Das Romanwerk Hugh MacLennans: Eine Studie zum literarischen Nationalismus in Kanada 9783111675725, 9783111290737

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Das Romanwerk Hugh MacLennans: Eine Studie zum literarischen Nationalismus in Kanada
 9783111675725, 9783111290737

Table of contents :
INHALTSÜBERSICHT
Einleitung
I. Der Stand der Forschung
II. Der literarische Nationalismus in Kanada
III. Hugh MacLennan als Kritiker
IV. MacLennans Romanwerk
V. Grundzüge des Erzählens bei Hugh MacLennan
Schluss
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis

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Britannica et Americana (Britannica, neue Folge)

Herausgegeben von den Englischen Seminaren der Universitäten Hamburg und Marburg/Lahn (Prof. Dr. Ludwig Borinski, Prof. Dr. Walther Fischer f und Prof. Dr. Horst Oppel) Band 9

To

ALAN

COATSTORTH

Das Romanwerk Hugh MacLennans Eine Studie zum literarischen Nationalismus in Kanada von

Faul Goetsdi

1961 Cram, de Gruyter & Co., Hamburg

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Philosophischen Fakultät der Universität Marburg

© Copyright 1961 by Cram, de Gruyter 8c Co., Hamburg Alle Rechte einschließlich der Übersetzungsredite und der Rechte auf Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen vorbehalten. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck

INHALTSÜBERSICHT Einleitung I. Der Stand der Forschung II. Der literarische Nationalismus in Kanada 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Zur Methode Zur Definition Grundlagen des literarischen Nationalismus in Amerika Grundlagen des literarischen Nationalismus in Kanada Die erste Phase: 1 8 6 7 - 1 9 0 0 Die zweite Phase: 1 9 1 8 - 1 9 3 9 Die dritte Phase: 1940 bis zur Gegenwart

7 10 17 17 18 20 25 29 39 46

III. Hugh MacLennan als Kritiker 1. Lebenslauf 2. Hugh MacLennan als literarischer Nationalist 3. MacLennan als neu-konservativer Literaturkritiker

56 56 57 62

IV. MacLennans Romanwerk 1. Barometer Rising (1941) 2. Two Solitudes (1945) 3. The Precipice (1948) 4. Each Man's Son (1951) 5. The Watch That Ends the Night (1959)

67 67 76 83 91 98

V. Grundzüge des Erzählens bei Hugh MacLennan 1. Vorbemerkung 2. Die Romanfiguren 3. Der Erzählraum 4. Die zeitliche Gliederung des Romangeschehens 5. MacLennans Stellung in der englischsprachigen Romantradition Schluß

111 111 113 118 122 124 127

Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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EINLEITUNG Die deutsche Anglistik hat bisher die Literatur der Randgebiete des englischsprachigen Kulturkreises vernachlässigt, wie sidi denn auch die englische Forschung kaum mit der Gesdiichte der Dominionliteratur befaßt hat Die Gründe sind ohne weiteres einzusehen, haben doch nur wenige Schriftsteller Australiens, Kanadas und Südafrikas in England und den Vereinigten Staaten Anerkennung gefunden. Trotzdem müssen wir uns darüber im klaren sein, daß die der jungen Dominionliteratur eigene Problematik von allgemeinem Interesse ist, ja daß vielleicht manche literaturwissenschaftliche Fragestellung hier in einem anderen Licht erscheint. In Erinnerung an die Bemerkung Howard Mumford Jones': „ . . . we have as a nation been a huge laboratory experiment in the making of a national literature in modern times" 2 dürfen wir sogar annehmen, daß bestimmte Probleme der Literaturwissenschaft, so das Verhältnis der „literarischen Situation" 3 zum Schaffen des Schriftstellers, hier deutlicher herausgearbeitet werden können, weil das Gebiet der Dominionliteratur nodi übersehbar ist4. Andererseits sieht sich jede historische Betrachtung besonderen Schwierigkeiten gegenüber. Sowie man versucht, mehr als einen informatorischen Bericht über die Werke zu geben, die zum Beispiel von kanadischen oder in Kanada lebenden Schriftstellern geschrie1 Vgl. audi H . Oppel, ,Die Literatur Neuseelands', in: Festschrift für H. M. Flasdieck, Heidelberg 1960. 2 The Theory of American Literature, Ithaca 1948, S. 14. s Vgl. Malcolm Cowley, The Literary Situation, N e w York 1954. 4 Zwar führt R. E. Watters in seiner Bibliographie des kanadischen Schrifttums 5500 Autoren auf (A Check List of Canadian Literature and Background Materials, 1628 to 1950, Toronto 1959), doch ist die Zahl der alljährlichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der schöngeistigen Literatur vergleichsweise klein: Fiction Poetry/Drama 1947 General 1723 Britain 352 243 U.S.A. 1307 463 224 40 Canada 34 8 1948 1830 423 180 Britain U.S.A. 1102 504 295 14 35 6 Canada Diese Angaben entstammen dem Report der Royal Commission on National Development in the Arts, Letters and Sciences, Ottawa 1951, S. 228. Die Ziffern für Kanada beziehen sidi nur auf die englischsprachige Literatur. Auch im Folgenden verstehen wir unter kanadischer Literatur stets die anglokanadische Literatur.

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ben worden sind, steht man vor der Frage, in welchen Traditionszusammenhang diese Werke zu stellen sind. Soll man sie, wie das für Matthew Arnold selbstverständlich war 5 , als Beitrag zur englischen Literatur schlechthin auffassen? Oder lassen sie sich eher verstehen, wenn wir sie, wie uns die literarischen Nationalisten auffordern, von den kanadischen Gegebenheiten her erklären und deuten? Dürfen wir eigentlich schon von einem kanadischen Nationalstil reden? Können wir, was dem Erforscher der amerikanischen Literatur schon möglich ist, von einer kanadischen Tradition des Romans 6 und der lyrischen Dichtung sprechen? Und schließlich: Ist es überhaupt sinnvoll, an dem Begriff der Nationalliteratur, wie er sich im neunzehnten Jahrhundert entwickelt hat, festzuhalten, wenn sich sogar in der amerikanischen Literaturwissenschaft die Einsicht ankündigt, „daß die Fragestellung ,amerikanische Literatur in ihrem geschichtlichen Verhältnis zur amerikanischen Nation' nicht ausreicht, um das Ganze dieser Literatur zu verstehen und gerecht zu werten" 7 ? Wird bei der Untersuchung der Dominionliteratur die historische Zuordnung erst recht zum Problem, so stellt sich auch die Wertfrage mit besonderer Eindringlichkeit, weil die wenigen Arbeiten über die Dominionliteratur oft von den Konzeptionen des literarischen Nationalismus geprägt sind. Es ist die Absicht der vorliegenden Studie, an H a n d eines Beispiels auf die angedeuteten Probleme der Dominionliteratur und ihrer wissenschaftlichen Erforschung hinzuweisen und zu ihrer Klärung beizutragen. Wenn wir in den Mittelpunkt unserer Untersuchung den kanadischen Schriftsteller Hugh MacLennan rücken, dann nicht so sehr deshalb, weil er sich in England und Amerika durchgesetzt hat und die Qualität seiner Romane eine ausführliche Interpretation rechtfertigt. Vielmehr wählen wir MacLennan, weil er sich in zahlreichen Aufsätzen der Frage nach der Rolle des Schriftstellers im englischsprachigen Randgebiet angenommen hat und mit seinen Romanen dieser Rolle entsprechen will. MacLennan identifiziert sich mit einer Strömung des literarischen Nationalismus und betont in seinen ersten Romanen die gesellschaftsbildende Funktion der Literatur. Uns geht es nun nicht darum, festzustellen, ob MacLennan „novels of manners" im Sinne Lionel Trillings 8 geschrieben hat, Werke also, welche die im Verborgenen wirkenden Werte des jungen Landes — „a culture's 5 Als Arnold von den Bemühungen, eine amerikanische Literatur ins Leben zu rufen, hörte, sagte er: „Imagine the face of Philip or Alexander at hearing of a Primer of Macedonian Literature! Are we to have a Primer of Canadian Literature, too, and a Primer of Australian?" (Zit. E. K. Brown, On Canadian Poetry, Toronto 1944, S. 2). 6 „The American novel of to-day", heißt es im Times Literary Supplement, „is to some extent a novel in a foreign language". (,The American Novel — Entire Escape from the Shackles of the Old World — Art Born of Tribulation', TLS, 5. 4. 1941, S. viii.) Vgl. R. Chase, The American Novel and Its Tradition, Garden City 1957. 7 H. Galinsky, ,Strömungen der neueren amerikanischen Literaturbetrachtung in der Literary History of the United States (1949)', Die Neueren Sprachen, I, 1952, S. 195. Vgl. H. Oppel, ,Zur Situation der Allgemeinen Literaturwissenschaft', Die Neueren Sprachen, II, 1953, S. 4 - 1 7 . 8 .Manners, Morals, and the Novel', in The Liberal Imagination, New York 1950, S. 206 ff.

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hum and buzz of implication" — getreu zur Anschauung bringen. Statt dessen wollen wir prüfen, wie sich die Ansichten über Kanada und die kanadische Literatur, die MacLennan mit anderen Kritikern für richtig erkennt, auf seine Romane auswirken 9 . Dabei wird es unumgänglich sein, das Wesen des literarischen Nationalismus in Kanada überhaupt erst einmal näher zu bestimmen.

• Wir leugnen die soziologische Relevanz der Literatur keineswegs, glauben aber, daß es „dem Literarhistoriker nicht zugemutet werden kann, den soziologischen Aspekt seiner Gegebenheiten nun auch wirklich soziologisch zu interpretieren". Er muß allerdings „innerhalb seiner Wissenschaft demonstrieren, wie jeweils in der Erscheinungsart der Literatur ihr soziologischer Aspekt beschaffen ist". (Horst Oppel, .Methodenlehre der Literaturwissenschaft', in: Deutsche Philologie im Aufriß, hrsg. v. W. Stammler, Berlin (2. Auflage), S. 47).

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I. Der Stand der Forschung Eine ausführliche Würdigung von Hugh MacLennan liegt noch nicht vor. Audi eine Geschichte des kanadischen Romans ist noch nicht geschrieben1. Wir sind auf die einschlägigen Kapitel in Desmond Paceys Literaturgeschichte, auf kurze Aufsätze in Werken wie The Arts in Canada: A Stock-Taking at MidCentury2, auf Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften und auf Buchbesprechungen angewiesen. Erste und zuverlässige Orientierungsmöglichkeit bietet dabei der alljährliche Rückblick auf die erschienenen kanadischen Romane im University of Toronto Quarterly. Die vorhandene Sekundärliteratur ist unterschiedlich in ihrer Qualität und teilweise verwirrend gegensätzlich in der Beurteilung Hugh MacLennans. Immerhin zeichnen sich aber Fragen und Probleme ab, die für die Situation der kanadischen Forschung und Literaturkritik charakteristisch sind. Für Desmond Pacey, den nüchtern urteilenden akademischen Kritiker, ist MacLennan ein didaktischer Schriftsteller, „whose didacticism and self-consciousness occasionally impede the flow of his narrative stream" 3 . Er verkörpere das wachsende kanadische Selbstbewußtsein und sei weniger an dem menschlichen Schicksal als solchem als an dem der Kanadier und der kanadischen Nation interessiert. Seine Stärke liege in der atmosphärisch-realistischen Gestaltung des Erzählraums, manchmal auch in der Charakterisierung (BR, TS, EMS) und in seiner scharfsinnigen Analyse des kanadischen Lebens (BR, TS). Doch neige er bedauerlicherweise zu melodramatischen Handlungen (BR, EMS), zur Belastung des Stoffs mit einer ihm fremden, daher abziehbaren Bedeutungsschicht (TP, EMS) und zu typisierender Charakteristik (BR, TP). Alles in allem sei MacLennan „another novelist who has not yet found the perfect subject" 4 . Pacey gesteht MacLennan durchaus einigen Erfolg bei der Behandlung kanadischer Probleme vor einem deutlich gesehenen Hintergrund zu und glaubt, Two Solitudes werde sicher einmal — trotz seines schwachen letzten Teils — zu den wenigen kanadischen „classics" gerechnet werden. Diesem Urteil schließt sich A. L. Phelps im wesentlichen an: „ . . . MacLennan, 1 Teilaspekte behandeln: E. McCourt, The Canadian West in Fiction, Toronto 1944; William Ward, Historical Aspects of Canadian Fiction, M A , Acadia 1943 (mschr.); A . M. Ross, The Regional Novel in Canada, M A , Queen's 1948 (mschr); E. E. Jackson, Canadian Regional Novels, M A , Acadia 1948 (mschr.). 2 Hrsg. v. M. Ross, Toronto 1958. 3 Creative Writing in Canada, Toronto 1952, S. 187. 4 Ebda.

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working at one level, has handled indigenous local matter in a reasonably satisfying fashion for the people concerned" 5 . Doch bewertet er im Gegensatz zu Pacey Each Man's Son positiv und faßt seinen Gesamteindruck in den Worten zusammen: „. . . if you read MacLennan, you will discover, inevitably, something concerning Canada. But you will discover, I think, something else — something as well about what we call, for lade of a better phrase, life itself. That's the composite achievement in every true novel. In his latest work MacLennan is reaching for this composite achievement. He may indeed be coming to stature as a novelist6." Während Phelps Behauptungen aufstellt, ohne sie näher zu begründen, versucht George Woodcock, die Schwächen unseres Autors auf verschiedene Faktoren zurückzuführen — einmal auf den literarischen Nationalismus, zum anderen auf MacLennans humanistische Erziehung und kalvinistische Herkunft. Geschickt weist er den negativen Einfluß der vorgefaßten gesellschaftlichen Konzeption auf die optimistische Lösung von Two Solitudes nach. Weniger überzeugend wirkt er aber, wenn er die (seiner Meinung nach zu stark konstruierten, unabhängig von den Charakteren ablaufenden) Handlungen in Barometer Rising und Each Man's Son auf das Vorbild der griechischen Tragödie und einen ihr verwandten kalvinistischen Schicksalsbegriff zurückführen will. Da er den symbolischen Aspekt der Ereignisse völlig übersieht, glaubt er, MacLennan ähnele Hardy und erinnere audi in der Schwarzweißzeichnung der Charaktere und der Behandlung des Hintergrunds an eine ältere englische Tradition, an die regionalen Schriftsteller um 1900. Deshalb erscheint ihm Barometer Rising als „. . . the kind of novel which would probably show little life of its own and little significance in a wider sense if it were written within an older literary tradition. As it is, the application of more or less traditional attitudes and techniques to a new environment and historical situation, give them new life and make Barometer Rising, despite its lack of experimental interest, a remarkably fresh and stimulating book to read 7 ." Ganz ähnlich beschreibt Claude T. Bissell die Vorliebe für konstruierte Handlungen und Bemerkungen im Stil des auktorialen Erzählers als viktorianisch und meint, meist sei leider der temperamentvolle Essayist der Feind des Romanschriftstellers8. Tiefer in den Zusammenhang von Gehalt und Form dringt Robert Weaver ein. In einer auf einer Seite zusammengedrängten Übersicht macht er uns bei aller Schärfe der Kritik auf einen Grund für die typisierende Charakteristik aufmerksam: „. . . MacLennan's main characters, especially the young males, who are terriblyconscious of their destinies and forever vocal, sacrifice their reality as individuals under the load of social comment and analysis which they are required to support. In a novel by MacLennan . . . the characters on the periphery are the ones who evoke our sympathy V

Auch der Vorwurf, MacLennan versäume es, seinen Stoff zu straffen, verdient s Canadian Writers, Toronto 1951, S. 82. • Ebda., S. 84. 7 ,Hugh MacLennan', N R , I I I , A p r i l - M a i 1950, S. 5. Vgl. ders., .Review of Each Man's Son, N R , V, O k t . - N o v . 1951. 8 ,The Novel', in The Arts in Canada . . ., S. 93. 8 ,A Sociological Approach to Canadian Fiction', Here and Now, I, Juni 1949, S. 15.

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Beachtung: „MacLennan's dogged pursuit of every relevant social fact actually sometimes leads to an obscuration of the social situation" 10 . Indem Weaver aber auf die mechanische Handlungsführung von Barometer Rising und die traditionelle Technik hinweist, schwenkt er wieder auf die Linie der Kritiker ein, zu denen auch William Henry Magee gehört. Will man Magee, dessen Dissertation Trends in the English Canadian Novel in the Twentieth Century als Pionierarbeit zu bezeichnen ist und uns wegen ihrer Thesen noch öfters beschäftigen wird, Glauben schenken, dann steht MacLennan in einer deutlich erkennbaren kanadischen Tradition, die mit den historischen Romanzen des letzten Jahrhunderts einsetzt: „It has been his [MacLennan's] opinion, stated as early as 1941, that .there is as yet no tradition of Canadian literature'. In trying to supply one, but presumably without realizing it, he has disproven his own charge. Two Solitudes and The Precipice both use the methods to Canadianism first used by the Confederation novel, and The Precipice offers a belated plea for the ideals of the old local color novel. His novels sum up nicely the main stream of Canadian fiction in its first century

Inwieweit diese Behauptung zutrifft, muß noch überprüft werden. Die meisten Kritiker, die wir bisher kennengelernt haben, machen Einzelbeobachtungen zur Romanform und teilweise widersprüchliche Bemerkungen zur inhaltlichen Aussage der Werke: zum Nationalismus und Puritanismus sowie zur Wirklichkeitstreue der Beschreibungen. Selten wird aber davon gesprochen, ob und wie thematische Entwicklung und technische Mittel zusammenfinden. Hugo McPherson urteilt deshalb: „Popular criticism... has concerned itself largely with MacLennan's handling of such problems as Puritanism and Canadian nationalism; it has tended to ignore his technique and the relation to his increasingly complex themes" n . Es ist das Hauptverdienst McPhersons, in seinem Aufsatz ,The Novels of Hugh MacLennan' die stereotype Formel der kanadischen Kritik: „ . . . novelists in this country have proven to be uniformly traditional" 13 zu durchbrechen und den experimentellen Charakter der Bemühungen MacLennans aufzudecken. Er weist energisch auf den Symbolwert der angewandten Erzählmittel hin und weiß die Kritik an den stilisierten „plots" und der typisierenden Charakteristik (BR, T S ) weitgehend zu entkräften. Ohne die Romane überzubewerten, gelingt es ihm, MacLennan nicht als einen Spätling, sondern als einen Schriftsteller der Gegenwart zu sehen, welcher um die Form ringt, nicht aber entwickelte oder gar veraltete Formen einfach übernimmt. „The problem of Hugh MacLennan's art", erkennt er, „then, is formal", und stellt die These auf: „The symbolic structure which worked well in the treatment of social conflict stumbles over the concealed tripwire of individual uniqueness in the later novels. The increasingly complex nature of MacLennan's artistic vision has not been fully supported by parallel developments in technique 14 ." Ebda. Trends in the English Canadian Novel in the Twentieth Century, PhD, Toronto 1950 (mschr.), S. 303. 12 ,The Novels of Hugh MacLennan', QQ, L X , 1953, S. 186. 13 W. Magee, .Trends in the Recent English-Canadian Novel', C, X , Marz 1949, S. 41. 14 .The Novels of Hugh MacLennan', S. 187. 10

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Obgleidi manche seiner Ansichten noch zu erörtern sind, ist seine Arbeit ein erfreuliches Anzeichen für eine ernsthafte Beschäftigung mit der kanadischen Literatur. Als Einführung für den nicht-kanadischen Leser scheint jedoch der Aufsatz am besten geeignet, den unlängst Hermann Boeschenstein unter dem Titel ,Hugh MacLennan, ein kanadischer Romancier' vorgelegt h a t 1 4 a . Geschickt verbindet der Verfasser, der auch den 1959 erschienenen Roman The Watch That Ends the Night einbezieht, die inhaltliche Interpretation mit aufschlußreichen Hinweisen auf die kanadischen Verhältnisse. Überblicken wir jetzt noch einmal die Sekundärliteratur zum Werke MacLennans, so gehen wir sicher nicht fehl, wenn wir die gegensätzlichen Meinungen nicht nur auf methodische Unsicherheit und den beiläufigen Charakter der meisten Arbeiten zurückführen. Offenbar macht sich doch auch der Einfluß des literarischen Nationalismus bemerkbar. Als „selfconsciousness" tritt er bei Phelps hervor, der das „kanadische" Element isoliert, es aber dann unter Hinweis auf die allgemein-menschliche Problematik des Werkes mit einem kosmopolitischen Mäntelchen verdeckt. Magee ist da schon selbstbewußter. Er gehört zu den Kritikern, die die Unabhängigkeit der kanadischen Literatur betonen, auch wenn er gleichzeitig das Genre des nationalistischen Romans für künstlerisch unergiebig hält. Woodcock, Pacey und Bissell bleiben dagegen, so scheint es zunächst, vom literarischen Nationalismus distanziert. Ihre Äußerungen an anderer Stelle über die Zukunftserwartung der kanadischen Literatur 15 verweisen sie aber in die Gruppe derjenigen, welche die bisherige Abhängigkeit der Literatur von älteren Vorbildern hervorheben und die mangelnde Experimentierfreudigkeit bedauern. Aus demselben Kreis stammt auch die „Theorie des Nachhinkens", des „timelag", der die gesamtkanadische Entwicklung gegenüber der amerikanischen um etwa hundert Jahre zurücksetzen soll 16 . MacLennan selbst vergleicht die Situation des kanadischen Schriftstellers mit der Hawthornes 17 , und B. K . Sandwell 18 und George Woodcock stimmen ihm zu: „ . . . there is a genuinely Canadian literature, which is at present in that emergent State which characterised American writing in the middle of the last Century" 19 . Einzig und allein Hugo McPherson trägt keine der Konzeptionen des literarischen Nationalismus an das Werk MacLennans heran. Er betrachtet es, "») Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, VIII, 1960, S. 117—135. 15 D. Pacey, Creative Writing . . ., S. 202; C. T. Bissel, ,The Novel', S. 96. G. Woodcock: siehe nächstes Zitat. 16 Daher wohl audi die relativ intensive Beschäftigung mit der australischen Literatur seitens kanadischer Literarhistoriker: vgl. C. Bisseil, ,A Common Ancestry: Literature in Australia and Canada', UTQ, X X V , 1955/56, S. 131—42; J.P.Matthews, A Comparative Study of the Development of Australian and Canadian Poetry in the 19th Century, PhD, Toronto 1957 (msdir.), u. a. m. 17 Vgl. seinen Brief, zit. in: The Culture of Contemporary Canada, hrsg. v. Julian Park, Toronto 1951, S. 26. 18 ,The Social Function of Fiction', QQ, X L I X , 1942, S. 326. 18 In einer Fußnote vermerkt Woodcock: „I make this as a descriptive rather than a qualitative statement." (,A View of Canadian Criticism', DR, X X X V , 1955/56, S. 219).

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ohne auf die literarische Situation einzugehen. Und das ist vielleicht der Grund dafür, daß er eines der Hauptprobleme des MacLennanschen Schaffens nicht behandelt: die Frage nämlich, wie die Raumgestaltung in einem überregionalen Roman, der ganz Kanada fassen will, beschaffen sein muß. Ohne Zweifel würden wir über Gebühr vereinfachen, wollten wir nun etwa die Sekundärliteratur zu MacLennan als typisch für den Stand der kanadischen Forschung überhaupt ansehen. Die Grundhaltungen, die sich gezeigt haben, spiegeln jedoch in der Tat einige der Tendenzen wider, die vor allem die literarhistorische Betrachtung bestimmen. Dabei sind die Untersuchungen über die kanadische Lyrik weniger von den Thesen des literarischen Nationalismus geprägt als die über andere Gattungen, denn die Lyrik dürfte soziologischen Uberlegungen gegenüber kaum so aufgeschlossen sein wie der Roman. Zu dieser Schlußfolgerung gelangt jedenfalls A . D . Hope in seinem Aufsatz über die australische Literatur: „. . . there is a great deal more variety in Australian poetry than in Australian fiction. For one thing there has always been another tradition than the .National' one, a tradition of poetry that was simply poetry and dealt with the traditional subjects of poetry. I suppose that this has been its protection 20." Deshalb erscheint die Einführung in die spezifisch kanadische Situation der Literatur, die E. K. Brown seinem Buch On Canadian Poetry vorausschickt, zum großen Teil irrelevant. Seine Beobachtungen über den Büchermarkt, die koloniale Befangenheit der Leser und die Beziehungen von Kultur und Nation treffen, wenn überhaupt, auf den Roman und das Drama zu, aber nur teilweise auf die Lyrik. Der Lyriker kann in Kanada wie in anderen Ländern nur mit einer kleinen Leserschaft rechnen und ist, da ihm Zeitschriften offenstehen, nicht in dem Maß wie der Romanschriftsteller auf Verleger, die sich auf dem amerikanischen Markt behaupten müssen, angewiesen. Brown sieht das wohl selbst ein, wenn er die Vermutung ausspricht: „. . . the richness of Canadian poetry in the lyric and its poverty in longer and more complicated pieces, in epic, or dramatic composition, is related to the need of Canadians to be something else than writers in most of their time through their best creative years 21 ."

Seine Erörterung der kanadischen Lyrik nimmt auch kaum Bezug auf die soziologischen Erwägungen des ersten Kapitels 22 . Bedenklicher wirken sich die Wertkategorien „kolonial" und „kosmopolitisch" aus, welche die Arbeiten von Collins und A. J. M. Smith beherrschen. Während laut Collins die kanadische Lyrik bis zum ersten Weltkrieg stagnierte und erst unter dem Einfluß von Sir John Frazers Golden Bough, von T. S. Eliot und anderen Dichtern eine Blütezeit erlebte, scheint Smith unter „kolonial" die zu verurteilende Nachahmung englischer Autoren, besonders der viktorianischen 20

,The Literary Pattern in Australia*, UTQ, X X V I , 1956/57, S. 125. On Canadian Poetry, Toronto 1944, S. 11. — Vgl. Phyllis Webb, ,The Poet and the Publisher', QQ, LXII, 1955, S. 4 9 8 - 5 1 2 ; R. Weaver, ,The Economics of Our Literature*, QQ, LX, 1953, S. 4S0. 22 Das erste Kapitel ist übrigens eine Neufassung des Aufsatzes 'The Contemporary Situation in Canadian Literature', der in den weiter gesteckten Rahmen des Werks Ca21

nadian Literature Today, Toronto 1938, durchaus paßte.

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Zeit, zu verstehen und unter „kosmopolitisch" die begrüßenswerte Aneignung der modernen lyrischen Technik 23 . Solcher Unterbewertung der „Post-Confederation Poets" folgt die notwendige Richtigstellung in Desmond Paceys TenCanadian Poets, einem Buch, das als Ergänzung zu seiner Literaturgeschichte gedacht ist 24 . Einer echten Lösung der literarhistorischen Probleme ist anscheinend aber R . E. Rashley am nächsten. Sein Buch Poetry in Canada: The First Three Steps25 ist von solch sicherem Urteil geleitet, daß wir die allzu starke Schematisierung und Gruppenbildung gern in Kauf nehmen: „[The book] is ambitious and original in its attempt to account for the growth of Canadian poetry from the beginnings to the present as a coherent, developing, indigenous tradition truly expressive of the growing society which produced it, instead of as a series of echoes, more or less unsuccessful, of literary developments in Great Britain and the United States, or as occasional monuments of isolated achievement 28 ." Rashley hält sidi den Blick für andere Traditionen offen und versucht, an H a n d des ihm zur Verfügung stehenden soziologischen Materials aufzuzeigen: „the extent to which, in responding to foreign influences, it [Canadian poetry] has also responded to internal creative pressures" 27 . E r vermeidet den vagen „Turner ism" Egglestons 28 wie auch den beliebten Ausweg, einen Geist der kanadischen Literatur zu konstruieren, ein Unterfangen, das die Einheit der kanadischen Tradition beweisen soll. Nodi Desmond Pacey hatte einen solchen Geist am Werk sehen wollen, ihn aber über lange Strecken seiner Literaturgeschichte hin vergessen: „. . . Canadian art as a whole, and more particulary Canadian literature, has a distinctive conception of man's lot on the earth, a conception engendered by the peculiar features of the Canadian terrain. There is a family resemblance between the paintings of Tom Thomson and Emily Carr, the poems of Duncan Campbell Scott and E. J . Pratt and Earle Birney, and the novels of Grove, de la Roche and Callaghan: in all of them man is dwarfed by an immensely powerful physical environment which is at once forbidding and fascinating. This assertion I shall attempt to demonstrate in the course of this survey, and especially in the conclusion 2 9 ." So hat die kanadische Forschung mit Rashleys Werk fast den Grad der Selbstbesinnung erreicht, der die kanadische Geschichtsschreibung seit den Werken H . A. Innis' charakterisiert. Auch die Historiker haben sich nämlich mit den 23 W. E. Collin, The White Savannahs, Toronto 1936; A. J . M. Smith, The Book of Canadian Poetry, Toronto 1943; ders., .Canadian Poetry — A Minority Report', UTQ, V I I I , 1938/39, S. 1 2 5 - 3 8 . 24 Toronto 1957. — Laut brieflicher Mitteilung vom 28. 7. 1959 arbeitet Pacey an einer Geschichte des kanadischen Romans, welche sich eventuell ebenfalls auf zehn Schriftsteller beschränken wird. 2 5 Toronto 1958. 2 6 F. W. Watt, ,The Humanities*, in: .Letters in Canada: 1958', UTQ, X X V I I I , Juli 1959, S. 374. 27 Poetry in Canada . . ., S. xi. 2 8 In The Frontier and Canadian Letters (Toronto 1957) beruft sich W. Eggleston wiederholt auf die „frontier thesis" Turners, um das Fehlen einer großen kanadischen Literatur zu erklären, berücksichtigt aber den nach Turner kulturell wertvollen Gehalt der Pioniererfahrungen nicht. 29 Creative Writing . . ., S. 2.

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Begleiterscheinungen des Nationalismus auseinandersetzen müssen30. War Kingsfords zehnbändige History of Canda}l von imperialistischem Geist und antiamerikanischer Tendenz beseelt, so entdeckte nach 1900 die „School of Political Nationhood" die Unterschiede zwischen Großbritannien und Kanada und verwandelte sich in den dreißiger Jahren — unter dem Einfluß Turners — zur vorwiegend pro-amerikanischen „Environmentalist School". Kanada, hieß es auf einmal, sei „forest-born" und bilde mit den U. S. A. eine nordamerikanisdie Völkerfamilie, die aus der Reaktion gegen Europa entstanden sei. Fast gleichzeitig aber erforschte H. A. Innis die internationalen Handelsbeziehungen und sah sich gezwungen, für den nordamerikanischen Kontinent erneut, obgleich in veränderter Form, den Begriff der Rivalität einzuführen. Erst damit war der Grund für eine Betrachtungsweise gelegt, welche die These der eigenständigen Entwicklung des Landes unter eingehender Berücksichtigung des internationalen Wettstreits ausreichend modifizieren konnte. Ganz ähnlich sollte es, wie uns das Beispiel Rashleys zeigt, der Literarhistorik möglich sein, die kanadische Dichtung als selbständigen, doch nicht abgebrochenen Zweig der englischsprachigen Literatur zu behandeln. Vielleicht wird schon die zur Zeit als Gemeinschaftsarbeit konzipierte History of Canadian Literature zeigen können, wie es um die Beziehungen der kanadischen Literatur zur amerikanischen und englischen Tradition steht32. Jedenfalls sieht sich die junge kanadische Literaturwissenschaft einer Fülle von Aufgaben gegenüber: „It is symptomatic of our growing self-confidence that Canadian literature, the very existence of which was seriously debated in academic circles a generation ago, should now be recognized as a legitimate subject of research. Already valuable pioneer work has been done by faculty members and graduate students in several Canadian, and in a few American, universities 3 3 . Canadian literature remains, however, a very rich and virtually unexploited field34."

3 0 Vgl. J . M. S. Careless, ,Frontierism, Metropolitanism, and Canadian History', C H R , X X X V , 1954, S. 1—21; D. Creighton, 'Towards the Discovery of Canada', U T Q , X X V , 1955/56, S. 2 6 9 - 8 2 . 3 1 Toronto 1887—98. 3 2 Ein erster Ansatz findet sich bei Margarete L. Clark, die zu dem Ergebnis gelangt: „. . . Canadian fiction has been more or less playing a game of .Follow the Leader' with the fiction of England and the United States." (American Influences on the Canadian Novel, MA, N e w Brunswick 1940 (msdir.), S. 118). 3 3 Man beachte auch die Veröffentlichungen der Universität Upsala, z. B. G. Friden, The Canadian Novels of Sir Gilbert Parker (Historical Elements and Literary Technique), 1953. 3 4 D. Pacey, .Areas of Research in Canadian Literature', U T Q , X X I I I , 1953/54, S. 58. Vgl. ders., .Literary Criticism in Canada', U T Q , X I X , 1949/50, S. 1 1 3 - 1 1 9 ; George Woodcock, ,A View of Canadian Criticism'. D R , X X X V , 1955/56, S. 2 1 6 bis 2 2 3 ; P. Edgar, ,Literary Criticism in Canada', in: Across My Path, hrsg. v . N . Frye, Toronto 1952 (ursprüngl. U T Q , Juli 1939).

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II. Der literarische Nationalismus in Kanada „Most thoughtful men approach the soul of the individual with awe, but millions lightheartedly attempt to explain the character of a nation." — A. E.: The Inner and Outer Ireland. 1 . Zur Methode Über den literarischen Nationalismus in Kanada liegt keine umfassende Arbeit vor. Einzelne Forscher haben zwar die Äußerungen bestimmter kanadischer Diditer, Schriftsteller und Kritiker vor und nach 1867, dem Jahr der Konföderation, zusammengestellt, doch ist mit einer Sammlung verschiedener Meinungen allein noch nicht viel erreicht, eine Tatsache, auf die 1938 Robert Whitney Bolwell die amerikanische Forschung hinwies: „If nationalism in our literature is to be studied with the breadth and understanding that nationalism in politics and economics has received, it must include more than critical warfare and belletristic comparisons between England and the United States, more than efforts to represent American life in a novel or play, more than patriotic or scientific discussions of national vocabulary and idiom 1 ." Will man zu einem gründlicheren Verständnis des literarischen Nationalismus vordringen, so bieten sich zwei Verfahrensweisen an. Die Literatursoziologie könnte zum Beispiel in Einzeluntersuchungen im Stil von Kathleen Tillotsons Novels of the Eighteen-Forties2 nachweisen, wie Marktlage, Geschmack und Anforderungen verschiedener Lesergruppen, Veränderungen in der Struktur des Lesepublikums, soziale und politische Institutionen und deren Wandlungen auf den Roman einwirken3. Der literarische Nationalismus erschiene in einer derartigen Arbeit vermutlich als eine Geschmacksrichtung, die mehrere Lesergruppen integrierte und den Geschmacksträgertyp4 entscheidend beeinflußte. Abgesehen von der methodisch unsicheren Lage der Literatursozio1 .Concerning the Study of Nationalism in American Literature', AL, X, 1938/39, S. 409. 2 London 1954. 3 D . Daidies (Critical Approaches to Literature, Englewood Cliffs 1956, S. 376 ff.) faßt den Begriff der Literatursoziologie enger, als wir es tun, und bezeichnet Tillotsons Buch als „cultural context criticism". 4 Vgl. L. Schücking, Die Soziologie der literarischen Geschmacksbildung, München 1923.

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logie 5 , ist aber im Augenblick eine solche Abhandlung für die kanadische Situation nidit denkbar, da die notwendigen Vorarbeiten fehlen. Viele Zeitschriften müßten von einem literatursoziologischen Standpunkt her gesichtet 6 , die G e schichte der Verlagshäuser und Büdiereien geschrieben und die Zusammensetzung und Absicht literarischer Kreise und Vereinigungen dargestellt werden. V o r allem müßte jedoch der allgemein-soziologische Aspekt der kanadischen Entwicklung, den die Historiker bisher vernachlässigt haben 7 , klarer herausgearbeitet werden. Eher möglich scheint daher eine historische Wesensbestimmung des literarischen Nationalismus als weltanschauliches Phänomen, denn obgleich auch sie sich ständig auf soziologische Faktoren beziehen muß, braucht sie diese nicht soziologisch zu deuten. Aus den Aussagen der Dichter und Schriftsteller ließe sich die literarische Situation (zumindest indirekt) erhellen. Eine solche geistesgeschichtliche Betrachtungsweise ist aus zwei weiteren Gründen angebracht. Erstens müssen wir unter literarischem Nationalismus mehr als eine Geschmacksrichtung verstehen. Als Teilströmung eines umfassenden kulturellen Nationalismus, der in engem, aber nicht kausalem Zusammenhang mit den Erscheinungsformen des politischen steht, nimmt der literarische Nationalismus Geschmacksrichtungen auf, wandelt sich mit diesen im Laufe der Zeit, wird aber weniger von ihnen als von der politischen Entwicklung bestimmt. Zweitens liegen die Ergebnisse jahrzehntelanger Arbeiten über den amerikanischen Nationalismus vor, das heißt, wir können mit H i l f e von Vergleich und Gegenüberstellung den zahlenmäßig weit geringeren Äußerungen des kanadischen Nationalismus ein schärferes Profil abgewinnen und von vornherein, gestützt auf amerikanische Erfahrungen, den Problemkreis des literarischen Nationalismus begrifflich klären. D a ß trotz der Vorteile der zuletzt beschriebenen Methode jede Charakteristik des literarischen Nationalismus in K a n a d a ein Versuch bleiben muß, versteht sich wegen des Stands der Forschung von selbst.

2. Zur Definition Als literarischen Nationalismus bezeichnen wir im Folgenden den Versuch, eine Nationalliteratur theoretisch zu begründen und praktisch zu verwirklichen. Literarischer Nationalismus tritt also e r s t e n s in Schriften hervor, welche das Thema der Nationalliteratur und -kultur von der Voraussetzung her, daß es eine solche gibt oder geben kann, behandeln. Diese Arbeiten sind d e s k r i p t i v , wenn sie darstellen, welche besonderen Schwierigkeiten für Schrift5 Vgl. Horst Oppel, ,Methodenlehre der Literaturwissenschaft', in: Deutsche Philologie im Aufriß, hrsg. v. W. Stammler, Berlin (2. Auflage), S. 59; R. Wellek u. A. Warren, Theory of Literature, New York 1949, S. 89ff. 6 Vorbildlich: C. T. Bisseil, .Literary Taste in Central Canada During the Late Nineteenth Century', CHR, X X X I , 1950, S. 2 3 7 - 2 5 1 . 7 Vgl. Bradys Besprechung von A. Lowers Canadians in the Making: A Social History of Canada (Toronto 1958), in: UTQ, X X V I I I , Juli 1959, S. 4 1 7 - 4 2 0 .

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steller und Literatur aus den politisch-soziologisdien Gegebenheiten des Landes folgen; n o r m a t i v , falls sie die Grundzüge existierender Werke oder außerliterarische Elemente zum Merkmal der Nationalliteratur erheben; p o s t u 1 a t o r i s ch, sowie sie bestimmte Forderungen an die künftige Nationalliteratur stellen. Dabei sind im normativen und postulatorisdien Bereich verschiedene Möglichkeiten zu unterscheiden, die im Einzelfall mitunter aber nicht zu trennen sind. Wenn wir zum Beispiel bei W.E. Channing lesen, daß eine „national literature" „the expression of a nation's mind in writings" sei8, dann haben wir es einwandfrei mit einer Kundgebung des literarischen Nationalismus zu tun, mit einer Äußerung aber, die der weiteren Interpretation bedarf. Meint Channing, daß zur Nationalliteratur Werke gehören, die die Einrichtungen, Ideale, Landschaften und Menschen des Landes preisen oder das Wesen des Amerikanischen überhaupt erst einmal definieren? Oder denkt er einfach an Werke, die sich dem amerikanischen Leben zuwenden? Oder rechnet er gar alle Dichtungen, die im Land erscheinen, zur Nationalliteratur, weil er annimmt, daß ihnen allen nationale Eigenschaften gemeinsam sind? Alle drei Fragen erweisen sich als nicht zuständig, denn Channing denkt ganz allgemein an „contributions of new truths to the stock of human knowledge" und an „productions in the departments of imagination and taste". „It will be seen", meint er, „that we include under literature all the writings of superior minds, be the subjects what they may" 9 . Channing legt den Schriftsteller weder auf irgendwelche Themen noch auf eine bestimmte Art der Gestaltung fest, ist aber dennoch dem literarischen Nationalismus verpflichtet: Indem er unter Nationalliteratur einen Ordnungsbegriff versteht, nimmt er die Einteilung der Literaturen nicht mehr nach sprachlichen, sondern nach politisch-nationalen Gesichtspunkten vor 10 . Die angedeuteten Interpretationsmöglichkeiten der Behauptung, die Nationalliteratur sei der Ausdruck des Geistes der Nation, weisen auf vier verschiedene Konzeptionen der Nationalliteratur: Diese kann erstens patriotische Werke umfassen, zweitens Dichtungen, die sich der Themen des eigenen Landes annehmen, aber nicht eigentlich patriotisch sind, drittens alle Werke einer N a tion, da sidi die nationalen Grundeigenschaften als selbstverständlich in ihnen niederschlagen n , und viertens alle Dichtungen, wobei der Geist der Nation nicht weiter definiert wird und „Nationalliteratur" nur ein politischer Ordnungsbegriff ist. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der literarische Nationalismus z w e i t e n s auch in den Diditungen selbst auftaucht, und ferner, daß wir ihn dort mit 8

.Remarks on National Literature', Essays, N e w York 1837, S. 201—202. » Ebda. 10 Diese Differenzierung ist notwendig, obwohl sich Channing a. a. O. praktisch nicht von dem Literaturwissenschaftler, der der methodischen Abgrenzung halber von amerikanischer und kanadischer Literatur spricht, unterscheidet. 11 T. R. Lowell sagt: „Let an American author make a living character, even if it be antediluvian, and nationality will take care of itself." Zit. P. Rahv, Literature in America, N e w York 1957, S. 83.

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Sicherheit nur aus patriotischen Bemerkungen und nationalistisch gefärbter Darstellung erkennen können. Uns wird vor allem interessieren, wie sich der literarische Nationalismus in der Literaturkritik äußert. 3. Grundlagen des literarischen Nationalismus in Amerika Der kanadische Nationalismus bildet sich erst heraus, als zwei andere nationalistische Strömungen erkennbare Formen angenommen haben. Mit beiden, mit dem amerikanischen und dem frankokanadischen Nationalismus, kommt er in Berührung. Mit beiden muß er sich auseinandersetzen. Doch ist für ihn als politische Bewegung der frankokanadische Nationalismus wichtiger, als literarische dagegen der amerikanische. Denn während anglo- und frankokanadische Politiker im Parlament zusammenstoßen, aber trotzdem ihre Aufgaben gemeinsam lösen müssen, bleiben die Literaturen beider Kanadas voneinander isoliert: die eine muß sich in Frankreich, die andere im englischen Sprachgebiet behaupten. Infolge des Sprachunterschieds hat daher die radikalste Ausprägung des literarischen Nationalismus auf dem nordamerikanischen Kontinent, die frankokanadische, keine Stoßkraft nach außen. Jedenfalls hat die anglokanadische Kritik nicht auf die eigene Literatur die These des Abbé Groulx übertragen: „Le temps est déjà loin où l'on pouvait croire la littérature un jeu inofïensif. Toute notre tradition littéraire proteste contre ce dillétantisme. Chez nous, écrire c'est vivre, se défendre et se prolonger" 12 . Demgegenüber läßt sich der Einfluß des amerikanischen Nationalismus13 schon eher nachweisen, obgleich sein Ausgangspunkt von dem kanadischen grundsätzlich so verschieden ist, daß die Einflußnahme am deutlichsten in der negativen Reaktion zum Ausdruck kommt. Das entscheidende Erlebnis für das amerikanische Nationalgefühl ist die Revolution. Als Rip Van Winkle, der den Unabhängigkeitskrieg verschläft, in seinen. Heimatort zurückkehrt, darf er, der Vertreter der alten Welt, erst dann seine Geschichten aus der Vergangenheit erzählen, als man seine Harmlosigkeit erkannt hat. Denn die Revolution bedeutet für das amerikanische Nationalbewußtsein einen Bruch mit der Vergangenheit und Vorgeschichte. „ . . . as a nation", meint Philip Rahv, „we are afloat in history without moorings in pre-history" 14 . Deshalb ist die spöttische Bezeichnung „Arche Noah" für Websters amerikanisches 12 Dix ans d'Action française, Montreal 1926, S. 31, zit. I. F. Fraser, The Spirit of Trend) Canada. A Study of the Literature, New York 1939, S. 193. Fraser untersucht den literarischen Nationalismus in Frankokanada. Vgl. auch: A. J. Jobin: ,Present and Future Trends in French Canadian Nationalistic Literature', French Review, X V I , Februar 1943, S. 3 1 2 - 3 1 8 . 1 3 Grundlegend: B. T. Spencer, The Quest for Nationality: An American Literary Campaign, Syracuse 1957. Vgl. P. H. Boynton, Literature and American Life (For Students of American Literature), Boston 1936 (eine umfangreiche Materialsammlung); R. Blankenship, American Literature as an Expression of the National Mind, New York 1931. 14 P. Rahv, a. a. O., S. 11—12. Rahv bezieht sich auf F. G. Friedmann, .America: A Country Without a Pre-History', Partisan Review, März-April 1952.

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Wörterbuch redit eigentlich symbolisch. U n d es ist nicht verwunderlich, d a ß Webster einer der ersten war, die die literarischen Traditionen der alten Welt ablehnten und (implizit) eine Nationalliteratur forderten: „Europe is grown old in folly, corruption, and tyranny. In that country laws are perverted, manners are licentious, literature is declining, and human nature is debased . . . American glory begins to dawn at a favorable period, and under flattering circumstances. We have the experience of the whole world before our eyes; but to receive indiscriminately the maxims of government, the manners and literary taste of Europe, and make them the ground on which to build our systems in America must soon convince us that a durable and stately edifice can never be erected upon the mouldering pillars of antiquity 15." Der literarische Nationalismus, w i e das amerikanische Denken überhaupt, w i r d von A n f a n g an von der „primitiven Antithese ,Europa contra Amerika'" 1 6 bestimmt und von einem antihistorischen Bewußtsein geleitet. Wenn Carl Sandburg dichtet: „The past is a bucket of ashes" oder H e n r y Ford verächtlich sagt: „History is the bunk" 1 7 , dann schauen ihre Bemerkungen auf achtbarere Vorbilder zurück — so auf Emersons Rede ,The American Scholar', die Oliver Wendell Holmes einmal die literarische Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten genannt hat 1 8 . Obschon aber der amerikanische Nationalismus und zum Teil die amerikanische Literatur aus der Rebellion leben, obwohl zum Beispiel Cooper und T w a i n historische Romane schreiben, die im Gegensatz zu Scotts Werken die Dekadenzerscheinungen des europäischen Feudalismus 1 9 beziehungsweise die amerikanische Unbekümmertheit gegenüber der europäischen Überlieferung 2 0 herausstellen, ist der literarische Nationalismus, da er seiner selbst unsicher ist, neuen, vor allem kontinentalen Strömungen gegenüber aufgeschlossen 21 . Die lebhafte Beschäftigung mit der Frage der Nationalliteratur im zweiten, dritten und vierten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts 2 2 läßt sich des15 Vorwort zu ,An American Selection of Lessons in Reading and Speaking, Calculated to Improve the Minds and Refine the Taste of Youth, and also to Instruct them in Geography, History, and Politics of the United States' (1787), einem Werk, das 1785 noch .Grammatical Institute of the English Language' (Part III) hieß. Vgl. H. M. Jones, The Theory of American Literature, S. 39. 18 D. J. Boorstin, .Amerika und das Bild Europas', Perspektiven, 14, Winter 1956, S. 88. 17 Zit. D. Schwartz, ,T. S. Eliot as the International Hero', in: Rahv, a. a. O., S. 341. 18 Over the Teacups, Boston 1891, S. 223. 19 Vgl. Coopers The Bravo (1831), The Heidenmauer (1832), The Headsman (1833). 20 Vgl. Twains A Connecticut Yankee at the Court of King Arthur. Siehe auch seinen Reisebericht Innocents Abroad, 21 Wie man oft festgestellt hat, war die Reaktion der amerikanischen literati gegen den Puritanismus weitaus heftiger als die der englischen Schriftsteller gegen die viktorianisdie Zeit. Auch eignete sich die amerikanische Literatur die Methoden des französischen Naturalismus in größerem Ausmaß an als die englische. Vgl. John McCormick, Catastrophe and Imagination (An Interpretation of the Recent English and American Novel), London 1957. 22 Vgl. H. L. Flewelling, Literary Criticism in American Periodicals, 1783—1820, PhD, University of Michigan 1931 (mschr.); W. Charvat, The Origins of American Critical Thought, 1810—1835, Philadelphia 1936; J. C. McCloskey, "The Campaign of Periodicals after the War of 1812 for National American Literature', PMLA, L, 1935, S. 262-273.

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halb nicht auf politische Ereignisse allein zurückführen. Gewiß: die erfolgreiche Selbstbehauptung im Krieg von 1812, der übrigens die antiamerikanische Haltung der britischen Provinz Upper Canada verstärkte, gab der nationalistischen Bewegung neuen Aufschwung. Doch berühren sich die Forderungen der literarischen Nationalisten mit den Anschauungen der Romantik an so vielen Stellen, daß Benjamin T. Spencer mit einigem Recht behauptet, der literarische Nationalismus sei „the child of the Romantic movement" 2 3 . Friedrich Schlegel hatte in seinen literarhistorischen Vorlesungen von 1812, die zuerst 1815 von J . G. Lockhart übersetzt wurden und 1818 in amerikanischer Ausgabe erschienen, die romantischen Ansichten zur Nationalliteratur noch einmal formuliert: „Die erste und ursprüngliche Bestimmung der Poesie, wenn wir sie auf den Menschen und das Leben und überhaupt darauf beziehen, was sie eigentlich für eine Nation sein soll, ist es freilich, die einem Volke eigentümlichen Erinnerungen und Sagen zu bewahren und zu verschönern und eine große Vergangenheit verherrlicht im Andenken zu erhalten."

Gleichzeitig hatte er in seiner Zeitschrift Das deutsche Museum, programmatisch erklärt: „Jede Literatur muß und soll national sein; das ist ihre Bestimmung und kann ihr allein erst ihren wahren und vollen Wert verleihen" 24 . Auch Madame de Stael, deren Werke 1813 (The Influence of Literature Upon Society) und 1820 (De l'Allemagne) in Amerika veröffentlicht wurden, fand wegen ihrer These, daß es in der Literatur einen Fortschritt im Bewußtsein der republikanischen Freiheit gäbe, den Beifall der amerikanischen Literaturkritik, zumal sie diese an der folgenden Stelle mit der amerikanischen Literatur verknüpfte: „I think it always interesting to examine what would be the prevailing character of the literature of a great and enlightened people, in whose country should be established liberty, political equality, and manners in unison with its institutions: there is but one nation in the world to whom some of these reflections may be applied at the present d a y ; — America. The American literature, indeed, is not yet formed; but when their magistrates are called upon to address themselves on any subject to the public opinion, they are eminently gifted with the power of touching all the affections of the heart, by expressing simple truths and pure sentiments; and to do this, is already to be acquainted with the most useful secret of elegant style 2 5 . "

Offenbar entspringt der literarische Nationalismus einem einheimischen Patriotismus, aber wird auch befruchtet von europäischen Theorien über Literatur und Gesellschaft. Amerikaner und Europäer sahen zu dieser Zeit Amerika als einen Neubeginn an, als die Möglichkeit, den Traum der Aufklärung (und Romantik) zu verwirklichen und auf der Basis der Vernunft — in einer von der Geschichte unberührten Umwelt — einen neuen Staat zu gründen. Man denke hier etwa an die Briefe Cr&vecoeurs, an das Amerikabild des alten Goethe 26 2 3 B. T. Spencer, .Regionalism in American Literature', in Regionalism in America, hrsg. v. M. Jensen, Madison 1951, S. 219. 2 4 Zit. Paul Kluckhohn, Das Ideengut der deutschen Romantik, Tübingen 1953, S. 177. 25 The Influence of Literature Upon Society, zit. H . M. Jones, a. a. O., S. 65—66. 2 6 Vgl. H. Oppel, .Amerikanische Literatur*, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Berlin 1955, S. 5 1 - 5 2 .

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und an den Plan des jungen Coleridge, sich mit seinem Freund Southey an den Ufern des Susquehanna niederzulassen 27 . I n der eigentlichen Diskussion darüber, wie die neue Literatur aussehen soll, sind drei weitere Faktoren wichtig. So die neuenglische Tradition, die schon immer auf die Verderbtheit Europas hingewiesen, eine nüchtern-erzieherische Literatur begünstigt und andere Arten abgelehnt hatte. Einflußreich ist ferner das Argument, der Schriftsteller leiste nur dann sein Bestes, wenn er seine Umwelt beschreibe, denn Schönheit sei keine abstrakte Eigenschaft, sondern von Land zu Land verschieden. Diese Ansicht, die teilweise auf der Hartleyschen Assoziationspsydiologie beruhen mag, ruft viele Artikel hervor, welche die typisch amerikanischen Themen katalogisieren und die Besonderheiten der amerikanischen Landschaft dem Schriftsteller empfehlen 2 8 . Unter dem Einfluß Scotts schließlich, dessen Darstellungen der schottischen Geschichte eine Möglichkeit aufzeigen, das eigene Land nationalistisch zu interpretieren, verwandelt sich, wie G. Harrison Orians beobachtet hat, „the demand for nationalism into a quest for Scott-like ingredients in American life" 2 9 . In seiner ersten Phase — bis etwa 1825 — ist der literarische Nationalismus voller Zukunftserwartung und hat postulatorisdien Charakter. Aber recht bald setzt eine langsam wachsende Ernüchterung ein. Man sucht vergeblich nach den erwünschten „amerikanischen" Werken und empfindet zum erstenmal die einst begrüßte „Geschichtslosigkeit" als Mangel. Voll Bitterkeit macht man sich klar, welche Ingredienzien dem amerikanischen Leben fehlen: „There is scarcely an ore which contributes to the wealth of the author that is found here in veins as rich as in Europe. There are no annals for the historian; no follies (beyond the most vulgar and commonplace) for the satirist; no manners for the dramatist; no obscure fictions for the writer of romance; no gross and hardy offences against decorum for the moralist; nor any of the rich artificial auxiliaries of poetry. The weakest hand can extract a spark from the flint, but it would baffle the strength of a giant to attempt kindling a flame with a puddingstone 30 ." So wenden sich viele Schriftsteller wieder europäischen Themen zu. W i e Whittier und Lowell distanziert sich auch Longfellow in Kavanagh ( 1 8 4 9 ) von seinem ursprünglich nationalistischen Programm 3 1 , und zehn J a h r e später bezeugt 27 Vgl. J. R. MacGillivray, ,The Pantisocracy Scheme and Its Immediate Background', in: Studies in English by Members of University College, Toronto 1931. 28 R. E. Streeter, ,Association Psychology and Literary Nationalism in the North American Review, 1815-1925', AL, XVII, 1945/46, S. 2 4 3 - 2 5 4 ; W. E. Sedgwick, ,The and Materials for an American Literature', Harvard Studies and Notes in Philology Literature, XVII, 1935, S. 141 S. 29 ,The Romance Ferment after Waverley', AL, III, 1932, S. 409. Vgl. audi N. F. Doubleday, .Hawthorne and Literary Nationalism', AL, XII, 1940/41, S. 447—453. 30 J. F. Cooper, .Letter XXIII*, Notions of the Americans (1828), zit. P. Rahv, a. a. O., S. 32. — Als ständige Gegner des literarischen Nationalismus sind die „neoklassizistischen Kritiker" anzusehen. Vgl. D. Shrell, .Nationalism and Aesthetics in the North American Review: 1815—1850', in: Studies in American Literature, hrsg. v. W. McNeir und L. B. Levy, Baton Rouge 1960, S. 11—21. 31 Vgl. H. H. Clark, .Nationalism in American Literature', UTQ, II, 1932/33, S. 492-519.

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Nathaniel Hawthorne nodi einmal die Schwierigkeiten des amerikanischen Schriftstellers: „No author, without a trial, can conceive of the difficulty of writing a romance about a country where there is no shadow, no antiquity, no mystery, no picturesque and gloomy wrong, nor anything but a commonplace prosperity, in broad and simple daylight, as is happily the case with my dear native land. It will be very long, I trust, before romance-writers may find congenial and easily handled themes, either in the annals of our stalwart republic, or in any characteristic and probable events of our individual lives. Romance and poetry, ivy, lichens, and wall-flowers, need ruin to make them grow 3 2 ." Allerdings deckt H a w t h o r n e hier nur die Hindernisse auf, die der „romance" im Wege stehen, und scheint sich durchaus der Tatsache bewußt zu sein, daß sich dem amerikanisdien Schriftsteller andere Möglichkeiten bieten — eine Einsicht, die H e n r y James, der eine ähnliche Liste der in Amerika fehlenden Einrichtungen aufgestellt hat, 1 8 7 9 deutlich ausspricht: „The natural remark, in the almost lurid light of such an indictment would be that if these things are left out, everything is left out. The American knows that a good deal remains; what it is that remains — that is his secret, his joke, as one may say. 3 S ." Deshalb nimmt es nicht wunder, daß nach wie vor viele Kritiker eine N a tionalliteratur fordern und der literarische Nationalismus um 1835 in eine zweite Phase eintritt, die nicht mehr unter dem Zeichen der Romantik und der Vergangenheit, sondern unter dem Einfluß der „westward expansion" steht 3 4 . Denkwürdigstes Dokument des neuerwachten Selbstbewußtseins ist Emersons ,The American Scholar' ( 1 8 3 7 ) . Indem Emerson seine Lehre von der „self-reliance" auf die gesamte Nation überträgt, stellt er den literarischen Nationalismus in Amerika zum erstenmal auf eine breite kulturphilosophische Basis, deren optimistische Prägung all den Erwartungen entspricht, welche die nach Westen vordringenden Amerikaner vereinen. Dabei definiert Emerson eigentlich nie, wie die Nationalliteratur beschaffen sein soll, doch können wir mit Spencer annehmen, „ . . . that in his mind the desiderata were two: first, that the most humble phases of American life be comprehended and sung; secondly, that the ,New World spirit' be given adequate expression" 3 5 . Im Gegensatz zu vielen K r i tikern der ersten Periode ersehnt sich Emerson keine pittoresken Landschaftsbeschreibungen: „His real concern was for an ultimate truth which, he felt, might be discovered in the most lowly American object. 'The great man, even whilst he relates a private fact personal to him, is really leading us away from him to an universal experience 3 6 . ' " Damit bekundet Emerson eine neue Einstellung zu den viel diskutierten Materialien der amerikanisdien Literatur. Das amerikanische Leben selbst, nicht mehr 3 2 Vorwort, The Marble Faun, in: The Complete Novels of Nathaniel Hawthorne, New York (Modern Library), n. d., S. 590. 3 3 .Hawthorne', zit. Rahv, a. a. O., S. 96. 3 4 B. T. Spencer, ,A National Literature, 1837—1855*, AL, V I I I , 1936/37. S. 125-159. 3 5 Ebda., S. 129. 3 6 Ebda. — Vgl. auch F. O. Matthiessen, Amerikanische Renaissance (Kunst und Ausdrude im Zeitalter Emersons und Whitmans), Wiesbaden 1948.

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seine für europäische Augen ansprechenden Züge, rückt in den Mittelpunkt. „America is all poetry", schrieb Daniel Whitaker 1842 im Southern Quarterly Review37. Amerika ist, bestätigte Emerson im gleichen Jahr, „a poem in our eyes" 38 . „The United States themselves", rief Whitman in seinem Vorwort zu Leaves of Grass (1855) aus, „are essentially the greatest poem" 3 9 . Mit der begeisterten, aber realistischeren Auffassung des amerikanischen Lebens und der Ausdehnung nach Westen hängt wohl die immer stärker werdende Tendenz zum Regionalismus eng zusammen. Wie William Gilmore Simms glauben viele Kritiker und Schriftsteller, daß sich eine wirklich amerikanische Nationalliteratur aus realistischen Schilderungen der einzelnen Regionen zusammensetzen müsse: „If we do not make our work national, it will be because we shall fail in making it sectional"40. Die Vorstellung, aus den Äußerungen der einzelnen Landesteile werde ein einheitliches Bild des amerikanischen Wesens erstehen, scheiterte aber schließlich an den politischen Verhältnissen. In Werken wie Uncle Tom's Cabin wurden die kommenden Kämpfe vorausgenommen, und als der Bürgerkrieg ausbricht, geht auch die zweite Phase des literarischen Nationalismus zu Ende.

4. Grundlagen des literarischen Nationalismus in Kanada Während in den Staaten der Bürgerkrieg tobt und das amerikanische „Experiment" ernsthaft bedroht, ringen in der britischen Provinz Canada, welche etwa die Gebiete der heutigen Provinzen Ontario und Quebec umfaßt, die Politiker um eine Neugestaltung der staatlichen Struktur. Verschiedene Möglichkeiten stehen zur Debatte, aber keine scheint geeignet, die Gegensätze zwischen dem angelsächsischen und dem frankokanadischen Teil der Bevölkerung beizulegen. Erneut ist — diesmal über der Frage der paritätischen Besetzung des Parlaments — die Kluft zwischen den beiden Kanadas aufgebrochen, jene Kluft, deren Beseitigung das Hauptthema der kanadischen Geschichte bildet. Im Siebenjährigen Krieg war La Nouvelle France erobert worden und im Jahre 1763 mit dem Frieden zu Paris endgültig an England gefallen. Der „amerikanische Cato" Benjamin Franklin, der in seiner Autobiographie notierte: „Canada delenda est", träumte nun wie andere Staatsmänner von einem britisch-nordamerikanischen Imperium. „With Canada in our possession", schrieb er aus London, „our people in America will increase amazingly" 4 1 . „No one", meinte er nach dem Fall Quebecs, „can more sincerely rejoice than I do, on the reduction of Canada; and this not merely as I am a colonist, but as I am a Briton. I have long been of opinion, that

1, April 1842, S. 496, zit. B. Spencer, ebda., S. 138. Zit. Rahv, a. a. O., S. 19. 39 Walt Whitman, hrsg. v. Mark Van Doren, New York 1945, S. 29. 40 Magnolia, IV, April 1842, S. 251—252, zit. B. Spencer, .Regionalism . . .', a. a. O., S. 255. 41 Zit. Chester Martin, Foundations of Canadian Nationhood, Toronto 1955, S. 10. 37

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the foundations of the future grandeur and stability of the British Empire lie in America; and though, like other foundations, they are low and little now, they are, nevertheless, broad and strong enough to support the greatest political structure that human wisdom ever yet erected . . . All the country from the St. L a w rence to the Mississippi will in another century be filled with British people. Britain herself will become vastly more populous; by the immense increase of its commerce, the Atlantic sea will be covered with your trading ships; and your naval power, thence continually increasing, will extend your influence round the whole globe, and awe the w o r l d 4 2 !"

Das Erste Empire ging aber bereits seinem Ende entgegen. 1774 verabschiedete das britische Parlament die Quebec-Akte und richtete damit zum erstenmal eine Kolonialregierung ein. Die Verwaltungsform nach dem Governor-Council-Muster orientierte sich offensichtlich an dem französischen Vorbild und war, da sie überdies die Vorrechte des französischen Klerus und Adels unangetastet ließ, den Führern des besiegten Kanada höchst genehm. Ihnen erschien fortan die Quebec-Akte als ein Freundschaftsbeweis Englands, zumal sie de facto Sicherheitsgarantien für das Fortbestehen der französischen Sprache und der katholischen Religion und somit Schutz gegen „les sacrés Bostonnais" bot. Die amerikanischen Kolonisten und ihre Whigfreunde in England waren dagegen über die Anmaßung des Parlaments, eine Kolonie (dazu eine mit nicht-verantwortlidier Regierung) ins Leben zu rufen, empört und rechneten die QuebecAkte zu den „Intolerable Acts". Mit Recht empfanden sie, daß das Gesetz gegen sie gerichtet war, denn England, wie sich bald herausstellte, wünschte die Freundschaft der Frankokanadier, um wenigstens eine sichere Ausgangsbasis für eventuelle Operationen gegen die Kolonisten zu haben. Die Akte selbst stand schon ganz im Zeidien der englischen Einklammerungspolitik 4 3 . Doch die englischen Bemühungen waren vergeblidi: An der amerikanischen Revolution zerbrach das Erste Empire. Die Möglichkeit eines Zweiten Empire zeichnete sich bloß verschwommen ab. Infolge des Krieges hatten sich die Loyalisten nach Kanada abgesetzt, und da ihnen noch andere angelsächsische Siedler folgten, wurde die Quebec-Akte hinfällig. Im „Constitutional A c t " von 1791 teilte das britische Parlament das einst für die Frankokanadier vorgesehene Gebiet in die Provinzen Upper und Lower Canada auf, löste dabei aber weder die Frage der Minorität noch die der kolonialen Selbstverwaltung. Lower Canada hatte zwar jetzt eine parlamentarisierte Regierungsform, doch beschleunigte gerade diese die Enwicklung des frankokanadischen Nationalismus, weil jeder der zahlreichen englischen Ubergriffe auf die parlamentarischen Vorrechte lebhafte Proteste entfachte 44 . Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen. Und als Lord Durham ein J a h r nach den Aufständen von 1837 seinen Bericht für das Parlament verfaßte, gab er zu: „I Brief an Lord Kames, 3. 1. 1760, zit. Chester Martin, a. a. O., S. 11. „The boundaries of the province were to be carried down the Ohio to the Mississippi and the whole watershed of the St. Lawrence and the Great Lakes was to revert to seigneurial tenure, ,with the avowed purpose of excluding all further [American] settlement therein.' " Zit. Chester Martin, a. a. O., S. 46. ** Jean-Marc Léger, ,Aspects of French-Canadian Nationalism', U T Q , X X V I I , 1957/58, S. 3 1 0 - 3 2 9 . 42

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expected to find a contest between a government and a people: I found two nations warring in the bosom of a single state. I found a struggle not of principles but o f races" 4 5 . D e r nächste Lösungsversuch, die Wiedervereinigung von Upper und Lower C a n a d a ( 1 8 4 1 ) und die als Zugeständnis folgende Einrichtung eines „responsible government" ( 1 8 4 8 ) , w a r wesentlich glücklicher als der vorangegangene : „Here at the nadir of racial defeat and humiliation in the second empire the healing therapy of association under La Fontaine and Baldwin, inspired by the political sagacity of Francis Hincks, restored the broken tissues and set a pattern for racial co-operation in Canada for all time to come48." D a die neue Regelung aber eine paritätische Verteilung der Mandate auf Eastern und Western Canada vorsah, w a r in ihr der Keim für jene Krise angelegt, die in den Jahren des amerikanischen Bürgerkriegs die politische Situation beherrschte. 1861 hat sich nämlich das Bevölkerungsverhältnis zum Nachteil Western C a nadas verändert. Zählte dieser Teil 1841 nur 4 5 0 0 0 0 Einwohner im Vergleich zu den 6 0 0 0 0 0 Eastern Canadas, so hat er zwanzig J a h r e später Quebec überflügelt ( 1 4 0 0 0 0 0 zu 1 100 000), aber eben nadi wie vor nur fünfzig Prozent der Sitze im gemeinsamen Parlament. Mit Nachdruck fordert er deshalb die Einführung des Verhältniswahlrechts, stößt jedoch auf den energischen Widerstand der Frankokanadier. 1863 erreichen die Verhandlungen einen toten P u n k t . Eine gütliche Einigung scheint fern. Inzwischen haben aber andere Faktoren Bedeutung erlangt. Voller Besorgnis beobachtet man die unaufhaltsame Entwicklung der Vereinigten Staaten und befürchtet, die Amerikaner würden sich nicht nur nach dem Westen, sondern audi nadi dem Norden ausdehnen und einen Keil zwischen die britischen Gebiete im fernen Westen und die östlidien Provinzen, d. h. die Union of Canada, schieben. Angesichts der amerikanischen Truppenmacht, die in absehbarer Zeit frei wird, wächst die Zahl derer, die eine gesamtkanadische Lösung befürworten. „ T h e Americans", erklärte der einflußreiche ZeitungsVerleger Brown, „are now a warlike people. They have large armies, a powerful navy, an unlimited supply of warlike munitions, and the carnage of war has to them been stript of its horrors. The American side of our lines already bristles with works of defence, and unless we are willing to live at the mercy of our neighbours, we, too, must put our country in a state of efficient preparation. War or no war — the necessity of placing these provinces in a thorough state of defence can no longer be postponed. Our country is coming to be regarded as undefended and indefensible 4 7 ." U n d im J u l i 1863 schrieb Thomas D ' A r c y McGee, ein nach K a n a d a emigrierter irisdier Nationalist, in der Montreal Gazette: „The whole o f British N o r t h America, from Atlantic to Pacific, should form one nation, and our safety lies in the growth of the national sentiment" 4 8 . So kommt es denn 1864 zur großen Koalition, die zusammen mit dem Kolonialamt die kanadische Konföderation vorbereitet. 4 5 Zit. Arthur Lower, Colony to Nation. 248-249. 4 6 Chester Martin, a. a. O., S. 59. 47 Zit. Chester Martin, a. a. O., S. 306. 4 8 Zit. Chester Martin, a. a. O., S. 308.

A History

of Canada,

Toronto 1949, S.

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Auf Grund der British-North-America-Akte, die 1867 vom britischen Parlament verabschiedet wurde, vereinigen sich die Provinzen Canada, N o v a Scotia und New Brunswick zu dem Dominion of Canada. Doch während New Brunswick erst nach einer zweiten Volksbefragung (1866) der Konföderation zustimmt, ziehen die Vertreter Nova Scotias in das kanadische Parlament mit dem Auftrag ihrer Provinzialversammlung ein, die Vereinigung abzulehnen, und weichen nur dem Druck der öffentlichen Meinung. Die Provinz Prince Edward Island bleibt gar ganz fern und folgt erst 1873 den neugebildeten Provinzen Manitoba (1870) und British Columbia (1871) in den (im Vergleich zu den U S A ) stark zentralistischen Bundesstaat. Der moderne kanadische Staat ist also weder das Ergebnis eines Krieges noch das Resultat einer spontanen Volksbewegung. E r ist vielmehr das Endprodukt einer langwierigen Entwicklung, deren Verlauf, wenn überhaupt von einer Stelle, vom britischen Parlament gelenkt wird: „Some peoples are born nations, some achieve nationhood and others have nationhood thrust upon them. Canadians seem to be among these last" 4 9 . Die eigentliche Gründung des kanadischen Staats im Jahre 1867 ist im wesentlichen eine Defensivmaßnahme gegenüber den Vereinigten Staaten, obschon hier und da Stimmen laut geworden sind, die Kanada eine eigene „manifest destiny" prophezeiten. Gleichzeitig bedeutet die Konföderation die erfolgreiche Beilegung des anglo- und frankokanadischen Zwistes, denn obwohl die Gegensätze nicht verschwinden, hat man endlich eine Regierungsform gefunden, welche künftige Streitigkeiten abdämpfen kann: Die provinzialen Volksvertretungen dienen jetzt als Puffer des gesamtkanadischen Parlaments. Nicht das Erlebnis einer Revolution, sondern die über Generationen dauernde Evolution bestimmt daher das kanadische Nationalgefühl. Ohne mit der Vergangenheit brechen zu müssen, können sich die Kanadier den Aufgaben der Zukunft widmen — doch auch ohne den Antrieb und die Begeisterung, welche der erfolgreich geführte Unabhängigkeitskrieg den Amerikanern mitteilte. Der kanadische Nationalismus als politisches Phänomen ist nur selten aggressiv, meist vorsichtig und zurückhaltend. E r muß nach Frankokanada hin beschwichtigen, bei aller Eigenständigkeit mit England übereinkommen und sich gegenüber Amerika verteidigen. Vor allem muß er sich selbst immer wieder beweisen, daß Kanada eine Nation ist, denn der Staat ist ja von oben herab gegründet worden 50 und hat erst 1926 das letzte Kennzeichen eines wirklich autonomen Landes, die selbständige Leitung der Außenpolitik, erworben: rund hundertundfünfzig Jahre später als die Vereinigten Staaten. Infolge der Zurückhaltung, die sich der Nationalismus in politischer Hinsicht auferlegen muß, fällt dem kulturellen Nationalismus, besonders seinem literariArthur Lower, a. a. O., S. 325. Allerdings arbeiteten bestimmte anglokanadisdie Kreise aus nationalistischen Gründen auf die Konföderation hin. Vgl. hierzu die historische Untersuchung von R . T . Green, Influence of Canadian Literature Upon the Growth of Nationality to Confederation, MA, Ottawa 1937 (mschr.); F. R . Scott, ,Political Nationalism and Confederation', C J E P S , V I I I , 1942, S. 3 8 6 - 4 1 5 . 49

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sehen Zweig, die wichtige Aufgabe zu, die Existenz der Nation an der nationalen Kultur zu demonstrieren beziehungsweise eine solche in Pflege zu nehmen. Darum hat der literarische Nationalismus in Kanada einen anderen Charakter als in Amerika. Während er dort meistens die Nation und die nationalen Eigenschaften voraussetzt und von der Literatur fordert, sie möge endlich mit der Aktualität gleichziehen und diese gestalten, verstrickt sich die kanadische Literaturkritik in soziologische Erörterungen über die Beziehungen von Staat und Kultur und führt die fehlende Nationalliteratur auf das mangelnde Nationalbewußtsein, oder umgekehrt: das schwach ausgebildete Nationalgefühl auf das Versagen der Literatur zurück. O f t untersucht sie überhaupt erst einmal, was „kanadisch" ist und wie man innerhalb der englischsprachigen Tradition bleiben, aber doch „kanadisch" sein kann.

5. Die erste Phase: 1 8 6 7 - 1 9 0 0 Pflegte auch der alte Herr Blackadar aus Halifax am Dominion D a y seinen Acadian Recorder „in mourning" zu drucken; mochte auch W. S. Fielding wegen seiner sezessionistischen Parolen noch 1886 eine Wahl gewinnen, so rief die K o n föderation doch Begeisterung hervor und löste die erste Periode des literarischen Nationalismus aus: „Never before had Canadians been as ready as in these first three decades after Confederation to welcome a native literary movement, and this public responsiveness undoubtedly had something to do with the marked increase in the quantity and quality of literature during the period 51 ." Der literarische Nationalismus konnte sich zunächst einmal auf den Lokalpatriotismus der angelsächsischen Siedler stützen. Wie aus Carl Ballstädts gründlicher Arbeit über die Anfänge der kanadischen Literaturkritik 5 2 hervorgeht, hatten sich bereits in den zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts verschiedene Kritiker die Frage vorgelegt, wie die kanadische Literatur beschaffen sein müsse, und sich bei der Beantwortung von erzieherischen Erwägungen leiten lassen: „In order to make possible the development of Canada, Chrisholme felt that Canadians should emulate a literature that had existed in former ages, a literature which had as its aim ,the instruction of mankind in all that tended to their present improvement and future happiness.'" „Wilcocke urged the people of Canada to cultivate the art of poetry, primarily in the hope that poetry would tend to ,polish the manners, correct the language, and give a copiousness and elegance of diction which cannot be acquired by better means' 53 ." D a eine einheimische Literatur „,the most desirable and successful instructor of the great bulk of the population of any Country'" sei und „the ,natural claim to the attention of the inhabitants'" besitze, gab Chisholme den R a t : „to D. Pacey, Creative Writing . . ., S. 33. C. Ballstadt, The Quest for Canadian Identity in Pre-Confederation English-Canadian Literary Criticism, MA, University of Western Ontario 1959 (mschr.). 53 D. Chisholme, .Introduction', Canadian Magazine, 1823, S. 1—8; S. H. Wilcocke, Canadian Magazine, 1824, S. 141—146; zit. C. Ballstadt, S. 29—30. 51

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practice a ,thorough disregard o f all fictitious matters, until both the taste and the mind o f the writer have been formed by all that is beautiful in nature, and moral and virtuous in real life'" 5 4 . Mit der Forderung nach beschreibender L y rik und informativer Tatsachenliteratur wandten sich die Kritiker in K a n a d a zur gleichen Zeit wie in Amerika den „Materialien" der Dichtung zu. S o schrieb zum Beispiel D a v i d Chisholme in einer Besprechung von ,The Rising Village', dem ersten längeren kanadischen Gedidit, das Oliver Goldsmith ( 1 7 9 4 — 1861) 1825 dem ,Deserted Village' seines Onkels, des englischen Oliver Goldsmith, gegenüberstellte: „,It is a question whether any other part of the globe presents a wider field where the power of descriptive poetical composition can range and exert itself with greater novelty and effect, than among the wild localities, and sublimely magnificent scenery of our Cis-atlantic hemisphere 5 5 .'" Optimistisch beurteilte auch Standish O ' G r a d y die Möglichkeiten, die sich der kanadischen Muse boten: „This expanded and noble continent will no doubt furnish fit matter for the Muse. This diversity of climate, the richness of soil, the endearing qualities of a genial atmophere must no doubt furnish a just excitement to the poetic mind, and arouse that energy correspondent with a richness of scenery, which the contemplative mind will studiously portray 5 6 ." G a n z im Sinne dieser Kritiker hatten viele Diditer sdion vor 1867 den k a n a dischen Ahornbaum besungen 57 oder überhaupt erst einmal in ihren Versen die spezifisch kanadischen Motive aufgezählt: „Let others for foreign grandeurs roam, Dearer to me the loveliness of home: Our ocean-lakes that spread to regions strange, Where beavers dam, and herding bisons range, Our boundless woods where rapid rivers sweep, And cloudy cataracts in the thunder leap, Let circling halos blaze Around thy head and crown immortal lays, For me a wreath of modest cedar, still, May haply bloom on some Canadian hill . . . 5 8 " Versuchten die Amerikaner, mit dem Hinweis auf die amerikanische Landsdiaft und Geschichte ihre Forderung nadi einer unabhängigen Nationalliteratur 54 .Saint Ursula's Convent', Canadian Review, 1824, S. 49—53; zit. C. Ballstadt, S. 26. 5 5 ,The Rising Village', Canadian Review, 1826, S. 367—372; zit. C. Ballstadt, S 31—32. Vgl. D. Pacey, ,The Goldsmiths and Their Villages', UTQ, X X I , 1951/52, S. 27—38. Siehe ferner die soziologische Deutung von R. E. Rashley, a. a. O., S. 26 ff. 56 .Preface', The Emigrant, 1842; zit. A. J. M. Smith, ,„Our Poets": A Sketch of Canadian Poetry in the Nineteenth Century', UTQ, X I I , 1942/43, S. 81. 57 Siehe z. B. Susanna Moodies ,The Maple-Tree' in: Roughing It in the Bush, Or, Forest Life in Canada, London 1852. Roughing It . . ., einer der besten Berichte über die Schwierigkeiten der Einwanderer, sollte englische Adlige und feinfühlige Menschen vor der Auswanderung warnen. In die zweite Ausgabe des Buchs (1871) nahm Moodie viele patriotische Bemerkungen auf, die den negativen Eindruck der ersten Ausgabe verdecken sollten. 58 William Kirby, .Introduction*, U. E., A Tale of Upper Canada, 1846; zit. Ballstadt, S. 91.

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zu begründen, so ging es den meisten kanadischen Kritikern anfangs darum, die Siedler an die Literatur heranzuführen und ihren Bildungsstand zu heben59. Deshalb begrüßte zwar John Gibson, der Herausgeber der Zeitschrift Literary Garland and. Canadian Magazine (Montreal 1838 — 1851), Beiträge kanadischer Autoren, stellte aber gleichzeitig fest: „ . . . Our principal dependence must be, for a time, at least, that we can borrow from minds so much richer than our own, that many will deem it a waste of space to devote the pages of the Magazine to our own outpourings'" 60 . Erst in den vierziger und fünfziger Jahren geriet die kanadische Literaturkritik unter den Einfluß des erwachenden politischen Nationalismus, wenn audi, wie Ballstadt zeigt, „the refinement of taste" ihr Hauptanliegen blieb. Der eifrigste Befürworter einer kanadischen Nationalliteratur, der Ire Thomas D'Arcy McGee, übertrug seine Erfahrungen als Herausgeber der Dubliner Zeitschrift The Nation (der Stimme des Ireland Movement) auf seine Wahlheimat Kanada und glaubte: „ . . . Canadian literature would play its part in creating a Nationality a n d . . . confederation, bringing with it nationality in fact, would aid the development of literature" 61 . 1857 stellte er daher die Forderung auf: „,Come! let us construct a national literature for Canada, neither English, nor French, nor Yankeeish, but the offspring and heir of the soil, borrowing lessons from all lands, but asserting its own title throughout all'" 6 2 . Ballstadt führt eine Reihe ähnlicher Kundgebungen des literarischen Nationalismus an, versäumt aber, darauf hinzuweisen, daß die britisch-imperialistische Stimmung vor der Konföderation eine wirksame Gegenkraft gegenüber allen nationalistischen Bestrebungen war. Infolge der starken britischen Einwanderung nach 1812 waren viele literarisch interessierte Kanadier noch in England aufgewachsen und hatten ihre dort geformten Anschauungen in die neue Heimat mitgebracht. „Canada", sagt J . M. S. Careless in einer aufschlußreichen Untersuchung, „perhaps never before or since has been so British" 63 . Und ein Zeitgenosse meinte: „,Thousands of adopted Canadians are truly loyal to the Crown of England, who possess but little love for Canada. Had they happened to have been born here, or was this their fatherland, it would have been different with them in this respect'" 64 . Die imperialistische Gesinnung äußerte sich erstens im Antiamerikanismus. Eindrucksvoll geschah dies in dem Medium von Thomas Haliburtons (1796 bis 1865) humoristischer Satire The Clockmaker (1836): in dem herumziehenden 5 9 Dies wird nicht berücksichtigt von A. J . M. Smith, der zusammenfassend sagt: " . . . la source la plus importante de ce désir de nationalisme individuel . . . était le romantisme européen . . (,Le nationalisme et les poètes canadiens anglais', Gants du ciel, Juni 1945, S. 87.) 60 Literary Garland . . ., I, 1838; zit. Ballstadt, S. 59—60. 6 1 Carl Ballstadt, S. 129. 6 2 .National Literature', New Era, 17. 6. 1857; zit. Ballstadt, S. 119. 6 3 ,Mid-Victorian Liberalism in Central Canadian Newspapers, 1850—67', C H R , X X X I , 1950, S. 234. Dagegen: R . P. Baker, A History of English-Canadian Literature to the Confederation, Cambridge, Mass., 1920, S. 183. 8 4 J . Leonard, .Patriotism', Canadian Gem, II, 1849, S. 268—270; zit. Ballstadt, S. 80.

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Uhrmacher Sam Slick, einem arroganten, gerissenen, ungehobelten Yankee, führte Haliburton seinen amerikanisierten Landsleuten in N o v a Scotia ein Produkt der republikanischen Demokratie vor. Auf den M a r k t abgestimmt w a r dagegen der Antiamerikanismus des einzigen bedeutenden Romanschriftstellers John Richardson (1796 — 1852). Als dieser in Upper C a n a d a keinen Erfolg hatte, gab er in den Staaten eine Zweitfassung seines Buches The Canadian Brother565 heraus und entfernte die meisten anstößigen Stellen. Die Bemerkung, Amerika habe 1812 den Krieg erklärt, fiel weg, und die kanadischen Seen und W ä l d e r v e r w a n delten sich unversehens in amerikanische. Ein zweiter wichtiger Ausdruck der imperialistischen Einstellung waren die Gedichte Charles Sangsters (1822 — 1893), des „Vaters der kanadischen Dichtung", des „Wordsworth of C a n a d a " 66 . Sangster feierte die Landschaft und die geschichtlichen Ereignisse, forderte in seinem Gedicht ,England and America' (1860) ein Vater-Sohn-Verhältnis f ü r Kanada und wies auf die verpflichtende englische Tradition hin: „Boast ye not her love of Freedom? Do ye not revere the past When her mighty men of genius — Chaucer, Shakespeare, Milton, Pope — Glorified that self-same language, Since become your pride and hope? e ? " Obgleich sich erste Ansätze zur nationalistischen Literaturbetraditung vor 1867 finden lassen, müssen w i r alles in allem R . E. Rashley zustimmen, der die „PreConfederation Literature" so beurteilt h a t : „The idealisms which determine pioneer verse, apart from the ideals of home which predicate the fact of pioneering, are local patriotisms with the attendant growth of self-confidence expressed in political developments, the larger empire loyalty, and the ideals of religion. It is too soon for the pioneer groups to be aware of themselves as a large entity as distinguished from the British entity; they are too separate in themselves and too recently from other homes, but they are very mudi aware of the areas against which the struggles of their past were set, and each of the group eulogizes his area in terms of warmest affection 68 ." Nach 1867 weitet nun der literarische Nationalismus die Lokalpatriotismen aus und wandelt die britisch-imperialistische Strömung in die Liebe zu K a n a d a und die Verehrung des Mutterlandes um, gilt es doch, w i e der Politiker E d w a r d Blake 1874 sagte, eine gemeinsame Basis für alle Kanadier zu finden: „We are engaged in a very difficult task, the task of welding together seven Provinces which have been accustomed to regard themselves as isolated from each 65 Zuerst Montreal 1840. In den U. S. A. als Matilda Montgomerie, or The Prophecy Fulfilled, New York 1851. Vgl. W. R. Riddell, John Richardson, Toronto 1926, S. 56 ff. 66 E. Broadus, Hrsg., A Book of Canadian Prose and Verse, Toronto 1926, S. 21; National Magazine, London, England, zit. D. Pacey, Creative Writing . . ., S. 29. 67 E. Broadus, a. a. O., S. 22. 68 R. E. Rashiey, Poetry in Canada . . ., S. 50. — Weitere Einzelheiten zur Pre-Confederation Literatur: A. J. M. Smith, .Colonialism and Nationalism in Canadian Poetry Before Confederation', Report der Canadian Historical Association, 1944, S. 74 bis 85; R. P. Baker, a. a. O.; M. S. McCracken, ,Tradition of Pre-Confederation English-Canadian Literature', Revue de l'université d'Ottawa, Okt.-Dez. 1937; W. Eggleston, The Frontier and Canadian Letters.

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other . . . We must find some common ground on which to unite, some common aspiration to be shared, and I think this can be found alone in the cultivation of that national spirit to which I have referred 69." Dieser Aufgabe unterzieht sidi in den siebziger Jahren die „Canada First"-Bewegung. Entstanden aus dem Protest gegen die nationale Uneinigkeit zur Zeit der Konföderation, versucht sie, von den politischen Auseinandersetzungen abzulenken und auf die verbindenden Elemente im kulturellen Leben des Landes hinzuweisen. Da die Gruppe von Goldwin Smith, dem Freund Matthew Arnolds und früheren Regius Professor of History in Oxford, unterstützt wird und bald Einfluß auf die wichtigsten Zeitschriften gewinnt, ist ihre Bedeutung für die Geschmacksbildung in Mittelkanada, wie Claude Bissell näher ausführt, nicht hoch genug einzuschätzen70. Sie hat kein starres nationalistisches Programm, sondern bemüht sich, das kulturelle Niveau zu heben und angesehenen englischen Publizisten nachzueifern. Obwohl The Week (1883 — 96), die Nachfolgerin des Canadian Monthly and National Review (1872 — 82), der kanadischen Literatur immer mehr Platz einräumt, beschäftigt sich die Zeitschrift vor allem mit der englischen und amerikanischen Literatur und ist durchaus spätviktorianisch, wenn sie Zola und Whitman ablehnt, sich für George Eliot begeistert und — gleichzeitig mit der amerikanischen Kritik — beginnt, die Werke von Henry James und William Dean Howells wohlwollend aufzunehmen. Besonders lebhaft begrüßt sie aber die amerikanischen Erzählungen mit Lokalkolorit, sonniger Heiterkeit und großem Optimismus, Erzählungen also, die wir mit Spencer71 als Folgeerscheinung des Bürgerkriegs verstehen müssen, als Anzeichen für das vorläufige Scheitern der literarisch-nationalistischen Forderungen nach einer regional-amerikanischen Literatur. Da auch Kanada Jahre sektionaler Streitigkeiten hinter sich hatte, überrascht diese Vorliebe für den pittoresken Lokalismus, der allen Problemen aus dem Wege geht, nicht. Alles in allem beweisen die Bemühungen der „Canada First"-Gruppe, daß der literarische Nationalismus allen Traditionen gegenüber aufgeschlossen war und daß es unrichtig ist, von einem kolonialen Nachhinken in Fragen des literarischen Geschmacks zu sprechen: „In turning over the pages of the Week, one is not oppressed by the consciousness of a time-lag, to use a phrase much favoured by our literary diagnosticians. If anything, the Week was too quick to catch on to the popular fashions"72. Auch die historischen Romane jener Jahre nehmen sich weniger Scott als den zeitlich näheren Dumas pere zum Vorbild, obgleich Scott zum Beispiel im Heart of Midlothian gezeigt hat, wie man einen Volksteil dem Verständnis eines anderen nahebringen kann. Daher entsteht in Werken wie Kirbys The Golden Dog (1877) das Bild von den Eigenarten und Eigenschaften der Frankokanadier nicht Zit. D. Pacey, Creative Writing . . ., S. 33. Taste in Central Canada During the Late Nineteenth Century', a. a. O.; vgl. audi Canada First. (A Memorial of the Late William A. Foster, Q. C.), Toronto 1890; M. F. Anglin, Canadian Life and Society As Reflected in English-Canadian Periodicals: 1867—80, MA, Queen's 1954 (msdir.). 71 B. Spencer, .Regionalism . . a. a. O. 72 C. Bissell, .Literary Taste . . .', a. a. O., S. 243. 69

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aus der Handlung und den Charakteren: höchstens aus den eingeschobenen Interpretationen des auktorialen Verfassers. Die Hauptpersonen sind Marionetten im Kostüm des achtzehnten Jahrhunderts, die Kirby gleichsam als allegorische Figuren in einer erregenden Handlung zusammen- und gegeneinanderführt, um seine Vorliebe für wahrhaft aristokratisches Benehmen gegen seinen H a ß der Korruption ausspielen zu können. Uber das historische Geschehen legt er ein Netz von nationalistisch-imperialistischen Äußerungen, die zu diesen überhaupt nicht passen. Während sich seine Romanfiguren auf englische Angriffe vorbereiten, macht der Verfasser vom Standpunkt des neunzehnten Jahrhunderts aus Bemerkungen wie die folgenden: „It was no disparagement to the Lady de Tilly that she had not read English poets who sang the praise of tea: English poets were in those days an unknown quantity in French education and especially in New France until after the conquest. But Wolfe [der englische Eroberer] opened the great world of English poetry to Canada as he recited Gray's Elegy with its prophetic line, — ,The paths of glory lead but to the grave,' as he floated down the St. Lawrence in that still autumnal night to land his forces and scale by stealth the fatal heights of Abraham, whose possession led to the conquest of the city and his own heroic death, then it was the two glorious streams of modern thought and literature united in New France, where they have run side by side to this day, — in time to be united in one grand flood stream of Canadian literature 7S ." „The song composed by Madame Brinon was afterwards translated into English, and words and music became, by a singular transposition, the national hymn of the English nation. ,God Save the King!' is no longer heard in France. It was buried with the people's loyalty, fathoms deep under the ruins of the monarchy. But it flourishes still with pristine vigor in New France, that olive branch grafted on the stately tree of the British Empire 74 ." Die Lobeshymnen auf die kanadische Landschaft — gleidi am Anfang ruft ein Schwede in Abwandlung des neapolitanischen Sprichworts aus: „See Quebec, and live forever!" — sind eher mit der romantischen Erzählung vereinbar. So erreicht der literarische Nationalismus, der nach Frankokanada hin versöhnend wirken will, mit Kirbys Buch 75 , Parkers Seats of the Mighty (1896) und anderen Werken einen hohen Grad an Berechnung: Die Verfasser schieben die Schuld an der Niederlage Frankokanadas auf die Korruption am H o f in Versailles und betonen, daß die frankokanadischen Männer genauso heroisch sind wie die englischen Eroberer. The Golden Dog wird denn auch ins Französische übersetzt und beifällig aufgenommen, doch möchte man meinen, daß Werke dieser Art die Selbsteinkapselung Frankokanadas rechtfertigen. Jedenfalls werden heute so gut wie keine anglokanadischen Romane mehr übersetzt. Immerhin sind die historischen Romanzen der Konföderationszeit für ein Verständnis des literarischen Nationalismus wichtig. Da ihr Versuch, das kanadische Wesen aus der Vergangenheit zu erschließen und so Rückschlüsse auf die 73 The Golden Dog (A Romance of the Days of Louis Quinze in Quebec), Montreal 1903, S. 277. 74 Ebda., S. 232. 75 Eine wesentlich positivere Interpretation dieses Romans, des besten der Zeit, gibt D. Pacey, Creative Writing . . .; vgl. aber audi: E. A. McCourt, ,The Canadian Historical Novel', DR, X X V I , 1946, S. 30-36.

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Zukunft zu ziehen („to map out a future for the Canadian nation, which has hitherto been drifting without any p l a n " 7 6 ) , an ihrer unrealistischen Einstellung (nicht am Mangel an „Scottschen Ingredienzien") gescheitert ist, wendet sich die spätere Literaturkritik von der kanadischen Geschichte und lange Zeit audi vom kanadischen Roman ab 7 7 . Trotz der anhaltenden Popularität historisch-patriotischer Romanzen greift sie nicht mehr auf die These 78 zurück, daß der Schriftsteller, der sidi von der Geschichte inspirieren lasse, einen schöpferischen Beitrag zur Nationalliteratur leiste. Statt dessen sucht sie die spezifisch kanadischen Elemente in einem anderen Bereich der Literatur. Während in den Staaten die Diskussion über den „großen amerikanischen R o man" ihren Höhepunkt erreichte 79 , schauten die literarischen Nationalisten in Kanada auf die Naturlyrik der achtziger und neunziger Jahre. Von Anfang an hatte man die kanadische Landschaft verherrlicht und geglaubt, sie könne und werde große Dichtungen beseelen. Doch zunächst wurden die hochgeschraubten Erwartungen nicht erfüllt, denn die Gedichte auf den Ahornbaum waren, wie man sofort erkannte, eher patriotische Exerzitien als Dichtungen, die sich mit der viktorianischen Lyrik messen konnten. Trotzdem war man — aus anderen Gründen als Emerson im Jahre 1837 — in „optativer Stimmung" 8 0 . Man erhoffte sich eine Naturlyrik, die die kanadische Landschaft nicht einfach pries, sondern als Hintergrund benutzte und exakt beschrieb. Man hoffte aber auch auf Darstellungen des kanadischen Milieus. Kurzum, man erwartete, die Lyrik werde in naher Zukunft das leisten, was die historischen Romanzen nicht leisten konnten. Als endlich in den achtziger Jahren die ersehnten Gedichtbände erschienen, schrieb Wilfred Chateauclair 1888: „A Canadian literature promising to be fine, conscious and powerful, is budding and blossoming, book after book . . . The nature of it shows that it is a result of Confederation. Its generation is that which has grown up under the influence of the united country 81 ." Seine Beobachtungen treffen auch auf die wichtigste Dichtergruppe zu, die erst fünf Jahre später mit einer Reihe von bedeutenden Werken an die Öffentlichkeit trat. Die Dichter Charles G . D . R o b e r t s (geboren 1860), Bliss Carman (1861), Archibald Lampman (1861) Duncan Campbell Scott (1862) und Wilfred Campbell (1861) wachsen in dem optimistischen ersten Jahrzehnt des jungen Landes auf und werden von der nationalistischen Strömung ergriffen. Roberts, der 1883 einige Monate lang Feuilletonredakteur der Week war, widersetzt sich hartW. D . Lighthall, Vorwort zu The Young Seigneur, Toronto 1888. „At present we expect posterity to get an idea of our age from the novels we write, and from our newspapers, but I do not imagine the image will be a faithful one. Our novels have hardly any true pictures of social life, and our papers have none . . Soweit Duncan Scott in: At the Mermaid Inn (Conducted by A. Lampman, W. W . Campbell, Duncan C. Scott, Being Selections from Essays on Life and Literature, which appeared in the Toronto Globe, 1892—1893), hrsg. v. A. S. Bourinot, Ottawa 1958, S. 41. 7 8 Vgl. Charles Mairs Vorwort zu dem patriotischen Buchdrama Tecumseh, 1886. 7 0 Vgl. H . R . Brown, ,The Great American Novel', A L , V I I , 1935/36, S. 1 - 1 4 . 8 0 Vgl. F. O. Matthiessen, Amerikanische Renaissance, 1. Kapitel. 8 1 Zit. A. G. Bailey, ,Literature and Nationalism after Confederation', U T Q , X X V , 1955/56, S. 421. 76

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näckig den Annexionsbestrebungen Goldwin Smiths und faßt schließlich seine politischen Ansichten in dem Satz zusammen: „A good Canadian Nationalist must be a good British Imperialist" 82 . In einigen patriotischen Gedichten fordert er Kanada auf, aus dem Kindheitsschlaf zu erwadien und selbständig zu werden: „O Child of Nations, giant-limbed, Who stand'st among the nations now Unheeded, unadorned, unhymned, With unanointed brow, — How long the ignoble sloth, how long The trust in greatness not thine own? Surely the lion's brood is strong To front the world alone 83 !"

Die Rolle eines „Poet laureate" übernimmt jedoch Wilfred Campbell, der schwächste der genannten Dichter. Als überzeugter Imperialist feiert er England als „Iron mother of men" und huldigt Vorstellungen, die es ihm erlauben, auch die Frankokanadier — sozusagen als Nachfahren der „Normans" — einzubeziehen: „Saxon and Gaul, Canadians claim A part in the glory and pride and aim Of the Empire that girdles the world

M ."

Wichtiger als die patriotischen Äußerungen dieser Dichter ist die Tatsache, daß sie sich am Anfang einer literarischen Tradition wähnen. „When I was beginning to write", meint Duncan Campbell Scott, „I was not aware of any such thing as Canadian literature... But I did dream of starting a Canadian literature; and I joyously hailed the first efforts of Lampman and Carman, as the beginnings of it" 8 5 . In der Spalte At the Mermaid Inn, die 1892/3 einmal wöchentlich in der Torontoer Zeitung The Globe erschien, legen sich Campbell, Scott und Lampman wiederholt die Frage vor, wie sie innerhalb der englischen Tradition kanadische Dichter werden können. Als Kennzeichen eines kanadischen Werkes weist sich für Scott die „local color" aus: „In Canada we have a decent, old-fashioned climate, whidi corresponds in all essential points to that which has bronzed the poets of old England, and our poets can sing of the seasons in their old round and cannot fail to be understood. Our skies are higher and brighter, the tints of our forests are more varied, our winter comes with greater snows and frosts. Once and a while the critics across the water may look perplexed and ask our poets what they mean by .timothy', or some other colloquial term, but in the main we must depend for local color on whatever there 82 Vgl. E. M. Pomeroy, Sir Charles G. D. Roberts: A Biography, Toronto 1943. Siehe audi: J. Cappon, Roberts and the Influences of His Time, Toronto 1905. 83 Strophen 1—2 von .Canada', in: Broadus, a. a. O., S. 77. 84 Aus .England', in: Broadus, a. a. O., S. 85. Vgl. audi: C. F. Künde, Wilfred Campbell: A Study in Late Provincial Victorianism, Toronto 1942. — Zur imperialistischen Einstellung: B. Dewar, Imperial Sentiment in Canada, 1885—1903, MA, Queen's 1955 (mschr.). 85

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Zit. E. K. Brown, On Canadian

Poetry, S. 120.

is of real difference in our manner of looking at the old world with its changeful beauty 8 6 . "

Aber lokalistische Färbung allein führt nicht zur großen Dichtung. Energisch wendet sich Campbell bei einer Besprechung des Buchs The Songs of the Great Dominion (1889) gegen jenen Begriff der kanadischen Literatur „associated with superficial canoe and carnival songs, backwoods and Indian tales told in poor rhyme, and all tied together by pseudopatriotic hurrahs, which are about as representative of our true nationality as they are of literature". Campbell wirft W. D. Lighthalls Anthologie vor: „The writer who has no mere local interest has no prominence in this book" 87 , denn er teilt mit Lampman die Uberzeugung: „There is only one standard for all the world" 88 . So kritisieren die drei Dichter zwar „the Canadian contempt and lack of feeling for a Canadian literature and nationality" und die eingewanderten englischen Professoren („who can have no real interest in or knowledge of our nationality and literature") 89 , fordern gute literarische Zeitschriften und beklagen die kanadischen Verhältnisse: „ H o w utterly destitute of all light and charm are the intellectual conditions of our people and the institutions of our public life! H o w barren! H o w barbarous! It is true that this is a new and struggling country, but one would think that the simplest impulse of patriotism, if it existed at all in our governing bodies, would suffice to provoke some attempt at remedy 9 0 . "

Doch andererseits bezeichnen sie es als unpatriotisch, drittklassige Werke zu kaufen, weil diese kanadisch sind91. Im Gegensatz zu der Meinung früherer Kritiker muß sich ihrer Ansicht nach der kanadische Dichter im Wettstreit mit den Schriftstellern der Welt bewähren. In größerem Zusammenhang beschäftigt sich Archibald Lampman in seiner Vorlesung über die Dichter Roberts und Cameron (1891) mit den Zukunftsaussichten der kanadischen Literatur. Er geht dabei von der Voraussetzung aus, daß es noch keine größere Zahl von guten literarischen Werken mit kanadischem Hintergrund gibt. Unter Hinweis auf Hawthorne und Longfellow, deren Werke, wie er glaubt, keine amerikanischen Merkmale tragen, untersucht er die amerikanische Literatur der Gegenwart und kommt zu dem Ergebnis: „...along with the evolution of a marked American race, certain noticeable American peculiarities of mind and character have been developed, which have strongly affected literary expression". Ähnlich, hofft er, werde die Entwicklung der kanadischen Nation verlaufen, und vermutet, man könne vielleicht in ein oder zwei Generationen mit einer Nationalliteratur rechnen. Im Augenblick sei man jedenfalls noch damit beschäftigt, die materielle Grundlage für eine spätere Kultur zu legen: „At present our people are too busy to read, too busy at least to read with discernment, and where there are no discerning readers there will be no 88 87 88 89 90 91

At the Ebda., Ebda., Ebda., Ebda., Ebda.,

Mermaid Inn, S. 7—8 (Scott, 6. 2. 1892). S. 6 8 - 6 9 (Campbell, 3. 12. 1892). S. 15 (Lampman, 19. 3. 1892). S. 1 3 - 1 4 (Campbell, 12. 3. 1892). S. 9 (Lampman, 27. 2. 1892). S. 8 (Lampman, 20. 2 . 1 8 9 2 ) .

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•writers". Offensichtlich spürt Lampman, daß der Schriftsteller, der für das amerikanische oder das englische Publikum schreibt, der Nationalliteratur verlorengeht, denn er macht ausdrücklich die kanadische Literatur vom kanadischen Markt, von einer aufnahmefähigen und kritischen Leserschicht, abhängig: „There will arise a leisured class, a large body of educated people, who will create a market for literature and a literary atmosphere. A n d when that happens a literature will be produced for them". Diese Klasse wird sich aber erst herausbilden, wenn K a n a d a eine weitere Stufe in seiner Entwicklung erreicht hat: „If our country becomes an independent, compacted, self-supporting nation, which is, or ought to be, the dream of all of us, its social and climatic conditions will in the course of time evolve a race of people having a peculiar national temperament and bent of mind, and when that is done, we shall have a Canadian literature 9 2 ." Wenn L a m p m a n betont, daß ein kritisches Publikum nötig ist und dieses nicht existiert, weil man erst Wohlstand erwerben müsse, bezieht er sich vermutlich auf Matthew Arnolds Gedanken über ,The Function of Criticism at the Present Time'. In diesem Aufsatz hatte Arnold, dessen Ansehen infolge seines kanadischen Aufenthalts im J a h r e 1 8 8 4 noch gestiegen war 9 3 , 1 8 6 5 geschrieben: „[The critical power] tends to establish an order of ideas, if not absolutely true, yet true by comparison with that which it displaces; to make the best things prevail. Presently these new ideas reach society, the touch of truth is the touch of life, and there is a stir and growth everywhere; out of this stir and growth come the creative epochs of literature M ." Indem L a m p m a n aber die Literatur als Reaktion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die natürliche U m w e l t versteht, überträgt er die drei Hauptbegriffe Taines (den er übrigens nicht erwähnt), nämlich „race", „moment" und „milieu" auf die kanadische Situation 9 5 . E r geht sogar soweit, daß er nach einigem Zögern den vermutlichen Einfluß der Umwelt auf den kanadischen Menschenschlag und die kanadische Literatur beschreibt: „In the climate of this country we have the pitiless severity of the climate of Sweden, with the sunshine and the sky of the north of Italy, a combination not found in the same degree anywhere else in the world. The northern winters of Europe are seasons of terror and gloom; our winters are seasons of glittering splendour and incomparable richness of colour. At the same time we have the utmost diversity of scenery, a country exhibiting every variety of beauty and grandeur. A Canadian race, we imagine, might combine the energy, the seriousness, the perseverance of the Scandinavians with something of the gayety, the elasticity, the quickness of spirit of the south. If these qualities could be united in a literature, the result would indeed be something novel and wonderful m ." 92 Alle Zitate aus: ,Two Canadian Poets: A Lecture by Archibald Lampman', hrsg. v. E. K. Brown, UTQ, X I I I , 1943/44, S. 4 0 7 - 4 0 8 . 93 Vgl. C. Bissell, .Literary Taste . . .'; A. Lampman (At the Mermaid Inn, S. 37): „. . . . the time will come when Matthew Arnold will be accounted the greatest poet of this generation, and one of the three or four noblest that England has produced." 94 Matthew Arnold, Essays, London 1936, S. 12. 95 Vielleicht hat Lampman Taine durch Vermittlung Arnolds kennengelernt. In dem genannten Aufsatz schreibt Arnold: „. . . for the creation of a master-work of literature two powers must concur, the power of the man and the power of the moment, and the man is not enough without the moment; the creative power has, for its happy exercise, appointed elements, and those elements are not in its own control." (a. a. O., S. 12.) 98 ,Two Canadian Poets . . .', S. 408.

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D a Philosophen, Historiker, Kritiker und Romanschriftsteller nur in einer vollentwickelten Gesellschaft denkbar sind, hält Lampman es für selbstverständlich, daß am Anfang der kanadischen Literatur die Lyriker stehen: „ . . . for the poet the beauty of external nature and the aspects of the most primitive life are always a sufficient inspiration" 97 . In romantischer Manier begründet er so die kanadische Naturlyrik der achtziger und neunziger Jahre und nimmt viele literarhistorische Analysen und apologetische Betrachtungen der Konföderationsliteratur vorweg. Alles in allem faßt Lampmans Aufsatz die Gedanken der literarischen Nationalisten der zweiten Jahrhunderthälfte noch einmal glänzend zusammen, antizipiert aber auch so viele Argumente der zweiten Phase des literarischen Nationalismus, daß eine relativ kürzere Darstellung dieser Periode gerechtfertigt erscheint.

6. Die zweite Phase: 1 9 1 8 - 1 9 3 9 Als 1893, zwei Jahre nach Lampmans Rede, sein zweiter Gedichtband erschien — gleichzeitig mit Veröffentlichungen Carmans, Scotts, Campbeils und Roberts' —, war der erste Höhepunkt der kanadischen Literaturgeschichte erreicht. Das Aufsehen und die Begeisterung, die die Gedichte erregten, täuschen aber nicht darüber hinweg, daß er in eine Zeit der Verbitterung und Verzweiflung fiel. Die nationalistischen Erwartungen hatten sich nicht erfüllt. Den östlichen Provinzen ging es schlechter als vor 1867, die Depression hatte sich nach 1873 über ganz Kanada verbreitet, und einzelne Erfolge wie der Bau der transkontinentalen Eisenbahn 98 , die Verbesserung des Erziehungswesens, die Begründung der Royal Society (1882) und die leidlich gute Zusammenarbeit im Parlament wogen den Vorsprung der Vereinigten Staaten nicht auf. Mochte auch ein Kritiker schreiben: „This pouring out of song is a sign and hopeful token of our national life in Canada" 9 9 , so war doch jedem klar, daß auch die erhöhte literarische Tätigkeit meist unbefriedigende Ergebnisse gezeitigt hatte. 1884 stellten nach A. G. Bailey amerikanische wie englische Verleger fest, daß die Exportziffern nach Kanada ständig sanken. Drei Jahre später sagte George Stewart in einer Rede vor dem Canadian Club in New Y o r k : „Canadian authorship is still in its i n f a n c y . . . N o one has been able . . . to make the writing of books his sole means of living . . ., the business of publishing books in Canada is at a pretty low ebb. . . . it is a fact that Canada cannot support a really first-class magazine 1 0 °."

1888 machte J. M. Oxley im North American Review bissige Bemerkungen über

Ebda., S. 409. 1 8 86 fertiggestellt, im Unterschied zur amerikanischen (1869) mit staatlichen Mitteln erbaut. 8 9 Zit. A. G. Bailey, a. a. O., S. 410. 1 0 0 ,Literature in Canada', 1887, zit. W . Eggleston, The Frontier and Canadian Letters,, S. 5. 97

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das Niveau kanadischer Zeitschriften 101 . 1889 beobachtete Mercer Adams „ . . . in the ebbing out of national spirit, a growing intellectual callousness, and a deadening of interest in the things that make for the nation's life" 1 0 2 . Vier Jahre danach verwies J . G. Bourinot auf die Hindernisse, die dem kolonialen Schriftsteller im Wege stehen 103 , und 1896 schließlich stellte The Week ihr Erscheinen ein. Im gleichen Jahr griff Gordon Waldron die Lyriker an, weil sie das kanadische Leben vernachlässigten — ein Vorwurf, den später Cappon, Mackay und A. J . M. Smith wiederholten 104 . Inzwischen hatte die Abwanderung der führenden Schriftsteller eingesetzt: Roberts, Carman und Thomson gingen nach Amerika, Gilbert Parker und Robert Barr nach England, Sarah Duncan nach Indien. Mit ihnen verließen viele Kanadier das Land 1 0 5 : „I go on Les Etats-Unis, I go dere right away An' den mebbe on ten-twelve yeare, I be riche man some day, An* w'en I mak' de large fortune I come back I 'spose Wit' Yankee femme from off de State an' monee on my clothes 106 ." Um 1900 lebten insgesamt 1 181 000 Kanadier in den Vereinigten Staaten, und der Anschluß an Amerika, den Goldwin Smith 1891 empfohlen hatte, schien praktisch bevorzustehen, zumal die innerpolitischen Schwierigkeiten immer größer wurden. Doch mit der Erschließung des Präriegebietes bahnte sich eine Wandlung an, welche die optimistische Voraussage des Premierministers Sir Wilfred Laurier, das neue Jahrhundert sei „Canada's century", zu bestätigen schien. Auch die Schriftsteller profitierten vom wirtschaftlichen Aufschwung, denn ihre abenteuerlichen Romane und volkstümlichen Gedichte über die letzten Grenzgebiete des Kontinents wurden (wie auch einige regionale Idyllen und die humoristischen Werke Stephen Leacocks) internationale „bestsellers" 107 . Vergeblich fragten die wenigen literarischen Nationalisten, ob man denn endlich eine Nationalliteratur habe 108 . Die sogenannte „goldene Zeit" der kanadischen Literatur war unwiderruflich vorbei. 1 0 1 ,Perodical Literature in Canada', North American Review, C X L V I I , Sept. 1888, S. 349—351; vgl. J. Lunn, ,Bibliography of the History of the Canadian Press', C H R , X X I I , 1941, S. 4 1 6 - 4 3 3 . 1 0 2 Zit. Bailey, a. a. O., S. 411. 103 Our Intellectual Strength and Weakness, Montreal 1893. 1 0 4 Vgl. A. J . M. Smith, , „Our Poets" . . .', S. 93. 105 Nur F. P . Grove wanderte, abgestoßen vom kommerzialisierten Leben der Staaten, nach Kanada ein. 1 0 6 W . H . Drummond., The Habitant, N e w Y o r k 1900, zit. A. Lower, a. a. O., S. 407. — So sieht jetzt der versöhnende Nationalismus aus: Englische Verse, die vorgeben, den Akzent der Habitants nachzuahmen, und das Leben der Frankokanadier schablonenhaft verniedlichen. 1 0 7 Vgl. D. Pacey, Creative Writing . . ., S. 82—109; W . H . Magee, ,Local Colour in Canadian Fiction', U T Q , X X V I I I , 1958/59, S. 1 7 6 - 1 8 9 ; F. W . Watt, .Western Myth: The World of Ralph Connor', CL, 1, Sommer 1959, S. 26—36. 1 0 8 P. Edgar, .Have We a National Literature?', The Globe, Toronto, 31. 12. 1 9 0 4 ; ders., ,A Fresh View of Canadian Literature', University Magazine, Okt. 1912, S. 4 7 9 bis 4 8 6 ; I. M. Gibbon, ,Where is Canadian Literature?', Canadian Magazine, Februar 1918.

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Erst nadi dem ersten Weltkrieg, der das Selbstbewußtsein des anglokanadisdien Teils der Bevölkerung wesentlich stärkt, leben der literarische Nationalismus und die ernsthafte Beschäftigung mit der Literatur wieder auf. Ähnlich wie nach 1867 schlägt sich die nationalistische Begeisterung, wie Desmond Pacey gezeigt hat 109 , in versdiiedenen Formen nieder. Zeitschriften und literarische Vereinigungen werden gegründet, aber auch Theatergruppen und die überaus einflußreiche Canadian Broadcasting Corporation. Überall — so auch in der Malerei, die gerade auf ihre Weise nachholt, was die Carmans und Lampmans für die Lyrik getan haben — sudit man die spezifisdi kanadischen Elemente und wird dabei von ähnlichen Motiven geleitet wie einst die „Canada First"-Bewegung. In der ersten Nummer des Canadian Forum (Oktober 1920), um nur ein Beispiel zu nennen, heißt es, die Zeitschrift habe ihren Ursprung „ . . . in a desire to secure a freer and more informed discussion of public questions and, behind the strife of political parties, to trace and value those developments of arts and letters which are distinctly Canadian." Wie früher fragt man sich, ob eine kanadische Nationalliteratur existiere und welche Zukunft sie habe 110 . Und wie zur Konföderationszeit muß man schließlich, als nach 1929 die große Wirtschaftskrise der überschwenglichen ersten Begeisterung ein Ende setzt, feststellen, daß man zuviel erwartet hat: „There had been more talk about Canadian literature than actual production of it" 1 1 1 . Trotz dieser Parallelen hat der literarische Nationalismus aber eine andere Prägung als in seiner ersten Phase, denn er ist nicht mehr rein postulatorisch und zukunftsfreudig, sondern blickt mehr oder weniger kritisch auf die Vergangenheit, versucht, aus ihr zu lernen und, soweit möglich, Normen für die Literatur der Gegenwart zu gewinnen. Typisch ist das Unterfangen des Verlags Ryerson, die ,Makers of Canadian Literature' zu bestimmen und — in schmalen Einzelbänden — ihr Schaffen biographisch zu erläutern, in kurzen Auszügen vorzuführen und in einem abschließenden Kapitel zu würdigen. Die Widmung der von Lome Pierce herausgegebenen Reihe: „Dedicated to the writers of Canada — past and present — the real Master-builders and Interpreters of our great Dominion — in the hope that our People, equal heirs in the ridi inheritance, may learn to know them intimately; and knowing them love them; and loving follow" —

dieses Motto beschreibt auch die Absicht der Literaturgeschichten und Handbücher, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt erscheinen. Wie die historischen Publi-

Creative Writing . . ., S. 110—115. W. A. Deacon, .Canadian Literature', Literary Review, 29. 3. 1924; ders., .Canadian Literature', Saturday Review of Literature, 8. 8. 1925; Douglas Bush, ,1s There a Canadian Literature?', Commonweal, 6. 11. 1929; G. Tomkinson, ,The Watched Pot of Canadian Poetry', DR, X I V , 1934/35; E. Standerwick, ,The Future of Canadian Literature', Canadian Bookman, X V I I , Jan. 1935, S. 3—4; R. G. Trotter, ,Has Canada a National Culture?', QQ, X L I V , 1937, S. 215—227; R. Shoolman, ,Is There a Canadian Literature?', Story, März 1937; D. Pacey, ,At Last —a Canadian Literature?' Cambridge Review, Dez. 1938. 111 Desmond Pacey, Creative Writing . . ., S. 113. 109

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kationen jener Jahre und einige frühere literarhistorische Abrisse 112 machen sie 113 den Versuch, die Vergangenheit zu sichten und als eigenständige kanadische Entwicklung zu verstehen. N u r R. P. Bakers A History of English-Canadian Literature to the Confederation ist jedoch eine echte Literaturgeschichte im akademischen Stil der Zeit, die sich überdies dadurch abhebt, daß für ihren Verfasser die eigentlich kanadische Literatur erst mit dem Jahr 1867 beginnt 114 . Bei den anderen Werken handelt es sich um Handbücher, die zwar nützliche Angaben über einzelne Schriftsteller enthalten — hier ist vor allem Rhodenizers Buch zu nennen —, aber im ganzen so fragmentarisch und enthusiastisch sind 115 , daß Louis Dudeks Verse auf sie zutreffen: „The Layman Turned Critic. Seeing an elephant, he cried with bliss: ,What a wonderful nightingale this is!' And of a mosquito he observed with a laugh: ,What a curious thing is this giraffe U 9 . ' " Als Dokumente des literarischen Nationalismus verdienen insbesondere die Werke von Stevenson und Pierce unsere Aufmerksamkeit, definieren sie doch den Geist der kanadischen Literatur. Beide Autoren stimmen darin überein, daß sie an die Existenz der kanadischen Nationalliteratur glauben, diese mit der literarischen Renaissance in Irland vergleichen und als Merkmale der kanadischen Li-

112 A. MacMurchy, Handbook of Canadian Literature, Toronto 1906; T. G. Marquis, English-Canadian Literature, Toronto 1913. 113 R. P. Baker, A History of English-Canadian Literature to the Confederation (Its Relation to the Literature of Great Britain and the United States), Cambridge, Mass., 1920; J. D. Logan u. D. G. French, Highways of Canadian Literature, Toronto 1924; A. MacMechan, Headwaters of Canadian Literature, Toronto 1924; L. Stevenson, Appraisals of Canadian Literature, Toronto 1926; Lome Pierce, An Outline of Canadian Literature (French and English), Montreal 1927; V. B. Rhodenizer, A Handbook of Canadian Literature, Ottowa 1930. — Zur Beurteilung vgl. D. Pacey, .Literary Criticism . . .', S. 113. 114 R. P. Baker sagt: „Until the Confederation the literary forces potent in Massachusetts continued unimpaired in the North. The literature of the United States was the literature of Canada." (S. 183—184) „The Confederation . . . is a symbol of national coalescence. With it arose what may be called a Canadian literature." „Temperamental divergences between the two peoples are due to a more rapid departure of the Republic from the early New England norm. The British North America Act stands at the Crossroads." (S. 185—186) Diese Thesen dürfen heute zum Teil als widerlegt gelten. Vgl. D. Pacey, Creative Writing . . ., R. E. Rashley, Poetry . . . Bereits 1916 hatte P. Edgar gegenteilige Ansichten vertreten (.English-Canadian Literature', in: The Cambridge History of English Literature, Bd. XIV, S. 343 ff.). 115 Z. B. sagt MacMurchy, a. a. O., S. III—IV: „The author cherishes the hope that this small volume shows conclusively that the Canadians, though so much engaged in exploring, surveying, and cultivating the wide territories of the Dominion, are not one whit behind the gifts of imagination and fancy to be found in other parts the world." 116 Aus: The Blasted Pine, hrsg. v. Scott u. Smith, Toronto 1957, S. 99.

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teratur folgende Kennzeidien herausstellen: den naturverbundenen Mystizismus der Dichter, die gesunde Abneigung gegen Experimente mit den Dichtungsformen und die kanadische Einfachheit und Ehrlichkeit 117 , die sich von der krankhaften Psychologie kontinentalen Schrifttums wohltuend unterscheide: „. . . for some time to come, Canadian literature will provide a refreshing haven of genuine romanticism to which the reader may retreat when he seeks an antidote to the intellectual tension imposed by the future progeny of ,The Waste Land' and ,Spoon River' 1 1 S ." „Canadian literature reveals a considerable strain of realism. It lacks the stern philosophy and morbid psychology of the Continent, and on the whole is more optimistic and wholesome. In art we have no Corot landscapes, haze-mantled and other-wordly; the atmosphere is crystal clear, and objects stand out with startling clearness 1 1 9 ." Alles in allem, glauben die beiden Verfasser, stecke die kanadische Literatur nodi in den Kinderschuhen. Während aber Pierce „the pioneer stage" für ein Durchgangstadium hält, weil große Literaturen die Früchte gereifter Nationen seien, sieht Stevenson die Zeit der Kindheit als die Periode der größten Erdnähe und daher der größten K r a f t an. Der kanadische Dichter, meint er, könne alle T r a ditionen aus einer neuen Perspektive beurteilen 12 °, von einem L a n d aus, das noch ungezähmt und nicht mit historischen Denkmälern überladen sei: „The inhabitants seem to be precariously perched on a monster not yet conscious of their presence . . . From childhood surrounded by this vastness and potentiality of nature, the Canadian becomes aware of it long before his education in the traditions of culture begins. Since his sympathy with nature is practically an inbred trait he instinctively responds to those features of religion, myth, or philosophy that retain some meaning as interpretations of Ancient Earth and man's relationship to her 1 2 1 ." Stevenson zeigt sidi den evolutionistischen Gedankengängen von Meredith und Swinburne und den Sprachanschauungen von Wordsworth und Synge verpflichtet und stark von der Taineschen Milieutheorie beeinflußt. Im Unterschied zu Taine (auf den er sich ausdrücklich beruft) und Pierce mißt er aber dem Einfluß der politischen Verhältnisse keine Bedeutung bei. E r lehnt die seiner Meinung nach aggressiv-nationalistische Färbung der amerikanischen Literatur (WhitmanSandburg) genauso ab wie die patriotische Lyrik der Konföderationszeit: „It is only when the poet's country has become for him a living being, endowed

117 Vgl. R. Knister, Hrsg., Canadian Short Stories, Toronto 1928, S. xvi: „. . . there [in Northern stories] is youth, health, virtue, above all, ludc. These talismans forbid tragedy, and if there is death, it is only a possible death, and that too is a matter of luck. Such an attitude precludes a tragic philosophy, and makes of life a game: it is a survival perhaps of biological necessity in Northern people." 118 L. Stevenson, a. a. O., S. 62. 119 L. Pierce, a. a. O., S. 242. 120 Einer der Herausgeber von Our Canadian Literature. Representative Prose and Verse (hrsg. v. A. Watson u. L. Pierce, Toronto 1922, S. 129) fragt, ob sich der Geist der kanadischen Literatur als „love of heritage", „fraternity", „love for tradition", „devotion to truth, beauty, goodness", „hunger for fulness of life", „passion for freedom" und „spiritual amalgam of the minted heart-offerings of the races of the world" erweise. Seine Antwort: „It is all these and more". 121 L. Stevenson, a. a. O., S. 41.

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with a soul, and not an abstraction of economists, that his love for her can raise his work to that lofty plane in which the spirit moves freely among the supreme minds of all nations 122 ." Dennoch glaubt er, das Pionierdasein liefere den Stoff für ein Nationalepos, für die Aeneis der neuen Welt, und trifft sich so wieder mit Pierce, der der Geschichtsschreibung und der Nationalliteratur die Aufgabe zuspricht, die Nation zu einen: „ . . . here is the highway, broad and beautiful, which shall cross every divide, and create the only enduring entente cordiale" 123. Mit diesen Handbüchern und den ersten Jahrbüchern der kanadischen Kultur (1929 und 1936) kommt der kanadisch-literarische Nationalismus dem amerikanischen näher als je zuvor 124 . Denn ähnlich wie die amerikanische Literarhistorik seit John Macys Spirit of American Literature (1913) bemüht er sich, die Vergangenheit zu kanadanisieren und das, was Van Wyck Brooks „usable past" nennt, herauszuarbeiten. Die kanadischen Autoren verfügen aber weder über die Beredsamkeit, die Brooks in einem Budi wie America's Coming-of-Age in den Dienst des literarischen Nationalismus stellt, noch über die lang anhaltende Überzeugungskraft Parringtons (in Main Currents of American Thought, 1927). Im Unterschied zu den Amerikanern können sie nicht auf eine schon rein quantitativ imponierende Zahl von Werken zurückblicken. Deshalb fällt audi in Kanada die Reaktion auf alle normativen Bemühungen und Aufwertungsversuche heftiger aus als in den Staaten, führt zur gegenteiligen Bewertung der Vergangenheit oder zur Forderung nach einer wirklich kritischen Haltung 125 . Die jungen Lyriker lehnen die ältere Generation als nationalistisch ab und kommen der Forderung Leo Kennedys nach, sie sollten ihre Vorbilder unter den modernen englischen Dichtern suchen126. Wie später Morley Callaghan macht sich F . R . S c o t t über die kanadischen „cheerleaders" 127 lustig und schreibt über eine Tagung der Canadian Authors' Association: „Expansive puppets percolate self-unction Beneath a portrait of the Prince of Wales."

122 Ebda., S. 10. — Vgl. A. D. Watson (Our Canadian Literature . . ., S. 28): „If our poets have been a little over-conscious of their own land, some abatement of this selfassertive manner is now happily apparent. The fact that there is real achievement to our credit as a young nation should make us all the more shy in speaking of our own prowess. Our Saxon quality is best demonstrated by our silence upon such a theme." 123 L. Pierce, An Outline . . ., S. 237. 124 Das Interesse für die amerikanische Literatur ist größer. Vgl. B. K. Sandwell, .Imaginative Literature in the U.S. and Canada', und R. M. Maclver, .Canadian Culture and North-Americanism', in: Conference on Canadian-American Affairs, Boston 1933; H. H. Clark, .Nationalism in American Literature', UTQ, II, 1933, S. 429 ff.; E. K. Brown, ,The National Idea in American Criticism', DR, XIV, 1934, S. 133—147. 125 Allerdings lehnen die kanadischen Dichter im Gegensatz zu vielen amerikanischen Schriftstellern der Zeit die eigene Gesellschaft nicht ab. Kanada hatte seine „expatriates" zwanzig Jahre früher als die Vereinigten Staaten. 126 Leo Kennedy, .The Future of Canadian Literature', Canadian Mercury, April 1929. 127 M. Callaghan, ,The Plight of Canadian Fiction', UTQ, VII, 1938, S. 161.

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Ironisch ruft er am Schluß seines Gedichts aus: „O Canada, O Canada, Oh can A day go by without new authors springing To paint the native maple, and to plan More ways to set the selfsame welkin ringing? 12e " Langsam setzt sich schließlich die Arnoldsche Auffassung durch, daß eine große Literatur auf einer reifen Kritik beruhe 129 — eine Anschauung, der F. R . Scott vergeblich die Bemerkung entgegenstellt: „As well hope to hasten the harvest by assembling the harvesters in May" 1 3 0 . In wachsendem Ausmaß nehmen sich die Akademiker der kanadischen Literatur an. Die Vierteljahrsschrift The University of Toronto Quarterly wird 1931 begründet und beginnt 1935 mit ihrer alljährlichen kritischen Übersicht über die kanadische Literatur. In die Defensive gedrängt, bleibt dem literarischen Nationalismus nichts anderes übrig, als den normativ-postulatorisdien Standpunkt vorübergehend zu verlassen. Seine neue vorwiegend deskriptive Einstellung äußert sich in der Jagd nach dem Sündenbock, die bis heute nicht abgeblasen ist. Während Morley Callaghan alle Schuld auf die Verleger und das Lesepublikum schiebt, bewundert Grove den Mut der Verleger, hält Callaghans Urteil über den Leser für zu milde, bedauert das Fehlen der Kritik und verdammt den Schriftsteller, der da glaubt, er könne von seinen Büchern leben 131 . Demgegenüber führen Kritiker wie E. K . Brown außer finanziellen vor allem soziologische Gründe an. D a die Literatur und das Leben einer Nation eine Korrelation bildeten, meint Brown, müsse man die koloniale Gesinnung der Kanadier für das gegenwärtige Niveau der Literatur verantwortlich machen: „. . . it should be frankly recognized that a colony — or a dominion (in matters of culture it is a distinction without a difference) — is not a likely nursery for a great literature. A great literature supposes that writers and readers alike have a deep interest in the kind of life which is to be found where they live 132 ." Seiner Schlußfolgerung: „ . . . in this country the plight of literature is a painful one" 1 3 3 stimmen am Ende der zweiten Phase des literarischen Nationalismus wohl alle Kritiker zu. Viele akzeptieren auch die These M. L. Clarks: „ . . . i n 1940 Canadian literature is still at the beginning" 134 . 128 ,The Canadian Authors Meet', zuerst im McGill Fortnightly Review, April 1927; zit. The Blasted Pine, S. 93. 129 A. J. M. Smith, .Wanted — Canadian Criticism*, CF, VIII, April 1928. 130 Zit. D. Pacey, Creative Writing . . ., S. 128. 131 M. Callaghan, ,The Plight . . .'; F. P. Grove, ,The Plight of Canadian Fiction? A Reply', UTQ, VII, 1938, S. 451-464. 132 ,The Contemporary Situation in Canadian Literature', in: Canadian Literature Today, Toronto 1938, S. 13. Vgl. dazu W. A. Deacon: „Canadian literature is a good deal better than is generally admitted. Its low rating is primarily due to the timidity of Canadians, and to their ignorance of the subject." (Open House, Ottawa 1931, S. 304). „The Canadian remains a colonial mentally, not only of Great Britain but of the United States as well, and will so remain until emancipated by his own writers." (,A Critic Speaks . . .', The Canadian Author, XV, Sept. 1939, S. 15.) 133 E. K. Brown, ,The Contemporary Situation . . .', S. 14. 134 American Influences on the Canadian Novel, MA, New Brunswick 1940, S. 1 (mschr.).

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7. Die dritte Phase: 1940 bis zur Gegenwart In Erinnerung an die Zeit k u r z v o r Kriegsausbruch schrieb L o m e Pierce 1945: „The Dominion, just before 1939 and the time of the winnowing of nations, had sunk to a new all-time low, sunk into a state of moral coma, spiritual fibrillation, and political paralysis, not different in any essential respect from demoralized France before her incredible and humiliating fall , 3 S ." „We became clever and blase, quipped about the old virtues, joshed about the funny old ways, and pitied our artists and writers a little, those who wanted to be Canadian before all else. They seemed so far behind those clever Americans, realistic as the devil, cold and hard and gritty and no longer believing in Santa Claus. So far beneath the French artists I36 ."

Mag Pierce audi übertreiben, so trifft der Kern seiner Aussage die Situation des literarischen Nationalismus: Die Begeisterung war in den letzten Jahren der Depression abgeflaut und die Zahl der literarischen Nationalisten auf eine kleine getreue Gefolgschaft reduziert. Wieder einmal schienen nur wirtschaftliche und praktisch politische Erwägungen alle Kanadier zu vereinen. „The most substantial Canadian nationalism in times of peace", sagte J . B . Brebner 1940, has been economic nationalism" 137 . Wie einst die Konföderation und der erste Weltkrieg gab auch diesmal ein politisches Ereignis ersten Ranges, der zweite Weltkrieg, der nationalistischen Bewegung neuen Auftrieb. Wir müssen uns allerdings noch mehr als zuvor hüten, einen Kausalzusammenhang zwischen den politischen Geschehnissen und dem Aufleben des literarischen Nationalismus zu konstruieren, denn unmittelbar rief der Krieg erstaunlich wenige Äußerungen über die Nationalliteratur hervor. Gewiß: die funktionale Betrachtungsweise der Literatur wird erneut aufgenommen, wenn Lome Pierce angesichts der verzweifelten militärischen Lage die Elite beschwört, die Ideale der freiheitlichen Demokratie vorzuleben und das Nationalbewußtsein zu stärken, und hierbei der Literatur die wichtigste Rolle zuweist: „The literature of a country is the chief Alma Mater of the national spirit, and it should be fostered by every intelligent means. If our literature interprets accurately the Canadian social enterprise to others, then that literature has value 138 ."

Auch E. K. Brown, der immer noch den kolonialen Geist am Werke sieht, entdeckt eine Beziehung zwischen Krieg und Nationalliteratur: „. . . surely this war and the great exploits of our armed forces and the great powers of endurance of our civilian population should give to us a decent and reasonable pride in ourselves. When we acquire that pride, we shall see that our literature is a vital expression of our national genius 139 ." 135

A Canadian People, Toronto 1945, S. 2. Ebda., S. 4. ,Canadianism', Report der Canadian Historical Association, 1940, S. 8. las The Armoury in Our Halls', The Canadian Spokesman, April 1941, abgedruckt in: A Canadian People, S. 9—10. 139 ,The Neglect of Canadian Literature', Canadians All, II, Herbst 1944, S. 62. Vgl. auch: ,Our Neglect of Our Literature', Civil Service Review, XVII, 1945, S. 306 ff. — W. P. Percival meint 1948: „If Canada is ever to become a very great nation, Canadians must take greater pride in their country and its products. Particularly must they uphold their writers . . ." (,What is the Character of Canadian Poetry?', in: Leading Canadian Poets, Toronto 1948 S. 19—20.) 136 137

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Andere K r i t i k e r lehnen jedoch gerade wegen des weltpolitischen Geschehens enge nationalistische Bindungen ab. J . Murray Gibbon wünsdit sich zum Beispiel eine weltliche Bibel ( „ . . . o f selections from the literatures of the continental races which are finding their place i n . . . the Canadian mosaic"), damit Kanadas Bevölkerung das sie einende und verpflichtende abendländische Erbgut erkenne 1 4 0 , und aus ähnlichen Motiven kritisiert A . S. P . Woodhouse die Phelpsschen Gedanken zur Nationalliteratur 1 4 1 . In der gegenwärtigen Situation, meint er, komme es darauf an, das gemeinsame Erbe zu bewahren: „Close your Emerson (as Carlyle might have said); open your Roosevelt and your Churchi l l " 142 . Als Schüler der Neuhumanisten Paul Elmer More und Irving Babbitt sieht Woodhouse sowieso den Wert eines Kunstwerks nur in seiner universal gültigen und zeitlosen Aussage. Zeitgebundene Elemente, wie die regionale, nationalistische oder imperialistische Färbung, sind für ihn von untergeordneter Bedeutung: „The elementary fact is that English, like other great literatures, speaks in its own idiom, but that it is never great simply b y virtue o f so doing. I t is great by virtue of what it embodies of permanent human wisdom" 1 4 3 . Wegen der unterschiedlichen Reaktion auf die politischen Vorgänge scheint es richtiger, das neugewonnene Selbstbewußtsein der literarischen Nationalisten auf all die kulturell und sozial entscheidenden Veränderungen jener J a h r e zurückzuführen: auf die Tatsache, daß K a n a d a zum erstenmal als unabhängige N a tion in einen Krieg eingetreten ist, auf den wirtschaftlichen Aufschwung 1 4 4 , auf die steigende Bevölkerungszahl 1 4 5 , vor allem aber auf die Qualität der veröffentlichten R o m a n e und Gedichte selbst 146 . W i e früher schlägt in den Aufsätzen vieler Beobaditer die „Messianic n o t e " , die nach Northrop Frye leitmotivartig die kanadische Kulturkritik durdi-

,A Secular Bible for a New Canada', TRSC, X X X V I , sec. 2, Mai 1942, S. 9 3 - 1 0 0 . A. L. Phelps, This Canada, Toronto 1940; ders., ,The Heritage of English Literature', in: The Canadian Heritage 1940. 142 ,Remaining Material', in: .Letters in Canada: 1940', UTQ, X , 1940/1, S. 352. 143 Ebda. S. 351. 144 Vgl. H. R. Percy, .Criticism: Its Place in Canada's Future*, QQ, LXIV, 1957/58, S. 598: .Canada has entered an era of industrial growth and scientific devolopment which has few equals in world history. In the remaining years of this century she will see changes beyond our imagining. To me it is inconceivable that the rapid growth will not be accompanied by as profound a cultural renaissance. That prince of critics, Matthew Arnold, maintained that sudi periods of expansion are the most fertile producers of creative art and literature." 145 1 940: etwa 11 Mill. Einwohner; 1959: etwa 17,5 Mill. Die U . S . A . hatten um 1825 elf Millionen Einwohner. 146 Eine reife Lyrik gibt es für: H. W. Wells, ,The Awakening in Canadian Poetry', New England Quarterly, XVIII, März 1945, S. 3—24; G. F.Lahey, ,Poetry in Canada', C, III, Juni 1942, S. 161—64; W. P.Percival, ,What is the Character of Canadian Poetry?', a. a. O. — Der kanadische Roman ist „im Kommen": Anon., .Canadian Literature Moves On', Quill and Quire, X I I , Jan. 1946, S. 4 0 - 4 3 ; C. T. Bissell, ,The Novel', a. a. O. Carlyle King sagt: „. . . Canadian poetry has achieved maturity, Canadian drama is beginning to creep, and Canadian fiction is emerging from adolescence." (.Literature (in English)', Food for Thought, X , Mai 1950, S. 8) 141

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zieht 147 , in die selbstbewußte Aussage um, daß eine kanadische Nationalliteratur bereits existiere — wenn audi nur als „tender plant" 1 4 8 : „We do not say it is a great literature, but we do say that much of it is distinguished; and since it interprets our own experience, that it has special importance for us" 149 . Skeptischere Kritiker nehmen dagegen den Standpunkt ein, daß das kanadische Schrifttum trotz des Erfolges von Hugh MacLennan und Gwethalyn Graham solange der Vitalität entbehren werde, wie die Gesellschaft ängstlich, unreif und kolonial gesinnt bleibe 150 . Das kanadische Publikum sei für den Künstler einfach nicht gut genug 151 . Zwar habe man fast den Kolonialismus überwunden, doch sei man erst dabei, sich vom „inevitable offspring of colonialism — a petty, self-conscious nationalism" zu lösen 152 . Überhaupt stehe der kanadische Volkscharakter der kulturellen Entwicklung hemmend im Wege: „[The Canadian] is reticent, a little Puritanical perhaps, and decidedly unsure of himself. He takes no great pride in being Canadian; he accepts the fact without regret but is seldom disposed to shout it to the world." „All this should mean that Canadians are pleasant people to live with. It also means that we are hardly likely to create great art 1 5 3 ." Allgemein begnügt man sich aber nicht mehr mit resignierten Bemerkungen über die Leserschaft und die wirtschaftliche Lage des kanadischen Schriftstellers. Vielmehr kämpft man energisch gegen den Puritanismus und die koloniale Vgl. W. Eggleston, The Frontier . . ., S. 153. W. A. Deacon, ,Our Emergent Literature', TGM, 4. 1. 1958. Vgl. ders., .Canada's Literary Revolution*, CAB, XXIII, Dez. 1947, S. 21—25. Siehe audi: C. Clay, .Cavalcade of Canadian Letters: A Survey over 25 Years', SN, LXII, 2. 11. 1946; A. Stringer, .Fidelity to Life the Open Sesame*, CAB, XXIV, Sept. 1948, S. 11—15; R. Duhamel, ,A National Literature', CAB, XXVI, Herbst 1950; The Culture of Contemporary Canada, hrsg. v. J . Park, Toronto 1957; A. L. Phelps, .Canadian Literature and Society', NR, III, April-Mai 1950, S. 23-26, 31-35, u.a.m. 149 L. Pierce, .Literature, English Language', Encyclopedia Canadiana, 1958, Bd. VI, S. 152. 150 Samuel Roddan, .Writing in Canada', CF, XXVI, Sept. 1946, S. 137. 151 Mavor Moore, ,The Canadian Theatre', CF, XXX, Aug. 1950, S. 108, 110. 152 E. McCourt, ,Canadian Letters', in: Royal Commission Studies (A Selection of Essays Prepared for the Royal Commission on National Development in the Arts, Letters and Sciences), Ottawa 1951, S. 68. — Selbst der spätere Generalgouverneur Vincent Massey, der in seinem Buch On Being Canadian (Toronto 1948) die kanadischen Symbole aufzählt und hinsichtlich der Interpretation des Landes die Maler als „shock troops" bezeichnet, sagt: „The task of either artist or writer is, after all, not to talk about his country, but to interpret what he sees around him. Art with a mission ceases to be art. No artist can be asked to become the conscious bearer of a national message." (S. 35) Nur der Kultusminister Percival begrüßt patriotische Werke (,What is the Character of Canadian Poetry?', a. a. O.). 153 E. McCourt, ,Canadian Letters', S. 78. — T. B. Costain (,Keep Creative Workers at Home', CAB, XXIV, Sept. 1948, S. 24—28) fordert die Kanadier auf, ihren Schriftstellern das Verbleiben im Lande zu ermöglichen. Nach D. E. Lewis (,A Timid Renaissance', C, VII, März 1946, S 48ff.) hängt das Kommen der Nationalliteratur von der Reaktion des Publikum ab. Scott Young (,What Is the Voice of Canada?*, CAB, XXIV, Sept. 1948, S. 16) führt dagegen die kanadische Kritik an den Schriftstellern, die der Marktlage wegen ihre Werke „amerikanisieren", auf den kanadischen Minderwertigkeitskomplex zurück. Dies ist eine Ansicht, die u. a. auch Morley Callaghan vertritt. 147

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Gesinnung a n 1 5 4 und setzt die Auflockerung der Zensurbestimmungen durch 155 , fordert staatliche Subventionen der Kunst und Literatur 1 5 6 und erreicht die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, dessen Empfehlungen mit der Begründung des „Canada Council", einer Nationalstiftung für kulturelle Angelegenheiten 157 , zum Teil entsprochen wird. Gleichzeitig beschäftigen sich die literarischen Nationalisten mit den Problemen der kanadischen Literaturkritik und kommen wie 1884 ein Korrespondent der Week zu der Schlußfolgerung, daß man sich vor der Überbewertung der kanadischen Literatur („flattering and fulsome praise") in den Buchbesprechungen der Tageszeitungen („reliable as patent medicine advertisements, and probably as fostering to good literature") hüten müsse 158 . Unter dem Einfluß der Akademiker treten 154 Roy Daniells (,Poetry and the Novel', S. 38) begrüßt MacLennans Kritik am Puritanismus, den D.Pacey (Creative Writing . . ., S. 193) ein Hindernis ernsthafter Romane nennt. B. K. Sandwell (,The Social Function of Fiction', QQ, XLIX, 1942, S. 322—32) weist auf die Einstellung vieler Puritaner zum Werk Callaghans hin, während R. L. Weaver (.Notes on Canadian Literature', Nation, 16. 2. 1946, S. 198) den Puritanismus als literaturfeindlich kritisiert: „In Canada obscenity is a harsh synonym for naturalism and realism, especially when indulged in by Canadian writers." L. Pierce (,Literature, English Language', S. 172) präzisiert die Vorwürfe: „It is not puritanism that holds us bade. Puritanism is as old as man and is bound up with faith and belief. What numbs the brain and freezes the arm of the creative writer is prudishness, the fear of taboo, unsureness over the proprieties, failure to know oneself and be oneself." 155 Vgl. Blair Fraser, ,Our Hush-Hush Censorship', MM, 15. 12. 1949; ders., ,A Change of Guard on Indecent Books', MM, 15. 3. 1958; J. Stewart, .Censorship in Canada', Food for Thought, X, März 1950, S. 4—8; W. French, ,The Strange Case of the Literary Lord High Executioner', The Globe Magazine, 25. 5. 1957; .Editorial', TR, 3, Frühjahr 1957, S. 3—4; anonym, .Areopagitica Re-Written?', CL, 2, Herbst 1959, S. 3—9. — Büdier wie Ulysses und Sanctuary waren bis 1952 verboten. Zwei der Vorkriegsromane Callaghans standen jahrelang auf der schwarzen Liste der Toronto Public Libraries. 156 Vgl. die Resolution der Canadian Writers' Conference, in: Writing in Canada (Proceedings of the Canadian Writers' Conference, Queen's University, 28—31 July, 1955), hrsg. v. G. Whalley, Toronto 1956. — E. K. Brown (,The Neglect . . .', S. 62) fordert geldliche Unterstützung, W. P. Percival (Leading Canadian Poets, S. 21) überdies die Ernennung eines „Canadian Poet Laureate". E. McCourt begrüßt die Stipendien, die die amerikanische Guggenheimstiftung einigen kanadischen Schriftstellern gewährt hat, stellt aber mit einigem Bedauern fest, daß sehr viele kanadische Schriftsteller als Professoren tätig sind: „Certainly there is an increasing tendency on the part of Canadians to look upon the creative arts as spare-time pursuits." (.Canadian Letters', S. 80 bis 81.) Lome Pierce (A Canadian People, S. 21) fordert ein Kultusministerium für ganz Kanada. 157 Vgl. Royal Commission Studies, Ottawa 1951; Report der Royal Commission on National Development in the Arts, Letters and Sciences, Ottawa 1951. — Zur Beurteilung vgl. H . Neatby, ,The Massey Report: A Retrospect', TR, 1, Herbst 1956, S. 37—42 (positiv); ,The Canada Council: An Editorial View', TR, 4, Sommer 1957, S. 33—42; W. A. Deacon, .Their Own Unaided Efforts', TGM, 7. 6. 1958 (Kritik an der Verteilung der Gelder); M. Callaghan,,We're on the Wrong Trade in Our Culture Quest', MM, LXX, 25. 5. 1957. 158 Barry Dane, .National Literature', The Week, I, 4. 9. 1884, S. 633, zit. C. Bissell, .Literary Taste . . .', S. 248. — Gegen die Überbewertung kanadischer Dichter und gegen manche nationalistische These ist auch die satirische „Dichterbiographie" Sarah Binks von Paul Hiebert (Toronto 1947) gerichtet. Sarah „is called the Sweet Songstress of

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sie für eine ernsthafte Kritik der kanadischen Literatur ein 159 , obwohl nach Ansicht Edward McCourts die gängige Meinung, das Fehlen der Kritik verzögere die Entwicklung der Literatur, unbewiesen ist 160 . In seinem Aufsatz ,A View of Canadian Criticism' akzeptiert George Woodcock die Auffassungen des als konservativ bekannten Kritikers D. S. S a v a g e : „The routine work of criticism is to interpret, elucidate and evaluate our literature, and in so doing to define, defend and expound the tradition. Not the literary tradition solely, but the whole cultural complex from which literature is one specific outgrowth, and which includes the tradition of thought and belief 161 ." Da sidi aber die kanadische Tradition erst unlängst herausgebildet habe, hält Woodcock es für verfrüht, mit den Methoden der „New Critics" an Werke der kanadischen Literatur heranzugehen. Der kanadische Kritiker müsse statt dessen Psychologe, Soziologe und Philosoph zugleich sein und mit großem Kunstverstand und T a k t die besondere kanadische Erfahrensweise von der amerikanischen und britischen abgrenzen, ohne dabei die kanadische Literatur zu isolieren. Ganz ähnlich beschreibt Robert Weaver die Funktion des Kritikers: „In Canada the critic, no less than the creative writer, faces special and difficult conditions. For one thing, the novel has been so neglected that every kind of critical approach begins to appear dangerous. After all, critical insight is always gained at the expense of some distortion, and it is sometimes difficult not to feel that Canadian novelists cannot yet afford to be saddled with even the slightest wrong interpretation. Of course, a rigid nationalistic approach will only serve to perpetuate mediocrity; but on the other hand, since criticism should be broadly interpretive, we cannot ignore the particular conditions which still prevail in this country 162 ." Im Vergleich dazu scheinen Dona Dotens Warnung vor den kosmopolitischen Kritikern 1 6 3 , Phelps Canadian Writers164 und Percivals Leading Canadian Poets165 auf die zweite Periode des literarischen Nationalismus zurückzuweisen. Im normativ-postulatorischen Bereich treten die Unterschiede zur ersten und Saskatchewan. Indeed she could be called much more. No other poet has so expressed the Saskatchewan soul. No other poet has caught in deathless lines so much of its elusive spirit, the baldness of its prairies, the alkalinity of its soil, the richness of its insect life." (S. xii). 159 A. J. M. Smith ( F o u n d e r s ' Day Address, Fredericton 1946) fordert die Einrichtung von Seminaren über die kanadische Literatur und denkt auch an einen „honours undergraduate course", in dessen Mittelpunkt die kanadische Literatur stehen soll. Vgl. J. D. Logan, Dalhousie University and Canadian Literature (Being the History of an Attempt to have Canadian Literature included in the Curriculum of Dalhousie University), Halifax 1922. Dagegen Woodhouse: „It is not the primary purpose of a university to foster a national literature . . ." ('Letters in Canada: 1945', UTQ, XV, 1945/46, S. 322.) 160 .Canadian Letters', S. 248. 161 D. S. Savage, .Creative Criticism', zit. George Woodcock, ,A View . . .', S. 216. 162 ,A Sociological Approach ...', S. 12—13. 163 .Where are Canada's Literary Critics', CAB, XXI, Dez. 1945, S. 10—11. 164 Im Vorwort kündigt Phelps an: „These pieces try to be friendly and positive without denial of literary standards. They are pieces to be picked up casually and laid down perhaps not too unthinkingly. They may suggest a middle way between academic disdain and patriotic over-enthusiasm." (S. V—VI) 105 Einzelne Kapitel waren teilweise sdion vor dem zweiten Weltkrieg in The Educational Record erschienen.

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zweiten Phase noch deutlicher hervor als in den deskriptiven Äußerungen des literarischen Nationalismus. Alle Überlegungen kreisen zwar wie früher um drei Themen — den Lebensraum, die typisch kanadische Haltung und die Einstellung zur Tradition, doch machen sich auch hier das Selbstvertrauen und zum Teil die größere Reife der Kritiker bemerkbar. So hat der Raum als Urquell des Geistes der kanadischen Nationalliteratur an Bedeutung verloren. Obwohl Tainesdie Gedanken in beiläufigen Bemerkungen wie „Our writing is a late germination in a cold northern climate" 1 6 6 fortleben mögen und Vincent Massey den nüchternen, ausgeglichenen Charakter des kanadischen Volkes vor allem aus den klimatischen Bedingungen ableitet 1 6 7 , sagt man nicht mehr apodiktisch, die Umwelt schließe die Tragödie aus 168 oder begünstige sie 169 . Vielmehr ist „northness" jetzt ein induktiv gewonnener Terminus — eine Bezeichnung für die unverwechselbare kanadische Art des „fingering" und „phrasing", die man am einzelnen Gedicht abzulesen glaubt 1 7 0 . So meint Ralph Gustaf son: „What is Canadian? The specifics of contemporary Canadian poetry are these: The sea, primal, challenging, present. Diving, literal diving, diving bade t o ; an astounding engagement with water dived into. Green: as an amazing engagement: green blood, green air, green out of the white of winter. Hills, despite the prairies, granite and the antagonist: the Laurentian Shield. A hatred of cruelty, of cruelty to cruelty. Women make men. The eye: symbol and active agent. Concern with fish symbolic; not religious. W a r is not a natural condition. A laughter toward tourists. Little longing for diviner regions. (Only one Mountie — in a satire; one snowshoe.) There are the main objective correlatives and attitudes. They add up into the word, north 1 7 1 . "

O f t wird jetzt aber auch der kanadische Lebensraum ganz nüchtern als geographischer Stellenwert verstanden. Die Verfasser des ,Massey Report' weisen auf die Kommunikationsschwierigkeiten innnerhalb Kanadas, die riesigen Entfernungen zwischen den einzelnen abgeschlossenen Gemeinden, hin und folgern: „Canada has bound herself together with expansive links of physical comR o y Daniells, .Poetry and the Novel', S. 29. On Being Canadian, S. 29—30. i«8 Vgl. Fußnote 117. 1611 F. P. Grove (It Needs to Be Said, Toronto 1929, S. 155): „What kept me in C a nada, and more especially in the Canadian West, was the fact that I found here more clearly than elsewhere the germs of such a new or distinctive shade in the generally tragic reaction of human souls to the fundamental conditions of man's life on earth." 1 7 0 R . Gustafson, Hrsg., The Penguin Book of Canadian Verse, 1958, S. 24—25. 1 7 1 Ebda. — Die empirischen Beobachtungen werden letzten Endes aber zu einer N o r m erhoben, die sich vorteilhaft für die moderne Lyrik auswirkt: „Conditions are good for spare lyricism, metaphysical w i t . . . " (S. 27) Vgl. audi Gustafsons Anthologie Canadian Accent, London 1943. 186 167

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munication, but these exact a tax which the artist can bear even less easily than Canadian trade and industry" 1 7 2 . D a es für den Künstler äußerst schwierig ist, den regionalen Rahmen zu durchbrechen und die ganze Nation in seinem Werk zu schildern und zu beschreiben, bezweifeln manche Kritiker die Existenz der Nationalliteratur. Während A. S. P. Woodhouse schon im Jahre 1940 Phelps den regionalen Charakter des kanadischen Lebens entgegenhält, meint Edward McCourt in seiner Studie für den ,Massey Report': „Up to the present time the creative literature has contributed little to a sense of national unity because it has tended to be regional in diaracter 1 7 3 . Audi Desmond Pacey glaubt, ein nationaler Roman sei im Augenblick nicht möglich: „ . . . Canadian society, for all its immaturity — or perhaps because of it — is a peculiarly difficult society to reduce to order. To make generalizations which will apply to all sections of it is almost impossible. It is for this reason that we are not likely to have for some time anything approaching a national novel; the best we can hope for are solid regional studies 174 ." Und in seiner Literaturgeschichte stellt er sogar die These auf: „A good regional literature must precede a good national literature; indeed, it is arguable whether there is any such thing as a national literature apart from its regional components" 1 7 5 . Infolgedessen zieht George Woodcock nur einen notwendigen Schluß, wenn er erwartet, der Kritiker werde die regionale Lebensweise berücksichtigen und untersuchen, wie diese die Literatur beeinflusse 176 . Sowie der Raum als rein geographische Größe aufgefaßt wird, verwandelt sich der Begriff „national" in dem Ausdruck „Nationalliteratur" von einer geistigen zu einer räumlichen Bezeichnung, die auf den Hintergrund des Werks abzielt und es den erwähnten Kritikern unmöglich macht, an die Existenz einer Nationalliteratur zu glauben. Denn wie sollte es einzelnen Gedichten gelingen, sich das ganze Land zum Hintergrund zu wählen? Nicht jeder Dichter kann ja schließlich den Bau der transkontinentalen Eisenbahn beschreiben und mehrere Landschaften andeutungsweise schildern 177 . Daher ist es nicht verwunderlich, daß Desmond Pacey trotz seiner oben zitierten Ansicht an dem Begriff der k a nadischen Literatur festhält und im Stile früherer Kritiker dem Raum einen gestaltbildenden, den Geist der Literatur bestimmenden Einfluß zuspricht 178 . 1 7 2 Royal Commission on National D e v e l o p m e n t . . . , ,The Forces of Geography', Report, S. 12. 1 7 3 .Canadian Letters', S. 82. 1 7 4 ,The Novel in Canada', QQ, L H , Herbst 1945, S. 328. 175 Creative Writing . . S . 95. 1 7 6 , A View of Canadian Criticism', S. 3 2 2 ; vgl. ders., ,A Review of Canadian Short Stories', N R , V, F e b r u a r - M ä r z 1953, S. 44 ff. 1 7 7 E. J . Pratt, Towards the Last Spike [A Verse Panorama of the Struggle to Build the First Canadian Transcontinental from the Time of the Proposed Terms of Union with British Columbia (1870) to the Hammering of the Last Spike in the Eagle Pass (1885)], Toronto 1952. 1 7 8 Siehe oben: Kapitel 1. — Praktisch legt Pacey den Symbolwert der kanadischen Landschaft fest: „ . . . man is dwarfed by an immensely powerful physical environment which is at once forbidding and fascinating." Den so definierten Symbolwert erhebt er

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Noch weniger erstaunlich ist aber die Tatsache, daß viele literarische Nationalisten das Wesen der kanadischen Literatur in einer bestimmten geistigen Haltung gespiegelt finden. Lister Sinclair sagt zum Beispiel, die kanadische Ausdrucksweise zeige sich in einem Erzählstandpunkt, der der Sokratischen Ironie ähnele: „ [ I t is] the point of view of the still small voice, the gadfly made innocuous-seeming through protective colouration, and the little arts of Socrates that bring down giants by their own great strength" 1 7 9 . Eine andere Spielart der Ironie wird dagegen in Our Sense of Identity zur N o r m des kanadischen Nationalismus (und zumindest auch zur N o r m der Essayliteratur und vieler Romane) erhoben: „Our natural mode is . . . not compromise but .irony* — the inescapable response to the presence and pressure of opposites in tension. Irony is at the key to our identity." „The novels of Callaghan and Lemelin . . . express it unerringly. Think of the ultimate irony of Lemelin's Les Plouffes — the identification by feeling with the Canadier! and, simultaneously, the distanced and intellectual appraisal of him as though from a vantage point across the Ottawa 18 °." Vielleicht ist dieses Bewußtsein der unaufgelösten Gegensätze, die die Ironie aufzeigen und überspielen kann, tatsächlich charakteristisch für das kanadische Nationalgefühl, scheint es sich doch auch in der Einstellung zur Tradition widerzuspiegeln. Wie A. J . M. Smith fühlen sich viele Kritiker und Schriftsteller anderen Traditionen verpflichtet, ohne ihnen, wie sie meinen, voll und ganz anzugehören: „We have the benefit of being able to draw both upon British and American sources in language and tradition and at the same time to have a certain freedom and detachment that enable us to evaluate and select from these sources what is useful. This is the characteristic Canadian element — an eclectic detachment. It can be, and has been, a defect of timidity and mediocrity; but it can also be a virtue of discrimination and intelligence 1 8 1 ." U m zu einem eigenen kanadischen Stil zu gelangen, braucht man sich daher nicht vom amerikanischen und englischen Einfluß loszureißen, wie eine einzelne Stim-

dann zur Weltsicht der kanadischen Literatur. Paceys normative Bemerkungen treffen auf einzelne Schriftsteller zu (wenn auch nicht auf Callaghan, de la Roche und Pratt, wie Pacey meint), klammern aber zum Beispiel die Autoren aus, welche die paradiesische Unberührtheit der kanadischen Landschaft hervorheben und sie als eine Zufluchtsstätte betrachten, in der der moderne Mensch gesunden kann. (Vgl. Roys Roman The Cashier und Hugo McPhersons Interpretation ,The Garden and the Cage: The Achievement of Gabrielle Roy', CL, 1, Sommer 1959, S. 46—57) James Reaney, der sich in wesentlichen Zügen Pacey anschließt, sieht immerhin noch zwei Möglichkeiten: „Der Künstler in Kanada kann sich also entweder in jene Landesteile zurückziehen, die völlig europäisiert und ,zahm' geworden sind, oder er kann sich in die Wildnis wagen und tapfer versuchen, ihrer ungeheuren Masse einen Sinn abzugewinnen." (,Raum und Mensch als literarische Pole', Mitteilungen, hrsg. v. Institut für Auslandsbeziehungen, Juli-September 1957, S. 188) 179 ,The Canadian Idiom', Here and Now, I, Juni 1949, S. 17. 180 o«r Sense of Identity (A Book of Canadian Essays), hrsg. v. M. Ross, Toronto 1954, S. x. 181 .Poetry', in: Writing in Canada, S. 24.

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me fordert 1 8 2 . Man braucht nur, sagt H. G. McCredy, die Hände auszustrecken und sich das „Beste" aus der literarischen und kulturellen Überlieferung Englands, Amerikas und Frankreichs herauszugreifen 183 . Das mag nun heißen, daß literarischer Nationalismus unsinnig ist: „a passion for privacy that justifies the development of the Greek word for ,privacy' into the English word ,idiocy'" 184 . Man kann daraus aber auch folgern, daß die kanadische Literatur aus der englischsprachigen Literatur ihre K r a f t beziehen und als Vermittlerin zwischen der amerikanischen und der englischen Tradition ihren Eigenwert haben wird: "It is not only more rewarding but natural to admit the forces of traditions, to advise, as Professor Wilgar does, Canadian writers . . ., to fuse with their own convictions that which they consider relevant from both cultures' 185 ." Kanada als „the golden hinge", der Mittler zwischen den Vereinigten Staaten und England — diese Lieblingskonzeption der kanadischen Historiker und Politiker 186 wird so auf die Literatur übertragen. Sie schwingt zum Beispiel in der Widmung von Lionel Shapiros Roman The Sixth of Juneis7 und in manchen Äußerungen MacLennans mit und klingt auch in der folgenden Zusammenfassung der kanadischen Entwicklung an: „For a long time, Canadian writers believed it sufficient to sing the praise of national glory in verses more touching than perfect or to celebrate their own personal patch of the country in idyllic recitals which were entirely lacking of relation with life taken as a whole. This crisis of infancy has now fortunately passed. We have understood that we had particular traditions and habits, that we too belonged to the human family and that overwhelming or sublime passions were not the exclusive characteristic of the English, the French or the Americans. While retaining our distinctive characters, we have learned to integrate them with the vast current of universal thought. This explains the remarkable success of Hugh MacLennan... 1 8 8 ." Das bedeutet aber, daß der literarische Nationalismus die Thesen, welche die kosmopolitischen Schriftsteller der zweiten Periode als Kritik am Nationalismus 182 S. E. Smethurst, .Towards a National Literature', QQ, LIX, Winter 1952/53, S. 455-63. 183 H. G. McCredy, .Analyzing the Canadian Cultural Position', C, VIII, Juni 1947, S. 184—87; vgl. W. E. Greening, .Wanted: Reciprocity in Canadian Literature', DR, XXIX, Oktober 1949, S. 271-74; Louis Dudek, .Letter', NR, IV, A p r i l - M a i 1951, S. 45. 184 ,A Point of View', TR, 10, Winter 1958/59, S. 3. 185 R. Gustafson, .Writing and Canada*, NR, III, Februar—März 1950, S. 19; vgl. W. A. Deacon, .Literature a Guide to Nation's Growth', The Weekly Globe and Mail, 27. 4. 1957. 186 Vgl. Leslie Roberts, Canada: The Golden Hinge, Toronto 1952; J. MacCormack, Canada: America's Problem, London 1941; G. W. Ferguson,,Canada the „Interpreter"', UTQ, XI, 1941, S. 4 0 - 4 5 ; J . B. Brebner, North Atlantic Triangle: The Interplay of Canada, the United States and Great Britain, New York 1958. 187 Garden City 1955, S. 7: „There is a land blest with the heritage of knowing intimately her British kinsmen and her American neighbours and of loving and in a sense uniting both. The land is Canada, and it is to this precious heritage that I dedicate gratefully this book." 188 R. Duhamel, ,A National Literature', CAB, XXVI, Herbst 1950, S. 4. John Peter (,The Critic's Responsibility', UTQ, XXIX, Januar 1960, S. 119 f.) denkt an eine „national school of critics", die zwischen „British and American literary criticism" vermittelt.

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vorbrachten, als begrüßenswerte Merkmale der existierenden oder kommenden Nationalliteratur übernimmt. D i e Traditionsoffenheit wird zum positiven Kennzeichen der Nationalliteratur. Damit hat der literarische Nationalismus in Kanada das Selbstvertrauen erworben, das die amerikanische Literaturkritik der letzten dreißig Jahre kennzeichnet 189 . Aus anderen Voraussetzungen heraus sind die Amerikaner zur Überzeugung gelangt, daß sie den Vergleich mit der europäischen Literatur nicht zu scheuen brauchen: „America seems called upon to produce a literature which will nourish and refresh European readers; at the same time it needs to perceive more clearly the source and nature of the formative influences, both past and present, upon its literature. We need to know to what degree and for what reasons a European feels a shock of recognition when he reads an American work; we need to find better means of evaluating what the European reader may consider untraditional and,native' 1 9 0 1 9 1 ."

199 Typisch: die erste Nummer der Zeitschrift Canadian Literature (Sommer 1959) enthält keine Begründung für ihr Erscheinen, aber den Hinweis, daß auch nicht-kanadische Mitarbeiter willkommen sind. 190 fhe American Writer and the European Tradition, hrsg. v. M. Denny und W. H . Gilman, Minneapolis, n. d., S. v. 191 Eine dem literarischen Nationalismus ähnliche Entwicklung scheint sidi in der kanadischen Musik- und Kunstkritik anzubahnen. Vgl. z. B. Vincent Massey, ,Art and Nationality in Canada', TSRC, Ottawa 1930; L. de B. Corriveau, ,Canadian Unity Through the Arts', Canadian Review of Music and Art, VI, 1947, S. 13—14; Jacques de Tonnancour, ,Our Image of Ourselves — How „Canadian" is Canadian Art?', QQ, LXVI, Herbst 1959, S. 355—61. Siehe audi das Literaturverzeichnis unter „Andere Zweige des kulturellen Nationalismus".

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III. Hugh MacLennan als Kritiker „It is impossible to extricate yourself from the question in which your age is involved." — Ralph Waldo Emerson.

l . Lebenslauf Hugh MacLennan wurde am 20. März 1907 in Glace Bay auf Cape Breton geboren und wuchs in Nova Scotia auf, jener isolierten, traditionsbewußten Küstenprovinz, die 1867 nur widerwillig der Konföderation beigetreten war. Seine Eltern waren presbyterianisdi und stolz auf ihre schottische Abstammung. Sein Vater, ein Chirurg, sprach mit Vorliebe gälisdi. 1914 zog die Familie MacLennan nach Halifax um, der Hauptstadt Neuschottlands, und erlebte dort die große Explosion vom 6. Dezember 1917, die im Mittelpunkt von Barometer Rising steht. Nach Besuch der Halifax Academy und Dalhousie University hörte Hugh MacLennan als Rhodes Scholar am Oriel College zu Oxford Geschichte und Latein, kehrte 1932 nach Kanada zurück und bemühte sich vergeblich um eine Assistentenstelle für ältere Geschichte1. Er nahm daher ein Stipendium der Princeton Graduate School an und promovierte nach dreijährigem Studium mit einer Arbeit über die ägyptische Stadt Oxyrhynchus2. Inzwischen war er unter den Einfluß der Avantgarde geraten3 und hatte zwei Romane mit amerikanischem und europäischem Hintergrund geschrieben. Beide Werke machten jedoch, wie er auf Hinweis der amerikanischen Schriftstellerin Dorothy Duncan 4 , die er 1936 heiratete, erkannt hat, einen unglaubwürdigen Eindruck: „The innumerable sense impressions, the feeling for country, the instinct for what is valuable in a human being — these things were all coloured by a Canadian back1 Zwei Universitäten teilten ihm mit, daß sie englische Bewerber vorzögen, er als Kanadier aber in den Staaten gute Aussichten habe. Vgl. C C , S. 39—41. 2 Oxyrhynchus. An Economic and Social Study, PhD, Princeton 1935. 3 „ . . . for two years I cramped my style by trying to write like James J o y c e . " (,The Future of the Novel as an A r t Form', News from the University of Saskatchewan, 24. 9. 1959, S. 2.) 4 Dorothy Duncan hat zwei stark autobiographisch gefärbte Reisebücher (Here's to Canada!, New York 1941; Bluenose. A Portrait of Nova Scotia, New Y o r k 1942) und eine Biographie (Partner in Three Worlds, N e w York 1944) geschrieben. Nach langer schwerer Krankheit starb sie im Jahre 1957. In der Gestalt Catherines hat MacLennan ihr in T W ein Denkmal gesetzt.

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ground I had not accounted for, which neither an American nor a European would accept without an explanation that was an inherent part of the story 5 ."

Diese Beobachtung bestärkte ihn in dem Entschluß, seine Auswanderungspläne aufzugeben und über sein Heimatland zu schreiben: „Few novelists, writing of contemporary life, can risk setting the scene outside their own country unless their country is known to the whole world, and unless they make one of their own countrymen the leading character. It was my wife who persuaded me to see Canada as it was and to write of it as I saw it 6 ."

Als Lehrer für Griechisch, Latein und Geschichte verdiente sich MacLennan in den letzten Jahren der Depression und während des Kriegs seinen Lebensunterhalt und trat 1941 mit dem Roman Barometer Rising zum erstenmal an die Öffentlichkeit. Ein Stipendium der Guggenheim-Stiftung ermöglichte die Arbeit an einem zweiten Werk, Two Solitudes, dessen großer Erfolg 7 sein Ansehen festigte und ihm den Preis des Generalgouverneurs eintrug 8 . 1951 wurde er als „Assistant Professor" an das Anglistische Seminar der Universität McGill in Montreal berufen und war endlich wie E. J. Pratt, Earle Birney, A. J. M. Smith und andere kanadische Dichter und Schriftsteller, die ebenfalls Universitätsstellen innehaben, finanziell sichergestellt. Seit 1946 hat er drei Romane veröffentlicht, als Korrespondent und Redakteur verschiedener Zeitschriften zahlreiche Aufsätze über das Leben in Kanada und den Vereinigten Staaten geschrieben und an Rundfunk- und Fernsehsendungen teilgenommen. Seine beiden Essaybände Cross-Country und Thirty and Three zeugen von seiner Vielseitigkeit und seinem regen Interesse an politischen, soziologischen und religiösen Problemen9. 2. Hugh MacLennan als literarischer Nationalist

Unter den kanadischen Schriftstellern ist MacLennan auf Grund seiner Herkunft und seines Bildungsgangs wie der Katholik Morley Callaghan und der Einwanderer Frederick Philip Grove ein Außenseiter. Lange Zeit empfand und dachte er als „Nova Scotian" und hat erst während seines sechsjährigen Auslands,On Discovering Who We Are*, in: CC, S. 52. «Ebda. Innerhalb von fünf Monaten 45 000 Bände verkauft. — Als der Canadian Book of the Month Club TS für den Monat März auswählte, fühlte sich W. Eggleston (,Canadians and Canadian Books', QQ, LH, 1945, S. 208—13) veranlaßt, die nationalistische Kritik am kanadischen Leser kritisch zu überprüfen. Seine Revision der Brownschen Analyse des Büchermarktes (On Canadian Poetry, 1. Kapitel) gipfelt in dem Satz: „Canadians are buying and reading Canadian books." Der kanadische Schriftsteller brauche nicht mehr für den internationalen Markt zu schreiben, nach den Vereinigten Staaten auszuwandern oder Staatsbeamter zu werden. „With cash rewards and honours what they are, there may be now a fourth alternative . . . That is to write about Canada for Canadians on a fulltime basis." Vgl. J . Wolfe, ,The Market for Books in Canada', CJEPS, X X I V , November 1958, S. 5 4 1 - 5 3 . 8 Auch CC, TT, EMS, TW erhielten Governor General's Awards. 1952 wurde MacLennan die Lome Pierce Medal verliehen, und 1953 wählte man ihn zum Mitglied der Royal Society of Canada. • Laut brieflicher Mitteilung vom 6. Oktober 1959 beabsichtigt MacLennan, in naher B 7

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aufenthalts gespürt, was es heißt, K a n a d i e r zu sein 10 . D a er aus eigener E r f a h r u n g die kanadische Lebensweise von der amerikanischen u n d englischen abgrenzen k a n n , scheint er als Beobachter u n d I n t e r p r e t des kanadischen Wesens besonders geeignet, doch ist es unwahrscheinlich, d a ß er als kanadischer Schriftsteller den R a t William D e a n H o w e l l s ' : „ I w o u l d h a v e our American novelists be as American as they unconsciously can" 1 1 befolgen wird. Tatsächlich ist sein Ausgangspunkt, wie seine A u f s ä t z e zur Situation des Schriftstellers u n d z u r soziologischen S t r u k t u r K a n a d a s beweisen, b e w u ß t gewählt. Jeder der Essays in CrossCountry, gibt MacLennan im V o r w o r t zu, „ . . . t a u g h t me something it was necessary to k n o w before I could a d v a n c e w i t h m y principal w o r k , the w r i t i n g of novels" (CC, S. vii). Schon f r ü h h a t sich MacLennan mit soziologischen Fragen beschäftigt. Weitete er seine Dissertation zu einer Studie des Zerfalls des Römischen Reichs aus, so setzte er sich in einem Aufsatz v o m J a h r e 1936 mit Spengler auseinander u n d bezeichnete den geschichtlichen P r o z e ß als „a melange of determinism a n d accident" : „This determinism is not the transcendental determinism of the metaphysicians in which Spengler seems to believe. Nothing more is meant than that determinism which issues from a limited causal system . . . Such a causal system . . . is a state or civilization in which there has been interplay of physical phenomena and events with people who live, think and interact. Obviously, therefore, this determinism does not embrace all events which have existed in the physical world since creation. It embraces simply events which we can either know or infer, and so it should be possible to isolate the main determining factors; to isolate, again, what was subject to accident; hence to arrive at a logic of history which has a real meaning for our own age. Determinism, historically speaking, is seen to operate more decidedly in the behaviour of the mass than in that of the individual . . . 1 2 ." U m zu erkennen, v o n welchen Motiven die Massen geleitet w ü r d e n , müsse der Historiker nicht nur den I n h a l t der überlieferten D o k u m e n t e festlegen, sondern auch ihren psychologischen Gehalt, ihre unausgesprochenen Werte, h e r a u s p r ä p a rieren. D a z u b e d ü r f e es der Feinfühligkeit des Künstlers: „. . . as psychology proper is still only descriptive, it is safe to say that the mind best adapted to draw inferences from such data is the artist. . . . the ideal historian of today would be integrated as an artist and as a scientist 13 ." Von dieser Ansicht bis zur Überzeugung, d a ß der Künstler einen wesentlichen Beitrag zur Seinserhellung der G e g e n w a r t leisten kann, ist nur einSchritt: „ . . . perhaps even the novelist m a y contribute a little to the f u t u r e . Certainly he can de-

Zukunft eine dritte Essaysammlung zu veröffentlichen und darauf einen schmalen Band, der seine Aufsätze über sieben kanadische Flüsse zusammenfassen wird. (Inzwischen erschien Scotchman's Return and Other Essays, Toronto 1960.) 10 Vgl. ,On Discovering Who We Are'; D. Duncan, Bluenose. A Portrait of Nova Scotia, S. 15. 11 Realism and the Novel, teilweise abgedr. in: P. Rahv, a. a. O., S. 268. 12 .Roman History and To-Day', DR, XV, April 1936, S. 70. 13 Ebda., S. 69. — Vgl. Lionel Trillings Ansicht, daß der Romanschriftsteller eine Art Historiker sei und als solcher „the manners", d. h. „the whole evanescent context in which its [culture's] explicit statements are made" vergegenwärtige. (,Manners, Moral and the Novel', a. a. O., S. 207) 58

fine issues with the emotion which gives them meaning. H e can reveal the present and the immediate past for what they are" u . Vor allem in Übergangsperioden, meinte MacLennan 1948 (im Hinblick auf die Nachkriegszeit), habe der Schriftsteller eine verantwortungsvolle Aufgabe: „The period we are now entering will be a period of reconstruction, both in society and in the arts. Such periods are always hard for the artist, for it is incumbent on him, not on the statesmen, to discover new values" 15. Da sich Kanada 1939 in einem Zwischenstadium befand, weder Kolonie nodi Nation war 16 , blieb, so urteilt MacLennan, ihm nichts anderes übrig, als ganz bewußt Interpret seines Landes zu werden. Interpret in doppelter Hinsicht: für das eigene Volk, das sich über den Stand und die Möglichkeiten seiner Entwicklung noch nidit klar geworden war, und für die Leser in anderen Ländern, die Kanada aus Reiseführern oder überhaupt nicht kannten. Er beabsichtigte aber nicht, nun etwa einen Katalog der „Canadiana" aufzustellen oder die kanadischen Symbole, die Vincent Massey in dem Buch On Being Canadian aufzählt, im Roman zu verarbeiten. Vielmehr kam es MacLennan darauf an, den kanadischen Hintergrund, der von Landschaft und Geschichte geprägt worden ist, dem Leser ins Bewußtsein zu heben und, soweit erforderlich, die kanadischen Werte, Probleme und Ideale zu definieren. Der kanadische Autor, glaubte er, müsse eine Zeitlang Geograph, Historiker und Soziologe zugleich sein, weil die Bühne, auf der das Geschehen abrolle, erst einzurichten sei. Diese Verpflichtung unterscheide ihn vom englischen und amerikanischen Schriftsteller. „As drama depends on the familiar, and as the social and psychological novel depends on the capacity of the public to recognize allusions, to distinguish the abnormal attitude from the normal, to grasp instantly when a character is prompted to act by the pressures of his environment, and when by his own idiosyncrasies, it seemed to me that for some years to come the Canadian novelist would have to pay a great deal of attention to the background in which he sets his stories. He must describe, and if necessary define, the social values which dominate the Canadian scene . . . 17."

Da der kanadische Erzähler aber auf den amerikanischen Markt angewiesen sei, führte MacLennan an anderer Stelle 18 aus, könne er es sich nicht leisten, regionale Werke im Stil von Sinclair Lewis' Babbitt zu schreiben, denn kein Amerikaner würde sich für die Babbitts und Main Streets in Kanada interessieren: „The obvious, and only, answer . . . is for Canadian writers to stop writing regional novels, scientifically correct with respect to their own background, and permit themselves only universal themes, if they hope to reach a world audience . . . 1 9 ." D e r Schriftsteller kann die spezifisch kanadische H a l t u n g nur bestimmen, w e n n er ein überregionales Thema mit dem praktisch unbekannten Hintergrund des 14

.Fiction in the Age of Science', "Western Humanities Review, VI, 1952, S. 334. ,The Future Trend in the Novel', CAB, X X I V , Sept. 1948, S. 5. 16 TT, S. 52. 17 Ebda. — Eine Konsequenz: „The Canadian novel" wird „a social novel" sein. (,Do We Gag Our Writers?', MM, LX, 1. 3. 1947, S. 54) 18 .Canada Between Covers', The Saturday Review of Literature, X X I X , 7. 9. 1946, S. 5 - 6 , 2 8 - 3 0 . 19 Ebda., S. 28. 15

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ganzen Landes verbindet und die kanadische Reaktion auf allgemein-mensdilidie Probleme beschreibt: „ . . . i f a Canadian is to be successful in explaining Canada to herself, as well as to the rest of the world, he must place his universal theme in a Canadian background" 2 0 . MacLennans Anliegen — „to hammer out a literary pattern for Canadian life" 2 1 — erschien um so dringlicher und schwieriger, weil es 1941 in Kanada, wie er im Vorwort zu Barometer Rising schreibt, nodi keine literarische Tradition gab 2 2 . Wie andere Kritiker machte MacLennan die kolonial-puritanische Einstellung des kanadischen Lesers 23 und den falschen Ansatz vieler Schriftsteller, die sich damit begnügten, kraftlose Romane in historischem Kostüm zu fabrizieren 24 , für das Fehlen der kanadischen Literatur „as a national cultural f o r m " 2 5 verantwortlich. Letzten Endes, vermutete MacLennan, müsse die soziologische Struktur Kanadas berücksichtigt und zur Erklärung herangezogen werden: „If no writer has so far succeeded in making himself our spokesman, surely the reason lies here; our values, our national values, are coherently negative, rather than positive. We know what we are against long before we ever find out what we are for 2 °." Wie Paul Tallard, eine Romanfigur in Two Solitudes, muß sich der kanadische Schriftsteller fragen, in welche Erzähltradition er sich einfügen und woher er seine soziologischen Maßstäbe beziehen soll: „Must he write out of his own background, even if that background were Canada? Canada was imitative in everything. Yes, but perhaps only on the surface. What about underneath? No one had dug underneath so far, that was the trouble. Proust wrote only of France, Dickens laid nearly all his scenes in London, Tolstoi was pure Russian. Hemingway let his heroes roam the world, but everything he wrote smelled of the United States. Hemingway could put an American into the Italian Army and get away with it because by now everyone in the English-speaking world knew what an American was. But Canada was a country that no one knew. It was a large red splash on the map. It produced Mounted Policemen, Quintuplets and raw materials. But because it used the English and French languages, a Canadian book would have to take its place in the English and French traditions. Both traditions were so mature they had become almost decadent, while Canada herself was still raw. Besides, there was the question of background. As Paul considered the matter, he realized that his readers' ignorance of the essential Canadian clashes and values presented him with a unique problem. The background would have to be created from scratch if his story was to become intelligible. He could afford to take nothing for granted." (TS, S. 329) Während MacLennan 1942 die amerikanische Romantradition als eine reali» Ebda. ,Do We Gag Our Writers?', S. 13. 2 2 1945 sagte MacLennan: „Canadian writing is so thin a stream that it offers little in the way of instruction, unless we include a long list of bad examples inevitable in any new literature." (.How Do I Write?', CAB, X X I , Dez. 1945, S. 7) 2 3 ,Do We Gag Our Writers?', a. a. O. 24 .Culture, Canadian Style', The Saturday Review of Literature, X X V , 28. 3. 1942, S. 3. 2 5 Ebda. 2 8 Ebda., S. 4. 2

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stische Escape-Literatur entschieden ablehnte27, den kanadischen Standpunkt aber nodi nicht positiv definieren konnte, hatten sich 1946 seine Anschauungen geklärt. Er hatte inzwischen erkannt, daß Kanada im Bewußtsein des Volkes eine Nation geworden war, und stellte, weil er die assimilierende Kraft der Vereinigten Staaten nicht mehr zu fürchten brauchte, die These auf, der kanadische Schriftsteller müsse sich doch in die amerikanische Tradition einordnen und auf seine Weise mit dem amerikanischen Autor wetteifern. Diesem Gedanken liegt MacLennans Dekadenzbegriff, der bis auf seine Doktorarbeit zurückgeht, zugrunde: Er sieht die europäische Kultur als eine Stadtkultur an, die in der Renaissance wurzelt, jetzt langsam verkümmert und daher nicht mehr Vorbild sein kann: „What has the mainstream of Western culture become, except a deep layer of soft mud from which the clean spring water has poured away? Europe may still produce books. But it is difficult to imagine that the novels produced by the generation which grew up in the present war will be a further refinement of the Renaissance spirit28." MacLennan vergleicht das Verhältnis Amerikas zu Europa mit dem Roms zu Griechenland und zieht aus der Behauptung, Amerika habe einen eigenen Kulturkreis ausgebildet, den Schluß: „. . . is it natural for Canadians to adhere to the decaying Renaissance culture of Europe, or to the American branch cycle? There can only be one answer. Canadians must write for the American market because it is the cultural pattern to which they naturally belong. It is their only avenue to a world audience. And yet by doing so, they must compete on equal terms with American writers 2 9 . "

Obwohl Ralph Gustafson MacLennans Auffassungen als ein Beispiel für eine typisch nachkoloniale Haltung charakterisierte und zur Forderung gelangte, der kanadische Schriftsteller solle sich die verschiedenen Traditionen, die in Kanada zusammenfließen, anverwandeln30, weicht seine Einstellung kaum von der MacLennans ab. Sowie Gustafson die Grundzüge der kanadischen Literatur beschreibt, den Humor und das Selbstbewußtsein der Autoren lobt und die Tatsache begrüßt, daß die kanadischen Erzähler im Gegensatz zu den Europäern die Darstellung des Pathologischen vermeiden, nähert er sich MacLennan. Denn MacLennan entscheidet sich für eine amerikanische Tradition, wie sie auf Grund der gesellschaftlichen Entwicklung aussehen müßte. Da aber die amerikanischen Autoren die seiner Meinung nach dekadenten stilistischen Experimente europäischer Erzähler nachäffen, fordert er: „American literary critics should cease looking to

2 7 Ebda., S. 1 9 : „This Yankee point of view is simply not ours." American literature „is a realistic literature of escape, of dissenters from authority turning the tables or moving on elsewhere, of the clever fox. . . . its tragedy lies not so much in wordly failure or in the powers of wordly corruption, as in the bitterness of wordly success, in loneliness, in the exhaustion produced by its super-abundant vitality, in its refusal to respect contemplation, in its chronic inability to feel either wonder or reverence, in its powerlessness to comprehend humility." 2 8 .Canada Between Covers', S. 6. 29 Ebda. 30 „This is that equally harmful colonialism which cannot forget that the British connection once involved colonial subordination and would willingly demonstrate independence of Britain by avowing dependence upon the United States." (.Writing and Canada', N R , I I I , Febr.-Marz 1950, S. 19).

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Europe as a model" 31 und greift so auf die berühmte These Emersons zurück: „We have listened too long to the courtly muses of Europe" 3 2 .

3. MacLennan als neu-konservativer Literaturkritiker Die Anschauungen, die wir im letzten Abschnitt referiert haben, begründen MacLennans nationalistischen Ansatz in Barometer Rising, Two Solitudes und The Precipice, reichen aber für ein Verständnis seiner kritischen Bemühungen nicht aus. Auch die Aufsätze nadi 1947 sind heranzuziehen, weil sie die Frage nach der Traditionsgebundenheit seines Schaffens erhellen und die engen Beziehungen des literarischen Nationalismus zur neu-konservativen Literaturkritik aufzeigen. Nadi dem Mißerfolg von The Precipice gab MacLennan den Versuch auf, aus nationalistischer Sicht die Probleme Kanadas in Romanform zu behandeln, distanzierte sich teilweise von seinen früheren Überlegungen, blieb jedoch weiterhin literarischer Nationalist. Zwar könne, sagte er in dem Aufsatz ,Writing in Canada — Its Position Today' 3 3 , von einer kanadisch-literarischen Überlieferung nicht die Rede sein, da die kanadische Literatur keine Kindheit und Jugend gehabt, sondern sich unbefangen an französischen und englischen Vorbildern orientiert habe. Dennoch sei an dem Begriff der „kanadischen Literatur" festzuhalten 34 . Erstens sehe sich der kanadische Schriftsteller einer neuen Umwelt gegenüber, zweitens unterscheide sich Kanada darin, daß es langsam zur Nation herangereift sei, wesentlich von den Vereinigten Staaten, und drittens gelte ganz allgemein die Beobachtung: „ . . . the most universal literatures in the world are all, in a sense, national literatures. You have to write not only of what you know, but of what you know best" 35 . Daß Kanada während des zweiten Weltkriegs tatsächlich eine Nation geworden sei, beweise auch die Existenz einer Reihe von Werken, die als Ausdruck des kanadisdien Charakters angesehen werden könnten: „A considerable body of art and literature is beginning to be recognized as the visible, articulate expression of a new facet of the national character. Canadians are thus feeding their own hungry longing for self-expression and self-realization, and a wider understanding on the part of the world is bound to follow Vor allem in den Romanen der letzten Jahre zeichne sich ein kanadischer Standpunkt ab: 31 .Canada Between Covers', S. 6. — Europa bedeutet wahrscheinlich nur Kontinentaleuropa: „... European thinkers have been telling us that the age we live in is decadent. For them . . . this may be true. But we in the British Commonwealth and the United States are no longer dominated by Europe, not even in the realm of ideas." (CC, S. 63). 3 2 The American Scholar', in: The Complete Essays and Other Writings of Ralph Waldo Emerson, hrsg. v. B. Atkinson, New York 1950, S. 62. 33 Royal Military College of Canada Review, 1954, S. 130. 34 Ebda., S. 133. 35 Ebda., S. 134. 38 ,The Canadian Character*, in: CC, S. 19—20.

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„I don't believe there is any specifically Canadian tradition of the novel in the formal sense or even in the dialect sense, with the possible exception of FrenchCanada. I do believe that Canadian novels in recent years share a few common features. They are on the whole more serious than English and American books and according to the region and background of the writers they verge in style, language and attitude toward the USA or toward England, without ever being part of either 37 ." MacLennan hält es daher nicht mehr für erforderlich, Kanadas „literary archetypes" zu definieren und „literary maps" des Landes 38 zu entwerfen: „The point of view from which I wrote Barometer Rising is now largely a thing of the past. I don't believe Canadian novelists need worry so much any longer about the problem of unfamiliarity. Before 1939 Canada was apathetic about herself, neither a colony nor a nation, and in the literary world she was little better than a dumping-ground for foreign books. Now she has become one of the most selfconscious nations in the world. That self-consciousness is, of course, a symptom of growth out of adolescence into maturity 39 ." Die besonderen Schwierigkeiten, denen sich der kanadische Erzähler einst gegenübersah, sind weitgehend verschwunden. Seine Situation unterscheidet sich k a u m v o n der des amerikanischen oder englischen Schriftstellers: „The goal of the Canadian writer today is therefore mudi the same as that which confronts his brother writers in France and England: how to produce a work of art, a work possessing international value, in the late maturity of an established tradition of art and writing 40 ." Eine ähnliche Ansicht hat 1948 George Whalley vertreten, als er energisch der nationalistischen Kritik am kanadischen Leser entgegentrat und die These aufstellte, der Roman teile das Schicksal der Gesellschaft und sei, da diese auch in Kanada amorph sei, nicht mehr lebensfähig: „There is no clear sign that the novel as w e know it can survive" 41 . Es scheint deshalb sinnvoll, daß sich MacLennan in mehreren Aufsätzen (ohne die kanadische Literatur zu erwähnen) mit der Stellung des Schriftstellers in der modernen Gesellschaft befaßt und sich in die Diskussion über den „Tod des Romans" 4 2 eingeschaltet hat. Wie Desmond Pacey 4 3 hat er das Argument, die wissenschaftliche Gesinnung, die Vorliebe für Tatsachenberichte, das Fernsehen und das Taschenbuch — äußere Faktoren — führten das Ende des Romans herbei, zu widerlegen versucht 44 und immer wieder festgestellt: „ . . . the novel's future depends mainly on itself" 45 . Denn gefährdet ist der Roman eigentlich nur, wenn der Erzähler der Gegenwart den Standpunkt der älteren Schriftstellergeneration nicht überwinden kann:

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Brief vom 6. 10. 1959. Ebda. ,Where Is My Potted Palm?', in: TT, S. 53-54. 40 .Writing in Canada — Its Position Today', S. 130. 41 ,The Great Canadian Novel', QQ, LV, 1948, S. 318. 42 Eine brauchbare Obersicht gibt J. McCormick in: Catastrophe and Imagination, London 1957, S. 67 if. — Seine Darstellung der Trillingsdien Thesen ist jedoch mit Vorsicht aufzunehmen. 43 ,The Future of the Novel', QQ, LIV, 1947, S. 74-83. 44 Bes. in .Fiction in the Age of Science', Western Humanities Review, VI, 1952, S. 325-34. 45 .The Future of the Novel as an Art Form', S. 10. 38

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„These three writers — Joyce, Faulkner, and Hemingway — may not be truly representative of modern fiction, but they are certainly representative of the plight of it. They are eccentric, each one of them. They have all reacted in extreme and private fashion against the change in mental climate which differentiates our time from the past 46." Wie D. S. Savage 47 und audi Lionel Trilling 48 kritisiert MacLennan erstens „the sense of society", der in den Werken der romantischen (Hemingway, Fitzgerald, Faulkner) und naturalistischen (S. Lewis, Farrell, Dos Passos) Realisten zum Ausdruck kommt. Die einen übersähen die Tatsache, daß die Gesellschaft einen eigenen Charakter habe, die anderen ordneten das Individuum ihren gesellschaftlichen Theorien unter49. Ihnen gemeinsam seien der „death-wish"50 und die zynische Verachtung der gesellschaftlichen Ordnung und des einfachen Menschen51. Zweitens bedauert MacLennan auf Grund eines organischen Romanbegriiis, daß Schriftsteller wie James Joyce hemmungslos ihren technischen Experimenten freien Lauf gelassen haben: „The very technical brilliance of some of the greatest twentieth-century masters of fiction has become a hindrance to the a r t . . ."52 Er nennt Ulysses „an aberration of genius" und äußert sidi bei einer Besprediung des Buchs Rhythm in the Novel von E. K. Brown 53 recht skeptisch über die leitmotivische und rhythmische Konstruktion der Werke Forsters und Virginia Woolfs: „What matters most to any novelist is his personal feeling about work in progress. He feels, rather than knows, when he is on the right track. He is mudi safer when he relies on character than on a pre-established scheme. The novelists who plan their work ,in sonata form', as Virginia Woolf did, are almost certain to lose themselves in delicate nuances. The writing of a novel is a mysterious business, like life itself. The novelist who approaches his work with an excessively strict thematic idea is only too likely to diminish his vitality by subordinating the tough intractability of living characters to fit a pre-arranged pattern 54 ." Für MacLennan ist nämlich der Roman „neither a play, a poem, nor a social dissertation"55. Er ist „a communication in story form" 56 , klärt menschliche Probleme, ringt der ungegliederten Fülle des Lebens eine ideenhafte Ordnung ab .Challenge to Prose', TRSC, 3d ser. 49 (sec. 2), 1955, S. 53. The Withered Brand}: Six Studies in the Modern Novel, New York 1948. Savages Kritik ist aber scharfer. 48 .Manners, Morals, and the Novel', a. a. O. 49 .The Future Trend in the Novel', S. 3 - 4 ; .Changing Values in Fiction', CAB, XXV, 1949, S. 15. 50 .Changing Values in Fiction', S. 15. 51 P. Child sagte schon 1937: „The modern novelist must rediscover the normal man in the modern world." (,The Pessimistic Novel', The Canadian Author, XV, Sept. 1937, S. 23). Vgl. C. McDougall,,Lashes Contemporary Novel', TGM, 11. 4. 1959. 52 .Challenge to Prose', S. 52. 53 Toronto 1950. « .Rhythm in the Novel', UTQ, XXI, 1951/2, S. 89. 55 .The Future of the Novel as an Art Form', S. 3. 58 Ebda.; vgl. L. Trilling, a. a. O., S. 271: „As for what Sartre calls ,the foolish business of story-telling', I believe that, so far from giving it up, the novel will have to insist on it more and more. It is exactly the story that carries what James calls .romance', which is what the theologians call ,faith', and in the engaged and working literature whidi Sartre rightly asks for this is an essential element." 46 47

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und vermittelt so „a sense of life" 5 7 : „Evelyn Waugh is wise when he says, ,The artist's only function in the disintegrated society of today is to create independent systems of order of his own"* 58 . Wenn sich die Schriftsteller — w i e Evelyn Waugh, Graham Greene, Joyce Cary, Alan Paton 5 9 , C. P. S n o w 6 0 und H e mingway in The Old Man and the Sea 61 — wieder ihrer verantwortungsvollen Aufgabe bewußt werden, kann der Roman erneut „an active agent within society" 6 2 werden: „ [The novel's] function will be a re-statement in the light of recent knowledge — of history, science, and psychology — of the position of individual man in the world, and of society in terms of historical and scientific evolution 63 ." Wendet sich MacLennan auch bewußt von dem Lebensempfinden der Hemingways und Fitzgeralds ab, so verlangt er nicht, daß sich der Erzähler einer älteren Romantedinik bedienen solle. Als bleibende Errungenschaften der zwanziger und dreißiger Jahre bezeichnet er die Genauigkeit aber Knappheit der Beschreibungen 64 , die atmosphärisch eindrucksvolle Vergegenwärtigung des Erzählraums durch Ansprechen aller Sinne 65 und die dramatische Handlungsführung, die unserer weniger geruhsamen Zeit enspredie 6 6 . Er spielt aber auch die Ehrlichkeit des modernen Schriftstellers gegen die Kompromißfreudigkeit des Viktorianers aus: „. . . the modern novel has given us an almost complete record of the hopes, fears, joys, agonies, moral aspirations and moral disappointments of this appalling century. Compared to the terrifying honesty of the best modern novelists, Dickens was a mountebank on the make for sales 67 ." Alles in allem stellen MacLennans Essays neben den Aufsätzen Frederick Philip Groves den wichtigsten Beitrag eines Schriftstellers zur kanadischen Literatur57

,Do We Gag Our Writers?*, S. 52. ,The Future Trend in the Novel', S. 5. — Vgl. Ralph Ellison, ,Society, Morality, and the Novel', in: The Living Novel: A Symposium, hrsg. v. G. Hicks, New York 1957, S. 63: the primary social function of the novel . . . is that of seizing from the flux and flow of our daily lives those abiding patterns of experience which, through their repetition and consequences in our affairs, help to form our sense of reality and from which emerge our sense of humanity and our conception of human value." 69 .Changing Values in Fiction'. 60 ,Challenge to Prose', S. 54. 61 .Homage to Hemingway', in: TT, S. 85 if.: „In The Old Man and the Sea Hemingway surmounted the laconic pessimism of his own view of life." (S. 96). Das Budi ist „the purest single work of prose art in the twentieth century". 62 .The Future of the Novel as an Art Form', S. 4. 63 ,The Future Trend in the Novel', S. 5. M .Changing Values in Fiction', S. 12. 65 „Modern fiction has also acquired an almost poetical intensity in its use of sensual imagery — in the best work you can see, smell, hear, taste and touch the environment surrounding the story. No nineteenth-century writer can come within miles of Hemingway in the accuracy and purity of atmospheric description." (.Fiction in the Age of Science', S. 332—333). Vgl. audi .Homage to Hemingway'. 66 „. . . the modern novelist [eliminates] a whole host of impressions which Meredith and Hardy would have enumerated in detail and leaves only a distillation of those vital ones which remain." (.Changing Values in Fiction', S. 12). „A good modern novel sets to work in the first paragraph." (.Fiction in the Age of Science', S. 332). 67 .Fiction in the Age of Science', S. 333. 58

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k r i t i k d a r . I n ihren G e d a n k e n g ä n g e n z e i g e n sie sich d e m literarischen N a t i o n a lismus w i e auch der R o m a n k r i t i k d e r G e g e n w a r t v e r p f l i d i t e t . M a c L e n n a n g l a u b t a n die A u s d r u c k s f ä h i g k e i t der R o m a n f o r m u n d f o r d e r t die A b k e h r v o n d e n esoterischen E x p e r i m e n t e n u n d der nihilistischen Weltsicht der m o d e r n e n Schriftsteller: „. . . though the novel may not any longer be the most accurate and popular form of literary art, it still has no rival that can be as subtle, wise, sensitive and mature 6 8 ." „. . . the novel must return to the people again, must prove its power to celebrate and judge their lives, must believe in their value, and must respect the audience 6 9 . " Z u dieser n e u - k o n s e r v a t i v e n E i n s t e l l u n g ist M a c L e n n a n aber als literarischer N a tionalist g e l a n g t : „For the Canadian writer, this change of emphasis [in the novels of Waugh, etc.] seems to me favourable. So long as the naturalistic novel remained the model for .serious* writers, the Canadian novelist was doomed to obscurity outside his own country for the reason that a social or political problem in Canada was unimportant compared to a similar problem elsewhere 7 0 ."

,The Future of the Novel as an Art Form', S. 15. •» .Challenge to Prose', S. 55. 7 0 .The Future Trend in the Novel*, S. 5. w

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IV. MacLennans Romanwerk

„A clear conception may be achieved by slow conscious process and effort, but by practice it can come to seem obvious, even instinctive." - R. E. Watters K 1 . Barometer Rising (1.941) In seinen ersten Romanen kommt MacLennan seinen nationalistischen Forderungen nach und versucht, das Wesen der kanadischen Nation mit Hilfe gleichnishafter Handlungen und der Darstellung typisdier Einzelschicksale zu bestimmen. Zeigt The Precipice die Unterschiede zwischen Amerikanern und Kanadiern auf und nimmt sich Two Solitudes das Problem der kanadischen Einheit zum Vorwurf, so behandelt Barometer Rising „...,Canada's coming of age' — that cataclysmic moment when the youth suddenly knows that he is a man, independently in charge of his own destiny" 2 . Während aber in Two Solitudes das nationalistische Thema auf den ersten Seiten formuliert und dem Werk gleichsam als Motto vorausgeschickt wird, bleibt dem Leser die Fragestellung von Barometer Rising bis in die Mitte des Romans hinein verborgen, da sich MacLennan einer Enthüllungstechnik, die als Spannungsmittel der Anlage des Detektivromans ähnelt, bedient und den nationalistischen Ansatz ferner mit der Wahl des Ortes und der Zeit der Handlung verdeckt. Tatsächlich scheint es zunächst, als wolle MacLennan einen Beitrag zu der in Kanada beliebten Form des historisch-regionalen Romans 3 leisten, stellt er doch eine historisdie Begebenheit, die Explosion eines Munitionsschiffs im Hafen von Halifax am 6. Dezember 1917, in den Mittelpunkt des Geschehens. Gerade bei der Beschreibung des geschichtlichen Ereignisses wird jedoch der historische Aspekt des Romans durchsichtig, der sorgfältig aufgebaute lokale Erzählraum symbolisch geöffnet. Das Unglück kommt zwar unerwartet, ist aber innerhalb der Erzählung nicht zufällig, denn großartig faßt

1 R. E. Watters, ,Hugh MacLennan and the Canadian Character', in: As a Man Thinks, hrsg. v. E. Morrison und W. Robins, Toronto, n. d., S. 243—4. 2 Hugo McPherson, .Introduction', Barometer Rising, New Canadian Library Edition 1958. 3 Elva E. Jackson zählt in ihrer Dissertation Canadian Regional Novels (MA, Acadia 1938) die kanadischen regionalen Romane nach Gebieten geordnet auf und gibt kurz den Inhalt eines jeden Buches an.

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es die im Roman durchgeführten Motivreihen zusammen und weist auf den Sinn des Geschehens hin. D i e Motivketten setzen im ersten Kapitel, das sich aus dem Ankunftsschema entfaltet, an. — A m Sonntag, dem 2. Dezember 1917, kommt nach H a l i f a x ein Mann, dessen N a m e und Herkunft dem Leser vorenthalten werden. „He had been walking around Halifax all day, as though by moving through familiar streets he could test whether he belonged here and had at last readied home. In the West the winter sky was brilliant and clouds massing under the sun were taking on color, but smoke hung low in the streets, the cold air holding it down." (BR, S. 3) Der Fremde betritt ein billiges Restaurant, bestellt eine Mahlzeit, weicht gereizt den Bemerkungen des geschwätzigen Kellners aus, fährt erschrocken zusammen, als draußen eine Straßenbahn um die Ecke rumpelt, und überrascht den Kellner mit der Frage nach Alec MacKenzie und Colonel Wain. Die Atmosphäre ist gespannt wie in Hemingways Kurzgeschichte ,The Killers', deren Ausgangssituation vergleichbar ist, dodi löst sich hier die Spannung, weil der Fremde die erwünschte Auskunft nicht erhält. Als er aufsteht, sieht er sich im Spiegel hinter der T h e k e : „The war had made as big a (hange in him as it seemed to have made in Halifax. His shoulders were wide, he was just under six feet tall, but his appearance was of run-down ill health, and he knew he looked much older than when he had left three years ago. Although he was barely twenty-eight, deep lines ran in parentheses around his mouth, and there was a nervous tic in his left cheek and a permanent tension in the expression of his eyes. His nails were broken and dirty, he carried himself without confidence, and it seemed an effort for him to be still for more than a moment at a time. In England he would have been labeled a gentleman who had lost caste." (BR, S. 5) Er verläßt das Lokal, hinkt durch die George Street zum Citadel H i l l und schaut auf die Stadt hinab, die zum erstenmal seit den Napoleonischen Kriegen lebendig geworden ist und, in den Kriegszustand versetzt, ihre alte Funktion als strategisch wichtige Hafenstadt eingenommen hat. Doch sein Blick schweift ab: „As his eyes shifted from the dull floor of the distant sea to this shredding blaze of glory crowning the continent, he felt an unexpected wave of exultation mount in his mind. Merely to have been born on the western side of the ocean gave a man something for which the traditions of the Old World could never compensate. This western land was his own country. He had forgotten how it was, but now he was back, and to be able to remain was worth risking everything." (BR, S. 8) Schließlich sagt sich der U n b e k a n n t e , er müsse Alec MacKenzie finden, ehe er selbst von W a i n entdeckt werde. W a r u m — das weiß der Leser nicht, obgleich er inzwischen erfahren h a t , d a ß der Fremde auf G r u n d seiner F r o n t e r f a h r u n g e n enttäuscht, verbittert, w e n n auch nicht verzweifelt ist: „Even though his world was composed now of nothing but chance, it was unreasonable to believe that a series of accidents should ultimately matter. One diance must lead to another with no binding link but a peculiar tenacity which made him determined to preserve himself for a future which gave no promise of being superior to the past. It was his future, and that was all he could say of it. At the moment it was all he had." (BR, S. 12) Die drei zuletzt zitierten Stellen aus dem ersten Kapitel v o n Barometer Rising schlagen die Themen der Veränderung, der Desillusion und der Zukunft Kanadas 68

an und bereiten die drei wichtigsten Motivreihen des Werkes vor, die wir vor dem Hintergrund der Kriegssituation sehen müssen. Unmittelbare Folge des Kriegserlebnisses sind die Desillusion und der Glaube an das sinnlose Walten des Zufalls. Für den unbekannten Heimkehrer sind die alten Werte hinfällig geworden. Er hat den Krieg, die Ursache der Veränderungen, die er in sich spürt und in H a l i f a x beobachtet, hassen gelernt und fragt sich, obwohl er von dem reibungslosen Ablauf der Kriegsmechanismen beeindruckt ist: „Were they [die Einwohner der Stadt] too stupid to care what was happening to the world, or did they enjoy the prospect of a society in process of murdering itself? Did he care himself, for that matter; weren't any emotions he had left reduced to the simple desire for an acknowledged right to exist here in the place he knew as home? He had long ago given up the attempt to discover a social or spiritual reason which might justify what had happened to himself and millions of others during the past three years. If he could no longer be useful in the hell of Europe, then he must find a way to stay in Canada where he had been born." (BR, S. 12) Aber wie soll sich Neil Macrae — so heißt der Fremde (Seite 62) — einen Platz in der Heimat sichern? Darf und kann er überhaupt nach Hause kommen? Einstweilen ist er jedenfalls gezwungen, inkognito zu bleiben, denn er ist, wie uns erst im zweiten Romandrittel (endgültig auf Seite 200) klar wird, ein Deserteur. Oberst Geoffrey Wain, sein Onkel, hatte ihn im ersten Kriegsjahr, um eine eigene Fehlentscheidung zu verdecken, inhaftieren lassen, doch Neil war, bevor das Kriegsgericht zusammentreten konnte, verschüttet worden und galt bei seiner Truppeneinheit als vermißt. Sanitäter hatten ihn gefunden und mit dem P a ß eines anderen Soldaten ins Hospital eingeliefert. Zwei Jahre darauf ist nun Neil Macrae nach H a l i f a x zurückgekehrt, um Alec MacKenzie, der ihn als einziger gegen Wains Beschuldigungen verteidigen könnte, zu suchen und Wains Tochter Penny, seine Jugendfreundin, wiederzusehen. D a Neil auf der H u t sein und Begegnungen mit früheren Bekannten vermeiden muß, wird die Desillusion in dem Motiv der Isolation (die audi die gesellschaftliche Stellung seines früheren Regimentsarztes Angus Murray kennzeichnet) versinnbildlicht. Selbst der Tod hätte Neils Zustand nicht wesentlich verändert: „ H e might as well be dead as the way he was, since the chief loss in death was the ability to communicate" (BR, S. 69). Angus Murray und Neil Macrae sind wie die Kriegsteilnehmer in den Romanen Faulkners, Dos Passos', Hemingways und Fords der alten gesellschaftlichen O r d n u n g entfremdet, gehören aber trotzdem nicht der „lost generation" an. Während Jake Barnes, Robert Cohen und Mike Campbell vergeblich versuchen, wenigstens an der wertvollen E r f a h r u n g der Kameradschaft festzuhalten 4 , John Andrews 5 und Leutnant H e n r y 6 in die Idylle flüchten u n d es dem Soldaten Krebs 7 unmöglich ist, sich an den All4

In Hemingways The Sun Also Rises. In Dos Passos' Roman Three Soldiers erhält John Andrews nach Kriegsende die Erlaubnis, auf Kosten der Armee in Paris zu studieren, und glaubt, endlich der Kriegsmaschinerie entronnen zu sein. Zufällig wird er aber auf dem Lande ohne Paß aufgegriffen und ohne Verhandlung in eine Strafkompanie gesteckt. Er flieht und wird am Schluß des Romans als Deserteur verhaftet. 6 In Hemingways A Farewell to Arms. 7 In Hemingways Kurzgeschichte .Soldier's Home'. 5

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tagstrott seiner Heimatstadt zu gewöhnen, finden die beiden Kanadier zu einer positiven Haltung zurück. Sie glauben an die Zukunft ihres Vaterlandes und unterscheiden sich nur in dem Grad ihrer freiwilligen Bindung an das Schicksal Kanadas. Murray ist älter, müder, zynischer und enttäuschter als Neil und vermag sidi, weil er noch in der alten Gesellschaft wurzelt 8 , gefühlsmäßig nicht mit den neuen Kräften, die er in Penny und Neil, den Erben der Urbanen und technischen Tradition Europas und Amerikas verkörpert sieht, zu identifizieren. Sein Verstand sagt ihm aber, daß Kanada einst die Mitte zwischen England und Amerika bilden wird: „. . . clearly, the future is obvious, for England and America can't continue to live without eadi other much longer. Canada must therefore remain as she is, noncommittal, until the day she becomes the keystone to hold the world together V Daher ist es sinnvoll, daß er Pennys Freund bleibt, obwohl sie seinen Heiratsantrag, den er mit seiner und ihrer Einsamkeit begründet, zweimal ablehnt. Der Vater ihres unehelichen Kindes, das insgeheim von den Fräsers, verständigen und einsichtigen Vertretern der älteren Generation, aufgezogen wird, ist Neil Macrae, der in Europa erkannt hat, was es heißt, Kanadier zu sein und in dem riesigen, unerschlossenen Land zu leben. Wenn Neil an das elementare Erlebnis der weiten Prärie und der undurchdringlichen "Wälder seiner Heimat denkt, möchte er am liebsten das Wesen Kanadas in Worte fassen: „. . . this nation undiscovered by the rest of the world and unknown to itself, these people neither American nor English, nor even sure what they wanted to be, this unborn mightiness, this question-mark, this future for himself, and for God knew how many millions of mankind." (BR, S. 120) Kein Wunder, daß er Wains Aufforderung, das Land zu verlassen, zurückweist und der Ansicht, der Zufall bestimme sein Leben, zu widerstehen sucht. Aber erst nach der Katastrophe findet er wirklich nach Hause zurück, indem er einsieht, daß seine Desillusion von einem falschen Blickwinkel herrührte: Die Zerstörung einer kanadischen Stadt ist, merkt er, nicht mit dem Chaos, das der Krieg in Europa anrichtet, zu vergleichen. Obschon die Kanadier in Europa gekämpft haben, tragen sie nicht an der Schuld der Europäer mit: „ . . . they were not living out the sociological results of their own lives when they crawled through the trendies of France" ( B R , S. 300). Kanada wird nach dem Krieg überhaupt erst zu leben beginnen und kann dann als eigenständige Nation England zu einer Wiedergeburt verhelfen. Damit ist Neils Aufgabe — und die seiner Generation — klar umrissen: „For better or worse he was entering the future, he was identifying himself with the still-hidden forces which were doomed to shape humanity as certainly as the tiny states of Europe had shaped the past. Canada was still hesitant, was still ham-strung by men with the mentality of Geoffrey Wain. But if there were enough Canadians Vgl. Murrays und Pennys Ansichten über das Haus der Familie Wain, S. 48—50. ' BR, S. 311. — MacLennan fährt fort: „Yet it was characteristic of Murray that before he reached the Wain house he had dismissed these ideas as too artificial to entertain seriously. His skepticism was already accusing the positive side of his nature for inventing an explanation of something whidi did not exist out of words unrelated to anything in his own experience." 8

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like himself, half-American and half-English, then the day was inevitable when the halves would join and this country would become the central arch which united the new order." (BR, S. 324-5) Bestimmen die nationalistischen Überlegungen vor allem die Schlußbildung des Romans, so sorgt das mit ihnen eng verknüpfte Motiv der Kriegseinwirkungen für den Konflikt. An sich selbst beobachtet Neil Veränderungen und versucht, was MacLennans psychologisches Einfühlungsvermögen beweist, anfangs seine Fronterfahrungen auf die Heimatstadt zu projizieren. In der Tat ist Halifax nicht mehr die verschlafene Stadt, an die sich Neil erinnert, doch in ihrem Wesen hat sie sich nicht verändert. Ihrer geschichtlichen Rolle getreu, ist sie wieder ein wichtiger kolonial-militärischer Stützpunkt geworden, und ihre Einwohner, die in die Kriegsmaschinerie eingespannt sind 10 , haben im Gegensatz zu den Frontkämpfern keine höhere Bewußtseinsstufe erreicht. Das Haus der Familie Wain madit immer noch einen soliden Eindruck und würde, wenn es nach dem Willen seiner älteren Bewohner ginge, alle Zeiten überdauern: „[Penny's] relatives derived a peculiar satisfaction from the thought that in this ancestral establishment even the dust behind the pictures was permanent" (BR, S. 29). Hinter der Fassade bürgerlicher Ehrbarkeit und Tradition verbergen sich jedoch Heuchelei, Korruption und Geschäftemacherei. Während die Wains tagein, tagaus klatschen und tratschen, den Trinker Angus Murray gesellschaftlich ächten, weil sich ihr puritanisches Gewissen gegen den Alkoholgenuß empört, oder auf eine Predigt schimpfen, die sie verschlafen haben, will Geoffrey Wain die Kriegssituation ausnutzen und seinen Ehrgeiz befriedigen. Er hat, glaubt er, noch nicht viel aus seinen Fähigkeiten machen können, weil das Leben in Kanada zur Mittelmäßigkeit zwingt. Deshalb hofft er, der Krieg, „the greatest power-bonanza in the history of mankind" (BR, S. 91), werde ihm eine Gelegenheit bieten, dem kanadischen Milieu zu entfliehen. Wain sagt offen: „,I've wasted a whole lifetime in this hole of a town. Everything in this damn country is second-rate. It's always in a colony'" (BR, S. 151). Damit wird Wain zum Gegenspieler Neils. Der Konflikt beider Männer wiederum verkörpert den Gegensatz zwischen der alten und jungen Generation. Zunächst will Neil seinen Onkel für das, was er erlitten hat, zur Rechenschaft ziehen11, eine Tatsache, auf der McPhersons Interpretation fußt: „. . . as we reconstruct the pattern of Neil's career we experience a powerful sensation of dejä vu. Somewhere, we have known this story before. And then, if we remember Kingsley's Heroes or Hawthorne's Wonder-Book or Malory's tales of King Arthur, we realize that this, in modern terms, is the story of a young hero whose jealous father or uncle sends him off on a dangerous mission which appears likely to cause his death. Miraculously, he escapes death, and like Perseus with the Gorgon's head, returns to confound the tyrannical elder. Neil MacRae's quest is a story as old as Western culture12." Obgleich McPherson die märchenhaft-symbolischen Züge von Barometer Rising, 10 Vgl. die Interessen des zehnjährigen Roddie Wain und die Beschäftigungen Pennys und Wains. 11 Vgl. BR, S. 161. 12 .Introduction', Barometer Rising.

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die alle Zufälligkeiten der Handlungskonstruktion überspielen und auflösen, richtig erkennt, übersieht er, daß Neil schon vor der Explosion des Munitionsschiffs auf die Rache an Wain verzichtet 13 . Das hat zur Folge, daß McPherson den Gegensatz der Generationen 14 überbetont und den vorbereitenden Charakter der Enthüllungstechnik und des Zufall-Motivs verkennt. Die jüngere Generation bedarf der Rechtfertigung gar nicht, denn in ihrem Bewußtsein ist die ältere Generation seit langem innerlich ausgehöhlt und morsch gewesen15 und scheint endgültig abzudanken, als das Unglück die Stadt trifft und Geoffrey Wain, der sich in seinen Träumen bereits als Führer einer militarisierten Nachkriegsgesellschaft wähnte, im Zimmer seiner Mätresse ums Leben kommt. „Halifax", meint Penny, „and with it the rigid, automatic life of her familiy's hierarchy, had been blown wide apart" (BR, S. 287). Die Explosion stellt den Höhepunkt der äußeren und inneren Handlung dar, deckt wie die unglückliche Detonation der Bombe in Conrads The Secret Agent die in der Zeit angelegten Tendenzen auf und klärt, was vorher schon angedeutet und langsam enthüllt worden war. Angesichts der Zerstörung kommt es auf die Kräfte an, die hinter den verschiedenen Reaktionen auf den Krieg stehen. Da sich Neil, ohne des persönlichen Risikos zu achten, an der Rettungsaktion beteiligt, der sonst haltlose Dr. Murray für die Verletzten sorgt und auch Vertreter der älteren Generation tatkräftig zugreifen, wird im Bewußtsein Pennys, Murrays und Neils der Glaube an die Zukunft bestätigt. Die Ereignisse sind demnach das Handlungskorrelat für die Endstufe des individuellen und gesellschaftlichen Reifeprozesses, den die Enthüllungstechnik symbolisiert. Die andeutende Erzählweise und die stark verzögerte Exposition 16 sind nämlich nicht nur ein Spannungsmittel, sondern versinnbildlichen auch die innere Entwicklung des Repräsentanten der jüngeren Generation. Der totgeglaubte Neil kommt nicht unversehens dazu, die Zukunft zu bejahen. Vielmehr findet er auf seinen Wanderungen durch Halifax allmählich zu sich selbst (zu seinem eigenen Namen) und in die Heimat zurück. Die einzige 13 „For two years", he said, „I've dreamed of the day I'd be able to smash that man. Now I don't want to do it. I don't want to, because all hatred is merely self-hatred. And I don't want Penny mixed up in a scandal." (BR, S. 177) 14 „The Wains, indeed, are waning. But the old order will not abdicate." (.Introduction', a. a. O.) 15 Wenn Murray den legalen Beweis für Neils Unschuld sicherstellt, wogegen Neil überhaupt nicht mehr daran denkt und ganz in der Rettungsarbeit aufgeht, so bedeutet dies, daß Murray, der dem Alten und Neuen gleichzeitig angehört, zwischen den Generationen vermitteln und die Kontinuität der Entwicklung aufzeigen will. Nur nach dieser Modifizierung trifft McPhersons anregende Beobachtung zu: „Neil — the young Canadian — is too deeply involved with immediate events to think about securing his position legally; he is the doer — the leader — in the new society, but Murray is the one who clarifies situations and keeps the record straight. Murray . . . represents the interpreter in society — the artist; and his role in the new Canada is a vital one, for it is he who finally guarantees the future of Neil and Penny." (.Introduction', a. a. O.) 16 Ganz deutlich zeigt sich dies darin, daß Neil während des Romangeschehens nicht erfährt, daß er Vater geworden ist. Die Schlußszene — Penelope fährt mit Neil zu ihrem Kind — ist sinnvoll, weil sie in die Zukunft weist.

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Bedeutung, die der Krieg für ihn haben kann, wird ihm erst bewußt, als der Kriegsschauplatz in seine eigene Heimat verlegt wird — als er den Krieg vom kanadischen Gesichtspunkt her beurteilen kann. Die Explosion in Verbindung mit der Rettungsaktion entspricht daher dem Rückzug von Caporetto und der Flußdurdiquerung des Leutnant H e n r y in Hemingways A Farewell to Arms: Sie ist das „objective correlative" für Neils Wiedergeburt und Überwindung des Kriegserlebnisses. D a ß George Woodcock die Enthüllungstechnik falsch beurteilt, wenn er meint: „ . . . a rather hollow air of mystification is thus given at the outset to a novel which does not need it" 1 7 , ist um so erstaunlicher, weil er in seinem Aufsatz wiederholt auf den Einfluß von MacLennans humanistischer Bildung hinweist. O f fenbar orientiert sich doch MacLennan an der Schilderung der Heimkehr Odysseus' nach Ithaka, denn audi Odysseus muß zunächst unter falschem N a m e n auftreten, sich mit Freiern auseinandersetzen 1 8 und im Wettkampf bewähren, bevor er seinen Namen ohne Gefahr nennen darf. Wie bewußt MacLennan seine Erzählung mythisch überhöht, beweisen die Verwendung des Namens Penelope und der vorletzte Paragraph des Romans: „,Wise Penelope!' That's what Odysseus said to his wife when he got home. I don't think he ever told her he loved her. H e probably knew the words would sound too small" (BR, S. 326). D a s Hinarbeiten auf den Höhepunkt der Handlung erinnert dagegen einmal an die Struktur der klassischen Tragödie 1 9 , zum anderen an den modernen Tatsachenroman 20 . D a s Geschehen ist auf acht Tage zusummengedrängt und entfaltet sich im schnellen Nacheinander in sich abgeschlossener Einzelszenen, die an auffallender Stelle, in der Überschrift des jeweiligen Abschnitts, zeitlich festgelegt sind — mit einer Genauigkeit, die zum Stil der realistischen Reportage 2 1 paßt und sinnvoll ist, weil es sich bei der Explosion um ein geschichtliches Ereignis handelt. Die Fiktion des allwissenden Erzählers erlaubt es MacLennan, immer wieder andere Personen und Schauplätze in den Mittelpunkt der Szenen zu stellen und so den Eindruck der Spannung und der Unruhe hervorzurufen. Die „filmische Technik", laufend die Kameraeinstellung zu wechseln, ist unumgänglich, denn MacLennan beabsichtigt, die Reaktionen der Romanfiguren auf die Kriegsereignisse darzustellen, kann aber ihre Meinungen meist nicht in Dialogform, das heißt in Gruppenszenen, vergegenwärtigen, d a die Hauptfiguren einander nicht vorzeitig begegnen dürfen. Besonders am Anfang des Romans muß er sich darum mit der Wiedergabe der Gedanken seiner Gestalten begnügen und sich Zeit lassen. Er stellt alle Personen in ihren Lebensbereichen vor (wodurch Neils Isolation verschärft wird) und schildert ausführlich die erste Begegnung 17 ,Hugh MacLennan', a. a. O., S. 6. 18 penelope weist den Freier Angus Murray ab. Einen „Freier" um eine andere Frau, Geoffrey Wain, findet Neil tot auf. 19 So McPherson, introduction'. 20 Vgl. die Tatsachenberichte zum Untergang der Titanic, z. B. Walter Lord, A Night

to Remember.

2 1 Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung des Unglücks. Gesondert abgedruckt in: A Pocketful of Canada, hrsg. v. J . D. Robins, Toronto 1946, S. 25—27.

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von Penny, Neil und Murray am vierten Tag der erzählten Zeit 2 2 . Dann beschleunigt er das Tempo und steigert die Spannung, indem er auf siebenundzwanzig Seiten elfmal den Ort wechselt und noch einmal allen Figuren die Gelegenheit gibt, ihre Absichten und Pläne zusammenzufassen. Die gegensätzlichen Meinungen sind jetzt so klar formuliert, daß es fast undenkbar ist, wie die H a n d lung weitergehen könnte. So ist der Kulminationspunkt vorbereitet. Die Explosion am folgenden Tag löst die Spannung, und mit etwas breiter erzählten Abschnitten klingt der Roman aus. Trotz der Unruhe, die im Wesen des Werkes liegt, macht Barometer Rising mit seinem klaren, sinnvollen Aufbau einen geschlossenen Eindruck. Es ist Mac-

Hier eine kurze Ubersicht über die Zeitbehandlung: Sonntag, den 2. Dezember 1917 16 Uhr Neil allein in der Stadt 17 Uhr Penny allein im Büro (kurzer Dialog mit S. Perry) 19 Uhr Penny zu Hause, meist allein 20 Uhr Gäste im Hause Wain. Wain—Murray, Murray—Penny Montag, den 3. Dezember 1917 Neil allein, erkannt v. Baxter Dienstag, den 4. Dezember 1917 Der Morgen 11 Uhr 30 Murray bei den Docks 12 Uhr Penny allein, Murray allein, Roddie am Hafen 15 Uhr Wain bei der Arbeit, beim Flirten 16 Uhr Penny u. Murray bei den Fräsers 17 Uhr Neil allein 18 Uhr Penny erkennt Neil, holt ihn aber nicht ein Mittwoch, den 5. Dezember 1917 Morgens Neil allein 10 Uhr Auseinandersetzung Wain—Murray 14 Uhr Penny, Neil, Murray 21 Uhr 30 Elf versch. Szenen Donnerstag, den 6. Dezember 1917 7 Uhr 30 Die Stadt. Murray. — Penny. — Wain bei seiner Geliebten 8 Uhr 15 Die Fräsers. Die Mont Blanc 8 Uhr 40 Alec, Murray, Neil. Die Mont Blanc und die Imo 9 Uhr 05 Die Explosion 9 Uhr 10 Die Fräsers. Roddie allein. Neil, Murray, Alec 11 Uhr 30 Penny, Neil und Murray Mittags Neil und Soldaten in der Stadt 14 Uhr Lagebericht. Roddie und Willie auf der Straße 17 Uhr Murray operiert 24 Uhr Penny wacht nach der Operation auf. Die Stadt Freitag, den 7. Dezember 1917 24 Uhr Neil und die Soldaten. Neil findet Wain Samstag, den 8. Dezember 1917 16 Uhr 30 Die Stadt. Murray. M. u. Penny Montag, den 10. Dezember 1917 8 Uhr Penny und Neil 22

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Lennan gelungen, aus kanadischer Sicht23 eine Version des Heimkehrerromans zu geben, welche wegen ihres ernsthaften Bemühens um eine positive Lösung 24 in der englischsprachigen Literatur vereinzelt dasteht 25 . Auch das Experiment, das Kriegserlebnis mit dem Heimkehrermotiv eng zu verknüpfen, ist geglückt, bedingt aber andererseits die Hauptschwäche des Werks: die Diskrepanz zwischen dem genau gezeichneten, atmosphärisch eindrucksvollen Erzählraum, der die koloniale Gesellschaftsordnung zu symbolisieren scheint, und den typischen Gestalten, die wir, wie McPherson meint 26 , genauso gut kennenlernen möchten wie die Stadt Halifax. Letztlich rührt der Widerspruch daher, daß der Uberwindung des Kriegserlebnisses soziologisch-nationalistische Gedankengänge zugrunde liegen, die sich im Gegensatz zur Tatsache der Heimkehr und Wiedergeburt nicht völlig in Handlung umsetzen lassen. Die Romanfiguren müssen infolgedessen immer wieder über den Krieg und über soziologische Fragen nachdenken und können vom Autor bei der dramatisch notwendigen Verdichtung des Geschehens kaum individualisiert werden. Immerhin verdeckt die märchenhafte Logik der Handlung beziehungsweise die Anlehnung an Sagen- und Märchenmotive zum Teil auch dieses Problem, indem sie die Charaktere als archetypische, uns längst vertraute Gestalten glaubwürdig erscheinen läßt. MacLennans Beobachtung: „The book is more a tour de force than a novel" 2 7 wäre darum vielleicht so abzuändern, daß man das Werk als „romance" im Sinne Hawthornes und Chase' 28 , nicht als „novel" bezeichnet. Jedenfalls ist Barometer Rising „ . . . one of the few recent books of Canadian fiction that really hold their own with the better novels being published today in England and the United States" 29 .

23 Daß im Unterschied zu den nationalistisch gefärbten Romanen der Konföderationszeit die nationalistische Interpretation Barometer Rising nicht aufgezwungen wird, möge die Beobachtung des Historikers Lower beweisen: „In the trenches of France and Flanders, the spirit of Canadian nationalism was born. It was carried bade to Canada in the knapsacks of Canadian troops and there, taking firm hold, hastened the slow processes by which a community comes to self-consciousness." (Colony to Nation, S. 460) 24 Schon im Titel angedeutet. „. . . Halifax has been for so long an unfailing barometer of the social health and prosperity of the whole country." (TT, S. 137) 25 Auch der Kanadier Philip Child hat in einem Roman versucht, das Kriegserlebnis positiv zu deuten — allerdings aus religiöser Sicht. Uncle Murdo, eine Figur in God's Sparrows (London 1937), stellt die Grundfrage des Werkes: „That's the real problem of the war for human beings: ,1s a spiritual view of life possible?' . . (S. 230) Vom sozialistischen Standpunkt aus haben die Kanadier George Godwin (Why Stay We Here?, London 1930) und C. Y. Harrison (Generals Die in Bed, London 1930) den ersten Weltkrieg behandelt, wogegen der gebürtige Engländer Hugh Kimber (San Fairy Ann, London 1927) die Kriegserlebnisse der kanadischen Truppen zu deuten versuchte. Vgl. Margarete Günther, Der englische Kriegsroman und das englische Kriegsdrama, 1919 his 1930, Berlin 1936, S. 9 2 - 9 4 , 148-150. 26 .Introduction', a. a. O. 27 .Where Is My Potted Palm?', in: TT, S. 53. 28 R. Chase, The American Novel and Its Tradition. 29 G. Woodcock, ,Hugh MacLennan', S. 2. — BR wurde nachgedruckt in der N e w Canadian Library und in Cavalcade of the North, hrsg. v. G. E. Nelson, Toronto 1958.

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2. Two Solitudes (1945) Die nationalistische Färbung von Barometer Rising ist zwar nicht, wie Magee glaubt, „superficial"30, aber doch nur sekundäres Werkelement, weil das Thema der Volkwerdung herangezogen wird, um die optimistische Abwandlung des zentralen Heimkehrermotivs zu begründen. Das im Krieg erwachte Nationalbewußtsein wird dabei in der Handlung und den Überlegungen einiger Romanfiguren gespiegelt, dringt aber nicht in die Bemerkungen des „omniscient author" ein. Als sich MacLennan in seinem zweiten Roman 31 dem soziologisch und geschichtlich auffälligsten Phänomen seines Heimatlandes, der Koexistenz Anglound Frankokanadas, zuwendet, gibt er die vorwiegend personale Erzählweise32 auf, schaltet sich wiederholt mit Deutungen und übergänglichen Zustandsschilderungen in den Gang der Handlung ein und nimmt so eine auktoriale Erzählhaltung an, die an Kirby und andere Konföderationsschriftsteller erinnert: „Two Solitudes is not a historical novel, and its limit is strictly to the two races, but it is very like the Confederation Novel in purpose, though less optimistic. It is closer to the themes of Mrs. Leprohon, Kirby and the early Parker than any novels since their period have been 3 3 ."

Tatsächlich ist Two Solitudes ein modernes Beispiel für den versöhnenden Nationalismus. Dennoch trifft die These, der Roman verwende „the methods to Canadianism first used by the Confederation novel" 34 , nicht zu. Während sich die historischen Romanzen ausschließlich mit der Geschichte Frankokanadas befassen und allenfalls noch das Verhältnis der britischen Eroberer und ihrer Verwaltung zu Frankokanada streifen35, beschäftigt sich MacLennan mit den menschlichen Beziehungen von Anglo- und Frankokanadiern, geht ausführlich auf die soziologisch und geschichtlich bedingten Gegensätze ein und ist bestrebt, seine nationalistischen Überlegungen in Handlung umzusetzen. Daß der Versuch, das Zusammenleben beider Volksgruppen zu schildern, keine Vorbilder hat, bestätigt J . R. MacGillivray in einem Bericht für The University of Toronto Quarterly: „Nothing very revolutionary happened in our fiction in 1945, but it is perhaps remarkable that four of the twelve novels upon which I shall have to comment were concerned in one way or another with the relationship between French-speaking

Trends in the English Canadian Novel. . ., S. 293. Der T e x t : Two Solitudes, New York, Duell, Sloan and Pearce, 1945. Die White Circle Pocket Edition ist unwesentlich gekürzt. Leider fallen jedoch das Vorwort des Verfassers und Kapitel 39 (Die Abreise Paul Tallards von Halifax), das den Erzählraum erweitert, weg. 32 Zu den Ausdrücken „personal" und „auktorial" vgl. Franz Stanzel, Die typischen Erzählsituationen im Roman (dargestellt an Tom Jones, The Ambassadors, Ulysses u. a.), Wien 1955 (Wiener Beiträge zur englischen Philologie, Bd. L X I I I ) . 3 3 W. Magee, Trends in the English Canadian Novel. . S. 293. 3 4 Ebda., S. 303. 3 5 Z. B. R. E. Leprohon, Antoinette de Mirecourt, Montreal 1864. — Die einzige mir bekannte Ausnahme ist Lighthalls The Young Seigneur, eine locker gebaute Romanze, in der sich zwei politisch interessierte Männer, ein gebildeter, weitgereister Frankokanadier und ein ihm sympathischer Bewohner Ontarios, gegenüberstehen. 30

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and English-speaking Canada. One would expect this to be a dominant theme in our literature as it is in our national life. Yet in the ten years since these surveys began, no novelist has done more than merely glance at the subject, and few have done even that . . . there have been stories of Quebec written in English, sympathetic studies of the folkways of a picturesque region, but no serious attempts to bring together representatives of the two cultures within the limits of one fictional pattern or to demonstrate the sort of thing that may happen when Canadian meets Canadien. Apparently it took five years of war and interprovincial debate to call literary attention to the obvious36." Bei den vier Büchern handelt es sich um Robert Fontaines The Happy Time, Her Own People von Grace Tomkinson, All This Difference von Dorothy Dumbrille und Two Solitudes. Fontaines Büchlein hat neben MacLennans Werk den größten Erfolg erzielt, da es oberflächlich, grob-humoristisch das Leben einer Familie anglo- und frankokanadischer Herkunft beschreibt, wobei es die lockere Aneinanderreihung der Szenen und die Einstellung, die charakteristisch für Clarence Days Life with Father sind, nachahmt. Grace Tomkinson 37 dagegen erzählt ganz schlicht, wie Rosalie, eine siebzehnjährige Frankokanadierin, die in einer englischen Umgebung aufgewachsen ist 38 , in ihren Heimatort, eine ärmliche Fischergemeinde, zurückkehrt und sich langsam an das Leben im Kreise ihrer großen Familie gewöhnt, obgleich sie sich oft nach dem sorglosen Treiben des reichen anglokanadischen Nachbardorfs sehnt. Einige Zeit lang ist sich Rosalie über ihre Gefühle für Laurent, einen tüchtigen Frankokanadier, und für den Lehrer ihrer anglokanadischen Schule, der allen Mädchen den Kopf verdreht, im unklaren. Als die beiden Männer jedoch mit ihren Booten im Treibeis eingesperrt werden, weiß sie auf einmal, daß sie zu Laurent gehört. In der Notlage erkennt sie nämlich, daß sich Anglo- und Frankokanadier als Menschen nicht unterscheiden39 und die Wahl des Ehepartners nicht von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe abhängig gemacht werden darf. Die Handlungsführung in All This Difference ist etwas verwickelter. Dorothy Dumbrille siedelt ihre Erzählung in einer ursprünglich schottischen Niederlassung in Westontario, in die viele Frankokanadier gekommen sind, an und verdeutlicht •die Gegensätze zwischen den Volksteilen in einer Liebesgeschichte. D a Wencie Macmillan Raouls isolationistische Einstellung mißversteht, hält sie ihn, als er sich nicht freiwillig zur Front meldet, für einen Feigling. Sie wird eines anderen belehrt. Bei dem mutigen Versuch, ihren Bruder vor dem Ertrinken zu retten, kommt Raoul ums Leben, und nachträglich erfährt Wencie, daß ihr Freund heim-

'».Fiction', in: .Letters in Canada: 1945', UTQ, XV, 1945/1946, S. 281. 57 Audi sie weist auf das Fehlen von Vorbildern hin: „I chose this material because it was fresh. Too little has been written in English about French-Canadians, except from a point of view historical or romantic or predominantly humorous; and practically nothing showing their relationships with the English in Canada." (Her Own People, New York 1945, S. 249) 38 Daß Rosalie zweisprachig erzogen ist, begründet die Verfasserin mit dem praktischen Sinn des anglokanadischen Pflegevaters, der für seine Frau eine Hilfe im Haushalt braucht. 39 „They were not French and English now, only a handful of human beings bound together by a common fear." (Her Own People, S. 227) 77

lieh in die Wehrmacht eingetreten war, weil er einsah, daß sich Frankokanada nicht länger abschließen kann. Auch MacLennan bedient sich der Lösungsmotive der Notlage und der Liebe, weitet aber den schmalen, anspruchslosen Ansatz von Tomkinson und Dumbrille aus, indem er versucht, eine umfassende Interpretation der soziologischen und kulturellen Probleme des Landes, der trennenden und verbindenden Elemente im Leben Kanadas, zu geben. Offenbar will er, wie das Bild der Flasche im letzten Paragraphen des Werks beweist, die kanadische Nation als Einheit in der Mannigfaltigkeit verstanden wissen: „. . . as the two race-legends woke again remembering ancient enmities [Herbst 1939], there woke with them also the felt knowledge that together they had fought and survived one great war they had never made and that now they had entered another; that for nearly a hundred years the nation had been spread out on the top half of the continent over the powerhouse of the United States und still was there; that even if the legends were like oil and alcohol in the same bottle, the bottle had not been broken yet." (TS, S. 370) Die Möglichkeit, zusammenzuleben und dennoch das eigene Wesen zu bewahren, soll die gegen Ende des Romans vollzogene Eheschließung zwischen Paul Tallard und Heather Methuen versinnbildlichen: „Now as she [Heather] watched him sleeping she knew that in spite of loving her he had never lost the sense of himself. She was not jealous of the part she could not touch. What she did have was a hundred images of him engraved on her mind, all different 40 ." Aus dem Romangeschehen ergibt sich aber eine zweite Möglichkeit, die dem Gedanken der „unity in diversity" entgegenwirkt und den Symbolwert der Ehe schwächt: nämlich eine höhere Einheitsstufe, auf der die beiden Volksgruppen, wie der erste Abschnitt von Two Solitudes andeutet, ineinander aufgehen: „Northwest of Montreal, through a valley always in sight of the low mountains of the Laurentian Shield, the Ottawa River flows out of Protestant Ontario into Catholic Quebec. It comes down broad and ale-coloured and joins the Saint Lawrence, the two streams embrace the pan of Montreal Island, the Ottawa merges and loses itself, and the main stream moves northeastward a thousand miles to the sea." (TS, S. 3) Aus Anglo- und Frankokanadiern können, scheint die Handlung zu zeigen, K a nadier werden. Der erste Teil des Romans spielt jedoch auf Montreal Island: die beiden Flüsse haben sich noch nicht vereinigt. „. . . down in the angle at Montreal, on the island about which the two rivers join, there is little of this sense of new and endless space [of Canada]. Two old races and religions meet here and live their separate legends, side by side. If this sprawling halfcontinent has a heart, here it is. Its pulse throbs out along the rivers and railroads; slow, reluctant and rarely simple, a double beat, a self-moved reciprocation." (TS, S.4) 40 TS, S. 319. — Vgl. das Motto: „Love consists in this, that two solitudes protect, and toudi, und greet each other . . . Rainer Maria Rilke." Auch George W. Cable verwendet in seinem Roman The Grandissimes (1880), den R. Chase (The American Novel and Its Tradition) eingehend interpretiert, das Motiv der Heirat, um die Uberwindung sektionaler Streitigkeiten anzudeuten. Die Heirat von Frowenfeld und Clothilde symbolisiert die Einigung von Nord und Süd nach dem Bürgerkrieg.

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Nur zwei Menschen wagen, die Vorurteile ihrer Volksgruppen abzulegen. 1917 bricht Captain Yardley, ein alter Fahrensmann, aus der starren anglokanadischen Gesellschaft, in deren Militäraristokratie seine Tochter Janet eingeheiratet hat, aus und läßt sich in dem frankokanadischen Dorf Saint-Marc-des-Erables nieder. Zur gleichen Zeit distanziert sich Athanase Tallard, der Großgrundbesitzer und Seigneur des Ortes, von den Thesen der frankokanadischen Nationalisten, setzt sich im Parlament für die allgemeine Wehrpflicht ein und gerät mit der Kirche in Konflikt. Während Yardley, den seine eigene Familie nicht mehr verstehen will, die Sympathien der Dorfbewohner gewinnt, wird sein Freund Tallard schließlich gezwungen, seinen Heimatort zu verlassen. Der Verständigungsversuch ist gescheitert. Erst zweiundzwanzig Jahre später ist es Tallards Sohn Paul und Yardleys Enkelin Heather Methuen möglich, sich gegen die „two race legends" durchzusetzen. Bei Kriegsausbruch gewöhnt sich sogar Janet Methuen an die Tatsache, daß ihre Tochter einen Frankokanadier geheiratet hat. Aber eigentlich — und das entwertet das Heiratssymbol — ist Paul schon lange kein Frankokanadier mehr. Er ist zweisprachig, hat anglo- und frankokanadische Schulen besucht, ist erst Katholik, dann Presbyterianer gewesen und hat sidi während seines langen Auslandsaufenthalts von der „Zwangsjacke" seiner Herkunft befreit: „. .. he had attained a certain kind of freedom. And with the freedom he had found a way to understand the wounding soreness that his earlier life had left with him. As the artificial pulling of the two races within him ceased, the sediment settled in his mind." (TS, S. 300) Doch Paul, „the new Canada", wie Captain Yardley sagt (TS, S. 270), scheint einsamer als Athanase Tallard, nirgendwo zu Hause, in keiner Volksgruppe verwurzelt, in religiöser Hinsicht indifferent, und man weiß nicht, welche Eigenschaften der beiden Volksteile er vereinigt oder woraus „the sediment" besteht. Deshalb überzeugt er als Vertreter des neuen Kanada nicht, und seine Ehe ist (da Heather keine ähnliche Erziehung gehabt hat und anscheinend nur die Abneigung ihrer Volksgruppe gegenüber den Frankokanadiern überwinden muß) nicht, wie offenbar beabsichtigt, eine Verbindung gleichberechtigter Partner. Paul selbst, hat man den Eindruck, ist weniger Kanadier als ein Mensch, der alles der Einheit opfern muß. Von diesem Gesichtspunkt her wird aus dem Roman der Verständigung ein Minderheitenroman, in dem die Überbrückung der Gegensätze auf Kosten der Minderheit geht, beziehungsweise — ganz wie in dem kanadischen „bestseller" des Jahres 1944, in Gwethalyn Grahams Roman Earth and High Heaven41 — nur vollzogen wird, weil der Vertreter der Minorität außergewöhnliche Eigenschaften und Fähigkeiten aufweist. Darum dürfen wir auf Two Solitudes die Beobachtung, die Glenn Pedersen bei Forsters A Passage to India, einem echten Roman der Verständigung, gemacht hat, nicht übertragen: „The literal level of the novel emphasizes the divisions between the Indians and the Englishmen, the diversity among men; the symbolic level reveals the way to union and unity" 42 . 41 42

Der Roman behandelt das Problem des Antisemitismus. ,Forster's Symbolic Form", The Kenyon Review, XXI, Frühjahr 1959, S. 232.

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Wachsen schon die soziologischen Überlegungen nicht mit dem Symbolwert der Ereignisse und Charaktere zusammen, so ist die Gestaltung der Erzählphasen bereits deswegen uneinheitlich, weil MacLennan der zweiten Generation weitaus weniger Erzählzeit widmet als der ersten und den Nachweis schuldig bleibt, wieso die Schwierigkeiten, an denen die ältere Generation scheiterte, im Laufe der Zeit verschwinden. Das chronologisch erzählte Geschehen gliedert sich in vier Zeitabschnitte auf. Der erste Teil behandelt auf 174 Seiten die Zeit von Oktober 1917 bis Ende August 1918, der zweite auf 44 Seiten die Jahre 1919 bis 1921, der dritte auf 63 Seiten einige Ereignisse von 1934 und der vierte auf 72 Seiten mehrere Wochen des Jahres 1939. In der ersten Erzählphase stellt MacLennan jede Romanfigur in einer ihr vertrauten oder völlig fremden Umgebung und Situation vor. Eine Fülle beiläufiger Beobachtungen und mehrere Szenen im Hause Tallard, im Laden des Kolonialwarenhändlers Drouin und bei Yardley vergegenwärtigen den frankokanadischen Hintergrund in all seiner Geschlossenheit43, wogegen drei Episoden in Montreal (eine nationalistische Versammlung, in der Tallards ältester Sohn Marius eine Hetzrede hält, ebenso spöttisch und ironisch gestaltete Ereignisse in einem anglokanadischen Bürohaus und Kathleen Tallards Ehebruch) den gegensätzlichen und offeneren Charakter der Großstadt aufzeigen. Darin, daß der Erzähler immer wieder anderen Personen seine Aufmerksamkeit schenkt und das Geschehen gleichmäßig rafft, ähnelt das Aufbauprinzip des ersten Teils Barometer Rising, doch überwiegen Szenen mit zwei oder drei Personen, da MacLennan die Vereinsamung Tallards im Gespräch und der heftigen Auseinandersetzung sichtbar machen will. Dieser Absicht dient auch ein Kunstgriff, den wir zum Beispiel aus George Eliots Roman Middlemarck kennen: die Hauptperson wird in allen Lebensbereichen vorgeführt und voll charakterisiert, ihre Kontrahenten dagegen bleiben typische, teilweise ironisch gezeichnete Figuren. Geht es George Eliot in erster Linie darum, mit Rosamond, Casaubon und Bulstrode bestimmte menschliche Verhaltungsweisen zu beschreiben, so sind MacLennans Randfiguren vor allem soziologische Typen, welche die Eigenschaften und Meinungen, die der Anglo- dem Frankokanadier (und umgekehrt) nachsagt, in sich vereinen und trotz aller Konstruktion „large creations of the symbolic imagination" 44 genannt worden sind. Da ist zum Beispiel Father Beaubien, der mit Argusaugen über seine Gemeinde wacht und sich für jede Seele persönlich verantwortlich fühlt. Er tritt energisch allen Industrialisierungsversuchen entgegen und lehnt trotz der Schulden, die das Dorf seinem Kirchenbau zuliebe auf sich genommen hat, anglokanadische Investitionen ab, denn Saint-Marc darf seine ländliche Unschuld nicht verlieren. Selbstverständlich wendet sich Father Beaubien gegen die Dienstpflicht, die für ihn eine anglokanadische Zwangsmaßnahme darstellt. Den Krieg selbst sieht er als eine Strafe Gottes für die Franzosen, die Gott abgeschafft haben, an. 4 3 Die zweisprachig beschrifteten Straßenschilder und Lebensmittel verweisen auf das Hauptthema des Romans. 4 4 J . R . MacGillivray, .Fiction', in: .Letters in Canada: 1945', U T Q , X V , 1945/1946, S. 282.

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„Let the rest of the world murder itself through war, cheat itself in business, destroy its peace with new inventions and the frantic American rush after money. Quebec remembered God and her soul, and these were all she needed." (TS, S. 8) Z u B e g i n n des R o m a n s macht sich der Priester Sorgen, w e i l A t h a n a s e Tallard, „the o n l y limit, under G o d a n d the l a w , t o the priest's a u t h o r i t y in S a i n t - M a r c " (TS, S. 8), Besuch v o n z w e i A n g l o k a n a d i e r n hat.

Schon die nächste Szene, die im Hause Tallard Captain Yardley, Huntley McQueen und Athanase zusammenführt, stellt den eigentlichen Gegenspieler des Priesters, den presbyterianischen Geschäftsmann McQueen, vor. Er ist ebenso ehrgeizig und asketisch wie Father Beaubien und hat sich auf wirtschaftlichem Gebiet ähnlichen Träumen von Macht und Herrschaft verschrieben. Geschickt nutzt er Tallards Geschäftsuntüchtigkeit aus und überredet ihn dazu, sich an dem Bau eines Wasserkraftwerks bei Saint-Marc zu beteiligen. Tallard sagt sich: „Unless they developed their own resources they would soon have none left to develop. The English were taking them over one by one. If the process continued indefinitely the time would arrive when the French in Canada would become a race of employers. Perhaps because they were a minority, perhaps because their education was not technical, they had no real share in the country's industry." (TS, S. 1 7 - 1 8 )

Mit seiner Absicht, dem technischen Zeitalter in der Provinz Quebec zum Sieg zu verhelfen, wendet sich Tallard endgültig gegen die geltende Meinung. Im Vergleich zum viktorianisdien Großroman in der Art von Eliots Middlemarch kommt es demnach in Two Solitudes nicht erst dann zum Konflikt, als wir mit dem Hintergrund und den Charakteren vertraut geworden sind. Vielmehr steht die Konfliktsituation am Anfang und bestimmt den weiteren Verlauf 45 . Die Folgeszenen zeigen, welche Konsequenzen sich aus Tallards Entscheidung ergeben. Im Parlament wird Tallard wegen seiner Haltung in der Wehrpflichtdebatte, im Dorf infolge des Streits mit Father Beaubien isoliert. Aber auch seiner Familie wird er entfremdet. Seine zweite Frau, eine junge Irin, sehnt sich aus der bedrückenden Atmosphäre Saint-Marcs nach der Großstadt und wird ehebrüchig. Marius greift seinen Vater auf nationalistischen Versammlungen an 46 , während Paul, der aus zweiter Ehe stammt, sich viel besser mit Kapitän Yardley versteht. Tallards Stellung wird unhaltbar, als die Kriegerwitwe Janet Methuen seinen ältesten Sohn, der sich der Dienstpflicht entziehen will, an die Polizei verrät. Da Tallard auch die letzte Aufforderung, wieder die Kirche zu besuchen, ablehnt, wird er von seinem Personal verlassen. Sein Wunsch, zu der Annäherung beider Kanadas beizutragen, hat zur persönlichen Katastrophe ge45 Vielleicht ist es sinnvoll, bei TS von einer thematischen, bei George Eliot von einer psychologischen Konzeption des Milieuromans zu sprechen. In Middlemarch ergibt sich die soziologische und geistesgeschichtliche Komponente des Romans aus dem Geschehen, in TS scheint das Geschehen aus der vorgefaßten soziologischen These zu folgen. Deshalb scheinen die Romanfiguren MacLennans das Thema zu illustrieren. 49 Marius haßt seinen Vater, weil dieser sich, als seine Frau noch auf dem Totenbett lag, mit Kathleen, der Anglokanadierin, einließ. Um das soziologische Thema zu psychologisieren, muß sich MacLennan, wie dieses Beispiel zeigt, mitunter eines zu stilisierten Realismus bedienen.

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führt: „ . . .he was finished with being between two stools now; he was finished with it for the rest of his life, and he would show the whole world that he was to be left alone" (TS, S. 163). Er zieht mit seiner Familie nach Montreal um, wird Presbyterianer und schickt Paul auf eine vornehme anglokanadische Privatschule. In der kurzen zweiten Erzählphase erweist sich, daß ein Mensch wie Tallard nicht willkürlich alle Bindungen zerreißen kann. Als er nach Kriegsende von McQueen ruiniert wird, gibt Tallard den Kampf um die Verständigung auf und stirbt — versehen mit den letzten Weihen der katholischen Kirdie. Vom dritten Teil an beschleunigt MacLennan das Erzähltempo und begnügt sich damit, die weitere Entwicklung der verschiedenen Romanfiguren in wenigen Szenen und in Abschnitten, die summarisch ihre Erfahrungen raffen, anzudeuten. Er bricht mit dem frankokanadischen Hintergrund und versucht, mit der Erweiterung des Erzählraums (Halifax, New Brunswick, Athen und England werden Schauplatz des Geschehens) aufzuzeigen, daß Paul Tallard und Heather Methuen die Isolierung sprengen und einen überregionalen Standpunkt einnehmen. Aber es ist, als hätte Hans Castorp vorzeitig den Zauberberg verlassen und im Flachland die Argumente Settembrinis und Naphtas vergessen. Father Beaubien wird überhaupt nicht mehr erwähnt, das Problem der Industrialisierung in wenigen Worten abgetan, die Frage der wirtschaftlichen Vorherrschaft Anglokanadas sozusagen mit dem Tod des Kapitalisten Rupert Irons gelöst und die engstirnige, koloniale Gesinnung als überlebt angesehen, da ihre Vertreter vergreist oder bereits verstorben sind. Die Integration der zunächst unverstandenen, einsamen jüngeren Generation in die kanadische Gesellschaft wird gar mit dem Kriegsmotiv gekoppelt 47 . Indem MacLennan unsere Aufmerksamkeit von den soziologischen Schwierigkeiten auf die Möglichkeit lenkt, sie auf menschlicher Ebene zu lösen, gibt er auch zum Teil seine bis dahin bewährte Erzählweise auf. An die Stelle konfliktreicher Episoden treten Versöhnungsszenen, vor allem aber Abschnitte, die die Einsichten von Yardley, Heather und Paul im wohlgeordneten Bewußtseinsstrom zusammenfassen, denn die Ausdehnung des Erzählraums reicht allein nicht aus, um den inneren Reifeprozeß zu objektivieren. Die beibehaltene spöttische Behandlung der Nebenfiguren (Huntley McQueen, Janet Methuen), die sinnvoll war, als es darum ging, Tallard zu isolieren, erscheint jetzt fragwürdig und nicht der Verständigung dienlich. Two Solitudes zerfällt daher in zwei Teile. Die beiden ersten Drittel des Werks bilden in thematischer und erzählerischer Hinsicht eine Einheit und sind mit Recht gesondert abgedruckt worden 48 , denn erstens ist das Scheitern Tallards 47 Der Roman endet bei Kriegsbeginn: dies ist ähnlich wie in Dumbrilles Roman eine höchst unbefriedigende Schlußbildung. — Audi Gabrielle Roy läßt ihren Roman Bonheur d'Occasion (englisch: The Tin Flute, New Canadian Library) mit dem Ausbruch des Krieges enden, doch ist hier der Schluß ein sinnvoller ironischer Kommentar zur vorangegangenen Handlung: Selbst im Krieg wird es den frankokanadischen W»m-Bewohnern besser gehen als in der Depressionszeit. 48 Two Solitudes. Arranged for School Reading and With Introduction, Notes and Questions by Claude T. Bissell, Toronto 1951.

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überzeugend gestaltet, und zweitens nimmt seine Rückkehr in den Sdhoß der katholischen Kirdie die angestrebte Lösung des Werks vorweg: „Tallard's return on his death-bed to his ancestral faith is not merely a satisfying emotional resolution that softens the bitter pathos of his final days; it is a dramatic way of saying that with nations, as with individuals, there are deep instinctive urges that cannot be forced into a common mould 49 ." Leider gibt sich MacLennan mit diesem Ausgang nicht zufrieden. Unter Verkennung der Tatsache, daß ein Werk „unter Umständen seinen eigenen Ehrgeiz" 50 hat, läßt er sich von nationalistischen Überlegungen dazu verleiten, das Geschehen einer positiveren Lösung entgegenzuführen. Das ist jedoch, wie er später zugab, nicht gelungen: „I have been criticized, I think rightly, for not having polished Two Solitudes with greater care, and for not having developed certain characters more than I did." „. . . the novelist must turn his mind into a seminary where organic growth may occur; then he must distinguish the tendencies of the growth and ultimately provide a proper form to hold it. He must therefore be prepared to throw aside any of his preconceived ideas of plot, character and general views of life if the growth of his book runs contrary to them 51 ."

Trotzdem ist der buchhändlerische Erfolg des Werks nicht ganz unberechtigt. Two Solitudes ist der erste und vorläufig einzige ernsthafte Versuch, das Kernproblem der kanadischen Nation in einem Gegenwartsroman des realistischen Typs gestalterisch zu bewältigen. Gleichzeitig rührt der Roman an eine Fragestellung, die auch außerhalb Kanadas, zum Beispiel im geteilten Deutschland, von Interesse ist, eine Tatsadie, auf die die Übersetzungen des Buchs52, besonders sein Erfolg in der Tschechoslowakei, hinweisen. Damit sei erklärt, wieso der Bemerkung, Two Solitudes könne als „the best and most important Canadian novel ever published" 53 bezeichnet werden, das Urteil „a disappointing book" gegenübersteht54. 3. The Precipice (1948) In Barometer Rising und Two Solitudes finden, wie wir gesehen haben, die zeitweise seelisdi heimatlosen Romanfiguren in der größeren Gemeinschaft der jungen Nation zu einer positiven Interpretation des Lebens zurüdk. Untergründig wurde aber diese Lösung, die auf soziologisdi-nationalistischen Überlegungen beruht, bereits im zweiten Roman in Frage gestellt. Die Rückkehr Athanase Tallards in den Sdioß der katholischen Kirche deutet an, daß die Bindung an innerweltliche Systeme und Ideologien nicht ausreicht — daß das Leben letzten Ebda., S. XVIII. Thomas Mann, .Einführung in den Zauberberg für Studenten der Universität Princeton', Der Zauberberg, Frankfurt 1954, S. X . 51 ,How Do I Write?', CAB, X X I , Dez. 1945, S. 6. 52 Übersetzungen ins Holländische, Schwedische, Spanische, Tschechische und Japanische. Der frankokanadische Verleger, der das Buch annahm, ging vor der Veröffentlichung bankrott. 53 W. A. Deacon in TGM, zit. ,Back-flap' der White Circle Pocket Edition. 54 J. M. S., .Review of Two Solitudes', QQ, LH, 1945, S. 495. 49 50

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Endes erst durch den Glauben an Gott seinen Sinn erhält. So erscheint es folgerichtig, daß sich MacLennan in seinem dritten Roman religiösen Problemen zuwendet, die er freilich noch vorwiegend vom soziologischen Standpunkt aus konzipiert. Einmütig hatten die literarischen Nationalisten den Puritanismus als eine literaturfeindliche, engstirnige "Weltanschauung charakterisiert. MacLennan selbst war wegen einiger Szenen in Two Solitudes von moralisierenden Kritikern getadelt worden und fühlte sich offenbar veranlaßt, für die kanadische Literatur die Kritik am Puritanismus nachzuholen 55 , die Hawthorne 5 6 , die Naturalisten und die Vertreter der „hard-boiled generation" für das amerikanische Geistesleben geleistet hatten: „In Canada, Puritanism survived the first three decades of the century practically intact, and now it is threatened with exactly the same kind of revolt we have witnessed in the United States. Here is perhaps the most important theme for any Canadian writer today. Can he use it without appearing redundant, if he is to show his work in the American market 57?" Es bot sich die Möglichkeit an, die Rolle des Puritanismus in den Vereinigten Staaten mit dem Stand seiner Entwicklung in Kanada zu vergleichen und das neue religionskritische Anliegen in den Bereich der nationalistischen Motivik einzubeziehen. Wie andere literarische Nationalisten meint MacLennan, der südliche Nachbar sei der Prüfstein für die Reife oder Unreife des kanadischen Volkes: „Were it not for the United States, Canada would never have been a nation at all, much less the kind she is" 58 . Je mehr typisch kanadische Eigenschaften er an 55 Grove, Callaghan, Ross und andere Schriftsteller haben zwar die „puritanische" Einstellung in Fragen der Moral kritisiert, aber die Auseinandersetzung mit der calvinistisdien Lehre dem Presbyterianer MacLennan überlassen. 58 Hawthornes Verhältnis zum Puritanismus ist umstritten. T. E. Conolly sagt: „Between the position of Vernon L. Parrington, who saw Hawthorne as retaining ,much of the older Calvinistic view of life and human destiny', and that of Regis Michaud, who saw him as ,an anti-puritan and prophet heralding the Freudian gospel', lies the truth about Hawthorne." (,Hawthorne's ,Young Goodman Brown': An Attack on Puritanic Calvinism*, AL, XXVIII, 1956/1957, S. 375) 67 Hugh MacLennan, ,Canada Between Covers', S. 30. 58 CC, S. 6. — Den Unterschieden zwischen Kanada und Amerika ist MacLennan in zahlreichen Essays nachgegangen. Für das Romangeschehen werden folgende Überlegungen wichtig: „During the past fifty or sixty years, Canadians have enjoyed the United States much as a good wife enjoys the spectacle of a robust husband being himself." (,The Canadian Character', in: CC, S. 6) „The Canadian's sense of his European past is unique in North America." (,On Discovering Who We Are', in: CC, S. 44) „. . . the application of mechanical principles to nearly everything has penetrated American thought more deeply than it has ours." „The puritanism which is still dominant in Canada has grown so weak in most parts of the United States . . . that you could almost think the coat had been turned inside out." (Ebda., S. 53) „ . . . Canada has been, is, and may be in the future, more fortunate than the United States. We have never had a civil war, and therefore we have hardly any memories of mutual bloodshed. At the present time of transition, our small size of population makes the strains easier. In facing the future, we are less the prisoners of our own past. For it seems that nothing but catastrophe can check the furious progress of Americans into a still more bleak and dangerous desert of technology than they have readied now." (Ebda., S. 55) „We have

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den Merkmalen der nordamerikanischen Zivilisation ablesen kann, desto leichter fällt es ihm, an die Eigenständigkeit der kanadischen Nation zu glauben. In The Precipice versucht er, die amerikanische 5 9 und die kanadische Mentalität auf den unterschiedlichen Einfluß des Puritanismus zurückzuführen. E r stellt Amerikaner Kanadiern gegenüber, kontrastiert das Städtchen Grenville in Ontario mit der Weltstadt N e w Y o r k und demonstriert an der gegensätzlichen Reaktion der Menschen auf den Puritanismus die selbständige Entwicklung seines Heimatlandes. Für die Charakteristik bedeutet dies, daß er die Handlungsweise seiner R o manfiguren mit ihrer Einstellung zum puritanischen Erbe motivieren, die Gegenwart, wie er im Vorwort sagt, mit der Vergangenheit erklären muß. Deshalb scheinen paradoxerweise die Charaktere der Verstorbenen aufschlußreicher und wichtiger zu sein als die der Lebenden. Gleichzeitig dringen mit dem Vater- und Muttermotiv — mehr noch als in Two Solitudes — Freudsche Gedanken in die Charakteristik ein. Wie Regis Michaud 1928 ausführte: „Freudian psychology is the natural ally of the sociologist. It shifts the largest part of the responsibility for many of the moral diseases and idiosyncrasies of the individual upon social institutions. By presenting Puritanism as a form of moral inhibition it throws a new light upon it 6 0 ." Zu den Vaterfiguren gehört John K n o x Cameron, ein äußerst tüchtiger und nüchterner Mensch, der sich nie eine Freude gegönnt hat: „John K n o x had been hard even for an Ontario small town to take, where the Scotch-Irish are chocolate-brown with Calvinism" (TP, S. 6). E r w a r so streng gegen sich selbst geworden, weil er nach dem Tode seiner Eltern von zwei Tanten, deren Bilder noch im Hause hängen, erzogen worden w a r : „There were pictures of two maiden aunts, raw-boned Scotch women who had brought Lucy's father up and made his life a calvinistic horror, forbidding him toys as a child, making him ashamed of his own lustiness when he grew older." (TP, S. 51) O b w o h l Cameron seit sieben Jahren tot ist, lebt sein Geist im Hause weiter ( „ . . . his ghost still haunted the house were he lived"), bestimmt doch die Erinnerung an ihn das Zusammenleben seiner drei Töchter: „[Lucy] had sensed that for the rest of their lives she and Jane would bear the weight of the merciless religion which her father's aunts had inflicted upon him. It was then that she learned how true it was that the evil men do lives after them. For the pattern set by her father had remained. The three sisters were held together by the heritage of their father's fierce sense of protection, but they were divided by the cleavages in their parents' minds." (TP, S. 52) learned, both Canadians and Americans, something which no other pair of nations so mutually interdependent has yet learned in history. Real tolerance consists in much more than abstention in the use of military force to compel uniformity. It consists in the ability not only to recognize your neighbour's differences but also to enjoy them." (Ebda., S. 56) 59 W. Frank (Our America), H. Mencken (Puritanism as a Literary Force), T. Dreiser (,Life, Art in America', in: Hey Rub A-Dub-Dub) hatten schon eine Generation vor MacLennan den Puritanismus als die Hauptmacht im amerikanischen Leben angesehen. „When they attack Puritanism the new insurgents do not aim at windmills. They see it as a practical influence still at work in American society today. It gives them the key to American behaviour." (R. Michaud, The American Novel Today, Boston 1928, S. 14) 60 R. Michaud, a. a. O., S. V I I I . 85

D a Jane, die älteste, das Andenken des Vaters ehren will, wendet sie sich gegen alle Neuerungen. Für moderne Literatur hat sie nichts übrig, und ihrem einzigen Vergnügen, der Musik, geht sie nur nach, weil ihre Klavierstunden die Einkommensquelle der Schwestern sind. Autoritär fällt sie alle Entscheidungen, fühlt sich f ü r ihre Schwestern zu jeder Zeit verantwortlich und läßt sich in ihrem Verhältnis zu Lucy von der Meinung leiten, die sich ihr Vater gebildet hatte: „Worse than anything else was the way both Jane and Nina had accepted the strange picture their father had made of Lucy. Like most sincere Calvinists, he had believed that unless he anticipated the worst in his imagination, the worst was sure to happen in fact. So, just in proportion as he was eager for Lucy to be well, to be a daughter of whom he could be proud, he had convinced himself, as well as her sisters, that she was different from other girls and that no one could expect her to live a completely normal life. He spoke of her constantly as ,poor Lucy'. By the time she was eighteen, they had all come to take it for granted that she would never marry." (TP, S. 52—53) Obgleich sich Jane über den Einfluß, den sie auf die Entwicklung ihrer Schwestern gehabt hat, nicht klar ist, durchschaut sie ihre Stellung in der Gemeinde. Sie weiß, daß sie, die Hauptvertreterin des Puritanismus in Grenville, unbeliebt ist und nur solange respektiert wird, wie ihre Lebensführung ihren Prinzipien entspricht. „Everyone else in Grenville made terms with the code by which they lived without guessing how illogical they were. Privately, they were kindly people who led sensible lives. But Jane, privately, was like their collective conscience. She was the only one of them who followed, in thought and in life, all the principles of the religion and morality whidi the entire Protestant part of the country professed to honor. The great crimes had no reality for her whatever. She had never in her life' seen an act of deliberate wickedness. It was quite natural for her to believe that sex was the dirtiest thing in the world, and near to the root of all evil." (TP, S. 122) Entschieden lehnt sie daher ihren Onkel, den abgesetzten Pfarrer Matt McCunrt ab, der sich in seiner Außenseiterstellung (wie Captain Yardley in Two Solitudes) Bemerkungen erlauben darf, die die Bewohner Grenvilles im stillen bejahen, offiziell aber rügen müssen. D a alle die Diskrepanz zwischen der geltenden Moralauffassung und der Wirklichkeit empfinden, werden sie von einem starken Schuldbewußtsein geplagt. N u r Lucy Cameron hat den Sündebegriff des Calvinismus überwunden und sich damit innerlich von der Gemeinde, in der sie sowieso keine Funktion hat, gelöst. Mit Eifer widmet sie sich ihrem Garten, der ihren Protest gegen ihren Vater und (wie der Autor mehrmals zu verstehen gibt) ihre Sehnsucht nach einem Kind versinnbildlicht. Im Grunde wartet sie nur noch auf den äußeren Anlaß, die Ketten Grenvilles endgültig abzuschütteln. Wesentlich gehemmter ist ihr Jugendfreund Bruce Frazer, der sich ständig der Tatsache bewußt ist, d a ß er seinen ehrgeizigen Vater enttäuscht hat. Als kluger und sensibler Mensch glaubt er, Ideale seien wichtiger als äußere Erfolge, und unterscheidet sich hierin von dem Amerikaner Steve Lassiter, der sich ebenfalls seinem Vater gegenüber schuldig f ü h l t : „Stephen had always felt a little guilty, because his boyhood had not been hard enough, and for a time in his youth he tried to make up for it by talking tough and training to be a boxer" (TP, S. 67). Steve ist einsam, hegt keine intellektuellen Träume und hat einzig und allein

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den praktischen Erfolg als Ziel vor Augen. Er ist der T y p des Amerikaners, den Regis Michaud mit den Worten beschreibt: „In business, the American is a real ,he-man', but when he must face moral issues, he surrenders to his mate. He tamed the physical universe with machinery und became a leader of a material civilization. He can well solve mechanical problems, but ethics, philosophy and gay science are beyond his pale 61 ." Doch ein wesentlicher Zug kommt hinzu: Steves Befürchtung, er werde die Menschen nie so führen können wie sein unfehlbarer Vater 6 2 , seine Erkenntnis, daß er nie zu den „elect" gehören wird. So hat in Steve Lassiter der Schuldgedanke des Calvinismus alle anderen Aspekte des Glaubens verdrängt, zumal Steve ausgerechnet in geschlechtlichen Beziehungen die Selbstbestätigung findet, die ihm im Beruf versagt bleibt. Sein Freund Carl Bratian hat dagegen das Vaterbild wie den Sündenbegriff verworfen und setzt seine Fähigkeiten rücksichtslos zur Beherrschung der „dummen" Menschen ein, die nicht an die Sinnlosigkeit der Welt glauben wollen. Bratian und John Knox Cameron stehen an den äußeren Enden des puritanischen Spektrums, das MacLennan in eine triviale Liebesgeschichte hineinprojiziert. Im August 1938 kommt Steve Lassiter im Auftrag seiner Firma nach Grenville, einem der vielen Städtchen, in denen Kanada die letzten Minuten seines viktorianischen Schlafs verhaucht 63 , einem Ort mit Denkmälern und Straßenschildern, die seine Beziehungen zu den United Empire Loyalists und der kanadischen Geschichte kundtun. „Grenville was sound, it was dull, it was competent — and oh, God, it was so Canadian! The ferments and the revolutions of the past twenty years might never have existed so far as this town was concerned" (TP, S. 8). Symbolisiert Lassiters Ankunft den Beginn der Industrialisierung, einer neuen Epoche im Leben Grenvilles, so bedeutet sie auch die Erlösung Lucys von ihrem Aschenputteldasein. Steve weckt ihre Liebesbereitschaft, und trotz der Widerstände, die ihr Jane in den Weg legt, folgt sie dem geliebten Mann nach N e w York, der amerikanischen Metropole, die dem Leser aus hundert Romanen bekannt ist und nadi Ansicht MacLennans nicht weiter beschrieben zu werden braucht. Im Verlauf des zweiten Weltkriegs streift auch Bruce Frazer die Fesseln des puritanischen Schuldgefühls ab, denn die Fronterfahrungen flößen ihm Vertrauen ein „in the ability of plain human beings to make the most of themselves if they were given a chance" (TP, S. 344). Mit Energie stellt er sich daher wie die Bewohner Grenvilles und Kanadas überhaupt seinen Aufgaben innerhalb der veränderten Welt. Ebda., S. 21. „Because Stephen had always feared his father, he thought of him as infallible, like God. Therefore it was inevitable that he thought of the depression as a sort of cosmic accident." (TP, S. 70) 6 3 „Canada, by and large, is still an nation of small towns. Toronto, for all its sprawling size, has a small-town psychology. So, when it comes down to it, does Montreal; in this city we still have a great deal of the intimate small-town knowledge of life whidi N e w York and London lads." (TT, S. 181) 61

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Dem Reifeprozeß der Kanadier steht das Schicksal Lassiters gegenüber. Steves Schuldkomplex ist gewachsen, seine Unsicherheit ist größer geworden, ohne daß er wüßte, warum; seine Arbeit in Bratians Reklameagentur bedrückt ihn, und schließlich sucht er erneut Zuflucht bei einer Frau. Nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima wird sich Lucy, die mit ihren beiden Kindern nach Grenville zurückgekehrt ist, über Steves Verhalten klar und schildert Bruce die geistige Verfassung der Amerikaner mit folgenden Worten: „,The other night after we heard about the atomic bomb I began to think of the Americans the way you do — like a great mass ofpeople and not as individuals. I saw them moving in a vast swarm over a plain. They had gone faster and farther than any people had ever gone before. Each day for years they had measured out the distance they'd advanced. They were trained to believe there was nothing any of them had to do but keep on traveling in the same way. And then suddenly they were brought up short at the edge of a precipice which hadn't been marked on the map. There they were with all their vehicles and equipment, jostling and piling up on the front rank. And of course the ones behind didn't know the precipice was there and couldn't understand why the ones in front had stopped advancing. The pressure from behind kept increasing on the front ranks and they were all shouting at each other so loudly nobody could hear anything.'" (TP, S. 360) „, And there was Stephen himself, heaving and pushing without realizing the significance of what he was doing, in a rank not very far from the front 64 .'" Lucy erkennt, warum Steve sie verlassen hat: „Whatever else Stephen might feel, he would feel no shock or angry bewilderment at the appalling information they had received tonight. The frame of mind which had produced this bomb was the frame of mind in which he had been born and raised. The skills which had made it were the only skills he really valued. And the tensions produced by those skills, the tensions arising in hundreds of thousands of men driving constantly forward, committing themselves and everyone else again and again to the risk of living with the results of their skill, were the tensions he had been trying so desperately to escape. She knew tonight, clearly for the first time, in what she had failed him. She had not sufficiently understood the tensions, she had given him no adequate release for them." (TP, S. 348-349) D a sie Steve, der inzwischen arbeitslos geworden ist, immer noch liebt, fährt sie zu ihm nach Chicago und flößt ihm Mut für ein gemeinschaftliches Leben ein. An dieser Stelle wird der dem Klischee verhafteten Handlung zugemutet, Lucys religiöse Überzeugungen zu objektivieren: Indem sie Steve verzeiht, zeigt sie ihrem Mann, was den Schuldgedanken im menschlichen wie religiösen Bereich aufhebt. Zugleich wird offenbar, wie MacLennan das Verhältnis Kanadas zu 64 TP, S. 361. — Vgl. Henry Adams, The Education of Henry Adams, New York 1931, S. 237—238: „Society in America was always trying, almost blindly as an earthworm, to realize and understand itself; to catch up with its own head, and to twist about in search of its tail. Society offered the profile of a long, straggling caravan, stretching loosely towards the prairies, its few score of leaders far in advance and its millions of immigrants, negroes, and Indians far in the rear, somewhere in archaic time. It enjoyed the vast advantage over Europe that all seemed, for the moment, to move in one direction, while Europe wasted most of its energy in trying several contradictory movements at once; but whenever Europe or Asia should be polarized or oriented towards the same point, America might easily lose her head. Meanwhile each newcomer needed to slip into a place as near the head of the caravan as possible, and needed most to know where the leaders could be found."

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Amerika sieht. Beeinflußt hat beide Länder eine puritanische Lebensauffassung, die auf dem Glauben an den strafenden Gott und der Ansicht beruht, der Erfolg auf Erden sei das Zeichen für die Erlösung des sündigen Menschen. In den Staaten hat sich der Schuldgedanke verselbständigt, da der Prädestinationsglaube mit den Chancen, sichtbare Erfolge zu erzielen, geschwunden ist. In dem zeitlich jüngeren Kanada haben jedoch die ursprünglichen Anschauungen des Puritanismus länger nachgewirkt. So glaubte noch John Knox Cameron, er sei auserwählt, weil er sich zum Hausbesitzer hochgearbeitet habe, wogegen seine Tochter Jane meinte, sie könne die Schuld mit tadellosem Benehmen aufwiegen. Gerade weil der Puritanismus in Kanada noch nicht von einer allgemeinen Unsicherheit und Skepsis abgelöst worden ist, scheint eine religiöse Neubesinnung möglich — der Glaube an den liebenden Gott, der dem Menschen seine Gnade verheißt. Deswegen kann der Kanadier unter Umständen dem Amerikaner zu einem besseren Verständnis seiner Situation verhelfen und ihm beistehen. Ohne Zweifel ist MacLennans Versuch, die geistesgeschidhtlich und soziologisch wesentlichen Erscheinungsformen des nordamerikanischen Lebens auf dieser Ebene zu deuten, bedenklich. Die Aufnahme des Buchs war denn auch fast ausnahmslos negativ 65 . Desmond Paceys Bemerkung: „MacLennan's n o v e l . . . is an almost complete failure" 66 faßt die Meinung der Kritik zusammen. Obwohl The Precipice nach Paceys Ansicht einheitlicher als Two Solitudes ist67, erreicht der Roman nie die Wirkung des ersten Teils von Two Solitudes und erst recht nicht „the atmospheric authenticity of Barometer Rising", denn „[MacLennan] is not very clear on what ,the precipice' is or how it may be avoided" 68 . In diesem Urteil trifft sich Pacey mit Claude T. Bisseil: „. . . it is the diagnosis of the disease that I, personally, find unconvincing and difficult to relate to character and action. As nearly as I can discover, the diagnosis is something like this: as the result of our Calvinistic background, we are all creatures afflicted with a guilt-complex, seeking in vain to atone for some nameless, ancestral sin 6 8 . "

8 5 Bei W . A Deacon (,The Literary Scene', CAB, X X V , Herbst 1949, S. 36) wirken jedoch bestimmte Vorstellungen über den Geist der kanadischen Literatur nach: „Mr. MacLennan has restrained himself where, earlier in his career, he might have displayed fireworks . . . One thing you are most surely going to find as time passes and that is that this author will be accounted a first-rate novelist beginning with The Precipice. We C a nadians must refine our taste to appreciate serious, finely-textured and even-textured work like this and get over our immature passion for sensationalism in fiction."

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Creative Writing . . . , S. 188.

Mit der Ausnahme von Marcia Stapleton, Steves Schwester, stellt MacLennan alle Hauptpersonen im ersten Teil des Romans vor und beschreibt ihre Vergangenheit in kurzen Rückblicken. Dadurch wird die erste Erzählphase (August bis Oktober 1938) wie in TS sehr breit (180 Seiten). Im Unterschied zu TS zerfällt der Roman aber nicht in zwei Teile, denn MacLennan gibt den einmal etablierten Hintergrund nicht auf, sondern läßt seine Figuren nach Grenville zurückkehren. Auch behandelt er das Thema von Anfang an unter einem einheitlichen Gesichtspunkt: Wird in TS das Scheitern an den „race legends" ausführlich dargestellt, so erwähnt MacLennan hier das Schicksal der Menschen, die ganz dem Puritanismus verpflichtet bleiben, nur nebenbei. 67

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Creative Writing . .

6 8 ,Fiction*,

S. 189.

in: .Letters in Canada: 1948', U T Q , X V I I I , 1 9 4 8 / 1 9 4 9 , S. 265.

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Audi die Therapie, die in Lucys Erfahrungen zur Anschauung gebracht werden soll, ist nicht klar herausgearbeitet, wird von soziologischen Betrachtungen zur Situation des Amerikaners verdeckt und durch zwei unbefriedigende Nebenlösungen — Marcia Stapletons unglaubwürdige Konversion zum Katholizismus und Frazers im Krieg erworbenes (nationalistisch gefärbtes) Selbstbewußtsein — geschwächt70. Darüber hinaus haben das banale Romangeschehen und die mechanische Reduktion der Charaktere auf wenige, von der modernen Psychologie vorgezeichnete Eigenschaften und Verhaltensweisen nicht die Aussagekraft der konstruierten Handlungen von Barometer Rising und Two Solitudes (Erster Teil): „The characters are too insubstantial and the Situation too trite to support the weight of comment and analysis" 71 . The Precipice ist daher ausschließlich aus werkbiographischen und literarhistorischen Gründen wichtig. Obgleich es einstweilen noch den Anschein hat, als sei der Puritanismus nur an die Stelle der „two race legends" getreten, stellt der Roman innerhalb des Gesamtwerks eine interessante Zwischenstufe dar. Für die kanadische Literaturgeschichte ist die Absicht bedeutsam, das Verhältnis Kanadas zu seinem Nachbarland in ernsthafter Weise zu gestalten, denn die Vorgänger MacLennans haben sich mit der einfachen Schwarzweißzeichnung begnügt und können, da sie längst vergessen sind, auch eigentlich nicht als Vorbilder genannt und in eine spezifisch kanadische Tradition gepreßt werden72. Wenn man schon nach Vorbildern suchen will, muß man die internationalen Romane von W. D. Howells und Henry James heranziehen, wird doch in Werken wie Indian Summer und The Ambassadors73 das puritanische Motiv geschickt mit dem internationalen Thema verwoben. Ein eingehender Vergleich würde aber nur unsere Beobachtung bestätigen, daß MacLennans soziologischer Ansatz zu einem fragwürdigen Resultat geführt hat. James' Meisterschaft besteht gerade darin, daß er einen individuell gezeichneten Charakter in den Mittelpunkt stellt und zu-

7 0 Unbefriedigend, da Frazers Lösung nicht religiös ist und Marcias Konversion einfach erwähnt und summarisch begründet wird, obwohl wir Steves Schwester nur ganz kurz kennengelernt haben — als eine typische Vertreterin der „lost generation". 7 1 C. T. Bisseil, ,Fiction', in: ,Letters in Canada: 1948', S. 265. 7 2 Magees Behauptung (Trends in the English Canadian Novel . . S. 300), T P erinnere an S. Frances Harrisons Roman The Forest of Bourg-Marie (London 1898), ist kaum haltbar, denn Harrison schildert das harte, einfache Leben der Frankokanadier in einem Dorf inmitten der „primeval forests" und weist nach, wie gesund und unschuldig diese Lebensweise ist. Eines Tages kehrt nämlich Magloire, der in Milwaukee verdorben worden ist, als Agent einer sozialistischen Gruppe in seinen Heimatort zurück, predigt den Atheismus, läßt sich von seiner Geldgier zu Verbrechen hinreißen und muß schließlich den Ort verlassen. Als er verschwunden ist, haben verschiedene Dorfbewohner eine wunderbare Vision. Das Gute hat über das Böse gesiegt. „From the tainted, gas-lit, poisoned atmosphere of the great Western town to the pure solitudes of Bourg-Marie, set under the cold and sparkling stars of a true though frigid north, is a long step. But it was short compared to the distance between the unsullied soul and the childlike heart of a man like Nicolas Lauriere, and the utter selfishness, the intriguing iniquities of the hybrid product of three civilizations — Magloire le Caron . . ." (S. 105) 7 3 Vgl. R. Stallman, ,„The Sacred R a g e " : The Time-Theme in „The Ambassadors"', Modern Fiction Studies, III, 1957, S. 4 1 - 5 6 .

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meist dem Leser die Entscheidung überläßt, ob die „sensibility" der Gestalt als typisch amerikanisch, englisch oder französisch anzusprechen ist.

4. Each M a n ' s Son ( 1 9 5 1 ) In seinem vierten Roman beherzigt MacLennan anscheinend die W o r t e Mark Twains: „Does the native novelist try to generalize the nation? No, he lays plainly before you the ways and speech and life of a few people grouped in a certain place — his own place — and that is one book. In time he and his brethren will report to you the life and the people of the whole nation . . . And when a thousand able novels have been written, there you have the soul of the people, the speech of the people; and not anywhere else can these be had 7 4 ." Jedenfalls gibt MacLennan in Each Man's Son, seinem „most necessary book" 7 5 , den nationalistischen Ansatz auf, verlegt das Romangeschehen in seine engere Heimat, in eine schottische Siedlung auf Cape Breton, und -wendet sich damit der Region und der Einwanderergruppe zu, die in der kanadischen Literatur am häufigsten dargestellt worden sind 76 . Obwohl Each Man's Son in der Vergangenheit, im Jahre 1913, spielen muß, weil heute die einst geschlossenen schottischen Gemeinden von Minderheiten anderer Herkunft durchsetzt sind, schreibt MacLennan keinen regional-historischen oder idyllischen Roman im Gefolge von Will R . Bird, Thomas Raddall oder Dorothy Dumbrille 7 7 . Z w a r vergegenwärtigt er in Anekdoten und Anspielungen auf die Sagen und Legenden der Gegend den regionalen Hintergrund, doch interessiert er sich für die geschichtlichen Ereignisse und Voraussetzungen nicht: ein kurzer Hinweis im sogenannten „Prologue" genügt. „. .. for a third of a century the island was vacant again. Then across the ocean in the Highlands of Scotland a desperate and poetic people heard of her. They were a race of hunters, shepherds and warriors . . . When the English set out to destroy the clans of Scotland, the most independent of the Highlanders left their homes with the pipes playing laments on the decks of their ships. They crossed the ocean and the pipes played again when they waded ashore on the rocky coast of Cape Breton Island." (EMS, S. I X - X ) Auch die „local colour" trägt MacLennan nicht um ihrer selbst willen auf. Wie in Barometer Rising wird der Schauplatz zum Hintergrund einer gleichnishaften Handlung, deren Problematik der Autor im Vorwort zu beschreiben sucht: „To Cape Breton the Highlanders brought more than the quixotic gallantry and softness of manner belonging to a Homeric people. They also brought with them an ancient curse, intensified by John Calvin and branded upon their souls by John Knox and his successors — the belief that man has inherited from Adam a nature so sinful there is no hope for him and that, furthermore, he lives and dies under the 74 Literary Essays, S. 146—147, zit. A. Cowie, The Rise of the American Novel, New York 1948, S. 650. 7 5 Hugh MacLennan, ,Cape Breton, the Legendary Island', SN, L X V I , 3.7.1951, S. 12. 7 6 Vgl. Elva E. Jackson, Canadian Regional Novels. 7 7 Vgl. D. Pacey, Creative Writing . . S. 158-171.

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wrath of an arbitrary God who will forgive only a handful of His elect on the Day of Judgment." (EMS, S. X) Kaum ein Mensch auf der Insel glaubt, er gehöre zu den Auserwählten, denn es scheint unmöglich, auf Cape Breton den irdischen Erfolg zu erzielen, der die Erlösung verheißt. „. . . in Cape Breton they were lonely. They were no part of the great outer world. So the curse remained alive with them, like a somber beast growling behind an unlocked door. It was felt even when they were least conscious of it. To escape its cold breath some turned to drink and others to the pursuit of knowledge. Still others, as the Puritans of New England had done earlier, left their homes, and in doing so found wider opportunities in the United States or in the empty provinces of western Canada." (EMS, S. X) Jedem der Inselbewohner stellt sich die Frage, ob er bleiben oder seine Heimat verlassen soll: „Each man's son was driven by the daemon of his own hope and imagination — by his energy or by his fear — to unknown destinations. For those who stayed behind, the beast continued to growl behind the unlocked door." (EMS, S. XI) Diese Textstellen aus dem Vorwort haben viele Rezensenten verleitet, im Calvinismus „the true hero of the book" 7 8 zu sehen und die Handlung ausschließlich als „the familiar classic drama of guilt and retribution, played against a wild and harsh background" 79 zu interpretieren: „. . . MacLennan cannot avoid seeing life at any age running according to the traditional Greek lines, and the mechanics of a classical destiny grind out their pattern too heavily and harshly on the human weakness of his characters, so that the ending of the book seems almost grotesquely artificial and imposed 80 ." Selbst Hugo McPherson meint: „In an introspective passage, ending in an epiphany that the reader does not quite understand (again one feels the lack of an ,objective correlative'), Ainslie's disillusion sets him free from the ,ancient curse'" 8 1 . Dabei hat Mc Pherson richtig erkannt, daß sich MacLennan der Schwächen von The Precipice bewußt ist: „Each Man's Son (1951) reveals Hugh MacLennan's consciousness of the formal weaknesses of The Precipice" 82 . MacLennan macht daher nicht nur den Versuch, „ . . . to move beyond the allegorical structure of Barometer Rising to a full-length portrait of a single individual surrounded by characters who define his society and objectify the forces at work within his personality" 8 3 . Er bemüht sich auch mit einigem Erfolg, die Uberwindung des Puritanismus durch Dr. Ainslie zu objektivieren. Zunächst scheint es jedoch, als ginge es MacLennan in der Tat nur darum, die beiden Möglichkeiten, weldie sich für die Bewohner Cape Bretons abzeichnen, nämlich zu bleiben oder zu fliehen, in zwei parallel laufenden Handlungen aufzuzeigen. Wie in seinen früheren Werken macht sich der Verfasser die Fiktion des allwissenden Erzählers zu eigen. Abwechselnd stellt er Dr. Ainslie, Archie J. Marshall, ,Each Man's Son', CF, X X X I , Sept. 1951, S. 140. H. Smith, ,Fate, the Prime Mover', The Saturday Review of Literature, X X X I V , 11. 6. 1951, S. 11. 80 G. Woodcock, .Review of Each Man's Son', NR, V, Okt.—Nov. 1951, S. 41. 81 ,The Novels of Hugh MacLennan', S. 196. 82 Ebda., S. 195. 83 Ebda. 78

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MacNeil, dessen Frau Mollie oder Sohn Alan in den Mittelpunkt einer Szene und formt den Roman zu einem einheitlichen Werk, indem er die Beziehungen zwischen diesen Menschen genau registriert, um dann in den letzten drei Kapiteln die beiden Handlungsstränge, welche innerlich verbunden sind, auch formal zusammenzuführen. Vier Jahre vor Beginn der Erzählung ist Archie MacNeil Berufsboxer geworden und hat seine Frau und seinen Sohn in Broughton auf Cape Breton zurückgelassen. Für die Schotten, die in den Bergwerken der Gegend arbeiten, ist er der vielbewunderte Held, verkörpert er doch den Mut, die einzige Tugend, welche die Grubenarbeiter anerkennen. Voller Erregung und Spannung nehmen sie an seinen Kämpfen Anteil. Siegt er, so fühlen sie sich in ihrer Arbeit und Ausdauer bestätigt. Verliert er, so schreiben sie die Niederlage, mag sie verdient sein oder nicht, dem sinnlos waltenden Schicksal zu: „It made them feel at one with Archie because they knew that luck was certainly working against themselves" (EMS, S. 148). Archie MacNeil ist sozusagen der Sohn eines jeden Arbeiters auf Cape Breton. Er allein könnte, wenn er Glück hätte, die allen gemeinsamen Eigenschaften in einen Erfolg umsetzen, der ihre Existenz rechtfertigte. „A man's son", sagt Dr. Ainslie in einem ähnlichen Zusammenhang, „is the boy he himself might have been, the future he can no longer attain" (EMS, S. 183). Zu Beginn des Romans ist Archie aber bereits am Ende einer Laufbahn angelangt, die mehr von seinem skrupellosen Manager als seinen Erfolgen und Niederlagen bestimmt worden ist. Wohl glaubt er noch an ein „come-back", doch sein Betreuer hat ihn aufgegeben und überläßt Archie sich selbst, denn er weiß, daß dieser primitive Mensch nicht die nötige Selbstbeherrschung aufbringen wird, allein zu trainieren. Seine Erwartung wird bestätigt. In der ihm fremden amerikanischen Stadt Trenton fühlt sich Archie so einsam, daß er zu trinken beginnt. Heimweh überwältigt ihn, und er fragt sich verzweifelt, warum seine Frau nicht einfach den Sohn verlassen hat und ihm gefolgt ist. Schließlich sucht er wie Steve Lassiter in The Precipice bei einer Frau Trost: „He found the woman he was looking for after a while, because there is always a woman in every emptiness who can sense the value to herself of a big man who is lonely and afraid. So for a time Archie forgot what he knew without knowing." (EMS, S. 113) Am Kampftag ist er alt, ausgebrannt, ohne Kondition. Obwohl er sich mit dem Mut der Verzweiflung anstrengt, noch einmal zu siegen — ähnlich wie der Boxer in Hemingways Kurzgeschichte ,50 Grand' —.unterliegt er seinem jüngeren Gegner. Einen neuen Manager findet er nicht. Sein Scheitern besagt, daß es nicht möglich ist, auf seine Weise den Fluch, der auf Cape Breton lastet, abzuschütteln. „If God looked down on them that summer, the kind of God their ministers had told them about, He must have been well pleased, for by summer's end all of them except Alan were conscious of their sins. Longing to do their best, they had discovered there is no best in this world. Yearning for love, they had made each other wretched. Dreaming of better lives, they had become totally discontented with the lives they led M ." 84 EMS, S. 201. — Dies ist eine der wenigen Bemerkungen des auktorialen Erzählers, die zusammen mit dem recht unglücklichen Vorwort die Tatsache verschleiern, daß das

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Unter denen, die auf der Insel geblieben sind, befindet sich der Freidenker Dr. Daniel Ainslie, der stolz darauf ist, daß er weder seine Heimat verlassen hat noch wie die anderen Männer irgendein Schuldgefühl mit Alkohol betäubt. Aber, wie MacLennan im Vorwort sagt: „. . . he did not know — how many of us can understand such a thing — that every day of his life was haunted by a sense of sin, a legacy of the ancient curse." „In one way or another he was forced to discover, as most of us do, that a man can ignore almost anything in his life except the daemon which has made him what he is and the other daemon which gives him hope of becoming more than any man can ever be." (EMS, S. X I )

Dr. Ainslie ist die Hauptperson im zweiten Erzählstrang, der hinsichtlich der Charakteristik und der Fabel bis in Einzelheiten hinein dem Buch As For Me and My House von Sinclair Ross entlehnt ist 85 : In diesem Roman, der 1941 erschien und neben Barometer Rising für J. R. MacGillivray das beste kanadische Prosawerk des Jahres darstellt 86 , schildert eine Frau in Tagebuchform ihr Verhältnis zu ihrem Gatten. Pfarrer Philip Bentley, ein kühler, leidenschaftsloser Mann, fühlt sich schuldig, weil er von der Kanzel Glaubenssätze predigt, von denen er nicht mehr überzeugt ist. Unzufrieden mit sich selbst und seinem Beruf, sucht er in der Malerei einen Ausgleich, zieht sich Tag für Tag auf sein Zimmer zurück, doch kein Entwurf, kein Bild gelingt, da ihm die echte Beziehung zum Menschen fehlt. Seine Frau schließt er praktisch von seinem Leben aus, denn sie hat ihm keinen Sohn geschenkt, der alle Pläne, die er für sich selbst geschmiedet hat, verwirklichen könnte. Seine Liebe und sein Ehrgeiz gelten dem zwölfjährigen Waisenknaben Steve, den er gegen den Willen seiner Frau ins Haus aufgenommen hat. Eines Tages holen aber katholische Priester den Jungen ab und schicken ihn in ein Internat. Um zu beweisen, daß er den Verlust überwinden kann (so wenigstens interpretiert seine Frau die Ereignisse), betrügt er sie mit ihrer Freundin Judith. Als Judith bei der Geburt eines Sohnes stirbt, verzeiht Frau Bentley ihrem Gatten und rät ihm, den Jungen zu adoptieren, in einer anderen Stadt eine neue Betätigung zu suchen und mit ihr und dem Kind von vorn anzufangen. „He must leave the Church. There are some, no doubt, who belong in it, w h o find it a comfort, a goal, a field of endeavor. He, though, isn't one of them. In our lives it isn't the Church itself that matters, but what he feels about it, the shame and

Problem des Puritanismus hier vorwiegend personal dargestellt wird: Im Unterschied zu TP sind sich die meisten Charaktere des Puritanismus nicht bewußt, und wenn ihr Benehmen von Ainslie oder MacKenzie als puritanisch gedeutet wird, so ist das keine soziologisch gültige Meinung, die dem Leser vom Erzähler aufgezwungen wird, sondern eine Aussage, die Rückschlüsse auf den Charakter der Romanfigur erlaubt. 85 Auf die Problematik der Quellenkunde hat MacLennan selbst hingewiesen (,The Challenge to Prose', S. 45): „The main trouble is that so many novels have been written. When the educated reader picks up a new one, even one by a good writer, he is likely to feel that he has read most of it before. The patterns of creative fiction are more varied than the patterns of drama, but almost all of them have been imitated and repeated by inferior writers for so long a time that even if the vision of a novelist is fresh . . ., the reader approaches him with misgiving." 86 .Fiction', in: .Letters in Canada: 1941', S. 298.

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sense of guilt he suffers while remaining a part of it. That's why we're adopting Judith's baby. He'll not dare let his son see him as he sees himself . . . 8 7 "

Als sich MacLennan den Stoff von As For Me and My House anverwandelt, betont er das religiöse Motiv, das bei Sinclair Ross nur angedeutet wurde. Das Schuldgefühl des Pfarrers hatte nichts mit der calvinischen Lehre zu tun, sondern rührte von der Tatsache her, daß er sich selbst gegenüber nicht ehrlich genug war, die Konsequenzen aus seinem religiösen Skeptizismus zu ziehen: „He made a compromise once, with himself, his conscience, his ideals; and now he believes that by some retributive justice he is paying for it" 88 . Allerdings gemahnt seine Einstellung zu seinem Vater an die Art, wie MacLennan die Situation Dr. Ainslies (und der Personen in The Precipice) erklärt:

„. . . he made a hero of his father, and in lonely, childish defiance of his surroundings, resolved to be another man like him. It became a kind of worship in whidi there was an effort perhaps to maintain his own self-respect, a belief in his own importance e 9 . "

In Each Man's Son muß sich Dr. Ainslie von seinem Freund MacKenzie sagen lassen, er solle seinen Vater nicht mehr ehren als seine Mutter, das heißt, er solle die calvinischen Lehren, die ihm sein Vater eingeimpft habe, nicht zu ernst nehmen. Da es fast unmöglich sei, das, was man in der Jugend gelernt habe, zu überwinden, bedrücke Ainslie ein Sdiuldkomplex, den er bei allem Freidenkertum nicht wegleugnen könne (S. 62 f.). Ainslie erfaßt erst später, wie genau MacKenzie seinen Seelenzustand beschrieben hat. Im Grunde unterscheidet er sich nämlich kaum von den anderen Inselbewohnern, deren Welt ihm wild und primitiv erscheint. Während die Arbeiter sich in sinnlose Schlägereien einlassen und ihren Wochenlohn vertrinken, schließt sich Dr. Ainslie auf seinem Zimmer ein und übersetzt Homer, denn er spürt wie seine Landsleute, daß ihm sein Beruf keine Gelegenheit gibt, seine Fähigkeiten voll zu entfalten. Hatte Pfarrer Bentley kein Bild gemalt, das ihn zufriedenstellte, so kann Ainslie nie so viele Zeilen übersetzen, wie er sich vorgenommen hat. Seine Frau haßt das griechische Lexikon, als wäre es die Geliebte ihres Mannes (EMS, S. 25), und sehnt sich danach, zu zeigen, wie sehr sie ihren Gatten liebt, doch dieser stößt sie mit seiner Gleichgültigkeit immer wieder zurück. Da sie kein Kind haben kann, droht die Kluft zwischen beiden größer zu werden, zumal ihr Gatte glaubt, ein Sohn werde seinem Leben wieder Richtung und Sinn verleihen: „To work for a son's future would give purpose to the universe. He wanted a son who would grow into a learned man and a daughter who would be gentle and admiring of him" (EMS. S. 85). Als er Alan MacNeil kennenlernt, meint er, er könne ihm den Vater ersetzen und ihm helfen, aus dem Bergarbeitermilieu herauszukommen. Rührend ist er um das Kind besorgt, ohne zu merken, daß Alans Mutter mit Recht fürditet, ihr Sohn werde ihr entfremdet. Mollie MacNeils Entschluß, dem Franzosen Camire nach Frankreich zu folgen und Alan mitzunehmen, trifft ihn daher schwer. Er ahnt, daß er Mollie in die 87 88 88

As For Me and My House, N e w Y o r k 1941, S. 278. Ebda., S. 29. Ebda., S. 4 9 - 5 0 .

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Arme des Franzosen getrieben hat, weil er die Liebe des Kindes auf sich gelenkt hatte, und bereut, daß er den Jungen nidit genügend geliebt, sondern nur als einen Ausweg aus seinen persönlichen Schwierigkeiten benutzt hat. Für einen Augenblick erscheint ihm die Welt sinnentleert, aber dann erkennt er die Gründe seiner Unzufriedenheit und Verzweiflung: „The theologians, not Jesus, have tried to convince us that God, out of His infinite loving-kindness and tender mercy, out of His all-wise justice, has decided that nearly all human beings are worthless and must be scourged in the hope that a few of them, through a lifetime of punishment, might become worth saving. Now he had something specific to be angry about, and Ainslie let his rage build upon itself. Underneath all his troubles, he told himself, lay this ancient curse. He thought desperately of Margaret and desperately of himself, and he knew that it was his fear of the curse which had hobbled his spirit. The fear of the curse had led directly to a fear of love itself." (EMS, S. 219) Er k a n n nicht m e h r an einen G o t t glauben, der die Menschen heimsucht u n d s t r a f t . D i e W e l t h a t b l o ß dann einen Sinn, w e n n es einen G o t t der Liebe gibt. „He was alone now with his own skill, surer of his fingers than of his soul. Even here in Cape Breton he could guess at vistas of skill and knowledge which old Dougald lacked the imagination to contemplate. So he would go to Europe, as MacKenzie had said he must do, and there he would readi the top of his profession. Perhaps MacKenzie and Margaret had known he would come to this decision all the time, but it was his own path, not their pressures, which had led him to it." (EMS, S. 221)

Zu dem Zeitpunkt als Dr. Ainslie über seine puritanischen Skrupel siegt, ist Archie MacNeil gescheitert, denn man kann ein geistiges Erbe nicht mit roher Körperkraft und äußeren Erfolgen überwinden. Indem MacLennan den Boxer zurückkehren läßt, verbindet er beide Handlungen auch äußerlidi. Archies Ankunft stellt den Höhepunkt des Geschehens dar und löst die Katastrophe aus, auf die der Leser von dem düsteren Hintergrund, den gewaltättigen Geschichten und Ereignissen, die sich auf Cape Breton abspielen, von dem schlechten Gewissen aller Beteiligten, dem Ehebruch Mollie MacNeils und den Warnungen einer schwachsinnigen Alten vorbereitet worden ist: Der Boxer überrascht seine Frau und den Franzosen, erschlägt beide und stirbt selbst an einer Gehirnverletzung, die er sich bei einem seiner Kämpfe zugezogen hat. Als Ainslie sieht, daß sidi Margaret um Alan kümmert, steht für ihn endgültig fest: „ . . . in comparison with a loving human being, everything else is worthless" (EMS, S. 243). Über den Roman ist gesagt worden: „Its virtues . . . lie in a more felicitous development of character and incident, and in an integration of the whole action of the novel so that, unlike much in Two Solitudes and The Precipice, one feels that everything here really belongs to a single and rounded whole 8 0 "

Aber es fehlt auch nicht an kritischen Urteilen. So hat Bissell vermerkt: „Mr. MacLennan has failed to relate his ,idea' to character and action" 91 . Die melodramatische Zuspitzung des Geschehens, die auf Barometer Rising zurückweist, ,0 81

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G. Woodcock, .Review of Each Man's Son', S. 42. .Fiction', in: .Letters in Canada: 1951', UTQ, X X I , 1951/2, S. 264.

gibt jedoch zu denken. Offenbar reicht die Deutung, die in Ainslies Überlegungen zum Ausdruck kommt, nicht aus, die gewaltsame Lösung zu begründen. Tatsächlich nimmt die Handlung vom Standpunkt des achtjährigen Alan, der als einziger nicht weiß, was Sünde ist (EMS, S. 153), beinah mythologisch-legendäre Züge an. Alan erinnert sich an seinen Vater nicht. Immer wieder fragt er sich, wer eigentlich sein Vater sei, und immer wieder versucht er, ihn mit Dr. Ainslie zu vergleichen. „Is Father like Dr. Ainslie?" Die Mutter antwortet, er sei viel stärker. „Is he better than Dr. Ainslie?" Die Mutter sagt, „He is just different" (S. 11), und bezeichnet ihren Gatten dem Jungen zuliebe als „one of the most special fathers of anybody you've ever heard of" (S. 10). Gerade hat sie Alan versprochen, daß nach der Rückkehr des Boxers alles besser würde, als eine leere Muschel ans Ufer gespült wird. Alan hebt sie auf, behält sie und erinnert sich, wenn er sie rausdien hört, an seinen Vater (S. 45). Die Bemerkung seiner Mutter — „ . . . the shell is so old the noise in it is the oldest sound in the world" (S. 9) - beeindruckt ihn stark (S. 123). Aber Archie MacNeil kehrt vorläufig nicht zurück. Dafür kommt jetzt Alan öfters mit Dr. Ainslie zusammen, der ihm die Entstehung des Nebels, die Sternbilder und den Globus erklärt und einfach alles zu wissen scheint (S. 155): „As Alan thought about him, the doctor seemed to be hardly a man at all. He was the Doctor, far above everyone else he knew" (S. 45). Für ihn wie für seine Mutter ist Dr. Ainslie „the kindest man" (S. 19), und daher ist Alan traurig, als er Ainslie nicht mehr besuchen darf: „The biggest difference was not seeing Mrs. Ainslie and the doctor any more, even bigger than the change in his mother. It seemed to Alan as if he had begun to grow backward instead of forward, as though it were last year instead of this year." (S. 230)

Da er die Hintergründe nicht kennt, glaubt er, Camire sei die Ursache des Verbots, und hofft, sein Vater werde den Franzosen verjagen, damit der Doktor wieder ihr Freund würde (S. 231). Sein Wunsch geht in Erfüllung. Er hört Lärm im Wohnzimmer, eilt hinunter und sieht einen häßlichen Mann auf Camire einschlagen: „It was then that Alan saw what his father could do. So that was what it meant to be the strongest man in the world!" (S. 233) Entsetzt versteckt er sich, wird später von Ainslie gefunden und von dessen Frau mütterlich betreut. Wenn erst der Schock vorüber ist, wird er, so deutet MacKenzie an, in Ainslie seinen eigentlichen Vater sehen. Aus der Sicht des Jungen erscheint demnach die Handlung von Each Man's Son als eine Auseinandersetzung zwischen zwei gottähnlichen Vaterfiguren, ähnlich wie sich die Reflexionen des Arztes um zwei gegensätzliche Gottesauffassungen drehen. Sucht Ainslie nach MacKenzies Behauptung nicht nach einem Sohn, sondern einem Gott (S. 189), so wünscht sich Alan einen Vater, der alles kann, größer und mächtiger ist als die Väter seiner Freunde, muß aber erfahren, daß Archie MacNeil, der ihn nie geliebt und sich kaum um ihn gekümmert hat, tatsächlich „an empty shell" (im umgangssprachlichen Sinn) ist. Die Katastrophe ist dann auch ein Gleichnis dafür, daß sich das der Liebe feindliche Prinzip selbst zerstört und auch jene vernichtet, die Cape Breton entfliehen wollen, ohne 97

den „ancient curse" (Mollie MacNeil) oder ihre irreligiöse Haltung (Camire) überwunden zu haben. Es ist sinnvoll, daß nach den grauenvollen Ereignissen Alans „Mutter" Frau Ainslie wird, die keine Schottin ist, und sein „Vater" Dr. Ainslie, der für den Jungen, welcher um seinen inneren Kampf nicht weiß, von vornherein das Prinzip der Liebe verkörpert. Alan hat Ainslie vor allem in einem Lebensbereich kennengelernt, in dem dieser nie vom puritanischen Erbe bedrückt wurde: Als Arzt war er immer schon der aufopfernden Liebe fähig. „If it were not for his work, she [Margaret] thought, he would be intolerable: He was one of those rare doctors who invariably seem able to take a patient's ills upon themselves" (S. 27). So fügen sidi die vielen Szenen, die Ainslie bei der Arbeit im Hospital und bei Krankenbesuchen zeigen, reibungslos in den weiteren Rahmen ein und deuten darauf hin, daß Ainslie weniger die puritanischen Vorstellungen ablegt als zu seinem eigentlichen Wesen findet. Nun mag man freilich einwenden, daß die Aussagekraft und die Einheit des Werks unter der doppelten Perspektive leiden. Trotzdem ist Each Man's Son „a moving Performance" 92 , zwar nicht so einheitlich wie Barometer Rising, aber infolge der subtileren Charakteristik dem Erstling ebenbürtig. Im Unterschied zu The Precipice ist es MacLennan gelungen, die Hauptpersonen als Individuen zu zeichnen und sie dennoch zu repräsentativen Gestalten zu machen. Ganz entsprechend ist der Puritanismus nicht mehr nur ein individuelles, regional-soziologisch bedingtes Phänomen, sondern auch ein Symbol für eine Lebensauffassung schlechthin. Nach dem Mißerfolg von The Precipice ist daher Each Man's Son wirklich MacLennans „most necessary work" geworden.

5. The Watdi That Ends the Night (1959) Die Beobachtung, MacLennans „artistic vision" habe „an increasingly complex nature" 93 , gilt erst recht für das einstweilen letzte Buch unseres Autors. In der fast achtjährigen Entstehungszeit des Werkes ist sich nämlich MacLennan der Schwächen seiner ersten Romane in hohem Grade bewußt geworden und versucht — indem er noch einmal die alten Motive und Themen aufgreift — in The Watch That Ends the Night das Fazit seines bisherigen Schaffens zu ziehen. „At what personal cost" 94 — das läßt sich kaum ermessen. Jedenfalls ist der Roman nicht zufällig der vorläufige End- und Höhepunkt einer schriftstellerischen Entwicklung und zugleich das persönlichste Werk des Verfassers — in mancher Hinsicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen und den eigenen Erfahrungen. Für den Betrachter empfiehlt es sich daher, bei der Interpretation die vorangegangenen Romane ständig vor Augen zu haben. Ein Hauptproblem der ersten vier Werke ergab sich aus dem Spannungsver82 83 M

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Harrison Smith, ,Fate, the Prime Mover', S. 11. Hugo McPherson, ,The Novels of Hugh MacLennan', S. 187. R. Davies, .MacLennan's Rising Sun', SN, 28. 3. 1959, S. 30.

hältnis zwischen dem allwissenden Erzähler und den Romanfiguren. Infolge des Erzählstandpunkts mußte MacLennan, wenn er den inneren Reifeprozeß seiner Charaktere im Geschehen sichtbar gemacht hatte, seine Personen über die Ereignisse nachdenken lassen, um zu zeigen, daß sie zu den gleichen Schlußfolgerungen wie der Leser gelangt waren. Zweitens sah er sich beim Überspringen längerer Zeitabschnitte gezwungen, das, was seine über alle Welt verstreuten Romanfiguren in der Zwischenzeit erlebt hatten, nacheinander zu beschreiben 95 . Nur in den beiden vorwiegend personal angelegten Romanen Barometer Rising und Each Man's Son, die eine kurze Zeitspanne umfassen, war MacLennan einer Lösung des gestalterischen Problems nahegekommen. In The Watch That Ends the Night geht er den Schwierigkeiten dadurch aus dem Weg, daß er einen Ich-Roman schreibt. In der Darstellung des Geschehens liegt jetzt auch die Deutung, welche ihm die am stärksten betroffene Romanfigur gibt: „ N o w in his fifth book, he has gained a new mastery over the t w o strongest elements in his work; the story-teller and the self-explorer are one. The effect is virtually to double his stature. The Canadian novel takes a great stride forward 96 ."

Wie Sidney Skelton, der Ich-Erzähler in John P. Marquands Roman Melville Goodwin, USA97, ist MacLennans George Stewart ein Rundfunkkommentator, der sich in seiner Existenz bedroht fühlt und lernen muß, sich selbst zu behaupten. Bei Marquand bleibt dies ein äußerlicher Vorgang. Mit viel Glück und ohne eigenen Verdienst ist Sidney in die gut bezahlte Position hineingekommen und stellt eines Tages fest, daß einer seiner Mitarbeiter gegen ihn intrigiert. Mangels eines ausgebildeten Verantwortungsbewußtseins seiner Familie gegenüber würde er sich gar nicht zur Wehr setzen und sich mit zynischen Bemerkungen begnügen98, wenn ihn nicht der Zeitungsheld General Melville A. Goodwin, dessen Verbindungsmann zur Presse er geworden ist, zum Handeln veranlaßte. Bei MacLennan wird dagegen das Motiv der Gefährdung ganz verinnerlicht. Als Rundfunksprecher braucht George Stewart niemanden zu fürchten, ist doch seine Stellung im ersten Winter des Koreakriegs gesicherter als je zuvor. Auch mit dem Schicksal seiner schwerkranken Frau hat er sich, so glaubt er wenigstens, abgefunden: „I had made Catherine the rock of my life. As a boy, at least for a time, I had been religious and believed that God cared for me personally. In the Thirties I had said to myself: There is no God. N o w I had Catherine and Catherine's fate and that winter, feeling confident of being equal to it, I said to myself: ,What difference 85 In TS verlor der Erzähler einige seiner Personen aus den Augen. In TP versuchte er, dies zu vermeiden, indem er die Erfahrungen, die Bruce, Nina, McCunn, Marcia, Steve und Bratian während des Kriegs gesammelt hatten, nacheinander beschrieb (S. 225—254). Infolge der summarischen Darstellung fiel der ganze Abschnitt aus dem Werk heraus. 96 ,MacLennan's Rising Sun', S. 29. 97 Boston 1951. 98 Ebda., S. 35: „Helen often said that I was the most unsure man she had ever known, and I often told her that with things going the w a y they were I didn't see w h y it was worth while attempting to be sure of anything except eventual dissolution. Obviously this was not a constructive attitude, and I did not blame Helen for being annoyed by it, because I have often thought that women in general admire and need order more than men."

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does it make if there is no God? Or, if God exists, why worry if He is indifferent to justice?' For on account of Catherine I could not believe that if there is a God He is just. Catherine had a rheumatic heart whidi had handicapped her from childhood, and it was not on account of her sins, or of her parents' sins, that the seeds of this obscure disease had singled her out among hundreds of thousands of others who went free. A rheumatic heart is fate palpable and unavoidable. It cannot be contended against, it cannot be sidestepped and until very recently it could not be cured. Twice within the last few years Catherine had nearly been killed by it, and for such time as remained to her she must live with the sword dangling over her head every minute of every day. So had she to live and so had I. And I was proud that winter because — so I believed — I could do so without begging for help from a Power whidi, if It existed, I could not respect because It had allowed this to happen to the woman I loved." (TW, S. 6) Zum ersten Male fühlt sich George glücklich und geborgen, geht ruhig seiner Arbeit für den Rundfunk und einige Zeitschriften nach, hält literarhistorische Vorlesungen an der Universität McGill und betrachtet den friedlichen Campus und seine Wohnung als Inseln im lärmerfüllten M o n t r e a l " . Im Grunde ist er freilich unsicher und ängstlich geblieben. Manchmal fühlt er sich wie ein Überlebender aus einer Zeit, die er vergeblich zu vergessen sudit. Z w a r scheint es in jenem Winter, als ob „this pale twilight bathing the city erased time" (S. 4), so als sei die Vergangenheit unwiederholbar vorbei, doch die Erinnerungen lassen sich nicht verdrängen. „The glaciers are on the melt", wie einer seiner Studenten sagt. N a m e n wie „Mukden, Chapei, Addis Abeba, Guernica, Sudetenland, Eben Emael und Forges-les-Eaux" rufen Stewart die „terrible lesson in geography m y generation had learned" (S. 6) ins Gedächtnis zurück, und er muß sich eingestehen: „I have never felt safe" (S. 3). „I have often heard myself described as a ,mature' commentator, but I have never seemed mature to myself. The young seem more so because they know nothing of the 1930s. The young have the necessary self-confidence and ignorance to feel mature, and that is why I like them so much better than I like my own generation. Was there ever a crowd like ours? Was there ever a time when so many people tried, so pathetically, to feel responsible for all mankind? Was there ever a generation which yearned to belong, so unsuccessfully, to something larger than themselves?" (TW, S. 3—4) So bricht denn Stewarts mühsam gewonnenes Selbstvertrauen zusammen, als er eines Tages einen A n r u f von J e r o m e Martell erhält, einem seit 1941 totgeglaubten A r z t , Catherines erstem M a n n und Stewarts Freund 1 0 0 . Mit Jeromes überraschender Rückkehr aus den Konzentrationslagern der N a tionalsozialisten und Kommunisten taucht für George die Vergangenheit wieder auf, aber in einem ganz anderen Sinn, als in der folgenden Anmerkung eines K r i tikers zum Ausdruck k o m m t : „Jerome's role is not so mudi that of a character in the ordinary sense as that of a quasi-allegorical personification of the past whidi, as in all of MacLennan's novels, exercizes a determinist dominion over the people of whom he writes 1 0 1 ." Wenn George die Vergangenheit verdrängen will, so nicht deswegen, weil sie übermächtig, gefährlich, bestimmend ist, sondern weil er Angst vor der Zukunft Die autobiographischen Züge sind unverkennbar. Vgl. die Rückkehr Neils in BR. 1 0 1 G. Woodcock, .Odysseus Ever Returning*, T R , 11, Frühjahr 1959, S. 78.

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hat. Aus seinem Rückblick auf die Depressionsjahre lernt er, daß er genau wie früher künftige Krisen fürchten muß. Damals war er unsicher und hatte verzweifelt nach einem Halt gesucht. An Gott konnte er nicht mehr glauben, mit der marxistischen Weltanschauung vermochte er nur zeitweise zu sympathisieren, und erst später gelang es ihm, in der Liebe zu Catherine seine Angst zu vergessen. Er machte sie, wie MacLennan sagt, zu seinem Felsen und glaubte: „A man standing on a rock may believe himself strong enough to stand there forever" (S. 324). Jetzt muß er sich jedoch fragen: „But if an earthquake comes where is he?" Er weiß: „Jerome's return would bring close to her [Catherine's] consciousness the knowledge that the time left her was short" (S. 93). In der Tat verschlechtert sich Catherines Zustand nach ihrer Begegnung mit Jerome, sie muß nochmals operiert werden, und George ist gezwungen, sich jetzt, da er seinen einzigen Halt zu verlieren droht, erneut mit der Frage nach dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen. Diesmal nicht als junger unerfahrener Mensch, der sich immer noch Hoffnungen auf eine bessere Zukunft machen kann, sondern als vierundvierzigjähriger Mann, der selbst dem Tod näher gerückt ist und mit der geliebten Frau leidet und um das Leben kämpft. „Could I or could I not — could she or could she not — believe that this struggle had any value in itself?" (S. 342 — 343). Zunächst verzagt er. Dann erkennt er: Man muß sich selbst verlieren, um das Leben zu besitzen. „ M y subconscious rose. T h e subconscious — t h e g r e e d y , l u s t f u l , i n f a n t i l e s u b c o n scious, i n d i s c r i m i n a t e a n d u n c r i t i c a l d i s c o v e r e r of t r u t h s , h a l f - t r u t h s a n d d i i m a e r a s which a r e obscene f u s i o n s of f o e t a l truths, this source o f h a t e , l o v e , m u r d e r a n d s a l v a t i o n , o f p o e t r y a n d d e s t r u c t i o n , this E v e r y t h i n g in E v e r y m a n , h o w q u i c k l y , if it s w a m p s him, c a n it o b l i t e r a t e the character a m a n h a s spent a l i f e t i m e c r e a t i n g ! T h e n a m a n d i s c o v e r s in d i s m a y t h a t w h a t he b e l i e v e d t o be his i d e n t i t y is n o m o r e t h a n a t i n y c a n o e a t t h e m e r c y o f an ocean. S h a r k f i l l e d , p l a n k t o n - f i l l e d , r e f r a c t o r o f light, t e r r i b l e a n d m y s t e r i o u s , f o r y e a r s this o c e a n has seemed t o s l u m b e r b e n e a t h t h e t i n y i d e n t i t y it r e c e i v e d f r o m the d a r k r i v e r . N o w t h e o c e a n rises a n d t h e things w i t h i n it b e c o m e visible. L i t t l e m a n , w h a t n o w ? T h e ocean rises, all f r a m e s d i s a p p e a r f r o m a r o u n d t h e pictures, t h e r e is n o f o r m , n o sense, n o t h i n g b u t chaos in t h e d a r k n e s s o f t h e o c e a n s t o r m . L i t t l e m a n , w h a t now? . . . A n d the e a r t h w a s w i t h o u t f o r m , a n d v o i d ; a n d d a r k n e s s o n t h e f a c e of t h e deep.

. . . And the spirit of God moved upon the face of the waters. And God said: let there be light: and there was light 102 ." Stewarts „Abstieg" in die Tiefen seines Bewußtseins führt zu einer mystischen Erfahrung, die letzten Endes, wie er meint, nicht in Worten beschrieben, sondern höchstens in der Musik gestaltet werden kann:

„ I n music y o u c a n h e a r this k i n d of struggle t r a n s l a t e d . . ." „ I n t h e end, t h e n e w h a r m o n i e s r e s o l v e d , n o t h i n g o u t w a r d seems t o h a v e changed. T h e l i t t l e m a n is still a l i t t l e m a n . B u t w i t h i n he has been changed. F o r w i t h i n has h a p p e n e d w h a t the musicians a l o n e seem able t o r e c o r d : t h e r e s o l u t i o n of f e a r a n d c o u r a g e , l o v e a n d h a t e . . . — a l l of E v e r y m a n in the ocean of which t h e i d e n t i t y w a s t e m p o r a r i l y lost — i n t o an a c c e p t a n c e of h u m a n i t y ' s s u p r e m e i n v e n t i o n , his concept of t h e U n k n o w a b l e which a t t h a t i n s t a n t m a k e s a v a i l a b l e 102 T W , S. 3 4 3 . — V g l . C . G . J u n g , , Ü b e r die A r c h e t y p e n des k o l l e k t i v e n U n t e r b e w u ß ten', i n : Bewußtes und Unbewußtes, Beiträge zur Psychologie, Fischer Bücherei ( 1 9 5 9 ) , bes. S. 3 0 - 3 .

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His power, and for that instant existing becomes known. The musicians can show this happen . . . One musical idea uttered in the minor in a certain tempo is surrender, despair and suicide. The same idea restated in the major with horns and woods becomes an exultant call to life. This, which is darkness, also is light. This, which is no, also is yes. This, which is hatred, also is love. This, which is fear, also is courage. This, which is defeat, also is victory. Who knows the things of the spirit except the spirit of man which is within him? said St. Paul. So the final justification of the human plight — the final vindication of God himself, for that matter — is revealed in a mystery of the feelings which understand, in an instant of revelation, that it is of no importance that God appears indifferent to justice as men understand it. He gave life. He gave it. Life for a year, a month, a day or an hour is still a gift . . . the human bondage is also the human liberty." (TW, S. 344) Wie die Zitate zeigen, wird Stewarts religiöses Urerlebnis einmal in Bildern und Ausdrücken wiedergegeben, die der von C. G. Jung entwickelten tiefenpsychologisdien Terminologie entlehnt sind, zum andern in einer Reihe von Paradoxa, wie sie der traditionellen christlichen Mystik vertraut sind. Zwischen beiden Formulierungen besteht für MacLennan kein Widerspruch: „There is no reason why the mystical approach to a vision of God — the approadi followed by Jesus Himself — should be incompatible with modern scientific discoveries. Indeed, modern psychology has only corroborated the transcendent insight of Jesus into the workings of the human mind I0S ." In den beiden Formulierungen ist aber auch das Gestaltungsprinzip des Romans verborgen. MacLennan versucht, das, was nach Stewarts Ansicht nur die Musik tun kann, im Wortkunstwerk zu leisten, indem er mit Hilfe tiefenpsychologischer Gedankengänge das Geschehen symbolisch überhöht. Man kann geradezuvon einer paradoxen Grundkonzeption des Werkes sprechen, die sich voll und' ganz erst dann, wenn man beim Lesen den Schluß mitdenkt, erkennen läßt: The Watch That Ends the Night ist ein Zeitroman und ist es auch wiederum nicht. Das Werk fordert den Leser auf, jenes Mysterium „surrounding us" nachzuerleben, welches „the final and only sanction of human existence" ist (S. 372). Es gestaltet die Einsicht: „This, which is darkness, also is light" (S. 344). Mit Recht hat daher Malcolm Ross in einer leider kurzen Besprechung den Sinn des R o mans so zusammengefaßt: „The vanity of human wishes, death itself, are part of the mystery to be loved. There is no exit. One must seek not the way out but rather the way in. In a sense the world becomes a shadow — but ,1 loved it more than I had ever loved it', even though it is not to be subdued by the manifesto, the red front, or the H-bomb. Omnia exeunt in mysteria104." 103 ,A Second Look', in: CC, S. 153. Vgl. audi ,Help Thou Mine Unbelief*, in: CC, S. 132—48; C. G. Jung, .Einleitung in die religionspsydiologische Problematik der Aldiemie", a. a. O., bes. S. 60 f. — MacLennan weist der Wissenschaft die Aufgabe zu, „to formulate in intelligible terms the concepts of God-as-purpose and God-as-origin", meint aber gleichzeitig: „Yet it is only through mystical or poetic insight that man's ultimate experience — his relationship to the Universal Spirit can be realized" (CC, S. 156). Diesen Bemerkungen versucht im Roman einmal die analytische Technik, zum andern das Geschehen (Jeromes Schicksal als Symbol von Stewarts Erfahrung) zu entsprechen. 104 ,The Watch That Ends the Night', QQ, LXVI, Sommer 1959, S. 344.

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Wollen wir den Aufbau des Werkes einsichtig machen, so müssen wir den Roman gleichsam vom Anfang und dann vom Ende her interpretieren. Die erste Erzählphase, ein Abend im Februar 1951 (S. 3 — 50), entfaltet sich aus der Enoch-Arden-Situation. Kaum hat der Erzähler sich vorgestellt, Andeutungen über seine Vergangenheit gemacht und diese mit politisdien Reminiszenzen durchsetzt, da kommt jener Anruf, der Stewart, seine Frau und seine Stieftochter Sally zwingt, sich der Vergangenheit zu stellen. Obwohl Jerome für Stewart die Depressionszeit verkörpert, wehrt er sich gegen die Formel, mit der Sally ihren Vater beschreibt: „ ,What I meant about Dad was that he really fitted in and symbolised that whole awful period. Those appalling adolescent he-men like Hemingway and all those naive idealists thinking they were so terrific because they went to bed with each other to prove the capitalistic system stank.'" (TW, S. 20) Aber es fällt ihm schwer, Sally zu erklären, warum Jerome 1938 die Familie im Stich gelassen und sich an dem hoffnungslosen Spanienkrieg beteiligt hat. Er selbst muß sich erst fragen, was damals geschah. Angeregt durch Sallys Geständnis, sie liebe Alan Royce, drängt sich ihm jedoch zunächst die Erinnerung an seine Jugend auf, an den letzten idyllischen Sommer vor der Depression (S. 53 — 82). Er erinnert sich deutlich an einige Szenen im Hause seiner Familie, vor allem an die Besuche der tyrannischen Tante Agnes und an seinen friedfertigen, untüchtigen Vater, der im Garten die von ihm erfundenen Schußwaffen auszuprobieren pflegte und Catherine beinah mit einem Pfeil getroffen hatte 105 . Eigentlich lebte aber George in jenem Sommer in „Arcadia", in einer Welt, die er mit religiösen Bildern und Metaphern beschreibt. Unbeholfen und schüchtern, wie er war, hatte er sich zum erstenmal verliebt — in Catherine, der die Ärzte die Heirat verboten und nur wenige Jahre zu leben gegeben hatten. Mit der verzweifelten Entschlossenheit der Jugend will Catherine wenigstens die paar Jahre voll auskosten, doch George, dessen Liebe ihren Lebenswillen geweckt hat, hat nicht den Mut, sich gegen Tante Agnes und seine Eltern durchzusetzen und gemeinsam mit Catherine die Universität McGill zu besuchen. Der Sommer geht zu Ende, die Lebenswege der beiden jungen Menschen trennen sich, die Depression bricht herein. Die dritte Erzählphase spielt am ersten und zweiten Tag nach Jeromes Anruf (S. 85 — 103). In Ottawa hat Stewart ein Interview mit dem Minister und anschließend eine Aussprache mit dem ehemaligen Kommunisten Arthur Lazenby, der glaubt, Jeromes Rückkehr gefährde seine Stellung im Außenministerium, eine Befürchtung, die angesichts der Tätigkeit der amerikanischen Untersuchungsausschüsse berechtigt scheint. So nimmt es nicht wunder, daß sich Stewart, als er auf der Rückfahrt nach Montreal an der Waterloo Station vorbeikommt, an die Depressionsjahre erinnert und sie in einzelnen Szenen und überleitenden summarischen Berichten vergegenwärtigt (Herbst 1933 bis Sommer 1937: S. 107 —170, S. 2 1 7 - 2 9 3 ) . 105 In diese und andere zeittypische Szenen arbeitet MacLennan geschickt Anspielungen auf die Gegenwart hinein. Stolz meint Vater Stewart im Hinbiidt auf englische Pfeile: „. . . the English liked to kill clean" (S. 55). Dabei erinnert sich der Leser an die „clean bomb" nach dem zweiten Weltkrieg.

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Im Herbst war er nach Waterloo School gekommen, einem kolonialen Llanabba106, wo er fünf lange enttäuschende und bedrückende Jahre unterrichten mußte. Im Rückblick scheint ihm das, was er an der Schule, „seinem Waterloo", erlebte, nicht so wesentlich zu sein wie seine Wochenendfahrten nach Montreal, dessen Hauptstraße St. Catherine Street mit ihren Arbeitslosen für ihn zum Symbol der Depression geworden ist. Auf seinen Besuchen in Montreal gerät er an linksgerichtete Kreise. In Montreal trifft er aber auch Catherine wieder, die Frau, die er nie hatte vergessen können. Trotz ihres Gesundheitszustandes hat Catherine einem Kind das Leben geschenkt, weil Jerome Martell, der Mann „with the prizefighter's body surmounted by the doctor's face" 107 , der Ansicht war: „ , . . . the purpose of medicine is supposed to be the preservation of life. But that's not my idea of the purpose of medicine. My idea is to help people get the most out of what life they have'" (S.154). Jerome hat den Lebensmut bewiesen, den Stewart als Siebzehnjähriger vermissen ließ und auch jetzt noch nicht erlangt hat. Georges Verhältnis zu Jerome und Catherine ist daher eigenartig und verwickelt. Er neigt dazu, beide wegen ihres unbedingten Willens zum Leben zu glorifizieren. Er verehrt Jerome, der nur sieben Jahre älter ist, wie einen Vater und bewundert und liebt Catherine, haßt sie aber zugleich, weil er sich ihrem Einfluß nicht entziehen kann. Andererseits ist George der nüchterne Beobachter dieser Ehe. Er merkt, daß beide Menschen zuviel voneinander fordern. Catherine will in Jerome (um Thomas Manns Formulierung aus dem Roman Der Erwählte zu gebrauchen) ihr „Neben-Ich" finden. Jerome dagegen sucht bei ihr Zuflucht vor seiner Unsicherheit, was ihm jedoch seit dem Beginn der Depression und der Kriegsvorbereitungen nicht mehr gelingen will 108 . Er erinnert sich an seine Jugend, an seine schrecklichen Kriegserlebnisse und fühlt sich verantwortlich: „ .Somebody's got to walk out to the bull and the Spaniards are the only ones who are doing it. God knows how they can win this war, but what's that to do with us? Maybe the time to go to Spain is now, when you know they haven't got a chance?' " (S. 148) E r entschließt sich, als A r z t nach Spanien z u gehen, d e n n : „ ,A man must belong to something larger than himself. H e must surrender to it. God was so convenient for that purpose when people could believe in Him. H e was so safe and so remote.' " „ ,Now there is nothing but people. In Russia our generation is deliberately sacrificing itself for the future of their children. That's why the Russians are alive. That's why they're happy. They're not trying to live on dead myths.'" (S. 270—1)

Voller Schaudern beobachtet George, wie Jerome von seinen kommunistischen Freunden in die Irre geleitet109 und seine Einstellung zum Faschismus für politische Zwecke mißbraucht wird. Für Stewart wird die tragische Ironie, die in

Vgl. Evelyn Waugh, Decline and Fall, London 1928. Jerome vereinigt in der Tat die Eigenschaften des Boxers und des Doktors von EMS. los Y g j Steve Lassiters Verhältnis zu Lucy in TP. los Vgl. Jig kommunistische Versammlung, die Jerome besucht, mit der Veranstaltung der frankokanadischen Nationalisten in TS. 106 107

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Jeromes Abreise zum Ausdruck kommt, noch durch die Einsicht vertieft, daß Jerome eigentlidi seinen persönlichen Schwierigkeiten ausweichen will: „. . . this [political] fixation of Jerome was real and sincere, and its very violence, oddly connected with his own violent history, undoubtedly had made him lonely with a wife who feared for him and for herself and for her daughter and dreaded where his impulsiveness might lead him." (S. 223) Im Grunde ist Jerome immer noch der zehnjährige Junge, der in einem Kanu aus dem Holzfällerlager in New Brunswick vor dem Mörder seiner Mutter flieht 110 . Nicht zufällig steht diese großartig beschriebene Episode, die zeitlich am weitesten zurückgreift, im Mittelpunkt des Romans (S. 173 — 217), denn für Stewart wird Martells Jugenderlebnis zum Symbol der menschlichen Situation in einer Zeit der „violence". Mit Jeromes Verschwinden endet für George die Depression. Er hat eine Stellung als Rundfunksprecher erhalten, glaubt nach einer Rußlandreise, er könne sich mit dem Schicksal seines Vaterlandes identifizieren 111 , heiratet 1941 Catherine und täuscht sich jene Sicherheit und Reife vor (1938 bis 1951: S. 293 bis 324), die durch Jeromes Rückkehr in Frage gestellt werden. Der letzte Erzählabschnitt (2. Tag nach Jeromes Anruf bis Oktober: S. 327 — 373) behandelt schließlich die Folgen von Jeromes „Wiedergeburt" — Catherines Leidenszeit und Stewarts religiöse Erfahrung. The Watch That Ends the Night wird daher zunächst einmal als groß angelegter Zeitroman zu gelten haben, als die erste umfassende Interpretation der Depressionszeit aus kanadischer Sicht 112 . Im Unterschied zu Trillings The Middle of the Journey113 ist MacLennans Werk nicht nur „[a] philosophicalpolitical assessment of the left-wing movement that grew out of the Great Depression" 114 . Vielmehr fängt MacLennan die Fülle des Lebens ein, ohne sie wie in früheren Romanen auf ein oder zwei soziologische Thesen hin abzuziehen. Seine Personen sind im Gegensatz zu Two Solitudes und The Precipice, die die gleiche Periode behandeln, nicht mehr Puritaner oder Nationalisten, deren Reaktionen vorhersehbar sind. Selbst Nebenfiguren wie Harry und Norah Blackwell, Caroline Hall und Arthur Lazenby sind nicht eindeutig festgelegte Charaktere. Ihr Verhalten überrascht Stewart immer wieder, obwohl dieser stets „labels" für die Menschen, denen er begegnet, bereithält. Georges Beziehungen zu Catherine und Jerome sind so komplex, daß Robertson Davies zu dem Urteil kam: „ . . . it

no Ygi Roddies Eindrücke von der Katastrophe in Halifax und Alans Beobachtungen bei der Rückkehr seines Vaters. In stilistischer Hinsicht vgl. audi die Beschreibung des Unglücks in B R und des Boxkampfs in EMS. 1 1 1 „I even persuaded myself that here I had found the thing larger than myself to which I could belong." (S. 317) Vgl. dagegen die überhaupt nicht ironische Abwandlung des Heimkehrermotivs und des Nationalismus in BR, TS, TP. 1 1 2 Die Darstellungen von Irene Baird, G. R o y und S. Dewdney beschäftigen sich vor allem mit den Folgen der wirtschaftlichen Lage. 1 1 3 Eine interessante Parallele: Trillings John Laskell gewinnt erst nach einer langen schweren Krankheit, bei der er den Wunsch zu sterben verspürt, den nötigen Abstand, um die dreißiger Jahre beurteilen zu können. 1 1 4 W . A. Deacon, .People in Their Environment', TGM, 14. 1959, S. 16.

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is possible for three readers to interpret them [die Charaktere] in three different ways, and to provide evidence to support each point of view" 115 . Als Beispiel sei Jerome genannt, der dem von Hemingway geschaffenen Typ des „lost generation"-Helden noch am nächsten kommt. In der Kurzgeschichtenfolge In Our Time hatte Hemingway „a case history of the typical figure in Lost Generation literature" 116 gegeben, indem er die schockartige Wirkung des modernen Zeitalters, insbesondere des modernen Krieges, bereits in Nick Adams* Kindheitserfahrungen in den Wäldern Michigans vorweggenommen sah. Ähnlich blendet MacLennan in die Jugend Jeromes zurück und schildert in anschaulichem Reportagestil, was Jerome in dem Holzfällerlager von New Brunswick erlebt. Aber schon da zeigt sich, daß Jerome anders reagiert als Hemingways Charaktere. Rettet sich bereits der junge Nick Adams in die Rolle des wortkargen distanzierten Beobachters, der so tut, als sei er nicht betroffen, und der Ansicht ist: „You got to be tough" 117 , so verbirgt Jerome seine Gefühle nicht. Er hat Mitleid mit dem Ingenieur, haßt seine Mutter, die den Mann verhöhnt, ist entsetzt über den Mord, verzweifelt, daß seine Mutter tot ist, und hat Furcht vor dem Mörder. Auch später richtet Jerome im Gegensatz zu Hemingways Figuren keinen „code" auf, mit dessen Hilfe er sich vor der „violence" abkapselt. Er kann dies einfach nicht tun. Zwar erscheint er oft als der ganz dem Diesseits hingegebene, rücksichtslose, unbeherrschte Primitive, aber stets ist er zugleich auch Arzt, ein Mensch, der sich verantwortlich fühlt 118 . Sein Schicksal zeigt die problematische Situation des in der Zeit stehenden und handelnden Mensdien auf. Wie soll man zum Beispiel seine Entscheidung, nach Spanien zu gehen, beurteilen? Als Heldentat, politische Naivität, Sdieitern im Privatleben oder Flucht vor sich selbst? MacLennan weist auf all diese Interpretationsmöglichkeiten hin, Stewart und Catherine glauben 1937, Jerome fliehe vor sich selbst, aber schließlich — 1951 — scheint es, als habe Jerome erst durch seinen Entschluß zu sich selbst finden können. Damit ist angedeutet, welche Funktion die analytische Technik übernimmt, die sich wie bei Marquands Roman zwanglos aus der Erzählsituation ergibt. Der Vergleich der Vergangenheit mit der Gegenwart zeigt, daß sidi beide Perioden, wie der politisch interessierte Erzähler feststellt, stark unterscheiden. Nur in einem Punkt ähneln sie sich, und dieser eine Punkt ist darum das primäre Problem, dem sich beide Epochen gegenüber sehen und von dem aus alle anderen Phänomene und Motivierungen — der Kommunismus, der Nationalismus, die Armut und Arbeitslosigkeit der Depressionszeit — relativiert werden: Steht die Vergangenheit unter dem Vorzeichen des zweiten Weltkriegs, so die Gegenwart (die Zeit des Koreakriegs) unter dem der Atombombe. Das Problem ist dann ein ,MacLennan's Rising Sun', S. 29. J. W. Aldridge, After the Lost Generation Wars), New York 1951, S. 27. 115

116

(A Critical Study of the Writers of Two

117

,The Battler', The Short Stories of Ernest Hemingway, New York (Modern Libra-

ry), n. d., S. 228. — Vgl. Nicks Haltung in .Indian Camp'. 1 1 8 Bei Hemingway deutet sich erst in der Gestalt Robert Jordans (For Whom The Tolls) eine Wandlung in der beschriebenen Charakterauffassung an.

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Bell

religiöses: die Frage nach dem Sinn des Lebens, das im Bewußtsein des kommenden Todes geführt wird. In Catherine, die wegen ihrer Krankheit ständig mit dem Tod rechnen und diesen ins Leben einbeziehen muß, wird die Fragestellung gleichsam objektiviert, um dann in ihren Teilaspekten an dem Schicksal der Nebenfiguren erläutert zu werden. So scheint die potentiell religiöse „passion", wie sie in der Liebe der überzeugten Kommunistin Norah Blackwell zu Jerome und deren leidenschaftlichem „Engagement" zum Ausdruck kommt, fehlgeleitet und ganz ins Pathologische gezogen — damit aber zeittypisch — zu sein. George nennt Norah „a lunatic" (S. 300), Catherine meint, ihre Rivalin habe „a talent for the undignified" (S. 264 — 5), doch von einem zeitlich späteren Standpunkt aus urteilt Caroline Hall, man könne sie nicht verdammen: „Things were too much for her" (S. 301). Auch George hatte früher Mitleid mit Norah, weil er empfand, daß ihr Schicksal über sich selbst hinauswies: „She was everyman's daughter who might, given the circumstances, become everyman's loved one" 119 . Caroline Hall ist dagegen eine jener „mothering women", die wir aus The Precipice und Each Man's Son kennen. Obwohl sie während der Depression für George und andere Männer „the comfort of a dozen lonelinesses" (S. 121) gewesen ist, wird aus Stewarts Darstellung deutlich, daß diese entfernt an D. H. Lawrence erinnernde Art, wenigstens zeitweise persönliche Hemmungen und Zweifel zu vergessen und die eigene Sicherheit zurückzugewinnen, fragwürdig ist. George gesteht: „I was a failure and knew it. I honestly believed I had found my true level in jobs at Waterloo and in women in Caroline Hall" (S. 121). Als unzureichend erweist sich bei Jeromes Rückkehr auch die Möglichkeit, sich in den entscheidenden Lebensfragen an familiäre Bindungen zu klammern. Harry Blackwell fühlt sich erneut bedroht: Er hält Jerome für den Vater des Kindes, das er nach Norahs Tod als eigen angenommen hatte, weil er glaubte, er habe mit dem Kind endlich „a reason for living, something to cling to in a life which had become meaningless and horrible" 120 . Eine echte Lösung des existentiellen Problems stellt für George nur Martells Schicksal dar, denn Jerome hat in der Gefährdung das Rettende gefunden. „,When things become intolerable'", sagt Jerome zu George Stewart, „,— and for y o u they've become intolerable n o w — you must die within yourself. Y o u r soul is making y o u r body revolt against w h a t y o u think y o u h a v e t o bear. Y o u c a n only live again b y facing death. Then y o u o u t f a c e it. Y o u must say t o yourself, and mean it when y o u say i t : , W h a t difference does it m a k e if she dies? W h a t difference does it m a k e if I die? W h a t difference does it m a k e if I a m disgraced? W h a t difference does it m a k e if everything w e ' v e done means nothing?' Y o u must say those things and believe in them. Then y o u will live.' " ( T W , S. 3 6 5 — 6 )

Weder die Askese noch das Wissen um die Dogmen einer bestimmten Religions-

119 T W , S. 2 7 6 . Als J e r o m e N o r a h v e r l ä ß t , sagt er auch dem Kommunismus ab. 120 T W , S. 3 0 5 . — I n E M S erhielt D r . Ainslie erst dann einen „ S o h n " , als er seinen Egoismus überwunden und sich zu dem Glauben an einen liebenden G o t t durchgerungen hatte. F ü r H a r r y Blackwell dient dagegen das K i n d (das, wie er sich einredet, wirklich sein K i n d ist) als „Religionsersatz".

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gemeinsdiaft121 vermag dem Menschen zu helfen: einzig und allein die liebende Hinwendung zu dem Leben, das, wie man in sidi erfahren hat, unter dem Willen Gottes steht. Jeromes Mahnung — „Think of your life as lived" (S. 366) — weist auf die zweite Bedeutung der analytischen Technik hin, denn Stewart ist der Aufforderung nachgekommen und hat gleichsam die Richtigkeit des Psalmwortes bestätigt: „ . . . we spend our years as a tale that is told"122. Er ist in sich gegangen, hat in seinem Bewußtsein nach sich selbst, seinem eigenen Schatten gesucht und ist bis ins Unbewußte vorgedrungen, eine Tatsache, die MacLennan an der früher zitierten Stelle mit Hilfe tiefenpsychologischer Termini formuliert 123 , im ganzen Werk aber durch die Bildgebung zum Ausdruck bringt. Für den in sich versunkenen Erzähler sind die beiden Hauptfiguren Jerome und Catherine nicht nur Personen in einer bestimmten geschichtlichen Situation, sie sind auch archetypische Gestalten. In diesem Sinn trifft Georges Bemerkung — „Have I described Catherine? I don't think so. Probably I have only described myself" (S. 26) — durchaus zu. Catherine — „queen", „rode", „saint", „spiritual force" — ist „a flame in the dark" (S. 59). Sie hat die Schönheit eines Engels (S. 334). Ihr Haar läßt an „lightness of weight, of airiness" (S. 24) denken. In ihrer Stärke, ihrer „essence", „mystery", in ihrem „spirit" wäre George manchmal fast ertrunken (S. 25). Sie zieht Stewart an und stößt ihn ab, so daß er bis zu seiner mystischen Erfahrung darüber klagt, daß sie sich ihm bisweilen ganz entzöge (Motiv der „exclusion"). Sie ist der Archetyp des Lebens selbst124, die Anima 125 , wie Jung sagen würde: „Sie ist zwar chaotischer Lebensdrang, aber daneben haftet ihr ein seltsames Bedeutendes an, etwas wie geheimes Wissen oder verborgene Weisheit, in merkwürdigstem Gegensatz zu ihrer irrationalen elfischen Natur" 1 2 6 . Jerome ist dagegen „a force of nature", „a martyr", eine Christusfigur, vor allem aber Georges „spiritual father". Er ist der Archetyp des Geistes, der, wie 1 2 1 Gott wird zwar mit traditionell christlichen Wendungen beschrieben, doch sagt z. B. Jerome, in der N o t sei ihm Jesus ersdiienen: nicht der Jesus der Kirchen, der unserer Sünden wegen gestorben sei, sondern „simply a man who had died and risen again" (S. 330). 122 9Q Psalm. Der Titel des Buchs ist dem Lied „O, God, Our Help in Ages P a s t " von Isaac Watts entnommen, das auf dem 90. Psalm beruht: „A thousand ages in Thy sight / Are like an evening gone, / Short as the watch that ends the night / Before the rising sun." 1 2 3 Der Einfachheit halber analysieren wir die Bildgebung daher mit Hilfe der Einsichten C. G. Jungs. 1 2 4 Muß Catherine mit ihrer Krankheit leben, so St. Catherine Street in Montreal mit der Armut usw. (In Morley Callaghans The Loved and the Lost, Toronto 1951, heißt die Vertreterin der Montrealer Gesellschaft ebenfalls Catherine.) 1 2 5 Dem widerspricht die folgende Bemerkung nicht: „My own feeling is that the two men give what is best in life to a woman whom I could not really like; Catherine is a fine example of the spiritual vampire, living on the vital force of others. T o other readers, she may well seem a true heroine — in Jungian terms, the soul of the hero." (R. Davies, ,MacLennan's Rising Sun', S. 29) 1 2 6 C. G. Jung, ,Uber die Archetypen des kollektiven Unbewußten', a. a. O., S. 103.

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Jung im Hinblick auf den alten Mann im Märchen bemerkt, immer dann erscheint, „wenn der Held sich in einer aussichtslosen und verzweifelten Situation befindet, aus der ihn nur gründliche Überlegung oder ein glücklicher Einfall befreien kann" 127 . So hat Jerome erstens George die Stellung eines Rundfunkkommentators verschafft, womit für diesen die Depressionszeit zu Ende ging128. Zweitens ist er auf wunderbare Weise zur rechten Zeit zurückgekommen und hat Stewart, bevor er Catherine verlor, gezwungen, sich zu einer neuen Einstellung zum Leben durchzuringen. Jeromes Jugenderlebnis wird dabei zum eindrucksvollen Symbol von Stewarts Gefährdung — „Then a man discovers in dismaythat what he believed to be his identity is no more than a tiny canoe at the mercy of an ocean" (S. 343) — und Jeromes Rückkehr und Wiedergeburt zum Gleichnis seiner inneren Erfahrung. The Watch That Ends the Night ist daher nidit nur ein Zeitroman. Was in Stewarts Rückblick als die schlimmste Zeit seines Lebens erscheint, ist in seiner Selbstanalyse ein überzeitlicher Ort der Gefährdung (das Unbewußte), zu dem man vorstoßen muß, um gerettet zu werden129. So kann der Erzähler mit Recht behaupten: „ . . . I think of this story not as one conditioned by character as the dramatists understand it, but by the spirit. A conflict, if you like, between the spirit and the human condition" (S. 25). Wird unsere Interpretation dem Werk einigermaßen gerecht, so ist einsichtig, daß die Einheit des Romans mit der Glaubwürdigkeit der Hauptperson, der des Erzählers, steht und fällt: „Stewart must experience Catherine's living ,love-death' — and yet he must survive it. He must experience Martell's Utopian bravado — and die to it with Martell and because of Martell. He must be deep enough in all the hope and pain and vainglory and death to die into a life that is not to be lived without such a death. He must be a residual centre of meaning, showing forth the meaning of all the lives he has touched 130 ."

Warren Tallman, der in seiner Besprechung den religiösen Charakter des Romans nidit erkennt, behauptet, Stewarts „mania for handing out crashing complacencies on almost every imaginable major consideration in life" sei mit „his mania for emphasizing his many insufficiencies" unvereinbar131. Er übersieht völlig, daß Stewart dem literarischen „stock type" des naiven Erzählers entspricht und die beiden Grundzüge seines Wesens innerlich verbunden sind. Ein zweiter SereC. G. Jung, ,Zur Phänomenologie des Geistes im Märchen', a. a. O., S. 103. Zur gleichen Zeit vermittelt Jerome Arthur Lazenby eine Anstellung im Außenministerium. Vorher hatte er Catherine Lebensmut eingeflößt, und später — 1951 — heilt er z. B. Harry Blackwell von seiner „obsession with Norah" (vgl. S. 356 ff.). 1 2 ' Bezeichnend ist, daß George und Lazenby die Jahre vor 1939 als die Zeit des Lebens, die Jahre danach als die Zeit der Karriere auffassen. (TW, S. 100) 130 Malcolm Ross, ,The Watch That Ends the Night', S. 344. 131 ,An After-Glance at MacLennan', CL, 1, Sommer 1959, S. 81. — Tallmans zweiter Einwand beruht auf einer richtigen Beobachtung: „. . . MacLennan's artistic powers assert themselves with exceptional effectiveness when he is representing persons driven to experiential extremes and falter markedly when he is representing his intrinsically less interesting but nonetheless central types of the ruminative mind" (a. a. O., S. 81). MacLennans „fictional house" zerfällt aber nicht, weil in der Mitte des Werkes ein Erlebnis 187

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nus Zeitblom 132 , ist Stewart ein guter Beobachter, hat sich über viele Dinge eine eigene Meinung gebildet und spricht sie offen aus. Diese Eigenschaften befähigen ihn, einen Zeitroman zu schreiben. Doch nicht alle Ereignisse, weiß er, lassen sich in der ihm gewohnten Art (schließlich arbeitet er für den Rundfunk und die Zeitungen) analysieren. Dem Irrationalen steht er fremd gegenüber, und so setzt er sich denn, wenn er von Catherine und Jerome spricht, selbst herab, sagt, er könne Catherine nicht beschreiben, oder sieht in Jerome mehr als einen Durchschnittsmenschen. Obwohl und weil er Intellektueller ist, hat er „the grace to wonder" 1 3 3 : seine Selbsterniedrigung offenbart auch seine Demut. Für die Charakteristik dieses Erzählers hat MacLennan viele Schwächen seiner früheren Romane fruchtbar gemacht — so den Hang zur Verallgemeinerung, die Neigung zu schablonenhafter Menschendarstellung und die Gehemmtheit bei der Behandlung des Gefühlslebens. Da MacLennan außer im letzten Teil stets den nötigen Abstand zu den Schwächen seines Erzählers wahrt 1 3 4 , ist The Watch That Ends the Night ein gelungener, eigenwilliger Beitrag zu der Gegenwartsliteratur, die wie bei Maugham, Huxley, Waugh und Graham Greene aus der Alternative „Chaos oder Erlösung" lebt 135 . Der Roman, der so viele Motive der früheren Werke aufgreift, erfüllt durchaus die Erwartungen R. E. Watters': „A clear conception may be achieved by slow conscious process and effort, but by practice it can come to seem obvious, even instinctive" 136 .

beschrieben wird, das zu „some o f the finest writing o f Our time" gehört. Jeromes J u genderlebnis muß einfach eindrucksvoll sein, denn MacLennan will hier die Erfahrung verdichtet darstellen, die seine Figuren im Verlauf des ganzen Romans zu bewältigen suchen. 1 3 2 In Thomas Manns Dr. Faustus. 133 O ' H e a r n , ,A Sense of Wonder Preserved and Shared', The New York Times

Book Review, 15. 2. 1959, S. 5.

1 3 4 So läßt er Stewart nachträglich (1951) früher gefaßte Überzeugungen und v o r schnelle Urteile revidieren (vgl. Stewarts Einstellung zum Nationalismus, zu Martell und zur Depressionszeit), wodurch auch seine Bemerkungen zum Koreakrieg als solche eines in der Zeit stehenden Menschen enthüllt werden. Gern stellt MacLennan der Verallgemeinerung seines Erzählers eine andere Aussage zur Kontrolle gegenüber: Kaum hat Stewart zu verstehen gegeben, Jerome verkörpere für ihn die dreißiger J a h r e (S. 7), als Sally dasselbe behauptet (S. 20) und ihn zwingt, sein eigenes Urteil zu überprüfen. I m Schlußteil scheint sich MacLennan dagegen mit Stewart zu identifizieren, so daß dessen eigenartig gehemmte Art, über persönliche Erfahrungen zu sprechen, mitunter peinlich wirkt. Gegenteiliger Ansicht ist Hermann Boeschenstein, der die Sdilußkapitel vor allem in thematischer Hinsicht „zum besten" rechnet, „was MacLennan geschrieben h a t " (a. a. O . , S. 134). 135 Ygi Horst Oppel, .Englische Erzählkunst', Die lebenden Fremdsprachen, I , 1949, S. 1 6 1 - 7 , 2 9 1 - 9 ; I I I , 1951, S. 1 0 0 - 1 2 . 1 3 6 ,Hugh MacLennan and the Canadian Character', S. 243—4. D o r t nur im Hinblick auf die Darstellung des kanadischen Milieus gesagt.

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V. Grundzüge des Erzählens bei Hugh MacLennan „. . . edite Tradition, nicht bloßen Traditionalismus wird es nur da geben, wo es, ohne den Bodensatz des Ressentiments, zu einer guten Begegnung der alten Bestände mit den neuen Wirklichkeiten kommt

i . Vorbemerkung Zur Zeit beschränkt sich MacLennans Beitrag zur englischsprachigen Literatur auf die besprochenen Aufsätze und Romane. Da wir weitere Werke erwarten dürfen, ist es noch nicht möglich, eine endgültige Aussage über sein Schaffen zu machen. Doch lassen sich aus einer vergleichenden Betrachtung der erschienenen Romane bereits Anhaltspunkte für seine Beziehungen zur Tradition und seinen Rang als Schriftsteller gewinnen. Bei der Interpretation von The Watch That Ends the Night ist deutlich geworden, daß der Umkreis, dem MacLennans Motive entstammen, klein ist. Immer wieder wandelt MacLennan schematisch gleiche Situationen ab. So löst die Rückkehr eines Totgeglaubten im ersten und im letzten Roman die Handlung aus und beeinflußt — allerdings unterschiedlich — ihren Verlauf. Manchmal stimmen die Motive aber auch in ihrer Funktion und in den Einzelheiten ihrer gegenständlichen Entfaltung überein. Soll das Motiv des Ehebruchs in vier Romanen (TS, TP, EMS, TW) den Protest einer Figur gegen ihre Umwelt zur Anschauung bringen, so wird in drei Werken die Grunderfahrung des modernen Menschen darin gespiegelt, daß ein Kind eine unabwendbare Katastrophe miterlebt, die den Tod des Vaters (BR) oder den der Mutter (EMS, TW) herbeiführt2. Auch in thematischer Hinsicht ähneln die Romane einander, verbergen sich doch hinter dem Problem des Nationalismus (BR, TS, TP) und der Frage nach dem religösen Sinn des Lebens (TP, EMS, TW) der Wunsch und die Suche nach einem Halt in einer aus den Fugen geratenen Welt. Es wäre methodisch denkbar, den weltanschaulichen Hintergrund der Romane zu beschreiben und dann die Motive und formalen Erzählmittel, die MacLennan zur Verfügung stehen, systematisch zu erfassen. Auf diese Weise ließe 1 Günter Blöcker, Die neuen Wirklichkeiten (Linien und Profile der modernen Literatur), Berlin 1957, S. 9. 2 Hierher gehört das schockartige Erlebnis Marius Tallards. Der Junge beobachtet, wie sein Vater seine todkranke Frau betrügt.

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sich vielleicht MacLennans „imaginative range" bestimmen, aber über die Art und Gliederung der dichterischen Wirklichkeit, die in seinen Werken entsteht, wäre damit freilich nur wenig gesagt. U n d dabei kommt es doch auf diese gestaltete Welt an: „Sie macht dasjenige aus, was wir als unwiederholbar, als einmalig empfinden, was weder einfach .nachgeahmt' nodi audi durch irgendwelche geistesgeschichtlichen oder kultursoziologischen Reflexionen ersetzt werden kann. Diese Welt besteht nun zwar in gewissen Bedeutungsgefügen, zu denen mannigfache Gestaltungsmittel beansprucht sind. Sie besteht aber keineswegs in Begriffsgefügen oder gar in einem theoretischen System, welches durch pure Aufzählung der erzähltechnischen Einzelgriffe gegeben wird 3 ." Durch die Ablösung der formalen Elemente vom Grundgehalt des Werkes würde, wie die widersprüchlichen Äußerungen zweier Kritiker beweisen, auch die literarhistorische Zuordnung erschwert. So hat zum Beispiel Claude Bisseil MacLennans Werk aus folgenden Gründen in eine ältere Tradition gestellt: „We might summarize the technical characteristics of the Victorian novel as follows: The novelist is a story-teller who knows everything, who is in possession of all the relevant information — information about the external world of action and the internal world of thought and emotion; and he presents this information in a form that is immediately intelligible to the reader. His judgements on characters are final and absolute, and he may even pause in the course of the story to read us a lecture on the significance of a speech or action. MacLennan does not, however, rigidly follow this well-beaten path. In his work you will find none of the direct preaching in which the Victorians and not a few contemporaries indulge. That can be done most easily when the novelist divides his fictional world into distinct areas of blade and white, and MacLennan is too much aware of the complexities of life to do this 4 ." Demgegenüber hebt McPherson, der von der inhaltlichen Aussage und dem Wesen der Charaktere ausgeht, am Ende einer Besprechung von Each Man's Son den modernen Aspekt des MacLennanschen Schaffens hervor: „One need only consider the widely contrasted works of Virginia Woolf and Franz Kafka to visualize the diverse areas which Mr. MacLennan is n o w attempting to synthesize" 5 . Im Folgenden werden wir bemüht sein, die formalen Erzählmittel auf den Gehalt der Werke zu beziehen. Dabei rücken wir vor allem die Elemente ins Blickfeld, die nach Wolfgang Kayser „Welt" schaffen; nämlidi „Figur, Raum und Geschehen" 6 .

3 Horst Oppel, Die Kunst des Erzählens im englischen Roman des 19. Jahrhunderts, Bielefeld 1950, S. 24. 4 .Introduction', Two Solitudes (Arranged for School Reading . . .), S. xxii-xxiii. Vgl. C. Bissell, .The Novel', in: The Arts in Canada, S. 93. 5 ,The Novels of Hugh MacLennan', S. 198. • Das sprachliche Kunstwerk, Bern 1954, S. 62.

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2. Die Romanfiguren „ . . . in a large sense", meint Daniel Howard 7 , „the [character's] search for identity is the theme of every novel". Welche „identity" die Romanfigur erwirbt, läßt sich an ihrer Einstellung zur Gesellschaft ablesen. In Catastrophe and Imagination8 hat John McCormick die englischsprachige Romanliteratur auf diesen „sense of society" hin befragt und drei Phasen unterschieden. Zunächst sind „character" und „society" miteinander identisch: Tom Jones wächst infolge und trotz seiner Abenteuer in die Gesellschaft hinein. Auf der zweiten Stufe (zum Beispiel bei Crane, H a r d y und Moore) gerät das Individuum mit der U m welt in Konflikt, weil es ihre Werte anzweifelt, sich gegen ihre Macht auflehnt oder sich dieser Macht unter persönlichen Opfern beugt. Eine dritte Phase zeichnet sich im modernen Roman ab. Die gesellschaftliche Ordnung scheint zerbrochen, der Mensch auf sich selbst gestellt, die alte Romanform zertrümmert: „Stream-of-consciousness techniques can be viewed as the devices by which historical and social fragmentation are at once recorded, shaped, and transformed through the writer's necessary task of selection and emphasis" 9 . Tragen w i r diese Überlegungen an das Werk MacLennans heran, so müssen w i r seine Romanfiguren in zwei Gruppen einteilen. Da sind einmal die Vertreter der kolonialen, puritanischen Gesellschaft: Colonel W a i n (BR), Huntley McQueen, Janet Methuen (TS), J a n e Cameron (TP), Reverend MacAlistair, M a g i strate MacKeegan (EMS) und die Eltern George Stewarts ( T W ) . Sie gehören meist der älteren Generation an und werden durchweg ironisch, manchmal auch humorvoll gesehen. In Galsworthys Forsyte Saga und Sinclair Lewis' Babbitt stünden sie im Mittelpunkt des Geschehens. Bei MacLennan werden sie aber in die Rolle von Nebenfiguren gedrängt, denn ihre Anschauungen gelten als überholt. Beinah beziehungslos stehen die eigentlichen Hauptpersonen der alten Gesellschaft gegenüber oder können sich wenigstens von ihr lösen, ohne w i e H a r d y s J u d e ihre Macht am eigenen Leibe verspüren zu müssen. Diese Behauptung trifft auch auf The Precipice zu, den Roman, der den Einfluß des Calvinismus am stärksten betont. Auf den ersten Blick scheint allerdings bei diesem Roman Woodcocks Bemerkung, MacLennan füge sich in eine ältere Tradition ein und erinnere an Arnold Bennett 10 , durchaus angebracht. Lucys Verhältnis zu ihrer Schwester Jane ist zum Beispiel in The Old Wives' Tale vorgebildet. Wie J a n e bleibt Constance zurück, als die jüngere Schwester ihrem Geliebten in die Großstadt folgt, und ist bei ihrer Rückkehr froh und bedrückt zugleich: „It is strange how fate persists in justifying the harsh generalizations of Puritan morals, of the morals in which Constance had been brought up by her stern parents! Sophia had sinned. It was therefore inevitable that she should suffer. An adventure such as she had in wicked and capricious pride undertaken with Gerald Scales, could ,The New Criticism of the Novel', The Kenyort Review, XXI, Frühjahr 1959, S. 311. London 1957, bes. S. 16—66. »Ebda., S. 60. 10 G. Woodcock, ,Hugh MacLennan', S. 5.

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not conclude otherwise than it had concluded. It would have brought nothing but evil. There was no getting away from these verities, thought Constance. And she was to be excused for thinking that all modern progress and cleverness was as naught, and that the world would be forced to return upon its steps and start again the path which it had left." „Yes, Constance's heart melted in an anguished pity for that stormy creature. And mingled with the pity was a stern recognition of the handiwork of divine justice. To Constance's lips came the same phrase as had come to the lips of Samuel Povey on a different occasion: God is not mocked! The ideas of her parents and her grandparents had survived intact in Constance. It is true that Constance's father would have shuddered in Heaven could he have seen Constance solitarily playing cards of a night. But in spite of cards, and of a son who never went to chapel, Constance, under the various influences of destiny, had remained essentially what her father had been. Not in her was the force of evolution manifest. There are thousands such "." Sophias Rückkehr in die Five Towns weist darauf hin, daß man gegen seine Umwelt rebellieren, sie aber nicht überwinden kann. „Everything that is", sagt Bennett in seinem Buch Sacred and Profane Love12, „is the ordered and calculable result of environment. Nothing can be abhorrent, nothing blameworthy, nothing contrary to nature". So muß denn auch Anna Tellwright, eine der Frauen, „who through the error of destiny have been born into a wrong environment" 13 , ihrer Umgebung wegen der Liebe zu Willie Price entsagen. MacLennan läßt dagegen keinen Zweifel daran, daß Lucys Verhalten richtig ist. Zwar sucht sie, als Steve sie verlassen hat, in Grenville Zuflucht, doch erkennt sie ironischerweise in ihrer Heimat, wie das puritanische Erbe bewältigt werden kann. Gleich Lucy machen alle Hauptfiguren MacLennans eine Entwicklung durch. Meist werden sie infolge einer traumatischen Erfahrung der Gesellschaft entfremdet. Das Kriegserlebnis isoliert Neil Macrae und Jerome Martell, die Depression Paul Tallard, Steve Lassiter und George Stewart, die Einsicht in die Sinnlosigkeit des Lebens auf Cape Breton Dr. Ainslie und seinen Freund Murray. In diesem Stadium können sich die Personen nicht mehr in die trügerische Sicherheit der überkommenen Normen flüchten und sind auf sich selbst zurückgeworfen. Neil verzichtet auf die Auseinandersetzung mit dem alten Wain. Paul Tallard kapselt sich ab und verachtet die Ratschläge McQueens. Bruce Frazer, George Stewart und Catherine lösen sich von ihren Eltern, und Dr. Ainslie zieht sidi auf sein Zimmer zurück. Selbst die Liebenden (Steve und Lucy, Catherine und Jerome) können einander die Einsamkeit nicht verstellen 14 . Kommt es zu einer Begegnung, so wirkt der Dialog wie in Köstlers Romanen Darkness at Noon und The Age of Longing oft verkrampft und angespannt, weil die Gesprächspartner gegensätzliche Meinungen verfechten und sich auf keiner Ebene einigen können: Die innere Verlassenheit des skrupellosen Geschäftemachers (Geoffrey Wain, McQueen, Bratian), der religiösen Eiferin (Jane), des Fanatikers (Marius) und The Old Wives' Tale, London (Penguin) 1954, S. 555. Leipzig (Taudinitz), n. d., S. 220. Anna of the Five Towns, Leipzig, n. d., S. 15. Rilkes Bemerkung, Liebe bestehe darin, „daß zwei Einsamkeiten einander sdlützen, grenzen und grüßen", wird als Motto TS vorangestellt und audi in TW aufgegriffen. Vgl. R. M. Rilke, Briefe an einen jungen Dichter, Wiesbaden 1956, S. 39. 11 12 13 14

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der kinderlosen F r a u ( M a r c i a Stapleton, Frau Ainslie) steht neben der Einsamkeit des Idealisten (Athanase) und des Entwurzelten. D i e Desillusion kennzeichnet jedoch nur die Ausgangssituation. W i e wir festgestellt haben, ist M a c L e n n a n als K r i t i k e r von dem Lebensempfinden der R o m a n e abgerückt, die E d m u n d Fuller mit den W o r t e n beschreibt: „From this disillusionment we get that terrible spate of novels now current in which man is seen specifically and insistently as an ironic biological accident, inadequate, aimless, meaningless, isolated, inherently evil, thwarted, self-corrupting, morally answerable to no one, clasped in the vise of determinisms economic or biological. His uniqueness as person is denied or suppressed. He inhabits a hostile universe which is the creation of irrational and possibly malignant forces 1 5 ." Stets besinnen sidi MacLennans Gestalten auf Möglichkeiten, die Isolierung zu sprengen und die „ F a r e w e l l - t o - A r m s " - S t i m m u n g — in drei R o m a n e n ( T S , T P , T W ) wird Hemingways W e r k diskutiert — abzustreifen. D a b e i spricht M a c L e n n a n der deterministisch-pessimistischen Weltanschauung nicht jeden W a h r heitsgehalt ab. E r zeigt, wie lange George S t e w a r t unter seinem V a t e r k o m p l e x leidet und wie stark der Einfluß der U m w e l t ist; er deutet an, daß Marius T a l lards Handlungen letztlich auf ein Sexualtrauma zurückzuführen sind; er l ä ß t Athanase T a l l a r d scheitern: „Now he knew that she [seine Frau] had guessed what his compulsion was, that it had often been no more than the product of his physical condition at various times of is life. His nature had always demanded a new idea of itself, and when he had his vigour, women had provided it. Now no woman could satisfy him, nor he a woman. Nothing was left him but principles and ideas. ,God', he thought, ,is that all there is to it?' And then it occurred to him that perhaps all wars and revolutions and movements of history started from sources just as trivial and undignified." (TS, S. 176) M a c L e n n a n macht sich also die Erkenntnisse der modernen Psychologie (manchmal in recht mechanischer Manier) zu eigen 1 6 , unterstreicht jedoch ihre therapeutische Bedeutung, wenn er seine C h a r a k t e r e durch die Selbstanalyse gesunden l ä ß t . I m Gegensatz zu vielen modernen Schriftstellern leugnet er im F a l l e J e r o m e Martells und anderer Figuren, daß die gesamte Entwicklung des Menschen von schockartigen Kindheitserlebnissen bestimmt wird. Ähnlich grenzt er in seiner Auseinandersetzung mit Spengler den Bereich des soziologisch-historischen Determinismus ein (siehe oben, K a p i t e l I I I , 2). W o h l gibt es: „. . . tides in the affairs of men that no individual can possibly stem. There are times when the process of events is seen, with pitiless clarity, to be issuing from formal causes far remote, when individuals are like flies on a torrent, when almost every one seems to want something not to happen, and yet later ages, looking back, see that it had to happen " . " T r o t z d e m treffe Spenglers These, der Aufstieg und V e r f a l l der K u l t u r e n sei 15 Man in Modern Fiction (Some Minority Opinions on Contemporary American Writing), New York 1958, S. 1 1 - 2 . 1 6 „. . . the novelist knows that he cannot ignore the scientific psychologist . . . Somehow he must absorb scientific psychology into his work without destroying his art through pedantry." (,The Challenge to Prose', S. 53) 1 7 ,Roman History and To-Day', S. 71.

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eine naturgesetzlidie Notwendigkeit, nicht zu: „...Spengler to-day seems to have been blinded by the worldweariness of the period as well as by his own a priori position" 18 . Der Untergang einer Kultur läßt sich nach MacLennans Meinung abwehren, wenn man sich in der Krise auf die unausgenutzten Möglichkeiten 19 besinnt und neue Werte und Ziele setzt: „It is impossible to resuscitate permanently any civilization without either altering the formal cause 20 which has brought it into trouble or fundamentally altering the direction of its activity" 21 . Im Privatleben kann der Mensch wie Captain Yardley jederzeit alte Vorurteile überwinden. Will er aber die Struktur der Gesellschaft von Grund auf verändern, so wird er wie Athanase Tallard an den äußeren Umständen scheitern oder im günstigen Moment — wie Neil Macrae und dessen Generation — Erfolg haben: „At such a point of time, if ever, a man can resemble a god, for then he can lay causes"22. Der „death wish", das Wirken des Unterbewußten und des Zufalls, die Katastrophenstimmung werden damit nicht ausgeklammert, doch wird wie bei Arnold Toynbee das apokalyptische Vokabular der Erkenntnis untergeordnet, daß der Mensch „ . . . nicht nur leidend und duldend, sondern mitbestimmend und mitentscheidend am Gang des Ganzen Anteil hat. Hier endlich ist die düstere Prophezeiung [Spenglers], die sonst unsere Gespräche über das Schicksal des Abendlandes überschattet, in den Aufruf an Wille und Tat verwandelt" 23 . Es ist daher nicht bloßer Traditionalismus, wenn MacLennans Figuren nicht mit der Technik des Bewußtseinsstroms, sondern teilweise mit den formalen Mitteln früherer Schriftsteller charakterisiert werden. Da MacLennan den Menschen wieder in die freie Entscheidung stellt, kommen der Reflexion und den Handlungen der Gestalten eine größere Bedeutung zu als den Stimmen und Regungen des Unterbewußten. Darum scheut sich MacLennan nicht, „Mrs. Brown" 24 von außen zu sehen und als allwissender Erzähler ihre Überlegungen in der klar geordneten erlebten Rede wiederzugeben. Die Art und Weise, wie er Penelope Wain in das Romangeschehen einführt, erinnert zum Beispiel an George Eliots Beschreibung von Lisbeth Bede: „The door of the house is open, and an elderly woman is looking out; but she is not placidly contemplating the evening sunshine; she has been watching with dim eyes the gradually enlarging speck which for the last few minutes she has been sure is her darling son Adam. Lisbeth Bede loves her son with the love of a woman to whom her first-born has come late in life. She is an anxious, spare, yet vigorous old woman, clean as a snowdrop. Her grey hair is turned neatly back under a pure linen cap with a black band round it; her broad chest is covered with a buff neckerchief, and below this you see a sort of short bed-gown made of blue-checkered linen, 18

Ebda., S. 78. Z. B. das Wirtschaftspotential. 20 In der abendländischen Welt ist z. B. „private enterprise" „a cause". 21 ,Roman History and To-Day', S. 78. 22 Ebda. 23 Horst Oppel, .Zwischen Chaos und Erlösung', Die lebenden Fremdsprachen, III, 1951, S. 100. 24 Vgl. Virginia Woolf, Mr. Bennett and Mrs. Brown. Siehe audi V. Woolf, .Modern Fiction', in: The Common Reader (First Series), London 1925. 19

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tied round the waist and descending to the hips, from whence there is a considerable length of linsey-wolsey petticoat. For Lisbeth is tall, and in other points too there is a strong likeness between her and her son Adam. Her dark eyes are somewhat dim now — perhaps from too much crying — but her broadly-marked eyebrows are still black, her teeth are sound, and as she stands knitting rapidly and unconsciously with her work-hardened hands, she has as firmly-upright an attitude as when she is carrying a pail of water on her head from the spring. There is the same type of frame and same keen activity of temperament in mother and son, but it was not from her that Adam got his will-filled brow and his expression of large-hearted intelligence 25." In Barometer Rising wie in Adam Bede beobachten die Verfasser eine Figur, die selbst Beobachter ist. Nidit die Umgebung interessiert sie, sondern die Erscheinung, welche ihre Stellung im Leben näher bestimmt. Sieht Lisbeth Bede ihren Sohn herankommen, so erspäht Penelope in der Dämmerung das Schiff im Dock, Last- und Güterwagen, „all p a r t of her w o r k " (BR, S. 16). Anschließend beschäftigen sich beide Autoren mit dem Verhältnis der Personen zu ihren Aufgaben und interpretieren das Bild, das sie kurz entworfen haben. Eliot erklärt Frau Bedes Liebe zu ihrem Sohn, und wesentlich zurückhaltender u n d knapper deutet MacLennan Penelopes innere Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit an: „There was something delicate, something extremely fragile in the appearance of the girl alone against that angular background of motionless machinery and silent engines" (BR, S. 16). D a n n beschreiben beide Erzähler kurz das Aussehen der Figuren und verlassen abermals den Standpunkt des Beobachters, um Dinge zu berichten, die den Personen selbst unbekannt sind. George Eliot erörtert die Frage der Familienähnlichkeit, während MacLennan sdion jetzt, bevor Penelope anderen Menschen begegnet ist, sagt: „ . . . contact with another person transformed her" (BR, S. 16). „But of this she was entirely unaware" (BR, S. 17). Im Verlauf ihres Romans ergänzt George Eliot Lisbeths P o r t r ä t durch weitere Einzelheiten, enthüllt die Beweggründe ihrer Handlungen und nimmt bisweilen eine recht auktoriale „patronizing attitude" ein. Bei MacLennan dienen dagegen der Dialog und das Geschehen dazu, die Charakteristik zu objektivieren. Mit Recht hat deshalb H u g o McPherson der Stellung der Charaktere innerhalb der H a n d l u n g besondere Aufmerksamkeit geschenkt und über Barometer Rising und Two Solitudes gesagt: „Each, on multiple levels, deals with the theme of self-realization or rebirth; in each, the personal conflict is significant finally as an image of a larger, symbolic conflict of social forces or attitudes. By objectifying social forces in real, though typical characters, MacLennan creates a dramatic and realistic story whose meaning, in Melville's phrase, ,rays out' as from a lighthouse,, beyond the individual to the national or even the universal 2 '." Sind in den beiden ersten Romanen die Gestalten Ideenträger innerhalb des gesellschaftlichen Kräftespiels, so versucht MacLennan seit The Precipice, ihnen Tiefe und stellvertretende Bedeutung nach den Entscheidungen des Religiösen hin zu geben. Dies gelingt ihm aber erst in Each Man's Son und noch unumstrittener in The Watch That Ends the Night. D a MacLennan selbst dort, wo er sich 25

Adam Bede, London (J. M. Dent), n. d., S. 40. ,The Novels of Hugh MacLennan', S. 186—7. 117

ganz individualistisch gibt, den Zugang zum Allgemeinen sucht, nähern sidi seine besten Romane der „romance", ohne aber ihre Beziehung zur Lebenswirklidikeit zu verlieren. Richard Chase urteilt: „. . . action will be freer in a romance than in a novel, encountering, as it were, less resistance from reality." „The characters, probably rather two-dimensional types, will not be complexly related to each other or to society or to the past. Human beings will on the whole be shown in ideal relation — that is, they will share emotions only after these have become abstract or symbolic. To be sure, characters may become profoundly involved in some way . . ., but it will be a deep and narrow, an obsessive, involvement." „Character itself becomes . . . somewhat abstract and ideal, so much so in some romances that it seems to be merely a function of plot. The plot we may expect to be highly colored. Astonishing events may occur, and these are likely to have a symbolic or ideological, rather than a realistic, plausibility. Being less committed to the immediate rendition of reality than the novel, the romance will more freely veer toward mythic, allegorical, and symbolistic forms 2 7 ."

3. Der Erzählraum D i e Art und Weise, wie MacLennan den Erzählraum 28 gestaltet, fügt sich in den Rahmen ein, der mit der Charakteristik gegeben ist: „The romance feels free to render reality in less volume and detail" 29 . Dies ist nicht ohne weiteres ersichtlich, denn im Unterschied zu den kanadischen Erzählern der Vorkriegsjahre 30 identifiziert MacLennan die kanadischen Schauplätze seiner Romane und bemüht sich audi, sie dem Leser zu vergegenwärtigen. Wie George Eliot 27

The American Novel and Its Tradition, S. 13. Unter Erzählraum verstehen wir mit Wolfgang Kayser den Weltausschnitt, der im Roman behandelt wird. — Inwieweit die Raumgestaltung als spezifisch epische Fügungskraft aufzufassen ist, ist theoretisch noch nicht geklärt. Vgl. H. Meyer, ,Raum und Zeit in Wilhelm Raabes Erzählkunst', Deutsche Vierteljahrssaorift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, XXVII, 1953, S. 236-40. 29 Richard Chase, a. a. O., S. 13. 30 Aus Rücksicht auf den amerikanischen Leser (aber audi aus künstlerischen Erwägungen heraus) haben die Verfasser kanadischer Gegenwartsromane vor 1940 oft den kanadischen Hintergrund verschleiert. Nur an zwei Stellen von Waste Heritage (Toronto 1939), einem Buch, das den Winnipeger Generalstreik vom Jahre 1938 behandelt, deutet Irene Baird an, daß das Werk in Kanada spielt. Der unmittelbare Ort der Handlung wird nicht genannt. Ähnlich verschwommen ist der Hintergrund in den Romanen Groves, Callaghans und Childs. „Most of Callaghan's novels and shorter tales are about Toronto; but it seems to me at least that the Toronto which appears in them is not an individualized city, but simply a representative one . . . Toronto is being used not for the specific interest which it may have for Canadians, but exclusively for the representative interest which it has for the large North American audience." (E. K. Brown, On Canadian Poetry, S. 11). Bereits beiläufige Andeutungen stimmten den kanadisdien Leser froh: „Followers of Mr. Callaghan's novels are acquiring a fresh familiarity with the geography of downtown Toronto. One looks at Bowles cafeteria, opposite the City Hall, with remembrance that a Callaghan character had lundi there on a certain occasion; and this immediacy of interest is new in Canadian fiction." (W. A. Deacon, ,The Canadian Novel Turns the Corner', Canadian Magazine, LXXXVI, Okt. 1936, S. 39) 28

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bedient er sich mit Vorliebe des „panoramic view" und läßt seine Figuren von einem Hügel auf die Landschaft oder Stadt hinabschauen oder aus dem Fenster blicken. Im Gegensatz zu Detail-Realisten wie Eliot und Bennett verzichtet er jedoch darauf, die Umgebung ausführlich zu beschreiben. Wie in dem folgenden Zitat schließen sich oft wenige typische Einzelheiten zu einem eindrucksvollen Bild einer ganzen Landschaft zusammen: „The train left Montreal Island and entered the bridge, and a deep hoarse rumble filled the car. The day-coach was halfempty, throbbing with the iron rumble, and dust motes stirred in the reddish light shot through the windows from the setting sun. Kathleen kept her eyes fixed on the sunset. In the seat opposite, Athanase was hidden behind the spread pages of La Presse. A dreamy peace was in all her limbs, a physical ease mingled with a vivid sense of relief because Athanase had noticed no difference in her when they had met. H e was so filled with his plans for the factory that he could think of nothing else. Since before lunch, after his arrival from Ottawa, he had been with McQueen. H e had spared himself only half an hour to examine the new house and the lease had been signed without argument. Abruptly the iron rumble ceased, the river disappeared, and they were out on the plain with farmhouses and barns and fences casting long shadows that pointed toward the east. The river was flushed with the sunset and the trees lining its banks looked frail and small, almost like stalks of grain in the distance." (TS, S. 117—8)

Im Grunde interessiert sich MacLennan kaum für das „besondere Lokal" 3 1 . Er greift nur die Züge heraus, die in sprechendem Verhältnis zu den Ereignissen stehen, das heißt unter seinen Händen verwandelt sich das Lokal in einen „epischen Raum", der in der Handlung mitspielt. So weist bereits der erste Abschnitt von Each Man's Son darauf hin, wie übermächtig der Einfluß der Umwelt sein wird: „The shadow of a promontory lay forward on the sea like that of a giant resting on his elbow with the back of his neck to the late afternoon sun. Facing the sun over the water was a second-quarter moon, white in the cobalt mass of the sky. Two small figures sat in a cove unter the promontory, a woman and an eight-year-old boy." (EMS, S. 3)

Saint-Marc-des-Erables, das Dorf mit den zweisprachig beschrifteten Schildern, ist von vornherein Ort einer geistigen Auseinandersetzung. Und entsprechend wird die Saint James Street in Montreal nie als Geschäftsstraße voller Verkehr und Betrieb beschrieben: „[Athanase] found himself alone in Saint James Street looking for a taxi. The street was empty. It was a gaunt, scarred cavern hideously cold and ugly, this street where the English made their money" (TS, S. 194). In Barometer Rising verliert der genau gesehene Hintergrund seinen Eigenwert und übernimmt eine Funktion in der Handlung, wird Hauptakteur, Gegenspieler Neil Macraes. Auf seinen Wanderungen erkennt der Rückkehrer Halifax fast nicht wieder. Die in Waffen starrende Stadt ist zum Kriegsschauplatz schlechthin geworden, scheint — wie die Landschaft auf den Schnee32 — auf kriegerische Ereignisse zu warten und ruft Neil ins Bewußtsein, wie einsam er ist: Vgl. Robert Petsch, Wesen und Formen der Erzählkunst, Halle 1934, S. 92 ff. Reißt die Explosion Halifax aus geistiger Erstarrung, so bringt ein kurz darauf einsetzender Sturm den lange erwarteten ersten Schnee. 31

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„A thin breeze was dragging in from the sea; it was a soundless breath on the cheek, but it made him feel entirely solitary. Though it was early December, the winter snow had not yet fallen and the thin soil had frozen onto the rocks, the trees were bare and the grass was like straw, and the land itself had given up most of its color." (BR, S. 6) D a wie hier der Erzählraum oft zur Atmosphäre, geladen mit allgemein menschlichem Sinngehalt, überhöht wird, haben manche Kritiker festgestellt, MacLennan vermittle vor allem in den vorwiegend soziologisch orientierten Romanen „little of the illusion of reality" 3 3 . „Explanations of Canadian poverty in the arts", schreibt Alan Brown in einem Aufsatz über die frankokanadische Schriftstellerin Gabrielle R o y , „. . . usually start with mumbled comments on the size and dullness of the country. Yet, to quote . . . Ortega's Notes on the Novel, ,. . . any horizon wide or narrow, brilliant or dull, varied or monotonous, may possess an interest of its own which merely requires a vital adjustment to be discovered.' Gabrielle Roy seems to have achieved this kind of relation to her country and her people. Other Canadian writers, perhaps too ambitious, have fumbled at their vital adjustments without being able quite to get through, as it were, from sea to sea. Hugh MacLennan . . ., in his Two Solitudes, succumbs to the temptation to make the adjustment a political or intellectual rather than a vital one 3 4 ." Browns Kritik an Two Solitudes ist berechtigt, doch ist seine Begründung nicht stichhaltig. Z w a r mag ein Athanase Tallard vom Standpunkt des Naturalisten, der wie Gabrielle R o y Einzelheit zu Einzelheit fügt, „as credible as the bearded lady in a beauty contest" 3 5 erscheinen, aber in der ganz anders gearteten W e l t des MacLennansdien Romans ist er durchaus eine glaubwürdige Gestalt. Indem Brown Two Solitudes am „real life" mißt und den Kanadier eine „non-existent e n t i t y " nennt, versperrt er sich den Blick für die Bedeutung des stilisierten Realismus und gesellt sich zu den Kritikern, die an der Möglichkeit eines überregionalen Romans zweifeln. Dabei kommt MacLennan gerade mit H i l f e der beschriebenen Raumgestaltung der Forderung nach: „The obvious and only answer . . . is for Canadian writers to stop writing regional novels, scientifically correct with respect to their own background, and permit themselves only universal themes, if they hope to reach a world audience 3 8 ." M i t dem Ausweg, die Problemstellung des regionalen Romans zu vertiefen 3 7 , J . M. S., ,Review of Two Solitudes', a. a. O., S. 495. ,Gabrielle Roy and the Temporary Provincial', TR, 1, Herbst 1956, S. 66. 35 Ebda. 36 .Canada Between Covers', S. 17. 37 Diese Möglichkeit hatten vor der Jahrhundertwende die amerikanischen Regionalisten gesehen. Wenn George W. Cable fordert, der Schriftsteller müsse in den regionalen Gegebenheiten „the universal seif" finden (North American Review, CLVIII, Jan. 1894, S. 22), so wendet er sich gegen die sog. Veritisten, deren Hauptvertreter Hamlin Garland gesagt hatte: „Local color is the royal robe." Da jedes Zeitalter sich selbst am besten interpretieren könne, fuhr Garland fort, brauche es nicht „fundamentals" darzustellen, sondern nur „its own minute and characteristic interpretation of life" zu geben (H. Garland, Crumbling Idols, Chicago 1894, S. 167—8). Vgl. B. Spencer, .Regionalism in American Literature', S. 237—41. — Ähnlich wie Cable hat F. P. Grove, der bedeutendste kanadische Regionalist, festgestellt: „. . . the creative spirit" „will . . . aim at giving an as nearly universally valid reaction to the outside of the world as is possible to its own human limitations." (It Needs to Be Said, Toronto 1929, S. 26) 33

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gibt sich MacLennan aber nicht zufrieden: Der kanadische Schriftsteller „must place his universal theme in a Canadian background" 38 . Daher versucht MacLennan in allen Romanen, die regionale Basis zu erweitern und Kanada selbst zum Hintergrund der Geschehnisse zu machen, ein Unterfangen, bei dem er auf keine gelungenen Vorbilder in der kanadischen Romanliteratur zurückblicken konnte 39 . Statt wie Dos Passos (in U. S. A.) ein naturalistisches Kaleidoskop des ganzen Landes zu entwerfen oder wie Sinclair Lewis die konformistischen Elemente im Leben der Nation plakativ (unter bewußter Karikierung der Reklamesprache) herauszustellen, rückt MacLennan die Überwindung des regionalistischen Denkens in den Vordergrund. Kennzeichnend für seine Hauptpersonen ist erstens die seelische Heimatlosigkeit innerhalb der starren sektionalen Gesellschaft und zweitens die Fähigkeit, sich von ihr zu lösen und in Beziehung zur Nation zu treten. MacLennan wandelt das alte Motiv des „ Young Man from the Provinces" 40 , der in die große Welt hinauszieht, in einer Art ab, die an einen sonst so andersartigen Schriftsteller wie Thomas Wolfe erinnert. Während noch bei James, Howells und selbst bei T. S. Eliot erst die Begegnung mit Europa den ganzen Amerikaner schafft, wird für Thomas Wolfes Helden Europa „der Ort des besten Heimwehs" 41 : „And now, all that lost magic had come to life again here in the little whitened square, here in this old French town, and he was closer to his childhood and his father's life of power and magnificence than he could ever be again in savage new America; and as the knowledge of these strange, these lost yet familiar things returned to him, his heart was filled with all the mystery of time, dark time, the mystery of strange, million-visaged time that haunts us with the briefness of our days.

He thought of home 42•" Ähnlich entdecken Neil Macrae, Paul Tallard, Bruce Frazer und George Stewart Kanada in Europa 43 . Um zu zeigen, was Kanada für Neil bedeutet, sieht sich MacLennan genötigt, auf die Weite des Landes und andere Wesenszüge hinzuweisen, denn in Barometer Rising wird nur die letzte Stufe des Wolfeschen Motivs (das sich in der Abfolge von Gebundenheit, Loslösung und Heimkehr entfaltet) behandelt44. 38,Canada

Between Covers', S. 28. Jedoch sei hier vermerkt, daß Bruce Hutchison 1944 in einem mixtum compositum, dem MacGillivray die Bezeichnung „A N o v e l " abspricht (,Fiction', in: .Letters in C a nada: 1944', U T Q , X I V , 1944/5, S. 269), auf verschiedene Möglichkeiten verwiesen hatte. Hauptfigur in The Hollow Men (New Y o r k 1944) ist der hin und her reisende Journalist und politische Korrespondent Leslie Duncan (vgl. T W ) , der bei seiner Arbeit immer wieder gezwungen wird, Kanada mit den USA zu vergleichen (vgl. TP), den zweiten Weltkrieg für „our war of independence" (S. 55) hält (vgl. B R , TS, T P ) und in Bauten wie dem Victory Tower in Ottawa das kanadische Wesen verkörpert sieht (vgl. B R ) . Im ganzen Werk zeigt sich der Einfluß von Hutchisons Reisebuch The Unknown Country. 4 0 Vgl. L. Trilling, The Liberal Imagination, S. 64. 4 1 G. Blocker, a. a. O., S. 213. 42 Of Time and the River, Garden City 1944, S. 899. 4 3 Heather Methuen and Lucy Cameron in den Vereinigten Staaten. 44 In EMS die zweite Stufe, doch hat Dr. Ainslie schon vor seinem Weggang zu sich selbst gefunden. 39

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Noch aufdringlicher beschreibt MacLennan in 7'he Precipice, was es heißt, in Kanada zu leben und Kanadier zu sein 45 . Dabei hat er das Wesen des Kanadischen bereits in Two Solitudes indirekt definieren können, als er den regional bedingten Vorurteilen die Freizügigkeit und Weltoffenheit der Hauptfiguren gegenüberstellte und das Geschehen in verschiedene Gegenden Kanadas verlegte. In The Watch That Ends the Night streift MacLennan schließlich auch die Hemmungen ab, die ihn noch in Two Solitudes veranlaßten, die „Canadianness" einer Landschaft zu betonen. Unbekümmert darum, ob der Schauplatz schon in der Literatur geschildert und dem amerikanischen Leser vertraut ist, wählt er die Gegenden zum Hintergrund seiner Handlung, die deren Aussagekraft verstärken: In den unzugänglichen Wäldern New Brunswicks wird Jeromes Mutter erschlagen, in der „Arcadian atmosphere" von Montreal Island verliebt sich George in Catherine, in der Privatschule zu Waterloo im anglokanadisdien Ontario verliert er alle Illusionen, und in der lebendigen modernen Großstadt Montreal erfüllt sich sein Schicksal46. Damit hat sich MacLennan eine Freiheit in der Gestaltung des kanadischen Lebensraums erworben, die sicher die kanadische Romanliteratur beeinflussen wird 47 .

4. Die zeitliche Gliederung des Romangesdiehens D a MacLennan den Reifeprozeß seiner Gestalten in einer gleichnishaften Handlung einsichtig und nacherlebbar machen will, entsteht das „Zeitgerüst" 4 8 seiner Romane im chronologischen Ablauf bestimmter Begebenheiten. Im allgemeinen vermeidet es MacLennan, in die Vergangenheit zurückzublenden oder Episoden, die der Haupthandlung parallel laufen, nachholend zu erzählen. Selbst da, wo das Geschehen mehrsträngig geführt wird (EMS), folgen die Ereignisse aufeinander. The Watch That Ends the Night ist insofern eine Ausnahme, als sich MacLennan hier der Technik des analytischen Romans bedient. Doch ist im Vergleidi zu anderen Romanen dieser Art bezeichnend, daß MacLennan weder unvermittelt die Vorvergangenheit heraufbeschwört noch im Bewußtseinsstrom die Zeitschichten beliebig vertauscht. Vielmehr bereitet er den Leser auf den Rückblick vor und setzt gleichsam verschiedene Zeitblöcke, die jeweils chronologisch gegliedert sind, nebeneinander. Deshalb hinterläßt auch der Aufbau dieses Werks einen klar geordneten Eindruck. 4 5 Populärromane wie Beatties Blaze of Noon (Toronto 1950) und W . G. Hardys The Unfulfilled (Toronto 1951) ahmen die Methode, Kanada gegen Amerika auszuspielen, nach. 4 6 In T W sind die Landschaftsbeschreibungen ausführlicher als gewöhnlich. 4 7 In Callaghans Auffassung der Raumgestaltung kündigt sich mit The Loved and the Lost (Toronto 1951) eine Wandlung an: Montreal, der Schauplatz des Geschehens, ist deutlich erkennbar. 4 8 Zur Zeitbehandlung vgl. Günther Müller, ,über das Zeitgerüst des Erzählens (Am Beispiel des Jürg Jenatsch)', Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, X X I V , 1950, S. 5 ff.; ders., Die Bedeutung der Zeit in der Erzählkunst, Bonn 1947; Horst Oppel, Die Kunst des Erzählens im englischen Roman des 19. Jahrhunderts, Bielefeld 1950.

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In Barometer Rising, Each Man's Son und den meisten Einzelphasen des letzten Romans wird das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit annähernd gleich gestaltet. MacLennan rafft das Geschehen, das sich in einer relativ kurzen Zeit abwickelt, gleichmäßig auf die Hauptereignisse hin, verzichtet auf allgemeine Zustandsschilderungen und deutet das Überspringen einzelner Zeitspannen mit knappen Zeitangaben an. Dadurch erhalten diese Werke einen dramatischen Zug: das „story"-Element wird betont. Two Solitudes und The Precipice gehören dagegen einem anderen Typus an, denn hier verwendet MacLennan auf die ersten Wochen und Monate sehr viel Erzählzeit, um dann die nächsten Jahre in stark vereinfachten Hauptlinien — oft in iterativer Darstellung oder summarischem Bericht — zusammenzufassen. Wie sich diese Art der Zeitfügung mit der typisierenden Charakteristik und MacLennans erzählerischem Anliegen verträgt, haben wir schon untersucht. Trotz der unterschiedlichen zeitlichen Entfaltung der einzelnen Werke ist das dahinter stehende Raffungsprinzip, in dem „das Wertungsgesetz und der Deutungswille" des Erzählers zum Ausdruck kommt 49 , auffällig einheitlich. MacLennan gibt keine minutiöse Analyse abwegiger und zerstörerischer Seelenzustände. Die Periode der Desillusion und Isolation ist für ihn nicht um ihrer selbst willen interessant, sondern nur deswegen, weil sie das existentielle Problem, das seine Romanfiguren bewältigen müssen, veranschaulicht. Deshalb spart MacLennan die Fronterlebnisse Neil Macraes aus und deutet im Gegensatz zu Gabrielle Roys Bortheur ¿'Occasion die wirtschaftlichen Auswirkungen der Depressionszeit nur kurz an (TS, TP, TW). Stewarts fünfjähriger Aufenthalt in Waterloo wird auf wenigen Seiten abgetan, sind doch die Begegnungen mit anderen Menschen, die wie George um die Lösung der Zeitprobleme ringen, weitaus wichtiger. Dabei ist wiederum die Haltung der Menschen, ihr leidenschaftliches „Engagement", vielsagender als ihre politische Überzeugung: „This was a time in which you were always meeting people who caught politics just as a person catches religion. It was probably the last time in this century when politics in our country will be evangelical, and if a man was once intensely religious, he was bound to be wide open to a mood like that of the Thirties. But why waste time explaining the pattern? It is obvious now, and dozens of books have been written about it. Less obvious have been some of the attendant passions that went along with this neo-religious faith. Passion has a way of spilling over into all aspects of the human mind and feelings." (TW, S. 223—224) In The Precipice setzt MacLennan im Grunde die puritanische Einstellung als bekannt voraus, denn er skizziert die Ansichten ihrer (zumeist verstorbenen) Hauptvertreter mit wenigen Strichen und rückt Lucy Cameron in den Mittelpunkt, nicht aber Steve Lassiter, der bis zuletzt unter seiner Herkunft leidet. Audi die Liebesaffäre zwischen Marcia Stapleton und Bruce Frazer, die an sich für die Darstellung der puritanischen Skrupel interessant wäre, kürzt MacLennan stark ab: „Soon they were in the full course of one of those evenings cut from a pattern set in the last war, developed in the long armistice and celebrated in a thousand novels until it had become as formal as a ritual. Drinks in clouded bistros, growing intim49

Horst Oppel, Die Kunst des Erzählens . . ., S. 41. 123

acy, mutual discovery of each other's inevitable loneliness, taxies in the night, a few dances, more drinks, a conversation on the curb in front of a night-club in the Village with a drunk who claimed that Mike McTigue would have been the daisy of them all if his hands hadn't been so brittle, another smoke-filled joint, and a piano player whose eyes were bright with marihuana as he rolled out the barrelhouse." (TP, S. 218-219)

Die beiden Zitate zeigen, wie sehr sich MacLennan den Romanen der zwanziger und dreißiger Jahre verpflichtet fühlt und sich der Tatsache bewußt ist, daß er den gleichen Stoff unter einem neuen Gesichtspunkt behandeln muß: „But why waste time explaining the pattern? It is obvious now, and dozens of books have been written about it". In seinen besten Romanen verdichtet MacLennan daher die Erfahrungen, die in die Werke seiner Vorgänger eingegangen sind, in einem einzigen Ereignis (in der Explosionskatastrophe, der Rückkehr des Boxers und in Jeromes Jugenderlebnis) und macht dieses zum Prüfstein für die Haltung seiner Figuren. Er rafft das Romangeschehen auf die Bejahung des Lebens in der Gefährdung hin, so daß, wie angelsächsische Kritiker sagen würden, „the movement" seiner Werke von „violence" zu „affirmation" geht. Die dichterische Wirklichkeit seiner Romane bildet sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen den beiden Romantypen, die in einer Diskussion zwischen Paul Tallard und Heather Methuen angesprochen werden: „They discussed the book for nearly half an hour, and he took the manuscript and went over specific sections with her. At the end of that time she knew what had puzzled her. The book was too ambitious for him. She herself had been dazzled by the scope of the design. The young man of 1933, intended to type a world in disintegration, had seemed so important that she had not questioned the validity of his plan. N o w she saw that the trouble lay in the fact that Paul's emotions and mental analysis had not coalesced. ,Look', she said suddenly, ,1 read somewhere that the novelist's principle aim is to celebrate life.' ,1 suppose it is.' .That's what you do best of all. Every time. Your characters are all naturally vital people. But your main theme never gives them a chance. It keeps asserting that they're doomed 50.'"

5 . MacLennans Stellung in der englisdispradiigen Romantradition

Der „violent streak", der sich in MacLennans Werk abhebt, verweist auf die amerikanische Romanliteratur, für die die Forschung wiederholt festgestellt hat: „. . . in American literature violence is never there merely as the furies, never as an occasional element in the lot of Man, never as an accidental nuisance." „Violence in American literature is not merely the violence of Man; it is that of Nature, of ,the general chaos of the world', of the ineluctable order of things, of the whole creation51." 50 TS, S. 328. — Resultat der Diskussion: Paul beschließt, den Schauplatz seines Werkes nach Kanada zu verlegen. 51 Anonym, ,The Dominant Theme of Violence. Man Versus Nature and Society', in: American Writing Today (Its Independence and Vigor), hrsg. v. A. Angoff, N e w York 1957, S. 221. - Vgl. W. M. Frohock, The Novel of Violence in America: 1920-1950, Southern Methodist University 1950.

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Vielleicht ist deshalb im amerikanischen Roman der zwanziger und dreißiger Jahre der Bruch mit der Erzähltradition nicht so fühlbar geworden wie im Werk einer Virginia Woolf und eines James Joyce. Gleich Fitzgerald und Farrell hält Hemingway bei aller Neigung, das Kriegserlebnis nihilistisch zu deuten, an der Grundform des Erzählens fest: an der Geschichte, die sich im zeitlichen Nacheinander einzelner Begebenheiten entfaltet. Auch Faulkner und Dos Passos haben nur vorübergehend mit der Zeitgestaltung experimentiert. Die persönliche Betroffenheit der MacLennanschen Romanfiguren, ihre unmittelbare Reaktion auf den Krieg und die große Wirtschaftskrise, gemahnt ebenfalls an die amerikanischen Erzähler. Wie unpersönlich beschreibt dagegen Virginia Woolf die Zerstörung alles Zeitlichen im mittleren Teil von To the Lighthouse, wie stark intellektualisiert Aldous Huxley, wie distanziert betrachtet Somerset Maugham die Probleme seiner Romanfiguren! Maughams Larry Darrell 5 2 , um ein Beispiel zu geben, ist wie Jerome Martell ein ruheloser Geist, der sich auf Grund seiner Kriegserfahrungen (die Maugham auf einer Seite abtut) auf die Gottsuche begibt. Doch während MacLennan uns das Schicksal Martells nahebringt und ihm eine stellvertretende Bedeutung abgewinnt, ist Darreil für Maugham ein Fall unter mehreren, den es möglichst sachlich, in antiromantischer Manier zu analysieren gilt. Andererseits sind MacLennans Figuren in eine welthaltigere Erlebnissphäre eingelassen als die des frühen Hemingway. Sie sind vollere Gestalten, nicht auf einen Kodex festgelegt und gerade deshalb in der Lage, den Schritt zur „affirmation" zu gehen. Von den Barnes, Cohens und Henrys unterscheiden sie sich wie Tom Leas Romanheld Luis Bello von Hemingways Stierkämpfern. In dem Roman The Brave Bulls, der nach MacLennans Meinung Hemingways „romantic realism" in begrüßenswerter Weise fortentwickelt 53 , interpretiert Lea den Stierkampf nicht mehr als eine der wenigen Möglichkeiten, den Tod, den ganzen Komplex der „violence", ritualistisch zu überspielen. Vielmehr stellt er dar, wie der Mensch von Furcht überwältigt werden und dennoch über sie siegen und der Gefahr ins Auge sehen kann: „Death was an abstraction beyond him; dying was a personal violence. Not to have fear was actually not to fear any rending physical act. It seemed such an obvious thing. Yet the only way a man ever learned its meaning and felt it lift him beyond fear was in the doom of combat feeling the grip of death's hand. As the red door came open again, Luis Bello's mind jumped past the unworded discovery of his heart, to try to frame the feeling fast, with words he already knew. It comes as God wants it. He had heard it and said it all his life in the plazas. But in the flash of his mind gathering again toward the violence, it was different: he believed it. It left him free to fight his enemy instead of his fear. Luis Bello was ready

Wie Lea steht MacLennan bei der Behandlung der „affirmation" in der weiteren Hemingway-Nadifolge. Zwar hat er darauf hingewiesen: „ . . . it was in the British Commonwealth, not in the United States, that the signs of a really signi52 53

54

In The Razor's Edge, London 1944.

.Changing Values in Fiction', S. 14.

The Brave Bulls, Boston 1949, S. 250. Vgl. TW. 125

ficant diange of attitude first manifested themselves"55, doch schlägt er im Unterschied zu anderen kanadischen Schriftstellern56 nicht den Weg zur Erlösung ein, der bei Huxley, Waugh, Greene, Joyce Cary und Alan Paton vorgezeichnet ist57. In seinen ersten drei Romanen vollzieht er unter dem Einfluß nationalistischer Gedankengänge jene Wendung zum „kollektiven Humanismus", die Walther Fischer bei der neueren amerikanischen Literatur beobachtet hat 58 . Wie schon Hemingways Gestalten in For Whom the Bell Tolls „vom Ethos der Gemeinschaft" 59 ergriffen werden, wird bei MacLennan der vereinzelte Mensch in der Kriegssituation in das neue Kollektiv der Nation aufgenommen, eine Lösung, die MacLennan in Barometer Rising glaubwürdig gestaltet hat. In Each Man's Son und The Watch That Ends the Night wird freilich die Bindung an die politische Gemeinschaft in Frage gestellt. Eine religiöse Perspektive eröffnet sich. Der vereinsamte Mensch findet seine eigene Seele wieder, die trotz aller Gefährdung nicht Schaden genommen hat. Damit verwandelt sich für ihn der Ausblick auf das Leben, und er kann in eine neue bejahende Beziehung zur menschlichen Gemeinschaft treten. Auch diese Wendung erinnert weniger an die neukatholischen Schriftsteller Greene und Waugh und an Huxleys Botschaft von einem Leben der Entsagung als an den späten Ernest Hemingway, in dessen Across the River and into the Trees allerdings der metaphysische Trost ausbleibt 60 . So scheint MacLennans Werk vom amerikanischen Schrifttum stark befruchtet zu sein. Es ist aber durchaus ein eigenwilliger und teilweise auch ein geglückter Beitrag zur englischsprachigen Literatur der Gegenwart aus kanadischer Sicht.

55 ,Changing

Values in Fiction', S. 16. Philip Childs Mr. Ames Against Time (Toronto 1949) ist eine mißglückte Imitation von Patons Cry, the Beloved Country (A Story of Comfort in Desolation), New York 1948. — Der Katholik Morley Callaghan erinnert stark an Graham Greene. Siehe z. B. Such Is My Beloved. 57 Vgl. Horst Oppel, .Englische Erzählkunst', a. a. O.; Walter Allen, Joyce Gary, London 1954 (Bibliographical Series of Supplements to ,British Book News' on Writers and Their Work), bes. S. 26 ff. 58 ,Über einige Zusammenhänge zwischen Kultur und Literatur in den Vereinigten Staaten der Gegenwart', Archiv für das Studium der neueren Sprachen, C L X X X I X , 1952, S. 3 ff. 59 Horst Oppel, ,Hemingway's Across the River and into the Trees', Die Neueren Sprachen, I, 1952, S. 474. 60 Ebda., bes. S. 480 ff. 56

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SCHLUSS Walter Allen, einer der besten Kenner des englisdien Romans, schreibt in sein e m A u f s a t z The Novel

To-day1:

„. . . to ignore these newly developing Commonwealth literatures would be not only parochial but to ignore what is increasingly the literary context, along with American fiction, in which the novelist in England must write and be read."

Unsere Untersuchung legt die Vermutung nahe, daß Allens Bemerkung umgekehrt auch für die Betrachtung der kanadischen Romanliteratur gilt. Wir haben gesehen, daß selbst das Werk des so bewußt kanadischen Schriftstellers Hugh MacLennan sich nicht in eine spezifisch kanadische Überlieferung einordnen will und sich am besten im Gesamtzusammenhang der englischsprachigen Literatur verstehen läßt. Wiederum konnten wir es aber nicht völlig vom kanadischen Hintergrund loslösen, denn die „historicity" eines Kunstwerks, die sich aus seiner Beziehung zur Lebenswirklichkeit ergibt, ist ohne Zweifel „a fact in our aesthetic experience" 2 . Auch mußten wir die literarische Situation des Landes berücksichtigen, sieht sich doch der Erzähler in einem Dominion, dessen Bevölkerung sich in kultureller Hinsicht an dem Vorbild des Mutterlandes und der Vereinigten Staaten orientiert, besonderen Schwierigkeiten gegenüber, die sein Werk weitgehend bestimmen können. Wie der erste Teil der vorliegenden Arbeit gezeigt hat, erhellen die Thesen des literarischen Nationalismus zumindest indirekt die soziologischen Bedingungen und geistesgeschichtlidien Voraussetzungen, unter denen der Schriftsteller im englischsprachigen Randgebiet arbeitet. Darüber hinaus beeinflussen sie die wissenschaftliche Kritik, und mitunter lenken sie sogar das Schaffen des Schriftstellers in bestimmte Bahnen. So hat sich erwiesen, daß MacLennans kritische Bemühungen in engem Zusammenhang mit einer neueren Riditung des literarischen Nationalismus stehen, die ihrerseits von einer übernationalen Geschmacksrichtung geprägt wird. D a die nationalistische Literaturkritik überdies die T r a ditionsoffenheit zum Merkmal der Nationalliteratur erhebt, scheint sidi grundsätzlich eine integrierende Interpretationsmethode zu empfehlen. Eine gewisse Skepsis gegenüber einer isolationistisch-kanadischen Betrachtungsweise der Literatur scheint zumindest heute noch, wenn nicht auf längere Zeit hinaus angebracht: „In a hundred years' time, the most important development in English fiction during

London 1960 (Bibliographical Series of Supplements to „British Book N e w s " ) , S. 8. L . Trilling, ,The Sense of the Past', in: The Liberal Imagination, S. 184. Vgl. audi R . H . Pearce, ,Historicism Once More', The Kenyon Review, X X , 1958, S. 554—591. 1

2

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the decade that began in 1951 may well seem to have been the appearance, almost simultaneously from very different corners of the globe, and often quite unexpected, of what were to be new literatures in the English language. By 2059, these literatures will, no doubt, be as distinct from .British' English as American now is. It is not quite so at the moment s ."

» Walter Allen, The Novel To-day, S. 7. 128

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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Zeitschriften: AL C CAB CF CHR CJEPS CL DR MM NR PMLA QQ SN TGM TR TRSC UTQ

American Literature Culture 7he Canadian Author and Bookman The Canadian Forum The Canadian Historical Review The Canadian Journal of Economics and Political Science Canadian Literature The Dalhousie Review Maclean's Magazine Northern Review Publications of the Modern Language Association Queen's Quarterly Saturday Night The Toronto Globe and Mail The Tamarack Review Transactions of the Royal Society of Canada The University of Toronto Quarterly

Die Werke Hugh MacLennans: BR TS TP CC EMS TT TW

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Barometer Rising, New York 1941 Two Solitudes, Toronto 1945 The Precipice, Toronto 1948 Cross-Country, Toronto 1949 Each Man's Son, Toronto 1951 Thirty and Three, hrsg. v. D. Duncan, Toronto 1954 The Watch That Ends the Night, Toronto 1959

Britannica et Americana Band x JOHANNES WALTER KLEINSTÜCK

Chaucers Stellung in der mittelalterlichen Literatur 8°. 160 Seiten. 1956. Kart. DM 1 2 . -

In diesem Buch wird gezeigt, wie Chaucers Werk mit der Literatur des Mittelalters zusammenhängt und wie es sich unterscheidet. Die Untersuchung geht aus von einer Analyse charakteristisch mittelalterlicher Begriffe, wie Courtoisie, Pitie, Höfische Liebe, Fortuna; sie umgreift das Allgemeine und das Spezielle, sowohl geistesgeschichtliche Erörterung wie Einzelinterpretation.

Band 2 J O H N WESLEY THOMAS

The Letters of James Freeman Clarke to Margaret Füller 8°. 145 Seiten. 1957. Kart. DM 1 2 . Diese Briefe unterrichten ausführlich über Clarkes Tätigkeit als Herausgeber, Schriftsteller und Theologe. Sie liefern beachtliche neue Beiträge zur Biographie von Margaret Füller und vermitteln ein anschauliches Bild von der Entwicklung des amerikanischen Transzendentalismus, besonders auch der wichtigen Rolle der deutschen Literatur und Philosophie in dieser Bewegung.

Band 3 REINHOLD FREUDENSTEIN

Der Bestrafte Brudermord Shakespeares „Hamlet" auf der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts 8°. 130 Seiten. 1958. Kart. DM 1 2 . Stoff, Verfasser und Entstehungszeit des „Bestraften Brudermordes" werden untersucht. Aus neuen Gesichtspunkten wird eine endgültige Lösung der umstrittenen Quellenfrage gesucht. Eine Strukturanalyse des Komödianten-Hamlet erhellt die geistige Welt der Wanderbühne und spürt den Wesensmerkmalen ihrer literarischen Produkte nach.

Band 4 J O H N T. KRUMPELMANN

Bayard Taylor and German Letters 8°. 235 Seiten. 1959. Kart. DM 2 5 . Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem ausführlichen und detaillierten Nachweis von Taylors Bewunderung für die deutsche Literatur, seiner umfangreichen Bekanntschaft mit deutschen Schriftstellern und seinem unablässigen Bemühen, die deutsche Kultur in seinem Heimatland besser bekannt zu machen. Die Arbeit behandelt auch Taylors Verehrung für Goethe und gibt eine ästhetische Wertung seiner monumentalen Faustübersetzung. Sie zeigt Taylor als einen der wichtigsten Vermittler zwischen Deutschland und Amerika.

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Britannica et Americana Band 5 MARIE S C H Ü T T Das Germanenproblem in der englischen Geschichtsschreibung des 1 8 . Jahrhunderts EGON JUNGMANN Die politische Rhetorik in der englischen Renaissance 8°. 142 Seiten. 1960. Kart. DM 1 2 . Frau Prof. Sdiütt untersucht, welches Bild vom germanischen Altertum die Gesamtdarstellungen der englischen Geschichte im 18. Jahrhundert ihren Lesern vermitteln, und zeigt auf, wie erst ganz allmählich auf Grund neuer Forschungsergebnisse in der Geschichts-, Altertums- und Sprachwissenschaft die realen Zusammenhänge der germanischen Frühzeit erkannt werden. — Dr. Jungmanns Arbeit weist im England des 16. Jahrhunderts neben der üblichen humanistischen Schulrhetorik eine eigene Tradition der politischen Rhetorik nach, die aus den Gegebenheiten des englischen öffentlichen Lebens erwächst. Als ihre Hauptvertreter werden Gabriel Harvey, Bacon und der Theologe Hooker ausführlich untersucht. Band 6 KARL H E I N Z DARENBERG Studien zur englischen Musikaesthetik des 1 8 . Jahrhunderts 80. 130 Seiten. 1960. Kart. DM 12.— Auf Grund eines reichen, größtenteils bisher unbekannten Quellenmaterials wird gezeigt, daß die englischen Autoren des 18. Jahrhunderts bei der Behandlung der Probleme des musikalischen Ausdrudcs und der musikalischen Wirkung die Musik aus dem alten Gefüge der „artes liberales" herauslösen und eine autonome Musikästhetik anbahnen. Band 7 A N N E M. SPRINGER The American Novel in Germany A study of the critical reception of eight American novelists between the two world wars 8°. 116 Seiten. 1960. DM 1 2 . Während die einleitenden Abschnitte die Entfaltung des deutschen Amerikastudiums zwischen den beiden Weltkriegen knapp skizzieren, gibt der Hauptteil an H a n d der deutschen Beurteilungen von acht namhaften amerikanischen Romanautoren — Jack London, Upton Sinclair, Sinclair Lewis, Theodore Dreiser, Dos Passos, Ernest Hemingway, William Faulkner und Thomas Wolfe — ein fesselndes Bild von den unterschiedlichen Wertungen, die das amerikanische Schrifttum in jenen Jahren im deutschen Sprachgebiet erfuhr. Band 8 HANS-JOACHIM LANG Studien zur Entstehung der neueren amerikanischen Literaturkritik 8». 276 Seiten. 1961. Kart. D M 25.— Die Arbeit bemüht sich um Aufhellung einer vernachlässigten Periode der amerikanischen Literaturkritik, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Erneuerung der amerikanischen Literatur zwischen 1910 und 1920. Hier liegen die Wurzeln der „neueren" Kritik, deren Urteile über die eben vergangene Zeit, aus der Kampfsituation..heraus einseitig, allzu bedenkenlos von der Forschung übernommen wurden. C R A M ,

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