Das Seiende und das göttliche Denken: Hegels Auseinandersetzung mit der antiken Ersten Philosophie

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Das Seiende und das göttliche Denken: Hegels Auseinandersetzung mit der antiken Ersten Philosophie

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EINLEITUNG
1. ERSTE PHILOSOPHIE ALS UNIVERSALISTISCHE ONTOLOGIE (KLASSISCHE ANTIKE UND HEGEL)
a. Platons Ontologie im „Sophistes“
b. Hegels Aufnahme und Umdeutung von Platons Ontologie
c. Aristoteles' Erste Philosophie als universalistische Ontologie
d. Hegels Deutung von Aristoteles' universalistischer Ontologie
2. ERSTE PHILOSOPHIE ALS PHILOSOPHISCHE THEOLOGIE (ARISTOTELES UND HEGEL)
a. Aristoteles' Lehre vom paradigmatischen Seienden, dem sich selbst denkenden Gott
b. Hegels subjektivitätstheoretische Deutung von Aristoteles' Gott
3. DAS VERHÄLTNIS VON UNIVERSALISTISCHER ONTOLOGIE UND PHILOSOPHISCHER THEOLOGIE (HEGELS LOGIK)
a. Einführung in Hegels Logik
b. Hegels „objektive“ Logik als universalistische Ontologie
c. Der sich selbst denkende Gott in Hegels paradigmatischer Ontologie
d. Zu Metaphysik und Religion
SCHLUSS
Veröffentlichungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften

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Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste Geisteswissenschaften

Vorträge· G 423

Herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste

KLAUS DÜSING Das Seiende und das göttliche Denken Hegels Auseinandersetzung mit der antiken Ersten Philosophie

Ferdinand Schöningh Paderborn . München' Wien' Zürich

511. Sitzung vom 15. Juli 2009 in Düsseldorf

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier 8 ISO 9706. © 2009 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 978-3-506-76903-9

Inhalt EINLEITUNG . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . • • .

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ERSTE PHILOSOPHIE ALS UNIVERSALISTISCHE ONTOLOGIE ........•..............•..•..

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Platons Ontologie im "Sophistes" .......................... Hegels Aufnahme und Umdeutung von Platons Ontologie ..... Aristoteles' Erste Philosophie als universalistische Ontologie Hegels Deutung von Aristoteles' universalistischer Ontologie ...

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(KLASSISCHE ANTIKE UND HEGEL)

a. b. c. d.

2.

ERSTE PHILOSOPHIE ALS PHILOSOPHISCHE THEOLOGIE .........••••.......•.•••..........

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a. Aristoteles' Lehre vom paradigmatischen Seienden, dem sich selbst denkenden Gott ......................................... b. Hegels subjektivitätstheoretische Deutung von Aristoteles' Gott

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(ARISTOTELES UND HEGEL)

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DAS VERHÄLTNIS VON UNIVERSALISTISCHER ONTOLOGIE UND PHILOSOPHISCHER THEOLOGIE (HEGELS LOGIK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a. Einführung in Hegels Logik ............................... b. Hegels "objektive" Logik als universalistische Ontologie ....... c. Der sich selbst denkende Gott in Hegels paradigmatischer Ontologie .............................................. d. Zu Metaphysik und Religion ...............................

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SCHLUSS . . • . • • • • . . . . . . . . . . . • . • • . . . . . . . . • • . . . . . . . . . . . . . • • • . . . .

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Einleitung Das Seiende als solches wird systematisch in einer Ontologie untersucht; das göttliche Denken ist systematisch Inhalt einer philosophischen Theologie. Beide grundlegenden philosophischen Disziplinen haben in heutigen, vorwiegend von der analytischen Philosophie beherrschten Diskussionen einen schweren Stand. Zwar beginnt sich zur Zeit, freilich ohne begründeten Rekurs auf klassische Theorien, ein neues Interesse an einer Ontologie zu regen; aber diese sollte dann nicht von vornherein und ohne spezifische Argumente empiristisch eingeengt werden und nur Wahrnehmungsdinge als eigentlich existente reale Dinge betrachten. Vielmehr gilt es in der Ontologie, gemäß Aristoteles' prägender Kennzeichnung, allgemein das Seiende als solches in seinen ihm zukommenden Bestimmungen darzulegen. Und bei der reduktionistischen These, dass eine Ontologie nur einem Sprachdezionismus unterliege, gelangt der eigentliche Sachverhalt, um den es in ihr geht, gar nicht erst ins Blickfeld. In dieser Lage stellt sich somit die Aufgabe, unter Heranziehung paradigmatischer klassischer Theorien - in Auswahl-, allererst einen Sinn der Rede vom Seienden als solchen wieder zu gewinnen. Das Gleiche trifft auf die Erörterung des göttlichen, denkenden Seienden in einer philosophischen Theologie zu. Wenn man gegenwärtig die Tendenz einer Wende zur Religion konstatiert und wenn Metaphysik insbesondere als philosophische Theologie dafür die vernünftige, begriffliche Grundlage liefern kann, dann sollte jene Wende auch eine Wende zur Metaphysik implizieren. In heutigen philosophischen, vor allem analytischen, metaphysikfeindlichen Debatten aber gilt das Sich-Befassen mit einem philosophischen Gottesbegriff vielfach immer noch als fremdartig. Eine fundierte Kritik an einem Gottesbegriff liegt dabei in der Regel nicht zugrunde. So muss auch hier der vernünftige, philosophische Sinn der Rede von Gott und von göttlichem Denken angesichts der neuesten Philosophie weitgehend erst wieder gewonnen werden. Bei Aristoteles wird nun einerseits die Lehre vom Seienden als solchen in seinen ihm zukommenden Bestimmungen, andererseits die philosophische Theologie als Erste Philosophie charakterisiert. Diese problemreiche Ambivalenz hinsichtlich des grundlegenden Seienden, das auch Erstes in der Erkenntnis sein soll, bleibt in seiner Philosophie bestehen und liegt zahlreichen späteren Auflösungsversuchen zugrunde. Es ist der Sache nach auch ein zentrales Problem für die letzte herausragende Ontologie und philosophische Theologie der späteren Neuzeit, nämlich bei Hegel. In seiner Lösung dieses

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Klaus Düsing

Problems liegt hoch bedeutsames, einsichts reiches und differenziertes Orientierungspotential für eine neue Vergegenwärtigung von Grundfragen der Ontologie und der philosophischen Theologie. So sei nun in einem ersten Teil die Erste Philosophie als universalistische Ontologie bei Platon, bei Aristoteles und in Hegels Auseinandersetzung mit deren Lehren sowie in seiner eigenen Weiterführung erörtert. Der zweite Teil gilt der Ersten Philosophie als philosophischer Theologie besonders bei Aristoteles und Hegel. Der dritte Teil befasst sich mit dem spezifischen Verhältnis von Ontologie und Theologie bei Aristoteles, im Platonismus und in Hegels paradigmatischer Ontologie und d.h. mit der Frage, ob Gott philosophisch nur mit reinen ontologischen Bestimmungen zureichend zu erfassen ist oder ob auch darüber hinausgehende Bestimmungen erforderlich sind.

1. Erste Philosophie als universalistische Ontologie (Klassische Antike und Hegel) Hegels Ontologie und philosophische Theologie gelangt in seiner Spätzeit insbesondere durch die Auseinandersetzung mit Platons dialektischer Ontologie und mit Aristoteles' Substanzontologie und dessen philosophischer Theologie zu ihrer endgültigen Gestalt; Hegel transformiert dabei jene klassischen griechischen Lehren jedoch erheblich und integriert solche Transformationen in seine eigene Theorie.

a. Platons Ontologie im "Sophistes" Aristoteles' Begriff der Ersten Philosophie als Wissenschaft des Seienden als solchen und der ihm eigenen Bestimmungen1, die dann seit Beginn des 17. Jahrhunderts "Ontologie" heißt, wird nicht erst von ihm, sondern schon von Platon, vornehmlich im Dialog "Sophistes" realisiert. Eine solche Lehre vom reinen Seienden bringen nicht schon die Vorsokratiker, auch nicht Parmenides zustande, wie Platon kritisiert. Auch Parmenides vermischt noch ontologische und kosmologische Bestimmungen, wenn er das Eine Seiende zugleich als räumlich anwesendes Ganzes, d.h. offenbar als Kosmos fasst. Der Philosoph aber muss nach Platon, aller Kosmologie und auch aller Ethik vorausgehend, die reine "Idee des Seienden" selbst und der mit ihm im Logos zu verbindenden Bestimmungen für sich entwickeln.2 Das reine Seiende und die mit ihm in "Gemeinschaft" tretenden Bestimmungen aber sind allein vernünftig erkennbar, nämlich in einer grundlegenden oder ersten Wissenschaft. In dieser ent-

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AristoteIes: »Metaphysica". Recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. Jaeger. 3. Aufl. Oxford 1963. Buch IV. 1003a 21 f (Paginierung nach der Aristoteles-Ausgabe von J. Bekker. Berlin 1831), s. Aristoteles: »Metaphysik". Übers. von H. Bonitz. Hrsg. von H. Carvallo und E. Grassi. München 1966 (mit gleicher Bekker-Paginierung). »Platonis Opera". Recognovit brevique adnotatione critica instruxit 1. Burnet. Bd 1. Oxford 1900.254 a 8 f (nach der Paginierung der Stephanus-Ausgabe von 1578). Zu Platons ParmenidesKritik im DSophistes" vgl. vor allem 237 a 3 ff, 244 b 6 - 245 e 5. Zur folgenden Skizze der Explikation von obersten Gattungen vgl. 254 b 7 - 259 d 7; vgl. hierzu beispielsweise EM. Cornford: »Plato's Theory of Knowledge. The ,Theaetetus' and the ,Sophist' of Plato, translated with a running commentary" (1935). Wiederabdruck: London 1973. 273-300, J.A. Ackrill: »Plato and the Copula. ,Sophist' 251-259". In: Journal of Hellenic Studies 77 (1957),1-6, auch H. Meinhardt: Seilhabe bei Platon". Freiburg und München 1968. Bes. 37-87.

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wickelt Platon im "Sophistes" ohne Anspruch auf Vollständigkeit fünf oberste Gattungen als von der Vernunft erfasste Ideen. 3 Sie sind als oberste nicht in höheren begründet, also nicht definierbar unter Zuhilfenahme eines "genus proximum", sondern werden von einem einfachen "Ideenblick" jeweils aufgefasst und im Logos untereinander verbunden, ohne den sie nicht aussagbar und im Kontext begreifbar wären. So lässt sich Seiendes nur im Zusammenhang mit den anderen obersten Gattungen begreifen, nämlich als in Bewegung oder Ruhe befindlich und als Identisches mit sich bzw. als Verschiedenes. Die Methode der Verbindung bzw. Trennung dieser obersten Gattungen ist nun nach Platon die Dialektik. PI at on konzipiert somit, was für Hegel besonders attraktiv wird, den Ontologietypus einer dialektischen Ontologie. Dabei setzt Platon freilich die obersten Gattungen in eine solche Beziehung, dass sie zunächst einen Widerspruch auszumachen scheinen, wie besonders an der Bewegung gezeigt wird, die für Parmenides, den sog. "Stillsteller" des Seins, und seinen Schüler Zenon ein Problem darstellt. Die Bewegung ist nicht Ruhe; aber sie ist Seiendes und ist nicht Seiendes; sie ist mit sich Identisches und ist nicht mit sich Identisches; sie ist Verschiedenes und ist nicht Verschiedenes. Diese zuletzt genannten Widersprüche in der methodischen, nämlich dialektischen Verknüpfung der obersten Gattungen untereinander löst Platon durch Hinsichtenunterscheidung mittels seiner Lehre von der Teilhabe (Methexis) auf. Die Negationen in den entgegengesetzten Aussagen bedeuten, dass keine Begriffsinklusion oder gar Begriffsidentität besteht, dass also in der Bedeutung der Gattung der Bewegung nicht die begrifflichen Bedeutungen des Seienden, des mit sich Identischen oder des Verschiedenen enthalten sind; denn sie sind andere, selbständige Gattungen. Die positiven Aussagen dagegen bedeuten, dass die je selbständigen Gattungen gleichwohl untereinander verbindbar sind, nämlich durch Teilhabe (Methexis). So hat ,Bewegung ist' den genaueren Sinn: ,Bewegung hat teil am Seienden'; ,Bewegung ist mit sich Identisches' meint: ,Bewegung hat teil am mit sich Identischen' und ,Bewegung ist Verschiedenes' bedeutet: ,Bewegung hat teil am Verschiedenen'. Teilhabe (Methexis) hat hier nicht den Sinn, dass Sinnendinge in ihrem So-sein an Ideen partizipieren, son-

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Der "Sophistes" ist der erste Dialog in einer Trilogie; es folgt der "Politikos" ; daran sollte sich der "Philosophos" anschließen, der vermutlich die Ontologie-Skizze des "Sophistes" ausführen sollte; er ist nicht erhalten und offenbar - angesichts der sonstigen guten Überlieferungslage der Platonischen Dialoge - nicht verloren, sondern nicht zustande gekommen. - Der Rätseldialog: "Parmenides" dürfte der "Philosophos" nicht sein, wie vermutet wurde, erstens wegen der dortigen Gesprächsteilnehmer, die in der genannten Trilogie nicht vorgesehen sind, und zweitens wegen der dann erforderlichen positiv-metaphysischen Deutung, die sich aus dem aporetischen Charakter des zweiten Teils des "Parmenides" trotz vieler späterer geistreicher Beweisversuche schwerlich entnehmen lässt.

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dern dass Ideen, ja sogar die höchsten, nämlich allgemeinsten Ideen oder Gattungen aneinander teilhaben, so dass eine von der anderen aussagbar ist, obwohl sie begrifflich je selbständig und unabhängig voneinander sind. Damit werden die scheinbaren Bewegungswidersprüche, die an Zenonische Paradoxien erinnern, konsistent aufgelöst. Gleichartiges lässt sich zeigen, wenn eine andere oberste Gattung zum Subjekt solcher Aussagen gemacht wird. Platon beachtet also, ja formuliert im "Sophistes" selbst das Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs 4 in seiner Dialektik der obersten ontologischen Gattungen. Dies wird sich bei Hegel ganz anders darstellen. Diese Platonische Ontologie, deren Entwurf der "Sophistes" enthält, kann ferner als Erfüllung des Ontologietypus einer universalistischen Ontologie angesehen werden. Das Seiende als solches wird in Verbindung mit den anderen obersten Gattungen durch den Logos gedacht und als grundlegend gültig erkannt, unabhängig von möglichen inhaltlichen Bestimmungen, also ob es unbelebt, belebt, beseelt oder etwa geistig ist; für die reine Bedeutung des Seienden selbst kommt es somit, systematisch gesehen, wenn man dies folgern darf, auf dessen mögliche Inhalts-, Realitäts- oder gar Vollkommenheitsgehalte nicht an. Deshalb geht diese grundlegende Wissenschaft des Seienden der Kosmologie, der Ethik oder der Psychologie voraus.

b. Hegels Aufnahme und Umdeutung von Platons Ontologie Dieser Grundtypus von Ontologie, wie ihn zuerst Platon vertrat, ist für Hegel zentral. Hegel berücksichtigt ihn ansatzweise in seiner eigenen Theorie zwar schon in seinen Jenaer Logik-Entwürfen (1801-1805/06), während er den Platonischen "Sophistes" erst spät, nämlich in den Berliner Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" (in den zwanziger Jahren) und danach erst in der zweiten Auflage der "Wissenschaft der Logik" (1831/32) aufnimmt und in seine eigene Konzeption integriert. In jenen Berliner Vorlesungen hebt Hegel allgemein den ontologischen Gehalt und die dialektische Entwicklung der obersten Gattungen hervor. Platon lehre im "Sophistes" die "Identität des Seins und Nichtseins"; und diese repräsentiere die "höchste Form" Platonischer Dialektik. 5 Die These solcher Identität und die Applikation auf die Dialektik enthält bereits Hegels spekulative Umdeutung. Diese ist ebenso impliziert in Hegels Auffassung, die er in Platons Text hineinliest, dass Platon lehre, das Selbe, mit sich Identische, sei das Andere oder Verschiedene und umgekehrt, 4

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Vgl. "Sophistes" (s. Anm. 2). 263 d 1-4. G.W.F. Hege!: "Werke in zwanzig Bänden". Theorie-Werk-Ausgabe. Hrsg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel. Frankfurt a.M. 1969 H. Bd 19. 74.

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und zwar "in einer und derselben Rücksicht"6. Hegel begeht damit von seiner eigenen Dialektik-Auffassung her den Widerspruch, den Platon in seiner Dialektik der obersten Gattungen gerade vermeidet. Die so von ihm interpretierte Dialektik betrachtet er im Grunde als die positive und entscheidende ontologische Ergänzung der für ihn - trotz aller rühmenden Hervorhebung - letztlich nur negativ bleibenden Dialektik im Platonischen "Parmenides". Daher integriert er in der zweiten Auflage der "Wissenschaft der Logik" in seine Seinslogik de facta drei der obersten Gattungen Platans in seine eigene dialektische Entwicklung. Hegel nimmt bei der reinen Gedankenbestimmung bzw. Kategorie 7 des Etwas überhaupt oder des Daseienden offensichtlich das Platonische reine Seiende (on) des "Sophistes" auf; es ist für ihn freilich nicht oberste Gattung, sondern geht aus vorausgeschickten Bestimmungen frei schwebender, noch nicht auf ein Etwas bezogener Seinsweisen wie Sein, Nichtsein, Werden usf. und deren Kombination erst hervor. Dieses Etwas überhaupt oder Daseiende muss nun als bestimmte, von anderen unterschiedene Kategorie, d.h. als bestimmtes, mit sich identisches Etwas gedacht werden. Dies entspricht dem Identischen mit sich (tauton) in Platons "Sophistes". Als bestimmtes ist es endlich; ihm ist eine andere endliche Bestimmung entgegengesetzt. Dem bestimmten Etwas steht, so kann man Hegels Argumentation ergänzen, damit zunächst kontradiktorisch das Nicht-Etwas entgegen. Dasjenige Nicht-Etwas aber, das selbst Daseiendcs ist, erweist sich als: das Andere. So entsteht durchaus geregelt, was seit Trendelenburgs Kritik 8 des öfteren bezweifelt wurde, das inhaltlich bestimmte konträre Gegenteil. In das logisch entgegengesetzte Nicht-Etwas geht der Inhalt der vorausgehenden Kategorie, d.h. das Daseiende, ein und verwandelt damit das kontradiktorische in das konträre Gegenteil: das Nicht-Etwas in das Andere. Hegel verwendet diese logischen Charakterisierungen nicht, äußert sich auch nicht theoretisch über dieses sein Verfahren, sondern übt es nur aus.

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G.W.F. Hege!: "Werke in zwanzig Bänden" (s. vorige Anm.). Bd 19. 72; zu Hege!s Umdeutungen des "Sophistes" , auch des Platonischen "Parmenides" sei der Hinweis gestattet auf die Darlegung des Verf.s: "Ontologie und Dialektik bei Plato und Hege!". In: Hege!-Studien 15 (1980), 95-150, zum "Sophistes" vgl. 110-123, zu Hege!s Deutung des "Sophistes" 135-150, zu jener umdeutenden "Übersetzung" der o.g. Platon-Stelle 138 ff; vgl. auch vom Verf.: "Hege I e l'antichiü classica". A cura e con una postfazione di S. Giamusso. Neape!2001. Bes. 33-52 (mit weiteren Literaturangaben). Hege! nennt die reinen ontologischen Gedankenbestimmungen seiner "Logik" - wie AristoteIes - auch Kategorien, ohne dass für ihn deren Stellung im Urteil oder der Aussage von Bedeutung ist (vgl. G.W.E Hege!: "Gesammelte Werke" (im Folgenden: GW). Bd 11. Hrsg. von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1978. 259). Vgl. A. Trendelenburg: "Logische Untersuchungen". 3. Auf!. Leipzig 1870. Bd 1. 43 H.

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Bestimmtes Etwas und Anderes machen nun die Entgegensetzung endlicher, weil entgegengesetzter Bestimmungen aus. Sie stellen damit den Widerspruch des Daseienden als der Ausgangsbestimmung dar. Aus solchem Widerspruch folgert Hegel nun ein viel umstrittenes positives, spekulatives Resultat. Das bestimmte Etwas und das Andere sind beide als entgegengesetzte: Andere füreinander. Es bleibt kein einfaches Etwas bestehen. Daraus aber ergibt sich für Hegel der reine Gedanke des Anderen an sich selbst oder des Anderen seiner selbst als des in sich sein Gegenteil tragenden Anderen. Hegel bezieht sich hierbei ausdrücklich auf "to heteron des Plato"9, also auf die Gattung des Verschiedenen. Während für Platon freilich das Verschiedene im "Sophistes" immer nur in Beziehung auf ein von ihm unterschiedenes Anderes gilt, ist es für Hegel als spekulatives Resultat des Widerspruchs ein Verschiedenes bzw. Anderes an oder in sich selbst. In dieser in sich widersprüchlichen Gedankenbestimmung des Anderen an sich selbst ist bereits Unendlichkeit latent gegenwärtig; denn Unendlichkeit ist für Hegel in ihrer wahren Bedeutung nicht endloser Progress oder Regress endlicher Bestimmungen, sondern wesentlich der Widerspruch des Endlichen, wodurch dieses jeweils in seinem Geltungsanspruch annihiliert wird. Diese in Hegels Logik dargelegte kategoriale Entwicklung des in sich einfachen Seienden, die drei von Platons obersten Gattungen aufnimmt und verändert, dokumentiert in diesem Bereich spezifisch Hegelsche Dialektik. Sie ist die gedankliche Bewegung, die eine geregelte Bedeutungsveränderung der thematisierten Kategorien herbeiführt, was bei Platon nicht geschieht, und die den Widerspruch, wie gezeigt, begeht, den Platon durch die Methexis-Lehre gerade vermeidet. Aber wie PI at on entfaltet Hegel, mit den genannten Abänderungen, eine dialektische Ontologie. - Diese Ontologie, sofern sie in sich einfache Seinsbestimmungen, wie die soeben explizierten, und in sich relationale Wesensbestimmungen wie Ganzes - Teile, Inneres - Äußeres, Substanz - Akzidens usf. enthält, kann zugleich, für sich betrachtet, ebenso wie die Platonische im "Sophistes" als universalistische Ontologie angesehen werden. Ihre reinen, in sich einfachen oder relationalen ontologischen Bestimmungen haben Bedeutung und Gültigkeit, unangesehen spezifischer inhaltlich-konkreter Erfüllungen. Sie bedeuten auseinander dialektisch entwickelte, in ihrem Sinn stufenartig komplexer werdende allgemeine Bestimmungen des reinen Seienden als solchen. Diese Auffassung vom reinen Seienden als solchen in einer universalistischen Ontologie erfährt bei Hegel allerdings noch Modifikationen angesichts der Vollendung seiner "Logik" im Begriff des göttlichen Denkens als unendlicher Subjektivität. 9

GW 21. Hrsg. von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1985. 106.

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c. Aristoteles' Erste Philosophie als universalistische Ontologie Dieses Problem des Verhältnisses zwischen der grundlegenden Bestimmung des reinen Seienden und der Konzeption des göttlichen Denkens als Fundament allen Wissens konnte Hegel schon bei Aristoteles finden. Aristoteles legt in einer seiner prinzipiellen Charakterisierungen der grundlegenden und damit Ersten Philosophie, die allen anderen Wissenschaften zugrunde liegt, maßgeblich dar, dass es eine Wissenschaft gibt, "die das Seiende als Seiendes und das ihm von sich her Zukommende betrachtet" .10 Damit sind die reinen Bestimmungen gemeint, in denen das Seiende als solches gedacht und erkannt wird, die Kategorien und - wie Aristoteles nur an wenigen Stellen andeutet - die in ihrer Allgemeinheit noch über die Kategorien hinausgehenden, später so genannten Transzendentalien wie das Eine, das Seiende oder das Gute, über die dann im Mittelalter weiterführende Theorien entwickelt wurden, die Hegel aber nicht kannte. Diese Aristotelische Wissenschaft des Seienden als solchen kann wie Platons Ontologie im "Sophistes" als universalistische Ontologie qualifiziert werden. Sie fällt in der Durchführung jedoch deutlich anders aus. Die Methode der Explikation dieser allgemeinen Seinsbestimmungen ist nicht dialektisch, sondern urteilslogisch. Die erste Kategorie, die Ousia (Substantia), und zwar die erste Ousia, die dieses wesentlich bestimmte Einzelwesen als das zugrunde liegende Seiende bedeutet, z.B. dieser Mensch Sokrates, ist nach Aristoteles' "Kategorien" -Schrift Subjekt in einem Urteil; die anderen Kategorien der Quantität, Qualität, Relation usf. sind Prädikate in Urteilen über das Seiende. So werden die Kategorien ansatzweise anhand der Struktur des Urteils oder der Aussage entwickelt. Kant hat diesen Ansatz systematisch differenziert und die Kategorien als reines grundlegendes Gedankengebäude im Ausgang von den verschiedenen logischen Urteilsfunktionen konzipiert. - Mit dieser Bestimmung der Ersten Philosophie begründet Aristoteles zugleich eine Ontologie der Ousia oder eine Substanzontologie. In der "Kategorien" -Schrift unterscheidet er - in partieller Kritik an Platons Ideenlehre - erste und zweite Ousia. Das Eidos, das wesentliche Was sein, das in der Platonischen Idee das eigentliche Seiende bedeutet, ist dort für Aristoteles nur zweite Ousia; es hat ontologisch-reale Bedeutung, aber lediglich nachgeordnete, da es allein in den selbständig existierenden Einzelwesen als den ersten Ousiai existent ist, wie die Beispiele: dieser Mensch, dieses Pferd zeigen. Das eigentliche Seiende ist also nach Aristoteles - gegen Platons Auffassung - nichts Allgemeines wie die Idee, sondern das individuell Existierende, in dem dessen Eidos oder wesentliche 10

AristoteIes: "Metaphysik" (s. Anm. 1). 1003 a 21 f.

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Idee anwesend ist. Diese ontologische Argumentation heftet sich an eine urteilslogische: die allgemeinen Eide oder Ideen müssen als Prädikate in einem Urteil letztlich immer ein Subjekt als Einzelnes voraussetzen, von dem sie gelten. In der "Metaphysik" vertritt Aristoteles demgegenüber eine spätere, andere Ousia-Lehre. ll Danach ist erste Ousia das Eidos. Damit kehrt Aristoteles jedoch nicht zu Platon zurück. Das eigentliche Seiende bleibt für ihn vielmehr das wesentlich bestimmte Einzelwesen. Aber es ist nur dieses bestimmte Wesen in dieser seiner Gestalt, wenn das Eidos es als grundlegende Ursache formt und gestaltet. Etwas existiert z.B. nur als diese Lilie, wenn das dazu gehörige Materielle durch das Eidos: Lilie gestaltet wird; das Eidos: Lilie macht das Einzelwesen: Lilie erst zu dem, was es ist; ohne solche verursachende Gestaltung bleibt letztlich nur formlose Materie von der Modalität der bloßen Möglichkeit zurück. Dieses gestaltende Eidos hat die ontologische Bedeutung des "ti en einai", der Essentia, wie Thomas übersetzt, die aber bei Aristoteles nicht im Gegensatz zur Existenz steht, sondern die eidetisch bestimmte Existenz des Einzelwesens erst zustande bringt. Deshalb ist das Eidos als ti en einai, als die das existierende Einzelwesen formende Essenz, für Aristoteles nun erste Ousia. Dies ist die ontologische Bedeutung des Eidos als formende Verursachung dessen, was das Einzelwesen ist. Davon unterscheidet Aristoteles in dieser späteren Theorie der "Metaphysik" die definitorische Bedeutung des Eidos. In einer Definition bleibt das Eidos - wie die Platonische Idee - ein Allgemeines, und dieses kann nach Aristoteles nach wie vor nicht Ousia (Substantia) sein. So lassen sich Aristoteles' scheinbar widersprüchliche Aussagen durch Hinsichtenunterscheidung vereinbaren, nämlich dass das Eidos einerseits erste Ousia sei, dass aber kein Allgemeines, und dann auch das Eidos nicht, Ousia sein könne. Das Eidos ist in ontologischer Bedeutung als ti en einai oder als die das eidetisch bestimmte Einzelwesen konstituierende Essenz erste Ousia; es ist aber in definitorischer Bedeutung als gedachte infima species ein Allgemeines, das als solches nicht Ousia oder wesentlich existierendes Einzelwesen sein kann. Dies sind die von Aristoteles skizzierten Grundlinien seiner späteren, differenzierten Ontologie der Ousia oder Substanzontologie, die in der Geschichte der Philosophie deutlich weniger bekannt war als die einfachere, frühere Lehre der "Kategorien" -Schrift.

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Vgl. Aristoteles: "Metaphysik" (s. Anm. 1). Buch VII. Bes. 1029 b 1-1032 b 14, 1037 a 5 -1039 a 23. Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Ousia-Lehren des Aristoteles erhellend und sorgfältig D. Fonfara: "Die Ousia-Lehren des Aristoteles. Untersuchungen zur ,Kategorienschrift' und zur ,Metaphysik"'. Berlin 2003. Erlaubt mag auch der Hinweis auf die Darlegung des Verf.s sein: "Ontologie bei Aristoteles und Hegel". In: Hegel-Studien 32 (1997), 61-92.

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d. Hegels Deutung von Aristoteles' universalistischer Ontologie Hegel erkennt ansatzweise die Verschiedenheit dieser Ousia-Lehren des Aristoteles, betrachtet deren Verhältnis aber nicht entwicklungsgeschichtlich, sondern systematisch; er ordnet sie verschiedenen systematischen Gebieten zu. Die Ousia-Theorie der "Kategorien" -Schrift gehört für ihn in den Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" zur Logik; die erste Ousia der "Kategorien" -Schrift ist für ihn die Begriffsbestimmung des Einzelnen, das Eidos diejenige des Besonderen und das Genos diejenige des Allgemeinen. Aristoteles verbleibt für ihn hierbei aber im Bereich des endlichen Verstandes. Die spätere Ousia-Lehre ordnet Hegel der Metaphysik zu. Solche Metaphysik ist nach Hegel die Aristotelische Erste Philosophie. 12 Hegel hat hierbei das Verdienst, die Fehldeutung insbesondere des 18. Jahrhunderts, Aristoteles sei ein - obzwar inkonsequenter - Empirist, entkräftet zu haben. In der Metaphysik vertritt Aristoteles für Hegel gegen Platons Konzeption der Allgemeinheit der Idee das ontologische "Prinzip der Individuation"13, d.h. genauer: das eigentliche Seiende ist Ousia als das durch sein Eidos bestimmte Einzelwesen. Das Eidos wird von Hegel dabei als Tätiges gedacht, als Lebendiges, und wie Hegel, Aristoteles' Lehre in seine eigene Theorie transformierend, erklärt, als Subjektivität: Dies "Prinzip der Lebendigkeit, ... der reinen Subjektivität ist Aristoteles eigentümlich". Schon in dieser Ontologie des Eidos als Ousia des Einzelnen erblickt Hegel also Grundzüge von Subjektivität, nämlich in der konstituierenden, spontanen Tätigkeit und Lebendigkeit. Er führt infolgedessen in dieser seiner Umdeutung die Aristotelische Substanzontologie ansatzweise bereits zu einer Ontologie der Subjektivität weiter, wie dies dann in stufenartiger kategorialer Entwicklung detailliert in der "Wissenschaft der Logik" expliziert wird. Trotz Hegels rühmender Hervorhebung der "spekulativen Tiefe"14 des Aristoteles, worin er sogar PI at on übertreffe, unterscheidet er sich in den Grundtypen der Ontologie nicht unbeträchtlich von Aristoteles. Hegel vertritt, wie gezeigt, keine Substanzontologie; vielmehr ist für ihn, thesenartig gesagt, das eigentliche, grundlegende Seiende der Gedankenprozess selbst, nämlich der dialektische Fortgang durch die sich darin verwandelnden Kategorien, wie sich beispielhaft an Hegels Transformation der Platonischen obersten Gattungen 12

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Vgl. G.W.F. Hege!: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19. 152; sie ist die "prote philosophfa". G.W.F. Hegel: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19. 155; das folgende Zitat findet sich in Bd 19. 153. Zur Interpretation sei gestattet, auf die Abhandlung des Verf.s hinzuweisen: "Ontologie bei Aristote!es und Hege!" (s. vorvorige Anm.). Bes. 76-92. Hege!: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19. 133.

Das Seiende und das göttliche Denken

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erwies. Ferner konzipiert Hegel nicht wie Aristoteles oder Kant eine urteilslogische, sondern wie Platon - mit Veränderungen - eine dialektische Ontologie. In seiner Ontologie der Seins- und Wesensbestimmungen aber, wenn man sie nur für sich nimmt, folgt er jener Aristotelischen Charakterisierung der Ersten Philosophie, nach der sie die Grundbestimmungen des Seienden als solchen betrachtet, wie es schon bei Platon geschah, unangesehen möglicher inhaltlicher Erfüllungen, d.h. er folgt der universalistischen Ontologie.

2. Erste Philosophie als philosophische Theologie (Aristoteles und Hegel) a. Aristoteles' Lehre vom paradigmatischen Seienden, dem sich selbst denkenden Gott Diese Bestimmungen der Ontologie, insbesondere des Grundtypus der universalistischen Ontologie gelangen jedoch bei Aristoteles problemreich, bei Hegel in spekulativer Problemlösung in einen die Ontologie-Konzeption umprägenden Gesamthorizont, wenn sie im Lichte einer philosophischen Theologie betrachtet werden. Die andere Grundbestimmung der Ersten Philosophie bei Aristoteles - neben derjenigen als universalistische Ontologie - besagt, sie sei philosophische Theologie. Doch auch diese soll die ontologische Charakterisierung des Seienden als Seienden leisten, offenbar nun jedoch von einer vorzüglichen ewigen, unbewegten Ousia aus 15, so dass man diese Art der Ersten Philosophie als paradigmatische Ontologie bestimmen kann. Die Ausführung dieser philosophischen Theologie findet man in dem viel interpretierten Buch XII der »Metaphysik". Aristoteles geht dort aus von dem ontologischen Zentralterminus der Ousia, legt also seine universalistische Ontologie als Substanzontologie zugrunde. Die Ousia aber differenziert er nun inhaltlich in drei Arten von Ousiai (Substanzen) in aufsteigenden Vollkommenheitsgraden; dies sind:1. die Art der sinnlich wahrnehmbaren, bewegten, vergänglichen Substanzen wie Pflanzen und Tiere, 2. die Art der sinnlich sichtbaren, bewegten, aber immerwährenden Substanzen, nach AristoteIes: die Gestirne, und 3. die Art der unsichtbaren, unbewegten, ewigen Substanzen, für Aristoteles die göttlichen Sphärenbeweger und die Eine beherrschende göttliche Substanz. In einer resümierenden kosmologischen Argumentation, die offenbar wesentlich Hinführungscharakter hat und für Hegel kaum von Bedeutung ist, gelangt Aristoteles von den zeitlich bewegten, sinnlichen, vergänglichen Substanzen, die als unvollkommene, stoffliche mit Möglichkeit behaftet 15

Vgl. AristoteIes: "Metaphysik". Buch VI. 1026 a 10-32. Vgl. dazu beispielsweise D. Ross: "Aristotle" (1923). Nachdruck: London 1977.154 ff; G. Patzig: " Theologie und Ontologie in der ,Metaphysik' des AristoteIes". In: Kant-Studien 52 (1960/61), 185-205;J.-H. Königshausen: "Ursprung und Thema von Erster Wissenschaft. Die aristotelische Entwicklung des Problems". Amsterdam, Atlanta 1989. Bes. 200 ff, 265 ff, 288 ff; D. Fonfara: "Aristoteles' Erste Philosophie: universalistische oder paradigmatische Ontologie?" In: "Aufklärungen". Hrsg. von K. Engelhard. Berlin 2002. 15-37.

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sind, über die ebenfalls bewegten, auch noch unvollkommenen immerwährenden Substanzen zu den ewigen, unbewegten, göttlichen Substanzen und vor allem zu dem beherrschenden Gott, der nicht mehr mit Möglichkeit und Unvollkommenheit behaftet ist, zu dem teleologisch alles Unvollkommene in seiner Bewegung hinstrebt, das er - selbst unbewegt - bewegt wie ein "Geliebtes" und "Erstrebtes"16, wie Aristoteles plastisch sagt. Da Möglichkeit die Modalbestimmung des Stofflichen ist, diesem ersten Beweger aber nur Vollkommenheit und reine Wirklichkeit zukommt, kann er nur stoffloser reiner Nous, reine göttliche Vernunft sein. Aristoteles vergleicht ihn mehrfach mit Anaxagoras' Nous, der geordneten Kosmos verursacht; auch aus diesem Bezug geht hervor, dass Aristoteles ebenso wie Anaxagoras einen herausragenden, beherrschenden und ordnenden göttlichen Nous konzipiert. Während Anaxagoras den göttlichen Nous teilweise noch wie ein Element als ,Feinstes' und ,Leichtestes' bestimmt, hebt Aristoteles wie schon Platon die reine Geistigkeit des Nous hervor. Da er das Vollkommenste ist, kann er auch nur das Vollkommenste denken, und zwar ohne ggf. pejorisierende Veränderung; dies Vollkommenste aber ist er selbst. Hier ist Aristoteles' Argumentationsordnung, die Hegel später umkehren wird, von besonderer Bedeutung. Es sind die Denkinhalte als das Vortrefflichste, die das göttliche Denken aufnimmt und denkt, und damit ist dieses Denken selbst das Vortrefflichste. Denn für Aristoteles ist auch das göttliche Denken ein Aufnehmen und Hinnehmen und d.h. ein intellektuelles Anschauen, das sich auf ewig vorliegende ideale Inhalte bezieht. AristoteIes geht also wegen dieses Auf- und Hinnehmens des reinen Denkens vom Vorrang des Gedachten oder der Denkinhalte aus. Der vollkommenste Denkinhalt aber ist insgesamt das reine göttliche Denken selbst, so dass es damit sich selbst denkt. Dieses göttliche Denken des Denkens (Noesis N oeseos) oder Denken seiner selbst ist nun nicht bloß formal oder gar leer; Aristoteles weist auf bestimmte Inhalte dieses selbst bezüglichen Denkens hin. Im Denken seiner selbst erfasst es eine Reihe ursprünglich positiver, grundlegender Bestimmungen17, nämlich 16

17

Aristote!es: "Metaphysik" .1072 b 3. Zu "Metaphysik" Buch XII sei in knapper Auswahl genannt: L. Elders: "Aristotle's Theology. A Commentary on Book Lambda of the ,Metaphysics'''. Assen 1972; K.-H. Volkmann-Schluck: "Die Metaphysik des Aristote!es". Frankfurt a.M. 1979. Bes. 197-207; K. Oehler: "Der Unbewegte Beweger des Aristote!es". Frankfurt a.M. 1984; D. Fonfara: "Die Ousia-Lehren des Aristote!es" (s. Anm. 11). 173-197; gestattet möge auch der Hinweis auf die Darlegungen des Verf.s sein: "Hege! e l'antichitit classica" (s. Anm. 6).78-86 und ders.: "Der Gott der Philosophen. Studien zu Aristote!es und Hege!". In: "Jenseits der Säkularisierung. Re!igionsphilosophische Studien". Hrsg. von H. Nagl-Docekal und F. Wolfram. Berlin 2008. 325-350, bes. 326-332. Vgl. Aristoteles: "Metaphysik". 1072 a 31 -1072 b 1, auch 1072 b 26 - 30 und 16. Zum folgenden Zitat aus "De anima" s. 429 a 27 f.

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einfache Ousia, wirkliche Tätigkeit, das Schöne als Vollkommenes, den Selbstzweck, das Beste, woran sich dann noch bestes, ewiges, seliges Leben des Nous anfügen. Da der Nous, wie Aristoteles schon in "De anima" in Platonischer Bestimmung nahe legt, der "Ort der Ideen" ist, müssen diese intellektuellen Bestimmungen, denen ontologische Bedeutung nicht erst durch Inkorporation in Stoffliches zukommt, sondern die als solche schon ontologische Bestimmungen des göttlichen Nous sind, in dieser ihrer ontologischen Bedeutung als äquivalent zu Platonischen Ideen aufgefasst werden. Solche Ideen aber sind als ewige auch dem göttlichen Denken vorgegeben, das in ihnen sich selbst erfasst. So zeigt sich in dieser Gedankenführung ein weiterer Grundzug von Aristoteles' Ontologie; sie ist in Bezug auf die Eide Gegebenheitsontologie. Doch bleibt die entscheidende Frage, wie diese philosophische Theorie des in solchen Ideen sich selbst denkenden göttlichen Denkens zur ersten Wissenschaft des Seienden als solchen oder zur universalistischen Ontologie steht. Einerseits ist der göttliche Nous eine, nämlich die vollkommenste Art von Ousia (Substantia) und setzt damit die Grundbestimmung von Ousia in der allgemeinen, universalistischen Ontologie voraus. Andererseits soll, wie erwähnt, aus dieser Bestimmung der göttlichen, für sich existierenden Ousia die Lehre vom Seienden als Seienden und von dessen Bestimmungen hervorgehen. Dies dürfte bedeuten, was Aristoteles nicht ausgeführt hat, dass auf der Grundlage des Ersten, vollkommensten Seienden, d.h. des göttlichen Nous, die Bestimmungen von endlichen, weniger vollkommenen Wesenheiten in absteigenden Graden der Vollkommenheit vorgenommen werden, so dass das weniger Vollkommene auch als weniger seiend gedacht wird. Dies ist die Konzeption einer paradigmatischen Ontologie, die den Sinn des Seienden als solchen nicht inhaltslos lässt, sondern mit werthaften Vollkommenheitsgraden erfüllt. Eine differenzierte Ausführung solcher paradigmatischen Ontologie findet man bei Plotin und bei späteren, auch christlichen Neuplatonikern. Für Plotin ist der Aristotelische göttliche Nous das vollkommenste Seiende, das sich im Ideenkosmos selbst denkt; es denkt sich insbesondere in grundlegenden Ideen wie den Platonischen obersten Gattungen, nämlich als Seiendes, als mit sich Identisches usf., aber auch als Wahres, als Schönes und Vollkommenes und dgl.;18 dies wird von Plotin freilich nicht streng systematisiert. Anders als Aristoteles setzt er noch über diesen in den Ideen sich selbst denkenden göttlichen 18

Vgl. hierzu bes. W. Beierwaltes: "Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen". Frankfurt a.M.2001. Bes. 16-83. Zu Hege!s Plotin-Deutung sei (in Auswahl) verwiesen auf W. Beierwaltes: "Plotin im deutschen Idealismus". In: Ders.: "Platonismus und Idealismus". Frankfurt a.M. 1972. 83-153, bes. 144 ff; J. Halfwassen: "Hege! und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung". Hege!-Studien. Beiheft 40. Bonn 1999. Bes. 321-385.

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Nous hinaus das als solches unbegreifliche, überseiende, gänzlich transzendente Eine als Erstes Prinzip an und zeichnet damit die weitere Richtung des Neuplatonismus vor. Vom göttlichen Nous aber als dem vollkommensten, begreifbaren Seienden aus werden die Stufen des weniger vollkommenen Seienden bestimmt bis hinab zur einheits- und gestaltlosen Materie. Diese Ontologie, die vom Urbild des vollkommensten Seienden ausgeht, ist daher paradigmatische Ontologie. Wie diese mit ihrem Prinzip des göttlichen Denkens freilich zur universalistischen Ontologie steht, die als Prinzip und als zuerst zu Erkennendes das reine Seiende als solches ohne spezifisch inhaltliche Bestimmungen untersucht, bleibt seit Aristoteles' Ambivalenz in dieser Frage ein zentrales Problem der nachfolgenden Philosophie bis hin zu Hegel und sogar zu Heidegger.

b. Hegels subjektivitätstheoretische Deutung von Aristoteles' Gott Hegel geht nun in seinen Vorlesungen über »Geschichte der Philosophie" bei seiner Deutung der Aristotelischen philosophischen Theologie von dessen Substanzontologie als universalistischer Ontologie aus und ordnet die göttliche Ousia (Substantia) in die Lehre von den drei Substanzarten ein. Im Fortgang der Deutung und Umdeutung von Aristoteles' Theorie des göttlichen Nous wird ihm aber zunehmend dieses vollkommenste Seiende zu einem paradigmatischen ontologischen Prinzip, ohne dass er die Spannung zwischen universalistischer und paradigmatischer Ontologie in jenen Vorlesungen über »Geschichte der Philosophie" eigens erörterte. Den Aristotelischen göttlichen N ous mit seinem reinen selbstbezüglichen Denken betrachtet Hegel dabei als Präfiguration seiner eigenen Lehre von unendlicher, göttlicher Subjektivität, die rein sich selbst denkt und erkennt. Schon die Eidos-Lehre in der »Metaphysik" hatte Hegel, wie erwähnt, subjektivitätstheoretisch umgedeutet. Nun erklärt er hinsichtlich des reinen, nur mit Denkinhalten befassten Denkens bei Aristoteles: Darin »ist wahrhafte Übereinstimmung des Objektiven und Subjektiven vorhanden; das bin Ich. Aristoteles findet sich also auf dem höchsten Standpunkt"19. Das reine Denken seiner selbst interpretiert Hegel also wohl 19

HegeI: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19. 165, vgl. 217 f. Zu Hegels AristotelesInterpretation in den Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" sei vor allem hingewiesen auf W. Kern: "Die Aristoteles-Deutung Hegels. Die Aufhebung des Aristotelischen ,Nous' in Hege!s ,Geist'". In: Philosophisches Jahrbuch 78 (1971),237-259; L. Samona: "Atto puro e pensiero di pensiero nell' interpretazione di HegeI" . In: "Hege! e Aristote!e. Atti dei Convegno di Cagliari (1994)". Hrsg. von G. Movia. Cagliari 1995. 203-252; V. Verra: "Hegel e la lettura logico-speculativa della ,Metafisica' di AristoteIe" (1993). In: Ders.: "Su Hegei". Hrsg. von

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wegen der darin gedachten Selbstbezüglichkeit als "Ich" oder Subjektivität nach dem idealistischen Standardmodell der Subjekt-Objekt-Identität. Doch ist solche vorstellende Selbstbezüglichkeit nur eine der Grundbestimmungen von Subjektivität und keineswegs, wie öfters angenommen, die einzige. Weitere fügt Hegel in eindeutigen Aristoteles-Uminterpretationen hinzu. So wendet Hegel die oben erwähnte Lehre des Aristoteles, dass auch das göttliche Denken ein Auf- und Hinnehmen der reinen Gedankeninhalte, der Eide, sei und dass - in Aristoteles' Argumentation - diese gegebenen Inhalte das Vortrefflichste seien, woraufhin dann auch das reine Denken als das Vortrefflichste bestimmt werden könne, nahezu ins Gegenteil. Hegel erklärt: "Nicht das Gedachte ist das Vortrefflichere, sondern die Energie selbst des Denkens. "20 Diese Energie des reinen selbstbezüglichen Denkens sieht Hegel als Tätigkeit und Wirksamkeit. Dahinter steht offensichtlich seine eigene Theorie von der konstituierenden, produktiven und autonomen Subjektivität, für die er - inhaltlich nicht zu Recht - Anzeichen bei Aristoteles zu erkennen glaubt. Denn der Subjektivität kommt erst im Fortgang der neuzeitlichen Philosophie und insbesondere bei Hegel nicht nur vorstellende Selbstbezüglichkeit, sondern ebenso sehr Autonomie sowie Produktivität in ihrem Vorstellen und Denken zu. Hegel vertritt infolgedessen nicht wie Aristoteles eine realistische Gegebenheitsontologie, sondern, wie seine Theorie zeigt, eine idealistische Konstitutionsontologie. So deutet Hegel in den Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" auch die Modalbestimmung des göttlichen Nous um; diesem kommt nicht nur einfache reine Wirklichkeit als Energeia zu wie bei Aristoteles, sondern Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit. Hierbei dürfte für Hegel Kants Bestimmung des intuitiven Verstandes in der "Kritik der Urteilskraft" im Hintergrund stehen, der in solcher Einheit produktiv tätig ist. Kants dort skizzierte Lehre von einer intuitiven Erkenntnis, die zugleich spontan und rein intellektuell ist, sah Hegel immer als Vorprägung seiner eigenen Konzeption der Erkenntnis von vernünftiger, zugleich konkreter Allgemeinheit an, ohne Kants Erkenntnisrestriktion, dies sei nur eine Idee ohne objektive Realität für uns, zu akzeptieren. Hegel ahnte vielleicht, wusste aber nicht, dass Kant diese Lehre vom intuitiven Verstand, der letztlich in seinen Ideen sich selbst denkt, aus neuplatonischen, Aristoteles' Noesis N oeseos fortführenden Zusammenhängen aufnahm.

20

C. Cesa. Bologna 2007.349-369; auch vom Verf.: "Hegel e l'antichita classica" (s. Anm. 6). 7796 und ders.: "Soggettivid in Hegel e Aristotele". In: "Soggettivid e autocoscienza. Prospettive storico-critiche". Hrsg. von A. Le Moli. Erscheint Palermo 2009. Hegel: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19.163 (unmittelbar geht eine genau in diesem Sinne umdeutende "Übersetzung" von "Met." 1072 b 23 voraus). Vgl. auch Bd 19.218.

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Hegels besonders hervorgehobene und ganz entschiedene Identifikation mit Aristoteles' Lehre vom göttlichen Denken seiner selbst aber findet sich am Ende der zweiten und der dritten Auflage der "Enzyklopädie" (1827, 1830). Hier zitiert Hegel als Besiegelung seines in enzyklopädischer Kurzfassung vorgetragenen Systems ohne zusätzliche Erläuterungen die zentralen Aussagen des Aristoteles in der "Metaphysik" (Buch XII, Kapitel 7) über das göttliche Denken seiner selbst;21 und er endet mit Aristoteles' Satz: "denn dies ist der Gott". Über bedeutende Epochengrenzen hinweg eignet sich Hegel also Aristoteles' Lehre vom göttlichen Nous vollständig zu, allerdings am Ende seines Systems in den innovativen Perspektiven erstens einer wesentlich differenzierter und komplexer entfalteten Fassung der intellektuellen Selbstbeziehung, zweitens einer Konzeption von Autonomie und Freiheit der Subjektivität und drittens einer Hervorhebung von deren konstituierender Produktivität, die die eigenen reinen Gedankenbestimmungen erst hervorbringt, womit Hegel Aristoteles' Lehre essentiell weiterführt und erneuert.

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Vgl. G.w.F. Hegel: "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse". 2. Auf!. Heide!berg 1827, nach § 574, 3. Auf!. Heide!berg 1830, nach § 577; s. GW 19. Hrsg. von W. Bonsiepen und H.-Chr. Lucas. Hamburg 1989.416; GW 20. Hrsg. von W. Bonsiepen, H.Chr. Lucas und U. Rameil. Hamburg 1992. 572. Hege! gibt "Metaphysik. XI. 7" an, wohl nach der in Hege!s Bibliothek vorgefundenen Casaubonus-Ausgabe (1590), die das Buch: Alpha elatton nicht mitzählt; in früheren Jahren verwendete Hegel die erste Aristote!es-Ausgabe von Erasmus (1531). Hege! zitiert (nach Bekkers Paginierung) 1072 b 18-30.

3. Das Verhältnis von universalistischer Ontologie und philosophischer Theologie (Hegels Logik) a. Einführung in Hegels Logik Die erwähnten innovativen Perspektiven werden von Hegel in seiner reifen Logik systematisch entfaltet. Diese enthält in neuartiger Durchführung sowohl eine reine Ontologie als auch eine reine philosophische Theologie. Hegels "objektive Logik" ist eine Ontologie in revidierter Gestalt; sie expliziert die in sich einfachen Gedankenbestimmungen oder Kategorien des Seins und des Seienden sowie die relationalen Wesensbestimmungen in zuvor nicht dargelegter Systematik und Sinnprofilierung. Die Methode ihrer Entwicklung ist die Dialektik in Anlehnung an, aber zugleich, wie gezeigt, in Abhebung von Platon. Aus den kategorialen Inhalten werden alle sinnlich-anschaulichen Konnotationen verbannt, so dass nur reine Gedankenbestimmungen herausgestellt werden. In der darauf folgenden "subjektiven Logik" werden zunehmend bedeutungsreichere und komplexere Bestimmungen - in Auseinandersetzung mit der formalen Logik -, nämlich die ontologisch bedeutsamen Bestimmungen des Begriffs und der Idee systematisch dargetan bis hin zum höchste und reichste Bedeutung tragenden Seienden, zur sich denkenden Idee als unendlicher oder absoluter Subjektivität. Hier ergeben sich nun zwei grundlegende Fragen. Erstens: Welche Lösung ermöglicht dieser Ansatz zur Klärung des Verhältnisses von universalistischer Ontologie einerseits, die die Grundbestimmungen des Seienden als solchen als des zuerst zu Erkennenden liefert, zur philosophischen Theologie oder paradigmatischen Ontologie andererseits, in der das inhaltlich reich bestimmte vollkommene Seiende oder Gott das zuerst zu Erkennende und Grundlage für die anderen Seinsbestimmungen ist. Zweitens: Lässt sich für Hegel das höchste Seiende oder Gott mit grundlegenden rein ontologischen Bestimmungen zureichend begreifen, oder sind inhaltlich bedeutungsreichere, ja die bedeutungsreichsten und komplexesten Bestimmungen wie diejenigen selbstbezüglicher Geistigkeit erforderlich, um Gott philosophisch in Gedanken fassen zu können. - Hegel beantwortet die erste Frage in mehrfachen, untereinander verwobenen Gedankengängen, die zweite eher nebenher und im Zuge dieser Gedankengänge.

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b. Hegels "objektive" Logik als universalistische Ontologie In Hegels eigener Ontologie innerhalb seiner Logik ist die zuerst zu erkennende Grundbestimmung nicht wie in der Tradition und wie in Platons "Sophistes" das allgemeine Seiende, bei Hegel das Daseiende oder Etwas überhaupt, das, wie gezeigt, dem Platonischen ,on' entspricht; ihm gehen vielmehr allgemeine substratlose, frei schwebende Seinsweisen voraus, nämlich Sein, Nichtsein, Werden usf., die in ihrer vollständigen Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit nach Hegel immer schon ineinander übergegangen sind und sich nicht gegeneinander festhalten lassen. "Sein" als erste reine Gedankenbestimmung bedeutet also kein Seiendes, erst recht, für sich genommen, nichts Göttliches, sondern nur die abstrakte, inhaltsleere Unmittelbarkeit des bloßen und nur unterschiedslos wiederholbaren: "es ist" als eigens gedachte, selbst substratlose Bestimmung, die sich dann als Moment im Daseienden erweisen wird. Dieses kommt allererst durch synthetisierende Kombination der Bedeutungsmomente jener vorangehenden Seinsweisen zustande;22 und erst von hier an beginnen nach Hegel die überlieferten Ontologie-Ansätze ihre Explikationen der Grundbestimmungen des Seienden. Mit dem Daseienden oder Etwas überhaupt sowie den folgenden reinen Gedankeninhalten des bestimmten Etwas, des ihm entgegengesetzten Anderen und des Anderen an ihm selbst nimmt Hegel, wie oben dargelegt, umdeutend in eigener dialektischer Explikation oberste Gattungen aus Platons "Sophistes" in seine Ontologie auf. Hegels neue grundlegende Konzeption gegenüber Platon aber wird deutlich in seiner erläuternden Aussage, das Etwas überhaupt (das Daseiende) sei in seiner "einfachen, seienden Beziehung auf sich" bereits "der Anfang des Subjekts"23. Schon in dieser Gedankenbestimmung des Daseienden, die noch zur Anfangsphase der Logik als Ontologie gehört, erblickt Hegel also Selbstbeziehung als ein Charakteristikum des Subjekts, allerdings nur einfach bestehende, in sich kompakte, seiende Selbstbeziehung, die noch keineswegs intellektuell ist, als innere Struktur des Etwas. Es gibt in Hegels Ontologie solcher in sich einfachen, seienden Bestimmungen weitere, komplexere Fassungen von Selbstbeziehung, z.B. in der Kategorie des Fürsichseins. Ferner finden sich in der Wesenslogik als der ontologischen Explikation von Relationskategorien mehrfach höherstufige, differenziertere, aber immer noch

22

23

Vgl. GW 21 (s. Anm. 9).102 H, zu Sein - Nichts - Werden usf. vgl. ebd. 68 H. Zur, wenn auch kritisch betrachteten, dialektischen Struktur schon dieser Anfangskategorien vgl. H.-G. Gadamer: "Die Idee der Hegelschen Logik". In: Ders.: "Hegels Dialektik. Sechs hermeneutische Studien". 2. Auf!. Tübingen 1980. Bes. 75 H. GW 21. 103.

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seiende, nicht selbst intellektuelle Strukturen von Selbstbeziehung, z.B. in denjenigen Bestimmungen, die ihre eigene mit sich identische, selbstbezügliche Bedeutung durch ihre negative Relation zu dem ihnen Anderen haben, oder in der höherstufigen Bestimmung der Substantialität, die sich differenziert in ihrer positiven Aktuosität auf sich bezieht durch Setzung und Aufhebung ihrer Akzidentien, dabei aber nur über in Notwendigkeit wirksame, nicht freie, nicht vorstellende oder intellektuelle Selbstbeziehung verfügt. Schon die in sich einfachen und die relationalen ontologischen Kategorien enthalten also in ihrer Abfolge differenzierter werdende Selbstbeziehungsstrukturen. Betrachtet man diese ontologischen reinen Gedankenbestimmungen oder Kategorien für sich, wie Hegel sie dialektisch in der "objektiven Logik" entwickelt, so können sie prinzipiell als zu einer universalistischen Ontologie gehörig angesehen werden. Sie sind einfache und relationale, in ihrer Abfolge reicher werdende, grundlegende Bedeutungen des Seienden als solchen, wie es schon die Kategorien und ansatzweise die Transzendentalien bei Aristoteles sind. Solche Bedeutungen haben Gültigkeit unabhängig von inhaltlichen Spezifikationen, also ob sie Anorganisches, Organisches und Lebendiges oder Geistiges mit deren unterschiedlichen Vollkommenheitsgraden bestimmen.

c. Der sich selbst denkende Gott in Hegels paradigmatischer Ontologie Nun stellt sich die Frage, wie solche dialektische Explikation der grundlegenden reinen Gedankenbestimmungen des Seienden als solchen und damit eine derartige universalistische Ontologie zur philosophischen Theologie steht, die Grundbestimmungen des höchsten Seienden als Fundament für Bestimmungen von endlichem Seienden aufsucht. Hierzu erklärt Hegel in der "Enzyklopädie", dass die "logischen Bestimmungen überhaupt", die für Hegel ontologische Bedeutung haben, "als die metaphysischen Definitionen Gottes"24 anzusehen sind. Dies bedeutet, dass auch die in sich einfachen ontologischen Bestimmungen wie z.B. Etwas (Daseiendes) oder Fürsichsein oder Wesensbestimmungen wie Identität, Grund oder Substantialität als "Definitionen", besser: definitorische Bestimmungen Gottes gelten sollen. Gott kann nach Hegel philosophisch allerdings nicht lediglich durch rein ontologische Bestimmungen hinreichend erfasst werden. So deutet Hegel im Platon-Kapitel der Vorlesungen über "Geschichte der Philosophie" an, dass eine "Wesenslehre oder Ontologie", wie sie gemäß neuplatonischer Auslegung der zweite Teil von Platons Dialog: "Parmenides" enthält, nicht schon Theolo24

Hege!: "Enzyklopädie" (s. Anm. 21). 2. und 3. Auf!. § 85; s. GW 19. 94, GW 20.121.

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gie ist, wie dies die Neuplatoniker konzipieren; die rein ontologische Erfassung Gottes bleibt für Hegel vielmehr hinter der angemessenen begrifflichen Erfassung Gottes zurück. 25 Ähnliches erwähnt er bei der Erörterung von Proklos' metaphysischer Deutung und Umdeutung des Platonischen "Parmenides"; "Einheit, Vielheit, Sein" als negative oder gar durch Negation der Negation positive Bestimmungen, wie Hegel interpretiert, des ursprünglichen, transzendenten Einen erhalten bei Proklos eine "höhere Bedeutung", nämlich als "Ausdruck des absoluten Wesens" oder des jenseitigen Gottes. Für Hegel haben sie dagegen nur die Bedeutung allgemeiner ontologischer Begriffe. Ebenso kritisiert Hegel Spinozas Bestimmung Gottes durch die Kategorie der absoluten Substanz als des eigentlichen Seins in allem Seienden sowie durch die daraus folgenden rein ontologischen Bestimmungen; dadurch wird der "Begriff von Gott nicht erfüllt", der wesentlich "Geist" ist. 26 Ähnlich hätte er wohl Versuche wie etwa denjenigen von Meister Eckhart, den er freilich nicht näher kannte, beurteilt, Gott philosophisch durch ontologische Transzendentalienbestimmungen wie Seiendes, Eines, Wahres, Gutes zu erfassen. Die Logik als dialektische, ständig Sinn anreichernde Explikation von Bestimmungen des Seins, des Seienden sowie von relationalen Wesensbestimmungen muss über diese reine Ontologie hinausführen zu bestimmungsreicheren, höherstufigen Gedankeninhalten, nämlich zu Bestimmungen des Begriffs und der Idee. Diese sind für Hegel nicht nur noematische Gedankeninhalte wie das Allgemeine, Besondere und Einzelne und deren logische Beziehungen; sie bedeuten zugleich das solches Gedachtwerden ermöglichende, spontan tätige Denken durch ein reines denkendes Subjekt; Hegel erinnert hierbei an Kants Begriff der reinen Apperzeption, die ebenfalls spontane Synthesis im Denken von Begriffen und Urteilen vollzieht. Dieses rein denkende Subjekt mit seinen noematischen Gedankeninhalten erörtert Hegel in der "subjektiven Logik". Hier zeigt er als Grundbestimmungen dieses denkenden Subjekts auf, dass es erstens über eine wesentlich differenziertere Selbstbeziehung verfügt, als es die bloß seiende oder bestehende Selbstbeziehung in ontologischen Kategorien ist. Sie ist vielmehr intellektuell und stellt sich selbst im Denken jener Begriffsbestimmungen und ihrer Beziehungen, die sie jeweils als ihre eigenen komplexen Bestimmungen versteht, spontan tätig vor. Aristoteles' Noesis Noeseos ist eine Vorprägung dazu, aber 25 26

Vgl. Hegel: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19. 83, vgl. ebd. 28; zum Folgenden (über Proklos) vgl. Bd 19. 469, auch 82. Hege!: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 20.194 f. - Zum Folgenden sei erwähnt, dass der junge Hege! sich einen Auszug aus Mosheims Kirchengeschichte zu mystischen, Eckhartschen Lehren notiert, darunter auch: " Deus est formaliter omne, quod est" (GW 3. Hrsg. von F. Nicolin und G. Schüler. Hamburg 1991. 216).

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ohne solche stufenartige und strukturelle Differenzierung der Selbstbeziehung und deren systematische Explikation. In diesem selbsttätigen, spontanen Denken seiner selbst ist zweitens ein Hinausgehen über die in Notwendigkeit erfolgende, noch nicht intellektuelle, sondern bloß geschehende Aktuosität der Substanz zur Freiheit und Autonomie der Selbstbestimmung des Subjekts enthalten. Diese ist eine gegenüber Aristoteles neue Bestimmung; nach Hegel kannte die Antike solche "absolute Freiheit" der Subjektivität nicht. 27 Drittens bringt dieses sich denkende Subjekt seine eigenen Bestimmungen durch solche Aktivität selbst erst hervor; es erzeugt allererst die Mannigfaltigkeit der Bestimmungen und deren Anordnung, worin es sich selbst denkt. Auch damit unterscheidet er sich von Aristoteles' Lehre von der Noesis Noeseos, nach der solchem Denken, wie gezeigt, die zu denkenden ewigen Eide jeweils schon vorgegeben sind. Hegel vertritt damit nicht wie Aristoteles eine realistische Gegebenheitsontologie, sondern eine idealistische Konstitutionsontologie. Diese vollendet sich in der Idee. Dem sich denkenden Begriff, der zugleich als höhere Bestimmung der Substanz ontologische Bedeutung hat, kommt als ihm genuin entsprechende Seinsweise nicht einfach Dasein, Existenz oder Wirklichkeit, sondern die differenzierter bestimmte "Objektivität" zu als die höher entwickelte Wirklichkeit spezifisch des Begriffs. Die Idee ist nach Hegel nun die Einheit des Begriffs und solcher "Objektivität". Diese Einheit aber ist nicht anonyme, bestehende Identität von Subjekt und Objekt; es ist vielmehr die über die "Objektivität", die ein Anderes und doch sie selbst ist, "übergreifende", "unendliche" Subjektivität,28 die diese Einheit erst aktiv konstituiert. Diese absolute Subjektivität ist die modern gefasste, ursprünglich Platonische reine Idee. So wird als Vollendung der dialektischen Entwicklung reiner Gedankenbestimmungen in der Hegeischen Logik zuletzt die Idee als unendliche, absolute oder göttliche Subjektivität erreicht, die als ihren Seins charakter "Objektivität" in sich schließt. In ihr ist Aristoteles' Noesis Noeseos aufgenommen, aber zugleich, wie gezeigt, weitergeführt; die Selbst beziehung ist wesentlich differenzierter, und zwar in systematischer Kategorienentwicklung bestimmt;

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Hegel: "Werke in zwanzig Bänden" (s. Anm. 5). Bd 19. 488 (dort speziell auf die spätantiken Neuplatoniker bezogen, die Aristoteles' Lehre von der Noesis Noeseos weiterentwickelten). Hegel: "Enzyklopädie". 3. Aufl. 1830. § 215 Anm.; GW 20 (s. Anm. 21). 218. Vgl. auch in der "Wissenschaft der Logik" (GW 12. Hrsg. von F. Hogemann und W. Jaeschke. Hamburg 1981. 246) die Hervorhebung des "innersten Quells aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung", nämlich der "Subjektivität" als "Aufheben des Gegensatzes zwischen Begriff und Realität". Zu Hegels Logik als Theorie der Subjektivität mag der Hinweis erlaubt sein auf die Darlegung des Verf.s: "Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik". In: Hegel-Studien 15. Dritte, erw. Aufl. Bonn 1995.

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dem sich selbst denkenden göttlichen Denken kommt absolute Freiheit und Autonomie zu, außerdem reine Produktivität in der Konstitution der eigenen Bestimmungen. Nun ist auch das traditions reiche Problem lösbar, inwiefern einerseits die reinen ontologischen Bestimmungen des Seienden als solchen in einer universalistischen Ontologie keine zureichenden Bestimmungen Gottes sein können und gleichwohl, wie Hegel erklärt, solche ontologischen reinen Gedankeninhalte definitorische Bestimmungen Gottes sein sollen. Für sich genommen, charakterisieren diese Bestimmungen nur in ontologischer Hinsicht Sein, Seiendes und Wesen. Aber wenn sie vom höchsten Seienden, nach Hegel von der göttlichen, sich denkenden Subjektivität aus betrachtet werden, stellen sie einzelne, ihr wesentlich zukommende, aber zugleich einfachere inhaltliche Bedeutungsmomente dieses Denkens seiner selbst dar. So denkt es sich, wenn es sich selbst denkt, noematisch auch als daseiend, fürsichseiend, als Grund, Substanz und dgl.; aber seine adäquate Selbsterfassung gelingt nur aufgrund der noetisch-noematischen Struktur der Begriffsbestimmungen und ihrer Objektivität in der" übergreifenden" Einheit der Idee. Diese Idee als göttliches, unendliches Denken seiner selbst ist also letztlich auch der Grund für die reinen ontologischen Bestimmungen, in denen sie sich denkt; sie setzt oder konstituiert sie produktiv aus eigener intellektueller und freier Kraft. Vom sich denkenden Gott aus können somit erst die einfacheren ontologischen Bestimmungen konzipiert und entwickelt werden. Systematisch vertritt Hegel damit eine paradigmatische Ontologie, in der Gottes Denken seiner selbst das Paradigma auch einfacherer ontologischer Bestimmungen ist; eine universalistische Ontologie der Bestimmungen des bloßen Seienden und des Wesens ist darin, wenn man diese nur für sich betrachtet, als unselbständiger Bestandteil eingefügt. Diese Idee der unendlichen Subjektivität als des göttlichen Denkens seiner selbst aber kann nicht am Anfang der logischen Gedankenentwicklung stehen; sie ist nicht das zuerst Erkannte. Am Anfang steht vielmehr, wie erwähnt, der voraussetzungslose, einfachste, inhaltsleere, ganz unmittelbare Gedanke des Seins. Die gesamte darauf folgende dialektische Entwicklung weiterer Kategorien, d.h. dieser methodische Fortgang ist nach Hegel vielmehr ein "Rückgang in den Grund"29, so dass die reichste Bestimmung als das beherrschende Prinzip der Entwicklung erst am Ende erkannt wird, nämlich jene Idee des göttlichen Denkens seiner selbst, das sich in diesen Bestimmungen und in deren Dialektik erfasst. - In ihr sind die einzelnen Kategorien und Kategoriengruppen nur Punkte bzw. Phasen des Fortgangs. So ist für Hegel dasjenige, was ei29

Vgl. "Wissenschaft der Logik" GW 11 (s. Anm. 7). 34 f; GW 21 (s. Anm. 9). 57 f.

Das Seiende und das göttliche Denken

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gentlich ist, nicht in solchen Kategorien und Kategoriengruppen begriffen, z.B. auch nicht in der Kategorie der Substanz; das eigentliche Seiende ist vielmehr der dialektische Prozess selbst, der im göttlichen Sich-Denken kulminiert. Hegel vertritt damit nicht eine Substanzontologie wie Aristoteles oder in anderer Weise Spinoza; Substanz hat als eine von vielen Kategorien im Prozess nur eine transitorische Bedeutung; Hegel begründet vielmehr eine Prozessontologie. Diese ist zugleich, wie sich erwies, dialektische Ontologie, idealistische Konstitutionsontologie und in der Bestimmung des Verhältnisses von Seiendem als solchem und göttlichem Denken paradigmatische Ontologie.

d. Zu Metaphysik und Religion Der Begriff Gottes als des unendlichen, absolut freien und produktiven Denkens seiner selbst hat nach Hegel nun, wie abschließend skizziert sei, auch konkret-reale Bedeutung; er liegt als gedankliche Basis der Religion zugrunde. Die früheren Religionen haben ihn noch nicht realisiert, tendieren allenfalls vorläufig dazu. Hegel berücksichtigt hierbei die Vielfalt der Religionen und sucht in seiner begriffenen Religionsgeschichte zu zeigen, wie sich das Gottheitsverständnis in den verschiedenen geschichtlichen Religionen entwickelt. So wird das Göttliche archaisch zunächst als in allem waltende, fremde, numinose Macht verstanden; sie konkretisiert sich sodann als vielgestaltige Naturgottheit z.B. in bestimmten Pflanzen- und Tiergestalten und nimmt später Menschengestalt an. Daher ist im griechischen Polytheismus die Gottheit dem Menschen nicht mehr fremd, aber doch in vielerlei Endlichkeiten zerstreut. Erst in der christlichen Religion wird monotheistisch der Eine Gott verehrt, der wesentlich Geist, darin aber uns verwandt und nahe stehend und in Bezug auf die Menschen Liebe ist. Der in der christlichen Religion verehrte Gott ist seiner eigentlichen, begriffenen Grundlage nach für Hegel der "sich wissende Gott" als "absolute Subjektivität" .30 In der Religion wird dies in konkreten Bildern, geschichtlichen Darlegungen und innerlichen, gleichwohl kognitiven Gefühlen vorgestellt. Es ist nämlich ein Kennen und Erkennen Gottes erforderlich, da

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"Enzyklopädie" § 147 Zusatz (s. Hegel: "Werke in zwanzig Bänden", s. Anm. S, Bd 8. 292, 291). Zu Hegels Religionsphilosophie und zu ihren Problemen, diesen philosophischen, teils aristotelischen, teils subjektivitäts theoretischen Gottesbegriff mit dem spezifisch christlichen Begriff Gottes als Liebe auch in der Theologia crucis zu verbinden, vgl. X. Tilliette: "La christologie idealiste". Paris 1986. Bes. 114-131, ebenso E. Düsing: "Hegels Geistbegriff und Wahrheitsbeweis für das Christentum". In: "Geist und Heiliger Geist. Philosophische und theologische Modelle von Paulus und Johannes bis Barth und Balthasar". Hrsg. von E. Düsing, W. Neuer und H.-D. Klein. Würzburg 2009.233-276.

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Klaus Düsing

wir nach Hegel sonst keinen festen Grund der religiösen Verehrung und der letzten Fundierung ganzheitlicher sittlicher Lebensführung hätten; solches Kennen und Erkennen ist uns in Hegels Augen auch möglich, da nach christlicher ebenso wie nach spekulativ-vernünftiger Lehre der göttliche Geist in uns ist. So legt nach dieser Theorie die paradigmatische Ontologie mit ihrer Bestimmung des Verhältnisses von Ontologie und philosophischer Theologie das vernünftig begreifbare Fundament der Religion.

Schluss Solche sittliche Verankerung von Religion, wie sie der späte Hegel angedeutet hat, gilt es, heute wieder zu vergegenwärtigen und in neuen Kontexten weiterzuführen. Hierbei lassen sich Hegels hohe spekulative Erkenntnisansprüche der vollständigen vernünftigen Erkenntnis des Absoluten oder Gottes angesichts verschiedener, evidenter Varianten kritischer oder phänomenologischer Erkenntnistheorie, wie thesenartig gesagt sei, schwerlich aufrechterhalten. Umso bedeutsamer aber ist die sittliche Motivation einer Hinwendung zur Religion, die es dann philosophisch auszulegen und zu begreifen gilt. Nicht nur für einzelne sittliche Entschlüsse und Handlungen, sondern für seine gesamte sittliche Lebensführung entwirft das Dasein in seiner Faktizität, Gebrechlichkeit, Lebensbegrenztheit, aber auch Freiheit einen holistischen Sinngebungshorizont. Dieser nimmt jeweils geschichtlich-konkrete Gestalt an in einer Religion. 3 ! Das Dasein versteht darin den nicht nur gemachten, sondern ebenso gegebenen ganzheitlichen Sinn für sein eigenes sittliches Leben und dasjenige seiner Kulturgemeinschaft. Dieser Sinngebungshorizont für individuelle und intersubjektive Sittlichkeit muss eigens auf begriffliche Allgemeinheitsbestimmungen hin philosophisch betrachtet werden. Hier gilt es, unter den gegenwärtig herrschenden philosophischen Bedingungen eines dezidierten Empirismus oder Relativismus oder gar Skeptizismus sowohl Einsichten als auch die begriffliche Sprache an hand von Klassikern der Ontologie und philosophischen Theologie erst wiederzugewinnen, die gegenwärtig verloren zu gehen drohen. Dann erst lässt sich ein erneuerndes Begreifen der holistisch-sittlichen Motivation zur Religion und eine neue, gegenüber Hegels Erkenntnisansprüchen bescheidenere ontologisch-theologische Erfassung der Sinndimensionen der Religion in Angriff nehmen.

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Für die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart legt O. Pöggeler vielfältige Einblicke in Diskussionen über Religion und Lebensführung dar, vgl. ders.: "Braucht Theologie Philosophie? Von Bultmann und Heidegger bis Voegelin und Assmann". In: "Nord rhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Vorträge. G 410". Paderborn usw. 2007.

Veröffentlichungen der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften

Lieferbare Titel

VORTRÄGE GEISTESWISSENSCHAFTEN 402

Paul Mikat, Düsseldorf Konflikt und Loyalität - Bedingungen für die Begegnung von früher Kirche und römischem Imperium 2005. 52 Seiten, ISBN 3-506-72970-5 € 14,90/ CHF 26,80

403

Wolfgang Frühwald, München .Das Los des Schönen auf der Erde". Über Schicksal und Glück im Werke Friedrich Schißers 2005. 28 Seiten, ISBN 3-506-75681-8 € 7,90/CHF 14,60

404

Kar! Reich!, Bonn Die Anfänge der mittelenglischen, weltlichen Lyrik: Text, Musik, Kontext 2005.68 Seiten, 5 s/w-Abb., ISBN 3-506-75682-6

405

Dtto Zwierlein, Bonn Hippolytos und Phaidra: Von Euripides bis D'Annunzio. Mit einem Anhang zum Jansenismus 2006. 79 Seiten, 6 s/w-Abb., € 17,90/CHF 30,60 ISBN 3-506-75694-X

406

Peter Wunderli, Düsseldorf Das Franko-Italienische. Eine literarische Mischsprache und ihre Charakteristika 2006. 113 Seiten, ISBN 978-3-506-75721-0

407

Josef Isensee, Bonn

€ 16,90/CHF 30,10

€ 26,90/CHF 45,80

SalDs publica - suprema lex? Das Problem des Gemeinwohls in der &eiheitlichen Demokratie 2006. 69 Seiten, ISBN 978-3-506-76339-6 € 16,90/CHF 29,70 408

Martin Honecker, Bonn Ökumene im 21. Jahrhundert 2007.31 Seiten, 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76336-5

€ 8,90/CHF 16,30

409

Werner Besch, Bonn Wege und Irrwege der deutschen Rechtschreibreform von 1998. Korrekturen des 2004 eingesetzten Rates für deutsche Rechtschreibung 2007.26 Seiten, 6 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76337-2

€ 8,90/CHF 16,30

410

Otto Pöggeler, Bonn Braucht Theologie Philosophie? Von Bultmann und Heidegger bis Voegelin und Assmann 2007.32 Seiten, ISBN 978-3-506-76372-3

€ 10,90/CHF 19,70

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411

Thomas Söding, Wuppertal Ereignis und Erinnerung. Die Geschichte Jesu im Spiegel der Evangelien 2007. 57 Seiten, ISBN 978-3-506-76406-5

€ 12,90/CHF 23,00

412

Wolfram Hogrebe, Bonn Von der Hinfälligkeit des Wahren und der Abenteuerlichkeit des Denkers. Eine Studie zur Philosophie Oskar Beckers 2007. 34 Seiten, ISBN 978-3-506-76410-2

€ 8,90/CHF 16,30

413

Klaus Bergdolt, Köln Das Auge und die Theologie. Naturwissenschaften und .. Perspectiva" an der päpstlichen Kurie in Viterbo (ca. 1260-1285) 2007.55 Seiten, 3 4C- und 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76475-1

414

Bernhard König, Köln

Petrarcas Rerurn vulgarium /ragmenta als Liederbuch (Canzoniere). Zum 700. Geburtstag des Dichters am 20. Juli 2004 2007.33 Seiten, I 4C- und I s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76477-5

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€ 8,90/CHF 16,50

415

Karl-Heinz Menke, Bonn Der Leitgedanke Joseph Ratzingers. Die Verschränkung von vertikaler und horizontaler Inkarnation 2008. 70 Seiten, ISBN 978-3-506-76567-3 € 14,90/CHF 26,80

416

Hartmut Steinecke, Paderborn

Heinrich Heiße im Dritten Reich und im Exil 2008. 70 Seiten, ISBN 978-3-506-76688-5

€ 16,90/CHF 30,10

Bernhard Großfeld, Münster Ordnungsgesänge: Interkulturelle Begegnung 2008. 57 Seiten, ISBN 978-3-506-76696-0

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Günther Jakobs, Bonn Rechtszwang und Personalität 2008. 47 Seiten, ISBN 978-3-506-76755-4

€ 12,90/CHF 23,50

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Peter Thiergen, Bamberg

417

Deutsche Anstöße der frühen russischen Nihilismus-Diskussion des 19. Jahrhunderts 2008.42 Seiten, ISBN 978-3-506-76764-6

€ 12,90/CHF 23,50

420

Nikolaus Himmelmann, Bonn Der Ausruhende Herakles 2009.216 Seiten, 90 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76786-8

421

Harald Mielsch, Bonn Überlegungen zum Wandel der Bestattungsformen in der römischen Kaiserzeit 2009.37 Seiten, 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-76874-2

€ 12,90/CHF 23,50

Hans Rothe, Bonn Puskin. Schicksal des Dichters, Wandlungen seiner Dichtung Nebst zwei Anhängen: 1. Zur Bildungsgeschichte vor Puskin und mit Beziehung auf ihn, 2. Zu Puskins Verskunst 2009. X + 150 Seiten, ISBN 978-3-506-76875-9

€ 40,90/CHF 71,20

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€ 63,90/CHF 108,00

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ABHANDLUNGEN

113

Hans Rothe, Bonn (Hrsg.) Gottesdienstmenäum für den Monat Februar Auf der Grundlage der Handschrift Sin. 164 des Staatlichen Historischen Museums Moskau (GIM) Teil 2: 10. bis 19. Februar, Historisch-kritische Edition Patristica Slavica, Band 13

2006. XLVIII + 633 Seiten, EBr, ISBN 978-3-506-75726-5 114

€ 95,90/CHF 163,00

Hans Rothe, Bonn (Hrsg.) Gottesdienstmenäum für den Monat Dezember

Auf der Grundlage der Handschrift Sin. 162 des Staatlichen Historischen Museums Moskau (GIM) Tei14: 25. bis 31. Dezember einschließlich des Sonntags nach Christi Geburt Patristica Slavica, Band 14

2006. XXX + 870 Seiten, EBr, ISBN 3-506-76312-9 115

€ 127,90/CHF 199,00

Horst Schmieja, Köln Commentarium Magnum In Aristotelis Physicorum Librum Septimun (Vindoboncnsis, lat. 2334) Averrois Opera - Series B: Averroes Latinus

2007. XXXIV + 292 Seiten, EBr, ISBN 3-506-76316-7 116

€ 43,90/CHF 75,50

Rainer Stichel, Münster Beiträge zur frühen Geschichte der Psalter und zur Wirkungsgeschichte der Psalmen

2007.751 Seiten, 1 4C- + 18 s/w-Abb., EBr, ISBN 978-3-506-76386-0 117

Dagmar Christians und Hans Rothe, Bonn (Hrsg.) Liturgische Hymnen nach byzantinischem Ritus bei den Slaven in ältester Zeit Beiträge einer internationalen Tagung in Bonn, 7. bis 10. Juni 2005 Patristica Slavica, Band 15 2007. X + 466 Seiten, 8 s/w-Abb., EBr, ISBN 978-3-506-76429-4

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Hans Rothe, Bonn (Hrsg.)

€ 126,90/CHF 197,00

€ 85,90/CHF 141,00

Incipitarium liturgischer Hymnen in ostslavischen Handschriften des 11. bis 13. Jahrhundert 3 Teilbände Patristica Slavica, Band 16 2008. Teil I: XXX + 798 Seiten, Teil 11: IV + 736 Seiten, Teil III: IV + 800 Seiten, EBr, € 198,00/CHF 402,00 ISBN 978-3-506-76488-1

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Gerhard Kegel (aus dem Nachlass hrsg. v. Klaus Luig und Heinz-Peter Mansei, Köln) Vermögensbestand - Vermögensherrschaft - Vermögensschutz 2008.47 Seiten, EBr, ISBN 978-3-506-76484-3

€ 95,90/CHF 163,00

Dagmar Christians und Hans Rüthe, Bünn (Hrsg.) Gottesdienstmenäum für den Monat Februar Historisch-kritische Edition Teil 3: 20. bis 29. Februar Patristica Slavica, Band 17 2009. XL + 680 Seiten, EBr, ISBN 978-3-506-76699-1

€ 99,90/CHF 156,40

Elisabetta Chiodo Songs of Khorchin Shamans to Jayagachi, the Protector of Livestock and Property 2009.131 Seiten, 8 4C-Abb., EBr, ISBN 978-3-506-76860-5

€ 26,90/CHF 47,10