Das Sein der Sprache: Foucaults Archäologie der Moderne 393888004X, 9783938880043

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Das Sein der Sprache: Foucaults Archäologie der Moderne
 393888004X,  9783938880043

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Λ der Sprache Foucaults Archäologie der Moderne Dirk Quadflieg

PA R O D O S

Das Sein der Sprache

Dirk Quadflieg

Das Sein der Sprache Foucaults Archäologie der M oderne

PARODOS

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Parodos Verlag Berlin 2006 Alle Rechte Vorbehalten Umschlag: cb-buchgestaltung, Berlin Satz: Parodos Verlag Druck: Zeitdruck, Dortmund Printed in Germany

ISBN-10: 3-938880-04-X ISBN-13: 978-3-938880-04-3

www.parodos.de

Inhalt

Vorwort: Einen Umweg gehen

9

I. Topologien des Wissens

17

1. An der Grenze des Sagbaren: die diskursive Ordnung

20

2. Von der Ähnlichkeit zur Repräsentation

33

3. Das »Trieder« des modernen Wissens - eine architektonische Lektüre

40

II. Das Sein des Menschen oder die Philosophie des Gleichen

55

1. Fundamentale Endlichkeit

55

2. Die empirisch-transzendentale Verdopplung

58

Erster Exkurs: Die Positivisten, Marx und die Phänomenologie Husserls

61

3. Der blinde Fleck oder die Entdeckung des Unbewussten

76

Zweiter Exkurs: Das Selbst und sein Anderes in Hegels »Phänomenologie des Geistes«

79

4. Kegel und Falte - der zweifache Ursprung

92

Dritter Exkurs: Heideggers Frage nach der Technik

95

5. Die Wolke der Humanwissenschaften

107

III. Das Sein der Sprache und die Literatur

123

1. Über ein Denken des Raumes - Literatur und Distanz

123

2. Die Wiederkehr der Schrift

141

Siglen- und Literaturverzeichnis

158

Der Mensch glaubt sich als Ursache, als Thäter - alles, was geschieht, verhält sich prädikativ zu irgend welchem Subjekte. In jedem Urtheile steckt der ganze volle tiefe Glauben an Subjekt und Prädikat oder an Ursache und Wirkung; und dieser letzte Glaube (nämlich als die Behauptung daß jede Wirkung Thätigkeit sei und daß jede Thätigkeit einen Thäter voraussetze) ist sogar ein Einzelfall des ersteren, so daß der Glaube als Grundglaube übrig bleibt: es giebt Subjekte. (Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885-1887)

Ich bin nicht tot, ich bin nicht nichts, was aber dann. Ich bin jetzt plötzlich Unterschied zum nichts der Nichtzeit, die ich war. Ich bin was, was, gewesen, ich bin, der ich war. Wer war ich, fragt da schon die Antwort der Ge­ schichte und beginnt sich zu erzählen. (Rainald Goet% Kontrolliert)

Was soll ich sagen, wenn da keine Worte sind/ manchmal wüßt' ich gern, wer ich wirklich bin. (Sven Regener, wer ich wirklich bin)

Vorwort: Einen Umweg gehen

Das von Michel Foucault in seinem gleichnamigen Buch einge­ führte Verfahren einer »Archäologie des Wissens« gehört mitt­ lerweile - unter dem Titel »Diskursanalyse« - zum etablierten methodischen Repertoire der Sozial-, Kultur- und auch der Lite­ raturwissenschaften. Gleichwohl begegnet die philosophische Diskussion dem Foucaultschen Denken nach wie vor mit Skepsis. Zu detailverliebt und zu empirisch scheinen seine historischen Arbeiten zum Wahnsinn, zum Gefängnis oder zur Sexualität, zu wechselhaft seine Terminologie und seine theoretischen Positio­ nierungen, zu schillernd und widersprüchlich sein ab den 1970er Jahren zentraler Begriff der Macht. In der Tat sind einige der genannten Vorwürfe nicht ganz unberechtigt —solange man den Maßstab einer selbstaufgeklärten Theoriebildung anlegt, der eine kohärente Darstellung, eine Offenlegung des eigenen Standpunk­ tes und die Begründung von normativen Beurteilungskriterien ein fordert. Anstatt jedoch in den Arbeiten Foucaults lediglich eine origi­ nelle Variante kulturgeschichtlicher Forschung zu sehen, die ihre Berechtigung allein aus ihren Erträgen zieht und nicht aus der systematischen Herleitung eines allgemeinen Verfahrens, will die vorliegende Studie sie als eine ernstzunehmende Herausforderung für die philosophische Methodendiskussion verstehen. Weshalb gerade das unstete Werk Foucaults geeignet scheint, um eine zentrale erkenntnistheoretische Problemlage der Gegenwart in den Blick zu bekommen, lässt sich vor dem Hintergrund der spezifischen Situation erklären, in der sich die moderne Erkennt­ nistheorie immer noch befindet. Holzschnittartig kann diese Situation als die Auseinandersetzung zwischen einem Systemden­ ken einerseits und einer neuen Aufmerksamkeit für die Geschich­ te andererseits beschrieben werden. Seit dem Deutschen Idealis­ mus sieht sich jede Erkenntnistheorie mit der Frage konfrontiert, wie sich ein Wissen um die Welt systematisch begründen lässt, wenn die Kategorien des Denkens, von denen dieses Wissen abhängt, ihrerseits historischen Veränderungen unterworfen sind. Oder anders ausgedrückt: Kann man angesichts der nebeneinan­ der bestehenden, kulturell wie historisch sich wandelnden Wis­ sensbestände überhaupt noch von einer Einheit der Vernunft mit exklusivem Wahrheitsanspruch ausgehen? 9

Auf den so zum Ausdruck kommenden Konflikt zwischen Sys­ tem und Geschichte hat die philosophische Moderne in unter­ schiedlicher Weise reagiert. Ein viel versprechender Ausweg, um den Gegensatz aufzulösen, besteht darin, die sich verändernden Grundlagen des Denkens in eine lineare oder stufenförmige Entwicklungsgeschichte einzutragen. Damit wäre beiden Seiten Rechnung getragen, ohne die eine gegen die andere auszuspielen: Unter dieser Prämisse müsste sich der historische Wandel der Erkenntnis zu jedem Zeitpunkt verstehen und einordnen lassen, weil die Gegenwart jeweils den höchsten Standpunkt im Fort­ schritt der Vernunft markiert; und umgekehrt kann sich der ge­ genwärtige Standpunkt hinreichend begründen, indem er die Vergangenheit als vernünftige Entwicklung begreift, auf deren Fundament seine eigenen Einsichten aufbauen. Den Preis, den ein solcher Kompromiss zwischen System und Geschichte zu zahlen hat, besteht allerdings darin, dass keine theoretische Position für sich beanspruchen kann, einen defini­ tiven Endpunkt in der Entwicklung der Vernunft erreicht zu haben. Aber je umfassender es gelingt, die mannigfaltigen ver­ gangenen Wissensbestände ergänzend und korrigierend aufeinan­ der zu beziehen und auf diese Weise zu systematisieren, umso weiter rückt man in der asymptotischen Annäherung an eine endgültige Wahrheit vor. Die Utopie wäre ein vollständiges Be­ greifen der Vemunftentwicklung durch fortschreitende Umbil­ dung und Aneignung der Tradition. Spätestens im zwanzigsten Jahrhundert jedoch wird die Vor­ stellung von einer immanenten Entwicklungslogik der Geschichte aus mindestens zwei Richtungen in Frage gestellt. Auf der einen Seite schwindet mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der wissenschaftlichen Disziplinen und ihren verschiedenen Er­ kenntnisformen der Glaube an eine synthetisierende Kraft der Vernunft. Schien es beispielsweise noch für Hegel möglich, den zeitgenössischen Stand des Wissens wenigstens in Umrissen zu überblicken und in sein Denken zu integrieren, muss sich hundert Jahre später ein solcher Versuch als illusorisch heraussteilen. Nicht zuletzt der rasante Aufstieg der Naturwissenschaft zur neuen Leitdisziplin führt zu einem schleichenden Bedeutungsver­ lust der Philosophie und ihrem Anspruch, eine einheitliche Fun­ dierung des Wissens liefern zu können.

10

Neben dieser ersten Richtung der Infragestellung, gleichsam auf Seiten des Systems, wird auf der anderen Seite eine geschicht­ liche Erfahrung virulent, die mit einer ganz eigenen Mächtigkeit den optimistischen Gedanken vom Fortschritt der Vernunft in Zweifel zieht. Die westliche Welt —auf sie beschränken sich die Überlegungen Foucaults —, die sich als Hort der Aufklärung und Ausgangspunkt einer rationalen und humanen Einrichtung der allgemeinen Lebensverhältnisse wähnt, wird durch zwei Weltkrie­ ge und den Holocaust (um nur die größten Blutvergießen beim Namen zu nennen) selbst zum Schauplatz von massenhaften und inhumansten Grausamkeiten. Adornos berühmtes - und oft missverstandenes - Verdikt, dass sich nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben lassen, trifft nicht minder auf eine Form der philosophischen Reflexion zu, die alleine dem Ge­ schichtsverlauf die sukzessive Wendung zum Besseren aufbür­ det.1 Beide Erfahrungen - die wachsende Unübersichtlichkeit und Differenzierung des Wissens sowie der moralische »Rückfall« in die Inhumanität - sind Aspekte einer Konstellation, in der sich die Erkenntnistheorie neu orientieren muss. Eine Antwort auf die veränderte Situation bietet der so genannte »linguistic tum« in den Kultur- und Geisteswissenschaften, dessen Anfänge freilich bis in die Hegelsche Dialektik zurückreichen. Sprache, verstanden als umfassendes Zeichen- und Verweisungsgefüge, kann als Ver­ mittlungsinstanz zwischen System und Geschichte fungieren, ohne eine lineare Entwicklungslogik unterstellen zu müssen. Da alles Wissen sprachlich artikuliert wird, lassen sich an den Struk­ turen und Gesetzen der Bedeutungsgenese die logischen Voraus­ setzungen für die darin ausgedrückten Erkenntnisse ablesen. Zugleich kann eine allein auf Sprache gerichtete Analyse kulturel­ le und historische Veränderungen wahmehmen, indem sie ver­ schiedene Sinnzusammenhänge vergleichend aufeinander bezieht. Dabei müssen die unterschiedlichen Bedeutungssysteme keine diachrone Reihenfolge bilden, sie können als nebeneinander bestehende Wissenskulturen synchron betrachtet werden.

»(...) nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.« (Adorno, Theodor W.: Kulturkritik und Gesellschaft (1951). ln: ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 10.1. Frankfurt a. M. 1980, S. 11-30; hier S. 30)

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Gleichwohl besteht der schematische Gegensatz von System und Geschichte auch innerhalb des »linguistic tum« fort. So be­ schäftigt sich eine erste Gruppe von Erklärungsansätzen mehr oder weniger ausschließlich mit den allgemeinen logisch­ syntaktischen Strukturen von Zeichensystemen, in denen die Bedingungen des Sinns unabhängig vom tatsächlichen Wandel der Worte und ihrer Bedeutungen niedergelegt sind. Neben stär­ ker an der mathematischen Logik orientierten Ansätzen, wie etwa jenen von Gottlieb Frege oder dem frühen Ludwig Wittgenstein, wäre hier vor allem die strukturale Linguistik im Anschluss an Ferdinand de Saussure zu nennen. Ihnen gegenüber steht ein weitaus größeres Feld von Theorien, die in erster Linie an den internen Beziehungen zwischen semantischen Gehalten interes­ siert sind und die Verschiebungen von thematisch, kulturell sowie historisch begrenzten Sinnzusammenhängen untersuchen. Ob­ wohl sie nicht selten auf den grundsätzlichen Erklärungsmodellen der ersten Gruppe aufbauen, sehen sie ihre Aufgabe primär darin, im Rekurs auf die Tradition oder andere Kulturen ein Verständ­ nis für die Verfasstheit des eigenen Bedeutungshorizontes zu entwickeln - insofern lassen sie sich im weitesten Sinne als her­ meneutische Verfahren charakterisieren. So vereinfachend diese Zweiteilung sein mag, sie erlaubt es, ei­ ne erkenntnistheoretische Problemlage innerhalb der modernen Sprachtheorie pointiert zu verdeutlichen. Denn die syntaktischen Logiken tendieren dazu, Geschichte vollständig auszublenden und ihre Aussagen einzig auf das ihnen zur Verfügung stehende aktuelle Zeichensystem zu beziehen. Aus der zweiten Perspektive kann ihnen daher zurecht der Vorwurf gemacht werden, sie wür­ den zur systematischen Fundierung des Bezeichnungsprozesses Begriffe benutzen, deren Bedeutung selbst historisch kontingent sei. Dagegen versucht die hermeneutische Arbeit das wechselsei­ tige Bedingungsverhältnis zwischen ihren eigenen Erklärungsbe­ griffen und dem betrachteten Bedeutungszusammenhang metho­ disch einzusetzen. Allerdings führt ihre zirkuläre Erklärungsweise in eine andere Schwierigkeit: Entweder muss sie, um den eigenen Standpunkt aufzuklären, erneut auf die Vorstellung einer fort­ schreitenden Sinngeschichte zurückgreifen, die sich in einer Art »Dialog« freilegen lässt. Oder sie gibt jeden übergreifenden Wahrheitsanspruch auf und beschränkt sich darauf, in einem heterogenen und diskontinuierlichen Geflecht der Sinnsysteme 12

partielle Ordnungen durch Vergleiche herzustellen. Zu dieser letzten Variante des im weitesten Sinne hermeneutischen Feldes zählen all jene Ansätze, die man unter dem Etikett der so genann­ ten »Postmoderne« oder des »Poststrukturalismus« zusammen­ fasst. Sie sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie sowohl die historische als auch systematische Begründung ihres eigenen Verfahrens verweigern und somit in eine Beliebigkeit abrutschen. Zurückkehrend auf die eingangs genannte Charakterisierung des Foucaultschen Werkes lässt sich nun klären, weshalb seine Studien zum Wahnsinn, zum Gefängnis und zur Sexualität aus philosophischer Sicht eher uninteressant erscheinen. Sie gehören offenbar in die zweite Kategorie der historischen Verfahren, da sie partielle Bedeutungsverschiebungen und deren gesellschafts­ politische Folgen betrachten, ohne sie in eine lineare geschichtli­ che Entwicklung einzuordnen. Zwei Arbeiten Foucaults fallen indes aus diesem Schema heraus: Die Ordnung der Dinge von 1966 und Archäologie des Wissens von 1969. Während sich Die Ordnung der Dinge den zentralen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Moderne nähert, indem sie diese in ein nicht kontinuierliches Verhältnis zu den epochalen Wissensstrukturen der Renaissance und der Klassik stellt, liefert die Archäologie des Wissens nachträg­ lich eine Erläuterung der zuvor praktizierten Methode und ihrer sprachtheoretischen Hintergründe. Insofern also steht Foucault nicht nur stellvertretend für einen Teilbereich der soeben in aller Kürze skizzierten erkenntnistheoretischen Situation der Moderne, er eröffnet seinerseits eine methodisch fundierte Perspektive, mit deren Hilfe sich die Aporien der modernen Erkenntnis formen beschreiben und eventuell sogar umgehen lassen. Entsprechend sind die folgenden Überlegungen auf Foucaults »Archäologie der Moderne« fokussiert, wie er sie in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre dargelegt hat.2 Die Leitfrage lautet, ob das von Foucault dort vorgeschlagene archäologische Verfahren eine dritte Position zwischen einer systematischen Zeichentheorie und einer historischen Analyse von Bedeutungssystemen ein­ nehmen kann. Die Bedingung dafür wäre, dass sich die Begriffe, mit denen er die Geschichte des Denkens erfasst, aus der histori­ schen Analyse selbst gewinnen und begründen lassen, ohne dabei

2 Eine ausgezeichnete Einleitung in das Gesamtwerk bietet u.a. Gehring, Petra: Foucault - Die Philosophie im Archiv. Frankfurt a. M ./N ew York 2004.

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einer Teleologie der Vernunft einerseits oder einer reinen Kon­ tingenz andererseits das Wort zu reden. Entgegen der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung sollen in einem ersten Kapitel aber zunächst die methodologi­ schen und sprachtheoretdschen Grundlagen der Archäologe des Wissens geklärt werden. Diese Vorgehensweise erlaubt es, nach einer knappen Zusammenfassung der in Oie Ordnung der Dinge dargelegten epistemologischen Konstellationen der Renaissance und der Klassik, die von Foucault entwickelte Perspektive auf die Gesamtstruktur des modernen Wissens aufzuzeigen. Das zweite Kapitel widmet sich dann detailliert den drei zentra­ len erkenntnistheoretischen Figuren, die laut Die Ordnung der Dinge die moderne Philosophie bestimmen. Allerdings beschränken sich Foucaults Ausführungen auf die Beschreibung einer allgemeinen Konstellation und weisen nicht im Einzelnen nach, auf welche Theorienansätze sich die aufgedeckten Figuren jeweils konkret beziehen lassen. In drei Exkursen soll daher exemplarisch über­ prüft werden, ob sich die angeführten Dispositionen tatsächlich in Schlüsseltexten der philosophischen Moderne wieder finden lassen. Vor dem Hintergrund der im zweiten Kapitel aufgefächerten erkenntnistheoretischen Konfiguration der Moderne soll schließ­ lich das dritte Kapitel zeigen, inwiefern sich die Methode der »Archäologie des Wissens« aus Foucaults historischer Rekon­ struktion herleiten und legitimieren lässt. Dazu müssen jedoch in einem letzter Abschnitt einige Überlegungen von Jacques Derrida ergänzend herangezogen werden. Wie jede Reflexion über eine neuartige erkenntnistheoretische Methode muss sich auch diese Interpretation von Foucault die Frage gefallen lassen, auf welchem Verfahren ihre eigenen Darle­ gungen basieren. Und doch ist eine solche Forderung offenbar paradox: Könnte sie vorab ihr Vorgehen vollständig begründen, würde die Suche nach einer Alternative obsolet. Um das anvisier­ te Unterfangen plausibel zu machen, kann an dieser Stelle vorläu­ fig nur auf die angedeutete allgemeine Situation der modernen Erkenntnistheorie und ihre immanenten Aporien verwiesen wer­ den. Die Attraktion des Foucaultschen Denkens liegt darin, dass es nicht für sich beansprucht, endgültige Wahrheiten aufzude­ cken. Es lenkt vielmehr die Aufmerksamkeit auf die unhinterfrag14

ten Voraussetzungen der Wissensproduktion, die sich in ihrer scheinbaren Selbstverständlichkeit einer Begründung entziehen und deshalb einer Überprüfung bedürfen. Mehr als einmal macht Foucault deshalb auf die Vorläufigkeit und die notwendige Un­ terbestimmtheit seines eigenen Ansatzes aufmerksam. Seine Be­ griffe und sein Verfahren können sich erst im Verlauf der Ausei­ nandersetzung mit den betrachteten Diskursen und ihren syste­ matischen wie historischen Bedingungen bilden. In vergleichbarer Weise aber muss sich auch die Interpretation eines solchen Vor­ gehens zunächst auf die ausgewählten Texte einlassen und versu­ chen, ihre internen Zusammenhänge zu verstehen, ohne bereits zu wissen, ob sich das so freigelegte Denken am Ende als tragfä­ hig erweisen wird. Einen Anfang wagen, dessen Ende nicht absehbar ist - das zeichnet seit je ein essayistisches Schreiben aus. Wenn die hier begonnenen Reflexionen also nicht mehr vollständig zu ihrem Anfang zurückfinden werden und wenn sie es weiterhin an eini­ gen Stellen für nötig befunden haben, sich neben ihrer Bahn, in Exkursen fortzubewegen, so sind diese »Umwege« zwar nicht immer geplant, als Bewegung aber durchaus beabsichtigt gewe­ sen. Einen Essay schreiben heißt immer, einen Versuch zu wagen - nicht mehr und nicht weniger. In diesem Sinne fühle ich mich Peter Bürger und seiner Be­ stimmung des Essays verpflichtet: Weder bei Montaigne noch bei Heine definiert sich der Essay vom philosophischen System her. Er ignoriert es. (...) Er richtet sich ein zwischen Texten, die er zitiert, kommentiert und tentatdv auf seine eigene Lage bezieht. Dem Schreibenden ist diese zunächst eher un­ klar. Er hat wiederholt die Erfahrung gemacht, daß der Versuch, sie direkt anzugehen, scheitert. So entsteht in ihm der Gedanke, der Umweg über Texte der Vergangenheit könnte der kürzeste Weg sein, um seine eigene Zeit zu verstehen.3

Weiterhin gilt mein Dank Gerhard Pasternack, der den Ort vor­ gezeichnet hat, von dem aus dieses Buch geschrieben ist. Christi­ an Lavagno war nicht nur so freundlich, mir seine hilfreiche Stu­ die Rekonstruktion der Moderne4 vorab zur Verfügung zu stellen, er

3 Bürger, Peter: Über den Essay. In: ders.: Das Denken des Herrn. Bataille zwi­ schen Hegel und den Surrealisten. Frankfurt a. M. 1992, S. 7-14; hier S. lOf. 4 Vgl. Lavagno, Christian: Rekonstruktion der Moderne. Eine Studie zu Habermas und Foucault. Münster 2003.

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hat zudem meine Variation des gemeinsamen Themas geduldig gelesen und mit kritischen Kommentaren versehen. Stephan Moebius sei herzlich fiir die zahlreichen Diskussionen und aufmunternden Worte am Telefon gedankt, ebenso wie Ulf Heuner vom Parodos-Verlag für sein gewissenhaftes Lektorat.

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I. Topologien des Wissens Will man sich heute einer Relektüre jener relativ homogenen Phase des Foucaultschen Denkens zuwenden, die sich aus dem dichten Gefüge von historischen Analysen und methodologi­ schen Überlegungen der beiden Publikationen Die Ordnung der Dinge und Archäologie des Wissens ergibt, sieht man sich zunächst mit der eigentümlichen Mächtigkeit einer einzigen Aussage kon­ frontiert. Tatsächlich hat wohl kaum eine andere Formulierung aus Die Ordnung der Dinge einen stärkeren Eindruck hinterlassen als jener so oft zitierte letzte Satz des Buches über den Menschen, der mit der nächsten Welle der Geschichte verschwinden würde wie ein Gesicht im Sand.5 Vorgetragen in einer eigentümlichen Mischung aus Lakonie und Verheißung hat er dem gesamten Werk den Ruf eingebracht, es sei nicht allein eine Abrechnung mit den Humanwissenschaften oder einer aufs Subjekt zentrierten Philosophie, sondern mit der abendländischen humanistischen Tradition im Ganzen.6 Dem wäre im Prinzip zuzustimmen, wenn derlei Aussagen nicht die fatale Tendenz hätten, die Komplexität und die weite Verästelung einer Analyse in den Bannspruch eines einzigen provokativen Schlagwortes zu stellen. Will man dagegen, wie hier vorgeschlagen, Die Ordnung der Dinge als Folie für eine Interpreta­ tion des modernen Denkens lesen, tut man gut daran, sich zu­ nächst so weit wie möglich von solchen Pauschalurteilen zu ent­ fernen und stattdessen seinen Blick auf jene im Text entfaltete Topologie des modernen Wissens zu richten, die Foucault schließlich zu seiner Prognose über das bevorstehende Ende des Menschen geführt hat. Das in der Ordnung der Dinge lediglich angedeutete - wiewohl implizite - und in der Archäologie manifes­ tierte Gegenkonzept zum modernen »Sein des Menschen« tritt auf als ein »Sein der Sprache« oder als Literatur im weitesten Sinne. Ohne Kenntnis dieses sprachtheoretisch fundierten Ge-

5 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissen­ schaften. Übers, v. Ulrich Koppen. Frankfurt a. M. 1971, S. 462 (im Folgenden als OD zitiert). 6 Einen Einblick in die höchst kontroverse Rezeption von Les mots et Us choses gibt Eribon, Didier: Michel Foucault. Eine Biographie. Übers, v. Hans-Horst Henschen. Frankfurt a. M. 1991, S. 241 ff.

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genmodeUs muss der Topos vom Verschwinden des Menschen unverständlich bleiben. Es bedarf weiterhin einiger hinführender Bemerkungen, wes­ halb die im zweiten Teil der Ordnung der Dinge vorgetragenen Merkmale des modernen Denkens Interpretationsfiguren zur Verfügung stellen, die prinzipiell auch in über Foucault hinausge­ henden Untersuchungen eingesetzt werden können. Damit steht in erster Linie jenes Verfahren in Frage, das Foucault unter dem Titel »Archäologie« zur deskriptiven Analyse eines historischen Diskurses einführt. Zu klären wäre demnach der Status und die Kohärenz dieses archäologischen Verfahrens, das, obzwar in einer separaten Publikation eigens ausgearbeitet, für alle späteren Schriften Foucaults nur noch bedingt Gültigkeit besitzt. Erschwerend kommt hinzu, dass selbst der hier betrachtete Zusammenhang zwischen den historischen Studien der Ordnung der Dinge und der drei Jahre später veröffentlichten Darlegung ihrer Methode in der Archäologie des Wissens keine stringente Kon­ tinuität aufweist, da in der nachträglich verfassten Methodenar­ beit Unstimmigkeiten aus den vorangegangenen Untersuchungen überarbeitet und zum Teil alte Begrifflichkeiten verworfen bzw. neue eingeführt werden.7 Wie nähert man sich einem solchen verschwimmenden Theo­ rieentwurf? Zunächst darf man sicherlich festhalten, dass es sich gerade bei einem Autor, der sich stets gegen die Zentrierung der Rezeption auf die Person des Autors gewehrt, und einem Werk, das sich durch seine wechselnden Standpunkte hindurch immer gegen die Einheit eines Werkes gewandt hat, um keine entstellen­ de Verkürzung handelt, wenn man sich auf einen klar eingegrenz­ ten Textausschnitt beschränkt8 —hier den durch die beiden Pub-

7 So wird beispielsweise der in Die Ordnung der Dinge zentrale Begriff der episteme später aufgrund seiner totalisierenden Tendenz verworfen {AW , 272). An seine Stelle tritt in der Archäologe das Zusammenspiel von »diskursiver Formation« und »Aussagefunktion« (s.u.). 8 »Es besteht kein Grund, warum man zusätzlich zum Buch auch noch das Gesetz des Buches schreiben sollte. Einziges Gesetz sind alle von diesem Buch mögli­ chen Lesarten. (...). Das einzige Gesetz (...) über das Buch, das man aufstellen sollte, wäre zu unterbinden, daß der Name des Autors zweimal verwendet wird, und zusätzlich sollte dem Autor das Recht auf Anonymität und aufs Pseudonym gewährt werden, damit jedes Buch für sich gelesen werden kann.« (Foucault, Michel: Eine Ästhetik der Existenz - Gespräch mit A. Fontana. In: ders.: Von der Freundschaft. Michel Foucault im Gespräch. Übers, v. Marianne Karbe u. Walter Seitter. Berlin o. J., S. 133-141; hier 140f.)

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likationen Die Ordnung der Dinge und Archäologie des Wissens be­ schriebenen Zeitraum zum Ende der sechziger Jahre. Die ange­ deuteten inhaltlichen Verschiebungen und daraus resultierenden begrifflichen Ungenauigkeiten des betrachteten Ausschnitts könnten den Einsatzpunkt einer historisch-kritischen Rekon­ struktion des Foucaultschen Denkens markieren, die sich am Maßstab einer kohärenten und selbstbegründenden Theoriebil­ dung orientieren würde.9 Indes geht es der vorliegenden Studie nicht um eine Bewertung der Arbeiten Foucaults. Vielmehr soll seine Perspektive auf die Voraussetzungen des modernen Wis­ sens als mögliche Antwort auf eine übergreifende methodische Fragestellung vorgestellt werden: Wie lassen sich Prozesse, Bewe­ gungen und Verschiebungen innerhalb der philosophischen Re­ flexion unabhängig von der Vorstellung einer stetigen Entwick­ lung der Vernunft und einer fortschreitenden, aufeinander aufbauenden Denkleistung der beteiligten Autoren erfassen? Im Horizont dieser Leitfrage sollen die Texte Foucaults inter­ pretiert werden und nicht im Hinblick auf die Wiederherstellung einer vermeintlich ursprünglichen Autorintention oder die konsis­ tente Integration in ein einheitliches Werk. Im Vordergrund steht dabei die Konstruktion eines flexiblen und dennoch hinreichend schlüssigen Verfahrens, das einen erweiterten Blick auf verschie­ dene Phänomene der philosophischen Moderne erlaubt. Dazu wird es bisweilen nötig sein, einzelne Aspekte des Foucaultschen Denkens überproportional herauszuheben und die Unterbelich­ tung anderer Teile - etwa die spätere Konzeption der Macht bewusst in Kauf zu nehmen. Für die folgenden Überlegungen gilt grundsätzlich: Bezugstexte sind Die Ordnung der Dinge sowie die Archäologie des Wissens, alle weiteren Texte aus dem Umfeld (in erster Linie die in den Dits et Ecrits10 versammelten kleineren Aufsätze und Interviews aus dieser Zeit) werden zu Zwecken der Erläuterung kommentierend herangezogen.

9 Eine unterstellte Kontinuität des Gesamtwerkes strukturiert beispielsweise die Kritik von Habermas an Foucault (vgl. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985, S. 279-343). 10 Foucault, Michel: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Bd. 1: 1954-1969. Hrsg. V. D. Defert u. F. Ewald. Übers, v. Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek u. Hermann Kocyba. Frankfurt a. M. 2001 (im Folgenden als Schiften 1 zitiert).

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I. An der Grenze des Sagbaren: die diskursive Ordnung

Freilich darf die Rede von einem »Verschwinden des Menschen« am Ende der Ordnung der Dinge nicht mit einer apokalyptischen Auslöschung der biologischen Spezies Mensch verwechselt wer­ den. Gemeint ist vielmehr das absehbare Ende einer modernen epistemologischen Konstellation, in welcher der Mensch als er­ kenntnistheoretische Funktion eine zentrale Rolle spielt. Dies nennt Foucault in der Kurzform das »Sein des Menschen« - eine Formel, die sich vorläufig so verstehen lässt, dass ein Wissen um die Welt oder das Sein schlechthin nur in Abhängigkeit von menschlichen Erkenntnisvermögen möglich ist. Um zu klären, in welchem Rahmen Foucaults Analyse zu ihrer eigentümlichen These gelangt, ist es ratsam, in einem ersten Schritt den histori­ schen Vorläufer jenes »Seins des Menschen«, das »Sein der Spra­ che«, näher zu betrachten. Nicht nur, weil sich die Besonderhei­ ten der modernen Erkenntnis formen am besten in einer Gegenüberstellung aufzeigen lassen, sondern vor allem, weil die von Foucault entworfene Archäologie des Wissen selbst auf einer Sprachtheorie aufbaut, die jenem »Sein der Sprache« entstammt. Als Gegenstand einer Wissenschaft, die sich mit der Funkti­ onsweise von Zeichensystemen beschäftigt, ist auch der Status der Sprache historischen Veränderungen unterworfen. In Die Ordnung der Dinge hebt Foucault schematisch drei widersprüchli­ che Bestimmungen dessen, was Sprache im abendländischen Denken bedeuten konnte, hervor. (OD, 74f.) Ausgehend von der Stoa, so Foucault, kann sich die Vorstellung einer triadischen Struktur der Sprache durchsetzen, die neben dem Zeichen und dem Bezeichneten einen eigenen Bereich des Begriffs oder Be­ deutungsgehaltes kennt. Für das siebzehnte Jahrhundert hingegen lässt sich eine deutliche Verschiebung hin zu einer dichotomen Ordnung ausmachen, wobei nun das Erkenntnisinteresse ausge­ hend von der gesprochenen Sprache mit all ihren Unzulänglich­ keiten auf ein allgemeines und vernünftiges grammatisches Sys­ tem zielt, wie dies beispielhaft in der Grammatik von Port-Royal niedergelegt ist. Neben dem triadischen und dem binären unter­ scheidet Foucault zudem ein monistisches Zeichenmodell, in dem die Dinge selbst zu Zeichen werden und ein komplexes Verhält­ nis der Ähnlichkeit unterhalten. Historisch taucht dieses Modell vor dem binären auf und ist gemäß der von Foucault vorgeschla­ genen Epocheneinteilung ein Kennzeichen der Renaissance. 20

Obschon eine solche epochale Großrasterung in ihrer ganzen Vorläufigkeit höchst erklärungsbedürftig erscheint, soll ihre in­ haltliche Erläuterung vor einigen grundsätzlichen Ausführungen zur archäologischen Betrachtungsweise vorerst zurücktreten. Ausgehend von der angedeuteten Dreiteilung, die in dieser Rei­ henfolge im letzten Abschnitt des 2. Kapitels von Die Ordnung der Dinge vorgestellt wird, lässt sich nicht nur exemplarisch ein ent­ scheidender methodischer Zug der Analysen Foucaults erkennen, sie legt darüber hinaus auch den Grundstein für die Konsistenz seines gesamten Projektes. Der nur wenige Seiten lange Unterab­ schnitt trägt den Titel Das Sein der Sprache - von hier aus gilt es, das Konzept einer Archäologie des modernen Wissens zu er­ schließen und zu der Frage vorzudringen, welche Ordnung der Sprache wohl das moderne Denken kennzeichnet. Ohne an Ort und Stelle tiefer in die inhaltlichen Ausführungen einzusteigen, präsentiert sich die Archäologie bereits in der knap­ pen Aufstellung der Epochen als eine Form der differenziellen Analyse von historischen Diskursen. (A W , 199) Am Anfang steht dabei stets eine Differenz, ein Widerspruch zwischen zwei histo­ rischen Aussagen - in diesem Fall: 1) Das Zeichen ist Teil einer triadischen Struktur (die römische Antike unterscheidet terminus, ratio und res)11, und 2) das Zeichen folgt einer binären Ordnung (etwa jener von Objekt und Idee, die in der Grammaire générale et raisonnée beschrieben wird)1112. Statt sich nun zu fragen, inwiefern sich beide Aussagen in eine durchgängige Entwicklungsgeschich­ te der Sprachtheorien einreihen lassen, wo genau der historische Punkt ausgemacht werden kann, an dem das dreirelationale Mo­ dell (und sei es nur für eine kurze Unterbrechung) in ein binäres umschlägt, oder wer am Ursprung dieser entwicklungsgeschichtli­ chen Veränderung steht, geht die Archäologie davon aus, dass sich von der Antike bis zum siebzehnten Jahrhundert die Rah­ menbedingungen des Wissens irreversibel verändert haben. Die Aussagen 1) und 2) erscheinen dann als widersprüchlich, weil sie zwei getrennten epistemologischen Konstellationen angehören, die sich nicht mehr aufeinander zurückführen lassen.

11 Vgl. Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie. Bd.l: Altertum und Mittelalter. Freiburg i. B. l21980, S. 252. 12 Vgl. Foucault, Michel: Introduction, in: Amauld (Antoine) und Lancelot (Claude), Grammaire générale et raisonnée, Paris 1969; dt. in: Schriften 1, a.a.O., S. 932-957.

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Eine erste Aufgabe der Archäologie besteht darin, die Vorge­ fundene Differenz auf ihre Haltbarkeit zu überprüfen und sie gleichsam selbst wie eine positive Tatsache zu behandeln: Für die archäologische Analyse sind die Widersprüche weder zu überwindende Erscheinungen, noch geheime Prinzipien, die man aufklären müßte. Es sind Gegenstände, die um ihrer selbst willen beschrieben werden müssen, ohne daß man untersucht, von wel­ chem Gesichtspunkt aus sie sich auflösen können (...). (AIP., 216)>3

Aus einer solchen Perspektive lassen sich im vorliegenden Bei­ spiel zunächst zwei große Felder von historischen Aussagemög­ lichkeiten, Räume mit unterschiedlicher Rationalität ausmachen, die in keiner kontinuierlichen Beziehung der Folge zueinander stehen. Sie bilden somit das, was Foucault einen »äußeren Wider­ spruch« nennt. {AW y 219) Davon ausgehend können nun weitere Widersprüche gesucht werden. Jede neue Differenz, die auf der­ selben Ebene liegt, eröffnet ein neues epistemologisches Feld (episteme) —etwa das der Renaissance, deren Ähnlichkeitsdenken sich weder dem triadischen noch dem binären Zeichenbegriff zuordnen lässt. In einem zweiten Schritt versucht die Archäologie dann, die immanente Struktur der so definierten Felder näher zu beschrei­ ben. Zuvor setzt sie jedoch alle geläufigen Begriffe außer Kraft, mit denen normalerweise die Einheit einer Epoche der Geistesge­ schichte erklärt wird: insbesondere die Begriffe der Tradition, des Einflusses, der Entwicklung und der Mentalität. (A W , 33f.) Hat man diese unmittelbaren Formen der Kontinuität einmal sus­ pendiert, findet sich in der Tat ein ganzes Gebiet befreit. Ein im­ menses Gebiet, das man aber definieren kann: es wird konstituiert durch die Gesamtheit aller faktischen Aussagen (énonces) (ob sie gesprochen oder geschrieben worden sind, spielt dabei keine Rolle) (...). Bevor man in aller Gewißheit mit einer Wissenschaft oder mit Romanen, mit politischen Reden oder dem Werk eines Autors oder sogar mit einem Buch zu tun hat, ist das Material, das man in seiner anfänglichen Neutralität zu behandeln hat, eine Fülle von Ereignis­ sen im Raum des allgemeinen Diskurses. (A W y 41)1314

13 Übersetzung geringfügig verändert; DQ. 14 Übersetzung korrigiert und ergänzt; DQ.

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Es gibt für Foucault vorab keine feststehende Ordnung und keinen gleichbleibenden Gegenstandsbereich, mit denen sich ein epochaler Diskurs einteilen lässt. Was man aus einer archäologi­ schen Perspektive vorfindet, sind eine Menge von ereignishaften Aussagen, deren Verteilung das Feld des Wissens bestimmt. Feld und Aussage bilden allerdings kein äußerliches Verhältnis wie ein Behälter und sein Inhalt. Es ist vielmehr die Reichweite der Aus­ sagenverteilung selbst - ihre Streuung - , mit der sich die Grenzen eines Feldes definieren lassen. (AW , 219f. u. 56) Im jeweiligen Zusammenspiel der Aussagen sind die erkenntnistheoretischen Möglichkeiten präfiguriert, die ein historisches epistemologisches Feld zulässt und die bestimmen, was zu dieser Zeit überhaupt als Gegenstand des Wissens in Erscheinung treten kann. Gewisser­ maßen stellt Foucault damit die gesamte ideengeschichtliche Betrachtungsweise auf den Kopf: Untersucht wird nicht mehr der historische Wandel, dem die Vorstellungen über eine gleichblei­ bende Welt unterworfen sind, sondern in welcher Weise eine diskursive Anordnung von Aussagen eine bestimmte Erfahrung von Welt vorschreibt. Für den Archäologen bedeutet das: Er kann vorläufig gar nicht wissen, auf welches Objekt sich eine Aussage bezieht, weil die Erfahrung der Objektivität je nach epistemologischen Feld vari­ iert. Um etwa zu behaupten, im zweirelationalen Zeichenbegriff der Klassik komme eine bestimmte Sprachtheorie zum Ausdruck, müsste zuerst geklärt werden, welche Bedeutung der Begriff »Sprache« in diesem Diskurs hat, worauf er angewendet werden kann und wo seine Grenzen sind. Und jeder weitere Begriff, der zur Erklärung des Wortes »Sprache« herangezogen wird, lässt sich natürlich in gleicher Weise hinterfragen. Insofern steht die Ar­ chäologie einem noch völlig unbestimmten Feld von Aussagen gegenüber, deren interne Verknüpfungen allererst analysiert wer­ den müssen. Wie aber lässt sich ohne Rückgriff auf einen bereits vorausgesetzten Gegenstandsbereich die Bedeutung von solchen verstreuten Aussagen feststellen? Hierzu bedient sich Foucault eines Verfahrens, das sich in ähn­ licher Weise auch in der Spätphilosophie von Ludwig Wittgen­ stein findet. Demnach lässt sich die Bedeutung eines Wortes bestimmen, indem man die Regeln seiner tatsächlichen Anwen-

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dung beschreibt.15 Der Vorteil dieser Betrachtungsweise liegt darin, dass sich eine Regelhaftdgkeit allein durch den Vergleich ähnlicher Anwendungsfälle erschließt. Übertragen auf Foucaults historische Diskursanalyse muss man folglich, um die interne Ordnung eines epistemischen Feldes zu verstehen, die verstreu­ ten Aussagen anhand von Regelmäßigkeiten in ihrer Verwendung zusammenstellen. Solche diskursiven Formationen, das heißt Aussagebereiche mit ähnlichen Anwendungsregeln, bilden die historische Bedingung der Möglichkeit für das Auftauchen von Objekten. Foucault verdeutlich dies am Beispiel des Wahnsinns als einem Gegenstand der Medizin: Die Einheit des Diskurses über den Wahnsinn wäre nicht auf die Existenz des Gegenstandes »Wahnsinn« oder die Konstitution ei­ nes einzigen Horizontes von Objektivität gegründet; es wäre das Spiel der Regeln, die während einer gegebenen Periode das Er­ scheinen von Objekten möglich machen (...). (A W , 50)

Eine archäologische Analyse beginnt also mit der Beschreibung von Regelmäßigkeiten in einer gegebenen und noch unbestimm­ ten diskursiven Verteilung. Allerdings gibt es viele Formen von Regeln und entsprechend viele Möglichkeiten, eine Formation von Aussagen zu beschreiben. Die umfassendste Definition der Formationsregeln, die Foucault in der Archäologie des Wissens gibt, lautet: Man wird Formationsregeln die Bedingungen nennen, denen die Ele­ mente dieser Verteilung unterworfen sind (Gegenstände, Äuße­ rungsmodalität, Begriffe, thematische Wahl). Die Formationsregeln sind Existenzbedingungen (aber auch Bedingungen der Koexis­ tenz, der Aufrechterhaltung, der Modifizierung und des Ver­ schwindens) in einer gegebenen diskursiven Verteilung. (AW, 58)

Das Zitat nennt vier Hinsichten, in denen Aussagen Regelmäßig­ keiten aufweisen können. Erstens in ihrem Bezug auf einen ge­ meinsamen Gegenstandsbereich. Bereits angemerkt wurde, dass die Objekte selbst nicht als Referenten einer sprachlichen Äuße­ rung vorausgesetzt werden können. Untersucht wird deshalb, wie sich der Gegenstandsbereich eines Diskurses allein durch dessen regelhafte Beziehungen zu Aussagen über andere Gegenstandsbe­ reiche formiert - etwa indem sie sich voneinander abgrenzen,

15 Vgl. z.B. Wittgenstein, Ludwig Philosophische Untersuchungen. Werkausgabe Band 1. Frankfurt a. M. 1984, §§ 43ff.

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Verbindungen herstellen, Hierarchien oder Abhängigkeiten auf­ bauen usw. (A W \ 67ff.) Eine zweite Form der Regelmäßigkeit lässt sich auf der Ebene der »Äußerungsmodalitäten« finden. In diesem Fall interessieren vor allem die Umstände, unter denen bestimmte Typen von Aus­ sagen gemacht werden können: Wer spricht, und ist er oder sie dazu berichtigt? In welchem institutionellen Umfeld und in wel­ chen Situationen? (.A W , 75ff.) Der dritte genannte Aspekt ist der vielleicht nahe liegendste und betrifft die Formierung eines Diskurses anhand von gleichen Begriffen. Aber ebenso wie die Objekte und die Formen von Äußerungen sind auch Begriffe keine überzeitlichen Idealitäten, auf die sich eine archäologische Beschreibung stützen könnte. Die spezifische Bedeutung, die ein Begriff in einem Diskurs an­ nehmen kann, erschließt sich wiederum nur, wenn man seine Beziehungen zu anderen Begriffen in den Blick nimmt: Gibt es regelmäßige Abhängigkeiten oder Schemata, in denen er auf­ taucht? Mit welchen anderen Begriffen kann er kombiniert, durch welche kann er ersetzt werden? (A W , 83ff.) Schließlich als vierter Aspekt, unter dem sich verstreute Aussa­ gen regelmäßig anordnen lassen, der thematische Zusammen­ hang. Er steckt einen eigenen Bereich ab, weil man verschiedens­ te Aussagen einem gemeinsamen Thema zuordnen kann, obwohl sie andere Worte benutzen, sich auf andere Objekte beziehen oder unterschiedlichen Situationen entstammen. Für Foucault indes bietet auch der thematische Zusammenhang kein durch­ gängiges und einheitliches Kriterium, mit dem sich ein diskursives Ensemble vollständig erschließen lässt. Was analysiert werden kann, sind die thematischen oder strategischen Wahlmöglichkei­ ten, die eine Aussagenstreuung zulässt. Sie tauchen in Form von Äquivalenzbeziehungen auf, die es erlauben, scheinbar inkompa­ tible Aussagen - etwa zwei sich widersprechende theoretische Erklärungsmodelle - als Alternativen innerhalb ein und desselben Diskurses zu verstehen. (AW , 96f.) In Anbetracht der komplexen und vielfältigen Beziehungen, die Aussagen untereinander eingehen können, wird ersichtlich, wie schwierig es ist, die Grenzen eines historischen Diskurses allein mit Hilfe von Regelmäßigkeiten zu bestimmen. Mit dem mehr­ schichtigen Zusammenspiel von Regel und Aussage verabschie­ det sich Foucault von jeder festen Grundlage oder letzten In25

stanz, auf die sich seine Betrachtungen stützen könnten: Weder Gegenstände noch Subjekte, weder Begriffe noch Inhalte sind dem Diskurs äußerlich und können als sichere Ansatzpunkte für eine Beschreibung dienen. Eine Diskursanalyse im Sinne Fou­ caults rekonstruiert ein epochales epistemisches Feld ausschließ­ lich von seinen Formationsregeln her, an denen sich die konkre­ ten Existenzbedingung von Aussagen ablesen lassen. Auf diese Weise wird ein historisches Denksystem mit einer eigenen inneren »Logik« sichtbar, die - für den Diskurs selbst unbemerkt - die vorprädikativen Bedingungen für die Wahrneh­ mung der Welt, das Verhältnis der Sprecher zu sich selbst und die Weise, in der Zeichen bedeuten können, absteckt. Da jedes Wis­ sen, auch das des Archäologen, einer spezifischen diskursiven Formation angehört, muss jeder Versuch, eine andere Epoche zu verstehen, so weit wie möglich auf die eigenen Maßstäbe und Begriffe verzichten und die überlieferten Aussagen einzig nach ihrem internen Bezugssystem ordnen. Insbesondere aber muss man die Vorstellung aufgeben, der freigelegte Diskurs bilde einen Ausschnitt aus einer kontinuierlichen geschichtlichen Fortent­ wicklung ab. Ein Diskurs ist vielmehr ein Hilfsmittel des Betrach­ ters, mit dem er dem endlos zerstreuten Raum der Aussagen eine partielle Ordnung abtrotzt. Er existiert nur als ein fragiles und kurzlebiges Gebilde, das sich je nach Perspektive des Beobachters zusammensetzt: Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören. (...) Er wird durch eine begrenzte Zahl von Aussagen konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann. ÇAW, 170)

Von einer traditionellen Geschichtsschreibung unterscheidet sich die archäologische Analyse vor allem darin, welcher Status den »historischen Tatsachen« eingeräumt wird. Eine Ideengeschichte etwa würde damit beginnen, eine Fülle von Dokumenten in ihrer chronologischen Reihenfolge anzuordnen (jedes Ereignis steht in einer eindeutigen Beziehung zu einem anderen: es geschieht ent­ weder vorher, nachher oder gleichzeitig), um auf diese Weise die verlorene Einheit eines vergangenen Wissensbestandes wieder­ herzustellen. Sie erschließt sich die Vergangenheit mit den Begrif­ fen von Wirkung und Ursache, Entwicklung oder Einfluss; ihre Arbeit dient der nachträglichen Konstruktion einer kontinuierli­ chen Geschichte des Sinns. Dagegen betrachtet die Archäologie 26

die Ereignisse in ihrer Verstreuung und Widersprüchlichkeit und fragt nach den epistemologischen Bedingungen, die notwendig waren, damit sie in einer bestimmten Periode als wahre Aussagen gelten konnten. Solche Bedingungsverhältnisse werden jedoch nur sichtbar, wenn man die je eigenen Regeln innerhalb der epo­ chalen Felder und diskursiven Formationen ernst nimmt. Ver­ gleichbar der geologischen Archäologie gilt es, Schicht für Schicht eines solchen Feldes freizulegen und die verstreuten Fundstücke unvoreingenommen in ihrer Zusammenstellung zu kartographieren. Und wie bei einer archäologischen Ausgrabung muss man immer darauf gefasst sein, etwas zu finden, das sich in keines der bisherigen Erklärungsmodelle fugt.16 In gewisser Weise steht die Wissens-Archäologie für ein Den­ ken des Diskontinuierlichen, weil sie die epochalen Brüche in der Geschichte nachzeichnet und die so entstehenden Formationen in ihren immanenten Verknüpfungen stehen lässt, ohne sie in ein kausales Verhältnis zu übersetzten oder den Grund für den Bruch zu erklären. Für Foucault gibt es eine plurale Geschichte mit vielen Rationalitäten und nicht die eine große Geschichte der Vernunftentwicklung.17 Man könnte auch sagen, »Archäologie des Wissens« sei der Name für den Versuch, regionale Epistemologien aufzustellen. 18 Umso verwunderlicher scheint, dass Foucault sich selbst als ei­ nen »glücklichen Positdvisten« (A W , 182) bezeichnet, obwohl er doch tatsächlich jede Aussage so behandelt, als habe sie keinen vorab feststehenden Sinn, der sich einfach aufnehmen ließe. Im Gegenteil erschließt sich ihre Bedeutung erst, wenn man sie in Beziehung zu anderen benachbarten Aussagen stellt und als Teil einer geregelten Formation versteht. Insofern lässt sich die Dis­ kursanalyse insgesamt viel eher als eine radikale Form der Her­ meneutik charakterisieren denn als Spielart des Positivismus.19 16 Vgl. Gehring: Foucault, a.a.O., S. 34. p Vgl. auch Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Übers, v. Walter Seitter. Frankfurt a. M. 1998, S. 35. 18 »Der Horizont, an den sich die Archäologie wendet, ist also nicht eine Wissen­ schaft, eine Rationalität, eine Mentalität, eine Kultur; es ist eine Verzahnung von Interpositivitäten, deren Begrenzungen und Kreuzungspunkte nicht auf einmal festgelegt werden können. (...) Der archäologische Vergleich hat keine vereinheit­ lichende, sondern eine vervielfachende Wirkung.« {AW , 227f.) 19 Obwohl Dreyfus und Rabinow die Arbeitsweise Foucaults in ihrem gleichnami­ gen Buch »jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik« positionieren, gibt die Diskursanalyse das hermeneutische Projekt keineswegs vollständig preis. Wie

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Mit Formulierungen wie etwa jener von der »Po sitivitat einer Aussage« nährt Foucault jedoch den Verdacht, die Diskurs analyse setze letztlich eine »Objektivität« des historischen Dokuments voraus und vertraue blind auf die Erkenntnisfähigkeit des Be­ trachters.20 Ein Grund für dieses Missverständnis liegt in Fou­ caults eigentümlicher Verwendung des Begriffes der »Aussage« (énoncé), dessen sprachphilosophische Hintergründe er im zweiten Teil seiner Archäologie des Wissens erläutert. Dem ersten Eindruck nach bildet eine Aussage die elementars­ te Einheit eines Diskurses. Allerdings wehrt sich Foucault strikt dagegen, die Aussage auf eine Proposition oder einen Satz zu reduzieren, da sie weder einen Referenten noch eine geläufige grammatische Struktur besitzen muss. (AW y 117f.) Eine Aussage ist zugleich viel weniger und viel mehr als eine Proposition oder ein Satz. Ihr Verhältnis zur Sprache ist fundamentaler, weil es von der jeweiligen Aussagefunktion abhängt, ob einer bestimmten Zeichenfolge ein Sinn zugeordnet werden kann: Die Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen; andererseits existiert sie nur als (mehr oder weniger er­ schöpfende) Beschreibung, die man aus einer Menge wirklicher Aussagen erhält. (AW, 124)

Zwar bedarf es einer sprachlichen Struktur, damit Aussagen for­ muliert werden können, aber nur innerhalb von bereits existie­ renden Aussagen lässt sich sinnvoll über sprachliche Strukturen reden. Diese gegenseitige Implikation von Sprache und Aussage verhindert jedoch zugleich jede weitere Verallgemeinerung. Den­ noch lässt sich daran ablesen, dass Aussagen keine reinen Form­ gebilde sind, sondern stets die inhaltliche Seite des Artikulierba­ ren mitbestimmen. Als ordnende Instanzen des Diskurses diktieren sie die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit man von einem Satz sagen kann, er sei richtig gebildet, oder von einer Proposition, sie besitze einen Wahrheitswert. (AW y 126) Eine Aussage ist folglich nicht bloß eine in historischen Doku­ menten fixierte und wiederholbare Aneinanderreihung von dePeter Bürger treffend bemerkt: »Die Diskursanalyse ist auf Hermeneutik angewie­ sen, ohne deshalb einfach in dieser aufzugehen. Die Frage, in welcher Weise diskursive Rahmenbedingungen die konkreten Texte formen, setzt ein Verständ­ nis dieser Texte voraus, das hermeneutischen Prinzipien folgt (...).« (Bürger, Peter: Denken als Geste. Michel Foucault, Philosoph. In: ders.: Das Denken des Herrn, a.a.O., S. 110-132; hier S. 117) 20 Vgl. Habermas: Diskurs der Moderne, a.a.O., S. 324ff.

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chiffrierbaren Schriftzeichen, an ihr lässt sich darüber hinaus auch eine bestimmbaren Anzahl von Anwendungsregeln ablesen. Foucault selbst bringt das Verhältnis von Zeichen, Satz, Pro­ position und Aussage in einem seiner zahlreichen Interviews so auf den Punkt: »Was ich als Aussage bezeichnet habe, ist eine Gesamtheit von Zeichen, die ein Satz, eine Proposition sein kann, aber auf der Ebene der Existenz betrachtet.«21 Mit Aussage ist also weder die grammatisch-logische Struktur noch der Bedeu­ tungsgehalt einer einzelnen historischen Äußerung gemeint, son­ dern eine vorgängige Funktion, mit der sich die historische Exis­ tenzweise eines Zeichensystems bestimmen lässt. Gleichwohl liegt die Aussagefunktion nicht jenseits der Spra­ che, in einem Bereich reiner Transzendentalität. Sie artikuliert sich in den analysierten Texten und ist ihrerseits sprachlich ver­ fasst. Zur Erläuterung nennt die Archäologie des Wissens vier cha­ rakteristische Merkmale, über die eine Folge von Zeichen verfü­ gen muss, um als Aussage gelten zu können: 1) Das Korrelat einer Aussage ist mehr als nur ein Referent, ein Bedeutungsgehalt oder eine syntaktische Struktur. In der Aussage wird ein »Korrelationsraum« eröffnet, der die Möglichkeiten und die Gesetzte der Referenz insgesamt festlegt. (AW , 131 f.) 2) Das Subjekt der Aussage ist nicht deckungsgleich mit dem Autor eines Textes oder dem Sprecher eines Satzes. Vielmehr schafft die Aussage eine leere und variable Position, die von einem beliebigen Individuum eingenommen werden kann. (AWy 138f.) Weil das Verhältnis zwischen der Sprache und dem Subjekt der Äußerung von einer Aussagefunktion abhängt, lässt sich umgekehrt eine Aussage anhand der Stellung charakterisieren, die sie einem Subjekt einräumt. 3) Keine Aussage steht für sich allein, sie tritt immer in Relation zu anderen Aussagen auf. Diese Koexistenz von Aussagen ist nicht zu verwechseln mit einem semantischen oder situativen Kontext, der eine sinnerschließende Funktion für einen Satz haben kann. Auch hier gilt: Erst das geregelte Zusammenspiel einer Reihe von Aussagen schafft die Voraussetzung dafür, dass

21 Foucault, Michel: »Michel Foucault erklärt sein jüngstes Buch« - Gespräch mit J.-J. Brochier. In: Schriften 1, a.a.O., S. 980-991; hier S. 990.

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sich unterschiedliche Kontexte voneinander abgrenzen lassen. (AW , 142f.)22 4) Jede Aussage bedarf einer »materiellen« Manifestation, die ihre Wiederholung erlaubt und sie stabilisiert. Zur »Materialität« zählt Foucault verschiedenste Aspekte: die Substanz (etwa Laut­ oder Schriftzeichen), den Träger, einen Ort und ein Datum. (AW, 147f.) Allerdings liegt das charakteristische Merkmal einer spezifi­ schen Aussage nicht in ihrer gleichbleibenden Erscheinungsweise, sondern in den Regeln, die ihre Übertragung in wechselnde »ma­ terielle« Manifestationen ermöglichen bzw. begrenzen. Nehmen wir ein kurzes Beispiel: (...) in allen Ausgaben der Fleurs du mal (...) findet man dasselbe Bündel von Aussagen wieder; den­ noch sind weder die Schrifttypen, noch die Tinte, noch das Papier, und auf keinen Fall die Lokalisierung des Textes und die Anord­ nung der Zeichen dieselben: das ganze Gewebe der Materialität hat sich geändert. (A W , 149)

Trotz dieser Spezifizierungen lässt sich nach wie vor nur schwer begreifen, was genau in den Augen Foucaults als Aussage zählen kann. Soviel jedoch wird deutlich: Sie selbst ist nichts anderes als eine »Folge von Zeichen«, die allerdings die Besonderheit hat, auf die fundamentalen historischen Bedingungen des Bedeutens hinzuweisen. In ihnen zeigt sich, welche Beziehungen zwischen den Zeichen und einem Signifikat oder Referenten bestehen, welche Subjektpositionen ein Diskurs zulässt und welche Kon­ texte er kennt. Das Einzige, wovon die Identität einer Aussage selbst abzuhängen scheint, sind die Relationen, die sie mit ande­ ren Aussagen unterhält, und die möglichen Formen ihrer »mate­ riellen« Erscheinungen. Da aber auch dies rein relationale und differentielle Eigenschaften sind, gibt es offenbar kein festes »Wesen« der Aussage, das ihr unabhängig von einem konkreten Diskurs zukommen würde. Man kann die jeweiligen Regelmäßig­ keiten von Aussagen beschreiben, aber aus ihren Merkmalen keine allgemeine Theorie der Sprache oder der Zeichen ableiten. Vor diesem Hintergrund lässt sich schwerlich behaupten, Fou­ cault habe mit der »Positivität der Aussage« schlicht das Vorhan­ densein identifizierbarer Äußerungen gemeint. Wenn Positivität in diesem Zusammenhang überhaupt eine Bedeutung haben kann, dann nur in Bezug auf die sichtbaren und beschreibbaren 22 Vgl. zur Zurückweisung des Kontextes auch Deleuze, Gilles: Foucault. Übers. Hermann Kocyba. Frankfurt a. M. 1987, S. 22.

V.

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Regeln der Verknüpfung, der Wiederholung und der Transforma­ tion von Aussagen, die eine historische diskursive Formation aufweisen muss. Eine diskursive Formation zu analysieren, heißt also, eine Menge von sprachlichen Performanzen auf der Ebene der Aussagen und der Form der Positivität, von der sie charakterisiert werden, zu be­ handeln; oder kürzer: es heißt den Typ von Positivität eines Dis­ kurses zu definieren. {AW, 182)

Weniger missverständlich als in der Rede von einer Positivität kommt der Einsatzpunkt der archäologischen Analyse in der — gleichwohl paradoxen - Formel vom »historischen Apriori« zum Ausdruck. Eine Aus sagefunktion kann deshalb als »positiv« be­ zeichnet werden, weil sie die tatsächlichen Bedingungen des Auf­ tauchens, der Existenz und des Verschwindens von Äußerungen in einem gegebenen historischen Diskurs angibt, und nicht deren zeidose formale Möglichkeit zu fassen sucht. (AW y 184f.)23 Ein »historisches Apriori« regelt den Bereich des Sagbaren immanent, auf der gleichen Stufe wie das Gesagte, und muss sich entspre­ chend in direkter Weise an dem Beziehungsgeflecht von exempla­ rischen Aussagen ablesen lassen. Foucaults Entwurf der Aussagefunktion passt in keine bekann­ te Form der Sprachphilosophie; sie ist weder mit der strukturalen Linguistik noch mit der analytischen Sprachphilosophie oder der traditionellen Hermeneutik kompatibel.24 Aber er schlägt auch keine alternative Theorie vor, wie die Zeichen mit ihrer Bedeu­ tung oder Worte mit den Dingen im Allgemeinen verknüpft sind. Seine Ausführungen zur Aussage skizzieren lediglich die Linien 2* Der Begriff »historisches Apriori« darf allerdings nicht als Indiz dafür genom­ men werden, dass Foucault im Grunde Transzendentalphilosophie betreibe, nur eben historisch gewendet Im Gegensatz zum transzendentalen beschreibt das historische »Apriori« ausschließlich die Existenzbedingungen einer Menge von Vorgefundenen Aussagen — und nicht ihre reine Möglichkeitsbedingung, unab­ hängig davon, ob sie tatsächlich geäußert wurden. Der scheinbar geringe Unter­ schied ist einer ums Ganze, weil Foucault mit dem Diskursbegriff die Ebenendif­ ferenz zwischen dem Transzendentalen und dem Empirischen unterlaufen will. Man müsse, heißt es programmatisch in der Archäologe des Wissens, »die Geschichte des Denkens aus seiner transzendentalen Unterwerfung befreien« (AW , 289; dazu auch Bürger Denken als Geste, a.a.O., S. 112f.). Deshalb greift der von Manfred Frank vorgeschlagene Vergleich mit dem »historisch Transzendentalen« der Romantik zu kurz (vgl. Frank, Manfred: Was heißt Neostrukturalismus? Frankfurt a. M. 1984, S. 21 lf.). 24 Foucault gibt ebenfalls einige Hinweise darauf, dass auch die Sprechakttheorie von Austin und Searle die Aussagefunktion nicht zu denken vermag. (AW , 120f.)

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eines rein deskriptiven Verfahrens, das seinerseits die historische Varianz genau jener Vermittlung zwischen den Worten und den Dingen in den Blick nimmt. Wie sich an der Fülle der Beziehun­ gen, die eine Aussage bestimmen können, zeigt, folgt der so umrissene Bereich auch innerhalb einer Epoche nie einer einzigen und einheitlichen Logik. Eine Analyse muss daher ein weites Feld von »diskursiven Praktiken« berücksichtigen, »(...) von denen aus man den Gebrauch der Worte fesdegen und definieren kann, was die Dinge sind«.25 Solche Praktiken befinden sich indes nicht außerhalb des Diskurses. Sie betreffen die tatsächliche und insti­ tutionalisierte Anwendung des Wissens und der zugehörigen Erklärungsmodelle. Foucaults Konzept der Aussagefiinktion gehört deshalb weder in den Bereich einer Logik noch einer Se­ mantik, sondern entwirft, wie Gilles Deleuze feststellt, eine »neue Pragmatik«.26 Unter einem solchen Blickwinkel wird ebenfalls verständlich, weshalb Foucault keine vollständig in sich geschlossene Formali­ sierung seines Ansatzes liefern kann. Weil ihm kein überzeitlicher erkenntnistheoretischer Standpunkt zur Verfügung steht, von dem aus sich sein eigenes Verfahren ableiten und begründen lässt, bleibt ihm als einzige Möglichkeit der Legitimierung, die entwi­ ckelten Perspektiven des archäologischen Verfahrens - Aussage, Formationsregel, Diskurs - ihrerseits als die kritische Speerspitze des epistemologischen Feldes der Gegenwart, also der Moderne, auszuweisen. Falls Foucault sein eigenes Denken im Umfeld der Philosophie verortet, müsste er einerseits nachweisen, inwiefern der philosophische Diskurs der Moderne mit seiner Zentrierung auf die erkenntnistheoretische Stellung des Menschen aus imma­ nenten Gründen in eine Sackgasse führt, und andererseits bele­ gen, dass die von ihm vorgeschlagene Archäologie einer kriti­ schen Unterströmung dieses Diskurses angehört, mit der sich die aufgezeigten Aporien überwinden lassen. Anhand der materialrei­ chen Ausführungen der Ordnung der Dinge soll daher im weiteren Verlauf geprüft werden, ob es Foucault tatsächlich gelingt, diese beiden Bewegungen zu vereinen.

25 Foucault: Gespräch mitJ.-J. Brochier, Schriften 1, a.a.O., S. 986. 26 Vgl. Deleuze: Foucault, a.a.O., S. 20.

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2. Von der Ähnlichkeit zur Repräsentation

Zurückkehrend auf die von Foucault angeführten drei epochalen sprachlichen Ordnungssysteme kann nun im Sinne einer Archäo­ logie des Wissens nach den Formationsregeln oder Dispositionen gefragt werden, denen der jeweilige Diskurs über die Sprache unterworfen ist. In der Renaissance entdeckt Die Ordnung der Dinge eine solche Regelmäßigkeit im Topos der »Ähnlichkeit«; vom siebzehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts Foucault nennt diese Epoche das klassische Zeitalter, oder kurz: die »Klassik« - dagegen in der binären Figur der »Repräsentati­ on«.27 Der soeben skizzierten Systematik der archäologischen Geschichtsschreibung zufolge können die beiden Diskurse über die Sprache zwar einen exemplarischen Charakter für ihre jeweili­ ge Epoche besitzen, die darin zum Ausdruck gebrachte diskursive Regelmäßigkeit aber müsste zunächst im Zusammenhang einer differentiellen Analyse - im Vergleich mit koexistenten Aussage­ funktionen der diskursiven Formation - erschlossen werden. Das erklärt, weshalb Foucault die im siebzehnten Jahrhundert vor­ herrschende sprachtheoretische Bemühung um eine »Allgemeine Grammatik« mit den zeitgenössischen Diskursen der Naturge­ schichte und der Wirtschaftstheorie in Verbindung bringt - eine Dreiteilung, die er auch im zweiten Teil des Buches für die Analy­ se des moderne Denkens beibehält. Die ohnehin deutliche kürzere Betrachtung der Renaissance folgt indes einer anderen Ordnung, da hier, so Foucault, »die Schicht der Sprache einzigartig und absolut« ist. (OD, 75) Im r Das Zeitalter von der römischen Antike bis zur Renaissance gehört nicht zu den von Die Ordnung der Dinge behandelten Epochen; es taucht lediglich anlässlich der hier betrachteten Thematik und zum Zwecke der Verdeutlichung der epochalen Brüche auf. Insgesamt fällt auf, dass Foucault entgegen seiner erklärten Absicht, keine Ideengeschichte zu schreiben, häufig pauschal von der Renaissance oder der Klassik redet. Erschwerend kommt die äußerst vage Datierung der betrachteten Epochenumbrüche hinzu, nach der das klassische Zeitalter in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts eingeleitet wird und die Moderne am Anfang des neun­ zehnten Jahrhunderts beginnt. (OD, 25) Der scheinbar unbedarfte Umgang mit epochalen Bezeichnungen und Datierungen hat indes Methode, sofern die archäo­ logische Analyse eine »zeitweilige Aufhebung der zeitlichen Folge« zugunsten einer eigenen »Zeitlichkeit der diskursiven Formation« verlangt. (AW , 237) Re­ naissance, Klassik und Moderne sind also eher als Kurzformeln für Diskursge­ flechte zu lesen und nicht als Folgebeziehung einer kontinuierlichen Geschichts­ schreibung. Auf die Unterschiede zu den im deutschsprachigen Raum üblichen Epocheneinteilungen macht Petra Gehring aufmerksam (vgl. Gehring: Foucault, a.a.O., S. 74, Anm.).

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Topos der Ähnlichkeit gehen Sprache und Welt eine derart tief­ greifende Verbindung ein, dass die Dinge selbst als Zeichen er­ scheinen können: Im sechzehnten Jahrhundert ist die wirkliche Sprache keine ein­ förmige und glatte Gesamtheit von unabhängigen Zeichen, in der die Dinge sich wie in einem Spiegel reflektieren, um darin Ding für Ding ihre besondere Wahrheit auszudrücken. Es ist vielmehr eine opake, mysteriöse, in sich selbst geschlossene Sache, eine fragmen­ tierte und von Punkt zu Punkt rätselhafte Masse, die sich hier und da mit den Figuren der Welt mischt und sich mit ihnen verflicht, und zwar so sehr und so gut, daß sie alle zusammen ein Zeichen­ netz bilden, in dem jedes Zeichen in Beziehung zu allen anderen die Rolle des Inhalts oder des Zeichens, des Geheimnisses oder des Hinweises spielen kann und tatsächlich spielt. (OD, 66)

Die Sprache und die Zeichen stehen den bezeichneten Gegen­ ständen nicht, wie später im Diskurs der Klassik, als austauschba­ re Manifestationen gegenüber. Sie sind vielmehr mit der Ebene der Welt durch eine ursprünglich von Gott gegebene, dann aber verlorene Ähnlichkeit verbunden. Daher rührt ein der Renais­ sance eigentümliches Privileg der Schrift: Die sichtbaren Dinge sind schriftliche Zeichen des göttlichen Wort, sie müssen als Niederschrift seines Willens gelesen und interpretiert werden. (OD, 70ff.) So erscheint die Welt immer schon als geschriebenes Sein, als ein große Buch, in dem alle Dinge aufeinander verwei­ sen, weil sie selbst integrale Bestandteile eines einzigen Zeichen­ netzes sind. Oberhalb und unterhalb der für das Denken der Renaissance typischen Vorstellung einer göttlichen Niederschrift der Welt können sich zwei charakteristische Diskurs formen etab­ lieren: Über ihr (der Schrift; DQ) den Kommentar, der die gegebenen Zeichen in einer neuen Wortfolge aufnimmt, und unterhalb den Text, von dem der Kommentar den unterhalb der für alle sichtba­ ren Markierungen verborgenen Primat voraussetzt. So gibt es drei Ebenen der Sprache, aber nur ein einziges Sein der Schrift. (OD,

75)28

Eine gemeinsame Aussageregelmäßigkeit verbindet die drei Di­ mensionen in einem einzigen System der Ähnlichkeiten, das die Zeichen mit anderen Zeichen und die Dinge mit anderen Dingen auf der Grundlage einer göttlichen Schrift aneinander reiht. Alle28 28 Übersetzung korrigiert und geringfügig verändert; DQ .

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Wissensbereiche müssen deshalb letztlich wie ein Kommentar funktionieren, denn Erkenntnis bedeutet nichts anderes, als die Schrift der Dinge zu lesen und zu interpretieren. Das Ziel des Kommentars wäre eine vollständige Wiederherstellung jenes ersten und verlorenen Textes, von dem die Welt der Dinge nur verstreute Zeichen zu erkennen gibt. Aber indem der Kommen­ tar versucht, die unterstellte ursprüngliche Textur sprachlich einzuholen, potenziert er notwendigerweise das Geflecht der Zeichen und schafft neue Anknüpfungspunkte für weitere Kom­ mentare. Dadurch schiebt der Diskurs jenen Grund, den er freilegen will, immer wieder auf. (OD, 74) Infolgedessen kom­ mentiert sich das Denken der Renaissance endlos selbst und breitet sich in der uniformen Schicht zwischen Sprache und Welt, in einem Raum der Ähnlichkeiten aus. Dass die episteme des sechzehnten Jahrhunderts auch innerhalb der Gesamtargumentation von Die Ordnung der Dinge eine Sonder­ stellung einnehmen, lässt sich an den geradezu dramatischen Formulierungen ablesen, mit denen Foucault die Auflösung die­ ser diskursiven Formation und den sich im siebzehnten Jahrhun­ dert vollziehenden epistemologischen Umbruch beschreibt: Es handelt sich dabei um die ungeheure Reorganisation der Kultur, deren erste Etappe das klassische Zeitalter gewesen ist, vielleicht auch deren wichtigste, weil sie verantwortlich für die neue Anord­ nung ist, in der wir noch gefangen sind, denn sie trennt uns von ei­ ner Kultur, in der die Bedeutung der Zeichen nicht existierte, da sie in der Souveränität der Ähnlichkeit resorbiert war. (OD, 76)

Was rechtfertigt aus der Sicht der Archäologie die Rede von der »ungeheuren Reorganisation der Kultur« im Übergang zum Zeit­ alter der Klassik? Wohl kaum die Auflösung eines historisch begrenzten Diskurses oder Wissensgebietes. Offenbar handelt es sich hierbei um einen tieferen Einschnitt, wenn ebenso wie das klassische Zeitalter auch unsere gegenwärtige Konstellation des Wissens von jenem komplexen Spiel abgeschnitten bleibt, das in der Renaissance die Sprache und die Welt im Primat der Schrift zusammenfügt und das Foucault als »Sein der Sprache« bezeich­ net. An seine Stelle tritt ab dem siebzehnten Jahrhundert eine vollkommen neue epistemologische Disposition, in der die Worte und die Dinge nur noch voneinander getrennt existieren.29 Und 29 Die Worte und die Dinge - Les mots et les chose - lautet der Titel der französi­ schen Originalausgabe, der jedoch auf Wunsch Foucaults in der deutschen Über-

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während sich die Klassik dadurch auszeichnet, dass sie auf diese folgenschwere Trennung mit dem binär kodierten Modell der Repräsentation antwortet, beginnt die Moderne in dem Augen­ blick, als die Frage nach dem Wesen der Dinge zugunsten einer Aufdeckung von Sinn und Bedeutung der Zeichen zurücktritt. (OD, 75) Seit dem siebzehnten Jahrhundert, und das ist es wohl auch, worauf Foucault hinaus will, gibt es im abendländischen Denken ein völlig neues erkenntnistheoretisches Problem: Wie kann das Zeichen mit dem verbunden sein, was es bezeichnet, oder allge­ meiner, inwiefern ist es möglich, über die Dinge der Welt wahre Urteile zu fällen? Damit verschiebt sich der fundamentale Rah­ men oder die Bedingung der Möglichkeit von Wissen überhaupt. Fortan strukturiert nicht mehr das einheitliche Modell der Ähn­ lichkeiten den Raum des Wissens, sondern eine Ordnung aus Identitäten und Unterschieden. (OD, 82) Erst nach diesem epo­ chalen Bruch können sich dann eine Reihe von neuen Wissen­ schaften und Disziplinen etablieren: So wird es beispielsweise möglich - und notwendig -, einen eigenständigen Diskurs über die Sprache als Zeichensystem zu fuhren, weil sich ihre Funkti­ onsweise von dem unterscheidet, was sie repräsentiert. (OD, 115) Entsprechend tauchen im siebzehnten Jahrhundert Entwürfe zu einer »Allgemeinen Grammatik« auf, mit denen die Repräsentati­ on auf ein rationales Organisationsprinzip zurückgeführt werden soll. Eine binäre Kodierung sowie die strikte Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem sind laut Foucault die ent­ scheidenden Merkmale des klassischen Diskurses über die Spra­ che. In der epistemologischen Konstellation des sechzehnten Jahrhunderts ist eine solche Teilung insofern noch undenkbar, als dort die Zeichen und die Dinge im großen Netz der Verweise ständig ihren Platz tauschen können. Dagegen lautet die im sieb­ zehnten Jahrhundert neu aufkommende Frage gerade, wie die beiden Pole des Zeichenbegriffs miteinander verbunden sind und wie das Zeichen überhaupt zu repräsentieren vermag. Im Zuge dieser Frage sieht Foucault eine eigentümliche Logik der Reprä­ sentation entstehen, nach der die repräsentierende Seite zugleich Setzung verändert wurde. Er verweist auf diese zentrale Stelle des Buches, an dem sich die Worte von den Dingen trennen - von hier aus wäre zu lesen (vgl. auch Foucault: Gespräch mit J.-J. Brochier, Schriften 1, a.a.O., S 986 und AW, 74).

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mit dem Repräsentierten sich selbst als das Repräsentierende zu erkennen geben muss. Um ein Zeichen für etwas zu sein, muss ein Bild, eine Vorstellung oder eine Idee aus eigener Kraft die Verknüpfung mit seinem Anderen anzeigen. Es bedarf mithin einer Art »verdoppelter Repräsentation«: Das Zeichen muss an sich selbst zeigen, dass es etwas repräsentiert. (OD, 98f.) Deutlicher noch als in Die Ordnung der Dinge legt Foucault die klassische Repräsentationstheorie in einem kleinen Text über die rationale Grammatik von Port-Royal dar. Kennzeichnend für das Projekt einer »Allgemeinen Grammatik« ist der Anspruch, aus der Analyse von lediglich ein oder zwei (beliebigen) Sprachen eine universale Logik ableiten zu können.30 Alle Sprachen, so die dahinter stehende Annahme, bauen unabhängig von ihren ober­ flächlichen Verschiedenheiten auf einer einzigen gemeinsamen Vernunft auf. Dementsprechend unterteilt die Klassik die Spra­ che in zwei Ebenen: (...) die manifeste Etage der Sätze, der Worte und Diskurse, des Sprachgebrauchs, der Redewendungen, die zusammen den sichtba­ ren Korpus der Sprache bilden, und die nicht manifeste Etage der Prinzipien, die mit perfekter Klarheit von den beobachtbaren Tat­ sachen Rechenschaft ablegen müssen.31

Innerhalb dieser Zweiteilung wird nun die Theorie des Zeichens auf Seiten der vernünftigen Ordnung der Sprache angesiedelt. Sie beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage, welche logischen Prinzipien eine Repräsentation ermöglichen, und nicht mit der konkreten Bedeutung dieser oder jener Bezeichnung. Insofern gehört der Begriff des Zeichens selbst in den Bereich der Idealität und lässt sich als die Verbindung zweier Ideen oder Vorstellun­ gen beschreiben: jener des repräsentierenden und jener des reprä­ sentierten Objekts. Foucault spricht in diesem Zusammenhang wiederholt von einer Bewegung des sich Spaltens (se dédouble) und Verdoppelns (se redouble) der repräsentierenden Idee. Um auf eine andere Vorstellung verweisen zu können, muss die repräsentie­ rende Vorstellung über eine interne Verbindung zu dem von ihr Repräsentierten verfügen. Sie ist zugleich »Beziehung zu einem Gegenstand und Manifestation ihrer selbst«. (OD, 99) 30 Vgl. Foucault: Einleitung, Schriften 1, a.a.O., S. 938. Wie Manfred Frank deut­ lich macht, ist die Zeichentheorie der »allgemeinen Grammatik« daher eigentlich eine Theorie der Logik (vgl. Frank: Neostrukturalismus, a.a.O., S. 162f.). 31 Foucault: Einleitung, Schriften 1, a.a.O., S. 936f.

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Weil der so verstandene Zeichenbegriff direkt auf der Ebene der universalen Ideen ansetzt und ihre mannigfaltigen oberfläch­ lichen Erscheinungen beiseite lässt, kann die klassische Logik der Repräsentation auf eine dritte vermittelnde Instanz zwischen den Worten und dem Sinn verzichten. Als bestimmte Vorstellung ist ein Zeichen immer schon bedeutsam und bleibt gegenüber sei­ nem Inhalt vollkommen durchsichtig. Mit dem Repräsentations­ modell wird daher nicht erklärt, wie ein für sich sinnloser Träger überhaupt zum Repräsentanten einer Idee werden kann, sondern wie die idealen Bedeutungen in einer einheitlichen Vernunft mit­ einander verbunden sind. Dadurch wird die Sprache, wenigstens beinahe, unsichtbar. Auf je­ den Fall ist sie für die Repräsentation so transparent geworden, daß ihre Existenz nicht länger ein Problem ist. (OD, 115)

In der Terminologie der Archäologie des Wissens gesprochen, stellt die epistemologische Figur der Repräsentation die vorherrschen­ de Aussageformation des klassischen Wissens dar, die auch für die Möglichkeit der empirischen Erkenntnis bestimmend bleibt. Einen charakteristischen Ausdruck dieser Zusammengehörigkeit findet Foucault in dem Bedürfnis nach einer allgemeinen Ord­ nungswissenschaft, mit deren Hilfe sich das Feld der sichtbaren Gegenstände schematisieren und in große Taxinomien, die in Form von »Tableaus« auftauchen, überfuhren lässt. Ebenso wie in der eigentümlichen Zeichentheorie der Klassik liegt die Beson­ derheit solcher klassifizierenden Tableaus darin, dass die in ihnen repräsentierte Ordnung der empirischen Dinge zugleich deren Ontologie abbilden kann. (OD, 258) Das perfekte Tableau, in dem jede Repräsentation ihren unverwechselbaren Platz in einem System von eindeutigen Identitäten und Unterschieden einge­ nommen hätte, wäre deshalb gleichbedeutend mit der vollständi­ gen Selbst-Repräsentation der Vernunft. Die hier in aller Knappheit skizzierten Aussagefunktionen der »Ähnlichkeit« und der »Repräsentation«, mit denen Die Ordnung der Dinge das epistemologische Feld der Renaissance und der Klassik beschreibt, sollen gewissermaßen als Kontrastfolie die­ nen, um nun die diskursiven Formationen der Moderne abzuhe­ ben. Im Hintergrund steht weiterhin die Frage, ob es Foucault gelingt, dabei zugleich die historischen Voraussetzungen seines eigenen methodischen Instrumentariums auszuweisen. Schaut 38

man sich unter diesem Aspekt noch einmal die beschriebene Bruchstelle zwischen dem sechzehnten und dem siebzehnten Jahrhundert an, ahnt man bereits, welche Problematik überhaupt erst mit dem Topos der Repräsentation entsteht: die Frage nach der Vermittlung von Sprache und Welt, den Zeichen und den Dingen. Erst auf der Grundlage eines zweidimensionalen Zei­ chenbegriff kann das Vermittlungsproblem jenen zentralen Stel­ lenwert erhalten, der ihm in der Moderne von der Linguistik, der analytischen Sprachphilosophie und den hermeneutischen Wis­ senschaften in der Tat eingeräumt wird.32 Gleichzeitig eröffnet diese epistemologische Verschiebung das Aussagenfeld, mit dem sich auch das deskriptive Verfahren einer »Archäologie des Wissens« beschäftigt. Im Unterschied zu den modernen sprachtheoretischen Ansätzen gibt sie allerdings keine eigene Erklärung für die Vermittlung, sie versucht vielmehr dar­ zulegen, welche Auswirkungen die unterschiedlichen Antworten auf die umliegenden Wissensfelder haben. Den aus moderner Sicht so entscheidenden Vermitdungsgedanken kann sie relativie­ ren, indem sie ihm mit dem Verweis auf das einheitliche »Sein der Sprache«, das die epistemologische Konstellation der Renaissance durchzieht, einen Spiegel vorhält. Aber steht ein solcher Rückgriff auf eine frühere Epoche - und sei es zu kritischen Zwecken - nicht in einem fundamentalen Widerspruch zu dem von Foucault selbst angeführten tiefgreifen­ den Bruch, der die Renaissance sowohl von der Klassik als auch dem modernen Denken trennt? Dem lässt sich entgegnen, dass die Diskontinuität der Diskurse keinen Zerfall der Geschichte in monolithische epistemologische Blöcke bedeutet, die sich an ihren »glatten« Schnittkanten wieder zum linearen Kontinuum einer globalen Geschichte zusammenfugen.33 Tatsächlich sind die 32 Diese Verbindung verleitet Manfred Frank zu einem fatalen Kurzschluss: Da Foucaults eigener Ansatz dem Strukturalismus entstamme (was dieser freilich selbst immer wieder bestreitet) und er weiterhin im Rahmen seiner Rekonstrukti­ on des klassischen Zeichenbegriffs darauf hinweist, dass die strukturale Linguistik de Saussures die binäre Natur des Zeichens von neuem entdecken wird (OD, 102), glaubt Frank eine prinzipielle Sympathie Foucaults fur das Repräsentationsmodell des siebzehnten Jahrhundert feststellen zu können. Wenn man überhaupt von einer »Sympathie« Foucaults für eine der von ihm betrachteten Epochen sprechen kann, dann wohl eher für das »Sein der Sprache« der Renaissance. 33 Diese These vertritt Sartre in seiner Auseinandersetzung mit Foucault Ende der sechziger Jahre; sie findet sich ebenfalls in dem von Habermas konstatierten »transzendentalen Historismus« wieder (vgl. Sartre, Jean-Paul: Jean-Paul Sartre

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Beziehungen unterhalb der epochalen Gliederungen deutlich komplexer, vergleichbar drei unterschiedlich geknüpften Netzen, die an einigen Stellen Verbindungen aufweisen, an anderen viel­ leicht nur vergleichbare Muster, sich dann aber über weite Teile voneinander getrennt ausbreiten. Man hat Foucault vorgeworfen, sein archäologischer Stand­ punkt verfuge über keine Instanz der Selbstreflexion und basiere deshalb letztendlich auf einer nicht ausgewiesenen normativen Präsupposition.34 Das mag für die späteren, um eine Analytik der Macht erweiterten Untersuchungen plausibel erscheinen, da die dort konstatierte Omnipräsenz von Machtverhältnissen zwangs­ läufig auch das eigene Verfahren trifft und es somit zur Strategie werden lässt.35 Für die Phase des archäologischen Projekts aber gibt es Hinweise, dass Methode und Analyse sehr wohl ein rezip­ rokes Verhältnis eingehen. Das müsste sich insbesondere anhand Foucaults Erläuterungen zum modernen Wissen aufzeigen lassen, wie es im zweiten Teil von Die Ordnung der Dinge niedergelegt ist. 3. Das »Trieder« des modernen Wissens - eine architektoni­ sche Lektüre

Bevor mit der Rekonstruktion des von Foucault nachgezeichne­ ten »historischen Apriori« der Moderne begonnen werden kann, soll eine architektonische Lektüre die Position und den Status der antwortet. In: Schiwy, Günther: Der französische Strukturalismus. Reinbek 1969, S. 208-213; und Habermas: Diskurs, a.a.O., S. 296f.). M Vgl. dazu Habermas: Diskurs, a.a.O., S. 326f., ebenso Frank: Neostrukturalis­ mus, a.a.O., S. 201 f. 35 In seinen beiden Studien zum Gefängnis und zur Sexualität nimmt Foucault eine entscheidende methodische Richtungsänderung vor, wenn er die vormals unmotivierten Transformationen der Aussageregelmäßigkeiten mit Hilfe einer polyvalenten Machtfunktion erklärt (vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Übers, v. Walter Seitter. Frankfurt a. M. 1976, und ders.: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Bd. 1. Übers, v. Ulrich Raulff u. Walter Seitter. Frankfurt a. M. 1977). Zusammen mit dieser Neuausrichtung tritt dann die Be­ zeichnung »Archäologie« immer weiter in den Hintergrund und weicht einer »Genealogie« dieser subkutanen Machtverhältnisse. Besonders die späteren Arbei­ ten haben in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine breite Rezeption erfahren und Reaktionen von begeisterter Aufnahme bis zur brüsken Ablehnung hervorge­ rufen. Die skizzierte kritische Position vertritt u.a. Honneth, Axel: Kritik der Macht. Frankfurt a. M. 1986. Hervorgehoben werden muss an dieser Stelle jedoch vor allem Gille Deleuze, der in seinem bemerkenswerten Aufsatzband die Archäo­ logie mit der Genealogie in ein notweniges Ergänzungsverhältnis setzt und damit noch über Foucaults eigene methodologische Reflexion hinausgreift (vgl. Deleuze: Foucault, a.a.O.).

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zugrunde liegenden Textabschnitte einkreisen und näher bestim­ men. Eine architektonische Lektüre beschäftigt sich mit den Gliederungsebenen, den Hierarchien, den Einschnitten im Text selbst, und zwar gleichsam auf dessen »Oberfläche« und nicht mit einem »Hintergrundwissen« um die Umstände seiner Entstehung, die geschichtliche Situation oder die Motivation des Autors - sie weist all das zurück, was man vielleicht ein »Text-Außerhalb« nennen könnte.36 Stattdessen versucht sie eine Art Topographie des Textes zu erstellen, indem sie seinen internen argumentati­ onslogischen Einteilungen folgt, so als würde sie ein Relief abtas­ ten. Von einer bloßen Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses jedoch unterscheidet sich eine architektonische Analyse dadurch, dass sie die entfaltete Szene nicht als reine, äußerliche Form des Textes betrachtet, sondern ihr eine sinnstiftende Funktion zuge­ steht. Ebenso wie die Archäologie geht sie rein immanent und relational vor, beschränkt sich allerdings auf einen einzigen Text. Der hier betrachtete zweite Teil von Die Ordnung der Dinge um­ fasst die vier Kapitel 7-10, entsprechend setzt sich der erste Teil aus den von 1 bis 6 durchnummerierten Kapiteln zusammen. In Anbetracht der angedeuteten inhaltlichen Dreiteilung der gesam­ ten Untersuchung in die Epochen Renaissance, Klassik und Mo­ derne ist bereits die asymmetrische Aufteilung dieser drei Felder in zwei annähernd gleich große Hälften bemerkenswert. Ohne Zweifel gebührt den Grundlagen des modernen Wissens die Hauptaufmerksamkeit der Studie, wenngleich sich genau hier ein Bereich von größter methodischer Schwierigkeit abzeichnet, denn Foucaults Untersuchungen bewegen sich ab dem zweiten Teil innerhalb einer historischen Formation, die ihnen zumindest in den Grundzügen noch zeitgenössisch ist. Man darf also davon ausgehen, dass sich in diesem Abschnitt der Ordnung der Dinge die historische Arbeit der Archäologie mit ihrer eigenen methodolo­ gischen Fundierung kreuzen wird.

36 Zur Ablehnung einer dem Text vorhergehenden Dimension der Bedeutung vgl. Derrida, Jacques: Grammatologie. Übers, v. Hans-Jörg Rheinberger u. Hanns Zischler. Frankfurt a. M. 1974, S. 274. Dort heißt es in Bezug auf die Position eines Referenten oder eines transzendentalen Signifikats: »Ein Text-Äußeres gibt es nicht.« (Vgl. auch ders.: Dissemination. Übers, v. Hans-Dieter Gondek. Wien 1995, S. 51 ff.; zum Verfahren einer architektonischen Lektüre vgl. ebenfalls Derrida, Jacques: Randgänge der Philosophie. Übers, v. Gerhard Ahrens, Henriet­ te Beese u.a. 2. überarbeitete Auf!., Wien 1999, S. 96-105).

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Ferner lässt sich in der zweiten Hälfte des Buches eine weitere inhaltliche Zweiteilung auf der Gliederungsebene der Kapitel ausmachen: Die Kapitel 7 (Die Grenzen der Repräsentation) und 8 {Arbeiten, heben, Sprache) bilden einen ebenso engen argumentati­ ven Zusammenhang wie die Kapitel 9 {Der Mensch und seine Dop­ pel) und 10 {Die Humanmssenschaßerl). Während die ersten beiden die aus den Abschnitten über die Klassik bekannte Aussagefor­ mation von Zeichen-, Natur- und Werttheorie in ihrer modernen Transformation weiterverfolgen und dem klassischen Topos der Repräsentation den modernen der Geschichte entgegenhalten, stellen die folgenden Kapitel einen nahezu vollständigen Neuan­ satz der Analyse dar. (OD, 372) Grund für diese Zäsur ist die Einführung einer gegenüber der Klassik neuartigen Aussagefünktdon, die sich um die spezifisch moderne Erscheinung des Men­ schen gruppiert; ihrer Freilegung dient das Kapitel 9, ihrer Ein­ ordnung in den Gesamtzusammenhang der modernen episteme ist das Schlusskapitel gewidmet. Da in diesem letzten Kapitel noch einmal die verstreuten Quintessenzen der vorhergehenden Über­ legungen gebündelt werden, findet sich dort der höchste Grad an systematischer Komplexität. Unter Zuhilfenahme einer geometri­ schen Figur versucht Foucault nun, einen räumlichen Zusam­ menhang zwischen den unterschiedlichen Perspektiven auf den Diskurs der Moderne herzustellen, deren Verbindung zuvor oftmals dunkel, wenn nicht gar widersprüchlich erscheint. Des­ halb soll die architektonische Arbeit ausgehend von dieser Raum­ figur, dem so genannten »Trieder des Wissens« {Trièdre des savoirs), aufgenommen werden. (OD, 413; MC, 355) Um es gleich vorweg zu sagen: Die Geometrie kennt keinen räumlichen Körper, der die formale Bedingung eines »Trieders« laut Foucault »ein voluminöser und nach drei Dimensionen ge­ öffneter Raum« (OD, 416) - erfüllen würde. Allerdings fällt auf, dass die Figur sowohl begrifflich als auch konstruktionslogisch auf die so genannten »fünf platonischen Körper« verweist, mit denen die Geometrie eine Reihe regelmäßiger Polyeder bezeich­ net, d.h. räumliche, aus untereinander kongruenten Vielecken zusammengesetzte Figuren. Platons Timaios unterscheidet Tetra­ eder (ein aus vier gleichseitigen Dreiecken gebildeter Körper), Oktaeder (entsprechend aus acht Dreiecken konstruiert), Hexa­ eder (sechs quadratische Flächen), Ikosaeder (zwanzig Dreiecke)

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und Dodekaeder (zwölf Fünfecken).37 Ein Trieder wäre der Lo­ gik dieser Reihe folgend jedoch ein nicht-darstellbarer Körper, da sich aus nur drei zweidimensionalen Flächen (und das gilt sowohl für regelmäßige als auch für unregelmäßige) kein räumlicher, geschlossener Körper konstruieren lässt. Um ein solches dreiflä­ chiges Trieder tatsächlich zu bilden, bliebe als einzige Möglich­ keit, die drei Ebenen zu »verbiegen« und sie selbst in räumliche Figuren mit einer Tiefendimension umzuformen. Ob Foucault sich dieser Tatsache bewusst war oder nicht, es hat einen nicht unbedeutenden Doppelsinn, wenn gerade die episteme der Moderne mit Hilfe einer »nicht-platonischen« Figur dargestellt werden sollen. Ruft man sich ins Gedächtnis, dass Platons Staat der Geometrie eine herausragende Funktion in der Erkenntnis des unveränderlichen Seins zugesteht38, so scheint es geradezu folgerichtig, wenn die histographische Epistemologie Foucaults auf einen nicht-geometrischen Körper zurückgreift. Wo keine ewigen Ideen mehr die Beschaffenheit des Seienden vorzeichnen und die Dinge einer historisch variablen diskursiven Ordnung unterworfen sind, kann es prinzipiell kein allgemeines und transhistorisches Formgesetz (wie etwa das der Geometrie) geben, das in der Lage wäre, dieser stets veränderbaren Organisa­ tionsform einen unumstößlichen Ausdruck zu verleihen. Aber auch die in der Trieder-Struktur angelegte Deformierung der zweidimensionalen Seitenflächen entspricht den Anforderun­ gen der archäologischen Beschreibung, da jede der drei Seiten des erkenntnistheoretischen Trieders zur Positionierung einer diskur­ siven Formation mit der ihr eigenen raum-zeitlichen »Tiefe« dient. Die eigentümliche Gestalt des Trieders stellt also gerade aufgrund ihrer geometrischen Unmöglichkeit in zweifacher Hin­ sicht eine ausgezeichnete Verdeutlichung des Foucaultschen Denkens dar.

37 Vgl. Platon: Timaios. Sämtliche Werke Bd. 4. Übers, v. Hieronymus Müller und Friedrich Schleiermacher. Neu herausgegeben von Ursula Wolf. Hamburg 1994, S. 11-103; hier S. 55f. (53c-55c). Die jeweils auf Elementardreiecke zurückfiihrbaren Figuren stellen die Grundformen der vier Elemente Feuer (Tetraeder), Luft (Oktaeder), Wasser (Ikosaeder) und Erde (Hexaeder) dar - der Dodekaeder steht für die Ganzheit des Raumes. 38 Vgl. Platon: Politeia. Sämtliche Werke Bd. 2. Übers, v. Friedrich Schleierma­ cher. Neu herausgegeben von Ursula Wolf. Hamburg 22000, S. 195-537; hier S. 433f. (526c-527d).

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Inhaltlich bilden die im Trieder des modernen Wissens zu­ sammengefügten Dimensionen drei große Felder mit unter­ schiedlichen Dispositionen ab: In einer Dimension würde man die mathematischen und nichtma­ thematischen Naturwissenschaften anordnen, für die die Folge stets eine deduktive und lineare Verkettung evidenter oder verifi­ zierbarer Aussagen ist; es gäbe in einer zweiten Dimension Wissen­ schaften (wie die der Sprache, des Lebens, der Produktion und der Distribution der Reichtümer), die diskontinuierliche, aber analoge Elemente in Beziehung setzen, so daß sie untereinander kausale Relationen und Strukturkonstanten errichten können. (OD, 416)

In der zweiten Dimension erkennt man das von Foucault im siebten und achten Kapitel behandelte diskursive Feld der im neunzehnten Jahrhundert auftauchenden neuen Gegenstandsbe­ reiche wieder: die politische Ökonomie, die Biologie und die Philologie. Diese drei empirischen Wissensgebiete unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen von ihren klassischen Vorgängern - der Analyse der Reichtümer, der Naturgeschichte und der all­ gemeinen Grammatik - durch eine Erschütterung, die im allge­ meinen Raum des Wissens stattgefunden hat. Während die Klas­ sik den empirischen Gegenstandsbereich ausgehend von einer Logik der Repräsentation und das ihr anhängige Ordnungssche­ ma des Tableaus bestimmt, arbeitet Foucault für die Moderne den Topos der Geschichte als neuartige Organisations form des Wissens heraus. Statt sich einem Raster von Identitäten und Unterschieden einzufügen, sind die Gegenstandsbereiche nun nach den Prinzipien von Analogie und Folge organisiert. (OD, 270f.) Anders als in der Renaissance betrifft das Analogieprinzip das Verhältnis der Elemente untereinander und nicht mehr die Ähnlichkeit ihrer Erscheinung. Damit rückt der Gesichtspunkt der Funktionalität (welche Funktion erfüllt ein Element in einer Reihe von anderen Elementen) vor den der Klassifikation. Ent­ sprechend ersetzt das Prinzip der Folge den festgefügten Schema­ tismus des Tableaus und reiht die Analogien in zeitlichen Serien auf - ein Primat des Historischen beherrscht die moderne epistemer. »Als Seinsweise all dessen, was uns in der Erfahrung gegeben wird, ist die Geschichte so zum Unumgänglichen unseres Den­ kens geworden.« (OD, 271) Dieses fundamentale Ereignis des Einbruchs der Zeit in die Erkenntnis der Gegenständlichkeiten findet seinen Niederschlag

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vor allem im Verhältnis der Repräsentation zu dem von ihr Re­ präsentierten. Ist die Repräsentation in der Klassik durch ihre »redublizierende« Kraft definiert, diese Verbindung aus sich her­ aus herzustellen, so wird ihre Bedingung von nun an außerhalb ihrer selbst in einer Art »Hinterwelt« gesucht. (OD, 295) Was in den Begriffen der Repräsentation recht kompliziert erscheinen mag, zielt tatsächlich auf einen bekannten philosophischen An­ satz: Es handele sich um nichts anderes als die Geburt der trans­ zendentalen Fragestellung.39*Die Perspektive verschiebt sich von der rationalen Anordnung der Repräsentationen auf die allgemei­ ne Bedingung ihrer Möglichkeit, die sich jenseits der empirischen Gegenständlichkeiten befinden muss. Interessanterweise aber taucht das transzendentale Projekt aus der Sicht Foucaults in zwei Variationen auf. Einerseits in einer durch Kant geprägten Form als Analyse des transzendentalen Subjekts, dessen Erkenntnisvermögen die Bedingungen der Mög­ lichkeit jeder Gegenstandserfahrung vorgeben.4() Korrelativ dazu sucht andererseits ein großes Feld von mehr oder weniger empi­ risch verfahrenden Wissenschaften jene Bedingungen der Mög­ lichkeit der Erfahrung gewissermaßen auf der Seite der Objekte, genauer aber auf derjenigen Seite des Objekts, die sich niemals absolut der Objektivierung fügt und somit selbst zum Konstdtuens einer Repräsentation werden kann. (OD, 300) Solche ob­ jektseitigen »Transzendentalien« lassen sich entsprechend den drei vorhergehend genannten Wissensgebieten als die Arbeits­ kraft, die Lebenskraft und das Sprachvermögen umschreiben: Die Arbeit, das Leben und die Sprache erscheinen jeweils als »Transzendentalien« {transcendantaux), die die objektive Erkenntnis der Lebewesen, der Produktionsgesetze und der Formen der Spra­ che ermöglichen. Sie sind außererkenntnismäßig {hors connaissance).

39 Insofern markiert die kantische Kritik, wie Foucault sich ausdrückt, »die Schwelle unserer Modernität«. (OD, 298) Auf der einen Seite gehört sie mit ihrem starren »Tableau« der Kategorien noch dem klassischen Repräsentationsmodell an, während sie auf der anderen Seite bereits nach den allgemeinen Bedingungen einer jeden Repräsentation fragt. 4(1 »Nun drückt selbst diese Vorstellung: daß alle diese Erscheinungen, mithin alle Gegenstände, womit wir uns beschäftigen können, insgesamt in mir, d.i. Bestim­ mungen meines identischen Selbst sind, eine durchgängige Einheit derselben in einer und derselben Apperzeption als notwendig aus.« (Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt a. M. 1974, S. 182; A 130)

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aber dadurch selbst sind sie Bedingung der Erkenntnis. (OD, 301)41

In der Schichtung der »objektiven Synthesen« (so der Titel des entsprechenden Unterabschnitts des siebten Kapitels) sieht die Archäologie zwei größere Felder möglichen Wissens entstehen. Zum einen so etwas wie eine »Metaphysik des Objekts«, die sich auf die gegenstandsbezogenen »Transzendentalien« stützen kann, ohne an der eigentlich transzendentalen Fragestellung festhalten zu müssen. Zum anderen aber einen philosophisch fundierten Positivismus, der die Ebene der objektiven Synthesen zwar aner­ kennt, aber bestreitet, dass diese sich abbilden lässt, und der des­ halb allein die Gesetzmäßigkeit der sichtbaren Phänomene aufzu­ decken sucht. Obwohl beide Richtungen offensichtlich in Opposition zueinander stehen, gehen sie ein Begründungsver­ hältnis ein, aus dem sie wechselseitig ihre Legitimation empfan­ gen - und arbeiten somit tatsächlich Hand in Hand. Ausgehend von der Vielzahl der neuen positiven Erkenntnisse erhebt sich die Frage nach den objektseitigen »Transzendentalien« und gibt ihrer metaphysischen Überhöhung Raum.42 Umgekehrt liefert die systematische Trennung zwischen einem nie vollständig erkenn­ baren Grund im Objekt und der Rationalität des Erkannten zugleich die Rechtfertigung der positivistischen Strömungen, sich ausschließlich auf die Ebene der Erscheinungen beschränken zu können. (OD, 302) All dies sind integrale Bestandteile bzw. Effekte der zweiten Dimension des erkenntnistheoretischen Trieders der Moderne, der empirischen Wissenschaften. Anschauliche Übersichten dazu finden sich in einem einleitenden und zwei zusammenfassenden Unterabschnitten des siebten Kapitels; dazwischen widmet Fou­ cault jeder der drei empirischen Disziplinen einen eigenen Ab­ schnitt, in dem er zunächst die Phase des Umbruchs am Ende des 41 Übersetzung geringfügig verändert; DQ. Einen anschaulichen Überblick über diese transcendantaux gibt Frank: Neostrukturalismus, a.a.O., S. 181 ff. Die sich daran anschließende Kritik (ebd.; S. 184ff), Foucaults Analyse der Moderne begebe sich im Zuge dieser Explikation in einen Selbstwiderspruch, wird hier jedoch ausdrücklich nicht geteilt. 42 Bezeichnenderweise nennt Foucault als Entstehungsort des neuen positiven Wissens an dieser Stelle einmal mehr die drei Wissensgebiete Biologie, Ökonomie und Philologie, wenngleich er diese zuvor ebenfalls mit den Metaphysiken des Objekts zusammengebracht hatte. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs um einen Widerspruch, sondern um eine Folge der Argumentation, die gerade ver­ sucht, beide Richtungen als Streuung derselben Aussagefiinktion zu denken.

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achtzehnten Jahrhunderts thematisiert und zeigt, inwiefern sich jeweils das Motiv der Geschichte an die Stelle der Repräsentation setzt. In etwa gleicher Weise gliedert sich auch das achte Kapitel, hier wendet sich die Analyse einer in allen Gegenstandsbereichen nachweisbaren zweiten Phase des endgültigen Bruchs zwischen Klassik und Moderne am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts zu. Der Blick richtet sich nun auf das bereits zuvor allgemein angesprochene Doppel-Phänomen einer Metaphysik der Tiefe und die auf ihrer Oberfläche eingeführten neuen positiven Ob­ jektbereiche, für die sich Foucault jeweils einen exemplarischen Gewährsmann heraussucht: David Ricardo für die politische Ökonomie, Georges Cuvier für die Biologie und Franz Bopp für die Philologie.43 Erneut werden die drei Schwerpunktthemen von einem einleitenden und einem abschließenden Unterabschnitt eingerahmt. Der Schlussteil jedoch konzentriert sich in auffälliger Weise auf das Problem der Sprache, jedoch nicht mehr in ihrer Erscheinung als Gegenstand einer Wissenschaft - der Philologie -, sondern in ihrer welterschließenden Funktion. Auf nur weni­ gen Seiten zieht Foucault jetzt die Fäden der bisherigen Untersu­ chung zusammen und kontrastiert das »Sein der Sprache« der Renaissance sowie das Repräsentationsmodell der Klassik mit einer »Objekt gewordenen Sprache« der Moderne. (OD, 359ff.) An dieser für das gesamte Projekt zentralen Fragestellung nach dem modernen Verhältnis von Sprache und Welt zeichnet Fou­ cault einen höchst aufschlussreichen Kreuzungspunkt zwischen einer Nivellierung der Sprache auf den Objektstatus und drei Richtungen der Kompensation dieser Auflösungsform. Da die möglichen Positionen der Sprache im modernen Wissen in einem direkten Zusammenhang mit den Bedingungen für eine archäolo­ gische Methode stehen müssen, soll diesem Komplex ein eigenes Kapitel gewidmet werden.44 Der architektonischen Lektüre ge43 Die Auswahl der Autoren ist sicherlich ungewöhnlich: Hätte man im Bereich der Biologie wohl eher die Evolutionstheorie von Charles Darwin erwartet statt die Anatomielehre von Cuvier, muss vor allem die Bevorzugung Ricardos vor Marx überraschen. Wenn weiterhin dem Marxismus aus archäologischer Sicht bescheinigt wird, er habe »in der Tiefe des abendländischen Wissens keinen wirklichen Einschnitt erbracht« (OD, 320) und seine Auseinandersetzungen mit der bürgerlichen Ökonomie seien lediglich »Stürme im Wasserglas« gewesen (OD, 321), zeugt dies einmal mehr von dem Bemühen Foucaults, sich jenseits der ausgetretenen Pfade einer Ideengeschichte zu bewegen. 44 Vgl. dazu Kapitel III. 1

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nügt vorerst die Feststellung, dass dieses Unterkapitel eine ent­ scheidende Gabelung aufzeigt. An der Aufstellung des siebten und achten Kapitels von Die Ordnung der Dinge fällt allerdings rückblickend das Fehlen der im zehnten Kapitel genannten ersten Dimension des Trieders, der »mathematischen und nichtmathematischen Naturwissenschaf­ ten« (OD, 416) auf, denn wie sich zeigt, wäre hier der einzig sinn­ volle Ort zu ihrer Erläuterung gewesen. Weshalb Foucault ihnen eine Seite des erkenntnistheoretischen Trieders zuweist, ohne sie in vergleichbarer Weise auszuschreiten wie die empirischen Wis­ senschaften, wird in Die Ordnung der Dinge nicht begründet.45 Eigentümlicherweise bleiben seine Ausführungen dennoch nicht unvollständig - im Gegenteil. Die in den Kapiteln 7 und 8 durch­ geführten archäologischen Analysen der empirischen Wissensge­ biete der Moderne decken bereits vollständig jenen thematischen Bereich ab, der auch zuvor im Rahmen der Renaissance und der Klassik betrachtet wurde. Anders ausgedrückt: Foucaults Vor­ schlag, den Diskurs der Moderne in drei große Felder des Wis­ sens zu unterteilen, stellt gegenüber der thematischen Beschrän­ kung des ersten Teils von Die Ordnung der Dinge auf die empirischen Wissenschaften eine nicht unerhebliche Ausweitung seiner Archäologie auf andere epistemologische Gebiete dar. Besonders deutlich wird dieser Registerwechsel in den Kapiteln 9 und 10, die sich mit der dritten und einer versteckten vierten Dimension des Trieders beschäftigen. Der Befund mag gewagt klingen, weil er einen entscheidenden, zumindest den am meisten beachteten Teil von Die Ordnung der Dinge zum Anhang oder zum Supplement erklärt, aber in gewisser Weise ist die eigentliche Untersuchung mit dem Ende des achten

45 Laut dem Vorwort zur deutschen Ausgabe sieht Foucault seine eigentliche Aufgabe darin, diskursübergreifende Regelmäßigkeiten in den empirischen Wis­ senschaften herauszuarbeiten, denen man bislang kaum eine Gemeinsamkeit abgewinnen konnte (OD, 9). Es muss daher Spekulation bleiben, ob er mit der Verortung der Naturwissenschaften im Trieder des Wissens vor allem die Arbei­ ten von Georges Canguilhem und Gaston Barchelard zu diesem Thema in ein Verhältnis zu seinem eigenen Projekt setzen wollte (vgl. beispielsweise Bachelard, Gaston: Epistemologie. Übers, v. Henriette Beese, Frankfurt a. M. 1993). Da sich die architektonische Lektüre nicht mit der historischen Entstehungssituation des Buches beschäftigt, registriert sie lediglich die Tatsache, dass an einer bestimmten Stelle des Textes - nämlich mit der Einführung des Trieders —ein großflächiges Untersuchungsfeld benannt wird, das sich in den Ausführungen selbst allenfalls in einigen Randbemerkungen wiederfindet (OD, 303ff.).

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Kapitels abgeschlossen. Jenes Ereignis, das sich zu Beginn des neunzehnten Jahrhundert abspielt, als das Denken von der Re­ präsentation Abstand nimmt und sich der Geschichte zuwendet, hat Foucault hinreichend verdeutlicht. Ebenso sind die Effekte dieser epochalen Wende - eine Metaphysik der Tiefe, der mit ihr einhergehende Funktionalismus und die Entdeckung neuer Positivitäten - anschaulich aus den Transformationen der drei exem­ plarischen Wissenschaften herausgearbeitet und zu angrenzenden Diskursen (der Transzendentalphilosophie und dem naturwissen­ schaftlichen Positivismus) in Beziehung gesetzt worden. Darüber hinaus hat Foucault in den vier Unterabschnitten, die mehr oder weniger auf den gesamten Raum des modernen Wissens zielen46, mehrfach darauf hingewiesen, dass alle dort dargelegten Aussage­ regelmäßigkeiten unter Vorbehalt stehen, sofern sie zum Teil noch die Existenz der Archäologie selbst bestimmen und somit nur verzerrt wiedergegeben werden können. (OD, 273, 300, 307 u. 364) Kurz, wenn es sich bei Die Ordnung der Dinge wirklich, wie Foucault im Vorwort zur deutschen Ausgabe behauptet, um eine »streng regionale Untersuchung« der drei exemplarischen Diszi­ plinen handelt, dann könnte er legitimerweise an dieser Stelle einen Schlusspunkt setzen. Und dennoch: Dennoch müssen noch einige Worte gesagt werden. Worte deren Status zweifellos schwierig zu rechtfertigen ist, denn es handelt sich darum, im letzten Augenblick und gewissermaßen mit einem künst­ lichen Theatertrick eine Gestalt einzufiihren, die im großen klassi­ schen Spiel der Repräsentationen noch nicht vorgekommen ist. (OD, 372)

Um den so angekündigten »Theatertrick« (coup de théâtre), bei dem, wie bei solcherlei Tricks üblich, im Schutze einer Rauchwolke eine zusätzliche Gestalt die Bühne betritt, wirkungsvoll in Szene zu setzen, bedarf es einiger Vorbereitungen, und zwar in Bezug auf den Ort der Erscheinung, in diesem Fall den recht eigentüm­ lichen Hohlraum des erkenntnistheoretischen Trieders. Bislang sind nämlich lediglich zwei Seiten dieser Raumfigur skizziert worden: einerseits die nach bestimmten diskursiven Regelmäßig­ keiten funktionierenden drei Wissensgebiete Biologie, Ökonomie und Philologie sowie andererseits die deduktiv verfahrenden

40 Das betrifft die Abschnitte 7/1 (Das Zeitalter der Geschichte), 7/V I {Die Objektiven Synthesen), 8/1 (Die neuen Empiriqtäten) und 8 /V {Die Objekt gewordene Sprache).

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Naturwissenschaften. Die ausstehende dritte Dimension und ihr Verhältnis zu den beiden ersten beschreibt Foucault wie folgt: Was die dritte Dimension anbelangt, so ist es die der philosophi­ schen Reflexion, die sich als Denken des Gleichen entwickelt. Mit der Dimension der Linguistik, der Biologie und der Ökonomie um­ reißt sie eine gemeinsame Ebene, auf der die verschiedenen Le­ bensphilosophien, Philosophien des entfremdeten Menschen und der symbolischen Formen (...) erscheinen können und in der Tat auch erschienen sind. Auf ihr sind aber ebenfalls, wenn man von einem radikal-philosophischen Gesichtspunkt her nach den Grundlagen jener Empirizitäten fragt, regionale Ontologien er­ schienen, die die Definition dessen versuchen, was in ihrem eige­ nen Sein das Leben, die Arbeit und die Sprache sind. Schließlich definiert die philosophische Dimension mit der mathematischen Disziplin eine gemeinsame Ebene: die der Formalisierung des Denkens. (OD, 416)

War es die Aufgabe der Kapitel 7 und 8, die Raumebenen der drei neuen Empirizitäten in einer zweifachen Bewegung auszuschrei­ ten, wird die dritte Ausdehnung des erkenn mis theoretischen Trieders, die philosophische Reflexion im Sinne eines Denken des Gleichen, vor allem im Kapitel 9 entfaltet. Der angesproche­ ne Registerwechsel zu Beginn des neunten Kapitels kann jetzt genauer benannt werden: Er vollzieht sich mit dem Übergang von der zweiten zur dritten Dimension des Trieders, von einer archäologischen Analyse der empirischen Wissenschaften zu einer des philosophischen Diskurses der Moderne. Bemerkens­ wert ist die von Foucault gewählte Reihenfolge: Während eine Ideengeschichte gerade versuchen würde, ausgehend von den großen geistigen Strömungen, die sich in der Philosophie oder in neuerer Zeit auch in den Naturwissenschaften niederschlagen, die mannigfaltigen Verfahren und Ergebnisse der Anwendungswis­ senschaften zu klassifizieren und zu ordnen - als wäre nicht nur unsere Erkenntnis einem deduktivem Schema unterworfen, son­ dern auch ihre Geschichte -, geht die Archäologie einen anderen Weg. Sie beschränkt sich zunächst auf das Feld einiger ausgesuch­ ter Einzelwissenschaften, genauer müsste man sagen, auf ein Feld von Aussagen, das zu einem gewissen Zeitpunkt die Schwelle der Wissenschaftlichkeit überschreiten konnte, und setzt dann die dort zu entdeckenden Regelmäßigkeiten in Beziehung zu anderen Feldern oder Diskursen - etwa der Philosophie. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Kausalitäts- oder Folgebeziehungen, son-

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dern eher um Korrelationen, Variationen oder Transformationen. Wie die Raumfigur des Trieders veranschaulicht, gibt es keine eindeutige Hierarchie der Seitenflächen - die Gesamtkonstrukti­ on kann daher von einer beliebigen Seite her aufgebaut und durchlaufen werden.47 Ohne auf einen dem Text äußerlichen Kontext zurückgreifen zu müssen, lässt sich anhand von zwei internen argumentativen Ketten nachvollziehen, weshalb Foucault im neunten Kapitel von Die Ordnung der Dinge einen Wechsel des Untersuchungsfeldes vornimmt. Die erste leitet sich aus einer methodologischen Pro­ blematik ab: Wenn es stimmt, dass die analysierte diskursive Formation in ihren Ausläufern der Archäologie selbst noch zeit­ genössisch ist, dann mag dies zwar zu einer gewissen systemi­ schen Blindheit gegenüber dem Untersuchungsfeld fuhren, es wird jedoch eben jener blinde Fleck sein, an dem oder um den herum sich die Archäologie als Methode mit ihrer durchgeführten Arbeit kreuzen und selbst historisch verankern oder als Gegen­ diskurs etablieren kann. Und trotz des »anti-philosophischen Impulses«, den man zuweilen in Die Ordnung der Dinge wahrzu­ nehmen meint48, wird eine solche Begegnung nur in einem im weiteren Sinne philosophischen Feld stattfinden können. Sobald also Foucault sein Verfahren selbst historisch legitimieren will, muss er zwangsläufig die regional begrenzte epistemologische Konstellation des empirischen Wissens verlassen. Eine zweite argumentative Kette indes führt zu der bereits durch einen fernen Theater-Donner angekündigten Erscheinung: Der Nebel lichtet sich und hervor tritt - der Mensch. 47 Wahrscheinlich ist das auch die beste »architektonische« Begründung für die fehlende Analyse der ersten Seitenfläche. Da jede der drei Dimensionen per se weder Ursache noch Wirkung einer anderen ist, reicht es zur Untersuchung einer Dimension aus, wenn man die Interferenzen mit den jeweils anderen an ihren Rändern skizziert. 48 Zu diesem Eindruck hat - paradoxerweise - vor allem ein Satz aus dem Beginn des 9. Kapitels beigetragen, in dem Foucault bemerkt, er habe die Notwendigkeit, nach der verlorenen Einheit der Sprache zu fragen, »klarer bei Cuvier, Bopp und bei Ricardo als bei Kant oder Hegel verstanden«. (OD, 372) Man kann diese Äußerung in zwei Richtungen lesen: einmal als Kritik an der verbreiteten Vorstel­ lung, man müsse, um das Denken einer bestimmten Zeit zu verstehen, vor allem ihre großen Denker verstehen. Dann aber - und dazu tendiert die vorliegende Lektüre - schlicht als einen Hinweis darauf, dass die historischen Apriori einer diskursiven Konstellation zuweilen besser und klarer in den vermeintlichen Randgebieten zutage treten als in einem unterstellten geistigen Zentrum (vgl. dazu auch Lavagno: Rekonstruktion, a.a.O., S. 110).

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Vor dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts existierte der Mensch nicht. Er existierte ebensowenig wie die Kraft des Lebens, die Fruchtbarkeit der Arbeit oder die historische Mächtigkeit der Spra­ che. Es ist eine völlig junge Kreatur, die die Démiurgie des Wissens eigenhändig vor noch nicht einmal zweihundert Jahren geschaffen hat. (OD, 373)

Dieses Zitat ist dem Unterabschnitt II des neunten Kapitels ent­ nommen, betitelt mit »Der Platz des Königs«, eine Anspielung auf die der gesamten Studie vorangestellte Interpretation des Gemäldes »Die Hoffräulein« von Velasquez.49 Die im Bild darge­ stellte Szene zeigt den Maler in seinem Atelier, der in der Gegen­ wart einiger Hoffräulein das Königspaar porträtiert. Die Pointe des Bildes liegt darin, dass das Königspaar selbst nur in einem Spiegel am anderen Ende des dargestellten Zimmers zu sehen ist, da es sich außerhalb des Bildraumes befindet, und zwar genau dort, wo eigentlich der Betrachter stehen muss. Für Foucault lässt sich an diesem Bild die klassische Repräsentationstheorie gerade­ zu in Reinform festmachen - eine Repräsentation, die, ohne ihr Sujet (zugleich Thema und Subjekt; bei Velasquez: der König bzw. der Betrachter) abbilden zu müssen, es aus eigener Kraft zu re­ präsentieren vermag. (OD, 45) In der modernen Konstellation des Wissens löst sich die Kraft der Repräsentation auf, und der vormals leere Platz des Königs wird durch die neue Präsenz des Menschen ersetzt. Da die Figur der Repräsentation die Verbindung der Zeichen mit der Welt sichern sollte, könnte man sagen, der Mensch stellt nach dem Zerfall der klassischen episteme die verlorene Ordnung zwischen den Worten und den Dingen, der Sprache und dem Sein wieder her. (OD, 377f.) Die spezifisch moderne Erscheinungsweise des Menschen zeichnet sich jedoch durch eine konstitutive Polyva­ lenz aus. Er kann nicht nur zugleich erkennendes Subjekt und Objekt einer wissenschaftlichen Betrachtung sein, er kann neben den Extremen dieser Doppelrolle zudem eine Vielzahl unter­ schiedlich gewichteter Zwischenpositionen einnehmen. So legt etwa das obenstehende Zitat nahe, der Mensch sei archäologisch auf derselben Ebene wie die objektiven Synthesen der drei Wis­ sensgebiete angesiedelt, als nie vollständig objektivierbarer Grund für einen gesamten Gegenstandbereich: was die Arbeitskraft für 49 Vgl. OD, S. 31-45; dem ersten Kapitel der deutschen Ausgabe ist eine Repro­ duktion des Gemäldes von Velasquez vorangestellt.

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die Ökonomie, das Leben für die Biologie und die Sprache für die Philologie bedeutet, ist der Mensch für die Humanwissenschaf­ ten.50 Dass die Humanwissenschaften dennoch nicht zur gleichen Dimension des Trieders gehören wie die drei vorgenannten empi­ rischen Wissensfelder, zeigt sich bereits an der Sonderstellung des ihnen zugedachten zehnten Kapitels, was aber vorerst hier nur vermerkt werden kann. Ein Grund jedenfalls, weshalb die Unter­ suchung in den philosophischen Diskurs wechselt, liegt vor allem in der prekären Stellung des Menschen als Subjekt der Erkennt­ nis, das heißt der Position, die auf der anderen Seite der objekti­ ven Synthesen eine neue transzendentale Beziehung zwischen den Worten und den Dingen herstellt. Und in eben dieser Funk­ tion durchkreuzt der Mensch die empirischen Wissenschaften als Bedingung ihrer Möglichkeit. Die Repräsentationen verlieren ihre Selbstgenügsamkeit und ordnen sich dem Menschen unter, weil Sprache ab dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts primär als etwas von Menschen Gemachtes wahrgenommen wird. Fortan beschreiben die Repräsentationen nur noch eine äußerliche Be­ ziehung zu den Dingen, deren Sein sich in die »Tiefe« der objek­ tiven Synthesen zurückgezogen hat. Zeitgleich aber kündigt gera­ de dieses Zurückweichen der Welt die Vergänglichkeit und Endlichkeit des empirischen Menschen gegenüber der Mannigfal­ tigkeit der biologischen Wesen, der historischen Mächtigkeit der Sprache und den Bewegungen der Produktion an. So zeichnet sich im Zentrum der Empirizität selbst die Verpflich­ tung ab, zu einer Analytik der Endlichkeit hinaufzusteigen oder, wenn man will, hinabzusteigen, in der das Sein des Menschen alle Formen in ihrer Positivität begründen kann, die ihm zeigen, daß er nicht unendlich ist. (OD, 380)

Doch das ständige Oszillieren des Menschen zwischen einer diskurs-fundierenden Funktion und seinem Auftauchen als Ge­ genstand eines empirischen Diskurses verlangt nach einer allge­ meinen Auflösung. Deshalb nimmt sich der philosophische Dis­ kurs der Moderne diesem prekären »Sein des Menschen« im Sinne einer »Analytik der Endlichkeit« an. In einer von Foucault weniger deutlich dargelegten Weise aber bildet sich neben dieser 5(1 Zu den Humanwissenschaften zählt Foucault neben der Psychologie und der Soziologie auch die Kulturgeschichte, die Ideen- und die Wissenschaftsgeschichte. (OD, 425)

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Fixierung auf das Sein des Menschen ein eigenes diskursives Feld um das »Sein der Sprache«. Es versucht ebenfalls, nach dem Zurückweichen der Repräsentation als allgemeinem Muster des Wissens, eine Antwort auf die Frage nach der Ordnung der Din­ ge zu geben, ist allerdings mit der Analytik der Endlichkeit in­ kompatibel. (OD, 408) Bevor die kritische Funktion dieses »Ge­ gendiskurses« aufgedeckt werden kann, sollen zunächst die archäologischen Bedingungen für das eigentümliche Erscheinen des Menschen anhand einer Rekonstruktion des philosophischen Diskurses der Moderne geklärt werden.

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II. Das Sein des Menschen oder die Philosophie des Gleichen 7. Fundamentale Endlichkeit

War es die Aufgabe der architektonischen Lektüre, das argumen­ tative Geflecht des betrachteten Textteils zugleich mit der von Foucault für das moderne Wissen herausgearbeiteten TriederStruktur gewissermaßen in umgekehrter Textrichtung, vom Punkt der höchsten Komplexität aus, sichtbar zu machen, so wird die nun folgende Rekonstruktion der philosophischen Dimension versuchen, die im Zentrum stehende »Analytik der Endlichkeit« als Regelmäßigkeit des philosophischen Diskurses der Moderne sukzessiv aufzubauen. Es sei noch einmal daran erinnert, dass Foucault den Epochenwechsel zwischen der Renaissance und der Klassik vor allem in einer sprachtheoretischen Hinsicht be­ schreibt: Mit dem Topos der zweiseitigen Repräsentation, in der dem Zeichen selbst die Kraft einer Vermittlung zugeschrieben wird, verabschiedet sich das siebzehnte Jahrhundert vom Motiv der Ähnlichkeit, das im Diskurs der Renaissance ein Zusammen­ fallen von Welt und Zeichen im allgemeinen Primat der Schrift erlaubt. Im Zuge dessen ergibt sich im abendländischen Denken ein vollständig neuer erkenntnistheoretischer Problembereich, weil die Frage nach der Verbindung der Dinge mit den Worten für das gesamte Wissen virulent wird. Inwieweit auch die moder­ ne episteme dieser fundamentalen Fragestellung verhaftet ist und welche charakteristische Antwort sie darauf findet, gilt es nun zu klären. Das Ereignis, in dessen Folge zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die Logik der Repräsentation verschwindet, lässt sich - das wurde bereits angedeutet - als eine umfassende Historisierung des Denkens beschreiben. Statt in der horizontalen Fläche des starr gerasterten Tableaus werden die Wissensinhalte nunmehr auf der Grundlage einer funktionalen Analogie in einer Art vertikalen zeitlichen Folgebeziehung angeordnet. Weil sie dabei stets zwischen einem ursprünglichen Grund und der abge­ leiteten Erscheinung unterscheiden, entfalten sich die modernen Aussagefunktionen nach einem allgemeinen »kausal-genetischen

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Prinzip«.51 Für den philosophischen Diskurs markieren die kantischen Kritiken in einer herausragenden Weise diese Phase des Umbruchs, sofern sie nicht mehr nach den internen Gesetzen der Repräsentation fragen, sondern nach der allgemeinen Bedingung ihrer Möglichkeit. (OD, 298f.) Die Entdeckung des transzenden­ talen Subjekts, des »ich denke, das alle meine Vorstellung muss begleiten können«, weist dabei den Weg der Kantdschen Ant­ wort.52 Den eigentlichen Umbruch hin zu einer umfassenden Historisierung wird man allerdings weniger mit Kant als vielmehr mit dem Namen Hegel in Verbindung bringen: Die Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts wird sich in der Distanz der Geschichte zur Geschichte, der Ereignisse zum Ursprung, der Evolution zum ersten Zerreißen der Quelle, des Vergessens zur Wiederkehr stellen. Sie wird als Metaphysik nur noch insoweit sein, als sie Erinnerung ist, und notwendig wird sie das Denken auf die Frage danach zurückführen, was es für das Denken bedeutet, eine Geschichte zu haben. Diese Frage wird unermüdlich die Philoso­ phie von Hegel bis Nietzsche und darüber hinaus bedrängen. (OD, 272)

Auf den ersten Blick scheint es, als sei mit den beiden angespro­ chenen Auflösungsformen der klassischen Theorie der Repräsen­ tationen - erstens einer auf die Geschichte des Denkens gerichte­ ten, zweitens einer im weitesten Sinne transzendentalen Reflexion - die Stellung der Sprache bzw. einer Theorie des Zeichens aus dem Mittelpunkt der transdiskursiven Regelmäßigkeit in die Randposition einer Einzelwissenschaft abgewandert. Und tatsächlich spricht Foucault von einer Verstreuung der Sprache oder ihrer Nivellierung auf den Status eines Objektes als dem Schwellenereignis im Übergang zur Moderne. (OD, 361 f. u. 368) Und dort, wo sich vormals die Repräsentationen mit dem Sein trafen, taucht nun die doppeldeutige Existenz des Menschen auf. In der philosophischen Reflexion lässt sich dies vielleicht ein wenig unerwartet am Satz des Cogito von René Descartes ver­ deutlichen. Descartes gehört gemäß der Epocheneinteilung von Die Ordnung der Dinge ohne Zweifel der Klassik an, wiewohl man den berühmten Schluss cogito ergo sum nicht selten zur ersten Re­ gung einer modernen Subjektphilosophie erklärt hat.53 Für Fou51 Vgl. Lavagno: Rekonstruktion, a.a.O., S. 120. 52 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 136 (B 131). 53 Diese prominente Stelle haben ihm u.a. Nietzsche und Heidegger eingeräumt, die hier genannt werden sollen, da sie für Foucaults Denken eine nicht unwichtige

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cault jedoch ist gerade die heute so kurzschlüssig erscheinende Verbindung des »Ich denke« mit dem »Ich bin« ein typischer Ausdruck des klassischen Diskurses, in dem sich die Repräsenta­ tion {cogitare) mit dem Sein {sum) ohne Vermitdung überschneiden konnte. (OD, 376)54 Aus der archäologischen Perspektive muss man deshalb sagen, dass das Cartesianische Subjekt nicht mit dem Subjekt der Moderne vergleichbar ist und strenggenommen auch nicht als dessen Ursprung gelten kann. Wenn der moderne philo­ sophische Diskurs sich dennoch immer wieder auf Descartes berufen hat, dann wohl eher deshalb, weil die Evidenz seiner Schlussfolgerung endgültig verloren gegangen ist und so den Wunsch nach einer Restitution hat wach werden lassen. Was beide indes fundamental voneinander trennt, ist die oben bereits dargelegte Entdeckung der Endlichkeit.55 Während Des­ cartes ausgehend von einem methodischen Zweifel an allen Re­ präsentationen auf die eine stößt, die eine Verankerung im Sein zu garantieren verspricht, kann er die endliche Welt bekanntlich nur mit Hilfe einer Metaphysik des Unendlichen, über einen Gottesbeweis, wieder errichten. (OD, 382)56 Für das moderne Denken hingegen ist der Rückgriff auf die menschliche Existenz (»ich bin«) einzig in ihrer konstitutiven Doppelrolle als ebenso begründendes Subjekt wie endliches Objekt des Diskurses mög­ lich. Der klassischen Metaphysik des Unendlichen stellt sich so eine moderne Analytik der Endlichkeit entgegen, in der die be­ grenzten Formen der Erkenntnis mit dem positiven Wissen um diese Begrenztheit ein zirkuläres Bezugssystem aufbauen: »Die Endlichkeit hörte nicht mehr auf, auf sich selbst zu verweisen (...). Dabei wurde das gesamte Feld des abendländischen Den­ kens umgestülpt.« (OD, 383)

Rolle spielen - in diesem Punkt jedoch setzt er sich von beiden ab (vgl. Heideg­ ger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen ,71993, S. 24f., sowie Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente 1884-1885. Kritische Studienausgabe Bd. 11. Hrsg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Berlin/New York 21988, S. 635ff. (Fragment 40[16]f.); auch Bürger, Peter: Das Verschwinden des Subjekts. Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes. Franfurt a. M. 1998, S. 37ff.). 54 »Foucault deutet das cartesische >je pense< im Sinne von >ich stelle von, >ich übersetze etwas in das Zeichensystem der Sprachen« (Bürger, Peter: Ursprung des postmodemen Denkens. Weilerswist 2000, S. 123) 55 Siehe oben, Kap. 1.2 56 Vgl. Descartes, René: Discours de la methode. Von der Methode des richtigen Vemunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Übers, v. Lüder Gäbe. Hamburg2! 997, S. 55ft.

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Das »Sein des Menschen« bildet so eine entscheidende Aussa­ gefunktion innerhalb dieser Analytik der Endlichkeit, deren all­ gemeinstes Operationsschema die Wiederholung des Positiven im Fundamentalen ist. Auf den beiden von Foucault herausgehobe­ nen Seiten der »Transzendentalien« lassen sich solche Wiederho­ lungsfiguren finden: Ebenso wie sich der Mensch als Gegenstand der Erfahrung in der Position des bedingenden Subjekts wieder­ holt, wird beispielsweise auch das empirische Leben in einer übergreifenden Lebenskraft fundiert und verdoppelt. Im Unter­ schied zum klassischen Tableau, das aufgrund der Repräsentati­ onsbeziehung einen unmittelbaren Übergang von den erschei­ nenden Gegenständen zur Ontologie erlaubt, muss die Analytik der Endlichkeit sowohl die Identität als auch die Differenz des Positiven und des Fundamentalen in Rechnung stellen. Daraus entsteht ein spezifisch modernes »Denken des Gleichen«, mit dem sich erklären lassen soll, wie das konstitutive Andere zum integrativen Teil des Selben werden kann. (OD, 381) Im neunten Kapitel von Die Ordnung der Dinge nennt Foucault drei charakteristische Denkfiguren einer solchen identischen und doch differenten Wiederholung des Positiven im Grundlegenden: das Verhältnis des Empirischen zum Transzendentalen, des Be­ wusstseins zum Ungedachten sowie die Bewegung eines zurück­ weichenden und wiederkehrenden Ursprungs. Dass sich mit dieser Konfiguration tatsächlich eine einflussreiche diskursive Formation der philosophischen Moderne beschreiben lässt, soll in drei Exkursen exemplarisch untermauert werden. 2. Die empirisch-transzendentale Verdopplung

Die Wiederholung des Empirischen im Transzendentalen voll­ zieht sich ausgehend von zwei großen Bewegungen: Auf der einen Seite in Analyseformen, die nach der Natur der menschli­ chen Erkenntnis fragen und die Schemata des Verstandes in rein körperlichen Funktionen zu entdecken glauben. Auf der anderen Seite jene Untersuchungen, die auf die Geschichte der menschli­ chen Erkenntnis zielen und in den sozialen, historischen oder ökonomischen Bedingungen die Kategorien des Bewusstseins suchen. (OD, 385) Beide finden im empirischen Wissen die es selbst bestimmenden Formen vor dem Hintergrund einer »dun­ klen Teilung der Wahrheit« wieder. Nur wenn es eine tiefere Wahrheit des Objekts gibt, die sich gegen die unvollkommene 58

Wahrnehmung und die geschichtliche Illusion durchsetzt, kann es ein von allem Vorläufigen gereinigtes Wissen von den empirisch­ transzendentalen Formen geben. Dieser Vorstellung der sich offenbarenden Wahrheit des Objekts korrespondiert notwendi­ gerweise die Annahme eines wahren Diskurses oder zumindest der Möglichkeit, über die Erkenntnis in einer wahren Sprache sprechen zu können. Zwischen den beiden Richtungen der Wahrheit, auf Seiten des Objekts und auf Seiten des Diskurses, lassen sich nun wiederum zwei Weisen einer Verbindung mit entsprechender Erscheinung in der modernen Philosophie ausmachen: Einerseits eine Rück­ führung des Diskurses auf die Ebene der empirischen, in der Natur oder der Geschichte verborgenen Wahrheit, wie sie in allen positivistischen Modellen zu finden ist; andererseits die im Dis­ kurs selbst vorweggenommene Wahrheit der Natur oder der Geschichte, die einem im weitesten Sinne eschatologischen Fluchtpunkt das Wort redet. (OD, 386) Dass Positivismus und Eschatologie archäologisch betrachtet in ein und derselben Schicht auftauchen und sich gegenseitig bedingen, ist vielleicht weniger unerwartet als die Konsequenz dieser Koexistenz. Demnach kann nämlich ein Diskurs mit dem Anspruch einer kritischen Fundierung seiner selbst in der Empi­ rie nicht anders als positivistisch und eschatologisch zugleich auftreten, oder vielmehr wird er zwischen beiden hin und her gerissen sein, ohne sie in eine endgültige Einheit überführen zu können. Diese Zerrissenheit, fur die Foucault beispielhaft die Ansätze von Marx und Comte anführt, ruft nach einer Versöh­ nung, die schließlich in einer Theorie des Subjekts ausgehend von einer Analyse des Erlebten gesucht wird. Der so eingeführte phänomenologische Typ der Reflexion greift die Forderung der beiden ersten auf, indem er der Naivität des Positivismus und dem prophetischen historischen Materialismus den Zwischen­ raum des Erlebten entgegenhält, wo sich sowohl die konkreten Inhalte der Erfahrung als auch ihre ursprünglichen Formen be­ gegnen. (OD, 387) Dergestalt weist er dem Subjekt als Körper und gleichzeitig als Durchgangspunkt sedimentierter kultureller Entwicklungen seine zentrale Stellung zu. Gleichwohl bewegt sich auch die phänomenologische Analyse des Erlebten in dersel­ ben archäologischen Konstellation wie der Positivismus und die Eschatologie: Alle drei beschreiben Variationen innerhalb eines 59

gemeinsamen Aussagefeldes, in dem die empirisch­ transzendentale Dublette des Menschen erst erscheinen kann und das sich zugleich entlang der zweideutigen Stellung des Menschen ordnet und gruppiert. (OD, 388) Was Foucault auf nur wenigen Seiten äußerst schematisch ent­ faltet, bedarf einer gewissen inhaltlichen Untermauerung, wenn es nicht auf der Ebene bloßer Behauptungen verharren soll. Ob­ wohl die Namen Comte und Marx gefallen sind, verzichtet der Abschnitt auf nähere Hinweise oder gar genaue Analysen ent­ sprechender Texte; gleiches gilt für die angeführte Phänomenolo­ gie; hier werden nicht einmal Namen genannt.57 Sicherlich ist es nicht die Absicht der archäologischen Betrachtung, die aufgezeig­ ten Aussageregelmäßigkeiten exklusiv dem Werk eines einzelnen Autors oder einer bestimmten Denkschule zuzuschreiben, so als hätte es so etwas wie den Positivismus oder die Phänomenologie tatsächlich gegeben. Was die zuweilen recht kurzatmigen Ab­ schnitte über die einzelnen Figuren der »Analytik der Endlichkeit« zeigen wollen, ist vielmehr eine Typologie der verschiedenen Aussagefunktionen, ihrer Zusammenhänge untereinander und ihrer Effekte. Deshalb spricht Foucault auch ausschließlich von Diskursen, Reflexions- oder Analysetypen und nicht - oder höchstens exemplarisch - von Autoren, einzelnen Werken oder deren Umfeld. Dies bedeutet umgekehrt, dass sich die angeführ­ ten Typologien nicht anhand der genannten Autoren überprüfen lassen, da es keineswegs einer Widerlegung der aufgezeigten Zu­ sammenhänge gleichkommt, wenn man etwa bei Marx, Comte oder Husserl andere Denkfiguren entdecken würde (was man zweifelsohne auch wirklich kann), die mit den angeführten in­ kompatibel sind. Dementsprechend können die nachfolgenden Exkurse in ausgesuchte philosophische Texte weder im Sinne eines Beweises noch einer Kritik gelesen werden. Sie sollen ledig­ lich eine beispielhafte Veranschaulichung der bei Foucault selbst oftmals verschwommen und undifferenziert erscheinenden Be­ funde geben.

57 Allerdings spricht Foucault über eine Annäherung von Marxismus und Phäno­ menologie, die sich erst in jüngster Zeit ereignet habe - wobei er vermutlich die dialektisch ausgerichtete Phänomenologie A. Kojèves, M. Merleau-Pontys und J.P. Sartres vor Augen hat. (OD, 388)

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H usserls

Sicherlich ist die Entdeckung einer inneren Verbindung zwischen Historischem Materialismus und Positivismus keineswegs spekta­ kulär, sie drängt sich geradezu von selbst auf und wurde entspre­ chend häufig in anderen Arbeiten festgehalten.58 Die »Dreista­ dienlehre« von der historischen Entwicklung des menschlichen Geistes bei Auguste Comte folgt einer ähnlich strengen inneren Notwendigkeit (Comte spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Naturgesetz)59 wie die sich in drei Schritten vollzie­ hende Umwandlung der gesellschaftlichen Produktionsweise bei Marx und Engels, und ebenso wie die Proletarische Revolution steht das positive Stadium als Telos der Menschheit kurz bevor.60 Weiterhin hält der historische Materialismus dem abstrakten Idealismus Hegelscher Provenienz einen »positiven Humanis­ mus« entgegen, wie ein Blick in die Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von Marx belegt, und stellt damit offen einen Bezug auf den Menschen als zentrale Kategorie des Denkens her.61 Es stellt sich also die Frage, welchen spezifischen Einblick die archäologische Analyse den offenkundigen Zusammenhängen abgewinnen kann und in welcher Weise die beschriebene Aussagefiinktion den Argumentationsaufbau der einzelnen Texte orga­ nisiert und sich darin äußert. Dazu muss man zunächst die Vor­ stellung aufgeben, es handele sich im vorliegenden Fall um eine zwar auffällige, letztendlich aber doch zu vernachlässigende Ge­ meinsamkeit in der Denkweise, da es wohl kaum einen größeren Unterschied geben könnte als zwischen der marxistischen Gesell­ schaftsutopie und den bürgerlichen Forderungen Comtes. Fou­ caults Sicht auf die Aussagen der Texte ist eine andere; für ihn zählt vor allem, dass es bestimmte eschatologische und positivis-

58 Vgl. beispielsweise Jonas, Friedrich: Geschichte der Soziologie. Bd. II: Sozialis­ mus, Positivismus, Historismus. Reinbek 1968, S. 95ff. 59 Vgl. Comte, Auguste: Soziologie. Die positive Philosophie im Auszug. Hrsg, von Friedrich Blaschke. Stuttgart 1974, S. 413. 60 Vgl. Comte, Auguste: Rede über den Geist des Positivismus. Hrsg. v. Irving Fetscher. Hamburg 1994, S. 22f., und Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Studienausgabe Bd.l. Hrsg. v. Iring Fetscher. Frankfurt a. M. 1990, S. 144-178. 61 Vgl. Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. In: Marx, Karl/ Engels, Friedrich: Gesamtausgabe (MEGA). Erste Abteilung, Band 2. Berlin 1982, S. 323-438.

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tische Diskurse gibt, die aufgrund ihrer inneren Organisation eine relative Einheit bilden, sich gegenseitig bedingen, und dass sich weiterhin genau in ihrer Schnittfläche die Sonderstellung des Menschen kundtut: Marx und Comte sind Zeugen der Tatsache, daß die Eschatologie (als objektive Wahrheit, die aus dem Diskurs über den Menschen kommt) und der Positivismus (als Wahrheit des Diskurses, die aus­ gehend von der des Objekts definiert wird) archäologisch nicht voneinander lösbar sind (...). Der Mensch erscheint darin als eine gleichzeitig reduzierte und verheißene Wahrheit. (OD, 387)

Diese beiden Richtungen des Wahrheitsdiskurses und die ihnen gemeinsame Erscheinungsweise des Menschen gilt es nun exem­ plarisch herauszuarbeiten. Wie ihre Vertreter immer wieder versichern, darf die positivis­ tische Philosophie nicht mit dem Empirismus der Einzelwissen­ schaften verwechselt werden, von dem sie »ebenso weit entfernt ist wie vom Mystizismus«.62 Anstatt lediglich Tatsachen zu ak­ kumulieren zielt sie vielmehr auf die erkennbaren Gesetzmäßig­ keiten und Regeln zwischen den beobachtbaren Phänomenen. Sie will nicht konstatieren, was ist, sondern anhand der gefundenen Schemata mit Sicherheit Voraussagen können, was sein wird.63 Im Rahmen dieser Programmatik bewegt sich auch John-Stuart Mills System der deduktiven und induktiven Logik, eine Darlegung, wie es im Untertitel heißt, der Prinzipien der wissenschaftlichen Forschung. Mit dem dort initiierten methodologischen Generalangriff ver­ sucht Mill aus archäologischer Sicht nicht weniger als diejenigen Voraussetzungen anzugeben, die jede wissenschaftliche Reflexion erfüllen muss, um einen wahren Diskurs über die jeweilige Ge­ genständlichkeit führen zu können. Weil ein solcher Diskurs aber für den Positivismus immer nur in Abhängigkeit von der Wahr­ heit des Objekts seine Berechtigung hat, stellt sich an prominen­ ter Stelle immer wieder die Frage nach der Fähigkeit der Sprache, die beobachteten Gesetze adäquat auszudrücken.64 Einen grund­ sätzlichen Zweifel an dieser Fähigkeit kennt der positivistische Diskurs indes nicht; für ihn ist der sprachliche Ausdruck ein 62 Comte: Geist des Positivismus, a.a.O., S. 19. 63 Vgl. ebd., S. 20. 64 Vgl. Mill, John Stuart: System der deductiven und inductiven Logik. Eine Darlegung der Principien wissenschaftlicher Forschung, insbesondere der Natur­ forschung. Übers, v. Jacob H. W. Schiel. Braunschweig o. J. (Nachdruck der 2. Aufl. von 1863), Teil-Bd. 1, §1 u. Teil-Bd. 2, S. 195ff. u. 262ff.

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wenn auch außerordentlich wichtiges - Hilfsmittel wie jedes andere, das sich daher nach den Anforderungen seiner Anwen­ dung zu richten hat, wodurch es ebenfalls einer gewissen Anzahl von Prinzipien unterworfen ist. Für den auf die Wahrheit des Objekts ausgerichteten Diskurs müssen die Worte vor allem den reibungslosen Verkehr zwischen den wahrgenommenen Dingen und deren Aufzeichnung garantieren, oder negativ ausgedrückt, die sprachliche Beschreibung darf auf keinen Fall die Beobach­ tung selbst verfälschen. Daraus folgert Mill zwei grundsätzliche Erfordernisse eines wahren philosophischen Diskurses: Um die Sprache für ihre Zwecke geschickt zu machen, sollte ein jedes Wort nicht nur seine Bedeutung vollkommen ausdrücken, sondern es sollte auch keine wichtige Bedeutung ohne ihr Wort ge­ ben. Für Alles, worüber wir häufig Gelegenheit haben zu denken, und für wissenschaftliche Zwecke sollte ein angemessenes Wort vorhanden sein.65

In ähnlicher Weise betont auch Saint-Simon in seiner Abhandlung über die Wissenschaft vom Menschen, »(...) daß Verständigungszeichen notwendig sind, um Gedanken von gewisser Bedeutung zu bilden und miteinander zu verbinden.«66 Bei beiden aber beinhaltet diese Feststellung nicht allein die Anerkennung des herausragenden Status der Sprache, sondern ebenfalls die prinzipielle Möglichkeit eines falschen oder unwahren Diskurses, den auszuschalten die historische Aufgabe des positiven Denkens ausmacht - weshalb Mill ein ganzes Buch seiner Logik den »Fallacien«, den verschie­ denen Fehlschlüssen und wie sie zu umgehen sind, widmet.67 Davon ausgehend lässt sich zeigen, wie der Verlust der apodik­ tischen Übereinstimmung des sprachlichen Ausdrucks mit den bezeichneten Phänomenen im Positivismus stets auf ein histo­ risch-soziologisches Entwicklungsdenken hinausläuft, das die Wahrheit des eigenen Diskurses zur Deckungsgleichheit mit den objektiven Gegebenheiten bringen soll. Dazu bedarf es, weil »alle Begriffe als Ergebnisse der menschlichen Entwicklung angesehen werden« und die »best begründeten abstrakten Begriffe nur durch die Gemeinschaft bestehen können«68, einer in besonderer Weise 65 Ebd., Bd. 2, S. 262. 66 Saint-Simon, Claude-Henri de: Abhandlung über die Wissenschaft vom Men­ schen (1813). In: Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. L. Zahn. Berlin 1977, S. 96-132; hier 109. 67Vgl. Mill: Logik II, a.a.O., S. 311 -434. 68Comte: Soziologie, a.a.O., S. 449.

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fundierten Wissenschaft zur Erforschung der Geschichte des Menschen, seiner Erkenntnis formen und ihren Verankerungen in der Gesellschaftsorganisation oder den Produktionsprozessen. Diese spezielle Form des Wissens allerdings kann im Gegensatz zur Erkenntnis der Naturwissenschaften vorerst nur approxima­ tiv sein, da sich der Mensch darin zugleich als Objekt und Beob­ achter in einer noch nicht abgeschlossenen historischen Entwick­ lung begegnet. Erst wenn sich die wahre Methode vollständig durchgesetzt hat, wird es auch einen endgültig wahren Diskurs über den Menschen und die Gesellschaft geben können: Wenn die Bemühungen (...) behufs des Aufbaus einer Philosophie der Geschichte (...) durch die Ansichten von der Natur des sociologischen Beweises geleitet und regiert werden (...), so müssen sie ein sociologisches System erzeugen, das von dem vagen und muthmaassenden Charakter aller früheren Versuche weit entfernt und werth ist, endlich einen Platz unter den Wissenschaften einzu­ nehmen. Wenn diese Zeit gekommen sein wird, so wird kein wich­ tiger Zweig der menschlichen Angelegenheiten länger mehr der Empirie und der unwissenschaftlichen Muthmaassung überlassen bleiben; der Kreis des menschlichen Wissens wird vollständig sein und kann fortan nur durch fortwährende Ausdehnung von innen heraus erweitert werden.69

Damit fasst Mill noch sehr vorsichtig in Worte, was bei Comte und zumal Saint-Simon schon deutlich die Züge einer nicht nur wissenschaftlichen, sondern vor allem sozialen »Reorganisation« trägt. In jedem Fall aber ist die bevorstehende historische Umset­ zung der positiven Methode die Voraussetzung für einen wahren Diskurs, in dessen Schutz sich erst ein gesichertes und umfassen­ des Wissen auf allen Gebieten der menschlichen Erkenntnis entfalten kann - derart wird das eschatologische Moment zum integrativen Bestandteil des positivistischen Denkens. Wie der Historische Materialismus als explizit eschatologische Denkweise die Wahrheit des Objekts aus einem spezifischen Diskurs über den Menschen generiert, lässt sich exemplarisch an Marx’ Auseinandersetzung mit Hegel erläutern. Der Einspruch der Ökonomisch-philosophischen Manusknpte gegen die Phänomenologie des Geistes setzt an Hegels Begriff der Entfremdung an, dem Marx zwar zugute hält, bereits alle Elemente einer wahren Kritik sche-

69 Mill: Logik II, a.a.O, S. 557.

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matisch vorgezeichnet, sich dabei allerdings bloß einseitig auf die geistige Dimension beschränkt zu haben.70 Am letzten Kapitel der Phänomenologie, dem absoluten Wissen, würde deutlich, dass Hegel den Prozess der Subjektwerdung als Entäußerung und Aufhebung des entäußerten Gegenstandes ausschließlich ideell verstanden wissen will: Die Hauptsache ist, daß der Gegenstand des Bewußtseins nichts andres als das Selbstbewußtsein oder daß der Gegenstand nur das vergegen­ ständlichte Selbstbewußtsein, das Selbstbewußtsein als Gegenstand ist. (Setzen des Menschen = Selbstbewußtsein.)71

Auf die Kurzform »Mensch = Selbstbewusstsein« gebracht, rech­ net Marx’ Kritik der Hegelschen Dialektik eine defiziente Fassung der materiellen Grundlagen vor. Was Hegel beschreibe, sei ledig­ lich die abstrakte Gegenständlichkeit im Allgemeinen, in der sich das Bewusstsein wiedererkenne und so zum Selbstbewusstsein werde. Dieses Andere des Bewusstseins aber, das Gegenständli­ che, Sinnliche, sei in der Hegelschen Variante nur eine Erschei­ nung seiner selbst, ein Gedankending und das nichtige Produkt eines sich selbst denkenden Denkens. Das Bewegungsgesetz der absoluten Negation, in der die Widersprüche zur vermittelten Einheit aufgehoben sind, verfestigt aus der Sicht Marx' einmal mehr diese rein formelle Seite und stellt als Versöhnung dar, was tatsächlich die Fixierung einer Entfremdung vom je konkreten Gegenstand bedeutet. Wenn die Hegelsche Wissenschafl der Logik an ihrem höchsten Punkt die Natur aus der absoluten Idee »ent­ lässt«, ist das für Marx der sichere Hinweis darauf, dass die speku­ lative Dialektik überhaupt nichts mit dieser wirklichen Natur anzufangen weiß und in diesem Zustand andauernder Entfrem­ dung allenfalls aus »Langeweile« eine »Sehnsucht nach einem Inhalt« aufkommen könnte.72 Von eigentlichem Interesse für die archäologische Analyse ist nun weniger die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer solchen Hegel-Kritik als vielmehr die Aussagefunktion, die sie überhaupt erst möglich gemacht hat. Der Marxsche Text organisiert sich nämlich eigentümlicherweise um ein zweiseitiges Konzept des menschlichen Wesens, das in dieser fundierenden Funktion mit der Gedankenwelt Hegels inkompatibel ist. Mit anderen Worten, 70 Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, a.a.O., S. 404ff. 71 Ebd., S. 405. 72 Ebd., S. 416.

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Marx kritisiert Hegel keineswegs immanent, sondern ausgehend von einem spezifischen Diskurs über den Menschen. Dessen Wesen wird darin in der von Foucault als empirisch­ transzendental beschriebenen Dopplung definiert, als einerseits den »objektiven Synthesen« - in diesem Fall einer Naturkraft unterworfen, andererseits mit der natürlichen Fähigkeit ausgestat­ tet, sich in seinem Wesen zu erkennen und damit selbst zum Ort alles Wissens zu werden: Der Mensch ist unmittelbar Naturwesen. Als Naturwesen und als le­ bendiges Naturwesen ist er teils mit natürlichen Kräften, mit Lebens­ kräften ausgerüstet, ein tätiges Naturwesen (...); teils ist er als natür­ liches, leibliches, sinnliches, gegenständliches Wesen ein leidendes, bedingtes und beschränktes Wesen (...). Aber der Mensch ist nicht nur Naturwesen, sondern er ist auch menschliches Naturwesen; d.h. für sich selbst seiendes Wesen, darum Gattungswesen, als welches er sich sowohl in seinem Sein als in sei­ nem Wissen bestätigen und betätigen muss.73

Wie Marx durchaus richtig bemerkt, kennt die Hegelsche Philo­ sophie - zumindest was die Phänomenologie des Geistes und die Wis­ senschaft der Logik betrifft - diesen vorausgesetzten Begriff des Menschen als empirisch-transzendentale Dublette nicht; sie mag in ihrem Resultat Subjektphilosophie sein, von einem Wesen des Menschen in diesem emphatischen Sinne aber geht sie nicht aus.74 Für Marx jedoch handelt es sich hierbei um eine nahezu apodiktische Gewissheit, insofern sie historisch durch den Men­ schen selbst entdeckt und in den Status der Natur erhoben wur­ de: Wie alles Natürliche entstehn muß, so hat auch der Mensch seinen Entstehungsakt, die Geschichte, die aber für ihn eine gewußte und darum als Entstehungsakt mit Bewußtsein sich aufhebender Ent­ stehungsakt ist. Die Geschichte ist die wahre Naturgeschichte des Menschen.75

Die materialistische Dialektik gründet erkenntnistheoretisch in diesem zweigeteilten Diskurs über den Menschen, wiewohl sie die Wahrheit dieser Teilung nur als historische antizipieren kann und 73 Ebd. S. 408 u. 409. 74 Dass die Hegelsche Dialektik diese Dopplung nicht einfach außer acht lässt und in gewisser Weise sogar ihrem Spannungsfeld entspringt, wird weiter unten Thema sein. 75 Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, a.a.O., S. 409.

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deshalb die Versöhnung von innerer und äußerer Natur zum Zielpunkt der Geschichte erklären muss. Erst in einem solchen Zustand wäre das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu der ihm entfremdeten Gegenständlichkeit in seiner Wahrheit erkannt und aufgehoben: »Die Menschen, endlich Herren ihrer eigenen Art der Vergesellschaftung, werden damit zugleich Her­ ren der Natur, Herren ihrer Selbst - frei.«76 Auf den ersten Blick scheint es zumindest so, als würde der phä­ nomenologische Diskurs in seinem ganzen Aufbau einer anderen Aussagefimktion mit anderen Regelmäßigkeiten zugehören. Da er, wie auch Foucault bemerkt, am Bewusstseinsakt des Erlebens ansetzt und sich aller Urteile über die wahre Beschaffenheit der Welt enthält, müsste er eigentlich auf jene Teleologie verzichten können, die im Historischen Materialismus und im Positivismus die Wahrheit mit der Natur bzw. der Geschichte zusammenfüh­ ren soll. Eine »reine phänomenologische Theorie der Erkennt­ nis«, so Husserl in der Einleitung der Logischen Untersuchungen II, gewinnt ihre Einsicht unabhängig von der Frage, »(...) ob es überhaupt so etwas wie Menschen und eine Natur gibt oder ob all das nur in der Einbildung und Möglichkeit besteht.«77 Während Positivismus und Materialismus mit ihrem Primat des Objektiven mehr oder weniger zwangsläufig in den Sog eines ambivalenten Menschenbegriffs geraten und sich von dort aus, um die eigene Reflexion vor einem skeptizistischen Abgrund zu bewahren, in einer eschatologischen Sozialgeschichte verstrickten, wählt der phänomenologische Diskurs gewissermaßen die andere, trans­ zendentale Seite zu seinem eigentlichen Aktionsgebiet. Das be­ freit ihn zwar zunächst von der grundsätzlichen Verlegenheit, sich selbst in Übereinstimmung mit einer hypostasierten Wahr­ heit des Objekts zu bringen; die Figuration des Problems indes wird auch ihn, allerdings in einer Transposition der Ebenen, einholen. Wenn sich die folgende Darlegung exemplarisch auf Edmund Husserl beschränkt, dann geschieht dies weniger, weil seine Person als das geistige Zentrum der gesamten phänomeno­ logischen Bewegung gelten darf. Vielmehr nimmt das hier im Zentrum stehende Motiv der Wiederholung des Empirischen im 76 Engels: Entwicklung des Sozialismus, a.a.O., S. 178. 77 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen. Zweiter Band, I. Teil. Gesammel­ te Schriften Bd. 3. Hrsg. v. E. Ströker. Hamburg 1992, S. 28.

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Transzendentalen und das ihm anhängige moderne Bild des Men­ schen in der Tat ein Feld stetiger intellektueller Herausforderung in fast allen seinen Schriften ein, angefangen von den Logischen Untersuchungen II (1901) bis hin zu Die Krisis der europäischen Wissen­ schaften und die transzendentale Phänomenologie (1936-38). Die phänomenologische Arbeit klammert also die Frage nach der Existenz und Ordnung einer Außenwelt systematisch aus und reduziert ihre Analyse darauf, wie die Dinge für ein Bewusstsein erscheinen und welche logischen Strukturen die Objektivität dieses Erlebens sichern.78 Als Wissenschaft von den reinen Er­ kenntnisformen a priori soll sie vor allen empirischen Realwissen­ schaften, aber auch vor aller deskriptiven Psychologie liegen. Von der kantischen Kritik, mit der sie den transzendental-logischen Ansatz teilt, unterscheidet sie sich in ihrer Stellung zu den »Din­ gen an sich«. Weil die Phänomenologie erklärtermaßen zurück zu den »Sachen selbst« will, schaltet sie lediglich jedes vermeintlich sichere Vorwissen darüber methodisch aus. Als wesentlich inten­ tionales gilt ihr das Bewusstsein immer gerichtet auf ein Etwas, über dessen Realität sie zwar kein Urteil fällt, das aber dennoch gleichsam als opake Dingseite der Erfahrung eine phänomenale (oder reelle) Existenz hat. Speziell die Logischen Untersuchungen divergieren darüber hinaus in einem weiteren und hier entschei­ denden Punkt vom kantischen Denken, sofern sie die syntheti­ sche Leistung des reinen Ich oder transzendentalen Subjekts zurückweisen und die Einheit des Bewusstseins stattdessen über einen Zusammenhang der »Inhalte« von intentionalen Erlebnis­ sen in einem synthetischen »Bewusstseinsstrom« zu konstituieren suchen. Dazu unterscheidet Husserl drei Differenzierungsstufen von Bewusstsein im phänomenologischen Sinn. Eine erste Bedeutung zielt gleichsam auf die Objektseite des Bewusstseins und fragt nach der Einheit der im Bewusstseinsfluss verwobenen psychi-

78 »Sic (die Phänomenologie der Erkenntnis; DQ) will nicht die Erkenntnis, das faktische Ereignis in der objektiven Natur, in psychologischem oder psychophysi­ schem Sinn erklären, sondern die Idee der Erkenntnis nach ihren konstitutiven Elementen, bzw. Gesetzen aufklären·, nicht die realen Zusammenhänge, in welchen sich die Objektivität der Erkenntnis dokumentiert, verstehen; die reinen Erkenntnis­ formen und Gesetzte will sie durch Rückgang auf die adäquat erfüllende An­ schauung zur Klarheit und Deutlichkeit erheben.« (Husserl: Logische Untersu­ chungen, a.a.O., S. 27)

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sehen Erlebnisse eines empirischen Ich.79 Eine entscheidende Rolle spielt hierbei der Begriff des Erlebnisses, der im Gegensatz zum erscheinenden Ding die Dingerscheinung selbst meint. Weil die phänomenologische Betrachtung die empirische Seite der Wahrnehmung in der so genannten »phänomenologischen oder transzendentalen Reduktion« ausklammert, wird die Frage nach Objektivität allein auf der Seite der erkennenden Bewusstseinsak­ te relevant. Diese aber können als solche »erlebt« werden und bedürfen keiner Bewusstseinsleistung zweiten Grades (was un­ weigerlich einen infiniten Regress zur Folge hätte). Jedes bewusst wahrgenommene Ding findet demnach sein Wesen in dem Er­ lebnis seiner Erscheinung. Dem vielfältigen Erleben steht dann kein transzendentales Ich gleichsam losgelöst gegenüber, viel­ mehr wäre das phänomenologische »Ich« mit der nach Gesetzen geregelten Verknüpfimgseinheit der Erlebnisse, dem Erlebnis­ oder Bewusstseinsstrom, identisch.80 Um etwas über die Wahr­ heit der Objekte zu erfahren, muss die Phänomenologie folglich die Evidenz der internen Verknüpfungen der Erlebnisse klären. Mit einer zweiten Bestimmung des Bewusstseinsbegriffes ver­ sucht Husserl deshalb, die Evidenz des Bewusstseinsstromes aus sich selbst und ohne Rekurs auf ein transzendentales Ich zu ex­ plizieren.81 Dazu bedarf es jedoch keiner speziellen »inneren« Wahrnehmung (im Gegensatz zu einer vermeintlich »äußeren«, die von der Phänomenologie ausgeschlossen wurde), sondern lediglich einer adäquaten oder evidenten Wahrnehmung der Er­ lebnisse, in denen die Dingerscheinung gründet. Eine solche Adäquation findet Husserl in der Erfüllung der Wahmehmungsintention, d.h. dem vollständigen Erfassen und Gegenwärtigen des anvisierten Gegenstandes.82 Weil der Gegenstand aber für die Phänomenologie nur als ein Erlebnis der Dingerscheinung eine Wahrheit haben kann, wird die Evidenz auf die Erfüllung eines intentionalen Erlebnisses zielen. Dieser zweite Begriff des Bewusstseins im Sinne einer Erfül­ lung von eigenen Erlebnissen soll die Bürde einer phänomenolo­ gischen Begründung des Bewusstseinsstromes tragen, und zwar in einer apodiktischen Form, wie sie das Cartesianische cogto noch 79Vgl. ebd., S. 356. »’Vgl. ebd., S. 364. 81 Vgl. ebd., S. 356 u. 365ff. 82Vgl. ebd., S. 365.

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»repräsentieren« konnte. Husserls Interpretation des cogito revi­ diert allerdings insbesondere die Schlussfolgerung ergo sum. In der phänomenologischen Betrachtungsweise kann das im »Ich bin« ausgesprochene Sein keineswegs rein empirisch gemeint sein, da diese Dimension von vorne herein unter die methodische Reduk­ tion fällt. Wenn der Satz des cogto dennoch zum evidenten Grund des Bewusstseins reichen soll - und genau diesen Nachweis einer in der Moderne verlorenen Evidenz hat Husserl in verschiedenen Variationen immer wieder gesucht —, muss man zumindest von einem »in begrifflicher Schärfe nicht umgrenzten Kern der empi­ rischen Ichvorstellung« ausgehen können.83 Jener Kern mag zwar nicht vollständig in Worten erfassbar sein, er hat jedoch als Kor­ relat der intentionalen Erlebnisse eine hinreichende Evidenz. Das »phänomenologische Ich« beschreibt dann lediglich diejenigen Akte, in denen einem Bewusstsein Gegenständliches erscheint. In dieser Aufteilung bereitet eine Selbstwahrnehmung des Ich nun keinerlei Problem mehr, weil einerseits der »Ich-Körper« wie jedes beliebige andere Ding auftaucht, andererseits die Akte der Wahrnehmung, also der Bestand des phänomenologischen Ich, ebenfalls von anderen Akten wahrgenommen werden können.84 Weil die Logischen Untersuchungen das phänomenologische Ich mit der zeitlichen Folge der Wahmehmungsakte, dem Erlebnisfluss, identifizieren, können sie systematisch auf die Position eines transzendentalen Subjekts verzichten. Aus einer kantdschen Per­ spektive könnte man auch sagen, Husserl zerlege die synthetische Einheit des transzendentalen Subjekts in die zeitliche Sukzession einzelner phänomenologischer Erlebnisse. Die Originalität dieser Modulation liegt jedoch darin, dass der Bewusstseins ström als ein dem Ganzen reell innewohnendes Moment gleichwohl die Ein­ heit des Ganzen in der Veränderung bilden soll.85 Er verhält sich, mit anderen Worten, nicht wie eine Transzendenz zu den Erleb­ nissen. Die angekündigte dritte Form des Bewusstseinsbegriffes um­ fasst die beiden vorhergehenden und leitet Husserls Überlegun­ gen tiefer in die Ausdifferenzierung der zentralen Kategorie der Intentionalität. Eine vollständige Rekonstruktion seiner Untersu83 Vgl. ebd., S. 367. 84 Vgl. ebd. S. 374f. 85 Vgl. ebd. S. 369.

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chungen würden indes im Hinblick auf die Einordnung des phä­ nomenologischen Denkens in die von Foucault hervorgehobene Figur der Wiederholung des Empirischen im Transzendentalen zu weit führt. Der kurze Blick auf die zwei zusammenhängenden Bedeutungsebenen des Bewusstseins reicht aus, um zweierlei zu veranschaulichen: zum einen, inwiefern auch die Logischen Untersu­ chungen in den skizzierten Diskurs der Moderne gehören, zum anderen, weshalb die Phänomenologie Husserls schließlich doch zu einer eigenen Variante des »transzendentalen Idealismus« findet, bei dessen Fundierung die Doppelstellung der menschli­ chen Existenz offen zutage tritt. Foucaults eigene Einordnung der phänomenologischen Analyse kann hier den Weg weisen: Immer noch verbleibt, daß die Analyse des Erlebten ein Diskurs gemischter Natur ist: sie wendet sich an eine spezifische, aber dop­ peldeutige, ausreichend konkrete Schicht, damit man eine sorgfälti­ ge und deskriptive Sprache auf sie anwenden kann, jedoch auch ausreichend gegenüber der Positdvität der Dinge zurückgezogene Schicht, so daß man ausgehend davon jener Naivität (des Positi­ vismus und der Eschatologie; DQ) entgehen, sie in Frage stellen und nach ihren Grundlagen fragen kann. (OD, 388)

Für die referierten Abschnitte der Logischen Untersuchen lässt sich die von Foucault konstatierte Zweideutigkeit bei der Überwin­ dung eines positivistischen wie eschatologischen Typs des Den­ kens anschaulich nachzeichnen. »Erlebnis« im Sinne Husserls meint gerade nicht einen empirischen Sachverhalt, sondern die wesenhafte Weise seiner Erscheinung für ein Bewusstsein.86 Umgekehrt thematisiert der Zusammenhalt der Erlebnisse im Bewusstseinsstrom keinen vom Empirischen vollständig losgelös­ ten Bereich des Transzendentalen, er bildet sich vielmehr durch die zeitliche Komplexion koexistenter Erlebnisse. Dennoch kann sich auch die Phänomenologie einer Dualität von Positivem und Fundamentalem mitsamt einer Wiederholungsstruktur nicht entziehen. Denn trotz der methodischen »Einklammerung« bleibt das den Erlebnissen korrelative Gegenstück in der realen Welt natürlich erhalten und bildet - unabhängig von der Frage nach seiner wahren Existenz —den irreduziblen Boden des intentiona­ len Aktes. Erst mit Hilfe dieser Grundfigur des intentionalen 86 Das trifft in gewisser Weise auch schon für den Positivismus Comtes und Mills zu, der sich, daran sei nochmals erinnert, ebenfalls für die Regeln und Gesetze, d.h. die Dimension des Wesens interessierte und nicht für die einzelne Tatsache.

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Bewusstseins, das sich in den Erlebnisinhalt und den Erlebnisakt spaltet, lässt sich ein System oder eine Logik aller Wahrnehmung und Gegenständlichkeit überhaupt aufstellen. Das Konzept der Intentionalität gerät allerdings genau an jenem neuralgischen Punkt in Verlegenheit, an dem es darum geht, sich selbst apodik­ tisch in einem einheitlichen Bewusstsein zu verankern. Das bislang betrachtete erste Kapitel über »Bewußtsein als phänomenologischer Bestand des Ich und Bewußtsein als innere Wahrnehmung« der fünften logischen Untersuchung ist von Husserl auch in der zweiten, überarbeiteten Auflage von 1921 in den Kernpunkten, vor allem der Zurückweisung eines reinen Ich, beibehalten worden, obwohl sich seine Ansichten diesbezüglich zwischenzeitlich in ihr Gegenteil verkehrt haben. Die gewandelte Einstellung der Phänomenologie zu einem transzendentalen Ich wird lediglich in einigen Fußnoten verdeutlicht, was den seltenen Fall eines Textes beschert, der seine innewohnende Spannung und Differenz in einer lesbaren Weise austrägt. So findet sich zur betreffenden Textstelle, an der von dem wie immer auch vagen Status des empirischen Ich mittels einer adäquaten Wahrneh­ mung auf den »erkenntnistheoretisch ersten und absolut sicheren Bereich« des Bewusstseinsflusses geschlossen wird, folgende Anmerkung; Die im wesentlichen ungeändert aus der 1. Auflage übernommene Darstellung des Textes wird dem Umstand nicht gerecht, daß das empirische Ich eine Transzendenz derselben Dignität ist wie das physische Ding. Behält die Ausschaltung dieser Transzendenz und die Reduktion auf das /»^-phänomenologisch Gegebene kein rei­ nes Ich als Residuum zurück, dann kann es auch keine wirkliche (adäquate) Evidenz »leb bin« geben. Besteht diese Evidenz aber wirklich als adäquate - und wer möchte das leugnen - , wie kom­ men wir dann an der Annahme eines reinen Ich vorbei?87

In der zitierten Fußnote steckt nicht nur gewissermaßen das Bewegungszentrum der späteren Schriften Husserls, man kann darin ebenfalls die Silhouette des von Foucault skizzierten »Sein des Menschen« in seiner empirisch-transzendentalen Dopplung erkennen. In der Revision der Logischen Untersuchungen fällt das durchaus bemerkenswerte Modell eines Bewusstseinsflusses, dessen Einheit sich in der Koexistenz seiner Momente konsdtu-

87 Husserl: Logische Untersuchungen II, a.a.O., S. 368, Anm.

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iert, weil Husserl auf die Evidenz des »Ich bin« als dem Garanten der Erlebnisakte nicht verzichten will.88 Mit wenigen Strichen lässt sich nun skizzieren, inwieweit sich auch die Phänomenologie nach derselben Aussagefunktion rich­ tet wie der positivistische und der eschatologische Diskurs. In seiner Schrift Ideen ψ einer reinen Phänomenologie und phänomenologi­ schen Philosophie geht Husserl dann von der Allgegenwart des Men­ schen in seinen psychischen Akten über zu der Feststellung, dass die Beziehung eines jeden Erlebnisses auf das reine Ich zur wich­ tigsten »allgemeinen Wesenseigentümlichkeit des transzendental gereinigten Erlebnisgebietes« gehört: Bei all solchen Akten bin ich dabei, aktuell dabei. Reflektierend fas­ se ich mich dabei auf als den Menschen. Vollziehe ich aber die phänomenologische έποχή (epoché nennt Husserl ab den Ideen die methodische Reduktion; DQ), verfällt, wie die ganze Welt der na­ türlichen Thesis, so »Ich, der Mensch« der Ausschaltung, dann ver­ bleibt das reine Akterlebnis mit seinem eigenen Wesen zurück. Ich sehe aber auch, daß die Auffassung desselben als menschlichen Er­ lebnisses, abgesehen von der Daseinsthesis, allerlei herbeibringt, was notwendig mit dabei sein muß, und daß andererseits kein Aus­ schalten die Form des cogjto aufheben und das »reine« Subjekt des Aktes herausstreichen kann ( ...).89

Das Erlebnis ist stets »menschliches Erlebnis«, denn selbst nach der Ausklammerung des empirischen Menschen bleibt er not­ wendigerweise als reines Subjekt zurück. Diese zentrale Stellung des phänomenologischen Ich wird später in den CarteHanischen Meditationen von Husserl zu einer transzendentalen Egologie ausgearbeitet, deren apodiktische Evidenz dem »natürlichen Seinsboden in seiner Seinsgeltung« vorausgeht und deshalb die 88 An dieser aufschlussreichen Stelle zeichnet sich vielleicht eine andere Möglich­ keit des Denkens, jenseits seiner modernen Ausprägung, ab, ohne allerdings konkret zu werden. Immerhin war es Husserl selbst, der dem gesamten Kapitel in der zweiten Auflage den Zusatz angehangen hat, »(...) daß die hier vollzogene (und von mir, wie schon gesagt, nicht mehr gebilligte) Stellungnahme zur Frage des reinen Ich fiir die Untersuchung dieses Bandes irrelevant bläht. So wichtig diese Frage sonst und auch als rein phänomenologische ist, so können höchst umfassende Problemsphären der Phänomenologie, welche in einer gewissen Allgemeinheit den reellen Gehalt der intentionalen Erlebnisse und ihre Wesenbeziehung zu intentionalen Objekten betreffen, einer systematischen Durchforschung unterzo­ gen werden, ohne daß man zu der Ichfrage überhaupt Stellung nimmt« (Ebd., S. 376) 89 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologi­ schen Philosophie - Buch 1. Gesammelte Schriften Bd. 5. Hrsg. v. E. Ströker. Hamburg 1992, S. 179.

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phänomenologische Auslegung der Selbstkonstitution des Ego mit der Phänomenologie überhaupt zur Deckung bringt.90 Es scheint, als habe der phänomenologische Diskurs einen wei­ ten Weg von den Latschen Untersuchungen II bis hierher zurückge­ legt, und in der Tat ist die in der vierten und fünften Meditation ausgebreitete Explikation der Selbstevidenz des Ego zu komplex, um an dieser Stelle in ihrer gesamten Breite nachvollzogen zu werden; für den vorliegenden Zusammenhang reicht es aus, auf zwei signifikante Bewegungen hinzuweisen. Zum einen trennt Husserl methodisch deutlicher als zuvor zwischen einer empiri­ schen, einer empirisch-transzendentalen und einer eidetisch­ transzendentalen Sphäre der phänomenologischen Betrachtung. Zwar bleiben die empirischen Tatsachen nach wie vor einge­ klammert, nur kann diese Reduktion jetzt kaum noch über den Umstand hinwegtäuschen, dass Husserl die Zweiheit aus Posidvität und Fundamentum in die Sphäre des Transzendentalen selbst verlegt. Während mit der »empirisch-faktischen« Transzendentalität ein Bereich abgesteckt ist, in dem ausgehend von einem kon­ kreten intentionalen Erlebnis eine transzendentale Beschreibung eben dieses Typus von Wahrnehmung versucht wird, zielt die eidetische Analyse auf die reine Möglichkeit einer beliebigen Wahrnehmung, auf das universale Wesen der Wahrnehmung überhaupt.91 Auf diese Weise wiederholt sich einmal mehr die Problematik, wie sich aus einer singulären Gewissheit ein allge­ meines (in diesem Fall sogar universelles) Wesensgesetz ableiten lässt, gleichsam in einer höheren Potenz. Husserls Lösungsformel zur Überbrückung der Sphären, die Annahme einer »eidetischen Intuition«, führt über den aus den Untersuchungen beibehaltenen Gedanken einer grundsätzlichen Eigenzeitlichkeit des Bewusst­ seins zu der Einsicht: »Das Ego konstituiert sich für sich selbst sozusagen in der Einheit einer >GeschichteAufldärung< (i.O.dt.) notwendig. Also kein Irrationalismus, vor allem kein methodischer.« (Derrida im Gespräch mit Florian Rotzer, in: Rötzer, Florian (Hg.): Französische Philosophen im Gespräch. München 1986, S. 67-87; hier S. 70). »Die Frage >Was ist Aufklärung< ist ein Problem, dessen wir uns in Frankreich endlich anzunehmen haben. Man kann sich seiner auf unterschiedli­ chen Wegen annehmen. Deswegen ist der Weg, den ich einschlagen will, keines­ wegs von Polemik oder Kritik bestimmt (...).« (Foucault, Michel: Was ist Kritik? Übers, v. Walter Seitter. Berlin 1992, S. 25)

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Zeichen der Frage, ob und wie es möglich sein kann, auf und vielleicht sogar jenseits der aufgezeigten Grenze zu denken. Der Kernbestand der Epoche der Aufklärung liegt dabei für Foucault in ihrer neuen Aufmerksamkeit für die eigene Gegen­ wart, und zwar im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwi­ schen den tradierten Rationalitätskriterien und den fundamenta­ len Möglichkeiten des erkennenden Subjekts.208 Die Ordnung der Dinge nimmt diesen Faden auf, indem sie sich den erkenntnisthe­ oretischen Voraussetzungen des modernen Wissens zuwendet und zeigt, welche Funktion darin »der Mensch« erfüllt. Ihren kritischen Impetus zieht sie aus den immanenten Aporien der freigelegten diskursiven Konstellation, und auch die Richtung, in der sich das »Sein des Menschen« überwinden lässt, findet Fou­ cault an den Rändern des modernen Diskurses selbst vorgezeich­ net: In jenen Zweigen der Humanwissenschaften, die ohne eine anthropologische Fundierung auskommen, sowie im Sprachver­ ständnis der zeitgenössischen Literatur. Eigentümlicherweise aber verfolgt Foucault den mühsam aufgedeckten Gegendiskurs in seinen späteren Arbeiten nach der Archäologie des Wissens nicht weiter, obwohl es nahe gelegen hätte, ihn zum Beispiel ähnlich wie Derrida zu einer eigenständigen Form der Kritik auszubau­ en.209 Lassen sich für diese Entscheidung inhaltliche Gründe anführen, die nicht den historischen Lebensumständen oder den sich wandelnden Vorlieben der Person Foucaults geschuldet sind? In seinem 1978 gehaltenen Vortrag Was ist Kritik? g b t Foucault einen Hinweis, weshalb das Verfahren einer Archäologie des Wissens dem kritischen Anspruch einer Aufklärung nur bedingt gerecht wird. Die methodische Zielsetzung der Archäologie, lediglich die positiven Existenzbedingungen von historischen Aussageformationen beschreiben zu wollen, schränkt zugleich ihre Fähigkeit zur Kritik ein, weil sie nur die internen Widersprü­ che der untersuchten Formation sehen kann. Daraus ergibt sich eine gewisse Blindheit gegenüber anderen, alternativen Denkfor­ men, die von den analysierten Diskursen ausgeschlossen werden:

2,,HVgl. ebd., S. 26f. 2W So schließt etwa die Dekonstruktion genau in der von Foucault vorgeschlage­ nen Weise sowohl an die strukturalistischen Spielarten der Linguistik und der Ethnologie als auch die neuere Literatur an.

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Um zu erfassen, was sie (die positiven Formationen; DQ) akzepta­ bel gemacht hat, muß man hervortreten lassen, daß das gerade nicht selbstverständlich war, daß es durch kein Apriori vorge­ schrieben war, daß es in keiner altehrwürdigen Tradition festge­ schrieben war. Die Akzeptabilitätsbedingungen eines Systems her­ ausarbeiten und die Bruchlinien seines Auftauchens verfolgen - das sind die beiden korrelativen Operationen.210

Ein archäologisch-deskriptives Verfahren, wie es in Die Ordnung der Dinge praktiziert und in der Archäologie des Wissens begründet wird, bleibt indes bei einer Darlegung der epochalen Bruchlinien stehen und fragt nicht nach den Voraussetzungen, die es gerade dieser Erkenntnisordnung erlaubt haben, sich durchzusetzen. Erweitertet man die Perspektive auf die jeweiligen Akzeptanzbe­ dingungen, dann öffnet sich eine neue Möglichkeit der Kritik, die nach den machtvollen Ausschlussmechanismen fragt, mit denen sich eine historische Wissensform als die einzig wahre etablieren konnte. Es bedarf deshalb keines ausgearbeiteten Gegendiskur­ ses, um den philosophischen Diskurs der Moderne wirkungsvoll zu kritisieren. Vielmehr müssen die Machtfunktionen aufgedeckt werden, die er im Zusammenspiel mit verschiedenen gesellschaft­ lichen Institutionen entfaltet und die ihn als Teilaspekt eines größeren Macht-Wissens-Komplexes kennzeichnen. Denn entge­ gen ihrer eigenen Auffassung, so Foucault in seiner Antrittsvorle­ sung am Collège de France, war die Suche nach Wahrheit nie ein selbstloses und neutrales Unterfangen, sondern stets von einem ausschließenden und machtvollen »Willen zum Wissen« gelei­ tet.211 Eine Kritik im Geist der Aufklärung meint folglich nicht nur eine Bestimmung der inneren Grenzen des Wissens, sie muss darüber hinaus emanzipatorischen Charakter haben und die Au­ torität der tradierten Erkenntnisweisen anzweifeln. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb sich Foucault ab den 1970er Jahren verstärkt mit gesellschaftspolitischen Verhältnissen auseinander setzt und das Projekt einer Erkenntnistheorie im Sinne eines »Seins der Sprache« aufgibt. Gleichwohl verabschie­ det Foucault damit das archäologische Verfahren keineswegs vollständig. Er wird ihm jedoch eine »Genealogie« zur Seite stel­ len, die es erlauben soll, zusammen mit den konstitutiven Macht-

21" Foucault: Was ist Kritik?, a.a.O., S. 34f. 211 Vgl. Foucault: Ordnung der Diskurse, a.a.O., S. 13ff.

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beziehungen eines wissenschaftlichen Diskurses auch seine zum Schweigen verurteilte Kehrseite in den Blick zu bekommen. Aber das ist in der Tat eine andere Geschichte.

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ISSN-10: 3*938880-04-X ISBN-13: 978-3-938880-04-3

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