem – die scheinbar fehlende Filterfunktion – nur kaschiert und keiner Lösung zugeführt werden kann. Im Gegenteil steht dann zu befürchten, dass eine solche Aufwertung die eigentliche, verfassungsrechtlich begründete Schutzfunktion des Eröffnungsverfahrens zu sehr in den Hintergrund drängen könnte. Bevor also womöglich eilfertig über eine inhaltliche Erweiterung des Zwischenverfahrens nachgedacht wird, muss zunächst geklärt werden, inwieweit die Problematik der Ineffizienz im Sinne der fehlschlagenden Filterfunktion tatsächlich zutrifft und ob – was die herrschende Kritik impliziert7 – die aktive Ausnutzung der gesetzlich gegebenen Handlungsmöglichkeiten des Eröffnungsverfahrens durch alle Beteiligten tatsächlich zu einer Optimierung der Filterfunktion beitragen kann. Ziel des folgenden Kapitels ist es daher, eine Analyse der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens vorzunehmen. Hierzu wird zunächst anhand verfügbarer statistischer und empirischer Materialien untersucht, inwieweit die häufig geäußerte Wahrnehmung des Leerlaufens der Filterfunktion haltbar ist und sodann versucht, die Ursachen der – auf Basis der rechtstatsächlichen Befunde näher definierten – Ineffizienz zu ergründen, indem das normativ vorgegebene Prüfprogramm auf seine Tauglichkeit hin untersucht und dabei ausgelotet wird, was das Zwischenverfahren im strafprozessualen Erkenntnisprozess überhaupt zu leisten vermag.

3

Rieß, in: Festschrift für Rolinski, S. 239 (240). von Galen, ZRP 2016, 42 (43). 5 Siehe oben 1. Teil A. VI. und C. V. 6 Dazu unten 5. Teil E. und F. 7 Siehe etwa Abschlussbericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, S. 94 f. 4

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

139

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage Die These von der mangelnden Effizienz des Zwischenverfahrens wird zumeist damit untermauert, dass in der Mehrzahl der Fälle das Hauptverfahren eröffnet werde und ein Nichteröffnungsbeschluss nur in sehr wenigen Ausnahmefällen ergehe, wobei regelmäßig eine Nichteröffnungsquote von weniger als einem Prozent kolportiert wird.8 Es überrascht, dass in keiner einschlägigen Abhandlung weitere statistische Daten herangezogen werden, um die allenthalben angeführte Ineffizienz des Zwischenverfahrens näher zu untermauern.9 Daher sollen im Folgenden vorhandene statistische Daten dargestellt und überprüft werden, inwieweit diese einen Rückschluss auf die These von der Ineffizienz zulassen. Aufschluss könnten hier insbesondere die Nichteröffnungsquote und die Freispruchquote sowie Zahlen zu Anklagerücknahmen, Verfahrenseinstellungen, Verweisungen an andere Gerichte und Verfahrenseröffnungen mit Änderungen nach § 207 StPO geben.

I. Nichteröffnungsquote an Amts- und Landgerichten Die Zahl der Nicht-Eröffnungen scheint zunächst ein tauglicher Indikator für die Leistungsfähigkeit der §§ 199 ff. StPO zu sein. Die nachfolgende Tabelle gibt die Zahl der vor Amts- und Landgerichten eingeleiteten Strafverfahren, in denen das Eröffnungsverfahren absolviert werden muss10 sowie die Anzahl der Ablehnungen einer Eröffnung des Hauptverfahrens in den Jahren 2013 bis 2018 wieder.

8 M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (329); Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht, Rn. 172; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 13; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 16 Rn. 1; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 163. 9 Immerhin führt Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 142 neben der Nichteröffnungsquote noch die Rücknahmequote an. 10 Dabei handelt es sich um Einleitungen durch Anklageerhebung, Privatklage, Antrag auf Sicherungsverfahren und Vorlage durch ein Gericht niederer Ordnung (wobei dies ungenau ist, da das höherrangige Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen nur dann prüft, wenn die Vorlage noch vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses erfolgt; bei Vorlage nach Eröffnung des Hauptverfahrens ist das höherrangige Gericht insoweit an den Eröffnungsbeschluss gebunden und prüft nur noch seine Zuständigkeit, BGHSt 25, 309 (311); Ritscher, in: BeckOK-StPO, § 209 Rn. 7.

140

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens Tabelle 1 Bundesweite Nichteröffnungen an Amts- und Landgerichten 2014 – 2019

Jahr

2014

Verfahren vor den AG

495.156 491.001 483.941 478.556 474.684 479.318

2015

2016

2017

2018

2019

Nichteröffnungen an den AG

2.623

2.460

2.199

2.078

2.080

2.071

Nichteröffnungsquote am AG

0,53 %

0,50 %

0,45 %

0,43 %

0,44 %

0,43 %

Verfahren vor den LG (Verfahren erster Instanz)

12.307

12.192

12.334

12.387

12.723

11.278

Nichteröffnungen an den LG

239

280

248

230

269

264

Nichteröffnungsquote am LG

1,94 %

2,30 %

2,01 %

1,86 %

2,11 %

2,34 %

Gesamte Nichteröffnungsquote

0,56 %

0,54 %

0,49 %

0,47 %

0,48 %

0,48 %

Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte (2014 – 2019), Fachserie 10, Reihe 2.3, Tabellen 2.1, 2.2 sowie 4.1 und 4.2, eigene Berechnungen.

Hinsichtlich der Ausfilterung von Fällen im Zwischenverfahren ergeben die Daten folgendes Bild: An den Amtsgerichten liegt die Nichteröffnungsquote im dargestellten Zeitraum bei konstant niedrigen 0,4 % – 0,6 %. An den Landgerichten liegt die Nichteröffnungsquote im Vergleich zu den Amtsgerichten deutlich höher bei 1,8 % – 2,3 %. Allein aus diesen Zahlen lassen sich indes kaum valide Rückschlüsse auf die hier aufgeworfene Problematik, nämlich das Fehlschlagen der Filterfunktion des Zwischenverfahrens, ziehen. Hierfür ist die Einbeziehung weiterer Zahlenwerte, die zu der Nichteröffnungsquote in Bezug gesetzt werden müssen, unerlässlich. Erklärungsbedürftig erscheint zunächst einmal die Diskrepanz zwischen der Nichteröffnungsquote von Amts- und Landgerichten. Letztere lehnen die Eröffnung immerhin fast viermal so häufig ab. Ein denkbarer Erklärungsansatz für die deutlich niedrigere Quote an Amtsgerichten ist, dass die dort anhängigen Verfahren in aller Regel einfacher gelagerte Fälle sind, bei denen bereits die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu eindeutigen Ergebnissen führen. Ferner ist die Möglichkeit der Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen durch die Staatsanwaltschaften und das Eröffnungsgericht zu berücksichtigen, die namentlich in amtsgerichtlichen Verfahren häufig vorkommen.11 Auch dies kann zu einer niedrigeren Nichteröffnungsquote beitragen, da hierdurch gerade solche Verfahren zuvor aus der Zählung fallen, die eine Prüfung nach § 203 StPO nicht überstanden hätten.12 Aus der höheren Nichteröffnungsquote an Landgerichten ließe sich aber auch schlussfolgern, dass in Verfahren von höherer Bedeutung schon im Eröffnungsverfahren genauer geprüft wird.

11

Rosenau, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StPO, § 199 Rn. 3. So auch Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 321. 12

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

141

Die geringe Nichteröffnungsquote wird teilweise auch damit erklärt, dass die Staatsanwaltschaft durch die Aussicht auf eine richterliche „Gegenprüfung“ ihrer Arbeit dazu angehalten wird, nur solche Sachen anzuklagen, die hinreichend fundiert sind und bei denen eine Anklage mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zugelassen wird.13 Letzten Endes vermag aber die alleinige Angabe der Nichteröffnungsquote zu der Frage der Wirksamkeit richterlicher Kontrolle im Zwischenverfahren nur wenig beizutragen. Insoweit kann den Kritikern, die sich vornehmlich auf die Nichteröffnungsquote stützen, zwar darin beigepflichtet werden, dass diese Zahl auf den ersten Blick sehr niedrig ist, gleichwohl erlaubt sie keine Rückschlüsse auf die Funktionstüchtigkeit des Zwischenverfahrens. Erforderlich ist vielmehr die Einbeziehung weiterer Zahlen.

II. Freispruchquote Ein Indikator zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens kann die Freispruchquote im Strafprozess sein. Denn Aufgabe des Zwischenverfahrens ist es vornehmlich, jene Fälle herauszufiltern, die nicht hauptverhandlungswürdig erscheinen und nicht zu einer Verurteilung führen werden. Bei jedem Freispruch ist deshalb die Frage aufgeworfen, warum der „Filter“ des § 203 StPO nicht zur Wirkung gelangte und ob die eingriffsintensive Hauptverhandlung nicht hätte vermieden werden können. 1. Zahlenwerte Tabelle 2 Bundesweite Nichteröffnungsquoten und Freispruchquoten 2014 – 2019 Jahr

2014

2015

2016

2017

2018

2019

Nichteröffnungsquote am AG

0,53 %

0,50 %

0,45 %

0,43 %

0,44 %

0,43 %

Nichteröffnungsquote am LG

1,94 %

2,30 %

2,01 %

1,86 %

2,11 %

2,34 %

Freispruchquote

3,1 %

3,0 %

2,8 %

2,8 %

2,8 %

2,85 %

Quelle (Freispruchquoten): Statistik Rechtspflege Strafverfolgung (2014 – 2019), Fachserie 10 Reihe 3, Tabelle 2.2, eigene Berechnungen.

Untersuchungen zum Freispruch finden sich in der Literatur kaum. Es handelt sich um ein – noch – weitestgehend unerforschtes Feld.14 Erst in neuerer Zeit wendet sich Kinzig vornehmlich aus kriminologischer Sicht der Thematik des Freispruchs

13 Rieß, in: Festschrift für Rolinski, S. 239 (240); ders., JURA 2002, 735 (736); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 18. 14 Kinzig, in: Festschrift für Kerner, S. 727 (737).

142

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

zu.15 Aus seinen Untersuchungen für die Jahre 2013 bis 201516 sowie den in Tabelle 2 wiedergegebenen eigenen Berechnungen aus der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes der Jahre 2013 bis 2018 ergibt sich, dass die Freispruchquote an Amts- und Landgerichten konstant bei etwa 3 % lag. Vergleicht man nun diesen Wert mit der Nichteröffnungsquote am Amtsgericht, könnten tatsächlich Zweifel an der Funktionstauglichkeit des Zwischenverfahrens aufkommen, da die Freispruchquote in etwa sechs Mal so hoch ist wie die Nichteröffnungsquote. Auch die landgerichtliche Nichteröffnungsquote liegt unterhalb der Freispruchquote. Andererseits muss diese Diskrepanz nicht zwingend bedeuten, dass das Eröffnungsverfahren in seiner Wirkung versagt. Denn der Nichteröffnung und dem Freispruch liegen zwei unterschiedliche Entscheidungsmaßstäbe zugrunde: Während für die Frage der (Nicht-)Eröffnung der hinreichende Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO von Bedeutung ist, ist es für die Frage der Verurteilung bzw. des Freispruchs die richterliche Überzeugung im Sinne des § 261 StPO. Für den hinreichenden Tatverdacht reicht die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung aus, für die Verurteilung bedarf es der Überzeugung, sodass die Freispruchquote in Höhe von etwa 3 % gerade diese Differenz abbilden könnte. Zudem prüft auch die Staatsanwaltschaft vor Anklageerhebung nach § 170 Abs. 1 StPO das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts, sodass die geringe Nichteröffnungsquote schlichtweg nur bedeuten könnte, dass die Staatsanwaltschaft qualitativ gute Arbeit leistet und den notwendigen Verdachtsgrad zutreffend beurteilt.17 Mithin erlaubt die Diskrepanz zwischen Freispruch- und Nichteröffnungsquote zwar keinen validen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Eröffnungsverfahrens, allerdings vermag sie die These von der Ineffizienz auch nicht zu widerlegen. Bedenkt man in diesem Zusammenhang den in der StPO angelegten Selektionsprozess18 der Strafverfolgung, müsste die Freispruchquote eigentlich niedriger sein als die Nichteröffnungsquote, was auch unter Verhältnismäßigkeitsaspekten19 nicht nur nahe liegt, sondern als geradezu zwingend erscheint. Daran gemessen lässt sich sagen, dass die Freispruchquote von etwa 3 % zumindest im Vergleich zur Nichteröffnungsquote als hoch bezeichnet werden muss. Vor diesem Hintergrund scheint die Vermutung, dass die Filterfunktion des Zwischenverfahrens in einer gewissen Verfahrensanzahl nicht optimal zur Wirkung gelangt, zumindest nicht von vornherein fernliegend.20 15

Kinzig, in: Festschrift für Kerner, S. 727; Kinzig/Vester, StV 2015, 261 ff.; Kinzig/Stelly, StV 2017, 610 ff.; allerdings werden nur Verfahren untersucht, in denen dem Freispruch die Untersuchungshaft vorausging. 16 Kinzig/Stelly, StV 2017, 610 ff. 17 In diese Richtung auch Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 321 f. 18 Kunz/Singelnstein, Kriminologie, § 19 Rn. 2 ff., 6. 19 Zur Herleitung der Eröffnungsvoraussetzung des hinreichenden Tatverdachts aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oben 2. Teil B. III. 1. 20 So auch Kinzig, in: Festschrift für Kerner, S. 727 (744); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, Vorbemerkungen § 199 Rn. 1.

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

143

2. Forschungsergebnisse zu den Ursachen für Freisprüche Diese Vermutung erfährt durch die Forschungsergebnisse von Kinzig et al. eine gewisse Bestätigung: In den ausgewerteten Fällen – in die allerdings nur Freisprüche nach Untersuchungshaft einflossen – konnten drei verschiedene Verlaufstypen von Freisprüchen ausgemacht werden: Im ersten Verlaufstyp21 veränderte sich die Verdachtslage zwischen Anklageerhebung und Freispruch nicht. Es kamen weder neue Beweise hinzu, noch fielen Beweismittel weg. Das Gericht bewertete die vorliegenden Beweismittel im Urteil anders als die Staatsanwaltschaft in der Anklage. Dieser Verlaufstyp konnte in 45 % der untersuchten Freisprüche festgestellt werden. Dabei war nach Ansicht von Kinzig et al. in einem Teil dieser Fälle die Beweislage derart „dünn“, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens auch ex ante nicht nachvollziehbar erscheint. Im zweiten Verlaufstyp22, der etwa die Hälfte der untersuchten Freisprüche betraf, kam es zu einer Wende der Verdachtslage im Hauptverfahren. Hierbei konnten drei Unter-Fallgruppen gebildet werden: Zum einen der Fall, dass neue Beweise hinzukamen (neue Zeugenaussagen, neue Sachverständigengutachten), zum anderen der Fall, dass vorliegende Beweise später wegfielen (nahe Angehörige machen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch) und letztlich der Fall, dass neue Erkenntnisse hinzukamen, anhand derer bereits vorliegende Beweismittel neu bewertet werden mussten (Zeugen weisen eine Belastungsmotivation auf, was sich erst in der Hauptverhandlung herausstellt). Der dritte Verlaufstyp23, der 5 % der untersuchten Freisprüche ausmachte, war der in der Rechtsmittelinstanz erfolgte Freispruch. Legt man die Befunde von Kinzig et al. der hiesigen Betrachtung der Leistungsfähigkeit des Eröffnungsverfahrens zugrunde, erhebt sich die Frage, warum insbesondere der erste Verlaufstyp – gleichbleibende, zumeist dünne Beweislage – das Zwischenverfahren offenbar ohne Weiteres passieren konnte. Auch in weiten Bereichen des zweiten Verlaufstyps – Änderung der Verdachtslage durch Vorlage bzw. Wegfall von Beweismitteln – hätte das Zwischenverfahren eigentlich ein wirksamer Filter sein müssen, weil auch hier nach §§ 201, 202 StPO die Möglichkeit besteht, neue Beweise vorzulegen bzw. solche erst zu ermitteln und damit ein Hauptverfahren gegebenenfalls zu vermeiden. Es steht angesichts der von Kinzig et al. formulierten Verlaufstypen von Freisprüchen zu vermuten, dass ein Grund für das Fehlschlagen der Filterfunktion in den hier genannten Fällen bereits in den der Eröffnungsentscheidung zugrundeliegenden, defizitären Informationen, also der 21 Kinzig/Stelly, in: Der Schrei nach Strafe – Texte und Ergebnisse des 41. Strafverteidigertages, S. 33 (58 f.). 22 Kinzig/Stelly, in: Der Schrei nach Strafe – Texte und Ergebnisse des 41. Strafverteidigertages, S. 33 (59). 23 Kinzig/Stelly, in: Der Schrei nach Strafe – Texte und Ergebnisse des 41. Strafverteidigertages, S. 33 (59 f.).

144

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

Entscheidungsgrundlage in Gestalt der Strafakte selbst, zu finden ist. Soll ein Gericht im Zwischenverfahren hauptverhandlungsunwürdige Sachen ausfiltern, muss es in die Lage versetzt werden, im Ermittlungsverfahren fehlerhaft zustande gekommene Ergebnisse zu identifizieren oder – gegebenenfalls auf Antrag des Angeschuldigten hin – zu modifizieren. Inwieweit dies de lege lata möglich ist, wird noch zu prüfen sein. Der erste Verlaufstyp deutet freilich darauf hin, dass die richterliche Prüfung nicht selten mangelhaft ausfällt oder womöglich unterbleibt.

III. Weitere Entscheidungen im Zwischenverfahren Darüber hinaus lohnt ein Blick auf weitere Zahlen, die Aufschluss über die Funktionstauglichkeit des Zwischenverfahrens geben könnten. 1. Rücknahme der Anklage Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang zunächst die Erhebungen zur Rücknahme von bereits eingereichten Anklagen durch die Staatsanwaltschaft. Gemäß § 156 StPO kann die öffentliche Klage nach der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mehr zurückgenommen werden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Anklage durch die Staatsanwaltschaft im Stadium des Zwischenverfahrens noch zurücknehmbar ist.24 Eine solche Rücknahme kann darauf beruhen, dass die Klage nachträglich unbegründet ist, weil kein hinreichender Tatverdacht (mehr) besteht, sie kann aber auch den Zweck haben, das Verfahren nach den Opportunitätsvorschriften der §§ 153 ff. StPO einzustellen, die Strafsache von einem unzuständigen an das zuständige Gericht zu bringen oder eine Verbindung mehrerer zusammenhängender Sachen zu erreichen.25 Eine Rücknahme der Anklage kommt ferner in Betracht, wenn der Eröffnungsrichter Mängel der Anklage erkennt und bei der Staatsanwaltschaft die Rücknahme der Anklage zum Zwecke der Nachbesserung anregt.26 Auch kann eine Rücknahme darauf beruhen, dass der Eröffnungsrichter sie anregt, weil er eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält und stattdessen bei der Staatsanwaltschaft die Fertigung eines Strafbefehls anregt.27 Eine solche Anregung kann allerdings auch aus den zuerst genannten Gründen vorkommen, was die Vermutung nahelegt, dass nicht eröffnungsreife Anklagen häufig auf Anregung des Gerichts wieder zurückgenommen werden. Statt einer Ablehnung der Eröffnung wird das Zwischenverfahren in diesem Falle auf informellem Wege (jedenfalls vorläufig)

24 25

Rn. 2. 26 27

Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 156 Rn. 1. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 156 Rn. 2; Monka, in: BeckOK StPO, § 156 Teßmer, in: Münchener Kommentar StPO, § 156 Rn. 7. Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (320).

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

145

beendet.28 Dabei dürften die Gründe für eine Rücknahme insbesondere im Fehlen hinreichenden Tatverdachts liegen, da die ebenfalls als Rücknahmegrund in Betracht kommenden Einstellungen aus Opportunitätsgründen ebenfalls im gerichtlichen Verfahren möglich sind und die Rücknahme nur dann Sinn ergibt, wenn das Gericht zustimmungspflichtig, zu einer Einstellung aber nicht bereit ist, was eher selten vorkommen dürfte.29 Tabelle 3 Rücknahmen der Anklage im Zwischenverfahren 2014 – 2019 Jahr

2014

2015

2016

2017

2018

2019

Anklagen am AG

494.190 489.993 482.999 477.735 473.838 479.318

Anklagerücknahmen

12.308

12.123

12.643

13.101

13.543

Rücknahmequote am AG

2,49 %

2,47 %

2,62 %

2,74 %

2,85 %

2,82 %

Anklagen am LG (Verfahren erster Instanz)

10.664

10.406

10.513

10.601

10.697

11.278

Anklagerücknahmen

256

279

288

294

285

312

Rücknahmequote am LG

2,4 %

2,68 %

2,74 %

2,77 %

2,66 %

2,76 %

Gesamte Rücknahmequote

2,49 %

2,14 %

2,62 %

2,74 %

2,85 %

2,82 %

13.538

Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte (2014 – 2019), Fachserie 10, Reihe 2.3, Tabellen 2.2 und 4.2, eigene Berechnungen.

Bezieht man die in Tabelle 3 ermittelten Rücknahmequoten in die Überlegungen zur Effektivität der Filterfunktion des Zwischenverfahrens ein, so fällt zunächst auf, dass diese am Amtsgericht höher und am Landgericht ähnlich bzw. leicht höher sind als die jeweiligen Nichteröffnungsquoten. Die an Amts- und Landgerichten vergleichsweise hohe Rücknahmequote legt die Vermutung nahe, dass Richter im Eröffnungsverfahren, anstatt die Eröffnung des Verfahrens nach § 204 StPO abzulehnen, häufiger auf informellem Wege bei der Staatsanwaltschaft eine Rücknahme der aus ihrer Sicht nicht eröffnungsreifen Anklage anregen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Filterfunktion des Zwischenverfahrens effektiver ist, als dies in der weit überwiegenden Zahl der einschlägigen Abhandlungen in der Strafrechtswissenschaft mit pauschalem Verweis auf die – für sich genommen letztlich nichtssagende – Nichteröffnungsquote geschieht. Gleichwohl scheint ein solches informelles Vorgehen im Zwischenverfahren auf den ersten Blick durchaus kritikwürdig: Die Verfahrensherrschaft liegt im Zwischenverfahren nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft, sondern beim Gericht. Nach Eröffnung durch das Gericht ist eine solche Rücknahme jedenfalls nicht mehr möglich, da ansonsten die Staatsanwaltschaft jederzeit die Möglichkeit hätte, bei drohendem Freispruch die Sache wieder an sich zu ziehen. Zwar gestattet der Wortlaut des § 156 StPO eine Rücknahme im Zwischenverfahren eindeutig, dennoch 28 So auch – allerdings nur für amtsgerichtliche Verfahren – Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 142. 29 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 142.

146

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

ist es wenig einsichtig, warum dies in einem Verfahrensabschnitt, in dem das Gericht die Verfahrensherrschaft innehat, möglich sein soll. Ferner ist zu bedenken, dass dann die Filterfunktion des Zwischenverfahrens mit ihrer positiven Schutzfunktion für den Angeschuldigten unterlaufen wird, da der Angeschuldigte in diesem Fall nicht in den Genuss des Schutzes des § 211 StPO kommt.30 2. Verfahrenseinstellungen Bisweilen wird die These von der Ineffizienz des Zwischenverfahrens unter Hinweis auf eine hohe Anzahl von Opportunitätseinstellungen nach §§ 153 ff. StPO bestritten.31 Die geringere Nichteröffnungsquote am Amtsgericht lasse sich damit erklären, dass Opportunitätseinstellungen angesichts der dort anhängigen Sachen geringerer und mittlerer Kriminalität häufig vorkommen und Anklagen, die eine Prüfung nach § 203 StPO nicht bestanden hätten, bereits auf diesem Wege ausgefiltert wurden. Der Erklärungsansatz beansprucht in ähnlichem Maße für landgerichtliche Sachen Geltung, da auch hier Einstellungen nach §§ 153 ff. StPO grundsätzlich in Betracht kommen. Zwar existieren statistische Erhebungen über Verfahrensbeendigungen durch Opportunitätseinstellungen,32 allerdings werden keine Zahlen getrennt für das jeweilige Verfahrensstadium erhoben, sodass eine valide Aussage über das Vorkommen im Zwischenverfahren nicht möglich ist und daher auch keine Rückschlüsse hinsichtlich der Filterfunktion möglich sind. Festzustellen ist jedoch, dass Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO auch noch im Hauptverfahren vorkommen. Prominentes Beispiel ist das Verfahren gegen Bernie Ecclestone vor dem Landgericht München I, das gegen eine Geldauflage von 100 Mio. US-Dollar nach 20 Verhandlungstagen gemäß § 153a StPO eingestellt worden war.33 In solchen Fällen scheint es ebenfalls zweifelhaft, ob das Zwischenverfahren seine Filterfunktion erfüllt hat und der Angeschuldigte der belastenden Hauptverhandlung hätte ausgesetzt werden müssen oder ob nicht schon im Zwischenverfahren eine Einstellung hätte erfolgen können. 3. Verweisung an ein niederrangiges Gericht Fraglich ist, ob auch die Fälle der Verweisung nach § 209 Abs. 1 StPO als Indikator für die Filterfunktion des Zwischenverfahrens angeführt werden können. 30 So auch Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 144 f., der für eine Abschaffung des § 156 StPO eintritt, allerdings de lege ferenda die Möglichkeit einer vorläufigen Zurückweisung der Anklage fordert. 31 Rosenau, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StPO, § 199 Rn. 4. 32 Siehe für das Jahr 2018 etwa Statistik Rechtspflege Strafgerichte (2018) Fachserie 10, Reihe 2.3, Tabellen 2.2 sowie 4.2. 33 Siehe https://www.zeit.de/wirtschaft/2014 – 08/schmiergeldprozess-gegen-formel-1boss-ecclestone-eingestellt, zuletzt abgerufen am 29. 08. 2019.

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

147

Gelangt das Gericht im Rahmen der Eröffnungsprüfung zu dem Ergebnis, dass es nicht zuständig ist, sondern vielmehr die Zuständigkeit eines niederrangigen Gerichts begründet ist, kann es – sofern ein entsprechender hinreichender Tatverdacht besteht34 – das Verfahren bindend vor diesem Gericht eröffnen. Die Eröffnung vor einem niederrangigen Gericht kommt in unterschiedlichen Situationen in Betracht. Zum einen ist hier die divergierende rechtliche Würdigung zu nennen: Gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein anderer als der in der Anklage bezeichnete Straftatbestand einschlägig ist und daher die Zuständigkeit eines Gerichts niedereren Ranges begründet ist, muss es vor diesem Gericht eröffnen.35 So eröffnet etwa das Schwurgericht vor dem Schöffengericht oder dem Strafrichter, wenn es im Falle eines versuchten Mordes einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich des Tötungsvorsatzes nicht für gegeben erachtet und daher nur eine Körperverletzung vorliegt.36 Ferner kommt eine Verweisung nach § 209 Abs. 1 StPO in Betracht, wenn einzelne Tatteile nach §§ 154 Abs. 2, 154a Abs. 2 StPO ausgeschieden werden und diese die Zuständigkeit bei dem höherrangigen Gericht begründeten.37 Weiterhin kann es vorkommen, dass das Gericht die Rechtsfolgenerwartung (vgl. §§ 24 Abs. 2, 74 Abs. 1 S. 2 GVG) oder die Einschlägigkeit der Voraussetzung „besondere Bedeutung“ (vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG) der Staatsanwaltschaft nicht teilt.38 Letztlich ist die Eröffnung vor einem niedrigeren Gericht denkbar, wenn die Eröffnung teilweise abgelehnt wird (§ 207 Abs. 2 Nr. 1 StPO) und die verbleibenden Tatteile, hinsichtlich derer hinreichender Tatverdacht besteht, die Zuständigkeit vor dem niederrangigen Gericht begründen.39 Tabelle 4 Verweisungen an niederrangige Gerichte 2014 – 2019 Jahr

2014

Anklagen am LG (Verfahren erster Instanz)

10.664 10.406 10.513 10.601 10.697 11.278

2015

Verweisungen

443

Verweisungsquote am LG

4,51 % 4,53 % 4,46 % 4,89 % 5,20 % 4,81 %

471

2016

469

2017

519

2018

556

2019

543

Quelle: Statistik Rechtspflege Strafgerichte (2014 – 2019), Fachserie 10, Reihe 2.3, Tabelle 4.2, eigene Berechnungen.

34

OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 16048; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 209 Rn. 20. 35 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 209 Rn. 22; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 209 Rn. 7. 36 Beispiel nach Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 209 Rn. 22. 37 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 209 Rn. 23; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 209 Rn. 7. 38 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 209 Rn. 7; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 209 Rn. 24 f. 39 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 209 Rn. 27; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 209 Rn. 7.

148

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

Tabelle 4 gibt an, in wie vielen Fällen Landgerichte als Eröffnungsgerichte das Verfahren vor niederrangigen Gerichten (Schöffengericht oder Strafrichter) eröffnet haben.40 Aus der Tabelle ergibt sich, dass die Verweisungsquote deutlich höher liegt als die Nichteröffnungs- und die Freispruchquote. Dies spricht dafür, dass die Filterfunktion des Zwischenverfahrens gerade an dieser Stelle zum Tragen kommt. Andererseits ist zu bedenken, dass es auch in diesen, dann vor einem niederrangigen Gericht stattfindenden Verfahren zu Freisprüchen kommt, die statistisch nicht gesondert erfasst werden. Weiterhin kann es zu der Konstellation kommen, dass das höherrangige Gericht eine genaue Prüfung nur hinsichtlich der zuständigkeitsbegründenden Aspekte vornimmt und einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der verbleibenden Taten entgegen den Anforderungen des § 209 Abs. 1 StPO nicht mehr in der gebotenen Tiefe prüft. Im Ergebnis lässt sich dennoch festhalten, dass sich in einem – allerdings nicht näher bezifferbaren – Teil der Verweisungen nach § 209 Abs. 1 StPO die Filterfunktion des Zwischenverfahrens realisiert. Unabhängig von diesen Erwägungen wären aber statistische Erhebungen über die Freispruchquote in diesen Fällen besonders interessant, da im Falle des § 209 Abs. 1 StPO eine personelle Trennung von Eröffnungs- und Tatrichter gegeben ist und Daten zum Freispruch in dieser Verfahrenskonstellation zur Kontroverse um die personelle Trennung zumindest im Ansatz hilfreich sein könnten. 4. Eröffnung mit Änderungen gemäß § 207 Abs. 2 StPO Die mit dem Zwischenverfahren intendierte Filterfunktion kommt ferner zum Tragen, wenn das Eröffnungsgericht einen von der Anklage abweichenden Eröffnungsbeschluss fasst. Insoweit müssten zu einer fundierten Beurteilung der Effizienz des Zwischenverfahrens auch hierfür entsprechende Daten ausgewertet werden. Da allerdings statistische Erhebungen dazu nicht existieren, kann eine genauere Betrachtung dieses Aspekts nicht erfolgen.

IV. Datenerhebungen über Aktivitäten der Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren Auch hinsichtlich der Aktivitäten der Beteiligten sind empirische Erkenntnisse vorhanden. Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz untersuchten Dölling et al. in einer empirischen Analyse zur Rechtswirklichkeit von Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland die Dauer von Strafverfahren vor (ausgewählten)

40 Zwar kann § 209 Abs. 1 StPO auch im Verhältnis Schöffengericht – Strafrichter angewendet werden, allerdings finden sich in den einschlägigen Datensätzen des Statistischen Bundesamtes keine Erhebungen über amtsgerichtsinterne Eröffnungen nach § 209 Abs. 1 StPO.

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

149

Landgerichten.41 Im Zuge dieser im Jahr 2000 veröffentlichten Untersuchung, in die insgesamt 885 Strafverfahren eingingen,42 wurden auch mögliche Faktoren, die die Verfahrensdauer beeinträchtigen, zahlenmäßig erfasst. Als ein wesentlicher Einflussfaktor wurde dabei die Aktivität der Verfahrensbeteiligten in den jeweiligen Verfahrensstadien bezeichnet.43 Der Studie lassen sich mithin auch Daten über die Aktivitäten der Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren entnehmen: So wurde durch die Verteidigung in 46,3 % der untersuchten Fälle Akteneinsicht beantragt.44 Von ihrem Beweisantragsrecht im Zwischenverfahren machte die Verteidigung demgegenüber nur in Ausnahmefällen Gebrauch (3,3 %). Insgesamt variierte die Häufigkeit der im Zwischenverfahren durch die Verteidigung gestellten Beweisanträge an den Landgerichten, die an der Studie teilnahmen, zwischen 1,6 % und 6 %,45 wobei letzterer Wert als „bemerkenswert“46 bezeichnet wird und insbesondere angesichts der sonstigen Werte als absolute Ausnahme eingeordnet werden kann. In 3,5 % der Fälle erhob die Verteidigung Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens.47 Vom Erklärungsrecht nach § 201 StPO wurde in 7,3 % der Verfahren Gebrauch gemacht.48 Demgegenüber scheinen Aktivitäten des Gerichts im Zwischenverfahren nach der Studie von Dölling et al. häufiger vorzukommen. In 20,7 % der untersuchten Verfahren erhob das Gericht im Stadium des Zwischenverfahrens Beweis.49

V. Perspektive der Strafverteidigung Sucht man nach Erklärungen für die wenig ausgeprägte Aktivität der Verteidigung im Zwischenverfahren, wird man im Bereich der Verteidiger-Literatur fündig: Die praktischen Erfolgschancen der Verteidigung im Zwischenverfahren sind nach teilweise vertretener Ansicht denkbar gering.50 Begründet wird dies mit der allgemein geringen Nichteröffnungsquote,51 die offenbar abschreckende Wirkung entfaltet. Bisweilen wird die Vermutung geäußert, dass Richter sich aus Zeitgründen nicht richtig in die Verfahrensakten einarbeiten könnten und daher „blind“ eröff41

Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten. Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 99. 43 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 10. 44 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 158 f. 45 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 143. 46 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 145. 47 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 154 f. 48 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 154 f. 49 Dölling, Die Dauer von Strafverfahren vor den Landgerichten, S. 184. 50 Dierlamm, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 29 Rn. 82; Hamm, in: Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger, Kap. VI. A. 51 Feigen/Graf, in: Volk, Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 6 Rn. 238; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 421. 42

150

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

neten. Nach Auffassung von Dierlamm gelte dies sogar in umfangreichen und häufig komplexen Wirtschaftsstrafverfahren.52 Insgesamt lässt sich aber keine vorherrschende Meinung zu den Tätigkeiten des Verteidigers im Zwischenverfahren ausmachen: In einigen Handbüchern zur Strafverteidigung findet das Zwischenverfahren keine nennenswerte Erwähnung, bisweilen wird es gar nur im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren abgehandelt.53 Andere weisen auf Möglichkeiten und Chancen hin, die gerade dieser Verfahrensabschnitt biete und konzedieren, dass sich jedenfalls in umfangreicheren Verfahren „überraschende Erfolge“ erzielen ließen.54 In der Mehrzahl der einschlägigen Werke wird eine Verteidigertätigkeit im Grundsatz empfohlen, wenngleich immer betont wird, dass eine Nichteröffnung wegen des damit verbundenen Begründungsaufwandes regelmäßig schwer zu erreichen sei.55 Ziel müsse es – bei einem die vorgeworfene Tat bestreitenden Angeschuldigten – sein, die stets belastende Hauptverhandlung nach Möglichkeit zu vermeiden. Mit Blick auf die Erkenntnisse der Psychologie sei ein möglichst früher Vortrag seitens der Verteidigung angezeigt. Zwingend sei dies, wenn mit den vorgebrachten Argumenten ein (richterlicher) Nichteröffnungsbeschluss mit vertretbarer Begründung erreicht werden könne.56 Vereinzelt wird von Verteidigungsaktivitäten in Gestalt einer Einreichung so genannter „Schutz-“ oder „Verteidigungsschriften“ abgeraten. Eine frühzeitige Offenlegung des Verteidigungsvorbringens könne dem Angeklagten in vielen Fällen mehr schaden als nutzen. Zudem würde der häufige Gebrauch von „Schutzschriften“ dazu führen, dass diese sich abnutzten und daher derjenige Verteidiger, der eine Schutzschrift nur ausnahmsweise und in geeigneten Fällen anbringe, damit eher gehört werde, als derjenige Verteidiger, der stets mit Eingaben im Zwischenverfahren auffalle.57 Alles in allem besteht kein einheitliches Meinungsbild, allerdings scheint vor allem die hohe Eröffnungsquote von etwa 99 % eine frühzeitige Verteidigung im Zwischenverfahren zu hemmen. Besieht man sich das anwaltliche Gebührenrecht – welches ohne Zweifel erheblichen Einfluss auf die Aktivitäten der Verteidigung ausübt – so gestaltet sich die Gebührensituation im Zwischenverfahren nicht gerade fördernd und dürfte eine weitere Erklärung dafür sein, dass die Verteidigung nur sehr zurückhaltend tätig wird: Das Abfassen einer Schutzschrift oder ähnliche Tätigkeiten im Zwischen52

Dierlamm, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 29 Rn. 82. 53 Sommer, Effektive Strafverteidigung, Kap. 3 Rn. 875 ff.; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 341 f., 719 ff., 1428 ff., 3432 ff. 54 Wehnert, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 5 Rn. 12; Vogel, StraFo 2020, 223 (224 ff.). 55 Wehnert, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 5 Rn. 12. 56 Hamm, in: Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger, Kap. VI. A. 57 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 440; in diese Richtung auch Feigen/Graf, in: Volk, Münchener Anwaltshandbuch Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 6 Rn. 138.

B. Annäherung auf rechtstatsächlicher Grundlage

151

verfahren werden im Gebührenrecht allenfalls durch die Verfahrensgebühr im ersten Rechtszug berücksichtigt. Diese Verfahrensgebühr fällt aber auch ohne eine Tätigkeit im Zwischenverfahren an, ausreichend wären zum Beispiel auch bloße Beratungen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens außerhalb der Hauptverhandlung.58 Der Rechtsanwalt erhält nur eine zusätzliche Verfahrensgebühr, wenn die Hauptverhandlung durch sein Mitwirken entbehrlich wird und das Gericht die Eröffnung ablehnt.59 Demgegenüber erlangt der Verteidiger eine zusätzliche Terminsgebühr, wenn eine Hauptverhandlung durchgeführt wird.60 Auch das dürfte zu der eher geringfügigen Tätigkeit der meisten Strafverteidiger im Zwischenverfahren beitragen. Wollte man also eine verstärkte Tätigkeit der Verteidigung im Zwischenverfahren erreichen, wäre die Schaffung eines eigenen Gebührentatbestandes zu erwägen.

VI. Zwischenfazit Die in der Mehrzahl der Darstellungen zum Zwischenverfahren behauptete Ineffizienz dieses Verfahrensabschnitts unter alleinigem Hinweis auf die freilich geringe Nichteröffnungsquote greift nach den hier dargelegten Daten deutlich zu kurz. Die Zahl der Anklagerücknahmen nach § 156 StPO, die Existenz von Verfahrenseinstellungen nach §§ 153 ff. StPO und Verweisungen nach § 209 Abs. 1 StPO deuten darauf hin, dass eine Filterfunktion durchaus wirkmächtiger zum Tragen kommt, als dies gemeinhin angenommen wird. Die oben genannten Zahlen sind als alleinige Indikatoren für die hier aufgeworfene Frage allerdings mit Vorsicht zu genießen: So darf die insgesamt geringe Freispruchquote nicht zu der Annahme verleiten, dass in allen anderen Fällen ein zutreffendes Urteil ergangen ist. Die Gefahr eines Fehlurteils sollte vor dem Hintergrund der psychischen Effekte, die gerade durch die gesetzliche Architektur des Zwischenverfahrens ausgelöst werden können, nicht unterschätzt werden, sodass eine Effizienzsteigerung des Gesamtstrafverfahrens gerade durch die Lösung der psychologischen Problematik möglich erscheint. Die Zahl der Anklagerücknahmen deutet darauf hin, dass im Zwischenverfahren ein informelles Vorgehen verbreitet ist, was namentlich mit Blick auf den Schutz des Beschuldigten als zumindest zweifelhaft bezeichnet werden muss. Die Fälle, in denen ein höherrangiges Gericht vor einem niederrangigen eröffnet, werden nur für landgerichtliche Sachen statistisch erfasst, sodass sich eindeutige Rückschlüsse auf die Filterfunktion verbieten. Gleiches gilt für den Gebrauch von Einstellungsvorschriften, da hier keine nach Verfahrensstadium getrennte Datenerhebung stattfindet. Auch werden jene Fälle, in denen es zu einer vom Eröffnungsbeschluss abweichenden Verurteilung kommt, nicht statistisch erfasst.

58 59 60

Im Einzelnen Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, VV 4106 Rn. 9. Siehe Nr. 4141 VV RVG. Siehe Nr. 4108 VV RVG.

152

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

Der nicht unerheblichen Diskrepanz von Nichteröffnungs- und Freispruchquote (ca. 0,5 % und ca. 3 %) lässt sich weder entnehmen, dass das Zwischenverfahren in seiner Wirkung versagt, noch, dass es seine Funktion erfüllt. Es steht daher weiterhin zu vermuten, dass die Filterfunktion zumindest partiell fehlschlägt, was durch neuere Erkenntnisse zu dem Verlauf von Verfahren, die mit einem Freispruch enden, untermauert wird. Auch die geläufige Einschätzung, dass die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeiten des Zwischenverfahrens nicht in ausreichendem Maße nutzen, lässt sich angesichts der genannten Zahlen nicht von der Hand weisen und stützt die These von der Ineffizienz: Die Verteidigung scheint infolge der vermeintlich hohen Eröffnungsquote von etwa 99,5 % gehemmt und das Gericht gelangt zu Freisprüchen, die nach Einschätzung einiger Autoren schon im Eröffnungsverfahren erkennbar waren. Dies spricht dafür, dass die Verfahrensbeteiligten die ihnen gegebenen Möglichkeiten in der Tat nicht in gebührendem Maße ausnutzen. Alles in allem fällt der rechtstatsächliche Befund ambivalent aus: Einerseits lässt sich sagen, dass es in einer nennenswerten Verfahrensanzahl zu einem Freispruch kommt, obschon der hinreichende Tatverdacht bejaht wurde. Andererseits lässt sich eine Ursache für dieses partielle Fehlschlagen der Filterfunktion des Zwischenverfahrens allein auf Zahlenbasis nicht ausmachen. Festhalten lässt sich aber, dass insbesondere die Verteidigung die ihr gegebenen Möglichkeiten nicht in dem Maße ausnutzt, wie es eigentlich möglich wäre und das Gericht in einer überwältigenden Mehrzahl der Fälle zu einer Eröffnung des Verfahrens gelangt. Um herauszufinden, ob zumindest ein Teil der Freisprüche schon im Eröffnungsverfahren hätte erkannt werden können, soll im Folgenden das gesetzlich vorgesehene Prüfprogramm des Gerichts im Zwischenverfahren einer genaueren Vermessung unterzogen werden.

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO: Der „eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess“ Eine Beantwortung der diesem Kapitel aufgegebenen Fragestellung kann nämlich nicht erfolgen, ohne zu klären, was die gesetzlichen Vorschriften zum Zwischenverfahren überhaupt zu leisten vermögen, ob es also wirklich zutrifft, dass sich bei verstärkter Nutzung der gesetzlich vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten der gewünschte Filtereffekt einstellt und unnötige Hauptverhandlungen vermieden werden können, das Zwischenverfahren mithin effektuiert wird.61 Zugleich sollen mögliche Schwachpunkte der Vorschriften herausgearbeitet werden. Hierzu wird der „eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess“ einer einge61

So Rieß, in: Festschrift für Rolinski, S. 239 (247 f.); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 198 Rn. 24; Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 327; Weidemann, in: Festschrift für von Heintschel-Heinegg, S. 499 (503); Abschlussbericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens, S. 93.

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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henderen Betrachtung unterzogen, wofür zunächst der Entscheidungsmaßstab des § 203 StPO, sodann seine Entscheidungsgrundlage und zuletzt der Vorgang der eröffnungsrichterlichen Entscheidungsfindung analysiert werden. Dabei stehen weniger die psychologischen Einflüsse auf die Entscheidungsfindung im Zwischenverfahren als vielmehr deren rechtliche Determinanten im Vordergrund.

I. Entscheidungsmaßstab: Der „hinreichende Tatverdacht“ Ausgangspunkt muss der Maßstab für die Eröffnungsentscheidung, also das Vorliegen „hinreichenden Tatverdachts“, sein. Er ist Bezugspunkt aller Aktivitäten der Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Betrachtung im zweiten Teil wurde herausgearbeitet, dass er das maßgebliche Kriterium dafür ist, ab wann dem Beschuldigten die Last des Hauptverfahrens zugemutet werden kann. Eine genauere einfachrechtliche Betrachtung unter Einbeziehung der bisherigen Erkenntnisse der dogmatischen Aufarbeitung dieses Begriffs soll nunmehr erfolgen. Die StPO selbst enthält keine näheren Bestimmungen über die Eröffnungsvoraussetzung des „hinreichenden Tatverdachts“. Vereinzelt wird eine Ursache der defizitären Filterfunktion des Zwischenverfahrens zumindest auch darin gesehen, dass es „keine verbindlichen gesetzlichen Vorgaben [gebe], nach welchen Maßstäben der Richter im Zwischenverfahren die Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vorzunehmen hat“.62 Nach der herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung, der die Literatur im Wesentlichen folgt, besteht hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO, wenn der Verdacht bei einer vorläufigen Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist.63 In der Literatur wurde herausgearbeitet, dass der Entscheidungsmaßstab strukturell drei Komponenten aufweist.64 Erforderlich ist danach zum ersten die Wahrscheinlichkeit der Begehung der vorgeworfenen Tat durch den Angeschuldigten nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens (retrospektive Komponente), zum zweiten muss aber auch eine Verurteilung am Ende und aufgrund der Hauptverhandlung wahrscheinlich sein (prospektive Komponente), darüber hinaus muss das Eröffnungsgericht von der Strafbarkeit des angeklagten Sachverhalts überzeugt sein.

62

M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (332). BGH NJW 1970, 1543 (1544); BGHSt 23, 304 (306) = NJW 1970, 2071 (2072); OLG Karlsruhe, StV 2012 (459); OLG Hamm, StV 2017 (301); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11. 64 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 12, die dort benannte vierte Voraussetzung des Vorliegens der Prozessvoraussetzungen bleibt hier ausgeklammert. 63

154

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

1. Retrospektive Komponente: Begehungswahrscheinlichkeit Zunächst ist eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte die ihm vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen hat, erforderlich.65 Hierzu muss das Eröffnungsgericht die der Anklage zugrunde gelegten Tatsachen anhand des ihm nach § 199 Abs. 2 S. 2 StPO vorgelegten Aktenmaterials, den Ergebnissen gegebenenfalls vorgenommener Beweiserhebungen nach § 202 StPO sowie etwaiger Einlassungen des Angeschuldigten prüfen.66 Es handelt sich dabei um eine retrospektive Prüfung der Begehungswahrscheinlichkeit.67 Dem Gericht stehen hierbei als Entscheidungsgrundlage sämtliche Ermittlungsakten, eine etwaige Einlassung des Angeschuldigten und die dokumentierten Beweismittel, Zeugenaussagen, Urkunden und Sachverständigengutachten zur Verfügung, welche es zu prüfen hat, wobei auch die Wertigkeit der Beweise in den Blick zu nehmen ist.68 Ergibt sich hieraus die – noch näher zu konkretisierende – Wahrscheinlichkeit, dass der Angeschuldigte die geschilderte Straftat begangen hat, ist mit der Prüfung fortzufahren. Es zeigt sich mithin, dass das Gericht an dieser Stelle die gesamten Ermittlungsergebnisse umfassend in den Blick zu nehmen hat. 2. Prospektive Komponente: Verurteilungswahrscheinlichkeit In einem zweiten Schritt69 muss das Gericht eine prospektive Beurteilung vornehmen und die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung mit den Mitteln der Hauptverhandlung prüfen, wofür es auch Besonderheiten bei der Beweiswürdigung – zum Beispiel in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, bei Zeugen vom Hörensagen oder fehlender Konfrontationsmöglichkeit – zu berücksichtigen hat.70 Nach der Auffassung von Miehe soll die Verurteilungswahrscheinlichkeit nur durch die Staatsanwaltschaft bei der Frage über die Erhebung der öffentlichen Klage nach § 170 Abs. 1 StPO, nicht aber im Rahmen der Eröffnungsentscheidung nach § 203 StPO geprüft werden.71 Ausreichend für die Frage der Verfahrenseröffnung sei eine retrospektive Prüfung der Tatbeteiligung durch das Eröffnungsgericht, wofür Miehe zum einen den unterschiedlichen Wortlaut von § 170 Abs. 1 und § 203 StPO anführt und den Vorteil einer solchen Auslegung darin erblickt, dass der richterlichen 65

OLG Saarbrücken, NStZ 2009, 88; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 17. 66 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 5. 67 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 17. 68 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 17; zur Entscheidungsgrundlage im Zwischenverfahren noch unten 4. Teil C. II. 69 Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, S. 55; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 18. 70 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 24. 71 Miehe, in: Festschrift für Grünwald, S. 379 (400).

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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Voreingenommenheit durch die Verurteilungsprognose vorgebeugt werden kann.72 Deiters vertritt die Auffassung, dass eine Verurteilungsprognose faktisch nicht möglich sei, weil die Eigenart der Hauptverhandlung letztlich zu viele Unwägbarkeiten enthalte, die es aus seiner Sicht nicht möglich erscheinen lassen, die Erkenntnisse am Ende der Hauptverhandlung zu antizipieren.73 Daher fordert er ebenfalls nur eine retrospektive Prüfung, ob der Angeschuldigte die ihm vorgeworfenen Taten wahrscheinlich begangen hat.74 Gegen diese Ansätze ist aber anzuführen, dass – was auch Deiters nicht verkennt75 – der unterschiedliche Wortlaut von § 170 Abs. 1 und § 203 StPO zum einen historisch bedingt ist.76 Ferner kann es bei Befolgung dieser Ansicht zu der wenig nachvollziehbaren und prozessökonomisch inakzeptablen Situation kommen, dass das Eröffnungsgericht das Hauptverfahren durchführen müsste, obschon es eine Verurteilung nicht für erreichbar hält, was der Schutzfunktion des Zwischenverfahrens zuwiderliefe.77 Mithin ist eine Verurteilungsprognose richtigerweise stets durchzuführen. Bezugspunkt dieser Verurteilungsprognose ist die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne des § 261 StPO.78 Damit hat das Eröffnungsgericht zu bewerten, ob zum Zeitpunkt des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses sämtliche für die Verdachtsannahme maßgeblichen Beweise in der Hauptverhandlung im Wege des Strengbeweises einerseits reproduzierbar sind und – sollte dies zu bejahen sein – ausreichen, um dem Gericht am Ende der Hauptverhandlung wahrscheinlich die volle Überzeugung von der Tatbegehung zu verschaffen.79 Die Einbeziehung des prognostischen Elements in den Entscheidungsmaßstab des § 203 StPO bewirkt, 72

Miehe, in: Festschrift für Grünwald, S. 379 (384, 397). Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 172 ff. 74 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 178. 75 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 171. 76 Der unverändert seit 1879 geltende Wortlaut des § 170 Abs. 1 StPO beruht auf der Tatsache, dass früher die Möglichkeit der Voruntersuchung gleichrangig neben der Erhebung der öffentlichen Klage stand, sodass es nicht möglich war, für den in § 170 StPO einheitlich zu beschreibenden Entscheidungsmaßstab den in § 203 StPO für die Eröffnung des Hauptverfahrens verwendeten Begriff des „hinreichenden Tatverdachts“ zu verwenden, GraalmannScheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 170 Rn. 22. 77 Meyer-Goßner, ZRP 2000, 345 (347); Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 47. 78 Lüttger, GA 1957, 193 (197); Michler, Der Eröffnungsbeschluss, S. 44; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 33; a. A. Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 7, der als Bezugspunkt der Prognose das der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) zugrunde liegende Beweismaterial als Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sieht. 79 So wohl auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2, der indes nur auf seine Kommentierung zu § 170 StPO verweist, wo gesagt wird, dass es auf die Prognose des Staatsanwalts ankomme, ob er selbst am Ende einer Hauptverhandlung (und damit noch vor der richterlichen Überzeugungsbildung) zum Antrag auf Verurteilung gelangen werde. 73

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

dass das Eröffnungsgericht die gesamte Sach- und Rechtslage vorläufig zu bewerten hat und dabei im Rahmen der Beweiswürdigung eine vollständige Gesamtwürdigung aller bisher bekannten Umstände nach Aktenlage im Freibeweisverfahren erforderlich ist.80 Schwierigkeiten bei der Verurteilungsprognose ergeben sich allerdings naturgemäß daraus, dass die Hauptverhandlung vielfältige Unbekannte in sich birgt81 und zum Beispiel im Ermittlungsverfahren genutzte Beweismittel im Hauptverfahren nicht mehr zur Verfügung stehen, etwa, weil ein Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder unerreichbar ist, die Aussage eines VMannes durch eine spätere Sperrerklärung verhindert wird oder ein nach neuerer Rechtsprechung widerspruchsbedürftiges82 Beweisverwertungsverbot gegeben ist und der Beschuldigte in der Hauptverhandlung rechtzeitig Gebrauch von seinem Widerspruchsrecht macht.83 Allerdings bietet das Recht für derartige Unwägbarkeiten bereits Lösungen: Der in der Hauptverhandlung unerreichbare Zeuge ist in § 251 StPO, der im Rahmen der Prognose ebenfalls zu bedenken ist, vorgesehen; Unwägbarkeiten über das Gebrauchmachen von Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrechten kann mit Beweiserhebungen nach § 202 StPO begegnet werden84 und Beweisverwertungsverbote sind ohnehin in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen85. Auch ist anerkannt, dass die Widerspruchslösung des BGH der Beachtlichkeit von Beweisverwertungsverboten im Rahmen der Eröffnungsentscheidung grundsätzlich nicht entgegensteht.86 Damit sind dem Gericht bereits Möglichkeiten an die Hand gegeben, auf denkbare Unsicherheiten im Rahmen der Prognose zu reagieren. Ungeachtet dessen zeichnet sich eine Prognose durch einen bestimmten – unvermeidbaren – Grad an Unsicherheit aus, sodass Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich etwaiger Unwägbarkeiten im Rahmen der prognostischen Komponente des hinreichenden Tatverdachts jedenfalls insoweit nicht sinnvoll erscheinen, als die betreffende Frage zwingend erst in der Hauptverhandlung geklärt werden kann oder darf.

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Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 62. Eisenberg, JZ 2011, 672 (673); Schlothauer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 761 (762 ff.). 82 Zur Widerspruchslösung BGHSt 38, 214 ff.; 42; 15 (22); BVerfG NJW 2012, 907 (911). 83 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 26 ff.; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 8; Eisenberg, JZ 2011, 672 (673). 84 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 8; Wenske, in: Münchener Kommentar, § 203 Rn. 28. 85 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; für das Zwischenverfahren Foertsch, Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren, S. 56 ff.; AG Saalfeld, StV 2005, 320 mit zust. Anm. Kühne. 86 BGH NStZ 2017, 593 (595); Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 9; Wenske, in: Münchener Kommentar, § 203 Rn. 30. 81

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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3. Wahrscheinlichkeitsgrad Auch über den Grad der für Begehung und Verurteilung jeweils zu fordernden Wahrscheinlichkeiten bestehen Meinungsdivergenzen: Konsentiert ist, dass der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht erreicht ist, wenn ein Freispruch wahrscheinlicher ist als eine Verurteilung.87 Jenseits dieser – für die Praxis wenig zielführenden – Annahme besteht Meinungsvielfalt: Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein hinreichender Tatverdacht anzunehmen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in der Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist.88 Weitere Präzisierungen finden sich in der Rechtsprechung kaum. Allerdings wird eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden Tatverdacht von der Rechtsprechung nicht gefordert.89 Bisweilen findet sich die Formulierung, dass zu eröffnen ist, wenn mehr für eine Verurteilung spricht als für einen Freispruch.90 In jüngerer Zeit lässt sich die Tendenz einiger Oberlandesgerichte ausmachen, die Wahrscheinlichkeitsanforderungen dergestalt herabzusenken, dass ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung vorliegen könne, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung notwendig seien.91 Das erscheint aber zumindest angesichts der im zweiten Teil der Untersuchung herausgearbeiteten Bedeutung des hinreichenden Tatverdachts als materielle Eingriffsschwelle auf den ersten Blick problematisch, weil damit eine Herabsenkung des Schutzniveaus für den Angeschuldigten verbunden sein kann. Alles in allem hält sich die Rechtsprechung bis heute mit konkretisierenden Angaben, wann der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht und damit die Voraussetzung des hinreichenden Tatverdachts gegeben ist, zurück.92 Präzisierungsbemühungen finden sich mitunter in der Literatur: So wird teilweise das Bestehen einer hohen Wahrscheinlichkeit, ähnlich der zum dringenden Tatverdacht, gefordert.93 Andere fordern dagegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verurteilung,94 wobei nicht ganz klar ist, was mit „überwiegen“ gemeint ist.95 Die

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Siehe nur Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 4. BGH StV 2001, 579 (580); BGH NJOZ 2010, 1274 (1276); BGH BeckRS 2014, 528 (Rn. 16). 89 OLG Celle, StV 2016, 13; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 4. 90 OLG Rostock, BeckRS 2012, 3289; OLG Celle, BeckRS 2012, 1218; OLG Nürnberg, NJW 2010, 3793; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2012, 117; OLG Karlsruhe, NJW 1974, 806 (807). 91 OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 8613; OLG Koblenz, NJW 2013, 98. 92 Dies kritisierend Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 63. 93 Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11; Kühne, NJW 1979, 617 (622). 94 Miehe, in: Festschrift für Grünwald, S. 379 (389 f.); Nierwetberg, NStZ 1989, 212 (213). 88

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oben beschriebenen Tendenzen der Oberlandesgerichte haben im Schrifttum teilweise Zustimmung erfahren.96 Eine Stellungnahme zu diesen Fragen – die insbesondere unter Berücksichtigung der Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen hat – wird Gegenstand des fünften Teils der Untersuchung sein.97 4. Strafbarkeit Allgemein anerkannt ist, dass das Eröffnungsgericht in rechtlicher Hinsicht von der Strafbarkeit des wahrscheinlich geschehenen und wahrscheinlich zur Verurteilung führenden Sachverhalts überzeugt sein muss.98 Bei zweifelhaften Rechtsfragen reicht folglich auch ein Wahrscheinlichkeitsurteil nicht aus, vielmehr muss sich aus den (wahrscheinlich nachweisbaren) Tatsachen die Tatbestandsmäßigkeit, das Fehlen von Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen sowie das Fehlen persönlicher Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe und gegebenenfalls das Vorliegen etwaiger objektiver Strafbarkeitsbedingungen rechtlich zweifelsfrei ableiten lassen.99 Hintergrund dessen ist, dass die Hauptverhandlung für Fragen der rechtlichen Beurteilung nicht die Überlegenheit aufweist, die sie nach herrschender Auffassung für die Klärung von Sachverhaltsfragen besitzt.100 Somit kann diesbezüglich festgestellt werden, dass Rechtsfragen im Zwischenverfahren bereits erschöpfend – wenngleich auf noch unsicherer Tatsachengrundlage – behandelt werden können. 5. Prognoseentscheidung auch bei Verfahrensfragen? An dieser Stelle muss auf die eigentlich der prospektiven Komponente zuzuordnende Problematik, wie Verfahrensfragen im Zwischenverfahren behandelt werden, eingegangen werden. Mit Verfahrensfragen sind dabei solche Aspekte gemeint, die nicht die Tat- und Schuldfrage, sondern prozessuale Fragen, wie etwa Prozessvoraussetzungen, die Erreichbarkeit eines Zeugen bzw. die Frage, ob er überhaupt etwas von dem zu klärenden Vorgang weiß oder Fragen der Verwertbarkeit

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Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 12 geht davon aus, dass es sich dabei um eine „plakative begriffliche Spielart“ handele und kein Unterschied zur herrschenden Meinung bestehe. 96 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 5; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 14. 97 Siehe hierzu unten 5. Teil C. III. 98 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 11; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 34; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 17; Lüttger, GA 1957, 193 (211); dazu auch bereits oben 3. Teil E. V. 1. 99 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 17. 100 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 8.

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bestimmter Beweismittel, betreffen.101 Besonders interessant sind im Zusammenhang mit dem Zwischenverfahren die Beweisverwertungsverbote: Die voraussichtliche Verwertbarkeit der Beweise im Hauptverfahren ist nach allgemeiner Ansicht ebenfalls in die Prognose einzubeziehen und Verwertungsverbote sind daher zu beachten.102 Gleichwohl soll die Eröffnung nur dann abgelehnt werden, wenn ein Beweisverwertungsverbot mit Sicherheit besteht. Verblieben Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen des Verwertungsverbotes, müsse deren Klärung der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben, weil diese dem Zwischenverfahren mit Blick auf präventive Strafzwecke strukturell überlegen sei und nur so eine transparente, Rechtsfrieden schaffende Entscheidung herbeigeführt werden könne.103 Dementsprechend selten scheinen Eröffnungsablehnungen infolge des Eingreifens von Beweisverwertungsverboten vorzukommen.104 Es erscheint indes ausgesprochen zweifelhaft, ob die Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen von Beweisverwertungsverboten, das heißt also etwa Fragen zu Art und Umfang eines Verstoßes gegen Beweiserhebungsregeln oder Fragen der Gewichtung der Rechtsverletzung im Rahmen der vorherrschenden Abwägungslösung105, wirklich denjenigen des Zwischenverfahrens überlegen sind. Immerhin gilt für die Klärung von Fragen der Beweisverwertung nicht das Strengbeweis-, sondern das Freibeweisverfahren,106 sodass eine endgültige Klärung von Zweifelsfragen und damit eine sichere Entscheidung schon im Zwischenverfahren zumindest theoretisch möglich sein müsste.107 Warum Fragen der Beweisverwertung dann in – nahezu stets vorliegenden – Zweifelsfällen der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben sollen, erschließt sich insoweit nicht. Insbesondere würde eine abschließende Entscheidung über die Verwertbarkeit bestimmter Beweismittel zu einer Entlastung und Verkürzung der Hauptverhandlung führen, weil entsprechenden verfahrensverzögernden Diskussionen zu Fragen der Verwertbarkeit bestimmter Beweismittel abgeholfen werden könnte, was auch aus verfassungsrechtlicher Sicht begrüßenswert wäre, weil so der Grundrechtseingriff Hauptverhandlung zumindest verkürzt werden könnte. Auch würde eine frühzeitige abschließende Entscheidung und gegebenenfalls eine Eliminierung unverwertbarer Beweismittel dazu führen, dass sie in keiner Form Eingang in die Hauptverhandlung fänden und damit auch eine unbeeinflusste Entscheidung – zumindest der Schöffen – 101 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 38 f.; Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, Einleitung Rn. 411 ff.; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 474. 102 Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 5; vgl. auch BGH NStZ-RR 2019, 177 (178). 103 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 30 f.; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 5; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 9. 104 So Schlothauer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 761 (763 f.). 105 Hierzu etwa Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 55a. 106 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 38 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 3; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 474; str. in Bezug auf Fragen im Zusammenhang mit § 136a StPO, dazu BGHSt 16, 166. 107 In diesem Sinne wohl auch Schlothauer, in: Festschrift für Lüderssen, S. 761 (764).

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bewirkten, was aus rechtsstaatlicher Warte begrüßenswert wäre. Inwieweit sich dies de lege ferenda realisieren lässt, wird noch zu untersuchen sein. 6. Fazit Die Formel, wonach hinreichender Tatverdacht gegeben ist, wenn der Verdacht bei einer vorläufigen Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung wahrscheinlich ist,108 erscheint zwar auf den ersten Blick wenig praxistauglich und könnte daher einen möglichen Grund darstellen, warum das Zwischenverfahren als ineffizient empfunden wird. Allerdings konnte in der Literatur eine genauere Konturierung erarbeitet werden. Der von der vorherrschenden Auffassung geteilte Entscheidungsmaßstab ist sicherlich mit einer für das Gericht aufwändigen Prüfung verbunden, ist aber im Grundsatz geeignet, die Filterfunktion des Zwischenverfahrens umzusetzen, sofern sich das Eröffnungsgericht an das vorgegebene Prüfprogramm hält. Zwei näher in den Blick zu nehmende „Schwachpunkte“ haben sich ergeben: Problematisch erscheint zum einen die sich abzeichnende Abwertung des Wahrscheinlichkeitsgrades. Sollte sich diese Entwicklung weiter fortsetzen, führte dies notgedrungen zu einer Verschlechterung der Filterfunktion des Zwischenverfahrens. In dieser Hinsicht bedarf der Begriff des hinreichenden Tatverdachts einer eingehenderen Betrachtung, die an geeigneter Stelle109 erfolgen soll. Zum anderen ist die von der herrschenden Auffassung vertretene Ansicht, wonach Zweifel hinsichtlich der Frage des (Nicht)Vorliegens von Beweisverwertungsverboten der Hauptverhandlung zu überantworten seien und im Zwischenverfahren ein Wahrscheinlichkeitsurteil ausreiche, zu hinterfragen. Gerade hier wäre ein möglicher Ansatzpunkt, Zweifel schon im Eröffnungsverfahren zu klären, es damit zu effektuieren und die Hauptverhandlung zu straffen. Der gelegentlich geäußerten Vermutung, wonach fehlende gesetzliche Vorgaben, nach welchen Maßstäben der Richter im Eröffnungsverfahren zu verfahren habe, ein Grund für die mangelnde Kontrollfunktion seien,110 kann nach alledem nicht beigetreten werden. Maßstab ist der hinreichende Tatverdacht nach § 203 StPO. Prüft das Eröffnungsgericht die ihm vorgelegten Materialien anhand dieses Maßstabs, dürfte die Filterfunktion des Zwischenverfahrens nicht fehlschlagen.

108

BGH NJW 1970, 1543 (1544); BGHSt 23, 304 (306) = NJW 1970, 2071 (2072); OLG Karlsruhe, StV 2012 (459); OLG Hamm, StV 2017 (301); Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11. 109 Unten 5. Teil C. III. 110 M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (332).

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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II. Entscheidungsgrundlage: Das Beweisrecht des Zwischenverfahrens Denkbar wäre es, dass Ursachen für ein Fehlschlagen der Filterfunktion im Bereich der Entscheidungsgrundlage zu verorten sind. Daher soll die tatsächliche Grundlage der Eröffnungsentscheidung näher in den Blick genommen werden. Wenn sich im Rahmen des Entscheidungsmaßstabs keine offensichtlichen Schwächen ergeben, könnten sie womöglich im Bereich der Entscheidungsgrundlage zu finden sein, da die Qualität eines Wahrscheinlichkeitsurteils immer auch durch die Qualität seiner Informationsgrundlage bedingt ist. Grundlage der Eröffnungsentscheidung sind ausweislich des Wortlauts von § 203 StPO „die Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens“. Damit sind nach einhelliger Auffassung die gesamten, dem Gericht mit der Anklage vorzulegenden Akten, in denen die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dokumentiert sind, einschließlich gegebenenfalls erhobener Beweise nach § 202 StPO sowie der Stellungnahme des Angeschuldigten, gemeint.111 Aus der so beschriebenen Informationsgrundlage muss sich hinreichender Tatverdacht ergeben. 1. Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren und ihre Fortwirkung im Zwischenverfahren Um mögliche Schwachpunkte im Rahmen der Entscheidungsgrundlage herausarbeiten zu können, erscheint es unabdingbar, einen knappen Überblick über rechtstatsächliche Aspekte des Ermittlungsverfahrens und seiner Fehlerquellen zu geben, bevor geprüft wird, inwieweit die Möglichkeit besteht, solcherlei Fehler bereits im Zwischenverfahren zu erkennen und damit unnötige Hauptverhandlungen zu vermeiden. a) Rechtstatsächliches zum Ermittlungsverfahren Liegt der Grundkonzeption der StPO das Bild zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren selbst führt und sich gegebenenfalls der Polizei als Hilfsorgan bedient,112 hat sich die strafprozessuale Praxis geradezu in das Gegenteil verkehrt: Rechtstatsächlich leitet die Staatsanwaltschaft nur in besonderen Sachbereichen, namentlich in Wirtschaftsstrafsachen, das Ermittlungsverfahren.113 In der Mehrzahl der Fälle ermittelt die Polizei selbständig; die Rolle der Staatsanwaltschaft beschränkt sich dann zunächst nur darauf, einzelne Ermittlungsmaßnahmen beim 111 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 5; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 7; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 2; OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2009, 88. 112 Ausführlich Griesbaum, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 160 Rn. 4; Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO, § 160 Rn. 18; Barton/Kölbel/Lindemann, in: Wider die wildwüchsige Entwicklung des Ermittlungsverfahrens, S. 14 f. 113 Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO, § 160 Rn. 19; Eisenberg, Kriminologie, § 27 Rn. 6 f.

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Richter zu beantragen oder gelegentliche Nachermittlungsaufträge nach Aktendurchsicht zu erteilen.114 Der justizielle Einfluss auf die Zusammenstellung der Entscheidungsgrundlage ist also begrenzt. Damit besitzen die Ermittlungspersonen der Polizei einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, welcher zusätzlich dadurch gesteigert wird, dass das Ermittlungsverfahren im Grundsatz frei gestaltet werden kann.115 Folge dessen ist die große Gefahr, dass Ermittlungsbeamte – möglicherweise gar in subjektiv redlicher Absicht – ausschließlich ihre Ermittlungshypothese verfolgen und mögliche alternative Geschehensabläufe schlichtweg ausblenden, was sich sodann zwangsläufig im Ermittlungsergebnis niederschlägt.116 So wird es zur Regel, dass der Staatsanwaltschaft letztlich nur noch die von der Polizei für anklagereif erachteten Sachverhalte vorgelegt werden; dem zuständigen Dezernenten, der die Sache nach Aktenlage prüft, wird als „Minimalgebot“ nur noch abverlangt, polizeiliche Ermittlungsvorgänge „besonders kritisch zu würdigen“.117 Alles in allem führt die faktische Umkehr der Rollen118 von Staatsanwaltschaft und Polizei im Ermittlungsverfahren dazu, dass die Staatsanwaltschaft die ihr zugedachte Leit- und Kontrollfunktion nicht ausüben kann und daher eine in alle Richtungen ergebnisoffen agierende Ermittlung nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form gewährleistet ist. b) Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren Forschungen zu Fehlurteilen und Freispruchsursachen haben gezeigt, dass die Gründe für Fehlurteile und spätere Freisprüche zumeist im Ermittlungsverfahren liegen.119 Hieraus folgt der logische Schluss, dass auch die Entscheidungsgrundlage des Zwischenverfahrens, in den Worten des § 203 StPO die „Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens“, in einer gewissen Anzahl von Fällen fehlerbehaftet ist. Um der Filterfunktion gerecht zu werden, müssen diese Fehler aber erkannt und behoben werden. Können sie mit den gesetzlichen Mitteln des Zwischenverfahrens nicht erkannt werden, wäre hierin eine Ursache für die fehlschlagende Filterfunktion in der Entscheidungsgrundlage des Zwischenverfahrens zu sehen und entsprechende gesetzgeberische Gegenmaßnahmen wären dann in Erwägung zu ziehen. Aus der strafrechtlichen Fehlurteilsforschung sind zwei für die hiesige Untersuchung relevante Fehlerquellen zu nennen: Sie lassen sich mit Böhme unterteilen in

114 Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO, § 160 Rn. 18; Barton/Kölbel/Lindemann, in: Wider die wildwüchsige Entwicklung des Ermittlungsverfahrens, S. 15. 115 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 60. 116 Sommer, Effektive Strafverteidigung, Rn. 584 ff.; ders., StraFo 2018, 451 (453). 117 Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO, § 160 Rn. 19; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 741. 118 Jahn, in: Handbuch des Strafverfahrens, Kapitel 1 Rn. 39 bezeichnet den Staatsanwalt als „volljuristischen Hilfsbeamten der Polizeibehörde“. 119 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß 2. Band, S. 305.

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polizeiliche Aufklärungsfehler und die Schwäche des Personalbeweises.120 Zunächst ist es möglich, dass dem Gericht im Zwischenverfahren ein nicht vollständig bzw. ein nicht richtig ermittelter, mithin ein fehlerhafter Sachverhalt vorgelegt wird, es in der Folge auf unzureichender tatsächlicher Basis entscheidet und im Hauptverfahren ein anderer Sachverhalt ans Licht kommt. Hierbei handelt es sich (auch) um solche Konstellationen, die Kinzig et al. dem zweiten Verlaufstyp des Freispruchs121 zuordnen, in dem sich die Beweislage im Hauptverfahren ändert. Angesichts der oben skizzierten „Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens“ kommt es vermehrt zu unzulänglichen und nicht selten einseitigen Ermittlungen, die sich in aller Regel als im weiteren Verfahren kaum mehr korrigierbar erweisen. Einschlägige Untersuchungen zu Fehlurteilen bestätigen dies.122 Neben unzulänglichen Ermittlungen wird vor allem der Personalbeweis im weitesten Sinne123 als die zentrale Fehlerquelle des Strafverfahrens benannt: Er ist insofern besonders fehleranfällig, als Zeugen falsch aussagen können, ihre Glaubwürdigkeit schwer zu beurteilen ist, Sachverständigengutachten fehlerhaft sind oder gänzlich fehlen.124 Auch falsche Geständnisse eines (Mit-)Beschuldigten sind kein seltenes Phänomen.125 Hinzu kommt das Zustandekommen und die formale Präsentation von Aussagen aus dem Ermittlungsverfahren vor der Hauptverhandlung: In Protokollen über Vernehmungen werden die Angaben der Aussageperson nicht etwa wortlautgetreu wiedergegeben, sondern regelmäßig vom Ermittlungsbeamten zusammengefasst. Der Vernehmende wird nicht dazu gezwungen, seine Fragen zu protokollieren. Selbst aus dem Inhalt einer umfangreichen Aussage kann er frei selektieren und so den „Kern“ der Aussage in eigenen Worten zusammenfassen.126 120

Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 181 ff., die Fehlerquelle des gerichtlichen Aufklärungsfehlers ist in diesem Zusammenhang nicht zu nennen, da die „Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens“ im Zwischenverfahren erstmals dem Gericht vorgelegt werden und diese Fehlerquelle daher im Zwischenverfahren erstmals vorkommen kann. 121 Dazu oben 4. Teil B. II. 2. 122 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß 2. Band, S. 196 ff.; vgl. auch Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 197. 123 So versteht Peters unter Personalbeweismitteln neben Zeugen und Sachverständigen auch Beschuldigte und Mitbeschuldigte, siehe Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß 2. Band, S. 2. 124 Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 247. 125 Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 242 f., S. 247; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß 2. Band, S. 14 f.; vgl. zu Ergebnissen der US-amerikanischen Fehlurteilsforschung Kölbel, in: „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“, S. 44; zum Ganzen auch Schuster, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 359 Rn. 5. 126 Sommer, StraFo 2018, 451 (452); zur Bedeutung polizeilicher Vernehmungen und ihrer Ausrichtung auf die Herbeiführung von Geständnissen Volbert/May, R&P 2016, 4 ff.; siehe auch Barton/Dubelaar/Kölbel/Lindemann, „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“, S. 18 f.

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

Das Gesetz sieht eine zwingende Protokollierung nicht einmal vor. § 168b Abs. 2 StPO verlangt nur, dass ein Protokoll aufgenommen werden „soll“. Nicht selten weichen die Angaben der Aussageperson in der Hauptverhandlung von den Schilderungen im Protokoll so sehr ab, dass das Hauptverfahren mit einem Freispruch enden muss.127 Es lassen sich für die hiesige Untersuchung also zwei bedeutsame Schwachpunkte auf Ebene der Entscheidungsgrundlage des Zwischenverfahrens ausmachen: Erstens die unvollständige Entscheidungsgrundlage infolge unzulänglicher Ermittlungen (polizeiliche Aufklärungsfehler) und zweitens die allgemein bekannte „Schwäche des Personalbeweises“. c) Richterliche Entscheidung auf Aktenbasis: „Zwei-Klassen-Justiz“ im Zwischenverfahren? Fraglich ist nun, ob die Vorschriften des Zwischenverfahrens geeignet sind, den dargestellten Schwächen auf Ebene der Entscheidungsgrundlage zu begegnen und somit nicht hauptverhandlungswürdige Sachen herauszufiltern. In der Literatur findet sich bisweilen die Formulierung, wonach die Eröffnungsentscheidung „auf Aktenbasis“ zu treffen sei.128 Im Regelfall wird die Eröffnungsentscheidung auch nur anhand der vorgelegten Akten getroffen; Beweiserhebungen des Gerichts und Einwendungen des Angeschuldigten bilden in der Praxis die Ausnahme.129 Damit liegt die mögliche Ursache einer misslingenden Prüfung der Entscheidungsgrundlage im Zwischenverfahren und sonach seiner mangelnden Leistungsfähigkeit auf der Hand: Die Entscheidung auf Aktenbasis wird der Schwäche des Personalbeweises als einer zentralen Fehlerquelle des Ermittlungsverfahrens nicht gerecht. So kann namentlich der Zeugenbeweis im Zwischenverfahren nicht fundiert gewürdigt werden, da dem Gericht hier nur die Akten in Gestalt polizeilicher Vernehmungsprotokolle vorliegen, deren Beweiswert schwierig zu bestimmen ist. Auch Einlassungen des Beschuldigten können schriftlich nicht mit der gebotenen Gründlichkeit gewürdigt werden. Anders verhält es sich dagegen, wenn vornehmlich sachliche Beweismittel, also Urkunden- und Augenscheinsbeweis, für die Frage der Verurteilung entscheidend sind. Exemplarisch mag etwa ein Wirtschaftsstrafverfahren betrachtet werden, in dem es beweisrechtlich maßgeblich auf vertragliche Vereinbarungen oder Sitzungsprotokolle bzw. Beschlüsse eines Führungsgremiums, das heißt Sachbeweismittel ankommt und personelle Beweismittel eine nur untergeordnete Rolle spielen.130 Hier befinden sich die entscheidenden Beweismittel in 127

Vgl. Glatzel, StV 1982, 283 ff. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 1 f.; vgl. dazu auch Paeffgen, NStZ 2002, 281 (284). 129 Siehe etwa Koch, StV 2002, 222 f. 130 Was in Wirtschaftsstrafsachen die Regel sein dürfte, siehe nur Müller-Jacobsen, in: Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger, XIII. C. 1. 128

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Gestalt von Urkunden bei den Akten und das Gericht kann die Eröffnungsentscheidung auf fundierter Basis treffen, da es zum einen unmittelbaren Zugang zu den Beweismitteln hat und sich die vorgelegten Urkunden und Augenscheinsobjekte bis zur Hauptverhandlung zumeist nicht mehr ändern, es sei denn, der Angeschuldigte oder sein Verteidiger legen erst in der Hauptverhandlung neue Urkunden vor, welche die vorigen in ein anderes Licht rücken. Demgegenüber sieht sich das Eröffnungsgericht beispielsweise in einem Verfahren wegen Körperverletzung mit Notwehrproblematik in erster Linie mit dem Beweismittel Zeuge konfrontiert. Es kann vorkommen, dass sich Zeugen im Hauptverfahren von dem ihnen im polizeilichen Vernehmungsprotokoll zugeschriebenen Inhalt distanzieren131 und sich die Beweislage daher im Hauptverfahren gravierend ändert. Auch kann sich eine Zeugenaussage in der Hauptverhandlung als nicht glaubwürdig erweisen. Wäre dies bereits im Zwischenverfahren erkennbar gewesen, wäre die Eröffnung womöglich abgelehnt worden. Ferner bedarf es zu einer validen Beweiswürdigung der persönlichen Vernehmung durch das Gericht. Das bloße Lesen von Vernehmungsprotokollen, die überdies auch nur von den Vernehmungsbeamten zusammengefasst132 wurden, kann den persönlichen Eindruck nicht ersetzen. Anders als bei Verfahren, in denen Urkunds- und Augenscheinsbeweis im Mittelpunkt stehen, fehlt der unmittelbare Zugang zu Beweismitteln, wenn es sich um Zeugenaussagen handelt. Es liegt daher auf der Hand, dass in der grundsätzlichen Beschränkung der Prüfung auf Aktenbasis ein Schwachpunkt des Zwischenverfahrens zu sehen ist. Folglich ist festzuhalten, dass die Qualität der Eröffnungsentscheidung auch von dem ihr zugrunde liegenden Tatvorwurf und der zu seinem Beweis notwendigen Entscheidungsgrundlage abhängen wird. Wendet man sich nochmals den Ergebnissen der Studie von Kinzig et al.133 zu, scheinen diese die hier angeführte These zu bestätigen: Im Jahr 2015 kam es danach bei Anklagen wegen Betrug und Untreue zu einer Freispruchquote von 2,1 %. Die gleiche Quote ergab sich für Anklagen wegen Betäubungsmitteldelikten. Deutlich höher lag die Freispruchquote bei Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (6,4 %), Straftaten gegen das Leben (8,2 %) sowie Raub und Erpressung (9,3 %). Am höchsten war sie bei Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung: Hier lag die Freispruchquote bei 9,9 %.134 Letztgenannte Straftaten sind solche, in denen es in aller Regel auf persönliche und weniger auf sachliche Be-

131 Siehe etwa Kinzig, in: Barton/DubelaarKölbel/Lindemann, „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“, S. 79 (98); für Beschuldigtenaussagen Glatzel, StV 1982, 283 ff. 132 Zu dieser Problematik Sommer, StraFo 2018, 451 ff. 133 Kinzig/Stelly, in: Der Schrei nach Strafe – Texte und Ergebnisse des 41. Strafverteidigertages, S. 33 (58 ff.) 134 Kinzig/Stelly, in: Der Schrei nach Strafe – Texte und Ergebnisse des 41. Strafverteidigertages, S. 33 (39).

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weismittel ankommt,135 während es sich bei den Delikten mit niedrigerer Freispruchquote regelmäßig gegenteilig verhält. Zwar finden sich keine Datenerhebungen über die den Nichteröffnungsbeschlüssen zugrunde liegenden Delikte, allerdings liegt es nahe, dass hier diejenigen oben genannten Verfahren deutlich überrepräsentiert sind, die sich durch eine geringe Freispruchquote auszeichnen, weil die Prüfung anhand der Aktenlage im Zwischenverfahren der Prüfung in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht nachsteht.136 Insoweit lässt sich sagen, dass der Personalbeweis gerade auch im Zwischenverfahren strukturell unterlegen ist. Als Zwischenergebnis ist zu formulieren, dass die Filterwirkung des Eröffnungsverfahrens in Verfahren mit vornehmlich sachlichen Beweismitteln grundsätzlich effektiver ist als in Verfahren mit vornehmlich personalen Beweismitteln. Es ist jedoch kein sachlicher Grund ersichtlich, warum die Qualität der Eröffnungsentscheidung in Abhängigkeit von dem verfahrensgegenständlichem Delikt variieren sollte; plakativ ausgedrückt ist nicht nachvollziehbar, warum derjenige, der einer Marktmanipulation oder Untreue verdächtig ist, in den Genuss einer besseren Prüfung der Zumutbarkeit einer öffentlichen Hauptverhandlung gelangen soll als derjenige, gegen den der Verdacht einer sexuellen Nötigung oder Körperverletzung besteht. 2. Rechtslage bis 1974: Höhere Qualität der Entscheidungsgrundlage durch die gerichtliche Voruntersuchung? Es mag heutzutage als selbstverständliche Banalität empfunden werden, dass die Prüfung im Zwischenverfahren „nach Aktenlage“ erfolgt und daher die sich bereits oben andeutende Identifikation dieser Tatsache als eine Schwäche des Zwischenverfahrens intuitiv als wohlfeil zurückgewiesen werden. Dass die „Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens“ nach der Vorstellung der Schöpfer der RStPO allerdings besser beschaffen sein sollten als die heute vorzufindende „Aktenlage“, erhellt ein Blick auf die bis zum Jahr 1974 bestehende Möglichkeit der Durchführung einer gerichtlichen Voruntersuchung. Diese sollte nicht etwa die schriftliche Grundlage des Urteils bilden, sondern die Eröffnungsentscheidung vorbereiten.137 Sie wurde 1877 eingeführt, um die alleinige Herrschaft über das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft einzudämmen.138 Die durch einen persönlich unabhängigen 135 Aus der Untersuchung von Kinzig et al. ergab sich weiterhin, dass in zwei Dritteln aller untersuchten Freisprüche keine anderen relevanten Beweismittel außer Zeugenaussagen existierten, Kinzig, in: Barton/Dubelaar/Kölbel/Lindemann, „Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“, S. 79 (98). 136 Hinzuweisen ist etwa auf die bereits im dritten Teil der Arbeit zitierte Entscheidung BGH NStZ 2012, 346 (347), die das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO im Zwischenverfahren für ausreichend hält. 137 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 348; Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, S. 403. 138 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 345.

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Richter durchgeführte Voruntersuchung sollte Machtmissbrauch und Willkür durch die Staatsanwaltschaft entgegenwirken.139 Ferner sollte die Voruntersuchung auch qualitativ bessere Ermittlungsergebnisse hervorbringen und eine bessere Sachverhaltsaufklärung garantieren, weil der Untersuchungsrichter – anders als die Staatsanwaltschaft – selbst eine unmittelbare Beweisaufnahme durchführen musste.140 Wie oben gezeigt, war nach der ursprünglichen Regelung der RStPO die Voruntersuchung verpflichtend in Verfahren vor dem Reichsgericht und in Schwurgerichtssachen durchzuführen.141 In allen anderen Fällen war eine Voruntersuchung auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten möglich, mithin war ihr ein breiter Anwendungsbereich eingeräumt.142 Nach mehreren Reformen war die Voruntersuchung zuletzt nur noch zwingend in der Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug. In Schwurgerichtssachen konnte unter bestimmten Voraussetzungen auf sie verzichtet werden, sie konnte in Strafkammersachen oder Schöffengerichtssachen auf Antrag, der die Geltendmachung „erheblicher Gründe“ voraussetzte, durchgeführt werden. Verglichen zur heutigen Rechtslage hatte der Angeschuldigte also eine bessere Stellung, weil er eine gerichtliche Voruntersuchung erzwingen konnte, wenn er „erhebliche Gründe“ vortrug und somit rechtliches Gehör und insbesondere das Recht auf Teilnahme an der untersuchungsrichterlichen Beweiserhebung erlangte. Es liegt überdies nahe, dass richterlich zustande gekommene Vernehmungsprotokolle valider sind als solche der Polizei. Auch heute weist die herrschende Auffassung Richtern qualitativ bessere Arbeitsergebnisse zu, wie sich etwa im Rahmen der Auslegung des § 252 StPO oder aber in § 254 StPO zeigt. Ungeachtet des seit jeher umstrittenen Werts der Voruntersuchung143 und ihrer Beschränkung auf bestimmte Verfahren ist festzustellen, dass der Gesetzgeber der RStPO bei der Konzeption des Eröffnungsverfahrens die vorgelagerte Voruntersuchung im Blick gehabt haben dürfte und davon ausging, dass die Eröffnungsentscheidung auf fundierterer Basis erfolgen würde, als dies heute tatsächlich der Fall ist. Sie bot also eine gewisse Kompensation dafür, dass das Gericht im Eröffnungsverfahren nur auf Aktenbasis entschied. Der Wegfall der Voruntersuchung hat sich daher auf das Zwischenverfahren insoweit ausgewirkt, als das Eröffnungsgericht nicht mehr auf die durch den Untersuchungsrichter aufbereiteten Materialien zurückgreifen kann, sondern unmittelbar auf die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft und damit in einer Vielzahl der Fälle der Polizei angewiesen ist. Der Angeschuldigte hat ein entscheidendes Instrument zur Einflussnahme, nämlich die Möglichkeit, eine Voruntersuchung zu beantragen – deren Ablehnung überdies mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden konnte – verloren.

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Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 345. Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, S. 408. 141 Siehe oben 1. Teil A. I. 1. 142 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 345. 143 Kritisch etwa von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 487 ff.; zu ihrer Abschaffung im Jahr 1974 oben 1. Teil A. V. 140

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Daher ist die Frage aufgeworfen, in welcher Weise die geltenden Vorschriften des Zwischenverfahrens der oben beschriebenen Diskrepanz zwischen Sach- und Personalbeweismitteln nach Abschaffung der Voruntersuchung noch Rechnung tragen. Zu fragen ist also, inwieweit das Eröffnungsgericht bei Konfrontation mit einem Personalbeweismittel auf die ausschließliche Prüfung nach Aktenlage beschränkt ist. Daneben ist auch in den Blick zu nehmen, inwieweit Aufklärungsfehler des Ermittlungsverfahrens beseitigt werden können und die Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren fehlerhaften Sachverhalt berichtigen und gegebenenfalls vervollständigen können. Von Relevanz sind in diesem Zusammenhang zwei Vorschriften: Zum einen die Möglichkeit des Gerichts, nach § 202 StPO ergänzende Beweiserhebungen vorzunehmen, zum anderen die Möglichkeiten des Angeschuldigten, nach § 201 StPO auf die Grundlage der Eröffnungsentscheidung durch Beweisanträge Einfluss zu nehmen. 3. Ergänzende Beweiserhebungen nach § 202 StPO: Der Aufklärungsumfang im Zwischenverfahren Die Möglichkeit, von einer bloßen Prüfung nach Aktenlage abzuweichen, eröffnet heute nur noch § 202 StPO. Danach kann das Gericht zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen, bevor es über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet. Jedenfalls auf den ersten Blick scheint § 202 StPO eine geeignete Antwort auf die soeben aufgeworfene Problematik zu bieten. Inwieweit die Vorschrift bei genauerer Betrachtung dazu bestimmt und geeignet ist, die Filterfunktion des Zwischenverfahrens speziell vor dem Hintergrund der hier geschilderten Defizite zu realisieren, wird sich im Folgenden zeigen. Bei Beweiserhebungen im Sinne des § 202 StPO ist das Gericht nach allgemeiner Ansicht nicht auf Beweismittel im formellen Sinne beschränkt.144 In Betracht kommt etwa auch die Vernehmung des Angeschuldigten145 oder das Einholen von schriftlichen Auskünften146. Denkbar sind aber auch richterliche Vernehmungen von Zeugen, etwa, um – durch die Möglichkeit der Vereidigung oder die Strafdrohung des § 153 StGB – eine wahrheitsgemäße Aussage herbeizuführen.147 Die Vorschrift erlaubt daher jedenfalls grundsätzlich, Zeugen und auch den Angeschuldigten im Zwischenverfahren zu vernehmen.148 Von wem die Beweiserhebung durchgeführt wird, sagt das Gesetz nicht. Angesichts des Wortlauts des § 202 StPO, wonach das Gericht die Beweiserhebung nur „anordnen“ kann, liegt es zwar nahe, dass es selbst

144 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 15; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 202 Rn. 23; OLG Hamm, BeckRS 2007, 12721. 145 OLG Celle, MDR 1966, 781; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202 Rn. 2. 146 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 13. 147 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 13 ff. 148 Peters, Strafprozeß, S. 538.

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keine Beweiserhebungen durchführen soll.149 Allerdings wird einhellig angenommen, dass das Gericht befugt ist, Beweiserhebungen nach § 202 StPO sowohl selbst vorzunehmen als auch an die Staatsanwaltschaft zu delegieren.150 Rechtspraktisch kommt letzteres häufiger vor, was auch daran liegen dürfte, dass die Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren ihre Ermittlungskompetenz behält. Dies führt wiederum zu der Konsequenz, dass die Verteidigung – weil ihr die Anwesenheit nur bei richterlichen Zeugenvernehmungen gemäß § 168c Abs. 1 S. 1 StPO gestattet ist – an der gegebenenfalls gar selbst beantragten Beweiserhebung kein Anwesenheitsrecht hat. Dennoch lässt sich zunächst einmal festhalten, dass es nach § 202 StPO grundsätzlich möglich ist, personale Beweismittel nicht nur anhand der Aktenlage zu berücksichtigen. a) Restriktive Auslegung durch die herrschende Meinung Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, wann Beweiserhebungen nach § 202 StPO überhaupt zulässig sind. Nach dem Wortlaut der Vorschrift „kann“ das Gericht „einzelne Beweiserhebungen anordnen“, sodass ihm ein Ermessen eingeräumt wird.151 Die herrschende Auffassung geht von einem schmalen Anwendungsbereich des § 202 StPO aus, wofür insbesondere der restriktive Wortlaut angeführt wird.152 Regelmäßig wird der Anwendungsbereich wie folgt definiert: Sei der Sachverhalt bereits so weit aufgeklärt, dass eine Entscheidung über das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts ohne weitere Beweiserhebungen möglich ist, scheide eine Beweiserhebung nach § 202 StPO aus. Gleiches gelte, wenn sehr umfangreiche ergänzende Ermittlungen erforderlich seien, um dem Gericht die erforderliche Tatsachenbasis für die Entscheidung über den bis dato unsicheren hinreichenden Tatverdacht zu verschaffen.153 Dann sei das Gericht dazu verpflichtet, von Beweiserhebungen abzusehen und gegebenenfalls bei der Staatsanwaltschaft die Rücknahme der Anklage informell mit dem Hinweis anzuregen, dass weitere er-

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Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 16. Loos, in: Alternativkommentar StPO, § 202 Rn. 8; Beining, HRRS 2016, 407 (409); Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202 Rn. 8; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 202 Rn. 6; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 16; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, § 202 Rn. 3; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202 Rn. 7. 151 Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren zur Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht, S. 76; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 202 Rn. 20. 152 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 4; Beining, HRRS 2016, 407 (408); Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 202 Rn. 19; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202 Rn. 4; Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren zur Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht, S. 107; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202 Rn. 3. 153 OLG Karlsruhe, BeckRS 2004, 01804; OLG Celle, StV 2012, 456; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2011, 251; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 202 Rn. 19. 150

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gänzende Ermittlungen vorzunehmen seien und andernfalls nicht eröffnet werde.154 Zusammengefasst gestatte § 202 StPO somit weder eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung noch eine Nachholung des Ermittlungsverfahrens. Innerhalb des so vorgezeichneten Rahmens stehe dem Gericht ein Ermessen in Bezug auf vorzunehmende, einzelne Beweiserhebungen zu.155 Eine einzelne Beweiserhebung kommt danach in Betracht, wenn das Gericht die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass hinreichender Tatverdacht vorliege, für vertretbar erachte, sich selbst dieser Bewertung mit Blick auf eine Verurteilung aber nicht ohne weitere Beweiserhebungen anschließen könne.156 Teilweise wird vertreten, dass das Gericht – innerhalb der vorbezeichneten Grenzen – in seiner Entscheidung gänzlich frei sei, mithin keine Verpflichtung zu Beweiserhebungen bestünde.157 Nach anderer Ansicht sei das Gericht in denjenigen Fällen zu einer Beweiserhebung im Zwischenverfahren verpflichtet, in denen es entweder von einem hinreichenden Tatverdacht ausgehe, eine einzelne Beweiserhebung aber voraussichtlich zu einer anderen Bewertung führen würde oder in der umgekehrten Situation, dass es noch nicht von hinreichendem Tatverdacht ausgehe, eine einzelne weitere Beweiserhebung aber hinreichenden Tatverdacht voraussichtlich zu begründen vermögen würde.158 Hier sei die Eröffnung oder Ablehnung der Hauptverhandlung ohne vorhergehende Beweiserhebung nicht zulässig. Der so gekennzeichnete Anwendungsbereich gerichtlicher Aufklärungsmöglichkeiten erscheint eingedenk der Zwecksetzung des Zwischenverfahrens und ihres partiellen Fehlschlagens legitimierungsbedürftig, da gerade in der regelmäßig ausschließlichen Entscheidung auf Aktenbasis ein Defizit der Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts zu sehen ist. Daher soll die hinter der herrschenden Auffassung stehende Argumentation genauer nachvollzogen werden. Bekanntermaßen gilt der Untersuchungsgrundsatz schon im Zwischenverfahren, § 202 StPO ist gerade Ausfluss dieser Verfahrensmaxime.159 Begrenzt ist die Untersuchung gemäß § 155 Abs. 2 StPO nur durch den Umfang der in der Anklage bezeichneten Tat. Beließe man es dabei, wäre eine umfangreiche Aufklärung schon im Zwischenverfahren möglich, sodass dadurch die verstärkte richterliche Vernehmung von Zeugen dort die 154 OLG Nürnberg, NStZ-RR 2011, 251 f.; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 4; Beining, HRRS 2016, 407 (408); Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, § 202 Rn. 2. 155 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 4 f. 156 Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren zur Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht, S. 116 f.; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 202 Rn. 22; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202 Rn. 3. 157 Ritscher, in: BeckOK StPO, § 202 Rn. 4; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202 Rn. 1; Reinhardt, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 202 Rn. 1; Siewert/Mattheus, DRiZ 1993, 353 (356). 158 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 5; Rosenau, in: Satzger/Schmitt/ Widmaier, StPO, § 202 Rn. 3; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202 Rn. 3; Beining, HRRS 2016, 407 (408); unklar Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202 Rn. 1. 159 Siehe nur Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 1.

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Regel sein müsste. Allerdings ist der Untersuchungsgrundsatz im Zwischenverfahren in mehrerlei Hinsicht eingeschränkt: Zunächst ist § 202 StPO dadurch begrenzt, dass Bezugspunkt der Beweiserhebungen der hinreichende Tatverdacht und nicht – wie im Hauptverfahren – die richterliche Überzeugung (§ 261 StPO) ist, sodass auch die Aufklärungspflicht des Gerichts nur so weit reicht, dass eine Entscheidung über die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung getroffen werden kann.160 Anders als im Hauptverfahren, in dem die richterliche Überzeugung Bezugspunkt ist und nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die entfernte Möglichkeit einer Änderung des Sachverhalts ausreicht, die Aufklärungspflicht auszulösen,161 liegt die Schwelle bei der Aufklärung im Rahmen der Eröffnung deutlich höher, da ein Beweismittel sehr viel mehr Erfolg versprechen muss, um die Möglichkeit zur Änderung der bisherigen Sachverhaltswürdigung hinsichtlich des hinreichenden Tatverdachts, der sich gerade durch gewisse Unwägbarkeiten auszeichnet, zu eröffnen.162 Eine weitere Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes im Zwischenverfahren liegt in der Ausgestaltung des deutschen Strafverfahrens als Anklageprozess. Die Entscheidung der StPO für den Anklageprozess bedeutet, dass die staatliche Strafverfolgung auf zwei voneinander unabhängige staatliche Institutionen, nämlich die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde einerseits sowie das entscheidende Gericht andererseits, übertragen ist.163 Gegenstück dazu ist der Inquisitionsprozess, bei dem Ermittler, Ankläger und Richter in einer Person vereint sind und der sich als ungeeignet erwiesen hat, da die Gefahr der Voreingenommenheit des Richters erheblich ist.164 Hieraus folgert man für das Zwischenverfahren, dass grundsätzlich eine Aufgabenteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht dergestalt stattfinden müsse, dass erstere für die Ermittlung zuständig sei und dem Gericht einen ausermittelten Sachverhalt vorzulegen habe. Die Staatsanwaltschaft sei in der Folge auch im Zwischenverfahren weiterhin zu Ermittlungen befugt. Ergebe sich sonach die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen bis zur Entscheidungsreife über den hinreichenden Tatverdacht selbst zu führen, könne die gerichtliche Ermittlungstätigkeit nur an diesen ausermittelten Sachverhalt anknüpfen und sei daher immer nur von nachgelagerter Bedeutung.165 Treffend ist in diesem Zusammenhang der gelegentlich verwandte Begriff der „Nachermittlungspflicht“.166

160 Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren zur Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht, S. 96. 161 BGHSt 23, 176 (188); 30, 131 (143). 162 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 86 f. 163 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 17 Rn. 5. 164 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 17 Rn. 3. 165 Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren zur Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht, S. 97 ff. 166 Siewert/Mattheus, DRiZ 1993, 353.

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

Überdies wird aus dem Lager der herrschenden Auffassung für die restriktive Auslegung des § 202 StPO angeführt, dass der Beschuldigte in der Hauptverhandlung – trotz ihrer Eingriffsintensität – effektivere Teilhaberechte habe und eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit stattfinden könne, was im Zwischenverfahren gerade nicht gewährleistet sei und daher größte richterliche Zurückhaltung geboten wäre.167 Ein weiteres, in engem Zusammenhang mit dem Anklagegrundsatz stehendes Argument für die restriktive Handhabung der gerichtlichen Aufklärung im Zwischenverfahren ist der mit größerem Aufklärungsbemühen verbundene Anschein der Befangenheit des Eröffnungsgerichts.168 Somit erweist sich die Vorschrift des § 202 StPO nach der herrschenden Meinung also nur als Auftrag an das Gericht, kleinere Lücken im Beweisgebäude zu schließen. b) Extensive Auslegung durch eine Mindermeinung Bisweilen wird dagegen eine weitergehende Auslegung des § 202 StPO vorgeschlagen, die jeweils in verschiedene Richtungen zielt. Nach der Ansicht von Heghmanns müsse sich das Eröffnungsgericht in die Situation des erkennenden Gerichts versetzen und all diejenigen fehlenden Beweise erheben bzw. ermitteln, deren Erhebung es im Hauptverfahren nicht ohne Verstoß gegen § 244 Abs. 2 – 5 StPO unterlassen könnte.169 Er erhofft sich mit dieser Intensivierung der Aufklärungspflicht eine optimale Ausnutzung des Zwischenverfahrens zur Vorbereitung der Hauptverhandlung.170 Um sein vorgeschlagenes Prozedere nicht zu sehr an den Inquisitionsprozess heranzurücken, tritt Heghmanns de lege ferenda für die Implementierung eines Instituts der „vorläufigen Zurückweisung der Anklage“ ein, wonach das Eröffnungsgericht für notwendig erachtete Beweiserhebungen wieder an die Staatsanwaltschaft zurückreichen kann, ohne, dass die Folge des § 211 StPO eintrete.171 Koch tritt dafür ein, eine obligatorische richterliche Anhörung des Angeschuldigten auf der Grundlage des § 202 StPO durchzuführen.172 Dabei gehe es nicht darum, vom Angeschuldigten ein Geständnis zu erlangen, sondern, rechtliches Gehör zu gewähren und seine Rolle als Subjekt des Verfahrens zu wahren. Einen weiteren Vorteil der obligatorischen Anhörung erblickt Koch, der dieses Verfahren 167

Rn. 3. 168

Meyer-Goßner, StV 2002, 394; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202

LG Berlin, NStZ 2003, 504; Siewert/Mattheus, DRiZ 1993, 353 (356). Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 90. 170 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 169. 171 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 93 f. 172 Koch, StV 2002, 222 (223); ihm de lege lata folgend und darüber hinaus eine entsprechende gesetzliche Fixierung dieses Vorgehens fordernd M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (332 f.). 169

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nach eigenen Angaben selbst praktiziert, in der regelmäßig kürzeren Verfahrensdauer.173 c) Stellungnahme Für eine extensivere Auslegung der Vorschrift spricht freilich, dass damit die Filterfunktion des Zwischenverfahrens gestärkt werden würde, da Beweismittel intensiver geprüft und gegebenenfalls Versäumnisse des Ermittlungsverfahrens nachgeholt werden könnten. Vernimmt das Gericht etwa einen Zeugen, dessen Aussage im polizeilichen Protokoll nur oberflächlich wiedergegeben wurde, im Zwischenverfahren persönlich und ergeben sich andere als die aus dem Protokoll hervorgehenden Erkenntnisse, lässt sich eine Hauptverhandlung unter Umständen vermeiden. Auch die von Koch vorgeschlagene Vorgehensweise mag zu einer effektiveren Ausnutzung des Zwischenverfahrens beitragen. Ob dieses weite Aufklärungsverständnis aber von § 202 StPO gedeckt ist, muss im Wege der Auslegung der Vorschrift anhand von Wortlaut, Gesetzeshistorie, Systematik und Telos untersucht werden. Wie bereits erwähnt wurde, sind Beweiserhebungen schon dem Wortlaut nach eingeschränkt: Erstens erlaubt die Vorschrift in quantitativer Hinsicht nur „einzelne“ Beweiserhebungen. Mit der Einfügung der amtlichen Überschrift „Anordnung ergänzender [Hervorhebung d. Verf.] Beweiserhebungen“ durch Gesetz vom 17. 07. 2015 wurde ferner verdeutlicht, dass es sich nur um eine Nachermittlungspflicht handeln kann, die dann ausgelöst wird, wenn ein bestimmtes Beweismittel gar nicht herangezogen wurde, das Beweisergebnis mithin ergänzt werden muss. Historisch ist in diesem Zusammenhang auf die Abschaffung der Voruntersuchung hinzuweisen, in welcher dem Untersuchungsrichter recht weitgehende Ermittlungsbefugnisse zustanden und in der auch Zeugen gehört werden konnten.174 Damit handelte es sich bei der Voruntersuchung um eine Institution, die der strukturellen Schwäche des Personalbeweises im Vorfeld der Hauptverhandlung effektiv begegnen konnte.175 Dennoch fand ihre Abschaffung im Jahr 1974 großen Beifall, da sie mehrheitlich als „Überrest des alten Inquisitionsprozesses“ betrachtet wurde. Wurden die Möglichkeiten der Voruntersuchung ausdrücklich abgeschafft, können sie nicht in § 202 StPO neu aufleben. Hinsichtlich des Zwecks des § 202 StPO ist zunächst festzuhalten, dass die Vorschrift sich – wie oben ausgeführt – im Spannungsfeld von Inquisitions- und Anklageprinzip bewegt. Bekanntermaßen verbindet der deutsche Strafprozess Prinzipien des Inquisitionsprozesses mit denen des Akkusationsprozesses. Nach Roxin/Schünemann lässt sich seine Struktur als „Akkusationsprozess mit inquisi-

173

Koch, StV 2002, 222 (223 f.). Zur Voruntersuchung bereits oben 1. Teil A. I., sowie ausführlich Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 17 ff. 175 Siehe bereits oben 4. Teil C. II. 2. 174

174

4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

torischer Hauptverhandlung“ kennzeichnen.176 Während das erkennende Gericht im Vorverfahren von jeglicher Untersuchungstätigkeit ferngehalten werden soll, hat es jedenfalls in der Hauptverhandlung volle Verfahrensherrschaft und erhebt Beweise in eigener Verantwortung.177 Unklar ist aber die Ausgestaltung im Zwischenverfahren. Einerseits wird einhellig vertreten, dass das Gericht mit Anklageerhebung die Verfahrensherrschaft einnimmt.178 Andererseits darf die Staatsanwaltschaft weiterhin ermitteln und kann die Anklage jederzeit zurücknehmen, über den Verfahrensgegenstand mithin disponieren. Hierbei handelt es sich um ein typisches Kennzeichen eines Akkusationsprozesses. Die herrschende Auffassung löst dieses Spannungsfeld wie gezeigt zugunsten des Akkusationsprinzips auf und lässt einen nur eingeschränkten Umfang richterlicher Untersuchungen im Zwischenverfahren zu. Allerdings darf nicht gänzlich verkannt werden, dass die Verfahrensherrschaft ab Anklageerhebung und damit schon im Zwischenverfahren beim Gericht liegt. Folge dessen ist, dass auch der Untersuchungsgrundsatz schon im Zwischenverfahren gilt.179 Insoweit erscheint die Begründung der herrschenden Auffassung keineswegs zwingend. Denkbar wäre es auch, dem Gericht einen deutlich stärkeren Untersuchungsauftrag, vergleichbar dem der Hauptverhandlung, an die Hand zu geben. Letztlich handelt es sich hierbei um ein grundsätzliches, die Verfahrensstruktur berührendes Problem des Zwischenverfahrens, welches sich angesichts der personellen Ausgestaltung des Zwischenverfahrens nur mit dem Ansatz der herrschenden Meinung befriedigend lösen lässt. Da bei umfangreichen Ermittlungen vor der Hauptverhandlung die Besorgnis der Befangenheit sehr schnell entstehen kann, muss die richterliche Aktivität im Zwischenverfahren stark eingeschränkt werden. Dies ergibt sich zum einen aus der Wertung des § 22 Nr. 4 Var. 1, 2 StPO, wonach ein Richter vom Verfahren kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn er in derselben Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft oder als Polizeibeamter tätig war und zum anderen mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, der gerade im Rahmen des § 202 StPO wie gezeigt sehr schnell zur Konstellation der unzulässigen Vorbefassung führen kann. Alles in allem bleiben daher Ermittlungen im Zwischenverfahren primär der Staatsanwaltschaft überantwortet und nicht dem späteren Tatgericht; von diesem Grundsatz sollte nur in besonderen Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden. Dem Ansatz von Heghmanns ist daher entgegenzuhalten, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht im Zwischenverfahren nicht so weit reicht wie in der Hauptverhandlung, sondern infolge der funktionalen Aufgabenverteilung von Staatsanwaltschaft und Gericht erheblich eingeschränkt ist. Dem liefe es zuwider, wäre das Eröffnungsgericht verpflichtet, alle hypothetischen Situationen zu durchdenken, in denen nach §§ 244 Abs. 2 StPO weitere Aufklärung veranlasst ist und zwar auch dann, wenn man – wie vorgeschlagen – den Ermittlungsauftrag an die Staatsan176

Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 17 Rn. 6. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 17 Rn. 5. 178 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 17 Rn. 5; Kölbel, in: Münchener Kommentar StPO, § 170 Rn. 18. 179 Siehe nur Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202 Rn. 1. 177

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waltschaft zurückgibt. Damit rückt Heghmanns den Strafprozess nämlich bedenklich nahe an den abgeschafften Inquisitionsprozess heran, was er selbst auch nicht zu verkennen scheint, will er seinen Auslegungsvorschlag doch mit einer de lege ferenda einzuführenden „vorläufigen Zurückweisung“ kombinieren.180 Insofern vermag auch sein Ansatz de lege lata keine befriedigende Lösung anzubieten. Ungeachtet dessen erscheint dieser Vorschlag wenig praktikabel, da das Gericht insbesondere etwaige Beweisanträge vonseiten anderer Verfahrensbeteiligter antizipieren müsste, obschon unklar ist, ob sie überhaupt gestellt werden würden. Auch der Ansatz von Koch, eine obligatorische Vernehmung des Angeschuldigten im Zwischenverfahren auf § 202 StPO zu stützen, ist nach der vorangegangenen Auslegung der Vorschrift und des damit herausgearbeiteten Anwendungsbereiches nicht haltbar. Die ferner umstrittene Frage, ob das Gericht in bestimmten Konstellationen zu Beweiserhebungen verpflichtet ist, muss bejaht werden. Hierfür kann ergänzend auf die im zweiten Teil der Arbeit vorgenommene verfassungsrechtliche Betrachtung verwiesen werden: Da das Zwischenverfahren in seinem Kern Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, muss dieser auch im Rahmen der Auslegung seines Normprogrammes Anwendung finden. Es wäre indes schlichtweg unverhältnismäßig, dem Gericht freizustellen, den Angeschuldigten auf die eingriffsintensive Hauptverhandlung zu verweisen, obgleich einfache Beweiserhebungen womöglich zu einer Vermeidung dieses Grundrechtseingriffs führen könnten. Folglich ergibt sich richtigerweise eine Ermessensreduktion auf Null, wenn einzelne Beweiserhebungen voraussichtlich eine andere Bewertung der Verdachtslage ergeben. Alles in allem ist eine extensive Auslegung des § 202 StPO daher abzulehnen; Aufwertungsmöglichkeiten müssen andernorts gesucht oder im Rahmen einer Gesetzesreform des § 202 StPO geschaffen werden. Ergänzend zu den Ausführungen im dritten Teil der Untersuchung zeigt sich auch hier, dass vieles dafür spricht, de lege ferenda über eine Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter nachzudenken, da so im Zwischenverfahren vermehrt Beweiserhebungen vorgenommen werden könnten, die seine Filterfunktion verbesserten. d) Schlussfolgerung bezüglich der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens Das Maß der gerichtlichen Aufklärung im Zwischenverfahren ist eng umgrenzt. Bezogen auf den im Zwischenverfahren strukturell unterlegenen Personalbeweis bedeutet dies, dass § 202 StPO der Problematik zunächst nur insofern abhilft, als das Eröffnungsgericht dann zu einer unmittelbaren Heranziehung des Personalbeweismittels verpflichtet ist, wenn dadurch der hinreichende Tatverdacht voraussichtlich entfällt oder der aus Richtersicht noch nicht gegebene hinreichende Tatverdacht entsteht, sodass man bei der Frage nach der Filterfunktion wieder auf den Entscheidungsmaßstab, den hinreichenden Tatverdacht, zurückgeworfen ist: Stellt man an ihn höhere Anforderungen, werden ergänzende Beweiserhebungen häufiger 180

Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 93 f.

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

vorkommen, stellt man dagegen geringere Anforderungen, verbieten sich auch regelmäßig Beweiserhebungen nach § 202 StPO. Hinsichtlich der Fehlerquelle des „unvollständigen Sachverhalts“ muss festgestellt werden, dass gerichtliche Beweiserhebungen ob ihrer Begrenzung von vornherein nur in solchen Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Entscheidungsgrundlage durch einzelne Beweiserhebungen komplettiert werden kann. Weiterhin muss das Gericht überhaupt erst auf mögliche Fehler aufmerksam werden, was anhand der Aktenlektüre oftmals schwer sein wird. Erforderlich hierzu ist die Einbeziehung der Verteidigung, die gegebenenfalls entlastende Informationen vorbringen kann. Soweit oben181 kritisiert wurde, dass über Beweisverwertungsverbote nicht endgültig entschieden werde und auch hier Zweifelsfälle der Hauptverhandlung überantwortet werden, erweist sich diese Kritik nach der Betrachtung des Aufklärungsumfanges im Zwischenverfahren jedenfalls de lege lata als nicht berechtigt: Zwar erfolgt die Aufklärung von Beweisverwertungsverboten in Hauptverhandlung und Zwischenverfahren grundsätzlich im Wege des Freibeweises. Gilt allerdings die eingeschränkte Aufklärungspflicht des Zwischenverfahrens, können nur solche Beweisverwertungsverbote endgültig entschieden werden, die den hinreichenden Tatverdacht mit Sicherheit entfallen lassen. Liegen beispielsweise in einem fiktiven Verfahren drei Beweismittel vor, von denen eines sicher unverwertbar ist und bei den beiden anderen Zweifel gegeben sind, darf das Gericht – ohne eine abschließende Klärung der Verwertbarkeitsfrage auch des sicher unverwertbaren Beweismittels – das Hauptverfahren eröffnen. Dies hat zur Folge, dass auch das unverwertbare Beweismittel im Hauptverfahren erneut thematisiert werden kann. Inwieweit sich de lege ferenda eine abschließende Klärung von Verfahrens- oder auch nur Verwertungsfragen im Eröffnungsverfahren empfiehlt, wird noch zu untersuchen sein.182 Daher muss konstatiert werden, dass § 202 StPO, wie er von der herrschenden Meinung verstanden wird, zwar (Mit-)Ursache für das partielle Fehlschlagen der Filterfunktion ist, allerdings ist eine erweiterte Auslegung dahingehend, dass es zu einer regelmäßigen Vernehmung von Angeschuldigten oder Hauptbelastungszeugen kommt, mögliche Aufklärungslücken routinemäßig behoben werden und Verwertungsfragen endgültig geklärt werden, aus den oben genannten Gründen de lege lata abzulehnen. 4. Beweisantragsrecht des Angeschuldigten nach § 201 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StPO Weiterhin ist zu klären, inwieweit der Angeschuldigte bzw. seine Verteidigung Einfluss auf die Entscheidungsgrundlage nehmen kann. Dieser Aspekt ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da der Beschuldigte zwar schon im Ermittlungs181 182

Siehe oben 4. Teil C. I. 5. Hierzu unten 5. Teil F. II.

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verfahren Einfluss auf das Ermittlungsergebnis hat, indem er sich zum Vorwurf äußern und gemäß § 163a Abs. 2 StPO Beweisanträge stellen kann. Auch bietet sich die Möglichkeit, „eingleisige“ Ermittlungen aus eigener Initiative zu berichtigen. Allerdings sind Beweisanträge im Ermittlungsverfahren überaus selten183 und dem Beschuldigten liegt erstmals im Zwischenverfahren – durch dessen Durchführung überdies Gehörsverletzungen des Ermittlungsverfahrens geheilt werden184 – der nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ausermittelte maßgebliche Sachverhalt vor. Insoweit kann es aus der Sicht des Angeschuldigten durchaus Sinn ergeben, erst hier zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen oder zumindest entlastende Umstände vorzubringen und so die Entscheidungsgrundlage des Eröffnungsgerichts zu beeinflussen. Erstaunlich mutet es demgegenüber an, dass allenthalben die fehlende Aktivität der Verteidigung in diesem Verfahrensstadium moniert wird.185 Im Folgenden sollen daher Bedeutung und Effektivität der Möglichkeit des Angeschuldigten und seines Verteidigers, von der Vorschrift des § 201 StPO Gebrauch zu machen und Beweisanträge186 vorzubringen, genauer betrachtet werden. a) Auslegung des § 201 StPO Nach § 201 Abs. 2 StPO beschließt das Gericht über Einwendungen und Anträge. Wie es mit vorgebrachten Beweisanträgen zu verfahren hat, sagt das Gesetz nicht. Auch die Vorschrift des § 201 StPO muss aber vor dem Hintergrund des Zwecks des Zwischenverfahrens gesehen werden. Aus dem Regelungszusammenhang ergibt sich daher, dass Beweisanträge daran zu messen sind, ob sie für die Eröffnungsvoraussetzung des hinreichenden Tatverdachts Bedeutung haben.187 Beweisanträgen ist gemäß § 202 StPO nachzugehen, soweit sie für die Eröffnungsentscheidung von Bedeutung sind, was immer dann der Fall ist, wenn die Beweiserhebung in der im Eröffnungsverfahren zulässigen Form Art oder Umfang der Eröffnung beeinflussen kann.188 Umstritten sind die Anforderungen an die Maßstäbe für ihre Bescheidung.

183 Kretschmer, StraFo 2013, 184 (185); Jahn, in: Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren, Kap. II Rn. 146. 184 Kritisch dazu Kempf, in: Festschrift 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins, S. 592 (599 ff.). 185 Dazu bereits oben 4. Teil A. 186 Da es in diesem Abschnitt nur um die Entscheidungsgrundlage im Eröffnungsverfahren geht, wird an dieser Stelle die Möglichkeit des Beweisantrags erörtert. Auf Einwendungen wird an späterer Stelle eingegangen. 187 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 6; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 201 Rn. 15; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 37; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 201 Rn. 30; Kretschmer, StraFo 2013, 184 (188). 188 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 38; Loos, in: Alternativkommentar StPO, § 201 Rn. 12; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 613; krit. Lundberg, Beweiserhebung im Zwischenverfahren zur Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht, S. 113 f.

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

Nach der überwiegenden Auffassung ist das Gericht nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 StPO gebunden.189 Die Entscheidung ergehe nach freiem Ermessen des Gerichts, wobei auch hier die oben herausgearbeiteten Grenzen des § 202 StPO gelten würden. Eine Mindermeinung bestreitet dies und erklärt § 244 Abs. 3 – 5 StPO für anwendbar, wobei Bezugspunkt nicht die „Wahrheit“ im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO sei, sondern die für den hinreichenden Tatverdacht erforderliche „Wahrscheinlichkeit“.190 Nach teilweise vertretener Ansicht sollen die Vorschriften zwar nicht ausdrücklich angewandt werden, aber als Orientierungsmaßstab bei der Ablehnung gelten.191 Folgt man der Ansicht, wonach die strengeren Regeln des § 244 StPO anzuwenden sind, ergeben sich dennoch erhebliche Unterschiede zur Ablehnung in der Hauptverhandlung: Ablehnungsgründe, welche eine Prognose des Ergebnisses erfordern (Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit, Erwiesensein, Beweis des Gegenteils beim Sachverständigenbeweis und Nichterforderlichkeit der Augenscheinseinnahme), können deutlich einfacher angenommen werden, weil die Eröffnungsentscheidung – Maßstab ist die „Wahrscheinlichkeit“ – gerade gewisse Unsicherheiten zulässt.192 Auch der Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung ist problematisch, da er das Gericht im Hauptverfahren nicht bindet.193 Solange also die Eröffnung an sich nicht gefährdet ist, könnte das Gericht auch nach dieser Ansicht zahlreiche Anträge – insbesondere solche zu Privilegierungstatbeständen und Regelbeispielen – mit dem Ablehnungsgrund der Wahrunterstellung verwerfen und damit gleichsam in die Hauptverhandlung verschieben.194 Folgt man der herrschenden Auffassung, ist die Schwelle für eine Ablehnung noch geringer. Zwar ist die Ablehnung nach § 34 StPO zu begründen.195 Hinsichtlich der Begründungstiefe gilt nach der herrschenden Auffassung jedoch, dass eine Ablehnung mit der Begründung, die begehrte Beweiserhebung könne aus Sicht des Gerichts die Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht nicht beeinflussen, zulässig ist.196 Vertiefte Erwägungen zu den Begründungsanforderungen im Rahmen des § 201 StPO finden sich in der Literatur bezeichnenderweise nicht. 189

Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 8; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 201 Rn. 26; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 201 Rn. 31 f. 190 Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, § 201 Rn. 26. 191 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 38; Paeffgen, NStZ 2002, 281 (282). 192 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 87 f. 193 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 201 Rn. 19; Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 88. 194 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 88. 195 RGSt 1, 170 (171); 44, 380 (381); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 7. 196 RGSt 2, 19 (20 f.); 73, 193 (194); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 8; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 39; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 201 Rn. 18.

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Zusammenfassend zeigt sich also, dass das Beweisantragsrecht begrenzt ist durch den Umfang der Aufklärung. Letztlich kann der Angeschuldigte mit seinem Antrag nur durchdringen, wenn damit der hinreichende Tatverdacht vollständig erschüttert wird, was allerdings bei mehreren angeklagten Taten zumindest auch für einzelne Taten gelten kann. b) Schlussfolgerung bezüglich der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens Zunächst mag die Effektivität des Beweisantragsrechts im Zwischenverfahren als eher gering erscheinen: Es gilt der oben herausgearbeitete Aufklärungsmaßstab, sodass Beweisanträge von vornherein nur Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich bei Vorliegen des relevanten Beweisergebnisses relevante Änderungen für die Frage des hinreichenden Tatverdachts ergeben.197 Zudem gibt es nach § 201 Abs. 2 S. 2 StPO keine Rechtsschutzmöglichkeit des Angeschuldigten gegen ablehnende Entscheidungen; sie können im Übrigen auch nicht mit der Revision unmittelbar angegriffen werden.198 Stattdessen ist er auf ein nochmaliges Vorbringen im Hauptverfahren verwiesen. Überdies kann ein Beweisantrag mit geringem Begründungsaufwand abgelehnt werden. Allerdings muss gesehen werden, dass Beweisanträge im Zwischenverfahren – im Gegensatz zum Ermittlungsverfahren – nicht vollkommen wirkungslos sein müssen: Adressat ist nämlich das Eröffnungsgericht, welches nach der geltenden Rechtslage zugleich das Tatgericht ist und daher besonderes Interesse am Vorbringen des Angeschuldigten haben wird, nicht zuletzt, um die Hauptverhandlung strukturieren zu können.199 Auch wird das Gericht davon ausgehen müssen, dass der Beweisantrag, sollte ihm ohne zureichende Begründung nicht nachgegangen werden, in der Hauptverhandlung wiederholt werden wird; es wird sich daher durchaus schon im Eröffnungsverfahren mit ihm befassen.200 Zwar schließt § 201 Abs. 2 S. 2 StPO die Anfechtbarkeit eines ablehnenden Beschlusses aus, gleichwohl können sich Folgewirkungen nicht oder fehlerhaft abgelehnter Beweisanträge im Zwischenverfahren ergeben. So erscheint es insbesondere denkbar, dass die allgemeine Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung durch zuvor gestellte Beweisanträge im Zwischenverfahren ausgelöst wird.201 Überdies ist anerkannt, dass im Falle einer fehlerhaften Antragsablehnung nach § 201 StPO – unzulässig ist etwa die Ablehnung mit der Begründung, die Beweise würden ohnehin in der Haupt-

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Leipold, in: Festschrift für Schlothauer, S. 345 (351). Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 10; Mavany, JA 2015, 488 (493). 199 Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 177; Hamm, StV 1982, 490 (491). 200 Hamm, StV 1982, 490 (491). 201 Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 177 f. 198

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verhandlung erhoben oder dort als wahr unterstellt202 – in der Hauptverhandlung der gerichtliche Hinweis erforderlich wird, dass der im Zwischenverfahren erfolglos gestellte Beweisantrag nachgeholt werden muss bzw. von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen wird und andernfalls die Aufklärungsrüge ebenfalls begründet sein kann.203 Insoweit sieht sich der Eröffnungsrichter gut beraten, wenn er sich im Zwischenverfahren mit dem Antrag aktiv auseinandersetzt. Weil das Gericht die Beweisanträge der Verteidigung aber erheblich einfacher als in der Hauptverhandlung ablehnen kann, ist zwingend eine gewisse „Offenheit“ für das Vorbringen der Verteidigung erforderlich. Setzt sich das Gericht in der gebotenen Gründlichkeit mit den Beweisanträgen auseinander, kann fehlerhafter Sachverhalt durchaus im Zwischenverfahren korrigiert und damit eine unnötige Hauptverhandlung, mitunter gar ein Fehlurteil vermieden werden. Eine gesetzliche Absicherung hierfür fehlt allerdings, sodass der Angeschuldigte letztlich darauf angewiesen ist, dass die zuständigen Richter sich mit der Sache auch wirklich befassen und nicht nur „formularmäßig“ eröffnen. 5. Fazit Entscheidungsgrundlage für die Frage, ob hinreichender Tatverdacht besteht, sind in erster Linie die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in Gestalt der vornehmlich polizeilich produzierten Ermittlungsakten. Nach der ursprünglichen Konzeption der StPO sollte die Qualität dieser Entscheidungsgrundlage zumindest teilweise besser beschaffen sein, als dies heute der Fall ist. Während die StPO früher durch die Institution der gerichtlichen Voruntersuchung zumindest in bestimmten Verfahren ein – auch vom Angeschuldigten erzwingbares – Korrektiv vorhielt, welches in dem höheren Beweiswert richterlicher Ermittlungsergebnisse bestand, gelten heute nur noch die Vorschriften der §§ 201, 202 StPO. Aus der Fehlurteilsforschung und Untersuchungen zum Freispruch ergibt sich, dass die Entscheidungsgrundlage des Eröffnungsverfahrens typischerweise mit zwei „Fehlerarten“ behaftet sein kann: Aufklärungsfehler im Ermittlungsverfahren und die Schwäche des Personalbeweismittels. Da die Aufgabe des Zwischenverfahrens darin besteht, unnötige Hauptverhandlungen zu vermeiden, müssen die Vorschriften auch gewährleisten, dass das Gericht solche Fehler erkennen kann. Es hat sich indes gezeigt, dass fehleranfällige Personalbeweismittel aufgrund der im Zwischenverfahren regelmäßig hinreichenden Prüfung nach Aktenlage strukturell unterlegen sind. Diese Problematik wird dadurch verschärft, dass dem Eröffnungsgericht de lege lata eine passive Rolle zugewiesen ist. Hierbei handelt es sich um einen Ausdruck des im Zwischenverfahren virulent werdenden Konflikts zwischen Akkusationsprinzip und Inquisitionsprinzip, welcher – nach hiesiger Ein202

Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 8; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 40; zur oftmals gegenteilig agierenden Rechtspraxis Quedenfeld, in: Festschrift für Karl Peters, S. 215 (221). 203 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 8.

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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schätzung zurecht – unter dem Aspekt der „Befangenheitsvorsorge“ zugunsten des Akkusationsprinzips und damit einer faktisch stärkeren Stellung der Staatsanwaltschaft aufzulösen ist. Mit Blick auf mögliche Aufklärungsfehler im Ermittlungsverfahren zeigt sich, dass diese regelmäßig nur durch ein Zusammenwirken der Verteidigung mit dem Gericht behoben werden können, weil dieser Fehlertyp nur selten anhand schlichter Aktenlektüre erkannt werden wird. Sofern der Angeschuldigte entsprechende Beweiserhebungen beantragt und diese aus Sicht des Gerichts bedeutsam für die Prüfung des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachts sind, kann fehlerhafter Sachverhalt berichtigt bzw. vervollständigt und eine unnötige Hauptverhandlung gegebenenfalls vermieden, jedenfalls aber beschränkt werden. Mithin bewahrheitet sich der Satz204, wonach eine aktive, kommunikativ-offene Verfahrensgestaltung im Zwischenverfahren die Filterfunktion effektuieren kann.

III. Entscheidungsfindung und ihre rechtlichen und außerrechtlichen Rahmenbedingungen 1. Vorüberlegungen Die Untersuchung hat gezeigt, dass alle bislang behandelten Interaktionsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten maßgeblich von der richterlichen Einschätzung der Eröffnungsvoraussetzung des „hinreichenden Tatverdachts“ abhängen. Dieser ist zentrale Bezugsgröße des Zwischenverfahrens und – wie im dritten Teil der Untersuchung aufgezeigt wurde – sozialpsychologisch bedeutend für Ablauf und Ergebnis der Hauptverhandlung. Bedenkt man überdies die nicht selten geäußerte Vermutung, dass Richter das Hauptverfahren bisweilen „blind“ eröffneten, erhebt sich die Frage, ob und wenn ja wie der Prüfvorgang des Eröffnungsgerichts normativ gesteuert wird, welche verfahrens- und außerverfahrensrechtliche Sicherungen also gegeben sind, die eine qualitative Prüfung des hinreichenden Tatverdachts tatsächlich gewährleisten. In diesem Zusammenhang bietet sich ein Blick auf den Prozess der tatrichterlichen Überzeugungsbildung im Sinne des § 261 StPO an. Methodisch ist nämlich die Struktur der Verdachtsprüfung mit der vom Tatgericht in der Hauptverhandlung vorzunehmenden Überzeugungsbildung identisch.205 Bei beiden Vorgängen müssen zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende Umstände unter dem Aspekt gewürdigt werden, ob sie auf eine in der Vergangenheit liegende Straftat hindeuten.206 Die richterliche Überzeugungsbildung ist gegen ein zu hohes Maß an Subjektivität mehrfach abgesichert und wird durch verschiedene Mechanismen gesteuert. Zunächst geschieht dies durch das materielle Recht, welches den Umfang der für eine Verurteilung notwendigen Überzeugungsgrundlage und damit ein ent204 205 206

Dazu oben 4. Teil A. Kühne, NJW 1979, 617 (619); Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 121. Kühne, NJW 1979, 617 (622); Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 121.

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

sprechendes Beweisprogramm vorgibt.207 Ferner wird die tatrichterliche Überzeugung durch Verfahrensrecht reguliert: So räumt das Strafverfahrensrecht den Beteiligten beispielsweise durch § 244 Abs. 2 – 6 StPO Einfluss auf die tatrichterliche Überzeugungsbildung ein und lenkt diese durch Darlegungs- und Begründungspflichten; das Gerichtsverfassungsgesetz sieht zudem die Installation von Spruchkörpern zur wechselseitigen Kontrolle der Entscheidungen vor.208 Auch die vom BGH entwickelte „erweiterte Revision“, nach der das Revisionsgericht die tatrichterliche Beweiswürdigung recht umfangreich zu prüfen imstande ist, kann als ein solcher Mechanismus begriffen werden.209 Im Folgenden wird genauer betrachtet, inwieweit die „Überzeugungsbildung“ des Eröffnungsgerichts über den hinreichenden Tatverdacht, also der eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess, normativ reguliert wird. Mit Blick auf die herausgearbeitete zentrale Bedeutung der Eröffnungsentscheidung im Strafverfahren könnte gerade hier ein Schlüssel zur Beantwortung der Frage nach den Ursachen der gegenwärtig festzustellenden partiell fehlschlagenden Filterfunktion des Zwischenverfahrens und der Lethargie der Verfahrensbeteiligten liegen. Betrachtet man einen richterlichen Entscheidungsprozess, so kommt seine Steuerung – in Anlehnung an die Ausführungen zur tatrichterlichen Überzeugung – in dreierlei Hinsicht in Betracht: Zum ersten durch die Vorgaben des materiellen Rechts, zum zweiten durch die prozessuale Ausgestaltung des Entscheidungsvorgangs, zum dritten aber auch durch „außerrechtliche“ Bedingungen. 2. Materielles Strafrecht als zwingende Vorgabe Gesteuert wird der eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess zuvörderst durch das materielle Recht. Der Gesetzgeber zieht durch die Schaffung des materiellen Straftatbestandes Inhalt und Umfang der Verdachtsprüfung Grenzen und gibt dem Gericht nicht nur die für eine Verurteilung notwendige Grundlage und ein darauf abgestimmtes Beweisprogramm vor,210 sondern auch für die vorangehende Prüfung des hinreichenden Tatverdachts und damit die Eröffnung des Hauptverfahrens. 3. Steuerung der Entscheidungsfindung durch Prozessrecht? Über die Vorgaben des materiellen Rechts hinaus erscheint fraglich, welche Steuerungsmechanismen die StPO im Zwischenverfahren vorhält, die einem zu 207

S. 12. 208

Baur, ZIS 2019, 119 (123); Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“,

Baur, ZIS 2019, 119 (124). Hierzu etwa Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 337 Rn. 26 ff.; Knauer/Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 333 Rn. 24 ff. 210 Dazu Baur, ZIS 2019, 119 (123); Küper, Die Richteridee der Strafprozessordnung und ihre geschichtlichen Grundlagen, S. 46. 209

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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hohen Maß an Subjektivität vorbeugen und die Eröffnungsentscheidung objektiv nachvollziehbar erscheinen lassen, mithin zu ihrer Rationalisierung beitragen. Im Folgenden sollen daher denkbare verfahrensrechtliche Steuerungsmechanismen dargestellt und geprüft werden, inwieweit diese die Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht absichern oder gegebenenfalls gegenläufige Effekte bewirken. a) Darlegungs- und Begründungspflichten Zunächst ist hierbei an Darlegungs- und Begründungspflichten des Gerichts zu denken. Durch die Implementierung von Begründungspflichten zwingt das Gesetz den Richter zur Selbstkontrolle, gewährt dem Beschuldigten und seinem Verteidiger Informationen und eröffnet die Möglichkeit einer Kontrolle durch ein Rechtsmittelgericht.211 Es handelt sich damit um die Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.212 Ein mit genauer Begründung erlassener Eröffnungsbeschluss, der auch eine Würdigung der vorläufigen Beweisergebnisse enthält, würde einesteils dazu beitragen, dass das Gericht sich bereits frühzeitig intensiv in die Sache einarbeitet und damit eine effektivere Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts gewährleistet ist. Anderenteils wäre durch die frühzeitige Kundgabe der vorläufigen Einschätzung durch das Gericht eine ebenso frühzeitige und gezielte Verteidigung möglich.213 Das Gesetz sieht eine Begründungspflicht des Eröffnungsbeschlusses – im Gegensatz zum Nichteröffnungsbeschluss – aber nicht vor. Auch § 34 StPO, wonach anfechtbare oder ablehnende Entscheidungen zu begründen sind, ist schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar.214 Damit ist eine Kontrolle der Eröffnungsentscheidung durch den Eröffnungsrichter selbst, die Verteidigung und ein etwaiges Rechtsmittelgericht nicht möglich. Allein die Ablehnung von gestellten Beweisanträgen bedarf der Begründung; wie gezeigt, sind die Anforderungen an sie aber so gering, dass der oben geschilderte Zweck einer Begründungspflicht zumeist nicht erreicht wird. Letztlich wird durch das Fehlen jeglicher Begründungspflicht eine Haltung, die Anklage im Zweifel zuzulassen, begünstigt.215 Damit fehlt ein naheliegendes und zugleich effektives steuerndes Element richterlicher Entscheidungsfindung im Zwischenverfahren.

211 So die allg. Auffassung zur Begründung eines Haftbefehls, Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 114 Rn. 4; OLG Hamm, NStZ-RR 2002, 335; OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 134. 212 Graf, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 114 Rn. 4. 213 Eschelbach, in: Handbuch des Fachanwalts für Strafrecht, 8. Teil Rn. 71. 214 Zur Begründungspflicht bei abgelehnten Beweisanträgen i. S. d. § 201 Abs. 2 S. 1 Var. 1 oben 4. Teil C. II. 4. a), bei „abgelehnten“ Einwendungen i. S. d. § 201 Abs. 2 S. 1 Var. 2 StPO unten 4. Teil C. III. 3. d). 215 M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (332); Eschelbach, GA 2019, 593 (604).

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

b) Kontrolle der Entscheidung durch Rechtsbehelfe und Kollegialentscheidungen Daran anknüpfend kann die Kontrolle der Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht in den Blick genommen werden: Neben der mit der Begründungspflicht angesprochenen Selbstkontrolle des einzelnen Richters kennt die StPO zwar die Kontrolle durch ein Rechtsmittelgericht. Allerdings steuert das Strafverfahrensrecht den eröffnungsrichterlichen Erkenntnisprozess auch nicht auf diesem Wege, da der Eröffnungsbeschluss nach § 210 Abs. 1 StPO bekanntermaßen nicht anfechtbar ist. Möglich bleibt eine Gehörsrüge nach § 33a StPO, da hierüber aber der iudex a quo entscheiden muss, kann diese von vornherein nicht als sonderlich effektiver Kontrollmechanismus gesehen werden, zumal der Eröffnungsbeschluss ohnehin keiner Begründung bedarf und eine Gehörsverletzung damit de facto nicht nachgewiesen werden kann.216 Auch eine etwaige Ablehnung der nachträglichen Gehörsgewährung nach § 33a StPO ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, da dies auf die Zulassung einer weiteren Beschwerde hinauslaufen würde, deren Fehlen gerade Voraussetzung für § 33a StPO ist.217 Damit bleibt nach der geltenden Rechtslage nur noch eine gewisse Kontrolle unter dem Aspekt der Kollegialentscheidung denkbar. Zweck der Installation eines Kollegialspruchkörpers ist es nämlich auch, sich gegenseitig zu kontrollieren.218 Allerdings finden sich Kollegialspruchkörper nur in landgerichtlichen Sachen, nicht aber am Amtsgericht.219 Alles in allem wird die Entscheidung im Eröffnungsverfahren somit keiner effektiven Kontrolle zugeführt, womit es an einem weiteren – denkbaren – verfahrensmäßigen Steuerungsmechanismus fehlt. c) Anfechtbarkeit des Nichteröffnungsbeschlusses Als mögliche – mit der soeben geschilderten defizitären Kontrolle zusammenhängende – Ursache für die tatsächlich unzureichende Behandlung des Zwischenverfahrens wird auch die fehlende Anfechtbarkeit des Eröffnungsbeschlusses ins Feld geführt.220 Während ein Nichteröffnungsbeschluss nämlich gemäß § 204 Abs. 1 StPO begründungspflichtig ist und durch die Staatsanwaltschaft angefochten werden kann, ist der Erlass des Eröffnungsbeschlusses weder begründungspflichtig noch anfechtbar. Eine naheliegende Folge dieser gesetzlichen Ausgestaltung ist es, dass sich der Eröffnungsrichter häufiger für die weniger aufwändige Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden wird, als einen aufwändigen Nichteröffnungsbeschluss 216

Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 8. Teil Rn. 72; ders., in: Festschrift für Richter II, S. 113 (127). 217 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 33a Rn. 10. 218 Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren, S. 415; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 6 Rn. 17a; zum schulmäßigen Vorgehen einer Eröffnungsberatung in Großverfahren Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (120 f.). 219 Auch beim Schöffengericht nicht, weil Schöffen gemäß §§ 30 Abs. 1, 76 Abs. 1 S. 2 GVG nicht am Zwischenverfahren teilnehmen. 220 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 168; Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (119).

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zu fassen, der vom Beschwerdegericht überdies noch aufgehoben werden kann. Zudem scheint die Rechtsprechungstendenz der für die angefochtenen Nichteröffnungsentscheidungen zuständigen Gerichte dahin zu gehen, im Zweifel der Beschwerde stattzugeben und die Eröffnung anzuordnen.221 Folglich fehlen der StPO nicht nur entscheidende Elemente, welche eine rational nachvollziehbare richterliche Prüfung gewährleisten, sondern sie setzt insoweit einen eindeutig tendenziösen Anreiz an das Gericht, das Verfahren eher zu eröffnen, da dies für den Richter der „bequemere“ Weg ist. d) Beteiligungsrechte des Angeschuldigten: Einwendungen nach § 201 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StPO Steuernd auf die Entscheidungsfindung könnten allerdings Beteiligungsrechte des Angeschuldigten wirken. Sie ergeben sich aus § 201 Abs. 1 StPO. Das Beweisantragsrecht wurde bereits im Rahmen der Analyse der Entscheidungsgrundlage beleuchtet. Dort ergab sich, dass ein Beweisbegehren nicht gegen den Willen des Gerichts durchgesetzt werden kann, sodass zwar eine gewisse Steuerungswirkung allein durch den Beweisantrag erreicht werden kann, diese sich aber in Grenzen hält, weil das Gericht den Antrag mit geringem Begründungsaufwand ablehnen kann, ohne dabei weiterer Kontrolle zu unterliegen.222 Zu klären bleibt, inwieweit der Angeschuldigte mittels Einwendungen Einfluss nehmen kann. Auch sie müssen stets Bedeutung für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens haben, sich mithin auf den hinreichenden Tatverdacht beziehen.223 Dabei können sich Einwendungen auf alle Eröffnungsvoraussetzungen beziehen, etwa die fehlende Zuständigkeit des Gerichts, Prozesshindernisse, Mängel der Anklageschrift oder fehlenden hinreichenden Tatverdacht.224 Derartige Erklärungen, die gelegentlich als Schutzschrift oder Verteidigungsschrift bezeichnet werden, können formfrei, auch von Dritten (regelmäßig dem Verteidiger), abgegeben werden.225 Hält das Gericht Einwendungen des Beschuldigten für beachtlich, so hat es entsprechend zu reagieren und etwa von § 204 StPO oder § 207 Abs. 2 StPO Gebrauch zu machen oder das Verfahren nach § 209 StPO an ein anderes Gericht zu

221

Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, Kap. 30 Rn. 72. Dazu oben 4. Teil C. II. 4. 223 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 201 Rn. 12; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 203 Rn. 23. 224 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 6; Seidl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberger, StPO, § 201 Rn. 13. 225 Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, § 201 Rn. 13. 222

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

verweisen.226 Hält es dagegen die Einwendungen für unbegründet, werden sie durch die Eröffnung des Hauptverfahrens zurückgewiesen.227 Ob im Falle der Zurückweisung eine Begründung nach § 34 Var. 2 StPO erforderlich ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Nach einer Auffassung besteht, ebenso wie bei der Ablehnung von nach § 201 Abs. 1 StPO gestellten Beweisanträgen, eine Pflicht zur Begründung nach § 34 Var. 2 StPO.228 Nach anderer Ansicht soll eine Begründungspflicht nur für abgelehnte Beweisanträge, nicht aber für aus Sicht des Gerichts unbeachtliche Einwendungen gelten, da die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen zu treffen sei und daher keinen Antrag im Sinne des § 34 StPO voraussetze.229 Rechtsprechung existiert zu dieser Frage soweit ersichtlich nicht. Allerdings ist im Rahmen des § 34 StPO streitig, ob eine Begründungspflicht auch für Entscheidungen gilt, die – wie der Eröffnungsbeschluss – von Amts wegen zu treffen sind.230 Diesbezüglich ging der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahre 1960, die eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugen in der Hauptverhandlung betraf, davon aus, dass ein der Vereidigung entgegenstehender Antrag nurmehr der Charakter einer Gegenvorstellung zukomme und eine Begründung seiner Ablehnung nicht erforderlich sei.231 Überträgt man diese Argumentation auf Einwendungen gegen den Eröffnungsbeschluss, ließe sich argumentieren, dass es einer Begründung für abgewiesene Einwendungen nicht bedarf. Weil § 201 Abs. 2 S. 1 StPO zwischen „Anträgen“ und „Einwendungen“ differenziert, fände diese Ansicht überdies eine Stütze im Gesetzeswortlaut, da Einwendungen gerade keine Anträge sind und § 34 StPO folglich nicht angewendet werden muss. In praktischer Hinsicht scheint die Kontroverse demgegenüber bedeutungslos zu sein, da die Praxis schlicht nicht begründet.232 Sieht man einmal von diesem Meinungsstreit ab und geht davon aus, dass auch die Zurückweisung von Einwendungen, denen das Gericht nicht zu folgen vermag, der Begründung bedarf, stellt sich die Frage nach der Begründungstiefe. Rechtsprechung hierzu existiert soweit ersichtlich nicht, allerdings wird bei der Ablehnung von Beweisanträgen allgemein davon ausgegangen, dass die Begründung ausreicht, zur 226

Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 37; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 201 Rn. 31. 227 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 37. 228 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 201 Rn. 17; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 201 Rn. 14. 229 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 43; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 201 Rn. 7; Loos, in: Alternativkommentar StPO, § 201 Rn. 15; so wohl auch Momsen/Washington, in: Festschrift für Eisenberg zum 80. Geburtstag, S. 453 (458), die davon ausgehen, dass eine „Schutzschrift“, die unstrittig als Einwendung i. S. d. § 201 StPO zu werten ist, schon keine Reaktion des Eröffnungsgerichts voraussetze; unklar Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 201 Rn. 17. 230 Dazu Weßlau/Weißer, in: Systematischer Kommentar StPO, § 34 Rn. 7 f. 231 BGHSt 15, 253 = NJW 1961, 327. 232 Vgl. Eschelbach, GA 2004, 228 (239); ders., HRRS 2008, 190 (194) sowie oben 4. Teil B. V.

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Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts seien weitere Beweiserhebungen nicht erforderlich.233 Bereits daraus ergibt sich, dass eine wirklich vertiefte Auseinandersetzung mit den Einwendungen des Angeschuldigten im Zwischenverfahren gesetzlich wenn zwar nicht gar nicht gefordert, so doch nicht garantiert wird. Ist das Gericht der Ansicht, dass hinreichender Tatverdacht besteht, dringt der Angeschuldigte mit Einwendungen – ebenso wie mit Beweisanträgen234 – folglich nur durch, wenn das Gericht bereit ist, sich dennoch mit ihnen auseinanderzusetzen. In der Praxis scheint dies nicht der Fall zu sein.235 Weiterhin besteht kein Rechtsschutz des Angeschuldigten, da § 201 Abs. 2 S. 2 StPO ablehnende Beschlüsse des Gerichts für unanfechtbar erklärt. Insoweit erscheint es durchaus nachvollziehbar, warum die Verteidigung im Zwischenverfahren bisweilen untätig bleibt: Dass sie mit ihren Einwendungen gehört wird, ist zwar vorgesehen, aber gesetzlich keineswegs hinreichend abgesichert. e) Möglichkeit konsensualer Erledigungsformen Ein weiterer, bislang nur ansatzweise behandelter und auch in der Strafrechtswissenschaft wenig beachteter Steuerungsmechanismus ist in den dem Gericht im Zwischenverfahren an die Hand gegebenen Möglichkeiten zur konsensualen Erledigung des Strafverfahrens zu sehen. Betrachtet man nämlich die Entscheidungsmöglichkeiten, die dem Gericht neben Eröffnung und Nichteröffnung zustehen, ergibt sich eine Fülle unterschiedlichster Gestaltungsoptionen: Zu nennen sind hier Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO, Beschränkungen nach §§ 154, 154a StPO, ein Übergang ins Strafbefehlsverfahren nach Rücknahme der Anklage und Erörterungen gemäß § 202a StPO.236 Solche Erörterungen – die an späterer Stelle noch genauer betrachtet werden müssen – können insbesondere auch die Vorbereitung einer Verständigung im Hauptverfahren nach § 257c StPO betreffen und kommen ausweislich statistischer Erhebungen überaus häufig im Zwischenverfahren vor.237 Damit existiert eine Vielzahl von Entscheidungsvarianten, die neben die „klassische“ Entscheidung über Eröffnung oder Ablehnung der Eröffnung treten.238 Es lässt sich daher zunächst festhalten, dass derartige Anreize den eigentlichen Prüfvorgang dergestalt konterkarieren könnten, dass das Gericht in Zweifelsfällen vorschnell eine konsensuale Erledigung anstrebt und seinem eigentlichen Auftrag nicht mehr 233 RGSt 2, 19 (20 f.); 73, 193 (194); Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 201 Rn. 8; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 201 Rn. 39; krit. Eschelbach, HRRS 2008, 190 (194). 234 Dazu oben 4. Teil C. II. 4. 235 Vgl. Eschelbach, GA 2004, 228 (239); ders., HRRS 2008, 190 (194). 236 Meyer, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertages, S. 129 (142 f.). 237 Dazu unten 5. Teil E. II. 2. 238 Ähnlich Meyer, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertages, S. 129 (143 f.).

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

nachkommt. So kann es etwa vorkommen, dass das Gericht eine Einstellung nach §§ 153 f. StPO anstrebt, obschon es eigentlich die Eröffnung ablehnen müsste. Überdies resultieren hieraus Gerechtigkeitsdefizite, was allerdings kein spezifisches Problem des Zwischenverfahrens ist.239 Inwieweit die Möglichkeiten konsensualer Verfahrenserledigung das Zwischenverfahren im Übrigen beeinträchtigen, wird noch zu analysieren sein.240 f) Sicherung durch eigene Durchführung des Hauptverfahrens? Zuletzt lässt sich anführen, dass die Entscheidung immerhin dadurch gesteuert wird, dass das Gericht im Falle der Eröffnung auch das Hauptverfahren selbst durchführen muss und unter diesem Eindruck durchaus zu einer gründlichen Prüfung angehalten wird.241 Umgekehrt ließe sich aber einwenden, dass gerade dies – vornehmlich in weniger umfangreichen Sachen – dazu führen kann, dass eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts in das Hauptverfahren „verschoben“ wird und eine Prüfung im Zwischenverfahren unterbleibt. g) Zwischenfazit Es hat sich gezeigt, dass der eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess – anders als der Prozess der tatrichterlichen Überzeugungsbildung – durch das Strafverfahrensrecht nur sehr schwach gesteuert wird. Die vorstehende Analyse ergab zwei verfahrensrechtliche Gestaltungen, welche die Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht regulieren: zum einen die Entscheidung im Kollegialspruchkörper mit der Folge, dass eine gegenseitige Kontrolle stattfinden kann; zum anderen die Aussicht des Eröffnungsrichters, das Hauptverfahren selbst durchführen zu müssen und daher besondere Sorgfalt bei der vorhergehenden Prüfung walten zu lassen, obschon dies ambivalent erscheint, weil Verfahren, die vermeintlich einfach zu bewältigen sind, auch leicht in die Hauptverhandlung „verschoben“ werden können. Inwieweit diese Gewährleistungen aber wirklich eine objektive Prüfung sichern, kann sich erst abschließend zeigen, nachdem weitere Rahmenbedingungen der eröffnungsrichterlichen Entscheidungsfindung untersucht wurden. 4. Weitere steuernde Faktoren Zuletzt gilt es daher, weitere Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen, welche die Entscheidungsfindung des Richters im Zwischenverfahren beeinträch239

Hierzu allgemein Radtke, in: Goldenstein (Hrsg.), Mehr Gerechtigkeit. Aufbruch zu einem besseren Strafverfahren, Loccumer Protokolle 2011, S. 136 f. 240 Dazu unten 5. Teil E. 241 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß 2. Band, S. 223; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 751.

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tigen könnten. Hierbei handelt es sich einerseits um „außerrechtliche“ Faktoren, andererseits um höchstrichterlich anerkannte Verfahrenspraktiken, die sich teils erst aufgrund der soeben herausgearbeiteten schwach ausgeprägten Regulierung der Entscheidung im Zwischenverfahren entwickelt haben dürften. a) Gleiche Arbeitsmethodik von Staatsanwälten und Richtern Bereits im dritten Teil der Untersuchung wurde auf den „Schulterschlusseffekt“ hingewiesen, wonach Richter erwiesenermaßen eher dazu tendieren, Staatsanwälten zu glauben, als Argumenten der Verteidigung zu folgen.242 Zumindest mitursächlich hierfür ist die Ähnlichkeit der Laufbahn von Richtern und Staatsanwälten in der Strafjustiz. Üblicherweise waren Richter zuvor als Staatsanwälte tätig und wechseln bisweilen wieder zurück in den Dienst bei der Staatsanwaltschaft, sodass sich die Erledigungsstrategien beider Positionen weitestgehend entsprechen.243 Verstärkt wird dies durch die rechtstatsächliche Banalität, dass neben der beruflichen Nähe zur Staatsanwaltschaft oftmals auch eine räumliche und persönliche Nähe besteht.244 All das kann sich auf den Prüfvorgang im Eröffnungsverfahren dergestalt auswirken, dass der Argumentation der Anklage schlichtweg vorschnell Glauben geschenkt wird und daher eine Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen womöglich recht unkritisch vorgenommen wird. b) Personalbedarfsberechungssystem Ein weiterer, hier zu berücksichtigender Aspekt ist die Art der Bewertung der richterlichen Tätigkeit. Im Zuge der Personalbedarfsplanung der Landesjustizbehörden wurde ein System („Pebb§y“) entwickelt, das Vorgaben hinsichtlich der Dauer bestimmter richterlicher Tätigkeiten macht. Innerhalb dieses Systems werden Richter im Rahmen ihrer „Pensenbewertung“ insbesondere nach Hauptverhandlungstagen bewertet. Beschlussverfahren finden hingegen kaum Eingang in die Bewertung der richterlichen Pensen.245 Auch dies führt dazu, dass ein Richter möglicherweise eher eine mündliche Hauptverhandlung in Kauf nimmt, als sich einer Strafsache schon im Zwischenverfahren mit der gebotenen Intensität anzunehmen. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es durchaus Richter gibt, die es anders halten und das Eröffnungsverfahren schulmäßig, das heißt unter gründlicher Lektüre der Akten, durchführen. Dennoch ist die Divergenz von gesetzlicher Ausgestaltung und verwaltungsinterner Planung als möglicher Grund für die nicht hinreichende Ausschöpfung des Zwischenverfahrens im Blick zu behalten. 242

Siehe hierzu oben 3. Teil B. III. Eisenberg, JZ 2011, 672 (678); Schünemann, in: Bierbrauer/Gottwald/BirnbreierStahlberger, Verfahrensgerechtigkeit: Rechtspsychologische Forschungsbeiträge für die Justizpraxis, S. 217 (223). 244 Eisenberg, JZ 2011, 672 (678). 245 Vgl. Eschelbach, HRRS 2008, 190 (195); Eisenberg, JZ 2011, 672 (677 f.). 243

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

c) Zulässigkeit des Umlaufverfahrens Ein ferner zu berücksichtigendes rechtstatsächliches Phänomen ist die bei Kollegialgerichten zu beobachtende Fassung des Eröffnungsbeschlusses im schriftlichen Umlaufverfahren.246 Statt eine mündliche Eröffnungsberatung anzuberaumen, in deren Rahmen alle für die Eröffnung relevanten Umstände erfasst und beurteilt werden, kann der Eröffnungsbeschluss auch im schriftlichen Umlaufverfahren gefasst werden, was von der überwiegenden Auffassung als zulässig betrachtet wird.247 Wird ein solches Umlaufverfahren absolviert, fehlt es an einem tatsächlichen Diskurs zwischen den Berufsrichtern der Strafkammer über die Frage der Eröffnung, der eine gegenseitige Kontrolle der Eröffnungsentscheidung im Sinne eines Sechs-AugenPrinzips gewährleistet und somit sicherstellt, dass jeder Berufsrichter die Verantwortung für die Eröffnung auch tatsächlich übernimmt.248 Gerade ein solcher Diskurs ist aber Zweck der Installation eines Kollegialspruchkörpers.249 Im Extremfall wäre es gar möglich, dass ein nicht als Berichterstatter agierender Berufsrichter den Entwurf des Eröffnungsbeschlusses bei dessen Vorlage im Umlaufverfahren gleichsam „blind“ unterzeichnet, ohne die dem Entwurf des Eröffnungsbeschlusses beigefügten Akten auch nur zur Kenntnis zu nehmen.250 Nach einer anderen Meinung ist das Umlaufverfahren daher nicht statthaft, erforderlich sei stets eine auf Aktenlektüre von Berichterstatter und Vorsitzendem basierende (mündliche) Diskussion der Eröffnungsvoraussetzungen durch den Kollegialspruchkörper, das heißt allen drei Berufsrichtern.251 Festhalten lässt sich jedenfalls, dass mit der Zulässigkeit des Umlaufverfahrens der Kontrollmechanismus „Kollegialentscheidung“ faktisch außer Kraft gesetzt ist. d) Formulareröffnungsbeschluss Darüber hinaus kommt – was sich als Folge der fehlenden Regulation der Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht darstellen dürfte – in der Mehrzahl der Verfahren nur ein so genannter „Formulareröffnungsbeschluss“ zustande. Das Hauptverfahren wird hierbei durch das bloße Ausfüllen eines Formulars, in dem

246 Zu diesem Vorgehen aus justizpraktischer Sicht Wenske, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband I – Gutachten, S. 310; Germann, NJW 1960, 758 (759). 247 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 199 Rn. 5; Rieß, in: Löwe-Rosenberg, stopp (25. Auflage), § 199 Rn. 4; Der BGH hat die Fassung des Eröffnungsbeschlusses im Umlaufverfahren bislang nicht beanstandet, vgl. etwa BGH, StV 1982, 2 (3); NStZ 2012, 225. 248 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 22. 249 Ähnlich Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (121). 250 Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 67. 251 Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 199 Rn. 15; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 199 Rn. 22; Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (121).

C. Tauglichkeit des Prüfprogramms der §§ 201 – 203 StPO

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zugleich der Termin für die mündliche Verhandlung bestimmt wird, eröffnet.252 Ein solches Vorgehen des Eröffnungsgerichts ist inzwischen auch obergerichtlich anerkannt.253 Ob eine tatsächliche Kontrolle nach Maßgabe der §§ 199 ff. StPO stattfindet, lässt sich dabei von außen nicht nachvollziehen. Dem äußeren Anschein nach stellt sich ein solches Vorgehen jedenfalls als schlichte Routinetätigkeit dar, die eine sorgfältige Prüfung des vorgelegten Aktenmaterials nicht wirklich beinhaltet.254 Entsprechend wurde die Tätigkeit der Richter im Zwischenverfahren schon früh als „stereotype Schreibarbeit“ bezeichnet.255 e) Rechtsprechung zur Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse Dass das von Gerichten offenbar auch heute noch so empfunden wird, deutet die ergangene Rechtsprechung im Zusammenhang mit fehlerhaften Eröffnungsbeschlüssen an. Sie soll hier nicht im Detail referiert256 oder bewertet werden, sondern vielmehr als mögliche Ursache für die fehlschlagende Filterfunktion herangezogen werden. Leidet ein Eröffnungsbeschluss an formellen oder inhaltlichen Mängeln, ist er nach der Rechtsprechung nur dann unwirksam, wenn es sich um schwerwiegende Mängel handelt.257 Wann dabei von einem schweren Mangel auszugehen ist, wird nicht einheitlich beurteilt und es existiert eine kaum zu überblickende Einzelfallrechtsprechung.258 Allerdings ist nach der Rechtsprechung eine Heilung fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse noch in der Hauptverhandlung möglich, sofern der Mangel behebbar ist.259 Fehlt der Eröffnungsbeschluss ganz, soll er nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur in der Hauptverhandlung bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache nachgeholt werden können.260 Noch weiter und angesichts der – verfassungsrechtlich abgesicherten – Schutzfunktion des Zwischenverfahrens nach hiesiger Auffassung unvertretbar, geht das OLG Hamburg 252

M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (329); Marxen, Straftatsystem und Strafprozeß, S. 248; Leipold, in: Festschrift für Schlothauer, S. 345 (347); vgl. auch Weidemann, in: Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg, S. 499 (502); Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (119 ff.); ders., GA 2004, 228 (241 ff.). 253 BGH NStZ 2012, 225; OLG Düsseldorf, StV 1983, 408; OLG Celle, JR 1978, 347 mit Anm. Peters. 254 Wenske, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband I – Gutachten, S. 310. 255 Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081. 256 Hierzu ausführlich Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 45 ff. 257 BGH GA 1980, 108; BGH NStZ 1984, 133. 258 Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 65. 259 BGH GA 1980, 108; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 207 Rn. 12. 260 BGHSt 29, 224 ff.; 33, 167 (168); Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 207 Rn. 60; Seidl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, § 207 Rn. 24; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 207 Rn. 28.

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

neuerdings davon aus, dass eine Nachholung des (vergessenen) Eröffnungsbeschlusses sogar noch am Ende der Beweisaufnahme möglich sein soll.261 Die durch die Rechtsprechung entwickelten, durchaus weitgehenden Heilungsmöglichkeiten fehlerhaft oder erst gar nicht zustande gekommener Eröffnungsbeschlüsse dürften maßgeblich dazu beitragen, dass das Zwischenverfahren erheblich entwertet wird: Es mag zwar nachvollziehbar erscheinen, dass im Sinne einer verfahrensökonomischen und dem Beschleunigungsgrundsatz verpflichteten Prozessführung vereinzelte Fehler formaler Art mit Nachsicht behandelt werden. Wenn aber formale Fehler der Eröffnungsprüfung von der obergerichtlichen Rechtsprechung weitestgehend toleriert werden und selbst das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses in seiner Gesamtheit noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden kann, wird der ohnehin kaum regulierte Entscheidungsprozess im Zwischenverfahren abermals negativ beeinflusst. Auch die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses als Prozessvoraussetzung – deren Fehlen eigentlich ein Befassungsverbot nach sich zieht262 – wird damit faktisch geleugnet. Dem Eröffnungsrichter wird das Signal gegeben, dass – obwohl seine Prüfung jedweder Kontrolle entzogen ist – Fehler im weiteren Verfahren behebbar sind und eine falsche oder fehlende Durchführung des Zwischenverfahrens fast nie Folgen nach sich ziehen wird. Berücksichtigt man ferner die verfassungsrechtliche Einordnung der Eröffnungsentscheidung als Kontrolle durch einen Richtervorbehalt,263 zeigt sich, dass die Rechtsprechung der Bedeutung des Zwischenverfahrens keine Rechnung trägt und seine schleichende Abwertung maßgeblich mitverursacht hat. 5. Schlussfolgerung für die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens Der eröffnungsrichterliche Erkenntnisprozess über den hinreichenden Tatverdacht wird durch das Verfahrensrecht praktisch kaum gesteuert. Weder unterliegt der Richter bei seiner Entscheidung einer Begründungspflicht, noch findet eine Kontrolle der Entscheidung statt. Auch der Einfluss des Angeschuldigten vermag hier allenfalls begrenzt abzuhelfen. Durch die Einführung konsensualer Erledigungsformen wurden dem Richter überdies verschiedenste Entscheidungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, die auf den ersten Blick nicht immer mit der zentralen Aufgabe – der Prüfung der Zumutbarkeit der Hauptverhandlung – zusammenhängen. Somit bleiben als steuernde Elemente der Entscheidungsfindung im Zwischenverfahren die groben Vorgaben des jeweiligen Straftatbestandes, Einwendungen des

261 OLG Hamburg, BeckRS 2019, 5077; zurecht ablehnend Moldenhauer/Wenske, JA 2019, 941 (942 f.). Dieser Beschluss gibt ein Zeugnis darüber ab, dass auch die Obergerichte die Bedeutung des Zwischenverfahrens inzwischen vollständig aus den Augen verloren haben. 262 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Einl. Rn. 143 f.; Wenske, in: Münchener Kommentar StPO, § 207 Rn. 50. 263 Siehe dazu oben 2. Teil B. III. 2.

D. Ergebnis zum vierten Teil

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Angeschuldigten264 sowie die Aussicht, das Hauptverfahren selbst durchführen zu müssen. Der damit weitestgehend unregulierte Freiraum wird durch tatsächliche und von der Rechtsprechung gebilligte Vorgehensweisen wie dem Umlaufverfahren, dem Formulareröffnungsbeschluss und der Rechtsprechung zur Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse so weit ausgedehnt, dass eine objektiv nachvollziehbare Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht keinesfalls mehr gewährleistet ist. Letztlich kann konzediert werden, dass im Strafverfahrensrecht keine andere richterliche (Zwischen-)Entscheidung von Bedeutung existiert, die derart unreguliert zustande kommt wie die über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Insofern hat die Analyse der Ausgestaltung des eröffnungsrichterlichen Erkenntnisprozesses ergeben, dass das Phänomen des „blinden“ Eröffnens des Hauptverfahrens von der Strafprozessordnung nicht erschwert, sondern erleichtert, wenn nicht gar gefördert wird.

D. Ergebnis zum vierten Teil Als Ergebnis des vierten Teils lässt sich festhalten, dass der seit jeher gegen das Zwischenverfahren erhobene Vorwurf der mangelnden Effizienz in dieser Pauschalität nicht aufrechterhalten werden kann. Betrachtet man die oben angeführten Zahlen insbesondere zu Anklagerücknahmen, Verweisungen an ein anderes Gericht und berücksichtigt die Möglichkeit, Opportunitätseinstellungen vorzunehmen, so zeigt sich, dass eine Ausfilterung hauptverhandlungsunwürdiger Sachen durchaus wirkmächtiger zum Tragen kommt, als dies in der Diskussion gemeinhin unter exklusivem Rekurs auf eine Nichteröffnungsquote von etwa 0,5 % impliziert wird. Gleichwohl deutet die Freispruchquote von etwa 3 % nach hier vertretener Ansicht darauf hin, dass das Zwischenverfahren bisweilen in seiner Wirkung versagen könnte, was durch die Ergebnisse empirischer Forschungen zum Freispruch bestätigt wird. Die aus diesem Anlass erfolgte Untersuchung der Tauglichkeit des eröffnungsrichterlichen Prüfprogramms hat denn auch ergeben, dass die einschlägigen Vorschriften nicht so ausgestaltet sind, dass die Funktion des Zwischenverfahrens, hauptverhandlungsunwürdige Sachen auszufiltern, optimal verwirklicht werden könnte. Daraus folgt, dass die Filterfunktion des Zwischenverfahrens durchaus aufgewertet werden kann. Im Einzelnen haben sich folgende Schwachpunkte abgezeichnet: Grundsätzlich sind die Anforderungen, die von der herrschenden Meinung an die Eröffnungsvoraussetzung des hinreichenden Tatverdachts gestellt werden, hoch und regelmäßig mit einer für das Gericht aufwändigen Prüfung verbunden. Problematisch ist indes die in jüngerer Zeit vermehrt zu verzeichnende Herabsenkung der Anforderungen an den für die Annahme des hinreichenden Tatverdachts erforder264 Allerdings immer unter der Voraussetzung, dass das Gericht sich auf sie einlässt, siehe dazu oben 4. Teil II. 4. b).

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4. Teil: Die Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens

lichen Wahrscheinlichkeitsgrad. Verbesserungsmöglichkeiten ergeben sich auch bei Verfahrensfragen, wie insbesondere solchen der Verwertbarkeit bestimmter Beweismittel. Sie können de lege lata im Zwischenverfahren nicht abschließend geklärt werden. Da allerdings für derartige Fragen eine Aufklärung im Freibeweisverfahren ausreicht, scheint eine Verlagerung dieser Fragen in die Hauptverhandlung nicht immer überzeugend, weil sie in dieser Hinsicht dem Zwischenverfahren nicht zwingend überlegen ist. Hier könnte sich die Möglichkeit einer Reform des Zwischenverfahrens zur Steigerung seiner Leistungsfähigkeit bieten, was indes noch unter Berücksichtigung etwaiger Nachteile genauer geprüft werden muss. Betrachtet man die Entscheidungsgrundlage des Eröffnungsverfahrens, so zeigt sich, dass hier grundsätzlich nur anhand der Aktenlage geprüft wird, was naturgemäß Schwierigkeiten mit sich bringt: So kann einer der Hauptursachen für Freisprüche und Fehlurteile, dem Personalbeweis, nicht hinreichend Rechnung getragen werden, weil eine angemessene Würdigung gegebenenfalls zentraler Zeugen- oder Beschuldigtenaussagen anhand polizeilich zusammengefasster Protokolle nur sehr eingeschränkt möglich ist. Historisch betrachtet kann gesagt werden, dass die Schöpfer der RStPO durch die Installation einer gerichtlichen Voruntersuchung, welche die Eröffnungsentscheidung vorbereiten sollte, von einer besser beschaffenen Entscheidungsgrundlage im Zwischenverfahren ausgingen. Es hat sich ferner gezeigt, dass das Eröffnungsgericht nach der geltenden Ausgestaltung des Strafverfahrens nur eingeschränkt inquirierender Tätigkeit nachgehen darf und im Zwischenverfahren möglichst passiv in Erscheinung treten sollte. Der Aufklärungsumfang ist im Zwischenverfahren also begrenzt. Dies führt in Kombination mit der Entscheidung anhand der Aktenlage dazu, dass Aufklärungsfehler des Ermittlungsverfahrens regelmäßig nicht allein durch das Gericht erkannt und beseitigt werden können. Hierzu ist vielmehr die Einbeziehung der Verteidigung nötig. Insoweit bewahrheitet sich der Satz, dass alle Verfahrensbeteiligten die ihnen gegebenen Möglichkeiten des Zwischenverfahrens ausnutzen müssen, um seine Filterfunktion zu effektuieren. Konterkariert wird dies aber dadurch, dass der richterliche Entscheidungsfindungsprozess über die Frage der Eröffnung des Hauptverfahrens rechtlich so gut wie nicht gesteuert wird und daher eine rationale Entscheidung nicht immer gewährleistet ist. Als steuernde Elemente konnten die groben Vorgaben des jeweiligen Straftatbestandes, Einwendungen des Angeschuldigten sowie die Aussicht, das Hauptverfahren selbst durchführen zu müssen, identifiziert werden. Der damit weitestgehend unregulierte Freiraum wird durch Vorgehensweisen wie dem Umlaufverfahren, dem Formulareröffnungsbeschluss und der Rechtsprechung zur Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse so weit ausgedehnt, dass eine objektiv nachvollziehbare Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht nicht stets gewährleistet ist, was wiederum dazu führt, dass auch die Verteidigung weniger aktiv ist. Hierin liegt ein Grund für die Ineffizienz des Zwischenverfahrens; es handelt sich dabei weniger um rechtsdogmatische, als vielmehr um tatsächliche Ausgestaltungsprobleme.

5. Teil

Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens und Untersuchung ihrer Tragfähigkeit Nachdem Bedeutung und gegenwärtige Defizite des Zwischenverfahrens erarbeitet wurden, sollen nunmehr verschiedene Möglichkeiten, welche die geschilderten Defizite beseitigen und zugleich eine Optimierung oder gar eine gegenständliche Erweiterung der Filterfunktion bewirken, mithin zu einer Aufwertung dieses Verfahrensabschnitts beitragen könnten, dargestellt und gewürdigt werden. Die zu diskutierenden Ansätze unterscheiden sich dabei zum Teil erheblich, nicht zuletzt deshalb, weil sie meist nur eines der beiden „Hauptprobleme“ des Eröffnungsverfahrens zu lösen versuchen. Auch wird in diesem Abschnitt die in der Wissenschaft nur selten beachtete Möglichkeit der Erörterung des Verfahrensstandes im Zwischenverfahren nach § 202a StPO in den Blick zu nehmen sein und geprüft werden müssen, inwieweit diese nunmehr seit über zehn Jahren bestehende Neuerung eine Aufwertung des Zwischenverfahrens bedeutet.

A. Keine Abschaffung des Zwischenverfahrens In Anbetracht der durchaus gewichtigen Probleme des Eröffnungsverfahrens ließe sich zwar erwägen, auf das Zwischenverfahren gänzlich zu verzichten. Dergleichen wurde immer wieder gefordert.1 Diese Lösung wäre radikal und würde die Hauptprobleme des Eröffnungsverfahrens dadurch beseitigen, dass sie sich in dieser Form schlichtweg nicht mehr stellen können. Indes hat die Untersuchung bereits im zweiten Teil ergeben, dass die Hauptfunktion des Eröffnungsverfahrens – das Ausfiltern hauptverhandlungsunwürdiger Verfahren – eine sich aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der verfahrensrechtlichen Dimension des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergebende Notwendigkeit darstellt.2 Zwar wäre es grundsätzlich denkbar, alle andere Funktionen des Zwischenverfahrens, nämlich die Gewährung rechtlichen Gehörs, die Zuständigkeitsbestimmung und die Festlegung des Verfahrensgegenstandes, in andere Verfahrensabschnitte zu 1 Eb. Schmidt, NJW 1963, 1081; ders., NJW 1969, 1137 (1143 f.); Göbel, MDR 1962, 437 (439); Jescheck, JZ 1970, 201 (204); aus jüngerer Zeit insbesondere Linden, 60. DJT, M 44; Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (285); Wohlers, in: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, S. 1313 (1327); Gerson, Das Recht auf Beschuldigung, S. 948. 2 Siehe hierzu oben 2. Teil B. III. 2.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

„verlagern“.3 Allerdings hat die vorliegende Abhandlung gezeigt, dass unter Zugrundelegung der geltenden Verfahrensstruktur als verfassungsrechtliches „Minimum“ stets die einem Richter vorbehaltene Prüfung der Zumutbarkeit des Hauptverfahrens anhand des Kriteriums des „hinreichenden Tatverdachts“ verbleibt.4 Sie steht dem Gesetzgeber nicht zur Disposition, sodass vor jeder Hauptverhandlung immer diese Prüfung erfolgen muss, die nach den Ergebnissen des zweiten Teils überdies ausschließlich dem Richter vorbehalten ist.5 Daher ist das Zwischenverfahren zumindest in dieser zentralen Ausprägung beizubehalten, womit auch die übrigen Funktionen des Zwischenverfahrens in diesem Abschnitt verbleiben können und sollten. Eine Abschaffung des Zwischenverfahrens empfiehlt sich mithin nicht.

B. Antragsgebundene Durchführung: Aufwertung durch „Ressourcenbündelung“ I. Konzepte in der Literatur Bisweilen wird vorgeschlagen, ein Zwischenverfahren nur noch auf Antrag des – nach teilweise vertretener Ansicht dann zwingend verteidigten6 – Angeschuldigten durchzuführen.7 Man erhofft sich mit dieser Lösung, dass in solchen Fällen, in denen die Durchführung des Zwischenverfahrens tatsächlich beantragt wird, seine Möglichkeiten von den Verfahrensbeteiligten auch ernsthaft genutzt werden; schlichte Routinetätigkeiten, insbesondere in kleineren, einfach gelagerten Verfahren könnten auf diese Weise vermieden werden.8 Derartige Ansätze lassen sich also als Aufwertung durch „Ressourcenbündelung“ umschreiben.

II. Stellungnahme Mit einem solchen Vorschlag wäre die Problematik der Vorbefassung infolge des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses zunächst in denjenigen Fällen behoben, in denen die Durchführung des Zwischenverfahrens nicht beantragt wird. Zieht der Angeschuldigte die Durchführung in Betracht, könnte er die Problematik zuvor abwägen 3 Dazu ausführlich Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 113 ff. 4 Dazu oben 2. Teil C. 5 Siehe oben 2. Teil B. III. 2. 6 So Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 103. 7 Hofer, Zur Zukunft des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 102 f.; Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 159; Herrmann, ZStW 1973, 255 (276); Glaser, GS 1867, 212 (244); siehe auch die Gesetzesvorschläge von 1905 und 1920 bei Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 68, S. 37 ff. 8 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 227.

B. Antragsgebundene Durchführung

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und alsdann über sein weiteres Vorgehen entscheiden. Insofern vermag dieser Lösungsansatz das Problem der Vorbefassung immerhin insoweit abzumildern, als der Angeschuldigte weiß, worauf er sich einlässt. Auch unter dem Aspekt der Steigerung der Leistungsfähigkeit des Zwischenverfahrens erscheint der Vorschlag nicht von vornherein abwegig. Die Untersuchung hat ergeben, dass zu einer effizienten Ausnutzung der Möglichkeiten der §§ 201 ff. StPO das Zusammenwirken von Verteidigung und Gericht erforderlich ist, sodass es durchaus sinnvoll sein könnte, der Verteidigung das Initiativrecht für eine gerichtliche Kontrolle der Zumutbarkeit des Hauptverfahrens zu übertragen. Da zu erwarten steht, dass in einer Vielzahl von Fällen – namentlich im Bereich der Kleinkriminalität – keine richterliche Kontrolle beantragt werden wird, könnte eine antragsgebundene Durchführung des Zwischenverfahrens auch Ressourcen freisetzen, die in den dann (noch) durchzuführenden Zwischenverfahren eingesetzt werden könnten und so die Filterfunktion optimierten. Allerdings erscheint es aus verfassungsrechtlicher Perspektive fraglich, ob eine Prüfung auf Antrag der Bedeutung des Zwischenverfahrens gerecht wird. So hat bereits Heghmanns angezweifelt, ob eine Kontrolle des Tatverdachts auf Antrag mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar wäre.9 Seinen Verweis auf die Rechtsweggarantie wird man indes – wenn er auch im Ergebnis zustimmungswürdig erscheint – als so nicht überzeugend bezeichnen müssen: Es ist nämlich anerkannt, dass das von Art. 19 Abs. 4 GG geforderte Rechtsschutzniveau bereits dem Wortlaut nach nur die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes gewährt, mithin nur den Zugang zu den Gerichten eröffnet10 und daher eine richterliche Kontrolle auf Antrag ebenfalls ausreichend wäre. Die vorliegende Untersuchung hat indes ergeben, dass die richterliche Kontrolle im Zwischenverfahren richtigerweise nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützt werden kann, sondern Ausfluss der objektiven Dimension der Grundrechte, konkret: des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ist.11 Diese verlangt eine verfahrensmäßige Absicherung in Gestalt der Implementierung eines Richtervorbehalts, der zwingend einzuhalten ist und nicht nur auf Antrag des Beschuldigten durchgeführt werden kann. Damit verbietet sich nach hier vertretener Auffassung auch die „Antragslösung“.

III. Verzichtslösung? Gleichwohl ist damit nicht gesagt, dass das Zwischenverfahren immer durchzuführen wäre, sondern nur, dass sich eine Lösung verbietet, welche die richterliche Kontrolle von der Aktivität des Bürgers abhängig macht. Weil es grundsätzlich möglich ist, in einen Grundrechtseingriff einzuwilligen, wäre auch der Verzicht auf

9

Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 68 f. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 55. 11 Siehe oben 2. Teil B. III.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

den verfassungsrechtlich geforderten Richtervorbehalt denkbar.12 Es muss folglich zulässig sein, das Zwischenverfahren zwar prinzipiell durchzuführen, allerdings darauf zu verzichten, wenn der Betroffene wirksam einwilligt, wobei hier die Maßstäbe einer wirksamen Einwilligung in einen Grundrechtseingriff13 gelten.14 Allerdings müsste eine dieserart ausgestaltete „Verzichtslösung“, die – soweit ersichtlich – noch nicht vorgeschlagen wurde, auf ihre Konsequenzen hin überprüft werden. Hierbei wäre zunächst unklar, wie zu verfahren sein sollte, wenn der Angeschuldigte sich auf entsprechende Aufforderung durch den Vorsitzenden nicht zur Frage der Durchführung des Zwischenverfahrens äußerte. In diesen Fällen wäre mangels ausdrücklicher Erklärung die Prüfung dennoch durchzuführen; eine Lösung der Effizienzproblematik wäre damit nicht erreicht. Problematisch ist ferner, dass die ausdrückliche Erklärung eines Verzichts auf die richterliche Prüfung des hinreichenden Tatverdachts zumindest auf Beschuldigtenseite als Schuldeingeständnis aufgefasst werden könnte und allein deshalb nur selten eine solche Erklärung abgegeben werden würde. Letztlich muss dieser Ansatz daher als impraktikabel verworfen werden.

IV. Ergebnis Die Durchführung des Zwischenverfahrens auf Antrag des Angeschuldigten ist zu einer Aufwertung nicht geeignet und kann daher nicht empfohlen werden.

C. Änderungen am Prüfungsmaßstab zur Lösung der Voreingenommenheitsproblematik Ist sonach das Zwischenverfahren – in den gezogenen Grenzen – zwingend zu durchlaufen, stellt sich die Frage, ob Änderungen am Prüfungsmaßstab zu empfehlen sind. Es ließe sich namentlich erwägen, den Entscheidungsmaßstab herabzusetzen und für die Bejahung des hinreichenden Tatverdachts einen nur noch geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad hinsichtlich Tatbegehung und Verurteilung ausreichen zu

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So auch Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 157 ff. 13 Dazu für das allgemeine Persönlichkeitsrecht etwa Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 54; im Zusammenhang mit dem Richtervorbehalt Brüning, Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, S. 157 f. 14 Eine solche Ausgestaltung kennt zum Beispiel das US-amerikanische Strafverfahrensrecht: Hier ist es für den Beschuldigten möglich, auf die Vorprüfungsstadien des preliminary hearing bzw. der grand jury review zu verzichten (waiver), dazu etwa Kamisar/LaFave/Israel/ King, Modern Criminal Procedure, S. 1033, S. 1061 f.; siehe auch Trüg, Lösungskonvergenzen trotz Systemdivergenzen im deutschen und US-amerikanischen Strafverfahren, S. 42.

C. Änderungen am Prüfungsmaßstab

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lassen. Ein solcher Ansatz näherte sich der Rechtslage in der Schweiz an.15 Gerade solche Vorschläge könnten im Zusammenhang mit der sich noch am Anfang befindlichen Diskussion um die Vereinbarkeit der personellen Ausgestaltung mit der in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Unparteilichkeit des Richters16 in den Fokus der Debatte geraten.

I. Konzepte in der Literatur Namentlich Ernst hält dafür, den Umfang der eröffnungsrichterlichen Prüfung zu reduzieren. Nach seiner Auffassung soll das Gericht zum einen zur Prüfung der Prozessvoraussetzungen und der Schlüssigkeit der Klage, also der Frage, ob das in der Anklageschrift dargestellte Geschehen als zutreffend unterstellt eine Strafbarkeit des Angeschuldigten ergebe, befugt sein.17 Hinsichtlich des zur Eröffnung erforderlichen Tatverdachts sei durch das Gericht ausschließlich zu prüfen, ob eine Verurteilung des Angeschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in Betracht komme, nur dann sei die Anklage zurückzuweisen, andernfalls das Hauptverfahren durchzuführen.18 Ansonsten soll das Gericht die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Anklage erst in der Hauptverhandlung vornehmen.19 Noch weiter geht das Konzept, im Rahmen des Eröffnungsverfahrens nur noch die formellen Voraussetzungen und die Schlüssigkeit der Anklage zu prüfen; dies wurde unter Berücksichtigung psychologischer Erkenntnisse in jüngerer Zeit wiederholt vorgeschlagen.20 Mit derartigen Konzepten wäre eine erhebliche Herabsenkung des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades verbunden.

II. Tendenzen in der Rechtsprechung In eine ähnliche Richtung geht die bereits im vierten Teil der Untersuchung kritisierte Tendenz einiger Oberlandesgerichte, das Hauptverfahren bereits dann zu eröffnen, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung und eines Freispruchs in

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Siehe oben 3. Teil E. VI. 3. Dazu oben 3. Teil E. III. 17 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 224, S. 162 f. 18 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 243. 19 Ernst, Das gerichtliche Zwischenverfahren nach Anklageerhebung, S. 242. 20 Guthke, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, S. 153 (162 f.); von Galen/ Wattenberg, ZRP 2001, 445 (448); Basar/Schiemann, KriPoZ 2016, 177 (185, Fn. 116); siehe auch die Empfehlung des 39. Strafverteidigertages, abgedruckt in StV 2015, 328 (329); Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 198 ff. Rn. 7 erblickt in einem solchen Vorschlag eine zulässige Reformalternative, obwohl er selbst de lege lata einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad fordert. 16

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

etwa gleich hoch sind und die Hauptverhandlung die überlegenen Aufklärungschancen verspricht.21

III. Stellungnahme Mit einer Herabsenkung der Anforderungen an den hinreichenden Tatverdacht entweder nur im Wege der Herabsenkung des Wahrscheinlichkeitsgrades oder der Reduktion des Prüfungsmaßstabes, wie Ernst ihn vorzunehmen gedenkt, würde die Problematik der Voreingenommenheit jedenfalls abgemildert, da sich das Gericht nicht mehr allzu intensiv mit der Sache befassen müsste. Insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 EMRK wäre dies zu begrüßen, da es aus Sicht des EGMR maßgeblich darauf ankommt, ob es sich bei der Vorbefassung noch um eine nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage handelt oder ob sie schon über den bloß summarischen Charakter hinausgeht.22 Es scheint allerdings fraglich, inwieweit eine Herabsetzung des Prüfungsmaßstabes mit den im zweiten Teil der Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen zu vereinbaren ist. Dort hatte sich gezeigt, dass der „hinreichende Tatverdacht“ als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die einfachgesetzliche Eingriffsschwelle darstellt, es sich also um ein die Zumutbarkeit der öffentlichen Hauptverhandlung konkretisierendes Kriterium handelt.23 Eine nähere Konkretisierung der Verdachtsschwelle unter Zugrundelegung und Fortführung der oben gewonnenen Erkenntnisse könnte aber ergeben, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein bestimmtes Maß des Tatverdachts fordert, welches mit einer Herabsenkung des Prüfungsmaßstabs nicht mehr erreicht wird. 1. Prinzipielle Möglichkeit einer Abschichtung nach Verdachtsgraden Obschon die Schöpfer der StPO ausweislich der Materialien der Ansicht waren, dass sich Vorgaben zum Maße der Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht geben ließen,24 ist inzwischen anerkannt, dass der für einen Grundrechtseingriff zu fordernde Verdachtsgrad je nach Eingriffsintensität abzustufen ist.25 L. Schulz charakterisiert den Tatverdachtsgrad als „typisierte Verhältnismäßigkeit“: Der Grad des

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Siehe oben 4. Teil C. I. 3. Siehe oben 3. Teil E. IV. 8. 23 Siehe oben 2. Teil B. III. 1. 24 Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, S. 170: „Über das Maß von Beweisen, welches für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlich ist, lassen sich spezielle Vorschriften nicht geben.“ 25 BVerfGE 16, 194 (200 f.); 17, 108 (117); 20, 162 (186 f.); 27, 211 (219); Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 92 ff. 22

C. Änderungen am Prüfungsmaßstab

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Tatverdachts konkretisiert demnach den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.26 Je gewichtiger ein Grundrechtseingriff ist, desto höher muss die Verdachtsschwelle sein.27 Daher ist es dem Gesetzgeber aufgegeben, die Zulässigkeit bestimmter Grundrechtseingriffe von unterschiedlichen Verdachtsgraden abhängig zu machen.28 Ob sich allerdings überhaupt verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an den für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlichen Verdachtsgrad formulieren lassen, an die der Gesetzgeber gebunden ist, erscheint – nicht nur aufgrund des ihm zugebilligten weiten Handlungsspielraumes und dem daraus folgenden eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab – fraglich. Zwar erkennt auch das Bundesverfassungsgericht die Tatverdachtsgrade des Anfangsverdachts, hinreichenden und dringenden Tatverdachts an, allerdings formuliert es soweit ersichtlich keine konkreten Maßstäbe zur Auslegung der Begrifflichkeiten und auch im Schrifttum wird bisweilen bestritten, dass eine Differenzierung nach Verdachtsgraden sachgerecht möglich sei.29 Die weit überwiegende Auffassung hält aber, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, eine Bildung von unterschiedlichen Verdachtsgraden dennoch für möglich und praktikabel. 2. Bestehende Ansätze zur Auslegung des Verdachtsgrades „hinreichender Tatverdacht“ Die Beschäftigung der Strafrechtswissenschaft mit dem „hinreichenden Tatverdacht“ fällt deutlich hinter seine praktische Bedeutung zurück. Dies gilt erst recht für die verfassungsrechtliche Betrachtung dieser zentralen Eingriffsvoraussetzung. Eine kurze Bestandsaufnahme der bisherigen Präzisierungen des Begriffs „hinreichender Tatverdacht“ soll Aufschluss über den Stand der Forschung bieten. Dabei besteht insbesondere Streit über den für eine Eröffnung erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad einer Verurteilung.30 a) Rechtsprechung und Teile der Literatur Nach der bisherigen Rechtsprechung ist ein hinreichender Tatverdacht anzunehmen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in der Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist.31 Eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit wie beim dringenden 26 L. Schulz, Normiertes Misstrauen, S. 567; ders., in: Fischer/Hoven, Verdacht, S. 179 (180); für die Schweiz Ackermann, in: Festschrift für Riklin, S. 319 (322). 27 Ackermann, in: Festschrift für Riklin, S. 319 (331); Steinberg, JZ 2006, 1045 (1048). 28 BVerfGE 120, 274 (326 f.). 29 Lüttger, GA 1957, 193 (202); Steinberg, JZ 2006, 1045 (1048). 30 Hierzu auch schon oben 4. Teil C. I. 31 BGHSt 53, 238 (242 f.); 54, 275 (281) = NJOZ 2010, 1274 (1276); BGH BeckRS 2014, 528 (Rn. 16); OLG Karlsruhe, NJW 1974, 806 (807); OLG Nürnberg, NJW 2010, 3793.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Tatverdacht wird aber nicht gefordert.32 Bisweilen findet sich die Formulierung, dass zu eröffnen sei, wenn mehr für eine Verurteilung spreche als für einen Freispruch.33 Weite Teile der Literatur schließen sich diesen Ausführungen an.34 Zusammenfassend wird also gemeinhin die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung gefordert.35 Nach Ansicht einiger Oberlandesgerichte sei der hinreichende Tatverdacht „dahin zu präzisieren, dass entweder die Verurteilung überwiegend wahrscheinlich erscheinen muss oder ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung vorliegen muss, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung notwendig sind“.36 Damit ist eine Tendenz der Oberlandesgerichte festzustellen, die Wahrscheinlichkeitsanforderungen an die Eingriffsvoraussetzung herabzusenken.37 Namentlich die Rechtsprechung, aber auch erhebliche Teile der Literatur enthalten sich allerdings begründeter Ausführungen. Nur vereinzelt finden sich argumentativ untermauerte Auslegungsvorschläge. b) Rieß: hoher Wahrscheinlichkeitsgrad Nach Ansicht von Rieß ist der hinreichende Tatverdacht als am Ende des Ermittlungsverfahrens stehender, dringender Tatverdacht zu verstehen und erfordere daher einen hohen Grad der Verurteilungswahrscheinlichkeit. Er führt hierfür neben der Verfahrensökonomie insbesondere die Schutzfunktion des Zwischenverfahrens an, den Angeschuldigten möglichst zu schonen und nicht einer unnötigen Hauptverhandlung auszusetzen. Gegen das Hinreichen einfacher Wahrscheinlichkeit macht er geltend, dies könne zu der eigenartigen Lage führen, dass das Eröffnungsgericht in einem Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens anordne und damit zum Ausdruck bringe, dass die Hauptverhandlung stattfinden solle, gleichzeitig aber bei nahezu sicherer Fluchtgewissheit den Haftbefehl mangels dringenden Tatverdachts aufheben müsse und also gezwungen wäre, in Kauf zu nehmen, dass die Hauptverhandlung nicht stattfinden könne.38 Allerdings entfalle der hinreichende Tatverdacht nicht schon deshalb, weil (auch erhebliche) Zweifel bestünden, für die 32

OLG Celle, StV 2016, 13; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 4. 33 OLG Rostock, BeckRS 2012, 3289; OLG Celle, BeckRS 2012, 1218; OLG Nürnberg, NJW 2010, 3793. 34 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 203 Rn. 2; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 203 Rn. 4; Rosenau, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StPO, § 203 Rn. 4; Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 114; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 42 Rn. 8. 35 Gaede, ZStW 2017, 911 (937 f.). 36 So erstmals OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 8613; BeckRS 2014, 16657; ihm folgend OLG Koblenz, NJW 2013, 98. 37 Gaede, ZStW 2017, 911 (938). 38 Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO (25. Auflage), § 203 Rn. 12.

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gerade die besseren Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung notwendig seien.39 Zu letzterem findet sich indes keine weitergehende Begründung. Auch steht der Satz in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den vorigen Ausführungen, wonach gerade dringender Tatverdacht gefordert sei. c) Kühne und Paeffgen: hoher Wahrscheinlichkeitsgrad Auch nach Auffassung von Kühne sei hinreichender Tatverdacht mit dringendem Tatverdacht im Sinne des § 112 StPO gleichzusetzen. Der Unterschied bestehe nur darin, dass der hinreichende Tatverdacht ein vollständiges Ermittlungsergebnis voraussetze.40 Danach liege hinreichender Tatverdacht vor, wenn die belastenden Schlussfolgerungen mit einer Wahrscheinlichkeit von p > 0,5 gegen 1 streben.41 Eine tendenziell höhere Wahrscheinlichkeit fordert ebenfalls Paeffgen. Nach seiner Ansicht sei eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ der Verurteilung erforderlich.42 d) Stuckenberg: gleich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad von Verurteilung und Freispruch Anders sieht dies Stuckenberg, der die Kommentierung von Rieß fortführt. Er lehnt das Erfordernis dringenden Tatverdachts ab. Nach seiner Auffassung sei für die Auslegung des hinreichenden Tatverdachts eine teleologische Betrachtung entscheidend: Danach sei zum einen die Funktion des Zwischenverfahrens zu berücksichtigen, die Zurückweisung ungerechtfertigter Anklagen zu bewirken; zum anderen sei es aber auch die Aufgabe der Hauptverhandlung, dem Gericht nach den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit und mit den Mitteln des Strengbeweises eine Überzeugungsbildung in tatsächlicher Hinsicht zu ermöglichen.43 In Konsequenz dessen liege hinreichender Tatverdacht vor, wenn zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung die Verurteilung überwiegend wahrscheinlich erscheine oder ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung vorliege, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung notwendig seien.44 Insoweit hat Stuckenberg die bei Rieß nur im Ansatz vorzufindende Interpretation argumentativ konkretisiert.

39

Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO (25. Auflage), § 203 Rn. 13. Kühne, NJW 1979, 617 (622). 41 Kühne, NJW 1979, 617 (622); ders., Strafprozessrecht, Rn. 339. 42 Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11. 43 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 8; zuvor bereits Rieß, in: LöweRosenberg, StPO (25. Auflage), § 203 Rn. 8. 44 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 14; zuvor bereits Rieß, in: LöweRosenberg, StPO (25. Auflage), § 203 Rn. 8. 40

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

e) Schneider: gleich hoher Wahrscheinlichkeitsgrad von Verurteilung und Freispruch Schneider schließt sich der Auffassung an, wonach hinreichender Tatverdacht bereits dann anzunehmen sei, wenn es bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung notwendig erscheint, die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung für die Sachaufklärung in Anspruch zu nehmen, um hinreichende Gewissheit über die Berechtigung des Tatvorwurfs zu gewinnen. Diese Rechtsauffassung erweise sich mit Blick auf die funktionale Bedeutung der öffentlichen Hauptverhandlung im Lichte des Strafzwecks positiver Generalprävention auch unter Berücksichtigung der Gegeninteressen des Angeschuldigten als vorzugswürdig, da die Hauptverhandlung mit ihren Strukturprinzipien die optimale Gewähr für die sachgerechte, Rechtsfrieden stiftende Abklärung einer nachhaltig sozialerschütternd wirkenden Verdachtslage biete.45 f) Steinberg: Abgrenzung nach Tatsachenbasis Steinberg wendet gegen den oben skizzierten Interpretationsansatz von Rieß, der nach der Funktion des Zwischen- und Hauptverfahrens fragt, ein, dass es vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht auf den Zweck der bei Bestehen eines bestimmten Verdachtsgrades möglichen Maßnahme ankomme, sondern nur die Eingriffsstärke die erforderliche Verdachtsstärke indizieren könne. Ausgehend von seiner These, wonach die Eingriffsintensität maßgeblich für die Bestimmung des hinreichenden Tatverdachts sei, gelangt Steinberg zu dem Ergebnis, dass sich schon einfacher und hinreichender Tatverdacht nur schwerlich abgrenzen ließen, da die jeweilige Eingriffsintensität zu sehr vom Einzelfall abhänge. Es ließe sich nicht allgemein bestimmen, ob etwa die zwangsweise Untersuchung nach § 81a StPO den Beschuldigten gravierender beeinträchtige als die Durchführung der Hauptverhandlung. Einfacher und hinreichender Tatverdacht würden sich daher weniger in ihrer Intensität als vielmehr in ihrer jeweils erforderlichen Tatsachenbasis unterscheiden.46 g) Deiters: variable Maßstäbe Die ausführlichste Untersuchung zum hinreichenden Tatverdacht unternimmt Deiters in seiner Habilitationsschrift „Legalitätsprinzip und Normgeltung“.47 Aus seiner Sicht könne es zwei Ausgangssituationen geben, in denen eine Hauptverhandlung durchzuführen sei: Zum einen dann, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund ihres Ermittlungsergebnisses von der Täterschaft des Beschuldigten überzeugt sei. In diesem Fall sei die Durchführung der Hauptverhandlung die gebotene gesell45 46 47

Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 4. Steinberg, JZ 2006, 1045 (1048). Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 165 – 194.

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schaftliche Reaktion, um die Bestätigung der Norm zu erreichen. Die weitere Aufklärungsbemühung in der Hauptverhandlung sei der Fehleranfälligkeit staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geschuldet.48 Gelange die Staatsanwaltschaft hingegen nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, sei eine Hauptverhandlung auch dann durchzuführen, wenn ihre weitergehenden Mittel genutzt werden müssten, um den Verdacht intensiver als bisher auszuforschen. Dies sei immer dann erforderlich, wenn die bisherigen Ermittlungen nicht ausreichten, den gesellschaftlichen Willen zu dokumentieren, an der Norm in Zukunft festhalten zu wollen und daher auf eine Hauptverhandlung nicht verzichtet werden könne.49 Da Deiters die Hauptverhandlung prinzipiell für leistungsfähig hält, diese mithin immer dazu geeignet sei, dem Gericht die volle Überzeugung zu verschaffen und Zweifel zu beseitigen, sei eine hohe Wahrscheinlichkeit, wie sie von Rieß gefordert würde, für die Durchführung des Hauptverfahrens nicht nötig. Deiters erachtet es gar für zweckmäßig, „in Relation zur Schwere des Vorwurfs variable Maßstäbe eines hinreichenden Tatverdachts anzunehmen“.50 Die Aufklärungsbemühungen sollen mit Zunehmen der Schwere des Tatvorwurfs ebenfalls intensiviert werden, sodass bei Delikten, die in die Zuständigkeit des Amtsgerichts fielen, ein höherer Verdachtsgrad zu fordern sei als bei solchen, die in die Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts fielen.51 Dieser Gedanke finde im abgestuften System der Gerichtszuständigkeiten (§ 74 Abs. 1 S. 2 GVG) Ausdruck.52 Es sei in Fällen, in denen eine Strafe oder Maßregel oberhalb von vier Jahren in Betracht käme, nicht vorstellbar, dass sich die Gesellschaft trotz Wahrscheinlichkeit der Täterschaft mit dem ergebnislosen Versuch der Aufklärung abfinde, ohne vorher die Möglichkeit der Hauptverhandlung genutzt zu haben. Seine These untermauert Deiters mit dem theoretischen Fall, in dem zwei gleich verdächtige Personen nur alternativ als Täter in Betracht kämen. Hier führte das Postulat der überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit dazu, dass keiner der beiden Verdächtigen anzuklagen sei, was einer Gesellschaft aber nicht zu vermitteln wäre. Daher votiert Deiters dafür, „das einfache Für-wahrscheinlich-Halten der Tatbeteiligung“ für den hinreichenden Tatverdacht in Fällen der Zuständigkeit des Landgerichts ausreichen zu lassen.53 3. Zusammenfassung und Kritik Die vertretenen Ansichten zur Bestimmung des für den hinreichenden Tatverdacht erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades lassen sich im Wesentlichen in zwei 48

Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 186. Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 187, mit Verweis auf Miehe, in: Festschrift für Grünwald, S. 379 (389). 50 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 188. 51 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 189. 52 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 188. 53 Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 190 f. 49

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Gruppen einteilen: Diejenigen, die eine tendenziell hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit fordern54 sowie diejenigen, die eine geringere Wahrscheinlichkeit fordern und auch zweifelhafte Beweislagen ausreichen lassen wollen, sofern die Hauptverhandlung mehr Aufklärung verspricht55. Während erstgenannte Gruppe tendenziell den Schutz des Angeschuldigten (und auch des Gerichts) vor überflüssigen Hauptverhandlungen anführt und damit auch die Eingriffsintensität der Hauptverhandlung im Blick haben dürfte, betont letztere die überlegenen Aufklärungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung, die im Zweifel stets zum Zuge kommen müssten. Die Eingriffsintensität der Hauptverhandlung spielt dort, soweit ersichtlich, keine Rolle. Auch die Rechtsprechung geht neuerdings vermehrt davon aus, dass der hinreichende Tatverdacht „dahin zu präzisieren [ist], dass entweder die Verurteilung überwiegend wahrscheinlich erscheinen muss oder ein Zweifelsfall mit ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Nichtverurteilung vorliegen muss, zu dessen Klärung die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung notwendig sind“.56 Inwieweit diese sich im Vordringen befindliche Auffassung vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bewerten ist, bedarf der eingehenderen Prüfung. Versteht man den Tatverdacht als Eingriffskriterium, das die Verhältnismäßigkeit eines Grundrechtseingriffs – hier: der Hauptverhandlung – konkretisiert, und daher auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszulegen ist, so gilt es allerdings gegen alle geschilderten Auslegungsansätze einiges zu erinnern: Die Ansichten, die Zweifel stets der Hauptverhandlung überantworten wollen, sehen sich dem Einwand ausgesetzt, die Eingriffsintensität der Hauptverhandlung nicht zu berücksichtigen und die Funktion des Tatverdachts als Eingriffsvoraussetzung zu verkennen. Umgekehrt dürfen aber Funktion und Leistungsfähigkeit der Hauptverhandlung nicht unberücksichtigt bleiben. Alles in allem ist die Diskussion verworren, da jeweils unterschiedliche Abwägungskriterien zur Bestimmung des notwendigen Verdachtsgrades herangezogen werden und eine umfassende und in sich stimmige Entwicklung des Verdachtsgrades „hinreichender Tatverdacht“ speziell vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach wie vor aussteht. Die Diskussion dürfte noch nicht abgeschlossen sein.57

54

Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO (25. Auflage), § 203 Rn. 12; Kühne, NJW 1979, 617 (622); ders., Strafprozessrecht, Rn. 339; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 203 Rn. 11; wohl auch Steinberg, JZ 2006, 1045 (1048). 55 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 203 Rn. 8; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 203 Rn. 4; Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 186 ff. 56 So erstmals OLG Stuttgart, BeckRS 2011, 8613; BeckRS 2014, 16657. 57 Siehe zuletzt Gaede, ZStW 2017, 911 ff., sowie die Diskussionsbeiträge auf der 37. Strafrechtslehrertagung in Wien zu dem zuvor zitierten Beitrag, zusammengefasst bei Stricker, ZStW 2017, 1075 (1079 ff.).

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4. Eigener Ansatz unter Berücksichtigung des bisherigen Untersuchungsertrages Im Folgenden soll daher ein eigener Ansatz zur näheren Konturierung des hinreichenden Tatverdachts unter spezifischer Berücksichtigung der im zweiten Teil gewonnenen Erkenntnis, wonach es sich bei dem hinreichenden Tatverdacht um ein dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspringendes Eingriffskriterium handelt, entwickelt werden. a) Vorfrage: Relevante Abwägungskriterien Dabei muss vorab die Frage geklärt werden, welche Kriterien für die Abwägung maßgeblich sind. Wie bereits oben deutlich wurde, besteht hierüber keine Einigkeit. Namentlich wird diskutiert, wie der für eine strafprozessuale Maßnahme erforderliche Verdachtsgrad bestimmt werden muss. Zabel differenziert dabei zwischen der so genannten „Eingriffstheorie“ und der „Zwecktheorie“.58 Danach bestimmt die „Eingriffstheorie“ den konkreten Verdachtsgrad mit Blick auf die Intensität der (Ermittlungs-)Maßnahme. Der Zweck der bei Bestehen eines bestimmten Verdachtsgrades möglichen (Ermittlungs-)Maßnahme sei danach nicht maßgeblich. Demgegenüber hebt die „Zwecktheorie“ auf den Zweck der Maßnahme ab. Ausgangspunkt dieser Ansicht war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung. In seinem Urteil vom 03. 03. 2004 führte der Erste Senat aus: „Eine Anhebung der in § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO enthaltenen Verdachtsstufe ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht geboten. Neben der Schwere der Tat ist zwar auch die Stärke des Tatverdachts mitentscheidend dafür, ob eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung steht. Es ist jedoch auch in Anbetracht der Eingriffsintensität der akustischen Wohnraumüberwachung nicht verfassungsrechtlich geboten, die Maßnahme vom Vorliegen eines Verdachtsgrades abhängig zu machen, der für andere Maßnahmen gilt. […] Wäre für die akustische Wohnraumüberwachung ein dringender Tatverdacht zu fordern, entfiele damit auch die Tauglichkeit des Mittels weitgehend. Als Mittel der Sachverhaltserforschung soll die akustische Wohnraumüberwachung den für weitere Schritte, insbesondere eine Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO) oder später den Eröffnungsbeschluss (§ 203 StPO), erforderlichen, hinreichenden oder gar den für die Verhängung der Untersuchungshaft (§ 112 Abs.1 Satz 1 StPO) geforderten, dringenden Tatverdacht erst noch erbringen. Sie kann ihn deshalb nicht für ihre Zulässigkeit voraussetzen.“59 Hier zeigt sich, dass das BVerfG die Verhältnismäßigkeit einer strafprozessualen Maßnahme von ihrer Tauglichkeit abhängig macht und somit dem Kriterium der

58 59

Zabel, ZIS 2014, 340 (341). BVerfGE 109, 279 (351 f.).

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Eingriffsintensität nicht (mehr) die entscheidende Bedeutung zuspricht.60 Bezogen auf den hinreichenden Tatverdacht findet sich eine ähnliche Argumentation bei Stuckenberg, Schneider und Deiters, sofern sie die Tauglichkeit des Hauptverfahrens zur Verdachtsklärung hervorheben und daher eine Eröffnung trotz Zweifeln zulassen wollen. Richtigerweise kann weder nur der „Zwecktheorie“ noch nur der „Eingriffstheorie“ gefolgt werden. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Ziel des Strafverfahrens einerseits sowie der Erheblichkeit des damit verbundenen Eingriffs andererseits müssen sowohl die „Eingriffs-“ als auch die „Zwecktheorie“ Berücksichtigung finden. Insoweit ist weder Steinberg, der den Verdachtsgrad ausschließlich anhand der Eingriffsintensität zu bestimmen gedenkt, noch Deiters, der jegliche Eingriffsintensität außenvorlässt, beizupflichten. Beide Aspekte haben in der Abwägung ihre Berechtigung: Wesentliches Kriterium aufseiten des Beschuldigten ist die Eingriffsintensität. Mit Blick auf das Kriterium der Tauglichkeit einer Maßnahme mögen zwar Zweifel aufkommen, ob dieses eine Frage der Angemessenheit ist und nicht bloß der Prüfungsstufe der Geeignetheit zugeordnet werden muss. Allerdings ist die Frage der Tauglichkeit einer Maßnahme als Abwägungsfaktor durchaus anerkannt.61 Im Unterschied zur Geeignetheit, die die bezweckte Maßnahme nur unter qualitativen Gesichtspunkten betrachtet, bezeichnet die Tauglichkeit ein quantitatives Moment, sozusagen den Erkenntniswert.62 Folglich kann der Aspekt der Tauglichkeit der Hauptverhandlung grundsätzlich in die Abwägung einbezogen werden. Mit welchem Gewicht dieser Abwägungsfaktor berücksichtigt werden muss, bedarf indes genauerer Betrachtung, da er – wie sogleich zu zeigen sein wird – die Gefahr in sich birgt, allzu leicht unter Preisgabe des Individualrechtsschutzes zu einseitigen Ergebnissen zu führen. b) Abwägung Wendet man sich nun der konkret vorzunehmende Abwägung zu, sind zunächst – der gängigen Vorgehensweise entsprechend – die jeweils maßgeblichen Abwägungsfaktoren zu benennen, um sie sodann gegeneinander abzuwägen. Die Durchführung der Hauptverhandlung muss also in einem angemessenen Verhältnis zu Gewicht und Bedeutung des Grundrechtseingriffs beim Beschuldigten stehen. Ausgangspunkt aller Abwägungsbemühungen muss zunächst die Feststellung sein, dass beide abzuwägenden Positionen ihre Berechtigung haben. Die Veranstaltung des Strafverfahrens ist ein für die Gemeinschaft bedeutender Belang. Umgekehrt darf dem der Individualrechtsschutz in nichts nachstehen. Methodisch kann hier auf den von Hesse begründeten Grundsatz der praktischen Konkordanz, wonach ein mög60

Zabel, ZIS 2014, 340 (341). Siehe etwa Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 157; Kluckert, JuS 2015, 116 (119) („Nutzeffekt“); BVerfGE 121, 317 (356). 62 So Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 104 f., der insoweit von „Ergiebigkeit“ spricht, aber damit dasselbe meint. 61

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lichst schonender Ausgleich beider Positionen anzustreben und eine völlige Entwertung einer der Positionen zu vermeiden ist,63 zurückgegriffen werden. Mit dem Hauptverfahren werden, wie bereits dargestellt, die Ziele eines jeden Strafverfahrens angestrebt. Diese bestehen in der Wiederherstellung von Rechtsfrieden durch eine materiell richtige Entscheidung über die Strafbarkeit einer Person in einem justizförmigen Verfahren, wofür die Wahrheitsfindung unerlässlich ist.64 Maßgeblicher Abwägungsfaktor ist also das Interesse der Gemeinschaft an der Ermittlung der Wahrheit zur Wiederherstellung des durch einen Tatverdacht erschütterten Rechtsfriedens. Auf der anderen Seite steht die Eingriffsintensität der Hauptverhandlung. Zwar ist Steinberg zuzugeben, dass die Eingriffsintensität nicht abstrakt bestimmt werden kann, letztlich also eine Frage des Einzelfalles bleibt. Dennoch verbieten sich einige generalisierende Betrachtungen damit nicht per se: Wie oben65 herausgearbeitet wurde, ist die Intensität als tendenziell hoch zu bezeichnen, da neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch andere Grundrechte des Betroffenen tangiert sein können und regelmäßig das Ergebnis des gesamten, unstreitig eingriffsintensiven Ermittlungsverfahrens gleichsam kumuliert wird. Geht man davon aus, dass die Hauptverhandlung „Höhepunkt des Strafprozesses“ ist, erscheint es unvermeidlich, auch die Eingriffsintensität beim Beschuldigten als auf ihrem Höhepunkt angekommen zu betrachten. Daher bedarf es guter Gründe, den Beschuldigten der Last des Hauptverfahrens auszusetzen. Betrachtet man nun den hinreichenden Tatverdacht in seiner bislang geltenden Lesart der überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit,66 so lässt sich hiergegen von Verfassungs wegen wenig erinnern. Das mit Bestehen einer überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit erhöhte Interesse der Gemeinschaft an der Aufklärung des erhöhten Tatverdachts ist insoweit als hoch zu gewichten, sodass davon ausgegangen werden kann, dass es in einem angemessenen Verhältnis zu dem durch die Hauptverhandlung verursachten Grundrechtseingriff steht. Dem Beschuldigten ist die Last der Hauptverhandlung also zuzumuten, wenn er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verurteilt werden wird.67 Fraglich ist aber, ob der sich im Vordringen befindliche, neue Interpretationsansatz des Verdachtsgrades die Grenze der Angemessenheit noch einhält. Er geht davon aus, dass der für die Eröffnung erforderliche Tatverdacht bereits dann hinreiche, wenn eine Verurteilung „ungefähr gleich“ wahrscheinlich sei wie ein Freispruch und die besonderen Erkenntnismittel der Hauptverhandlung zur weiteren Klärung notwendig seien. Damit wird der eigentlich anerkannte Prüfungsmaßstab 63 64 65 66 67

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 72. Dazu bereits oben 2. Teil B. II. 3. b). Siehe oben 2. Teil B. I. Siehe dazu oben 5. Teil C. III. 2. a). So auch Gaede, ZStW 2017, 911 (938).

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

erheblich zu Lasten des Beschuldigten abgesenkt. Dies wäre eher hinzunehmen, sofern die Hauptverhandlung stets das taugliche Mittel zur Aufklärung des Tatverdachts wäre.68 Somit muss an dieser Stelle die Leistungsfähigkeit der Hauptverhandlung in den Blick genommen werden: Wäre sie regelmäßig nicht tauglich, den bestehenden Tatverdacht besser aufzuklären als dies im Ermittlungsverfahren möglich war,69 liegt es ob der Eingriffsintensität nahe, eher einen hohen Verdachtsgrad für ihre Durchführung zu fordern und die „neue Lösung“ nicht ausreichen zu lassen. Gemeinhin wird der Hauptverhandlung allerdings Überlegenheit zugesprochen. Die Prinzipien der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und die Begrenzung auf das Strengbeweisverfahren seien in der Lage, eine optimale Aufklärung herbeizuführen.70 Ob dem immer zugestimmt werden kann, erscheint zwar in hohem Maße fraglich,71 muss aber an dieser Stelle nicht vertieft erörtert werden, weil hier ein weiter Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers besteht. Die These von der Überlegenheit der Hauptverhandlung soll daher im Weiteren als zutreffend zugrunde gelegt werden. Allerdings erhebt sich dann die Frage, mit welchem Gewicht die Funktionstauglichkeit der Maßnahme in die Abwägung Eingang finden darf. Denn: Rückt man den funktionalen Aspekt einer Maßnahme zu sehr in den Vordergrund, lässt sich damit jede Maßnahme unter weitgehender Preisgabe des Individualrechtsschutzes als verhältnismäßig bezeichnen.72 Konkret auf den hinreichenden Tatverdacht bezogen bedeutete dies, dass das Eröffnungsgericht keine eigene umfassende Verurteilungsprognose mehr treffen muss, sondern eine „ungefähr gleich hohe“ Verurteilungs- wie Freispruchwahrscheinlichkeit diagnostizieren und sich – pauschal, da die Aufklärungschancen der Hauptverhandlung denjenigen im Zwischenverfahren de facto immer überlegen sind – auf die Tauglichkeit der Hauptverhandlung zur weiteren Klärung berufen könnte.73 Die materielle Eingriffsschwelle „hinreichender Tatverdacht“ würde damit ausgehöhlt; die oben beschriebene Gefahr der Blind-Eröffnung hingegen erheblich erhöht. Folglich darf dem 68

In diesem Sinne wohl Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 187. Mit diesem Postulat geht – wie bereits oben angesprochen – keine Vermengung mit der Abwägungsstufe der Geeignetheit einher. Anerkannt ist nämlich, dass die Erfolgsaussichten des Mittels, also seine Tauglichkeit, in den Abwägungsvorgang einfließen, wobei der Unterschied zur Geeignetheit darin besteht, dass die Tauglichkeit die qualitative Eignung und die Geeignetheit nur die quantitative Eignung ausdrückt, dazu näher Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, S. 105. 70 Siehe nur BVerfGE 86, 288 (318). 71 Zweifelnd auch Gaede, ZStW 2017, 911 (939); bezeichnenderweise endete das Verfahren in OLG Stuttgart, BeckRS 2014, 16657, in dem der herabgesenkte Prüfungsmaßstab angewandt worden war, mit einem Freispruch, den auch die Staatsanwaltschaft nicht angriff. Auch in einem weiteren typischen „Anwendungsfall“ des abgesenkten Prüfungsmaßstabs, nämlich dem der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation bei Sexualstrafverfahren, liegt die Freispruchquote überdurchschnittlich hoch bei 25,3 %, siehe dazu Kinzig/Stelly, StV 2017, 610 (612). 72 So auch Sax, in: Die Grundrechte III/2, S. 909 (986 [Fn. 234]). 73 So auch Gaede, ZStW 2017, 911 (939). 69

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Aspekt der Tauglichkeit der Hauptverhandlung kein allein überwiegendes Gewicht beigemessen werden. Zu bedenken ist auch, dass im Falle der ungefähr gleich hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit das Interesse der Gemeinschaft an der Tatverdachtsklärung zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens nicht so hoch sein kann, wie dies bei einem höheren Verdachtsgrad der Fall ist und folglich die Belange der Allgemeinheit die betroffene Position des Beschuldigten tendenziell nicht überwiegen können. Insbesondere darf hier der Strafzweck der Generalprävention aufseiten des öffentlichen Interesses richtigerweise nicht in die Abwägung eingestellt werden, da dieses – wie bereits dargestellt74 – nicht vom Inhalt der Justizpflicht umfasst ist, der Angeschuldigte also kein Verfahren über sich ergehen zu lassen braucht, mit dem bereits Strafzwecke verwirklicht werden. Es ließe sich zuletzt noch erwägen, das Interesse des Beschuldigten an der Durchführung der Hauptverhandlung in die Abwägung einzustellen und zu argumentieren, dass auch er selbst ein Interesse an der Durchführung der Hauptverhandlung haben muss, um den Verdacht geklärt zu sehen und sich gegebenenfalls zu entlasten. Dem steht jedoch entgegen, dass dem Angeklagten im Strafprozess kein Anspruch auf Rehabilitierung gewährt wird75 und ihm überdies nicht abverlangt werden kann, an dem gegen ihn geführten Strafverfahren mitzuwirken76. Sein Interesse an der Durchführung der Hauptverhandlung muss mithin in diesem Zusammenhang als nicht existent gewichtet werden. Liegt nach alledem eine „non-liquet-Situation“ vor und ist also nicht klar, ob eine Verurteilung oder ein Freispruch wahrscheinlicher ist, so darf – da die Interessen der Gemeinschaft die Eingriffsintensität des Angeschuldigten nach richtiger Auffassung nicht überwiegen – nicht auf die eingriffsintensive Hauptverhandlung verwiesen werden, sondern es bedarf im Sinne eines optimalen Ausgleichs der beiden Positionen vorhergehender Aufklärungsbemühungen außerhalb der belastenden Hauptverhandlung.77 Ergeben auch diese keinen weiteren Aufschluss, ist hinreichender Tatverdacht abzulehnen. Nur auf diesem Wege werden die Freiheitssphären des Beschuldigten hinreichend gewährleistet.

74

Siehe dazu oben 2. Teil B. II. 3. b). Dies ergibt sich nach h. M. aus der Möglichkeit, Beweisanträge nach § 244 Abs. 3 S. 2 Var. 7 StPO abzulehnen, wenn die zur Entlastung des Angeklagten unter Beweis gestellten Behauptungen in dubio pro reo als wahr unterstellt werden können. Siehe hierzu auch Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren. 76 Zum „Distanzinteresse“ des Beschuldigten im Strafverfahren Rösinger, Die Freiheit des Beschuldigten vom Zwang zur Selbstbelastung, S. 153 ff. 77 Was einfachrechtlich in § 202 StPO auch vorgesehen ist. 75

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

c) Zwischenergebnis Alles in allem ergibt die Abwägung damit keinen den gewichtigen Grundrechtseingriff überwiegenden Belang der Allgemeinheit, sofern die Verurteilungswahrscheinlichkeit lediglich in etwa gleich hoch wie die des Freispruchs ist. Auch der pauschale Verweis auf die überlegenen Aufklärungschancen der Hauptverhandlung verbietet sich, sodass zum einen die sich im Vordringen befindliche Auslegung des Begriffs „hinreichender Tatverdacht“ als mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unvereinbar abzulehnen ist. Zum anderen ergibt sich ein Maß des Tatverdachts, an das auch der Gesetzgeber gebunden ist, wenn er das Zwischenverfahren reformieren will: Erforderlich ist eine zumindest erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte verurteilt werden wird. Es muss daher bei der hergebrachten Formel, wonach eine Verurteilung überwiegend wahrscheinlich ist, bleiben. Eine Herabsenkung des hinreichenden Tatverdachts unter diesen Maßstab ist verfassungsrechtlich nicht zulässig. Folglich muss die neuerdings vertretene Auffassung in Rechtsprechung und Literatur als unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig bezeichnet werden.

IV. Ergebnis Eine eingehende Betrachtung der Eingriffsschwelle „hinreichender Tatverdacht“ ergibt, dass für die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht nur „irgendein“ Tatverdacht ausreicht, sondern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Wahrung der Interessen des Beschuldigten einen bestimmten Verdachtsgrad einfordert. Der hinreichende Tatverdacht ist demnach dahingehend auszulegen, dass zumindest eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verurteilung im Hauptverfahren bestehen muss. Damit ist gemeint, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch sein muss. Bei verbleibenden Zweifeln ist erforderlich, dass vor der Hauptverhandlung Aufklärungsbemühungen unternommen werden. Ein „Verschieben“ dieser Klärung von Zweifelsfragen in die Hauptverhandlung führte dazu, dass die materielle Eingriffsschwelle leerliefe und der hinreichende Tatverdacht seine Bedeutung verlöre. Folglich bestehen hinsichtlich im Vordringen befindlicher Rechtsauffassungen, die in diesem Sinne verfahren wollen, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Sie müssen daher verworfen werden. Bestrebungen, die Anforderungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens de lege lata oder de lege ferenda herabzusetzen, sind danach abzulehnen. Um der sich abzeichnenden Entwicklung, die Anforderungen an den hinreichenden Tatverdacht mit den soeben geschilderten Konsequenzen zu von vornherein entgegenzuwirken, erscheint es überdies geboten, eine Legaldefinition des Begriffs des hinreichenden Tatverdachts in § 203 StPO zu implementieren.78 78 Gleiches lässt sich freilich auch für den Anfangsverdacht und den dringenden Tatverdacht erwägen, soll angesichts der Irrelevanz für die hiesige Untersuchung aber nicht weiterverfolgt werden.

D. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss und Begründungspflicht

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D. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss und Begründungspflicht Der naheliegende und zugleich wohl geläufigste Reformvorschlag geht dahin, dem Angeschuldigten die Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses zu ermöglichen.

I. Konzepte in der Literatur So tritt insbesondere Heghmanns für eine neu zu schaffende, befristete Eröffnungsbeschwerde des Angeschuldigten ein, da er die fehlende Beschwerdeinstanz für das „Hauptübel“ des Zwischenverfahrens hält.79 Der Angeschuldigte soll die fehlende oder fehlerhafte Begründung des hinreichenden Tatverdachts, Verstöße gegen die Aufklärungspflicht oder das Beweisantragsrecht, falsche rechtliche Beurteilungen sowie Fehler bei der Zuständigkeitsbestimmung rügen können.80 Dies setze voraus, dass der Eröffnungsbeschluss immer dann zu begründen sei, wenn die Entscheidungssituation nicht völlig eindeutig sei oder Einwendungen gegen Anklage oder Eröffnung erhoben wurden.81 Damit will Heghmanns der seiner Einschätzung nach nicht hinreichend intensiven Ausnutzung der Möglichkeiten durch das Gericht entgegenwirken. Ferner sei die Einführung einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen den Eröffnungsbeschluss auch wegen Art. 19 Abs. 4 GG geboten.82 Aus neuerer Zeit stammt ein im Rahmen der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens erwogener und von Schlothauer entworfener Vorschlag der Anfechtbarkeit des Eröffnungsbeschlusses.83 Dabei befürwortet Schlothauer eine Beschränkung der Prüfung des Eröffnungsbeschlusses auf die Verletzung des Gesetzes, womit sich durch die frühzeitige Klärung von Rechtsfragen langwierige Hauptverhandlungen mit umfangreichen Beweisaufnahmen zur Feststellung letztlich unerheblicher Tatsachen vermeiden ließen. Tatsachenfeststellungen selbst sollen nicht angreifbar sein. In erster Linie wären durch den Vorschlag die fehlerhafte Annahme oder Nichtberücksichtigung von Beweisverwertungsverboten Gegenstand der Eröffnungsbeschwerde. Der Eröffnungsbeschluss sei demnach zu begründen, was angesichts der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift vor Schöffengerichten, Land- und Oberlandesgerichten keinen allzu hohen Aufwand für das Gericht 79

Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 168. Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 169. 81 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 169 f. 82 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 169. 83 Schlothauer, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband I – Gutachten, S. 295 ff.; in die gleiche Richtung Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 328 f. 80

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

bedeute, da es sich – wenn es der Staatsanwaltschaft folgt – das Ergebnis der Ermittlungen zu eigen machen können soll. Für Sachen vor dem Strafrichter könnte auf den regelmäßig vorhandenen polizeilichen Abschlussbericht aus den Akten zurückgegriffen werden. Die Beschwerde sei binnen einer Woche ab Zustellung des Eröffnungsbeschlusses einzulegen, wobei eine Begründung unter Darlegung der Angriffsrichtung der Beschwerde erforderlich sei. Auf diesem Wege würde die Verteidigung nicht dazu veranlasst, das Verfahren unnötig dadurch zu verzögern, dass sie pauschal den Eröffnungsbeschluss angreife. Ferner würde die Möglichkeit einer Überprüfung der Eröffnungsentscheidung das Eröffnungsgericht zu einer sorgfältigeren Befassung mit der Sache veranlassen. Vereinzelt wird vorgeschlagen, nicht den gesamten Eröffnungsbeschluss einer Anfechtung zugänglich zu machen, sondern nur ein Beschwerderecht hinsichtlich der Einwendungs- und Antragsmöglichkeit nach § 201 Abs. 1 S. 1 StPO einzuführen.84 Die gänzlich fehlende Rechtsschutzmöglichkeit des Angeschuldigten wirke deshalb so schwer, weil er auf die Tatsachengrundlage der Eröffnungsentscheidung nur bedingt Einfluss nehmen könne, da er auch gegen abgelehnte Anträge und Einwendungen nach § 201 Abs. 1 S. 1 StPO keinen effektiven Rechtsschutz habe. Würde dem Angeschuldigten an dieser Stelle die Beschwerdemöglichkeit eröffnet, könne er sein Antrags- und Einwendungsrecht effektiv durchsetzen. Das Beschwerdegericht könne schneller entscheiden, da die Beschwerde vom Umfang her reduziert sei und nicht die gesamte Frage des hinreichenden Tatverdachts umfasse. Daher sei es ausreichend, § 201 Abs. 2 S. 2 StPO zu streichen.85

II. Stellungnahme 1. Verbesserung der Filterfunktion Die Implementierung einer Rechtsbehelfsmöglichkeit gegen den Eröffnungsbeschluss würde – ungeachtet ihrer Ausgestaltung im Detail – zunächst durchaus positive Wirkungen nach sich ziehen: Wie die Untersuchung ergab, wird der eröffnungsrichterliche Entscheidungsvorgang letztlich durch das Verfahrensrecht kaum gesteuert, wofür unter anderem die fehlende Rechtsbehelfsmöglichkeit des Angeschuldigten verantwortlich gemacht werden kann.86 Würde eine solche nunmehr eingeführt, hätte dies zur Folge, dass das Eröffnungsgericht zum einen eine genauere Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts vornehmen müsste, um erfolgreiche Rechtsbehelfe möglichst zu vermeiden. Zum anderen wäre auch eine Begründung der Entscheidung erforderlich, damit das Beschwerdegericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung des Eröffnungsgerichts auch wirklich zu kontrollieren. Insofern wäre die Eröffnungsentscheidung durch einen weiteren Steue84 85 86

Mavany, JA 2015, 488 (493). Mavany, JA 2015, 488 (493). Siehe oben 4. Teil C. III. 2. a) und c).

D. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss und Begründungspflicht

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rungsmechanismus im oben genannten Sinne – Selbstkontrolle des Gerichts durch eigene Begründung87 – abgesichert. Wahrscheinlich würde auch die Verteidigung die Rechtsbehelfsmöglichkeit gegen den Eröffnungsbeschluss zum Anlass nehmen, häufiger in diesem Verfahrensstadium tätig zu werden und sich bereits früher in die Materie einzuarbeiten, sodass auch die Wahrscheinlichkeit erhöht würde, dass beispielsweise entlastende Umstände typischerweise schon im Zwischenverfahren vorgebracht würden und damit Aufklärungsfehler behoben werden könnten. Insofern würde die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung einzulegen, durchaus einige der hier festgestellten Ursachen für die Ineffizienz des Zwischenverfahrens beseitigen. Positiv ist auch hervorzuheben, dass „Waffengleichheit“ zwischen Staatsanwaltschaft – die einen Nichteröffnungsbeschluss anfechten kann – und Beschuldigtem – der einen Eröffnungsbeschluss gerade nicht anfechten kann – hergestellt würde und die Eröffnungsbeschwerde die thematische Grenze des Zwischenverfahrens nicht überschreiten und mithin zutreffend an die Bedeutung des Zwischenverfahrens als Kontrollstadium der Zumutbarkeit der Hauptverhandlung anknüpfen würde. Andererseits erscheint es allerdings fraglich, inwieweit die Einführung einer Rechtsbehelfsmöglichkeit über die soeben skizzierten – eher mittelbar wirkenden – Vorteile hinaus zweckmäßig wäre. Es darf nämlich nicht verkannt werden, dass der Begriff des hinreichenden Tatverdachts durchaus schwer justiziabel ist. Es steht daher zu bezweifeln, dass das Beschwerdegericht eine bessere Entscheidung fällen kann, da es auf der gleichen Tatsachengrundlage wie das Eröffnungsgericht zu entscheiden hätte. Insofern wäre mit der Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens in der Sache wohl nur wenig gewonnen; dass nicht hauptverhandlungswürdige Verfahren ausgefiltert werden, scheint eher zweifelhaft. Eine Beschränkung des Rechtsbehelfs auf Rechtsfragen scheint wenig zielführend, weil die eigentliche Problematik der fehlenden Filterfunktion verstärkt auf tatsächlicher Ebene zu suchen ist.88 Soweit die rechtliche Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen von Beweisverwertungsverboten Gegenstand eines Rechtsbehelfs sein soll, kann der dahinter stehenden Bestrebung, eine möglichst vollständige Aufklärung und Behandlung von Verfahrensfragen noch vor der Durchführung des Hauptverfahrens zu erzielen, zwar grundsätzlich beigetreten werden.89 Allerdings setzt dies zunächst voraus, dass im Rahmen des hinreichenden Tatverdachts überhaupt endgültig über das Vorliegen von Beweisverwertungsverboten entschieden werden könnte, was gegenwärtig nicht der Fall ist, da nach herrschender Auffassung Zweifelsfälle auch hinsichtlich Verfahrensfragen in der Hauptverhandlung geklärt werden dürfen. Folglich wäre Gegenstand eines solchen Rechtsbehelfs auch nur die Frage, ob ein Verwertungsverbot voraussichtlich besteht. Eine abschließende Klä-

87 88 89

Siehe oben 4. Teil C. III. 2. a). Dazu oben 4. Teil C. III. 4. Dazu bereits oben 4. Teil C. I. 5.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

rung der Frage kann allein durch die Einführung einer Eröffnungsbeschwerde nicht erzielt werden. Ferner ist die Frage aufgeworfen, ob die Einführung einer Rechtsbehelfsmöglichkeit nicht zu erheblichen Verzögerungen führen würde, was zwar durch eine Kompensation an Rechtsschutz aufgewogen würde, allerdings durch die Schaffung entsprechender zusätzlicher Richterstellen wieder aufgefangen werden müsste. Der Vorschlag, Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen einzelne abgelehnte Anträge oder Einwendungen nach § 201 Abs. 1 S. 1 StPO zu gewähren, ist ebenfalls abzulehnen, weil sich der Arbeitsaufwand des Beschwerdegerichts entgegen dieser Ansicht nicht in Grenzen halten wird, sondern ebenfalls eine Einarbeitung in die gesamte Sach- und Rechtslage des Falles erforderlich sein dürfte, da Bezugspunkt der Entscheidung über Einwendungen und Anträge ja gerade der hinreichende Tatverdacht ist.90 Um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, wäre daher die eigene Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts erforderlich. Insofern scheint dieser Vorschlag zu aufwändig. Ohnehin geht die Tendenz in der Rechtspolitik dahin, dem Beschuldigten und insbesondere seinem Verteidiger im Ermittlungsverfahren mehr Beteiligungsrechte zuzugestehen,91 sodass sich die – in der Sache zutreffend konzedierte – strukturelle Unterlegenheit des Angeschuldigten bei der Zusammenstellung der Entscheidungsgrundlage der Eröffnungsentscheidung jedenfalls langfristig gesehen ausgleichen könnte. 2. Lösung des Voreingenommenheitsproblems Zuletzt muss konstatiert werden, dass jedwede isoliert eingeführte Rechtsbehelfslösung das Problem der Voreingenommenheit nicht lösen kann. Im Gegenteil wäre damit die Gefahr verbunden, dass sich das spätere Tatgericht nach der Eröffnung und einer darauffolgenden Bestätigung durch das Beschwerdegericht in seinem „gesetzlich verlangten Vorurteil“92 bestärkt sieht. Wollte man eine Beschwerdemöglichkeit einführen, wären daher die oben behandelten sozialpsychologischen Erkenntnisse heranzuziehen und genauer zu prüfen, inwieweit dies zu Problemen führen könnte. Hätte der Angeschuldigte von seiner Rechtsbehelfsmöglichkeit Gebrauch gemacht und läge eine die Eröffnungsentscheidung des Ausgangsgerichts bestätigende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts vor, könnte dies zu einer Verstärkung der schon ohne Rechtsbehelfsmöglichkeit bestehenden psychologischen Phänomene des Inertia-Effekts und der selektiven Informationssuche führen,93 weil sich das Gericht dann in seiner Einschätzung bereits durch eine höhere Instanz bestätigt sähe und daher – womöglich unbewusst – dazu tendieren könnte, seine 90

Dazu oben 4. Teil C. II. 3. und 4. Siehe dazu etwa die Dokumentation des Diskussionsentwurfs für eine Reform des Strafverfahrens der Fraktionen SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, StV 2004, 228 ff. 92 So die Formulierung von Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (114). 93 Hierzu ausführlich oben 3. Teil B. I. 91

D. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss und Begründungspflicht

217

Suche nach konsonanten Informationen in der Hauptverhandlung noch intensiver zu betreiben. Darüber hinaus könnte sich ein Problem aus konventionsrechtlicher Warte ergeben: Da die Rechtsbehelfslösung denknotwendig eine Begründung des Eröffnungsbeschlusses voraussetzt und der EGMR bei seiner Beurteilung oftmals einzelfallbezogen auf den Wortlaut einer richterlichen (Vor-)Entscheidung abstellt,94 liefe das Gericht stets Gefahr, in dieser Begründung Formulierungen zu verwenden, die zwar nach deutschem Recht unschädlich sind, nach der – tendenziell strengeren – Rechtsprechung des EGMR aber sehr wohl einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK darstellen könnten. Auch scheint es möglich, dass eine ausführliche Begründung – wie sie zur Lösung der Effizienzproblematik geboten wäre – vom EGMR nicht mehr als nur summarische Prüfung bezeichnet werden würde. Selbst die leichtfertige Übernahme von Formulierungen aus der Anklage wäre nach der Rechtsprechung des EGMR sehr problematisch, wie sich aus der Entscheidung Castillo Algar ./. Spanien95 ergibt.

III. Begründungspflicht des Eröffnungsbeschlusses? Wie sich bereits im vierten Teil der Untersuchung andeutete, könnte die verpflichtende Begründung des Eröffnungsbeschlusses ein Lösungsansatz zur Gewährleistung einer tatsächlich stattfindenden Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts sein.96 Nach Eschelbach handelt es sich bei dem „Verschweigen der Entscheidungsgründe […] im Eröffnungsbeschluss […] wegen der Bedeutung der Eröffnungsentscheidung für den Angeschuldigten […] um eine besondere Zumutung“.97 Wie bereits gezeigt wurde, ist eine Begründung des Eröffnungsbeschlusses98 nach geltendem Recht nur im Rahmen der Ablehnung von Beweisanträgen erforderlich.99 Wird einer Einwendung der Verteidigung gegen die Eröffnung nicht gefolgt, ist eine Begründung nach wohl herrschender Meinung obsolet;100 im Übrigen wird eine Begründung der Eröffnungsentscheidung vom Gesetz nicht verlangt, aber auch nicht verboten.101 Eschelbach vertritt demgegenüber die Auffassung, dass bereits de lege lata eine Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses bestehe: Da der Angeschuldigte 94

Siehe oben 3. Teil E. IV. 4. Siehe oben 3. Teil E. IV. 4. 96 Siehe oben 4. Teil C. III. 2. a). 97 Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (120). 98 Der Nichteröffnungsbeschluss ist bekanntlich gemäß § 210 Abs. 2 StPO zu begründen und wird hier außer Betracht gelassen. 99 Siehe oben 4. Teil C. II. 4. a). 100 Siehe oben 4. Teil C. III. 3. d). 101 Eschelbach, GA 2004, 228 (239). 95

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

gegen diesen im Wege der Anhörungsrüge nach § 33a StPO vorgehen könne, sei der Eröffnungsbeschluss stets zu begründen, da andernfalls die Anhörungsrüge leerlaufe. Erhalte der Angeschuldigte nämlich keine Begründung, könne er auch keinen Begründungsmangel über § 33a StPO geltend machen.102 Zwar könne – in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Begründung revisionsgerichtlicher Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 StPO – die Anklageschrift zur Begründung stillschweigend in Bezug genommen werden, allerdings gelte dies dann nicht, wenn sich die Sachlage ändere, etwa, weil der Angeschuldigte Einwendungen gegen die Eröffnung erhoben hat.103 Dies gebiete insbesondere Art. 103 Abs. 1 GG, der andernfalls verletzt sei.104 Eine obligatorische Begründung des Eröffnungsbeschlusses erscheint gerade angesichts seiner hohen Bedeutung vielversprechend. Auch ist diesem Vorschlag zuzugeben, dass er zu einer verbesserten Steuerung der eröffnungsrichterlichen Entscheidungsfindung beitragen könnte. Entgegenzuhalten ist ihm indes, dass mit „anfechtbaren Entscheidungen“ im Sinne des § 34 StPO nach wohl einhelliger Auffassung nur solche, die mit einem Rechtsmittel im Sinne der §§ 296 ff. StPO angefochten werden können, gemeint sind.105 Hierunter fällt die Anhörungsrüge nach § 33a StPO aber gerade nicht. Was die geltend gemachte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung des BVerfG hierzu keineswegs einheitlich ist.106 Dessen ungeachtet empfiehlt sich dieser für sich genommen fundiert begründete und überzeugende Ansatz angesichts der Erkenntnisse aus dem dritten Teil der Arbeit aber zumindest de lege lata nicht: Zum einen würde sich hierdurch das mit dem Eröffnungsbeschluss gefasste Vorurteil des Gerichts noch weitgehender verfestigen, zum anderen wäre die Gefahr, gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK zu verstoßen, zu hoch und würde den zweifelsohne bestehenden Vorteil einer Effektivierung der Kontrolle im Eröffnungsverfahren überwiegen. Eine Begründungspflicht kann daher allenfalls dann erwogen werden, wenn man Tat- und Eröffnungsrichter personell trennt.

IV. Ergebnis Im Ergebnis ist der Vorschlag, dem Angeschuldigten einen Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss zu gewähren, ebenso wie die Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses bei Identität von eröffnendem und erkennendem Richter 102 Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (125 f.); ders., in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 90. 103 Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (126 f.). 104 Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 91. 105 Valerius, in: Münchener Kommentar StPO, § 34 Rn. 6; Graalmann-Scheerer, in: LöweRosenberg, StPO, § 34 Rn. 3. 106 Eschelbach selbst gesteht ein, hier auf „rechtlich unsichere[m] Terrain“ zu wandeln, siehe Festschrift für Richter II, S. 113 (125); vgl. hierzu auch Weßlau/Weißer, in: Systematischer Kommentar StPO, § 34 Rn. 2 m. w. N.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 219

abzulehnen. Zwar würde hierdurch sichergestellt, dass eine intensivere Kontrolle vor der Hauptverhandlung stattfände, im Gegenzug aber würde die Ergebnisoffenheit des Gerichts in der Hauptverhandlung erhebliche Einbußen erfahren und mögliche Verletzungen der Garantie auf einen unparteilichen Richter im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK würden gehäuft in Erscheinung treten. Möchte man also eine zusätzliche richterliche Kontrolle bzw. Begründung der vorerwähnten Art installieren, erscheint es zwingend geboten, einen vom Tatgericht separaten Eröffnungsrichter zu implementieren. Folglich wäre es zielführender, gleich einen getrennten Eröffnungsrichter zu schaffen, statt – was die Anfechtbarkeitslösung voraussetzen würde – das Beschwerdegericht personell aufzustocken.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung Wie bereits mehrfach angedeutet wurde,107 stehen den Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten mit Blick auf das weitere Verfahren zu Gebote. So sind etwa Verfahrenseinstellungen nach §§ 153, 153a StPO, Beschränkungen nach §§ 154, 154a StPO, Anbahnungsgespräche für eine Verständigung in der Hauptverhandlung oder Erörterungen des Verfahrensstandes nach § 202a StPO möglich. Von den genannten Gestaltungsmöglichkeiten wird in der Praxis reger Gebrauch gemacht: Handbücher zur Strafverteidigung raten zu einem solchen Vorgehen, da dies im Interesse des Beschuldigten liegen könne.108 Ein solches Prozedere kann überdies dem Gericht zugutekommen, da es eine ressourcenschonende Vorgehensweise ermöglicht. Somit ist zunächst zu konstatieren, dass das Zwischenverfahren in der Praxis auch als „Kommunikationsforum“ für die weitere Gestaltung und insbesondere die Beendigung des Verfahrens genutzt wird.109 Die genannten Gestaltungsmöglichkeiten stehen auf den ersten Blick neben den hergebrachten Funktionen des Zwischenverfahrens und lassen sich keiner Funktion explizit zuordnen, zumal die bedeutendsten Elemente konsensualen Vorgehens bei Inkrafttreten der RStPO und damit bei der Konzeption des Eröffnungsverfahrens noch nicht vorgesehen waren.110 Damit ist die nachfolgend zu beantwortende Frage aufgeworfen, ob sich das Zwischenverfahren strukturell für derartige konsensuale 107

Siehe oben 1. Teil A. VI. sowie 4. Teil C. III. 2. e). Wehnert, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 5 Rn. 117 ff.; Quedenfeld, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 1172 ff. 109 Meyer, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertages, S. 129 (143 f.), spricht von einer „ganz wichtigen Weichenstellungsfunktion“. 110 So fanden §§ 153, 154 StPO im Jahr 1924 Eingang in die StPO, § 154a wurde 1964 und § 153a StPO im Jahre 1974 in die StPO eingefügt; demgegenüber war das Strafbefehlsverfahren bereits in der RStPO vorgesehen, dazu Weßlau, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor § 407 Rn. 10. 108

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Verfahrenserledigungen und -gestaltungen eignet und ob es in diesem Sinne womöglich – mit dem Folgeeffekt der Entlastung der Hauptverhandlung – weiterhin ausgebaut und damit aufgewertet werden könnte.

I. Überblick: Konsensuale Verfahrensgestaltung im Zwischenverfahren Möglichkeiten, das Verfahren schon im Stadium des Eröffnungsverfahrens im weitesten Sinne einvernehmlich zu gestalten, finden sich zuhauf.111 Im Folgenden wird ein knapper Überblick über die Möglichkeiten konsensualen Vorgehens im Zwischenverfahren gegeben und anschließend geprüft, inwieweit sich diese in die Strukturen des geltenden Eröffnungsverfahrens einfügen. 1. Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO Zunächst ist an die Möglichkeit der Einstellung nach §§ 153, 153a StPO zu denken. Zum einen kann das Gericht gemäß § 153 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 StPO nach erhobener Klage mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen, wenn es sich um ein Vergehen handelt, die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Nach § 153a Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 1 StPO kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten ebenfalls das Verfahren einstellen und Auflagen und Weisungen erteilen, wenn es sich um ein Vergehen handelt, das öffentliche Interesse durch die Auflagen und Weisungen beseitigt werden kann und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Ferner setzt die Einstellung nach § 153a StPO das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts voraus.112 Bei beiden Formen der Einstellung handelt es sich um eine Form konsensualer Erledigung, da nach Klageerhebung, also auch schon im Zwischenverfahren, die Zustimmung des Beschuldigten erforderlich ist.113 2. Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a StPO Weiterhin sind in diesem Zusammenhang §§ 154, 154a StPO zu nennen, die eine Durchbrechung der gerichtlichen Kognitionspflicht aus prozessökonomischen Gründen gestatten. Ziel ist es, den Verhandlungsstoff zu beschränken und sich auf Straftatbestände, denen das Strafmaß entnommen wird, zu konzentrieren und damit

111

Übersicht bei Ignor, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 13 Rn. 5. BVerfG NStZ-RR 1996, 168 (169); LG Düsseldorf, BeckRS 2015, 19500; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 153a Rn. 7; Peters, in: Münchener Kommentar StPO, § 153a Rn. 8. 113 Weßlau, ZStW 2004, 150 (155). 112

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 221

das Verfahren insgesamt zu beschleunigen.114 Solche Beschränkungen sind nach §§ 154 Abs. 2, 154a Abs. 2 StPO allerdings nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft möglich, der Beschuldigte hat keinen Einfluss, kann Beschränkungen aber anregen.115 3. Das Strafbefehlsverfahren gemäß §§ 407 ff. StPO Dem Strafbefehlsverfahren kommt in der justiziellen Praxis eine herausragende Bedeutung zu.116 Etwa 10 % aller Ermittlungsverfahren münden in ein Strafbefehlsverfahren und enden mit dem Erlass eines Strafbefehls.117 Diese – nicht unumstrittene118 – Verfahrensart trägt erheblich zur Ressourcenschonung in der Justiz bei. Es handelt sich um ein summarisches Verfahren, bei dem die Rechtsfolgen der Tat durch schriftlichen Strafbefehl ohne Hauptverhandlung festgesetzt werden können.119 Nicht selten wird versucht, ein Strafverfahren einvernehmlich mittels eines Strafbefehls zu beenden, es handelt sich daher ebenfalls um eine Möglichkeit, das Strafverfahren konsensual zu beenden.120 Zulässig ist der Erlass eines Strafbefehls gemäß § 407 StPO in Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht bei Vergehen. Stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, muss der Richter nach § 408 Abs. 2 StPO prüfen, ob hinreichender Tatverdacht gegeben ist.121 Hegt er danach keine Bedenken, hat er dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu entsprechen und den Strafbefehl zu erlassen. Hat er Bedenken, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden, so beraumt er diese an. Dem Angeklagten steht gegen den Strafbefehl die Möglichkeit des Einspruchs offen, der eine Hauptverhandlung nach sich zieht. 114 BGHSt 21, 326 (328); Teßmer, in: Münchener Kommentar StPO, § 154a Rn. 1; Diemer, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 154a Rn. 1; für § 154 Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 154 Rn. 1. 115 Zu konsensualem Vorgehen im Zusammenhang mit §§ 154, 154a StPO siehe etwa BVerfG NStZ 2016, 422; siehe auch Göttgen, Prozessökonomische Alternativen zur Verständigung im Strafverfahren. 116 Fischer, in: Karlsruher Kommentar StPO, Einleitung Rn. 431; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 1; Preuß, ZJS 2017, 176. 117 Vgl. Preuß, ZJS 2017, 176. 118 Hingewiesen wird einerseits darauf, dass sich der Betroffene nicht immer leicht zur Wehr setzen könne, andererseits wird vermutet, dass nicht selten zu niedrige Strafen ausgesprochen würden, zum Ganzen Preuß, ZJS 2017, 176 f.; siehe auch zur hohen Fehleranfälligkeit des Strafbefehlsverfahrens Kemme/Dunkel, StV 2020, 52 ff. 119 Ranft, JuS 2000, 633. 120 Temming, in: BeckOK StPO, § 407 Rn. 3, 5; Preuß, ZJS 2017, 176; Meyer, DStZ 2005, 1477 (1482); Rückel, NStZ 1987, 297 (300); Schmidt-Hieber, NJW 1982, 1017. 121 BVerfG NJW 1988, 1314; OLG Karlsruhe, NJW 1977, 62 (63); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 7; nach a. A. sei die richterliche Überzeugung im Sinne des § 261 StPO notwendig, so etwa Rieß, JR 1988, 133 (134), zum Meinungsstand auch Preuß, ZJS 2017, 176 (178 f.).

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Auch im Zwischenverfahren besteht die Möglichkeit, in das Strafbefehlsverfahren zu wechseln. Dies bietet sich namentlich an, wenn der Richter im Rahmen der Prüfung im Zwischenverfahren eine Hauptverhandlung für nicht erforderlich erachtet.122 Hierzu ist indes zunächst erforderlich, dass der Richter die Staatsanwaltschaft kontaktiert und eine Rücknahme der Anklage nach § 156 StPO und den Übergang ins Strafbefehlsverfahren anregt, was in der Praxis mitunter als aufwändig empfunden wird.123 Nichtsdestotrotz ist die Möglichkeit des Übergangs ins Strafbefehlsverfahren als eine Form konsensualer Verfahrenserledigung im Blick zu behalten. 4. Erörterung des Verfahrensstandes gemäß § 202a StPO Zuletzt ist die Möglichkeit der Erörterung des Verfahrensstandes mit den Beteiligten nach § 202a StPO zu nennen. Sie soll – wie sogleich noch näher ausgeführt wird124 – insbesondere der Vorbereitung einer Verständigung im Hauptverfahren dienen und erlaubt Gespräche der Verfahrensbeteiligten über eine Beendigung des Hauptverfahrens. 5. Zwischenfazit und Eingrenzung der Untersuchung Betrachtet man die dargestellten konsensualen Gestaltungsmöglichkeiten im Zwischenverfahren, so fällt zunächst auf, dass diese auf den ersten Blick nicht unmittelbar einer der hergebrachten Funktionen dieses Verfahrensabschnitts zugeordnet werden können. Die Möglichkeiten der Einstellung, Beschränkung und Übergang ins Strafbefehlsverfahren eint allerdings, dass sie auf eine Beendigung des Verfahrens bereits im Zwischenverfahren abzielen; sie lassen sich daher am ehesten der Filterfunktion des Zwischenverfahrens zuordnen, da auf diesem Wege ebenfalls unnötige Hauptverhandlungen vermieden werden können. Insoweit lässt sich konstatieren, dass dem Zwischenverfahren in der Praxis eine andere – jenseits der richterlichen Prüfung nach § 203 StPO bestehende – Filterfunktion zukommt, die den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit eröffnet, einvernehmlich nach Alternativen zu suchen, die eine Hauptverhandlung entbehrlich machen.125 Es liegt daher nahe, in diesem Zusammenhang von einer erweiterten Filterfunktion zu sprechen. Sie fügt sich in die hergebrachten Strukturen des geltenden Zwischenverfahrens im Wesentlichen ein, da bei allen Verfahrensbeendigungen im vorgenannten Sinne al-

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Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (320). Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (320); so wohl auch Ignor/Matt, StV 2002, 102 (107). 124 Siehe unten 5. Teil E. II. 1. c). 125 So auch Meyer, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertages, S. 129 (143 f.), der von einer „Weichenstellungsfunktion“ spricht. 123

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 223

lenfalls das Bestehen von hinreichendem Tatverdacht geprüft werden muss.126 Auch stehen die genannten Möglichkeiten mit der verfassungsrechtlichen Einordnung des Zwischenverfahrens als eine dem Richter vorbehaltene Entscheidung über die aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgende zwingende Eingriffsschwelle, mit deren Überschreiten der Grundrechtseingriff Hauptverhandlung zumutbar ist, in Einklang. Aus dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fügen sie sich sogar in das Zwischenverfahren ein, weil sie gewissermaßen typisierend vorgeben, wann der Grundrechtseingriff Hauptverhandlung nicht erforderlich bzw. angemessen ist und der Richter bei der Beantwortung der Frage, ob hinreichender Tatverdacht gegeben ist, im Kern diese Frage prüft.127 Demgegenüber kann die in § 202a StPO vorgesehene Erörterungsmöglichkeit nicht ohne Weiteres unter den Begriff der erweiterten Filterfunktion rubriziert werden, da solche Erörterungen keine Beendigung des Verfahrens schon im Zwischenverfahren, sondern – an dieser Stelle noch verallgemeinert ausgedrückt – die Vorbereitung von Absprachen im Hauptverfahren zum Inhalt haben sollen. Es bedarf daher einer genaueren Analyse dieser Vorschrift, die im folgenden Abschnitt vorgenommen werden soll.

II. Erörterung des Verfahrensstandes: „Anbahnungsgespräche“ im Zwischenverfahren nach § 202a StPO Seit dem Jahr 2009 ist in der StPO die Möglichkeit der Verständigung vorgesehen. Sie ist nach wie vor umstritten: Während Gegner massive Friktionen mit elementaren, teils verfassungsrechtlich fundierten Grundprinzipien des Strafverfahrens geltend machen, betonen die Befürworter Praktikabilität und Notwendigkeit der Verständigung.128 Im Rahmen dieser Untersuchung kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser grundsätzlichen Problematik nicht erfolgen; ihrer bedarf es auch nicht. Dennoch hat die Verständigungsregelung Auswirkungen auf das Zwischenverfahren, die allerdings nur vereinzelt explizit thematisiert werden.129 Der insoweit maßgebliche § 202a StPO ermöglicht es seinem Wortlaut nach dem die Eröffnung des Hauptverfahrens „erwägenden“ Gericht, den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern, soweit dies „geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern“. Schon dem ersten Anschein nach ist diese Vorschrift nur schwerlich einer der anerkannten Funktionen des Eröffnungsverfahrens zuzuordnen, das zuvörderst dem Schutz des Angeschuldigten vor der Durchführung unberechtigter Hauptverhandlungen dienen soll, indem eine richterliche Verdachtskontrolle statt126 Für § 153a StPO siehe Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 153a Rn. 7; für das Strafbefehlsverfahren siehe Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 407 Rn. 8. 127 Siehe dazu oben 2. Teil B. III. 1. 128 Hierzu grundlegend BVerfGE 133, 168 ff. 129 Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 687 ff.; Isfen, ZStW 2013, 325.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

findet und dem Angeschuldigten darüber hinaus Gehör gewährt und nicht zuletzt der Verfahrensgegenstand und das zuständige Gericht bestimmt werden. Nimmt man hinzu, dass eine allzu breite Ausgestaltung des Zwischenverfahrens aus Befangenheitsgesichtspunkten problematisch ist und es der herrschenden Meinung entspricht, dass das Zwischenverfahren keine „Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung“130 werden dürfe, ist die eingefügte Vorschrift zumindest rechtfertigungsbedürftig. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, mit § 202a StPO „kommunikative Elemente im Strafverfahren“ zu stärken, die „außerhalb einer Verständigung zur Verfahrensförderung geeignet sind, aber im gerichtlichen Verfahren auch zur Vorbereitung einer Verständigung dienen können“.131 1. Voraussetzungen von Erörterungen nach § 202a StPO Zu einer Klärung der Frage, was § 202a StPO nun genau gestattet und inwieweit er das Zwischenverfahren berührt oder gar verändert, sind zunächst die Voraussetzungen der Norm genauer zu beleuchten. a) Verfahrensbeteiligte An „Erörterungen“ im Sinne des § 202a StPO können Gericht, Staatsanwaltschaft, Angeschuldigter, Verteidiger und etwaige Nebenkläger einschließlich ihrer Vertreter teilnehmen.132 Dabei ist mit „Gericht“ das Eröffnungsgericht gemeint, das – da es außerhalb der Hauptverhandlung agiert – nicht mit Schöffen besetzt ist.133 b) „Erwägen“ der Eröffnung und Ermessen des Gerichts Von der Vorschrift des § 202a StPO darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens „erwägt“. Was hiermit gemeint ist, ist weitgehend ungeklärt. Einigkeit besteht darüber, dass Erörterungen ausscheiden, wenn das Gericht nicht eröffnen will, da dann das Verfahren schon nicht gefördert werden kann.134 Diesen Gedanken zugrunde gelegt wird die Formulierung „erwägt“ nur als der Verfahrensökonomie geschuldet verstanden und ferner herausgestellt, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht dahingehend missverstanden werden dürfe, dass das Gericht Erörterungen in geeigneten Fällen erst dann durchführen könne, wenn die gerichtsinterne Meinungsbildung mit dem Ergebnis abgeschlossen sei, dass 130

Loos, in: Alternativkommentar StPO, § 202 Rn. 1. BT-Drs. 16/12310, S. 2. 132 Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 6; Jahn/Müller, NJW 2009, 2625 (2627). 133 Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 6. 134 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202a Rn. 3; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202a Rn. 4; Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 9; Ritscher, in: BeckOK StPO, § 202a Rn. 6. 131

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 225

an der Eröffnung des Hauptverfahrens kein Weg vorbeiführe.135 Allerdings sollen Erörterungen auch möglich sein, wenn das Gericht sich schon die Gewissheit gebildet hat, dass es eröffnen wird.136 Ist es sich unsicher, ob es eröffnen soll, wird eine Erörterung nach § 202a StPO als sinnvoll beschrieben.137 Letztendlich liegt es damit in den Händen des Gerichts, zu bestimmen, wann es Erörterungen durchführen will, was sich auch an der „Kann“-Regelung des § 202a StPO zeigt. Dem Gericht steht auch das Initiativrecht zur Veranstaltung einer Erörterung zu.138 Ermessensgrenzen haben sich soweit ersichtlich noch nicht herausgebildet, das Gericht ist hinsichtlich des „Ob“ und „Wie“ solcher Gespräche frei.139 Teilweise wird eine Ermessensreduzierung auf Null aufgrund des Gedankens der Selbstbindung erwogen, wenn das Gericht regelmäßig Gespräche mit Angeschuldigten zu führen pflegt oder in Erörterungen mit Mitangeschuldigten im gleichen Verfahren eingetreten ist.140 Letztlich dürfte der Anwendungsbereich des § 202a StPO schon eröffnet sein, wenn das Gericht noch nicht vom Vorliegen hinreichenden Tatverdachts ausgeht, sondern eine erheblich geringere Schwelle, gleichsam ein „Vorstadium“ des hinreichenden Tatverdachts, gegeben ist. Den Wortlaut der Vorschrift zugrunde gelegt dürfte noch nicht einmal die gründliche Lektüre der Akten erforderlich sein, um in die Erörterungsgespräche einzutreten. c) Erörterungsgegenstände Von zentraler Bedeutung ist die Frage der potenziellen Gegenstände einer Erörterung des Verfahrensstandes im Zwischenverfahren. Der Wortlaut selbst spricht hier vom „Stand des Verfahrens“. Es kann zwischen drei unterschiedlichen Erörterungsgegenständen differenziert werden.141 aa) Erörterungen über Inhalt und Ergebnis des Zwischenverfahrens Denkbar erscheinen zunächst Erörterungen über die Voraussetzungen der Eröffnung. Der Angeschuldigte oder die Verteidigung kann etwa Aspekte zur Sprache bringen, die ein anderes Ergebnis des Zwischenverfahrens denkbar erscheinen las135 Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 9. 136 Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 5; Seidl, in: Kleinknecht/Müller/ Reitberger, StPO, § 202a Rn. 4. 137 Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202a Rn. 3; Schlothauer, in: Niemöller/ Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 9. 138 Was freilich eine Anregung durch andere Verfahrensbeteiligte nicht auszuschließen vermag, siehe Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202a Rn. 1. 139 Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 9. 140 So wohl Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 34; Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 11. 141 So auch Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 10 ff.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

sen. Dies bietet sich namentlich dann an, wenn im Ermittlungsverfahren keine aktive Verteidigung stattgefunden hat. So können tatsächliche oder rechtliche Umstände vorgetragen werden, die die Hypothese der Anklageschrift in einem anderen Licht erscheinen lassen.142 Folge solcher Erörterungen kann die Nichteröffnung, die Einstellung oder eine Beschränkung des Verfahrens nach §§ 153, 153a oder § 154 StPO sein. Allerdings sind derartige Gespräche bereits vor der Einführung des § 202a StPO üblich und auch zulässig gewesen und waren auch zuvor von §§ 201 ff. StPO erfasst.143 Auch Einstellungen aus Opportunitätsgesichtspunkten sind in jeder Lage des Verfahrens möglich und insoweit kein Novum. Was also die Fallgruppe der „Erörterungen über das Ergebnis des Zwischenverfahrens“ angeht, kann davon ausgegangen werden, dass § 202a StPO tatsächlich nur deklaratorische Wirkung zukommt. Gespräche dieses Inhalts sind auch nicht problematisch. bb) Erörterungen zur Strukturierung des Hauptverfahrens Ferner sollen die Erörterungen zur Strukturierung des Hauptverfahrens geführt werden können.144 Insoweit ist der Wortlaut des § 202a StPO verfehlt, da hier nicht mehr über den Stand des (Zwischen-)Verfahrens, sondern seinen weiteren Fortgang gesprochen wird.145 Dementsprechend muss konstatiert werden, dass Erörterungen über die Strukturierung des Hauptverfahrens schon im Zwischenverfahren, in dem erst über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung des Hauptverfahrens geprüft werden soll, strukturell fehl am Platze sind. Unter die Fallgruppe der „Strukturierung des Hauptverfahrens“ kann etwa die Terminierung der Hauptverhandlungstage fallen.146 Vorstellbar sind auch Erkundigungen des Gerichts nach dem von der Verteidigung intendierten Einlassungsverhalten eines zur Sache bislang schweigenden Angeklagten zwecks Planung des Umfangs der Beweisaufnahme.147 Zulässig soll es sein, Erörterungen zu führen, die sich darin erschöpfen, in Abhängigkeit vom Gang der Hauptverhandlung und insbesondere vom Fortschritt der Beweisaufnahme etwaige Modifikationen des Anklagevorwurfs – freilich ohne Verbindlichkeit – in Aussicht zu stellen.148 Ziel einer Erörterung kann es auch sein, 142

Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 10. 143 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202a Rn. 2. 144 BT-Drs. 16/12310, S. 12. 145 Kritisch auch Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 27; Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 61. 146 Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 27; Stuckenberg, in: LöweRosenberg, StPO, § 202a Rn. 6. 147 Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202a Rn. 1; Schlothauer, in: Niemöller/ Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 11. 148 Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 11.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 227

den Verfahrensaufwand zu verringern, indem ein bei allen Verfahrensbeteiligten vorhandener gesicherter Konsens ausgelotet wird. Auf dieser Grundlage kann der Beweisstoff dergestalt verringert werden, dass zum Beispiel auf die Ladung bestimmter Zeugen oder Sachverständigen verzichtet wird.149 Die Fallgruppe der „Strukturierung der Hauptverhandlung“ als tauglicher Erörterungsgegenstand geht damit bereits über den eigentlichen Entscheidungsmaßstab des § 203 StPO und die von §§ 201, 202 StPO vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten hinaus und muss vor dem Hintergrund der eigentlichen Funktionen des Zwischenverfahrens als Fremdkörper bezeichnet werden, da die unter diese Fallgruppe rubrizierten Gesprächsinhalte nur von Bedeutung sind, wenn das Gericht das Hauptverfahren eröffnet, was im Zwischenverfahren aber eigentlich noch in Frage steht. cc) Erörterungen über eine Verständigung in der Hauptverhandlung Noch weitergehend ist der mit der Einführung des § 202a StPO zuvörderst intendierte, aber nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift ohne weiteres hervorgehende Erörterungsgegenstand: Erfasst sein sollen nämlich insbesondere Erörterungen über Möglichkeiten und Umstände einer in der Hauptverhandlung zu treffenden Verständigung.150 Dies ergibt sich zum einen aus der Gesetzesbegründung, zum anderen aus dem systematischen Zusammenhang mit § 243 Abs. 4 S. 1 StPO. Damit wurde in Gesetz gegossen, was auch zuvor praktiziert151 wurde: Die Anbahnung oder Vorbereitung einer Verständigung bereits im Zwischenverfahren. Was Gegenstand einer solchen Verständigung in der Hauptverhandlung sein kann, umreißt § 257c Abs. 2 StPO: Zulässig sind danach nur die Rechtsfolgen, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Ferner soll Bestandteil einer jeden Verständigung ein Geständnis sein. Bevor also überhaupt über die Zulassung der Anklage aufgrund ihrer Kontrolle durch das Eröffnungsgericht entschieden wird, kann das Gericht über § 202a StPO Fragen mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, die nach der eigentlichen Struktur der Strafprozessordnung erst am Ende der Hauptverhandlung beantwortet werden sollten, nämlich Rechtsfolgenfragen wie etwa die Strafhöhe (freilich nur als Ober- und Untergrenze, § 257c Abs. 3 S. 2 StPO) oder die Strafaussetzung zur Bewährung.152 Einzige Voraussetzung ist, dass das Gericht eine Eröffnung „erwägt“. Darf das Gericht im Zwischenverfahren nach der – nach wie vor – herr-

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Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 11. 150 BT-Drs. 16/12310, S. 12; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202a Rn. 2. 151 Siehe hierzu die Erhebungen von Altenhain et al. aus dem Jahr 2007, unten 5. Teil E. II. 2. b). 152 Isfen, ZStW 2013, 325 (331 f.); Eschelbach, GA 2019, 593 (606).

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

schenden Ansicht einerseits den Angeschuldigten nicht routinemäßig vernehmen,153 soll es andererseits zulässig sein, Rechtsfolgen zu besprechen, obschon der Vorgang der Strafzumessung individuelle Wertungen voraussetzt, das Gericht den Angeschuldigten noch nicht einmal persönlich zu Gesicht bekommen hat und noch kein kontradiktorisch erhobenes Wissen vorliegt.154 Dass Erörterungen nach § 202a StPO noch keine Bindungswirkung entfalten, ist angesichts der faktischen Wirkung solchen Vorgehens von nachrangiger Bedeutung. Es muss daher konzediert werden, dass ein solches – vom gesetzgeberischen Willen ausdrücklich erfasstes und also de lege lata zulässiges – Prozedere die für das Zwischenverfahren durch seine Funktionen gezogenen ursprünglichen Grenzen sprengt. 2. Rechtstatsächliche Befunde zu Absprachen im Zwischenverfahren Nun erhebt sich die Frage, ob und in welchem Maße derartige Gespräche in der strafprozessualen Praxis überhaupt stattfinden. Dass es eine nicht unerhebliche Anzahl von Erörterungen vor der Eröffnung geben dürfte, deutet bereits die in § 46b Abs. 3 StGB vorgesehene Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung im Falle von Aufklärungshilfe bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses an.155 Über Häufigkeit und Bedeutung der vorbeschriebenen Erörterungen nach § 202a StPO geben drei Untersuchungen von Altenhain et al. aus den Jahren 2007, 2013 und 2020 Aufschluss. a) Absprachen im Zwischenverfahren in Wirtschaftsstrafverfahren (2007) Eine erste Untersuchung wurde für die Jahre 2004 bis 2006 durchgeführt,156 als die Regelung zur Verständigung und damit auch § 202a StPO noch nicht galt. Ziel war die Darstellung der Praxis der Urteilsabsprachen in Wirtschaftsstrafverfahren. Seinerzeit gaben 29,2 % der befragten Praktiker an, dass im Stadium des Zwischenverfahrens Verständigungsgespräche geführt würden.157 Gefragt wurde ferner nach den „typischen Verfahrenszeitpunkten“, in denen Verständigungsgespräche, die sich auf das Ergebnis einer Hauptverhandlung beziehen, geführt werden. Das Zwischenverfahren wurde seinerzeit von 6,3 % der befragten Richter als typischer Zeitpunkt benannt, 2,4 % der befragten Staatsanwälte und 9,4 % der befragten Verteidiger bezeichneten das Zwischenverfahren ebenfalls als „typischen Verfahrenszeitpunkt“ für ein Verständigungsgespräch.158 In dieser Befragung wurden nur 153 Dazu bereits oben 4. Teil C. II. 3.; mit explizitem Bezug auf § 202a StPO Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202a Rn. 8. 154 Isfen, ZStW 2013, 325 (332). 155 Eschelbach, GA 2019, 593 (606). 156 Altenhain et al., Die Praxis der Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren. 157 Altenhain et al., Die Praxis der Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, S. 218. 158 Altenhain et al., Die Praxis der Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, S. 220.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 229

Gespräche benannt, die sich auf das Ergebnis einer noch durchzuführenden Hauptverhandlung und nicht auf den möglichen Inhalt eines Einstellungsbescheides oder eines Strafbefehls bezogen.159 b) Absprachen im Zwischenverfahren (2013) Die Studie aus dem Jahr 2013 entstand im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, dessen Grundsatzurteil zum Verständigungsgesetz160 auf ihr beruht. Untersucht wurde, inwieweit Richter, Staatsanwälte und Verteidiger die zum Untersuchungszeitpunkt bereits seit drei Jahren geltenden Regelungen über die Verständigung einhalten. Dabei verwendet die Studie den Begriff der Absprache für jede einvernehmliche Beendigung eines Strafverfahrens durch Urteil und erfasst somit sowohl das gesetzlich geregelte Verständigungsverfahren als auch „informelle“ Absprachen, die außerhalb der gesetzlichen Maßgaben stattfinden.161 Erfasst wurden aber nur Gespräche, die die einvernehmliche Beendigung des Verfahrens durch ein Urteil zum Gegenstand hatten. Nicht erfasst waren Gespräche, die eine Einstellung des Verfahrens, insbesondere nach § 153a StPO, zum Gegenstand hatten.162 Dabei ergab sich hinsichtlich Zeit und Ort des Vorkommens von „Absprachen“ speziell mit Blick auf das Zwischenverfahren folgendes Bild: Auf die Frage, wie häufig sie im Zwischenverfahren Gespräche über Absprachen geführt haben, antworteten die insgesamt 188 befragten Richter wie folgt: 26,1 % gaben an, hier noch nie ein Gespräch geführt zu haben. 30,3 % der befragten Richter gaben an, dass solche Gespräche „selten“ stattfinden würden, 25,0 % führten sie „teilweise“. „Häufig“ wurden derartige Gespräche von 16,0 % der Richter geführt und „sehr häufig“ von 2,7 %.163 Die 68 befragten Staatsanwälte antworteten auf dieselbe Frage wie folgt: 33,8 % haben noch nie ein Gespräch über Absprachen geführt. 38,2 % haben „selten“, 16,2 % „teilweise“, 11,8 % „häufig“ und 0,0 % „sehr häufig“ Gespräche über Absprachen im Zwischenverfahren geführt.164 Etwas anders fiel die Antwort bei den 76 befragten Verteidigern aus: 15,8 % haben noch nie ein solches Gespräch geführt, 34,2 % „selten“, 23,7 % „teilweise“, 25,0 % „häufig“ und 1,3 % „sehr häufig“.165 Damit lässt sich trotz der Unterschiede im Detail feststellen, dass nach Angaben der Mehrheit der befragten Justizprotagonisten – zumindest zwei Drittel der Befragten stimmen unabhängig von der tatsächlichen Häufigkeit darin überein, dass 159 Altenhain et al., Die Praxis der Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, S. 218 (Fn. 794). 160 BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058. 161 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 9 f. 162 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 10. 163 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 62. 164 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 63. 165 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 64.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Gespräche im Zwischenverfahren geführt werden – Gespräche über mögliche einvernehmliche Verfahrensbeendigungen durch Urteil im Zwischenverfahren gelebte Praxis sind. Daraus lässt sich schließen, dass im Zwischenverfahren nicht selten das Fundament für eine spätere Verständigung geschaffen wird.166 Wenngleich sie nicht so häufig vorkommen wie im Stadium des Hauptverfahrens167, erscheinen die Werte nicht unerheblich und können im Rahmen dieser Untersuchung nicht ausgeblendet werden. Zwar ist ein detaillierter Vergleich der Praxis der Absprachen im Zwischenverfahren vor und nach der Einführung des § 202a StPO angesichts der verschiedenen Fragen an die Studienteilnehmer in den jeweiligen Untersuchungen nicht möglich. Dennoch scheinen Absprachen seit der Einführung zugenommen zu haben: Stellt man die oben geschilderten Werte („typischer Zeitpunkt“)168 den Angaben bezüglich des Vorkommens von Absprachen aus der Untersuchung von 2013 gegenüber, scheinen die Absprachen in der Praxis mit der Einführung des § 202a StPO, der ein solches Vorgehen nunmehr explizit gestattet, noch zugenommen zu haben. c) Absprachen im Zwischenverfahren (2020) Die jüngste Untersuchung stammt aus dem Jahr 2020169 und entstand in der Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Verständigungsgesetz aus dem Jahr 2013, in welchem das Gericht den Gesetzgeber aufforderte, die Einhaltung der Regelungen über die Verständigung einer Kontrolle zu unterziehen. Untersucht wurden die Wirkungsweise des Verständigungsgesetzes sowie etwaige Rechtsverstöße der Verfahrensbeteiligten gegen die Vorschriften durch so genannte informelle Absprachen, d. h. solchen, die nicht alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Im Zuge dieser Evaluation wurde unter anderem gefragt, wie häufig im Verfahrensstadium des Zwischenverfahrens Gespräche über Absprachen geführt wurden. Dabei antworteten die insgesamt 257 befragten Richter wie folgt: 3,1 % gaben an, dass derartige Gespräche sehr häufig geführt würden, 15,2 % führten sie häufig, 13,2 % teilweise, 35 % selten und 33,5 % nie.170 Die befragten 132 Staatsanwälte gaben mit 166 So auch Meyer, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertages, S. 129 (143). 167 Dort ergibt sich folgendes Bild: Laut eigenen Angaben führten 38,4 % der Richter „häufig oder sehr häufig“ Gespräche vor oder außerhalb der Hauptverhandlung, innerhalb der Hauptverhandlung 53,7 % (häufig oder sehr häufig). Von den Staatsanwälten gaben 35,3 % an, dass sie vor oder außerhalb der Hauptverhandlung „häufig oder sehr häufig“ entsprechende Gespräche führten und innerhalb der Hauptverhandlung führten 43,1 % Gespräche über Absprachen. Von den Verteidigern berichteten 73,7 %, dass sie „häufig oder sehr häufig“ Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung führten und 63,2 % berichten, dass sie innerhalb der Hauptverhandlung „häufig oder sehr häufig“ Gespräche über Absprachen führten, siehe Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 62 – 64. 168 Siehe oben 5. Teil E. II. 2. a). 169 Altenhain/Jahn/Kinzig, Die Praxis der Verständigung im Strafprozess. 170 Altenhain/Jahn/Kinzig, Die Praxis der Verständigung im Strafprozess, S. 348.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 231

0,8 % an, dass sie im Zwischenverfahren sehr häufig Gespräche über Absprachen führten, 3 % antworteten mit häufig, 18,9 % mit teilweise, 48,5 % selten und 28,8 % nie.171 Von den 140 befragten Verteidigern antworteten 3,6 % mit sehr häufig, 16,4 % häufig, 26,4 % teilweise, 38,6 % selten und 15 % nie.172 Insgesamt ist festzuhalten, dass nach den Ergebnissen der jüngsten Evaluation Absprachen im Zwischenverfahren etwas zurückgegangen sind. Allerdings belegt sie dennoch die Tatsache, dass Absprachen nach wie vor vorkommen und also von der Vorschrift des § 202a StPO Gebrauch gemacht wird. d) Inhalte von Absprachen Thematischer Gegenstand von Absprachen waren nach der Studie von 2013 in erster Linie das Strafmaß, ein Geständnis, die Strafaussetzung zur Bewährung und Einstellungen oder Beschränkungen nach §§ 154, 154a StPO.173 Daneben wurden aber auch gesetzlich nicht zugelassene Inhalte Gegenstand von Absprachen, wie etwa die Anwendung von Qualifikationsmerkmalen.174 3. Zwischenfazit: Die „neue“ Funktion des Zwischenverfahrens Es lässt sich resümieren, dass das Zwischenverfahren ausweislich des gesetzgeberischen Willens von den Verfahrensbeteiligten verstärkt zur einvernehmlichen Erledigung, insbesondere aber auch als kommunikative Plattform für die weitere, idealiter konsensuale Verfahrensgestaltung genutzt werden soll. Die dies klarstellende Vorschrift des § 202a StPO ist, was ihre tatsächlichen Neuerungen betrifft, ein Fremdkörper im seit 1879 nahezu unverändert bestehenden Regelungsregime der §§ 199 ff. StPO. Erörterungen zum tatsächlichen „Stand“ – und nicht zu den Aussichten – des Verfahrens dürften praktisch eher selten vorkommen. Anders als Aktivitäten der Beteiligten nach §§ 201, 202 StPO schlagen sich Erörterungen nach § 202a StPO nicht unmittelbar im (Nicht-)Eröffnungsbeschluss als dem Ergebnis des Zwischenverfahrens nieder.175 Zwar kann angesichts der spärlichen Ausführungen in den Gesetzgebungsmaterialien davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Struktur des Zwischenverfahrens bei der Schaffung des § 202a StPO nicht in der gebotenen Ausführlichkeit berücksichtigt hat.176 Allerdings hat sich gezeigt, dass die 171

Altenhain/Jahn/Kinzig, Die Praxis der Verständigung im Strafprozess, S. 349. Altenhain/Jahn/Kinzig, Die Praxis der Verständigung im Strafprozess, S. 349. 173 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 77 ff. 174 Altenhain/Dietmeier/May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, S. 77 ff. 175 Eschelbach, in: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 30. Kapitel Rn. 61. 176 Im gesamten Gesetzgebungsverfahren hat § 202a StPO keine Rolle gespielt und wurde nicht gesondert erörtert, siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestags-Rechtsausschusses vom 20. 05. 2009, BT-Drs. 16/13095 sowie die Empfehlung des Bundesrats-Rechtsausschusses vom 25. 06. 2009, BR-Drs. 582/1/09. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung hat insoweit unverändert Eingang in die StPO gefunden. 172

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Rechtspraxis von dieser Möglichkeit im Zwischenverfahren regen Gebrauch macht. Im Ergebnis muss konstatiert werden, dass dem Zwischenverfahren neben seinen hergebrachten Aufgaben zwischenzeitlich eine weitere, durch die justizielle Praxis begründete und nunmehr in Gesetzesform gegossene Funktion zugeschrieben werden kann: Sie lässt sich beschreiben als konsensual-kommunikative Verfahrensgestaltung. Das Eröffnungsverfahren hat sich also mehr und mehr von seinem ursprünglichen Zweck, der Kontrolle des „Ob“ der weiteren Verfahrensdurchführung weg und hin zu der Erörterung des „Wie“ der Verfahrensdurchführung gewandelt.

III. Stellungnahme zu der Möglichkeit von Erörterungen nach § 202a StPO im Zwischenverfahren Diese Ausweitung des Zwischenverfahrens muss gleichwohl nicht zwingend Negatives bedeuten. Von besonderem Interesse muss aber sein, inwieweit das Stadium des Zwischenverfahrens strukturell dazu geeignet ist, derartige Gespräche zu führen. Dabei darf bezweifelt werden, dass die gegenwärtige Architektur des Zwischenverfahrens auf den Einbau des § 202a StPO abgestimmt ist. Vielmehr steht zu befürchten, dass die gegenwärtige Rechtslage – Einführung konsensualer Elemente in einen zuvor primär auf die negative Kontrollfunktion angelegten Verfahrensabschnitt – zu durchaus problematischen Konsequenzen führen könnte. Einige dieser denkbaren Konsequenzen sollen im Folgenden herausgearbeitet und bewertet werden. 1. Abgrenzung zur Vorbereitung der Hauptverhandlung Formal stellt sich zunächst die Problematik der Abgrenzung zum Verfahrensabschnitt der Vorbereitung der Hauptverhandlung. Unter § 202a StPO soll wie gezeigt insbesondere die Strukturierung und der Ablauf der Hauptverhandlung fallen.177 In der Praxis scheint auch die Terminierung der Hauptverhandlung üblich zu sein.178 Aufgabe des Zwischenverfahrens ist es aber, zu klären, ob die Hauptverhandlung überhaupt durchgeführt werden darf. Dies kann allerdings erst nach der verbindlichen Entscheidung des Gerichts mit Sicherheit gesagt werden. Folglich sind solcherlei Erörterungen im Eröffnungsverfahren eigentlich fehl am Platz.179 Die Strafprozessordnung sieht für sie einen eigenen Abschnitt im Rahmen des Hauptverfahrens, nämlich die Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 212 – 225a StPO), vor. Im Zuge des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens wurde eigens die Vorschrift des § 213 Abs. 2 StPO eingefügt, wo177

Siehe oben 5. Teil E. II. 1. c) bb). OLG Nürnberg, StV 2011, 750 (751); vgl. auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 202a Rn. 2. 179 So auch Ignor/Matt, StV 2002, 102 (107). 178

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 233

nach in besonders umfangreichen Verfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten, in denen die Hauptverhandlung länger als zehn Tage dauern wird, der äußere Ablauf der Hauptverhandlung vor der Terminbestimmung mit den Verfahrensbeteiligten abgestimmt werden soll. Gegen diese – systematisch zutreffend verortete – Vorschrift ist nichts einzuwenden. Verlagert man allerdings Aufgaben, die richtigerweise dem Abschnitt über die Vorbereitung der Hauptverhandlung zugewiesen sind, in das Zwischenverfahren vor, bedeutet dies, die eigentliche Hauptaufgabe – Prüfung der Hauptverhandlungswürdigkeit durch den Richter – mit Aspekten aufzuladen, die hier noch nicht erörterungsbedürftig sein können und im Gegenteil das Ergebnis der Eröffnungsprüfung nach § 203 StPO in gewisser Weise präjudizieren, zumindest aber einen Aspekt darstellen, der den Eröffnungsrichter bei seiner Entscheidungsfindung beeinträchtigen kann. Vorzugswürdig erscheint es daher, solche Gespräche ausschließlich im Rahmen der §§ 212, 213 StPO durchzuführen. 2. Gefahr des missbräuchlichen Einsatzes „verfahrensfördernder Erörterungen“ Eine weitere Konsequenz der Einführung des § 202a StPO ist die Gefahr der missbräuchlichen Ausnutzung der Erörterungsmöglichkeiten durch das Gericht. Die Problematik der „Sanktionsschere“180 ist hinlänglich bekannt und wird von keinem redlichen Gericht gezielt eingesetzt. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass gerade die Möglichkeit, Erörterungen vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses zu führen, die Gefahr in sich birgt, den hinreichenden Tatverdacht durch ein erhofftes Geständnis im Rahmen der Erörterungen zu festigen, wenn dieser aus seiner Sicht noch nicht feststeht.181 Auch scheinen Verhandlungen über „Kurz-, Mittel- und Langstreckentarife“, d. h. steigende Straferwartungen je nach sofortigem, späteren oder keinem Geständnis unter dem „Schutzschild“ des § 202a StPO vorzukommen.182 Dies liegt insbesondere auch deshalb nahe, weil dem Gericht das Initiativrecht für Erörterungen im Zwischenverfahren zukommt. Auf diesem Wege kann sich der Angeschuldigte noch vor der Bejahung, schlimmstenfalls vor der intensiven Prüfung des hinreichenden Tatverdachts anhand der Aktenlage einem gewissen Geständnisdruck ausgesetzt sehen, obwohl dieser Verfahrensabschnitt ursprünglich hauptsächlich seinem Schutz zu dienen bestimmt war.

180

Isfen, ZStW 2013, 325 (334); BGH NStZ 2008, 170. Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 687 (690); Ritscher, in: BeckOK StPO, § 202a Rn. 5; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 33; Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 9. 182 Eschelbach, GA 2019, 593 (606). 181

234

5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

3. Verschärfung der Problematik der Voreingenommenheit Abermals rückt hier ein bereits bekanntes und nur vermeintlich ausdiskutiertes Problem in den Fokus der Betrachtung, nämlich das der richterlichen Voreingenommenheit. Ist das Zwischenverfahren schon in seiner herkömmlichen Struktur in personeller Hinsicht suboptimal ausgestaltet, vermag ein konsensuales Element im Zwischenverfahren wie § 202a StPO dieses Problem nochmals erheblich zu verschärfen.183 Das gilt namentlich für die beiden letztgenannten Fallgruppen der Erörterung des Verfahrensstandes, nämlich die Strukturierung der Hauptverhandlung und Gespräche über eine Verständigung vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses. Unbedenklich erscheint dagegen die erstgenannte Fallgruppe der Erörterungen über den „Stand“ des Zwischenverfahrens.184 a) Fallbeispiel aus der Praxis Illustrieren lässt sich die Problematik zunächst anhand eines von Salditt geschilderten Falles aus der Praxis185 : In einem umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren lag einer Strafkammer Anklage gegen mehrere sich in Untersuchungshaft befindliche Angeschuldigte vor. Noch vor der Eröffnung des Hauptverfahrens schrieb der Vorsitzende Richter Verteidiger und Staatsanwaltschaft an, dass die Kammer Erörterungen nach § 202a StPO für zweckmäßig erachte. Es kam zu einer solchen Erörterung in den Räumlichkeiten des Landgerichts zwischen Verteidigern, Staatsanwalt, Vorsitzendem und Berichterstatter. Der Vorsitzende besprach eine später an die Beteiligten in Kopie ausgehändigte Ausarbeitung der Kammer, die sich auch mit einer möglicherweise erforderlichen Strafzumessung befasste. Es wurde ausgeführt: „Die Kammer hält im Überführungsfall bei einem Geständnis der Angeschuldigten folgende Strafrahmen für angemessen. Angegeben sind die Mittelwerte, der Strafrahmen reicht von minus bis plus ein halbes Jahr vom/zum Mittelwert.“ Für den von Salditt verteidigten Angeschuldigten hieß es: „Albert Adams (keine Handelstätigkeit, vorgerücktes Alter, Steuerschaden nach Anklage: rd. 47,2 Mio. E) sechs Jahre“. Die Kammer führte weiter aus, dass sie bereits „vorberaten“ habe und unmittelbar nach Pfingsten über die Eröffnung entscheiden werde. Dem für den Fall einer „Verständigung mit Geständnissen“ genannten Strafrahmen solle „keine Orientierung für den Fall einer streitigen Hauptverhandlung“ zukommen. Keiner der beteiligten Verteidiger hatte eine solche Mitteilung des Gerichts erbeten oder gar an-

183 Isfen, ZStW 2013, 325 (330) geht davon aus, dass sich die Problematik der Unbefangenheit „potenziert“. 184 So wohl auch Isfen, ZStW 2013, 325 (330), der aber Erörterungen über die „Strukturierung des Verfahrens“ für unbedenklich hält, was angesichts der hier unter diese Fallgruppe subsumierten Gesprächsinhalte so nicht gelten kann. 185 Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 688 ff.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 235

geregt und die Richter hatten die Angeschuldigten noch kein einziges Mal persönlich zu Gesicht bekommen. b) Meinungsstand zur Befangenheit im Rahmen des § 202a StPO Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs nahm an dem geschilderten Prozedere keinerlei Anstoß und verwarf die unter anderem auf § 338 Nr. 3 StPO gestützte Revision. § 202a StPO sehe gerade vor, dass das Gericht in der Phase des Zwischenverfahrens auch aus eigener Initiative den Stand des Verfahrens erörtern könne, was auch die Vorbereitung einer Verständigung, in deren Rahmen wiederum Angaben zu Strafober- und Strafuntergrenzen gestattet seien, umfasse. Auch entfalteten die Erörterungen nach § 202a StPO keinerlei Bindungswirkung. Die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO sei daher bereits im Ansatz verfehlt.186 Diese Ausführungen des ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofes müssen als konsequente Fortführung des gesetzgeberischen Willens betrachtet werden. Dieser sieht gerade die Erörterung rechtsfolgenrelevanter Aspekte im Zwischenverfahren vor. Im Schrifttum finden sich nur wenige Äußerungen zum Thema Befangenheit im Zusammenhang mit Erörterungen nach § 202a StPO. Zwar wird teilweise auf Gefahren aufmerksam gemacht.187 Überwiegend wird – korrespondierend zur Ansicht der Rechtsprechung – vertreten, dass die Vorschrift selbst eine etwaige Befangenheit der Richter aufgrund der Erörterungen ausschließe, gleichwohl könnten im Einzelfall in Form oder Inhalt deplatzierte Erörterungen eine Befangenheit begründen.188 c) Eigener Standpunkt Angesichts der klaren Regelung und des gesetzgeberischen Willens erscheint es zunächst nicht vertretbar, Erörterungen nach § 202a StPO per se als Grund für die Besorgnis der Befangenheit des Richters anzunehmen. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass derartige Erörterungen immer in einem Spannungsverhältnis zu § 24 StPO stehen. Das wird für vergleichbare Gespräche in der Hauptverhandlung nach § 257b StPO teils gesehen.189 Gespräche im Zwischenverfahren nach § 202a StPO sind allerdings erheblich problematischer. Es muss hier hinterfragt werden, ob die Vorschrift nicht strukturelle Befangenheitsproblematiken hervorruft und damit die vorhandene Problematik des Zwischenverfahrens190 abermals steigert. 186

BGH NStZ 2013, 411. Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 688 ff.; Isfen, ZStW 2013, 325 (330 ff.). 188 Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 202a Rn. 6; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 202a Rn. 2; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202a Rn. 18; Kudlich, in: Münchener Kommentar StPO, § 202a Rn. 2; Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 37. 189 Harrendorf/Lagler, StV 2019, 428 (429). 190 Dazu oben 3. Teil. 187

236

5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Bislang führten die Vertreter der Identität von Tat- und Eröffnungsrichter als Argument gegen die Befangenheit des Eröffnungsrichters neben dem normativen Richterbild jedenfalls auch ins Feld, dass im Zwischenverfahren nur eine vorläufige Prüfung anhand der Aktenlage vorgenommen werde, der Richter sich also noch kein endgültiges Urteil gebildet habe. Legte man eine so gekennzeichnete richterliche Vorgehensweise auch im Vorlauf der Erörterungen nach § 202a StPO zugrunde, könnten diese nicht seriös veranstaltet werden. Dann würde das Gericht dem Angeschuldigten gewissermaßen „ins Blaue hinein“ ein Strafmaß nennen, ohne sich zuvor in der gebotenen Tiefe mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt zu haben. Eine solche Arbeitsweise wird man kaum einem Richter unterstellen können; in diesem Fall wäre auch die Besorgnis der Befangenheit sicherlich ohne Weiteres begründet. Näher liegt es freilich, dass im Rahmen der „Vorberatungen“ zur Erörterung nach § 202a StPO eine durchaus intensive richterliche Befassung anhand der vorliegenden Akten stattfindet. Dies ändert indes nichts daran, dass das Eröffnungsgericht seine Überlegungen nur auf unvollständiger Basis anstellen kann, da das Gericht zum einen noch keinen persönlichen Eindruck des Angeschuldigten gewonnen hat und dieser zum anderen unter Umständen noch keinen Einfluss auf den Gang der Ermittlungen nehmen konnte und überdies nicht gewährleistet ist, dass er sich zuvor im Wege des § 201 StPO im Zwischenverfahren äußern konnte. Nach dem Konzept der StPO ist für die Frage der Rechtsfolgen eigentlich der „Inbegriff der Hauptverhandlung“ im Sinne des § 261 StPO maßgebend.191 Fragen der Strafzumessung basieren nach der herrschenden Auffassung ganz maßgeblich auf Wertungen, die auf dem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck beruhen.192 Einzig im Strafbefehlsverfahren, in dem Strafen ohne Hauptverhandlung ausgesprochen werden können, ist das Gericht in seiner Strafgewalt erheblich eingeschränkt und darf maximal eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe von einem Jahr verhängen, sofern der Angeschuldigte verteidigt wird. Ein Gericht, das bereits vor der Prüfung der Voraussetzungen des Hauptverfahrens dessen Ergebnis prognostizieren kann, steht aber an der Grenze zur Bildung eines Vorurteils im wahrsten Sinne des Wortes.193 Stellt das Gericht gar ein Geständnis in den Raum, obschon sich der Angeschuldigte gegen die erhobenen Vorwürfe verteidigt oder sich noch nicht geäußert hat, schreibt es den ihm vorliegenden Akteninhalt zu einem erstrebten Ergebnis hin fort.194 Jedenfalls dem Angeschuldigten dürfte die Konfrontation mit den nach Auffassung des Gerichts in Betracht kommenden Rechtsfolgen allein auf Basis der Lektüre des Akteninhalts und vor der expliziten Positionierung, ob hinreichender Tatverdacht gegeben ist, auch unter verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme geben, dass das 191 192 193 194

Isfen, ZStW 2013, 325 (332). Siehe nur Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 46 Rn. 4. Kritisch auch Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 38b. Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 690.

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 237

spätere Tatgericht ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Zwar sind Erörterungen nach § 202a StPO ohne Bindungswirkung.195 Dass die Vorschrift dennoch der Befangenheitsproblematik Vorschub leistet, bestätigt ein Blick auf die Theorie der kognitiven Dissonanz, die schon ohne § 202a StPO auf dem Zwischenverfahren lastet.196 Die Phänomene des Inertia-Effekts und des Prinzips der selektiven Informationssuche wurden bereits dargestellt.197 Entscheidend ist danach, dass zum einen solche Informationen, die eine zuvor akzeptierte Hypothese bestätigen, systematisch überschätzt werden und zum anderen, dass es zu einer verstärkten Suche nach hypothesenbestätigenden Informationen kommt. Regt also der Richter Erörterungen an, in denen er die konkreten Rechtsfolgen der Tat in Aussicht stellen oder sonst zum Thema machen will, hat er zuvor bereits eine Hypothese gebildet, die deutlich über das von § 203 StPO Verlangte hinausgeht. Sie zu widerlegen wird – sofern sich der Angeschuldigte dafür entscheidet und die in Aussicht gestellte Strafe gegen ein Geständnis nicht akzeptiert – in der Folge noch schwieriger. Der geschilderte psychische Vorgang wird durch die Rechtslage abermals begünstigt: Fanden Gespräche statt, die ein – vom Gericht in Eigeninitiative angekündigtes – Strafmaß zum Inhalt hatten, ist dies wegen der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO nach der Verlesung des Anklagesatzes der erste öffentliche und zu protokollierende Vorgang zur Sache.198 Diese Mitteilung findet noch statt, bevor das Gericht rechtliches Gehör in der von § 243 Abs. 5 StPO vorgesehenen Weise gewähren kann.199 Die Äußerungen des Angeschuldigten und die gesamte weitere Hauptverhandlung sind dann durch ein gegebenenfalls konkret beziffertes „Strafangebot“ bei Geständnis kontaminiert. Die vermeintliche „Unverbindlichkeit“ der Erörterungen im Zwischenverfahren wird im Ergebnis durch die psychologische Wirkung der Vorgespräche und die Regelung des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO faktisch außer Kraft gesetzt. Gleiches gilt für den Fall, dass der Angeschuldigte oder sein Verteidiger selbst Gespräche nach § 202a StPO anregen und gegebenenfalls eine Geständnisbereitschaft signalisieren. Stellt sich der avisierte Strafrahmen aus ihrer Sicht dann als zu hoch dar, wird es kaum möglich sein, das Gericht von seiner Auffassung abzubringen. Nach alledem muss festgestellt werden, dass die Möglichkeiten, die § 202a StPO bietet, die ohnedies schon befangenheitsfördernde Struktur des Zwischenverfahrens abermals verschärfen. Zwar erlaubt das Gesetz mit der Kodifikation des § 202a StPO solche Erörterungsgegenstände, womit eine Besorgnis der Befangenheit nicht per se 195

BGH StV 2011, 645; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 202a Rn. 2; Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202a Rn. 7; Schlothauer, in: Niemöller/ Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, § 202a Rn. 17. 196 Siehe oben 3. Teil B. II. 2. 197 Siehe oben 3. Teil B. I. 198 Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 687 (692). 199 Salditt, in: Festschrift für Imme Roxin, S. 687 (692).

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

gegeben sein kann. Sie wird im Einzelfall aber sehr schnell erreicht sein, da nicht mehr viele Umstände hinzutreten müssen. Ein Vorgehen wie das oben geschilderte führt richtigerweise zur Besorgnis der Befangenheit. 4. Unterlegene Stellung des Angeschuldigten im Zwischenverfahren Die sich aufdrängende Folgefrage, welche Möglichkeiten dem Beschuldigten zur Verfügung stehen, Erwägungen des Gerichts, die über den hinreichenden Tatverdacht hinausreichen, wirksam zu begegnen, wirft sogleich das nächste sich aus der Implementierung des § 202a StPO ergebende Problem auf. a) Unzureichende Rechte im Zwischenverfahren Insbesondere die Beteiligungsrechte des Angeschuldigten im Eröffnungsverfahren sind nicht auf § 202a StPO abgestimmt. Oben wurde herausgearbeitet, dass das Einwendungs- und Beweisantragsrecht nach § 201 Abs. 1 StPO insoweit eingeschränkt ist, als sich das Gericht – vereinfacht ausgedrückt – nur mit Anträgen auseinandersetzen muss, wenn sie Bedeutung für den hinreichenden Tatverdacht haben, andernfalls kann der Antrag mit geringem Begründungsaufwand abgelehnt werden.200 Die hier als problematisch verstandenen Gespräche, also solche über die Strukturierung des Hauptverfahrens und die Verständigung im Hauptverfahren, haben aber Gegenstände zum Inhalt, welche für den hinreichenden Tatverdacht keinerlei Bedeutung aufweisen. An der seit jeher geltenden Lesart des § 201 StPO hat sich allerdings nichts geändert; eine Abstimmung auf § 202a StPO ist nicht erfolgt. Als Beispiel mag der Fall dienen, wonach ein Antrag des Angeschuldigten zum Vorliegen von Privilegierungstatbeständen oder Aspekten der Strafzumessung im Zwischenverfahren wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt werden kann, weil er für die Entscheidung über den hinreichenden Tatverdacht keine Bedeutung hat. Gleichzeitig soll aber eine Erörterung nach § 202a StPO über die Rechtsfolgen der Tat möglich sein. Zweifelsohne wird die Mehrzahl der Gerichte entlastendes Vorbringen zu solchen Fragen berücksichtigen. Dennoch drängt sich der Verdacht auf, dass das nach hiesiger Auffassung normativ kaum gesteuerte, also im Wesentlichen entformalisierte Zwischenverfahren für Vorgespräche gerne genutzt wird, gerade weil die „Machtbalance“ ungleich austariert ist.201 Das ist problematisch, weil in diesem Verfahrensstadium gerade noch gar kein kontradiktorisch erhobenes Wissen vorliegen muss.202 Denn auch die Rechte des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren sind nicht hinreichend effektiv ausgestaltet, sodass es – wie im oben benannten Beispiel – zu der Situation kommen kann, dass ein Angeschuldigter mit Fragen der 200 201 202

(332).

Dazu oben 4. Teil C. II. 4. Hierzu bereits oben 5. Teil E. III. 2. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar StPO, § 202a Rn. 1; Isfen, ZStW 2013, 325

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 239

Rechtsfolgen der Tat konfrontiert werden kann, ohne zuvor die Möglichkeit gehabt zu haben, von seinem Grundrecht auf Gehör in effektiver Weise Gebrauch zu machen. b) Fehlgeschlagene Vorgespräche Problematisch sind auch sich später erledigende Vorgespräche. Entscheidet sich der Angeschuldigte, etwa um das drohende Hauptverfahren möglichst kurz zu halten, im Rahmen einer Erörterung über eine in der Hauptverhandlung zu vereinbarende Verständigung nach § 257c StPO, deren Bestandteil gemäß § 257c Abs. 2 S. 2 StPO ein Geständnis sein soll, ein solches abzulegen, kann dieses Geständnis bereits im Zwischenverfahren abgelegt, jedenfalls aber angekündigt werden. Auch können im Zuge der Erörterungsgespräche Informationen zur Sprache kommen, die bislang noch unbekannt waren, sodass sich die Frage erhebt, wie der Angeschuldigte geschützt wird, falls er von seinem angekündigten oder gar abgelegten Geständnis und im Zuge dessen dargebotener Informationen wieder abrücken möchte oder das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft eine Verständigung nicht mehr in Betracht zieht. Ein ausdrückliches Beweisverwertungsverbot hat der Gesetzgeber für Erkenntnisse aus Erörterungen nach § 202a StPO nicht vorgesehen. In der Literatur wird die Problemlage nur teilweise gesehen203 und eine analoge Anwendung des Verwertungsverbots aus § 257c Abs. 4 S. 3 StPO204 oder der Rückgriff auf das Fair-trialPrinzip205 empfohlen. Demgegenüber betont der Bundesgerichtshof, der sich mit einem solchen Fall – soweit ersichtlich – noch nicht zu befassen hatte, dass das Verwertungsverbot des § 257c Abs. 4 S. 3 StPO nur in den in Abs. 4 S. 1 und 2 genannten Fällen greife; er dürfte daher eine restriktive Auslegung präferieren und auch keine Analogie befürworten.206 c) Notwendige Verteidigung? Nach alledem könnte daran gedacht werden, dem Angeschuldigten für den Fall von Erörterungen nach § 202a StPO immer einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Grundsätzlich ist dies nach § 140 Abs. 2 StPO möglich, allerdings herrscht bislang keine Einigkeit über die Frage, ob in dieser Konstellation ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist. Nach einer Auffassung sei dies zu bejahen, da die regelmäßig schwere Sach- und Rechtslage dazu führe, dass Erörterungen nach § 202a StPO typischerweise ein Fall notwendiger Verteidigung sei.207 Gespräche 203

Ignor, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StPO, § 202a Rn. 17; Velten, in: Systematischer Kommentar StPO, § 257c Rn. 32, 48 f. 204 So wohl Velten, in: Systematischer Kommentar StPO, § 257c Rn. 48. 205 Ignor, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StPO, § 202a Rn. 17. 206 BGH NJW 2011, 1526 (1527); BeckRS 2011, 6952. 207 OLG Naumburg, NStZ 2014, 116; Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Verständigungsgesetz, § 202a Rn. 18.

240

5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

dürften daher nicht mit einem unverteidigten Angeschuldigten geführt werden. Hierfür spreche insbesondere die Gefahr, dass der Angeschuldigte und auch das Gericht nicht alle (auch außerstrafrechtlichen) Konsequenzen überblicken könnten und der Angeschuldigte sich in der eher ungezwungenen Atmosphäre einer informellen Erörterung leichtfertig zu nachteiligen Äußerungen hinreißen lasse.208 Nach anderer Auffassung begründe die Aufnahme von Verständigungsgesprächen per se keinen Fall notwendiger Verteidigung: Es seien einfach gelagerte Konstellationen vorstellbar, in denen der Angeschuldigte seine Interessen im Zwischenverfahren effektiv selbst wahren könne, sofern das Gericht ihn hierbei in Ausübung seiner Fürsorgepflicht – gleichsam als „ehrlicher Makler“ – unterstütze, etwa indem es Beweislage und Sanktionserwartung stimulierungsneutral erläutere.209 Betrachtet man die vorstehenden Probleme der Durchführung von Erörterungen nach § 202a StPO, so zeigt sich, dass der Angeschuldigte in seinen Teilhaberechten strukturell unterlegen ist und in der gegebenenfalls gelockerten Atmosphäre der informellen Erörterung Äußerungen tätigen könnte, die – wie sich gezeigt hat – nach herrschender Auffassung keinem Verwertungsverbot unterliegen. Auch zur Vermeidung einer gewissen Voreingenommenheit infolge der Erörterung scheint es geboten, immer einen Fall notwendiger Verteidigung anzunehmen, zumal in einfach gelagerten Fällen ohnedies kaum einmal die Notwendigkeit eines Vorgehens nach § 202a StPO bestehen wird, da dann regelmäßig „einfach“, d. h. ohne Erörterung eröffnet werden kann. 5. Fazit und denkbare Lösungsansätze Zusammenfassend zeigt sich somit zum einen, dass die mit § 202a StPO eingeführten Elemente der konsensualen Verfahrenserledigung die Verfahrensstruktur der Strafprozessordnung geradezu umkehren, die Problematik der Voreingenommenheit abermals verschärfen und zu erheblichen Nachteilen zulasten des Angeschuldigten führen können, weil dessen Stellung im Zwischenverfahren nicht auf § 202a StPO abgestimmt wurde. Eine Lösung dieses Problems könnte methodologisch im Wege der Rechtsfortbildung, konkret einer teleologischen Reduktion des § 202a StPO gefunden werden. Ausgangslage der teleologischen Reduktion ist der zu weit gefasste Wortlaut einer Norm, die der Einschränkung bedarf, damit sie dem Regelungszweck entspricht.210 Allerdings ist es gerade Regelungszweck des § 202a StPO, Anbahnungsgespräche für eine Verständigung in der Hauptverhandlung zu führen, sodass eine teleologische Reduktion von vornherein ausscheidet. De lege ferenda könnte erwogen werden, die Problematik abzumildern, indem Erörterungen nach 208

Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Verständigungsgesetz, § 202a Rn. 18. So explizit Schneider, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 202a Rn. 11; gegen eine generelle Beiordnung auch Wenske, in: NStZ 2014, 117; OLG Bamberg, NStZ 2015, 185. 210 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 115. 209

E. Das Zwischenverfahren als Plattform für die konsensuale Verfahrensgestaltung 241

§ 202a StPO nicht mehr auf Initiative des Gerichts, sondern ausschließlich auf Initiative des Angeschuldigten bzw. seines Verteidigers geführt werden sollen.211 Damit könnten die oben genannten negativen Konsequenzen zumindest abgemildert, allerdings nicht in Gänze eliminiert werden. Eine andere Lösungsmöglichkeit könnte in einer Abschaffung des § 202a StPO zu sehen sein. Hierauf wird wiederum im Rahmen der Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlags zurückzukommen sein.212

IV. Reformvorschlag: Übergang in das Strafbefehlsverfahren Ein Reformvorschlag, welcher im Zusammenhang mit der hier erörterten Thematik steht und der zum Ziel hat, das Eröffnungsverfahren im Sinne der Verfahrensökonomie zu effektuieren, zielt auf den „richterlich verfügten Strafbefehl“ im Stadium des Zwischenverfahrens ab. 1. Vorschlag Während bislang nur die Möglichkeit vorgesehen ist, das Strafbefehlsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft – gegebenenfalls auch in der Hauptverhandlung nach § 408a StPO – durchzuführen, soll nach dem Reformvorschlag auch im Zwischenverfahren der Wechsel ins Strafbefehlsverfahren durch den Eröffnungsrichter angeordnet werden können. Halte der Richter nach erhobener Anklage im Zwischenverfahren eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich, könne er nach bislang geltender Rechtslage die Hauptverhandlung entweder dennoch terminieren oder den zuständigen Sachbearbeiter bei der Staatsanwaltschaft kontaktieren, eine Rücknahme der Anklage und den Übergang in das Strafbefehlsverfahren anregen. Eine Lösung dieser aufwändigen Vorgehensweise stelle der neu zu regelnde, richterlich verfügte Übergang in das Strafbefehlsverfahren dar.213 In Verfahren vor dem Amtsrichter oder dem Schöffengericht soll das Gericht danach die Möglichkeit haben, einen Strafbefehl nach §§ 407 ff. StPO zu erlassen, wobei neben dem Angeschuldigten auch der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit des Einspruchs zustehe.214 Dies böte die Möglichkeit, ressourcenschonend zu verfahren und eröffne flexibilisierte Reaktionsmöglichkeiten des Gerichts im Zwischenverfahren.215

211 So neuerdings der Alternativ-Entwurf Abgekürzte Strafverfahren im Rechtsstaat, GA 2019, 1 (78 f.). 212 Siehe unten 5. Teil G. I. 213 Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (320); siehe zuvor schon Ignor/Matt, StV 2002, 102 (107). 214 Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (321). 215 Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (325).

242

5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

2. Stellungnahme Bereits im vierten Teil der Untersuchung wurde dargestellt, dass der Übergang in das Strafbefehlsverfahren im Stadium des Eröffnungsverfahrens vorkommt und – unter Berücksichtigung der Zahlen zur Anklagerücknahme – wahrscheinlich kein seltenes Phänomen ist.216 Gleichwohl ist das dazu erforderliche Prozedere nach dem geltenden Recht aufwändig, weil der Richter zunächst eine Rücknahme bei der Staatsanwaltschaft anregen muss, diese sodann den Strafbefehl zu fassen hat und sich wiederum an das Gericht wenden muss. Der Reformvorschlag verspricht insoweit eine Vereinfachung. Da das inhaltliche Prüfprogramm im Zwischenverfahren und im Strafbefehlsverfahren weitgehend identisch ist – beide fordern hinreichenden Tatverdacht217 – und der Richter darüber hinaus nur noch zu klären hat, ob eine Hauptverhandlung erforderlich ist, passt sich dieser Reformvorschlag in die geltenden Strukturen des Zwischenverfahrens stimmig ein.218 Auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive sind hier keine Bedenken anzumelden, da durch diese erweiterte Handlungsmöglichkeit eine zusätzliche Option besteht, die eingriffsintensive Hauptverhandlung zu vermeiden und in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angepassten Weise zu reagieren. Problematisch könnte es indes erscheinen, dass infolge der de lege lata geltenden Personenidentität von Tat- und Eröffnungsrichter die Tendenz dahin gehen könnte, sehr häufig einen Strafbefehl zu erlassen, um möglichst viele Verfahren „vom Tisch zu bekommen“, allerdings soll die Möglichkeit des staatsanwaltschaftlichen Einspruchs gegen den Strafbefehl gegeben sein, sodass einer nicht sachgerechten Handhabung durch Gerichte adäquat begegnet werden kann. Auch die Filterfunktion des Zwischenverfahrens würde auf diesem Wege erheblich verbessert. Alles in allem scheint dieser Vorschlag daher überzeugend und soll daher auch bei der Entwicklung eines eigenen Ansatzes Eingang finden.

V. Ergebnis Es ist nach alledem festzuhalten, dass das Zwischenverfahren zuweilen eine andere als seine ursprünglich bezweckte Filterfunktion annimmt: Zum einen ist die hier so genannte „erweiterte“ Filterfunktion zu nennen, der sich gesetzlich vorgesehene Gestaltungsmöglichkeiten zuordnen lassen, das Verfahren noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens zu beenden, wie etwa §§ 153 ff. StPO. Zudem besteht de lege lata die Möglichkeit, den Ablauf und gegebenenfalls auch das Ergebnis der Hauptverhandlung einvernehmlich vorzubereiten, sodass nicht mehr nur über das 216

Siehe oben 4. Teil B. III. 1. So die h. M., BVerfG NJW 1988, 1314; OLG Karlsruhe, NJW 1977, 62 (63); Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 7; a. A. Rieß, JR 1988, 133 (134). 218 In der Literatur wird das Strafbefehlsverfahren bisweilen gar mit dem Prozedere der § 199 ff. StPO verglichen, so Weßlau, in: Systematischer Kommentar StPO, Vor §§ 407 Rn. 12. 217

F. Das Zwischenverfahren zur abschließenden Klärung von Vorfragen

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„Ob“ der weiteren Verfahrensdurchführung, sondern bereits über das „Wie“ entschieden werden kann. Das Zwischenverfahren in seiner kaum formalisierten Struktur ist allerdings nicht geeignet, Erörterungen mit dem Ziel der konsensualen Erledigung des Hauptverfahrens durchzuführen. Als weniger problematisch sind solche Formen der Erörterung zu sehen, die auf eine Verfahrensbeendigung im Zwischenverfahren gerichtet sind und für die „nur“ ein hinreichender Tatverdacht erforderlich ist, also insbesondere § 153a StPO und das Strafbefehlsverfahren. Diese können eine sinnvolle Erweiterung der Filterfunktion darstellen, weswegen der Reformansatz, dem Eröffnungsrichter die Möglichkeit des Übergangs in das Strafbefehlsverfahren zwecks Vermeidung einer Hauptverhandlung unter den in § 407 StPO benannten Voraussetzungen einzuräumen, ebenfalls befürwortet wird.

F. Das Zwischenverfahren zur abschließenden Klärung von Vorfragen mit dem Ziel einer Entlastung der Hauptverhandlung? Gelegentlich finden sich Reformvorschläge, welche die Bedeutung des Zwischenverfahrens aufzuwerten versuchen, indem bestimmte (Vor-)Fragen des Hauptverfahrens abschließend – mit der Folge von Präklusions- und Bindungswirkung – abgehandelt werden sollen. Zu nennen sind zwei Ansätze: Zum einen ein erstmals 1985 präsentierter219 und auf dem 60. Deutschen Juristentag unter bestimmten Erweiterungen vorgetragener Vorschlag von Gössel,220 zum anderen ein in der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Jahr 2014 von Wenske präsentiertes Konzept221.

I. Das Konzept von Gössel: Abschließende Entscheidung über die erforderlichen Beweismittel im Zwischenverfahren 1. Vorschlag Das Modell von Gössel222 lässt sich am besten als „Zwischenstreitverfahren“ über die im Hauptverfahren erforderlichen Beweismittel charakterisieren. Erklärtes Ziel 219

Gössel, in: Festschrift für Kleinknecht, S. 140 ff. Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, C 61 ff. 221 Wenske, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband I – Gutachten, S. 302 ff. 222 Zum Folgenden Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, C 61 ff.; ders., in: Festschrift für Kleinknecht, S. 140 ff. 220

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

ist es, Unwägbarkeiten des Hauptverfahrens zu minimieren. Diese Unwägbarkeiten resultieren nach seiner Ansicht aus der Unsicherheit über die Verwertbarkeit und Erreichbarkeit bestimmter Beweismittel. Daher sollen die in der Hauptverhandlung zu verwertenden und verwertbaren Beweismittel bereits im Zwischenverfahren abschließend festgelegt werden. Das Gericht müsse nach dem Vorschlag eine „Beweismittelprüfung“ vornehmen, die sich auf die Vollständigkeit der Beweismittel, auf die zulässige und notwendige Benutzung der Beweisträger und die Verwertung der Beweisinhalte im Rahmen der §§ 244 f. StPO erstrecke. Das Ergebnis dieser Prüfung sei sodann der Staatsanwaltschaft und Verteidigung bzw. dem Angeschuldigten mitzuteilen, damit bekannt sei, welche Beweismittel das Gericht im Hauptverfahren zu erheben gedenke. Den Verfahrensbeteiligten soll sodann innerhalb einer Frist rechtliches Gehör gewährt werden. Nach Eingang der Stellungnahmen oder dem Verstreichen der Frist sei der Eröffnungsbeschluss zu fassen, der eine Beweismittelliste und gegebenenfalls eine begründete Angabe, warum das Gericht bestimmte – von Staatsanwaltschaft oder Verteidigung beantragte – Beweismittel nicht für zulässig oder notwendig erachte, enthalte. Der Eröffnungsbeschluss soll auch für den Angeschuldigten anfechtbar sein, allerdings nur hinsichtlich der – abschließend entschiedenen – Beweismittelfragen. Rechtsmittelinstanz sei hierbei das Revisionsgericht. Folge dessen sei es auch, dass die dann entschiedene Frage nicht mehr zum Gegenstand der Revision gemacht werden könne. Im Hauptverfahren könnten neue Beweismittel nur noch eingeführt werden, wenn sie entweder präsent seien oder neu bekannt würden. Unter neuen Beweismitteln versteht Gössel hierbei solche, die sich dem Gericht im Eröffnungsverfahren nicht aufdrängen mussten und die weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Angeklagten oder seinem Verteidiger vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses benannt wurden. Alle Beweismittel, die wegen Verspätung oder Unerreichbarkeit abgelehnt werden mussten, könnten im Wiederaufnahmeverfahren geltend gemacht werden, welches um einen entsprechenden Wiederaufnahmegrund erweitert werden müsse. Dass sich ein solches Modell, welches die bindende Entscheidung bestimmter Fragen schon vor dem Hauptverfahren ermöglicht, in die geltende Dogmatik und Struktur des Strafverfahrensrechts einfüge, entnimmt Gössel unter anderem der in der StPO vorgesehenen Möglichkeit, über die örtliche Zuständigkeit nach § 13a StPO abschließend zu bestimmen, dem Verfahren des Verteidigerausschlusses gemäß §§ 138c ff. StPO oder der vorherigen Nachprüfbarkeit einer Sperrerklärung eines VMannes gemäß den §§ 23 ff. EGGVG. Auch § 16 StPO, der die Rüge der örtlichen Zuständigkeit nur bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache zulässt, lasse sich entnehmen, dass die Rügemöglichkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt ausgeschlossen werden könne. 2. Stellungnahme Der Ansatz scheint auf den ersten Blick innovativ und würde eine Aufwertung des Zwischenverfahrens ohne Zweifel bewirken, da dessen Bedeutung im Gesamt-

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strafverfahren erheblich gesteigert würde. Auch wäre gewährleistet, dass das Gericht sich im Zwischenverfahren mit der Sache auseinandersetzt und „blinde“ Eröffnungen schon deshalb nicht mehr vorkämen, weil das Gericht andernfalls Gefahr liefe, zentrale Beweismittel im Hauptverfahren nicht mehr zur Verfügung zu haben. Die Staatsanwaltschaft hätte die maßgeblichen Beweismittel mit Sorgfalt zu benennen und die Verteidigung wäre zu einer Befassung im Zwischenverfahren gezwungen, um sich äußern zu können. Auf dieser Basis könnte das Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen des Hauptverfahrens prüfen, Beweisanträgen nachgehen und die Hauptverhandlung vorbereiten. Insoweit könnte der Vorschlag womöglich dem Vorwurf der Ineffizienz des Zwischenverfahrens abhelfen.223 Gleichwohl handelt es sich bei dem Modell Gössels um ein sehr weitgehendes, sodass nicht all seine Konsequenzen absehbar sind. Zu bedenken sind insbesondere Aspekte, die nicht unmittelbar das Zwischenverfahren betreffen, sondern grundlegende Fragen verfahrensstruktureller und verfassungsrechtlicher Natur. a) Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz? Aufgeworfen ist zuvörderst die Frage der Vereinbarkeit dieses Modells mit dem Amtsermittlungsgrundsatz. Dieser – nach der Grundentscheidung der StPO in Deutschland geltende – Grundsatz besagt, dass das Gericht den maßgeblichen Sachverhalt, die materielle Wahrheit, selbst ermittelt und dabei an Anträge und Erklärungen der Parteien nicht gebunden ist.224 In der StPO findet der Amtsermittlungsgrundsatz insbesondere in § 155 Abs. 2 und § 244 Abs. 2 seine gesetzliche Ausformung. Aus ihm folgt, dass das Gericht nicht auf Beweisanträge beschränkt ist, sondern von Amts wegen andere, weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Verteidigung verlangte Beweismittel beiziehen kann und dies gegebenenfalls auch muss.225 „Gegenmodell“ des Amtsermittlungsverfahrens, das auch als inquisitorisches Verfahren bezeichnet wird, ist das adversatorische Verfahren, welches im angelsächsischen Sprachraum vorherrscht.226 Während sich ersteres dadurch auszeichnet, dass die einem Urteil zugrunde liegende Beweisaufnahme vom erkennenden Gericht selbst in Wahrnehmung einer umfassenden Aufklärungspflicht durchgeführt wird, ist für letzteres kennzeichnend, dass die Beweisaufnahme in den Händen von Ankläger und Verteidiger liegt, die jeweils ihre Version des streitigen Geschehens durch Präsentation eigener Beweise und durch Erschütterung gegnerischer Beweise zu belegen haben.227 Der Vorschlag, dem Beschuldigten – präklusi223

In diesem Sinne Perron, JZ 1994, 823 (825 f.). Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 3; Kühne, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Einl. Abschn. I Rn. 30. 225 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 15 Rn. 5. 226 Trüg, Lösungskonvergenzen trotz Systemdivergenzen im deutschen und US-amerikanischen Strafverfahren, S. 25. 227 Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 124; vgl. auch Damaska, ZStW 1975, 713 (714 ff.). 224

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

onsbewehrt – aufzuerlegen, sämtliche Beweismittel noch vor der Hauptverhandlung zu benennen, bedeutete zumindest eine starke Annäherung an das adversatorische Modell. Zwar wäre eine solche Ausgestaltung verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich, weil das Grundgesetz sich nicht auf eine spezifische Verfahrensstruktur festlegt.228 Allerdings setzt eine Änderung in Richtung des adversatorischen Systems insbesondere eine Aufwertung der Position der Verteidigung und eine Umgestaltung des Ermittlungsverfahrens voraus, damit der Angeschuldigte seiner gesteigerten Verantwortung gerecht werden kann.229 Solcherlei Aspekten im Detail nachzugehen, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Überdies erscheint eine Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz in Deutschland ohnehin schwerlich vorstellbar, insbesondere, weil sowohl das inquisitorische als auch das adversatorische Modell in ihren jeweiligen Gebieten historisch tief verwurzelt sind und Zweifel am jeweiligen System meist kaum gehegt werden.230 Auch Gössel will sich nicht von der Grundentscheidung für das Amtsermittlungsverfahren abwenden.231 Diese Prämisse soll auch der Untersuchung im Folgenden zugrunde gelegt werden, sodass zu klären ist, ob das Modell Gössels entgegen seiner Bekundungen nicht doch gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstößt. Behält man die Grundentscheidung für das Amtsermittlungsverfahren bei, gilt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Gerichte materiell richtige Sachentscheidungen zu treffen haben und daher von sich aus den wahren Sachverhalt ermitteln müssen.232 Das Bundesverfassungsgericht und ihm folgend Teile der Literatur entnehmen dem Grundgesetz gar ein Gebot bestmöglicher Sachaufklärung.233 Mit einem solchen Gebot sowie seiner einfachrechtlichen Konkretisierung in § 244 Abs. 2 StPO wäre es indes nur schwerlich zu vereinbaren, wenn das Gericht einen Beweisantrag, der verspätet gestellt wurde, zurückweisen und damit sehenden Auges eine materiell falsche

228 Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 496 f.; S. 84 ff.; Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung, S. 52. 229 Dazu ausführlich Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 496 f.; S. 84 ff.; zur Rolle der Verteidigung im adversatorischen Modell und ihrer Bedeutung als Fehlerquelle im Strafprozess Schuster, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Vor § 359 Rn. 12; Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung, S. 52; siehe auch BVerfGE 57, 250 (275 f.). 230 Vgl. Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 124. 231 Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, C 67 ff. Nach seiner Ansicht soll die Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts auf „entscheidungserhebliche Tatsachen“ und erreichbare Beweismittel beschränkt werden, die nach seiner Definition solche sind, die „innerhalb der insoweit auf 30 Tage zu verlängernden Unterbrechungsfrist in die Hauptverhandlung eingeführt werden können“. 232 BVerfGE 57, 250 (275 ff.). 233 BVerfGE 70, 297 (309); 133, 168 (225); BVerfG BeckRS 2010, 54621; Möstl, Handbuch des Staatsrechts der BRD, Band VIII, § 179 Rn. 38; Stuckenberg, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 257c Rn. 6; Brodowski, ZStW 2012, 733 (774).

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Entscheidung treffen müsste.234 Dergleichen wäre aber bei dem von Gössel vorgeschlagenen Modell möglich. Insofern lässt sich der Ansatz nicht mit dem geltenden Amtsermittlungsgrundsatz vereinbaren. b) Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz? Überdies könnte das vorgeschlagene Modell gegen den verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen. So hat bereits Perron darauf hingewiesen, dass der Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit durch frühzeitige Offenlegungspflichten insbesondere deshalb betroffen sein kann, weil der Beschuldigte dann unter Umständen dazu gezwungen wäre, möglicherweise auch belastende Beweise an die Staatsanwaltschaft auszuliefern, ohne sich zuvor anhand des Verlaufs der Hauptverhandlung ein klares Bild über die Notwendigkeit, dieses Risiko einzugehen, machen zu können. Der Beschuldigte stehe faktisch vor der Alternative, entweder auf potentielle Entlastungsbeweise von vornherein zu verzichten oder auf unkalkulierbare Weise zur eigenen Verurteilung beizutragen und sei daher einer Drucksituation ausgesetzt, die den Schutzbereich der Selbstbelastungsfreiheit zumindest tangiere.235 Problematisch erscheint nach hier vertretener Auffassung zudem die in dem Modell angelegte Präklusion. Nach dem Vorschlag muss nämlich ein erst in der Hauptverhandlung gestellter (entlastender) Beweisantrag zurückgewiesen werden, wenn das entsprechende Beweismittel bereits im Zwischenverfahren von dem Gericht hätte gesehen werden können und in der Hauptverhandlung vom Angeklagten oder der Verteidigung nicht präsentgestellt werden kann. Was wäre, wenn der Angeschuldigte im Zwischenverfahren von seinem Schweigerecht Gebrauch machen wollte, sich aber in der Hauptverhandlung anders entscheidet? Der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, mithin ein umfassendes Schweigerecht besteht, ist im Rechtsstaatsprinzip verankert.236 Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens. Dazu gehört, dass niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen.237 Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt.238 Deshalb dürfen weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der 234 Ebenso Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 495 f. 235 Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß, S. 88 f., der darauf hinweist, dass die Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit durch frühzeitige Offenlegungspflichten in den USA intensiv diskutiert werde. 236 BVerfGE 38, 105 (113 f.); 55, 144 (150 f.); 56, 37 (43); 110, 1 (31); 133, 168 (201). 237 BVerfGE 56, 37 (49); 109, 279 (324); 133, 168 (201). 238 BVerfGE 38, 105 (113); 56, 37 (43); 133, 168 (201).

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Angeklagte erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden.239 Genau diesen Effekt würde der Vorschlag allerdings bewirken: Macht der Beschuldigte in Ermittlungs- und Zwischenverfahren von seinem Schweigerecht Gebrauch, lässt sich mithin nicht zur Sache ein und stellt daher auch keinen – mit einer Einlassung gegebenenfalls denknotwendig verbundenen – Beweisantrag,240 wäre zwar die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung wohl auch nach Gössel zulässig, der Beweisantrag müsste aber jedenfalls dann abgelehnt werden, wenn sich diese mögliche Verteidigungsstrategie bereits zuvor aus den Akten ergeben hat, mithin nicht mehr neu ist und der Angeklagte das Beweismittel in der Hauptverhandlung nicht präsentstellen kann. Das Gericht wäre dann gesetzlich gezwungen, wegen der „verspäteten“ Einlassung des Beschuldigten für ihn nachteilige Schlüsse zu ziehen. Faktisch wird ihm damit zu seinem Nachteil angelastet, dass er zuvor von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Der Bundesgerichtshof sieht bereits einen Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz, wenn das Tatgericht im Rahmen der Beweiswürdigung einer (Alibi-)Zeugenaussage diese mit der Begründung für unglaubwürdig erachtet, dass der entsprechende Beweisantrag des Verteidigers erst in der Hauptverhandlung gestellt wurde, obschon dies bereits deutlich früher möglich war, der Angeklagte aber geschwiegen hat.241 Erst recht muss dann ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit angenommen werden, wenn das Gericht verspätet gestellte Beweisanträge überhaupt nicht mehr berücksichtigt. c) Weitere Einwände Auch im Übrigen ist das Modell in der Literatur auf Ablehnung gestoßen. So wird eingewandt, es dürfe nicht verkannt werden, dass eine solche Ausgestaltung mit erheblichem Mehraufwand für alle Verfahrensbeteiligten verbunden wäre, für einen unverteidigten Angeschuldigten kaum zu bewerkstelligen sei und ihm überdies faktisch das Risiko unvollständiger Sachverhaltsaufklärung aufgebürdet würde, da er für die Präsenz des Beweismittels zu sorgen hätte, falls er in der Hauptverhandlung einen neuen Beweisantrag stellen wollte.242 Befürchtet wird insbesondere eine Aufblähung des Zwischenverfahrens mit Anträgen durch die Verteidigung, weil es oftmals unklar sei, welche Beweismittel gebraucht würden und die drohende Präklusion vermieden werden müsse. Damit würden auch Hauptverhandlungen, die ansonsten zügig abgehandelt werden könnten, unnötig in die Länge gezogen, weil die Verteidigung auf die Erhebung der Beweise bestehen würde, die sie im Zwischen-

239 BGHSt 32, 140 (144); 38, 302 (305); NJW 2000, 1426; NStZ 2000, 494 (495); NStZ 2016, 59 (60), mit Anm. Miebach. 240 Zwar ist ein Beweisantrag des Beschuldigten selbst nicht stets als Sacheinlassung zu betrachten, allerdings werden einige Sacheinlassungen zwingend mit einem Beweisantrag verbunden werden müssen. 241 BGH NStZ 2016, 59 (60), mit Anm. Miebach. 242 Heghmanns, Das Zwischenverfahren im Strafprozeß, S. 117.

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verfahren gestellt habe.243 Ferner vernachlässige die Präklusionslösung das Wesen der Hauptverhandlung als eines sich lebendig entwickelnden Prozessgeschehens, das sich der exakten Vorausplanung notwendigerweise entziehen müsse.244 Kritikwürdig sei überdies die massive Einschränkung des Beweisantragsrechts.245 Zudem wird moniert, dass der Vorschlag eine viel zu weitgehende Einschränkung der Verteidigungsrechte bedeute und auch deshalb realitätsfern sei, weil die Verteidigung in vielen Fällen gar nicht wissen könne, zu welchem Ergebnis eine beantragte Beweiserhebung führe. Sie habe daher ein ganz erhebliches Interesse daran, die Stellung von Beweisanträgen von den Ergebnissen der Beweisaufnahme abhängig zu machen.246 Dies ist aber mit der Lösung Gössels nicht möglich. Obschon die vorstehenden Argumente bereits für sich überzeugen, kann dem Reformvorschlag mit den Ergebnissen dieser Untersuchung entgegengehalten werden, dass er zwar zu einer Bedeutungssteigerung des Eröffnungsverfahrens führen dürfte, allerdings höchst fraglich bliebe, ob die Filterfunktion hierdurch aufgewertet würde. Da sich die Hauptfunktion des hier vorgeschlagenen Zwischenverfahrens in praxi notgedrungen auf die Frage der Beweismittel fokussieren würde, wäre es wiederum nicht gewährleistet, dass eine intensive Prüfung des hinreichenden Tatverdachts, die ja gerade mehr beinhaltet als die Frage der notwendigen Beweismittel, stattfindet. Vielmehr noch würde ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in das Zwischenverfahren vorgelagert und damit auch der Grundrechtseingriff in Teilen „vorgezogen“, ohne, dass zuvor eine Prüfung des hinreichenden Tatverdachts stattfinden würde. Im Ergebnis ist der Vorschlag, der zu erheblichen Friktionen mit dem Amtsermittlungsgrundsatz und der Selbstbelastungsfreiheit führt sowie auch im Übrigen Nachteile mit sich bringt, abzulehnen.

II. Das Konzept von Wenske: Einwendungsobliegenheit für Verfahrensfragen im Zwischenverfahren 1. Vorschlag Ein neuerer Vorschlag,247 der im Rahmen der im Vorlauf zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens eingesetzten Expertenkommission diskutiert wurde, ist der von Wenske entwickelte Ansatz, dem 243

Perron, JZ 1994, 823 (826). Widmaier, NStZ 1994, 414 (417). 245 So Widmaier, NStZ 1994, 414 (417), der – überspitzt – eher eine Streichung der §§ 244 Abs. 3 – 5 StPO empfiehlt, als dem Ansatz Gössels zu folgen. 246 Frister, StV 1994, 445 (447 f.). 247 Zum Folgenden Wenske, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband I – Gutachten, S. 302 ff. 244

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Angeschuldigten im Zwischenverfahren eine Einwendungsobliegenheit aufzuerlegen. Grundlage dieses Vorschlags war die Beobachtung, dass die Hauptverhandlung oftmals mit Verfahrensfragen belastet werde, die nicht zwingend zu ihrem Gegenstand gehören müssten, wie beispielsweise Einwendungen der Verfahrensbeteiligten, die sich auf etwaige Verfahrenshindernisse oder Verfahrensfehler bezögen. Solche erst im Hauptverfahren zur Sprache gebrachten, im Zwischenverfahren aber bereits erkennbaren Einwendungen ließen die Filterfunktion des Zwischenverfahrens leerlaufen. Das geltende Recht biete in Gestalt von § 201 StPO bereits den rechtlichen Rahmen dafür, Einwendungen frühzeitig vorzubringen. Hieran anknüpfend sei eine gesetzliche Einwendungsobliegenheit zu statuieren. Gegenstand solcher Einwendungen sollen nur Verfahrensfragen sein, deren tatsächliche Grundlage dem Angeschuldigten bereits im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung bekannt oder aber im Zwischenverfahren anhand der Ermittlungsakte erkennbar gewesen sei. Der Einwendungsobliegenheit sollen danach drei Fallgruppen unterliegen: - Erste Fallgruppe: Verfahrensvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse (wirksame Anklageschrift, wirksamer Eröffnungsbeschluss) - Zweite Fallgruppe: Beanstandungen staatsanwaltschaftlicher oder gerichtlicher Sachbehandlung (unzureichend gewährte Akteneinsicht, unvollständig durch die Staatsanwaltschaft übermittelte Akten) - Dritte Fallgruppe: Fragen der Beweisverwertung im Hauptverfahren. Da diese Verfahrensfragen allesamt dem Freibeweis unterlägen, könnten sie auch außerhalb der Hauptverhandlung geklärt und strukturell dem Zwischenverfahren überantwortet werden. Die Einwendungsobliegenheit solle dabei inhaltlich auf die in der Anklageschrift aufgeführte Beweismittelliste beschränkt bleiben und bei erstinstanzlichen Verfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten stets greifen. Dem Strafrichter und dem Schöffengericht solle die Möglichkeit eines solchen Prozedierens nach pflichtgemäßem Ermessen eingeräumt werden. Die vom Angeschuldigten oder seinem Verteidiger zu erhebende Einwendung müsse schriftlich erfolgen und eine eindeutige, bescheidungsfähige Angriffsrichtung erkennen lassen; die Einwendung solle im Beschlusswege mit der Eröffnungsentscheidung zu verbescheiden sein, wobei das Entscheidungsverfahren schriftlich oder mündlich erfolgen könne. Um sicherzustellen, dass die Hauptverhandlung nicht mit denselben Fragen erneut belastet werde und so eine Effektivierung zu erzielen, böten sich zwei denkbare Rechtsfolgen an: Zum einen wäre es möglich, das Tatgericht an die Entscheidung des Eröffnungsgerichts zu binden. Konsequenz dessen wäre es auch, dass eine unterbliebene Einwendung nur noch dann in der Hauptverhandlung angebracht werden könnte, wenn diese auf neuen Verfahrenstatsachen beruhten. Eine Grenze der Bindungswirkung sei in dem offensichtlichen Verstoß gegen Grundrechte zu sehen. Ein zweiter gangbarer Weg sei es, sämtliche Verfahrensfragen, die bereits Gegenstand von Einwendungen im Zwischenverfahren waren oder dort bereits erkennbar angelegt waren und deshalb hätten erkennbar sein können, dem schriftlichen Ver-

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fahren – nach pflichtgemäßem Ermessen des Vorsitzenden – gemäß § 257a StPO zu überantworten; § 257a StPO sei dann um die Fallgruppe der Einwendungsobliegenheit des § 201 Abs. 1 S. 1 StPO zu ergänzen. Mit einer so ausgestalteten Aktivierung des Zwischenverfahrens verspricht sich Wenske insbesondere eine Entlastung der Hauptverhandlung und eine Aufwertung des Zwischenverfahrens durch frühzeitige Einbeziehung der Verteidigung. 2. Stellungnahme Der von Wenske ausgearbeitete Reformvorschlag könnte in der Tat zu einer Aufwertung des Eröffnungsverfahrens beitragen. Als positiv ist – gerade angesichts der Erkenntnisse der hiesigen Untersuchung – zu bewerten, dass Fragen, die bereits im Zwischenverfahren abschließend abgehandelt werden könnten, nach dem Vorschlag auch einer solchen Klärung zugeführt werden sollen. Im vierten Teil der Untersuchung wurde eine Schwäche der geltenden Regelung und daher eine Aufwertungsoption gerade darin gesehen, dass in praxi namentlich Fragen der Beweisverwertung nicht endgültig geklärt werden.248 Obschon dies bei der Verdachtsbeurteilung bereits möglich wäre, bleiben solche Fragen sehr häufig der Hauptverhandlung überlassen, in der es dann nicht selten zu ausführlichen Diskussionen kommt, die bereits im Zwischenverfahren hätten erfolgen können und den Umfang der Hauptverhandlung erheblich reduzieren würden. Der vorstehend referierte Reformvorschlag könnte diesem Mangel insofern abhelfen, als er es ermöglichte, dass Fragen der Beweisverwertung weitestgehend im Zwischenverfahren entschieden werden und die Hauptverhandlung dadurch gestrafft würde. Dabei ist ferner positiv hervorzuheben, dass der Vorschlag sich in den strukturellen Grenzen des Zwischenverfahrens hält und nur eine Prüfung solcher Fragen forciert, die ohnehin bereits Gegenstand des Zwischenverfahrens sind. Zu einer thematischen Erweiterung der Prüfungsgegenstände käme es also nicht. Eine Ausweitung der – nach hiesiger Ansicht als eher schädlich einzustufenden – Verständigungsanbahnung oder eine Erweiterung der Prüfung auf alle erkennbaren Beweismittel, wie es der Ansatz von Gössel vorsieht, sind gerade nicht beabsichtigt. Auch ist es durch die frühzeitige Einbeziehung der Verteidigung, die wegen drohender Präklusion zu einer Tätigkeit gezwungen wäre, wahrscheinlich, dass sie sich auch in anderen – nicht unmittelbar die Einwendungsobliegenheit betreffenden – Fragen einbringt und so etwa Aufklärungsfehler im Ermittlungsverfahren zur Sprache bringt, die dem Gericht so nicht aufgefallen wären. Da das Gericht nach diesem Vorschlag im Zwischenverfahren bereits weichenstellende Entscheidungen abschließend treffen kann, wäre ferner der richterliche Entscheidungsprozess stärker normativ konturiert und etwaigen BlindEröffnungen wäre zumindest im Ansatz vorgebeugt. Allerdings muss insbesondere die von Wenske favorisierte Präklusionslösung kritisch geprüft werden. Er hält die Präklusion deshalb für zwingend erforderlich, 248

Siehe oben 4. Teil C. I. 5.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

weil er befürchtet, dass andernfalls eine Entlastung der Hauptverhandlung nicht gelingen könne. Es müsse sichergestellt sein, dass die verbeschiedenen Einwendungen nicht abermals in der Hauptverhandlung erörtert oder gar aufgeklärt werden müssten.249 Zunächst ist hierzu anzumerken, dass eine Aufwertung des Zwischenverfahrens nicht zwingend mit einer Entlastung des Hauptverfahrens einhergehen muss. Letzteres kann zwar – gar erwünschte – Folge von Änderungen am Zwischenverfahren sein, allerdings muss hier immer berücksichtigt werden, dass das Zwischenverfahren womöglich strukturell nicht in der Lage ist, dem Angeschuldigten hinreichenden Schutz zu gewährleisten. Dies wurde anlässlich des § 202a StPO exemplifiziert.250 Das Bemühen um die Präklusionslösung scheint auch von der Vorstellung getragen zu sein, dass die Verteidigung andernfalls das Hauptverfahren mit redundantem Vortrag zu einer eigentlich schon entschiedenen Frage verzögert, was in dieser Pauschalität nicht zutreffen dürfte. Der Reformvorschlag von Wenske wirft überdies – ebenso wie der Vorschlag von Gössel – Probleme auf, die die Grundstruktur des Strafverfahrens berühren. a) Abkehr vom Amtsermittlungsgrundsatz? Erneut stellt sich vornehmlich die Frage der Vereinbarkeit des Reformvorschlags mit dem deutschen Modell des Amtsermittlungsverfahrens. Weil das Gericht den maßgeblichen Sachverhalt selbst ermittelt und dabei an Anträge und Erklärungen der Parteien nicht gebunden ist, gilt es selbstredend auch für diejenigen Verfahrensfragen, die Wenske zum Gegenstand einer Einwendungsobliegenheit machen möchte. Sofern man dessen Präklusionslösung folgen will, ist also der Amtsermittlungsgrundsatz zumindest betroffen, weil beispielsweise bei verspäteter Geltendmachung eines Verwertungsverbots das an sich unverwertbare Beweismittel im Hauptverfahren dennoch verwertet werden muss und das Gericht angesichts der mit der Präklusion einhergehenden Suspendierung der Amtsermittlungspflicht keine Möglichkeit mehr hat, hiervon abzuweichen. Gleiches würde auch für den umgekehrten Fall gelten, in dem Beweismittel nicht mehr verwertet werden dürfen, weil das Gericht zuvor irrig vom Bestehen eines Verwertungsverbotes ausging. Die Abwälzung der nach dem inquisitorischen Modell eigentlich dem Gericht obliegenden Pflichten auf den Angeschuldigten oder die Verteidigung bedeutet im Ergebnis eine starke Annäherung an den Parteiprozess, wie er beispielsweise in der ZPO vorzufinden ist, in deren § 295 Abs. 1 normiert wird, dass die Verletzung einer Verfahrensvorschrift nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn die Partei weiterverhandelt, ohne den Fehler zu rügen, obgleich er ihr bekannt war oder bekannt sein musste. Der Reformvorschlag möchte also den Grundgedanken dieser Vorschrift auf den Strafprozess übertragen. Nun ist die Übernahme adversatorischer Elemente 249

Wenske, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband I – Gutachten, S. 302 (330). 250 Siehe dazu oben 5. Teil E. III.

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in den deutschen – inquisitorischen – Strafprozess kein gänzliches Novum.251 Seit dem Jahr 1992 vertritt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die so genannte Widerspruchslösung.252 Nach der grundlegenden Entscheidung des fünften Strafsenats hat eine unterlassene Beschuldigtenbelehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO ein Verwertungsverbot nur dann zur Folge, wenn die Verteidigung des Angeklagten der Verwertung in der Hauptverhandlung rechtzeitig – das heißt bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt (Ende der Beweiserhebung) – widerspricht.253 Ist der Angeklagte unverteidigt, besteht nach der Rechtsprechung die Pflicht des Tatgerichts, den Angeklagten über das mögliche Bestehen eines Beweisverwertungsverbots aufzuklären und ihn nach seiner Zustimmung zu fragen.254 Unterbleibt der Widerspruch, wird der Angeklagte mit Einwendungen gegen die Beweiserhebung nicht mehr gehört, der Widerspruch ist präkludiert und scheidet dann auch im Rahmen der Berufung oder Revision aus.255 Inzwischen verlangt der Bundesgerichtshof unter Ausdehnung der Widerspruchslösung bei einer zunehmenden Zahl von Beweisverwertungsverboten, dass der Beschuldigte der Verwertung explizit widersprechen muss.256 Der hier zu untersuchende Reformvorschlag scheint diese Tendenz in Gesetzesform gießen und hierbei den maßgeblichen Präklusionszeitpunkt noch erheblich vorverlagern zu wollen. Schon im Rahmen der Diskussion um die – gegenüber dem Ansatz von Wenske erheblich abgemilderte – Widerspruchslösung wird kritisiert, dass mit ihr die traditionelle Pflicht zur Objektivität und Amtsermittlung partiell aufgegeben werde und die Verteidigung selbst vorbringen müsse, was ihr diene und damit der Weg hin zum Parteiprozess gewählt werde.257 Vergleichbares lässt sich für den Ansatz von Wenske anführen: Wenn nunmehr die Verteidigung verpflichtet werden soll, diejenigen Aspekte, die der Einwendungsobliegenheit unterfallen, in eigener Verantwortung vorzutragen, bedeutet dies kehrseitig, dass dann dem Gericht eine andere Rolle zukommt. Es darf sich seine Urteilsgrundlage jedenfalls partiell nicht mehr selbst „zusammentragen“, sondern ist in eine eher neutrale Beobachterrolle verwiesen und muss abwarten, inwieweit die Verteidigung die Urteilsgrundlage gestaltet. Ebendiese Rolle ist Richtern im adversatorischen Modell zugewiesen.258 Im Übrigen bedeutete dies, dass nicht mehr eine materielle, sondern eine formelle Wahrheit ermittelt wird.259 Daher 251

Eingehend hierzu Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung. BGHSt 38, 214 (225 f.); 39, 349 (352); 42, 15 (22); 50, 272 (274). 253 BGHSt 38, 214 (225 f.). 254 BGHSt 38, 214 (226). 255 BGHSt 50, 272 (274); OLG Hamburg, NJW 2008, 2597 (2601); OLG Hamm, NStZ-RR 2010, 148 (149); OLG Celle, NStZ 2014, 118 (119). 256 Beulke/Swoboda, Strafprozessrecht, Rn. 460a. 257 So Velten, ZJS 2008, 76 (81). 258 Trüg, Lösungskonvergenzen trotz Systemdivergenzen im deutschen und US-amerikanischen Strafverfahren, S. 51. 259 So auch die Befürchtung von Swoboda, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband II, S. 67. 252

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

lässt sich sagen, dass mit dem Modell von Wenske eine partielle Abkehr vom traditionellen Amtsermittlungsverfahren einhergeht. Wie bereits erwähnt, ist dies verfassungsrechtlich nicht per se unzulässig,260 allerdings mehrheitlich nicht erwünscht und überdies rechtspolitisch kaum zu realisieren. Selbst wenn man in dem Modell keinen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz sehen möchte, ist zumindest zu bedenken, dass es stark adversatorisch geprägte Elemente aufweist und damit die weitere Frage aufgeworfen ist, welche Folgewirkungen sich daraus ergeben könnten. Wie bereits ausgeführt wurde, läge die Geltendmachung der einwendungsgegenständlichen Verfahrenstatsachen dann im Verantwortungsbereich der Verteidigung. Das Tatgericht hingegen wäre von seiner Verantwortung, die Verfahrenstatsachen festzustellen, in der Folge weitestgehend freigestellt. Dies würde wiederum dazu führen, dass das Gericht – entsprechend seiner „neuen“ Rolle – eher dazu geneigt wäre, im Zwischenverfahren möglichst nur passiv in Erscheinung zu treten und darauf zu hoffen, die Verteidigung oder der Beschuldigte werden es unterlassen, entsprechende Einwendungen zu erheben, um das Urteil auf eine breitere Tatsachengrundlage stellen zu können.261 Hiergegen würde auch die naheliegende Implementierung von gesetzlichen Hinweispflichten – wie sie von Wenske aber ohnedies nicht vorgeschlagen wird – wohl nur wenig effektiv wirken. Die gerichtliche Fürsorgepflicht verlöre damit an Bedeutung. In Konsequenz dessen würde die gerichtliche Untersuchungstätigkeit weniger neutral und das Gericht könnte für den Beschuldigten gar zum Verfahrensgegner werden.262 Auch die Staatsanwaltschaft würde durch ein Modell dieser Art dazu verleitet, vermehrt auch solche Beweismittel der Anklage zugrunde zu legen, die eigentlich nicht verwertbar sind und dabei darauf zu hoffen, dass die Verteidigung oder der Angeschuldigte nicht rechtzeitig reagieren. Erforderlich wäre daher mindestens, die Position der Verteidigung zu stärken und somit an adversatorisch geprägte Verfahrensordnungen anzugleichen.263 In Zusammenhang mit diesem Aspekt weist Wenske darauf hin, dass Änderungen im Recht der notwendigen Verteidigung erwogen werden mögen sowie ein entsprechender Gebührentatbestand im RVG geschaffen werden könne. Weitergehende Änderungen finden sich in dem Vorschlag nicht, was angesichts der obigen Ausführungen zu kritisieren ist. Auch hier ist die Folgewirkung zu bedenken: Wenn die Verteidigung mehr in die Pflicht genommen wird, werden sich auch Fälle von Schlechtleistungen des Verteidigers mehren. Nicht jeder Rechtsanwalt ist zugleich Fachanwalt für Strafrecht und vermag die durchaus anspruchsvolle Rechtslage zu überblicken. Da dem Beschuldigten die Rüge der Schlechtverteidigung in

260

Siehe oben 5. Teil F. I. 2. a). So bereits für die Widerspruchslösung bei Schünemann, ZIS 2009, 484 (487); Fezer, StV 1997, 57 (59). 262 So auch die Befürchtung von Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung, S. 428. 263 So auch Meyer, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren?, Texte und Ergebnisse des 39. Strafverteidigertages, S. 129 (142). 261

F. Das Zwischenverfahren zur abschließenden Klärung von Vorfragen

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Deutschland – anders als etwa in den Vereinigten Staaten264 – nicht offensteht,265 wäre er es letztlich, der dieses Risiko allein zu tragen hätte. Mithin lässt sich resümieren, dass der Ansatz von Wenske zumindest, was die (alternativ) vorgeschlagene Präklusionslösung anbelangt, zu massiven Friktionen mit dem traditionellen Amtsermittlungsverfahren und in der Folge zu einer neuen, mit Folgeproblemen einhergehenden Kompetenzverlagerung von Gericht und Verteidigung führt. Letztlich wirkte sich dies zulasten des Beschuldigten aus. Aus diesen Gründen ist die Präklusionslösung nach Wenske zu verwerfen. b) Weitere Einwände Auch hinsichtlich der bislang noch nicht näher beleuchteten Lösung, unterbliebene Verfahrenseinwendungen in der Hauptverhandlung dem schriftlichen Verfahren zu überantworten, ist zu berücksichtigen, dass damit einige Probleme einhergehen könnten, die freilich auch der Präklusionsvariante entgegenzuhalten sind: Zunächst ist zu bedenken, dass zahlreiche – an sich im Freibeweisverfahren zu klärende – Verfahrensfragen einen Bezug zu solchen Tatsachen, die Schuld- und Rechtsfolgefragen betreffen, aufweisen und damit dem Strengbeweisverfahren unterliegen, sodass sich nicht immer klar abgrenzen lässt, wann eine Frage der Klärung im Freibeweisverfahren zugänglich ist und wann sie im Strengbeweisverfahren zu klären ist.266 Dies wiederum dürfte zu Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung des Vorschlags führen. Ferner ist damit zu rechnen, dass – jedenfalls bei der Präklusionslösung – die Verteidigung das Zwischenverfahren mit Einwendungen geradezu aufblähen könnte, um die drohende Rechtsfolge zu vermeiden. Hier gelten die Ausführungen zu dem Ansatz von Gössel entsprechend.267 Wollte man eine erheblich verstärkte Aktivität der Verteidigung und gegebenenfalls die skizzierten Folgen in Kauf nehmen, müsste aber jedenfalls eine Anpassung der Gebühren für Tätigkeiten des Verteidigers im Zwischenverfahren im RVG erfolgen. Nach der gegenwärtigen Gebührenlage wird sich der Verteidiger nicht in der Lage sehen, das ihm von Wenske Abverlangte zu leisten.268 Zu bedenken wäre überdies, dass die Verweisung auf das schriftliche Verfahren, wie sie in der zweiten vorgeschlagenen Rechtsfolgenvariante (Verweis auf das schriftliche Verfahren nach § 257a StPO) 264

Zur Rechtsmittelrüge ineffektiver Verteidigung im US-amerikanischen Strafverfahren eingehend Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung, S. 374 ff. 265 BGH HRRS 2007, 967; Velten, ZJS 2008, 76 (82). 266 So auch Isak, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband II, S. 69. 267 Siehe dazu oben 5. Teil F. I. 2. c); ferner C. Nestler, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband II, S. 67. 268 König, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband II, S. 68.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

vorgesehen ist, wenn zwar nicht zu einer Verletzung,269 so doch zu einer erheblichen Einschränkung des Rechts auf Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG führen würde und damit einen rechtsstaatlichen Rückschritt bedeutete.270 Weiterhin erscheint zweifelhaft, ob die Verteidigung bei dieser Ausgestaltung überhaupt verstärkte Aktivitäten im Zwischenverfahren entfalten würde, weil sie dann vor der Wahl stünde, entweder im Zwischenverfahren schriftlich vorzutragen oder dasselbe in der Hauptverhandlung nach § 257a StPO zu tun. Letztlich bewirkt dieser Lösungsvorschlag keine Aufwertung des Zwischenverfahrens, sondern allenfalls eine Verkürzung der öffentlichen und mündlichen Hauptverhandlung. Hinsichtlich der Präklusionsvariante bestehen Bedenken bezüglich des Rechtsschutzes: Zwar sieht das Modell für den Fall, dass ein Beweismittel in der Hauptverhandlung verwertet wird, die Anfechtbarkeit im Rahmen einer Revision mit der Inbegriffsrüge vor, allerdings hält der Vorschlag keine Lösung für den Fall bereit, dass das Beweismittel im Zwischenverfahren als unverwertbar zurückgewiesen wurde. Hier wäre eine Anfechtung mittels der Inbegriffsrüge gerade nicht möglich und weil Wenske sich ausdrücklich gegen eine Anfechtbarkeit der Entscheidung noch im Zwischenverfahren wendet, würde sie wegen § 336 S. 2 StPO nicht der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen.271 Eine Abwägung der Vor- und Nachteile ergibt daher, dass dem Reformvorschlag von Wenske unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Verfahrensstruktur nicht gefolgt werden sollte.

G. Gesamtbewertung mit eigenem Regelungsvorschlag Da die bisherigen Reformvorschläge nicht in Gänze überzeugen konnten und sich Änderungsbedarf auch in anderen, dort zumeist nicht berücksichtigten Bereichen gezeigt hat, soll ein eigener Vorschlag zur Reform des Zwischenverfahrens unter Einbeziehung der zuvor gewonnenen Erkenntnisse entwickelt werden. Er kann für sich in Anspruch nehmen, zu einer Rückbesinnung auf den ursprünglichen Zweck des Eröffnungsverfahrens, der allzu gerne aus den Augen verloren wird, beizutragen, das Problemfeld der personellen Besetzung, welches speziell aus konventionsrechtlicher Warte nochmals in den Fokus der Debatte geraten könnte, zu berücksichtigen sowie die vorliegend identifizierten Ursachen für die allenthalben monierte Ineffizienz des Zwischenverfahrens in ein Konzept einfließen zu lassen. Ferner soll 269 Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, sondern lässt eine schriftliche Äußerung grundsätzlich genügen, dazu Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103 Rn. 65. 270 König, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband II, S. 68; siehe zur Gebührenlage auch oben 4. Teil B. V. 271 So auch Swoboda, in: Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, Anlagenband II, S. 68.

G. Gesamtbewertung mit eigenem Regelungsvorschlag

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auch der Aspekt einer Entlastung der Hauptverhandlung – soweit er sich mit dem Wesen des Eröffnungsverfahrens als Kontrollinstrument der Zumutbarkeit einer Hauptverhandlung verträgt – in die Überlegungen einfließen.

I. Vorüberlegungen auf Basis des Ertrags der Untersuchung Ausgangspunkt muss dabei die verfassungsrechtliche Funktion des Eröffnungsverfahrens als eine dem Richter vorbehaltene Entscheidung über die Zumutbarkeit des Hauptverfahrens für den Angeschuldigten sein.272 Hier hat die Untersuchung ergeben, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmte Anforderungen an die Eröffnungsvoraussetzung des hinreichenden Tatverdachts stellt.273 Ferner ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass die der Verfahrensökonomie geschuldete Vorverlagerung solcher Fragen, die das „Wie“ und nicht das „Ob“ der Hauptverhandlung betreffen, also insbesondere Anbahnungen von Verständigungen oder die abschließende Klärung bestimmter Vorfragen, nicht zu befürworten ist.274 Was die Frage der heftig umstrittenen, personellen Besetzung des Eröffnungsverfahrens angeht, ist nach hier vertretener Auffassung die Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter zu befürworten. Dafür spricht neben historischen und sozialpsychologischen Argumenten insbesondere die möglichen Konflikte der gegenwärtigen Ausgestaltung mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK.275 Damit ist zugleich eine Weichenstellung getroffen, die wiederum die Frage aufwirft, wie das Zwischenverfahren trotz Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter effektuiert werden kann. Die Untersuchung hat gezeigt, dass das in §§ 201 ff. StPO vorgesehene Prüfprogramm im Grundsatz dazu geeignet ist, eine effiziente Filterfunktion zu gewährleisten.276 Optimierungsmöglichkeiten könnten nach hiesiger Einschätzung insbesondere im Rahmen der Entscheidungsgrundlage277 und der Steuerung der richterlichen Entscheidungsfindung278 erzielt werden, da hier Defizite vorzufinden sind. Ferner muss berücksichtigt werden, dass das Zwischenverfahren auch dafür genutzt werden kann, das Strafverfahren in geeigneten Fällen ohne Durchführung einer Hauptverhandlung zu erledigen.

272 273 274 275 276 277 278

Siehe oben 2. Teil B. Siehe oben 5. Teil C. III. 4. Siehe zu den entsprechenden Aufwertungskonzepten oben 5. Teil F. Siehe zusammenfassend oben 3. Teil E. VII. Siehe oben 4. Teil C. Dazu oben 4. Teil C. II. Dazu oben 4. Teil C. III.

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

1. Ausschluss des Eröffnungsrichters von der Hauptverhandlung Bereits im dritten Teil der Untersuchung wurde herausgearbeitet, warum eine personelle Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter geboten ist. Insoweit sei an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen verwiesen.279 Regelungstechnisch bietet es sich an, an die ursprüngliche Fassung der RStPO von 1877 anzuknüpfen, in deren § 23 Abs. 3 geregelt war, dass der Berichterstatter des Zwischenverfahrens von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausgeschlossen war und nicht mehr als zwei derjenigen Richter, die an der Eröffnungsentscheidung mitgewirkt haben, an der Hauptverhandlung teilnehmen durften. Weil richtigerweise aber nicht nur der Berichterstatter, sondern alle an der Eröffnungsentscheidung mitwirkenden Richter den erläuterten sozialpsychologischen Wirkungen unterliegen und auch die Rechtsprechung des EGMR eine Differenzierung nach dem Amt des Berichterstatters nicht vornimmt, müssen alle Richter, die an der Eröffnungsentscheidung teilgenommen haben, von der Mitwirkung am Hauptverfahren ausgeschlossen werden. Folglich ist die Regelung in § 23 Abs. 3 StPO auch entsprechend zu fassen. Es würde dann in der Folge im jeweiligen Geschäftsverteilungsplan der Gerichte festgelegt werden müssen, welcher Richter für die Eröffnung und welcher für die Durchführung des Hauptverfahrens zuständig ist.280 2. Verbesserte Steuerung des eröffnungsrichterlichen Entscheidungsvorgangs durch die Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses Ist damit die zentrale Weichenstellung für die Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens getroffen, bedarf die Folgefrage der Effektuierung einer Antwort. Wie gezeigt, ist sie unter anderem in einer verbesserten Steuerung des richterlichen Entscheidungsprozesses zu suchen.281 Dies gilt umso mehr, als mit der befürworteten Trennung von Tat- und Eröffnungsgericht eine wesentliche Motivation, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens einer gründlichen Prüfung zu unterziehen, nämlich die eigene Durchführung des Verfahrens, wegfallen würde. Die erste Maßnahme, die dem entgegenwirken kann, ist eine präzise Definition des hinreichenden Tatverdachts in der StPO. Sie wird zwar primär aus einem anderen Grund befürwortet,282 kann aber immerhin verstärkend zur Steuerung des eröffnungsrichterlichen Entscheidungsprozesses beitragen, ist sie doch Ausgangspunkt jedweder richterlichen Tätigkeit im Eröffnungsverfahren. Es ist bereits herausgestellt worden, dass die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens trotz ihrer zentralen Bedeutung durch das Verfahrensrecht faktisch

279 280 281 282

Siehe dazu zusammenfassend oben 3. Teil F. So auch M. Vormbaum, ZIS 2015, 328 (335). Siehe oben 4. Teil C. III. Siehe dazu oben 5. Teil C. III. 4.

G. Gesamtbewertung mit eigenem Regelungsvorschlag

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kaum reguliert wird.283 In diesem Zusammenhang hat sich ebenfalls gezeigt, dass eine Möglichkeit, die Entscheidung besser zu regulieren, die Einführung einer Begründungspflicht des Eröffnungsbeschlusses wäre,284 die sich gleichwohl nicht empfohlen hat, weil sie die Voreingenommenheitsproblematik verschärfen würde.285 Nunmehr sollen ihre Vor- und Nachteile unter der Prämisse einer Trennung von Tatund Eröffnungsrichter abgewogen werden. Zunächst wäre der Eröffnungsrichter gezwungen, sich bei der Abfassung des Eröffnungsbeschlusses des tatsächlichen Vorliegens seiner Voraussetzungen zu vergewissern und so eine genaue Prüfung des hinreichenden Tatverdachts vorzunehmen. Dem Phänomen des „blind“ erlassenen Eröffnungsbeschlusses würde so ein wirksamer Riegel vorgeschoben. Darüber hinaus würde auf diesem Weg der de lege lata bestehende Anreiz, das Verfahren tendenziell zu eröffnen, wegfallen, da sowohl die Eröffnung als auch ihre Ablehnung begründungspflichtig wären und das Eröffnungsgericht in beiden Fällen mit dem gleichen „Aufwand“ konfrontiert wäre. Auch würden sich bei dieser Lösung die oben kritisierten Phänomene von Formulareröffnungsbeschluss und Umlaufverfahren erledigen; die Frage der Folgen fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse würde sich – da seine Bedeutung im Justizalltag allein wegen der Begründungspflicht steigen und er deshalb seltener fehlerbehaftet sein würde – viel seltener stellen. Es lässt sich also konstatieren, dass durch die Einführung einer Begründungspflicht des Eröffnungsbeschlusses seine Bedeutung – welche verfassungsrechtlichen Rang genießt – erheblich gesteigert würde und die Hauptfunktion des Zwischenverfahrens effektiver zur Geltung käme. Ein weiterer Vorteil des begründeten Eröffnungsbeschlusses läge darin, dass das spätere Tatgericht – das sein Urteil nach wie vor in eigener Verantwortung zu fällen hätte und an die Gründe des Eröffnungsbeschlusses freilich nicht gebunden wäre – einen ersten Überblick über die entscheidenden Probleme des Falles aus Sicht des Eröffnungsgerichts gewinnen und die Hauptverhandlung entsprechend planen könnte. Damit käme es zu einer Entlastung des Hauptverfahrens, da mit der Einführung dieses Modells – wie sogleich ausgeführt werden wird – auch mit einer gesteigerten Aktivität vonseiten der Verteidigung gerechnet werden darf und also schon von vornherein vermehrt entlastende Umstände in das Verfahren eingebracht würden, was bei der gegenwärtigen Ausgestaltung nicht der Fall ist. Darüber hinaus würde die Kombination aus separatem Eröffnungsrichter und Begründungspflicht zur Eindämmung von Fehlurteilsrisiken führen: In der Fehlurteilsforschung ist es nämlich anerkannt, dass die Vorbefassung durch Erlass des Eröffnungsbeschlusses eine Ursache für das Zustandekommen von Fehlurteilen sein kann.286 Die Kombination von Voreingenommenheit und der daraus resultierenden Effekte sowie der häufig oberflächlichen Prüfung der Tatsachengrundlage im Eröffnungsverfahren begünstigt 283

Siehe oben 4. Teil C. III. Siehe dazu oben 4. Teil C. III. 2. a). 285 Siehe dazu oben 5. Teil D. III. 286 Böhme, Das strafgerichtliche Fehlurteil – Systemimmanenz oder vermeidbares Unrecht?, S. 318 ff.; Schwenn, StV 2010, 705 (706 f.). 284

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

das anschließende Entstehen von Fehlurteilen, was auch die vorliegende Untersuchung nahelegt. Ein probates Gegenmittel ist in der hier erörterten Lösung zu sehen, weil erstens die psychologischen Wirkungen jedenfalls abgemildert würden und zweitens durch die Begründungspflicht sichergestellt wäre, dass eine wirklich intensive Befassung mit der Sache stattgefunden hat. Zu fragen ist gleichwohl, inwieweit der Lösungsvorschlag mit der Voreingenommenheitsproblematik in Einklang zu bringen ist, da diese zuvor als zentrales Argument gegen die Einführung einer Begründungspflicht angeführt wurde.287 Allerdings kann dieses Argument nur verfangen, soweit eröffnendes und erkennendes Gericht personenidentisch sind. Bei Personenverschiedenheit beansprucht die Argumentation dagegen keine Geltung. Dennoch sollen auch hier die Erkenntnisse des dritten Teils nicht aus den Augen verloren werden; namentlich ist der „Schulterschlusseffekt“288 in den Blick zu nehmen. Denn der spätere Tatrichter wird den von einem Kollegen begründeten Eröffnungsbeschluss zur Kenntnis nehmen und könnte sich womöglich zu stark daran orientieren, sodass letztlich nur eine Verschiebung der oben erörterten Problematik erfolgt.289 Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass der Tatrichter an die Gründe des Eröffnungsbeschlusses erstens nicht gebunden ist und zweitens die Nachteile der bisherigen Ausgestaltung – Gefahr der „blinden“ Eröffnung und anschließende Verhandlungsführung unter Selbstbestätigungstendenzen – im Vergleich zu dem hier vorgeschlagenen Ansatz immer noch überwiegen. Überdies würden durch die Kombination von separatem Eröffnungsrichter und Begründungspflicht ohnehin mehr Verfahren, die der psychologischen Problematik „zum Opfer fallen“ und zu unrichtigen Urteilen führen, schon vor der Hauptverhandlung ausgeschieden. Auch mag gegen den Lösungsansatz eingewandt werden, dass er eine erhebliche Mehrarbeit bedeutet, rechtspolitisch schwerlich realisierbar ist und gegebenenfalls zu Verfahrensverzögerungen führen wird. Was die womöglich verminderten rechtspolitischen Realisierungschancen anbelangt, muss darauf verwiesen werden, dass dies kein valides Kriterium für die Beurteilung eines (notwendigen) Reformvorschlages im Rahmen einer wissenschaftlichen Abhandlung sein kann. Mit Blick auf die anderen beiden Aspekte ist zu bedenken, dass bereits nach der geltenden Rechtslage ein schulmäßiges Durchlaufen des Zwischenverfahrens mit einigem zeitlichen Aufwand verbunden ist, das Gericht sich bereits hier umfangreich einzuarbeiten hat und in vielen Fällen einen entsprechenden Vermerk zur Sach- und Rechtslage anfertigen dürfte.290 Überdies kann sich das Gericht bei der Abfassung der Begründung an der Anklageschrift und einer gegebenenfalls eingereichten Schutzschrift der Verteidigung orientieren, sodass sich der Mehraufwand gemessen an dem zu erwartenden Nutzen lohnt. Liegt eine Schutzschrift vonseiten der Verteidigung vor, würde ein weiterer Kritikpunkt der geltenden Ausgestaltung 287

Siehe oben 5. Teil D. III. Siehe dazu bereits oben 3. Teil III. 289 In diesem Sinne Eschelbach, GA 2019, 593 (606 f.). 290 Zu dem Aufwand des „schulmäßigen“ Erlasses eines Eröffnungsbeschlusses in einer Strafkammer Eschelbach, in: Festschrift für Richter II, S. 113 (121 f.). 288

G. Gesamtbewertung mit eigenem Regelungsvorschlag

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ebenfalls abgemildert: Weil die Anklage in der Regel zuerst gelesen wird, werden die darin enthaltenen Informationen tendenziell überschätzt, wohingegen der nachgeschobene Vortrag der Verteidigung mit dissonanten Informationen tendenziell unterschätzt wird.291 Da aber im begründeten Eröffnungsbeschluss bereits die Argumente der Verteidigung – soweit sie sich zum Einreichen einer Schutzschrift entscheidet – berücksichtigt werden, erlangt der Tatrichter ein ausgewogeneres „erstes Bild“ als nach geltender Ausgestaltung. Alles in allem scheint die Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses die herausgearbeiteten Defizite beseitigen zu können und kann daher als eine wesentliche Säule zu einer Aufwertung des Zwischenverfahrens empfohlen werden. Diesem Konzept, nur eine Begründungspflicht ohne Anfechtungsmöglichkeit zu implementieren, könnte man freilich entgegenhalten, dass das deutsche Strafverfahrensrecht gemäß § 34 StPO eine Begründungspflicht nur bei anfechtbaren Entscheidungen und solchen, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, vorsieht. Weil aber auch nach hier vertretener Ansicht keine zusätzliche Anfechtungsmöglichkeit geschaffen werden soll, ist zu fragen, ob dies nicht einen Verstoß gegen § 34 StPO darstellen würde. Allerdings folgt aus § 34 StPO zum einen kein allgemeines Verbot, unanfechtbare Entscheidungen zu begründen oder einer Begründungspflicht zu unterstellen. Zum anderen ist an dieser Stelle der Zweck einer Begründungspflicht in den Blick zu nehmen: Er liegt darin, dass der Anfechtungsberechtigte in die Lage versetzt werden soll, über sein weiteres Vorgehen adäquat entscheiden zu können.292 Insoweit ist zu konzedieren, dass die Interessenlage des Angeschuldigten im Zusammenhang mit dem Eröffnungsbeschluss die gleiche ist, wie die des Beschuldigten, der sich mit einer anfechtbaren Entscheidung konfrontiert sieht: Der Angeschuldigte hat ein ebenso legitimes Interesse daran, seine Verteidigungsstrategie im Hauptverfahren vorauszuplanen. Die Begründungspflicht anfechtbarer Entscheidungen soll ferner die Überprüfbarkeit durch das Rechtsmittelgericht ermöglichen.293 Auch dieser Gedanke lässt sich auf den Eröffnungsbeschluss übertragen, denn letztlich findet im Hauptverfahren der Sache nach ja eine Kontrolle des Eröffnungsbeschlusses statt. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass eine Begründungspflicht Kehrseite des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist.294 Weil gerade das Zwischenverfahren der Gewährung rechtlichen Gehörs dient, würde auch diese Funktion mit dem hiesigen Ansatz optimiert. Dies gilt umso mehr, wenn man die hohe Eingriffsintensität des Hauptverfahrens und die grundrechtssichernde Funktion des Zwischenverfahrens berücksichtigt.

291

Siehe dazu oben 3. Teil B. II. 3. KG StV 2010, 370; OLG Oldenburg, NJW 1971, 1098; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 34 Rn. 1. 293 KG StV 1986, 142; OLG Düsseldorf, StV 1991, 521 m. Anm. Schlothauer; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 34 Rn. 1. 294 Eschelbach/Geipel/Weiler, StV 2010, 327 (331); vgl. auch Schmidt, StraFo 2009, 448 ff. 292

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5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

Befürwortet wird nach alledem eine Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses. Was die Anforderungen an den Inhalt der Begründung angeht, kann auf die allgemein hierzu entwickelten Regeln zurückgegriffen werden.295 Berücksichtigung muss dabei insbesondere das in dieser Abhandlung herausgearbeitete Ergebnis finden, dass es sich bei der richterlichen Prüfung im Zwischenverfahren um eine dem Richter vorbehaltene Entscheidung über einen gravierenden Grundrechtseingriff handelt.296 Daraus folgt, dass die Eröffnungsentscheidung zumindest ähnlich hohen Begründungsanforderungen unterliegen muss, wie die über andere, ähnlich schwerwiegende Grundrechtseingriffe, also insbesondere Haftbefehle und Haftbeschwerdeentscheidungen. Eine bloße Bezugnahme auf die Anklage kann daher nicht ausreichen, notwendig ist vielmehr ein einzelfallbezogener Abwägungsprozess durch das Eröffnungsgericht. Wird dem nicht Folge geleistet, besteht für den Angeschuldigten die Möglichkeit, nach § 33a StPO eine Anhörungsrüge beim Eröffnungsgericht anzubringen, welches sich daraufhin abermals mit der Sache zu befassen hat. 3. Ausweitung des Aufklärungsumfangs? Darüber hinaus ist fraglich, inwiefern sich weitere, über die bloße Begründungspflicht hinausgehende Änderungen empfehlen. Zu denken wäre hier insbesondere daran, dem Eröffnungsrichter die Möglichkeit zu gewähren, Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmungen durchzuführen, da sich gerade der Personalbeweis auch im Zwischenverfahren als unterlegen erwiesen hat. Andererseits muss aber darauf geachtet werden, das Eröffnungsverfahren nicht zu einer „kleinen Hauptverhandlung“ ausarten zu lassen sowie die beteiligten Personen möglichst nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen. Zudem will die vorliegende Untersuchung keine tiefgreifende Umwälzung der §§ 199 ff. StPO herbeiführen, sondern an das geltende Regelungsregime anknüpfen und dieses effektuieren. Dementsprechend soll ein Regelungsvorschlag mit der Maßgabe entwickelt werden, die grundlegenden Eigenarten von Zwischen- und Hauptverfahren unberührt zu lassen. Während in der Hauptverhandlung öffentlich unter Wahrung des Unmittelbarkeitsprinzips und im Strengbeweisverfahren verhandelt wird, soll das Zwischenverfahren ein grundsätzlich nach Aktenlage durchzuführendes Verfahren unter dem Regime des Freibeweises bleiben. Daher soll auch dem Eröffnungsrichter nicht die Möglichkeit offenstehen, regelmäßig Zeugen zu vernehmen. Die Implementierung einer Begründungspflicht des Eröffnungsbeschlusses ist insoweit ausreichend. Möchte man eine Optimierung an der Entscheidungsgrundlage des Zwischenverfahrens selbst vornehmen, böte es sich an, die Voruntersuchung wieder einzu-

295 Siehe etwa Weßlau/Weißer, in: Systematischer Kommentar StPO, § 34 Rn. 9 ff.; Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 34 Rn. 10, jeweils m. w. N. 296 Dazu oben 2. Teil B. I. und III.

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führen, was aber zum einen realitätsfern wäre,297 zum anderen auch deswegen abzulehnen ist, weil Änderungen im Bereich der Beweismittel selbst zielführender erscheinen. Als sinnvoll erweist es sich etwa, dem Eröffnungsgericht einen unmittelbaren Zugriff auf Personalbeweismittel zu gewähren, indem eine Pflicht zur audiovisuell aufgezeichneten Beschuldigten- und Zeugenvernehmung eingeführt wird. Von einer solchen das gesamte Strafverfahren betreffenden und von zahlreichen Stimmen in anderem Zusammenhang geforderten Änderung298 könnte insbesondere auch das Zwischenverfahren profitieren. Bei aufgezeichneten Aussagen wäre eine authentischere Würdigung bereits im Zwischenverfahren möglich. Angesichts des historischen Willens der Schöpfer der RStPO scheint die Implementierung der BildTon-Aufzeichnung sämtlicher Vernehmungen gar folgerichtig: Denn ursprünglich war es die – ersatzlos gestrichene – Voruntersuchung, die eine validere Entscheidungsgrundlage des Eröffnungsrichters herbeiführen sollte.299 Auch heute geht das Gesetz davon aus, dass richterlichen Untersuchungshandlungen ein erhöhter Beweiswert gegenüber nichtrichterlichen Vernehmungen zukommt, wie sich etwa aus § 254 Abs. 1 StPO ergibt.300 Aus dieser Vorschrift lässt sich ebenfalls entnehmen, dass der Beweiswert richterlicher Vernehmungsprotokolle nunmehr mit dem Beweiswert audiovisuell aufgezeichneter Vernehmungen gleichgesetzt wird.

4. Berücksichtigung von Erledigungsmöglichkeiten und Unzulässigkeit von Verständigungsanbahnungen Im vierten Teil hatte sich ergeben, dass das Zwischenverfahren in praxi auch dazu genutzt wird, das Verfahren einer einvernehmlichen Erledigung zuzuführen. Während sich dabei die Möglichkeit, schon im Zwischenverfahren die Gestaltung des Hauptverfahrens zu erörtern, als problematisch erwiesen hat, sind solche Erledigungsmöglichkeiten, die in Einklang mit dem Prüfungsmaßstab des Zwischenverfahrens stehen, unproblematisch und auch förderungswürdig, da sie zur Vermeidung von Hauptverhandlungen beitragen können. Insofern ist der oben geschilderte Ansatz, dem Eröffnungsrichter die Möglichkeit zu gewähren, in geeigneten Fällen ins Strafbefehlsverfahren zu wechseln,301 zu begrüßen und soll im hier zu entwickelnden Reformvorschlag berücksichtigt werden. Demgegenüber erscheint es angesichts der Risiken, die § 202a StPO in sich birgt, fraglich, wie mit dieser Vorschrift verfahren werden sollte. Oben wurden zwei Lösungsmöglichkeiten kurz angerissen: Zum einen, das Initiativrecht für Erörterungen dem Angeschuldigten zuzubilligen, zum 297 So auch Loritz, Kritische Betrachtungen zum Wert des strafprozessualen Zwischenverfahrens, S. 44. 298 Positiv ist in diesem Zusammenhang die seit 01. 01. 2020 geltende Pflicht zur audiovisuellen Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung unter den Voraussetzungen des § 136 Abs. 4 StPO zu bewerten; dazu Wickel, ZIS 2020, 311 ff. 299 Siehe oben 4. Teil C. II. 2. 300 Vgl. Kreicker, in: Münchener Kommentar StPO, § 254 Rn. 3. 301 Siehe oben 5. Teil E. IV.

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anderen, die Vorschrift ganz zu streichen.302 Zwar könnten mit dem Ansatz, Erörterungen über eine Verständigung in der Hauptverhandlung ausschließlich auf Initiative des Angeschuldigten durchzuführen, einige der oben beschriebenen Probleme beseitigt werden, allerdings ist zu bedenken, dass derartige Erörterungen infolge der neuen personellen Ausgestaltung ohnehin nicht mehr vorkommen dürften, da der im Zwischenverfahren zuständige Richter nicht mehr für das Hauptverfahren zuständig wäre und daher weder für das Gericht noch für den Angeschuldigten ein Anreiz bestünde, von dem in § 202a StPO niedergelegten Initiativrecht Gebrauch zu machen. Gespräche, die bislang im Rahmen des § 202a StPO stattfinden, könnten dann – nach der Eröffnung – im Rahmen des gleichlautenden § 212 StPO geführt werden. Mithin empfiehlt sich unter Zugrundelegung der hier favorisierten Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter eine gänzliche Abschaffung des § 202a StPO. Somit treten nach dem hier entwickelten Ansatz neben die jeweils zu begründende Eröffnungs- oder Nichteröffnungsentscheidung folgende Entscheidungsoptionen des Eröffnungsgerichts: Zunächst bestehen die Möglichkeiten der Opportunitätseinstellung nach §§ 153, 153a StPO, sowie die der Teileinstellung bzw. Verfolgungsbeschränkung nach §§ 154, 154a StPO unverändert fort. Daneben tritt die Entscheidungsmöglichkeit, einen Strafbefehl zu verfügen, wenn das Eröffnungsgericht die Hauptverhandlung für entbehrlich hält, gleichwohl aber einen hinreichenden Tatverdacht bejaht. Sämtliche Erledigungsmöglichkeiten eint, dass sie sich in das Prüfprogramm des Eröffnungsverfahrens einfügen. Da nach dem hiesigen Ansatz sowohl der Eröffnungs- wie auch der Nichteröffnungsbeschluss einer Begründung bedürfen, wird die Entscheidungsfindung besser kanalisiert. Folge dessen ist, dass der Richter im Zwischenverfahren insbesondere in zweifelhaften Fällen genauer erwägen wird, ob die Hauptverhandlung wirklich durchzuführen ist oder nicht doch eine Verfahrensbeendigung in Betracht kommt, statt pauschal zu eröffnen. Somit wird das Zwischenverfahren in Anknüpfung an seine zentrale Filterfunktion effektuiert und also in seiner Wirkungsweise und Bedeutung aufgewertet. 5. Folgewirkung: Verstärkte Einbeziehung der Verteidigung Weil bei einem mit Gründen versehenen Eröffnungsbeschluss eine rational nachvollziehbare Entscheidung existiert, steht auch zu erwarten, dass sich die Verteidigung in erheblichem Maße im Zwischenverfahren engagieren würde. Die Untersuchung hat verdeutlicht, dass das Zusammenwirken von Verteidigung und Gericht zur Vermeidung unnötiger Eröffnungen essenziell ist. Dennoch bleibt die Verteidigung im Zwischenverfahren regelmäßig untätig, was aus Verteidigersicht mit der (vermeintlich) geringen Erfolgsquote im Zwischenverfahren und dem Phänomen der „Blinderöffnung“ begründet wird. Möchte man ein verstärktes Engagement der Verteidigung erreichen, muss gewährleistet sein, dass das Verteidigervorbringen 302

Siehe oben 5. Teil E. III. 5.

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auch in der Entscheidung des Gerichts seinen Niederschlag findet. Dies wäre bei der Pflicht zur Begründung des Eröffnungsbeschlusses eher der Fall als nach der gegenwärtigen Rechtslage: Durch die Begründungspflicht wäre nämlich sichergestellt, dass ihr Vorbringen tatsächlich berücksichtigt wird, was nach der gegenwärtigen Ausgestaltung nicht stets als gewährleistet angesehen werden kann. Damit würde das Recht auf Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (insbesondere die „dritte Stufe“ der Berücksichtigung des Vorgebrachten) effektiviert. Sollte das Eröffnungsgericht das Vorbringen der Verteidigung im Eröffnungsbeschluss nicht berücksichtigen und damit das Recht auf Gehör verletzen, bietet sich die Möglichkeit, nach § 33a StPO vorzugehen. Dieser Weg ist de lege lata namentlich deshalb nicht effektiv, weil der Eröffnungsbeschluss keiner Begründung bedarf und daher eine Gehörsverletzung nicht wirklich nachweisbar ist. Ist der Eröffnungsbeschluss aber zu begründen, können Gehörsverletzungen gemäß § 33a StPO gerügt werden. Auch die Installation eines separaten Eröffnungsrichters, der zu einer genauen Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen in der Lage ist, dürfte nach hiesiger Einschätzung dazu beitragen, dass von der Verteidigung mehr Aktivität entfaltet wird. Da durch die Begründungspflicht notgedrungen eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Anklage erfolgen muss, werden überdies solche Fälle frühzeitig erkannt, die in der Hauptverhandlung womöglich zu einer Einstellung geführt hätten. Daher würde sich die Zahl der Verfahrenseinstellungen oder Übergänge ins Strafbefehlsverfahren erhöhen und zudem nicht mehr von der individuellen Vorgehensweise des einzelnen Richters abhängen, wie dies gegenwärtig der Fall zu sein scheint. Die Aussicht, im Zwischenverfahren gegebenenfalls doch noch eine Vermeidung der Hauptverhandlung erzielen zu können, würde ebenfalls für eine intensivere Tätigkeit der Verteidigung sorgen. Würde die Verteidigung bei ihren Erwägungen zudem die oben skizzierten psychologischen Erkenntnisse in Rechnung stellen und bedenken, dass das spätere Tatgericht rein praktisch zuerst den Eröffnungsbeschluss lesen wird, stellte es sich geradezu als Kunstfehler dar, entlastendes Material zurückzuhalten.

II. Regelungsvorschlag Aufgrund der zuvor genannten Erwägungen wird daher folgender Gesetzgebungsvorschlag unterbreitet: 1. § 23 StPO wird wie folgt geändert: (1) unverändert. (2) unverändert. (3) Ein Richter, der an der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens mitgewirkt hat, ist von der Hauptverhandlung ausgeschlossen. 2. § 199 StPO wird wie folgt geändert:

266

5. Teil: Möglichkeiten einer Aufwertung des Zwischenverfahrens

(1) Das zuständige Gericht entscheidet darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder das Verfahren vorläufig einzustellen ist. (2) unverändert. 3. § 202a StPO wird aufgehoben. 4. § 203 StPO wird wie folgt geändert: (1) unverändert. (2) Der Angeschuldigte erscheint einer Straftat hinreichend verdächtig, wenn der Verdacht auf Grundlage der Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens so stark ist, dass eine Verurteilung nach der zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses zu treffenden, vorläufigen Bewertung überwiegend wahrscheinlich ist. 5. § 207 StPO wird wie folgt geändert: (1) In dem Beschluß, durch den das Hauptverfahren eröffnet wird, läßt das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Er ist mit Gründen zu versehen. (2) – (4) unverändert. 6. § 208 StPO wird wie folgt gefasst:303 Übergang in das Strafbefehlsverfahren (1) Soweit Anklage zum Strafrichter oder Schöffengericht erhoben wurde, ist das Gericht befugt, ohne Antrag der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl entsprechend der §§ 407 ff. zu erlassen. (2) § 410 gilt mit der Maßgabe, dass die Möglichkeit der Einlegung eines Einspruchs auch der Staatsanwaltschaft zusteht. § 412 ist mit der Maßgabe anwendbar, dass auch § 329 Absatz 5 Satz 2 entsprechend gilt. § 420 ist nur anzuwenden, wenn allein der Angeklagte Einspruch einlegt. 7. § 212 StPO wird wie folgt geändert: Erörterung des Verfahrensstandes mit den Verfahrensbeteiligten Das Gericht kann den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterungen ist aktenkundig zu machen.

III. Verbesserte Rahmenbedingungen und veranlasste Änderungen außerhalb des Zwischenverfahrens Daneben ist zu einer echten Effektivierung der Filterfunktion des Eröffnungsverfahrens die Schaffung einiger Rahmenbedingungen veranlasst, die sich im Verlauf der Untersuchung gezeigt haben und die die hier favorisierten Regelungsvorschläge flankieren sollten: Hierzu zählt zunächst die Anpassung des Personal303

Vorschlag nach Putzke/Putzke, JR 2019, 319 (321).

G. Gesamtbewertung mit eigenem Regelungsvorschlag

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bedarfsberechnungssystems („Pebb§y“) an den wahren Aufwand des Erlasses eines Eröffnungsbeschlusses und gegebenenfalls die Schaffung neuer Richterstellen.304 Ferner bedarf es einer verpflichtenden audiovisuell aufgezeichneten Vernehmung von sämtlichen Beschuldigten- und Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren.305 Darüber hinaus empfiehlt sich eine Anpassung des Gebührenrechts für Tätigkeiten des Verteidigers im Zwischenverfahren306 und schließlich sollten Fortbildungsmaßnahmen für Richter, Rechtsanwälte und in der Juristenausbildung, die die psychologischen Aspekte des Strafverfahrens und insbesondere des Zwischenverfahrens307 zum Gegenstand haben, zum Standard erhoben werden.

304 305 306 307

Dazu oben 4. Teil C. III. 4. b). Dazu oben 5. Teil G. I. 3. Dazu oben 4. Teil B. V. Dazu oben 3. Teil B.

Schlussbetrachtung Anlass der vorstehenden Untersuchung war die Frage, ob und wie eine Aufwertung des Zwischenverfahrens möglich ist. Zur Beantwortung dieser Ausgangsfrage soll im Rahmen der Schlussbetrachtung der entscheidende Untersuchungsertrag nochmals knapp zusammengefasst werden.1 Im ersten Teil hat sich gezeigt, dass der Verfahrensabschnitt zwischen dem Ende des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und dem Beginn des Hauptverfahrens zuvörderst dem Schutz des Angeschuldigten zu dienen bestimmt und ursprünglich deutlich breiter ausgestaltet war, allerdings im Laufe der Zeit durch die Abschaffung der Voruntersuchung und die ständige Rechtsprechung, etwa zur Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse, immer weiter abgewertet wurde.2 Dennoch darf er in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden, da er wichtige Funktionen im Gesamtstrafverfahren wahrnimmt.3 Von zentraler Bedeutung ist dabei die durch die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts realisierte Filterfunktion des Zwischenverfahrens. Dies wird untermauert durch die in Teil zwei vorgenommene verfassungsrechtliche Betrachtung: Weil das Hauptverfahren einen der gewichtigsten Grundrechtseingriffe im Gesamtstrafverfahren darstellt,4 dem sich der Beschuldigte infolge einer justiziellen Aufopferungspflicht zwingend stellen muss,5 verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum einen die Schaffung einer materiellen Eingriffsschwelle, die überschritten werden muss, um dem Beschuldigten diesen schwerwiegenden Grundrechtseingriff zuzumuten; bei dieser Eingriffsschwelle handelt es sich um den „hinreichenden Tatverdacht“6. Zum anderen bedarf es als Ausfluss der objektiven Dimension der Grundrechte auch einer verfahrensmäßigen Absicherung, die gewährleistet, dass diese Eingriffsschwelle gegeben ist. Bei ihr handelt es sich um einen verfassungsrechtlich gebotenen Richtervorbehalt.7 Folglich ist eine Abschaffung der richterlichen Kontrolle des hinreichenden Tatverdachts vor Durchführung des Hauptverfahrens unter Zugrundelegung der geltenden Prozessstruktur verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine Abschaffung des Zwischenverfahrens mithin ebenfalls nicht erstrebenswert. 1 2 3 4 5 6 7

Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf die jeweiligen Ergebnisse am Ende der Teile 1 bis 4. Siehe oben 1. Teil A. sowie 4. Teil C. II. 2. sowie III. 3. Siehe oben 1. Teil C. Siehe oben 2. Teil B. I. Siehe oben 2. Teil B. II. Siehe oben 2. Teil B. III. 1. Siehe oben 2. Teil B. III. 2.

Schlussbetrachtung

269

Im dritten Teil zeigte sich, dass das seit der – rein fiskalisch motivierten – Abschaffung des § 23 Abs. 3 RStPO oft monierte Problem der Personenidentität von Tat- und Eröffnungsrichter dazu führt, dass die am Eröffnungsbeschluss beteiligten Richter das Hauptverfahren nicht mehr mit der eigentlich erforderlichen Unvoreingenommenheit führen können. Dies lässt sich sozialpsychologisch belegen,8 wird aber von der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung weitestgehend ignoriert9. Ferner erscheint ein Verstoß gegen den aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK folgenden Grundsatz auf einen unparteiischen Richter nach der bisherigen Rechtsprechung des EGMR immerhin möglich.10 Daher bedarf es einer personellen Trennung von eröffnendem und erkennendem Richter. Die fehlende Effizienz des Zwischenverfahrens im Sinne einer fehlschlagenden Filterfunktion wird regelmäßig nur auf stark verkürzter Zahlenbasis behauptet. Wie im vierten Teil der Untersuchung dargelegt wurde, lässt sich aber allein anhand von Zahlen nicht klären, wie viele Verfahren tatsächlich „unnötig“ eröffnet werden.11 Daher wurde das vom geltenden Recht vorgesehene Prüfprogramm genauer untersucht.12 Es hat sich gezeigt, dass dieser Prüfvorgang im Zwischenverfahren für das Gericht mit einigem Aufwand verbunden ist und als im Grundsatz tauglich für die Wahrnehmung der Filterfunktion begriffen werden kann. Gleichwohl haben sich einige Schwachpunkte ergeben, deren Beseitigung eine verbesserte Filterfunktion gewährleisten würden: Zunächst ist hier auf die zusehends abnehmenden Anforderungen hinzuweisen, die die Rechtsprechung im Rahmen des Verdachtsgrades „hinreichender Tatverdacht“ hinsichtlich des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades stellt.13 Darüber hinaus besteht die Problematik, dass im Zwischenverfahren grundsätzlich nur auf Basis der Akten geprüft wird, sodass solche Verfahren, die maßgeblich auf ohnehin schon fehleranfälligen Personalbeweismitteln basieren, strukturell benachteiligt sind.14 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der historische Gesetzgeber aufgrund der teils sogar obligatorisch durchzuführenden Voruntersuchung von einer qualitativ besseren Beschaffenheit der Entscheidungsgrundlage im Eröffnungsverfahren ausging.15 Zuletzt muss festgestellt werden, dass der Entscheidungsfindungsprozess im Eröffnungsverfahren gesetzlich nur unzureichend reguliert wird. Dadurch werden die so genannten „Blind-Eröffnungen“ begünstigt.16 Im fünften Teil der Untersuchung wurden sehr unterschiedliche Konzepte betrachtet, die eine Aufwertung des Eröffnungsverfahrens bewirken könnten. Dabei 8

Siehe oben 3. Teil B. Siehe oben 3. Teil C. 10 Siehe oben 3. Teil E. 11 Siehe oben 4. Teil B. 12 Siehe oben 4. Teil C. 13 Siehe oben 4. Teil C. I. sowie 5. Teil C. II. 14 Siehe oben 4. Teil C. II. 15 Siehe oben 4. Teil C. II. 2. 16 Siehe oben 4. Teil C. III. 9

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Schlussbetrachtung

konnten weitere Anforderungen erarbeitet werden, die an eine Reform des Zwischenverfahrens zu stellen sind. Neben der Tatsache, dass die richterliche Prüfung des „hinreichenden Tatverdachts“ nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht, wurde der Begriff des „hinreichenden Tatverdachts“ vor dem Hintergrund seiner Bedeutung als ein den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisierendes Kriterium dahingehend näher konturiert, dass es zumindest einer überwiegenden Begehungsund Verurteilungswahrscheinlichkeit bedarf, um das eingriffsintensive Hauptverfahren durchführen zu können.17 Daher musste der Lösungsansatz, den Prüfungsmaßstab im Zwischenverfahren zur Behebung des Befangenheitsproblems herabzusetzen, verworfen werden. Auch Aufwertungskonzepte, die das Zwischenverfahren vom Antrag des Angeschuldigten abhängig machen möchten oder einen Rechtsbehelf des Angeschuldigten gegen den Eröffnungsbeschluss zulassen wollen, empfehlen sich nicht.18 Eine andere Stoßrichtung verfolgen Ansätze, das Eröffnungsverfahren in thematischer Hinsicht auszuweiten, wie dies etwa mit der Implementierung des § 202a StPO im Jahr 2009 geschah. Damit wurde das Zwischenverfahren für Erörterungen über erst im Hauptverfahren abzuschließende Verständigungen geöffnet. Welche Gefahren damit verbunden sind und dass das Eröffnungsverfahren nicht der geeignete Ort für solche Anbahnungsgespräche, wohl aber für andere Arten der konsensualen Erledigung des Strafverfahrens ist, hat die Untersuchung ebenfalls gezeigt.19 Auch Konzepte, das Zwischenverfahren zur endgültigen Klärung bestimmter Vorfragen einzusetzen, haben sich als nicht tragfähig erwiesen.20 Daher wurde zuletzt unter Berücksichtigung der genannten Erkenntnisse ein eigener Reformvorschlag erarbeitet, der sich kurz dahingehend zusammenfassen lässt, dass eröffnender und erkennender Richter personenverschieden sind, der Eröffnungsbeschluss begründet werden muss und die Vorschrift des § 202a StPO abzuschaffen ist. Zugleich wurde eine Legaldefinition des hinreichenden Tatverdachts vorgeschlagen.21 Ob dieser Ansatz Aussicht auf Realisierung hat, mag an dieser Stelle dahinstehen.22 Zuletzt soll aber noch Folgendes angemerkt werden: Sucht man nach der tieferen Ursache für die allenthalben monierte „Ineffizienz“ und rechtstatsächliche Bedeutungslosigkeit des Zwischenverfahrens, so darf seine historische Entwicklung nicht ausgeblendet werden: Während früher nämlich eine bessere Kontrolle durch die personelle Trennung von Tat- und Eröffnungsrichter und die gerichtliche Voruntersuchung zumindest durch die gesetzliche Konzeption gewährleistet wurde, kam es infolge von Reformen mit vornehmlich fiskalischen Interessen zu einer schlei17 18 19 20 21 22

Siehe oben 5. Teil C. III. Siehe oben 5. Teil B. sowie D. Siehe oben 5. Teil E. III. Siehe oben 5. Teil F. Siehe oben 5. Teil G. II. und III. Siehe dazu bereits oben 5. Teil G. I. 2.

Schlussbetrachtung

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chenden Abwertung dieses Verfahrensabschnitts. In der Rechtspraxis erfreut(e) er sich keiner Beliebtheit, was auch hier zu seiner zunehmend nachlässigen Behandlung führte und in Phänomenen wie dem „Formulareröffnungsbeschluss“, dem „Umlaufverfahren“ oder der Rechtsprechung zu fehlerhaften Eröffnungsbeschlüssen gipfelte.23 Es steht zu vermuten, dass die nicht verstummende Kritik am Zwischenverfahren, die auch aus der Praxis kommt, eine Folge der weitgehenden Abwertung dieses Verfahrensabschnitts durch Gesetzgeber und Justizpraxis ist. Der Befund, dass es sich bei den §§ 201 – 203 StPO um „totes Recht“ handelt,24 ist also zu einem erheblichen Teil auf die skizzierte Entwicklung zurückzuführen. Die nunmehr einsetzende Tendenz, das Zwischenverfahren nach § 202a StPO dafür zu nutzen, Verständigungen vorzubereiten oder – wie von der Expertenkommission empfohlen – das Hauptverfahren zu entlasten, kann zwar als ein Versuch gesehen werden, dieses vermeintlich „tote Recht“ wiederzubeleben, entfernt sich aber von der ursprünglichen Funktion, wie sie im zweiten Teil der Untersuchung herausgearbeitet wurde und muss dazu führen, dass verfahrensmäßige Garantien, die den Beschuldigten schützen sollen, weiter verkürzt werden. Dies wird bei jedwedem Reformvorhaben des Eröffnungsverfahrens zu berücksichtigen sein.

23 24

Erinnert sei an dieser Stelle an den Beschluss des OLG Hamburg, BeckRS 2019, 5077. von Galen, ZRP 2016, 42 (43) (mit Bezug auf die Vorschrift des § 202 StPO).

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Sachwortverzeichnis Ablauf d. Zwischenverfahrens 30 ff. Abschaffung d. Zwischenverfahrens 195 Absprachen im Zwischenverfahren 219 ff. Aktenkenntnis 94 Amtsermittlungsgrundsatz 245, 252 Angeschuldigter 32 Anklage – Einwendungen gegen d. Anklage 185 – Erhebung d. Anklage 33 – Rücknahme d. Anklage 144 Anklagerücknahme 144 Antragsgebundene Durchführung des Zwischenverfahrens 196 ff. Befangenheit 103 ff. Begründungspflicht d. Eröffnungsbeschlusses 183, 258 Berufung – Bedeutung 23 Beweisantrag 176 Beweiserhebungen 168 Einstellung d. Verfahrens 220 Einwendungen 185 Einwendungsobliegenheit 249 EMRK 115 Eröffnungsbeschluss – Ablehnung der Eröffnung 47 – Anfechtbarkeit 45, 213 – Bedeutung in der StPO 44 – Formulareröffnungsbeschluss 190 – Funktionen 44 – Inhalt des Eröffnungsbeschlusses 42 Erörterung des Verfahrensstandes 223 ff. Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren 161 Filterfunktion 33 Formalisierte Hauptverhandlung 99 Formulareröffnungsbeschluss 190 Freispruch, Ursachen 143

Freispruchquote 141 Funktionen d. Zwischenverfahrens

33 ff.

Gehör, rechtliches 35 Grundrechtseingriff 58 f. Haftfortdauerbeschluss 130 Heilbarkeit fehlerhafter Eröffnungsbeschlüsse 191 Historische Entwicklung 20 ff. Justizpflicht

65

Kognitive Dissonanz 91 Konsensuale Verfahrenserledigung Legitimation des Hauptverfahrens Leistungsfähigkeit 137 ff. Nichteröffnungsquote

219 ff. 62 ff.

139

Personalbedarfsberechnungssystem 189 Personelle Besetzung im Zwischenverfahren 86 ff. Persönlichkeitsrecht 56 Präklusionslösung 243 ff., 249 ff. Primacy-Effekt 91 Prüfungsmaßstab im Zwischenverfahren 153 Psychologische Betrachtung 90 ff. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss 213 Rechtstatsächliche Untersuchung 139 ff. Reichsstrafprozessordnung 20 Richtervorbehalt 77 ff. Schlussgehör 28 Schweiz 132 Staatsanwaltschaft

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Sachwortverzeichnis Strafbefehlsverfahren 241 Strafverteidigung 149 Tatverdacht, hinreichender – Auslegung 201 ff. – Definition 153 – Verfassungsrechtliche Bedeutung 75 ff. – Verurteilungswahrscheinlichkeit 154 Umlaufverfahren 190 Unparteilichkeit des Richters 103, 107, 116

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Verdacht 75 ff., 201 ff. Verfahrensgegenstand 37 Verfassungsrechtliche Einordnung 50 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 71 Verletzter 23 Verständigung 223 ff. Voruntersuchung – Abschaffung 28 – Bedeutung 166 Zuständigkeit des Gerichts

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