Das Stadtrechtsbuch von Sillein: Einleitung, Edition und Glossar [Reprint 2018 ed.] 9783110839128, 9783110035438

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Das Stadtrechtsbuch von Sillein: Einleitung, Edition und Glossar [Reprint 2018 ed.]
 9783110839128, 9783110035438

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
EINLEITUNG
1. Vorbemerkungen
2. Die Handschrift
3. Zur Geschichte der Handschrift
4. Zur rechtsgeschichtlichen Stellung des Silleiner Codex
5. Zur rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Sprache in der Handschrift
6. Einrichtung der vorliegenden Ausgabe
EDITION
Edition Text
ANMERKUNGEN
ANHANG
1. Glossar
2. Literaturverzeichnis
3. Personenregister
4. Sachregister
5. Die Blätter 16 b und 72 a aus der Originalhandschrift des Stadtrechtsbuchs von Sillein aus dem Jahre 1378

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I. T. Piirainen Das Stadtrec'litsbucli von Silloin

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Neue Folge Herausgegeben von

Stefan Sonderegger und Thomas Finkenstaedt 46(170)

W DE G_ Walter de Gruyter • Berlin • New York 1972

Das Stadtrechtsbuch von Sillein Einleitung, Edition und Glossar von

lipo Tapani Piirainen

w DE

G_ Walter de Gruyter • Berlin • New York 1972

ISBN 3 11 003543 X Library of Congress Catalog Card Number 72-184385 Copyright 1972 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer Karl J. Trübner - Veit & Comp. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Officina, Berlin Printed in Germany

Vorwort Im vorliegenden Band wird ein deutscher Rechtstext des Spätmittelalters erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Rechtsbuch der Stadt Sillein (Zilina) im Süden der Tschechoslowakei s t a m m t aus dem Jahr 1378 und ist - abgesehen von einer späteren alttschechischen bzw. -slowakischen Übersetzung - nur in der hier edierten und erläuterten Originalhandschrift erhalten. Der sprachhistorischen und rechtsgeschichtlichen Forschung ist die Existenz dieses einmaligen Textes bekannt, die entlegene A u f b e w a h rungsstätte des Codex hat aber den Interessenten keinen Einblick in den Text gestattet. Eine gedruckte Ausgabe kann das Original nicht ersetzen; als Herausgeber des Rechtsbuchs h a b e ich mich jedoch d a r u m bemüht, den Text so weit wie möglich originalgetreu wiederzugeben, zumal die H a n d s c h r i f t auch weiterhin k a u m zugänglich sein wird. Hier möchte ich all denjenigen Institutionen und Persönlichkeiten meinen verbindlichen D a n k aussprechen, mit deren Hilfe ein deutsches Sprachund R e c h t s d e n k m a l aus der Slowakei hier in einer Edition vorgelegt werden kann. Das Finnische Kultusministerium in Helsinki und das Schulministerium der CSSR in Prag h a b e n mir 1969-1970 insgesamt über ein halbes Jahr Forschungsaufenthalte in der Tschechoslowakei ermöglicht. Von der Slowakischen Archivverwaltung (Slovenskä archivna spräva) in Preßburg (Bratislava) wurde mir die G e n e h m i g u n g erteilt, mich mit mittelalterlichen deutschen Texten in slowakischen Archiven zu beschäftigen und das Material zu kopieren. Dr. Alexander Zrebeny, Direktor des Stadtarchivs Altsohl (Zvolen), hat mir mit seiner Sachkenntnis die reichen Archivmaterialien des 14.-17. Jahrhunderts in der Slowakei aufgezeigt. Die Slowakische A k a d e m i e der Wissenschaften (Slovenskä a k a d e m i a vied) und Professor Jozef Ruzicka stellten mir Sekundärliteratur zur Verfügung. Von besonderer Wichtigkeit für die Verwirklichung des Forschungsplanes war die Hilfe seitens des Instituts f ü r Sprachen an der Hochschule f ü r Forst- und Holzwirtschaft zu Altsohl (Vysokä skola lesicka a drevärska vo Zvolene, Katedra jazykov); Professor Ida Ambrosovä stand in jeder Hinsicht der Untersuchung zur Seite, die praktischen Voraussetzungen f ü r den Forschungsaufenthalt w u r d e n von Professor O n d r e j H r c k a geschaffen. Professor

6

Vorwort

Emil Skala, Leiter des Germanistischen Instituts der Karls-Universität Prag (Universita Karlova, Katedra germanisti ky), hat meine Untersuchung mit R a t und Hilfe verfolgt. Die Humanistische Kommission der Finnischen Akademie sowie die Stiftung Emil Aaltosen Säätiö in Tampere haben die Arbeit durch Zuwendungen für die Materialbeschaffung und für die Anstellung einer Wissenschaftlichen Hilfskraft unterstützt; zur Fertigstellung des Druckmanuskriptes dieser Arbeit hat cand. phil. Karl-Heinz Grothausmann entscheidend beigetragen. Die Universität Helsinki und die Universität Jyväskylä haben mir die Existenzgrundlage während dieser Arbeit gesichert. Mit meinem aufrichtigen Dank an alle, die das Erscheinen dieses Buches ermöglicht haben, möchte ich den Wunsch nach weiterem Ausbau der wissenschaftlichen Beziehungen auf internationaler Ebene verbinden. Jyväskylä/Finnland, im August 1971

lipo Tapani

Piirainen

Inhalt

Vorwort

5

EINLEITUNG 1. V o r b e m e r k u n g e n 11 2. Die H a n d s c h r i f t 12 3. Z u r Geschichte der Handschrift 15 4. Z u r rechtsgeschichtlichen Stellung des Silleiner Codex 16 5. Z u r rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Sprache in der H a n d s c h r i f t 6. Einrichtung der vorliegenden Ausgabe 25 EDITION

19

35

ANHANG 1. Glossar 175 2. Literaturverzeichnis 218 3. Personenregister 225 4. Sachregister 226 5. Die Blätter 16 b und 72 a aus der Originalhandschrift des Stadtrechtsbuchs von Sillein aus dem Jahre 1378 227

M E I N E R FRAU

EINLEITUNG

1. Vorbemerkungen Im vorliegenden Buch wird ein deutscher Rechtstext erstmalig herausgegeben, der bisher sowohl der rechtsgeschichtlichen als auch der sprachlichen Forschung verborgen war. Das Stadtrechtsbuch von Sillein (Zilina) in der südlichen Tschechoslowakei stammt aus dem Jahre 1378 und ist in einer Originalhandschrift enthalten, deren Existenz z w a r seit dem A n f a n g der 30er Jahre dieses Jahrhunderts bekannt war, dessen deutschsprachiger Text aber aus verschiedenen G r ü n d e n nicht zugänglich war. 1 W e n n in dieser Ausgabe n u n der vollständige deutsche Text des Stadtrechtsbuchs vorgelegt wird, so geschieht es mit der größtmöglichen Treue z u m Original. Jeder Seite der H a n d s c h r i f t des eigentlichen Rechts entspricht eine entsprechend gestaltete Seite im Druck mit zwei Textblöcken. Ebenfalls ist die Zeileneinteilung der H a n d s c h r i f t strikt beibehalten worden. Es w e r d e n alle Zeichen des Originals in Drucktypen wiedergegeben; auch werden - bis auf die Ergänzungen in eckigen K l a m m e r n - keine Zeichen hinzugefügt, die nicht in der H a n d s c h r i f t v o r k o m m e n . Es soll damit jede Normalisierung des Originals vermieden werden, die zu einer Änderung der ursprünglichen Gestalt des Textes f ü h r e n könnte. Gewisse Zusätze, etwa die H i n z u f ü g u n g der fehlenden Interpunktion, w ü r d e n u. U. die Lesbarkeit des gedruckten Texts erleichtern, gleichzeitig jedoch eine Interpretation der gegebenen Originalhandschrift bedeuten. Die möglichst weitgehende orthographische Treue z u m Original soll weiterhin der germanistischen Forschung ermöglichen, die Sprache des Stadtrechtsbuchs a u f g r u n d dieser Ausgabe zu erforschen, zumal die Originalhandschrift auch weiterhin k a u m zugänglich sein wird. In der folgenden Einleitung w e r d e n nach der Beschreibung der H a n d schrift ihre Forschungsgeschichte sowie ihre Stellung in der Menge deutschsprachiger Rechtstexte dargestellt. Die rechtsgeschichtliche Darstellung soll der Orientierung in der Problematik dieses Textes dienen und die künftige Forschung darauf hinweisen, den Text in eine eingehende Untersuchung einzubeziehen. Aus diesem G r u n d wird auch die sich mit dem Problemkreis befassende Literatur angeführt, allerdings mit einem ausdrücklichen Hinweis darauf, d a ß vieles nur zum Teil oder mit der strengsten P r ü f u n g auf die

12

Einleitung

Objektivität hin zu verwenden ist. Das angehängte Glossar enthält alle im Text vorkommenden verschiedenen Wortformen mit ihren Schreibvarianten sowie die neuhochdeutschen Bedeutungen.

2. Die Handschrift Die Handschrift des Stadtrechtsbuchs von Sillein (Zilina) befindet sich heute im Stadtarchiv Sillein (Mestsky archiv v Ziline), das in einem Vorgebäude des Schlosses am Stadtrand (Budatinsky zämok) untergebracht ist. Für die vorliegende Ausgabe wurden sowohl die Originalhandschrift als auch eine über Film hergestellte Kopie in der Originalgröße benutzt. Die Handschrift ist in einem Codex aus Papier enthalten. Die Höhe des Papiers beträgt einheitlich 29 cm und die Breite 22 cm. Die insgesamt 149, abgesehen von wenigen Ausnahmen, beiderseits beschriebenen Blätter der Handschrift sind in braunem, halbweichem Leder gebunden: die Deckel sind ca. 3 mm stark. Der Rücken des Einbands ist mit einem rechteckigen Stück aus Horn verstärkt, das mit dreieckigen Schnitzerein verziert ist. Auf den Einbanddeckeln sind Riemen aus demselben Leder angenäht, mit denen der buchförmige Codex auch heute verschlossen werden kann. - Abgesehen von Gebrauchsspuren im Leder ist der Einband gut erhalten. Das Leder, die Hornschnitzerei sowie die Bindeart lassen die Bindearbeit auf das 15. Jahrhundert zurückführen, 2 während der Rechtstext aus dem Jahre 1378 stammt. Die Blätter 1 und 9-97 gehören dem ursprünglichen Band an. Die Blätter 2-8 und 98-149 sind in diesen Einband nachträglich als Einlagen hinzugefügt worden. Die Größe der später miteingebundenen Blätter ist dieselbe wie die der ursprünglichen. Das Papier des Codex ist mittelstark und leicht vergilbt. Es lassen sich darin deutliche Wasserzeichen erkennen. Blätter 1 und 9-97 haben dieselbe Papiersorte, in der Wasserzeichen aus Spinnfäden das Grundmuster darstellen. Blätter 1 und 10-18 weisen nur Spinnfäden, 19-58 weiterhin einen Rehbock, 59-68 wieder Spinnfäden, 69-97 weiterhin Birnenmuster auf. Die Wasserzeichen der nachträglich eingeschobenen Blätter haben kein Grundmuster (Spinnfäden) und weisen eindeutig eine andere Papiersorte auf als die früheren Blätter. Auf den Blättern 2-8 sind Lilien, 98-103 ein Löwe, 104-149 Kreise und Sterne als Wasserzeichen zu sehen. An einigen Stellen treten im Papier stärkere Vergilbungen infolge von Feuchtigkeitsschäden auf. Wurmschäden hat das Papier nur vereinzelt (z. B. Blatt 58) erfahren.

Die Handschrift

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Blatt 8 ist durch W a s s e r und Risse stark beschädigt. Insgesamt ist der Zustand des Codex relativ gut und der T e x t o h n e größere S c h w i e r i g k e i t e n lesbar. Die Blätter tragen keine ursprüngliche Blattnumerierung.

D i e laufende

Numerierung am o b e r e n R a n d der rechten Seite jedes Blatts s t a m m t von einer anderen H a n d und ist jüngeren D a t u m s . A m unteren R a n d der rechten Seite jedes Blatts erscheint weiterhin eine gestempelte Blattnumerierung, die o f f e n s i c h t l i c h um 1 9 3 0 herum für die damalige Bearbeitung v o r g e n o m m e n worden ist. Die in der vorliegenden Ausgabe benutzte kontinuierliche Blattnumerierung entspricht der in der Handschrift. A b g e s e h e n von den späteren Einzeleintragungen des Silleiner Stadtgerichts, die z. T . a u c h über die ganze Breite einer Seite geschrieben sind, stehen auf jeder T e x t s e i t e zwei B l ö c k e , deren H ö h e 21 cm und Breite 6 cm beträgt. D e r R a n d über den T e x t b l ö c k e n ist ca. 2,5 cm hoch. D e r innere R a n d , z u m B u c h r ü c k e n hin, ist ebenfalls ca. 2,5 cm breit. D e r untere und der ä u ß e r e R a n d sind jeweils ca. 4,5 c m breit (das Z e i l e n e n d e kann j e d o c h bis zu ca. 1 c m s c h w a n k e n ) . D e r leere R a u m z w i s c h e n den beiden T e x t b l ö c k e n beträgt durchschnittlich 18 m m . Im folgenden wird der Inhalt bzw. werden die Ü b e r s c h r i f t e n des Codex der laufenden Blattnumerierung n a c h angegeben. 1a 1b 2 a-

9b

1 0 a - 12 a 12 b 13 a - 17 b

19 a - 22 a

22 a - 64 b

Cum tum (ca. 16. Jh.) Fünf einzelne Nameneintragungen (14.-15. Jh.) Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts (deutsch, lateinisch und slowakisch; 1386-1468). Bl. 8 b ist leer Gebete (deutsch; ca. 1378) 10 a: Daz fint gute manvnge ke / gen vnferm herren amen / Rechtsspruch des Silleiner Stadtgerichts (slowakisch; 1462). In der unteren Hälfte eine spätere Archivnotiz (lateinisch; 1842) Register (deutsch; ca. 1378) zu den unnumerierten Kapiteln des Landrechts 13 a; Hye hebt fich an daz regifter / von dem recht czu meidburg / und des Lehnrechts 17 a: Hy hebt fich an daz regifter / in lehen recht Weichbildchronik als Vorwort des Rechtsbuches 19 a: Hie hebt fich an der chunig puch / vnd marburgychz recht amen/ 22 a: Hy endet fich dy vor / rede von den byfchöfen von / meidburch der ftat / Der erste Teil des Rechtsbuches, das Landrecht, in 427 nicht numerierten Artikeln 22 a: Hy heben fich an dy höhen / recht von meidburch d[er] stat / 64 b: Nu endet fych das lant recht / Nu heben fych an dy lehen / recht / Anno d(o]m[ini] millefimo tre[ce]ntefi[m]o / feptuagefimo Octauo finit[us] / eft liber iste p[ro]xima fabb[at]o p[os]t / feftum vnde[vi]gin[ti] miiia v[ir]gi[nu]m [ = 23.10.1378] / p[er] man[us] nycolay de lucouia /

14 65 a - 71 a

Einleitung Der zweite Teil des Rechtsbuches, das Lehnrecht, in 53 nicht numerierten Artikeln

65 a: Wy man den chvnich kyfen / fol do ye czu den dy lehen recht / 71 a : do mete vor dine fy gotez / holde / 71 a - 73 a Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts (deutsch; 1378-1419). Bl. 71b ist leer 73 b Keine Eintragungen 74 a - 76 b Das Bergrecht von R o d e n a u (Rodna in Siebenbürgen)

77 a - 1 0 4 a 104 b 105 a - 1 4 9 a 149 b

74 a: H y heben fich an dy berg recht / von der rodenaw / 76 b: dor / vber Hab wir dy hantfefte / lazzen machen vnd ichreiben dur / ch aller gerechter dinge willen / Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts (deutsch, lateinisch u n d slowakisch; ca. 1391-1561) Keine Eintragungen Die Übersetzung des Silleiner Rechts aus dem Jahre 1473 (slowakisch) Keine Eintragungen

Die Schrift des Schreibers, der den Aufzeichnungen nach nycolay de lucouia (Nikolaus de Lucovia; gemeint ist der Ort Lukove im Kreis Altsohl/ Zvolen) heißt, erscheint in schwarzer Tinte auf vorgezeichneten Linien der jeweiligen Textblöcke. Die Überschriften der einzelnen Kapitel sind wiederum im Original mit roter Tinte geschrieben und werden in der vorliegenden Ausgabe fett gedruckt. Die Kapitel fangen mit Initialen an, die zwei Zeilen hoch und mit roter Tinte gezeichnet sind; in der Initialbemalung k o m m t außer roter nur schwarze Tinte vor. Ab Bl. 65 b sind die Initialenfelder leer und weisen auf den f ü r das Mittelalter charakteristischen Usus, die Initialen nachträglich, oft von einem anderen Schreiber malen zu lassen. Im Textinneren k o m m e n keine Initialen vor. - Die fehlenden Initialen werden in dieser Ausgabe in eckigen Klammern hinzugefügt. Die gleichmäßige gotische Schrift mit Majuskeln und Minuskeln weist eine übliche Schreibform des 14.-15. Jahrhunderts a u f ; die klassische Form der Textura weicht zugunsten der gotischen Kursive; die Unterlängen bei f und f sind schon ausgeprägt, und die Oberlängen treten ohne feste Regeln bei verschiedenen Zeichen auf. Im einzelnen sei auf die im Anhang abgedruckte Schrifttafel verwiesen. - Die Gebete (Bl. 10 a - 1 2 a), das Register des Land- und Lehnrechts (Bl. 13 a - 1 7 a), die Weichbildchronik (Bl. 19 a 22 a), das eigentliche Recht (Bl. 22 a - 7 1 a), das Bergrecht von Rodenau (Bl. 74 a - 7 6 b) sowie wahrscheinlich auch die Eintragung auf Bl. 71 a (Daz Recht hat man fon Korppen / pracht) stammen von einer Schreiberhand. Die übrigen Einzeleintragungen der Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts stammen von verschiedenen Schreibern, deren Namen im einzelnen nicht zu ermitteln sind. Für die slowakische Übersetzung des Silleiner Rechtsbuchs ist der Handschrift nach Wenzel von Kromeriz (Vaclav z Kromerize)

Zur Geschichte der Handschrift

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verantwortlich, der offensichtlich auch als Schreiber tätig war (Bl. 149 a : Finis adest operis . . . presens opus est translatum per manus Wenceslai de Kromierzyz).

3. Zur Geschichte der Handschrift Die älteste Nachricht über die Handschrift und deren Schicksal ist dem Codex selbst zu entnehmen. Auf Bl. 12 b steht eine lateinische Notiz über den Inhalt des Rechtsbuchs mit der folgenden Unterschrift: Die 20 Novembris Anno D[omi]ni 1842. Ludovicus Sztarek h. Canonicus Nitriensis. Dieser Ludovicus B. Sztarek

(Sztarka)

hat 1856 eine „Historia civitatis Solna" ge-

schrieben, in der das Stadtrechtsbuch zum ersten Male erwähnt wird; das Manuskript dieser „Historia" wurde später im Nationalmuseum in Budapest aufbewahrt. 3 Dieses nur im Manuskript vorliegende Werk hat als Grundlage für Alexander Lombardini

gedient, der 1874 eine Geschichte der Stadt

Sillein vorlegt. 4 Lombardini hat die Originalhandschrift jedoch kaum einsehen können, da der Historiker Josef Beck

bereits 1857 Proben aus dem Stadtrechtsbuch

veröffentlicht und die Handschrift vermutlich in seinem Besitz hatte. 5 Die Auszüge in der Beschreibung von B e c k werden 1865 von Hermenegild Jirecek

in Wien herausgegeben. 6 In demselben Jahr erschienen noch weitere

Notizen über das Stadtrechtsbuch, besorgt von Andrej Radlinky Frantisek

und

Sasinek.7

Der wertvolle Codex war für Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, bis ihn der tschechische Historiker V. Chaloupecky

1928 im Mährischen Landes-

archiv in Brünn (Brno) fand. In demselben Jahr wurde die Handschrift nach Preßburg (Bratislava) gebracht, wo V. Chaloupecky zusammen mit R. Rauscher

die Vorbereitungen für die Edition traf. Als Ergebnis erschien

1933 in Preßburg das Buch Chaloupeckys mit der Wiedergabe des slowakischen Teiles des Rechtsbuchs. 8 R . Rauscher, der in der genannten Ausgabe die Überschriften der Kapitel des älteren, deutschsprachigen Rechts besorgte, konnte seinen Plan, den ganzen deutschsprachigen T e x t zu edieren und mit einem Glossar herauszugeben, nicht zu Ende führen. Das einzige Resultat war ein erweiterter Vorabdruck aus der Einleitung Chaloupeckys mit den deutschen Kapitelüberschriften des Codex. 9 Der Erfolg dieses Unternehmens war jedoch, daß die Existenz eines deutschsprachigen Rechts- und Sprachdenkmals aus dem Jahre 1378 bekannt wurde und später zu einzelnen Notizen in der Forschung führte. 1 0 Der deutsche Text blieb den Forschern

16

Einleitung

jedoch unerreichbar. 11 - Der Codex befindet sich heute wieder an seinem Entstehungsort, in Sillein. Da die einzelnen Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts nur bis 1429 auf Deutsch, dann auf Latein und seit dem 22. 1. 1451 neben Latein auch auf Slowakisch sowie schließlich seit 1459 nur auf Slowakisch verfaßt sind, ist der slowakische Teil dieser Eintragungen, neben der Übersetzung des Rechts aus dem Jahre 1473, ein geeignetes slawistisches Forschungsobjekt. Die Bemühungen der Bohemisten und Slowakisten haben zu einem umfangreichen Wörterbuch über die Sprache des Silleiner (slowakischen) Stadtrechts von Frantisek Rysänek12 sowie zu einer Reihe von kleineren Abhandlungen über die Sprache der „Kniha Zilinskä" geführt. 13 Mit einem Blick in die sehr spärliche germanistische Fachliteratur über die Sprache des Silleiner Stadtrechtsbuchs sowie allgemein über die frühneuhochdeutsche Sprache in der Slowakei kann festgestellt werden, daß die Forschung nur flüchtig vorgenommen worden ist. 14 Nach einigen Anfängen wurde während des Dritten Reiches vielfach versucht, die Ergebnisse der sprachlichen Denkmäler für die Politik zu mißbrauchen. 15 Vielleicht mag aus diesem Grunde nach dem 2. Weltkrieg nur zögernd ein neuer Beginn der außerdem sehr mühsamen Forschung versucht worden sein. 16 In vielen Fällen muß auf die Vorarbeiten aus der Vorkriegsund Kriegszeit verzichtet werden; gesicherte, von der Forschung allgemein anerkannte Ergebnisse liegen kaum vor. Dies gilt auch für viele rechtsgeschichtlich orientierte Arbeiten aus der genannten Periode, da diese, zeitpolitisch bedingt, sehr auf eine starke Betonung der deutschen Rolle beim Aufbau einer bodenständigen Kultur bedacht waren. Es ist daher die Intention dieser Ausgabe des deutschsprachigen Textes des Codex, das Denkmal der internationalen Forschung zugänglich zu machen und eine unvoreingenommene, objektive Handhabung des Textes für die weiteren Untersuchungen zu ermöglichen.

4. Zur rechtsgeschichtlichen Stellung des Silleiner Codex In der gedruckten Ausgabe der deutschen Uberschriften der einzelnen Artikel hat R. Rauscher auf inhaltlich übereinstimmende Stellen in anderen Rechtsaufzeichnungen hingewiesen und somit die rechtshistorische Vorlage des Silleiner Rechts z. T. erklärt. 17 Demnach gehört das Silleiner Recht zu der großen Zahl der Einzelrechte, die mehr oder minder genau auf das

Zur rechtsgeschichtlichen Stellung

17

Magdeburger Recht zurückgehen. 1 8 Das Silleiner Recht enthält einen vollständigen Text des Sachsenspiegels und des sächsischen Weichbildrechts. Die Weichbildchronik bildet das Vorwort des Rechtsbuches, im weiteren Verlauf werden die Inhalte des Sachsenspiegels und des Weichbildrechts in einzelnen Artikeln miteinander verschmolzen. Weiterhin enthält der Silleiner Text die sog. Krakauer Varianten und vereinzelte Artikel aus dem Magdeburg-Breslauer Recht von 1216 und 1295, aus dem MagdeburgGörlitzer Recht von 1304 1 9 sowie etliche weitere aus dem angeschlossenen Rodenauer Bergrecht, das im Unterschied zu den übrigen Bergrechten in der Slowakei einen landesfürstlichen Charakter hatte und offensichtlich über Karpfen nach Sillein gelangte. 2 0 Das Lehnsrecht enthält auch die lehnsrechtlichen Artikel des Landrechts, die in der slowakischen Übersetzung, im Gegensatz zu dem übrigen Inhalt des Silleiner Rechts in deutscher Sprache, nicht mitübersetzt sind. Angesichts einer derartigen Verschachtelung der Bestimmungen einzelner Rechtsbücher in einzelnen Kapiteln des Silleiner Rechts wird es auch den Rechtshistorikern, die üblicherweise durch das Vergleichen der Kapitel und der Absatzeinteilung sowie des Wortlauts in ausgewählten Artikeln die Zusammengehörigkeit von rechtssprachlichen Aufzeichnungen zu untersuchen pflegen, etliche Schwierigkeiten bereiten, die unmittelbare, in allen einzelnen Punkten übereinstimmende Vorlage zu finden und das Alter der Silleiner Fassung zu bestimmen. 2 1 In diesem Fall kommt noch hinzu, daß der slowakische Text, die einzige bisher vorhandene Edition des Rechtsbuches, eine sehr mißverständliche Ubersetzung des ursprünglich

auf

Deutsch verfaßten Teiles ist. Das Fehlen eines Abdrucks des auf 1378 datierten deutschen Rechtstextes hat u. U. dazu führen können, daß durch den der Forschung zugänglichen slowakischen Text ein falsches Bild vom Inhalt entsteht. Auf diese Lücke ist es zurückzuführen, daß bis jetzt keine rechtsgeschichtlichen Erläuterungen zur Stellung des Silleiner Rechts innerhalb der Familie deutscher Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters oder speziell im Zuge der deutschen Ostsiedlung zur Verfügung stehen. 2 2 Die Frage nach dem rechtsgeschichtlich verbindlichen Ursprung des Silleiner Rechts kann auch durch die gängige historisch-vergleichende, sich auf die urkundlichen Belege stützende Methode nur unsicher beantwortet werden. Geographisch liegt Sillein zwischen dem deutsch besiedelten ostmährisch-oberschlesischen Gebiet und derdeutschen Sprachinsel der Mittelslowakei. In der näheren Umgebung Silleins liegen keine größeren deutschen Siedlungen. Terra de Selinan, was eventuell auf die Stadt Sillein oder den Ort, an dem sich eine romanische Kirche befindet, hinweist, wird bereits 1208 2

Piirainen, Stadtrechtsbuch

18

Einleitung

urkundlich erwähnt; die Gründung der deutschen Stadt mit diesem Namen ist jedoch erst für Anfang des 14. Jahrhunderts anzunehmen. Von 1321 liegt die Aufzeichnung hospites nostri de Sylna vor, die auf eine selbständige Stadt hinweist, da im Anschluß daran für den Ort die Bezeichnung civitas angeführt wird. Über die Geschichte der Stadt läßt sich in den Urkunden aus Ungarn und der Slowakei weiterhin feststellen, daß sie von dem ostschlesischen Raum her besiedelt worden ist; die Erklärung dafür liegt von der Siedlungsgeographie her auf der Hand. 23 Die Stadt Sillein hat von dort auch ihr erstes Recht erhalten; es galt für Sillein zuerst das Recht von Teschen (Cieszyn), das offensichtlich nach dem sächsisch-fränkischen Recht von Löwenberg (heute Lwowek Slaski) verfaßt war. Erst im Jahre 1374 trat Teschen zum Breslauer Recht über. 24 Im Gegensatz zu dieser Ansicht W. Weizsäckers meint H. Brauner, daß Sillein nach dem Magdeburger Recht gegründet worden sei und zwar in einer schriftlich heute nicht mehr überlieferten Form, die über Neumarkt (heute Sroda Slaska) in Schlesien an Teschen weitergegeben worden war. 25 Beide Forscher beziehen sich auf Urkundenmaterial, das lückenhaft ist und deshalb verschiedenen Auslegungen Raum läßt. Es liegt jedoch von verschiedenen Seiten fest, daß Sillein anfänglich das Teschener Recht besaß. 2 6 Angesichts der Tatsache, daß es Sillein 1379 ausdrücklich verboten wurde, nach dem Teschener Recht zu verfahren, ist es für die Fragestellungen des vorliegenden Rechtsbuches nicht von besonderer Bedeutung, ob das ursprüngliche Teschener Recht auf den Magdeburger, den sächsisch-fränkischen oder gar den flämischen Elementen beruht. Für die Erörterung der Rechtsverhältnisse ist es jedoch von primärer Wichtigkeit, daß Sillein 1370 das Recht von Karpfen (Krupina) übernommen hat, das seinerseits sein Magdeburger Recht wiederum schon im 13. Jahrhundert aus Schlesien erhalten hatte und zu einem Rechtsmittelpunkt in der Mittelslowakei geworden war. 27 Die Tatsache, daß Sillein im 14. Jahrhundert das Recht gewechselt hat, macht jedoch die Suche nach der Vorlage des kodifizierten Rechts von Sillein von 1378 kompliziert. Einerseits ist es - angesichts der fehlenden Urkunden - nicht genau zu bestimmen, welches Recht die Stadt Teschen (das Löwenberger, das Neumarkter oder gar das späte Breslauer Recht) Sillein zum Abschreiben gegeben hat, zumal bereits für Teschen verschiedene Ansichten gelten. Andererseits ist es durchaus in den Grenzen des Möglichen, daß 1378 nicht das erst 1370 verliehene Karpfener Recht, sondern das ältere Teschener Recht in der einen oder anderen Fassung ins Rechtsbuch eingetragen wurde. Diese Tatsache wird jedoch angesichts des ausdrücklichen Verbots des Teschener Rechts in Sillein 1379 widerlegt, es könnte jedoch auf ein zeitweiliges Nebeneinander

19

Zur rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Sprache

des T e s c h e n e r und K a r p f e n e r R e c h t s in Sillein hinweisen. S o w o h l das T e s c h e n e r als a u c h das K a r p f e n e r R e c h t sind, soweit sie schriftlich vorlagen, verloren gegangen und k ö n n e n keine E n t s c h e i d u n g b r i n g e n . 2 8 D a das R e c h t s b u c h j e d o c h Eintragungen enthält, in denen die Ü b e r n a h m e des R e c h t s aus K a r p f e n gestätigt wird (Bl. 71a D a z R e c h t hat m a n fon Korppen pracht) und die a u c h Brauner

und Weizsäcker

b e k a n n t gewesen sein müssen, wird

das Silleiner R e c h t - trotz obiger B e d e n k e n - auf das K a r p f e n e r R e c h t zurückzuführen sein. M a n g e l s historisch belegbarer F a k t e n bzw. entsprechender U r k u n d e n k a n n kein e x a k t e r e s Resultat als diese hypothetische Feststellung erzielt werden. -

Es wird also eine der wichtigsten A u f g a b e n der

künftigen Forschung sein, die Stellung des Silleiner R e c h t s in der M e n g e der spätmittelalterlichen R e c h t s a u f z e i c h n u n g e n zu klären.

5. Zur rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Sprache in der Handschrift Für die Untersuchung mittelalterlicher R e c h t s d e n k m ä l e r bietet sich schließlich die sprachgeschichtliche Methode, die u. U. zur Klärung verschiedener, a u c h rechtshistorisch interessanter F a k t e n führen kann, indem der R a u m sowie die Zeit der Entstehung eines T e x t e s mit einer gewissen Sicherheit b e s t i m m t werden k ö n n e n . W i e a b e r etliche M a l e in der r e c h t s w i s s e n s c h a f t lichen Literatur hervorgehoben ist, wird von dieser M ö g l i c h k e i t bei der Untersuchung deutscher R e c h t s b ü c h e r nur wenig G e b r a u c h g e m a c h t ; 2 9 dies liegt g e w i ß z. T . darin, d a ß der E i g e n w e r t der R e c h t s a u f z e i c h n u n g e n als s p r a c h l i c h e und a u c h als literarische D e n k m ä l e r seitens der G e r m a n i s t i k und der deutschen R e c h t s g e s c h i c h t e zu gering geschätzt wird. V i e l m e h r wird bei den einzelnen R e c h t e n - offensichtlich in der Tradition philologischer T e x t k r i t i k - die E r s c h l i e ß u n g der „ U r s c h r i f t " oder des „ U r r e c h t s " in den Vordergrund gestellt, als seien die R e c h t e verschiedener Orte Lesarten eines Literaturwerkes und im Falle des Fehlens einer V o r l a g e zu rekonstruieren. D a b e i handelt es sich j e d o c h u m eine Handschrift, die linguistisch bzw. s p r a c h g e s c h i c h t l i c h auf ihre Eigencharakteristik, auf die G r a p h e m a t i k („Schreibung"), Morphologie, Syntax oder ihren W o r t s c h a t z hin analysiert werden kann. D a b e i bietet die Wortgeographie offensichtlich die besten Voraussetzungen dafür, den T e x t einer b e s t i m m t e n sprachlichen

Region

z u z u w e i s e n . 3 0 Es ist gerade angesichts der B e s o n d e r h e i t e n der

Rechts-

s p r a c h e a b e r nicht o h n e P r o b l e m e , ein R e c h t s d e n k m a l in sprachlicher Sicht kontrastiv anderen T e x t e n und deren j e w e i l s entsprechenden 2*

Merkmalen

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Einleitung

gegenüberzustellen; bereits das Vergleichen mehrerer Handschriften eines Rechts ist mit Schwierigkeiten theoretischer und praktischer Art verbund e n . " Die Autonomie eines jeden Textes darf bei diesen Untersuchungen nicht aus den Augen verloren werden. Aus einer linguistischen bzw. sprachgeschichtlichen Untersuchung gewonnene Resultate, die auf eine bestimmte Schreiberschule, auf eine umgrenzbare Textlandschaft oder gar einen bestimmten Rechtskreis deuten, können für die Herkunftsbestimmung und die Überlieferungsgeschichte einer Rechtshandschrift aufschlußreich werden, auch wenn sie keine absolute Gültigkeit besitzen. Die linguistische Textanalyse der Rechtsaufzeichnungen könnte somit im weiteren Verlauf, nach der Bearbeitung größerer Textmengen, zum Umreißen von sprachlich bestimmbaren, Rechtslandschaften führen. Im Fall des Silleiner Rechts könnte dies, wenn die Vorarbeiten einmal vorhanden sein sollten, klären, ob sprachliche Elemente (etwa Lexeme) im Silleiner Codex Ähnlichkeiten mit der Magdeburger Rechtslandschaft aufweisen; die rechtsgeschichtlichen, urkundlichen Belege weisen ja (hypothetisch) auf diese Möglichkeit hin. Bei der Untersuchung älterer Sprachdenkmäler wird gelegentlich eine Methode angewandt, in der die Sprache eines Textes in seinen Teildimensionen mit heutigen Sprachzuständen bzw. mit verschiedenen lebendigen Dialekten verglichen wird. Diese Vorgehensweise ist jedoch mit erheblichen Bedenken verbunden, da die Sprache sich im Laufe der Jahrhunderte geändert hat, ohne daß die einzelnen Phasen dieser Wandlung im einzelnen bekannt wären. Die Gegenüberstellung von schriftlich fixierten Sprachstufen (in diesem Fall der T e x t aus dem Silleiner Codex) und lebendigen Mundarten würde darüberhinaus nicht auf methodisch einwandfreier Basis beruhen, zumal der Ursprungsort und die einzelnen Etappen der Überlieferung nicht genau bestimmbar sind. Auch wenn ein derartiger Vergleich zulässig wäre, könnte die Methode bei der sprachlichen Untersuchung des Silleiner Rechtsbuches nicht angewandt werden. Die Stadt Sillein, die niemals eine Stadt mit überwiegender deutschsprachiger Mehrheit gewesen ist, hat - umgeben von den slowakischsprachigen, nur spärlich deutsch besiedelten Gegenden - Deutsch als Amtssprache nur kurze Zeit bewahren k ö n n e n : bereits 1381 war der slowakisch sprechenden Bevölkerung die Hälfte der Geschworenen im Rat zugestanden worden, 3 2 und nach 1429 treten in den erhaltenen Aufzeichnungen aus Sillein nur noch Latein und Slowakisch, seit 1459 nur Slowakisch, auf. Bereits im deutschsprachigen Recht selbst wird darauf hingewiesen, daß jedermann vor dem Gericht seine Muttersprache sprechen darf - eine rechtsgeschichtlich außerordentlich wichtige Bestimmung, die wegen des Fehlens einer Edition der Hand-

Zur rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Sprache

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schrift der Forschung nicht bekannt war. 3 3 Die Zweisprachigkeit w a r in der Stadt wohl immer v o r h a n d e n ; insofern ist es nicht verwunderlich, d a ß Deutsch in dem sonst slowakisch sprechenden Gebiet der areal überwiegenden Sprache weicht. Daher ist es ausgeschlossen, die Sprache des Rechtsbuches mit einer heutigen Mundart vom Silleiner Gebiet zu vergleichen; das gleiche gilt f ü r die möglichen weiteren Vergleichsorte Teschen und Karpfen, in denen heute kein Deutsch mehr gesprochen wird. Noch willkürlicher wäre es, die Sprache des Codex mit den lebendigen M u n d a r t e n etwa in Breslau oder Magdeburg zu vergleichen, über die das Recht eventuell nach Karpfen und Sillein g e k o m m e n ist. Da im Stadtarchiv Sillein und in anderen in Frage k o m m e n d e n Archiven des f r ü h e r e n ungarischen R a u m e s keine weiteren deutschsprachigen Texte aus Sillein zu finden sind, bleibt keine andere Möglichkeit als das Rechtsbuch allein zu untersuchen. Dabei bietet der Codex die Gelegenheit, einige Aspekte der spätmittelalterlichen Rechtssprache genauer zu betrachten. Die Rechtssprache des ausgehenden Mittelalters ist vor d e m Hintergrund ihrer damaligen Funktion zu s e h e n ; ihre verschiedenen Erscheinungsformen spielten eine weitaus größere Rolle im schriftbezogenen Sprachgebrauch als in der Sprache der m o d e r n e n Gesellschaft. Rechte mit langer, z. T. überregionaler Tradition, U r k u n d e n mit ihren f o r m e l h a f t e n W e n d u n g e n und erstarrten Ausdrücken, Rechtssprüche mit Reflexionen der volkssprachlichen Gerichtsverhandlung und ähnliche Texttypen gehören in der Sprachforschung zu einer Form von Sondersprachen, die k a u m untersucht worden sind. Von dort her ist es berechtigt und wünschenswert, ein Rechtsbuch auf seine sprachliche Charakteristik hin, unter Berücksichtigung seiner Eigenständigkeit als Sprach- und Rechtsdenkmal, mit den Methoden der textorientierten Linguistik zu untersuchen. Bei einer sprachlichen Analyse soll darauf geachtet werden, d a ß den Einzelbelegen keine zu große Beweiskraft beigemessen wird. Die „exzeptionellen" Schreibformen, „seltenen" Formen, „ a u f f a l l e n d e n " Wörter u. ä. haben oft dazu geführt, d a ß voreilige Schlüsse über Dialekteinflüsse und Wortgeographie gezogen worden sind; dagegen ist der G r u n d b e s t a n d teil der Texterscheinungen leicht außer acht geblieben. Es stehen der m o d e r n e n Forschung die M e t h o d e n der quantitativen und der datenverarbeitenden Linguistik zur Verfügung, die die Bestandteile eines Textes nach seinen Ebenen („Levels") sortieren und klassifizieren und die a-prioriErkenntnisse ausschalten. Von diesen Überlegungen aus wird der Blick von den „interessanten" oder „ a b w e i c h e n d e n " Einzelbelegen a b g e w a n d t und statt deren auf die gesamte Textkonstitution auf einer oder mehreren Ebenen gerichtet. D e m n a c h wird es möglich, speziell f ü r die älteren Rechtsaufzeich-

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Einleitung

nungen festzustellen, inwieweit diese mit a n d e r e n Texten ü b e r e i n s t i m m e n bzw. wie „altertümlich" oder „progressiv" ein Rechtstext in seinen verschiedenen Dimensionen im Vergleich mit anderen, nicht-rechtssprachlichen Texten ist. Im Hinblick auf die Entstehung der n e u h o c h d e u t s c h e n Schriftsprache ist bei den Rechtstexten des späten Mittelalters darauf zu achten, inwieweit ein Rechtstext bereits als „gemeinsprachlich" oder „neuhochdeutsch" zu bezeichnen ist. 3 4 Dies ermöglicht der Forschung, sprachgeschichtliche Fakten zu gewinnen, zugleich aber die lateinische und deutsche Tradition in der Entwicklung und Eigencharakteristik der deutschen Rechtssprache genauer zu untersuchen. Die einzelnen A u f z e i c h n u n g e n und Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts, die der Codex neben dem eigentlichen Recht enthält, sind ein geeignetes O b j e k t f ü r sprachwissenschaftliche bzw. sprachhistorische Erörterungen. Einerseits liegt der Unterschied im ursprünglichen Entstehungsort der T e x t e : die Rechtssprüche stellen eine schriftlich fixierte Form der Sprache Silleins dar, wie sie bei der Verhandlung vor dem Gericht oder dem Rat der Stadt gesprochen und d a n n vom Notar bzw. Stadtschreiber mit m e h r oder weniger Exaktheit bzw. Reflexionen der Schreibersprache in das Stadtbuch eingetragen wurde. Es ist dabei jedoch zu berücksichtigen, d a ß ein Stadt- oder Gerichtsschreiber niemals die eventuell mundartlichen Aussagen vor dem Gericht mit der Genauigkeit eines m o d e r n e n Dialektforschers wiedergegeben hat - die Infiltration seiner eigenen Sprache und Schreibkonvention ist selbstverständlich. Das eigentliche aufgezeichnete Recht ist w i e d e r u m die Abschrift eines Textes, dessen Ursprung bzw. genauer Entstehungsort nicht sicher festgestellt werden kann. Andererseits handelt es sich um zwei verschiedene Schichten der R e c h t s s p r a c h e : die erste, die die A u f z e i c h n u n g e n aus der Gerichtspraxis in Sillein u m f a ß t , ist trotz ihrer G e b u n d e n h e i t an die Schreiberschulen und ihre Traditionen ein Gelegenheitserzeugnis mit der Wiedergabe von örtlichen Angelegenheiten mit einem entsprechenden, nicht überregionalen Inhalt. Die andere Schicht, das eigentliche Recht, ist in seiner Vertextung d u r c h mehrere Schreibstuben gewandert, in denen es inhaltlich und sprachlich gestaltet und an die überregionale Form der Rechtssprechung angeschlossen wurde. W e n n im folgenden einige sprachliche Aspekte hervorgehoben werden, so dient es der ersten Orientierung in der Sprache des Codex. Sie e r h e b e n keinen Anspruch auf Vollständigkeit und werden sich eventuell bei einer systematischen Untersuchung der Sprache als revisionsbedürftig erweisen. Deswegen sollen sie eher als eine Anregung f ü r die künftige Forschung a u f g e f a ß t werden, die Sprache des Codex eingehend und Vollständigkeit anstrebend zu analysieren.

Zur rechtsgeschichtlichen Bedeutung der Sprache

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Wird zuerst die Sprache der einleitenden Weltchronik oder des eigentlichen Rechtstextes betrachtet, so läßt sich dort in Syntax und Wortwahl eine starke Anlehnung an die lateinische Tradition e r k e n n e n : die kurzen, fast nur aufzählenden Sätze geben eine knappe, zugleich aber eine eindeutige Information über den jeweiligen Sachverhalt. Die verwandten Lexeme gehören dem zentralen Wortschatz der deutschen Sprache, also nicht speziell dem der Rechtssprache oder der Weltchronik an. Darunter finden sich keine bildhaften oder dunklen, schwerverständlichen Ausdrücke dichterischer Prägung, die von dem Kontext her erschlossen werden müßten. Der Inhalt des Textes wird - abgesehen von der Pseudo-Exaktisierung etwa bei den Zeitangaben in der Weltchronik - durch gängige Termini wie chünigreych, rechte usw. angegeben. Das gleiche gilt für die späteren, im Codex enthaltenen Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts. Der Unterschied liegt jedoch darin, daß die Sätze in diesen Aufzeichnungen nicht die entschiedene Kürze aufweisen wie im Recht selbst, sondern vielfach anakoluthisch unterbrochen und andersartig fortgesetzt werden. O b darin eine Reflexion der gesprochenen Sprache oder eine Konvention der Schreiberschule zu sehen ist, kann nicht entschieden werden. Die morphologische Ebene bietet bereits eine neuhochdeutsche Charakteristik mit einigen älteren Formen. Präterita wie waz < mhd. wesen (bis ins 17. Jahrhundert) und wart < mhd. werden (bis heute) weichen von dem Sprachgebrauch derselben Entstehungszeit nicht a b ; dagegen stellen het 3. sg. pr. < mhd. hän inf. und queme < mhd. quemen archaische Formen „mittelhochdeutscher" Prägung dar, die im Recht konserviert sind. Es ist jedoch zu vermuten, daß angesichts der sonst fortschrittlichen, neuhochdeutschen Formenbildung derartige Einzelbelege einiger sehr frequenter Wörter keine Aussage über morphologische Verhältnisse in der Stadtsprache zu Sillein gestatten, sondern eher erstarrte Schreibformen einer überregionalen Konvention darstellen. Insgesamt ist die Sprache des Codex - im Vergleich mit anderen Texten aus dem 14. und 15. Jahrhundert, dem ersten Eindruck nach recht progressiv. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Texten (1378 und später) liegen vor allem auf der graphematischen Ebene. Die Weltchronik, desgleichen das gesamte Recht, weist eine Schreibform auf, in der eine weitgehende Vereinheitlichung, vor allem in der Digraphemisierung, erreicht ist. Als Uneinheitlichkeiten in der vokalischen Graphematik treten und für mhd. auf, , , und für mhd. sowie , und für mhd. usw., im großen und ganzen läßt sich das Schreibbild, gemessen auch an weitaus jüngeren ostmitteldeutschen Texten (z.B. Luther), als fortschrittlich bezeichnen. Die einzelnen abweichenden Erscheinungen

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Einleitung

der konsonantischen Graphematik wie das Erhalten von in und der Wechsel zwischen

~ , ~ und ~

betwingunge

ändern nicht

das Bild von einem Text, der auf eine überregionale Schreibtradition hinweist. Um so auffallender ist es, daß die einzelnen Texte der Rechtssprüche eine weitaus größere Variation in der Zeichensetzung bieten. Obwohl z. B. der Abschnitt auf Bl. 71 a (Das Recht hat man fon Korppen p r a c h t . . .) der Handschrift zufolge von dem Schreiber des gesamten Rechts stammt, treten dort Schreibungen wie chwmen,

plyben,

yz, soldn und chehen

auf, die dem

Recht in diesen Zeichenkombinationen fremd sind. Ein wichtiger gemeinsamer Zug mit dem Recht ist jedoch, daß in den Nebensilben konsequent ein steht, falls es nicht synkopiert ist; in zahlreichen anderen Aufzeichnungen steht in den Nebensilben dagegen überwiegend . Auch im übrigen treten dort Schreibungen ohne festen Usus auf, z. B. dirkennen, geschreben,

vorlemit,

dezym,

ys, die das Schriftbild weitaus uneinheitlicher gestalten

als dasselbe des eigentlichen Rechtstextes. Die angeführten Beispiele, die nur einen informativen Charakter besitzen, lassen selbstverständlich kein Urteil darüber bilden, wie die einzelnen Schreibungen zu deuten wären; dazu ist eine quantitative linguistische Analyse des gesamten Textes nötig. Aufgrund der einzelnen Beobachtungen ist jedoch zu vermuten, daß das Silleiner Recht eine lange kanzleigebundene Tradition durchlaufen hatte, bevor es für Sillein abgeschrieben wurde. Dagegen besaß die örtliche Schreibersprache, wiedergegeben in den Einzelaufzeichnungen, noch keinen vereinheitlichten Schreibusus. Das uneinheitlich konstituierte, oft variierende graphematische Bild ist von der Entstehungszeit der Texte her verständlich und mit anderen Ortskanzleien zu vergleichen; es kommt noch hinzu, daß Sillein eine zweisprachige Stadt war und bald das Deutschtum verloren hatte. Daß in der Schreibung bereits slowakische Einflüsse zu sehen sind, ist kaum anzunehmen. Es ist jedoch in rechtssprachlicher und sprachgeschichtlicher Sicht interessant, daß die Einzelaufzeichnungen ein uneinheitliches graphematisches Bild aufweisen, das derselbe Schreiber in dem Karpfener (Magdeburger) Recht Silleins nicht beibehält; daraus ist die Kanzleitradition des Rechtes zu folgern. Es ist kaum zu beurteilen, ob die Schreibform des Silleiner Rechts eine ostmitteldeutsche Grundlage hat oder ob diese erst durch die verschiedenen Städte und deren Kanzleien so gestaltet wurde, wie sie in dem Silleiner Buch erscheint; dafür wären die verlorenen Rechtshandschriften die einzigen Beweise. Im Hinblick auf das Silleiner Stadtrechtsbuch läßt sich jedoch, mit gewissen Vorbehalten seitens der Sprachgeographie, behaupten, daß ein überregional verbreitetes und von Stadt zu Stadt verliehenes Recht

Einrichtung der Ausgabe

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eher dazu gelangt, eine gemeinsprachliche Form zu besitzen als die gleichzeitigen urkundlichen Beiträge einer örtlichen Kanzlei. Dagegen ist in diesem Z u s a m m e n h a n g nicht zu beurteilen, o b es die einzelnen Erscheinungen in den Texten zulassen, auf eine G e b u n d e n h e i t an eine örtliche M u n d a r t in spätmittelalterlicher Zeit zu schließen. Deswegen ist es auch verfrüht, jetzt Vermutungen darüber anzustellen, ob die Sprache des Silleiner Rechtsbuches als „ostmitteldeutsch" oder als „schlesisch" zu bezeichnen ist und die verstreuten Schreibvarianten auch Hinweise auf einen eventuellen bairischen Einfluß geben. 3 5 Vielmehr begnügen wir uns in diesem Zus a m m e n h a n g damit, das Silleiner Stadtrechtsbuch als rechtssprachliches und sprachgeschichtliches D e n k m a l des Spätmittelalters den Germanisten und den Rechtshistorikern zugänglich zu m a c h e n und ausführliche Untersuchungen den entsprechend interessierten Forschern zu überlassen.

6. Einrichtung der vorliegenden Ausgabe i W i e bereits in den V o r b e m e r k u n g e n hervorgehoben wurde, ist die Einrichtung dieses Textabdrucks mit der größten Treue z u m Original geschehen. Die Ausgabe gibt die Reihenfolge der H a n d s c h r i f t in den A u f z e i c h n u n g e n wieder, die von ein und derselben Schreiberhand s t a m m e n und im engeren Sinne das Silleiner Recht von 1378 wiedergeben. Die Blattnumerierung entspricht der Blattzählung der Handschrift. D e m n a c h fängt der Text mit den G e b e t e n an (Bl. 10 a links), es folgen in der ursprünglichen Reihenfolge das Register der Kapitel des Rechts (Bl. 13 a links), die Weltchronik (Bl. 19 a links), das eigentliche Recht (Bl. 22 a links) sowie schließlich das Bergrecht von R o d e n a u (Bl. 74 a links). Die Einteilung in Spalten entspricht ebenfalls dem Original. Jede Zeile des Originals wird in derselben Weise (auch ohne jede Ä n d e r u n g in der Zeileneinteilung oder Trennung) abgedruckt. Die einzelnen deutschsprachigen A u f z e i c h n u n g e n der Rechtssprüche des Silleiner Stadtgerichts werden dagegen hinter dem kodifizierten Recht (ab Seite 161 dieser Ausgabe) wiedergegeben. Da bei diesen etliche Unterschiede z . B . in der Länge der Zeilen u n d Aufteilung der Seiten auftreten, w e r d e n sie als l a u f e n d e Texte abgedruckt. Das Zeilenende wird jeweils mit einem Schrägstrich (/) gekennzeichnet. Die Reihenfolge der Aufzeichnungen entspricht ihrer Entstehungszeit; die meisten Rechtssprüche tragen ein D a t u m , und auch die restlichen lassen sich a u f g r u n d der Schreiberhand oder der v o r k o m m e n d e n N a m e n zeitlich bestimmen. Das D a t u m wird jeweils

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Einleitung

am Ende des Textstückes angegeben. - Eine Anordnung nach den Seiten im Original wäre unübersichtlicher, da die Rechtssprüche ursprünglich in den Codex hereingeschrieben wurden, wo noch Platz war. Insofern würde die Reihenfolge nach der Blattnumerierung keine Beweiskraft etwa in bezug auf das Alter der Texte besitzen. Die orthographische Treue zum Original wird beibehalten, soweit dies drucktechnisch möglich ist. Die Buchstabenvarianten für verschiedene sZeichen , und werden im Druck entsprechend auseinander gehalten. Die Groß- und Kleinschreibung ist dem Original gegenüber unverändert. Das Häkchen über verschiedenen Zeichen , , usw. wird mit einem kleinen über dem Zeichen wiedergegeben, da dies in der Handschrift konsequent dem dort benutzten entspricht. Die lateinischen Abkürzungen werden aufgelöst und in eckigen Klamm e m im Klartext wiedergegeben. Das gleiche gilt für die Abbreviatur