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German Pages 628 Year 1992
Das römisch-holländische Recht Fortschritte des Zivilrechts im 17. und 18. Jahrhundert
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Trier, Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken, Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Regensburg
Band 7
Das römisch-holländische Recht Fortschritte des Zivilrechts im 17. und 18. Jahrhundert
Herausgegeben von
Robert Feenstra Reinhard Zimmermann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Das römisch-holländische Recht : Fortschritte des Zivilrechts im 17. und 18. Jahrhundert I hrsg. von Robert Feenstra; Reinhard Zimmermann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte ; Bd. 7) ISBN 3-428-07465-3 NE: Feenstra, Robert [Hrsg.]; GT
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübemahme: W. März, Tübingen Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-07465-3
Vorwort
Die (nördlichen) Niederlande zählten während des 17. Jahrhunderts politisch, wirtschaftlich und kulturell zu den führenden Nationen Europas. Zu den Ausprägungen und gleichzeitig Grundlagen dieser Blüte gehörte das sogenannte ,,römisch-holländische" Recht. Dabei handelte es sich um das römisch-kanonische ius commune in seiner spezifisch niederländischen Gestalt. Verankert in der Tradition des mos italicus, befruchtet durch die humanistische Gelehrsamkeit der französischen Jurisprudenz, offen für die consuetudines hodiernae und neu beflügelt durch das säkularisierte Naturrecht, wurde das römisch-holländische Recht zu der modernsten Rechtsordnung jener Zeit. Diese vor allem als Integrationsleistung zu begreifende Herausbildung eines lebendigen "usus modernus pandectarum" gehört zu den Meilensteinen europäischer Rechtsgeschichte. Trotz seiner hervorragenden Bedeutung (und trotz der Tatsache, daß es in einem allerdings etwas entlegenen Teil der Welt seine Lebenskraft bis heute bewahrt hat) fehlt es an einer modernen Darstellung des römisch-holländischen Rechts. Diese Lücke versucht der vorliegende Band jedenfalls teilweise zu schließen. In einem einführenden Beitrag wird zunächst ein Überblick über den politisch-institutionellen Rahmen sowie über die bedeutendsten niederländischen Juristen des 17. (und 18.) Jahrhunderts und ihre Werke gegeben; ferner findet sich hier der Versuch einer zusammenfassenden Würdigung der für die Jurisprudenz jener Zeit charakteristischen Faktoren. Es folgen zwei Beiträge zum prozessualen Rahmen des niederländischen Privatrechts sowie zum System des Vermögensrechts. Den Schwerpunkt des Bandes bildet alsdann die Analyse einzelner besonders bedeutsamer Institutionen, Lehren und Begriffe aus zwei Kernbereichen des ,,klassischen" Privatrechts: des Schuldrechts und des Sachenrechts. Beabsichtigt ist dabei jeweils eine zusammenfassende Gesamtdarstellung des niederländischen Rechtes des 17. (und 18.) Jahrhunderts zu dem betreffenden Thema, unter Auswertung der für diese Epoche tonangebenden Autoren sowie der einschlägigen Judikatur (jedenfalls soweit diese veröffentlicht ist). Damit soll zum einen Coings großer Entwurf (Europäisches Privatrecht, Band I) für einen geographischen Bereich jedenfalls ausschnittsweise spezifiziert werden; zum anderen soll so der Beitrag des römisch-holländischen Rechts zur Fortentwicklung des europäischen Privatrechts deutlich werden. Im Mittelpunkt der
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Vorwort
Darstellung steht das Recht des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, der eigentlich schöpferischen Phase der niederländischen Jurisprudenz; weitere Entwicklungen bis hin zur Kodifikation unter französischem Einfluß (und darüber hinaus) sind demgegenüber eher am Rande berücksichtigt. Von den ursprünglich von den Herausgebern ausgewählten Einzelthemen konnten schließlich zwei aufgrund widriger Umstände nicht bearbeitet werden: die Einbeziehung Dritter in das Schuldverhältnis und die actio iniuriarum. Zu dem ersten dieser beiden Problembereiche findet der Leser allerdings an leicht zugänglicher Stelle jedenfalls einen Überblick mit Angabe der einschlägigen Sekundärliteratur (1990 Juristenzeitung 831 f.); zur actio iniuriarum im römisch-holländischen Recht sei verwiesen auf die einschlägigen Abschnitte in Melius de Villiers, The Roman and Roman-Dutch Law of Injuries, 1899; Bhadra Ranchod, Foundations of the South African Law of Defamation, Diss. Leiden, 1972 sowie Pieter Pauw, Persoonlikheidskrenking en skuld in die Suid-Afrikaanse privaatreg - 'n regshistoriese en regsvergelykende ondersoek, Diss. Leiden, 1976. Die Muttersprache der meisten Autoren dieses Bandes ist nicht Deutsch. Eine Reihe von in Englisch oder Afrikaans eingereichten Beiträgen habe ich deshalb ins Deutsche übertragen, andere sprachlich überarbeitet. Fünf Beiträge erscheinen jedoch - in Absprache mit den beiden anderen Hauptherausgebern der Schriftenreihe zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte - in einer englischen Fassung. Diese vorsichtige sprachliche Öffnung entspricht nach unserem Verständnis dem europäischen Charakter der Schriftenreihe. Danken möchte ich zunächst gern allen an diesem Band beteiligten Autoren, die sich nicht nur mit Schwung und Enthusiasmus auf dies Unternehmen eingelassen, sondern auch meine Briefe und Nachfragen geduldig beantwortet haben. Martin Bauer, Marcus Baum und Christian Demleitner, Mitarbeiter an meinem Lehrstuhl in Regensburg, haben mich bei der editorischen Arbeit unterstützt; meine Sekretärin, Frau Gabriele Schmitt, hat nicht nur mit großer Sorgfalt meine eigenen Beiträge sowie die von Robert Feenstra geschrieben, sondern auch in einem mit großem Engagement geführten Ringen mit den Diskettensystemen, Formatierungseigentümlichkeiten, Handschriften und Zitierkonventionen von fünfzehn weiteren Autoren die Oberhand behalten. Insbesondere danke ich aber meinem Mitherausgeber Robert Feenstra, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat und ohne dessen Inspiration und freundschaftliche Ermunterung dieser Band nicht zustandegekommen wäre. Regensburg, Januar 1992
Reinhard Zimmermann
Inhaltsübersicht Reinhard Zimmermann Römisch-holländisches Recht - ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero R. Dolezalek Das Zivilprozeßrecht
9 59
WJ. Zwalve Das System des Vermögensrechts
105
Robert Feenstra Die Klagbarkeit der pacta nuda
123
Reinhard Zimmermann Der Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
Christoph Becker Das Problem der Austauschgerechtigkeit
201
Laurens Winkel Die Irrturnslehre
225
Eltjo Schrage Locatio conductio
245
J.E. Spruit Das Darlehen
275
J .P. van Niekerk Sources of Insurance Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
D.H. van Zyl Negotiorum gestio
329
Daniel Visser Das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung
369
Robert Feenstra Das Deliktsrecht bei Grotius, insbesondere der Schadensersatz bei Tötung und Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429
C.G. van der Merwe Erscheinungsformen verschuldensunabhängiger Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . .
455
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Inhaltsübersicht
AJO van der Walt Der Eigenturnsbegriff
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DL. Carey Miller Transfer of Ownership
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Duard K/eyn The Concept and the Protection of Possession
M.Jo de Waal Servitudes o
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Derek van der Merwe Grundlagen des Nachbarrechts Autorenverzeichnis
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Römisch-holländisches Recht - ein Überblick Von Reinhard Zimmennann I. Einleitung - Die Universität Leiden II. Die Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert 1. Allgemeine kulturelle Bedeutung 2. Politisch-institutioneller Rahmen 3. Die Sonderstellung der Provinz Holland ID. Sieben bedeutende niederländische Juristen und ihre wichtigsten Werke 1. Hugo Grotius (1583 -1645) 2. Comelis van Bynkershoek (1673-1743) 3. Ulrich Huber (1636-1694) 4. Johannes Voet (1647 -1713) 5. Arnoldus Vinnius (1588-1657) 6. Sirnon van Groenewegen van der Made (1613 -1652) 7. Sirnon van Leeuwen (1626-1682) 8. Die Literatur im übrigen IV. Die römisch-holländische Rechtswissenschaft und die Modemisierung des römischen Rechts - fünf charakteristische Faktoren 1. Einführung 2. Das römisch-holländische Recht als jurisprudentia forensis 3. Die französische "elegante" Tradition 4. Kontinuität gegenüber dem südniederländischen Recht 5. Der europäische Geist des römisch-holländischen Rechts 6. Das beginnende Naturrecht
I. Einleitung - Die Universität Leiden
Im Sommer 1574 ging der bewaffnete Widerstand in den Niederlanden gegen die Herrschaft der Spanier in sein sechstes Jahr1• Die Lage erschien
1 Die Literatur zur Geschichte der Niederlande, gerade auch die niederländische selbst, ist außerordentlich reichhaltig. Ausführliche bibliographische Anmerkungen fmden sich in Horst Lademacher, Geschichte der Niederlande, 1983, S. 519 ff. Zur Geschichte des Aufstandes gegen die Spanierherrschaft vgl. etwa Lademacher, S. 34
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Reinhard Zinunermann
aussichtslos. Der Herzog von Alba hatte die Niederlande von Süden und Osten her aufgerollt. Nur Teile von Holland und Seeland waren noch in der Hand der Aufständischen unter ihrem Führer, Wilhelm "dem Schweiger" von Nassau und Oranien2• Aber auch hier waren Naarden und Haarlern schon gefallen3 . Nunmehr stand Albas Nachfolger vor der strategisch wichtig gelegenen Stadt Leiden4 • Die Belagerung begann im Mai 1574 und zog sich über Monate hin5• Hunger und Seuchen wüteten in der belagerten Stadt. Der Bürgermeister bot der versammelten Menge, um seinen Durchhaltewillen nachdrücklich zu unterstreichen, seinen eigenen Körper als Nahrung an. Da brachten Brieftauben neue Hoffnung. Wilhelm von Oranien war nach einer schweren Krankheit auf dem Wege der Besserung. Die Maas- und Ijsel-Deiche waren durchstochen worden und der Befehlshaber der Wassergeusen stand bereit, mit einer Armada von Kanalschiffen zur Entsetzung Leidens über das platte Land zu staken. Ein steifer Nordostwind und eine Springflut Anfang Oktober schufen hierfür die Voraussetzungen. In der Nacht auf Sonntag, den 3. Oktober, hob die spanische Armee die Belagerung auf, und alsbald trafen die ersten mit Weißbrot und Heringen beladenen Barken der Wassergeusen ein. Natürlich verdiente ein derart heldenmütiger Widerstand eine Belohnung. Diese Belohnung sollte nach dem Willen des Oranierprinzen in der Errichtung einer Universität, der ersten in dem Gebiet der nördlichen Niederlande, ff.; Geoffrey Parker, Der Aufstand der Niederlande. Von der Herrschaft der Spanier zur Gründung der Niederländischen Republik, 1549-1609, 1979; Jan Juliaan Woltjer, Der niederländische Bürgerkrieg und die Gründung der Republik der Vereinigten Niederlande (1555-1648), in: Theodor Schieder, Handbuch der Europäischen Geschichte, Band 3, 1971, S. 663 ff. 2 Vgl. über ihn die Biographie von C.V. Wedgwood, William the Silent, 1944 (deutsche Übersetzung 1949). 3 Bei der Einnahme Naardens (und kurz zuvor auch Zutphens) hatten die spanischen Truppen ein Blutbad unter der Bevölkerung angerichtet. Auch als das lange belagerte Haarlern im Juli 1573 endlich aufgab, wurde entgegen einer zuvor gemachten Zusage die gesamte Garnison hingerichtet. Zu den spanischen Grausamkeiten während der Zeit des Aufstandes im Spiegel der "vaterländischen" Geschichtsschreibung und der damit verbundenen Herausbildung des Gefühls nationaler Zusammengehörigkeit vgl. Sirnon Schama, The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, 1988, S. 83 ff. 4 Leiden hatte seinen Aufstieg ursprünglich der Tuchindustrie zu verdanken; es war nach Amsterdarn die zweitgrößte Stadt Hollands. Schätzungen der Einwohnerzahl schwanken; Parker (op. cit., Fn. 1, S. 352) zitiert für die Sechziger Jahre eine Zahl von 22.600. Während der Belagerung verlor die Stadt etwa ein Drittel ihrer Bevölkerung. s Vgl. im einzelnen etwa Wedgwood, op. cit., Fn. 2, S. 217 ff.; M.W. Jurriaanse, The Founding of Leyden University, 1965, S. 3 ff.; Schama, op. cit., Fn. 3, S. 26 ff.
Römisch-holländisches Recht
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bestehen6• Der Vorschlag, den Provinzialständen am 28.12.1574 unterbreitet, wurde enthusiastisch aufgenommen. Keine langwierige Gremienarbeit war erforderlich. Schon am 6.1.1575 wurde die Universitätssatzung verabschiedet, und noch im Januar fand man geeignete Gebäude7 • Am 8.2.1575 konnte die neue Hochschule eröffnet werden. In der allegorischen Festprozession8 ritt gleich hinter dem Wagen mit der Sacra Scriptura und den vier Evangelisten die Justitia, gefolgt und umgeben von Salvius Julianus, Papinian, Ulpian und Tribonian. Mit der Gründung der Universität Leiden war eine wesentliche Voraussetzung für das Aufblühen der Rechtswissenschaft in Holland geschaffen worden. Wie bereits an der Wahl der Prozessionsteilnehmer ersichtlich, stand dabei, jedenfalls im akademischen Unterricht, das römische Recht im Vordergrund. Dieses römische Recht, so wie es in Holland während des 17. und 18. Jahrhunderts gelehrt und praktiziert wurde, bezeichnen wir als römisch-hol-
6 Die Errichtung einer eigenen Universität war im Gespräch, seit sich eine Teilung der Niederlande in einen spanischen und einen .,freien" Teil abzeichnete. Ursprünglich hatte man Deventer als Sitz dieser Institution im Auge (vgl. Jurriaanse, op. cit., Fn. 5, S. 6 f.) Die bedeutendste Universität der (spanischen) Niederlande war bislang Löwen (Louvain) gewesen (gegründet 1425). Zu ihr vgl. etwa lohn Gilissen, Romeins recht en inheems gewoontereg in de zuidelijke Nederlanden, (1955) 18 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 125 f.; Robert Feenstra, Universite de Louvain, Repertoire et Bibliographie jusqu' a !'an 1500, in: Ius Romanum Medii Aevi, Pars II, 7 e aa, 1966; R.C. Van Caenegem, Le droit romain en Belgique, in: lus Romanum Medii Aevi, Pars V, Sb, 1966, § 26; Guido van Dievoet/Dirk van den Auweele/Fred Stevens/Michel Oosterbosch/Chris Coppens (Hg.), Lovanium docet, Geschiedenis van de Leuvense Rechtsfakulteit (1425 -1914), 1988; über die Juristen der Universität Löwen und ihren Einfluß auf das niederländische Recht vgl. etwa D.H. van Zyl, Geskiedenis van die Romeins-Hollandse Reg, 1979, S. 310 f., 335 ff.; J.C. de Wet, Die Ou Skrywers in Perspektief, 1988, S. 114 ff. - Angesichts des Krieges mit Spanien war der Weg an die Universität Löwen (oder auch die andere südniederländische Universität in Douai) holländischen Studenten nicht mehr zuzumuten. Zudem waren beide Hochschulen natürlich römisch-katholisch orientiert; auch dies ein Stein des Anstoßes jedenfalls für die holländischen Calvinisten. Die Geschichte, daß Wilhelm von Oranien den Leidener die Wahl: Steuerbefreiung für zehn Jahre oder Universität offengestellt habe, ist offenbar (leider) apokryph. 1 Unter den ersten Professoren, die ernannt wurden, war Comelis de Groot, ein Onkel des Hugo de Groot (Hugo Grotius). Zu Comelis de Groot vgl. neuerdings Margreet Ahsmann, Collegia en colleges, Juridisch onderwijs aan de Leidse Universiteil 1575-1630 in het bijzonder het disputeren, 1990, S. 39 ff. 8 Vgl. die Abbildung bei Jurriaanse, op. cit., Fn. 5, Faltblatt zwischen S. 10 und
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Reinhard Zimmermann
ländisches (oder auch: als klassisches römisch-holländisches)9 Recht. Ihm gilt der vorliegende Sammelband10• Was hat es mit der Wahl gerade dieses Themas auf sich? Da ist zum einen die Tatsache, daß das römisch-holländische Recht noch in einem allerdings recht entfernten Teil der Welt, der Republik Südafrika, in unkodifizierter Form und damit als gemeines Recht, fortlebt11 . Zum zweiten handelt es sich hier um eine für die gesamteuropäische Rechtsentwicklung besonders bedeutsame und lehrreiche Epoche der Rechtsgeschichte, die den modernen Juristen in beispielhafter Weise zu dem Versuch inspirieren kann, über die Grenzen nationalstaatlicher Vereinzelung und kodifikationsbedingter Zäsuren hinweg an die gemeineuropäische Tradition des ius commune wiederanzuknüpfen12. Drittens verdankt gerade auch Deutschland der juristischen Kultur der Niederlande viel. Wieacker spricht in einem seiner berühmten eleganter dicta davon, daß Holland die Fackel der großen Rechtswissenschaft unserem Lande weitergereicht habe, die einst in Italien entzündet worden und von
9 Im Gegensatz zum heutigen, vor allem südafrikanischen, Gebrauch des römischholländischen Rechts. Ich habe hierfür den Terminus .,usus hodiemus" vorgeschlagen; vgl. Reinhard Zimmermann, Synthesis in South African Private Law: Civil Law, Common Law and Usus Hodiemus Pandectarum, (1986) 103 South African Law Journal 259 ff. 10 Einen Überblick über die neuere niederländische rechtshistorische Literatur bieten J.E. Spruit, Sammelbericht: Niederländische rechtsgeschichtliche Literatur aus den Jahren 1945-1975, (1975) 92 ZSS (GA) 371 ff. und Paul Neve, Niederländische und belgisehe rechtshistorische Literatur, (1980) 2 ZNR 66 ff. 11 Vgl. im einzelnen Reinhard Zimmermann, Das römisch-holländische Recht in Südafrika, 1983, S. 1 ff. 12 Vgl. dazu bereits Helmut Coing, Die Bedeutung der europäischen Rechtsgeschichte für die Rechtsvergleichung, (1968) 23 RabelsZ 1 ff.; idem, Die historischen Grundlagen der europäischen Rechtseinheit, (1973) Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 14 ff.; idem, Ius commune, nationale Kodifikation und internationale Abkommen: drei historische Formen der Rechtsvereinheitlichung, in: Le nuove frontiere del diritto e il problema dell'unificazione, Atti del Congresso intemazionale organizzato della Facoltit di Giurisprudenza deli'Universita di Bari, 1979, S. 171 ff.; Gino Gorla, Unificazione .,legislativa" e unificazione .,jurisprudenziale". L'esperienza del diritto comune, in: Le nuove frontiere, S. 469 ff.; Helmut Coing, Europäisierung der Rechtswissenschaft, 1990 Neue Juristische Wochenschrift 937 ff.; Reiner Schulze, Vom ius commune bis zum Gemeinschaftsrechtdas Forschungsfeld der Europäischen Rechtsgeschichte, in: Reiner Schulze (Hg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, 1991; Filippo Ranieri, Eine Dogmengeschichte des europäischen Zivilrechts? Einige Thesen zum Beitrag der Rechtsgeschichte zu einer europäischen Zivilrechtswissenschaft, in: Schulze, op. cit., S. 89 ff.; Reinhard Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, 1992 Juristenzeitung 8 ff.
Römisch-holländisches Recht
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dort nach Frankreich und weiter in die Niederlande gewandert sei13 • Desungeachtet werden die Leistungen der holländischen Juristen gerade bei uns häufig nicht angemessen gewürdigt. So hat Van den Bergh mit Recht erst kürzlich auf die Verdunkelung der rechtshistorischen Leistungen der Eleganten Schule durch die Historische Schule hingewiesen14• Typisch ist dafür folgende Bemerkung aus Jherings berühmtem programmatischen Eröffnungsaufsatz seiner Jahrbücher: "Die gelehrtesten rechtshistorischen Untersuchungen früherer Zeiten, wie z.B. der ganzen holländischen Schule, haben das wahrhafte Verständnis des römischen Rechts - ich meine darunter nicht das rechtshistorische, sondern das juristische - um nichts gefördert, sie haben den juristischen Sinn, der allein dieses Verständnisses fähig ist, vielleicht mehr unterdrückt und auf Abwege geleitet, als erweckt und angeregt" 15• In der Tat führt das römisch-holländische Recht auch heute noch in der rechtshistorischen Literatur ein Mauerblümchendasein16; in den gängigen Lehrbüchern wird es nur knapp und in der Regel unter dem Stichwort "elegante niederländische Schule" erörtert17• Damit wird man seiner Bedeutung freilich nicht gerecht. Und viertens und letztens hat auch der 28. deutsche Rechtshistorikertag im September 1990 in Nijmegen, auf dem eine Sektion den rechtswissenschaftliehen Beziehungen zwischen Deutschland und den
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, S. 169. G.C.J.J. van den Bergh, Geschichtsbewußtsein im 17. Jahrhundert: Die Verdunkelung der rechtshistorischen Leistungen der Eleganten Schule durch die Historische Schule, in: Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages Frankfurt am Main, 1987, S. 527 ff.; vgl. auch dens., Die Holländische Schule und die Historische Schule: Weiteres zur Geschichte eines Mißverständnisses, in: Robert Feenstra/Chris Coppens, Die rechtswissenschaftliehen Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland in historischer Sicht, 1991, S. 53 ff. 15 Unsere Aufgabe, (1857) 1 Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 22; vgl. hierzu auch Oncko W. Star Numan/Cornelis van Bynkershoek, Zijn leven en rijne geschriften, 1869, S. 174 ff.; J.C. van Oven, Le droit romain aux Pays-Bas, in: Atti del Congresso Internazionale di Diritto Romano, Bologna, 1935, S. 54 f. 13
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16 Theo Johannes Veen, Recht en nut, Studien over en naar aanleiding van Ulrich Huber (1636 - 1694), 1976, bezeichnet die niederländische Rechtswissenschaft des 17. Jahrhunderts als ,,noch fast eine terra incognita" (S. 222); vgl. auch die Bemerkungen von T.J. Veen/P.C. Kop, Zestig Juristen, Bijdragen tot een beeld van de geschiedenis der Nederlandse rechtswetenschap, 1987.
17 Vgl. etwa Wieacker, op. cit., Fn. 13, S. 168 f.; Gerhard Wesenberg, Gunter Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. Aufl., 1985, S. 71 f.; O.F. Robinson/T.D. Fergus/W.M. Gordon, An Introduction to European Legal History, 1985, S. 366 ff.; vgl. aber auch Wieacker, S. 222, und Hans Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 6. Aufl., 1988, S. 66.
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Reinhard Zimmermann
Niederlanden gewidmet war, Anregungen zu näherer Untersuchung der europäischen Bedeutung der niederländischen Rechtswissenschaft gegeben 18 •
II. Die Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert 1. Allgemeine kulturelle Bedeutung
Die Geburtsstunde der Republik der Vereinigten Niederlande war der Zusammenschluß der sieben nördlich der großen Flüsse gelegenen Provinzen der zunächst burgundischen, dann spanisch-habsburgischen Niederlande in der Union von Utrecht im Jahre 157919 • Nach mancherlei Veränderungen im einzelnen umfaßte diese Union schließlich die Provinzen Holland, Seeland, Friesland, Utrecht, Gelderland, Groningen (Stadt und Ommelanden) sowie Overijsel. Auch Drenthe war Mitglied des Bundes, allerdings nicht stimmberechtigtes. Teile von Flandern und Brabant gehörten als sog. Generaliteitslande ebenfalls zur Union, konstituierten aber keine eigene Provinz, sondern wurden von den Generalständen für die Union insgesamt verwaltet. Die südlichen Provinzen schlossen sich demgegenüber in der Union von Arras (oder Atrecht) zusammen und kehrten unter die Herrschaft Spaniens zurück. Damit war es zu einer Teilung der Niederlande in zwei verschiedene
18 Die dort gehaltenen Vorträge (Margreet Ahsmann, Collegia publica et privata: Eine Erscheinung deutscher Herkunft an den niederländischen Universitäten um 1600?; Michael Stolleis, Niederländisch-deutsche Beziehungen im öffentlichen Recht des 17. Jahrhunderts; Robert Feenstra, Die an niederländische Universitäten berufenen Steinfurter Professoren der Rechte, insbesondere Ale).ander Arnold Pagenstecher; G.C.J.J. van den Bergh, Die Holländische Schule und die Historische Schule: Weiteres zur Geschichte eines Mißverständnisses; C.J.H. Jansen, Der Briefwechsel zwischen H.W. Tydeman (1778- 1863) und F.C. von Savigny (1779 -1861 ): Streiflichter auf die niederländische Rechtswissenschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts; P.C. Kop, Bemerkungen zum Einfluß der deutschen Rechtswissenschaft auf die niederländische Privatrechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts) sind veröffentlicht in: Robert Feenstra/Chris Coppens (Hg.), Die rechtswissenschaftliehen Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland in historischer Sicht, Gerard Noodt Instituut, Nijmegen, 1991. 19 Vgl. etwa Lademacher, op. cit., Fn. 1, S. 74 (..... als Geburtsurkunde und Grundgesetz der niederländischen Republik anzusehen ...• auch wenn die Union zunächst lediglich als Defensivallianz geplant war"); A.Th. van Deursen. Tussen eenheid en zelfstandigheid. Oe toepassing van de Unie als fundamentele wet, in: S. Groeneveld/ H.L.Ph. Leeuwenberg (Hg.), Oe Unie van Utrecht. Wording en werking van een verbanden een verbondsakte, 1979, S. 136 ff.; J.Ph. de Monte ver Loren/ J.E. Spruit, Hoofdlijnen uit de ontwikkeling der rechterlijke organisatie in de noordelijke Nederlanden tot de Bataafse omwenteling, 6. Auf!., 1982, S. 217 ff.
Römisch-holländisches Recht
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Staatengebilde gekommen. Freilich ergaben sich die Grenzen, die wenigstens ungefähr denen zwischen den heutigen (nördlichen) Niederlanden und Belgien entsprechen20, erst im Verlaufe weiterer, jahrzehntelanger kriegerischer Auseinandersetzungen und wurden erst am Ende des 80jährigen Krieges zwischen Spanien und den Niederlanden im Vertrag von Münster von 1648 festgelegt. Die Nordprovinzen ihrerseits hatten sich im Jahre 1581 im Placaet van Verlatinge vom spanischen König Philipp II. losgesagt21 und wurden 1596 von Frankreich und England als unabhängige Republik: anerkannt. Aus dem Verband des heiligen römischen Reiches schieden die Niederlande formell erst im Jahre 1653, faktisch aber schon sehr viel früher aus22. Es ist eine bemerkenswerte, vielleicht einzigartige Tatsache, daß die Niederlande bereits unmittelbar nach ihrem Entstehen23, und trotz der 80 Jahre lang andauernden kriegerischen Verstrickung mit Spanien zu einer der führenden Kulturnationen Europas wurden24• Das 17. Jahrhundert war die Zeit der niederländischen Meister in der Malerei: Rembrandt und Van Ruisdael, Jan Steen, Frans Hals oder Johannes Vermeer, um nur einige der bekanntesten zu nennen; der Katalog der niederländischen Meister in der Nationalgalerie in London verzeichnet die Werke von mehr als 160 Malern25• Aber auch Wissenschaft und Philosophie erlebten eine bedeutende Blütezeit. Der Mediziner Herman Boerhaave, der in Personalunion nicht weniger als drei Lehrstühle an der Universität Leiden bekleidete und dem Zar Peter der Große bei seinem Besuch in Holland einen Besuch abstattete, der Mathematiker Sirnon Stevin und der Naturwissenschaftler Christian Huygens gehörten zu denen, die sich europäischen Ruhm erwarben. Mit holländischen Teleskopen
20 Vgl. in diesem Zusammenhang Schama, op. cit., Fn. 3, S. 51 ff. (unter der charakteristischen Überschrift "uncertain boundaries"). 21 Hierzu etwa Oe Moore ver Loren/Spruit, op. cit., Fn. 19, S. 203 ff. 22 Vgl. hierzu im einzelnen die Untersuchung von Robert Feenstra, A quelle epoque !es Provinces-Unies sont-elles devenues independantes en droit a l'egard du Saint-Empire?, (1952) 20 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 30 ff., 182 ff., 479 f. 23 Diesen Gesichtspunkt betont Huizinga in seiner wunderbar einfühlsamen und eindringlichen Skizze Nederland's Beschaving in de Zeventiende Eeuw, 1932; deutsche Ausgabe unter dem Titel Holländische Kultur im Siebzehnten Jahrhundert, 1961. Vgl. auch etwa Schama, op. cit., Fn. 3, S. 8 ("precocity"). 2A Vgl. im einzelnen den eben erwähnten Band von Huizinga, aber auch K.H.D. Haley, The Dutch in the Seventeenth Century, 1972, S. 100 ff.; Schama, op. cit., Fn. 3, passim. Speziell zu den Anfängen der modernen Orientalistik in Leiden vgl. auch Heinz Schneppen, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben, 1960, s. 92 ff. 25 Haley, op. cit., Fn. 24, S. 132. Zur Malerei in den Niederlanden vgl. auch Huizinga, op. cit., Fn. 23, S. 108 ff.
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Reinhard Zimmermann
beobachtete man die Ringe und Monde des Saturn, mit holländischen Mikroskopen wurden Protozoen, Bakterien und Spermatozoen entdeck~6• Und unter den Philosophen, die in den Niederlanden lebten und publizierten, waren Männer vom Range eines Descartes, John Locke und Spinoza. Eine der Emanationen dieser geistigen und kulturellen Blüte war auch das römischholländische Recht. 2. Politisch-institutioneller Rahmen
Bevor wir darauf jedoch näher eingehen, ist zunächst noch ein kurzer Blick auf den politisch-institutionellen Rahmen der niederländischen Zivilisation des 17. Jahrhunderts zu werfen. Denn es war in mehrfacher Hinsicht ein ganz eigenartiges Gebilde, das sich seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts innerhalb kürzester Zeit zu einem der führenden Mitspieler im europäischen Mächtekonzert aufschwang. Primär waren für diesen Aufschwung natürlich Handel und Schiffahrt verantwortlich, die in einem bislang beispiellosen Ausmaß expandierten27• Von Spitzbergen bis Kapstadt oder Kap Hoorn, von Brooklyn bis Neuseeland zeugen noch auf unseren heutigen Landkarten viele Namen von dem Unternehmungsgeist niederländischer Seefahrer28• Die Folge war eine Ankurbelung der Wirtschaft, von der natürlich auch das Bank- und Kreditwesen29, die Güterproduktion und der gesamte Dienstlei-
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Haley, op. cit., Fn. 24, S. 150.
Stichworte: Standortwechsel der Heringsschwärme von der Ost- in die Nordsee; Nordseefischerei mit den sog. buizen; Bau der sog. ,,fluyts" für die Handelsschiffahrt; weitverzweigtes System von Binnengewässern, über das die führenden europäischen Handelswege liefen. Während der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts fuhren 70% der den Sund passierenden Schiffe unter niederländischen Kapitänen; die niederländische Handelsflotte (die 1632 aus etwa 1750 Schiffen bestand) übertraf den Gesamtbestand der englischen, schottischen und französischen Flotte. Insbesondere Amsterdam profitierte von dem gleichzeitigen Niedergang Antwerpens als einer der bedeutendsten europäischen Handelsmetropolen (Stichwort: Sperrung der Scheide). Eine eingehende Analyse der Vorherrschaft der Niederlande im Welthandel des 17. Jahrhunderts bietet neuerdings Jonathan I. Israel, Dutch Primacy in World Trade, 15851740, 1989 (..Except for Britain after around 1780, no one power in history ever achieved so great a preponderance over the process of world trade as did the Dutch, for a century and a half. ... That any one nation, or state ... should have achieved so prolonged, and constantly renewed, a Capacity to dominate the world economy is, in itself, sufficiently amazing. But what mak:es it still more astounding is that at the time of its maritime and commercial greatness the Dutch Republic was the smallest of the major European states in territory, population, and natural resources", S. 12). 28 Vgl. Haley, op. cit., Fn. 24, S. 28. 27
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tren.
Amsterdam wurde zu einem der größten europäischen Banken- und Börsenzen-
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stungssektor sowie schließlich auch die Landwirtschaft30 profitierten. Man braucht nur an die Geschichte der Delfter Porzellanmanufaktur zu denken, um einen Begriff von den die Wirtschaft stimulierenden Folgen des Fernhandels zu haben. Durch eine den Generalständen unterstehende Handelsgesellschaft, die Vereinigte Ostindische Kompanie, gelang es den Niederlanden, ein bedeutendes Kolonialreich zu erwerben und zu verwalten31 ; die Aktivitäten der in den beiden Amerikas operierenden Westindischen Kompanie waren a Ja longue sehr viel weniger erfolgreich. Es kam im übrigen zu einer zunehmenden Urbanisierung; die niederländische war ganz wesentlich eine städtische Kultur32• So stellten Stadtbewohner bereits im Jahre 1622 etwa 60% der Gesamtbevölkerung der Provinz Holland33• Zur Zeit des Beginns des Aufstandes hatte Amsterdam noch kaum mehr als 30.000 Einwohner; als der Westfälische Friede geschlossen wurde, zählte es mit 150.000 Einwohnern zu den größten Städten Europas34 und war einer der Knotenpunkte des Welthandels. All dies war umso bemerkenswerter, als es sich bei den Niederlanden um ein Staatengebilde handelte, das im Grunde genommen als unzeitgemäß erscheinen mußte. Es stellte sich in mehreren grundlegenden Punkten den das 17. Jahrhundert in Europa ansonsten beherrschenden Trends entgegen, denn es war nicht absolutistisch, sondern republikanisch organisiert, nicht zentralistisch, sondern föderativ strukturiert und nicht nationalstaatlich, sondern deutlich partikularistisch inspiriert35 • Darüber hinaus gewährte es in einem
30 Hierzu im einzelnen Jan de Vries, The RoJe of the Rural Sector in the Expansion of the Dutch Economy: 1500-1700, Ph.D. thesis, Yale, 1970. 31 Überblick über die Verwaltungsorganisation in den ostindischen Besitzungen bei H.R. Hahlo I Ellison Kahn, The South African Legal System and its Background, 1968, S. 533 ff.; vgl. auch Lademacher, op. cit., Fn. 1, S. 143 ff.; Zimmermann, op. cit., Fn. 11, S. 2 ff. Ausführliche Darstellung zur Kolonialgeschichte etwa bei B.H.M. Vlekke, Nusantara, A History of the East Indian Archipelago, 4. Auf!., 1959; C.C. Goslinga, The Dutch in the Caribbean and on the Wild Coast 1580-1680, 1971; idem, The Dutch in the Caribbean andin the Guineas, 1680-1791, 1985; zum Überseehandel vgl. insbesondere Israel, op. cit., Fn. 27, passim. 32 Näher Huizinga, op. cit., Fn. 23, S. 19 ff.; vgl. auch Lademacher, op. cit., Fn. 1, S. 1 ff. 33 34
Lademacher, op. cit., Fn. 1, S. 126. Vgl. Haley, op. cit., Fn. 24, S. 49; Huizinga, op. cit., Fn. 23, S. 51.
35 Vgl. ferner Huizinga, op. cit., Fn. 23, S. 12 ff., der darauf hinweist, daß die Niederlande auch ganz allgemein eher eine Abweichung von der allgemeinen Art der damaligen Kultur (nämlich der des Barock) darstellen; Schama, op. cit., Fn. 3, S. 62, 221 ff. (,,In all these respects, then, the Dutch Republic was the Great SeventeenthCentury Exception"). Huizinga macht auch auf den ebenfalls erstaunlichen Umstand aufmerksam, daß die niederländische Kultur " ... sich sowohl rezeptiv als produktiv 2 FeenstrafZimmermann
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Zeitalter religiöser Intoleranz eine bemerkenswert weitreichende Toleranz gegenüber denen, die die calvinistische Religion ablehnten; und das, obwohl die Niederlande selbst aus einem mindestens auch religiös motivierten Aufstand heraus entstanden waren. Diese Liberalität führte zu der das geistige Leben befruchtenden Einwanderung ausländischer Gelehrter wie Locke und Descartes, sie zog, insbesondere nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes, scharenweise Hugenotten ins Land36, und sie ließ auch etwa die blühende jüdische Gemeinde in Amsterdarn entstehen, aus der so bedeutende - und gegensätzliche! - Männer wie der Gelehrte Manasseh ben Israel und Baruch Spinoza hervorgingen37. Die in vieler Hinsicht wichtigste Verwaltungseinheit - insbesondere was das Heimat- und Loyalitätsgefühl der Niederländer betraf - war die Stadt. Die Details der Verwaltungsorganisation wechselten von Stadt zu Stadt, aber wohl überall waren die Sitze des Stadtrates (der vroedschap) und damit auch das Amt des Bürgermeisters fest in der Hand bestimmter alteingesessener Regentenfamilien38. Die Städte sowie der in den Niederlanden nur eine untergeordnete Rolle spielende Adel waren in den provinzialen Ständeversammlungen vertreten. Auch hier unterschieden sich die Einzelheiten von Provinz zu Provinz. In der holländischen Ständeversammlung waren 18 Städte vertreten, jede mit einer Stimme. Die Adelsbank insgesamt verfügte demgegenüber ebenfalls nur über eine Stimme. Jede der sieben Provinzen war eine eigenständige Republik mit eigenen, voneinander unabhängigen Organen: eigener Ständevertretung, eigenem Exekutivrat, eigenem Statthalter und eigenen Gerichten. Das Amt des Statthalters war ein kurioses Relikt aus der spanischen Zeit und bildete in gewisser Weise eine staatsrechtliche Anomalie39: immerhin gab es ja seit 1581 keinen von den Provinzen anerkannten Landesherrn mehr, der von einem Statthalter hätte vertreten werden müssen. Weiterhin lag in diesem Amt ein durch einen starken Amtsinhaber durchaus
auf ein Gebiet von nicht viel mehr als hundert Quadratkilometern konzentriert [hat)" (S. 18). Die Gesamtbevölkerung Hollands, der bei weitem bedeutendsten Provinz, belief sich etwa 1622 auf nicht mehr als 672.000 Einwohner. Im Jahre 1650 hatten die gesamten Niederlande eine Einwohnerzahl von 1,9 Millionen. 36 Manche von ihnen kamen über Holland nach Südafrika und leisteten dort einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Landes; zu Einzelheiten vgl. C.G. Botha, The French Refugees at the Cape, 1919; N. Nathan, Huguenots in South Africa, 1939; J.A. Heese, Die Herkorns van die Afrikaner 1657-1867, 1971. 37 Vgl. näher Paul Johnson, A History of the Jews, 1987, S. 252 f., 275 ff., 289 ff. Zu den Juden in Holland vgl. auch Schama, op. cit., Fn. 3, S. 587 ff. 38 Hierzu etwa H. van Dijk/D.J. Roorda, Sociale mobiliteit onder de regenten van de republiek, (1971) 84 Tijdschrift voor geschiedenis 306 ff. 39 Huizinga, op. cit., Fn. 23, S. 38 spricht von einem Monstrum.
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ausbaufähiges, im übrigen aber konfliktträchtiges monarchisches Element. Höchstes gemeinschaftliches Organ der Vereinigten Niederlande waren die sog. Generalstände (Staten Generaal), in denen jede der Provinzen eine Stimme hatte, deren Entscheidungen einstimmig sein mußten und denen neben der Kontrolle über die gemeinsamen überseeischen Gebiete vor allem die auswärtige Politik und die Landesverteidigung oblagen40. 3. Die Sonderstellung der Provinz Holland
Trotz dieses Systems der formalen Gleichheit innerhalb eines lockeren Staatenbundes41 gab es eine Provinz, die faktisch sehr stark dominierte, und das war Holland42. Sie war die am dichtesten bevölkerte und reichste der Provinzen, die zwischen 50% und 60% des Finanzbedarfs der Union deckte43. Diese Dominanz zeigte sich. etwa darin, daß der holländische Statthalter (jeweils das Haupt des Hauses Oranien) in der Regel auch das Amt des militärischen Oberbefehlshabers der Union ausübte (Kapitein-generaal). Eine besonders mächtige, mit der Position des jeweils als Statthalter regierenden Oranierprinzen in einer gewissen Spannung stehende Stellung hatte auch der Landesadvokat oder Ratspensionär der Provinz Holland inne; er führte nicht nur de facto den Vorsitz der Provinzialstände, sondern übernahm darüber
40 Vgl. allgemein zu den politischen Institutionen in den nördlichen Niederlanden Robert Fruin/ H.T. Colenbrander, Geschiedenis der Staatsinstellingen in Nederland tot den val der Republiek, 2. Auf!., 1922 (reprint 1980), S. 181 ff.; S.J. Fockema Andreae, Oe Neder1andse staat onder de Republiek, 1961; A.Th. van Deursen, Staatsinstellingen in de Noordelijke Nederlanden 1579- 1780, in: Algemene Geschiedenis der Nederlanden, Band 5, S. 350 ff.; Oe Monte ver Loren/ Spruit, op. cit., Fn. 19, S. 221 ff.; vgl. auch (zu einem speziellen Thema) A.Th. van Deursen, Oe Raad van State ende Generaliteit, (1964) 19 Bijdragen voor de Geschiedenis der Nederlanden 1 ff. Überblick bei Haley, op. cit., Fn. 24, S. 64 ff.; Lademacher, op. cit., Fn. 1, S. 78 ff. 41 Huizinga (S. 37 f.) charakterisiert die Republik zusammenfassend als eine politische Schöpfung, die ,;hrem Ursprung nach nicht als neuer Staat gemeint war, ... [die dann jedoch auf Grund der veränderten Umstände} in einer gänzlich unfertigen Gestalt plötzlich festgelegt wurde, und die - was ihren Aufbau betrifft - auf veralteten Grundlagen ruhte und von keinem einzigen bewußten politischen Prinzip ausging." Wo lag, im staatsrechtlichen Sinne, die Souveränität (i.e. war die Republik ein souveräner Staat oder nur ein Bund souveräner Staaten)? Überblick über die Diskussion bei Hahlo I Kahn, op. cit., Fn. 31, S. 532 f. 42 Eine Analyse des Aufstiegs der Provinz Holland innerhalb der Niederlande im 14. und 15. Jahrhundert bietet H.P.H. Jansen, Holland's Voorsprong, Antrittsvorlesung Leiden, 1976. 43
Vgl. etwa Lademacher, op. cit., Fn. 1, S. 93; Haley, op. cit., Fn. 24, S. 65.
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hinaus für die Union faktisch das Amt eines Außen-, teilweise auch eines Finanzministers. Dieselbe Dominanz der Provinz Holland finden wir nun auch im juristischen Bereich. Das beginnt bereits mit dem Namen römisch-holländisches Recht, der sich, pars pro toto, zur Bezeichnung des römisch-niederländischen Rechts eingebürgert hat. Genau genommen hatte jede Provinz ihre eigene Rechtsordnung. Dabei bestanden untereinander durchaus Unterschiede44• Das lag zum einen an der Gesetzgebungsaktivität der ja nur für jeweils eine Provinz zuständigen Provinzialstände, zum anderen aber auch an der nicht ganz gleichmäßigen Rezeption des römischen Rechts in den verschiedenen Staaten45. Gleichwohl überwiegen natürlich die Gemeinsamkeiten bei weitem; die Grundlage der Rechtsordnung bildete schließlich überall das römisch-kanonische ius commune. In Südafrika hat übrigens die Frage, ob als rezipiert nur römisch-holländisches Recht im engen Sinne zu betrachten sei und ob damit bereits friesische oder Utrechter Autoren (geschweige denn deutsche, italienische oder französische) nicht als autoritativ angesehen werden können, zu einer intensiven Rechtsquellendebatte Anlaß gegeben46. Ein für die herausgehobene Bedeutung des holländischen Rechts im niederländischen Gesamtverband besonders wichtiger Faktor war das Ansehen
44 Vgl. v.a. Fockema Andreae, op. cit., Fn. 40, S. 132 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 316 ff.; J.H.A. Lokin/W.J. Zwalve, Hoofdstukken uit de Europese Codificatiegeschiedenis, 1990, S. 252 ff. 45 Hierzu allgemein Robert Feenstra, Zur Rezeption in den Niederlanden. in: L'Europa e il diritto romano, Studi in memoria di Paolo Koschaker, Band I, 1953, S. 243 ff. (auch in: Fata Juris Romani, 1974, S. 3 ff.); B.H.O. Hermesdorf, Römisches Recht in den Niederlanden, in: Ius Romanum Medii Aevi, Pars V, 5a, 1968 (hierzu aber Robert Feenstra, (1970) 87 ZSS (RA) 560 ff.); Oe Monte ver Loren/Spruit, op. cit., Fn. 19, S. 228 ff.
46 Vg:. hierzu etwa C.F. Forsyth, In Danger for Their Talents. A Study of the Appellale Division of the Supreme Court of South Africa from 1950- 80, 1985, S. 182 ff.; Zimmermann, in: Schulze, op. cit., Fn. 12, S. 68 ff. Aus der neueren Rechtsprechung vgl. in einem sehr engen Sinne (das common law Südafrikas ist das Recht der Provinz Holland) Trust Bank van Afrika, Bpk. v. Eksteen, 1964 (3) SA 402 (A) 410 f.; Magna Alloys and Research (SA) (Pty.) Ltd. v. Ellis, 1984 (4) SA 874 (A) 890 f. (kritisch dazu J.T. Schoombee, Agreements in Restraint of Trade, The Appellale Division Confirms New Princip1es, (1985) 48 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 127 ff.); Bank of Lisbon and South Africa Ltd. v. Oe Omelas and another, 1988 (3) SA 580 (A) 604. Zum Widerspruch zwischen Theorie und Praxis bei der Heranziehung von Pothier vgl. etwa Reinhard Zimmermann. Der Einfluß Pothiers auf das römisch-holländische Recht in Südafrika, (1985) 102 ZSS (GA) 168 ff.
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und die besondere Autorität seiner Gerichte47• Neben den in allen Provinzen weiterbestehenden althergebrachten Untergerichten (schaut en buren bzw. schaut en schepenen) gewannen nämlich im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts die von dem jeweiligen Landesherrn eingesetzten und zunächst teilweise, später ausschließlich mit gelehrten Juristen besetzten Obergerichte zunehmend an Gewicht48 • Deren ältestes war in den nördlichen Niederlanden der Hof van Holland, Zeeland en West Friesland, der bis auf die Zeit Philips des Guten von Burgund zurückreicht Demgegenüber erhielten Friesland, Utrecht und Gelderland ähnliche Obergerichte erst in den Jahren 1499, 1530 und 1547. Gegen die Urteile aller dieser Gerichte konnte zunächst an ein ebenfalls von Philip dem Guten gegründetes Hofgericht, den seit 1473 sog. Großen Rat von Mecheln appelliert werden49 • Nach der Trennung der nördlichen und südlichen Niederlande war ein derartiger Instanzenweg natürlich nicht mehr opportun. Nur Holland richtete daraufuin im Jahre 1581 ein Appellationsgericht (Hooge Raad) ein50, dessen Jurisdiktion sich zwar nicht, wie erhofft, alle anderen Provinzen unterwarfen (Ausnahme: Seeland im Jahre 1587), dem aber allein durch seine Existenz als einzigem niederländischem Appellationsgerichtshof eine nicht unwesentliche "persuasive authority" zukam. An beiden holländischen Gerichten praktizierten bedeutende Juristen, die deren Ansehen ständig steigerten. Manche von ihnen sammelten Gutachten und Entscheidungen, die nach ihrer Publikation zu einflußreichen Präzedentien wurden; so insbesondere Nicolaus Everardus (Präsident des Hof van Holland von 1509 bis 1528, dann Präsident des Großen Rats; Responsa
47 Zur Gerichtsorganisation vgl. Hahlo/Kahn, op. cit., Fn. 31, S. 473 ff., 541 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 299 ff.; Fruin/Colenbrander, op. cit., n. 40, S. 119 ff., 260 ff., 363 ff.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 102 ff.; sowie Gero Dolezalek in diesem Band. 48 Vgl. etwa De Monte ver Loren/ Spruit, op. cit., Fn. 19, S. 133 ff. 49 Näher hierzu vgl. J.Th. de Smidt, De appelzaken van Holland bij de Groote Raad, (1949) 12 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 81 ff.; L.Th. Maes, De Groote Raad der Niederlanden en zijn A.rrestisten, (1949) 12 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 58 ff.; E.M. Meijers, De Betekenis van de Groote Raad te Mechelen voor de Noordelijke Nederlanden, in: Etudes d'Histoire du Droit, Band II, 1973, S. 168 ff. sowie die Beiträge in dem Sammelband Consilum magnum 1473-1973, Herdenking van de 500e verjaardag van de oprigting van het Parlement en Groote Raad van Mechelen, 1977. Zur Tätigkeit des Großen Rats von Mecheln vgl. neuerdings besonders Alain Wijffels, Legal Records and Reports in the Great Council of Malines (15th to 18th Centuries), in: John H. Baker, Judicial Records, Law Reports, and the Growth of Case Law, 1989, S. 181 ff. 50 Vgl. A.S. de Blecourt, De geboorte van den Hoogen Raad van Holland and Zeeland, (1920-1921) 2 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 428 ff.; J.Th. de Smidt, The ,,Hooge Raad" in the Province of the United Netherlands, in: Baker, op. cit., Fn. 49, Judicial Records, Law Reports, and the Growth of Case Law, 1989, S. 207 ff.
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sive consilia)51 , Comelius Neostadius (Mitglied des Hooge Raad von 1584 bis 1606; Curiae Hollandiae, Zelandiae et West-Frisiae decisiones)52 und Jacob Coren (Mitglied des Hooge Raad von 1621 bis 1631; Observationes XLI rerum in supremo senatu Hollandiae, Zeelandiae et Frisiae judicatarum)53. Alle diese Werke wurden in ihrer Bedeutung freilich überragt durch Comelis van Bynkershoeks Observationes tumultuariae und die Observationes tumultuariae novae seines Schwiegersohnes Willern Pauw54• Der zweite, nicht minder wichtige Faktor für die Dominanz Hollands in der niederländischen Rechtskultur war das besondere Prestige der juristischen Fakultät der Universität Leiden55. Zwar wurden im Laufe der Zeit auch in anderen Provinzen Universitäten gegründet (und auch dies ist natürlich sowohl Resultat wie Stimulanz des Fortschritts der Rechtskultur in den Niederlanden): die Universität von Franeker in Friesland bereits im Jahr 158556, die Universität von Groningen folgte 161457, dann kam die Universität von
51 Vgl. im einzelnen L.J. van Apeldoom, Nicolaus Everaerts en het recht van zijn tijd, 2. Auf!., 1939; B.H.D. Hermesdorf, Erasmus en de juristen van zijn tijd, (1937) 15 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 1 ff.; A.A. Roberts, A South African Legal Bibliography, 1942, S. 116; Rene Dekkers, Bibliotheca Belgica Juridica, 1951, S. 53; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 336 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 114 f. 52 Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 224 f.; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 122 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 321, 371 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 127. Bibliographie bei Margreet Ahsmann/ Robert Feenstra, Bibliografie van Hoogleraren in de rechten aan de Leidse Universiteit tot 1811, 1984, S. 170 ff. Neostadius war auch erster Professor an der juristischen Fakultät von Leiden; hierzu Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7, S. 46 ff. 53 Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 89; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 38 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 321 f., 374; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 133. 54 Vgl. infra Fn. 126. 55 Eine umfassende Studie über die juristische Fakultät der Universität Leiden während der ersten 55 Jahre ihres Bestehens bietet neuerdings Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7. Zur Universität Leiden während des 17. Jahrhunderts allgemein vgl. Schneppen, op. cit., Fn. 24, S. 3 ff. 56 Hierzu ausführlich G.Th. Jensma/F.R.H Smit/ F. Westra, Universiteit te Franeker 1585 - 1811, 1985; Margreet Ahsmann, Dejuridische Fakulteit te Franeker 15851635, Een studie over de professoren en hun onderwijs, met lijsten von verdedigde disputaties, (1986) 54 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 3 ff; vgl. ferner Robert Feenstra, Les juristes de l'ancienne Universite de Franeker et leurs recueils de disputationes (periode de 1635 a 1735), in: Studi Senesi, Supplemento alla centesima annata, Band 2, 1988, S. 604 ff. 57 Vgl. etwa Sirnon van der Aa, Uit de opleiding van de juristen aan de Groninger Hoogeschool in vroeger tijd, in: Academica Groningiana MDCXIV -MCMXIV, Gedenkboek ter gelegenheid van het derde eeuwfeest der Universiteit te Groningen uitgegeven in opdracht van den Academischen senaat, 1914, S. 347 ff.; J. Huizinga,
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Utrecht (1636)58 und schließlich erfolgte im Jahr 1648 in Harderwijk die Gründung einer Universität für Gelderland59160. Trotzdem blieb die juristische Fakultät von Leiden tonangebend und vennochte es immer wieder, führende Gelehrtenpersönlichkeiten an sich zu binden61 . So gelang den Kuratoren der Universität bereits in den Anfangsjahren ein Coup besonderer Art, durch den die junge Hochschule international auf sich aufmerksam machte; im Jahre 1579 wurde der berühmte französische Humanist Donellus berufen62, einer jener Hugenotten, die dem Gemetzel der Bartholomäusnacht entkommen waren, und der seitdem in Heidelberg gelehrt hatte. (Übrigens handelte es sich hierbei lediglich um eine Berufung secundo loco. Zuvor war der Ruf an Franciscus Hotomannus ergangen, ebenfalls einen aus Frankreich geflüchteten Hugenotten, der freilich letztendlich die Schweiz den Niederlanden vorzog.63) Im Laufe des 17. Jahrhunderts lehrten in Leiden fünf bedeutende Professoren -jeder für mindestens zwanzig Jahre -, die sich auch
Rede over de geschiedenis der wtiversiteit te Groningen, in: Verzarneide Werken, Band vm. 1951, s. 340 ff. 58 Vgl. hierzu G.C.J.J. van den Bergh/J.E. Spruit/M. van de Vrugt, Rechtsgeleerd Utrecht, Levensschetsen van elf hoogleraren uit driehonderdvijftig jaar Fakulteit der Rechtsgeleerdheid in Utrecht, 1986, S. 9 ff.; Rob Welten, Utrechter Hoogleraren in de Rechten (1636 -1815). Enkele aspecten van de geschiedenis van de rechtenfaculteit te Utrecht, (1987) 55 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 67 ff. 59 Vgl. W.Th.M. Frijhoff, Hoe Gelders was de Gelderse Academie, (1981) 72 Bijdragen en Mededelingen van Gelre 119 ff. Eine zweite geldrische Hochschule (in Nijmegen) konnte sich nur von 1656 bis 1679 halten. Hierzu vgl. G.C.J.J. van den Bergh, The Life and Work of Gerard Noodt (1647 -1725), 1988, S. 18 ff. 60 Überblick über die Geschichte der Hochschulen und des wissenschaftlichen Rechtsunterrichtes in den Niederlanden bei T.J. Veen, in: Zestig Juristen, op. cit., Fn. 16, S. 5 ff. (mit Bibliographie). 61 Wie etwa den bedeutendsten Altphilologen seiner Zeit, Johann Joseph Scaliger; vgl. etwa Haley, op. cit., n. 24, S. 116. 62 Vgl. R. Feenstra/C.J.D. Waal, Seventeenth-Century Leyden Law Professors and their lnf!uence on the Deve!opment of the Civil Law, 1975, S. 16 f. Donellus wurde allerdings 1587 wegen unliebsamer politischer und religiöser Meinungsäußerungen seines Amtes enthoben; vgl. hierzu Jan Juliaan Woltjer, De positie van Curatoren der Leidse Universiteit in de zestiende eeuw, (1970) 38 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 493 ff. Ausführlich zu Donellus in Leiden nllrlffiehr Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7, S. 49 ff.; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 105 ff.; vgl. ferner neuerdings Robert Feenstra, Hugues Doneau et !es juristes Neerlandais du XVIr siede: L'influence de son "systeme" sur l'evolution du droit prive avant Je Pandectisme, in: Bruno Schmidlin/ Alfred Dufour (Hg.), Jacques Godefroy (15871652) et l'humanisme juridique a Geneve, Actes du co!loque Jacques Godefroy, 1991, s. 231 ff. 63 Vgl. Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 16; Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7, s. 55 f. .
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international großes Ansehen erwarben64, nämlich Everard Bronchorst65, Amoldus Vinnius, Johannes Voet, Gerard Noodt66 und Anton Schulting67• Das Ansehen Leidens spiegelte sich auch in den Karrieren bedeutender niederländischer Juraprofessoren wieder. Bemardus Schotanus68 und Gerard Noodt begannen ihre Lehrtätigkeit auf einem Ordinariat in Franeker, nahmen dann einen Ruf nach Utrecht an und gingen von dort nach Leiden. Ebenfalls aus Utrecht wurden nach Leiden Antonius Matthaeus IIfi9 und Johannes Voet wegberufen. Anton Schulring und Johann Ortwin Westenberg70 gingen von Franeker nach Leiden. Franeker scheint übrigens der typische Fall einer juristischen Sprungbrettfakultät gewesen zu sein; unter den später berühmten Juristen, die hier ihre Karriere begannen, waren Johan van de Sande (der im Jahr 1604 Richter am Hof van Friesland, später Präsident dieses Gerichtes wurde und dessen Decisiones Frisicae für die Kenntnis des friesischen Rechts ebenso unentbehrlich sind wie sein Commentarius de actionum cessione für die Entwicklung des Zessionsrechtes71 ), Zacharias Huber (seit 1716 Richter am Hof van Friesland; auch er gab eine Entscheidungssammlung unter dem
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Vgl. die Feststellung von Robert Feenstra, op. cit., Fn. 56, S. 605.
Zu ihm vgl. insbesondere Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 18 ff., 47 ff.; Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7, S. 90 ff; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 68 ff. 65
66 Zu ihm vgl. die ausgezeichnete Biographie von Van den Bergh, The Life and Work of Gerard Noodt (1647 -1725). Dutch Legal Schalarship between Humanism and Enlightenment, 1988; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, s. 176 ff. 67 Zu ihm vgl. Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 158 f.; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 12; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 389 f.;
68 Zu ihm vgl. Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 156; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 26 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 379; Feenstra, op. cit., Fn. 56, S. 606; Ahsmann, (1986) 54 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 51 ff.; Welten, (1987) 55 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 79 f.; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, s. 209 ff.
69 Zu ihm vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 206 f.; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S 112; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 36; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 387; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 153; Bibliographie bei Ahsmann I Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 160 ff. 70 Zu ihm vgl. Robert Feenstra, Ein später Vertreter der niederländischen Schule: Johann Ortwin Westenberg (1687 - 1737), in: Festschrift für Heinz Hübner, 1984, S. 47 ff. Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 360 ff.
71 Zu ihm vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 272 f.; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 151; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 376; Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 143 ("[e]en van die grootste Nederlandse juriste van die bloeitydperk"); M.J.A.M. Ahsmann/R. Lagrouw, Pericula Schotana. Wederwardigheden onder Franeker juridische professoren ten tijde van Henricus Schotanus (1581-1605), in: Universiteit te Franeker, op. cit., Fn. 56, S. 310 ff.; Ahsmann, (1986) 54 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 28 ff.
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Titel Decisiones Frisicae heraus72) sowie, am Anfang des 18. Jahrhunderts, auch Johann Gottlieb Heineccius (der nach seiner Zeit in Franeker Lehrstühle in Frankfurt an der Oder und Halle bekleidete73) . Cornelis van Bynkershoek war zwar nie Professor in Franeker, absolvierte dort aber sein Jurastudium. Bedeutende Gelehrte, die der Universität Franeker treu blieben, waren während des 17. Jahrhunderts lediglich Johannes Jacobus Wissenbach74 und sein berühmtester Schüler, Ulrich Huber75 • Ein dritter, das juristische Gleichgewicht stark zugunsten Hollands verschiebender Aspekt war schließlich, daß das für die Entwicklung des römisch-niederländischen Rechts grundlegende Werk, Hugo Grotius' Inleidinge tot de Hollandsehe Rechtsgeleerdheid sich eben nicht mit friesischem oder Utrechter, sondern mit holländischem Recht befaßte. Damit ist nun bereits der Name des Mannes gefallen, der nicht nur allgemein als einer der größten Juristen der europäischen Rechtsgeschichte76, sondern auch speziell als Gründervater und Zentralgestalt des römisch-holländischen Rechts zu gelten hat. Mit ihm beginnen wir deshalb zweckmäßigerweise unsere Diskussion der bedeutendsten Gestalten und Werke, die das niederländische Recht des 17. Jahrhunderts geprägt haben.
72 Zu ihm vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 162; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 86 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 391; Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 146 f. 73 Über ihn R. Stintzing I E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Band III/1, 1898, S. 179 ff.; Wieacker, op. cit., Fn. 13, S. 223; vgl. auch Star Numan, op. cit., Fn. 15, S. 381 ff.; E.E. Bussi, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 2, 1978, Sp. 55 f. 74 Zu ihm vgl. R. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Band TI, 1884, S. 258 ff.; Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 339; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 195; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 380; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 144; Feenstra, op. cit., Fn. 56, S. 613 ff.; Johann Friedrich Jugler, Beyträge zur juristischen Biographie, 1779, Band V, S. 61 ff. 75 Huber lehnte zweimal einen Ruf an die Universität Leiden ab; vgl. Veen, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 121. 76 Vgl. etwa Wieacker, op. cit., Fn. 13, S. 287 ff.; Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Auf!., 1963, S. 253 ff.; Karl-Heinz Ziegler, Grotius, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 1, 1971, Sp. 1815 ff.
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111. Sieben bedeutende niederländische Juristen und ihre wichtigsten Werke 1. Hugo Grotius (1583-1645)
Die Lebensgeschichte des Hugo Grotius (1583 -1645) liest sich wie ein Roman77• Grotius muß eine Art Wunderkind gewesen sein, denn schon als Zehnjähriger nahm er von gleich zu gleich an Gelehrtengesprächen in seinem Elternhaus teil. Ein Freund seines Vaters bemerkte erstaunt: "Grotius vir natus est." Im Alter von 11 Jahren nahm er seine Studien an der Universität Leiden auf, als 15jähriger graduierte er. Als Grotius 17 war, erschien seine erste Publikation. Alsbald wurde der holländische Ratspensionär Oldenbarnevelt auf ihn aufmerksam; als Mitglied einer Gesandtschaft besuchte Grotius im Jahre 1598 den französischen Königshof und wurde Heinrich IV. als ein Mann vorgestellt, der Erasmus von Rotterdam in den Schatten stellen werde. Am 5. Mai 1598 erwarb Grotius in Orleans den Grad eines Doktors der Rechte78, kehrte dann nach Holland zurück und ließ sich dort als Advokat nieder. 1603 wurde er zum offiziellen Geschichtsschreiber der holländischen Provinzialstände, 1607 zum Generalfiskal von Holland, Seeland und Friesland und 1613 zum Ratspensionär von Rotterdam ernannt. In diesen Jahren geriet er in den die Vereinigten Niederlande erschütternden Strudel einer innercalvinistischen religiösen Kontroverse79 , die letztendlich auf unterschiedliche In-
77 Zur Lebensgeschichte vgl. (außer den soeben Genannten) C. Brandt/ A. van Cattenburgh, Historie van het Leven des Heeren Huig de Groot, 2. Aufl., 1732; W.S.M. Knight, The Life and Works of Hugo Grotius, 1925; Robert Warden Lee, Hugo Grotius, Annual Lecture on a Master Mind, in: Proceedings of the British Academy, Band XVI, 1930, S. 219 ff.; A. Eyffinger, The Dutch Period in the Life of Hugo Grotius, sowie H.J.M. Nellen, Grotius' Exile, beide in: Hugo Grotius, A Great European, 1583-1645, 1983, S. 5 ff., 25 ff.; W.J.M. van Eysinga, Huigh de Groot, Een Schets, 1945; E. Dumbauld, The Life and Legal Writings of Hugo Grotius, 1969, S. 3 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 346 ff.; T.J. Scott, Die lewe en betekenis van Hugo de Groot, (1983) 46 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 123 ff.; Ellison Kahn, Hugo Grotius 10 April 1583 - 29 August 1645: A Sketch of his Life and his Writings on Roman-Dutch Law, (1983) 100 South African Law Journal 192 ff.; Reinhard Zimmennann/D.L. Carey-Miller, Generis humani iuris consultus: Hugo Grotius (1583 -1645), 1984 Jura 1 ff.; C.G. Roelofsen, Hugo de Groot, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 113 ff.; H.J.M. Nellen, Hugo de Groot. Oe loopbaan van een geleerd staatsman, 1985 (deutsche Fassung: Hugo Grotius 1583-1645. Geschichte seines Lebens basierend auf seiner Korrespondenz, o.J.).
78 Näher dazu Robert Feenstra. L'influence de l'enseignement du droit romain a Orleans sur les nations etrangeres, in: Le droit savant au moyen age et sa vulgarisation, 1986, S. 60 ff. sowie Addenda. S. 12. 79
Vgl. etwa (außer den soeben Genannten) H. Vreeland, Hugo Grotius, 1917, S. 68
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terpretationen der Prädestinationslehre durch zwei Leidener Theologieprofessoren zurückging. Grotius' Mentor Oldenbarnevelt ergriff Partei für die weniger orthodoxe Partei, die Arminianer; ein Bürgerkrieg stand bevor. Schließlich intervenierte Prinz Moritz von Oranien mit seiner Armee80• Oldenbarnevelt und Grotius wurden gefangengenommen, angeklagt und wegen Hochverrats verurteilt: Oldenbarnevelt zum Tode, Grotius zu lebenslanger Haft. Seit dem 6. Juni 1619 wurde Hugo Grotius daraufhin in der Festung Loevestein bei Gorkum gefangengehalten. Schon im März 1621 gelang ihm die Flucht: seine Frau versteckte ihn in einer Bücherkiste, die von der Bewachungsmannschaft per Boot nach Gorkum transportiert wurde81 • Von dort konnte Grotius, verkleidet, nach Frankreich fliehen. Bis 1631 lebte er dort im Exil. Er kehrte dann für einige Monate nach Holland zurück82, verließ jedoch abermals seine Heimat (er fand in Harnburg Zuflucht), als die Generalstände eine Prämie für seine Verhaftung aussetzten. 1635 nahm er ein Angebot an, als schwedischer Gesandter nach Paris zu gehen, und wirkte dort bis 1645. Bei einer Reise über die Ostsee von Schweden nach Lübeck erlitt er Schiffbruch und erkrankte. Ein mühsamer Transport bei Wind und Wetter in einem offenen, ungefederten Wagen förderte den Gesundungsprozeß nicht, und so starb Hugo Grotius am 28.8.1645 in Rostock83 • Sein Leichnam wurde nach Delft überführt. "Grotius hic Hugo est Batavum captivus et exul" hatte er selbst als Text für sein Epitaph vorgeschlagen.
ff.; Haley, op. cit., Fn. 24, S. 103 ff.; Hasso Hofmann, in: Michael Stolleis (ed.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, 2. Auf!., 1987, S. 55 ff. 80 ,,He is said to have remarked that he did not know whether predestination was blue or green, but he now proceeded, as it were, to make it orange": Haley, op. cit., Fn. 24, S. 105. 81 Hierzu v.a. Vreeland, op. cit., Fn. 79, S. 131 ff. 82 Und baute während dieser Zeit in Amsterdarn eine sehr rege Beratungspraxis auf. Das ergibt sich aus der Anzahl der Gutachten, die Grotius während dieses Zeitraumes abgefaßt hat. Etwa 90 von ihnen sind im Ralunen einer bekannten Sanunlung holländischer Gutachten unter dem Titel Hollandsehe Consultatien, Advijsen en Advertissementen, gegeven ende geschreven by verscheijden treffelijke rechtsgeleerden in Hollandt, 1. Aufl. 1645 ff. in 6 Bänden veröffentlicht; vgl. hierzu Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 157 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 324 f.; Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 185 ff. 89 von Grotius stanunende Gutachten sind von D.P. de Bruyn, einem Anwalt am Kap, übersetzt und mit Anmerkungen versehen worden: The Opinions of Hugo Grotius, 1894. 83 Hierzu näher Wolf, op. cit., Fn. 76, S. 299 ff.; vgl. auch C. Goroncy, Das geistige Leben an der Universität Rostock im 17. Jahrhundert und die Beeinflussung durch Grotius, in: Günter Hoffmann (ed.), Hugo Grotius, 1982, S. 73 ff. Das sogleich erwähnte Zitat ("Grotius hic Hugo ...") findet sich in Briefwisseling, Bd. XII, 1986, S. 140 (Nr. 5084).
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In seinem bewegten Leben schuf Grotius eine Vielzahl bedeutender Werke auf den unterschiedlichsten Gebieten. Seiner eigenen Zeit galt er vor allem als hervorragender Theologe und Historiker. Dieser Ruf beruht auf seinen intensiven, in den vierbändigen Opera omnia theologica zusammengefaßten Bibelstudien84 einerseits sowie seinen Annales et Historiae de rebus Belgicis und einer Historia Gotthorum, Vandalorum et Langobardorum andererseits85. Im übrigen trat Grotius auch als Verfasser von Dramen und als Dichter (insbesondere: Christus patiens, das Josephs-Drama Sophompaneas und Actamus Exul, ein Stück über die Erbsünde, das John Milton bei seinem Paradise Lost beeinflußt hat86), als Übersetzer (eines Werkes über die Navigation von Sirnon Stevin), als Herausgeber (etwa der Werke des griechischen Dichters Aratos) und als außerordentlich fleißiger Korrespondent hervor87. Grotius' Nachruhm beruht jedoch vor allem auf seinen juristischen Werken, insbesondere auf seinem 1625 publizierten De jure belli ac pacis. Es trug seinem Autor die Ehrentitel zugleich eines Vaters des Naturrechtes88 und eines Vaters des Völkerrechtes89 ein. Seine Verdienste in diesen beiden Be-
84 Über Grotius als Theologe vgl. G.H.M. Posthumus Meyjes, Hugo Grotius as an irenieist sowie H.J. de Jonge, Hugo Grotius: exegete du Nouveau Testament, beide in: The World of Hugo Grotius (1583 -1645), Proceedings of the International Colloquium, Rotterdam 6.-9. April1983, 1984, S. 43 ff., 97 ff. 85 Über Grotius als Geschichtsschreiber vgl. A.E.M. Jansen, in: The World of Hugo Grotius, op. cit., Fn. 84, S. 161 ff.; C.L. Heesakkers, Grotius as an Historiographer, in: Hugo Grotius, op. cit., Fn. 77, S. 79 ff.; vgl. auch Scharna, op. cit., Fn. 3, S. 78 ff. 86 Vgl. zu diesem Aspekt des grotianischen Werkes Arthur Eyffinger, Hugo Grotius, poet and man of letters sowie Fidel Rädle, Hugo Grotius als Dramatiker, beide in: The World of Hugo Grotius, op. cit., Fn. 84, S. 83 ff., 117 ff. 87 Hierzu H.J.M. Nellen, Le röle de Ia correspondance de Grotius pendant son exil, in: The World of Hugo Grotius, op. cit., Fn. 84, S. 133 ff. 88 Vgl. aber relativierend J.St. Leger, The "Etiamsi Daremus" of Hugo Grotius, 1962, S. 36 ff.; zur Frage der Kontinuität in der Naturrechtsdiskussion und der besonderen Leistung des Grotius E. Wolf, op. cit., Fn. 76, S. 257 ff. sowie O.W. Krause, Narurrechtler des sechzelmten Jahrhunderts, 1982, S. 147 ff. (,,Nicht in dem ,daß', sondern in dem ,wie' ist er der Vater des Naturrechts"); Robert Feenstra, Quelques remarques sur !es sources utilisees par Grotius dans ses travaux de droit narurel, in: The World of Hugo Grotius, op. cit., Fn. 84, S. 65 ff.; D.P. Visser, Die invloede op Hugo de Groot, (1983) 46 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 136 ff.; vgl. ferner die bei Hofmann, op. cit., Fn. 79, S. 65 nachgewiesene Literatur. Zur Bedeutung des Grotius für die Rechtsphilosophie vgl. auch J.D. van der Vyver, Die regsfilosofie van Hugo de Groot, (1983) 46 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 151 ff. 89 Repräsentativ Ziegler, op. cit., Fn. 76, Sp. 1816; hierzu relativierend im Sinne einer europäischen Kontinuität v.a. Preiser, Über die Ursprünge des modernen Völkerrechts, in: Macht und Norm in der Völkerrechtsgeschichte, 1978, S. 9 ff.; Wilhelm
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reichen sind allgemein bekannt90• Weniger bekannt ist eine dritte intellektuelle Vaterrolle dieses fruchtbaren Mannes, und sie betrifft das römischholländische Recht. Es war die Inleidinge, die diese Rechtsordnung erst recht eigentlich konstituierte. Verfaßt während der Zeit der Gefangenschaft in der Festung Loevestein91 und gedacht zunächst als Unterrichtsbuch für seine eigenen Kinder92, wurde das Werk erst 1631 publiziert, hatte aber sofort einen durchschlagenden Erfolg; bereits im Jahr seines Erscheinens erlebte es fünf Auflagen, acht Jahre später erschien bereits die 8. Auflage. Zu diesem Erfolg trugen mehrere Faktoren bei, darunter vor allem die Tatsache, daß die Inleidinge nicht in Latein, sondern in Holländisch verfaßt war und nicht das römische Recht als solches93, sondern das aktuell praktizierte Recht der Republik Holland behandelte, im übrigen aber auch die originelle, klare und bündige Art der Darstellung, die von den üblichen weitschweifigen Erörterungen an Hand der Digestenordnung wohltuend abwich. Die Inleidinge war das erste Werk, das das römisch-holländische Recht als solches in systematischer Form und nicht das holländische Recht entweder überhaupt nicht, oder nur anhangsweise im Rahmen der Institutionen-, Digesten- oder Codex-Darstellung erwähnte. Grotius unterteilte seine Darstellung in Anlehnung an die Institutionenordnung in drei Bücher (Personen, Sachen, Obligationen) und auch diese wiederum in in sich abgeschlossene Teile94• Ein weiterer origi-
G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auf!., 1988, S. 227 ff.; vgl. weiterhin G.N. Barrie, Die betekenis van De Groot vir die intemasionale reg, (1983) 46 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 172 ff. Zu einem Einzelaspekt vgl. neuerdings P. Haggenrnacher, Grotius et Ia doctrine de Ia guerre juste, 1983. 90 Gerade aber das Werk De jure belli ac pacis hat auch für das Privatrecht große Bedeutung; vgl. hierzu Wieacker, op. cit., Fn. 13, S. 290 ff.; Martin Lipp, Die Bedeutung des Naturrechts für die Ausbildung der Allgemeinen Lehren des deutschen Privatrechts, 1980, S. 130 ff.; Robert Feenstra, Grotius et le droit prive europeen, in: Academie de droit international (Hg.), Commemoration du quatrieme centenaire de Ia naissance de Grotius, S. 453 ff.; Malte Diesselhorst, Die Lehre des Hugo Grotius vom Versprechen, 1959 und, neuerdings, James Gordley, The Philosophical Origins of Modem Contract Doctrine, 1991. 91 Hierzu Kar! Wellschmied, Zur Entstehung und Bedeutung der lnleidinge tot de Hollandsehe Rechts-Geleerdheid von Hugo Grotius, (1952) 69 ZSS (GA) 155 ff. 92 Das ergibt sich aus einem Brief, der in der von F. Dovring, H.F.W.D. Fischer und E.M. Meijers besorgten Ausgabe der lnleidinge (2. Aufl., 1965), S. XXVll ff. enthalten ist; hierzu J.E. Scholtens, Robert Feenstra, Hugo de Groot's De aequitate, (1974) 42 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 201-242 (bes. S. 237 ff.).
93 In seiner Florum sparsio ad jus Justinianeum, 1642, lieferte Grotius übrigens auch einen humanistisch inspirierten Beitrag zum römischen Recht. 94 Eingehende Analyse bei Kar! Wellschmied, Hugo Grotius' Inleidinge tot de Hollandsehe Rechts-Geleerdheid und das Recht seiner Zeit, Diss. Göttingen, 1950, S. 24 ff. sowie bei Robert Feenstra, La systematique du droit dans l'oeuvre de Groti-
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neller Aspekt der Inleidinge ist, daß Grotius hier für eine Reihe römischrechtlicher Konzepte klare und passende holländische Begriffe fand. Ein Beispiel sind die Ausdrücke "behering" und "inschuld", die sich auf die Unterscheidung zwischen dinglichen und persönlichen Rechten beziehen95 , eine Unterscheidung, die dem zweiten und dritten Buch mit großer Folgerichtigkeit zugrundegelegt ist. In manchem hatte die Inleidinge fast die Wirkung einer Kodifikation: sie eliminierte das für den usus hodiernus unwesentliche Kontroversengestrüpp und bildete mit ihrem abstrakten und um Klarheit bemühten Ansatz eine neue Grundlage für die Rechtspflege in Wissenschaft und Praxis. Anders als eine Kodifikation stellt sie jedoch nicht nur das geltende Recht dar, sondern bezieht den historischen Hintergrund mit ein96; mit Recht hat Robert Warden Lee gesagt, daß kein anderes Buch so reich an historischen Perspektiven sei und auf knappen Raum ein so vollständiges Bild des gesamten Systems gebe97• Die Bedeutung dieses Werkes für das römisch-holländische Recht läßt sich kaum überschätzen. Schon 1644 brachte Sirnon van Groenewegen eine kommentierte Ausgabe heraus98 , Johannes Voet benutzte, als er 1687 in Leiden zum erstenmal Vorlesungen im modernen Recht gab, die Inleidinge als Lehrbuch99, und diese Vorlesungen bildeten wiederum die Basis für seinen eigeus, in: La sistematica giuridica. Storia, teoria e problemi attuali, 1991, S. 333 ff.; vgl. auch Daniel Pont, Die 'Inleydinge tot de Hollandsehe Rechts-Geleerdheyd' van Hugo Grotius, (1945) 9 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 193 ff.; Dumbauld, op. cit., Fn. 77, S. 123 ff. 95 Inleidinge, I, I, 8; vgl. hierzu etwa Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 30; Robert Feenstra, ,,Inschuld", "schuld" en "verbintenisse" bij Hugo de Groot, ,,Houd voet bij stuk", in: Xenia iuris historiae G. van Dievoet oblata, 1990, S. 455 ff. 96 Vgl. z.B. die Behandlung der Ehe (lnleidinge, I, V, 1-27) und dazu J.W. Wessels, History of the Roman-Dutch Law, 1908, S. 277 f. 97 The Jurisprudence of Holland, I, 1926, S. XI. Zur Bedeutung der Inleidinge vgl. weiterhin Wellschmied, op. cit., Fn. 94, S. 17 ff.; J.C. Oven, Hugo de Groot's 'Inleidinge' als Lehrbuch des römischen Rechts, in: Studi Koschaker I, 1954, 269 ff.,; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 350 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 131 f.; J.Th. de Smidt, The expansion of Dutch private law outside Europe in the seventeenth and eighteenth centuries, in: The World of Hugo Grotius, op. cit., Fn. 84, S. 179 ff. Zusammenfassend zum Einfluß der Inleidinge auf die südafrikanische Rechtsentwicklung vgl. Paul van Warmelo, Hugo de Groot se betekenis vir die moderne Suid-Afrikaanse reg, (1983) 46 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 185 ff. 98 Hierzu zuletzt B.Z. Beinart, Sim!)n van Groenewegen van der Made. A Biographical Note lncluding References to his Legal Opinions and Notes on Grotius' Inleidinge, ( 1988) 56 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 333 ff.
99 Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 38. Neuerdings haben Paul van Warmelo und Coenraad J. Visser die auf Vorlesungsmitschriften beruhenden Anmerkungen des Johannes Voet zur lnleidinge des Grotius herausgegeben und ins Afrikaanse übersetzt
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nen berühmten Pandektenkommentar. Gerlach Scheltinga, Professor in Leiden von 1738 bis 1765, las über Grotius in Holländisch - eine wagemutige Neuerung, die von seinen Zeitgenossen als Barbarei empfunden wurde100; auch seine Vorlesungen sind inzwischen publiziert worden 101 • Willern Schorer102 verfaßte 1767 einen Kommentar in lateinischer Sprache, von dem später Teile ins Englische übersetzt wurden103 • Auch D.G. van der Keessei legte seinem Unterricht die Inleidinge zugrunde; die einflußreichen, im Jahr 1800 publizierten Theses Selectae sind eine geraffte, schriftliche Version dieser Vorlesungen 104• Noch 1895 gab der Leidener Rechtshistoriker Fockema Andreae eine kommentierte Ausgabe der Inleidinge in zwei Bänden heraus; diese wurde bis 1939 dreimal wieder aufgelegt, in 3. und 4. Aufl. durch L.J. van Apeldoom. Johannes van der Linden schließlich, der letzte der römisch-holländischen Autoren, übersetzte das Werk ins Lateinische, offenbar auf Wunsch von Juristen, die das römisch-holländische Recht in nunmehr britischen Kolonien anzuwenden hatten und die holländische Sprache nicht verstanden 105 • Welche Einstellung gegenüber dem römischen Recht liegt der Inleidinge zugrunde106? Grotius war kein Ikonoklast, der das römische Recht gering geachtet hätte. Aber er sah seine Aufgabe -·und die Aufgabe eines modernen
unter dem Titel Observationes ad Hugonis Grotii manudictionem [sie] ex collegio clarissimi viri, doctissimi Johannis Voet ex ore excerptae partim et maxime parte [sie] a Clarissimo Viro dictatae, Band I, Pretoria 1987; Aantekeninge oor die Inleidinge van Hugo de Groot, ten dele tydens die lesings van die Hooggeerde Heer, die Hooggeleerde Johannes Voet uit sy mond oorgeneem en vir die oorgrote gedeelte deur die Hooggeerde Heer dikteer, Band li, Pretoria, 1987. Hierzu kritisch Robert Feenstra, Dictata van Johannes Voet en Gerlach Scheltinga op de Inleidinge van Hugo de Groot, (1988) 56 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 93 ff. 100 R.W. Lee, The Jurisprudence of Holland, II, 1936, S. VII. 101 Wouter de Vos /C.G. Visagie (Hg.), Scheltinga se "Dictata" oor Hugo de Groot se ,,lnleidinge tot de Hollandsehe Rechtsgeleertheyd", Johannesburg, 1986. Dazu kritisch Feenstra, (1988) 56 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 112 ff.
102 Über ihn vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 280 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 408 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 167 f.; Lokin/Zwalve, op. cit., Fn. 44, S. 257 ff. 103 Als Teil von A.F.S. Maasdorp, lntroduction to Dutch Jurisprudence, 1878. Zuvor (1784 -1786) war bereits eine Übersetzung von J.E. Austen ins Holländische erschienen. 104
Vgl. infra Fn. 193.
Vgl. das Vorwort von H.F.W.D. Fischer, in: Van der Linden, Hugonis Grotii Institutiones Juris Hollandici, 1962, S. XIV f .; vgl. auch Roberts, op. cit., Fn. SI, s. 190. 105
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15,
Vgl. hierzu auch Wellschmied, op. cit., Fn. 94, S. 57 ff.; Van Oven, op. cit., Fn.
s. 25 ff.
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Rechtsunterrichts überhaupt - nicht mehr darin, römisches Recht als solches und um seiner selbst willen darzustellen. Besonders charakteristisch ist eine Stelle aus einem kurz nach Erscheinen der Inleidinge von Harnburg aus geschriebenen Brief107 • Es gibt keine Beschäftigung, so heißt es da, die eines homo nobilis würdiger wäre als das Studium des Rechtes; in erster Linie desjenigen, das die Menschen und Völker miteinander verbindet, dann aber auch des einheimischen Rechtes. Kein kleiner Teil dieses einheimischen Rechtes bestehe nun, fährt Grotius fort, aus dem römischen Recht, das nicht nur von den meisten Völkern rezipiert worden sei, sondern dessen Kenntnis deshalb unentbehrlich sei, weil ihm die praktische Rechtsweisheit eines so großen und langlebigen Reiches zugrundeliege. Auch dort, wohin die Römer mit ihren Waffen nie gekommen seien, gelten die Gesetze der Römer "sine vi ulla, justitiae suae vi triumphantes". Das heißt: Kenntnis des römischen Rechts ist nach wie vor vonnöten; zum einen, weil es so einen bedeutsamen Beitrag zum gesamteuropäischen Recht geleistet hat und damit selbst ein Bindeglied der Menschen und Völker untereinander darstellt, zum zweiten aber auch um der Erkenntnis (und Perfektionierung) des eigenen Rechtssystems willen. Auf das holländische Recht angewendet: das römische Recht ist zwar sein wichtigster, aber keineswegs sein einziger Baustein. Es ist zunächst aus seinem historischen und sozialen Kontext heraus zu begreifen, und in seinen Eigenheiten zu erfassen; wo es auf die veränderten gegenwärtigen Verhältnisse aber nicht mehr paßt, ist ihm die Anwendung zu verweigemtos. 2. Cornelis van Bynkershoek (1673 -1743)
Der einzige andere niederländische Jurist, den MacDonell/Manson 109 in ihre - aus 26 Namen bestehende - Liste der "großen Juristen der Welt" aufgenommen haben, ist Comelis van Bynkershoek (1673 -1743)110 . Wie
107 Epistolae ad Gallos, CLVI, Hamburgi, XVI. Novemb. 1633 (vgl. B .L. Meulenbroek, Briefwisseling van Hugo Grotius, 5. Teil, 1966, S. 204 f.). 108 So stellte Grotius etwa im Hinblick auf Schenkungen fest, daß die Römer, um übermäßige Freigebigkeit zu zügeln, bei Geschenken von einem Wert über 500 aurei das Erfordernis einer Registrierung eingeführt hätten, und bemerkt dann, er fmde keine ähnliche Bestimmung im holländischen Recht, ,,misschien om dat de mildheid hier niet te groot en is geweest"(lnleidinge, III, li, 15).
Sir John MacDonell, Edward M11J1son, Great Jurists of the World, 1914. Op. cit., Fn. 109, S. 390 ff. Zu dessen Leben und Werk vgl. neben diesem von Coleman Philipson verfaßten Beitrag vor allem die Biographie von Star Numan, op. cit., Fn. 15; sowie weiterhin Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 68 ff.; Hahlo/Kahn, op cit., Fn. 31, S. 557 f.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 367 ff.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 160 ff.; A. Krikke/S. Faber, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 141 ff. 109
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mit Grotius die Blütezeit der niederländischen Rechtswissenschaft beginnt, so steht das Werk Van Bynkershoeks an ihrem Ende, nach Ansicht mancher sogar bereits jenseits111 . Wie Grotius wurde auch Van Bynkershoek durch einen der vielen innercalvinistischen Professorendispute aus der Bahn geworfen112; freilich dämpfte bei ihm die Parteinahme für die unorthodoxe Ansicht lediglich die Aussichten auf eine Theologenlaufbahn und führte zum Studienfachwechsel, nicht zu einem Hochverratsprozeß, zu Gefängnisstrafe und Exil. Im Gegensatz zu dem Holländer Grotius, der sich weitgehend im Ausland durchschlagen mußte, wurde der Seeländer zu einer Figur des holländischen establishment; er praktizierte zunächst als Advokat in Den Haag, wurde im Jahre 1704 zum Richter am Hooge Raad van Holland en Zeeland ernannt und war von 1724 bis zu seinem Tode im Jahre 1743 Präsident dieses Gerichts. Er war ohne Zweifel der bedeutendste holländische Richter113 und wurde noch hundert Jahre später so sehr mit seinem Amt identifiziert, daß der Ausdruck "Präsident Bynkershoek" fast zu einer stehenden Redensart wurde114. Ähnlich wie die juristische Bedeutung des Grotius ruht auch Van Bynkershoeks Ruhm auf drei Säulen. Heute erinnert man sich seiner vor allem als tiefschürfenden und einflußreichen Autor des Völkerrechts115 ; aus diesem Grunde erscheint sein Name auch bei MacDoneil und Manson. Zu seinen Lebzeiten war er insbesondere als Romanist im humanistischen Sinne bekannt116, als ein Autor, der sich bemühte, das klassische römische Recht in seiner ganzen Vorbildlichkeit wieder sichtbar werden zu lassen 117• Gelegentlich fanden die Ergebnisse seiner textkritischen Studien unmittelbaren Niederschlag in den Urteilen seines Gerichtes; so etwa der Vorschlag, in Ulp. D. 10, 4, 3 pr. "discere" statt "dicere" zu lesen und damit den Sinn des Textes radikal zu verändem 118 • Freilich ist diese Emendation alsbald einhelli-
111
Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 125 f.
Hierzu Star Numan, op. cit., Fn. 15, S. 30 ff.; V an den Bergh, in: Rechtsgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 42. Über die Protagonisten dieses Streites, Herman Alexander Röell und Campegius Vitringa, vgl. J.C. de Brulne, De theologische faculteit van de Franeker academie in de achttiende eeuw, in: Universiteit te Franeker, op. cit., Fn. 56, S. 278 ff. 113 Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 69 bezeichnet ihn sogar als ,.probably the greatest of all Netherlands jurists." 112
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Vgl. Krikke/Faber, op. cit., Fn. 110, S. 143.
Vgl. seine Quaestiones juris publici, 1737 (ins Englische übersetzt durch Tenney Frank, 1930). 115
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Vor allem durch die Observationes juris Romani, 1710/1733. Vgl. im einzelnen Star Numan, op. cit., Fn. 15, S. 163 ff. Hierzu V an den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 307 f.
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ger Ablehnung anheimgefallen, wie denn überhaupt dieser gesamte, einstmals als "elegant" betrachtete Komplex des Van Bynkershoek'schen Werkes heute wie unter einer dicken Staubschicht versunken erscheint119 • Dabei läßt sich übrigens auch hier die interessante Beobachtung machen, daß je realitätsferner die behandelten Probleme, je feinsinniger die vorgebrachten Argumente und je esoterischer die entwickelten Theorien, desto heftiger der Streit und desto schärfer die Sprache. Van Bynkershoek war ein impulsiver und temperamentvoller Mann, und wenn er in die humanistische Gelehrtenarena stieg, war von fachlicher Zurückhaltung gelegentlich nichts mehr zu spüren. Der in Groningen lehrende deutsche Professor Alexander Amold Pagenstecher sah sich anläßlich eines Streites um die Urheberschaft der sog. Authentiken als "lepidissimus disputator, fur, stellio, insanientis sapientiae Jurisconsultus, homo difficilis stomachi" beschimpft Und am Ende einer seiner Diatriben schrieb Van Bynkershoek: ,,Lebe wohl, nicht um Deiner selbst oder um der Rechtswissenschaft, sondern um Deiner Frau und Kinder willen"120• Selbst die Werke langjähriger Freunde konnten Gegenstand scharfer und unsachlicher Polemik sein. Dies bekam der berühmte Leidener Professor Gerard Noodt zu spüren, den Van Bynkershoek, kaum verhüllt, des Plagiats beschuldigte. Er habe lediglich eine These des Justus Lipsius ein wenig zurechtgestutzt, und zwar gegen den Willen und zum Ärger der Themis 121 • Worum ging es? Noodt hatte zu beweisen versucht, daß die Römer die Aussetzung und Tötung neugeborener Kinder erst im Jahre 374 A.D. unter Strafe stellten; nach der Ansicht von Van Bynkershoek war dies schon im klassischen römischen Recht ein Verbrechen gewesen122. 119 De Wet. op. cit., Fn. 6, S. 161, sagt sehr pointiert: "Dit is eintlik jammer dat 'n man met die verstandelike gawes van V an Bijnkershoek nie liewer meer oor die geldende reg van sy tyd geskryf het nie." 120 Zur Kontroverse Pagenstecher/Van Bynkershoek vgl. Star Numan, op. cit., Fn. 15, S. 198 ff. (die Zitate finden sich aufS. 201, 203); vgl. auch Robert Feenstra, Der juristische Unterricht in Steinfurt im 17. Jahrhundert und die an niederländische Universitäten berufenen Steinfurter Professoren der Rechte. Mit einem besonderen Beitrag über A.A. Pagenstecher, in: H. Holzhauer/R. Toellner (Hg.), Symposion 400 Jahre Hohe Schule Steinfurt. 1991, S. 65 ff.; idem, Die an niederländische Universitäten berufenen Steinfurter Professoren der Rechte, insbesondere Alexander Arnold Pagenstecher, in: Robert Feenstra/Chris Coppen (Hg.), Die rechtswissenschaftliehen Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland in historischer Sicht. 1991, s. 35 ff. 121
Vgl. die Nachweise bei Van den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 216.
Der auf Noodts Schrift Julius Paulus sive de partus expositione et nece apud veteres zurückgehende Streit zwischen Noodt und Van Bynkershoek ist erst kürzlich von Van den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 207 ff. analysiert worden; vgl. auch S. 304 ff. V an den Bergh weist auch darauf hin, daß es insbesondere die mit den Thesen von Noodt verbundenen Implikationen für die Rechtssicherheit (d.h. die Anwendungs122
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Praktisch ungleich bedeutsamer war demgegenüber Van Bynkershoeks Beitrag zur Pflege und Fortentwicklung des römisch-holländischen Rechts: ein Beitrag, der freilich die umfassende, an der exakten Analyse römischer Quellenstellen geschulte juristische Bildung voraussetzte. Im Vordergrund stehen dabei weniger die Quaestiones juris privati123 , sondern vor allem Van Bynkershoeks Einfluß auf die Spruchtätigkeit des höchsten holländischen Gerichtes und - für uns fast noch wesentlicher - die Dokumentation dieser Spruchtätigkeit Abend für Abend notierte er über Jahre hinweg die tagsüber von seinem Gericht behandelten Fälle: Sachverhalt, Entscheidung und Entscheidungsgründe; aber er fügte auch seinen eigenen Kommentar hinzu und gab Einblick in die Beratungen der Richter. Da er all dies nur eben rasch zusammengeschrieben und nicht stilistisch überarbeitet hatte, sprach Van Bynkershoek von Observationes tumultuariae; in seinem letzten Willen verbot er ihre Publikation und vermachte sie seinem Schwiegersohn Willern Pauw (1712-1787), der, wie er selbst, zunächst Richter am Hooge Raad und schließlich dessen Präsident werden sollte124 • Pauw selbst setzte diese Sammlung "tumultuöser Beobachtungen" fort und wiederholte das Publikationsverbot Die Manuskripte blieben in der Familie, gerieten aber mit der Zeit in Vergessenheit. Erst im Jahre 1914 wurden sie von dem Leidener Professor E.M. Meijers in dem Magazin eines Auktionators aufgespürt, wo sie seit dem Tod des letzten Nachkommens Van Bynkershoeks 25 Jahre lang als unverkäuflich gelagert worden waren 125 • Seit 1926 sind Observationes tumultuariae und Observationes tumultuariae novae in insgesamt 7 Bänden
sicherheit des römischen Rechts) waren, die Van Bynkershoeks Unwillen hervorriefen. Zur Frage der Berechtigung des Plagiatsvorwurfes gegenüber Noodt (er resultierte insbesondere aus einer anderen cause celebre; sie betraf Noodts berühmteste Emendation (D. 13, 7, 13, 1) und wurde von einem Protege Van Bynkershoeks aufgerollt) vgl. Van den Bergh, S. 312 ff.; zu der Emendation von D. 13, 7, 13, 1 vgl. auch s. 154, 298 f. 123 Erschienen erst posthum im Jahre 1744 und schon 1747 ins Holländische übersetzt (fitel: Verhandelingen over burgerlijke rechtszaken); hierzu Star Numan, op. cit., Fn. 15, S. 223 ff. 124 Zu Pauw vgl. L.E. van Holk, Mr. Willern Pauw (1712-1787). Raadsheer en president van de Hooge Raad van Holland en Zeeland. Enkele biografische aantekeningen, (1962) 30 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 358 ff.; V an Zyl, op. cit., Fn. 6, s. 369, 407 f. m Hierzu im einzelnen E.M. Meijers, Uitgegeven en onuitgegeven rechtspraak van den Hoogen Raad en van het Hof van Holland, Zeeland en Westfriesland, (1918 1919) 1 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 412 ff. (auch in: Etudes d'Histoire du Droit, Band II, 1973, S. 3 ff.).
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publiziert worden 126 und gewähren einen einzigartigen Einblick in die Praxis des römisch-holländischen Rechtes während des 18. Jahrhunderts 127• 3. Ulrich Huber (1636-1694)
Die beiden bedeutendsten Juristen der Zeit zwischen Grotius und Van Bynkershoek waren Ulrich Huber (1636-1694) und Johannes Voet (16471713). Huber war Friese128 . Im jugendlichen Alter von 21 Jahren schon war er Professor an seiner Heimatuniversität Franeker129 • Im Jahre 1679 wurde er zum Richter am Hof von Friesland in Leeuwarden ernannt, eine große Ehre für den Enkel eines Schweizer Söldners130, der damit in die Spitze der sozialen Hierarchie vorgerückt war. Nach drei Jahren gab er dies Amt jedoch wieder auf und kehrte an die Universität Franeker zurück: nicht auf seinen alten Lehrstuhl, sondern auf eine ad personam geschaffene und äußerst attraktiv ausgestattete Position als Ex-Senator mit allen Rechten, aber
126 Observationes rumultuariae: Band I 1926, Band II 1934, Band III 1946 (eds.: E.M. Meijers/ A.S. de Blecourt/H.D.J. Bodenstein), Band IV 1962 (eds.: E.M. Meijers/H.F.W.D. Fischer /M.S. van Oosten); vgl. außerdem den Indexband Systematisch compendium der Observationes tumulruariae van Cornelis van Bijnkershoek, 1962, von M.S. van Oosten. - Observationes tumulruariae novae: Band I 1964 (eds.: H.F.W.D. Fischer/W.L. de Koning-Bey/L.E. van Holk/H.W. van Soest), Band II 1967, Band III 1972 (eds.: R. Feenstra/W.L. de Koning-Bey /L.E. van Holk/H.W. van Soest); vgl. außerdem den lndexband. 127 Vgl. hierzu etwa H.D.J. Bodenstein, Bynkershoek's Reports of the Hooge Raad van Holland, (1922) 39 South African Law Journal 291 ff.; W.R. Bischop, The Diary of a Judge, (1927) 44 South African Law Journal 488 ff.; R.W. Lee, Bynkershoek's Observationes Tumultuariae, (1935) 52 South African Law Journal 473 ff.; L.J. van Apeldoorn, Theorie en Practijk van de Rechtsbronnen in Holland in den Tijd van Cornelis van Bynkershoek (1673 -1743), (1937) 1 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 4 ff. - Speziell zu Van Bynkerhoeks Beitrag zur Entwicklung des Versicherungsrechts vgl. J.P. van Niekerk, Enkele bibliografiese gegewens oor Cornelis van Bynkershoek en die Romeins-Hollandse versekeringsreg, (1988) 51 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 26 ff. 128 Über sein Leben und Werk unterrichten Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 160 ff.; P.C. Gane, Huberiana, (1931) 48 South African Law Journal 18 ff.; T.J. Veen, Recht en nut Studien over en naar aan Ieiding van Ulrik Huber (1636-1694), Diss. Groningen, 1976, S. 1 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 360 sq.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 144 ff.; T.J. Veen, in: Zestig Juristen, op. cit., Fn. 16, S. 120 ff. 129 Zunächst auf einem Lehrstuhl für "eloquentia"; 1665 wechselte er als Nachfolger seines Lehrers J.J. Wissenbach in die juristische Fakultät über. 130 Vgl. Veen, Rechten nut, op. cit., Fn. 16, S. 224.
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ohne einzelne der besonders lästigen Pflichten eines normalen Professors131. Seitdem war er zugleich Übervater und Rivale seiner Fakultät. Dank seines Renommees und seiner didaktischen Fähigkeiten zog er eine ganze Reihe von Studenten an, die sich an der Universität nicht mehr immatrikulierten und etablierte so in seinem Hause eine Art Privatrepetitorium. Damit waren Konflikte vorprogrammiert. Sie wurden noch dadurch verschärft, daß Huber, wie Van Bynkershoek, nicht nur ein sehr selbstbewußter, sondern auch ein streitlustiger und temperamentvoller Mann war. Nicht weniger als drei bedeutende Gelehrte verließen seinetwegen die Universität Franeker: Gerard Noodt und der Humanist und Dichter-Jurist Cornelis van Eck132, die beide nach Utrecht gingen, sowie der Altphilologe J. Perizonius, der einen Ruf nach Leiden annahm. Eine wissenschaftliche Kontroverse mit letzterem (sie nahm ihren Ausgang in einem . Streit um die Bedeutung eines von dem Apostel Paulus im Brief an die Phitipper gebrauchten Wortes) führte sogar zu einem Beleidigungsprozeß. Im Oktober 1686 kam es im Universitätssenat zu einem Wutausbruch Hubers, als ein Promovend der Philosophie die These vertrat, die Autorität der Bibel beruhe lediglich auf der Vernunft133 • Auch Huber, ein äußerst produktiver Autor, hat auf drei Gebieten der Jurisprudenz Bedeutendes geleistet. Er hat zum einen die Wissenschaft vom Internationalen Privatrecht nicht unmaßgeblich gefördert134: sein Einfluß reicht hier unter anderem auch in das englische und amerikanische Recht135 . Zum zweiten begründete er mit seinen De jure civitatis libri
131 Hierzu und zum folgenden vgl. Veen, in: Zestig Juristen, op. cit., Fn. 16, S. 124 f. und insbes. Van den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 50 ff.; idem, Cornelis van Eck 1662-1732. Een dichter-jurist, in: Rechtsgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 39 ff. 132 Über diesen vgl. Van den Bergh, in: Rechtsgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 37 ff. 133 Hierzu Veen, Rechten nut, op. cit., Fn. 16, S. 161 f., 166 ff.
134 Durch das Kapitel De conflictu legum in seinen Praelectiones juris civilis, Teil II, Lib. I, Tit. III (ins Englische übersetzt von E.G. Lorenzen, (1919) 13 lllinois Law Review 375 ff. und von D.J. Llewelfryn Davies, (1937) 18 British Year Book of International Law 64 ff.). 135 Vgl. allgemein etwa Gerhard Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Aufl., 1987, S. 112; Max Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts von den Anfängen bis zu den großen Privatrechtskodiflkationen, 1977, S. 155 ff.; speziell zum englischen und amerikanischen Recht vgl. E.G. Lorenzen, Huber's De Conflictu Legum, in: Selected Articles on the Conflict of Laws, 1947, S. 136 ff.; Davis, The Influence of Huber's De conflictu 1egum on English Private International Law, (1937) 18 British Year Book of International Law 49 ff.; zum Konzept der "comitas" vgl. die beiden Dissertationen von J.M.B. Scholten, Het begrip comitas in het internationaal privaatrecht van de Hollandse juristenschool der zeventiende eeuw, 1949 und H.B.G.
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tres136 die allgemeine Staatsrechtslehre als eigenständiges, von der Politik getrenntes Fach: "novam juris publici universalis disciplinam continentes", wie er diese drei Bücher im Untertitel137 programmatisch beschrieb138 • Hubers Bedeutung für das römisch-holländische Privatrecht schließlich beruht vor allem auf zwei Werken: seiner Heedendaegse Rechtsgeleertheydt (1686) und den Praelectiones juris civilis (publiziert in 3 Teilen 1678, 1689 und 1690). Das erste dieser beiden ist wie Grotius' Inleidinge in Holländisch abgefaßt, folgt aber in manchen Details einer anderen Systematik139 (obwohl es sich im großen und ganzen auch an den Institutionen orientiert); es enthält außerdem, im Gegensatz zur Inleidinge, ausführliche Nachweise aus Literatur und Judikatur und behandelt vor allem friesisches, nicht holländisches Recht. Hier kam Huber insbesondere seine richterliche Erfahrung zugute. "It has sometimes been said", bemerkt Sir Percival Gane, der das Werk ins Englische übertragen hat140, "that it is difficult at the present day to recapture the 'atmosphere' of the Roman-Dutch law. This book affords the best means of doing so. It is so wide in its scope, and so thorough in its application to a great variety of human situations, that it affords a perfect picture of the social, religious and political life of the authors's days. It is thus invaluable for giving the aura and surrounding circumstances of Roman-Dutch decisions". Die Praelectiones konzentrieren sich stärker auf das römische Recht; aber auch hier geht es vor allem darum, die Verbindungslinien zur gegenwärtigen Praxis (zum "usus saeculi") vor Augen zu stellen. Ulrich Hubers Werke sind in Südafrika bisweilen nur mit Vorsicht als autoritativ
Inner, "Comity". Nederlandse invloed op het recht der Verenigde Staten, 1948 (beide Nijmegen). 136 1. Auflage 1672. Anläßlich der Ablehnung eines Rufes an die Universität Leiden wurde Hubers Lehrauftrag um den Bereich ius publicum erweitert.
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3. Aufl., 1694.
Über Hubers allgemeine Staatsrechtslehre und zu seiner Bedeutung für die Geschichte der Wissenschaft vom öffentlichen Recht vgl. E.H. Kossmann, Politieke theorie in het zeventiende-eeuwse Nederland, 1960, S. 82 ff.; Veen, Rechten nut, op. cit., Fn. 16, S. 59 ff.; T.J. Veen, Interpretations of Inst. 1, 2, 6, D. 1, 4, 1 and D. 1, 3, 31: Huber's historical, juridical and political-theoretical reflections on the Iex regia, (1985) 53 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 357 ff.; vgl. ferner die bibliographischen Ausgaben bei Veen, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 128 f. sowie zusammenfassend zuletzt Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band 1600-1800, 1988, S. 291 ff. 138
139 Insbesondere umfaßt die Heedendaegse Rechtsgeleertheyt auch eine Darstellung des Prozeßrechtes.
140 Jurisprudence of my Time, 2 Bände, Durban, 1939; das Zitat stammt aus der einleitenden Note on the author, S. XIX. Es fmdet sich auch bei Veen, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 123.
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herangezogen 141 worden, betreffen sie doch in erster Linie friesisches Recht. Derartige Skrupel waren den Juristen des 17. Jahrhunderts selbst weithin fremd, wie sich etwa darin zeigt, daß sogar die Hedendaegse Rechtsgeleertheyt in Amsterdam aufgelegt wurde und daß die Praelectiones in Deutschland, in Italien und in Löwen erschienen sind. 4. Johannes Voet (1647-1713)
Der für das römisch-holländische Recht in Südafrika bei weitem einflußreichste niederländische Jurist des 17. Jahrhunderts ist Johannes Voet, Professor erst in Herbom, dann in Utrecht und schließlich, von 1680 bis zu seinem Tode im Jahre 1713 in Leiden142• Er verdankt seinen Ruhm im wesentlichen einem Werk: dem 1698 und 1704 in zwei Bänden erschienenen Commentarius ad Pandectas143 • "Thy Campend, Voet, is doll, confus'd and dry, Thou hast no Genius, and no patience I", schrieb einer von Voets schottischen Hörern auf sein Exemplar von Voets Einführungslehrbuch144 ; man möchte nicht wissen, wie er den Commentarius seines Lehrers einschätzte. Ein bedeutender Kenner des römisch-holländischen Rechts bezeichnete Voet als "prince of compilers" 145 ; und wenn man sich mit A.W.B. Simpson vor Vgl. aber etwa De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 146. Zu Leben und Werk des Johannes Voet vgl. Jugler, op. cit., Fn. 74, S. 348 ff.; A.A. Roberts, A Guide to Voet, 1933; Percival Gane, The Selective Voet, being the Commentary on the Pandects, Band I, 1955, S. XI ff.; Hahlo/Kahn, op. cit., Fn. 31, S. 556 f.; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 35 ff., 69 ff.; Robert Feenstra, Les Romanistes de l'Universite de Leyde du XVIr siecle et leur influence sur le droit europeen, in: Le nuove frontiere del diritto e il problema dell'unificazione, Atti del congresso internazionale organizzato della Facolta di Giurisprudenza dell'Universita di Bari, 1979, S. 344 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 362 ff.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 154 ff.; P.C. Kop, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 130 ff.; vgl. auch die Angaben in Fn. 99. Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 331 ff. Voet stammte aus einer Gelehrtenfamilie. Sein Vater, Paul Voet, war Professor an der juristischen Fakultät in Utrecht und ist insbesondere mit einen Institutionenkommentar und mit Beiträgen zum Internationalen Privatrecht hervorgetreten; vgl. näher Jugler, op. cit., Fn. 74, S. 340 ff.; Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 326 f.; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 10; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 383. Johannes Voets Großvater, Gisbertus Voet, war ein bekannter Theologieprofessor an der Utrechter Universität. 143 Voller Titel: Commentarius ad Pandectas, in quo praeter Romani juris principia ac controversias illustriores jus etiam hodiemum et praecipue fori quaestiones excutiuntur. 141
142
144 Zitiert bei Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 86. Das Einführungslehrbuch war ein Compendium juris juxta seriem Pandectarurn, das im Jahre 1682 publiziert wurde. 145 J.G. Kotze, History of the Roman-Dutch Law, (1910) 27 South African Law Journal 196. Vgl. neuerdings auch Van den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 62 (,,matchless compiler").
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Augen hält, "[that] in the Western European legal tradition of private law successful creative work consists in a combination between intelligent plagiarism and systematization of what is lifted from others", so braucht darin nicht einmal ein schwerwiegender Tadel zu liegen 146• Das in Voet's magnum opus gesichtete, zusammengetragene und verarbeitete Material ist in der Tat beispiellos umfangreich. Teilweise überschreitet die Fülle des Dargebotenen die Grenze zur Weitschweifigkeit. Ein weiterer Nachteil, aus heutiger Sicht, liegt darin, daß die Darstellung noch nach den Titeln (nicht aber mehr innerhalb der Titel nach den Ieges) der Digesten aufgebaut ist. Auch finden sich vereinzelt Spekulationen, denen eine gewisse ,,Eleganz" ebensowenig wie völlige praktische Nutzlosigkeit abgesprochen werden kann. Die Ausführungen über den (damals noch unbekannten) Inhalt des zweiten Kapitels der Iex Aquilia etwa gehören hierher147 • Seit der Entdeckung der GaiusInstitutionen durch Niebuhr weiß man, daß Voet hier weit von der historischen Wahrheit entfernt war. Aber derartige "nur" elegante Passagen sind nicht die Regel. Das Besondere an Voets Pandektenkommentar besteht darin, daß er sich zwar auf der einen Seite voll und ganz auf der Höhe romanistisch-humanistischer Gelehrsamkeit befindet, daß er aber gleichwohl das römische Recht nicht um seiner selbst willen behandelt, sondern als eine Art Schablone für das geltende Recht; aus diesem Grunde treten Themen von rein antiquarischem Interesse in den Hintergrund, und aus diesem Grunde auch folgt der Darstellung des römischen Rechts stets die der mores hodierni. Ermöglicht werden soll somit im Interesse rationaler Rechtsfortbildung und Rechtskritik die Erkenntnis der dem geltenden Recht zugrundeliegenden Prinzipien 148 • Die dabei aufgebotene Gelehrsamkeit ist stupend. Römische literarische Quellen werden ebenso zitiert wie die Werke von Juristen so gut wie aller Gebiete und Epochen des ius commune, mit einer gewissen Präferenz der anwendungs- und praxisorientierten. Was das holländische Recht betrifft, nimmt Grotius' Inleidinge einen besonders prominenten Platz ein. Sehr häufig ist darüber hinaus Groenewegen zitiert. Im übrigen bemüht Voet sich stets, seine Ausführungen mit Beispielen aus der praktischen Rechtsanwendung zu bereichern und greift zu diesem Zwecke auf Entscheidungssammlungen wie die des Christinaeus, des Coren oder Neostadius oder auf die Hollandsehe Consultatien zurück. Voets Pandektenkommentar vereinigt 146 Innovation in Nineteenth Century Contract Law, in: A.W.B. Simpson, Legal Theory and Legal History. Essays on the Common Law, 1987, S. 178; vgl. auch Sir Henry Connor, in Wheeler v. Adler Bros. and Thompson & Co, (1880) 1 NLR 152 (154). 147 Commentarius, Lib. IX, Tit. II, 5. Eine Übersicht über weitere Konjekturen bietet Johannes van der Linden in seinen Anmerkungen. die in der Übersetzung von Percival Gane, op. cit., Fn. 142, Band li, 1955, S. 550 mit abgedruckt sind. 148
Vgl. die praefatio des Commentarius.
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damit in einzigartiger Weise humanistische Gelehrsamkeit mit den Bedürfnissen der praktischen Rechtsanwendung. Darüber hinaus nimmt er auch bereits Einflüsse aus dem Naturrecht in seine Darstellung mit auf149, wie sich nicht zuletzt aus der häufigen Zitierung von Grotius' De jure belli ac pacis ergibt. "We never consult his pages without some profit", schreibt Kotze und qualifiziert damit seine Bemerkung vom "prince of compilers" 150; "[t]he modern lawyer rarely refers to him without discovering the exact point, on which he seeks information ... or at any rate the principle which should guide him to a right conclusion ... He is for us a great and comprehensive storehause of the principles of jurisprudence, discussed and explained in a learned and eminently practical way, rendering them fit to be adopted and applied to daily affairs and the business of life". "In many ways", schreibt Van Warmelo151, "Grotius may be described as the Julian and Van Bijnkershoek as the Papinian among the Dutch jurists, but Voet may weil be considered to be the Ulpian among them." Voets Pandektenkommentar erlebte bis 1734 in Holland 6 Auflagen; aber auch im Ausland fand das Werk weite Verbreitung, wie etwa die in Löwen, Genf, Venedig, Halle, Neapel und Paris I Besan~on veranstalteten Editionen bezeugen 152• In den Jahren 1837 bis 1840 erschien eine italienische153, von 1955 bis 1958 eine englische Übersetzung 154. Voets Einfluß auf die Praxis des holländischen Rechts im 18. Jahrhundert war enorm und stellte die aller anderen Autoren in den Schatten155 ; aus der Entwicklung des südafrikanischen Rechts ist er nicht hinwegzudenken156. Auch schottische Gerichte haben seinen Pandektenkommentar zitiert157. In 149 Dies betonen Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 42. ISO
(1910) 27 South African Law Journal 196 f.
1s1
Roman Law and the Old Authorities on Roman-Dutch Law, (1961) Acta Juridica 54. ISZ Vgl. hierzu die detaillierten Angaben bei Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 42, 69 ff.; Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 341 ff. 1s3 Antonio Bazzarini, Commento alle Pandette di Giovanni Voet. 1s4 Percival Gane, op. cit. Fn. 142; über weitere Übersetzungen von Teilen des Commentarius ins Englische vgl. Roberts, A Guide to Voet, op. cit., Fn. 142, S. 18 ff. ISS Vgl. Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 43, die darauf hinweisen, daß Voet in 100 von Pauws Observationes tumultuariae novae, und damit häufiger als jeder andere Autor zitiert wird.
1s6 Vgl. etwa H.R. Hahlo/Ellison Kahn, The Union of South Africa, The Development of its Laws and Constitution, 1960, S. 35 f.; Percival Gane, Introduction to The Selective Voet, Band I, 1955, S. XVI f.
IS? Vgl. hierzu J.C. Gardner, French and Dutch Influences, in: An Introductory Survey of the Sources and Literature of Scots Law (Stair Soc. I), 1936, S. 232; Peter Stein, The Influence of Roman Law on the Law of Scotland, (1963) The Juridical
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manchen anderen europäischen Ländern (darunter Deutschland) ist sein Werk demgegenüber weithin der Vergessenheit anheimgefallen. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, daß Voet vielfach lediglich als Humanist abgestempelt worden ist, dessen "elegante" Reflektionen, in den Worten von Savigny "die Kenntniß des Römischen Rechts um keinen Schritt weiter gebracht [haben)" 158 • 5. Arnoldus Vlnnlus (1588 -1657)
Größeren Erfolg als Voet, insbesondere in Deutschland und Frankreich, hatte der während des halben Jahrhunderts vor Voet bedeutendste Professor der Leidener Juristenfakultät, Arnoldus Vinnius (1588-1657) 159 • Wie Voet, so verdankt auch Vinnius seinen Ruhm vor allem einem Werk, einem Institutionen-Kommentar mit dem Titel In quatuor libros Institutionum imperialium Commentarius academicus et forensis 160• Wie sich aus diesem Titel bereits ergibt, verfolgte das Werk zwei Ziele: es war als Lehrbuch für den Rechtsunterricht, aber auch als Leitfaden für die forensische Praxis gedacht. Dementsprechend ist auch hier die auf der Höhe humanistischer Gelehrsamkeit und in der Tradition eines Cujacius, Donellus oder Hotomannus stehende Darstellung des römischen Rechtes nicht reiner Selbstzweck; sie wird ergänzt durch Ausführungen zum modernen gemeineuropäischen ius commune sowie Hinweise auf spezifisch holländische Besonderheiten. In diesem Zusammenhang bezieht sich Vinnius, wie nach ihm Voet, auf alle maßgeblichen Autoren seit der Renaissance der Rechtswissenschaft in Bologna. Wie Voet stützte sich Vinnius für das holländische Recht weithin auf Grotius' Inleidinge161 ; was die zeitgenössische niederländische Praxis betrifft, zog er vor allem die Sammlung der Entscheidungen des Großen Rates von Mecheln des Paulus
Review 205 ff. (231 ff.) (auch in: The Character and lnfluence of the Roman Civil Law, 1988, S. 319 ff.). Vermischte Schriften, Band Ill, S. 25. Über ihn vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 314 ff.; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 24 ff., 52 ff.; Feenstra, Les Romanistes de l'universite de Leyde, op. cit., Fn. 142, S. 339 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 353 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 133 ff.; Robert Feenstra, Het Tractatus de pactis van Vinnius en de strijdschriften tegen Maestertius uit 1640, (1988) 56 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 199 ff.; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 278 ff. Vinnius war Schüler der 2. Generation des Donellus (durch seinen Lehrer Tuningius). 158 159
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Erschienen im Jahre 1642.
Ab der 2. Aufl. (1649) auch auf den inzwischen erschienen Tractatus de legibus abrogatis von Groenewegen. 161
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Christinaeus162 heran. Wie Voets Commentarius weist auch der des Vinnius deutliche Einflüsse der durch Grotius stimulierten Naturrechtsbewegung auf. Dieser Gesichtspunkt - wie auch die klare und elegante Sprache - mag das Werk einem Mann wie Pothier empfohlen haben 163 , der seinerzeit für Frankreich die Aufgabe unternahm, römisches Recht, einheimische Rechtspraxis und Naturrecht miteinander zu verbinden. In Holland wie im Ausland erlebte der Institutionenkommentar eine Vielzahl von Auflagen164 ; besondere Bedeutung erlangte dabei eine von Johann Gottlieb Heineccius im Jahre 1726 besorgte und mit Anmerkungen versehene Ausgabe165 . 6. Sirnon van Groenewegen van der Made (1613 -1652)
Ein außerhalb Südafrikas heute so gut wie unbekannter Autor ist Sirnon van Groenewegen van der Made (1613-1652), Advokat in Den Haag und später Leiter der Stadtkanzlei in seiner Heimatstadt Delft166 • Sein bedeutendstes Werk ist der Tractatus de legibus abrogatis et inusitatis in Hollandia vicinisque regionibus, in dem das gesamte Corpus Juris Civilis Abschnitt für Abschnitt daraufhin untersucht wird, welche seiner Bestimmungen im Recht der damaligen Zeit - sei es durch Gesetz, sei es qua Gewohnheitsrecht - als aufgehoben anzusehen sind. Eine unterhaltsame Lektüre bietet dieser Tracta-
162 Über Christinaeus und seine Entscheidungssammlung vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 78 f.; FeenstraiWaal, op. cit., Fn. 62, S. 29; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 339 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 120 f.; Wijffels, op. cit., Fn. 49, S. 193 ff. Speziell zum Gebrauch dieser Sammlung durch Vinnius vgl. E.M. Meijers, De betekenis van de Grote Raad te Mechelen voor de Noordelijke Nederlanden, in: Etudes d'histoire du droit, Band II, 1973, S. 170. 163 Hierzu FeenstraiWaal, op. cit., Fn. 62, S. 97. 164 Vgl. die Einzelheiten bei FeenstraiWaal, op. cit., Fn. 62, S. 31, 53 ff. (.,As regards the geographical spread of editions, Vinnius' In quatuor libros Institutionum imperialium commentarius ... is unrivalled"); Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 282 ff. Zur Einschätzung des Institutionenkommentars aus moderner Sicht vgl. auch etwa Berthold Kupisch, Zur Wirkungsgeschichte der Institutionen, in: Okko Behrends I Rolf Knütel I Berthold Kupisch I Hans Hermann Seiler, Corpus luris Civilis, Text und Übersetzung, Band I, 1990, S. 281 ("... auch dem heutigen Leser höchste Anerkennung abverlangt ... Der Erfolg ... läßt sich an den bis in die erste Hälfte des 19. Th. reichenden 43 Ausgaben ablesen, eine Zahl, die von keiner anderen romanistischen Arbeit der europäischen Privatrechtsgeschichte je erreicht worden ist").
FeenstraiWaal, op. cit., Fn. 62, S. 55 ff. Zu ihm vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 137; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 356 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 135 f.; B.Z. Beinart, Sirnon van Omenewegen van der Made. A Biographical Note Including References to his Legal Opinions and Notes on Grotius' lnleidinge, (1988) 56 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 333 ff. 165
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tus nicht, aber für die Kenntnis des niederländischen Rechts des 17. Jahrhunderts ist er unentbehrlich. Auffällig sind gewisse Unebenheiten der Darstellung. Mitunter wird lediglich kurz und bündig die Aufhebung einer Iex oder einer Konstitution festgestellt, an anderen Stellen beschreibt Groenewegen demgegenüber aber recht ausführlich das statt dessen geltende Recht, und auch an Hinweisen auf die für die Entwicklung maßgeblichen Faktoren fehlt es nicht. Auch Judikatur (teilweise sogar unveröffentlichte) und Literatur sind zu einzelnen Fragen sehr viel gründlicher nachgewiesen als zu anderen. Aber es war auch eine titanische Aufgabe, die Groenewegen sich gestellt hatte, und mit viel Sympathie liest man es deshalb, wenn er selbst entschuldigend schreibt: "Indeed, as I found myself in this vast sea of law, sometimes when in all human frailty I was disturbed by the thought of death, I hastened rather swiftly to port". Die englische Fassung dieses Zitats stammt übrigens von dem Kapstädter Romanisten Ben Beinart, der gemeinsam mit Margaret Hewett den gesamten Tractatus neu herausgegeben und ins Englische übersetzt hatl67. 7. Sirnon van Leeuwen (1626 -1682)
Von großer Bedeutung für unsere Kenntnis des römisch-holländischen Rechts sind ferner zwei Werke eines literarisch außerordentlich fleißigen Advokaten aus Leiden namens Sirnon van Leeuwen (1626-1682) 168. Das eine von ihnen ist ein Lehrbuch des geltenden niederländischen Privat- und Prozeßrechtes mit dem Titel Het Rooms-Hollands Regt169. Diesen Begriff hatte Van Leeuwen zuvor bereits im Untertitel eines Vorläufers zu diesem Lehrbuch verwendet170 und hatte damit das Glück (oder Geschick), zum Schöpfer der Bezeichnung einer ganzen Epoche der Rechtsgeschichte zu werden. So groß war noch im 19. Jahrhundert das Ansehen dieses Werkes, daß es in einer Beilage zum Grundgesetz der Zuid-Afrikaanse Republik (i.e. des Transvaal) im Jahre 1858 mit gesetzesgleicher Würde ausgestattet wurde171. Gegen Ende des Jahrhunderts verfaßte der höchste Richter des
Band I 1974, Band TI 1975, Band lli 1984, Band IV 1987, Johannesburg. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 183 ff.; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 98. ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 357 ff.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 139 f .; Margaret Hewett, Introductory Note, in: Censura Forensis Part I Book V by Sirnon van Leeuwen, translated by Margaret Hewett, Pretoria, 1991. 167 168
Erschienen im Jahre 1664. Paratitula juris novissimi, dat is, Een kort begrip van het Rooms-HollandtsReght, 1652. 169
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171 Allerdings nur subsidiär gegenüber dem Koopmans Handboek von Johannes van der Linden; vgl. infra Fn. 196.
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Transvaal, Sir J.G. Kotze, eine Übersetzung des Werkes 172• Weitaus ambitionierter in seinem Zuschnitt ist Van Leeuwens anderes Hauptwerk, das unter dem Titel Censura forensis theoretico-practica erschien 173• Nicht weniger als das gesamte Zivilrecht, römisches wie rezipiertes, niederländisches wie ausländisches, sollte hier in systematischer Form dargestellt werden174• In der Tat enthält das Werk eine Fülle von Material, das aber nicht selten einfach von anderen kritiklos und ohne eigene gedankliche Leistung übernommen worden ist175 • So finden sich in der Darstellung gelegentlich eklatante, vom Autor offenbar gar nicht bemerkte, Widersprüche.
8. Die Literatur im übrigen
Damit haben wir die wichtigsten Autoren des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit ihren Hauptwerken vorgestellt. Sie entsprangen einer Rechtskultur von beeindruckender Vitalität und Vielseitigkeit. Die uns aus jener Zeit überlieferte Literatur umfaßt alle Literaturgattungen und Fächer176. Lehrbücher und Kommentare stehen neben gelehrten Monographien177, Entscheidungs- und Gutachtensammlungen 178 oder juristischen Wörterbüchern, Werke zu allen Aspekten des Zivilrechts (einschließlich des Rechtes der Stiefmütter179) neben solchen zum öffentlichen Recht, zum
172 Erschienen unter dem Titel Commentaries on the Roman-Dutch Law, 2 Bände, 1. Aufl. 1882-1886; 2. Aufl. 1921-1923. Dieser Übersetzung lag die mit Anmerkungen von C.W. Decker versehene Ausgabe von 1780-1783 zugrunde.
Leiden, 1662. Vgl. bereits den vollen Titel: Censura forensis, theoretico-practica id est totius juris civilis, Romani, Usuque recepti, et Practici methodica collatio Qua non tantum ipsa juris Romani fundamenta, ad rationis, et veritatis censuram, Methodice reducuntur; sed et ad usum practicum transferuntur, interjectis Constitutionibus, Decisionibus, Moribus, et Statutis, non tantum generalioribus, verum etiam particularibus cujusque fere Christianorum gentis, Regionis, et Provinciae. 173
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175 Vgl. auch die negative Bewertung bei Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 140; von Barbeyrac und Spangenberg, beide zitiert bei Van den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 313; vgl. auch Robert Feenstra in seinen unveröffentlichen Edinburgh-lectures, zitiert bei Hahlo/Kahn, op. cit., Fn. 31, S. 555; Hewett, op. cit., Fn. 168, S. XIII, XIV f. 176 Einen Überblick bietet Roberts, op. cit., Fn. 51.
Vgl. den Überblick bei Hahlo/Kahn, op. cit., Fn. 31, S. 548 ff. Überblick bei Hahlo/Kahn, op. cit., Fn. 31, S. 544 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 321 ff.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 178 ff. 177 178
179 Johan van Someren (1634-1706), Präsident des Hof van Utrecht, Tractatus de jure novercarum.
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Straf_Iso oder Prozeßrecht181 (darunter eines mit dem schönen Titel "Papegay"182). Insbesondere die Arcana der Notariatspraxis gaben Anlaß zu einer Fülle von Hand- und Formularbüchern183 • Internationalrechtliche Fächer wie das Völkerrecht oder das Internationale Privatrecht erfuhren nachhaltige Impulse. Professoren und Richter beteiligten sich ebenso an der literarischen Diskussion wie Anwälte oder städtische Beamte; wir finden die Werke trockener Stubengelehrter ebenso wie die etwa des Abenteurers und Schwindlers Franciscus Lievens Kersteman184, dessen Hollandsehe Rechtsgeleerd Woorden-Boek von einem Notar fortgeführt werden mußte, der unter dem barocken Pseudonym "Nisi utile est, quod facimus, stulta est gloria" zu publizieren pflegte185 • Besonders interessante Diskussionen entspannen sich um die Juristenausbildung. Soll man nur Römisches Recht oder auch modernes Recht unterrichten? Voet war der erste, der an der Universität Leiden
180 Vgl. insbesondere De crirninibus ad lib. XLVII et XLVID Dig. Commentarius des berühmten Utrechter Professors Antonius Matthaeus II (1601-1654), Vater des oben erwähnten Antonius Matthaeus III und Sohn des Antonius Matthaeus I. Über Antonius Matthaeus II vgl. Stintzing, Geschichte, op. cit., Fn. 74, S. 255 ff.; F. Schlüter, Antonius Matthaeus li aus Herbom, der Kriminalist des 17. Jahrhunderts, der Rechtslehrer Utrechts, 1929; Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 204 ff.; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 111; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 355 f.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 148 ff.; M. van de Vrugt, Antonius Matthaeus II (1601-1654). Utrechts eerste primarius iuris, in: Rechtgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 23 ff.; M. van de Vrugt, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 166 ff. 181 Eines der ersten und bedeutendsten war Paulus Merula, Manier van Procederen in de Provintien van Hollandt, Zeelandt en West-Vrieslandt belangende Civile Zaken, 1592. Zu Merula (der, obwohl besonders stark an der forensischen Praxis interessiert, in Leiden nicht Jura-, sondern Geschichtsprofessor wurde) vgl. neuerdings Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7, S. 21 ff. 182
Willern van Alphen (1608 -1691), Papegay, ofte Formulierboeck, 1642.
Vgl. z.B. Comelis Kos, Instructie in 't Notaris-Ampt, ende voorts in de beginselen van de Regten en Practyke, 1686; G. van Wassenaer, Practyk Notarieel ofte Instructie tot het maken ende insteilen van de voomaemste Instrumenten, 1661; Arent Lybregts, Redeneerend Vertoog over 't Notaris Ampt, 1734; idem, Redeneerend Practyq over 't oeffenen van 't Notaris ampt, 1742. 183
184 Zu ihm vgl. Roberts, op. cit, Fn. 51, S. 174 ff. ("Unprincipled, improvident and somewhat of a Don Juan, he led a life full of adventures and vicissitudes which included the prison ... and the workho_use"); Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 93; V an Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 411 ff.; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 168 ff. 185 Es handelte sich um Lucas Wilhelmus Kramp; zu ihm vgl. A.A. Roberts, The Mystery Man of Roman-Dutch Law - L.W. Kramp, (1932) 49 South African Law Journal 345 ff.; idem, Lucas Willern Kramp, (1932) 49 South African Law Journal 494 ff.
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(auch) modernes Recht unterrichtete186; anläßlich dieser Erweiterung seines Lehrauftrages187 hielt er eine Antrittsvorlesung mit dem programmatischen Titel "Oratio de jungenda Romani et hodiemi juris scientia" 188 . Neue Fächer des akademischen Rechtsunterrichts begannen sich herauszukristallisieren, darunter insbesondere das ius publicum 189. Doch nicht nur über Ausbildungsziele, auch über Ausbildungsmethoden wurde gestritten. In den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts führte der Deutsche Johann Friedrich Bökkelmann190 die Campendienmethode in Leiden ein. Böckelmann war ein früher Verfechter der Studienzeitverkürzung, ein Ziel, das er durch Entlastung des Studiums (und der von ihm verfaßten Studiengrundrisse) von humanistisch-philologischem Ballast zu erreichen suchte. Diese Reform stieß natürlich auf heftigen Widerstand von Professoren der konservativen, humanistisch orientierten Richtung191 . Gegen Ende des 18. Jahrhunderts haben die Niederlande noch einmal zwei Juristen hervorgebracht, die das römisch-holländische Recht in der letzten Phase seiner Entwicklung darstellten. Dionysius Godefridus van der Keessel, Professor zunächst in Groningen, dann in Leiden192, dessen in seinen Vor-
186 Hierzu De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 156, aber auch Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 38. Feenstra/Waal, S. 31 berichten im übrigen von wiederholten Versuchen der Kuratoren der Universität Leiden, auch ohne ausdrückliche Erweiterung des Lehrauftrags Professoren des römischen Rechtes dazu zu veranlassen, modernes Recht in ihren Vorlesungen mitzuberücksichtigen. Auch etwa der eher humanistisch orientierte Gelehrte Comelis v an Eck hatte in U trecht seit 1713 einen Lehrauftrag für ius hodiemum (vgl. V an den Bergh, in: Rechtsgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 43). 187 Nachdem Voet einen (Rück-) Ruf nach Utrecht abgelehnt hatte. 188 Hierzu Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 38 (mit Bild der Titelseite aufS. 39). 189 Vgl. supra Fn. 138. 190 Über sein Leben und Werk vgl. Robert Feenstra, Johann Friedrich Böckelmann (1632-1681). Een markant Leids hoogleraar in de rechten, in: Bestuurders en Geleerden. Opstellen over onderwerpen uit de Nederlandse geschiedenis van de zestiende, zeventiende en achttiende eeuw, aangeboden aan van Prof. Mr. J.J. Woltjer, 1985, S. 137 ff.; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 55 ff. 191 Vgl. etwa Noodts Utrechter Antrittsvorlesung De causis corruptae jurisprudentiae, 1684, analysiert bei Van den Bergh, op. cit., Fn. 59, S. 161 ff. (165). Ulrich Huber publizierte einige Monate darauf einen fiktiven Dialog zwischen Böckelrnann, Crusius (anstelle dessen eigentlich Noodt gemeint war) und sich selbst (Titel: De ratione juris docendi et discendi diatribe per modum dialogi), in dem wiederum Noodts Thesen kritisiert wurden. Vgl. Van den Bergh, S. 165 f., 301 ff. Generell zu Fragen der Studienreformdiskussion in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts vgl. auch Van den Bergh, S. 271 ff. 192 Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 172 f.; Paul van Warmelo, Praelectiones iuris hodierni ad H. Grotii Introductionem ad iurisprudentiam hollandicam van D.G. van der Keessei (MS. Utrecht en MS. Leiden), (1955) 23 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis
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lesungsniederschriften bestehendes bzw. aus ihnen hervorgegangenes wissenschaftliches Werk zum größten Teil erst in diesem Jahrhundert veröffentlicht worden ist193 , sowie Johannes van der Linden, Advokat, dann Richter in Amsterdam 194 ; sein als Einführungsbuch für Studenten und Geschäftsleute gedachtes "Regtsgeleerd, Practicaal, en Koopmans Handboek"195 erfreute sich im Transvaal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzlicher Autorität196 • Es war dies das letzte bedeutende noch zum geltenden römisch-holländischen Recht publizierte Werk. Van der Linden selbst war an
452 ff.; P.J. Verdam, Het Utrechtse handskrif van Van der Keessel, (1958) 21 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 1 ff.; Ben Beinart/Paul van Warmelo, Van der Keessei en de Studie van de Erfprins Willern Frederik, de latere Koning Willern I, te Leiden, 1789- 1790, (1974) 14 Verslagen en Mededelingen van de Vereniging tot uitgaaf der brormen van het Oud-Vaderlandsche Recht 21 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 392 ff.; Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 172 f.; A. Krikk.e/S . Faber, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 110, S. 185 ff.; Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 132 ff. 193 Zu Lebzeiten Van der Keessets sind nur die Theses selectae juris Hollandici et Zelandici, ad supplendam Hugonis Grotii Introductionem ad jurisprudentiam Hollandicam, 1800, erschienen; englische Übersetzung von C.A. Lorenz, Select Theses on the Laws of Holland and Zeeland, 1855, 1868, 1901. Vgl. weiter P. van Warrnelo/L.I. Coertze/H.L. Gonin/D. Pont (Hg.), Praelectiones iuris hodierni ad Hugonis Grotii Introductionem ad lurisprudentiam Hollandkam (mit Übersetzung ins Afrikaans: Voorlesinge oor die Hedendaagse Reg na aanleiding van Oe Groot se .Jnleidinge tot de Hollandse Rechtsgeleertheyd"), 5 Bände, 1961 - 1967, dazu ein (sechster) lndexband, 1975, herausgegeben von P. van Warmelo; B. Beinart/B.L. Hijmans/P. van Warmelo (Hg.), Dionisii Godefridi van der Keessei Dictata ad Justiniani Institutionum libros quattuor, 2 Bände, 1965; B. Beinart/P. van Warmelo (Hg.), Praelectiones in libros XLVll et XLill Digestorum, exhibentes jurisprudentiam criminalem ad usum fori Batavi applicatam (duce Comelio van Eck) et in Novum Codicem Criminalem 1809 (mit Übersetzung ins Englische: Lectures on Books 47 and 48 of the Digest, setting out the Criminal Law as applied in the Courts of Holland (based on Comelis van Eck) and on the New Criminal Code, 1809), 6 Bände, 1969-1981. 194 Über sein Leben und Werk vgl. Roberts, op. cit., Fn. 51, S. 190 ff.; Dekkers, op. cit., Fn. 51, S. 101; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 395 ff.; Oe Wet, op. cit., Fn. 6, S. 173 ff.; P.C. Kop, in: Zestig juristen, op. cit., Fn. 16, S. 196 ff.; vgl. auch Ben Beinart, The Source of Van der Linden's Book on Procedure, (1959) 22 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 231 ff. 195 Amsterdam, 1806; es gibt drei verschiedene Übersetzungen ins Englische, davon ist die von H. Juta, Institutes of Holland, 1. Aufl., 1884, 5. Aufl., 1906, die bekannteste. 196 Beilage I zum Grundgesetz der.Zuid-Afrikaanse Republiek von 1858 erhob das Werk von Van der Linden zum offiziellen Privatgesetzbuch der Republik. Wo es schweige oder undeutlich sei, sollte auf V an Leeuwen (Het Rooms-Hollands Regt) und Grotius (ln!eidinge) zurückgegriffen werden. Vgl. z.B. H.R. Hahlo I Ellison Kahn, The Union of South Africa. The Development of its Laws and Constitution, 1960, s. 21 ff.
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den Vorbereitungen zur Kodifikation des niederländischen Rechts beteiligt197 und steht damit bereits an der Schwelle einerneuen Epoche. IV. Die römisch-holländische Rechtswissenschaft und die Modernisierung des römischen Rechts - fünf charakteristische Faktoren 1. Einführung
Nach diesem Überblick über den institutionellen Hintergrund sowie über die bedeutendsten Autoren des römisch-holländischen Rechts und ihre Werke ist nunmehr der Blick auf das materielle Recht zu richten. Dabei soll es in den folgenden Beiträgen dieses Bandes darum gehen, anband ausgewählter wichtiger Materien des Privatrechts exemplarisch die Leistung der holländischen Rechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts für die Entwicklung des europäischen Privatrechts zu würdigen. Inwieweit, wenn überhaupt, sind die Vertreter dieser Schule über den bislang erreichten Kenntnisstand hinausgelangt, inwieweit haben sie auf die Gestalt und Entwicklung des römisch-kanonischen ius commune Einfluß genommen? Welche Rolle spielte für sie das römische Recht? Aus welchen (zusätzlichen) Quellen schöpfen sie, welche früheren Autoren zitieren sie und welchen Einflüssen unterliegen sie mithin? Dies sind einige der Fragen, die im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind. Nach einem Überblick über den für die Rechtsbildung maßgeblichen prozessualen Rahmen und einer Analyse des Systems des Vermögensrechts werden eine Reihe der für unsere römisch-kanonische Rechtstradition charakteristischen Institutionen und Lehren des Privatrechts im einzelnen durchgemustert. Dabei beschränkt sich die Untersuchung, um die Gefahr der Verzettelung zu vermeiden, auf die beiden Kernbereiche des klassischen Privatrechtssystems: das Obligationenrecht und das Sachenrecht. Von zentraler Bedeutung innerhalb des Obligationenrechts ist wiederum das Vertragsrecht. Dies Gebiet ist mit sieben Beiträgen vertreten; drei von ihnen befassen sich mit charakteristischen Vertragstypen (Kauf, locatio-conductio und Darlehen), drei weitere mit wichtigen Fragen des (wie wir sagen würden:) allgemeinen Vertragsrechts. Mit dem Versicherungsrecht rückt darüber hinaus exemplarisch eine der "neuen", nicht zum überkommenen Bestand der römischen Privatrechtsordnung zählenden Materien ins Blickfeld. Die außer-
197 Vgl. hierzu etwa F.F.X. Cerutti, Het onderwerp Burgerlijk Wetboek van Johannes van der Linden (1807); in: Opstellen over recht en rechtsgeschiedenis aangeboden aan Prof. Mr. B.H.D. Hermesdorf, 1965, S. 39 ff.; Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 398 f.; vgl. allgemein auch Lokin/Zwalve, op. cit, Fn. 44, S. 263 ff. 4 Feenstra/Zirrunermann
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vertragliche Haftung ist mit drei Beiträgen zur Geschäftsführung ohne Auftrag, zur ungerechtfertigten Bereicherung und zum Recht der unerlaubten Handlungen vertreten. Darüber hinaus beschäftigt sich ein weiterer Beitrag mit Erscheinungsformen verschuldeosunabhängiger Haftung - einem Thema, das jahrhundertelang eher ein Mauerblümchendasein fristete, heute jedoch von besonderer Aktualität ist. Der Bereich des Sachenrechts schließlich wird abgedeckt mit Arbeiten zu Eigentumsbegriff und Eigentumsübertragung, zu Besitzbegriff und Besitzschutz, zum Recht der Dienstbarkeilen und zu den Grundlagen des Nachbarrechts. Es bleiben natürlich viele Lücken; eine vielleicht besonders auffällige etwa im Bereich der Beteiligung Dritter am Schuldverhältnis. Zession, Vertrag zugunsten Dritter und (direkte) Stellvertretung gehören ja zu den Institutionen, deren Herausbildung und praktische Anerkennung - gegen den römischen Obligationenbegriff- die niederländischen Juristen entscheidend gefördert haben198 • Gleichwohl ergeben die Beiträge dieses Bandes, wie ich meine, einen repräsentativen Einblick in das niederländische Recht des 17. und 18. Jahrhunderts - einen Einblick, der die besondere Leistung der römisch-holländischen Juristen deutlich werden läßt. Sie bestand, jedenfalls nach meinem Eindruck, nicht in der begrifflichen Verfeinerung der überkommenen Dogmatik, in der Entwicklung kühner Denkmodelle oder spektakulärer Neuansätze oder auch nur in der Originalität der im einzelnen entwickelten Problemlösungen; der - in der allgemeinen rechtshistorischen Literatur bislang kaum gewürdigte - Beitrag der niederländischen Jurisprudenz vor allem des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts für die Entwicklung des modernen Privatrechts lag vor allem in der Öffnung der Rechtswissenschaft für die zeitgenössische Rechtspraxis, für die "mores hodiemi" oder
198 Immerhin ist gerade dieser Bereich in der Literatur vergleichsweise intensiv behandelt und damit gut erschlossen worden. Vgl. etwa zum Komplex Stellvertretung/Vertrag zugunsten Dritter (d.h. Abschied vom römischen Prinzip des alteri stipulari nemo potest) Johannes Christiaan de Wet, Die ontwikkeling van die ooreenkoms ten behoewe van 'n derde, 1940, S. 104 ff.; idem, 'n Bydrae tot die geskiedenis van die ontwikkeling van direkte verteenwoordiging by die sluiting van ooreenkomste, (1942) 6 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 210 ff.; Hans Ankum, De voorouders van een tweehoofdig twistziek monster, 1967, S. 27 ff.; Ulrich Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung und des Vertrages zugunsten Dritter, 1969, S. 98 ff.; D.J. Joubert, Die Suid-Afrikaanse Verteenwoordigingsreg, 1979, S. 13 ff.; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990, S. 42 f., 56 f. Zur Zession vgl. Frans Heinrich Grosskopf, Die geskiedenis van die sessie van vorderingsregte, 1960, S. 103 ff., 116 ff.; Klaus Luig, Zur Geschichte der Zessionslehre, 1966, S. 30 ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 65.
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"consuetudines nostrae"199 • Sie legte damit den Grund für die nach der Verknöcherung des mos italicus und der antiquarischen Sublimierung des römischen Rechts durch den mos gallicus überfaltige Erneuerung des euro· päischen ius commune. Anders ausgedrückt: sie bewirkte eine Erneuerung des mos italicus auf dem Niveau und vor dem Hintergrund des durch die humanistische Jurisprudenz Erreichten und sorgte damit für jene Modemisierung des römischen Rechts, die für sein Überleben (in Deutschland) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend war. Ich möchte wenigstens überblicksweise versuchen, die für diesen Modernisierungsprozeß und damit für die Jurisprudenz jener Zeit in meinen Augen charakteristischen Faktoren zusarnmenzufassen200• 2. Das römisch-holländische Recht als jurisprudentia forensis
Der erste und vielleicht wichtigste Gesichtspunkt war der schon in ihrer Biographie zum Ausdruck kommende Praxisbezug vieler der für die Blüte der Rechtswissenschaft maßgeblichen niederländischen Juristen des 17. und 18. Jahrhunderts. Das römisch-holländische Recht war damit eben nicht abstraktes Professorenrecht, sondern jedenfalls weithin eine jurisprudentia forensis, geprägt durch und gerichtet auf eine "communis opinio totius orbis, secundum quem usum semper interpretatio fieri debet"201 • Protagonisten dieses "law in action" waren praktisch nicht nur interessierte, sondern vielfach auch tätige, Universitätsprofessoren und wissenschaftlich ausgebildete 199 Zur consuetudo als Rechtsquelle vgl. etwa Coing, op. cit., Fn. 12, S. 108 ff.; H. Krause, Gewolmheitsrecht, in: Handbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I, 1971, Sp. 1675 ff.; Wolfgang Wiegand, Die privatrechtliehen Rechtsquellen des Usus modemus, in: Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages Frankfurt am Main, 1987, S. '237 ff.; sowie die Beiträge in: Recueils de la Societe Jean Bodin pour l'histoire comparative des institutions, Band Lll, 1990 (unter dem Titel: La coutume).
Vgl. bereits 1990 Juristenzeitung 825 ff., 834 ff. Vgl. Gino Gorla, La "communis opinio totius orbis" et Ia reception jurisprudentielle du droit au cours des XVI", XVllc et XVIIIc siecles dans le "civil law" et le "common law", in: Mauro Cappelletti, New Perspectives for a Common Law of Europe, 1978, S. 54. Allgemein zum ius commune in diesem Sinne vgl. etwa Gino Gorla, op. cit., Fn. 12, S. 469 ff.; Gino Gorla/Luigi Moccia, A "Revisiting" of the Comparison between "Continental Law" and "English Law" (16th - 19th Century), (1981) 2 Journal of Legal History 143 ff.; Peter Stein, Civil Law Reports and the Case of San Marino, in: Römisches Recht in der europäischen Tradition, Symposion Franz Wieacker, 1985, S. 323 ff. (auch in: The Character and Influence of the Roman Civil Law, 1988, S. 115 ff.); J.H. Baker, in Helmut Coing/Knut Wolfgang Nörr, Englische und kontinentale Rechtsgeschichte: ein Forschungsprojekt, 1985, S. 49 ff.; J.H. Baker, Preface, in: idem, Judicial Records, Law Reports, and the Growth of Case Law, 1989, S. 5 ff. sowie die in diesem Band versammelten Beiträge. 200
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Richter, Advokaten und Syndici. Grotius, Groenewegen und Van Leeuwen, Van de Sande, Van Bynkershoek, Willern Pauw und Willern Schorer bekleideten nie einen Lehrstuhl, und Männer wie Comelius Neostadius, Ulrich Huber und sein Sohn Zacharias waren im Laufe ihrer Karriere sowohl Hochschullehrer als auch Richter. Bemardus Schotanus202 war Advokat, bevor er nacheinander Lehrstühle in Franeker, Utrecht und Leiden übernahm, Lambertus Goris war Professor in Harderwijk und wurde dann Syndikus von Nimwegen. Pieter Comelis van Brederode (Autor des Thesaurus sententiarum, regularum et dictionum juris civilis ex universo juris corpore)203 wurde im Laufe seiner Karriere ein einflußreicher Diplomat und war damit in einem Beruf tätig, den ja auch Hugo Grotius lange Jahre ausübte. Selbst ein Gelehrter mit ausgeprägten antiquarischen Interessen wie Noodt hatte jedenfalls eine Zeitlang als Advokat praktiziert, bevor er die akademische Laufbahn einschlug. Eine reine Gelehrtenkarriere wie die des Vinnius war jedenfalls eher die Ausnahme. Selbst Vinnius kam jedoch durch die Gutachtertätigkeit mit der Praxis in Berührung, die alle Leidener Professoren ausübten204. Damit waren die für die Entfaltung des römisch-holländischen Rechts maßgeblichen Männer mit der zeitgenössischen Rechtsprechung in der Regel gut vertraut, zum Teil prägten sie diese sogar. 3. Die französische "elegante.. Tradition
Hinzu kam, und dies ist der zweite wichtige Faktor, eine durch den französischen Humanismus, insbesondere durch Cujaz inspirierte Gelehrsamkeit auf höchstem Niveau205 . Man spricht aus diesem Grunde in der Regel von der "eleganten"206 niederländischen Schule und meint damit, die Holländer
202 Zu ihm vgl. etwa Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 26; V an Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 379; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 137. 203 Vgl. im einzelnen Robert Feenstra, Pieter Comelisz van Brederode (1558 (?)1637) als rechtsgeleerd schrijver. Een bio-bibliografische bijdrage, (1959) 27 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 412 ff. (vgl. auch die französische Zusammenfassung Notice sur Pierre Comeille de Brederode (1558 (?)-1637), in: Bruno Schrnidlin/ Alfred Dufour (Hg.), Jacques Godefroy (1587 -1652) et l'Hurnanisme juridique a Geneve, Actes du colloque Jacques Godefroy, 1991, S. 245 ff.); Van Zyl, op. cit., Fn. 6, s. 375. 204 Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 32; H.F.W.D. Fischer, De advizen van de Leidse professoren, in het bijzonder tydens het professoraal van Everardus Bronchorst (1587 - 1627), (1961) 29 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 463 ff. 205 Vgl. etwa Van Warmelo, 1961 Acta Juridica 43 ff. 206 Zum Begriff der Eleganz in diesem Zusammenhang vgl. etwa H.F. Jolowicz, Utility and Elegance in Civil Law Studies, (1949) 65 LQR 322 ff.
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hätten das humanistische Erbe der Franzosen angetreten. Dies ist in gewisser Hinsicht sicherlich zutreffend, wie auch hier wiederum nicht zuletzt an biographischen Details deutlich wird. Paul Merula war ein Student des Cujaz, Viglius van Aytta207 hatte die Ehre, den großen Alciat auf dessen Lehrstuhl in Bourges zu vertreten, eine Reihe anderer niederländischer Juristen (nicht zuletzt Grotius) studierten in Orleans, und mit der herausragenden Gestalt des Donellus208 begann überhaupt erst ein wissenschaftlicher Rechtsunterricht in den nördlichen Niederlanden. Freilich waren die niederländischen Juristen als Humanisten wohl weithin Epigonen der Franzosen. Im 18. Jahrhundert übernahmen sie deren große Untersuchungsprogramme (Textkritik, Palingenesie, Interpolationenforschung etc.) und erzielten manche neuen Einzelerkenntnisse. Wesentliche neue Forschungsperspektiven eröffneten sie jedoch nichf09 • Wäre sie lediglich antiquarisch gewesen, so käme der niederländischen Rechtswissenschaft eine herausgehobene Bedeutung im Rahmen der europäischen Rechtsgeschichte wohl kaum zu. Wichtig war der hohe Standard in der Pflege des römischen Rechts, waren humanistisch-antiquarische und philologische Gelehrsamkeit vor allem im Hinblick darauf, daß sie allen Zeitgenossen deutlich vor Augen führten, in welchen Punkten und wie weit die mores hodiemi sich vom römischen Recht entfernt hatten. Erst damit wurde nämlich die rationale Diskussion dieser mores hodiemi ermöglicht, die nun nicht mehr entweder als römisches Recht verbrämt oder aus dem Bereich wissenschaftlicher Erörterungen einfach ausgeschlossen werden mußten; erst damit wurde es möglich, die mores hodiemi in das Gefüge des ja sonst weithin noch geltenden römischen Rechts harmonisch einzufügen;
w1 Zu ihm vgl. T.J. Veen, Viglius (Zuichemus) ab Aytta, in: Zestig Juristen. S. 104 ff.; B.H.D. Hermesdorf, Wigle van Aytta van Zwichem. Hoogleraar en rechtsgeleerd schrijver, 1949; Folkert Postma, Viglius van Aytta als humanistendiplomaal (15071549), Dissertation Groningen, 1983 (dazu Robert Feenstra, 10 (1987) rechtsgeleerd magazijn Themis 502 ff.); Van Zyl, op. cit., Fn. 6, S. 156, 342; De Wet, op. cit., Fn. 6, S. 116 f.; Dekkers, Het humanisme, op. cit., Fn. 51, S. 37 ff. 208 ,,Es gibt in der juristischen Gelehrtengeschichte wenig Persönlichkeiten, bei deren Betrachtung man mit gleicher Verehrung verweilt wie bei der des Donellus": Stintzing, op. cit., Fn. 74, S. 377. 209 Die ,,humanistische Seite" der niederländischen Jurisprudenz ist gerade in jüngster Zeit Gegenstand tiefdringender Studien vor allem G.C.J.J. van den Berghs und seines Schülers Stolte geworden; vgl. insbesondere die Studien zu Leben und Werk des Gerard Noodt von Van den Bergh (op. cit., Fn. 59), des Henrik Brenkman (Henrik Brenkman (1681-1736) jurist and classicist: A chapter from the history of Roman law as part of the classical tradition, 1981) von Bernhard H. Stolte (vgl. weiterhin Van den Bergh/Stolte, The unfinished Digest edition of Henrik Brenkman, (16811736): A pilot-survey and edition of Digest 9, 2 ad Iegern Aquiliam, (1977) 45 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 227 ff.) und des Comelis van Eck (Comelis van Eck, 1662-1732: Een dichter-jurist, in: Rechtsgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 37 ff.) von Van den Bergh.
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erst dadurch konnte das römische Recht seine zeitlose Vorbildfunktion als "Schatzhaus"210 rationaler Lösungsmöglichkeiten von Rechtskonflikten erfüllen; und erst dadurch ließ sich das römische Recht nunmehr auch umgekehrt dort kritisieren, wo es von zeitbedingten Besonderheiten geprägt war. 4. Kontinuität gegenüber dem südniederländischen Recht
Ein dritter für den Erfolg des römisch-holländischen Rechts maßgeblicher Faktor lag in der trotz der kriegerischen Konflikte ungebrochenen Kontinuität gegenüber dem südniederländischen Recht des 16. Jahrhunderts211 • Hier hatten insbesondere die Spruchtätigkeit des Großen Rats von Mecheln212 und die Universität Löwen zu einer Blüte der Rechtswissenschaft geführt, an die man nunmehr im Norden anknüpfen konnte. Die Hinweise auf die bei Christinaeus gesammelten Entscheidungen, aber auch auf andere südniederländische Rechtsquellen etwa bei Groenewegen sind Legion, und ein Buch wie Gudelinus' Commentarii de jure novissimo kann durchaus als Vorläufer der berühmten Inleidinge des Grotius angesehen werden. Im übrigen ergibt sich - jedenfalls teilweise über die Schule von Löwen vermittelt - auch eine in vieler Hinsicht bedeutsame Verbindung zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen spanischen Jurisprudenz213 und damit insbesondere zu Autoren wie dem "spanischen Bartolus" Didacus Covarruvias a Leyva und Antonius Gomezius; Antonius Perezius, Professor in Löwen, war selbst Spanier von Geburt und Henricus Zoesius hatte offenbar einige Zeit in Salamanca verbracht, bevor er in Löwen zu unterrichten begann. Auch die Träger der südniederländischen Rechtswissenschaft verkörperten übrigens bereits jene typische Mischung aus Theorie und Praxis, die wir später im Norden finden: Christinaeus war zunächst Advokat, dann Ratspensionär von Mecheln, Everardus und Peck erst Professoren in Löwen, dann Richter in Mecheln und Gudelinus war Advokat, bevor er in Löwen zu unterrichten begann.
H.U. Kantorowicz, Bractonian Problems, 1941, S. 126. Dies betont auch Van Oven, op. eil., Fn. 15, S. 37 ff. 212 Zu deren Dokumentation vgl. neuerdings Wijffels, op. cit., Fn. 49, S. 181 ff. 213 Vgl. etwa Antonius Truyol Serra, Grotius dans ses rapports avec !es classiques espagnols du droit des gens, (1983) 4 Collected Courses of the Hague Academy of International Law 431 ff.; vgl. auch Visser, (1983) 46 Tydsk:rif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 136 ff. sowie nunmehr eingehend Gordley, op. cit., Fn. 90, passim, etwa S. 121 ff. (vgl. auch bereits dens., Natural Law Origins of the Common Law of Contract, in: John Barton (Hg.), Towards a General Law of Contract, 1990, S. 367 ff). Zu zwei Einzelpunkten, in denen diese Verbindung wirksam geworden ist, vgl. die Nachweise in 1990 Juristenzeitung 832, Fn. 116, 117 und S. 834, Fn. 164. 210 211
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S. Der europäische Geist des römisch-bolländischen Rechts
Zum vierten ist auch in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Urbanität und geistige Liberalität der in den nördlichen Niederlanden zusammengeschlossenen Provinzen zurückzukommen. Da war zunächst die für jene Zeit typische peregrinatio academica, von der viele holländische Juristen bleibende Eindrücke von ausländischen Bildungszentren zurückbrachten. Paul Merula etwa studierte in Leiden, Paris, Orle~ms, Bourges, Genf und Padua, bevor er im Jahre 1587 nach Holland zurückkehrte. Everard Bronchorst, der seit 1587 für 35 Jahre die juristische Fakultät in Leiden dominierte, bietet ein anderes frühes Beispiel: er studierte in Köln, Marburg, Erfurt, Wittenberg und Basel. Auch noch ein seiner Heimat so verbundener Mann wie Ulrich Huber studierte nicht nur an seiner Landesuniversität Franeker, sondern auch in Utrecht, Marburg, Heidelberg und Straßburg. Wichtiger noch war die Berufungspolitik der für die Besetzung der Lehrstühle an den niederländischen Universitäten zuständigen Gremien. Obwohl die sieben in der Union zusammengeschlossenen Provinzen weithin eigenständige Staaten waren und ihre Rechtsordnungen sich in manchen Einzelheiten voneinander unterschieden, war es gang und gäbe, Professoren aus benachbarten Provinzen zu ernennen, und zwar auch, als das ius hodiernum sich einen eigenständigen Platz im akademischen Unterricht erobert hatte. Eine Berufung von Franeker nach Utrecht oder von Utrecht nach Leiden war, wie wir bereits gesehen haben, keine Seltenheit. Aber man ging auch über die Grenzen der Niederlande hinaus. Insbesondere in den Anfangsjahren der Universität Leiden bemühte man sich sehr darum, bedeutende ausländische Gelehrte zu gewinnen214; dazu gehörte insbesondere der französische Humanist Donellus, der nach Leiden berufen wurde, als sein ebenfalls französischer Kollege Hotomannus den Lehrstuhl ausgeschlagen hatte. Während des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden an allen niederländischen Fakultäten deutsche Gelehrte ernannt. Antonius Matthaeus I kam aus Marburg nach Groningen, sein Sohn Antonius Matthaeus II wurde nach einem in Marburg und Groningen absolvierten Studium Professor in Harderwijk und Utrecht. In Leiden unterrichtete seit 1670 elf Jahre lang der in Steinfurt geborene Johann Friedrich Böckelmann, der zuvor einen Lehrstuhl in Heidelberg innegehabt hatte. Die Fakultät in Franeker wurde seit 1640 25 Jahre lang maßgeblich von dem in Dillenburg gebürtigen Johannes Jacobus Wissenbach geprägt, bei dem unter anderen Ulrich Huber studierte. Johann Ortwin Westenberg war nacheinander Professor in Steinfurt, Harderwijk, Franeker und Leiden; und der berühmte Johann Gottlieb Heineccius aus Thüringen kam im Jahre 1723 für vier Jahre von Halle aus nach Franeker. Auch eine Reihe deutscher
214
Vgl. etwa Ahsmann, Collegia, op. cit., Fn. 7, S. 9 ff. und passim.
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Staatsrechtier unterrichteten an niederländischen Universitäten, so etwa der Pfälzer Phitipp Reinhard Vitriarius215 , der nach einem in Straßburg absolvierten Studium zunächst Professor in Genf, von 1682 bis 1719 dann in Leiden wurde. Insgesamt waren etwa an der Universität Utrecht in dem Zeitraum von 1636 bis 1815 fast dreißig Prozent der Juraprofessoren Deutsche216. Damit hing ein weiterer, auch für die Wirkung der holländischen Jurisprudenz besonders wichtiger Punkt zusammen: es kamen nämlich nicht nur Professoren aus dem Ausland, sondern vor allem, und in noch größerer Zahl, Studenten. Leiden war hier natürlich der Hauptanziehungspunkt. Nicht weniger als 15.000 von den insgesamt 35.000 dort im Laufe des 17. Jahrhunderts immatrikulierten Studenten stammten von außerhalb der Vereinigten Niederlande, davon mehr als 50% aus Deutschland217• Besonders während der Wirren des 30jährigen Krieges kamen viele Deutsche zum Studium in die Niederlande; in dem Zeitraum von 1626 bis 1650 stellten sie 2.966 von insgesamt 5.718 ausländischen Studenten. Die Anzahl der Juristen unter ihnen war beträchtlich218 . Eine zweite besonders wichtige Gruppe unter den ausländischen Studenten waren interessanterweise die Schotten219 ; aus den Matrikellisten der Universität Leiden ergibt sich für die fünfzig Jahre von 1676 bis 1725 eine Zahl von 422 Jurastudenten unter 825 schottischen Studenten an der Universität Leiden insgesamt. Einer von ihnen, Alexander Cunningham220 , ist sogar an einer Stelle in Voets Pandektenkommentar er215 Zu ihm vgl. Stintzing/Landsberg, op. cit., Fn. 73, Band JII, 1, S. 42 und Band III, 2, S. 24; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 43; Stolleis, op. cit., Fn. 138, S. 250 f.; vgl. auch Heinz Schneppen, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jahrhundert, 1960, S. 101 f. (insbesondere auch zur Berufung seines Sohnes Johann Jakob Vitriarius zu seinem Nachfolger). Bibliographie bei Ahsmann/Feenstra, op. cit., Fn. 52, S. 320 ff. 216 Vgl. Welten, (1987) 55 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 75; Van den Bergh, in: Rechtsgeleerd Utrecht, op. cit., Fn. 58, S. 11. 217 Vgl. die Angaben bei Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 82. 218 Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 82. Ausführlich zur Anzahl, geographischer Herkunft und bervorzugten Studienfachern der deutschen Studenten an den niederländischen Universitäten Schneppen, op. cit., Fn. 24, S. 9 ff.; speziell zur juristischen Fakultät vgl. auch S. 98 ff. 219 Hierzu Robert Feenstra, Scottish-Dutch Legal Relations in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: T.C. Smout (ed.), Scotland and Europe, 1986, S. 128 ff. (neuerdings auch, in leicht überarbe~teter Fassung, in: H. de Ridder-Symoens, J.M. Fleteher (Hg.), Academic Relations Between the Low Countries and the British Isles 1450-1700, (1989) 273 Studia Historica Gandensia 25 ff.); vgl. auch bereits Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 83 ff. 220 Zu ihm vgl. T.B. Smith, Scots Law and Roman-Dutch Law, 1959 Acta Juridica 40; Feenstra/Waal, op. cit., Fn. 62, S. 86 ff.
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wähnt und als "auditor olim inter primos charus" verewigt221 • Umgekehrt hat eine Analyse der Biographie der 663 in der Zeit von 1661 bis 1750 an der Faculty of Advocats in Edinburgh zugelassenen Anwälte ergeben, daß nicht weniger als 275 von ihnen in den Niederlanden studiert hatten222• Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein gehörten die niederländischen Universitäten zu den Hauptattraktionen der traditionellen peregrinatio academica, oder Grand Tow-223 ; sie galten weithin "fast als ein compendium orbis"224• Angesichts einer derart kosmopolitischen Atmosphäre war es selbstverständlich, daß sich die niederländischen Juristen bei der Verfertigung ihrer großen Werke nicht lediglich auf die juristische Literatur ihres eigenen Heimatlandes stützten, sondern in außerordentlich weitreichendem Umfang auf die Schriften von Autoren anderer Unionsprovinzen, von Deutschen, Franzosen, Spaniern und Italienern zurückgriffen und aus ihnen Anregungen empfingen. 6. Das beginnende Naturrecht
Im Holland des 17. Jahrhunderts bündelten sich mithin die verschiedenen, im Laufe der Jahrhunderte für das europäische ius commune maßgeblich gewordenen Entwicklungsstränge. Einer dieser Stränge war - und dies ist der fünfte in diesem Zusammenhang bedeutsame Punkt - insbesondere auch das soeben auf eine ganz neue Basis gestellte und von dort aus einen ungeheueren Aufschwung nehmende Naturrecht. Der Mann, der hier die Initialzündung gab, war Hugo Grotius, der "Vater" des römisch-holländischen Rechts. Es wäre erstaunlich, wenn nicht auch seine Inleidinge Einflüsse der neuen, naturrechtlichen Denkweise aufwiese, und in der Tat stehen Inleidinge und De jure belli ac pacis denn auch keineswegs vollkommen isoliert nebeneinanderl25. Wir haben gesehen, daß Grotius bisweilen auch in der Inleidinge durchaus auf das Naturrecht rekurriert, auch wenn dies mitunter lediglich geschieht, um den Rechtszustand "nae 't burger-recht" davon abzugrenzen. Aber die Betrachtung des Bereicherungsrechts hat uns gezeigt, daß naturrechtliche Denkweisen durchaus auch auf das ius positivum durchschlagen konnten. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. So findet sich die etwa für die Dogmatik des Unmöglichkeitsrechts folgenreiche Einsicht, daß
221 222
Lib. XLVIII, Tit. XIX, 2 in fine. Feenstra, in Smout, op. cit., Fn. 219, S. 133.
223 Schneppen, op. cit., Fn. 24, S. 64 ff. Vgl. allgemein auch A. Frank van Westrienen, Oe Groote Tour, Diss. Leiden, 1983.
Vgl. das Zitat bei Schneppen, op. cit., Fn. 24, S. 65. Vgl. schon Wellschmied, op. cit., Fn. 94, S. 57 ff.; Visser, (1983) 46 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 136 ff. 224 225
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Obligationen auf einer freien Willensbetätigung beruhen, schon in der Inleidinge ("... de verbintenisse is een gebruick van eens mensche vrije macht"i26, ebenso die uns heute noch geläufige Systematisierung der Unwirksamkeitsgründe in Unmöglichkeit, Gesetzesverstoß und Sittenverstoß227. Auch die anderen maßgeblichen Autoren des römisch-holländischen Rechts, insbesondere Vinnius und Voet, verschlossen sich dem Naturrecht gegenüber nicht und beriefen sich in ihren Werken bisweilen ausdrücklich auf die aequitas naturalis oder auch auf Grotius' De jure belli ac pacis228. Die Konfrontation zwischen römisch-holländischem Recht und Naturrecht in Literatur und akademischem Rechtsunterricht begann sich in den Niederlanden erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts abzuzeichnen229. Alles in allem läßt sich damit wohl sagen, daß das römisch-holländische Recht nicht nur eine bedeutsame Epoche in der Geschichte des ius commune darstellt, sondern auch, im kleinen, ein getreues Paradigma der charakteristischen Eigenschaften dieses ius commune abgibt. Es war im wesentlichen jurisprudentia forensis, nicht abstraktes Professorenrecht, bezog aber gleichwohl seine Kraft aus einer jahrhundertelangen Tradition der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den römischen Rechtsquellen; es war gleichzeitig flexibel genug, sich den Bedürfnissen veränderter Zeitumstände anzupassen und neue Strömungen in sich aufzunehmen; und schließlich und insbesondere: es hatte nichts von der provinziellen Enge einer Landesjurisprudenz an sich, sondern atmete europäischen Geist230. In diesem europäischen Geist bewahrten und modernisierten die Juristen der Niederlande das Privatrecht der Römer.
226 UI, I, 19. Vgl. hierzu Christian Wollschläger, Die willenstheoretische Unmöglichkeitslehre im aristotelisch-thomistischen Naturrecht, in: Sympotica Pranz Wieacker, 1970, S. 154 ff.; Zimmermann, op. cit., Fn. 198, S. 692 f. 227 lll, I, 19. Insbesondere zur Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften vgl. in diesem Zusammenhang Helmut Schmidt, Die Lehre von der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht, 1973, S. 65 ff.; Zimmermann, op. cit. Fn. 198, S. 713. 228 Allgemein zur Frage des Einflusses des Naturrechts auf das positive Privatrecht (allerdings im 18. Jahrhundert) vgl. Klaus Luig, (1979) 96 ZSS (GA) 38 ff. ; speziell für das römisch-holländische Recht vgl. etwa Van Oven, op. cit., Fn. 15, S. 34 ff. 229 Hierzu neuerdings C.J.H. Jansen, Natuurrecht of Romeins recht. Een studie over leven en werk van F.A. van der Marck (1719-1800) in het licht van de opvattingen van zijn tijd, 1987; dazu Felix Wubbe, (1989) 16 Ius Commune 511 ff.
230
So insbesondere auch V an Oven, op. cit., Fn. 15, S. 32 ff.
Das Zivilprozeßrecht Von Gero R. Dolezalek
Vorbemerkung Das Gerichtswesen in den Niederlanden insgesamt Holländische Gesetzgebung zum Prozeßrecht Organisation und Zuständigkeit der unteren Gerichte in Holland Die beiden Obergerichte für Holland und Seeland 1. Zuständigkeit für Rechtsmittel 2. Zuständigkeit des Hof van Holland in erster Instanz, ratione personae 3. Zuständigkeit des Hof van Holland in erster Instanz, ratione causae VI. Gerichtspersonal vn. Aktenführung Vill. Allgemeine Bemerkungen zum normalen Prozeßgang 1. Ladung 2. Mündliches Verfahren bei Prozessen mit geringem Streitwert 3. Klageerhebung im normalen Verfahren 4. Weiterer Prozeßgang 5. Beweisaufnahme 6. Schlußplädoyers 7. Urteil 8. Berufung (,,Appellatie"; .,Provocatie") 9. Das besondere Rechtsmittel ,,Reformatie" 10. Verfolgung eines Rechtsmittels 11. Revision 12. Gerichtsgebühren IX. Zwangsvollstreckung 1. Zwangsvollstreckung bei Verurteilung zu einer Zahlung 2. Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen 3. Zwangsvollstreckung zur Erzwingung von Handlungen 4 . .,Verjährtes Urteil" (Verjaard Vonnis) X. Besondere Verfahrensarten 1. Urkunden- und Wechselprozeß (.,Provisie van Namptissement") 2. Mandatsprozeß 3. Säumnisverfahren XI. Gesamtwürdigung
I. ll. ill. IV. V.
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Gero R. Dolezalek
I. Vorbemerkung
Der nachfolgende Beitrag gibt eine kurze Übersicht über die Grundzüge des Prozeßrechts in der Provinz Holland im 18. Jahrhundert und erklärt zugleich die zugehörigen rechtstechnischen Fachworte. Es gab im 18. Jahrhundert noch keine feste Orthographie für die holländische Sprache. Der Beitrag hält sich deshalb an die Schreibweise der wichtigsten Darstellung des Prozeßrechts, nämlich Merulas "Manier van procederen"1. Bei den unteren Gerichten in Holland prozessierte man normalerweise in einem vereinfachten, schnellen, rein mündlichen Verfahren - so jedenfalls bei Angelegenheiten geringen Streitwertes. In diesem Verfahren lebten viele altüberlieferte Regeln aus der Zeit vor der Rezeption des ius commune weiter. Bei wichtigeren Angelegenheiten jedoch wurde bei allen Gerichten das Prozeßrecht des ius commune angewendet, mit gewissen Abwandlungen, die meist aus der Praxis der französischen Obergerichte übernommen waren. Die Abwandlungen dienten vor allem der Beschleunigung und Straffung des Verfahrens. Die Prozesse wurden weitgehend schriftlich geführt. Zwar wurde mündlich verhandelt, aber die Parteien beschränkten sich in den Verhandlungen meist darauf, auf ihre schriftlich eingereichten Ausführungen zu verweisen. Das gelehrte Prozeßrecht des ius commune war in den Niederlanden bereits seit dem 12. Jahrhundert angewandt worden, jedoch anfangs nur in den kirchlichen Gerichten. Erst sehr viel später verbreitete es sich auch in weltlichen Gerichten, nämlich ab 1350 in Flandern, wo man dem Vorbild der Obergerichte in Frankreich folgte, die inzwischen ihr Prozeßrecht gemäß kirchlichem Vorbild reformiert hatten2• Von Flandem aus verbreitete sich das gelehrte Prozeßrecht weiter. Noch vor der Mitte des 16. Jahrhunderts
1 Erschienen Aemsteldam, 1592, sehr oft nachgedruckt mit Zusätzen. Benutzte Ausgabe: Paulus Merula, Manier van Procederen in de Provintien van Holland, Zeeland ende West-Vriesland, belangende Civile Zaaken, ... alles met Civile en Canonijke Rechten, Delft, 1705. 2 Eg. I. Strubbe, De receptie in de Vlaamse rechtbanken van midden veertiende tot einde vijftiende eeuw, (1961) 29 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 445, nochmals gedruckt in Eg.l. Strubbe, De luister van ons oude recht. Verzarneide rechtshistorische studies, 1973, S. 601 ff. Einen guten Gesamtüberblick über die Verbreitung des gelehrten Prozeßrechts in Europa gibt Raoul C. van Caenegem, History of European Civil Procedure, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Band XVI, Kap. 2, 1971.
Zivilprozeßrecht
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hatte es sich in den gesamten Niederlanden durchgesetzt, und die zugehörigen französischen Fachworte waren als Fremdworte in die niederländische Sprache übernommen worden 3. Daneben benutzte man jedoch auch die lateinischen Formen der Fachworte. Die Tatsache, daß die Obergerichte ius commune anwandten, trug erheblich zu dessen Einbürgerung auch bei den unteren Gerichten bei. In einigen unteren Gerichten amtierten ausschließlich Personen, die nicht das ius commune studiert hatten, so vor allem in Gerichten auf dem Lande und in kleinen Städten. Sie ließen sich erforderlichenfalls juristisch beraten durch den Rechtsrat ("Pensionaris") ihrer Stadt oder einen anderen studierten Juristen4 . Viele Dorfrichter, Schultheißen, Bürgermeister, Schöffen hatten aber zumindest Grundkenntnisse im ius commune und im besonderen Recht ihres Gebietes. Zahlreiche Schöffen, vor allem in den großen Städten, waren voll ausgebildete J uristen5. Auch im Bereich des Prozeßrechts gilt, was über das sogenannte "römisch-holländische Recht" ganz allgemein gesagt werden kann: Weder kam es in dieser Form von den antiken Römern, noch war es in irgendeiner Hinsicht eine holländische Besonderheit. Die holländischen Juristen des 15.18. Jahrhunderts haben sich stets stolz als Bürger der internationalen Juristenrepublik des europäischen ius commune gefühlt. Sie empfanden das Recht Hollands nicht als etwas Abgegrenztes, Selbständiges, das mit dem Recht der anderen Regionen Europas nichts zu tun gehabt hätte.
3 Sprachprägend war Wielants ,,Practijke Civile", entstanden um 1519 -vor allem in Form der holländischen Rückübersetzung der "Praxis rerum civilium" von Joost van Darnhouder (1567), die lediglich eine Bearbeitung und Übersetzung des Werkes Wielants war. Das Fachvokabular wird sehr hilfreich erläutert beiM. van Hattum/H. Rooseboom, Glossarium van oude Nederlandse rechtstermen, 1977 [Verzamelen en bewerken van de jurisprudentie van de Groote Raad, Nieuwe Reeks, Nr. 2]. Ältere, weniger umfangreiche Auflagen dieses Werkes waren ab 1969 herausgegeben durch R. Reinsma und R.H. de Smidt [ibidem, Oude Reeks]. 4 Sirnon van Leeuwen, Het Roomsch-Hollandsch Recht, Boek V, Deel V, Nr. 1; Boek V, Deel XXIV, Nr. 10, § 4. Benutzte Ausgabe: te Amsteldam, 1783; viele für Gerichte erstattete Gutachten wurden gedruckt veröffentlicht, vor allem in der umfangreichen Reihe "Hollandsche Consultatien": H.F.W.D. Fischer, De adviezen van de Leidse professoren, in het bijzonder tijdens het professoraal van Everardus Bronchorst (1587 -1627), (1961) 29 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 463-483 (464); Listen von Sammlungen von Gutachten gibt Udo Wagner, Rechtsprechungs- und Konsiliensarnmlungen, Niederlande, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band II, 2, 1976, S. 1399-1430 (auf S. 1428-1430) sowie Alfred A. Roberts, A South African Legal Bibliography, 1942, S. 84-88. 5 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel V, Nr. 1.
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Denjenigen Lesern, die sich zwar ausführlicher informieren möchten, sich aber nicht mit zu vielen Einzelheiten belasten wollen, sei das schon erwähnte Buch von Paul Merula empfohlen6• Auch das Formularbuch von Willern van Alphen7 und die kurzgefaßten Darstellungen bei Gerard van Wassenaar8, Sirnon van Leeuwen9 und bei Johannes van der Linden 10 sind in dieser Hinsicht hilfreich. Anschauungsmaterial aus der Praxis bieten Van Bynkershoeks Observationes tumultuariae11 • Wer jedoch genaue Auskunft über prozeßrechtliche Fragen sucht, muß die diesbezüglichen Texte des Corpus Juris Canonici und Corpus Juris Civilis12 sowie die dazugehörigen Kommentare, Repetitiones und Traktate studieren. Einschlägige Fundstellen werden in den soeben genannten Werken angegeben. Weitere Fundstellen können bequem mit Hilfe der juristischen Bibliographien, Rechtslexika und Traktate des 16.18. Jahrhunderts ermittelt werden 13•
Merula, op. cit., Fn. 1. Willern van Alphen, Papegaay ofte formulierboek van alderhande requesten, mandamenten ...,oft gedruckt, zum Beispiel 1712. 8 Gerard van Wassenaar, Practycq judicieel, ofte instructie, so op de forme van procederen voor hoven en recht-banken als op het instellen van alderhande instrumenten, contracten, etc., 1660, mehrfach nachgedruckt mit geringfügig verschiedenem Titel. 9 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4. 10 Johannes van der Linden, Verhandeling over de judicieele Practijcq, of Form van Procederen voor den Hoven van Justitie in Holland gebruikelijk, voor eenige Jaaren door een voomaam en kundig Practicijn bij wegen van een korte Schets zaamgesteld, vervolgens in den Jaare 1781 in't Licht gegeeven, en nu geheel overzien, verbeterden uitgebreid, deel 1-2, te Leiden, 1794-1798; dazu Ben Beinart, The source of van der Linden' s books on procedure, (1959) 22 Tydskrif vir Hedendaagse Romeins-Hollandse Reg 231-252. 11 Nachweise zum Zivilprozeßrecht gibt M.S. van Oosten, Systematisch compendium der Observationes tumultuariae van Comelis van Bijnkershoek, 1962, S. 253-269. 12 Die justinianischen Grundlagen des gemeinen Prozeßrechts beschreibt übersichtlich Dieter Simon, Untersuchungen zum justinianischen Zivilprozeß, München, 1969. 13 Vor allem bei Martinus Lipenius, Bibliotheca realis iuridica, 1679, mit Nachträgen bis 1823; Iohannes Bertacchinus, Repertorium iuris, 1496, oft nachgedruckt, mit vielen Ergänzungen, zum Beispiel fünfbändig Venetiis, 1570; Dominicus cardinalis Tuscus, Practicae conclusiones iuris, Band 1 - 9, Lugduni, 1661; einen Überblick über die wichtigsten in den Niederlanden verfaßten prozeßrechtlichen Werke geben Alfred Söllner, Die Literatur zum gemeinen und partikularen Recht in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz, in: Coing (Hg.), Handbuch ... (Fn. 4), Band II, 1, 1977, S. 501-614 (aufS. 607-610), und Jb. Zeylemaker, Geschiedenis van de wetenschap van het burgerlijk procesrecht (praktijkrecht) in Nederland van de aanvang tot 1813, 1952 [Geschiedenis der Nederlandsche rechtswetenschap, deel IV, aflevering 1]. 6
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Der Beitrag beschreibt das in der Provinz Holland übliche Zivilprozeßrecht. Es entsprach in den Grundzügen demjenigen der übrigen niederländischen Provinzen und der sie umgebenden Regionen Nordfrankreichs und Deutschlands, wenn auch große regionale und lokale Vielfalt hinsichtlich Einzelheiten herrschte.
II. Das Gerichtswesen in den Niederlanden insgesamt14 Die sieben vereinigten nördlichen Provinzen der Niederlande hatten keine einheitliche Gerichtsverfassung, kein gleichförmiges Verfahrensrecht, und es fehlte sogar ein über dem gesamten Territorium stehendes Obergericht. Zwar hatten die Provinzen gewisse gemeinsame Interessen. Sie unterhielten zum Beispiel gemeinschaftlich Land- und Seestreitkräfte, hatten Münz- und Postgemeinschaft und betrieben gemeinsam Außenpolitik. Im wesentlichen aber war jede der sieben Provinzen ein selbständiger Staat, der seine Angelegenheiten nach eigenem Gutdünken verwaltete und organisierte: so auch die Gerichtsbarkeit. Die Provinz Seeland und die Provinz Holland und Westfriesland arbeiteten eng zusammen: Sie unterhielten gemeinsame Behörden. Die Provinzen in sich waren ebenfalls nicht einheitlich strukturiert, sondern können beschrieben werden als ein loser Bund von verschieden organisierten, weitgehend selbständigen Gemeinwesen, nämlich Städten, Dörfern, Poldern, Herrschaften und so fort. Auch die im Unabhängigkeitskrieg eroberten Gebiete und die darin gelegenen Städte, Dörfer, Herrschaften etc. verwalteten im wesentlichen ihre Angelegenheiten selbst: die nördlichen Teile der Provinzen Flandem ("Staats Vlaanderen") und Brabant ("Staats Braband"), die Stadt Maastricht und andere kleine Territorien. Sie unterschieden sich von den sieben Nordprovinzen hauptsächlich nur dadurch, daß sie kein Mitspracherecht in Bezug auf die Zentralregierung hatten und insofern also durch die nördlichen sieben Provinzen mitregiert wurden - weshalb man sie als "Generaliteits Landen" bezeichnete. Die Rechtseinheit in den Niederlanden wurde nicht nur durch die Autonomie der Provinzen und ihrer Teile gestört. Zusätzlich hatten viele Orte, bestimmte Einrichtungen, Stände, örtliche Berufsgruppen, Familien oder auch Einzelpersonen noch Sonderrechte aufgrund alter Privilegien. Darin wurden
14 Überblick bei Johan Philip de Monte ver Loren I Johannes E. Spruit, Hoofdlijnen uit de ontwikkeling der rechterlijke organisatie in de noordelijke Nederlanden tot de Bataafse omwenteling, 6. Aufl., 1982.
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besonders oft der Gerichtsstand und Einzelheiten in Bezug auf Ladung und Zwangsvollstreckung abweichend vom allgemeinen Recht geregelt. Darüberhinaus bestand zwischen einzelnen Rechtsträgem des öffentlichen Rechts ein Geflecht von Verträgen, die ebenfalls oft die Gerichtsbarkeit betrafen. Der uneinheitliche Rechtszustand dauerte bis 1795 und zum Teil darüber hinaus. Örtliche Vielfalt herrschte vor allem hinsichtlich der Fristen und Termine, des Kosten- und Gebührenwesens und der Streitwert-Grenzen, auf die einige der Rechtsregeln sich bezogen und hinsichtlich der Namen, der Zuständigkeit und Organisation der Gerichte. Es gab Schöffenbänke mit ungewöhnlichen Bezeichnungen wie zum Beispiel "Hohe Brücke", "Steinerner Mann", ,,Rote Pforte". Immerhin war im 15. und frühen 16. Jahrhundert für die meisten Provinzen ein Obergericht eingerichtet worden (Raad van Braband15 , Raad van Vlaanderen, Hof van Holland, Hof van Friesland, Hof van Utrecht, usw.). Zusätzlich war 1473 ein überprovinzielles Oberstes Gericht für die burgundischen Lande gegründet worden, aus dem bald darauf der "Groote Raad" mit festem Sitz in Mecheln hervorging 16• In den Niederlanden hatte er von Anfang an Jurisdiktion in Holland, Seeland, Flandem und Brabant, später auch in Friesland, Utrecht und Geldern, gegen erheblichen Widerstand. Brabant pochte aber auf seine alte gerichtliche Unabhängigkeit und setzte sie 1530 wieder durch. Infolge der Spaltung der Niederlande 1581 kam es zu einer Teilung von Raad van Braband, Raad van VIaanderen sowie Groote Raad. Hinfort gab es für die abgespaltenen Gebiete einen gesonderten Raad van Braband ende Landen van Overmaze mit Sitz in Den Haag17 sowie einen gesonderten Raad van VIaanderen mit Sitz in Middelburg.
15 Arthur Gaillard, Le Conseil de Brabant. Histoire, organisation, procedure, Band 1-3, Bruxelles 1898 -1902; J. N auwelaers, Histoire des avocats au Souverain Conseil de Brabant, Band 1-2, 1947. 16 Literatur ist nachgewiesen bei M.G.M. Snep, Bibliografie van de Groote Raad van de Nederlanden te Mechelen, in: Miscellanea forensia historica, ter gelegenheid van het afscheid van Prof. mr. J. Th. de Smidt, 1988 [Verzamelen en bewerken van de jurisprudentie van de Groote Raad, Nieuwe Reeks, No. 14], S. 389-398 sowie in Miscellanea Consilii Magni ter gelegenheid van twintig jaar Werkgroep Groote Raad van Mechelen, 1980 [ibidem, Nr. 4], wo sich auch mehrere Übersichtsartikel finden. 17 J.P.A. Coopmans/E.J.M.F.C. Broers, Het onderzoek naar de Staatse Raad van Brabant en Landen van Overmaze, in: Miscellanea forensia historica (Fn. 16), S. 4978; als Beispiel für die Verhältnisse bei den unteren Gerichten in den GeneraliteitsLanden: M.J.H.A. Lijten, Het burgerlijk proces in stad en meierij van 's-Hertogenbosch 1530-1811, Diss. jur. Tilburg, 1988; Beatrix C.M. Jacobs, Justitie en politie in 's-Hertogenbosch voor 1629. Oe bestuursorganisatie van een Brabantse stad, 1986.
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Als Teil-Ersatz für den Groote Raad wurde nun neu in Den Haag ein Hooge Raad eingerichtet18• Er hatte aber nur Holland und Seeland unter sich. Die Obergerichte der übrigen Provinzen lehnten es nämlich ab, sich dem neuen Zentralgericht unterzuordnen. Das galt auch für den neuen Raad van VIaanderen in Middelburg. Rechtsmittel gegen seine Urteile gingen direkt an die Zentralregierung ("Staten Generaal der Vereenigde Nederlanden"), die sie dann üblicherweise dem Hooge Raad zur Begutachtung überwies, selten dem Raad van Braband. In derselben Weise wurden Revisionsgesuche gegen Urteile aus den niederländischen Kolonien in Amerika behandelt. Sie wurden zwar formell an die Zentralregierung ("Staten Generaal") gerichtet, aber die Regierung überwies diese Gesuche üblicherweise an den Hooge Raad zur Begutachtung und entschied dann entsprechend19• Hingegen gelangten keine Prozesse aus Indonesien, Ceylon und Südafrika an den Hooge Raad: Für sie war Batavia die letzte Instanz20• Obwohl es bis 1795 kein für das gesamte Staatsgebiet zuständiges Obergericht gab, wirkten doch zwei Tatsachen stark rechtsvereinheitlichend. Erstens: Sowohl die Gerichtsordnung des Groote Raad und Hooge Raad wie auch die Gerichtsordnungen aller Provinz-Obergerichte folgten demselben Modell, nämlich der alten Ordnung des Raad van Vlaanderen. Sie enthielt kodifiziertes römisch-kanonisches Prozeßrecht in jener abgewandelten Form, wie es damals bei den französischen Obergerichten üblich geworden war21• Zweitens: in sämtlichen Obergerichten saßen geschulte Juristen. Sie alle hatten römisches und/ oder kanonisches Recht studiert und folgten dementsprechend den Lehren des europäischen ius commune. Nicht nur die französischen Gerichte dienten in den Niederlanden als Vorbild, sondern auch das deutsche Reichskammergericht und sein Prozeßrecht. Es gibt sogar einige kleine Territorien, die heute zum niederländischen Staatsgebiet gehören, aber unter dem Ancien Regime dem Reichskammerge-
18 De Oprichting van den Hoogen Raade in Holland. Met het geen verder omtrent dat Collegie by de Heeren Staaten van Holland en Zeeland besloten is tot den Jaare 1767, Utrecht, 1791. 19 P.J. Verdam, Het Hooggerechtshof over Surinaamse zaken rechtsprekend naar Romeins-Hollands recht (1809- 1938), (1969) 37 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 529-549 (533). 20 Jacobus La Bree, De rechterlijke organisatie en rechtsbedeling te Batavia in de XVIIe eeuw, Rotterdam, o. J. [1951], S. 81 f. 21 Zur Literatur über das Prozeßrecht des Raad van Vlaanderen: J. Monballyu, De Style ende Maniere van Procederen in de Camere van den Raede in VIaenderen (1521) van Fran~oys de Rycke (t 1525) ten omechte toegeschreven aan Lambrecht van den Bryaerde, president van de Groote Raad van Mechelen, (1981) 49 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 361.
.5 FeenstrafZimmermann
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richt unterstanden hatten22. Der Einfluß des Reichskammergerichts auf die Niederlande ging aber nicht von dort aus, sondern von dem Prozeßrechtswerk Andreas Gails23, das viel benutzt und sogar ins Holländische übersetzt wurde24, und von anderen Werken der Kameral-Literatur.
111. Holländische Gesetzgebung zum Prozeßrecht Die Gerichtsordnungen der holländischen unteren und oberen Gerichte kodifizierten gängige Regeln des ius commune, wie sie im Mittelalter in den kirchlichen Gerichten ausgearbeitet worden waren, mit einigen Modifikationen sowie Zufügungen von Details. Dementsprechend hielten sich die holländischen Juristen zur Auslegung dieser Regeln an das Corpus Juris Canonici und Corpus Juris Civilis und zogen die diesbezügliche Literatur aus Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland und sonstigen Ländern des ius commune heran. Der Hof van Holland, Zeeland en Vriesland verfuhr gemäß der Instruktion Kaiser Karls V. vom 20. 8. 1531 und ergänzenden Gesetzen. Diese Instruktion diente als Modell für die Ordinantie vom 31. 5. 1582 für den Hooge Raad in Holland, Zeeland en Vriesland, so daß beide Obergerichte weitgehend gleiches Prozeßrecht anwandten25• Die meisten Untergerichte (oft "Vierschaar" genannt) verfuhren gemäß der allgemeinen Zivilprozeßordnung, die das holländische Provinzparlament ("Staten van Holland") im Jahre 1580 beschlossen hatte26. Das darin vorge22 Paul L. Neve, Het Rijkskamergerecht en de Nederlanden, Competentie - territoir - archieven, 1972; idem, Enige opmerkingen over de betekenis van het Rijkskarnergerecht voor de receptie van het geleerde recht in de Nederlanden (1495- 1550), (1980) 48 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 151-179 (169 f.). 23 Andreas Gail, Practicarum observationum tarn ad processum iudiciarium praesertim lmperialis Camerae quarn causarum decisiones pertinentium libri duo, 1578, oft nachgedruckt, auch verdeutscht. 24 Andreas Gail, Observantien rakende so wel de judiciele processen [voomamentlijk der Kayserlijke Karnere] als der seiver saken decisien ... uyt het Latijn overgeset door A. van Nispen, Rotterdarn, 1656. 25 Die Ordnung des Hooge Raad ist abgedruckt im Groot Placaet-Boek, Band II, 1664, Sp. 789-837; die des Hof van Holland ebendort, Sp. 703-760; beide mit ergänzenden Gesetzen daselbst sowie in den jüngeren Bänden dieses Sammelwerkes Groot Placaet-Boek, Band II, Sp. 703-757.; dazu W.G.Ph.E. Wedekind, Bijdrage tot de kennis van de ontwikkeling van de procesgang in civiele zaken voor het Hof van Holland in de eerste helft van de zestiende eeuw, Diss. jur. Utrecht, 1971. 26 Ordonnantie op 't Stuk van de Justitie soo binnen de Steden als ten platten Lande van Holland, 1580; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, Nr. 1.4; Boek II, Deel II, Nr. 2.2.
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sehene Verfahren entsprach ebenfalls weitgehend demjenigen des Hof van Holland. Jedoch galt die Ordnung von 1580 nur in denjenigen Gerichtsbezirken, in denen sie publiziert worden war. Sie galt zum Beispiel nicht im Distrikt von Voorne und nicht im Nordquartier Hollands27• Viele Städte behielten zudem weiterhin eine selbstgegebene Gerichtsordnung, die sie "neben" der Ordnung von 1580 anwandten28 . Gemäß den Keuren von Delft zum Beispiel erging entgegen der allgemeinen Ordnung gleich bei der ersten Säumnis eines "arrestierten" Beklagten ein SäumnisEndurteil- nicht erst bei der dritten Säumnis29• Die Originaltexte der holländischen Gesetzgebung zum Prozeßrecht sind unübersichtlich und zudem nur in wenigen deutschen Bibliotheken vorhanden. Deshalb sind in den Fußnoten dieses Beitrages nicht direkt die Originaltexte zitiert, sondern gut zugängliche Handbücher, die die Originaltexte kommentieren und jeweils die Fundstellen nachweisen. IV. Organisation und Zuständigkeit der unteren Gerichte in Holland 30 Es herrschte große örtliche Vielfalt in Bezug auf die Namen der unteren Gerichte, Besetzung, Organisation und Zuständigkeit sowie Möglichkeiten des Rechtszuges von einem Untergericht an ein höheres Untergericht In den Städten wurde die Gerichtsbarkeit üblicherweise durch einen Schultheißen mit einer Bank von meist sieben Schöffen ausgeübt ("Schout en Schepenen"; "Gezwoorens"). In einigen Städten wurden jedoch Bürgermeister anstelle des Schultheißen tätig. Viele Städte, vor allem die großen (Amsterdam, Leiden, Rotterdam, Den Haag), hatten zusätzlich auch noch untergeordnete Stadtgerichte. Gegen deren Entscheidung konnte man Berufung zur Haupt-Schöffenbank der Stadt einlegen31. Untergeordnet waren einerseits Spezialgerichte: zum Beispiel gab es in Amsterdam gesondert ein Seegericht, Versicherungsgericht, Nachlaßgericht; andererseits hatten viele Städte gesonderte Gerichte für Streitigkeiten Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 2.2. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, synopsis, Fn. 1. 29 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 2.1 Fn. 4. 30 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek I, Deel VI, Nr. 1 Fn. 2 (S. 74 ff.); für spätere Zeit: Anthony Henrik Martens van Sevenhoven, Oe justitieele colleges in de steden en op het platteland van Holland, 1795 - 1811, Diss. jur. Utrecht, 1912. 31 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, synopsis, Fn. 1. 27 28
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von geringem Wert32• Die Richter dort hießen "Vredemakers" oder "Schepenen extraordinaris" oder "Commissarissen van kleyne saaken", etc. In manchen Städten fällten sie keine Urteile, sondern vermittelten nur: Wenn keine gütliche Einigung zustandekam, wurde die Angelegenheit an das Hauptgericht der Stadt verwiesen. Die Gerichtsbarkeit in den Dörfern wurde normalerweise durch einen Dorfrichter oder ebenfalls durch einen Schultheißen mit Schöffen ausgeübt. Von den Dorfgerichten konnte man für gewöhnlich an die Haupt-Schöffenbank der zugehörigen Stadt appellieren und von dort weiter an den Hof van Holland. Es gab aber auch Dörfer, die stattdessen einem höheren ländlichen Gericht von "Bailjuw en Mannen" oder "Drost en Mannen" unterstanden 33• In diesen Fällen waren auch Sprung-Berufungen vom Dorfgericht direkt an den Hof van Holland möglich34• Die Herrschaftsgebiete des Erbstatthalters (Buyren, Leerdam, Ysselsteyn etc.) unterstanden einem besonderen ,,Raad van zyne Hoogheyd" in Den Haag. Klagen gegen Leidener Studenten und Bedienstete der Universität mußten vor dem Universitätsgericht erhoben werden35 • Gegen die Urteile gab es keine Berufung, aber man konnte beim Hof van Holland "Revisie" beantragen. Der Rektor und die Professoren hatten ihren Gerichtsstand nicht vor dem Universitätsgericht, sondern direkt vor dem Hof van Holland. Forderungen, die in irgendeiner Weise infolge von Unterhaltslasten für Deichbau oder Wegebau entstanden waren, konnten vor ein Deichgrafengericht gebracht werden ("Dijkgraaf ende Hooge Heemraden")36• Alles, was mit der Nutzung von Wald und Heide zu tun hatte, kam vor das Gericht des Waldaufsehers ("Houtvester ende Meesters-Knapen") und wurde dort gemäß der speziellen 1517 durch Karl V. erlassenen Prozeßordnung behandelt. Der Rechtszug ging von dort an den Lehnhof und von dort an den Hooge Raad37•
32 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek 11, Deel I, synopsis, Fn. 1; Boek li, Deel III, Nr. 2 Fn. 1. 33 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel I, Nr. 3.
Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXV, Nr. 6. Authentica Friderici I imperatoris 'Habita super hoc' post C. 4, 13, 5; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VI; Nr. 3. 36 So zum Beispiel Kostenersatz für Deicharbeiten, die anstelle eines abwesenden Deichbaupflichtigen durch dessen Nachbarn ausgeführt wurden: Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXX, Nr. 10. 37 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXXII. 34
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Sofern bei einer Zivilstreitigkeit in irgendeiner Weise die Steuerbehörden interessiert waren, zum Beispiel wenn einem Steuerpächter (,,Pagter over Gemeenlandsmiddelen") zur Abgeltung von Steuerschulden eine bestrittene Forderung übertragen worden war, dann konnte ein eventuell erforderlicher Prozeß vor dem besonderen Gericht für Steuern verhandelt werden38 . Als solches fungierten städtische "Schepenen Commissarissen", die als delegierte Richter im Auftrag der Steuereinnehmer der Provinz tätig wurden. Gegen das Urteil konnte man •.Reformatie" bei den Steuereinnehmern der Provinz beantragen (,,Edele Magende Heeren Gecommitteerde Raden van de Edele Groot Magende Heeren Staten van Holland ende West-Vriesland"). Auch andere Verwaltungsbehörden, zum Beispiel die Zollstellen, die Münzkammer, der Rechnungshof ("Rekenkamer"), dazu auch die Militärgerichte39, die Lehensgerichte40 und die kirchlichen Gerichte41 hatten gelegentlich Verfahren durchzuführen, die wir nach heutiger Auffassung als Zivilprozesse bezeichnen würden. Auch nicht-staatliche Verfahren wurden zur Streitbeilegung benutzt, und zwar wahrscheinlich weit häufiger als die staatlichen Verfahren. Sehr oft erörterten Vermittler den Streit freundschaftlich mit den Parteien und brachten die Parteien zu einem Vergleich. Ebenfalls oft wurde ein Schiedsvertrag ("Verblyf') geschlossen. Zweierlei Möglichkeiten bestanden: Entweder bestimmte man Schiedsleute, die frei auf Grund von Billigkeitserwägungen nach ihrem Gutdünken eine Entscheidung fallen sollten. Solche Schiedsleute nannte man "Arbitrateurs" oder auch "Goede Mannen". Oder aber man setzte Schiedsrichter ein, um den Streit gemäß der Rechtslage zu entscheiden. Sie hießen "Arbiters" oder "Keur-Rechters". Entscheidungen auf Grund eines 38 C. 4, 15, 3. Zum Vollstreckungsverfahren Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXX, Nr. 1-3. 39 Sofern die Angelegenheit irgendeinen Bezug zum militärischen Dienst hatte: C. 3, 25, 1. Jedoch legten die Kriegsgerichte diese Einschränkung großzügig aus: Van der Linden, op. cit., Fn. 10, Boek I, Hooftstuk li, § 5 in fine; Johan Jacob van Hasselt (1717 -1783), Tractatus de jurisdictione militari in praesidiis Belgicis, of, Verhandelinge over het gezag en jurisdictie der militairen in de guamisoenen ... der Vereenigde Nederlanden ... regtelyk gededuceert en met verscheidene resolutien, advysen en andere stukken in het ligt gegeven met bydoeninge van eenige aantekeningen ..., Arnhem, 1763.
40 Von 1582-1660 und seit 1674 gab es in Holland keinen gesonderten Lehenshof mehr. Stattdessen wurde der Hof van Holland nun auch als Lehensgericht tätig: V an der Linden, op. cit., Fn. 10, Boek I, Hooftstuk III, § 8. Die Ordnung des alten Lehenshofes ist abgedruckt im Groot Placaet-Boek, Band li, 1664, Sp. 681-696. 41 Vor allem bei Streit um kirchliche Güter: Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel X, Nr. 7, Artikel 30 f.; Van der Linden, op. cit., Fn. 10, Boek I, Hooftstuk I, § 5 f.
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Schiedsvertrages konnten auf Antrag durch ein staatliches Gericht für vollstreckbar erklärt werden42• Im ius commune war umstritten, ob und inwieweit staatliche Gerichte angerufen werden können, um einen Schiedsspruch aufzuheben oder abzuändern. Die holländischen Gerichte beantworteten die Frage jedenfalls dann mit ja, wenn der Schiedsvertrag eine Entscheidung gemäß der Rechtslage herbeiführen sollte43 • Anträge auf Aufhebung oder Abänderung eines Schiedsspruchs (,,Reductie") konnten wahlweise bei dem übergangenen staatlichen Gericht oder aber beim Rechtsmittelgericht, also beim Hof van Holland, gestellt werden. Auf dieses Verfahren wurden die Regeln über Rechtsmittel gegen Urteile der staatlichen Gerichte analog angewandt. Schiedsverträge enthielten normalerweise eine Klausel, worin die Parteien im voraus auf "Reductie" verzichteten. Jedoch nahm der Hof van Holland solche Versuche, seine Gerichtsbarkeit in Schiedsangelegenheiten auszuschließen, nicht immer hin: Der Hof erlaubte bisweilen Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Schiedsvertrag ("Herstelling jegens het Verblyf'; "Mandament van Relief'); über einen solchen Antrag wurde dann nach denselben Kriterien wie bei "Reductie" geurteilt44• Die örtliche Zuständigkeit der staatlichen Gerichte bestimmte sich in der Regel nach dem Wohnsitz des Beklagten45 , sofern nicht der Beklagte aufgrund eines Privilegs einen besonderen Gerichtsstand hatte. Bei Streitigkeiten um ein Grundstück war (auch) das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück belegen war46• Ein an sich örtlich unzuständiges Gericht konnte durch "Arrest" zuständig werden: Ein Gläubiger konnte seinen Schuldner, wenn er ihn außerhalb des Gerichtsbezirkes seines Wohnortes antraf, samt aller mitgeführten Habe durch das örtliche Gericht "arrestieren" lassen47 , wodurch dann dieses Gericht für einen nun nachfolgenden Zivilprozeß zwischen Gläubiger und Schuldner zuständig wurde48 . Jedoch hatten viele Städte untereinander Abkommen, die 42 Erweiternde Interpretation von D. 42, 1, 15 pr., gegen C. 3, 13, 3; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IX, Nr. 9. 43 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IX, Nr. 7. 44 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IX, Nr. 10. 45 C. 3, 13, 2; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VI, Anfang. 46 C. 3, 19, 3 et 7; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel X. Nr. 1. 47 Petrus Peckius, Oe iure sistendi et manuurn iniectione, quam vulgo arrestationem vocant, succincta explicatio, mehrfach gedruckt, zum Beispiel Antverpiae, 1589. 48 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, Nr. 1 Fn. 2; Boek IV, Deel II, Nr. 25; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VII, Nr. 31.
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dies ausschlossen: Wurde ein Bürger ,,arrestiert", so durfte seine Heimatstadt ihn "abschreiben" = an die andere Stadt schreiben und auf Grund des Abkommens verlangen, den Arrest aufzuheben49. Bei Ladung vor ein nicht zuständiges Gericht mußte der Geladene erscheinen50 und die Einrede der Unzuständigkeit erheben ("Exceptie declinatoir"; "Exceptie van Renvoy"; "Verzet van Overwysinge"). Ließ er sich zur Sache ein, ohne die Unzuständigkeit gerügt zu haben, so wurde damit das Gericht zuständig51 . V. Die beiden Obergerichte für Holland und Seeland 52 1. Zuständigkelt für Rechtsmittel
Der Hof van Holland, Zeeland en Vriesland (auch ,,Provinciaal Raad", "Hof Provinciaal" oder "Karner van den Provincialen Rade" genannt) war in erster Linie ein Rechtsmittelgericht für Berufung oder "Reformatie" gegen Urteile der Untergerichte und manche Arten von Entscheidungen der Provinzialbehörden53. Der Hooge Raad in Holland, Zeeland en Vriesland war vor allem zuständig für Berufung oder "Reformatie" gegen Urteile des Hof van Holland. Jedoch durften die Einwohner einiger Orte in Zeeland direkt Rechtsmittel zum Hooge Raad bringen, also den Hof van Holland überspringen54. 2. Zuständigkeit des Hof van Holland in erster Instanz, ratlone personae
Für gewisse natürliche und juristische Personen fungierte der Hof als ordentlicher Richter erster Instanz. Sie hatten ihren Gerichtsstand beim
49 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, Nr. 5.3; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VII, Nr. 15. 50 D. 2, 5, 2 pr. 51 0.5, 1, 30; C.3, 13, 1, 1; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VID, Nr. 4. 52 Pieter Vromans, Tractaet de foro competenti, verklaerende van welke zaeken het Hof ende de Hooge Raed ter 1. instantie kennisse nemen ... als mede van appel, reformatie ende revisie, Leyden, 1732. 53 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, Nr. 1 Fn. 2; Boek IV, Deel I. 54 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek I, Deel VI, Nr. 1 Fn. 2.
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Hof55 : Städte, Landesherrschaften, andere Gebietskörperschaften; alle Amtsträger der Grafschaft Holland in Streitigkeiten mit Bezug auf ihr Amt; Angehörige ("Supposten") des Hofes, einschließlich Advokaten, Proeureurs und Herbergswirte beim Hof, weil sie alle sozusagen beim Hof zu Hause waren; alle in Den Haag wohnenden Adligen; Schultheißen der Untergerichte, weil man schlecht ein Urteil ihres eigenen Gerichts gegen sie vollstrecken konnte; ebenso Professoren und Rektor der Leidener Universität, denn anderenfalls hätte man sie vor ihrem Universitätsgericht verklagen müssen56• Umgekehrt durften Advokaten und Proeureurs des Hofes ihre Gebühren beim Hof einklagen, weil der Gebührenanspruch dort am einfachsten geprüft werden konnte, da er ja mit den dort geführten Prozessen zusammenhing57• Geistliche sowie alle Amtsträger der Grafschaft Holland durften beim Hof wegen einer ihnen zugefügten Beleidigung klagen58• Kirchen und kirchliche Einrichtungen sowie bemitleidenswerte Personen ("personae miserabiles"), nämlich minderjährige Waisen, Witwen und andere arme nicht verheiratete Frauen, sehr alte und gebrechliche Menschen durften bei Streitwerten oberhalb gewisser, örtlich verschiedener Grenzen ihre Prozeßgegner direkt vor den Hof ziehen, damit nicht die Untergerichte solche Prozesse ohne die erforderliche Unvoreingenommenheit entschieden und auch gar nicht erst der Anschein der Ungerechtigkeit aufkam59• Diese Regel, die dem Vorbild des Kaisergerichts im antiken Rom folgte60, war aber von einigen Ausnahmen durchbrachen. Parteien konnten einverständlich eine Angelegenheit direkt vor den Hof van Holland oder Hooge Raad bringen, die eigentlich vor einem unteren Gericht hätte verhandelt werden müssen (,,Prorogatie")61 . Hierfür galten jedoch gewisse untere Streitwertgrenzen, die für die verschiedenen übergangenen Untergerichte verschieden hoch waren62•
55 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel II, Nr. 4-7; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VI, Nr. 2. 56 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel II, Nr. 8. 51 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel II, Nr. 7. 58 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel II, Nr. 16. 59 C. 3, 14, 1; D. 50, 16, 242, 3; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel II, Nr. 9 und 17; Boek Il, Deel I, Fn. 2; Comelis Willern Decker, Fußnote 1 bei Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VI, Nr. 2; ibidem, Boek V, Deel VI, Nr. 5. 60 Siehe C. 3, 14, 1. 61 D. 5, 1, 1; C. 3, 13, 1, 1; D. 2, 1, 18. 62 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VIII, Nr. 2.
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3. Zuständigkeit des Hof van Holland in erster Instanz, ratione causae
Streitigkeiten die Souveränität betreffend; den Souverän betreffend (= die "Staten van Holland" und den Erbstatthalter)63; die Staatsdomänen betreffend; Anträge auf Nichtigerklärung von Gesetzen64; Angelegenheiten, aus denen Fehden, Unfrieden, Aufruhr entstehen könnten (mit dieser Begründung wurden Streitigkeiten zwischen Adligen oftmals vor den Hof gezogen); einstweilige Verfügungen wegen verbotener Eigenmacht, üblicherweise erlassen unter Strafandrohung ("Mandament Poenaal")65 ; Privilegienstreitigkeiten66; Verfahren zur Feststellung, daß dem Gegner ein von ihm behaupteter Anspruch nicht zustehe, gemäß C. 7, 14, 5 (= Lex "Diffamari"r; "aus wichtigen Gründen" auch Anträge auf dinglichen oder persönlichen Arrest68 ; Außenlem konnte der Hof van Holland auf Antrag eine Rechtssache, für die an sich ein unteres Gericht zuständig war, an sich ziehen ("Evocatie"). Dies tat er vor allem dann, wenn das untere Gericht untätig blieb oder den Rechtsstreit verzögerte69•
VI. Gerichtspersonal Die unteren Gerichte arbeiteten vielfach mit nebenamtlichem oder ehrenamtlichem Personal, das lediglich eine Aufwandsentschädigung und einzelne Arten von Gerichtsgebühren erhielt. Das Personal bei den Obergerichten erhielt zwar ebenfalls einzelne Arten von Gebühren von den Parteien, war aber zusätzlich fest besoldet70• Besoldung und Einnahmen und Ausgaben wurden durch einen "Rent-meester" verwaltet71 • Der protokollführende Gerichtsschreiber hieß bei den unteren Gerichten meist "Secretaris". Bei den beiden Obergerichten hieß er "Griffier"72, und ihm waren mehrere Sekretäre untergeordnet, die nach seinen Anweisungen
Merula, op. cit., Merula, op. cit., 65 Merula, op. cit., 66 Merula, op. cit., 67 Merula, op. cit., 68 Merula, op. cit., 69 Merula, op. cit., 10 Merula, op. cit., 11 Merula, op. cit., 12 Merula, op. cit., 63
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Fn. Fn. Fn. Fn. Fn. Fn. Fn. Fn. Fn. Fn.
1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV, 1, Boek IV,
Deel II, Nr. 1-3. Deel II, Nr. 20. Deel II, Nr. 18 und 24. Deel II, Nr. 19. Deel II, Nr. 22. Deel II, Nr. 25. Deel II, Nr. 27. Deel CV. Deel XII. Deel X; Boek IV, Deel IV.
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Schriftstücke ausfertigten73. Zudem hatten die Obergerichte einen eigenen Briefbeförderungsdienst74. Zustellungen (,,Exploicten") und Vollstreckungsakte wurden durch Gerichtsboten bewirkt. Diese trugen als Zeichen ihres Amtes einen Gerichtsstab und wurden deshalb auch "Stabträger" (Roedrager) genannt. Bei den Obergerichten wurden sie als "Türhüter" (Deurwaarder) betitelt. Nur wenige "Deurwaarders" der Obergerichte amtierten in Den Haag am Sitz der Gerichtes. Die meisten wohnten weit verteilt an verschiedenen Orten im Gerichtsbezirk75. Der Advocaat Fiscaal Civiel (auch "Procureur Generaal" genannt) vertrat bei den Obergerichten die Interessen der Obrigkeit76. Zudem gehörte zu seinen Aufgaben die Prozeßvertretung für Arme und andere bemitleidenswerte Personen ("miserable Persoonen") sowie für Kirchen und wohltätige Einrichtungen77. Bei den Obergerichten mußte man sich durch einen dort zugelassenen Anwalt ("Advocaat") vertreten lassen und zusätzlich einen zugelassenen Vertreter (,,Procureur"; "Taal-Man") bestellen, an den Zustellungen bewirkt werden konnten78• Dies war zwar nirgends gesetzlich vorgeschrieben, galt aber kraft Gerichtsgewohnheitsrechts ("de stylo curiae"?9 • Der Procureur half dem Anwalt, die einzureichenden Schriftstücke vorzubereiten. Er führte den Prozeß selbständig anstelle seines Mandanten: Er war dominus litis80• Daher wurde während des gesamten Laufes des Ver-
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XI. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XIII, Nr. 13 ff. 75 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XIII. 76 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XIV; Van der Linden, op. cit., Fn. 10, Boek I, Hooftstuk III, § 19; J. van der Poel, De historische ontwikkeling van het ambt van Rijksadvocaat, (1926) 36 Tijdschrift voor Strafrecht 336-394; Louis Tierenteyn, Histoire des origines, des developpements et du röle des officiers fiscaux pres les conseils de justice dans !es anciens Pays-Bas, depuis le 15e jusqu'a Ia fin du 18e siecle, Bruxelles 1890. 77 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XV. Jedoch berichtet van der Linden am zitierten Ort, daß der Advocaat Fiscaal diese Aufgabe nicht wahrnahm. 78 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XVII, Nr. 9; Boek IV, Deel XVIII, Nr. 11; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IV, Nr. 3. 79 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXVI, Nr. 1.5. 80 c. 2, 12, 22. 73
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fahrens der Procureur als Partei genannt, nicht der Mandant81 . Anders jedoch im Endurteil: Dort nannte man im Tenor den Mandanten82. Die bei einem Obergericht zugelassenen Anwälte und Proeureurs galten als Angehörige des Gerichts und mußten jährlich einen Diensteid schwören83. Zur Zulassung als Anwalt mußte man dem Gericht ein abgeschlossenes juristisches Studium nachweisen und auch sonst "geeignet" sein84 . Bei Proeureurs wurde nur global ,,Eignung" geprüft85 . Auch bei den Untergerichten wurden oft Anwälte und/ oder Proeureurs tätig. Einige Gerichte kannten ebenfalls ein Zulassungsverfahren mit Vereidigung86 sowie Vertretungszwang87 nach dem Vorbild der Obergerichte. Bei den Obergerichten wurden die Gebühren der Anwälte und Proeureurs nach gesetzlich festgelegten Sätzen berechnet88. Hauptkriterium war, wieviele Seiten sie geschrieben hatten. Für die verschiedenen Arten von eingereichten Schriftstücken galten verschieden hohe Gebührensätze89. Die heutzutage in den Vereinigten Staaten von Amerika üblichen "contingency fees", bei denen die Höhe des Honorars abhängig ist vom Ergebnis des Rechts-
81 P.J. Verdam, oben, Fn. 19, S. 532; so auch beim Reichskammergericht Anders in Frankreich: Dort wurden nur Prozeßvertreter des Königs (= des Staates) als Partei genarmt (Nu! ne plaide par procureur que le Roi). 82 D. 42, 1, 61 (in Bezug auf den Prokurator des Klägers); Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IV, Nr. 6. 83 Interpretation zu D. 1, 12, 1, 13 'et advocationibus' sowie C. 3, 1, 14, 4 (1); Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IV, Nr. 1; Bemardus H.D. Hermesdorf, Licht en schaduw in de advocatuur der Lage Landen. Historische studie, Leiden, 1951. 84 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XVII. 85 Merula, op. cit., Fn. 1. Boek IV, Deel XVIII. 86 Die juristische Fakultät der Universität Kapstadt besitzt ein Exemplar der Keuren ende Ordonnantien van het Hooge-Heemraetschap van Rhijnlandt, Leyden, 1664, in dem hinten handschriftlich der Wortlaut des Eides eingetragen ist, den man schwören mußte, um als Procureur beim dortigen Deichgrafengericht zugelassen zu werden. 87 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IV, Nr. 3; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXVI, Nr. 1.5; G.R. Rutgers, De verplichte procesvertegenwoordiging. Een onderzoek naar de verplichte procesvertegenwoordiging in het burgerlijk geding in Nederland in de periode 1795-1838, (1979) 47 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 129 (135). 88 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XVI. 89 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel CV, Nr. 6 Fn.9.
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streits, waren im ius commune strengstens verboten90• Das Gericht prüfte auf Antrag die berechneten Honorare nach91 • Soweit arme Personen, Kirchen etc. bei den Obergerichten nicht durch den Advocaat Fiscaal vertreten werden konnten, weil dadurch ein Pflichtenkonflikt entstanden wäre, wies das Gericht ihnen einen Anwalt und einen Procureur zu, die gratis ("pro deo") für sie tätig werden mußten92• VII. Aktenführung Das Prozeßgericht führte von Amts wegen lediglich ein allgemeines, fortlaufendes Protokoll ("Rolle") über alles, was in den Gerichtsverhandlungen geschah. Es wurde also nicht für jeden einzelnen Prozeß ein getrenntes Protokoll geführt. Es blieb den Parteien überlassen, sich Abschriften derjenigen Eintragungen ("Notulen") aus dem allgemeinen Protokoll ausfertigen zu lassen, die ihre Angelegenheit betrafen. Gesonderte Prozeßakten gab es bei Gericht erst dann, wenn über irgendwelche eingereichten Schriftstücke beraten und entschieden werden mußte. Dazu mußten die Parteien jeweils bei Gericht einen Leinenbeutel deponieren, in dem alle Schriftstücke enthalten waren, die das Gericht ihrer Meinung nach zur Kenntnis nehmen sollte, zusammen mit einem Inventar93• Das Gericht erhielt also jeweils mindestens zwei Aktenbeutel, nämlich von jeder Partei einen. Für jeden Antrag bei Gericht mußten Holländer eine Stempelgebühr zahlen, was zur Folge hatte, daß für Holländer alle Anträge schriftlich eingereicht werden mußten94. Für Bürger von Seeland galt dies nicht. Folglich konnten sie Anträge auch mündlich zur "Rolle" des Gerichts diktieren.
90 C. 2, 7, 5; D. 50, 13, 1, 12; C. 2, 12, 15; Analogie zu C. 10, 32, 34 und C. 3, 1, 14, 4 (1) ,,non autem credita ..."; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IV, Nr. 2.2; Alfred A. Roberts, Index to the opinions of Roman Dutch lawyers and the decisions of the courts of the Netherlands which have been digested in the Algemeen Beredeneerd Register of NassauLa Leck (1741 - 1795), Band 1-II, Pretoria, 1985, Band I, S. 39. 91 D. 50, 13, 1, 10-11. 92 D. 27, 9, 5, 11 ,.advocatumque pupillo dare"; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel CV, Nr. 9; Van der Linden, op. cit., Fn. 10, Boek I, Hooftstuk Vlll, § 10. 93 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXXXV. 94 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXVII, Nr. 1.1 Fn. 1; Boek IV, Deel XXXVII, Nr. 3.1 Fn.l2.
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VIII. Allgemeine Bemerkungen zum normalen Prozeßgang (,,Pieyt"; ,,Process"; ,,Rau-Actie"; "Dingtaal") 1. Ladung ("Dagvaarding"; "Daginge"; "Citatie")
Bei den unteren Gerichten konnten die Parteien ("Dingsluiden") selbst den zuständigen ,,Roedrager" beauftragen, die Gegenpartei (,,Partye"; "Tegendinger'') vor Gericht zu laden95• Um hingegen jemanden vor eines der Obergerichte laden zu lassen, mußte man einen begründeten Antrag (,,Request") bei dem Obergericht stellen und einen Befehl zur Ladung erwirken. Der Auftrag ("Commissie") zur Ladung wurde dem zuständigen "Deurwaarder" des Gerichts erteilt. Er hatte die Zustellung ("Exploict") der Ladung zu bewirken und darüber dem Gericht schriftlich Bericht zu erstatten ("Relatie"). Der Geladene erhielt eine Kopie des Antrages auf Ladung und des daraufhin ergangenen Ladungsbefehls. Der Bericht eines "Deurwaarder" über die Ausführung seines Auftrages erbrachte vollen Beweis für die darin bezeugten Geschehnisse96• Die Ladungsfrist betrug bei den unteren Gerichten mindestens drei Tage, zum nächstfolgenden Gerichtstag. Die meisten Städte hielten jeweils am Dienstag Gericht, manche am Mittwoch. Bei den Obergerichten wurde die Ladungsfrist für die erste Ladung je nach der Entfernung des Wohnorts des Geladenen bemessen. Sie betrug mindestens zwei Wochen. Hauptgerichtstag war der Montag. Die Parteien mußten einen in Den Haag wohnenden ,,Procureur" bestellen, damit die weiteren Ladungen an diesen zugestellt werden konnten97, mit nur noch drei Tagen Frist. Bei Ladungen vor ein auswärtiges Gericht ("Overdaginge") wurde die Ladungsfrist je nach Lage des Falles durch das Prozeßgericht bestimmt. Das Prozeßgericht ersuchte das örtlich zuständige Gericht um Ladung. Nachdem das örtliche Gericht der Ladung zugestimmt hatte, beauftragte es den örtlichen "Roedrager" mit der Durchführung. Das Ladungsprotokoll wurde danach dem Prozeßgericht übersandt98•
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek ll, Deel I, Nr. 5. C. 10, 19, 5; D. 1, 12, 1, 12 "ad referendum sibi quid ubi agatur"; 97 Der Gegner wurde bei der ersten Ladung aufgefordert, "Procureur acceptant te stellen": Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IV, Nr. 10. 98 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel I, Nr. 5 Fn. 12. 95 96
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Ließ sich der Wohnort oder Aufenthalt des zu Ladenden nicht ermitteln, so konnte das Gericht bewilligen, daß die Ladung durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt wurde ("Citatie by Edicte"). Zu diesem Zweck wurde die Ladung bei Gericht und an anderen durch das Gericht bestimmten Orten öffentlich ausgehängt und vorgelesen99 • 2. Mündliches Verfahren bei Prozessen mit geringem Streitwert100
Bei Dorfgerichten sowie "Bailjuw ende Mannen" wurde bei Streitwerten bis 50 Gulden normalerweise rein mündlich in einem summarischen Verfahren prozessiert. Bei Stadtgerichten geschah dies sogar bei Streitwerten bis 100 Gulden. Die Parteien mußten persönlich bei der Verhandlung ("het Voldingen") anwesend sein, damit nicht Zeit durch Rückfragen verloren ging. Auf das mündliche Vorbringen des Klägers (,,Eysscher"; "Aanlegger"; ,,Klager'') mußte der Beklagte ("Verweerder"; "Gedaagde"; "Antwoorder") sofort antworten, sofern ihm das irgend zurnutbar war. Nur wenn ihm überraschend etwas präsentiert wurde, wozu er sich bei bestem Willen nicht sofort äußern konnte, erhielt er Erkundigungsfrist bis zum nächsten Gerichtstag. Im Anschluß konnte direkt der Kläger replizieren, dann nötigenfalls der Beklagte duplizieren, etc. Beweise wurden sofort erhoben, und danach entschied das Gericht. Dieses schnelle Verfahren setzte die alte Tradition der mittelalterlichen Schöffengerichte fort. Der Sache nach entsprach es in etwa dem summarischen Verfahren "de plano" des römischen und kanonischen Rechts 101 • Das Gericht konnte gestatten, daß ein Prozeß geringen Streitwerts teilweise oder ganz nach den Regeln des ausführlichen Verfahrens geführt wurde. Und umgekehrt konnte das Gericht im Einverständnis mit den Parteien einen Prozeß trotz hohen Streitwerts nach den Regeln des mündlichen summarischen Verfahrens durchführen 102•
Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Bock V, Deel XIII, Nr. 4. Mcrula, op. cit., Fn. 1, Bock Il, Dcc1 III, Nr. 2; Van Leeuwcn, op. cit., Fn. 4, Bock V, Dccl XXXI, Nr. 10-14. 101 Clem. 5, 11, 2 "Saepe contingit"; D. 1, 16, 9, 3 f.; Max Kaser, Das römische Zivilprozcßrecht, 1966, S. 524-526. 102 Mcrula, op. cit., Fn. 1, Bock II, Deel III, Nr. 3.3. 99
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3. Klageerhebung im normalen Verfahren
Soweit nicht ein summarisches, rein mündliches Verfahren stattfand, begann die erste mündliche Verhandlung vor dem Prozeßgericht damit, daß der Kläger eine Klageschrift überreichte und seine darin formulierten Anträge verlas103. Sofern der Kläger bereits vorher in einem anderen, der Gegenpartei bereits zugestellten Schriftstück den Grund seiner Klage erläutert hatte, zum Beispiel in seinem Antrag auf Anordnung der Ladung104, so enthielt die Klageschrift für gewöhnlich nur die Anträge und eine Bezugnahme auf jenes Schriftstück, "zuvor zu Gericht gekommen" (Venuencourt) 105. Die in den Schriftstücken enthaltenen Behauptungen von Tatsachen mußten einzeln formuliert und durchnumeriert werden, so daß der Gegner einzeln darauf antworten konnte, unter Angabe der Nummer. Es war deshalb normaIerweise nicht möglich, einen Sachverhalt zusammenhängend zu berichten. Für gewöhnlich wurde dem Beklagten bereits bei der Ladung mitgeteilt, in welcher Angelegenheit er denn vor Gericht erscheinen sollte. Es war aber rechtlich durchaus möglich, daß der Beklagte in der Tat erst in der mündlichen Verhandlung erfuhr, was denn der Kläger eigentlich von ihm wollte. 4. Weiterer Prozeßgang
Die Parteien durften bei jedem neuen Vorbringen der Gegenseite, auf das sie sich nicht hatten vorbereiten können, jeweils Bedenkzeit ("spatium deliberandi") erbitten, um zu antworten. Die normale Bedenkzeit betrug bei Stadtgerichten eine Woche (= zum nächstfolgenden Gerichtstag), bei Dorfgerichten zwei Wochen (= zum übernächsten Gerichtstag). Wurde die Antwort nicht rechtzeitig gegeben (mündlich zu Protokoll oder schriftlich), so galt das Tatsachenvorbringen, auf das geantwortet werden sollte, als zugestanden106. Erhob der Beklagte die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts ("exceptio declinatoria") oder die Einrede, daß die Sache bereits bei einem anderen Gericht anhängig sei ("exceptio litispendentiae") oder bereits gerichtlich oder durch Schiedsrichter entschieden sei ("exceptio litis finitae" = "exceptio rei iudicatae") oder lehnte er ein Mitglied des Gerichts wegen
103 104
105 106
Merula, Merula, Merula, Merula,
op. cit., op. cit., op. cit., op. cit.,
Fn. Fn. Fn. Fn.
1, Boek ll, Deel lll, Nr. 1. 1, Boek IV, Deel XXXVII, Nr. 1.7. 1, Boek IV, Deel XXXVII, Nr. 1.6. 1, Boek II, Deel III, Nr. 3; Boek IV, Deel LXXXI.
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Befangenheit ab, so mußte das Gericht darüber vorab urteilen107. Das ergehende Zwischenurteil ("Sententie Interlocutoir"; "Appoinctement") konnte mit Rechtsmitteln angefochten werden. Der Beklagte brauchte sich erst dann weiter auf den Rechtsstreit einzulassen, wenn zuvor seine Einwendungen rechtskräftig abgewiesen worden waren. Im übrigen galt aber die Eventualmaxime. Alles Vorbringen mußte bei demjenigen Gerichtstermin vorgebracht werden, bei dem dies frühestens möglich war108. Im Normalfall bedeutete dies, daß der Beklagte sämtliche möglichen Verteidigungsargumente nebeneinander vor Gericht bringen mußte, widrigenfalls verlor er sie. Er durfte nicht erst abwarten, ob die eine Verteidigung erfolgreich war und dann nötigenfalls die nächste vorbringen. Eine Ausnahme galt nur, wenn das Verteidigungsmittel, auf das man sich nun verspätet berufen wollte, sich erst nachträglich eröffnet hatte. Gleiches galt für eventuelle Gegeneinreden des Klägers ("Replyque"), für Antworten des Beklagten dazu ("Duplyque"). Tripliken oder gar Quadrupliken waren in Holland nicht erlaubt109. Die Eventualmaxime diente der Prozeßbeschleunigung. Sie ging weit über die normale Regel des römisch-kanonischen Prozeßrechts hinaus, wonach alle prozeßhindernden Einreden vor der litis contestatio vorgebracht werden mußten. Die Regel entsprach aber dem summarischen Verfahren des kanonischen Rechts, wie es in Clem. 5, 11, 2 "Saepe contingit" festgelegt war. Der sachliche Prozeßinhalt wurde bestimmt durch den Tatsachenvortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung und seine darauf gestützten Urteilsanträge. Sobald der Beklagte sich darauf zur Sache einließ, war damit der Streit "befestigt"110• Diese "Streitbefestigung" (Litiscontestatie; Gedings-Bevestiginge)111 ging normalerweise ohne äußerliche Förmlichkeiten einher, anders als im klassischen römischen Recht. Erst mit der litis contestatio war der Prozeß rechtshängig112, und die Verjährung der eingeklagten Ansprüche wurde unterbrochen. Mögliche prozeßhindernde Einreden, die bis dahin nicht erhoben waren, wurden abgeschnitten.
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel III, Nr. 4.2. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek 11•. Deel III, Nr. 4.1; Boek IV, Deel XL, Nr. 1. 109 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XIX, Nr. 41. no X 2, 5; 6. 2, 3; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XLII, Nr. 5. lll Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XLII. 112 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel III, Nr. 3. 107 108
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Der Beklagte konnte Widerklage (,,Reconventie") erheben. Sofern er dies vor der litis contestatio tat, wurden die beiden Rechtsstreite miteinander verbunden 113• Gemäß dem ius commune mußten alle Prozeßparteien und dazu auch ihre Anwälte schwören, daß sie den Prozeß in gutem Glauben führten 114• In Holland jedoch - wie auch in vielen anderen Regionen - war diese Regel außer Gebrauch gekommen 115• Die Verhandlungen bei den Obergerichten fanden normalerweise vor nur zwei Gerichtsräten statt, die stellvertretend für das Gericht insgesamt als delegierte Richter tätig wurden ("Gecommitteerde Raden"; "Commissarissen ter Rolle") 116. Sie fällten prozeßleitende Entscheidungen ("Appoinctement dispositijf'), zum Beispiel Beweisbeschlüsse117• Waren sie sich nicht einig oder wollten sie nicht allein entscheiden, so wurde die Angelegenheit durch den "vollen Rat" beraten und entschieden. Zudem konnten die Parteien gegen Entscheidungen der beiden delegierten Gerichtsräte Beschwerde einlegen. Über Beschwerden entschied das volle Gericht ("Reaudientie") 118• In Bezug auf Darlegungslast und Beweislast galt im Prinzip - wie heute die Regel, daß derjenige darlegen und beweisen muß, der einen vom normalen Stand der Dinge und normalen Geschehensablauf abweichenden Stand und Ablauf behauptet. Zu der Frage, welcher Stand der Dinge und welcher Geschehensablauf denn "normal" war, gab es einige gesetzliche Vermutungen ("praesumptiones de iure") im Corpus Juris Civilis119 und Corpus Juris Canonici und im Partikularrecht, aber darüberhinaus noch eine Fülle von weite-
113 Nov. 96, cap. 2; Nov. 123, cap. 25; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XVIII. 114 X 2, 7; 6. 2, 4; C. 2, 58; C. 3, 1, 14, 4 (1). 115 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XVII, Nr. 12. 116 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXIX. 117 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XLII, Nr. 4.1 Fn. 3. 118 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel Ul. 119 Zum Beispiel in X 2, 23; D. 22, 3, 3; C. 10, 22, 3; D. 34, 5, 13; C. 6, 37, 23; C. 6, 38, 3; C. 6, 51, 1 (die letzgenannten vier sind unwiderlegbar= "praesumptiones iuris et de iure"); dazu Dieter Simon, Untersuchungen zum justinianischen Zivilprozeß, 1969, S. 175 ff.; Guido Donatuti, Le praesumptiones iuris in diritto romano, 1930; Carl Groß, Die Beweistheorie im canonischen Prozeß, mit besonderer Rücksicht auf die Fortentwicklung derselben im gemeinen deutschen Civilproceß, Band I, 1867, Band ll, 1880 (Band I, S. 54-63). 6 FeenstrafZimmermann
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ren Erfahrungsregeln ("praesumptiones hominis"), die in der Praxis der Gerichte und der Rechtsgutachten entwickelt worden waren120 • Aus der Annahme, daß ein sorgsamer Mensch normalerweise niemandem etwas schuldet, ergab sich die Regel, daß der Kläger alle bestrittenen Klagebehauptungen beweisen mußte, sofern ihm nicht eine der anerkannten "praesumptiones" diese Last abnahm oder erleichterte. Umgekehrt mußte aus demselben Grund und mit derselben Maßgabe der Beklagte seine Einredebehauptungen beweisen121 • Äußerungen des Beweisgegners außerhalb des Prozesses über das Beweisthema konnten je nach den Umständen, unter denen sie abgegeben waren, eine Vermutung zugunsten des Beweisführers begründen, die ihm den Beweis erleichterte122• War die Vermutung stark, so kehrte sie die Beweislast um: die Gegenseite mußte beweisen, daß ihre getane Äußerung unrichtig wart23. 5. Beweisaufnahme ("Enqueste") 124
So wie alle anderen Prozeßhandlungen unterlag auch die Beweisaufnahme strikt der Parteimaxime. Das Gericht versuchte nicht von sich aus, den Sachverhalt zu erforschen, sondern es wartete auf Beweisanträge der Parteien und reagierte auf sie. Beweis konnte - so wie heute - durch Augenschein, Urkunden, Zeugen und Sachverständige gebracht werden. Der Beweispflichtige konnte zudem anstelle eines anderen Beweises beantragen, daß die Gegenpartei zu dem Beweisthema schwören solle125 • Der
120 Die Juristen des ius commune konnten sie in dickleibigen Repertorien nachschlagen- vor allem bei lacobus Menochius, Tractatus de praesumptionibus, mehrfach gedruckt, zum Beispiel Genevae, 1686; Iosephus Mascardus, De probationibus, ebenfalls mehrfach gedruckt, zum Beispiel Francofurti, 1661. 121 ,,Reus in exceptione actor est, et probare debet quod excipitur": D. 44, 1, 1 plus D. 22, 3, 9 in fme. Das Grundprinzip ist ausgedrückt in Decr. Grat. C. 6 q. 5 c. 1; X 5, 1, 18; C. 4, 19, 8 et 20; C. 2, 1, 4; D. 22, 3, 21 = Inst. II, 20, 4 in fine. 122 D. 42, 2, 6, 3; D. 16, 3, 25, 2; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V; Deel XXI, Nr. 3 - 5. 123 D. 22, 3, 25, 3. 124 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel IV; Antonius [II] Matthaeus, De probationibus liber, Trajecti ad Rhenum 1750; Carl Groß, Die Beweistheorie im canonischen Prozeß (Fn. 119). 125
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X 2, 24; 6. 2, 11; D. 12, 2, 3 pr. et per totum titulum; C. 4, 1, 1 et 8; D. 22, 3,
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zum Eid aufgeforderte Beweisgegner konnte dann, anstatt selber zu schwören, den Eid "zurückschieben", indem er den Beweisführer aufforderte, die zu beweisenden Tatsachen zu beeiden. Ein geschworener zugeschobener oder zurückgeschobener Eid trat prozessual an die Stelle einer Beweisaufnahme. Er verschloß die Möglichkeit, auf andere Weise Beweis zu erbringen 126 . Der Eid wurde erst nach dem Endurteil fällig. Sollten Urkunden ("Munimenten"; "Brieven") zum Beweise dienen, so mußte die Gegenpartei Gelegenheit erhalten, diese Urkunden im Original zu sehen 127• Infolgedessen wurde, wenn eine Urkunde nur in Abschrift zur Akte gegeben werden sollte, zuvor die Gegenpartei geladen, um anwesend zu sein, während der Griffier die Urkunde untersuchte und dann anhand der Original-Urkunde die Abschrift authentisierte128 • Dies entsprach den Vorschriften des römischen Rechts129 • Niemand konnte die Gegenseite zwingen, irgendwelches ihr privat gehörendes mögliches Beweismaterial vorzulegen, sofern nicht die Gegenseite selbst sich zum Beweise auf dieses Material bezogen hatte 130• Diese Regel war aus dem römischen Recht übernommen131 und durch kanonisches Recht bestätigt worden132• In jüngster Zeit ist im englischen und dann auch im südafrikanischen Recht eine Pflicht zur Offenlegung ("discovery") eingeführt worden. Dies hatte keine Parallele im Zivilprozeß des ius commune. Bei der Auslegung von Urkunden sollten die Gerichte in freier Interpretation den Sinn des Geschriebenen erforschen. Zwar gab es zahlreiche in der Rechtspraxis entwickelte praesumptiones hominis in Bezug auf die Bedeutung von einzelnen Wörtern, Ausdrücken und Klauseln. Diese praesumptiones schlossen aber nicht etwa die freie Interpretation aus, wie dies oft fälschlich in der modernen Literatur behauptet wird, sondern sie gaben lediglich Anhaltspunkte und konnten eventuell die Beweislastverteilung beeinflussen. Beantragte eine Partei die Vernehmung bestimmter Zeugen, so wurde ihr eine Frist gesetzt, normalerweise zwei Wochen, um diese Zeugen vor Gericht zu bringen oder vorladen zu lassen. Die Gegenpartei mußte mindestens 24 Stunden im voraus geladen werden, um bei der Vorführung ("Productie") der
c. 4,
1, 11. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXVIII. 128 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel IV, Nr. 4; Boek IV, Deel LXVI, Nr. 4. 129 C. 2, 1, 7 mit Authentica "Si quis in aliquo" = Nov. 119, 3. 130 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXVI, Nr. 6. 131 C. 2, 1, 1 et 4-6 et 8. 132 X 2, 19, 1. 126
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Zeugen und bei ihrer anschließenden Vereidigung anwesend zu sein133 , entsprechend dem römischen Recht134• Die Zeugen wurden nach ihrer Vorführung und Vereidigung einzeln zur Sache vernommen. Bei denjenigen Gerichten, die insofern strikt dem ius commune folgten, geschah dies durch das Gericht allein, in Abwesenheit der Parteien und ihrer Vertreter135, entsprechend dem alten Brauch bei kirchlichen Gerichten, der dem biblischen Vorbild des Zeugenverhörs bei Daniel folgte136• Die Protokolle der Zeugenaussagen wurden versiegelt zu den Gerichtsakten genommen und erst dann den Parteien eröffnet, wenn zu dem fraglichen Beweisthema keine weiteren Zeugen mehr gehört werden sollten. Nach dem Zeugenverhör hatten die Parteien Gelegenheit, die Sachdienlichkeit, Vollständigkeit und Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen anzugreifen ("Reproche") oder zu verteidigen ("Salvatie") 137 • Ergaben sich dabei Gesichtspunkte, die beim Zeugenverhör nicht berücksichtigt worden waren, so konnte das Gericht die betreffenden Zeugen nochmals ergänzend hören. Wenn Zeugen geheim durch das Gericht allein vernommen wurden, konnten die Parteien zwar die Zeugen nicht direkt befragen. Der Beweisführer konnte aber vor der Vernehmung Listen von Tatsachenbehauptungen ("Articulen") und I oder Fragen ("lnterrogatorien") einreichen, zu denen das Gericht die einzelnen Zeugen hören sollte. Diese Listen wurden dem Beweisgegner mitgeteilt, so daß er seinerseits Gelegenheit hatte, eine Liste mit Gegenfragen oder ergänzenden Fragen einzureichen ("Contra-Interrogatorien").
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek ll, Deel IV, Nr. 1. C. 4, 20, 19; D. 48, 5, 28; Nov. 90. 135 Ich zweifle, ob diese Vorschrift des ius commune jemals voll bei den unteren Gerichten rezipiert wurde. Aus der Formulierung bei Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XX, Nr. 26, kann man herauslesen, daß er Zeugenverhöre erlebt hatte, die nicht geheim waren. Hingegen berichtet Van der Linden noch 1798 (op. cit., Fn. 10, Boek Ill, Hooftstuk IV, § 13) daß der Hof van Holland geheime Zeugenverhöre durchführte. Auch der Gesetzesentwurf von 1804 für das Beweisrecht setzt in art. 4764 stillschweigend voraus, daß die Parteien nicht beim Zeugenverhör anwesend sind: Bronnen van de Nederlandse codificatie sinds 1798. I. Stukken van algemene aard. Oe gedrukte ontwerpen van 1804 en hun voorgeschiedenis, verzameld door Mr. H. Aa, uitgegeven door Mr. J.Th. de Smidt en A.H. Huussen Jr., 1968, S. 437-441 [Werken der Vereeniging tot uitgaaf der bronnen van het oud-vaderlandsche recht, derde reeks, no. 22]. 136 Altes Testament, Buch Daniel 13, 51-59. Die Worte "iudicantis intrare secretum" in C. 4, 20, 14, die zwar einen abgeteilten Raum bezeichnen, aber durchaus nicht einen "geheimen" Raum, wurden jedoch in diesem Sinne mißverstanden. 137 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXXVIII-LXXIX. 133 134
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Selten wurde bei einem Zeugenverhör oder einer Augenscheinseinnahme das Gericht insgesamt tätig. Die unteren Gerichte überließen solche Aufgaben meist zwei beauftragten Schöffen ("Gecommitteerde Schepenen") oder sogar dem Secretaris ganz allein. Die Obergerichte setzten für gewöhnlich einen Gerichtsrat als Beauftragten ein ("Commissaris"; "Gecommitteerde")138 • Wohnte ein Zeuge weit entfernt, so konnte das Prozeßgericht an das Gericht jenes Ortes einen Brief senden ("Letteren requisitoir") und bitten, die Vernehmung dort durchzuführen 139• Alternativ konnte das Prozeßgericht beliebige vertrauenswürdige Personen am Ort als Beauftragte ("Commissarissen") einsetzen. Zeugen, die nicht freiwillig kamen, konnte der Beweisführer vor Gericht laden lassen. Blieb ein Zeuge dann aus und bewies das Ladungsprotokoll, daß dieser Zeuge sich im Gerichtsbezirk aufgehalten hatte, somit also säumig war, so entzog das Gericht diesem Zeugen das Recht auf Unkostenersatz, lud ihn erneut vor und drohte ihm dabei Haft an ("Geyselinge") für den Fall erneuter Säumnis140• Enge Verwandtschaft oder Verschwägerung, dazu auch berufliche Privilegien oder die Gefahr, sich selbst beschuldigen zu müssen, gaben einem Zeugen das Recht, die Aussage zu verweigern141 . In Ausnahmefällen, nämlich wenn das Ableben eines Zeugen zu befürchten war oder ein Zeuge im Begriff war, nach Übersee abzureisen, konnte das Gericht oder notfalls ein öffentlicher Notar gebeten werden, den betreffenden Zeugen im Voraus zu vernehmen, noch bevor der Prozeß anhängig oder die Beweisaufnahme angeordnet war142• Auch in diesem Ausnahmefall sollte, wenn irgend durchführbar, der zukünftige Beweisgegner geladen werden, um bei der Vorführung und Vereidigung des Zeugen anwesend zu sein 143 . Bei der Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme hatte das Gericht weitgehend freies Ermessen; denn wenn ein Beweis nach Meinung des Gerichts zwar nicht voll erbracht, aber doch immerhin teilweise erbracht war ("halve Preuve"), so konnte das Gericht dem Beweisführer erlauben, seinen
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LX-LXI. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel IV, Nr. 1.2; Boek IV, Deel LXV, Nr. 2. 140 D. 22, 5, 19, argurnenturn e contrario; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 7; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XX, Nr. 21. 141 X 2, 21; C. 4, 20, 6; D. 22, 5, 4-5 et 8; D. 22, 5, 19-20. Diese Fälle wurden durch Analogie erweitert. 142 Analogie zu C. 4, 20, 20. 143 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel IV, Nr. 3; Boek IV, Deel LXV, Nr. 18. 138 139
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Beweis durch Eid zu ergänzen 144• Es konnte jedoch auch im Gegenteil dem Beweisgegner gestatten, durch seinen Eid den halb erbrachten Beweis zu entkräften. Das Gericht hatte also weiten Ermessensspielraum. Bei der Abwägung der Entscheidung spielten die oben erwähnten "praesumptiones hominis" eine wichtige Rolle145 • Das Gericht mußte beachten, daß zu einem vollständigen Zeugenbeweis mindestens zwei voll taugliche Zeugen erforderlich waren. Ein einzelner Zeuge genügte nur in Sonderfallen146• Die Tauglichkeit eines Zeugen bestimmte sich nach festen Regeln, die abstrakt die generelle Glaubwürdigkeit des Zeugen im Auge hatten, ohne Rücksicht auf die konkrete Glaubhaftigkeit des gerade abgelegten Zeugnisses. Verwandtschaftliche und andere Beziehungen zu den Parteien, Armut oder Einfalt des Zeugen, sittlich anstößiger Lebenswandel und vieles andere machten einen Zeugen untauglich zu vollständigem Beweis147• Diese formellen Regeln hinderten nicht die freie Beweiswürdigung; denn wenn ein Zeugenbeweis wegen dieser Regeln "unvollständig" blieb, obwohl die Aussagen glaubhaft waren, so konnte das Gericht, wie gesagt, zulassen, daß der Beweisführer den Beweis durch seinen Eid ergänzte. Hingegen ersparten die Tauglichkeitsregeln viele Peinlichkeiten: In den meisten Fällen, in denen ein Gericht der Aussage eines Zeugen nicht glauben wollte, konnte es den Zeugen als "untauglich" oder als Einzelzeugen ansehen und war der Peinlichkeit enthoben, ihn als Lügner oder Phantasiecer bloßzustellen. 6. Schlußplädoyers
War keine Beweisaufnahme mehr nötig oder sollte lediglich Beweis mittels Urkunden geführt werden (= ,,Zaaken in Rechten bestaande"), so wurde den Parteien aufgegeben, durch Wechseln von Schriftsätzen die Angelegenheit entscheidungsreif zu machen ("Acten maken")148 • Dabei mußte jeder Schriftsatz bereits in der darauf folgenden Woche beantwortet sein, in der
144 Beispiel: D. 16, 3, 25, 2; Verfahren: D. 12, 2, 31 ,.solent enim ... "; C .. 4, 1, 3 et 9; Merula. op. cit., Fn. 1, Boek IV, Dee1 LXXI; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXII, Nr. 3-6. 145 Oben, Fn. 120. 146 C. 4, 20, 4 et 9 in fine; D. 22, 5, 12; Merula, op. cit., Fn. I, Boek IV, Deel LXV, Nr. 7; Boek IV, Deel LXV, Nr. 13.1. 147 D. 22, 5 und C. 4, 20; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XX, Nr. 1519. 148 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LVIII.
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dann kommenden Woche die Erwiderung eingereicht werden, und so fort149 • Plädoyers hießen "Dingtalen" oder, wenn schriftlich eingereicht, "Memorien", "Informatien", "Advertissementen" oder "Motieven". Nach den Schlußanträgen ("Conclusie") erhielten die Parteien Frist, um den Inhalt der bei Gericht deponierten Aktenbeutel und das zugehörige Inventar zu vervollständigen 150• Möglichst rasch danach sollte das Urteil gefällt werden, bei unteren Gerichten spätestens innerhalb von zwei Wochen. Bei den Obergerichten gab der Präsident die Akten an einen der Gerichtsräte als Berichterstatter ("Rapporteur'')151 • Dieser erarbeitete einen Urteilsvorschlag. Darüber wurde beraten und abgestimmt. Allerdings mußten die Parteien oft lange auf eine Entscheidung warten. Es gab bei den Obergerichten "Drängler" (Sollicitanten), d.h. Personen, die es zu ihrem Beruf machten, dem Gerichtspersonal solange durch Bittschriften und Vorsprache lästig zu fallen, bis eine bestimmte Angelegenheit endlich beraten und entschieden wurde152• 7. Urteil
Für Urteile gab es zwei verschiedene rechtstechnische Bezeichnungen. Diejenigen Urteile, gegen die keine Berufung möglich war, hießen "Arrest". Alle anderen Urteile wurden bei den Obergerichten "Sententie" genannt, bei den unteren Gerichten meist "Vonnis". Im Urteil wurde der Beklagte entweder verurteilt ("gecondemneert") oder von der Klage befreit ("geabsolveert"). Zudem verfügte das Gericht normalerweise, daß die der obsiegenden Partei entstanden Kosten zu erstatten seien153. In besonderen Fällen aber, nämlich wenn die unterliegende Partei nicht hatte voraussehen können, daß sie den Prozeß verlieren würde, wurden die Kosten der Parteien gegeneinander aufgehoben ("Compensatie"). Wenn nach Meinung des Gerichts deutlich war, daß der eingeklagte Anspruch tatsächlich bestand, aber noch Einzelheiten geklärt werden mußten, so konnte das Gericht ein Grundurteil verkünden und die Klärung der Einzel-
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LVII, Nr. 1.6. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXXXIV; siehe oben, VII: ,,Aktenführung". 149
150 151 152 153
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXXXVI. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XIX. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXXXVIII, Nr. 1.14-15.
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heiten aufschieben, bis das Grundurteil rechtskräftig ("gehomologeert") war! 54. War das Ergebnis des Rechtsstreites abhängig von einem zu schwörenden Eid des Beklagten oder des Klägers, so erging ein zweizüngiges Urteil - wie im germanischen und im mittelalterlichen Prozeß: Das Urteil setzte einen Termin für den Eid und bestimmte alternativ die Wirkungen, die eintreten sollten, falls der Eid erfolgte oder nicht erfolgte. Auf diese Weise erreichte man, daß der Eid erst und nur dann geschworen wurde, wenn keine Berufung gegen das Urteil eingelegt wurde155 • Das Urteil enthielt nur die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts, den Urteilstenor und eine kurze Zusammenfassung des Sach- und Streitstandes. Rechtsausführungen enthielt es normalerweise nicht. Sie waren unerwünscht, denn gemäß dem ius commune waren Urteile, die irrige Rechtsauslegungen enthielten, nichtig156• Hätte ein Urteil rechtliche Gründe für die Entscheidung dargelegt, dann wäre damit der unterlegenen Partei ein Vorwand geliefert worden, um wegen angeblicher Fehler in der rechtlichen Begründung zu behaupten, das Urteil sei nichtig. Die Parteien wußten ohnehin auch ohne offizielle rechtliche Begründung recht genau, warum sie den Rechtsstreit gewonnen oder verloren hatten, denn sie kannten ja die im Prozeß vorgetragenen rechtlichen Argumente. Es gab gedruckte Sammlungen von Entscheidungen des Hof van Holland und des Hooge Raad mit Begründung157 • Die Anwälte zitierten in ihren Plädoyers diese sowie auch ungedruckte Entscheidungen158 • Jedoch waren die Begründungen in den Druckausgaben nicht gerichtsoffizielL Es handelte
Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXIV, Nr. 10 § 3. Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXII, Nr. 14; Rhynvis Feith, De decisoire eed, Diss. jur. Leiden, Doesburgh, 1892; Johannes Jacobus de Waal Malefijt, De eed ter beslissing van het geding, Diss. jur. Amsterdam, 1907. 154
155
156 D. 26, 2, 26 pr.; D. 49, 1, 19; C. 7, 64, 2, gegen D. 42, 1, 32; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel LXXXVDI, Nr. 1.13. Zu diesem Thema Philippe Godding, Jurisprudence et motivation des sentences, du moyen age a Ia fin du 18• siecle, in: Ch. Perelman/F. Foriers (Hg.), La motivation des decisions de justice, Bruxelles, 1978, S. 37 ff.; nochmals gedruckt in Miscellanea Consilii Magni (Fn. 16), S. 121 ff; idem, La motivation des arrets du Grand Conseil de Malines au 16° siecle, (1977) 45 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 155.
157 E. M. Meijers, Uitgegeven en onuitgegeven rechtspraak van den Hoogen Raad en van het Hof van Holland, Zeeland en Westfriesland, (1918 -1919) 1 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 400-421; Wagner, Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen, Niederlande (Fn. 4 ). 158 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXXI, Nr. 13 f.
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sich vielmehr um private Notizen von Gerichtsräten oder um Extrakte aus Plädoyers von Anwälten 159• 8. Berufung ("Appellatie"; "Provocatie")
Gegen die Urteile einiger niederer Gerichte bei niedrigem Streitwert gab es keine Berufung160• In der Regel jedoch konnte man gegen alle Endurteile sowie auch gegen diejenigen Zwischenurteile und Beschlüsse, deren Folgen nicht im Endurteil beseitigt werden konnten, binnen zehn Tagen nach Verkündung Berufung einlegen 161 • Die Berufung wurde bei dem Gericht eingelegt, dessen Entscheidung man anfocht. Der Rechtszug ging für gewöhnlich von Dorfgerichten oder untergeordneten Stadtgerichten an die Haupt-Schöffenbank der Bezirksstadt Gegen deren Urteil gab es bei genügend hohem Streitwert die Berufung an den Raad van Holland, Zeeland en Vriesland, und dessen Entscheidungen wiederum konnten unter bestimmten Voraussetzungen mit der Berufung an den Hooge Raad angefochten werden. Es konnte also vorkommen, daß ein Prozeß vier Instanzen durchlief, nämlich wenn er beim Dorfgericht begann und dann dreimal Berufung eingelegt wurde. Die Rechtsmittelfrist lief ab Urteilsverkündung. Hatte der Verurteilte unverschuldet erst spät von dem Urteil Kenntnis erhalten, aber von da ab gerechnet innerhalb von zehn Tagen Berufung eingelegt, so konnte er mittels "Request civil" beim Rechtsmittelgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen 162• Trotz Anhängigkeil der Berufung durfte unterhalb eines gewissen Streitwertes die obsiegende Partei dennoch gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstrecken (= "Executie op Cautie de restituendo"), sofern nicht dadurch ein nicht wiedergutzumachender Schaden geschah oder im Einzelfall das Berufungsgericht ausdrücklich ein Vollstreckungsverbot ("Inhibitie"; "Schorsing") anordnete163 • Die Streitwertgrenze für vorläufige Vollstreckung war bei den einzelnen Städten, Landschaften und Dörfern verschieden hoch. Hier
159
Wagner, Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen, Niederlande (Fn. 4),
160
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel Vill, Nr. 1. Authentica ,,Hodie" post C. 7, 62, 6 ex Nov. 23 cap. 1. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel lll, Nr. 2.7; Boek IV, Deel IV, Nr. 1.3. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel VI, Nr. 2-8.
s. 1399-1416. 161 162 163
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galten ofunals Privilegien fort, die dem betreffenden Ort vor langer Zeit verliehen worden waren. 9. Das besondere Rechtsmittel "Reformatie"
Beim Hooge Raad und beim Hof van Holland, Zeeland en Vriesland gab es zwei verschiedene Rechtsmittel gegen Urteile untergeordneter Gerichte, nämlich einerseits Berufung, andererseits ,,Reformatie"164 • Dreierlei Unterschiede bestanden zwischen Berufung und ,,Reformatie". Erstens war die Rechtsmittelfrist viel länger: Während Berufung binnen zehn Tagen beim urteilenden Gericht eingelegt und dann zügig beim Rechtsmittelgericht verfolgt werden mußte, wurden Anträge auf ein "Mandament van Reformatie" noch bis zu einem Jahr nach Urteilsverkündung zugelassen. Zweitens galten bei ,,Reformatie" andere Gerichtskostenregeln. Die Gerichtskosten trafen in jedem Fall den Antragsteller, selbst wenn er bei dem Rechtsmittel obsiegte. Drittens hinderte ein Antrag auf "Reformatie" nicht die Zwangsvollstreckung aus dem angegriffenen Urteil, sofern der Vollstreckende genügende Sicherheit ("Cautie") stellte - es sei denn, daß das Obergericht ausnahmsweise in dem "Mandament van Reformatie" eine "Clausule van Surcheantie" gewährte. Eine solche Klausel erzeugte gleiche Wirkung wie "Inhibitie" bei einer Berufung, wurde aber seltener erteilt. 10. Verfolgung eines Rechtsmittels
Wer ein Rechtsmittel eingelegt hatte, mußte innerhalb gewisser Fristen veranlassen, daß das Rechtsmittelgericht den Prozeß aufnahm 165 , anderenfalls konnte der Gegner das Rechtsmittel dort für "verlassen" (desert) erklären lassen 166. Bei Berufungen war die Frist kurz: Sie betrug beim Hof van Holland zwanzig Tage nach Berufungseinlegung, beim Hooge Raad vierzig Tage. Bei ,,Reformatie" hingegen war die Frist extrem lang: Man hatte ein Jahr lang Zeit, um beim Rechtsmittelgericht ein "Mandament van Reformatie" zu erwirken und dann den Gegner vor das Rechtsmittelgericht laden zu lassen und darzulegen, inwiefern das angefochtene Urteil fehlerhaft sei
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek Il, DeeliX, Nr. 1. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel III, Nr. 2.8; Boek IV, Deel III, Nr. 13. 166 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel III, Nr. 6; Boek IV, Deel CX; Boek IV, Deel CXII. 164 165
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("Propositie van Erre&Jr"). Wer die Fristen voll ausnutzte, konnte also einen Prozeß lange verzögern! Wer ein Rechtsmittel eingelegt und dadurch erreicht hatte, daß nunmehr die Vollstreckung des angefochtenen Urteils unzulässig war, der tat gut daran, dies umgehend der Gegenpartei mitzuteilen; denn etwaige nun unzulässige Vollstreckungsmaßnahmen ("Attentaten") wurden nur dann gerichtlich beseitigt, wenn der Vollstreckende gewußt hatte, daß ein Rechtsmittel eingelegt war. Nachdem das Verfahren beim Rechtsmittelgericht in Gang gesetzt war, mußte der Rechtsmittelführer dafür sorgen, daß diese Tatsache dem unteren Gericht mitgeteilt wurde ("Inthimatie") - mit dem Anerbieten, an dem Verfahren beim Rechtsmittelgericht teilzunehmen, um das angefochtene Urteil zu verteidigen 167 • Zudem mußte der Rechtsmittelführer beim unteren Gericht beantragen, das angefochtene Urteil schriftlich auszufertigen 168 und mit den Akten an das Rechtsmittelgericht zu übersenden - falls überhaupt Akten vorhanden waren. Weigerte sich das untere Gericht oder blieb es untätig, so konnte der Rechtsmittelführer beim oberen Gericht beantragen, einen Befehl mit Strafandrohung ("Clausule compulsoriaal'') zu erlassen. Blieb auch dies erfolglos, so konnten schärfere Befehle ("Compulsoriales arctiores") erlassen werden. Vor dem Rechtsmittelgericht durften die Parteien im Prinzip keine neuen Tatsachen vorbringen, die bereits in der Vorinstanz hätten vorgebracht werden können. Auch verhörte man normalerweise nicht neuerlich Zeugen, von denen sich bereits ein Aussageprotokoll bei den Akten befand. Infolgedessen prüfte der Hooge Raad die Urteile des Hof van Holland lediglich anhand der Akten. Bei Rechtsmitteln gegen Urteile von Dorf- oder Stadtgerichten jedoch gewährten die Obergerichte Ausnahmen von diesen Einschränkungen169 • Im übrigen verlief das Rechtsmittelverfahren weitgehend parallel dem Verfahren in erster Instanz. 11. Revision
Auch Urteile des Hooge Raad konnten angefochten werden. Man konnte nämlich binnen zwei Jahren nach Urteilsverkündung die Staten van Holland
168
Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXV, Nr. 10. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel III, Nr. 8-9.
169
Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXV, Nr. 11.
167
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anrufen und sie bitten, eine Revision der Prozeßakten anzuordnen ("Mandament van Revisie") 170• Binnen eines Jahres nach dieser Anordnung mußte man dann den Prozeßgegner vorladen lassen und darlegen, inwieweit das angefochtene Urteil fehlerhaft sei. Wer die Fristen voll ausnutzte, konnte einen Prozeß also drei Jahre lang hinhalten! Die Bitte um Revision richtete sich nicht an eine höhere Instanz, da ja auch der Hooge Raad selbst Landesobrigkeit war. Deshalb war die Bitte nicht ein Rechtsmittel im eigentlichen Sinne, sondern ließ sich vergleichen mit der supplicatio a Papa male informato ad Papam melius informandum des kanonischen Rechts. Revisionsverfahren waren selten. Normalerweise verhinderten sie nicht die Vollstreckung des Urteils. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen wurde Aussetzung der Zwangsvollstreckung bewilligt. Die Staten van Holland setzten eine Revisionskommission von sieben Rechtsgelehrten ein, um gemeinsam mit den Mitgliedern des Hooge Raad den Fall zu untersuchen und zu entscheiden. Gewöhnlich wurden fünf städtische Rechtsräte ("Pensionarissen") und zwei Räte des Hof van Holland zu Kommissionsmitgliedern ernannt. 12. Gerichtsgebühren
Bei allen Gerichten mußten die Parteien bereits während des Prozesses einzelne Gebühren an Schreiber, Türhüter, Boten und so fort bezahlen. Nach dem Urteil schuldete bei den unteren Gerichten die unterlegene Partei meist eine Pauschalsumme, nämlich bei Stadtgerichten l I 30 des Streitwertes, maximal aber 6 Gulden; bei Dorfgerichten 1 I 50, maximal aber 3 Gulden. Bei den Obergerichten hingegen hatte der Berufungskläger im Voraus eine Geldsumme zu hinterlegen, die dem Gericht verfiel, falls die Berufung zurückgewiesen wurde, nämlich beim Hof van Holland am Ende des 18. Jahrhunderts 40 Gulden und beim Hooge Raad 75 Gulden171 . Für das Rechtsmittel ,,Reformatie" war ebenfalls eine Gebühr im Voraus zu zahlen. Sie verfiel in jedem Fall, auch wenn das Rechtsmittel Erfolg hatte, und die unterliegende Partei brauchte diese Summe nicht zu erstatten.
170 171
Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXV, Nr. 7-9. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel III, Nr. 14 f.
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IX. Zwangsvollstreckung (,,Executie"; "Uitwinning")172 Als Vollstreckungstitel dienten nicht nur Urteile, Mandate und Beschlüsse von Gerichten, sondern auch Schiedssprüche, die von einem Gericht für vollstreckbar erklärt waren. Jedoch war es in Holland nicht möglich, guarantigiierte Urkunden zu errichten, also Dokumente, in denen ein Schuldner sofortige Zwangsvollstreckung ("parate Executie") ohne vorherige Ladung und Ausklagung bewilligte173• Stattdessen wurde in der Notariatspraxis ein gleichartiger Effekt erreicht, indem man in die Schuldurkunde eine Klausel aufnahm, worin der Schuldner bereits im voraus dem Notar eine unwiderrufliche Prozeßvollmacht erteilte, um die Forderung vor Gericht anzuerkennen und somit ein Anerkenntnisurteil ("willige Condemnatie") herbeizuführen. Als Gerichtsvollzieher fungierte normalerweise die Person, die auch Ladungen zuzustellen hatte, also bei unteren Gerichten der ,,Roedrager" des Gerichts und bei den Obergerichten der örtlich zuständige "Deurwaarder". Das Gericht konnte jedoch auch an andere Personen Befehle zwecks Vollstrekkung eines Urteils erteilen ("Letteren executoriaal"). 1. Zwangsvollstreckung bei Verurteilung zu einer Zahlung
Die Zwangsvollstreckung wurde dadurch eingeleitet, daß die obsiegende ("toegewesen") Partei den zuständigen Gerichtsvollzieher beauftragte, der unterlegenen ("verwesen") Partei das Urteil zuzustellen. Dabei wurde die unterlegene Partei aufgefordert, dem Urteil binnen 24 Stunden nachzukommen ("Sommatie"). Nach Ablauf der Frist wurde nochmals eine Nachfrist von 24 Stunden gesetzt (,,Renovatie"). Hatte der Schuldner weder erfüllt noch vom Gericht Aufschub erwirkt, so pfändete der Gerichtsvollzieher genügend viel von der Habe des Schuldners, um die Forderung abzudecken. Der Schuldner konnte Forderungen abtreten oder bestimmte Güter bezeichnen, die gepfändet werden sollten, anderenfalls wählte der Gerichtsvollzieher nach Gutdünken. Grundstücke durfte er nur dann wählen, wenn die bewegliche Habe des Schuldners nicht ausreichte.
172 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek li, Deel VII, Nr. 1-4; Boek IV, Deel XCITI-IC; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXVI. 173 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel VIII, Nr. 3.
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Die Zwangsvollstreckung konnte innerhalb des gesamten Gerichtsbezirks des Prozeßgerichts betrieben werden174• Wollte der Gläubiger Güter pfanden lassen, die außerhalb dieses Bezirks belegen waren, so mußte er zuvor das Prozeßgericht bitten, an das für die Güter zuständige Gericht ein Amtshilfe-Ersuchen zu senden ("Letteren requisitoir")175 • Die gepfändeten Güter wurden öffentlich versteigert - bewegliche Habe frühestens sechs Tage nach Pfändung, Grundstücke frühestens vier Wochen nach Pfändung. Von dem Erlös wurden die Kosten bezahlt und der Gläubiger befriedigt. Der Überschuß wurde an den Schuldner zurückgegeben. Blieb die Pfändung fruchtlos oder ungenügend, so konnte der Gläubiger den Schuldner in Haft nehmen lassen, bis jemand für ihn die Schuld bezahlte. Für die Verpflegungskosten und sonstigen Kosten während der Haft mußte der Gläubiger aufk:ommen 176• Der Schuldner konnte die Haft vermeiden, indem er gemäß den Regeln des römischen und kanonischen Rechts beim Hooge Raad als Vertreter der Landesobrigkeit Schuldbefreiung erwirkte, unter Preisgabe seines gesamten Vermögens ("Cessio Bonorum") an die Gläubiger. 2. Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen
Grundstücke und andere Güter, die der obsiegenden Partei durch Urteil zugesprochen worden waren, wurden der unterlegenen Partei durch den Gerichtsvollzieher weggenommen und der anderen Partei übergeben. Dies geschah, nachdem der unterlegenen Partei nach Urteilszustellung drei Tage Frist gesetzt worden waren, um freiwillig die Güter zu übergeben m. 3. Zwangsvollstreckung zur Erzwingung von Handlungen 178
Oft wurde jemand verurteilt, Rechnung zu legen oder eine Erklärung abzugeben oder eine sonstige Handlung vorzunehmen, zum Beispiel eine beleidigende Behauptung zu widerrufen. Es war sogar möglich, jemanden dazu zu
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel VII, Nr. 5. Argument aus D. 42, 1, 15, 1 "si hoc iussi fuerint"; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel V, Nr. 13. 176 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel VII, Nr. 6. 177 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel VII, Nr. 7 f. 178 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel VII, Nr. 9. 174 175
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verurteilen, eine bestimmte Person zu heiraten! Zur Erzwingung forderte der Gerichtsvollzieher den Verurteilten zweimalig mit vierundzwanzig Stunden Frist auf, dem Urteil nachzukommen. Bei Erfolglosigkeit wurde der Verurteilte unter Hausarrest ("Geyselinge") gestellt179, in einer "sicheren Herberge". Brach der Verurteilte den Hausarrest, oder blieb er zwei Wochen trotz Hausarrest hartnäckig, so lieferte ihn der Gerichtsvollzieher ins Gefangnis ein, auf Kosten des Obsiegenden. Dort blieb er, solange der Obsiegende dies wünschte und weiter die Kosten zahlte. Nach frühestens einem Monat Gefangnisaufenthalt konnte der Obsiegende beim Prozeßgericht beantragen, den Verurteilten zu einer Summe Geldes zu verurteilen, mit deren Hilfe der Obsiegende die schädlichen Folgen der Weigerung ausgleichen konnte, beispielsweise durch Ersatzvomahme. 4. "Verjährtes Urteil" (Verjaard Vonnis)
Untere Gerichte durften nur innerhalb eines Jahres nach Urteilsverkündung Vollstreckungsmaßnahmen treffen, ausgenommen die Gerichte von Amsterdam und Middelburg, die insofern Sonderrechte hatten. Für ein "verjährtes Urteil" konnte man jedoch beim Hof van Holland oder beim Hooge Raad eine Vollstreckungsklausel (,,Executorium") beantragen 180• Dies galt aber ebenfalls nur für ein Jahr, konnte jedoch erneuert werden. Der Hof van Holland gewährte Vollstreckungsklauseln nur auf Urteile, die maximal fünf Jahre alt waren. War ein Urteil älter als 10 Jahre, so erteilte auch der Hooge Raad kein Executorium mehr. X. Besondere Verfahrensarten 1. Urkunden- und WechselprozeR ("Provisie van Namptissement'')
Wer eine Geldforderung einklagte, die der Beklagte schriftlich anerkannt hatte, konnte einen "provisorischen Befehl zur Pfändung" beantragen ("Provisie van Namptissement"; "Hand-Vulling")181 • Diese dem ius commune
179 Irving C. Steyn, Gijzeling. The historical development of the mode of proceeding in "gijzeling" in the Provincial Court of Holland from 1331, Leiden, 1939. 180 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XXIV, Nr. 12; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel II, Nr. 23. 181 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXVII, Nr. 2.3 Fn. 5.
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fremde 182 Regel war in den Niederlanden und in Nordfrankreich weit verbreitet. In der "Provisie" befahl das Gericht dem Beklagten, vorab die Forderung an den Kläger zu bezahlen - gegen dessen Sicherheitsleistung für den Fall, daß der Kläger im Hauptprozeß unterliegen sollte. Ein besonderes Vorrecht genossen Kaufleute, die ordnungsgemäß Buch führten. Ein von ihnen vorgelegter und beeidigter Auszug aus der Buchführung genügte, um bei einem Antrag auf "Namptissement" den erforderlichen Prima-Facie-Beweis für die eingeklagte Schuld zu erbringen183 • In Südafrika ist dies Vorrecht erhalten geblieben, gilt aber nur noch zugunsten von Geldinstituten und nur, wenn der Schuldner dies vertraglich bewilligt hat. "Provisie van Namptissement" wurde für gewöhnlich unmittelbar nach der Klageerhebung beantragt, vor der Einlassung des Beklagten zur Sache184• Es war prozeßtechnisch vorteilhaft, dem Beklagten schon mit der Ladung eine Kopie der Unterlagen für den Namptissementsantrag zustellen zu lassen. Sofern dies erfolgt war, mußte der Beklagte gleich im ersten Termin die Echtheit der Urkunden und/oder die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung anerkennen oder bestreiten. Andernfalls konnte er zunächst eine Kopie verlangen und Bedenkfrist erbitten. Bei Bestreiten fand ein Nebenprozeß über diesen Streit statt. Er wurde so terminiert, daß er an denselben Tagen wie die Hauptsache verhandelt werden konnte185 • Je nach der Sachlage wurde dann "Namptissement" befohlen oder der Antrag zurückgewiesen. Entsprechend verlief das Verfahren, wenn der Beklagte sich nicht äußerte. Er wurde dann als säumig betrachtet, so als ob er nicht erschienen wäre. In diesem Falle erließ das Gericht auf Antrag des Klägers ein ,,Erstes Versäumnisurteil" (Eerste Default) 186• Sofern das Ladungsprotokoll erwies, daß dem Beklagten eine Kopie der Unterlagen für den Namptissementsantrag zugestellt worden war, sprach das Versäumnisurteil dem Beklagten das Recht ab, die Echtheit und/oder Ordnungsmäßigkeit dieser Unterlagen zu bestreiten. Auf nochmaliges Bestätigen des Klägers, daß die Schuld tatsächlich (noch immer) bestehe, erging dann ,,Provisie van Namptissement"187 .
182 Es gab Versuche, diese im Partikularrecht entwickelte Regel auf das römische Recht zu stützen, vor allem auf D. 42, 1, 31 "qui fatebuntur debere"; D. 13, 7, 10; D. 20, 6, 6, I; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XIX, Nr. 28. 183 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Bpek V, Deel XX, Nr. 11. 184 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel III, Nr. I. 185 Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XIX, Nr. 28. 186 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 2.1; Boek IV, Deel XXXIII, Nr. 3. 187 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 5.
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2. MandatsprozeR
In Fällen, in denen nach heutigem deutschem Prozeßrecht eine einstweilige Verfügung ergehen würde, konnte man seinerzeit in Holland ein "Mandament Poenaal" beantragen: einen gerichtlichen Befehl mit Strafandrohung für den Fall der Zuwiderhandlung. Mandate enthielten meist eine Rechtfertigungsklausel ("Clausule justificatoir"; "nisi causam"): Das Gericht stellte den Antragsgegner vor die Wahl, entweder das Mandat zu befolgen oder binnen einer bestimmten, vom Gericht gesetzten Frist zu erscheinen und sein Verhalten zu rechtfertigen. Das Gericht konnte aber auch Mandate ohne eine solche Klausel erlassen, denen man also sofort und unbedingt gehorchen mußte. Der Hooge Raad informierte sich am Ort des Geschehens, bevor er über einen Mandatsantrag beschloß: Ein Beauftragter des Gerichts ("Commissaris") zog ohne Wissen der Gegenpartei Erkundigungen über die Lage ein. Beim Hof van Holland hingegen war dies nicht üblich. Der wohl häufigste Anwendungsfall war Besitzschutz. Wenn verbotene Eigenmacht drohend bevorstand oder bereits verübt worden war, konnte man wahlweise beim Hof van Holland oder beim Hooge Raad beantragen, das Gericht möge dem Antragsgegner unter Strafandrohung befehlen, nicht die bisherigen Besitzverhältnisse zu stören. Der Hof erließ solche Befehle in Vertretung der Provinzobrigkeit, und der Hooge Raad handelte in Vertretung der Landesobrigkeit, als Wahrer des Landfriedens. Gegen ein Mandat konnte der Antragsgegner Einspruch erheben. In der Folge fand dann ein Prozeß über die Besitzlage statt188• In dem Besitzprozeß ("Possessorium"; "Summarium") wurde lediglich geprüft, ob Besitzverhältnisse in letzter Zeit eigenmächtig verändert worden waren. Die Eigentumsverhältnisse blieben außer Betracht; ebensowenig wurden mögliche schuldrechtliche Ansprüche auf Änderung der Besitzlage beachtet. Entsprechend wurde das Urteil formuliert: Es hob entweder das Mandat auf, oder es wies den Einspruch zurück. Wer im Besitzschutzprozeß unterlag, war dennoch nicht gehindert, seine behaupteten Ansprüche in anderer Weise gerichtlich zu verfolgen. Einen solchen Prozeß nannte man- um den Gegensatz zum Possessorium (Summarium) hervorzuheben - ein "Petitorium". Viele sachenrechtliche Prozesse
188 X 2, 12, 5 et totus titulus de causa possessionis et proprietatis; Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Band 1: Älteres Gemeines Recht, 1985, S. 282-290. 7 FeenstrafZimmermann
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begannen als Besitzschutzverfahren und liefen dann, nachdem der Besitz vorläufig durch ,,Provisie" zugewiesen war, als ,,Petitorium" weiter189• Wenn dem Gericht wegen der gebotenen Eile nicht genügend Zeit blieb, um das Possessorium (Summarium) ordnungsgemäß durchzuführen, konnte es vorab ein "Summariissimum" durchführen, um bis zur Entscheidung über das Possessorium den Besitzfrieden zu sichern. Ein Gerichtsbeschluß, durch den einer Partei vorläufig für die Dauer eines anhängigen Prozesses Besitz anvertraut wurde, hieß in Holland "Recreantie". Es kam auch vor, daß der Besitz stattdessen einem treuhändensehen Verwalter ("Sequester") anvertraut wurde. Dreierlei Arten von Besitzschutzverfahren waren beim Hof van Holland möglich: Maintenue, Complaincte und Reintegrande190• Sie sollen im folgenden nacheinander besprochen werden. Wer in unmittelbarer Zukunft eine eigenmächtige Entwehrung von Grundstücksbesitz befürchtete, konnte ein "Mandament van Maintenue" erwirken. Darin wurde dem zukünftigen Störer befohlen, den Erwirker ("Impetrant") des Mandats in Frieden zu lassen. Das Rechtsmittel entsprach also dem römischen interdieturn uti possidetis. Der Antragsgegner konnte sich wehren mit der Darlegung, er, der Antragsgegner, sei selbst im Besitz des Grundstücks, und dies nicht etwa aufgrund kürzlich verübter verbotener Eigenmacht War die Besitzstörung bereits erfolgt, so beantragte der Antragsteller (,,Requirant") ein "Mandament van Complaincte". Das Gericht befahl darin dem Antragsgegner ("Gerequireerde"), sofort den alten Besitzstand wiederherzustellen. Es kam gelegentlich vor, daß beide Parteien behaupteten, im Besitz gestört zu sein und beide ein solches Mandat gegen die andere Partei erwirkten. Maintenue und Complaincte entstammten dem Prozeßrecht des fränkischen Königsgerichts im frühen Mittelalter. Hingegen handelte es sich bei dem Verfahren "Reintegrande" um eine kirchenrechtliche Fortentwicklung des römischen interdieturn unde vi, die erst im Spätmittelalter aus dem kanonischen Recht in das weltliche Recht übernommen worden war. Der RechtsVan Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XIX, Nr. 30. Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXIII, Nr. 5; Boek IV, Deel XXIV, Nr. 10; Marius Johannes de Waal, Die moontlikheid van besitsherstel as wesenselement vir die aanwending van die mandament van spolie, Diss. jur. Stellenbosch. 1982, S. 10-27; T.W. Price, The possessory remedies in Roman-Dutch law, 1947; A.J.M. Kunst, Historische ontwikkeling van het recht, deel 2, Zwolle, 1968, S. 179-185; A.S. de Blckourt/H.F.W.D. Fischer, Kort begrip van het oud-vaderlands burgerlijk recht, 7. Aufl., 1959, S. 130-137. 189
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bebelf überlagerte sich in Bezug auf Grundstücke mit dem von "Complaincte", war aber vielseitiger anwendbar und ging in seinen Wirkungen weit über "Complaincte" hinaus. Der Name "Reintegrande" verweist auf einen kirchenrechtlichen Text, der mit dem Wort "Redintegranda" beginnt191 und folgende Rechtsprinzipien enthält: Jegliche eigenmächtige Entziehung ("Spoliatio") von Besitz oder Quasi-Besitz (beispielsweise eines Amtes oder irgendeiner sonstigen Rechtsposition) ist rückgängig zu machen. Solange dies nicht geschehen ist, kann der Eigenmächtige nichts bei Gericht gegen den Spoliierten veranlassen, denn das Gericht wird Gehör verweigern. Mit anderen Worten: Alle sachenrechtliehen, schuldrechtlichen oder auch sonstigen Ansprüche des Eigenmächtigen gegen den Spoliierten sind blockiert, bis die Folgen der Eigenmacht restlos beseitigt sind. Sofern dem Spoliierten mehr als die Hälfte seiner Güter entzogen wurde, ruhten auch sämtliche Prozesse von Dritten gegen den Spoliierten, ja sogar Anklagen im Straf- oder Disziplinarverfahren. Die Rechtswirkungen einer "Spoliatio" konnten mittels einer Einrede in einem Prozeß geltend gemacht werden. Der Spoliierte konnte aber auch von sich aus bei Gericht ein "Mandament van Spolie" erwirken, worin dem Antragsgegner befohlen wurde, die Folgen seines eigenmächtigen Handeins rückgängig zu machen - wie heute noch in Südafrika. Ein solches Mandat konnte man nicht nur gegen den Eigenmächtigen erwirken, sondern ebenso gegen jede andere Person, die spoliierten Besitz oder Quasi-Besitz bösgläubig erworben hatte192• In Holland war es möglich, bei einem unteren Gericht im ,,Petitorium" zu prozessieren, obwohl gleichzeitig beim Hooge Raad ein "Possessorium" anhängig war193 • Ein weiterer häufig vorkommender Fall für einstweilige Verfügungen lag vor, wenn jemand die bestehenden Besitzzustände dadurch störte, daß er auf seinem eigenen Grundstück in einer den Nachbarn beeinträchtigenden Weise
191 Decr. Grat. C. 3 q. 1 c. 1: ..Redintegranda sunt omnia exspoliatis vel eiectis episcopis praesentialiter ordinatione pontificum, et in eo loco unde abscesserant funditus revocanda quacumque conditione temporis, aut captivitate, aut dolo, aut violentia malorum, aut per quascumque iniustas causas res ecclesiae vel proprias aut substantias suas perdidisse noscantur, ante accusationem aut regularem ad synodum vocationem eorum". Das Prinzip ist wiederholt in cap. 4 dort; X 2, 13, 18 gewährt die actio spolii auch gegen bösgläubige Dritte. 6. 2, 5, 1 ordnet die Blockierung sämtlichen gerichtlichen Vorgehens gegen den Spoliierten an.
X 2, 13, 18 et totus titulus de restitutione spoliatorum. Entgegen 6. 2, 5, 1 und C. 8, 1, 3 und C. 3, 1, 10; Van Leeuwen. op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel XII, Nr. 4. 192 193
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baute oder in sonstiger Weise eine dauernde Beeinträchtigung des Nachbarn herbeiführte. In solchen Fällen konnte man sich mittels einer operis novi nuntiatio ("Klagte van Nieuwigheit of Ongebruik") direkt an den Hof van Holland wenden. Auch einige untere Gerichte gewährten diesen Rechtsbehelf des ius commune194• 3. Säumnisverfahren
Wenn der Kläger ausblieb, wurde das Erscheinen des Beklagten auf dessen Antrag im Gerichtsprotokoll eingetragen ("comparuit") 195 • Auf seinen weiteren Antrag wurde er von der Ladung entbunden ("absolutio ab instantia", beim Hof van Holland genannt "Oorlof van Hove") 196 und der Kläger zum Ersatz der Kosten des Beklagten verurteilt. Der Beklagte konnte sich dann weigern, sich auf eine erneute Klage in derselben Angelegenheit einzulassen, bis diese Kosten bezahlt waren. Er erhielt insofern eine prozeßaufschiebende Einrede ("exceptio dilatoria"). Wenn der Beklagte ausblieb, konnte der Kläger dreierlei Versäumnisurteile beantragen 197• - Erstes Versäumnisurteil (,,Eerste Default") 198 : Der Beklagte verlor die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichts (exceptio declinatoria). In einem Rechtsmittelverfahren wurde die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils aufgehoben ("gesurcheert", "Surcheantie")199 • Ein Antrag auf Exekutionsbefehl für ein nicht binnen Jahresfrist ausgeführtes Urteil eines untergeordneten Gerichts ("verjaard Vonnis") wurde in dieser Prozeßlage nach denselben Regeln behandelt wie ein Antrag auf "Namptissement". Um das Verfahren weiterzuführen, mußte der Kläger neuerliche Ladung veranlassen.
194 X 5, 32; C. 8, 10, 14; D. 39, 1; Van Leeuwen, op. cit., Fn. 4, Boek V, Deel IX, Nr. 4.VIII et 4.X. 195 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, _Deel II, Nr. 1. 196 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXII, Nr. 1. 197 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 3. 198 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel TI, Nr. 2.1. 199 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel III, Nr. 7.
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- Zweites Versäwnnisurteil ("Tweede Default"): Der Beklagte verlor nun zusätzlich alle prozeßaufschiebenden Einreden (exceptiones dilatoriaei00. War ein Possessorium anhängig, so erging darin ein Endurteil201. In Rechtsmittelverfahren wurde das angefochtene Urteil ohne weitere Prüfung aufgehoben, mit den Worten "Schlecht geurteilt und rechtens appelliert" (Qualicken gewesen ende wel geappelleerd), beziehungsweise "gut in Reformation gezogen" (wel betogen in Reformatie)202. - Drittes Versäumnisurteil ("Derde Default"): Der Beklagte verlor die Möglichkeit, anspruchsvernichtende Einreden zu erheben (exceptiones peremptoriae)203. Bei den unteren Gerichten konnte der Kläger unmittelbar im Anschluß an das dritte Versäumnisurteil dem Gericht seine Klage vortragen, die vorgetragenen Tatsachen glaubhaft machen und Urteilsanträge ("lntendit") stellen204 . Bei den Obergerichten hingegen wurde der Beklagte erst noch ein viertes Mal geladen, um dieser Darlegung "zuzusehen"205. Erschien der Beklagte dann tatsächlich, so wurde er zwar nicht mehr zur Sache angehört, konnte aber immerhin eventuell bei unvollständigem Beweis verhindern, daß der Kläger zur eidlichen Stärkung seines Vorbringens zugelassen wurde206. Bei schuldrechtlichen Ansprüchen (actiones personales) sollte der Kläger nach Möglichkeit Beweise ("Verificatien") für die vorgebrachten Tatsachen erbringen. Waren die Anträge des Klägers schlüssig und waren auch die Beweise ausreichend, so verurteilte das Gericht den Beklagten antragsgemäß und erlegte ihm sämtliche Kosten auf207. Waren die antragstragenden Tatsachen zwar nicht vollständig bewiesen, aber doch immerhin glaubhaft gemacht, so konnte das Gericht nach seinem Ermessen dem Kläger erlauben, seine Behauptungen durch Eid "zu stärken". Leistete er den Eid, so erging Urteil wie oben erwähnt. Anderenfalls mußte das Gericht den Beklagten von
Merula, op. cit., Fn. Merula, op. cit., Fn. 202 Merula, op. cit., Fn. 203 Merula, op. cit., Fn. 204 Merula, op. cit., Fn. 205 Merula, op. cit., Fn. 206 Merula. op. cit., Fn. 207 Merula, op. cit., Fn. 200 201
1, Boek ll, Deel ll, Nr. 2.2. 1, Boek IV, Deel XXXlll, Nr. 4. 1, Boek IV, Deel lll, Nr. 7. 1, Boek ll, Deel ll, Nr. 2.3. 1, Boek ll, Deel ll, Nr. 2.4. 1, Boek IV, Deel Ull. 1, Boek IV, Deel XXXIII. 1, Boek ll, Deel ll, Nr. 2.5.
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der Klage befreien ("van den Eysch absolveren"), ihn aber dennoch in die Kosten verurteilen208 . Bei sachenrechtliehen Ansprüchen (actiones reales) erging für den Kläger ohne weitere Prüfung ein Besitzeinweisungsbeschluß in das streitige Objekt, das er allerdings zunächst treuhänderisch verwalten mußte ("causa rei reservandae"f09. Kam der Beklagte dann nicht binnen eines Jahres zum Gericht, um den Prozeß aufzunehmen, so erging ein zweiter, endgültiger Einweisungsbeschluß. Die Wirkung eines Versäumnisurteils konnte nicht einfach durch Einspruch beseitigt werden, auch nicht beim dritten, endgültigen Versäumnisurteil. Vielmehr mußte der nicht Erschienene das Gericht förmlich um Verzeihung für die Säumnis (,,Purge van Default") bitten - ohne eine solche Bitte wurde er bei Gericht nicht mehr gehört. Das Gericht gewährte ohne weiteres Verzeihung und dazu auf Antrag ("Request civil") auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ("Restitutie")210, sofern der nicht Erschienene nachwies, daß nicht wirklich ein Fall der Säumnis vorgelegen habe: nämlich daß entweder die Ladung ihm nicht ordnungsgemäß zugestellt worden war oder er durch ihm nicht vorwerfbare Umstände am Erscheinen gehindert wrll. Allerdings wird berichtet, daß der Hof van Holland im Anerkennen von Entschuldigungsgründen sehr großzügig wr12• Bei der ersten und zweiten Säumnis konnte ein nicht erschienener Beklagter sich ohne Angabe von Gründen die Verzeihung erkaufen, indem er eine Buße sowie die angefallenen Kosten bezahlte. Er mußte aber dann den Prozeß in der Lage weiterführen, in der er sich inzwischen befand, erhielt also keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand213 • Bei einigen unteren Gerichten, zum Beispiel im Nordquartier von Holland, erging statt drei verschiedenen Versäumnisurteilen nur ein einziges, allumfassendes.
Merula, op. cit., Fn. 1, Boek II, Deel II, Nr. 2.6. 6. 2, 7 de eo qui mittitur in possessionem causa rei reservandae; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXIII, Nr. 2. 210 Merula, op. cit., Fn. 1. Boek IV; Deel LXXXII. 211 D. 42, 1, 53, 2; C. 7, 43, 10; Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXIV, Nr. 3. 212 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek IV, Deel XXXV, Nr. 7 Fn. 2. 213 Merula, op. cit., Fn. 1, Boek Il, Deel II, Nr. 4.4. 208
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XI. Gesamtwürdigung Das Zivilprozeßrecht des ius commune, wie es in Holland gehandhabt wurde, war in seinen großen Zügen zweckmäßig und bildete eine gute Grundlage für gerechte Entscheidungen. Jedoch war der Prozeßablauf umständlich. Die Prozeßregeln bewirkten, daß das Gericht sich mit jeder Sache in mehreren, mitunter in vielen Verhandlungen beschäftigen mußte. Dadurch wurde der Prozeßlauf unübersichtlich, vor allem für die nicht juristisch gebildeten Parteien. Es gelten dieselben Kritikpunkte, die auch gegen den gemeinen Prozeß in Deutschland, vor allem beim Reichskammergericht, vorgebracht worden sind214• Das Aktenwesen war unzweckmäßig organisiert. In unserer heutigen Zeit können Gerichte sich zu jeder gewünschten Zeit anhand der Akten über den Stand und Inhalt jedes anhängigen Prozesses informieren. Anders unter dem Ancien Regime in Holland und in vielen anderen Regionen Europas: Die Gerichte waren darauf angewiesen, daß die Prozeßparteien Akten zusammenstellten und vorlegten. Das Beweisverfahren litt zwar unter festen Regeln zur Beweiswürdigung, jedoch ließen sie den Richtern noch viel Entscheidungsraum. Aus heutiger Sicht gesehen war ungünstig, daß Zeugen nur durch das Gericht allein vernommen werden sollten, und zwar geheim. Indes ist unklar, wie weit diese Vorschrift des ius commune bei den holländischen Gerichten eingehalten wurde. Trotz aller auf Beschleunigung zielenden Reformen hatte eine böswillige Partei noch immer viele Möglichkeiten, um einen Prozeß zu verzögern nicht nur mit Hilfe der extrem langen Fristen zur Beantragung von "Reformatie" und ,,Revisie", sondern auch während des Prozeßganges; denn noch bis zum Ende des Ancien Regime stand der Zivilprozeß in Holland - wie fast überall in Europa - unangefochten unter der Verhandlungsmaxime und gab richterlicher Leitung nur wenig Raum. Erst im 19. Jahrhundert wurde umfassend über dies Thema diskutien215 • Die Zeitgenossen störte wohl am meisten, daß es bei den beiden Obergerichten oft sehr lange dauerte, bis eine entscheidungsreife Akte beraten und
214 Vgl. die Artikel "Gerichtsverfahren", ,,Prozeß des Reichshofrats", ,,Prozeß des Reichskanunergerichts", "Prozeßleitung", "Prozeßverschleppung" in: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmarm (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I, 1971, Sp. 1551-1563; Band IV, 1990, Sp. 22-70. 215 Ausführliche Nachweise bei Gunter Wesener, ,,Prozeßmaximen", ibidem, Sp. 55-62.
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entschieden wurde. Indes ist zur Verteidigung zu sagen, daß in unserer modernen Zeit die Obergerichte vieler Länder weit länger Entscheidungen vor sich her schieben als dies durchschnittlich in Holland im 18. Jahrhundert der Fall war.
Das System des Vermögensrechts Von W. J. Zwalve
I. ll. ill. IV. V.
Eine Vorbemerkung Das Verhältnis von Sachen und Rechten im BW und im NBW Das Verhältnis von Sachen und Rechten im gemeinen Recht Das Verhältnis von Sachen und Rechten im römisch-holländischen Recht Die praktische Notwendigkeit der Unterscheidung beweglicher und unbeweglicher Rechte im gemeinen Recht VI. Die niederländischen Zivilgesetzbücher und das römisch-holländische Recht Vll. Eine praktische Konsequenz der Wiedereinführung des römisch-holländischen Systems
I. Eine Vorbemerkung Die Ablehnung des vom Leidener Professor J.M. Kernper (1776-1824) im Auftrag des Königs verfertigten Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches durch die niederländische Volksvertretung im Jahre 1822 bewirkte eine Zäsur in der Geschichte des niederländischen bürgerlichen Rechts. Das Gesetzbuch, das statt dessen von der Kammer selbst verfaßt wurde1, kann als originelle Adaption des französischen Zivilgesetzbuches betrachtet werden; die Verbindung mit der genuin holländischen Geschichte, mit der großen Tradition des römisch-holländischen Rechts, war definitiv zerbrochen. In der Tat ist, wie Kernper selber schon vorausgesehen hatte, "uns die Schande nicht erspart worden, im Vaterland von De Groot, Bijnkershoek, Noodt und Schulring ein fremdes Modell zur Richtschnur angenommen zu haben"2; und es ist, wenigstens im Lande ihrer Herkunft, die mit diesen Namen verbundene juristische Tradition so gut wie vergessen. Lediglich einige Statuen im Gebäude des
1 Zur Geschichte der zivilrechtliehen Kodifikation in den Niederlanden vgl. J.H.A. Lokin und W.J. Zwalve, Hoofdstukken uit de Europese Codificatiegeschiedenis, 1987, s. 263-293.
2 Vgl. J.C. Voorduin, Geschiedenis en beginselen der Nederlandsche wetboeken, Band I, 1, Utrecht, 1837, S. 32.
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niederländischen Hooge Raad erinnern den modernen Juristen an den vergangeneo Glanz des internationalen juristischen Ruhmes Hollands. Es ist ziemlich sinnlos, das Geschehene zu bedauern, zumal, da es alles in allem den Niederlanden mit dem französischen Gesetzbuch nicht übel ergangen ist. Der code civil wurde außerdem nicht gedankenlos kopiert. So hielt man bei der Eigentumsübertragung am alten gemeinrechtlichen Traditionsprinzip fest, was wichtige und tiefgründige Unterschiede zum System des französischen Zivilgesetzbuches mit sich brachte, denn letzteres wird ja von dem von Grotius herrührenden Prinzip des Eigentumsübergangs "par l'effet des obligations" beherrscht3 • Die systematische Ausarbeitung des traditionellen Prinzips geschah aber nicht mehr mit Hilfe der Literatur des römischholländischen Rechts. Die kurze, aber darum nicht weniger scharfe Auseinandersetzung über die Frage, ob das römische Recht als subsidäres Recht beibehalten werden könne, wurde zum Nachteil des alten ius commune entschieden4. Das römische Recht wurde in den Niederlanden sogar zweimal (!) ausdrücklich gesetzlich abgeschaff~. Das Gesetzbuch, das schließlich im Jahre 1838 eingeführt wurde, sollte ausschließlich aus sich selbst heraus verstanden werden! Dieser Beschluß hatte zur Folge, daß in den Niederlanden das juristische Rad regelmäßig zum zweiten Male erfunden werden mußte und daß Diskussionen geführt wurden (und werden), die man schon in der Literatur des römisch-holländischen Rechts antreffen kann, doch deren Existenz man vergessen hat. Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf eine vom niederländischen Gesetzgeber für außerordentlich bedeutsam gehaltene terminologische "Neuerung" im Neuen Bürgerlichen Gesetzbuch (NBW) lenken, dessen wichtigste Teile - die den allgemeinen Teil des Verrnögensrechts, das Sachenrecht und den allgemeinen Teil des Obligationenrechts enthaltenden Bücher 3, 5 und 6 - 1992 eingeführt werden sollen.
3 Artt. 711 und 1138 code civil; vgl. demgegenüber Art. 639 des alten niederländischen Gesetzbuches (BW). 4 Zu dieser interessanten Diskussion vgl. J.H.A. Lokin, 1988 Nederlands Juristenblad 660 ff. 5 1809, durch den "Koninklijk Besluit tot invoering van het Wetboek Napoleon ingerigt voor het Koningrijk Holland" (in: I. van de Poil, Verzameling van Vaderlandsche wetten en besluiten 1798-1810, Amsterdam, 1840, S. 435) und 1829, aus Anlaß der Einführung der "Wet, houdende algemene bepalingen der wetgeving van het koninkrijk", 1829, Staatsblad no. 33.
System des Vermögensrechts
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II. Das Verhältnis von Sachen und Rechten im BW und im NBW Das NBW enthält ein Novum, das die systematische Einteilung des Gesetzbuches bestimmt hat. Das alte niederländische Zivilgesetzbuch (BW) rechnete noch die Vermögensrechte den Sachen zu; das NBW dagegen wird, in der Nachfolge des deutschen BGB (§ 90), lediglich körperliche Gegenstände als Sachen im Sinne des Gesetzes anerkennen. Dingliche Rechte werden damit nur noch an körperlichen Gegenständen möglich sein6 • In Betracht kommen damit also lediglich das Eigentumsrecht und, infolge der Identifizierung des Eigentumsrechts mit der Sache, auf der es ruht, die absoluten Rechte, die nur unmittelbar vom Eigentumsrecht hergeleitet werden können7• Diese Neuerung8 macht einer monströsen Systematik ein Ende, die das alte Gesetzbuch (BW) dem französischen Recht entnommen hatte, die jedoch, wenn ich recht sehe, schon im römisch-holländischen Recht größtenteils überwunden war. Das BW unterscheidet, anders als das NBW, körperliche und unkörperliche Sachen (Art. 559 BW) einerseits und bewegliche und unbewegliche Sachen andererseits (Art. 560 BW). Dem letztgenannten Gesetzesartikel folgen nicht weniger als zwölf Vorschriften, die die Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen näher ausführen und die insbesondere den Versuch
6 Der Urheber des neuen Zivilgesetzbuches (E.M. Meijers) hat in seinem Begleitschreiben zum Entwurf (vgl. C. van Zehen et al., Parlementaire Geschiedenis van het Nieuw Burgerlijk Wetboek, Boek III, 1981, S. 61 ff.) das System des deutschen BGB kritisiert, insbesondere die Tatsache, daß Pfand, Hypothek und Nießbrauch vom BGB im Sachemecht untergebracht worden sind, obowhl diese Rechte doch sowohl an Sachen im Sinne des § 90 BGB als auch an Vermögensrechten errichtet werden können. Diese Feststellung hat Meijers dazu gebracht, die soeben genannten Rechte im NBW nicht im 5. Buch (Sachemecht) unterzubringen, sondern sie im allgemeinen Teil des Vermögensrechts (3. Buch) zu regeln. In das 5. Buch werden also lediglich die absoluten Rechte aufgenommen, die an Sachen bestellt werden können. 7 So wenigstens war die Absicht (siehe oben Fn. 6). Mittlerweile hat einige Besinnung zu der Einsicht geführt (vgl. A.J.H. Pleysier, 5651 Weekblad voor Privaatrecht, Notariaat en Registratie 297 ff.), daß z.B. das Erbpachtrecht (als dingliches Recht im 5. Buch des NBW geregelt) nicht nur vom Berechtigten als solches übertragen, sondern auch in Erbpacht weitergegeben werden kann. Im letzteren Fall ist die zweite Erbpacht ein Recht an einem Vermögensrecht, weil es nicht vom Eigentümer, sondern vom Erbpächter herrührt (anders. wohl zu Umecht (weil im Gegensatz zu seinen eigenen Prinzipien), der Gesetzgeber in ,,Nota van Wijzigingen" ad art. 5:93 NBW in: Van Zehen et al., loc. cit., Boek V, S. 316). Das Erbpachtrecht hätte also, wie Pfand, Hypothek und Nießbrauch, und zwar aus denselben Gründen, im 3. Buche des NBW geregelt werden müssen. Der ganze Systemzwang des Gesetzgebers des NBW mutet etwas pedantisch an. 8 Zu den Motiven Van Zehen et al., loc. cit. (Fn. 6).
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W.J. Zwalve
unternehmen, die unkörperlichen Sachen, die Vermögensrechte, in dieses Schema einzuordnen. Das NBW dagegen bezieht die Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen nur noch auf "Sachen", d.h. also, nach der Terminologie des NBW nur noch auf körperliche Gegenstände; Vermögensrechte spielen in diesem Rahmen keine Rolle mehr. Der Deutlichkeit halber stelle ich im folgenden die wichtigsten Gesetzesbestimmungen einander gegenüber. Art. 3:1 NBW Art. 3:2 NBW Art. 3:3 NBW
Goederen zijn alle zaken en vemogensrechten Zaken zijn voor menselijke beheersing vatbare stoffelijke objecten. 1. Onroerend zijn de grond, de nog niet gewonnen delf-stoffen, de met de grond verenigde beplantingen, alsmede de gebouwen en werken die duurzaam met de grond zijn verenigd, hetzij rechtstreeks, hetzij door vereniging met andere gebouwen of werken. 2. Roerend zijn alle zaken die niet onroerend zijn.
Demgegenüber bestimmte das alte BW von 1838: Art. 555 BW Art. 559 BW Art. 560 BW
De wet verstaat door zaken alle goederen en regten welke het voorwerp van eigendom kunnen zijn. Zaken zijn ligchamelijk of onligchamelijk. Zaken zijn roerend of onroerend, volgens de bepalingen der twee volgende afdelingen.
Das alte BW kennt, so läßt sich zusammenfassend sagen, bewegliche und unbewegliche Vermögensrechte; das NBW dagegen kennt nur noch bewegliche und unbewegliche körperliche Vermögensbestandteile. Das niederländische Zivilgesetzbuch von 1838 (BW) weicht in seinen Begriffsbestimmungen in den Artikeln 555 ff. einigermaßen von seinem französischen Vorbild ab. Der code civil nämlich kennt nur die Einteilung in "meubles ou immeubles" (art. 515 c.c.), doch nicht die alte, römische Untergliederung in körperliche und unkörperliche Sachen9 • Die letztere Einteilung ist in Art. 559 BW absichtlich der niederländischen Kodifikation hinzufügt worden10. Im Hinblick auf Art. 555 BW erscheint sie beim ersten Hinsehen als überflüssig. Jedoch hat der niederländische Gesetzgeber von 1838 dort nichts weiter andeuten wollen, als daß als "Sache" im Sinne des Gesetzes nur betrachtet werden könne, was Objekt eines Vermögensrechtes sein kann. Kei-
9 Das ändert aber nichts daran, daß die französische Theorie sich dieser Einteilung bedient; vgl. infra Fn. 27. 10 Vgl. dazu Carel Asser, Het Nederlandsch Burgerlijk Wetboek, vergeleken met het Wetboek Napoleon, 's Gravenhage, 1838, S. 235.
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neswegs war beabsichtigt, bereits an dieser Stelle eine Sacheinteilung einzuführen11; dies sollte erst in den Artikeln 559 und 560 geschehen. Es folgt dann, wie schon erwähnt, in den weiteren Artikeln der unglückliche Versuch, die unkörperlichen Sachen, insbesondere die Forderungsrechte, der Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen unterzuordnen; ein Unterfangen, von dem ein Mann wie Johannes Voet dem niederländischen Gesetzgeber sicherlich abgeraten hätte. 111. Das Verhältnis von Sachen und Rechten im gemeinen Recht Die Einteilung der Sachen in bewegliche und unbewegliche spielte bekanntlich kaum eine Rolle in der Systematik des römischen Rechts 12; lediglich zur Feststellung der Ersitzungsfristen und in der Lehre der Besitzinterdikte hatte sie eine Bedeutung. Justinian erschien es deshalb nicht der Mühe wert, ihr bei seiner Beschreibung der Sacheinteilungen in den Institutionen besondere Bedeutung beizumessen. Die Einteilung in körperliche und unkörperliche Sachen - res corporales et incorporales - war demgegenüber aber von größter Bedeutung, schon weil die res corporales sich für eine Bigenturnsübertragung mittels traditio eigneten, während die res incorporales auf diese Weise nicht übertragen werden konnten 13• Deshalb die folgende berühmte Passage (lnst. II, 2, pr. - 2): "Quaedam praeterea res corporales sunt, quaedam incorporales. Corporales hae sunt, quae sui natura tangi possunt [... ] Incorporales autem sunt, quae tangi non possunt. qualia sunt ea, quae in iure consistunt: sicut [...] Obligationes quoquo modo contractae." Diese römische Einteilung wurde von Hugo Grotius in seiner Inleidinge übemommen 14: "Het enckel kan zijn lichamelick ofte onlichamelick." Gro-
11 Vgl. G. Diephuis, Het Nederlandsch Burgerlijk Recht, Band I, Groningen, 1869, S. 421. Dem Gesetzgeber von 1838 hat deshalb in der Bestimmung des Art. 555 keineswegs eine an die des Art. 559 BW anschließende Sacheinteilung vorgeschwebt; vgl. auch C. Asser, op. cit., Fn. 10, S. 233. In diesem Sinne wird die Bestimmung übrigens heute in den Niederlanden zu Unrecht verstanden: vgl. etwa Pitlo/Brahn, Zakenrecht, 1987, S. 5. Die Redaktoren des Art. 3:1 NBW haben sich diesem Mißverständis angeschlossen. 12 Max Kaser, Das römische Privatrecht, Erster Abschnitt, 2. Aufl., 1971, S. 382.
Gai. II, 28 und 38. Inleidinge tot de Hollandsehe Rechtsgeleerdheid (Hg. H.F.W.D. Fischer, 1965), II, I, 9. In der 1835 von Johannes van der Linden verfertigten und erst 1962 (!) von H.F.W.D. Fischer edierten lateinischen Übersetzung (lnstitutiones Iuris Hollandici, 1962) lautet die Stelle: ,,res singulares sunt corporales vel incorporales". 13
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tius läßt dieser Mitteilung aber unmittelbar eine andere folgen 15: "Lichamelick, dat zinbaer is met de uiterlicke zinnen, als dit huis, dit boeck ende zo voort: ende werd onderscheide in tilbaer ofte roerelick, ende in ontilbaer ofte onroerbaer." Was nun dem modernen niederländischen Juristen, der sich an die Systematik und Terminologie des NBW zu gewöhnen versucht, gleich auffällt, ist die Tatsache, daß Grotius die Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen lediglich innerhalb der Kategorie der körperlichen Gegenstände benützt. Offenbar erschien sie ihm, wie dem Gesetzgeber des NBW, nicht anwendbar auf Rechte. Ein anderer holländischer Jurist, Sirnon von Leeuwen, vermischt jedoch die beiden Einteilungen. Bei ihm findet man folgendes 16: "Het enkel werd wederom onderscheyden in Lighamelyk en Onlighamelyk. (4) Lighamelyke saken zjin, dewelke in haar selven en met de uiterlyke sinnen kunnen omvat en begrepen werden ( ...) (5) Onlighamelyke, dewelke in sig selven met de uiterlyke sinnen niet kunnen omvat en begrepen werden (...) (6) Lichamelyke dingen, zyn wederom tilbaer en beweeglyk, of ontilbaer en onbeweeglyk (...) (7) Maar om te oordelen, of inschulden, Actien en Crediten, voor roerend of voor onroerend goed gerekend moeten werden, staat dit te onderscheyden; dat de actien en het regt dat men heeft op, of tot, onroerende goedren ook voor onroerend goed gerekent werden; en alle andre voor roerend goed gehouden werden." Van Leeuwen scheint in seiner Darstellung Grotius zu folgen, indem er die Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen in erster Instanz lediglich auf körperliche Sachen bezieht. Er läßt aber unmittelbar darauf einige Bemerkungen folgen, in denen er die Frage erörtert, ob und, wenn ja, inwieweit Forderungsrechte als bewegliche oder unbewegliche Vermögensbestandteile zu betrachten sind. Damit stellt sich die Frage, W(;Shalb im römisch-holländischen Recht ein juristisches Problem auftauchen konnte, das dem römischen Recht fremd gewesen war; dort waren die obligationes quoquo modo contractae ja als eine Klasse für sich behandelt worden. Die Beantwortung dieser Frage führt uns in die merkwürdige Welt des alten europäischen ius commune, von dem das römisch-holländische Recht ja lediglich eine spezifisch auf Holland zugeschnittene Variante war. Wie das Verhältnis der römischen Einteilung in körperliche und unkörperliche Sachen und die germanistische in bewegliche und unbewegliche Sachen
15 Inleidinge, op. cit., Fn. 14, II, I, 19; Institutiones, op. cit., Fn. 14: ,,res corporales sunt, quae sensibus extemis conspiciuntur; v.g haec domus, hic liber, etc. DiYiduntur in mobiles et immobiles". 16 Het Rooms-Hollands Regt (Ausgabe Amsterdam, 1744), Boek Il, Deel I, 3 ff.
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näher zu bestimmen sei, ist in der gemeinrechtlichen Tradition äußerst umstritten gewesen. Schon mit der Glosse begann es hier zu einer totalen Verwirrung zu kommen. Die glossa ordinaria rechnet die Schuldforderungen einmal den unbeweglichen Sachen zu17, dann aber wieder den beweglichen18; zuweilen aber auch den beweglichen, wenn sie sich auf bewegliche Sachen beziehen und den unbeweglichen, wenn sie sich auf unbewegliche Sachen beziehen 19 • Bartalus hob demgegenüber einige Male hervor, daß die Forderungsrechte ihrem Wesen nach weder als bewegliche noch als unbewegliche Sachen betrachtet werden könnten, sondern daß sie ein genus per se bildeten20• An anderer Stelle bezeichnet aber auch er die Forderungsrechte als beweglich oder unbeweglich je nach der rechtlichen Natur des Objektes, auf das sie sich beziehen21 ; auch die Schriften des Meisters boten damit keinen sicheren Anhaltspunkt. Kein Wunder also, daß im Laufe der Zeit eine reiche Literatur zu dieser Frage entstand. Wir können die Diskussion hier nicht in allen Einzelheiten verfolgen22• In Frankreich bildete sich alsbald eine herrschende Meinung, die am klarsten in der Schrift De civilibus Parisiorum moribus des französischen Gewohnheitsrechtiers Rene Chopin (1537 -1606) zum Ausdruck kommt. Dort heißt es einleitend: "Res, de quibus Francica agitur consuetudine, sunt omnes aut mobiles, aut Soli: nihil est tertium § 88 Leg. Par.
17 GI. Moventium ad D. 50, 16, 93: "quia non possunt moveri"(!); vgl. auch die gl. Quaerere ad C. 2, 40 (41), 5: "actiones loco irnmobilium computantur". 18 GI. Moventium: "licet possit dici quod [nominal sint mobilia". 19 GI. Numeranda zum Titel De non alienandis aut permutandis rebus ecclesiasticis immobilibus des Authenticum (= Coll. II, Tit. I = Nov. VII): "Sed quando in actione competenti ecdesiae pro qualibet re, numquid poterit cedi vel alienari? Respon. non [... ] licet possit distingui utrum pro mobilibus vel irnmobilibus rebus competit, ut primo casu valeat: secus non". 20 Cons. L in: Consilia, Quaestiones et Tractatus, Lyon, 1552, fol. 17: ,,nomina debitorum non sunt mobilia vel immobilia, sed sunt quoddam genus per se". Vgl. auch Commentaria in secundam Digesti novi partem, Lyon, 1552, ad D. 50, 16, 93 (die gl. Moventium) fol. 276 verso. 21 Commentaria in secundam Infortiati partem, Lyon, 1552, fol. 22 verso- 23 recto, ad D. 30, 75, 4: "actio iudicatur mobilis vel immobilis secundum naturam rei, quae in ea continetur" und Comm. in sec. Dig. vet. part., ad D. 13, 7, 18, fol. 97 recto. Vgl. auch Comm. in sec. Dig. nov. part. loc. cit., wo für diese Ansicht auf Dinus hingewiesen wird. 22 Gute Übersichten finden sich bei Andreas Tiraquellus, De retraict lignagier, § 1, glossa VII, no. 6 ff., in: Opera omnia, Band III, Frankfurt, 1597, S. 35 ff. und Paulus Voet, Mobilium et Immobilum Natura, Utrecht, 1666, Cap. VIII, §§ 3 ff.
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Eoque, nomina debitorum ac iura, queis mobile aliquid persequimur, moventibus accensentur: Quibus autem immobile, rebus soli (§ 89 cit. leg.)'m. Wir sehen hier, daß in Frankreich unter Berufung auf die Cofitumes de Paris24 eine Wahl getroffen wurde zugunsten der alten Theorie der Glosse und Dinus, die man auch bei Bartalus vorfinden kann, wonach unkörperliche Gegenstände - nicht nur die dinglichen Rechte, sondern auch die persönlichen - je nach der Natur der Sache, auf die sie sich beziehen, beweglich oder unbeweglich sind. Außerhalb Frankreichs konnte die Frage natürlich nicht unter Berufung auf die Cofitumes de Paris entschieden werden. Gleichwohl gewann die dort vertretene Ansicht auch etwa in Deutschland immer mehr an Boden. Von maßgeblicher Bedeutung war in diesem Zusammenhang die die Theorie der Cofitumes unterstützende Autorität des Andreas Tiraquellus (1480-1558), von der sich insbesondere auch das Reichskammergericht leiten ließ25 • Es war vorwiegend aufgrund seiner Autorität, daß das Reichskammergericht im gleichen Sinne entschied26. So war in zwei wichtigen europäischen Rechtsbereichen eine Entscheidung getroffen worden zugunsten einer Theorie, die hernach auch dem code civil zugrundegelegt werden sollte und die übrigens bis heute noch in Frankreich herrschende Lehre isf7• Welchen Standpunkt nahm nun das römisch-holländische Recht ein?
Ed. Paris, 1596, Lib. I, Tit. I, n. 1. Nouvelle Coutume de Ia prevoste et vicomte de Paris (in: Nouveau Coutumier General, Hg. C.A. Bourdot de Richebourg, Band IJJ, Paris, 1724, S. 37): (art. 88) "En Ia prevoste & vicomte de Paris y a deux sortes & especes de biens seulement: c'est a savoir meubles & immeubles"; (art. 89) "Cedules & obligations faictes pour sommes de deniers, marchandises ou autres choses mobiliaires sont censez & reputez meubles". Der letzten Bestimmung wird in einer Fußnote die Bemerkung hinzugefügt, "si eiles sont faites pour choses immobiliaires, eiles seront reputees immeubles". 25 Tiraquellus, op. cit., Fn. 22, nn. 15 und 19. 26 Vgl. Andreas Gail, Practicarum observationum ... libri duo, Köln, 1634, Lib. JJ, Obs. XI, n. 10: "Verior est eorum opjnio, quam etiam Camera in casu quodam secuta est, actiones turn esse res mobiles, si ad rern mobilem, immobiles, si ad rem immobilem comperant". 27 Vgl. für das vorige Jahrhundert, V. Marcade, Explication theorique et pratique du code civil, Band JJ, Paris, 1873, S. 374 (ad art. 526 code civil); neuerdings etwa Weill /Terre I Simler, Droit civil, Les Biens, 1985, nn. 17 und 26. 23
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IV. Das Verhältnis von Sachen und Rechten im römisch-holländischen Recht Wir haben bereits gesehen, daß Grotius die alte römischrechtliche Ansicht vertrat, wonach die res incorporales, besonders natürlich die Forderungsrechte, eine Kategorie für sich, eine tertia bonorum species, bildeten, die sich der Einteilung in bewegliche und unbewegliche Sachen entzog. Angedeutet wurde auch bereits, daß Sirnon van Leeuwen28 demgegenüber die Meinung des Reichskammergerichts und der Coutumes de Paris teilte. Er stand damit freilich nicht allein; auch etwa Abraham von Wesel (1635 -1680) sprach sich in seinem Commentarius ad novellas constitutiones Ultrajectinas in diesem Sinne aus29• In demselben Jahr und in der selben Stadt wie Weseis Commentarius erschien nunmehr jedoch eine Arbeit, in der eine ganz andere Theorie entwickelt wurde, nämlich die Mobilium et immobilium natura des Paulus Voet (1619 -1667). Paulus Voet, der divus pater, führte in die Diskussion eine Unterscheidung ein, auf die, jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang, erst wenige Autoren hingewiesen hatten30, obwohl sie auf der Hand zu liegen scheint: die Unterscheidung zwischen dinglichen und persönlichen Rechten31 • Im Hinblick auf die dinglichen Rechte leuchtet es in der Tat ein, sie als beweglich bzw. unbeweglich zu klassifizieren, je nachdem ob sie sich auf bewegliche oder unbewegliche Sachen beziehen. Schließlich handelt es sich um iura in re. Hinsichtlich der persönlichen Rechte ist eine solche Einteilung jedoch völlig fehl am Platze. Als bloße iura in personam können sie deswegen nicht nach dem Objekt des Forderungsrechtes qualifiziert werden. Wenn man also bei unkörperlichen Sachen von einer tertia bonorum species reden will, dann ist das, wie Bartolus bereits festgestellt hatte, lediglich bei den Forderungsrechten angebracht. Dessenungeachtet stellte sich Paulus Voet die Frage, ob diese der Kategorie der beweglichen oder der unbeweglichen Sachen zuzurechnen sind. Er kam zu der Schlußfolgerung, daß sie als beweglich betrachtet werden müßten, und zwar ungeachtet des Objekts des Forderungsrechtes32• So-
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n. 4.
Vgl. auch denselben in Censura Forensis, Leyden, 1678, Pars I, Lib. II, Cap. I,
Utrecht, 1666, Art. 12, n. 3. Vgl. Tiraquellus, op. cit., Fn. 22, n. 8. 31 Eine solche Betrachtungsweise war natürlich erst möglich, als die Rechtswisssenschaft den Unterschied zwischen ius in re und ius ad rem zum Fundament des vermögensrechtlichen Systems gemacht hatte. Hierzu Robert Feenstra, Ius in re, Leiden, 1979. 32 Op. cit., Fn. 22, Cap. Vlll, § 6. 29
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wohl die Forderung zur Übertragung des Eigentumsrechts auf Mobilien als auch auf Immobilien sind notwendigerweise bewegliche Rechte. Paulus' viel berühmterer Sohn Johannes Voet übernahm diese Theorie und begründete sie damit, daß "ipsa persona turn debitoris cum creditoris, mobilis est, ac domicilium suo arbitrio transferre potest"; damit sei dann auch das Forderungsrecht, "ossibus personae inhaerens, velut accessio eius", als bewegliches Recht zu betrachten33• Es versteht sich, daß Johannes Voet, das Orakel des römisch-holländischen Rechts, in seinem Commentarius ad Pandectas nicht viel übrig hat für die Lehre der Coutumes de Paris und des Reichskammergerichts. Sie ist in der Tat unsinnig. Gibt es nicht, so fragte Voet (filius), zahllose Forderungsrechte, die überhaupt keinen Bezug haben zu Mobilien oder Immobilien? Man denke nur an Obligationen, die, um mit Savigny zu reden, eine negative Leistung als Objekt haben. Diese sind nach der von Vater und Sohn Voet abgelehnten Lehre völlig unqualifizierbar. Der praktische Unterschied zwischen der Lehre der beiden Voetii und der des Reichskammergerichts bzw. der Cofitumes de Paris stellt sich heraus bei der Frage, wie Forderungsrechte zu übertragen sind. Wenn man Forderungsrechte als "unbeweglich" bezeichnet, wenn sie sich auf Immobilien "beziehen", dann ergibt sich, daß solche Rechte auf dieselbe Art und Weise zu übertragen sind, wie das Eigentum an Immobilien; im damaligen Holland wäre danach erforderlich gewesen: eine förmliche Veräußerungshandlung vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die den Gegenstand des Forderungsrechtes bildende Sache befand, die Leistung des 40. Pfennigs (einer Art Umsatzsteuer) und die förmliche Registrierung der Übertragung34• In der Tat schreibt denn auch Johannes van de Sande (1568-1638) folgendes über die Abtretung derartiger Forderungsrechte: "... in foro Saxonico & quibusdam provinciis Belgicis, ubi alienatio rerum immobilium non est efficax, nisi solenni cessione facta apud iudicem loci, in quo eae res sitae sunt, actionum quoque ad res immobiles competentium translatio eandem solennitatem judicialemque cessionem desiderare videtur"35 • Johannes Voet jedoch bemerkt in seinem Commentarius, daß Forderungsrechte im allgemeinen durch formlosen Vertrag abgetreten werden können, also wie nach § 398 BGB 36• Nur ausnahmsweise seien Förmlichkeiten zu Comrnentarius ad Pandectas (Ausgabe Köln 1757), Lib. I, Tit. VIII, 21. Zu diesen Erfordernissen vgl. Groot Placaet Boek, Band I, S. 374, S. 1953 und s. 339. 35 Johan van de Sande, De actionum cessione, Leeuwarden, 1657, Cap. II, § 16. 33
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36 Das moderne niederländische Recht ist Voet hierin leider nicht gefolgt: das BW 1838 schreibt in Art. 668 eine Urkunde vor und das NBW außerdem sogar noch eine Mitteilung der Abtretung an den Schuldner (3:94 NBW).
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beachten, so insbesondere bei der Abtretung einer durch eine (Immobiliar-) Hypothek gesicherten Forderung: diese sei, so muß man Voet wohl verstehen, nach einem Placaet Karls V. von 1559 in der Form zu übertragen, deren es für die Bestellung einer (lmmobiliar-)Hypothek bedürfe37 • Dies ändere jedoch nichts daran, so Voet in seinen Erörterungen zum Pandektentitel De rerum divisione, daß auch hypothekarisch gesicherte Forderungsrechte im Prinzip als bewegliche Rechte zu betrachten seien: handele es sich doch bei den Sicherungsrechten lediglich um accessoria des Forderungsrechts, die dessen juristische Natur nicht beinflussen könnten38• Nur soweit das positive Recht ausdrücklich eine Ausnahme von dieser Regel mache (wie im Fall des durch eine (lmmobiliar-)Hypothek gesicherten Forderungsrechts), könne von einem "unbeweglichen" Forderungsrecht die Rede sein. Das normale Forderungsrecht zur Eigentumsübertragung von Immobilien sei deshalb nicht als immobil zu betrachten und sei damit formlos übertragbar. Die Voet'sche Lehre wurde in der Provinz Friesland übernommen, wo der "Hof van Friesland" ihr folgte39 , und sie fand auch die Zustimmung des Dionysius van der Keessel40, des führenden römisch-holländischen Gelehrten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der in Leiden die Generation der zukünftigen niederländischen Kodifikatoren erzog41 • Damit stand mindestens zu dieser Zeit für die sanior pars der holländischen Juristen fest, daß, wenn überhaupt, sich nur die dinglichen Rechte in die Zwangsjacke der Einteilung in Mobilien und Immobilien einschnüren ließen, nicht jedoch die Forderungsrechte. Dieser Ansicht folgte auch J .M. Kernpers Entwurf eines niederländischen bürgerlichen Gesetzbuches von 1820. Dessen Art. 920 enthielt folgende Bestimmung: "Onligchamelijke zaken of regten, zijn uit baren aard, noch tilbaar, noch ontilbaar goed; wanneer echter de noodzakelijkheid
37 Commentarius ad Pandectas, op. cit., Fn. 33, Lib. XVIII, Tit. IV, 11. V gl. auch Comelis van Bynkershoek, Observationes Tumultuariae, Band II (Hg.: E.M. Meijers, A.S. de B!ecourt et al., Haarlem, 1934), n. 1881 (Entscheidung vom 27. Oktober 1772). Diese Entscheidung vom ehemaligen Hooge Raad van Holland und Zee!and ist deshalb interessant, weil zwei Richter sich ausdrücklich für eine formlose Abtretung von Forderungsrechten, die durch Immobiliarhypothek gesichert sind, aussprechen. 38 Commentarius ad Pandectas, op. cit., Fn. 33, Lib. I, Tit. VIII, 27. 39 Vgl. Johan van de Sande, Vijf boecken der geweysder saecken voor den hove van Friedland (Decisiones Frisicae), Leeuwarden, 1670, Lib. IV, Tit. VIII, def. 7. Vgl. auch Ulrich Huber, Heedendaegse Rechtsgeleertheydt, soo elders, als in Frieslandt gebruijkelyk, Amsterdam, 1768, Boek II, Kap. I, 10. 40 Praelectiones iuris hodiemi ad Hugonis Grotii introductionem ad iurisprudentiam Hollandicam, Amsterdam und Kaapstad, Band II, 1963, S. 6 ff. 41 Kernper studierte in Amsterdam und Leiden, wo er auch promovierte; vgl. P.C. Kop in: Zestig Juristen, Zwolle, 1987, S. 201 ff.
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vordert dat zij onder eener dezer soorten gerangschikt worden, moeten hieromtrent de regels in acht genomen, welke bij de volgende artikelen voorkomen, ten zij in een bijzonder geval, of de wet, of de overeenkomst van partijen, of de wil van eenen overledenen, iets anders mogt bepaald hebben." Es folgten noch drei Artikel, in denen dingliche Rechte an Immobilien als unbeweglich, jene an Mobilien dagegen als beweglich qualifiziert wurden. Abschließend bestimmte Art. 924 folgendes: "Insgelijks worden onder tilbare zaken gerangschikt alle regten tegen personen, al ware het ook dat dezelve mogten strekken tot levering van eenig onroerend goed, of al ware daarvoor ook eenig onroerend goed verpand." Damit gründete sich der Entwurf von 1820 fest auf die Lehre des Voet. Er enthielt eine recht eigenständige römisch-holländische Antwort auf ein Problem, das das gemeine Recht seit der Glosse beschäftigt hatte42. Das BW von 1838 aber hat in den Artikeln 559 ff. die französische Lehre übernommen. Bevor wir darauf näher eingehen, ist zunächst noch auf folgendes hinzuweisen. V. Die praktische Notwendigkeit der Unterscheidung beweglicher und unbeweglicher Rechte im gemeinen Recht Die Frage stellt sich, welchen praktischen Zweck die soeben beschriebenen dogmatischen Exerzitien hatten. Weshalb fühlten Autoren wie die beiden Voetii, die jede Einstufung der unkörperlichen Sachen, besonders der Forderungsrechte, in die Kategorien der Mobilien und Immobilien prinzipiell von sich wiesen, sich dennoch veranlaßt, die res incorporales, "wenn die Notwendigkeit es erforderlich macht" (Art. 920 Entwurf 1820) den Mobilien oder Immobilien zuzurechnen? Wann war dies eigentlich notwendig und warum? Es ist vor allem bei der Beantwortung dieser Fragen, daß sich der merkwürdige Charakter des ius commune offenbart: denn das Problem ist völlig unverständlich, wenn man sich nicht der für das Ancien Regime typischen besonderen Interpretationsmethoden bewußt ist. Der praktisch juristische Zweck der Einteilung in Mobilien und Immobilien ergibt sich nicht aus dem römischen Recht (dies maß ihr, wie bereits er-
42 Vgl. auch die Artt. 424 und 427 des "Wetboek Napoleon, ingerigt voor het Koningrijk Holland" (WNH), der ersten niederländischen zivilrechtliehen Kodifikation. Sie wurde von Louis Napoleon veranlaßt, der 1806 "König von Holland" wurde. Das WNH, das noch weniger als das BW 1838 als eine bloße Kopie des fi:anzösischen code civil betrachtet werden kann, hat von 1809 bis 1811 in den Niederlanden gegolten und enthält viel aus dem römisch-holländischen Recht stammendes Material.
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wähnt, nur eine geringe Bedeutung bei), sondern vor allem aus dem ius novum, dem mittelalterlichen und modernen Gesetzes- und Gewohnheitsrecht. Weil die letztgenannten Rechtsquellen nur die Einteilung in Mobilien und Immobilien kannten, ergab sich die Frage, ob von Statutären Bestimmungen, die Regeln enthielten über "bewegliche und unbewegliche Sachen", auch die res incorporales betroffen wurden und, wenn ja, welcher Kategorie diese zuzuordnen wären43. Es hätte auf der Hand gelegen, statutäre Bestimmungen, in denen von beweglichen und unbeweglichen Sachen die Rede war, nicht auf unkörperliche Sachen anzuwenden; dies insbesondere auch deshalb, weil örtliche Statuten und Gewohnheitsrechtekraft der Parömie "statuta stricte sunt interpretanda" restriktiv zu interpretieren waren44, so daß in bezug auf unkörperliche Sachen nicht die Statutären Bestimmungen, sondern das ius commune anwendbar gewesen wäre. Paulus Voet unterrichtet uns, daß diese Ansicht in der Tat von "quidarn interpretes" vertreten wurde45 . Außerdem hatte schon kein Geringerer als Bartolus die Frage, ob ein Legat des "proventus omnium bonorum mobilium et immobilium" die Forderungsrechte mit erfasse, verneint; Forderungsrechte bildeten ein genus per se und gerade die Beifügung mobilum & immobilum impliziere eine restriktive Interpretation des Vermächtnisses46. So wurde die Frage, ob die res incorporales der Sacheinteilung in Mobilien und Immobilien zu unterwerfen waren, eine Sache der Interpretation des Statuts, das eine Bestimmung über "bewegliche und unbewegliche Sachen" enthielt47. Wenn das jeweils in Frage stehende Statut oder Gewohnheitsrecht48 im Sinne einer gesonderten Behandlung der unkörperlichen Sachen zu interpretieren war - was bei der vorherrschenden restriktiven Interpretation lokaler Statuten und Gewohnheitsrechte leicht passieren konnte -, dann
43 Vgl. Johannes Voet, Commentarius ad Pandectas, op. cit., Fn. 33, Lib. I, Tit. VIII, 18: "Sed cum maxima legum municipalium pars divisionem in corporalia & incorporalia ignoret, ac solarerum in mobiles & immobiles divisione contenta sit [...] operae pretium erit inquirere, cui classi, mobilium an irnrnobilium, res quaeque incorporalis annumeranda sit". 44 Zur Geschichte dieser Regel im römisch-holländischen Recht vgl. meine Bemerkungen in: Liber Memoralis Fran~is Laurent, 1989, S. 447 ff. 45 Op. cit., Fn. 22, Cap. VIII, § 1, unter Hinweis auf Matthaeus Wesenheck (1531-1586), Consilia 319, n. 84. 46 Bartolus, Consilia, Questiones et Tractatus, Lyon, 1552, Cons. 50 (fol. 11).
47 Vgl. Matthaeus Wesenbeck, In Pandectas Iuris Civilis, Basel, 1575, Lib. I, Cap. VIII, n. 4: ,Jncorporalia neque dividi possunt, neque ad numerum mobilium immobilimve aggregari [...] nisi per interpretationem, cum pro subiecta materia id fieri necesse est". 48
Dasselbe galt für Verträge und einseitige Rechtsgeschäfte.
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durften die res incorporales als eine tertia bonorum species angesehen werden, und damit waren die Bestimmungen des ius commune anwendbar. Ergab sich aber, daß die erwähnten einheimischen Rechtsquellen mit dem Passus "bewegliche und unbewegliche Sachen" das ganze Vermögen meinten, so war es in der Tat erforderlich, die res incorporales miteinzubeziehen; und wenn eine solche Rechtsquelle unterschiedliche Bestimmungen für Mobilien und Immobilien enthielt, entstanden daraus besondere Schwierigkeiten49. Das wichtigste Beispiel eines derartigen Falles fand sich bei der Intestaterbfolge50. Wenn ein Nachlaß verteilt werden mußte, dessen Bestandteile zerstreut waren über Gebiete mit verschiedenem lntestaterbrecht, galt von alters her die gewohnheitsrechtliche Regel, daß die Mobilien nach dem Recht des Sterbehauses und die Immobilien nach der Iex rei sitae vererbt wurden. Diese international-privatrechtliche Regel war früher in den Niederlanden häufig anwendbar, da nicht nur das lotestaterbrecht der verschiedenen Provinzen der alten Republik sehr verschieden war, sondern schon allein innerhalb der Provinz Holland zwei verschiedene gesetzliche Erbrechtssysteme galten: ,,Ende alzoo in den landen van Holland ende West-Vriesland 't Iand-recht de versterven aengaende van ouds zeer ongelijck is geweest, ende alsnogh niet tot volle gelijckheid en is gebracht, zoo werd ten aenzien van tilbaere goederen gevolgt 't recht van die plaets daer het sterfhuis is gevallen: maer ten aenzien van ontilbaer goed, 't recht van de plaets daer 't zelve is liggende"51 • Hier ergab sich also eine doppelte Notwendigkeit, die res incorporales den Mobilien und Immobilien zuzuordnen: zum einen erwähnte die gewohnheitsrechtliche Regel lediglich bewegliche und unbewegliche Sachen, meinte damit aber das gesamte Vermögen des Erblassers, und zum anderen traf sie unterschiedliche Bestimmungen für beide Arten von Sachen!
49 Vgl. Johannes Voet, Commentarius ad Pandectas, op. cit., Fn. 33, Lib. I, Tit. VIII, 29: "Caeterum, quod diximus, usu hodiemo incorporales res ad mobilia vel immobilia reduci solere, ac sub ipsorum denominatione comprehendi; ita demum obtinet, si sermonis tenor id postulet, vel alia necessitas ex dispositione, universitate bonorum continente, subsit. At si quod de mobilibus vel immobilibus cautum sit in ea dispositione, in qua necesse non est universitatem bonorum contineri: sub mobilium immobiliumve nomine incorporalia non continebuntur, sed velut a corporalibus mobilibus & immobilibus distincta species consideranda erunt". 50 Vgl. Van der Keessel, Praelectiones, op. cit., Fn. 41, S. 8 und den Fall bei Van de Sande, Decisiones Frisicae, loc. cit. (Fn. 39).
51 Grotius, lnleidinge, op. cit., F~. 14, ll, XXVI, 12; Institutiones, eodem loco: "Quoniam in Hollandia et Westfrisia a priscis inde temporibus in successione ab intestato jura plane diversa obtinuerint, neque etiamnunc idem jus obtineat, ratione rerum mobilium sequimur jus loci, quo defunctus diem supremum obiit, ratione vero rerum immobilium jus loci rei sitae".
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VI. Die niederländischen Zivilgesetzbücher und das römisch-holländische Recht Wie bereits erwähnt, wurde die Voet'sche Lehre nicht in die niederländische Kodifikation 1838 übernommmen. Dort findet sich vielmehr die gröbere französische Variante52• Vergleicht man nun beide Theorien miteinander, so kommt man, was die dinglichen Rechte betrifft, zu keinen wesentlichen Unterschieden. Sowohl die Voet'sche als auch die französische Doktrin betrachten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die dinglichen Rechte an Mobilien als bewegliche Rechte und jene an Immobilien als unbewegliche. Der große Unterschied betrifft die Forderungsrechte. Während Voet und auch der Entwurf Kernpers sie ohne Rücksicht darauf, auf welches Objekt sie sich beziehen, zu den beweglichen Sachen rechnen (natürlich nur wenn es "die Notwendigkeit" erfordert), unterscheidet die französische Lehre bewegliche und unbewegliche Forderungsrechte. Bei näherer Betrachtung scheint sich hieraus sogar folgern zu lassen, daß nach der Voet'schen Lehre die Sacheinteilung in Mobilien und Immobilien eigentlich gar nicht auf die Forderungsrechte anwendbar ist; nicht nur wurde nämlich den Forderungsrechten ein uniformes Regime auferlegt, sondern es finden sich darüber hinaus im Entwurf Kernpers von 1820 mit Bezug auf die Abtretung von Forderungsrechten und deren Verpfandung Bestimmungen, die sich wesentlich von jenen unterscheiden, die die Eigentumsübertragung und Verpfandung beweglicher Sachen betreffen. Sie legen die Schlußfolgerung nahe, daß Forderungsrechte als eine tertia bonorum species angesehen wurden53. Ganz anders aber das BW 1838, das nachdrücklich Forderungsrechte zur Übertragung von lmmobilien54 von jenen zur Übertragung von Mobilien55 unterscheidet. Gleichzeitig wurden in die Kodifikation von 1838 aber, wie bereits in den Entwurf von 1820, mit Bezug auf die Übertragung und Verpfändung von Forderungsrechten besondere Bestimmungen aufgenommen; sie hätten es im Prinzip
52 Für die Motive des führenden (belgischen) Parlamentariers Nicolai vgl. Voorduin, op. cit., Fn. 2, Band III, S. 311 f. 53 Während körperliche bewegliche Sachen durch traditio übereignet werden (Art. 1016 Entwurf 1820) und auch das Pfandrecht an ihnen durch Übergabe bestellt wird (Art. 1513 Entwurf 1820), sollten Forderungsrechte dem Entwurf 1820 gemäß urkundlich übertragen werden (Art. 2152) und durch eine amtlich zugestellte Anzeige an den Schuldner verpfändet werden (Art. 1513).
54 Art. 564 BW: ,,Zijn almede onroerende zaken de navolgende regten [ ...] 8. Oe regtsvorderingen, dienende om onroerende zaken terug te eischen of te doen leveren"
(!).
55 Art. 567 BW: ,,Als roerende zaken door wetsbepaling worden beschouwd [... ] 3. Verbintenissen en vorderingen, die opeisbare geldsommen of roerende goederen tot onderwerp hebben"(!).
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ermöglicht, die rechtliche Behandlung der Forderungsrechte von der Einteilung in Mobilien und Immobilien zu abstrahieren. Unglücklicherweise hat nun aber die römisch-holländische Doktrin insoweit in negativer Weise auf das BW 1838 eingewirkt, als das Gesetzbuch zwar zwischen beweglichen und unbeweglichen Forderungsrechten unterscheidet, gleichzeitig aber keine differenzierten Regeln hinsichtlich ihrer Übertragung und Verpfändung enthält. Nach der Voet'schen Lehre brauchte in der Tat nur eine Bestimmung aufgenommen zu werden, da ja alle Forderungsrechte seiner Ansicht nach bewegliche Rechte waren. Das System des BW 1838 aber machte separate Bestimmungen für die Übertragung beweglicher und unbeweglicher Forderungsrechte erforderlich. Dies hat der Gesetzgeber bei seiner Regelung der Abtretung übersehen; er hat in Art. 668 BW, im Anschluß an den Entwurf 1820, lediglich eine Bestimmung für die Übertragung beweglicher Rechte aufgenommen! So kommt es, daß auch heute noch in den Niederlanden ernsthaft darüber gestritten wird, wie Forderungsrechte zur Übertragung von Immobilien abzutreten sind56. In der maßgebenden Monographie über die Abtretung von Forderungsrechten nach niederländischem Recht heißt es dazu, dogmatisch wohl zutreffend, daß Forderungsrechte zur Eigentumsübertragung von Immobilien auf dieselbe Weise abzutreten sind, wie gemäß Artt. 671 und 671 a BW das Eigentumsrecht an Immobilien selbst übertragen wird, das heißt also durch Eintragung einer notariellen Urkunde im Grundbuch57• Demgegenüber wird auch behauptet, derartige Forderungsrechte könhten auch nach Art. 668 BW, also wie be-
56 Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich hier auch die (mangelhafte) Bearbeitung des französischen Gesetzbuches zum gemeinrechtlichen Traditionsprinzip hin gerächt. Dem französischen Recht zufolge (artt. 711, 1138 code civil) hat ja schon das Entstehen einer auf eine Eigentumsübertragung abzielenden Obligation zur Folge, daß der Gläubiger das Eigentum erwirbt. Es besteht deshalb im französischen Recht kaum ein Bedürfnis nach einer besonderen Regelung der Abtretung von Forderungsrechten zur Übertragung des Eigentums; schon vor der Besitzübertragung kann ja das Eigentum übertragen werden, so daß damit auch der Herausgabeanspruch (die rei vindicatio!) von Rechts wegen auf den neuen Eigentümer übergeht. Nur so läßt sich erklären, weshalb der code civil keine besondere Regelung der Abtretung von Forderungsrechten zur Eigentumsübertragung von Immobilien kennt: ein solches Forderungsrecht hat keinen vom Eigentumsrecht an sich zu abstrahierenden Vermögenswert. Ausnahme: wenn ein Eigentumsvorbehalt vereinbart ist (was bei Immobilien sehr selten sein dürfte), oder wenn Liegenschaften in genere veräußert werden - beides Situationen, die dem französischen Gesetzgeber wohl kaum vorgeschwebt haben; vgl. hierzu Weill/Terre/Simler, op. cit., Fn. 27). Dem niederländischen Recht des BW 1838 zufolge aber kommt dem Forderungsrecht zur Eigentumsübertragung ein derartiger Vermögenswert zu. 57 J. Wiarda, Cessie of overdracht van schuldvorderingen op naarn, 1937, S. 183 ff.
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wegliehe Rechte, abgetreten werden58 . Doch diese Ansicht erscheint unter systematischem und rechtshistorischem Aspekt als völlig verfehlt Zwar entspricht sie dem römisch-holländischen Recht; dies wurde vom Gesetzgeber von 1838 in diesem Punkte jedoch ausdrücklich zurückgewiesen. Die These ist aber richtig nach dem System des NBW, das, wie erwähnt, zu den Grundsätzen des gemeinen Rechts zurückgekehrt ist, übrigens ohne daß der Gesetzgeber sich dessen bewußt gewesen ist; es macht eine prinzipielle Unterscheidung zwischen körperlichen und unkörperlichen Vermögensbestandteilen ("zaken en rechten", Sachen und Rechten) und ordnet die Sacheinteilung in Mobilien und Immobilien lediglich den körperlichen "Sachen" zu. Trotz ausdrücklicher gegenteiliger Erklärungen und trotz des oberflächlichen Anscheins von Tiefsinn, den der Gesetzgeber zu erwecken versucht, hat das NBW mit seiner "neuen" Terminologie nicht viel mehr getan, als die Vermögensbestandteile ("goederen", Güter bzw. res) in für menschliche Beherrschung erfaßbare, körperliche Gegenstände (res corporales) und Vermögensrechte (res incorporales) zu unterteilen. So hat Johannes Voet nun endlich seinen Sieg über das von ihm abgelehnte System des französischen "droit coutumier" davongetragen und hat das neue niederländische Zivilgesetzbuch zum römisch-holländischen Recht zurückgefunden.
VII. Eine praktische Konsequenz der Wiedereinführung des römisch-holländischen Systems Zum Abschluß dieser Betrachtungen muß noch auf einen Punkt hingewiesen werden. Wie im Vorstehenden gezeigt, sollte nach Ansicht von Voet die Einteilung in Mobilien und Immobilien nur dann auf die Vermögensrechte angewendet werden, wenn dies die Notwendigkeit erfordert. Eine solche Notwendigkeit bestand nur dann, wenn die örtlichen Rechtsquellen, ein Vertrag oder ein einseitiges Rechtsgeschäft, Bestimmungen enthielten, in denen zwar das ganze Vermögen gemeint, tatsächlich aber nur von Mobilien und Immobilien die Rede war: Fälle, in denen sich Vermögensrechte also nicht als eine tertia bonorum species behandeln ließen, auf die das gemeine Recht anwendbar war. Kann nun auch nach der Einführung des NBW in den Niederlanden noch eine derartige Notwendigkeit bestehen, Bestimmungen über Mobilien und Immobilien auf Vermögensrechte anzuwenden?
58 Vgl., statt anderer, Asser /Beekhuis/Mijnssen/De Haan, lakenrecht (Algemeen Deel), 1985, n. 88 und Pitlo/Brahn, op. cit., Fn. 11, S. 221 (vgl. dazu die 8. Aufl., 1980, s. 246).
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Im Rahmen der Einführungsgesetzgebung zum neuen Gesetzbuch sollen sämtliche älteren Gesetze und Verordnungen der neuen Terminologie und Systematik angepaßt werden, so daß sich nach Inkrafttreten des neuen Gesetzbuches jedenfalls auf dem Gebiete des Gesetzesrechtes offenbar keine solche Notwendigkeit ergeben kann. Die Frage kann also allenfalls auf dem Gebiete des ungeschriebenen Rechts eine Rolle spielen. Und hier findet sich nun speziell im Internationalen Privatrecht in der Tat ein Problem, das eine derartige Kategorisierung zu erfordern scheint. Im Jahre 1907 hatte der niederländische Hooge Raad über einen Nachlaß zu befinden, dessen Bestandteile sich teils in Belgien und teils in den Niederlanden befanden59• Das Gericht gab in seinem Urteil zu erkennen, daß sich die zum Nachlaß gehörigen Mobilien dem Rechte des Sterbehauses nach, die Immobilien hingegen nach der Iex rei sitae vererben sollten; es verwies dabei ausdrücklich auf Hugo Grotius60• Diese Ansicht ist, obwohl sie der Auffassung des Vertreters der Staatsanwaltschaft des Hooge Raad widersprach, niemals ausdrücklich aufgegeben worden. Damit finden wir hier eine Regel vor, die schon während des Ancien Regime das wichtigste Beispiel für die Notwendigkeit war, die Vermögensrechte den Mobilien oder Immobilien zuzuordnen. Wie soll nun nach der Einführung des NBW entschieden werden? Offensichtlich läßt sich die alte internationalprivatrechtliche Regel des Grotius und des Hooge Raad nach der Einführung des neuen Zivilgesetzbuches in den Niederlanden nicht mehr anwenden. Denn das NBW macht es ja unmöglich, die Vermögensrechte den Mobilien oder Immobilien zuzuordnen; und ein subsidiäres ius commune gibt es schließlich nicht mehr, dessen Bestimmungen auf Vermögensrechte angewandt werden könnten. Wäre damit nach Einführung des NBW eine neue Regel des niederländischen internationalen Privatrechts zu formulieren gewesen? Die Frage ist wohl zu verneinen. Aus der Einführung der Artikel 3:1-3 NBW ergibt sich in meinen Augen fast zwingend die Schlußfolgerung, daß der über mehrere Länder verteilte Nachlaß nach dem zukünftigen niederländischen internationalen Privatrecht nicht mehr an Hand des unbrauchbar gewordenen Unterschieds zwischen Mobilien und Immobilien zuzuordnen ist, sondern daß hier ein einheitliches System zu gelten hat; das Recht der Nationalität des Erblassers61 • Die beiden Voetii, pater et filus, würden auch diese Neuerung begrüßt haben.
s9 HR 4 April 1907, Weekblad van het Recht 8524. lnleidinge, op. cit., Fn. 14, II, XXVI, 12. Vgl. auch L. Strikwerda, Inleiding tot het Nederlandse Internationale Privaatrecht, Groningen, 1988, n. 151. 60
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Die Klagbarkeil der pacta nuda* Von Robert Feenstra
I. II. ill. IV.
Wesenheck und Vorläufer Die Zeit zwischen Wesenbeck und Grotius Die Klagbarkeitslehre in Grotius' Inleidinge Niederländische Juristen des 17. Jahrhunderts nach Grotius
In den Niederlanden ist die Klagbarkeit des pactum nudum spätestens im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts zur absolut herrschenden Meinung geworden. So lautet die These von Klaus-Peter Nanz in seiner 1985 erschienenen Dissertation über .,Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert" 1• Grundsätzlich ist diese Ansicht wohl richtig, wenn man auch nicht all seinen Ausführungen zustimmen kann. Es lohnt sich, die Entwicklung der Klagbarkeit aller Verträge in den Niederlanden noch einmal etwas näher zu verfolgen, wobei selbstverständlich auch der allgemeine europäische Rahmen ins Auge gefaßt werden muß2• Die Auffassungen der be-
* Der folgende Text ist im wesentlichen eine deutsche Überarbeitung meines 1990 in englischer Sprache erschienenen Aufsatzes: Pact and Contract in ihe Low Countries from ihe 16ih to ihe 18ih century, in: John Barton (Hg.), Towards a General Law of Contract (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History, Band 8), 1990, S. 197-213. 1 Beiträge zur neueren Privatrechtsgeschichte, Band 9, 1985. Die oben im Text angeführte Aussage ist einem Passus auf S. 101 entnommen, der sich nicht nur auf die Niederlande, sondern auch auf Deutschland bezieht. Für eine allgemeine Würdigung der Nanz'schen Arbeit siehe meine Besprechung in: (1990) 58 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 196-199. 2 Für diesen Rahmen siehe jetzt an erster Stelle die übrigen Aufsätze in dem oben Fn. * erwähnten Band Towards a General Law of Contract. Insbesondere sei verwiesen auf Itala Birocchi, La questione dei patti nella dottrina tedesca dell' Usus modemus (S. 139-195); dens., Tra tradizione e nuova prassi giurisprudenziale: la questione dell' efficacia dei patti nella dottrina italiana dell' eta modema (S. 249-366) und Ugo Petronio, Sinallagma e analisi strutturale dei contratti all' origine del sistema contrattuale modemo (S. 215-247). - Vgl. weiter, außer der schon erwähnten Arbeit von Nanz (Fn. 1) und der dort angeführten Literatur, Ugo Petronio, Spunti su consenso e contratto nei giuristi culti, in: Leggi, giudici, giuristi, Atti del Convegno tenuto a
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kanntesten (nord-)niederländischen Juristen aus dem zweiten und dritten Drittel des 17. Jahrhunderts sollen ebenfalls kurz erörtert werden. I. Wesenbeck und Vorläufer Mit Recht hat Nanz3 festgestellt, daß wenn man die "Spur" des Klagbarkeitssatzes in den Werken des usus modemus verfolgt, diese immer wieder zu Matthaeus Wesenheck (Wesenbecius, 1531-1586) zurückführt. Dieser südniederländische Jurist aus Antwerpen, der in Löwen studierte, dann aber als Protestant die Niederlande verlassen mußte, war 1556-1569 Professor der Rechte in Jena und dann, bis zu seinem Tode im Jahre 1586, in Wittenberg. Sein einflußreichstes Werk war ein Kommentar zu den Pandekten. Er erschien zuerst unter dem Titel Paratitla in Pandectarum iuris civilis libros quinquaginta (nicht autorisierte Ausgabe Basel 15634 , erste vom Verfasser selbst besorgte - und viel ausführlichere - Edition Basel 15665) . Ab 1575 Cagliari nei giomi 18-21 maggio 1981 (1982), S. 203-225; Okko Behrends, Treu und Glauben, Zu den christlichen Grundlagen der Willenstheorie im heutigen Vertragsrecht, in: Christianesimo, Secularizzazione e Diritto modemo, a cura di L. Lombardi Vallauri e Gerhard Dilcher, 1981, S. 957-1006; Coenraad Visser, The principle Pacta servanda sunt in Roman and Roman-Dutch law, with specific reference to contracts in restraint of trade, (1984) 101 South African Law Journal 641-655; Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Band 1: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800), 1985, S. 398-406; D.J. Joubert, General principles of the law of contract, 1987, S. 27-30; R. Feenstra und Margreet Ahsmann, Contract: Aspecten van de begrippen contract en contractsvrijheid in historisch perspectief, 2. Aufl. 1988, S. 12-20 (mit Quellenanhang); ltalo Birocchi, Saggi sulla formazione storica della categoria generale del contratto, Universitli di Cagliari, Istituto di storia del diritto, 1988; Reinhard Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990, S. 537-545 und 546-576; ders., Das römisch-holländische Recht und seine Bedeutung für Europa, 1990 Juristenzeitung 825-838, aufS. 827-829. 3 Op. cit., Fn. 1, S. 85 4 Nicht 1565, wie man noch oft erwähnt findet nach R. Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Band I, 1880, S. 356. Stintzing selbst hat diesen Druckfehler in seiner ,Geschichte' bereits korrigiert in: (1881) 23 Kritische Vierteljahresschriftfür Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 494 Fn. **. Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 86, erwähnt 1565, doch seiner Bibliographie (S. 206) zufolge hat er die Ausgabe 1563 benutzt! 5 Nicht Basel 1568, wie ich selbst noch in der ursprünglichen englischen Fassung dieses Beitrags (oben, Fn. *), S. 199, unter Hinweis auf Stintzing, Kritische Vierteljahresschrift (oben, Fn. 4), S. 494, annahm (als Stintzing seine ,Geschichte' schrieb, meinte er noch, daß die Ausgabe Basel 1582 als erste die ausführlichere Fassung darstelle; dieser älteren Ansicht Stintzings folgt noch Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 87). Die Ausgabe Basel 1566 habe ich erst im Mai 1991 in der Universitätsbibliothek Basel gefunden, sogar in zwei Exemplaren (die beide Basilius Amerbach (1533 -1591)
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erschien das Werk zusammen mit Wesenhecks Kommentar zum Codex; der Titel wurde geändert in In Pandectas iuris civilis [et Codicis Iustinianei Lib. XII] commentarii6, doch blieb es auch weiterhin unter dem Namen Paratitla bekannt, weil in späteren Editionen im Titel "olim Paratitla dicti" hinzugefügt wurde. Wesenhecks Werk wurde in Deutschland und in den nördlichen Niederlanden sehr beliebt; unter den späteren Ausgaben7 wurden zwei von niederländischen Juristen herausgegeben: die eine von P.C. Brederodius8 , die andere von A. Vinnius9• Die Hauptstelle zur KlagbarkeilSlehre befindet sich in Wesenhecks Kommentar zum Titel De pactis der Digesten 10• Wesenheck erörtert dort die
gehört haben; ein Exemplar enthält seine handschriftlichen Zusätze). Der Titel lautet: Matthaei Wesenbecii Paratitla in Pandectas iuris civilis, iam primum ab authore aedita, recognita et aucta, Accesserunt praeterea priori aeditioni prolegomena de finibus studiorum iurisprudentiae, de studio iuris recte instituendo, de libris iuris, item partitio Pandectarum particularis et in calce oeconomia Codicis Iustinianei ... Basileae 1566 (im Kolophon; per Eusebium Episcopium et Nicolai Episcopii haeredes, Anno ... 1566 mense Augusto). 6 So lautet der Titel in der Ausgabe Basel 1575, die von Stintzing an keiner der oben Fn. 4 angeführten Stellen erwähnt wird. Ich habe das Exemplar der Bibliothek von Christ Church in Oxford benutzt. 1 Der bekannteste spätere Herausgeber des Werkes war R. Bachovius. 8 Siehe Robert Feenstra, Pieter Cornelisz van Brederode (1558 [?]-1637) als rechtsgeleerd schrijver, Een bio-bibliografische bijdrage, (1959) 27 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis 430-431 und 455-456. 9 Margreet Ahsmann/Robert Feenstra, Bibliografie van hoogleraren in de rechten aan de Leidse Universiteit tot 1811 (Geschiedenis der Nederlandsche rechtswetenschap VII-1), 1984, nn. 921-923. 10 Wegen der großen Bedeutung der Stelle führe ich sie hier in extenso an, und zwar aus der Edition Basel 1566, S. 108-109 (dort ist sie ein Teil der n. 10 zu D. 2, 14, in späteren Ausgaben (1582 und folgenden) steht sie unter n. 9): Etsi autem hac de re plura subtilher disputari possunt, tarnen modus aliquis adhibendus est, maxime cum hae iuris veteris subtilitates hodie non sint in usu. Nam primum iure pontificio ex quolibet pacto oritur actio, c. 1 et 3, ubi cc [lies: Can[onistae], wie in der Ausgabe Basel 1568], Extra eodem [X 1, 35, 1 und 3; diese Allegation steht, wie die folgenden kursiv gedruckten Textverweisungen, in der Ausgabe 1566 am Rande des Textes]. Deinde hodie idem obtinet in omni foro, ubi ex aequo et bono et ex suprema potestate iudicatur, ut sunt curiae surnmorum principum, arbitratorum, mercatorum et similium, Bartolus et Doctores in I. Quinimo [Quintus?; D. 17, 1, 48] per illum texturn, et in I. Si fideiussor, 29, § Quaedam, Mandati [D. 17, 1, 29, 4]. Etsi autem longa disputatio est an in reliquis curiis, in quibus secundum ius civile pronunciatur, ius pontificium obtinere debeat, tarnen communis opinio est, et ita usus observat, ut indistincte ex pactis nudis etiam in foro civili hodie detur actio, Baldus et Salicetus in I. Petens, 21, C. eodem [C. 2, 3, 27!] et idem Baldus in I. Legitima, 6, in principio, hoc titulo [D. 2, 14, 6 pr.], et lason, qui dicit esse communem, in dicta I. 7, § Sed cum nulla [D. 2, 14, 7, 4], num. 4. Quod verum puto et sequendum. Nam pacta cum
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Rechtsfolgen von pacta, zuerst im Naturrecht, das aus einem pactum eine "obligatio quae illo iure sit efficax" entstehen läßt, dann, ausführlicher, "iure civili et iure praetorio". Er kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß die iuris veteris subtilitates mittlerweile aufgegeben worden seien, weil "primum iure pontificio ex quolibet pacto oritur actio" und "deinde hodie idem obtinet in omni foro ubi ex aequo et bono et ex suprema potestate iudicatur, ut sunt curiae summarum principum 11 , arbitratorum, mercatorum et similium". Für andere weltliche Gerichte habe man bezweifelt, ob das ius pontificium angewendet werden solle, aber "communis opinio est, et ita usus observat, ut indistincte ex pactis nudis12 etiam in foro civili hodie detur actio". Diese communis opinio bzw. diesen usus hält Wesenheck für richtig und befolgenswert13. Als nähere Begründung führt er an 14, daß, weil "pacta15 obligent naturaliter et ex bono et aequo", wer sie nicht einhalte "contra naturam, conscientiam atque adeo contra officium boni viri" handele. Wesenheck weist darauf hin, daß dies nach der Ansicht der Kanonisten ein "peccare mortaliter" darstelle. Es sei inter Doctores allgemein anerkannt, daß "quotiescunque agitur de cavendo peccato deque causa conscientiae, toties etiam in foro civili ius pontificium debeat observari"16•
obligent naturaliter et ex bono et aequo, l. 1 in principio hoc titulo [D. 2, 14, 1 pr.] /. 1 de constituta pecunia [D. 13, 5, 1], sequitur eurn, qui pacta non servat, contra naturam, conscientiam atque adeo contra officium boni viri facere ac peccare, ut volunt Canonistae, mortaliter, gl. in c. 1, de pactis [X 1, 35, 1]. Ac certe divus Paulus ad Rom. I asynthetous, hoc est eos qui pacta non servant, in illis numerat qui capitaliter delinquunt. Est autem definitum inter DoctorP-s, ut quotiescunque agitur de cavendo peccato deque causa conscientiae, toties etiam in foro civili ius pontificium debeat observari, c. 1 et 2, ubi Doctores, de operis novi nuntatione [X 5, 32, 1-2], Castrensis in auth. At qui semel, C. de probationibus [post C. 4, 19, 19], cum similibus. 11 In der ursprünglichen englischen Fassung dieses Beitrages (oben Fn. *), S. 200, Zeile 3, sind durch einen Druckfehler die Worte .,ut sunt curiae surnmorurn principum" ausgefallen. 12 In der Ausgabe Basel 1575 und späteren Ausgaben sind nach .,pactis nudis" die Worte "serio et deliberate initis" eingefügt worden, dazu unten, Fn. 23; vgl. auch Fn. 15. 13 Zu Unrecht habe ich in der ursprünglichen englischen Fassung (oben Fn. *), S. 200, Fn. 12, angegeben, daß auch der Satz .,Quod verum puto et sequendum" erst in der Ausgabe Basel 1575 hinzugefügt worden ist. Er steht schon in den Ausgaben 1566 und 1568. 14 Diese nähere Begründung habe ich in der englischen Fassung (oben Fn. *), S. 200, zu Unrecht nicht erwähnt, vgl. die vorige Fußnote. 15 Ab 1575 steht hier .,eiusmodi pacta", weil Wesenheck die pacta nuda in einem früheren Satz näher qualifiziert hat, vgl. oben Fn. 12. 16 Wie aus den hier folgenden Allegationen hervorgeht (siehe oben Fn. 10 am Ende), beruft Wesenheck sich in erster Linie auf die Kanonisten zu X 5, 32, 1-2, die
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Wesenhecks Aussagen lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig; einigennaGen problematisch sind hingegen die Autoritäten, auf die er sich beruft. Für die Aussage, es sei mittlerweile communis opinio, daß die pacta nuda auch in weltlichen Gerichten klagbar seien, verweist Wesenheck auf Baldus, Salicetus und Jason; letzterer "dicit esse communem". Diese Worte stehen zwar tatsächlich im angeführten Text Jasons 17, doch beziehen sie sich dort nur auf die (in der Tat fast allgemein anerkannte) Lehre18 , daß ein pactum nudum nach kanonischem Recht klagbar sei. Offenbar ist Wesenheck bei seinen Quellenverweisungen nicht besonders akkurat gewesen 19• Möglicherweise ist er auch von anderen Quellen beeinflußt worden, ohne diese zu nennen. Eine dieser Quellen könnte Franciscus Vivius, Communes opiniones doctorum20, gewesen sein, wo man einige allgemeine Aussagen antrifft, die denjenigen Wesenhecks sehr ähnlich sind. Vivius, ein neapolitanischer Jurist aus dem 16. Jahrhundert, gibt dabei eine nähere Präzisierung: Die Regel "quod pactum nudum producat pariatque actionem" soll Anwendung finden "non solum in omnibus terris Ecclesiae sed in terris etiam Imperii secundum
sich tatsächlich im angegebenen Sinne aussprechen. Das Castrensis-Zitat (das seit der Ausgabe Basel 1568 näher präzisiert wird: ,,nu. 3 et 4") scheint allerdings ziemlich weit hergeholt. 17 Jason Maynus (de Mayno) zu D. 2, 14, 7, 4, n. 4 (In primam Dig. Vet. partem commentaria, Venetiis, 1598, fol. 147 v.): ,,Licet ista sit communis opinio quod pactum nudum de iure canonico producat actionem, contrarium tarnen tenet Salicetus ... et sequitur Angelus de Aretio ...". Die Bemerkung über die communis opinio ist von Visser, op. cit., Fn. 2, S. 646-647, völlig aus dem Zusammenhang gerissen; er fügt Fragmente von anderen Sätzen hinzu, welche nur in ihrem eigenen Kontext verstanden werden können, und gibt S. 647, Fn. 48, falsche Übersetzungen. 18 Ablehnend allerdings Salicetus und Angelus Aretinus, siehe die vorige Fußnote. 19 Wahrscheinlich hat er die Verweisungen auf Bartolus, Baldus und Salicetus alle dem Kommentar Jasons zu D. 2, 14, 7, 4 (vgl. oben, Fn. 17), nn. 4 und 11, entnommen. Das erste Bartolus-Zitat ist verstümmelt worden: es sollte lauten "in I. Quintus [tit. Mandati, D. 17, 1, 48]"; in späteren Ausgaben (z.B. Basel 1599) ist es verschlimmbessert in "!. 7, § Quinimo ... hoc titulo [D. 2, 14, 7, 5]". Die Baldus-Zitate sind richtig, doch behandelt dieser ebensowenig wie Jason die Anwendung der pactaRegel vor weltlichen Gerichten. ,,Salycetus in I. Petens" ist ein Fehler; es muß heißen "in I. Legern [C. 2, 3, 10]". Dort verneint Salicetus sogar, daß die pacta-Regel im kanonischen Recht Anwendung findet. Die Allegationen im letzteren Teil der von uns zitierten Stelle scheinen grundsätzlich richtig zu sein. 20 Vorliegend benutzte Ausgabe ist die in Communes sententiae sive opiniones iurisconsultorum e iuris caesarei et pontificii fontibus haustae, Lugduni, 1566, S. 1 ff.; die angeführte Stelle steht dort auf S. 98 (ausführlicheres Zitat in Feenstraf Ahsmann (op. cit., Fn. 2), S. 42-43). In der Ausgabe Venetiis, 1571 der Sententiae findet man den Passus auf S. 253: er ist wahrscheinlich aus dieser Edition zitiert von Busius (siehe unten Fn. 32), wo statt "Vin. in lib. opin. 235" zu lesen ist "Viv. in lib. opin. 253".
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communem opm10nem omnium doctorum quam allegat Fortunius Garzia in c. 1 de pactis [X 1, 35, 1] num. 10". Hier findet man tatsächlich eine communis opinio (doctorum) im Sinne von Wesenhecks Text. Der von Vivius angeführte Fortunius Garcia könnte auch unmittelbarer Gewährsmann von Wesenheck gewesen sein; in einem seiner consilia21 zitiert er ihn in der Tat, und zwar gerade im Zusammenhang mit der pacta-Regel. Über Fortunius Garcia könnte Wesenhecks Lehre indirekt mit einem kastilischen Gesetz zusammenhängen, in dem bereits im Jahre 1386 bestimmt worden war, daß ein Vertrag auch ohne die Formalitäten der stipulatio gültig sei22• Moraltheologischer Einfluß kommt m.E. erst an zweiter Stelle in Betrach~3 • II. Die Zeit zwischen Wesenheck und Grotius Wenn wir uns jetzt den niederländischen Juristen des ausgehenden 16. Jahrhunderts und der ersten drei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zuwenden, so können wir feststellen, daß viele - nicht alle - sich für die Klagbarkeit des nudum pactum auf Wesenheck berufen. Als erster sei hier Everardus Bronchorst (1554 -1627) aus Deventer erwähnt, der von 1587 bis 1620 an der Universität Leiden lehrte. Er war zuvor Wesenhecks Schüler in Wittenberg gewesen; und es ist angesichts dessen wohl kaum erstaunlich, daß er in seinem ersten Werk, den Enantiophana
21 Cons. 38, zum ersten Mal veröffentlicht in seinen Tractatus et responsa quae vulgo consilia iuris appellantur, Basileae, 1575; die Verweisung auf Garcia steht in Nr. 20, Sp. 895-896. Merkwürdigerweise beschränkt Wesenheck Garcia's Bemerkung auf das kanonische Recht: "Pactum autem hodie ex Canonibus ad agendum est efficax, secundum communem c. 1, ubi hoc firmat Fortun. Garzia, nu. 10, ll cum sequentibus, de pactis. Et licet non esset, tarnen quae inde oritur naturalis obligatio sufficit pro causa obligationis insequentis, ne pro nuda haberi queat, quasi citra causam facta, I. 1 § fin., ubi Castrensis, I. qui autem § fin. et passim, de constituta pecunia". Die Stelle, auf die Vivius und Wesenheck verweisen, steht in Fortunius Garcia, Repetitio in cap. Primum, De pactis (die hier benutzte Ausgabe ist die in Repetitionum in iure canonico ad II. Decretalium librum volumen tertium, Coloniae Agrippinae, 1618, S. 278 ff.; die nn. 10 und 11 findet man dort aufS. 283-284). Garcia, ein spanischer Jurist aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, lehrt dort, daß pacta nicht nur im kanonischen, sondern auch im weltlichen (besonders spanischen) Recht klagbar sind; er verweist auf ein kastilisches Gesetz von 1386 (vgl. unten bei Fn. 22). Diese Ausführungen von Garcia werden auch angeführt von Jacobus Coren, vgl. unten, bei Fn. 45. 22 Siehe die vorige Fußnote, am Ende; vgl. auch unten Fn. 82. 23 Die Worte "serio et deliberate initis", die für moraltheologische Quellen typisch sind, hat Wesenheck erst später hinzugefügt, siehe oben Fn. 12.
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(1595i4 , der Auffassung seines Lehrers folgt25, wonach "ex pactis serio et deliberato animo initis" eine Klage gegeben werden solle, und zwar nicht nur nach kanonischem Recht sondern auch in foro civili. Er verweist jedoch auch auf die Lehre, daß die Klagbarkeil "et iure civili defendi potest eo in casu si adversarius damno afficiatur eo quod pacta non serventur"26• In diesem Fall sei die Klage eine actio de dolo, doch im allgemeinen solle ein nudum pactum mit einer condictio ex canone klagbar sein27• Ein etwas älterer Zeitgenosse Bronchorsts ist Petrus Gudelinus (15501619), aus Ath (Hennegau), von 1582-1619 Professor an der Universität Löwen. Seine Commentariorum de iure novissimo libri sex wurden erst 1620 postum veröffentlicht. Darin schreibt er, daß nach den mores nostri aus pacta nuda eine obligatio efficax und eine Klage entstehen, "sive hoc ex iure pontificio, aut potius ex ejus interpretatione, traductwn sit in mores, sive ex eo quod posterioribus saeculis grave visum sit etiam in nudis pactionibus fidem fallere"28• Obwohl Gudelinus hier Wesenheck nicht zitiert29 - an anderen
24 Die ersten zwei centuriae dieses Werkes wurden 1595 in Leiden veröffentlicht, vgl. Ahsmann/ Feenstra (oben Fn. 9), n. 56 (weitere centuriae folgten 1598 und 1602, siehe ibid., nn. 58 und 67). Ich konnte die Stelle über die Klagbarkeil der pacta Centuria I, Assertio 39 - nicht in dieser Erstausgabe, sondern nur in der zweiten Auflage aus dem Jahre 1597 überprüfen (Enantiophanon centuriae duae et conciliationes eorundem, Hanoviae 1597, S. 67). Der Text stimmt fast wörtlich mit Stellen aus Bronchorsts Vorlesungen über den Codex überein, siehe Hs. Leeuwarden, Provinciale Bibliotheek van Friesland, 573 IX, Fol. 2 E 14 v. Das Auffinden dieser Stellen verdanke ich Frau Dr. Ahsmann (Leiden); vgl. zu der Handschrift jetzt ihre Dissertation Collegia en colleges, Juridisch onderwijs aan de Leidse Universiteit 1575-1630, in het byzonder het disputeren (Rechtshistorische studies, Nieuwe reeks, 1), 1990, s. 115-117. 25 Er verweist ausdrücklich auf Wesenbeck.
26 Für diese Lehre zitiert Bronchorst Alciatus; man findet sie aber schon bei Jason, op. cit., Fn. 17, n. 18, der auf Bartolus und Baldus zurückverweist. Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 120-121, hat den Text mißverstanden, vgl. die folgende Fußnote. 27 Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 120-121, meint, Bronchorst hätte die actio de dolo und die condictio ex canone identifiziert. Diese Interpretation ist unrichtig, wie auch die Suggestion, Bronchorst hätte die sogenannte Lehre von Alciatus (vgl. jedoch die vorige Fußnote) und die Lehre von Wesenheck zu vereinigen versucht. Zu Unrecht sagt Nanz auch (S. 120), daß Bronchorsts Lehre wörtlich von Henricus Zoesius übernommen wurde: die angeführte Stelle ist ein Zusatz des Herausgebers (Martinus Naurath) zu Zoesius' postum erschienenem Codex-Kommentar; vgl. unten Fn. 47. 28 Petrus Gudelinus, Commentariorum de jure novissirno libri sex, Lib. lli, Cap. VI, vers. Porro videamus (Ed. Antverpiae, 1620, S. 95). 29 Im allgemeinen stützt Gudelinus sich, wie auch andere Juristen aus den südlichen Niederlanden, insbesondere auf französische Autoren, doch zitiert er diese hier, in seinen Ausführungen über pacta, ebensowenig wie Wesenbeck. 9 Feenstra/Zim.mennann
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Stellen seines Werkes tut er dies durchaus- könnte die doppelte Begründung als ein Hinweis auf die oben wiedergegebenen Ausführungen in den Paratitla gedeutet werden. Gudelinus' Commentarii wurden auch in den nördlichen Niederlanden viel zitiert; es erschienen dort sogar drei Ausgaben (Amhemii 1639, 1643 und 1661). Weniger bekannt und einflußreich als Bronchorst und Gudelinus, jedoch für unser Thema interessant, ist Paulus Busius (um 1570-1617), von 1610 bis 1617 Professor an der Universität Franeker, vorher Rechtsanwalt in Zwolle. Schon während seiner Anwaltszeit, 1608, veröffentlichte er den ersten Band seines Commentarius in Pandectas cum differentiis iuris canonici et consuetudinum Germaniae, Galliae et Belgicae ad usum huius seculi compositus30, den man als den ersten Usus-modemus-Kommentar in den Niederlanden betrachten kann. Zum Titel De pactis äußert er sich sehr nuanciert31 : Wenn auch "nonnulli annotant propter minus usitatam sollennitatem stipulationis hodie pacta ex moribus saltem observanda et actionem consequenter condictionis ex lege instar esse", so gelte dies doch nur insoweit ("temperationem recipit"), als nicht jeder, der sich temere et minus cogitatum etwas habe entschlüpfen lassen, sofort verklagt werden könne; vielmehr solle erst der Richter "ex re nata arbitrio suo" entscheiden ob eine vertragliche Bindung gegeben sei32• Von den lediglich praktisch tätigen Juristen sollen hier zwei erwähnt werden, einer aus den südlichen, der andere aus den nördlichen Niederlanden. Paulus Christinaeus (1543 -1631) war Rechtsanwalt beim Großen Rat in Mecheln33, dem höchsten Gerichtshof für die Niederlande (in der Periode seiner Tätigkeit de facto wohl hauptsächlich nur für die südlichen Niederlande). Er gab im Jahre 1626 die ersten Bände einer Entscheidungssammlung
30 Zwollae, 1608. Der zweite Band erschien nicht 1609, wie in der ursprünglichen englischen Fassung dieses Beitrags (oben Fn. *) zu Unrecht steht, sondern 1614 in Franeker (die Titelseite hat "1514", aber das ist ein Druckfehler). Eine editio aucta des ersten Bandes wurde 1610 veröffentlicht; Neudrucke beider Bände erschienen 1656-1657 in Deventer und 1669 in Leiden (auf der Titelseite falsch "1569"). 31 Ed. Zwollae, 1608, S. 93 (n. 11). 32 Er fährt fort: "Unde recte Doctores annotant conventionem sine verborum solennitate non prodesse praeterquam si ea provide geminetur aut semel interposita renovetur" [Verweisungen u.a. auf Vivius, siehe oben Fn. 20]. Der Hauptteil seiner Ausführungen (bis "Unde recte") wird von Nicolaus Tuldenus als Autorität für eine "consuetudo in Belgio" angeführt, siehe unten Fn. 84 [Tuldenus liest zu Unrecht "interpretationem recipit" statt "temperationem recipit"]. 33 Auch Syndicus von Mecheln. seiner Heimatstadt.
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dieses Gerichtshofes34 heraus. Darin findet sich ein Passus über die Rechtsfolgen von pacta, der von späteren Autoren zwar oft zitiert wird, der jedoch nur als persönliche Aussage des Verfassers Autorität besitzt35 : ..sciendum est quod hodie non curetur de verborum fonnula quodque ex omni conventione serio pacta et conclusa de re licita oriatur actio"36• Christinaeus verweist auf einen bekannten Text aus dem Kommentar von Molinaeus (Charles Dumoulin, 1500-1566) zum Digestentitel De verborum obligationibus37• Dieser Text, der nicht nur in Frankreich sondern auch in den Niederlanden großen Einfluß entfaltet hat38 , stammt aus dem Jahre 1562 und ist also etwa vier Jahre älter als derjenige von Wesenbeck39 (den Christinaeus nicht anführt4!). Ungefähr aus derselben Zeit wie das Werk des Christinaeus stammen die Observationes rerum in [Supremo Senatu Hollandiae, Zelandiae et Frisiae] iudicatarum von Jacobus Coren, der von 1621 bis 1631 Richter am höchsten Gerichtshof der Provinzen Holland und Zeeland war. Coren berichtet über eine Entscheidung dieses Gerichtes aus dem Jahre 162341 , die unser Thema betrifft42. Auch hier war es freilich nicht das Gericht selbst, das sich im all-
Und einiger anderer Gerichte, vgl. den Titel des Werkes unten Fn. 36. Wenn er am Ende seiner Molinaeus-Analyse (siehe unten im Text) sagt ,,Et sie alias censuit Suprema Curia", so bezieht sich das auf eine dieser aus Molinaeus angeführten Meinungen, nicht auf seine eigene, von mir im Text zitierte Aussage über die Klagbarkeil von pacta. 36 Paulus Christinaeus, Practicarum quaestionum rerumque in supremis Belgarum curiis iudicatarum observatarumque volumen II et ill, vol. II, decisio 91 (Ed. Antverpiae, 1626, S. 120-121). 37 Carolus Molinaeus, Nova et analytica explicatio rubr. et leg. 1 et 2 de verbor. obligat. (erste Ausgabe Lugduni, 1562), zur Rubrik. n. 42 (Ed. 1562, S. 19; auch in seinen Opera, Parisiis, 1658, Bd. IV, Sp. 138, aus welcher Edition die Stelle zitiert wird in Feenstra/Ahsmann (oben Fn. 2), S. 41-42). Vgl. Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 75, der jedoch die Bedeutung und den Einfluß dieser Stelle zu unterschätzen scheint. Ihr sollten nicht die Stellen aus Molinaeus' Codex-Kommentar (zum Titel De pactis) gleichgestellt werden; dieser Kommentar erschien erst postum 1604. 38 Nach Nanz, loc. cit., ist Christinaeus jedoch der einzige Autor des usus modernus, der diese Stelle von Molinaeus anführt. 39 Eine Beeinflussung Wesenhecks durch Molinaeus ist jedoch wohl nicht anzunehmen. 34 35
40 Christinaeus stützt sich, wie Gudelinus (vgl. oben Fn. 29), insbesondere auf französische Autoren.
Die Observationes wurden erst 1633 postum im Haag veröffentlicht. Observatio 13 (Ed. Hagae Comitum, 1633, S. 75-81); siehe insbesondere nn. 8 ff. (S. 77-78). Die Stelle wird u.a. von Voet zitiert, siehe unten Fn. 105. Nanz nennt sie nicht. 41
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gemeinen für die Klagbarkeit der pacta aussprach: nur im Vortrag des Klägers heißt es "quod omni iure pacta inviolabiliter sunt servanda". Obwohl nach ius civile und ius praetorium aus einem pactum nudum eigentlich kein Klagerecht erwachse, sei bekanntlich die entgegengesetzte Regel des kanonischen Rechts usu rezipiert worden und werde foro civili43 befolgt. Dieser Argumentation widersprach der Beklagte nicht. In einer Randnote zitierte Coren einen Passus aus der bekannten Stelle bei Wesenbeck44 und fügte eine Verweisung auf Fortunius Garcia45 hinzu.
111. Die Klagbarkeitslehre in Grotius' Inleidinge Für die Periode nach 163046 werden wir uns hauptsächlich auf Autoren aus den nördlichen Niederlanden beschränken47•
43 Man beachte, daß es in Holland nicht, wie gelegentlich behauptet worden ist, die Beschränkung auf Handelsgerichte gab; vgl. meine Bemerkungen in (1959) 27 Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis, 480-481. 44 Coren hatte in Leiden bei Bronchorst, dem Schüler Wesenhecks (siehe oben bei Fn. 25), Jura studiert. 45 Vgl. oben Fn. 21. Coren zitiert ,,n. 118" von Garcia's Repetitio, wahrscheinlich ein Fehlzitat. 46 Sowohl chronologisch wie geographisch nicht leicht unterzubringen ist der von Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 101, als "Gegenstimme" zu Wesenheck genannte Antonius Matthaeus [I] (1564-1637), der, nach Professuren in Herborn und Marburg, von 1625 bis zu seinem Tode, 1637, in Groningen lehrte. Ich bezweifle übrigens, ob Nanz ihn zurecht als Gegner Wesenhecks klassifiziert. Er zitiert "Collegium Pandectarum, disp. 5 n. 41 (p. 55)". An dieser Stelle (man lese "p. 35" statt "p. 55") - einem Teil einer in Groningen gehaltenen Disputation - sagt Matthaeus in der Tat, daß er nicht mit Wesenbeck einig ist, doch betrifft das nur dessen Aussage, das kanonische Recht unterscheide sich darin vom jus civile, daß es aus einem pactum mehr als eine exceptio gäbe. In einer anderen Disputation, gehalten in Marburg - Disputationes aliquot extraordinariae (der letzte Teil seiner, postum erschienenen, Collegia iuris sex, Groningae, 1638; "Collegium Pandectarurn" ist der fünfte Teil), disp. 3, n. 75 (S. 25) schreibt er: ,,Pactum autem si non iure canonico ... saltem usu et moribus actionem parit" (er verweist auf Petrus Heigius, in prin. Inst. de V. 0.); nach seiner Meinung "Tantum non obsolevit stipulatio et in pactum degeneravit" (loc. cit., n. 74). Letztere Stellen werden wörtlich von seinem Schüler Wissenbach (siehe unten Fn. 86) zitiert, der Matthaeus zusammen mit, u.a., Wesenbeck, Christinaeus und Grotius als Autorität für die Klagbarkeil von pacta anführt.
47 Für die südlichen Niederlande ist aus dieser Periode hauptsächlich Franciscus Zypaeus (1580-1650; er bekleidete verschiedene kirchliche Ämter in Antwerpen) zu nennen, der als erster Autor einer systematischen Darstellung des Rechts dieser Länder gilt: seine Notitia juris belgici wurde zuerst 1635 in Antwerpen veröffentlicht (eine der späteren Auflagen erschien 1642 in Arnhem, also in den nördlichen Niederlanden); über Zypaeus siehe L. Verbeek, (1968) 36 Tijdschrift voor rechtsgeschiede-
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Der wichtigste unter ihnen48 ist ohne Zweifel Hugo Grotius (15831645), der nicht nur als Rechtstheoretiker angesehen werden sollte, sondern auch als ein Jurist, der in der ersten Periode seiner Karriere sehr eng mit der Rechtspraxis der Provinz Holland verbunden war. Er verdient deshalb eine
nis 267-311, insbesondere S. 290 ff. zu der Notitia. In Lib. 8, Cap. De contrahenda stipulatione (Ed. Antverpiae 1635, S. 196) schreibt Zypaeus: "Stipulationes hodie non frequentantur nec earum est necessitas: ex pactis actio datur per mores, forte ortos ex sententia interpretum qui jure canonico ex nudo pacto actionem tribuunt vel quod magis fidei datae in rebus licitis habenda sit ratio quam legibus verborum deferendum". Er nennt seine Quellen nicht, doch könnte er von Gudelinus beeinflußt worden sein, siehe oben bei Fn. 28 (vgl. Verbeek, S. 292, der meint, der Einfluß von Gudelinus auf Zypaeus sei überschätzt worden). - Nanz, der Zypaeus nicht erwähnt, nennt als südniederländischen Autor aus dem 17. Jahrhundert außer Christinaeus nur den Löwener Professor Henricus Zoesius (1571-1627): dieser sei in seinem posturn veröffentlichten Kommentar zu den Digesten und zum Codex Wesenheck gefolgt. Zu D. 2, 14 sagt Zoesius - ohne Wesenheck anzuführen - daß ein pacturn nudurn "de moribus" bindend sei, doch ist er nicht mit Wesenheck einig in der Frage, ob es im kanonischen Recht eine Klage hervorbringt (Commentarius ad Digestorum seu Pandectarum iuris civilis libros L, hrsg. von Valerius Andreas, ed. secunda, Lovanii, 1656, S. 93). Zu C. 2, 3 (qu. 22) erwähnt er nur seine Differenz mit Wesenheck über die Klagbarkeil des pactum im kanonischen Recht (Commentarius in Codicem Justinianeum, hrsg. von Martinus Naurath, Coloniae Agrippinae, 1660, S. 39). Eine andere Meinung über diese Frage und eine Aussage, daß pacta jetzt nach weltlichem Recht bindend seien, findet man in Note i zu qu. 22 (ibid., S. 42), doch stammt diese erst vom Herausgeber Naurath, der von Bronchorst abgeschrieben hat (siehe oben Fn. 27). In Zoesius' - auch postum erschienenem - Commentarius ad Institutionurn iuris civilis libros IV, zu Inst. III, 15 (14), wird das Thema nur in einer Addition vom Herausgeber Valerius Andreas berührt (Ed. Coloniae Agrippinae, 1671, S. 461 -462). - Über Nicolaus und Diodorus Tuldenus siehe unten Fn. 84. 48 Unter den mehr oder weniger zeitgenössischen Autoren verdient vor allem Lambertus Goris (gest. 1651) Erwähnung, ein Rechtsanwalt aus Nimwegen, der in seinem Adversariorum iuris subcisivorum liber singularis - in dem er das Recht der Provinz Gelderland kommentiert - schreibt, es sei gar keine Frage "utrum ex pacto actio detur necne, cum pridem apud pragmaticos tarn sit hoc receptum ut apud nos analphabeto cuique innotuerit (Ed. Noviomagi, 1632, S. 133, Cap. 16, n. 20). In der zweiten Auflage, Amhemii, 1635, S. 36-37 - wo die Stelle als tract. I, Cap. 4, n. 20, vorkommt - fügt er Verweisungen hinzu: Ludovicus Molina (De iustitia et iure, tom. 2, tractat. 2, disp. 257), Christinaeus (siehe oben Fn. 36) und Grotius' Inleidinge (siehe unten im Text). In der ersten Auflage zitiert er nur eine lange Stelle aus John of Salisbury, die er auch bei Marquardus Freherus angeführt gefunden hat. Goris, der von Nanz nicht genannt wird, ist wohl eine bedeutendere Autorität als Johannes Arnoldus Corvinus (gest. nach 1668), von dem Nanz (S. 100, Fn. 33) eine Stelle über D. 2, 14 in seinen Digestaper aphorismos explicata (Ed. Amsterodami, 1642, S. 75) zitiert, in der nur wiederholt wird, was Wesenheck bereits gesagt hatte (nach dem Vorwort ist das ganze Werk "potissimum ex Wesenbecio concinnatum"). Zu jüngeren Autoren, die wohl direkt von Grotius beeinflußt worden sind, vgl. unten bei Fn. 85 ff.
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Behandlung auch im Rahmen des niederländischen usus modemus49. Seine "Einführung in die holländische Rechtswissenschaft" - Inleidinge tot de Hollandsehe rechtsgeleerdheid50 - wurde während seiner Gefangenschaft im Schloß Loevestein (1619-1621) geschrieben, doch erst 1631 veröffentlicht. Wir werden uns hier nur mit diesem Werk beschäftigen. Dabei bedienen wir uns in erster Linie der holländischen Terminologie des Grotius, doch fügen wir, zum bequemeren Verständnis für nicht-niederländische Leser, entsprechende Zitate aus einer lateinischen Übersetzung vom Anfang des 19. Jahrhunderu51 hinzu. Nach dem Naturrecht, so Grotius in Inleidinge, III, I, 9, gibt es zwei Quellen eines persönlichen Rechts ("inschuld"52, jus personale): "toezegging" (promissio) und "onevenheid" (inaequalitas). Daß "toezegging" als ein niederländisches Äquivalent des römischen Fachausdrucks "promissio" gemeint ist, folgt aus der Erwähnung dieses lateinischen Wortes am Rande des Textes53. Diese zuerst für das Naturrecht verwendete Terminologie54 wird als-
49 Nanz, op. cit., Fn. 1, S. 139-149, behandelt Grotius nur im Kapitel ..Die naturrechtliche Vertragslehre".
50 Die beste Ausgabe ist diejenige von F. Dovring, H.F.W.D. Fischer und E.M. Meijers, 1952, 2. Auf!., 1965. Leser, die den niederländischen Text nicht verstehen, können die englische Übersetzung von R.W. Lee benutzen: The Jurisprudence of Holland by Hugo Grotius, The text translated with brief notes and a commentary by R.W. Lee, vol. I, 1926 (verbesserter Nachdruck 1953); hier fmdet man auch eine Edition des niederländischen Textes, mit den lateinischen Fachausdrücken in margine (siehe unten Fn. 53). Weniger bekannt ist die alte lateinische Übersetzung von Joannes van der Linden (1756 -1835), die erst 1962 veröffentlicht worden ist: Hugonis Grotii Institutiones juris hollandici e belgico in Iatinum sermonem translatae a Joanne van der Linden J.U.D., ed. H.F.W.D. Fischer (with a preface in English) (Rechtshistorisch Instituut [Leiden], Serie I, 3), 1962. Weil Van der Linden ein ausgezeichneter Kenner des römisch-holländischen Rechts war, ist diese Übersetzung besonders wertvoll; in der Edition fehlen jedoch selbstverständlich die lateinischen Fachausdrücke in margine. 51
Vgl. die vorige Fußnote.
Über das Wort .~nschuld" siehe jetzt meinen Aufsatz ,Jnschuld", .,Schuld" en ,.Verbintenisse" bij Hugo de Groot, in: F. Stevens/D. van den Auweele (Hg.), ,,Houd voet by stuk", Xenia iuris historiae G. van Dievoet oblata, 1990, S. 455-470. 52
53 Grotius hat an vielen Stellen für die von ihm eingeführten niederländischen Fachausdrücke in margine lateinische Äquivalente angegeben (vgl. schon oben Fn. 50). 54 Es soll dabei noch betont werden, daß Grotius einen Unterschied macht zwischen .,toezegging" und ,.belofte": letzteres Wort ist das Äquivalent von pollicitatio (siehe Inleidinge, Ill, I, 5). Diese Terminologie ist von Ulrich Huber kritisiert worden (siehe unten Fn. 100); dieser verwendet .,belofte" in dem von Grotius dem Wort .,toezegging" beigelegten Sinne.
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dann bei der Beschreibung der "burgher-wetten" (Ieges civiles55 , oder vielleicht besser ius civile56) beibehalten und angewandt. Dabei stellt Grotius fest, daß "de burgher-wetten door aenwijzinghe van de ervarentheid eenige nieuwe verbintenissen [hebben) ingebracht" ("Ieges civiles, experientia edoctae, novas quasdam Obligationes induxerunt"; III, I, 21); und er fährt fort: "Ende om de onbedachtheid der menschen, in hun zelve te verbinden, te betomen, zoo hebben de zelve wetten eenige verbintenisse[n) alleen de kracht van rechtsdwang benomen, eenighe oock t' eenemael vernietigt, den mensen de macht tot zodanige verbintenissen benemende" ("atque ad coercendam hominum temeritatem in obligationibus contrahendis, eaedem Ieges ex nonnullis obligationibus actionem denegarunt, aliasque nullas declararunt, hominibus facultatem eas contrahendi adimentes"; III, I, 21 in fine)57• Grotius betont dann, er werde bei seiner Behandlung des Themas dem ius civile folgen, wenn nötig aber auch auf das Naturrecht zurückgreifen (III, I, 22). Diesen einführenden Betrachtungen läßt Grotius seine Definition der Obligation folgen: "Verbintenisse ... is een daed van de eene, waer uit voor een ander inschuld ontstaet" ("Obligatio ... est factum alicujus, ex quo alteri jus personale58 nascitur"; III, I, 24). Diese Definition hat R.W. Lee59 als "überraschend" empfunden: eine Obligation sei doch keine Handlung ("daed"), sondern ein Rechtsverhältnis. In der Tat hat Grotius kurz zuvor "verbintenisse" ("obligatio"6