Das Recht der Arbeiterversicherung: Für Theorie und Praxis systematisch dargestellt: Band 2 Das Recht der Invaliden- und Altersversicherung [Reprint 2018 ed.] 9783111672991, 9783111288253

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Das Recht der Arbeiterversicherung: Für Theorie und Praxis systematisch dargestellt: Band 2 Das Recht der Invaliden- und Altersversicherung [Reprint 2018 ed.]
 9783111672991, 9783111288253

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungen
Einleitung
Erstes Buch: Versicherte
l. Kapitel. Die Formen der Versicherung
2. Kapitel: Allgemeine Tatbestandsmomente
3. Kapitel. Einzelne Personenklassen
Zweites Buch. Organisation
1. Kapitel. Allgemeines
2. Kapitel
3. Kapitel. Versicherungsanstalten
Drittes Buch. Beitragswesen
1. Kapitel. Die formalen Grundlagen
2. Kapitel. Die Beitragshöhe
3. Kapitel. Die Einzahlung der Beiträge
4. Kapitel. Die Wirksamkeit der Beitragsleistung
5. Kapitel. Beitragsordnung
Viertes Buch. Renten
1. Kapitel. Anspruchsgründe
2. Kapitel. Rentenanspruch
3. Kapitel: Feststellungsverfahren
4. Kapitel. Fortfall der Rente
5. Kapitel. Rentenzahlung
Fünftes Buch. Nebenleistungen
Sechstes Buch. Grenzbeziehungen
Nachtrag aus der während des Druckes (War bis September 1904) erschienenen Judikatur und Literatur, soweit dieselbe nicht noch im Werke selbst verwertet werden konnte
Sachregister

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Vas Recht der

Arbeitrrversichrrung. Für Theorie und Praxis systematisch dargestellt von

Dr. Heinrich Rosin, Geh. Hofrat. ord. Professor für SraatSrecht und deutsches Hecht an der Universität Freiburg: l B.

Zweiter Band.

Bas Uecht der Invaliden- und Altersversicherung.

Berlin, 1905.

I. Gnttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H.

Das Necht der

Iuvulideu- imt Altersversicherung. Für Theorie und Praxis systematisch dargestellt von

Dr. Heinrich Rosin, Geh. Hofrat, ord. Professor für Staatsrecht und deutsches Recht an der Universität Freiburg i. B.

Berlin, 1905.

I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H.

Vorwort. Nachdem der erste Band dieses Werkes „die reichsrechtlichen Grundlagen der Arbeiterversicherung" behandelt hat, setzt sich dieser zweite Band die ins einzelne gehende Sonderdarstellung der Jnvalidenund Altersversicherung zur Aufgabe.

Dabei ist das „Recht der

Invalidenversicherung" im weitesten Umfange genommen; nicht bloß das Reichsgesetz selbst, sondern auch sämtliche zu dessen Ausführung ergangene Verordnungen z. B. die des Bundesrats über die Haus­ industrie, die Schiedsgerichtsordnung usw. sind in die systematische Darstellung einbezogen.

Auch die Ausführungsbestimmungen der

Einzelstaaten sind wenigstens für Preußen, Bayern, Sachsen, Württem­ berg und Baden nach Möglichkeit berücksichtigt. Die Darstellung ist eine systematische.

Sie wird, wie ich hoffe,

auch neben dm in ihrer Art vortrefflichm Kommentaren, die wir zum Jnvalidenversicherungsgesetz besitzen und deren Leistungm ich dankbar anerkenne, sich über ihre Berechtigung auszuweisen ver­ mögen.

Das System ist dem besonderen Stoffe selbst entnommm.

Daher mußte es auch seine eigene Art bewahren und konnte nicht einfach an das des ersten Bandes angelehnt werden.

Im übrigen

sind die Ergebnisse des letzteren naturgemäß hier zu Grunde gelegt, wobei freilich die inzwischen tiefgehend veränderte Gesetzgebung nicht selten ein erneutes Eingehen auf Gegenstände erforderte, die bereits im ersten Bande vom allgemeinen Standpunkt aus behandelt waren.

VI

Vorwort.

Wie der erste Band, so kündigt sich auch der vorliegende als „für Theorie und Praxis" geschrieben an.

Daß dies keine Gegersätze

sein sollen und dürfen, habe ich bereits in der Vorrede zum ersten Bande ausgesprochen.

Daher hoffe ich, daß der konstruktive Auf-

und Ausbau der einzelnen Rechtsinstitute, von denen in diesem Bande namentlich die speziell invalidenrechtlichen, z. B. Anwartschaft, Quittungskarte, Versicherungsmarke in Betracht kamen, ebenso der Praxis nützlich sein werde, wie andererseits die theoretische Erfassung des Stoffes, so wie ich sie zu geben versuchte, nur möglich war auf der Grundlage der Lebensfülle, welche die überaus reiche Judikatur des Reichsversicherungsamts auch dem Theoretiker zu erschließen vermag.

Wie viel ich ihr verdanke, bin ich mir stets auch da

bewußt geblieben, wo ich es für meine wissenschaftliche Pflicht hielt, ihr nach ernster Prüfung kritisch gegenüber zu treten.

Reben ihr

sind auch die Entscheidungen der sonstigen Gerichte und Verwaltungs­ behörden, die Materialien, die Literatur, und zwar außer den Kommentaren auch die Einzelabhandlungen, umfassend (für die Zeit während des Drucks in einem Nachtrag) benutzt und gewürdigt worden.

Bei der weiten Verzweigung der Materie in die ver­

schiedensten Gebiete der Rechrswiffenschaft, das Verwaltungsrecht, das Privatrecht, das mir an sich ferner liegende Straf- und Prozeß­ recht, bei der engen Beziehung des Stoffs zu nichtjuristischen Fächern z. B. der Nationalökonomie und Versicherungswiffenschaft, kann ich freilich nicht immer hoffen, der großen Schwierigkeiten des Gegen­ standes Herr geworden zu sein, und im wesentlichen nur wiederholen, was ich dem

ersten Bande am Schluß der Vorrede voraus­

geschickt habe. Umfassender, als ich damals annahm, ist die Sonderdarstellung des einen Drittels unseres Arbeiterversicherungsrechts geworden. Sie legt auch in ihrem Umfange Zeugnis ab von der verwickelten Ge­ staltung, die unsere sozialpolitische Gesetzgebung entsprechend der Art ihrer Entstehung, bei der es galt, unbebautes Land urbar zu machen

-unb hierbei erst die nötigen Erfahrungen zu sammeln, angenommen hat. Gelegentlich (vgl. z. B. S. 576 N. 12) habe ich mich auch bei der juristischen Darstellung nicht enthalten können, auf den Mangel an Einfachheit hinzuweisen, der die sozialpolitische Wirksamkeit unseres Arbeiterrechts beeinträchtigen muß.

Dem entspricht es, daß der Ruf

nach Vereinfachung und Verschmelzung der Arbeiterversicherung jetzt -wieder lauter ertönt. Auch ich habe mich über diese Frage, wenigstens nach bestimmter Richtung hin. schon früher (vgl. die Anführungen S. 4, 5 dieses Bandes) geäußert.

Ich glaube, daß das große Wexk

auf die Dauer nicht ausbleiben kann.

Möge es mit Kraft und Be­

dacht unternommen werden! Wird dabei die Abhängigkeit der Rechts­ wissenschaft vom positiven Rechte auch an diesem Werke sich fühlbar machen, so kann doch das Recht der Zukunft nie an dem der Gegen­ wart vorbei, sondern nur durch dasselbe hindurch und darüber hinaus sich entwickeln. In diesem Sinne und im Hinblick auf die großen Ziele unserer Sozialpolitik werde ich mich gern bescheiden, wenn auch die Einzelheiten meiner Darstellung überholt sein werden, mich an den Fundamenten und Pfeilern des großen Baues nach meinen Kräften mitbetätigt zu haben. Fr ei bürg i. B., den 3. Oktober 1904.

Wostn.

Inhalt. Einleitung. Seite § 1. Entwicklung der Gesetzgebung............................................................... 1 § 2. Grundzüge des neuen Rechts.............................................................. 7

Erstes Buch: Versicherte. 1. Kapitel: Die Famen der Drrßchrrnvg. § § §

3. Zwangsverstcherung.................................................................................... 13 4. Freiwillige Versicherung............................................................................... 17 5. Befreiung von der Versicherungspflicht......................................................22 2. Kapitel: Allgemeine Tatbestandgmomentk. 1. Wirtschaftliche Merhättnilse.

§ § § §

6. Arbeiter und Unternehmer....................................................................31 7. Arbeits- oder Dienstverhältnis................................................................44 8. Lohn oder Gehalt..........................................................................................53 9. Kurzfristige Beschäftigung..........................................................................63

2. persönliche perhattniffe. § 10. Geschlecht und Alter.................................................................................... 79 §11. Erwerbsunfähigkeit.............................................. 80* §12. Familienstand...............................................................................................85 § 13. Staatliche Beziehungen.................................................... 90 3. Kapitel: Einzelne Dersonraklaffen. § 14. Die Arbeiterstufe........................................................................................ 104 § 15. Die Stufe der Betriebsbeamten.............................................................. 110 § 16. Soldaten. Beamte und Bedienstete von Staat und Gemeinde . . 123 § 17. Beamte gleichgestellter Verbände.............................................................. 143 § 18. Rentner und Pensionäre.........................................................................151 § 19. Lehrer und Erzieher.................................................................................. 164 § 20. Kirchliche Funktionäre............................................................................. 172

Inhalt.

H Seite

§ 21. § 22. § 23.

Schiffspersonen........................................................................................... 177 Hausgewerbetreibende................................................................................ 187 Kleinmeister............................................................................................... 205

Zweites Buch: Organisation. 1. Kapitel: Allgemeines. § 24. § 25.

Übersicht..................................................................................................... 211 Rechtshilfe................................................................................................ 215.

§ § § § §

26. 27. 28. 29. 30.

Untere Verwaltungsbehörden................................................................. 222 Rentenstellen............................................................ 238Schiedsgerichte...........................................................................................248 Reichsversicherungsamt....................................................................... 263Landesversicherungsämter......................................................................270

§ § § § §

31. 32. 33. 34. 35.

Allgemeine Verhältnisse........................................................................... 278 Errichtung, Statut, Veränderung............................................................ 289 Anstaltsorgane.......................................................................................301 Aufsicht................................................................................................. 329' Vermögensverwaltung und Finanzgebahrung....................................... 339

2. Kapitel: Nerslchrrnngsbrhirdkn.

3. Kapitel: Dtklichrrnugsanstaltr«

Drittes Buch: Beitragswesen. § 36.

Begriff der Beiträge................................................................................ 359

§ § § § §

37. 38. 39. 40. 41.

Die zuständige Versicherungsanstalt................................................... 363Beitragswochen...........................................................................................374 Quittungskarte........................................................................................... 394 Versicherungsmarke.................................................................................409 Die amtliche Behandlung der Quittungskarten.................................. 430

§ 42. § 43.

Das Deckungssystem.................................................................................441 Lohnklassen................................................................................................ 449

§ § § §

Entrichtung durch die Arbeitgeber:Haftung derselben.......................... 461 Die Markenverwendungspflicht derArbeitgeber.................................... 471 Die Erstattungspflicht der Versicherten............................................. 482* Entrichtung durch die Versicherten.....................*......................... 489

1. Kapitel: Dir formalen Grundlagen.

2. Kapitel: Die Keitragshohe.

3. Kapitel: Die Einzahlung der Antrage. 44. 45. 46. 47.

X

Inhalt. Seite

§ § §

48. Einzugsverfahren....................................................................................... 495 49. Die Beitragszahlung im Hausgewerbe................................................... 512 50. Die Beitragszahlung für Seeleute........................................................ 523

§ § § § §

51. Beitragsleistung und Beitragsberechtigung.........................................530 52. Nachträgliche Beitragsleistung.................................................................. 537 53. Beitrag und Anwartschaft.............................. 556 54. Das Erlöschen der Anwartschaft durch Beitragsmangel . . . . 572 55. Die Ungiltigkeit der Quittungskarte........................................................ 593

§ § § §

56. Zwangsbeitreibung ..................................................................................603 57. Beitragskontrolle....................................................................................... 606 58. Streitverfahren............................................................................................ 621 59. Berichtigungsverfahren.............................................................................640

4. Kapitel: Die Wirksamkeit der Keitragslristrmg.

5. Kapitel: Deitragsordnnng.

Viertes Buch:

Renten.

1. Kapitel: Anspruchsgriinde. § 60. Dauernde Erwerbsunfähigkeit...................................................................653 § 61. Vorübergehende Erwerbsunfähigkeit........................................................ 673 § 62. Alter.................................... !............................................................. 676 2. Kapitel: gtntemmfprudj. § § § § §

63. Wartezeit.......................................................................................................680 64. Die Abkürzung der Wartezeit in den Übergangsperioden . . . 694 65. Rentenhöhe................................................................................................. 713 66. Begriff und Entstehung des Rentenanspruchs....................................722 67. Rechtliche Gebundenheit des Anspruchs................................................... 733 3. Kapitel: Feststellungsverfahren.

§ 68. Vorbereitendes Verfahren........................................................................750 § 69. Bescheid.......................................................................................................766 § 70. Berufung...................................................................................................... 774 §71. Revision.................................................................................................. 829 H 72. Rechtskraft und Erneuerung, des Verfahrens.........................................839 § 73. Besonderheiten des Verfahrens............................................................. 862 4. Kapitel: Fortfall der Rente. § § §

74. Versagung der Invalidenrente...................................................................895 75. Entziehung der Invalidenrente..............................................................908 76. Ruhen der Renten....................................................................................... 927

§ 77. § 78. § 79.

Inhalt.

XI

5. Kapitel: Rentcn;aljlllng.

S-it-

Auszahlung durch die Post.................................................................. Verteilung der Renten....................................................................... Erstattung an die Post............................................................. ..... .

943949962

Fünftes Buch: Nebenleistungen. § § § § § §

80. 81. 82. 83. 84. 85.

Beitragserstattungen.................................................................................966 Heilverfahren...........................................................................................990 Kapitalabfindung................................................................................... 1015 Naturalrenten.........................................................................................1023 Aufnahme in ein Jnvalidenhaus.......................................................... 1027 Überleistungen......................................................................................... 1033

Sechstes Buch: Grenzbeziehungcn. § § § § §

86. 87. 88. 89. 90.

Schadensersatz............................................................. ..... . . . . 1042 Armenpflege..............................................................................................1051 Unfallversicherung................................................................................. 1079= Zugelassene Kasseneinrichtungen.......................................................... 1109 Zuschußkassen..............................................................................................1127

Abkürzungen. ALR. — preußisches Allgemeines Landrecht. AN. — Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamts. Zn den Jahrgängen 1891—1895 beziehen sich die Seitenzahlen auf die Sonderausgabe „Jnvaliditäts- und Altersversicherung". AN. 99, 01 — Jahrgang 1899, 1901. Anl. — Anleitung. ArbB. — Zeitschrift „Die Arbeiter-Versorgung", herausgeg. von Honigmann. Ausf.G. — Ausführungsgesetz. Bek. — Bekanntmachung. BGB. = Bürgerliches Gesetzbuch. Bosse - v. Woedtke — Kommentar der beiden Verfasser zum G. 89 (1891 nebst Nachtrag 1893). BUVG. — Bau-Unfallversicherungsgesetz. Centr.Bl. — Centralblatt für das Deutsche Reich. CPO. — Civilprozeßordnung. CG. — Einführungsgesetz. Erl. — Erlaß. Fin.Min. — Finanzministerium. ) 10. Leg.-Per. 1. Sess. Drucks. Nr. 93 und zu Nr. 93 (finanzielle Denkschrift). 20) 1. Beratung: Sten. Ber. S. 811—917. Kommissionsbericht: Drucks. Nr. 270 und zu Nr. 270. 2. Beratung: Sten. Ber. S. 2121—2336, 2367 bis 2430. Zusammenstellung des Entwurfs nach den Beschlüssen zweiter Beratung: Drucks. Nr. 349. 3. Beratung: Sten. Ber. S. 2505—2562. Zusammenstellung nach den Beschlüssen dritter Beratung: Drucks. Nr. 386. 21) Vgl. unten N. 23. 22) Sofortiges Inkrafttreten derjenigen Bestimmungen, welche sich auf die Herstellung oder Veränderung der zur Durchführung der Versicherung erforder­ lichen Einrichtungen beziehen (vgl. Bd. I S. 106 ff ). Oktroyierungsbesugnis hin­ sichtlich der erforderlichen Änderungen der Statuten von Versicherungsanstalten und zugelassenen Kasseneinrichtungen, welche nicht rechtzeitig vor dem 1. Januar 1900 zu Stande gekommen sind (vgl. Bd. I S. 70). Über die in § 193 gegebene Regel für die zeitliche Wirksamkeit des neuen Gesetzes in Bezug auf Rentenansprüche vgl. unten § 63 9t. 1.

§ 2.

Grundzüge des neuen Rechts.

7

kanzler unterm 19. Juli 1899 bekannt gegeben?') Eine ausdrück­ liche Abänderung dieses Textes ist bereits in § 34 Abs. 2 Ziff. 3 durch § 151 des neuen See-Unfallversicherungsgesetzes v. 30. Juni 1900 herbeigeführt worden; außerdem werden die auf die „Schieds­ gerichte" bezüglichen §§ 103 ff. durch die in §§ 3 ff. des G. betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze v. 30. Juni 1900 vor­ gesehene Einrichtung vereinigter „Schiedsgerichte für Arbeiterversiche­ rung" beeinflußt. § 2. Grnndziige des neuen Rechts. Im Anschlich an die in §§ 13 und 14 des I. Bandes gegebene Hervorhebung der wichtigsten Grundzüge des G. 89 sollen jetzt auch die bedeutsamsten Änderungen atffgezeigt werben, welche das neue Gesetz auf dem Gebiete der Invaliden- mtb Altersversicherung her­ beigeführt hat:') 1. Das Gesetz gewährt nach wie vor Rente für den Fall der Erwerbsunfähigkeit (Invalidität) und für den des Alters (§ 15). Die geringere Bedeutung der Altersrente tritt jetzt durch voll­ ständige Nichtberücksichtigung derselben im Titel des Gesetzes hervor. Auf die mehrfach verlangte Herabsetzung der Altersgrenze (70 Jahre) ist auch das neue Gesetz nicht eingegangen. Dagegen ist die kom­ plizierte Begriffsbestimmung der Invalidität wesentlich vereinfacht. Danach erhält Invalidenrente derjenige, dessen Erwerbsfähigkeit in­ folge von Alter, Krankheit oder anderen Gebrechen dauernd auf weniger als ein Drittel herabgesetzt ist (§ 15 mit 5). Die Berück­ sichtigung der vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit ist dadurch ver­ stärkt worden, daß statt eines Jahres schon ein halbes Jahr un­ unterbrochener Erwerbsunfähigkeit ausreicht, um den Anspruch auf 23) Zn der Reichstags-Drucksache Nr. 386 war diese Umredaktion bereits vor­ genommen worden. Wenn demgegenüber die kaiserliche Publikation wieder auf die Numerierung der Paragraphen während der 3. Beratung zurückgrisf, so kann sich dies wohl nur durch die Absicht erklären, die im § 194 Abs. 3 Satz 1 der Zusammenstellung enthaltene Ermächtigung des Reichskanzlers nicht in der Luft schweben zu lassen. Ein Verfahren, das im Hinblick auf die Druckkosten und die Beschwerung des RGBl, doch wohl hätte vermieden werden können. *) Dazu meine Aufsätze im Verwaltungsarchiv Bd. 7 S. 503 ff. und 594 ff.

8

Einleitung.

Invalidenrente für die weitere Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu er­ zeugen (§ 16). 2. Die Fälle der Beitragserstattung, welche eine Art von Nebenversicherung in das Gesetz hineintragen, sind ausgestaltet und vermehrt worden. So wird der Erstattungsanspruch beim Tode einer weiblichen Person dadurch erweitert, daß derselbe auch dem er­ werbsunfähigen Witwer und den vom Vater verlassenen Kindern zu­ stehen soll (§ 44). Ein neuer Fall bezieht sich aus das Zusammen­ treffen von Invaliden- und Unfallversicherung. Wenn nämlich ein durch Betriebsunfall dauernd erwerbsunfähig Gewordener im Hin­ blick auf die ihm zukommende Unfallrente (§ 15) keine Invaliden­ rente erhält, so soll ihm auf Antrag die Hälfte der Beiträge er­ stattet werden (§ 43). 3. Der Kreis der kraft Gesetzes zwangsversicherten Personen ist noch in einigen Punkten erweitert worden (§ 1). Die dem Bundes­ rat anheimgegebene Ausdehnung des Versicherungszwanges auf Hausgewerbetreibende und Kleinmeister (welche nicht regelmäßig wenigstens einen Lohnarbeiter beschäftigen) ist dadurch erleichtert worden, daß sie auch mit Beschränkung auf gewisse örtliche Bezirke soll erfolgen dürfen (§ 2). Sehr wesentlich ist aber die Erweiterung und Erleichterung, welche namentlich im Jntereffe des Mittelstandes der fteiwilligen Versicherung (Selbstversicherung) zu Teil geworden ist. Zunächst sind nämlich alle diejenigen Personenklaffen, deren ge­ setzliche Versicherungspflicht an einen Jahresverdienst von 2000 M. gebunden ist, dann als selbstversicherungsfähig erklärt, wenn sie zwar mehr als 2000, aber nicht mehr als 3000 M. jährlich ver­ dienen. Praktisch noch wichtiger aber ist die Bestimmung, daß nicht mehr bloß diejenigen Kleinmeister, welche vom Bundesrat als versicherungspflichtig erklärt werden könnten, sondern alle diejenigen sich freiwillig versichern dürfen, welche nicht regelmäßig mehr als zwei Lohnarbeiter beschäftigen (§ 14). Dabei werden Zusatz­ beiträge für freiwillige Versicherung nach neuem Rechte überhaupt nicht mehr erhoben. 4. Rach wie vor findet zum Zwecke der Bemeffung von Bei­ trägen und Renten eine Einreihung der Versicherten in Lohnklassen statt (§ 34); jedoch ist im Interesse der höher gelohnten Versicherten eine fünfte Lohnklaffe (mehr als 1150 M.) hinzugefügt worden. Bei der Einreihung in die Klaffen tritt aber jetzt eine weit stärkere

§ 2.

Grundzüge des neuen Rechts.

9

Berücksichtigung des individuellen Arbeitslohnes hervor, namentlich in Form der Bestimmung, daß, sofern eine feste Barvergütung für Wochen, Monate usw. vereinbart und diese höher ist, als der sonst für die Einreihung maßgebende Durchschnittsbetrag, der Versicherte nicht nach dem letzteren, sondern nach jener Barvergütung in die Klassen einrangiert werden soll. Auch darf eine freiwillige Ver­ sicherung in einer höherm Lohnklasse nicht mehr bloß mtf Grund einer Vereinbarung zwischen Versichertem und Arbeitgeber, sondern schon nach einseitigem Entschluß des ersteren erfolgen, wodurch aller­ dings die Beitragslast des Arbeitgebers nicht gesteigert werden darf. Die freiwillige Versicherung ist jetzt nicht mehr bloß in der zweiten, sondern nach Wahl in allen Lohnklassen zulässig (§ 145). 5. Bedeutend abgeändert ist die Berechnung der Renten. Bei der Invalidenrente ist zunächst eine Abstufung der Grundbeträge nach den einzelnen Lohnklassm eingeführt, die immer um 10 M. von 60 bis 100 M. ansteigen. Hat Beschäftigung in verschiedenen Lohnklassen stattgeftmden, so findet eine Durchschnittsberechnung statt. Dabei gelangen aber aus technischen Gründen'^) stets 500 Beitrags­ wochen zum Ansatz; hat ein Rentenbewerber mehr als diese Zahl aufzuweisen, so werden zu seinen Gunsten die 500 höchsten Wochen­ beiträge herangezogen; hat er weniger, so werden die fehlenden als Beiträge in Lohnklasse I fingiert. Die Steigerungssätze betragen jetzt je nach der Lohnklasse 3, 6, 8, 10 und 12 Pf. (§ 36). Für die Altersrente ist die Berechnung nach (1410) Steigerungssätzen ganz fortgefallen; sie besteht außer dem Reichszuschuß aus einem festen Betrage, der für die einzelnen Lohnklaffen von 60 bis 180 M. um je 30 M. ansteigt. Auch hier findet (aber ohne Verwendung der festen Zahl von 500 Beitragswochen) eventuell eine Durchschnitts­ berechnung statt, nur mit der Modifikation, daß, wenn mehr als 1200 (vgl. Nr. 6) Wochenbeiträge vorliegen, nur die 1200 höchsten zum Ansatz gelangen (§ 37). Wichtig ist auch, daß für Zeiten, die beim Eingänge des Rentengesuches länger als 1 Jahr zurückliegen, keine Rente gewährt wird (§ 41). 2) Bezweckt wurde damit namentlich, die nach dem Entwurf vorhandene Möglichkeit des „Sich-Herunterklebens", d. h. einer Minderung der Rente durch Fortsetzung der Versicherung auszuschließen (Sten. Ber. S. 848 C, Komm. Per. zu § 20 und 26, ©. 57).

10

Einleitung.

6. Die Wartezeit wird nicht mehr nach Beitragsjahren (gleich 47 Beitragswochen), sondern unmittelbar nach Beitragswochen be­ rechnet. Dabei hat eine Verkürzung derselben stattgefunden. Die Wartezeit für die Invalidenrente beträgt jetzt nicht mehr 235, sondern 200, die für die Altersrente nicht mehr 1410, sondern 1200 Beitragswochen?) Zu Ungunsten der freiwilligen Versicherung finden indessen verschiedene Abiveichungen statt (§ 29). Die Er­ langung der Altersrente in der Übergangszeit ist noch weiter er­ leichtert worden (§§ 190, 191). 7. Versicherungsanstalten *) können jetzt auch für Teile eines Blmdesstaates errichtet werden, welche nicht mit einem weiteren Kommunalverbande zusammenfallen (§ 65); für diese trägt der be­ treffende Bundesstaat die Garantie (§ 68). Eine Zusammenlegung, Teilung oder Aufhebung bestehender Anstalten ist fortan an die Zustimmung des Reichstages gebunden (§ 100). Unter den Organen der Versicherlmgsanstalteir sind Vertrauensmänner und Aufsichtsrat fortgefallen; der letztere wird durch die jetzt obligatorische Zuziehung von Arbeitern und Arbeitgebern zum Vorstande (§ 74) entbehrlich gemacht. Neu ist die Einrichtung von „Rentenstellen" (§§ 79 ff.), welche aus einem Vorsitzenden und aus Beisitzern aus den Be­ teiligten zusammengesetzt sind. Sie sind als örtliche Organe der Versicherungsanstalten zur Auskimstserteilung, sowie zur Entgegen­ nahme, Vorbereitung und Begutachtung von Rentenanträgen usw. bestimmt, können aber auch von der Landesregierung mit der Be­ schlußfassung über solche Anträge in erster Instanz betraut werden. Die Einrichtung von Rentenstellen ist jedoch nicht unbedingt obli­ gatorisch; auch sind dieselben gegenüber dem Entwürfe des neuen Gesetzes dadurch stark in den Hintergrund gedrängt worden, daß der Reichstag auch die unteren Verwaltungsbehörden zwecks Übernahme 3 4 gleichfalls im Sinne einer Zuziehung der erwähnten Funktionen 5) von Versicherten und Arbeitgebern ausgestaltet hat (§§ 57 ff.). — Eingehender geregelt sind die zum Ersatz der Versicherimgsanstalten 3) Das hier angewendete Kürzungsverhältnis von 47 :40 ist auch für andere Bestimmungen des Gesetzes maßgebend zur Geltung gebracht. 4) Vgl. Bd. I S. 57, wo in Absatz 2 statt „Landesversicherungsämter" „Landesversicherungsanstalten" zu lesen ist. 5) Nur die Entscheidung auf Rentenanträge kann einer Verwaltungsbehörde nicht übertragen werden.

§ 2.

Grundzüge des neuen Rechts.

11

bestimmten „zugelassenen Kasseneinrichtungen" (§§ 8—10, 14, 173, 174). In ihrem Kreise erlangt die See-Berufsgenossenschaft eine eigentümliche Stellung, welcher nach Maßgabe der in ihrem Kreise obwaltenden besonderen Interessen die Möglichkeit eröffnet ist, unter gleichzeitiger Einrichtung einer Witwen- unb Waisenversorgung die Invalidenversicherung der Seeleute selbst zu übernehmen

(§§ 11, 12). 8. Die Höhe der Wochenbeiträge ist imverändert beibehalten ivorden; nach Hinzufügung der 6. Lohnklasse betragen dieselben 14, 20, 24, 30 und 36 Pf. Beseitigt wird dabei für die Zukunft die bisher gegebene Möglichkeit, die Beiträge innerhalb der Lohnklassen nach Berufszweigen abzustufen, und ebenso die Zulässigkeit verschiedener Bemeffung nach der Verschiedenheit der Versicherungsanstalten. Eine anderweitige Festsetzung der Beiträge je für 10 Jahre von 1911 an kann durch den Bundesrat, aber nur mit Zustimmung des Reichs­ tages erfolgen. Dabei ist man aber, entsprechend den gemachten Erfahrungen, davon ausgegangen, daß die gedachten Beiträge für die Dauer zur Deckung der entstehenden Lasten ausreichen werden. Mag nun auch die spätere rechnerische Nachprüfung ein anderes er­ geben, so hat doch das neue Gesetz prinzipiell das bisherige „Kapital­ deckungsverfahren nach Perioden", welches mit Notwendigkeit ein bis zum Beharrungszustande erfolgendes Ansteigen der Beiträge mit sich gebracht hätte, verlassen und sich auf den Boden des prinzipiell mit dauernd gleichen Beiträgen arbeitenden „Prämien- oder Prämien­ durchschnittsverfahrens" gestellt (§ 32). 9. Beibehalten ist ferner die Erhebung der Beiträge int Wege des Markensystems: doch ist das Einzugsverfahren durch Kaffen imd Gemeindebehörden zwecks umfassenderer Anwendung noch weiter ausgestaltet worden (§§ 148—150, 153, 176, 179). Aber auch das Markensystem ist namentlich durch die Einführung höherer Markenappoints praktikabler gemacht worden (§ 130). Im Interesse der Versicherten ist ihnen allgemein die Befugnis erteilt, die Beiträge an Stelle ihrer Arbeitgeber unter Vorbehalt entsprechender Erstattung selbst zu entrichten (§ 144). Dagegen ist die nachträgliche Marken­ verwendung gegenüber dem bisherigen Rechte eingeschränkt ivorden (§ 146). Als Beitragswochen ohne tatsächliche Beitragsentrichtung werden jetzt auch Zeiten der Rekonvaleszenz und des Wochenbettes gerechnet (§ 30).

12

Einleitung.

10. Für die Anmeldung des Rentenanspruchs ist jetzt die untere Verwaltungsbehörde bezw. Rentenstelle des Wohn- oder Beschäfti­ gungsortes zuständig. Weiter wird die Kompetenz der Versiche­ rungsanstalt zur Entscheidung jetzt nicht mehr durch die letzte Bei­ tragsentrichtung, sondern nach Maßgabe der Stelle, bei welcher die Anmeldung des Anspruchs geschehen ist, bestimmt (§ 112). Die Er­ teilung eines formellen Berechtigungsausweises fällt weg. 11. Die zum Zwecke eines besseren Ausgleichs unter den Ver­ sicherungsanstalten angenommene Neuregelung der Rentenlastver­ teilung geht von einer Scheidung in eine Gemeinlast aller Versiche­ rungsanstalten und eine Sonderlast aus, welcher im Vermögen der Anstalten die buchmäßige Scheidung eines Gemein- und eines Sondervermögens entspricht. Das Gemeinvermögen wird dadurch gebildet, daß demselben von jetzt ab Vio der eingehenden Beiträge überwiesen werden. Eine spätere Erhöhung dieser Quote durch den Blmdesrat bedarf der Zustimmung des Reichstags (§ 33). Dem Gemeinvcrmögen fallen zur Last: 3/< der Altersrenten, die Grund­ beträge der Jnvalidenrmten, die Steigerungssätze für Krankheits­ wochen und die Abrundungen. Diese Gemeinlast wird auf das bei den einzelnen Anstalten gebuchte und verwaltete Gemeinvermögen nach Verhältnis der Größe desselben verteilt (§ 126). Als Sonder­ last wird das letzte Viertel jeder Altersrente auf diejenigen An­ stalten, denen Beiträge für den Rentenempfänger zugeflossen sind, nach dem Verhältnis des Versicherungswerts dieser Beiträge verteilt. Die ebenfalls zur Sonderlast gehörigen Steigerungssätze für effektive Beitragswochen3) fallen je derjenigen Anstalt zur Last, welcher die entsprechenden Beiträge zugeflossen sind. 6) Ein den beitragsfreien Militärwochen entsprechender Rentenanteil fällt neben dem Reichszuschuß dem Reiche zur Last (§§ 40, 125).

Erstes Buch. Versicherte.) l. Kapitel. Pie Aormen der Versicherung. § 3. Zwangsversicherung. I. Der Zwangsversicherung oder „dem Versicherungszwange unterliegen") die „versicherungspflichtigen Personen"?) Es sind dies diejenigen Personen, für welche das Recht auf Fürsorge für ') In höchst eingehender Weise behandelte auf Grund von G. 89 in einem besonderen Werke Gebhard „die nach dem Jnvaliditäts- und Alters­ versicherungsgesetze versicherten Personen" (1893, 328 SS), wodurch die frühere Broschürenliteratur überholt wurde. Grundlegend war bei Einführung des G. 89 die Anleitung des RVA., betr. den Kreis der nach dem Jnvaliditätsund Altersversicherungsgesetze versicherten Personen, v. 31. Okt. 1890 (AN. 91 S. 4), welche vielfach auf den Ausführungen in Bd. I Abt. 1 dieses Werkes fußte. Dazu Ros in, Die Anleitung des RVA. v. 31. Okt. 1890 unter dem Einfluß des neuen Invalidenversicherungsgesetzes, in ArbV. 99 S. 521, 537. An die Stelle der gedachten ist jetzt eine neue „Anleitung, betr. den Kreis der nach dem JVG. v. 13. Juli 1899 versicherten Personen" getreten. Dazu das Rundschreiben an die Anstaltsvorstände v. 19. Dez. 1899, dessen Anlage die Anleitung bildet (AN. 00 S. 275). Bedeutsam ist auch der bei Geb­ hard-Düttm an n S. *51 abgedruckte Auszug aus dem Protokolle über die Verhandlungen der zur Beratung der Anleitung vom RVA. versammelten Kon­ ferenz. — Der neuen, über den Umfang der alten (61/* Seiten) bei weitem hinausgehenden (45 Seiten) Anleitung kommt auch qualitativ eine erhöhte recht­ liche Bedeutung zu. Dieselbe beruht auf § 155 JVG., nach welchem die zuständigen Landesbehörden bei ihren dort bezeichneten Entscheidungen „an die vom Reichs­ versicherungsamt aufgestellten Grundsätze gebunden sind". Allerdings kommt der Anleitung an sich die bindende Kraft der „Grundsätze" nicht zu (anders die bayer. Ministerial-VO. v. 27. Dez. 1899 bei Graßmann S. 972; vgl. aber diesen selbst S. 157); denn diese sollte nach den Materialien (Komm. Ber. zu § 122) nur den richterlichen „Entscheidungen", nicht aber t>en belehrenden

14

I. Buch. Versicherte.

I. Kap.: Formen der Versicherung.

den Fall der Invalidität oder des Alters/) die Anwartschaft/) kraft rechtlicher Notwendigkeit begrünbet wird (Bd. I S. 434), während ebenso aus der anderen Seite zwangsweise für sie Beiträge entrichtet werden müssen (Bd. I S. 606). Mit besonderem Hinblick auf diese Beitragspflicht wird von ihnen im Gesetze auch gesagt, daß für sie „auf Grund der Versicherungspflicht" ein „Versicherungsverhältnis" besteht?) Die Versicherungspfltcht, deren Rechtscharakter in Bd. I S. 433 f. näher entwickelt ist, wird begründet durch einen autori­ tativen Rechtssatz, vermöge dessen dieselbe in einem bestimmten Zeit­ punkte „eingeführt wird" oder „in Kraft tritt".’) Sie kann ebenso Äußerungen des RVA. beigelegt werden, wie denn auch die ganze Bestimmung des § 155 als Surrogat für eine eigene streitentscheidende Funktion des NVA. angenommen wurde. Wohl aber ist danach die Anleitung insoweit bindend, als sie den Inhalt früherer Nevisionsentscheidungen (— bloße „Be­ scheide und Beschlüsse" fallen wiederum nicht unter § 155 —) zutreffend wiedergibt. Denn daß § 155 auch die vor dem JVG. liegende Judikatur des NVA. mitumsaßt, kann nicht zweifelhaft sein (zu Unrecht dagegen Hahn im Verw.Archiv Bd. I S. 354), und ebenso wird in Bezug auf die bindende Kraft derselben eine Scheidung zwischen Tenor und Gründen nicht zu machen sein. Die auf Grund der amtlichen Publikationen mögliche Nachprüfung der dem Sinne nach zutreffenden Wiedergabe kann aber den Behörden nicht verschränkt werden. Noch weniger sind sie durch die Anleitung bei Prüfung der Frage ge­ bunden, ob die früher aufgestellten Grundsätze unter der Einwirkung des neuen Rechts aufrecht erhalten werden können. Und am allerwenigsten ist, wie auch das Rundschreiben des NVA. selbst anerkennt, die Anleitung in denjenigen Aus­ führungen bindend, welche sich auf die „durch das ZVG. neu eingeführten Be­ griffe und Bestimmungen" beziehen. (Einen Fall, in welchen! die Rechtsprechung des NVA. selbst von den Ausführungen der Anleitung abgewichen ist, vgl. unten § 18 N. 25.) Vgl. im ganzen Düttmann in ArbV. 1900 S. 65 und Gebhard-Düttmann Nr. 234, S. 81 Nr. 235, S. 135 Nr. 282, S. 145 Nr. 291, 8. 150 Nr. 296 ; AN. 94 S. 143 Nr. 369; AN. 96 S. 22 Nr. 491 und viele andere Entscheidungen. 5) Nach AN. 00 8. 719 Nr. 836 a. E. darf die Entscheidung über die Versicherungspflicht „nicht etwa nach dem Gesichtspunkte der Versicherungsbedürftigkeit getroffen werden". Das ist richtig, sofern derselbe in erste Linie gerückt wird; dagegen wird der Satz des Textes davon nicht betroffen. Gerade der. in Nr. 836 trotz wiederholter kritischer Angriffe, auch aus dem Kreise der wirt­ schaftlich sachverständigen Handelskammern, wiederum zu Ungunsten der Vex-

Wirtschaftliche Verhältnisse. — § 6. Arbeiter und Unternehmer.

33

Momente, denen aber immer nur relative Bedeutung zukommt, er­ scheinen namentlich folgende: 1. Die persönliche Gebundenheit oder Freiheit bei der Arbeitsverrichtung und der damit zusammen­ hängenden Lebensführung?) Dieses Kriterium kommt dem Gegensatz von wirtschaftlicher Selbständigkeit und Unselbständigkeit am nächsten. Je entschiedener eine Person in Bezug auf die Über­ nahme einer Arbeit, in Bezug auf Arbeitszeit, Arbeitseinteilung und Arbeitsausführung an die Anweisungen desjenigen, dem die Arbeit zu Gute kommen soll, gebunden ist,') je mehr diese Bindung auf ihre allgemeine persönliche Lebensführung Einfluß übt, sie dem Be­ triebe oder gar der Hauswirtschaft des Arbeitsempfängers ein­ gliedert, um so eher wird hier wirtschaftliche Unselbständigkeit und Arbeiterstellung zu vermuten sein, während andererseits' die größere Ungebundenheit der Lebensführung und Arbeitsverrichtung für die Stellung des selbständigen Unternehmers zu verwerten ist. Immer­ hin handelt es sich auch hier nur um ein, wenn auch tiefgreifendes Symptom. Bis zu welchem Grade die persönliche Ungebundenheit selbst mit der Stellung eines Fabrikarbeiters vereinbar ist, haben z. B. neuen' Untersuchungen über die Markircher Industrie gezeigt?) sicherungspflicht entschiedene Fall der „Andreherin" würde für die Anwendung der obigen Regel geeignet gewesen sein; ebenso etwa der Fall der süddeutschen Hausschneider (auf der Stör), hinsichtlich deren ein Gegensatz der Auffassung zwischen bem RVA. und dem badischen LVA. hervorgetreten ist (Gebhard S. 30 ff.). Vgl. auch analog AR. 00 S. 833 Nr. 851, letzter Absatz. 6) Vgl. Bd. I S. 154 N. 29; NVA. Anl. Ziff. 34 d. 7) § 121 Gewerbe-O. hinsichtlich der Gesellen und Gehilfen. Vgl. AN. 93 S. 135 Nr. 282, S. 148 Nr. 294, S. 150 Nr. 295. Dagegen hat das BGB. eine allgemeine Bestimmung des Inhalts, daß der Dienstverpflichtete bei Leistung der Dienste nach der Anweisung des Dienstberechtigten zu verfahren habe, weil in manchen Fällen „nichts weniger als passend", abgelehnt. Motive Bd. II S. 458; vgl. Hahn, Das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis, im Verwaltungsarchiv IX S. 229. 8) Sief mann S. 4, 71; auch desselben Verfassers: „Die Hausweberei im Elsaß" in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik LXXXIV, Hausindustrie I S. 206. Hiernach sind die Handweber der Markircher Fabriken „an keine Ar­ beitsordnung gebunden, können kommen, gehen und ganz wegbleiben, wie es ihnen beliebt, ohne eine Strafe zu erhalten; sie werden im Stücklohn bezahlt". Nur die Öffnung und Schließung der Werkstätten setzt ihrer Freiheit Schranken. Für Liefmann dienen sie daher auch, indem er sie als Verlagsproduzenten (Hausgewerbetreibende) betrachtet, zur Stütze seiner Theorie, daß für die HausNosin, Recht der Arbeiterversicherung. Band II.

Z

34

I. Buch. Versicherte.

II. Kap.: Allgemeine Tatbcstandömomcntc.

Die weite Entfernung des Arbeitsortes vom Sitze des Unter­ nehmers, die gleichzeitige Beschäftigung für Mehrere, ja selbst die Einfachheit der zu leistenden Arbeit und andere Momente können ferner die Kontrolle des Arbeitgebers „auf ein äußerst geringes Maß herabsetzen", und auch da, wo sie an sich möglich und Bedürfnis wäre, kann, wie namentlich bei sog. Akkordverhältnissen, die Art der Entlohnung nach dem Maße des Arbeitsresultates (Stücklohn usn>.), als ausreichendes Gegengewicht gegen einen dem Unternehmer schäd­ lichen Mißbrauch der Arbeitsfreiheit, sie entbehrlich machen?) Andererseits aber ist im einzelnen Fall auch die Unternehmerstcllung, namentlich gegenüber einem selbst sachverständigen Kontrahenten, mit einer weitgehenden Gebundenheit an Anweisungen des Bestellers und einer von diesem geübten Kontrolle vereinbar?") Wenn hier das RVA.") scheinbar einen sachlichen Unterschied zwischen „näheren Bedingungen, welche mit selbständigen Unternehmern ver­ einbart werden und Anordnungen, welche der Arbeitsherr einseitig erteilt", statuieren will, so zeigt die nähere Betrachtung der ein­ zelnen gälte,12) daß es sich in Wahrheit nicht um materielle UnterIndustrie die Arbeit zu Hause nicht wesentlich ist; vgl. dagegen für das Znvalidenrecht jedenfalls § 2 Ziff. 2 „eigene Betriebsstätte". Auch Siefmann selbst muß zugeben, daß sie im Sinne der Gewerbe-O. offenbar Fabrikarbeiter (Gesellen und Gehilfen) sind (S. 71). — Über ähnliche Verhältnisse in der Zigarrenindustrie, Lief mann S. 127 ff. °) RVA. Anl. Ziff. 34 d (räumliche Trennung), litt, g (Mehrzahl von Auftraggebern), Ziff. 31 (Akkordanten), Ziff. 50 a. E. (Schiffspächter mit weit­ gehender Freiheit bei Abschließung von Frachtverträgen, Annahme und Löhnung der Schiffsknechte usw. als Arbeiter des Schiffseigners angesehen: AN. 95 S. 241 Nr. 450; dazu ebenso preuß. OVG. v. 27. Nov. 1890, Entsch. Bd. 20 S. 382, wo auch der maßgebende Vertrag abgedruckt ist). 10) RVA. Anl. Ziff. 34d. Vgl. z. B. AN. 92 S. 12 Nr. 96 (Pumpen­ macher; dazu Anl. Ziff. 42); AN. 94 S. 83 Nr. 333, 2. Fall, (Fuhrmann; dazu Anl. Ziff. 49), neuerdings AN. 99 S. 653 Nr. 775 (selbständige Noten­ schreiberin einer Musikalienhandlung), AN. 1900 S. 719 Nr. 836 (Andreherin; vgl oben N. 5). n) Vgl. Anl. Ziff. 34 d; dazu AN. 99 S. 654 „Besprechungen" u. A. 12) Man vergleiche z. B. hinsichtlich der sog. „Aufstchtsmänner" (Anl. Ziff. 34 d, m, 36) AN. 93 S. 150 Nr. 296, wo die Möglichkeit selbständiger und unselbständiger Aufsichtsmänner zugegeben wird, trotz der Konstatierung, daß sie „allgemein" „den Anordnungen der Besitzer Folge zu leisten haben und einer Kontrolle derselben unterstehen". Und worin wird der sachliche Unter­ schied der mit der selbständigen Notenschreiberin gepflogenen „Besprechungen"

schiede, sondern nur um verschiedene Bezeichnungen handelt, welche das NVA. ex post, d. h. nachdem es aus anderen Momenten sich für Unternehmerschaft oder Arbeiterstellung entschieden hat, an das­ selbe Verhältnis heranbringt. Überhaupt muß bemerkt werden, daß, trotz der vorhandenen sachlichen Übereinstimniung mit den obigen Ausführungen, das RVA. in der Forni wenigstens die Neigung zeigt, die Bedeutung der von ihm sog. „persönlichen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit" für den Gegensatz von Arbeiter und Unter­ nehmer einigermaßen zu überschätzen. So, wenn es „wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeit" neben einander stellt,^) so noch mehr, wenn es, wie namentlich in einzelnen früheren Entscheidungen, die „persönliche Abhängigkeit" als durchschlagendes Kriterium über die Frage der „wirtschaftlichen Abhängigkeit" hinaushebt.") Tatsächlich ist die „persönliche Abhängigkeit" als Begriffs- und Unterscheidungs­ moment, in der hier vorliegenden Frage, der „wirtschaftlichen Ab­ hängigkeit" weder neben-, noch gar über-, sondern einzig unter­ geordnet, indem, wie oben bemerkt, die erstere als Symptom der letzteren dienen kann. Es geht dies bei allgemeiner Betrachtung schon daraus hervor, daß die persönliche Abhängigkeit oder Unab­ hängigkeit sich im einzelnen Arbeits- und Rechtsverhältnis erschöpft, während der Gegensatz von Unternehmer und Arbeiter als wirt­ schaftlicher in letzter Linie auf das Verhältnis der Person zum „Gesamtprozeß der Volkswirtschaft" zurückgeht, welches im einzelnen Arbeitsvertrage, mag denselben immerhin das Gesetz in erste Reihe stellen, doch mir seine konkrete Betätigung erfährt.'^) Nur darf gegenüber den Anordnungen zu finden sein, welche im Falle AN. 96 S. 270 Nr. 502 (Anl. Ziff. 34 c a. E.) der Notar seiner in eigener Wohnung tätigen Abschreiberin gegeben haben wird? i3) Anl. Ziff. 28, 29 usw.; AN. 92 S. 116 Nr. 161: „nicht nur eine wirt­ schaftliche Abhängigkeit, sondern auch eine persönliche; AN. 93 S. 101 Nr. 252: „neben der wirtschaftlichen Unselbständigkeit auch das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit"; AN. 99 S. 653 Nr. 775: „wirtschaftlich und persönlich abhängig". Ähnlich Hahn (oben N. 7) S. 229. ") AN. 93 S. 101 Nr. 252: „ Nur da, wo dem Willen des Ausführenden ein gewisser Spielraum zur Betätigung hinsichtlich der Zeit, des Ortes, der Art der Ausführung gelassen ist, kann von einer gewerblichen Selbständigkeit, die Rede sein." AN. 91 S. 173 Nr. 69: „Es fehlt an dem ein Arbeits- oder Dienstverhältnis wesentlich kennzeichnenden Moment der persönlichen Abhängigkeit"; AN. 92 S. 2 Nr. 88 u. a. m. 15) Vgl. auch unten Ziff. 10.

36

I. Buch. Versicherte.

II. Kap.: Allgemeine Tatbestandsinomente.

man, um dies richtig zu würdigen, bei „wirtschaftlicher Abhängig­ keit" nicht an jene gegenseitige, die gesamte Tauschwirtschaft durch­ dringende Abhängigkeit denken, nach welcher auch der Fabrikant auf die Bedürfnisse und Neigungen seiner Kunden IG) oder auf die Ver­ hältnisse anderer, seinen Betrieb beeinfluffender Unternehmungen Rücksicht zu nehmen hat.'') Gemeint ist vielmehr nur jene ein­ seitige, wirtschaftlich-soziale Abhängigkeit, kraft deren die ganze Per­ sönlichkeit des Arbeiters von der selbständigen Betätigung auf dem allgemeinen tauschwirtschaftlichen Markte ausgeschlossen und auf das beschränkte Gebiet des Arbeitsmarktes verwiesen ist, wo sie in der Verwertung ihrer Arbeitskraft d. h. regelmäßig ihres einzigen ver­ wertbaren Besitzes, von der durch den Unternehmer gebotenen und durch seine Dispositionen geschaffenen Arbeitsgelegenheit abhängig ist (Bd. I S. 140 ff.). 2. Die Art der zu leistenden Arbeit.'0) Dieses Würdigungsnroment hängt insofern mit dem vorigen zusammen, als in gewissen Umfange die einfacheren Arbeiten dem abhängigen Lohnarbeitertnm, die höheren technischen dagegen dem selbständigen Unternehmertunl anheimfallen werden. Allerdings können unter Urnständen auch Arbeiten einfachster Art in wirtschaftlicher Selbständig­ keit geleistet werden,'0) während andererseits sachverständiges Können die Abhängigkeit nanrentlich dann nicht ausschließt, wenn es in den Dienst eines selbst sachverständigen Arbeitgebers gestellt ist.*0) In­ dessen kann doch in manchen Wirtschaftszweigen der Gegensatz der ihrer Art nach höheren oder niederen Leistung auf die Entwicklung des Gegensatzes von Unternehmer und Arbeiter in denffelben Einflnß gewonnen haben, wie dies z. B. hinsichtlich des Baugewerbes Zu­ genommen worden ist.21) Insbesondere aber ist dann eine starke Vermutung für die Selbständigkeit des Arbeitenden begründet, weinn er durch das Übergewicht seiner technischen Fähigkeit von jeder Aln>6) AN. 91 Nr. 77 S 182 Abs. 1 a. (S. 17) „Motive eigener Entscheidungen": Bd. I S. 152 N. 21. ") Vgl. NVA. Anl. Ziff. 34 6, 42, 43, auch 39 u. a. m. lv) Der Grundsatz findet sich z. B. AN. 92 S. 2 Nr. 88 (Grabpflegernn; Anl Ziff. 37) und AN. 93 S. 81 Nr. 235. Ferner z. B. selbständiger Diemstmann. 20; Prinzip in AN. 93 S. 93 Nr. 235 und AN. 95 S. 285 Nr. 476. 21) Anl. Ziff. 43 und das dort angeführte (vgl. oben N. 1) Rundschreiben Ziff. 3 a, sowie AN. 93 S. 78 Nr. 233.

Wirtschaftliche Verhältnisse, — § 6. Arbeiter und Unternehmer,

37

Weisung und Beaufsichtigung des Bestellers losgelöst und ausschließ­ lich auf sein eigenes bestes Können verwiesen ist. Wird letzteres noch durch gewisse Momente öffentlichrechtlicher Art, wie öffentliche Bestellltng, Instruktion oder gar Vereidigung bestärkt, so bleibt regelmäßig die Annahme eines Lohnarbeitsverhältniffes dem Be­ steller gegenüber ausgeschlossen,22) während andererseits wieder die Frage nach der Gehilfenstellung des Betreffenden gegenüber der an­ stellenden Behörde in den Vordergrund tritt.23) 3. Der Arbeitsort?/ Er kommt insofern in Betracht, als die eigene Betriebsstätte der Selbständigkeit,23) der Eintritt aber in frenide Betriebs- und Wirtschaftsräume der Lohirarbeiterschaft das Wort redet. Jmnrerhin begründet die Arbeit in eigener Wohnung, namentlich auf nicht indilstriellem Gebiete, die Selbständigkeit dann nicht, ivenn besondere, mehr zufällige, nicht in der Entwicklung des Wirtschaftszweiges liegende Gründe, wie z. B. Platzmangel beim Arbeitgeber oder körperliche Gebrechen des Arbeiters jene veran­ lassen?/ Der Eintritt ins Kundenhaus ist namentlich bei Wäscherttmcit, Plätterinnen, Schneiderinnen, Näherinnen usw.,2') ebenso 22) So sind als Unternehmer anerkannt worden eine Gemeindehebamme (AN. 91 S. 178 Nr. 73; Anl. Zisf. 29, 55), Heildiener (AN. 99 S. 627 Nr. 762; Anl. Zisf. 55), Kranken- und Wochenpflegerinnen (AN. 99 S. 629 Nr. 763; Anl. Ziff. 55 letzter Absatz; aber auch AN. 1901 S. 438 Nr. 916), Viehkastrierer (AN. 93 S. 118 Nr. 271; Anl. Zisf. 34 a, 39) und Viehwäscher (AN. 98 S. 272 Nr. 640; Anl. ebenda), Wäger (AN. 92 S. 113 Nr. 158; Anl. Ziff. 48 mit 341), Kreistaxator und Gutsverwalter (AN. 97 S. 271 Nr. 550; Anl. Ziff. 48: Druckfehler „1896"), Fruchtmesser, Fleischbeschauer, Lootsen, Kornmesser u. a. (vgl. das der Aul. beigegebene Sach- und Berufsverzeichnis). 23) Vgl. dazu unten. «) NVA. Anl. Ziff. 34 c. 25) Hausspinnerin, Tischler: Anl. Ziff. 34 c, 42. Über die Bedeutung des Merkmals bei der sog. Hausindustrie vgl. unten. 26) AN. 91 S. 183 Nr. 77, AN. 92 S. 46 Nr. 133. 27j Bundesratsentschließung loben N. 1); dazu neuerdings AN. 1901 S. 186 Nr. 869: selbständige Wäscherin in eigener Wohnung. « Über die männ­ lichen Hausschneider, welche das NVA. anders beurteilen will, wie die Schneiderinnen, vgl. oben N. 5 und neuerdings AN. 1901 S. 607 Nr. 922, wo das NVA. trotz immer sich wiederholender entgegengesetzter Entscheidungen der unteren Instanzen energisch an seiner die Versicherungspsticht verneinenden Auf­ fassung festhält. Vgl. auch die Ausführungen in der folgenden Nr. 923 (unten N. 33), welche aber m. E., was die Beurteilung der Hausschneider anlangt, nicht unbedingt überzeugend sind.

auch bei Kochfrauen und Köchinnen,-") behufs Annahme ihrer Un­ selbständigkeit verwertet worden, was namentlich dann und insoweit begründet ist, als durch diese Personen eine hauseigene Hilfskraft ersetzt wird. Treten freilich andere für Selbständigkeit sprechende Momente dem gegenüber, so wird zugleich zu erwägen sein, daß die Arbeit im Kundenhause in vielen Fällen nicht, wie z. B. bei Schneide­ rinnen ilsw., mit der Möglichkeit der Arbeitsverrichtung im eigenen Hause konkurriert, sondern, wie z. B. bei Krankenpflegerinnen,33) durch die Natur der Tätigkeit von selbst geboten ist und daher der Annahme eines eigenen, gerade darauf gerichteten Unternehmens nicht unbedingt entgegensteht. 4. Der Kund enkreis.33) Wer in dauerndem Beschäftigungs­ verhältnis zu einem einzelnen steht, erscheint eher als unselbständig, wie derjenige, welcher einem größeren, namentlich aber wechselnden Kundenkreise dient?') Anders, wenn die Beschränkung auf einen einzelnen Kunden eine mehr zufällige, durch den ausnahmswcisen Umfang seines Betriebes erklärte ist32) oder bei wechselnden: Kunden­ kreise in jedenl einzelnen Falle Eintritt in den Betrieb oder die Wirtschaft des Kundeil stattfindet und die geleistete Tätigkeit einen Teil der fremden Betriebs- oder Wirtschastsgebahrung in ihrer un­ unterbrochenen Reihenfolge darstellt. Zeigen die in letzter Richtung unter anbeten33) in Betracht kommenden, schon oben erwähirten Näherinnen, Wäscherinnen usw. zugleich, daß auch Dienstleistungen direkt an die konsumierende Prioatkundschaft die Form der Lohn­ arbeit einnehmen können, so kann doch andererseits, namentlich in 2") Anl. Ziff. 19 Abs. 3. Ziss, 53: „häusliche Dienste". 2") Vgl. oben N, 22. Über die für selbständig erachtete „Andreherin" und die Bedenken dagegen oben N. 5. 30) NVA. Anl. Ziff. 34 g. 31) Agenten für eine einzelne und für eine größere Zahl von Firmen (A.nl. Ziff. 45), ähnlich bei Vereinsboten (Ziff. 51), Modell bei verschiedenen Künstlern und bei einer einzelnen Kunstschule (Ziff. 56) u. a. nt. 32) z. B. angestellter und vereideter (vgl. oben 9t. 22) Wäger, fast aus­ schließlich für ein einzelnes Handlungshaus tätig (Anl. Ziff. 48). 33) Ebenso Winzer, Küfer für eine größere Anzahl Besitzer (Anl. Ziff. 36) und ähnliche in Ziff. 36 a aufgeführte Personen; neuerdings (AN. 1901 S. 607 Nr. 923) Gärtner bei wechselnden Arbeitgebern (Landhausbesitzern), unter Zurück­ weisung der von der Versicherungsanstalt herangezogenen Analogie der Haus­ schneider (oben N. 27).

Wirtschaftliche Verhältnisse. — § 6. Arbeiter und Unternehmer.

39

industriellen Bcrufszweigcn, die umuittelbare Verbindung mit den Konsunlenten für Selbständigkeit, die Arbeitsleistung für Gewerbe­ treibende zu Zwecken ihres Betriebes dagegen für wirtschaftliche Ab­ hängigkeit ins Gewicht falten.34) 5. Der Kapitalbesitz?') Während in der nationalökonomi­ schen Wissenschaft eine gewisse Richtung30) den Besitz von Betriebs­ kapital notwendig für den Begriff des Unternehmers erfordert und den sogen, „selbständigen Arbeiter" nicht als solchen gelten läßt, steht nach unseren Gesetzen für die Frage der Versicherungspflicht der letztere, z. B. der selbständige Dienstmann, dem kapitalbesitzenden Unternehmer durchaus gleich. Immerhin wird die Verwendung eigenen Betriebskapitals für gewerbliche Zwecke ein gewisses Moment zu Gunsten der Selbständigkeit in die Wagschale werfen,") es müßte denn wegen seiner Geringfügigkeit ganz hinter der persön­ lichen Arbeitsleistung zurückstehen?0) Andererseits wird die Lieferung der Betriebsmittel an den Arbeitenden und zwar um so mehr, je bedeutender sie sind, als Zeichen der Abhängigkeit ins Gewicht fallen,30) während wiederum derjenige eher als Unternehmer zu er­ achten ist, dessen Arbeitsleistung nach dem Vertrage wesentlich hinter der durch ihn bewirkten Gestellung von Betriebsmitteln zurücktritt?0) 6. Risiko und Unternehmergewinn?') Mit dem Kapital­ besitz und seiner Verwendung für Fremde hängt das geschäftliche Risiko und andererseits die Möglichkeit eines Unternehmergcwinns eng zusammen. Wo Risiko und Unternehmergewinn vereint sich 34) Selbständige Handwerker (Anl. Ziff. 42), Bauhandwerker und Bau­ arbeiter (Ziff. 43). 35) NVA. Anl. Ziff. 34 b. 3>i) Vgl. z. B. Pierstorff im Handwörterbuch der Staatswissenschaften VI (1894) ©.338; v. Ph ilippovich, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2. Aust., S. 104. 37) Lieferung des Materials und der Arbeitsgeräte: selbständige Köche oder Kochfrauen, welche Geschirr, Gerichte oder Waren liefern (Anl. Ziff. 53 mit 47); Lieferung von Baumaterialien durch Bauhandwerker (Ziff. 43). 3H) z. B. Kellner, die Zigarren verkaufen, Logenschließer, die Operngläser ver­ leihen, Zimmermann, der die Axt mitbringt (Anl. Ziff. 47 Abs. 2; Ziff. 13 Abs. 1). 3i) Schiffspächter (oben N. 9), Fischermaat (Anl. Ziff. 50, 40). 40) AN. 94 S. 82 Nr. 333, 1. Fall: Fuhrwerksbesitzer (Änl. Ziff. 49). 41) Bd. I S. 152, 154 N. 30. - NVA. Anl. namentlich Ziff. 34i und 31.

findet, da ist auch die Selbständigkeit der wirtschaftlichen Stellung gegeben.42)

Namentlich

bei

Akkordverhältnissen wird die Unter­

suchung häufig entscheidend sein, ob im Akkordlohn mir ein Arbeits­ entgelt für den Arbeitenden und seine Hilfskräfte, oder aber ein wahrer Unternehmergewinn enthalteir ist.43)

Nur darf man nicht

in jeder Beteiligung an der Chance des Unternehniens einen durch­ schlagenden

Unternehmergewinn

erblicken

und

insbesondere

nicht

übersehen, daß die bloße Tantieme nichts anderes, als eine besondere Form des Arbeitslohns darstellt.44) 7. Stellung v on Hilfskräften. nicht

bloß Natur43)

und

Kapital,

Indem der Unternehmer

sondern

auch

seinen Dienst stellt, wird er zugleich Arbeitgeber. schäftigung dritter Personen

Arbeitskräfte in Die eigene Be­

gehört nicht zum Begriffe des regel­

mäßig versicherungsfreien Unternehmers.43)

'Wo

indessen der mit

einer Arbeit Betraute dieselbe regelmäßig ganz oder zum Teil

an

gelohnte Hilfskräfte weitergibt, wird er namentlich dann als llnternehmer zu betrachten sein,

wenn er über deren Lohn hinaus selbst

einen llnternehmergewinn als Entgelt für seine disponierende Tätig­ keit bezieht.44) Wo ein solcher nicht gegeben ist, wird im Gegenteil der Besteller der Hilfskräfte vielfach nur als unselbständige Mittels­ person, Vorarbeiter (Kleinakkordant) besondere dann,

zu

erachten sein.

Dies ins­

wenn als Hilfskräfte lediglich Familienangehörige

des Arbeitsübernehmers bestellt werden.44) 42) Risiko von Warenausträgern in Bezug auf unverkaufte Ware und kreditierte Preise (Anl. Ziff. 46). Risiko und Unternehmergewinn des Bier­ verschleißers, Traiteurs usw. (Ziff. 47). Unterscheidungsmerkmal bei Weberei­ faktoren: Ziff. 34 i und 45 letzter Absatz. ") Beispiele: Anl. Ziff. 31 und neuerdings AR. 1900 S 831 Nr. 849. ") § 3 Abs. 1; Bd. I S. 199 f. — AN. 93 S. 91 Nr. 244; Anl. Ziff. 14. Schiffspächter trotz Anteil an Bruttofracht unselbständig (oben N. 9). Unselbst­ ständigkeit der Norderneyer Partsschiffer (AN. 1903 S. 361 Nr. 1036). 45) Grundstücksbesitz als Kennzeichen der Unternehmerstellung (Bd. I S. 152 N. 23). ") § 2 Ziff. 1, § 14 Ziff. 2. 4‘) NVA. Anl. Ziff. 34 k. Unselbständige Wäscherinnen usw., „welche nicht regelmäßig wenigstens einen Lohnarbeiter beschäftigen": Bundesratsentschließung (vgl. N. 1) in Anl. Ziff. 44. Selbständige Bauhandwerker bei „regelmäßiger Ge­ stellung anderer Arbeiter" (Ziff. 43 unter 3 c). Baumwart (Ziff. 36). 48) „Mittelbare Arbeitsverhältnisse" (Anl. Ziff. 32 und 13 Abs. 3, sowie Bd. I S. 178 f.).

Hahn a. a. O. S. 258 ff.

8. Art und Form des Lohnbezugs.3'3) Hier tritt in erster Reihe der Gegensatz der Entlohnung nach der Arbeitszeit (Zeitlohn) und nach dem Maße der Arbeitsleistung (Stück- oder Akkordlohn, ani besten wohl Werklohn) hervor. Der letztere schließt ein gewisses Moment des Risikos und der Chance in sich uird ist daher eine „dem Unternehmergewinn sich nähernde Art der Bezahlung", wenn­ gleich er auch bei dauernden, die ganze Person ergreifenden Arbeits­ verhältnissen z. B. bei Gesellen oder Gehilfen sich findet und hier in seiner Bedeutung durch andere Momente, z. B. die Pflicht des Arbeitgebers, für allsreichende Beschäftigung zu sorgen, paralysiert roirb.50) Dagegeil ist der Zeitlohn, mag er sich auch als Entgelt für selbständige Arbeitsleistung finden/') doch die unmittelbarste Form des reinen Arbeitsentgelts. So insbesondere da, wo bei dauernden Arbeitsverhältnissen der Lohll nach bestimmten größeren Zeitabschnitten bemessen roirb.32) Zu unterscheiden hiervon sind aber die Fälle, in denen periodisch wiederkehrende imb einem größeren Kreise voil Interessenten zu leistende Arbeiten dilrch ein ilach der Kalenderzeit, gerade ohne Rücksicht auf die wirklich verwendete Arbeitszeit, benlesseues Pauschquantum bezahlt werdeil, zumal wenn in demselben auch die Vergütung für geliefertes Material mit­ inbegriffen ist.33) Richt in allen Füllen wird auch bei dauernden Arbeitsverhältnissen der Lohn vom Arbeitgeber direkt entrichtet, vielmehr der Beschäftigte auf gewisse Leistungen des Publikllms ver41') Einzelnes in NVA. Anl. 3tff- 34 i, wo aber, wie auch in den zu (Grunde liegenden Entscheidungen selbst, die „grundsätzlich nicht ausschlaggebende" Be­ deutung dieses Moments etwas zu einseitig betont wird, ferner Ziff. 13. 5°) Gewerbe-O. § 124 Ziff. 4. AN. 92 S. 46 Nr. 133. ftl) Bd. I S. 153 N. 26. Z B. Pumpenmacher Ziff. 42, Hausschneider und ähnliche kleine Unternehmer aus dem Lande (AN. 93 Nr. 236 S. 83 Abs. 1 a. E.). Selbständige Gärtner, Maurermeister usw., welche die von ihren Leuten bei den Kunden ausgeführten Arbeiten nach der Arbeitszeit berechnen, darin aber zu­ gleich einen Unternehmergewinn in Ansatz bringen (vgl. oben N. 47). 52) Auf solche Verhältnisse, nicht aber auf die bei N. 63 besprochenen paßt die Bemerkung in AN. 92 S. 36 Nr. 125: „Eine derart fixierte Vergütung für unbestimmte Arbeitsleistungen ist gerade das Kennzeichen eines festen Dienst­ verhältnisses." — Scheidung nach Taglohn und Stücklohn z. B. bei Bauarbeitern bezw. Bauhandwerkern AN. 93 S. 80 Nr. 233 a. E. 53) z. B. Grabpslegerin (Ziff. 37), Maulwursfnnger (Ziff. 36), Armenpsleger (Ziff. 47 a. E.).

Es ist bemerkenswert, daß hierdilrch ein selbständiger Gewerbebetrieb deni Publikum gegenüber nicht unbedingt be­ gründet wird. 9. Die Form des civilrechtlichen Bertragsverhültn iss es. Dieselbe entscheidet nicht unbedingt über den wirtschaft­ lichen Gegensatz-von Unternehmer und Arbeiter; doch bringt sich dieser zum Teil auch in den Rechtsformen zum Ausdruck. Das gilt insbesondere von dem Gegensatz des Dienstvertrages (§§ 611 ff. BGB.) und des Werkvertrages (§§ 631 ff.). Während der erstere die Dienste selbst als Vertragsleistung erscheinen läßt und daher dem unselbständigen Arbeitsverhältnis in erster Reihe entspricht, sind beim Werkvertrag im Hinblick auf den bedungenen und vergüteten Arbeitserfolg Momente der wirtschaftlichen Selbständigkeit, be­ sonders in der größeren Bewegungsfreiheit des Leistungspfiichtigen und der ihm obliegenden Gefahrentragung gegeben. Indessen haben doch schon die bisherigen Erörterungen die Relativität dieser Btomente selbst, wie sie namentlich bei sog. Akkordverhältnissen hervortritt, ergeben, und andererseits wird das Vorliegen eines Dienstvertrages ganz besonders da die wirtschaftliche Selbständigkeit nicht ausschließen können, wo das beiiu Werkvertrag civilrechtlich erforderliche Einstehen für den Arbeits­ erfolg schon mit der Art der Arbeitsleistung unverträglich ist.53) Es kann daher nur dann der Gegensatz von Dienst- und Werkvertrag mit dem von Lohnarbeiter unb Unternehmer im wirtschaftlichen Sinne unbedingt identifiziert werden, wenn man, wie Liefmann55) wiesen.")

M) z.B. unselbständige Dienstmänner, Kellner. Logenschließer, Badewärterinnen, (vgl. das Berufsregister der Anl. und Bd. I S. 193). So sind in der Regel die Verträge mit Privatlehrern oder Ärzten, jedenfalls der Hausarztvertrag mit festem Honorar, Dienstverträge, ohne daß dadurch die wirtschaftliche Selbständigkeit der genannten Personen berührt wird (Planck, Kommentar zum BGB., Vorbemerkung zu Buch II Zit. 6, unter III, 3 und zu Tit. 7 unter II, 2). 5G) Liefmann, Verlag 27) z. B. ein Angestellter eines Bankhauses durch regelmäßige eigeneSpekulation. Über Ausschluß des Zinseinkommens vgl. RVA. Anl. Ziff. 26 Schlußabsatz. 2ft) Vgl. oben N. 9 und 25. Über Tantiemen Anl. Ziff. 26 Abs. 3. An­ rechnung von Reisespesen und Reisekosten bei einem Versicherungsinspektor (AN. 02 S. 546 Nr. 1003). — Ist einem Betriebsbeamten ein Jahresgehalt von 2000 M. vertragsmäßig zugesichert, es wird aber die monatlich gezahlte Gehaltsrate von 166,66 auf 167 M. abgerundet, so daß der tatsächliche Bezug 2004 Mark beträgt, so soll, wie AN. 00 (5. 611 Nr. 799 neuerdings ent­ schieden hat, Versicherungspflicht eintreten. „Nur in der Höhe des festgesetzten Jahresgehaltes findet die Bewertung der Leistungen des Angestellten ihren eigentlichen Ausdruck." Die Entscheidung steht mit den oben bei N. 16 ange­ führten eigenen Grundsätzen des RVA. im Widerspruch, ist aber im Hinblick auf die geringe Überschreitung der Verdienstgrenze in favorem der Versicherung, sozialpolitisch wohl erklärlich. Nur liegt von diesem Standpunkte aus die Sache nicht anders, wenn der Beamte vertragsmäßig pro Monat abgerundete 167 Mark bezieht. Es sind das eben Mißstände, die mit jeder gesetzlichen Zifferngrenze verbunden sind. 20) RVA. Anl. Ziff. 26 a. E. führt als Beispiel einen bei zwei Firmen be­ schäftigten Handlungsgehilfen an; man denke ferner namentlich an Lehrer,, welche Einzelstunden erteilen u. a. nt. — Ist eine Person in einer Stellung, als Betriebsbeamter, Angestellter usw. (§ 1 Ziff. 2) und in einer anderen als Arbeiter, Gehilfe usw. (§ 1 Ziff. 1) tätig, so wird er auch dann versicherungs­ pflichtig sein, wenn sein Gesamtlohn 2000 Mark überschreitet, weil die Be­ schäftigung als Arbeiter ohne Rücksicht aus die Höhe des Einkommens versiche-

denn es handelt sich bei der gedachten Verdienstgrenze im Sinne des. Gesetzes um eine die ganze Persönlichkeit erfassende soziale Ab­ schichtung, nicht unbedingt um das einzelne Arbeitsverhältnis. Dar­ aus folgt aber nicht, daß, wenn ein Betriebsbeamter usw. seine Zeit und Arbeitskraft z. B. nur zur Hälfte ausnutzt, seine versicheruugsrechtliche Stellung nach dem Doppelten seines Arbeitsverdienstes bestimmt werden müßte. Denn nur der wirkliche Lohll kann ent­ scheiden, nicht auch der mögliche, den der Betreffende verdienen würde, wenn er neben dem ersten noch ein zweites Engagement ein­ gegangen wäre. Maßgebend ist schließlich nicht der Arbeitsverdienst eines einzelneil Jahres, sondern der „regelmäßige". Versicherungs­ pflicht und Selbstversicherung fallen daher erst dann weg, wenn nach Maßgabe des Vertrages oder angestellter Durchschnittsberech­ nungen für die Zukunft mit Sicherheit auf eine Überschreitung der Verdienstgrevze gerechnet werden kann?") Die Geringfügigkeit des Lohnes schließt, soweit sie nicht der Ausdruck bereits bestehender Erwerbsunfähigkeit ist,31) die Ver­ sicherung nach Maßgabe des Gesetzes selbst nicht aus. Dagegen kann nach der zu § 4 Abs. 1 erlassenen Bekanntmachung des Bun­ desrats vonl 27. Dezember 1899 über „vorübergehende Dienst­ leistungen" eine solche „Geringfügigkeit des Entgelts, daß das­ selbe für die Dauer der Beschäftigimg zum Lebensunterhalt nicht ausreicht und zu den für diese Zeit zu zahlendeir Versicherungsbeiträgen nicht im entsprechenden Verhältnis steht", in Verbindung mit anderen Momenten den Ausschluß von der Versicherungspflicht herbeiführen.33) 3. „Eine Beschäftigung, für ivelche als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wird, gilt im Sinne des Gesetzes nicht als eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung" (§ 3 Abs. 2) dagegen ist solchen Personen, welche auf Grimd dieser Bestimmung der Versicherungspflicht nicht unterliegen, jetzt das Recht der Selbst­ versicherung zugeiviesen (§ 14 Ziff. 3). rungspflichtig ist und die daneben ausgeübte Beschäftigung als Betriebsbeamtev diese Rechtsfolge nicht wieder aufheben kann. 30) Bd. I S. 209 mit Anl. Ziff. 26 Abs. 4. 31) § 5 Abs. 4; vgl. unten § 11. 32) Zisf. lb; vgl. unten § 9.

a) Die angeführten Bestimmungen beziehen sich auf solche Per­ sonen, welche „gegen Entgelt beschäftigt" werden: nur „die Art der Entlohnung" ist es, welche ihre Sonderstellung begründet.^) Mangelt es bereits an einem versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis oder an einem Lohnbezug in dem unter I tonlmen jene Normen

überhaupt nicht

entwickelten Sinne, so

erst

in Frage.

Für § 3

Abs. 2 und damit für das frühere Recht des G. 89 überhaupt ist diese Hervorhebung ohne wesentliche Bedeutung, da es praktisch gleichgiltig sein kann, ob die Bersicherungspflicht schon wegen des Fehlens eines Lohnarbeitsverhältnisses an sich,

oder

neten Art der Entlohnung verneint wird.

erst wegen der bezeich­ Im Gegenteil kann

es

sich insoweit empfehlen, die Reihenfolge der Fragen umzukehren, weil es sich häufig leichter wird feststellen lassen, dag

„nur freier

Unterhalt gewährt wird", als daß ein Lohnarbeitsverhältnis in dem nicht ganz einfachen Sinne des Gesetzes nicht vorliegt. Allein für die durch

das

neue JBG.

eingeführte

Bersicherungsberechtigung

jener Personen (§ 14 Ziff. 3) wird sich die Unterscheidung nicht ent­ behren lassen. Rur diejenigen Personen genießen hiernach das Recht der Selbstversicherung, welche „auf Grund des § 3 Abs. 2" wegen der Art der Entlohnung der Bersicherungspflicht nicht unterliegen. Personen dagegen, welche z. B. ihren Lebensunterhalt als Gnaden­ brot, als Armenunterstntzung, als familienrechtliche Alimentatioir er­ halten/^) können auf Selbstversicherung keinen Anspruch erheben. b) „Freier Unterhalt" sind Gebrauchs- oder Bcrbrauchsgegenstände, also Naturalbezüge. Aber nicht alle Naturalbezüge sind Unterhaltsgcgenständc und es muß gegenüber falschen Schlüssen, die aus der schiefen Begründung der Motive gezogen werden könnten/") wiederholt hervorgehoben werden, daß die Entlöhnung 33) Mot. zu § 8 Entw. zum IVG. Abs. 3 S. 252; G e bhard - Düttman n Anm. 9 zu K 3 a. E. 34) Vgl. oben tz 7 N. 17. Auch bei einfachen Lehrlingsverhältnissen behält AN. 98 S. 629 Nr. 688 a. E. den Fall vor, daß „mährend eines Teils oder sogar während der ganzen Dauer der Lehrzeit die eigentliche Unterweisung gegenüber dem Interesse des Lehrhernr derart im Vordergründe steht, daß die Leistungen des Lernenden ohne wirtschaftlichen Wert sind und der Unterhalt nicht als Arbeitsentgelt, sondern aus anderen Gründen und deshalb gewährt wird, weil erst die Teilnahme an der Hausgemeinschaft des Lehrherrn eine umfassende Aufsicht und Anleitung ermöglicht oder sie doch erleichtert". 35) Vgl. Bd. I S. 201 N. 6. Die dort citierten Motive wollen die Bestimmung

WirtsclMtlichc Eerhüimissc. — K 8. Lohn oder Geholt.

61

lediglich mit Naturalbezügen, welche aber über den „Unterhalt" hinausgehen, die Versichernngspflicht nicht ausschließt. Wird an. Stelle des freien Unterhalts oder eines Teils desselben z. B. für die Wohilung oder Kleidungac) ein frei verwendbarer Pauschalbetrag gewährt, so ist dieser im Sinne der Motive als Barlohn das Ent­ scheidende; anders dagegen, wenn bei jeweiligem Bedürfnis z. B. zur Anschaffuirg eines Kleidungsstücks der angemessene Geldbetrag zu eigener Verausgabung dem Beschäftigten gewährt wird?') Kleine unselbständige Nebenleistungen in Gelde, namentlich das sog. Taschen­ geld zur eigenen Befriedigung gewisser kleinerer Lebensbedürfnisse,. schließen die Anwendung voir § 3 Abs. 2 nicht aus?") Bei mittel­ baren Arbeits- und Lohnverhältnissen muß in dem Sinne der Motive damit begründen, daß bei bloßer Unterhaltsgewährung dem Arbeitgeber die Wiedereinziehung der Beitragshälfte durch Lohnkürzung unmöglich sei. Das würde freilich auf alle Fälle bloßer Naturalleistungen zutreffen. Andererseits darf doch die Unzulänglichkeit der Motive nicht dazu führen, die Bestimmung mit Christian!, Versicherungspflicht und freier Unterhalt (1893), aus eine ganz neue Grundlage zu stellen. Dieser Schriftsteller will den Grund von § 3 Abs. 2 darin finden, daß der freie Unterhalt regelmäßig nicht die Natur eines wahren Arbeitsentgelts habe, nicht für die Arbeit, sondern aus anderen Beweggründen gegeben wird (Alimentationspflicht, Unterstützung, Gnadenbrot; S. 14). Er kommt danach dazu, gerade diejenigen Fälle der Bestimmung zu unterwerfen, welche nach ihrem klaren Wortlaut („Beschäftigung", „Entgelt") schon vor der Anwendbarkeit von § 3 Abs. 2 liegen und bereits durch § 1 von der Ver­ sicherungspflicht ausgeschlossen sind, während er Handwerkslehrlinge, die „freie Station" (Kost und Wohnung) erhalten, entgegen der ausgesprochenen Absicht der Motive (vgl. Bd. I a. a. O.) der Versicherungspflicht unterstellen will. Im Gegensatz dazu muß man doch auch der in den Motiven zum Ausdruck ge­ langten Absicht des Gesetzgebers, wie auch im Texte geschehen (vgl. bei N. 36, 39), insoweit Rechnung tragen, als sie nicht mit dem Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch kommt. Ob freilich man nicht das Bedauern Weymann's (Anm. 7 Schlußabsatz zu § 3) darüber teilen sollte, daß die bei der Beratung des JVG. gemachten Versuche zur Beseitigung der ganzen Bestimmung erfolglos ge­ blieben sind (vgl. namentlich Komm.Ber. zu § 3 S. 11 ff.), muß hier dahin­ gestellt bleiben. 3«) AN. 92 S. 4 Nr. 91. 3-) NVA. Anl. Zisf. 15a. 3ft) Bd. I S. 201 N. 6, sowie die Begriffsfeststellung bei Rosin in „An­ nalen des deutschen Reichs" 1890 @.911 a. E.; Anl. Ziff. 15b. Taschengeld^ in umsatzfähigen Naturalien (AN. 92 S. 120 Nr. 166). Es verschlägt nichts^ daß das Taschengeld ausbedungen ist (AN. 92 S. 120 Nr. 165).

Richt die Art, wie der Lohn vom Arbeiter empfangen, sondern wie or vom Arbeitgeber gegeben wird, entscheiden?") c) Der „Unterhalt" umfaßt die zur Erhaltung des eigenen Körpers der beschäftigten Person unmittelbar dienenden und er­ forderlichen Ge- und Verbrauchsgegeustände?") Vorausgesetzt wird, daß die gewährten Naturalbezüge weder nach Qualität noch nach Quantität wesentlich über das Maß des persönlichen Bedürfnisses hinausgehen. Qualitativ fallen in den Nahmen des Unterhalts namentlich Wohnung, Feuerung, Nahrung, Kleidung, aber auch ärztUche Behandlung und Medikamente in Krankheitsfällen;4') die Be­ friedigung kleinerer Luxusbedürfnisse z. B. die Gewährung von Tabak schließt den Begriff nicht aus.42) Naturalbezüge, aus denen der Unterhalt erst herausgewirtschaftet werden soll, z. B. Landnutzung, sind ausgeschlossen. Quantitativ überschreiten Reichnisse, welche über das eigene leibliche Bedürfnis des Arbeiters hinausgehen und zur Verwertung geeignet sind, den Begriff des „nur freien Unterhalts"; auch wenn freier Unterhalt nicht bloß für den Arbeiter selbst, sondem für seine ganze Familie gewährt wird, findet § 3 Abs. 2 keine An­ wendung.42) Bleibt die Gewährung qualitativ oder quantitativ hinter dem Maße des Bedürfnisses zurück, wird z. B. nur Wohnung oder nur Kost, oder die Kost nur in beschränktem Umfange ge­ währt, so ist trotzdem die Anwendbarkeit begründet. 30) Instmann erhält vom Gutspächter Barlohn, während er dem von ihm pflichtmäßig gestellten Scharwerker nur freien Unterhalt gewährt. Die Möglichkeit der Beitragseinziehung durch Lohnabzug besteht hier (AN. 93 S. 68 Nr. 223). — Weitere Einzelheiten ergeben sich aus dem bereits Entwickelten: Versprochener, aber nicht gezahlter Barlohn neben dem freien Unterhalt (vgl. oben N. 15); Barbeträge neben freiem Unterhalt, um die Verstcherungspflicht eintreten zu lassen (vgl. oben § 7 N. 12). 40) Die Definition nach Bd. I S. 201 (aufgenommen in AN. 91 S. 179 Nr. 75) mit Anl. Ziff. 15 Abs. 2 und litt. c. 41) AN. 91 S. 180 Nr. 76 Schlußabsatz. ") Anl. Ziff. 15 Abs. 2. 43) Dieser Satz ist in der Anl. nicht mit voller Deutlichkeit ausgesprochen, -geht aber aus dem Zusammenhange und namentlich aus AN. 91 S. 179 Nr. 75 klar hervor. Dagegen will AN. 1901 S. 637 Nr. 942 bei Hausreinigern und Hauswarten, welche freie Wohnung auch für ihre Familie erhalten, Versiche­ rungsfreiheit gelten lassen (?). Bestätigt wird dies in der grundsätzlichen Entsch. AN. 02 S. 387 Nr. 963 litt. a. Bedenkenfrei sind dagegen die hier in litt, b und c in Verbindung mit AN. 01 S. 638 Abs. 2 a. C. aufgestellten

§ 9.

Kurzfristige Beschäftigung.')

I. Die versicherungsrechtliche Beurteilung einer Beschäftigung, insbesondere ihre Versicherungspflichtigkeit, ist prinzipiell unabhängig von ihrer Zeitdauer. Indessen greift hier das Gesetz aus praktischen Gründen'*) mit zwei*2) Ausnahmebestimmungen ein, deren Durch­ führung zugleich in erheblichem Umfange an eine nähere Regelung seitens des Bundesrats geknüpft ist. Die erste derselben (§ 4 Abs. 1) nimmt „vorübergehende Dienstleistungen", deren Umfang der näheren Bestimmung des Bundesrats anheimgegeben ist, kraft Rechtsnorm von der Versicherungspflicht aus;3) die hierdurch ausgeschlossenen Personen genießen aber das Recht der Selbstversicherung (§ 14 Ziff. 3). Die zweite (§ 6 Abs. 2) gewährt, gleichfalls unter Vor­ behalt näherer Ausführungsbestimmungen des Bllndesrats, gewissen Personen, welche im Laufe eines Kalenderjahres nur kurzfristige Lohnarbeit übernehmen, ein Recht auf Befteiung von der Versiche­ rungspflicht 4); 5 die danach befreiten Personen haben zwar nicht das Selbstversicherungsrecht, wohl aber, wenn sie durch die Befreiung aus einer schon begründeten Versicherungspflicht ausscheiden, das Recht der Weiterversicherung?) Da die Ausnahme durch Rechtssatz unmittelbar wirkt, so geht § 4 Abs. 1 in der Anwendung dem § 6 Abs. 2 vor; einer Befteiung auf Grund der letzteren Bestimmung bedarf nur der­ jenige, dessen Versicherungsfteiheit nicht schon auf Grund von § 4 Rechtssätze: Wird für den Hauswart eine Vergütung in bestimmter Höhe und -ebenso für die ihm im Rahmen des persönlichen Bedarfs gewährte Wohnung ein bestimmter Mietzins ausgeworfen, letzterer aber ganz oder zum Teil zur aufrechnungsweisen Tilgung der Vergütung verwendet, so liegt Versicherungs­ freiheit vor. Wird umgekehrt noch ein Teil der Vergütung in Bar entrichtet, so ist Versicherungspflicht begründet, wenn nicht der Barbetrag, ähnlich einem Taschengeld, verhältnismäßig unbedeutend ist (vgl. oben N. 38). *) Ortloff, Invalidenversicherung in vorübergehenden Beschäftigungen, 1903. la) Vgl. Bd. I S. 183. 2) In gewissem Sinne gehört auch § 4 Abs. 2 hierher (vgl. auch unten N. 64), welcher aber doch nach den Mot. zu§3a auch dann Anwendung finden soll, wenn die „inländische Beschäftigung wegen ihrer verhältnismäßig langen Dauer vielfach als vorübergehende nicht mehr gut angesehen werden kann". "Vgl. über ihn unten. 3) Vgl. oben § 3 N. 11. 4) Vgl. oben § 5. 5) Vgl. oben 8 5 N. 24.

64

I Buch, Versicherte.

II. Kap.: Allgemeine Tatbcstmidömomentc.

Abs. 1 feststeht?) Der Bundesrat hat sich seiner Aufgabe in zivei Verordnungen entledigt: Die aus ©runb des § 4 Abs. 1 ergangene ist in der Bek. v. 27. Dez. 1899 enthalten'), die auf Grund des § 6 Abs. 2 erlassene in der Bek. v. 24. Dez. 1899, welche, soweit sie Form und Wirkung der Befreiung selbst betrifft, bereits oben zur Erörterung gelangt ist?) Durch diese Verordnungen ist der Kreis der Personen, auf welche die gesetzlichen Bestimmungeil Anwendllng finden, abgesteckt; eine Erweiterung desselben im Wege der Analogie ist ihnen gegeilüber, da sie „Ausnahmevorschriften" zur Beschränkuirg der sozialpolitischen Absichten des Gesetzes enthalten, nicht ant Platze?) 6) Abg. Zehnter, Sten. Ber. S. 2191 C. In Zweifelsfällen kann ber Weg der Befreiung beschritten werden, was Gebhard-Düttmann S. *30 Anm. 5 der Sicherheit halber empfehlen. «) RGBl. 8.725. Dazu Seelmann in Mainzer Ztschr. Bd. 14 S. 17. Die erste auf Grund des § 3 Abs. 3 G. 89 ergangene VO. v. 27. Nov. 1890 bildete Ziff. I der entsprechenden Bekanntmachung des Reichskanzlers, deren Ziff. II sich auf „die Entwertung und Vernichtung von Marken" bezog. Bei Gelegenheit einer Abänderung dieser Ziff. 11 wurde auch Ziff. I im RGBl, unterm 24. Dez. 1891 (RGBl. S. 399; vgl. oben § 4 N. 12) neu verkündet. Eine zweite, die erste ergänzende und in einem Punkte (Aufhebung von I A 1 c der ersten VO. und veränderte Übertragung derselben nach litt, e der zweiten) abändernde Verordnung wurde unterm 24. Jan. 1893 (RGBl. S. 5) publiziert. Dieselbe wurde in Bezug auf litt, d (jetzt Ziff. 9: „oft- und westafrikanische Häfen" statt nur „ostafrikanische") abgeändert durch die Bek. v. 31. Dez. 1894 (RGBl. S. 543). Die jetzige VO. faßt die beiden selbständigen früheren ein­ heitlich zusammen, wobei eine Reihe von Einzeländerungen vorgenommen,, auch ein ganzer Tatbestand (Ziff. 4 der VO. v. 27. Nov. 1890) ausgeschieden wurde. Wenn nichtsdestoweniger die Bek. v. 27. Dez. 1899 einleitend ver­ kündet, daß nach Beschluß des Bundesrats es bei den früheren Bestimmungen „mit den aus der nachstehenden Fassung sich ergebenden Veränderungen sein Bewenden behalten soll", so kann doch diese eigentümliche Fassung an der Aufhebung und Ersetzung der früheren Verordnungen durch die neue nichts ändern (vgl. Piloty S. 453 Anm. 1) und nur den Sinn haben, hervor­ zuheben, daß für die Frage der Versicherungspflicht vor dem 1. Jan. 1900 die damaligen Bestimmungen maßgebend und die auf Grund von I B der VO. v. 27. Nov. 1900 (— Schlußabsatz der VO. v. 1899) erlassenen Regierungs­ verordnungen weiter in Kraft bleiben sollen. 8) Vgl. oben § 5. ö) Das ist vom NVA. mehrfach anerkannt worden (AN. 92 S. 43 Nr. 130r AN. 91 S. 173 Nr. 68, AN. 94 S. 38 Nr. 327). Nur würde man danach an­ nehmen müssen, daß dieselben Gesichtspunkte auch zu einer „im Zweifel strikten.

Wirtschaftliche Verhältnisse. — § 9. Kurzfristige Beschäftigung.

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II. Die BO. v. 24. Dez. 1899 hat die Abgrenzung des in § 6 Abs. 2 JVG. bestimmten Personenkreises materiell übereinstimmend in ihrer Ziff. 2 wiedergegeben und sich dabei auf eine gelegentliche Erläuterung des Gesetzestextes beschränkt.'") Dagegen ist es gerade die Aufgabe der zu § 4 Abs. 1 ergangenen VO. v. 27. Dez. 1899 gewesen, das „inwieweit" des Gesetzes durch Einzelaufstellung engerer Tatbestände zur Ausführung zu bringen. Das ist unter neun Ziffern und einem Schlußabsatz, welcher für gewisse Personen eine Snbdelegation zu Gunsten der Landesregierungen begründet,") ge­ schehen. Doch tritt dabei ein bemerkenswerter Unterschied in der Faffung hervor. Ziff. 1 und 2 sind durch einen einleitenden Satz zu­ sammengefaßt, welcher dahin lautet: „Vorübergehende Dienst­ leistungen sind danach als eine die Versicherungspflicht be­ gründende Beschäftigung (§ 4 Abs. 1 JVG.) dann nicht anzusehen, 1. wenn sie . . .; 2. wenn sie . . . ." Dagegen bilden wiederum Ziff. 3—9 der Fassung nach eine Gruppe für sich, welche durch die Worte: „Dasselbe gilt 3. für Dienstleistungen ... 4. für Dienstleistungen . . . usw." eingeleitet wird. Der Gegensatz der Fassung entspricht augenscheinlich demjenigen, der zwischen den beiden zur Ausführung des entsprechenden § 3 Abs. 3 G. 89 ergangenen Verordnungen v. 27. Nov. 1890 und v. 24. Jan. 1893 bestanden hat,'2) welche jetzt in der VO. v. 27. Dez. 1899 einheitlich zu­ sammengefaßt sind und von denen die erstere denselben Einleitungs­ satz aufwies, wie die jetzigen Ziff. 1 und 2,13) während die letztere bestimmte, „daß folgende Dienstleistungen nicht als eine Beschäftigung im Sinne des Gesetzes v. 22. Juni 1889 anzusehen sind: a—e) Dienstleistungen usw." u) Legt man auf diese FassungsAuslegung" des Gesetzes (§ 4 Abs. 1) selbst durch den Bundesrat hätten führen müssen, was aber, wie aus dem Folgenden hervorgeht, bei weitem nicht ge­ schehen ist. 10) Gebhard-Düttmann Anm. 37 zu § 6 wollen auch rechtlich dem Bundesrat die Befugnis bestreiten, im Wege der VO. durch „genauere Be­ stimmung des Personenkreises" denselben gegenüber dem Gesetze „enger zu be­ grenzen". Ich halte aber ihre Beweisführung nicht für zwingend. ") Vgl. oben § 3 9t. 13. n) Gebhard-Düttmann Anm. 6 zu § 4 S. 35; vgl. oben 9t. 7. 13) Dem „dann nicht anzusehen" der jetzigen Fassung entspricht ein „in den folgenden Fällen nicht anzusehen" der VO. v. 1890. 14) Dementsprechend wird auch das „Dasselbe gilt" der neuen Fassung von Rosin, Recht der Arbeiterversicherung. Band U.

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66

I. Buch. Versicherte.

II Kap.: Allgemeine Tatbestandsmomente.

Verschiedenheit Gewicht, so würde aus ihr folgen, daß die Merkmale, welche eine Beschäftigung als eine nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes von der Versicherungspflicht ausgenommene kennzeichnen sollen, in den einzelnen Ziff. 3—9 der VO. erschöpfend Auftrahme gefunden haben, während die in Ziff. 1 und 2 aufgestellten Beschäftigungs­ fälle, um von der Versicherungspflicht ausgenommen zu sein, nach dem allgemeinen Einleitungssatze sich noch besonders als „vorüber­ gehende Dienstleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 JVG." ausweisen müßten. Diese Auffaffung entspricht für Ziff. 3—9 dem Sinne des bundesrätlichen Gesetzgebers, wie schon daraus hervorgeht, daß bei Ziff. 5 und 6 die Eigenschaft der Dienstleistung als „vorübergehende" innerhalb des von der Ziffer beschriebenen Tatbestandes Ausdruck gefunden hat und bei Ziff. 3 ebenso eine Übersetzung des „vor­ übergehend" in eine bestimmte Zahl von Tagen als Tatbestands­ merkmal gegeben ist. Dagegen würde die oben für Ziff. 1 und 2 entwickelte Auffassung der Absicht des Bundesrats nicht entsprechen,^) welche vielmehr dahin geht, daß auch hier die Voraussetzungen für die Ausnahme von der Verstcherungspflicht ausschließlich inner­ halb der einzelnen Ziffern und nicht daneben noch in dem Ein­ leitungssatze gesucht werden sollen. Es ist dies schon daraus mit Deutlichkeit zu ersehen, daß der Bundesrat, sowie er schon früher eine Bestimmung aus seiner ersten zu § 3 Abs. 3 G. 89 erlassenen VO. v. 27. Nov. 1890 in die zweite v. 24. Jan. 1893 ohne quali­ tative Sinnesänderung übertragen hat,'°) so jetzt die früher unter Gebhard-Düttmann S. *35 Anm. 19 mit den citierten Worten der VO. v. 1893 umschrieben. ,5) Dementsprechend konstatieren Gebhard-Düttmann S. 35 auch, daß die Praxis der verschiedenen Fassung der beiden früheren BO. wenig Be­ deutung beigelegt und auch die Einleitung der VO. v. 1890 im Sinne der von 1893 verstanden habe. Graßmann S.221 a. E. meint auch, daß das „wohl mit Recht" geschehen sei. K) IA 1 c der ursprünglichen VO. v. 1890 und litt, e der BO. v. 1893; jetzt Ziff. 3 der BO. v. 1899. Die Änderung war nur eine quantitative, in­ dem nach der ursprünglichen Fassung das Moment des Vorübergehenden durch die vorübergehende Wirkung des Unglücksfalles oder des Naturereignisses selbst bestimmt sein sollte, während die VO. v. 1893 die Dauer ziffernmäßig (zwei Tage) bestimmte. Daß dabei der Fall der Verkehrs- und Betriebsstörungen hinzugefügt und auch die Befreiung der bei solchen Gelegenheiten heran­ gezogenen Berufsarbeiter ermöglicht wurde, kommt an diesem Punkte nicht in Betracht.

Ziff. 3 und 5 der VO. v. 27. Nov. 1890 aufgeführten Dienst­ leistungen in der VO. v. 1899 unter Ziff. 8 und 4, also in der oben erwähnten Hinteren Fassungsgruppe (Ziff. 3—9), wiedergegeben hat, ohne das Begriffsmerkmal „vorübergehend" aus der früheren Einleitung der VO. v. 1890 mit herüber zu nehmen. Hieraus er­ gibt sich, daß für die Beurteilung des Sinnes und die Anwendung der VO. v. 27. Dez. 1899 ihre Einleitungsworte dahin zu lesen sind: „Folgende Dienstleistungen sind danach als vorübergehende und die Versicherungspflicht nicht begründmde Beschäftigung (§ 4 Abs. 1 JVG.) anzusehen: 1. wenn sie . . .; 2. usw." Darauf folgt dann: „Dasselbe gilt. 3.—9. usw." III. Ebenso wie § 3 Abs. 2") bezieht sich auch § 4 Abs. 1, wie schon aus der übereinstimmenden Fassung hervorgeht, nur auf solche Fälle einer Lohnarbeit, welche an sich gemäß § 1 von der Versicherungspflicht ergriffen sein würden. Nur die Tatsache einer Dienstleistung als einer vorübergehenden soll die ausnahmsweise Behandlung begründen. Fälle einer Arbeitstätigkeit, welche bereits nach § 1 nicht versicherungspflichtig fittb,18) bedürfen keiner Aus­ schließung durch die auf Grund von § 4 Abs. 1 ergehende Verordnung. Werden sie trotzdem in dieselbe aufgenommen, so hat das lediglich deklaratorische, nicht konstitutive Bedeutung. 9iutt macht es für die Frage der Versicherungs Pflicht praktisch keinen Unterschied, ob die­ selbe unmittelbar kraft Gesetzes oder traft gesetzesvertretender VO. ausgeschlossen ist. Wohl aber kommt auch hier nach neuem Rechte die freiwillige Versicherung zur Erwägung: Können Personen unter Berufung auf die VO. v. 27. Dez. 1899 das Recht der Selbst­ versicherung für sich in Anspruch nehmen, wenn sie bereits nach § 1 JVG. von der Versicherungspflicht ausgeschlossm sind? Die Frage scheint jedenfalls nicht ganz ohne praktische Bedeutung zu sein, da die VO. v. 1899 in der Tat zwei solche Fälle von lediglich dekla­ ratorischer Bedeutung enthält, die gelegentlich zu mißbräuchlicher In­ anspruchnahme der Selbstversicherung führen können. Weniger zu befürchten nach Maßgabe der tatsächlichen Sachlage ist dies aller17) Vgl. oben § 8 unter II, 3 a. — Zm G. 89 schließen beide Bestimmungen innerhalb desselben § 3 als Abs. 2 und 3 unmittelbar aneinander an. 18) Daß sich § 4 Abs. 1 nicht auf selbständige Gewerbetreibende, welche wechselnde Dienstleistungen übernehmen (selbständige Dienstmänner, Kofferträger, Aufwartefrauen usw.), bezieht, vgl. schon Bd. I S. 183 N. IG.

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I Buch. Versicherte. II. Kap.: Allgemeine Tatbestandsmomente.

dings gegenüber dem Tatbestände in Ziff. 4. Daß aber an sich Dienstleistungen in Verpflegungsstationen oder ähnlichen Einrichtungen, wenn sie gegen eine Geldentschädigung verrichtet werden, welche nicht als Entgelt für die gelieferte,0) Arbeit, sondern als Unterstützung zum Zwecke des besseren Fortkommens gewährt wird, eben wegen des ausdrücklich zur Bedingung gesetzten Mangels des Arbeits­ entgelts schon durch § 1 des Ges. von der Versicherungspflicht aus­ geschlossen sind, kann nach dem obigen20) keinem Zweifel unterliegen. Ebendasselbe wird aber auch, wie später noch zu erörtern ist,2') von Ziff. 8 zu gelten haben, soweit wenigstens dieselbe sich auf Handelsschiffe bezieht und Dienstleistungen ausschließt, welche auf solchen im Aus lande von nicht zur Schiffsbesatzung gehörigen Personen verrichtet werden. IV. Die „vorübergehenden Dienstleistungen" des § 4 Abs. 1 bezeichnen, wie bereits im I. Bande festgestellt wurde,22) die dort sogenannten unständigen Arbeitsverhältnisse d. h. Beschäftigungs­ verhältnisse, die nach Natur und Zweck der zu leistenden Dienste auf eine relativ kurze Dauer beschränkt sind. Indem das Gesetz es dem Bundesrate überläßt, den Umfang der Zeitdauer, nach welchem eine Beschäftigung noch als vorübergehend angesehen werden kann. lti) Warum nicht „geleistetes 20; Vgl. oben § 8 N. 21. Auch Ähnelt-(5ohn, Rechte und Pflichten ausbem JAVG. (1891) S. 17 erachten aus demselben Grunde die Bestimmung als „überflüssig". Daß „Arbeiterkolonien" nicht mitinbegriffen sind, vgl. oben a. a. O. Ebensowenig selbstverständlich das ständige gelohnte Dienstpersonal solcher Verpflegungsstationen usw. 29 Vgl. unten §§ 13, 21. 22) Vgl. Bd. 1 S. 182 ff., 186. Die Mot. zu § 2 Entw. G. 89 sprechen „z. B." von Fällen „eines nur vorübergehenden Bedarfs", sowie davon, daß es sich in den vorausgesetzten Fällen „häufig nur um stundenweise Beschäftigung, handelt, bei welcher die Arbeitgeber diese vorübergehenden Hülfskräfte nach Zahl und Person oft nicht einmal kennen. Hierhin gehören z. B. vor­ übergehende Hülfsleistungen in der Ernte". Auch die Mot. zum Entw. des neuen Gesetzes § 3a führen die Bedeutung von § 3a Abs. 2 — § 4 Abs. 1 ZVG. auf den Gegensatz der „Lohnarbeit in ständigen Arbeits- oder Dienstverhältnissen" und der „unständigen Arbeit, welche je nach der Arbeitsgelegenheit bald 62) Über die württembergischen „Ortsbehörden für die Arbeiterversicherung" und deren Besetzung mit besonderen Gemeindebeamten vgl. schon Bd. I a. a. O. und AN. 00 S. 370. ,3) Kommissare an Stelle des kollegialen Gemeindevorstandes für die Quittungskartengeschäfte: preuß. Bek. Ziff. 6 Abs. 3. ») So Preußen Ziff. 8 (AN. S. 368); ähnlich Anhalt S. 377, R-uß ä. L. 6. 380, Sippe @. 381. ") Bd. I S. 62 ff. 16) Jsenbart-Spielhagen Anm. 15 zu § 130.

Beiträge vom Gesetz mit unter den „Organen der Versicherungs­ anstalten" begriffen werden.") Welche Kaffen im Sinne des Ge­ setzes als „Krankenkassen" gelten sollen, erläutert dasselbe durch eine eigene Bestimmung in § 166. Hiernach gehören dazu im allgemeinen die vom KVG. besonders organisierten Orts-, Betriebs- (Fabrik-) und Bau-Krankenkassen, ferner die Gemeindekrankenversicherung, so­ wohl die unmittelbar reichsgesetzliche, als auch die ihr nach § 15 KVG. gleichgestellte „landesgesetzlich geregelte",^) und weitere „landes­ rechtliche Einrichtungen ähnlicher Art", wie z. B. die württembergische Krankenpflegeversicherung.'9) Von den sonstigen Surrogatkassen^) werden die Jnnungskrankenkassen und die Knappschafts­ kassen in den allgemeinen Begriff der Krankenkaffen mit einbezogen, nicht dagegen die freien Surrogat-Hilfskaffen. Doch sind die letzteren durch besondere Gesetzesstellen, welche der § 166 ausdrücklich vor­ behält, für bestimmte Funktionen (Heilverfahren § 20, Wahlen § 62 Abs. 1, § 82 Abs. 2) den vorgenannten Kassen gleichgestellt worden. In den beiden letztangeführten, auf das Wahlverfahren bezüglichen Stellen ist der Kreis durch die Aufnahme der Seemannskassen noch weiter gezogen, und nach § 31, welcher in § 166 nicht besonders erwähnt ist, sind auch die Vorstände von eingeschriebenen und landes­ rechtlichen Hilfskaffen, welche Surrogatqualität nicht besitzen, zur Ausstellung von Krankheitsbescheinigungen zugelassen?')

§ 25.

Rechtshilfe.

Das JVG. legt den im vorigen Paragraphen aufgeführten Behörden und Anstalten eigene und unmittelbare Pflichten bei Durchführung der Invalidenversicherung auf. Darüber hinausgehend begründet es aber im § 172 unter dem Namen der „Rechtshilfe"') «) Vgl. Bd. I S. 685 N. 1. ,e) Bayern: vgl. Zahn in ArbV. 92 S. 609. ,e) Württ. Vollzugsverf. (oben 92. 6) § 78. Schicker, Krankenpflege­ versicherung (1889). 2°) Vgl. Bd. I S. 422 f., 438, 486, 521 ff. 2I) Gebhard-Düttmann Anm. 2 zu § 166. ’) Einiges hierüber schon in Bd. I S. 747 f. — Dazu noch Laß, Prozeß­ recht in Unfallversicherungssachen (1899) S. 244 ff. und Handbuch der Unfall­ versicherung zu § 101 UVG.

216

II.

Buch.

Organisation.

I. Kap.:

Allgemeines.

eine gewisse Verpflichtung bestimmter Instanzen, sich bei der Er­ ledigung von Aufgaben, die an sich anderen Instanzen übertragen sind, aufgefordert oder auch unaufgefordert helfend zu beteiligen. Der Organismus der Invalidenversicherung erfährt dadurch eine wesentliche Erweiterung. Der Abs. 1 des § 172 bestimmt und be­ grenzt diese Rechtshilfepflicht, wobei er die Pflicht zur Erledigung von Ersuchen und die Pflicht zu spontanen Mitteilungen unter­ scheidet; der Abs. 2 bestimmt über die Tragung der durch die Er­ füllung der Rechtshilfepflicht erwachsenen Kosten?) I. Die Rechtshilfepflicht umfaßt zunächst die Pflicht gewisser Instanzen, den an sie im Vollzüge des JVG. ergehenden Ersuchen zu entsprechen. 1. Die Rechtshilfepflicht dient der Durchführung der Invaliden­ versicherung. Nur solche Ersuchen haben daher Anspruch auf Er­ ledigung, welche in diesen Rahmen fallen oder, wie § 172 gleich­ bedeutend sagt, „im Vollzüge dieses Gesetzes" ergehen. Ersuchen, welche einen anderen Geschäftskreis betreffen, können nicht auf § 172 JVG., möglicherweise aber auf andere gesetzliche Bestimmungen ge­ stützt werden. So haben jetzt die Unfallversicherungsgesetze in ihrer neuen Fassung für die Organe der Jnvalidenversicherungsanstalten auch die Pflicht zur Rechtshilfe in Unsallversicherungssachen gegen­ über den Berufsgenossenschaften begründet?) 2. Zur Rechtshilfe verpflichtet erklärt der § 172 zunächst die öffentlichen Behörden und zwar gegenüber den Ersuchen des Reichs­ versicherungsamts, der Landesversicherungsämter, der Schiedsgerichte, 2) Analoge Bestimmungen in den Unfallversicherungsgesetzen (vgl. Bd. I a. a. O. N. 33); jetzt mit veränderter Fassung in § 144 GUBG. und den Parallelstellen. 3) Der Text des § 144 ©US®, ist nicht ganz deutlich. Zn Abs. 1 Satz 2 gehört zwischen die Worte „Behörden" und „sowie" ein Komma, wie ein solches denn auch in den bezüglichen Drucksachen des Reichstages (Entw. des ©US®. § 101, Kommissionsbeschlüsse ebenda) sich findet, während es in der Publikation des Gesetzes weggeblieben ist (RGBl. 1900 S. 399, 637); die Worte „den Organen der Sersicherungsanstalten für Invalidenversicherung" beziehen sich daher nicht aus „gegenüber", sondern auf „liegt ob". So fassen jedenfalls auch Gebhard-Düttmann Anm. 2 zu § 172 JBG. die Sache auf. Die Rechtshilfepflicht der Berufsgenossenschaft gegenüber den Jnvalidenversicherungsanstalten ist in § 172 eit., die umgekehrte, auf Unfallsachen bezügliche, in § 144 eit. enthalten.

der Organe der Versicherungsanstalten und anderer öffentlicher Be­ hörden. Die gleiche Verpflichtung soll dann auch „den Organen der Versicherungsanstalten untereinander sowie beit Organen der Berufsgenossenschaften und der Krankenkassen obliegen". Der Wort­ laut verbürgt hiernach nicht unbedingt die Gegenseitigkeit unter den in ihm aufgeführten Instanzen und insbesondere ist eine Rechts­ hilfepflicht der Anstaltsorgane gegenüber den Ersuchen öffentlicher Behörden nicht ausdrücklich zur Anerkennung gelangt.4)5 6Im 7 Sinne des Gesetzes ist indessen auch diese/) wie überhaupt die Gegenseitig­ keit in Bezug auf Recht und Pflicht begründet, allerdings nur, wie aus Ziff. 1 hervorgeht, unter der Voraussetzung, daß das bezügliche Ersuchen die Durchführung der Invalidenversicherung zum Gegen­ stände haben muß?) Der Begriff der öffentlichen Behörde bestimmt sich nach dem maßgebenden Reichs- und Landesrecht4) und umfaßt in weitestem Umfange Civil- und Militär-, Gerichts- und Verwaltungs-, Staats­ und Gemeindebehörden. Auch die „Organe der Versicherungs­ anstalten" sind in weitestem Sinne zu nehmen und umfassen nicht bloß die Vorstände, sondern auch die Rentenstellen/) Beitrags­ hebestellen (Einzugsstellen) aller Art/) Kontrollorgane'") usw. Wird die Rechtshilfe verweigert, so kann der Weg der Beschwerde an die der ersuchten Stelle übergeordnete Instanz beschritten werden. Vor4) Denn der Text begreift hier unter den „öffentlichen Behörden" die Or­ gane der Versicherungsanstalten augenscheinlich nicht mit, obgleich allerdings Vorstände und Rentenstellen solche Eigenschaft besitzen (§ 74 Abs. 1, §79 Abs. 4). 5) Vgl. schon Handbuch der Unfallversicherung Anm. 1 zu § 101 UVG. Der tz 144 GUVG. hat dies jetzt ausdrücklich bekräftigt. 6) Vgl. Mot. zu § 101 Entw. GUVG.: „Den im Vollzüge des Gesetzes an sie ergehenden Ersuchen der Behörden zu entsprechen." — Daher fallen z. B. Ersuchen der Gerichte in Strafsachen auf Grund der §§ 179 ff. JVG. unter § 17*2 cit., ebenso Ersuchen der Landesversicherungsämter unter einander in Jnvaliditätssachen, dagegen nicht Ersuchen der Steuerbehörden an die Anstalts-organe um Auskunft über das Diensteinkommen der Anstaltsbeamten, soweit sie nicht durch besondere Gesetzesbestimmungen begründet werden; vgl. über letzteres unten § 33 N. 27. 7) So gehören z. B. nach Graßmann Anm. 2 Amtsärzte in Bayern nicht zu den öffentlichen Behörden im Sinne dieser Bestimmung. «) Mot. Abs. 1 zu § 141 Entw. JVG. v) Sten. Ber. zum G. 89 S. 1651 B; vgl. Bd. I S. 685 N. 1. i°) AN. 99 S. 379 Nr. 707.

218

II. Buch.

Organisation

I. Kap.: Allgemeines.

ausgesetzt ist aber in allen Fällen, daß die angegangene Stelle zur Erledigung des Ersuchens rechtlich10a) und tatsächlich im stände und zuständig"), gewesen ist.12) 3. Inhalt des Ersuchens ist Leistung von Rechtshilfe. In dem Begriff der Rechtshilfe liegt zunächst, daß es sich um eine Hilfe­ bei der Durchführung von Rechten oder der Erfüllung von Ver­ bindlichkeiten handeln muß, welche aus dem Aufgabenkreise her Invalidenversicherung erwachsen. Für Handlungen, welche keine Rechts- oder Pflichtausübung darstellen,'2) kann auch keine Rechts­ hilfe verlangt werden. Andererseits handelt es sich um Rechts­ hilfe. Sie kann daher zunächst nur für einzelne konkrete Fälle und Maßnahmen, nicht aber für umfangreiche oder dauernde Geschäftsbesorgungen in Anspruch genommen und insbesondere nicht zur voll­ ständigen Abwälzung eines ganzen Aufgabenkreises mißbraucht werden.") Die angesonnene Hilfstätigkeit darf ferner das Maß des10a) Vgl. dagegen z. B. das Verbot der Offenbarung von Betriebsgeheimnissen, nach § 185 JVG.; Handb. d. Unfallversicherung Anm. 1. n) Aus dem Mangel einer solchen Zuständigkeit folgerte AN. 95 S. 231 Nr. 440, daß die Schiedsgerichte nicht seitens eines anderen Schiedsgerichts um* Erhebung eines Zeugenbeweises ersucht werden dürften. Die Schiedsgerichte seien nur Spruchgerichte für bestimmte Berufungen, deren Tätigkeit m.t ber Urteilsfindung abgeschlossen ist. Auch der Vorsitzende des Schiedsgerichts sei. nur zu Geschäften innerhalb der vor das betreffende Gericht gehörigen Berusungssachen zuständig. — Die Entscheidung ist bedenklich und wird von Piloty, Arbeiterversicherungsgesetze S. 317 (vgl. auch Graßmann Anm. 4 a. E.) als unrichtig bezeichnet. Hinsichtlich des Schiedsgerichts als Kollegium möclte ich. mich der Anschauung des RVA. anschließen, nicht dagegen, was die Erledigung, des Ersuchens durch den Vorsitzenden anlangt. Dieser ist an sich zu Brweiserhebungen in Jnvaliditätssachen zuständig. Daß diese Zuständigkeit sich, prinzipiell auf die bei seinem Gericht zur Verhandlung stehenden Sachm be­ zieht, steht nicht entgegen; sonst könnte man mit demselben Rechte arf die Unzuständigkeit des Amtsrichters zur Erledigung von Requisitionen arderer Gerichte schließen. Immerhin scheint es, als wenn der Wortlaut des § 17 Abs. 3 der Schiedsgerichts-O. v. 22. Nov. 1900 („öffentliche Behörde"; vgl. analog obew N. 4) die Anschauung des RVA. zum Gesetz hätte erheben wollen. 12) Die sachliche Zuständigkeit der ersuchenden Instanz zu Rechtshandlungen der betreffenden Art wird nicht vorausgesetzt; vgl. Bd. I S. 747 N. 34 gegen. Piloty, und Laß S. 245. 13) Handb. d. Unfallv. Anm. 2 erwähnt Requisitionen wegen Zustellung, einer Fachzeitschrift oder wegen Vorschlägen geeigneter Persönlichkeiten ftr ge-nossenschaftliche Ämter.. ") Piloty, Reichsunfallversicherungsrecht S. 329 Anm. 6 mit M. 85»

§ 25.

Rechtshilfe.

219

Zweckentsprechenden nicht überschreiten'^) und nicht die Vornahme von Handlungen auf eine andere Instanz übertragen, deren Selbst­ vornahme durch das ersuchende Organ im Sinne des Gesetzes gelegen ist oder ebensogut durch dasselbe erfolgen sann.156) 4. Die Bestimmung des § 172 begründet ein Recht auf Hilfe gegenüber der dazu verpflichteten Instanz, hat aber nicht die Be­ deutung, die Rechte des ersuchenden Organs im allgemeinen Rechts­ verkehr Dritten gegenüber zu steigern. Hiernach ist bereits in Bd. I S. 747 N. 34 die Streitfrage,'8) ob die Anstaltsvorstände durch Requisition der Gerichte Personen zu eidlichen Aussagen zwingen können, verneinend entschieden worden und diese Auffassung hat durch die Materialien des neuen JVG. Bestätigung erfahren.") Ebensowenig kann z. B. ein Anstaltsorgan da, wo es in der Rolle einer gleichberechtigten Partei zusammen mit anderen Parteien einer Behörde gegenübersteht, durch die Zuhilfenahme seines Requisitionsrechles seine Rechte gegenüber denen der anderen Parteien steigern.S. 18) * * * * * * * * * * * * 5. Die Rechtshilfe in der hier besprochenen Form setzt ein kon­ kretes Ersuchen voraus. Ein solches ist an sich da nicht nötig, S. 369 Nr. 91 a. E., auch Handbuch Anm. 2 Abs. 1 a. E. Zn Betreff des Heil­ verfahrens vgl. unten § 81 N. 19. 15) Die Berufsgenossenschaften können z. B. zu Zwecken der Beitrags­ konirolle (§ 161 JVG.) um Auskunft aus den Lohnlisten und Beschäftigungsnachweisen, nicht aber um Übersendung der ganzen Listen angegangen werden (Handb. Anm. 1 a). Ähnlich württemb. Vollzugs-Verf. v. 25. Nov. 1899 § 82: Einsichtnahme der polizeilichen Meldungen auf Verlangen zu gestatten. 15a) Vgl. auch AN. 99 S. 379 Nr. 707 letzter' Absatz, sowie Handbuch Anm. 3 Abs. 2. 16j Bejahend neuerdings Laß S. 246 und Schneider im Archiv f. öff. Recht X S. 505, welcher ausführt, daß „den Anstaltsvorständen mit der im Ausdruck freilich recht knapp gehaltenen (!) Gewährung des Rechts auf „weitere Erhebungen" auch die Befugnis zugesprochen ist, die den Amtsgerichten zustehenden Zwangsrechte gegen Zeugen für sich in Anspruch zu nehmen". ”) Mot. Abs. 2 zu § 141 Entw. JVG. Nicht verneint in dieser Stelle ist aber die Bd. I S. 748 N. 34 a. E. anerkannte Verpflichtung der Gerichte^ im Wege der Rechtshilfe auf Ersuchen der Anstaltsvorstände Personen zu ver­ nehmen und zu vereidigen, die freiwillig sich hierzu bereit finden lasseü. 18) Kein Recht auf Auskunftserteilung im Wege der Requisition an das» Konkursgericht für eine Anstalt, welche „nicht anders, als die übrigen Konkurs­ gläubiger" im Konkurs eine Forderung auf rückständige Beiträge verfolgt. Handbuch Anm. 2 Abs. 2 a. E.

wo es sich um Funktionen handelt, welche unmittelbar einer gewissen Instanz vom Gesetz als eigene, spontan zu erfüllende, zur Er­ ledigung zugewiesen sind. Ist hier diese Instanz in der Erfüllung ihrer Pflicht säumig oder erfüllt sie sie unvollständig, so kann das für eine andere Instanz, welche an der Erfüllung interessiert ist, Veranlassung zu einer darauf gerichteten Anregung bieten. Ein Ersuchen um Rechtshilfe für die ersuchende Stelle liegt aber in der Aufforderung zur Erfüllung eigener Geschäfte grundsätzlich nicht.'') Eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 172 eit. braucht in dem Er­ suchen nicht notwendig enthalten zu fein.20) II. Mit der Rechtshilfe in Form der Erledigung von Ersuchen verbindet sich die Pflicht zu spontanen Mitteilungen. Berechtigt zum Empfang derselben sind hier die Organe der Versicherungsanstalten in dem oben besprochenen weiten Sinne; verpflichtet die Organe anderer Versicherungsanstalten,2') die der Berufsgenossenschasten und Krankenkassen und die öffentlichen Behörden.22) Mitzuteilen sind alle Tatsachen, welche für den Geschäftsbetrieb der Versicherungs­ anstalten von Wichtigkeit sind oder von der mitteilenden Instanz billigerweise für wichtig gehalten werden konnten. Die Tatsachen müssen der mitteilenden Behörde usw. in Ausübung ihrer Funktionen bekannt geworden sein; eine Ermittlungspflicht ist in der Mitteilungspflicht an sich nicht begründet.22) III. Die Kosten, welche durch die Gewährung der Rechtshilfe in ihren beiden Formen entstehen, fallen nur in gewissem Umfange '») Vgl. unten N. 26. 20) Handbuch Sinnt. 2 'a. E. 21) Die gleiche Verpflichtung zwischen den Organen derselben Anstalt folgt Ichon aus ihrer dienstpragmatischen Stellung. 22) Eine ausführliche Zusammenstellung von Fällen, in denen die ver­ schiedenen Behörden und Instanzen zu Mitteilungen an die Anstalten besonderen Anlaß haben können, geben Gebhard-Düttmann Sinnt. 11. Z. B.: Mit­ teilung von Urteilen gemäß § 17 oder von Strafvollstreckungen gemäß § 48 Ziff. 3, über Pensionsverhältnisse gemäß § 48 Ziff. 2 u. a. nt. Mitteilungspflicht der Staatsanwaltschaften bei allen Strafsachen, welche eine Strafvorschrift des JVG. betreffen: Allg. Vers, des preuß. Zustizministers v. 8. Mai 1903, JMBl. S. 101, auch AN. 03 S. 506 und AN. 04 S. 241. Vgl. auch unten § 45 N. 14. 25) Gebhard-Düttmann Sinnt. 11 a. E. Anerkannt auch im Komm.-Ber. zu § 101 Entw. GUVG., verglichen mit der ausführlicheren Wiedergabe bei 5) Hinsichtlich der Funktionen aus § 57 ist das bisher nicht geschehen; Gebhard-Düttmann Anm. 17 Abs. 3 zu § 167. 16) Mot. zum JVG. in der allgemeinen Begründung S. 169 Schlußabsatz. Anders Piloty S. 153 a. E. und Graßmann Anm. 5 zu § 57. n) § 172; vgl. oben § 25. 18) So die Motive; vgl. N. 16. ie) Die Beisitzer allein sind nicht kompetent; auch der Beamte muß bei Er­ stattung des Gutachtens mitwirken (AN. 01 S. 434 Nr. 911). Rosin, Recht der Arbeiterverficherung. Band II.

226

II. Buch.

Organisation.

II. Kap.: Versicherungsbehörden.

ziehung der Laienbeisitzer erfolgt nur in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen. Das Gesetz schreibt sie unter gewisser Voraussetzung und für gewisse Fragen oor,20) wenn ein Gutachten nach § 57 Ziff. 1 und 2 über Anträge auf Rentenbewilligungen oder über Entziehung von Invalidenrenten zu erstatten ist. Dar­ über hinaus ist der Vorstand der Versicherungsanstalt berechtigt, in den gedachten Fällen auch über andere, als die gesetzlich (§ 58 Abs. 1 und 2) bezeichneten Fragen, sowie in den übrigen Fällen des § 57 ein Gutachten von der durch Beisitzer verstärkten Behörde zu verlangen.2') Endlich kann auch die untere Verwaltungsbehörde i°) Vgl. §59 Abs. 1 mit § 112 Abs. 3 und § 121 Abs. 3. Dazu unten §§ 68 ff. ri) Der Wortlaut des § 59 Abs. 2 ermächtigt den Anstaltsvorstand, „auch in anderen als den in den §§ 57, 58 angegebenen Fällen und über andere Fragen das Gutachten der unteren Verwaltungsbehörde in der im Absatz 1 angegebenen Form zu verlangen". Danach könnte es scheinen (— die Materialien, Komm.-Ber. zu § 40 d, ergeben hierüber nichts —), als ob dem Vorstande auch über den ganzen Rahmen des § 57 hinaus ein unbegrenztes Recht, Gutachten der verstärkten unteren Verwaltungsbehörde einzufordern, gegeben sein sollte, und Graßmann (Anm. 4) will in der Tat selbst für Fragen allgemeiner Art innerhalb des Vollzugs des JVG. z. B. über Gewährung von Zuschüssen für Arbeiterwohnungen (§ 164 Abs. 3) ein solches Recht auf Begutachtung aner­ kennen (vgl. auch Gebhard-Düttmann Anm. 2 Abs. 2 zu § 57). Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß eine solche Belastung der Behörde vom Gesetz­ geber gewollt und besonders in diesem Zusammenhange geregelt sein sollte. Auch ergibt sich, daß, wenn man in § 59 Abs. 2 die Ermächtigung zur Ein­ holung von Gutachten „in anderen, als den in § 57 angegebenen Fällen" finden wollte, gerade die naheliegendsten Fälle, nämlich die innerhalb des § 57 begriffenen, aber der Begutachtung entweder überhaupt nicht (Ziff. 1, soweit auf Beitragserstattung bezüglich, und Ziff. 4) oder doch nicht durch die verstärkte Behörde (Ziff. 3) unterstellten (— über die Gründe vgl. Komm.-Ber. zu § 40b und d, S. 110 und 112 —) vom Gesetze übersprungen sein würden. Vielmehr ist das Citat der „§§ 57, 58" als einheitliches (= „§ 57 in Verbindung mit 58") zu betrachten, zumal ja § 58 gar keine neuen Fälle enthält. Gemeint find mit ihm diejenigen Fälle des § 57, welche in § 58 in Bezug auf die Be­ gutachtung und die dabei zu erledigenden Fragen näher geregelt sind und die danach in § 59 Abs. 1 in gewissem Umfange der gesetzlich notwendigen Be­ handlung durch die verstärkte Behörde unterworfen find. Daraus ergibt sich der im Text festgestellte Sinn, der augenscheinlich auch von Ziff. 17 der preuß. Anweisung beb. das Verfahren vor den unteren Verwaltungsbehörden v. 6. Dez. 1899 (vgl. GebHard-Düttmann S. *207) geteilt wird: der Vorstand kann das Gutachten der verstärkten Behörde verlangen: a) in den gesetzlich ihrer Be­ gutachtung unterstellten Fällen unbedingt (vgl. dazu den Wortlaut von § 58

§ 26.

Untere Verwaltungsbehörden.

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freiwillig die Beisitzer in diesem erweiterten Umfange heranziehen?^) Für die Organisation kommen gemäß §§ 61—64 mit 87—94 und 97 (vgl. § 61 Schlußsatz) folgende Punkte in Betracht: 1. Die Laienbeisitzer sind Vertreter der Beteiligten. Dieselben gehören einerseits dem Stande der Versicherten, andererseits dem der Arbeitgeber an (§ 61). Die Zahl der Vertreter aus dem einen und dem anderen Stande muß gleich sein (§ 87). Versicherte sind alle diejenigen, welche gegen die Versicherungsanstalt des Bezirks?^) sei es auf Grund der Versicherungspflicht, sei es auch der Versicherungs­ berechtigung nach Maßgabe ihrer letzten Beitragszahlung eine zu Recht bestehende Anwartschaft besitzen,^) Arbeitgeber alle diejenigen, Abs. 3) auch über andere „Fragen", als die in § 58 (genauer § 58 Abs. 1, 2; vgl. Näheres unten § 68 N. 40 ff.) hervorgehobenen, und b) in den anderen „Fällen" (vgl. dazu den Wortlaut von § 58 Abs. 1 und 2) des § 57, welche in § 58 nicht erwähnt und in § 59 Abs. 1 nicht kraft Gesetzes der Begutachtung "durch die verstärkte Behörde unterstellt sind. 21a) Der Versicherungsanstalt steht im Hinblick auf die ihr obliegende Kosten­ tragung (§ 64 Abs. 3 JVG.) ein Widerspruchsrecht nicht zu. Ebenso Weymann Anm.3 zu § 59 und Bazille in ArbV.02 @.613 gegen Graßmann Anm.4 zu § 59. 22) Personen, welche bei einer Kasseneinrichtung (§§ 8—11) versichert sind, und deren Arbeitgeber kommen nicht in Betracht. Es folgt dies daraus, daß die ganzen §§ 57 ff. für Kasseneinrichtungen nicht gelten, sowie aus der Analogie von § 62 Abs. 2. Übereinstimmend Gebhard -Düttmann Anm. 8 Abs. 2 zu § 88; dagegen Weymann Anm. 5 zu 8 88, obgleich er die Un­ angemessenheit seines Ergebnisses anerkennt. Gegen Weymann Anm. 3 muß auch die Versicherung bei der betreffenden Anstalt bestehen. Es ist dies für Mitglieder von Ausschuß und Vorstand der Versicherungsanstalt ganz selbst­ verständlich und daher für 8 88 Abs. 1, der auch hier Anwendung findet, all­ gemein zu ergänzen. Über die Individualisierung der Anwartschaft gegen eine bestimmte Versicherungsanstalt vgl. unten 8 53 II, 2. Wie Weymann auch Jsenbart-Spielhagen 2. Aufl. Anm. 7 zu 8 88. 23) Vgl. die Anführung der §§ 1, 2, 14 in 8 89. Daß auch die (noch nicht erloschene) Anwartschaft auch ohne fortlaufendes Beitragsverhältnis den Be­ griff des Versicherten im Sinne der hier maßgebenden Bestimmungen erfüllt, ist m. E. schon daraus zu schließen, daß die Funktionen der verstärkten unteren Verwaltungsbehörde nicht auf der Beitrags-, sondern auf der Fürsorgeseite liegen. Übereinstimmend Bosse-v. Woedtke Anm. 3 zu 8 48 G. 89, Jsenbart - Spielhagen Anm. 7 zu 8 88, Gebhard-Düttmann Anm. 9 Abs. 1, Graßmann Anm. 4. Die auf Schiedsgerichtsbeisitzer bezügliche Entscheidung AN. 94 S. 30 Nr. 317 ist wohl nur im Wortlaut zu eng. Dagegen aber Piloty zu 8 88 Abs. 2 und in gewissem Umfange Weymann Anm. 7 Abs. 2 zu 8 88. Vgl. auch wegen des besonderen, hier gleichfalls mitbegriffenen Falls ber Befreiung oben 8 5 N/22.

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II Buch. Organisation. II. Kap.: Bersicherungsbehörden.

welche solche2^) Personen beschäftigen und hinsichtlich derselben die Pflichten der Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes zu erfüllen haben.29) Wer zugleich Versicherter und Arbeitgeber im angegebenen Sinne ist, kann nur als Vertreter der Arbeitgeber, nicht aber als solcher der Versicherten gewählt werben,29) es sei denn, daß er nur ausnahms­ weise versicherungspflichtige Personen beschäftigt.2') Als Arbeit­ gebervertreter sind aber auch wählbar diejenigen Personen, welche in den Betrieben wählbarer Arbeitgeber als „bevollmächtigte Leiter" fungieren d. h. den Arbeitgeber in Angelegenheiten der Betriebs­ leitung nach außen zu vertreten berechtigt sind.29) Den Betrieben werden Verwaltungen und Wirtschaften ohne betriebsmäßigen 24) Vgl. dazu oben N. 22. 25) Vgl. § 88 Abs. 2. Aus der Formulierung des Textes ergibt sich ins­ besondere : Sind Beschlüsse des Bundesrats aus § 2 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 er­ gangen, so gelten diejenigen Personen als Arbeitgeber, welche danach „die im Gesetze den Arbeitgebern auferlegten Pflichten zu erfüllen haben". Die Arbeitgeber von nur solchen Personen, welche sich freiwillig versichern (§ 14 Ziff. 1), gelten nicht als wählbare Arbeitgeber; der § 145 Abs. 2 wird nicht ausreichen, ihnen diese Eigenschaft zu verleihen. Dasselbe muß von § 4 Abs. 2 Satz 2 gelten (vgl. auch den Wortlaut „nach Maßgabe" in § 88 Abs. 2 mit § 1 Eingangs). 26) Daß sich § 89 nur auf die passive Wahlfähigkeit bezieht, geht schon aus seiner Verbindung mit § 88 deutlich hervor und wird auch durch die Materialien (Abg. v. Strombeck zu § 40a Entw. ®. 89 = § 52 G. 89, Sten. Ber. S. 1944 B. C) bestätigt. Übereinstimmend die Kommentare: GebHard-Düttmann Anm. 3, Weymann Anm. 2. 21) z. B. bei vorübergehender Arbeitshäufung; vgl. analog auch oben § 23 N. 15. Die regelmäßige Beschäftigung auch nur einer versicherungspflichtigen Person, z. B. auch eines Dienstboten genügt für die Anwendung des § 89. Die Kritik der Bestimmung in den Kommentaren ist, wohl mit Recht, eine durchweg abfällige. — Beschäftigt Jemand, der selbst freiwillig versichert ist, z. B. eine frühere Pflichtversicherung fortsetzt, nur freiwillig versicherte Personen, z. B. einen Handlungsgehilfen mit mehr als 2000 Mark Gehalt, so ist er als Vertreter der Versicherten wählbar; denn er ist „gleichzeitig Ver­ sicherter und" (wählbarer; vgl. oben N. 25) „Arbeitgeber" (Abg. v. Strombeck a. a. O.). 28) § 88 Abs. 2. Näheres über den Begriff des „bevollmächtigten Betriebs­ leiters" bereits in Bd. I S. 238 ff., woselbst aber die in N. 10 S. 240 gegebene komplizierte Deutung von § 60 G. 89 dem einfachen Sinne des jetzigen Textes zu weichen hat. Auf das innere Auftragsverhältnis, wie Wey mann Anm. 6 will, kann es doch wohl nicht ankommen; wer Prokura erteilt, muß sich eben, gefallen lassen, daß der Prokurist als solcher behandelt wird.

Ciharakter gleichzustellen fein.28a) Ist der Betriebsleiter zugleich Versiccherter, so kann er auch als Vertreter der Versicherten gewählt imerden, aber nur die eine oder die andere Funktion annehmen. Alllgemein d. h. sowohl bei den Vertretern der Versicherten, wie der Alrbeitgeber ist für die Wählbarkeit vorausgesetzt (§ 88 Abs. 1): deeutsche Staatsangehörigkeit,22) männliches Geschlecht22) und Voll­ jährigkeit im Sinne des BGB. § 2 oder 3. Nicht wählbar ist, rooer nach § 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes zum Amte eines Wchöffen unfähig ist. Unvereinbar ist ferner das Amt eines Laienbeeisitzers bei der unteren Verwaltungsbehörde mit dem eines Mitglliedes des Anstaltsvorstandes oder eines Schiedsgerichts (§ 62 Albs. 3). Wird ein Mitglied der letztgedachten Behörden gewählt, sm kann es die Wahl nur annehmen, wenn es seine Entlastung aus Viorstand oder Schiedsgericht herbeizuführen vermag. Zweck der Viorschrift ist, zu vermeiden, daß dieselbe Person in verschiedenen Stellungen mit der gleichen Rentensache befaßt werde; daher gilt vwn dem Amte eines Ausschußmitgliedes (§ 76) Analoges nicht. Sämtliche Beisitzer müssen im Bezirke der unteren Verwaltungsbeehörde wohnen,2') und zwar mindestens die Hälfte jeder Klaffe am Sntze der Behörde selbst oder nicht weiter als 10 Kilometer von demselben (§ 62 Abs. 3). 2. Die Wahl wird nicht von den Versicherten und Arbeitgebern diirekt vollzogen,22) sondern erfolgt indirekt in der Art, daß bestimmte Oirgane (Wahlorgane) gewisser sozialpolitischer oder auch politischer Körperschaften (Wahlkörper) zum Vollzug derselben berufen sind (§i 62 Abs. 1, 2). a) Wahlkörper sind zunächst die sog. organisierten Krankenkaiffen des KVG., d. h. die Orts-, Betriebs- und Bau-Krankenkaissen, welche im Bezirke der unteren Verwaltungsbehörde Ihren Sitz “») Vgl. oben § 15 3tff. 1 und § 16 IV Ziff. 3. M) Obwohl auch Ausländer versichert sein können (vgl. oben § 13). Gegen» übier dem rechtlichen Momente der Staatsangehörigkeit kommt es auf Nationalität umd Sprache nicht an (Sten. Ber. zum G. 89 S. 1428 B. C.). 30) Antrag auf Wählbarkeit der Frauen abgelehnt (Sten. Ber. zum JBG. S.. 2379 f.). 31) Nicht das juristische Domizil, sondern die tatsächliche Wohnung (Haushalt, Schlafstelle) entscheidet; nicht entscheidend der Beschäftigungsort. 3Z) Darauf hinzielende Anträge abgelehnt; vgl. ausführlich ZsenbartS;pielhagen S. 345.

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II. Buch. Organisation. II. Kap.: Versicherungsbehörden.

haben?') Ihnen treten unter derselben Voraussetzung hinzu: die Jnnungskrankenkassen und Knappschaftskaffen, ferner unter der Be­ dingung, daß sie obrigkeitlich genehmigt ftttb,34) Seemannskassen und andere zur Wahrung von Interessen der Seeleute bestimmte Ver­ einigungen. Von diesen Wahlkörpern") scheiden jedoch diejenigen aus, für deren Mitgliederkreis") eine zugelassene besondere Kaffeneinrichtung im Sinne der §§ 8, 10 und 11 JVG. besteht (§ 62 Abs. 2). Endlich sind hier auch die Surrogathilfskaffen") als Wahl­ körper zugelassen,") aber nur unter der besonderen Voraussetzung, daß ihr Bezirk sich über den der unteren Verwaltungsbehörde nicht hinauserstreckt, wodurch die sog. zentralisierten (nationalen, gewerk­ schaftlichen) Hilfskassen ausgeschloffen werden. Trotz der Vielgestaltigkeit dieser Wahlkörper ist es doch möglich, daß dieselben in einem Wahlbezirke nicht alle Versicherte nach obigem Sinne") in sich aufnehmen, was namentlich für die der Kranken­ versicherung kraft Reichsgesetzes nicht unterstehenden Bevölkerungs­ klassen 40) und die nur der Gemeindekrankenversicherung angehörigen 33) Das bedeutet „vorhanden", wie die Mot. zu § 37 Entw. G. 89 konstatieren. 34) Das Erfordernis der obrigkeitlichen Genehmigung gilt trotz der Zwei­ deutigkeit des Wortlauts auch für die Seemannskassen. Vgl. die Quelle der Be­ stimmung, den § 51 des SUVG. v. 13. Juli 1887 und die N. 33 citierten Motive. Übereinstimmend Gebhard-Düttmann Anm. 3. 35) Der Ausdruck „Krankenkassen" in § 62 Abs. 2 ist zu eng, zumal in § 166 nur der Abs. 1 des § 62 vorbehalten ist. Die Beziehung des Abs. 2 aber auch auf Seemanns-Kassen und -Vereinigungen, sowie auf Hilfskassen kann nicht zweifelhaft sein. 36) Das Gesetz sagt „Mitglieder"; es entscheidet aber die abstrakte Um­ grenzung, nicht das einzelne Mitglied. ■ 37) Vgl. oben § 24 N. 20. 38) Abweichung von § 48 Abs. 2 G. 89. Mot. zu § 51 c Entw. JVG. 3Ö) Es kommen auch die nach § 2 Versicherungspflichtigen und, soweit übersehbar, die freiwillig Versicherten in Betracht. Zur Abweichung liegt kein Grund vor. Das bloße Citat des § 1 ist ein Redaktionsfehler; es stammt aus dem Entw. G. 89 (§ 37), wo die Hausgewerbetreibenden und Kleinmeister in § 1 aufgenommen waren und freiwillige Versicherung noch unbekannt war. Es hat sich dann durch die verschiedenen Stadien der Legislation unbeanstandet hindurchgeschleppt. Die abweichende Ansicht von Gebhard-Düttmann Anm. 6 a. E. übersieht dies. 40) z. B. Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft, Dienstboten; vgl. die oben N. 33 citierten Motive.

Personen von Wichtigkeit werden kann. Liegt diese Voraussetzung in verhältnismäßiger Bedeutung vor, so hat die Landesregierung zur Vertretung dieser Personenklassen und ihrer Arbeitgeber noch andere Wahlkörper zu berufen. Als solche sommert nach dem Ge­ setze die Gemeindekrankenversicherungen und ähnliche landesrechtliche Einrichtungen/') daneben aber auch wahlweise weitere Kommunal­ verbände in Betracht?') Das Maß der Wahlbeteiligung soll für die einzelnen Wahl­ körper grundsätzlich dem Verhältnis entsprechen, in welchem die Gesamtzahl der versicherten Personen durch sie vertreten wird?') b) Die Wahlberechtigung der gedachten Wahlkörper wird durch gewisse Organe derselben ausgeübt. Als solche Wahlorgane fungieren bei den unmittelbar reichsgesetzlich berufenen Wahlkörpern deren Vorstände.") Ist ein Vorstand zur Zeit nicht vorhanden oder ver­ zichtet er auf Vornahme der Wahl, so ruht die Wahlberechtigung des betreffenden Wahlkörpers?') Für die Gemeindekrankenversiche­ rungen und ähnlichen Einrichtungen sind als Wahlorgane reichs­ gesetzlich die „Verwaltungen" berufen, deren Organisation sich des näheren nach Landes- oder Ortsrecht bestimmt?6) Wahlorgane der weiteren Kommunalverbände sind kraft Reichsgesetzes deren „Ver­ tretungen". Darunter können sowohl die sog. Repräsentations­ kollegien, als auch solche Organe verstanden werden, welche auf dem

der Rentenstelle etwa übertragenen Geschäften der Vermögensverwaltung. Der oben N. 32 erwähnte Antrag blieb hinter dem prinzipiellen Umfange des Auf­ sichtsrechts, wie es innerhalb eines Anstaltsorganismus gilt, zurück, wenn er dasselbe „auf die Beobachtung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften" beschränken wollte. Das wurde auch anerkannt. 35) § 68 Abs. 1 Satz 2 muß auch für diese gelten; übereinstimmend Wermann Anm. 2 zu § 86. *) Vgl. die allgemeine Darstellung in Bd. I S. 728 ff. — Zu der, hier

§ 28.

Schiedsgerichte.

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die gegen Entscheidungen der Anstaltsvorstände oder Rentenstellen erhoben werden?) I. Die Schiedsgerichte lehnen sich in ihrer Organisation an die Versicherungsanstalten an. Wie nach bisherigem Recht soll für den Bezirk jeder Versicherungsanstalt mindestens ein Schiedsgericht er­ richtet werden (§ 103 Abs. 1). Das Nähere über die Zahl, die Be­ zirke und die Sitze der Schiedsgerichte bestimmt für die einzelne Versicherungsanstalt die Zentralbehörde desjenigen Staates, welchem das Anstaltsgebiet angehört?) Die Bestimmung für Versicherungs­ anstalten, welche sich auf mehrere Staaten erstrecken, erfolgt jetzt, abweichend vom Rechte des G. 89/) durch die betreffenden Zentral­ behörden gemeinschaftlich und in Ermangelung ihres Einverständ­ nisses durch den Reichskanzler (§ 103 Abs. 2 Satz 2).*5) 2 3 * zum Teil gleichfalls in Betracht kommenden, auf Grund des § 106 Abs. 6 JVG. erlassenen neuesten Kais. VO. v. 22. November 1900 (SchGO. — Schieds­ gerichtsordnung; RGBl. S. 1017, AN. S. 781) vgl. den ausführlichen Kom­ mentar von Appelius-Düttmann (1901). Die gedachte SchGO. ist zunächst nn die Stelle der, bereits auf Grund des § 106 Abs. 6 des neuen JVG. er­ lassenen, v. 6. Dez. 1899 (RGBl. S. 677, AN. 00 S. 165) getreten, die ihrer­ seits wieder die frühere v. 1. Dez. 1890 (Bd. I S. 728 N. 1) ersetzt hat. Die jetzt geltende SchGO. ist zugleich „im Hinblick auf § 3 des Gesetzes, betr. die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, v. 30. Juni 1900" ergangen und gilt dementsprechend zugleich für die den Schiedsgerichten durch jenes Gesetz über­ wiesenen Unfallsachen (§ 37). Die SchGO. v. 1890 behandeln die besonderen Schriften von Latour und Schneider, beide 1891. 2) Mit Bezug aus die in Bd. I S. 728 gegebene Definition ist noch zu be­ merken, daß in Sachen der Beitragserstattung Berufungen an die Schiedsgerichte jetzt nicht mehr stattfinden (§ 128 Abs. 4); vgl. dagegen in Bezug auf Renten­ entziehung und Zahlungseinstellung § 121 Abs. 3. 3) § 103 Abs. 2 Satz 1 sagt: „in dessen Gebiete die Versicherungsanstalt ihren Sitz hat". Mit Bezug auf Satz 2 ist aber die Formulierung des Textes deutlicher. «) Vgl. Bd. I S. 733 N. 28, 30. 5) Das neueste Verzeichnis der Schiedsgerichte enthalten jetzt AN. 02 S. 457 ff. (dazu AN. 02 S. 495). Es bestehen danach 89, zu denen noch 34 Schiedsgerichte für die zugelassenen besonderen Kasseneinrichtungen kommen. In Preußen fallen die Bezirke der Schiedsgerichte grundsätzlich mit denen der Regierungsbezirke (nicht mehr, wie früher, der Kreise) zusammen; in Bayern besteht für den Bezirk jeder Versicherungsanstalt (jedes Regierungsbezirks) eines; in Sachsen und Württemberg bestehen 5, in Baden 4 allgemeine Schieds­ gerichte usw.

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II. Buch. Organisation. II. Kap.: Versicherungsbehörden.

II. Die Struktur der Schiedsgerichte, wie sie sich aus §§ 103 bis 107 JVG. ergab, hat bereits nach kurzer Zeit eine wesentliche Veränderung erfahren. Die inzwischen erfolgte Revision der Unfall­ versicherungsgesetze hat nämlich behufs Vereinfachung des Organis­ mus der Arbeiterversicherung die besonderen, für die Unfallversiche­ rung bestehenden und an die berufsgenoffenschaftliche Gliedemng dieser anschließenden Schiedsgerichte6) vollständig aufgehoben und die ihnen zustehenden Funktionen auf die gemäß dem JVG. er­ richteten Schiedsgerichte übertragen, welche danach die Bezeichnung. „Schiedsgericht für Arbeiterversicherung"7) führen. Die betreffenden Bestimmungen sind in dem G. betreffend die Abänderung der Un­ fallversicherungsgesetze, dem sog. Mantelgesetze 8)* 10 v. 30. Juni 1900 enthalten. Daran schließen sich aber weitere an, welche den Zweck verfolgen, die zunächst für die Invalidenversicherung zugeschnittenen Schiedsgerichte auch für ihre neue Aufgabe geschickt zu machen. Dazu gehörten außer Normen, welche sich auf eine Erhöhung der Beisitzerzahl beziehen, namentlich auch solche, welche dem Verlangen nach einer berufsgenossenschaftlichen Stmktur der zur Entscheidung von Unfallsachen verordneten Gerichte wenigstens bei der inneren Zusammensetzung derselben Rechnung tragen sollten?) Leider ist das Maß der Einwirkung dieser neuen Bestimmungen auf die des JVG. nicht überall zweifelsfrei im Gesetz zum Ausdruck gelangt.'") III. Die innere Organisation der Schiedsgerichte schließt sich, abgesehen von den eben erwähnten neuen Bestimmungen, in erheb») Vgl. Bd. I S. 728 f. 7) Kompetenzen auf dem Gebiete der Krankenversicherung besitzen sie indessen nicht. Auch die Verbindung ihrer Funktionen auf den Gebieten der Unfallund der Invalidenversicherung ist mehr eine äußere, als eine innere. Das zeigt sich namentlich auch darin, daß die Verbindung eines Anspruchs auf Unfallrente mit einem solchen auf Invalidenrente zum Zweck gleichzeitiger Ver­ handlung und Entscheidung im schiedsgerichtlichen Verfahren unzulässig ist (AN. 02 S. 367 Nr. 1919). — Der Name des Schiedsgerichts soll nach § 3 Abs. 1 MG. den Bezirk und Sitz desselben mit angeben; vgl. § 25 SchGO. 8) So genannt, weil es wie ein Mantel die ihm als Anlage beigefügten einzelnen Unfallversicherungsgesetze in ihrer abgeänderten Fassung umhüllt. ®) Vgl. dazu die Mot. zum Entw. des MG. (Session des Reichstags 1898/1900 Nr. 523) zu § 3—9 und zu § 7, sowie den Kommissions-Bericht (Nr. 703) zu § 5, und Appelius-Düttmann Anm. 1 zu § 7 MG., S. 11. 10) Vgl. dazu schon den Aufsatz in ArbV. 00 S. 237, sowie AppeliusDüttmann Anm. 1 zu § 4 MG. (S. 5).

§ 28.

Schiedsgerichte.

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kichern Umfange dem früheren Jnvalidenrechte an und steht in weit­ gehender Parallele zu der der Rentenstellen. Auch hier kommen demnach der Vorsitzende, die stellvertretenden Vorsitzenden, die Hilfs­ beamten und die Beisitzer in Betracht. 1. Der Sorfi^enbe11) ist ständig (§ 104 Abs. 1). Seine Er­ nennung ist hier einfach der Zentralbehörde desjenigen Staates über­ tragen, in welchem der Sitz des Schiedsgerichts sich befindet. Er muß aber aus dem Kreise der öffentlichen Beamtenia) entnommen werden. Folgeweise endet auch seine Funktion spätestens, wenn er diese Beamteneigenschaft verliert; im übrigen wird seine Amts­ dauer, insbesondere deren Begrenzung durch die Dauer des bekleideten Hauptamtes, von der ernennenden Behörde festgestellt. Die Ver­ eidigung erfolgt durch einen Beauftragten der Ernennungsbehörde mit Bezug auf die Sonderfunktion als Schiedsgerichtsvorsitzender, also auch dann, wenn der Betreffende bereits als Beamter einen Diensteid geleistet hat.'*) Die Stelle des Schiedsgerichtsvorsitzenden ist unvereinbar mit der eines beamteten Mitgliedes des Anstalts­ vorstandes, des Vorsitzenden einer Rentenstelle oder eines mit den Funktionen des § 57 betrauten Mitgliedes der unteren Verwaltungs­ behörde; ebenso darf der Vorsitzende nicht gleichzeitig Vertreter der n) Derselbe beruft nach § 106 Abs. 1 ZVG. das Schiedsgericht und leitet die Verhandlungen desselben. Die „Befugnisse des Vorsitzenden" beim innern Geschäftsgänge faßt § 2 SchGO. zusammen. Ein Ausfluß seiner Stellung ist die Bestimmung in § 107 Abs. 3 JVG., nach welcher er über die Beschaffung der Geschäftsräume und Geschäftsbedürfnisse, allerdings im Einvernehmen mit dem Anstaltsvorstand (im Hinblick auf die Kostentragung), Bestimmung trifft; im Streitfälle entscheidet die Zentralbehörde des Schiedsgerichtssitzes. — Vgl. im ganzen Schient her, Die Stellung der Vorsitzenden der Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung in Preußen, im Verwaltungsarchiv Bd. 10 S. 324 ff. — Über die Vornahme von Kassenprüfungen befindet der Vorsitzende selbständig (AN. 02 S. 398 Nr. 975). 12) Bd. I S. 729 N. 6. In Preußen werden zu Vorsitzenden der Schieds­ gerichte, die sich am Sitze der Regierung befinden, ausschließlich Beamte der­ selben genommen: Verf. v. 2. Febr. 1901 (VMBl. S. 83) Ziff. I Abs. 1. ,3) Handbuch der Unfallversicherung Anm. 2 zu § 47 UVG.; JsenbartSpielhagen Anm. 3 zu § 104 JVG. n) Laß, Prozeßrecht in Unfallversicherungssachen S. 34. Vgl. § 1 Abs. 1 SchGO. Nach § 104 Abs. 5 mit § 83 Abs. 1 JVG. muß der Beauftragte ein öffentlicher Beamter sein. In Preußen erfolgt die Vereidigung durch den Re­ gierungspräsidenten: Verf. v. 20. Dez. 1900 (VMBl. 01 S. 9). Hier auch. Näheres über die Form des Eides.

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II. Buch. Organisation.

II. Kap.: Bersicherungsbehörden.

Arbeitgeber'°) bei diesen Kollegien fein.16) Name und Wohnort sind im Bezirke des Schiedsgerichts von der Ernennungsbehörde amtlich zu veröffentlichen und dem Reichsversicherungsamte mit­ zuteilen (§ 105). Seine Besoldung erhält der Vorsitzende von der Zentralbehörde; Vergütungen seitens der Versicherungsanstalt sind ausgeschloffen.") 15) Die Stellung als Vertreter der Versicherten wird tatsächlich nicht in Be­ tracht kommen. lfl) § 104 Ziff. 1 spricht schlechtweg von den „Mitgliedern des Schieds­ gerichts", also auch vom Vorsitzenden. Die Auffassung des Textes, soweit sie über den Wortlaut des Gesetzes hinausgeht, ergibt sich zwingend durch Analogie aus der ratio des Gesetzes. Dabei kommt in Betracht, daß § 71 Ziff. 1 des Entw. ZVG. in der Tat schlechtweg lautete: „Die Mitglieder des Schieds­ gerichts dürfen nicht Mitglieder des Vorstandes oder einer Rentenstelle sein." Der jetzige Text wurde in der Kommission als „redaktionelle Änderung" be­ schlossen, wobei übersehen wurde, daß der Entwurf auch die respektiven Vor­ sitzenden mit umfaßte. Für den beteiligten Beamten der unteren Verwaltungs­ behörde (vgl. zum früheren Recht AN. 92 S. 53 Nr. 143), die nach den Reichs­ lagsbeschlüssen ganz in die Funktionen der Rentenstelle eingetreten ist, muß aber jetzt das Gleiche gelten. Mit dem Text übereinstimmend Gebhard-Düttinann Anm. 10. Natürlich werden nur die Verwaltungsbehörden und Renten­ stellen im Bezirk des Schiedsgerichts in Betracht kommen. n) § 107 Abs. 2. Gegen die in Bd. 1 S. 731 N. 19 im Anschluß an die frühere Praxis des NVA. in Unfallsachen vertretene Meinung, daß unter der verbotenen „Vergütung" auch Reisekosten und Tagegelder begriffen seien, hat sich ein Erlaß des Staatssekretärs des Innern v. 9. März 1893 (Reger Bd. 14 S. 158) insofern erklärt, als er die Kosten für Lokaltermine des Vorsitzenden den Versicherungsanstalten (bezw. jetzt Den Versicherungsträgern gemäß § 10 Abs. 1 und 2 MG.; vgl. unten IV, 2) zur Last legen will. Soweit es zutrifft, daß bei Festsetzung jener Kosten und der dafür maßgebenden Pauschalsätze „jedes subjektive Ermessen der Versicherungsanstalten ausgeschlossen ist", wird man sich dieser Auffassung nach der ratio legis, trotz mancher Bedenken im einzelnen (vgl. auch ArbV. 95 S. 101 und 96 S. 445) anschließen können. Ebenso Appelius in Schmoller's Jahrbuch Bd. 25 S. 1160 und AppeliusDüttmann Anm. 11 zu § 10 MG., sowie die dort Citierten (vgl. insbesondere jetzt die 2. Aust, des Handbuchs der Unfallversicherung Anm. 8 zu § 50 UVG., sowie die Ausführungsbestimmungen des RVA. zu § 10 Abs. 3 MG. — siehe unten IV, 2 — unter I, 3 und II, 2d), dagegen aber Gr aß mann Anm. 3. — Die Kosten, welche durch Reisen des Vorsitzenden vom Wohnort an den Sitz des Schiedsgerichts entstehen, werden unbezweifelt von der Kasse des an­ stellenden Staates getragen; vgl. Rundschreiben RVA. zu den citierten Aus­ führungsbestimmungen (AN. 02 S. 245).

2. Neben dem Vorsitzenden besteht beim Schiedsgericht jetzt „mindestens" ein Stellvertreter desselben (§ 104 Abs. 2). Die Materialien lassen erkennen, daß die Stellvertreter nicht bloß bei wirklichen Behinderungsfällen, z. B. Krankheit oder Urlaub die Ge­ schäfte des Vorsitzenden an seiner Statt übernehmen sollen, sondern daß auch eine Einrichtung zulässig sein soll, vermöge deren dieselben neben dem Vorsitzenden zwecks seiner Entlastung zur selbständigen Bearbeitung gewisser Prozeßsachen „in Vertretung" herangezogen werden.'") Die Rechtsverhältnisse der stellvertretenden Vorsitzenden sind denen des Vorsitzenden analog. 3. Die Stellung der Hilfsbeamten des Schiedsgerichts ist jetzt entsprechend derjenigen geordnet, welche die Hilfsbeamten der Renten­ stellen einnehmen. An die Stelle des Vorsitzenden der Rentenstelle tritt bei ihrer Anstellung, Verpflichtung, Beaufsichtigung der Vor­ sitzende des Schiedsgerichts.'") 4. Die Rechtsverhältnisse der Beisitzer gestalten sich im Ver­ hältnis zu denen der Rentenstellenbeisitzer folgendermaßen: a) Die Zahl der Beisitzer, welche für jedes Schiedsgericht ge­ wählt werden sollen, beträgt nach § 70 Ziff. 5 JVG. mindestens vier aus jedem Stande der Beteiligten; nach dem MG. § 4 Abs. 1 Schlußsatz ist diese Zahl auf je 20 erhöht worden. Eine weitere Erhöhung kann sowohl durch das Statut der Versicherungsanstalt als auch, wenn damit den durch die Überweisung der Unfallsachen gesteigerten Bedürfnissen nicht Genüge geschieht, seitens der Behörde erfolgen?") Diese Behörde ist die Landeszentralbehörde des Schieds18) Diese Einrichtung liegt z. B. der preuß. Vers. v. 2. Febr. 1901 (VMBl. S. 83) zu Grunde: Geschäftsanweisung Ziff. I, 2. Ihr entspricht, daß § 104 Abs. 2 die Schlußworte des § 71 Abs. 2 G. 89 „welcher ihn in Behinderungs­ fällen vertritt" weggelassen hat (vgl. wohl auch Mot. Abs. 3 zu §§ 70—74 a Elltw.: Verteilung der Spruchsachen unter die Stellvertreter durch den Vor­ sitzenden). Wenn Jsenbart-Spielhagen Anm. 4 der Weglassung jener Schluß­ worte unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 SchGO. keine Bedeutung beimessen wollen, so übersehen sie, daß die letztgedachte Stelle speziell von der „Leitung urd Beaufsichtigung des Geschäftsganges" spricht. ") Vgl. oben § 27 III Ziff. 4; § 104 Abs. 4, Abs. 5 mit § 83 Abs. 1, 3;. ausführlicher § 2 Abs. I SchGO. Wer ist zur Urlaubserteilung berechtigt, der Vorsitzende oder der Vorstand? Das RVA. nimmt mit gewissen, immerhin be­ deutsamen Beschränkungen, das erstere an (AN. 02 S. 397 Nr. 974). 20) Diese Kombination ergibt sich notwendig aus ^ 4 Abs. 1 MG. mit § 70

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II. Buch. Organisation.

II. Kap.:

Versicherungsbehörden.

gerichtssitzes,22*) wenn der Gerichtsbezirk sich nicht über de Grenzen eines Staates hinauserstreckt; anderenfalls kommen sämtliche beteiligte Zentralbehörden, eventuell2') der Reichskanzler in Betrach:. b) Die Personenkreise, aus denen die Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten zu wählen sind, bestimmen sich ebenst, wie bei der Rentenstelle bezw. der unteren Verwaltungsbehörde führung erlassenen Bestimmungen des RVA. v. 29. Jan. 1902 (AN. 02 S. 245 ff.) im Sinne einer teilweisen Belastung der Träger der Unfallversicherung^*) ein. Es unterscheidet zu diesem Zwecke dre Kosten des Verfahrens, welche durch die einzelnen Streitfälle er­ wachsen und als solche ausscheidbar sind, z. B. die Kosten der Be­ weisaufnahme, Zeugengebühren usw., im einzelnen aufgeführt unter II der Ausführungsbestimmungen, und alle sonstigen „Kosten des Schiedsgerichts", namentlich die persönlichen und sachlichen Kosten der Gerichtshaltung, welche die Ausführungsbestimmungen unter I des näheren begrenzen. Die ersteren fallen unmittelbar demjenigen Träger der Arbeiterversicherung (Anstalt, Berufsgenoffenschast, Auf­ sichtsbehörde) zur Saft,5*) gegen dessen Bescheid die Berufung oder das sonstige Rechtsmittel (Wiederaufnahme, unfallrechtlicher Antrag) eingelegt ist, die letzteren^*) werden nach Ablauf jedes RechnungsM) Vgl. ausführlich Appelius-Düttmann zu diesem Paragraphen. Ma) Neben denselben und derjenigen Versicherungsanstalt, für deren Bezirk das Schiedsgericht errichtet ist, können als Teilnehmer an der Kostentragung auch noch andere Versicherungsanstalten in Betracht kommen, wenn gegen deren Bescheide über Entziehung oder Einstellung der Invalidenrente gemäß § 121 Abs. 2 und 3 JVG. bei dem betreffenden Schiedsgerichte Berufung eingelegt war; vgl. die Ausf.Best. III, 5 litt, d, sowie unten § 75 N. 62 und analog auch § 73 N. 59. Die abweichende Ausführung bei Jsenbart-Spielhagen 2. Aufl. Anm. 6 Abs. 3 a. E. zu § 121 ZVG. ist wohl nur versehentlich aus der ersten Auflage herübergenommen. M) Die Bestimmung wegen der ausnahmsweisen Zuziehung von berufs­ genossenschaftlich besonders qualifizierten Beisitzern, deren Kosten gleichfalls dem speziell beteiligten Versicherungsträger allein zur Last fallen sollen, kann hier auf sich beruhen bleiben. »L) Appelius-Düttmann S. 16 f. wollen noch eine dritte Art von Kosten annehmen und dieselbe aus den „Kosten des Schiedsgerichts" im Sinne des § 10 MG. ausscheiden. Es seien das die Kosten der (nicht bloß ersten) Ein­ richtung des Schiedsgerichts, unter welche sie die Kosten für Beschaffung und Erhaltung aller nicht in kürzerer Frist verbrauchbaren Gegenstände, des eigent­ lichen Inventars (Mobiliar, Schreibmaschinen, Bücher, Stempel usw.) begreifen. Diese Kosten habe die Anstalt allein zu tragen (S. 17), was jedoch nach S. 18 „nicht ausschließen soll, daß die Träger der Unfallversicherung für Verzinsung, Unterhaltung und Abnutzung des Inventars eine gewisse Vergütung, etwa in Prozenten des Werts des Inventars an die Versicherungsanstalt zu zahlen

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Schiedsgerichte.

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jahres der Versicherungsanstalt des Gerichtssitzes, welche sie vor­ zuschießen fiat,56) von den beteiligten anderen Anstalten (vgl. Note 54 a), Berufsgenossenschasten und Ausführungsbehörden er­ stattet, wobei das Verhältnis der im ganzen erledigten56») Be­ rufungen usw. zu Grunde gelegt wird. Die Verteilung erfolgt durch den Vorsitzenden. Gegen den Verteilungsbescheid steht den Beteiligten nach den Auss.Best. III, 10 binnen einem Monate die Beschwerde an das RVA. ohne auffchiebende Wirkung §u.57) Der haben". Schon danach ist aber der erste Satz, daß die Anstalt diese Kosten allein zu tragen (nicht bloß vorzuschießen) habe, unrichtig, was m. E. auch durch den Wortlaut des Gesetzes und die kategorische Erklärung des Regierungs­ vertreters in der Kommission zu § 9 Entw. (S. 17), welche alle nicht auf die einzelne Streitsache bezüglichen Kosten „ohne Ausnahme" umfaßt, bewiesen wird. Zn der Tat kann es doch sachlich keinen Unterschied begründen, ob die Ver­ sicherungsanstalt das Schiedsgericht mit gemieteten Räumen oder einem eigenen Hause, mit gemieteten oder gekauften Möbeln ausstattet. Prinzipiell ist also gemeinschaftliche Tragung und Erstattungspflicht der Unfallversicherungsträger auch hier begründet. Wie sich allerdings diese Erstattung vollziehen soll, das festzustellen, hat das Gesetz den Ausführungsbestimmungen des RVA. überlassen. Dieselben haben, indem sie grundsätzlich die hier vertretene Auffassung teilen, (vgl. III, 1: „sämmtlich, ohne Ausnahme") über den Modus der Erstattung in gewissem Anschluß an die Appelius-Düttmann'schen Vorschläge ange­ ordnet, daß für die Geschäftsräume eine angemessene Miete und für das Znvmtar jährlich 5 % des Anschaffungsbetrages anzusetzen und auf die beteiligten Vrrstcherungsträger zu repartieren sei. Der erstmalig festgestellte Anschaffungs­ betrag für das Inventar bleibt bei Ersatzanschaffungen unverändert, während er sich bei Neuanschaffungen entsprechend erhöht. ö6) Auf Ersatz für Zinsverlust hat die Anstalt keinen Anspruch (Ausf.Best III, 3). Über den Vollzug der vorläufigen Zahlung, sei es direkt durch die Anstalt, sei es durch den Vorsitzenden aus einem ihm von der Anstalt überm.ttelten Vorschuß, vgl. Ausf.Best. III, 2. In Bezug auf die Verfahrensko'ten besteht eine Verauslagungspflicht der Anstalt, für welche das Schieds­ gericht errichtet ist, nicht. Sie werden entweder (z. B. Zeugengebühren und dir sonstigen, in Ausf.Best. IV, 2 aufgeführten Kosten) vom Schiedsgericht aus V-rschüssen, welche ihm die beteiligten Versicherungsträger einzeln zur Ver­ fügung zu stellen haben, oder unmittelbar von den letzteren ausbezahlt (Ausf. Bist. IV, 3, 4). 5öa) Eine vom RVA. in die Instanz zurückgewiesene Streitsache gilt als neue: Mot. Abs. 1 zu § 9 Entw. MG. Im Übrigen werden Berufungen usw. nicht bl»ß durch Urteil, sondern auch durch Vergleich, Anerkenntnis, Zurücknahme usw. „erledigt" (Ausf.Best. HI, 7). 57) Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, jedenfalls durch die kraft gesetzlicher Dllegation erlassenen Ausführungsbestimmungen- nu E. (vgl. Bd. I S. 786 ff.)

262

II. Sud). Organisation.

II. Kap.: Versicherungsbehörden.

Ausgleich kann bei geringfügigen Beträgen eventuell auf die nächst­ jährige Verteilung verschoben werden. 3. Die Eingliederung der Schiedsgerichte in den allgemeinen reichsgesetzlichen Organismus der Invalidenversicherung äußert sich vor allem darin, daß die Rechtsmittel gegen die Endentscheidungen derselben66) an das Versicherungsamt gehen. Damit verbindet sich59) dann weiter die Bestimmung, daß auch Beschwerden gegen das Ver­ halten des Schiedsgerichts in Bezug auf die Leitung oder Gestaltung der einzelnen Prozeßsache66) an das Reichsversicherungsamt gewiesen sind. Darüber hinausgehend soll dasselbe „auf die Beseitigung von Verzögerungen oder Unregelmäßigkeiten in der Prozeßsührung, auch ohne daß Beschwerden der Parteien vorliegen, hinwirken" und zu diesem Zwecke ditz entsprechenden Weisungen an das Schiedsgericht erlassen. Bleiben jedoch die letzterm ohne Erfolg, so tritt das Auf­ sichtsrecht der Landesregierung in Wirksamkeit, welche um die Er­ greifung der nötigen Disziplinärmittel zu ersuchen ist.61) Die Be­ ziehungen der Schiedsgerichte zum RVA. treten aber ferner auch in der Pflicht zur alljährlichen Einreichung eines Geschäftsberichts her­ vor;611) daneben kann dann wieder die Landeszentralbehörde kraft aber schon durch das Gesetz selbst gemäß dem öffentlichrechtlichen Charakter des Verhältnisses. Anders in letzterem Punkte Appelius-Düttmann Anm. 1 a. E. zu § 10 MG. 58) Revision: §§ 116 ff. JVG. -">) Vgl. Bd. I S. 734. 6U) Zn dieser Weise interpretiere ich die Worte in § 33 SchGO.: „Be­ schwerden der Parteien, die die Prozeßführung betreffen", welche weiter gefaßt sind, als die in § 25 SchGO. v. 1900 (Bd. I S. 735 N. 33): „Beschwerden über eine das Prozeßverfahren leitende Verfügung". Vgl. JsenbartSpielhagen 2. Aust. Anm. 4 zu 8 33 SchGO. Wenig glücklich erscheint mir der Ausdruck „Prozeßsührung" hier und in Abs. 3 zur Bezeichnung der Tätigkeit (nicht der Parteien, sondern) des Gerichts bezw. des Vorsitzenden. 61) Der Ansicht von Jsenbart-Spiel Hagen 2. Ausl. Anm.5 zu 8 33 SchGO. und Schlenther S. 328, daß die Aufsichtsbehörde inhaltlich die Weisungen des RVA. ohne Nachprüfung einfach zu akzeptieren und zur Durchführung zu bringen hätte, vermag ich mich nicht anzuschließen, weil nicht bloß die Ver­ hängung von Disziplinarmaßregeln, sondern die Beauffichtigung des Geschäfts­ betriebes selbst, einschließlich der Beseitigung von Verzögerungen und Unregel­ mäßigkeiten, auch materiell „den wesentlichsten Inhalt" der Auffichtsgewalt bildet (vgl. oben Ziff. 1). M) SchGO. 8 35 mit Rundschr. RVA. v. 3. Okt. 1901 (AN. S. 645). Er­ stattung alljährlich bis zum 10, Januar.

Aufsichtsrechts die Vorlage dieser Berichte an die Aufsichtsinstanz oder auch die Einreichung besonderer Geschäftsübersichten an die­ selbe verlangen.^)

§ 29. Reichsvcrsicherungsamt.') Die Organisation des Reichsversicherungsamts wurzelt im Un­ fallrecht; von dort aus ist das Amt dann auf das Gebiet des Jnvalidenrechts übertragen worden. Dementsprechend waren auch die Normen über die Zusammensetzung desselben grundlegend in den Unfallversicherungsgesetzen enthalten; das Jnvaliditäts- und Alters­ versicherungsgesetz von 1889 gab nur einige zusätzliche Bestimmungen über die Funktionen der Behörde aus diesem besonderen Versiche­ rungsgebiete. Dasselbe Verhältnis waltete dann zwischen den Kaiser­ lichen Verordnungen ob, welche auf Grund gesetzlicher Ermächtigung zur näheren Regelung der Formen des Verfahrens und des Ge­ schäftsgangs des RVA. einerseits auf dem Gebiete der Unfall-, andererseits auf dem der Invalidenversicherung erlassen wurden.'**) Auch jetzt ist, wenigstens was die Gesetze selbst anlangt, Gleiches festzustellen, nachdem bei der Revision der Unfallversicherungsgesetz­ gebung die das RVA. betreffenden Normen zusammenfaffend in das sog. Mantelgesetz2) §§ 11—19 übertragen worden sind. Dagegen sind die verordnungsmäßigen Ausführungsbestimmungen jetzt für beide Versicherungsgebiete einheitlich zusammengefaßt worden?) Die folgende Darstellung, welche zwar grundsätzlich das Recht der In­ validenversicherung ins Auge faßt, kann doch die Veränderungen 63) Preuß. Verf. v. 2. Febr. 1901 (VMBl. S. 83, II). Die Versicherungs­ anstalten haben keinen Anspruch, den an das RVA. erstatteten Geschäftsbericht einzusehen. *) Literatur vgl. Bd. I S. 717 N. 2. Neuerdings Bödiker Art. „ReichsVersicherungsamt" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften; Laß, Prozeß­ recht S. 48 ff. la) Bd. I a. a. O. Die letzte (jetzt aufgehobene) Separatverordnung auf dem Gebiete des Jnvalidenrechts ist v. 6. Dez. 1899 (RGBl. S. 687, AN. 00 S. 163). 2) Vgl. oben § 28 N. 8. Dazu JVG. §§ 108-110. 3) „VO." v. 19. Okt. 1900 (RGBl. S. 983, AN. S. 731). Auch diese VO. hat von Appelius-Düttmann (vgl. oben § 28 N. 1) eine besondere Kom­ mentierung erfahren.

nicht ganz übergehen, welche die allgemeine Organisation des NVA. durch den Wechsel der Gesetzgebung auf dem Gebiete des Unfall­ rechts, in Abweichung von den Erörterungen in Bd. I S. 717 ff., erfahren hat. I. Die Zusammensetzung des NVA. ist int Prinzip dieselbe ge­ blieben. Es besteht daher nach wie vor aus 4 Klaffen von Funktio­ nären: den ständigen Mitgliedern, den vom Bundesrat gewählten Mitgliedern, den Laienbeisitzern und den richterlichen Beisitzern?) 1. Die Rechtsverhältnisse der ständigen Mitglieder sind die gleichen, wie bisher. Von der Feststellung einer Mindestzahl der­ selben hat das Gesetz jetzt, bei dem raschen Anwachsen des Amtes,^) Abstand genommen. 2. Die Zahl der vom Bundesrat zu wählenden nicht ständigen Mitglieder ist von 4 auf 6 erhöht; die zwei Hinzu­ gekommenen brauchen nicht aus der Mitte des Bundesrats gewählt zu werden?) 3. Als zweite Art nicht ständiger Mitglieder fungieren Ver­ treter der Arbeitgeber und der Versicherten, und zwar, wie bisher, je sechs aus jedem Stande (§ 11 Abs. 3 MG.). Für sie werden Stellvertreter bestellt, welche zugleich beim Ausscheiden eines Mit­ gliedes während der Wahlperiode als Ersatzmänner eintreten (§ 13 MG.). Die Zahl der Stellvertreter bestimmt das Reichsamt des Innern?») Auch jetzt erfolgt die Bestellung der Vertreter gruppen­ weise, indem je zwei für Gewerbe und Bauten, je zwei für Landund Forstwirtschaft und je zwei für Seeschiffahrt gewählt werden (§ 11 Abs. 4 MG.); doch bleibt, nach wie vor, diese Gruppierung für die Erledigung der Jnvalidensachen ohne Bedeutung (§ 110 Abs. 3 JVG.). Die Bestellung der Laienbeisitzer geschieht jetzt 4) Hinsichtlich der „übrigen Beamten" (jetzt MG. § 11 Abs. 2 Schlußsatz) vgl. Bd. I S. 720 a. E. 5) Über den tatsächlichen Bestand des RVA. vgl. Appelius-Düttmann Anm. 1 zu § 11 MG. 6) § 11 Abs. 3 MG.; Mot. zu § 10 Entw. Die Bestimmung soll namentlich die Möglichkeit gewähren, durch die Wahl preußischer Ministerialbeamter diesem Staate, bei dem Mangel eines eigenen Landesverstcherungsamts, eine stärkere Fühlung mit dem RVA. zu verschaffen. — Vereidigung der bundesrätlichen Mitglieder wie bisher (Bd. I S. 720): § 8 Abs. 1 VO. *a) § 7 VO. und. dazu AN. 01 S. 652.

durchweg') mittelst Wahl. Die Vertreter der Arbeitgeber werden, wie nach bisherigem Recht, durch die Vorstände der Berufsgenossenschaften und die ihnen gleichgestellten Ausführungsbehörden/) die Vertreter der Versicherten aber, in veränderter Form, durch die Laienbeisitzer bei den Schiedsgerichten aus dem Stande der Arbeit­ nehmer') gewählt. Auch die letzteren treten bereits gesondert nach den oben bezeichneten 3 Berufsgruppen an die Vollziehung der Wahl heran.'") Wählbar zu Vertretern der Arbeitgeber sind jetzt alle stimmberechtigten Mtglieder der Genossenschaften,") einschließlich ihrer gesetzlichen Vertreter, und die bevollmächtigten Leiter ihrer Betriebe, dazu auf der Seite der Ausführungsbehörden diejenigen Beamtm derselben, welche die Funktionen der Genossenschaftsvorstände wahrnehmen und die Beamten der zur Ausführungsbehörde ge­ wiesenen Betriebe. Wählbar zu Vertretern der Versicherten sind die in der betreffenden Berufsgruppe gegen Unfall versicherten Personen und in der Gruppe der Seeschiffahrt auch die befahrenen Schiff­ fahrtskundigen") (§ 12 Abs. 2, 3 MG.). Im übrigen sind die persönlichen Bedingungen der Wählbarkeit die gleichen, wie schon bei den Laienbeisitzern der unteren Verwaltungsbehörden usw.") Eine Pflicht zur Annahme der Wahl ist nicht ausgesprochen. Die Wahl erfolgt jetzt auf 5 Jahre und zwar zum ersten Male für die Zeit vom 1. Jan. 1902 an (§ 14 Abs. 2 mit § 24 MG.). Unter Leitung des NVA. wird schriftlich nach relativer Stimmenmehrheit gewählt. Nähere Ausführungsbestimmungen über das Stimmen­ verhältnis der Wahlkörper und die Bildung von Wahlbezirken kann ’) Vgl. dagegen früher: Bd. I S. 719 N. 9. °) Vgl. oben § 28 N. 26. •) MG. § 11 Abs. 3 spricht von den „dem Arbeiterstand" angehörenden Beisitzern. Es könnte in Frage kommen, ob dieser Ausdruck, wie in den Bd. I S. 145 91.1 a citierten Stellen (vgl. auch S. 730 91.13) den Ausschluß der Betriebsbeamten bedeuten soll. Dagegen spricht, daß sich jene Stellen auf di« passive Wahlfähigkeit beziehen und zudem durch § 88 Abs. 2 ZVG. mit § 5 Abs. 2 Schlußsatz MG. beseitigt worden sind. Vgl. auch § 12 Abs. 3 MG. '») Näheres § II Abs. 5 MG. u) Früher nur die Vorstandsmitglieder (z. B. § 87 Abs. 3 UVG.). Eine Jnkompatibilität mit dem Vorstandsamte (vgl. oben § 28 bei 91.27, 28) besteht chier nicht. '-) Vgl. oben § 28 91. 22. >-) MG. § 12 Abs. 1 mit § 88 Abs. 1 ZVG.; vgl. oben § 26 bei 91. 29, 30.

der Bundesrat erlaffen (§14 Abs. 1 MG.). Reu") ist die Be­ stimmung über eine mögliche Amtsenthebung durch das NVA., welche sich inhaltlich mit der für die Laienbeisitzer bei der unteren Verwaltungsbehörde geltenden deckt.'") Die Verpflichtung der Laienbeisitzer erfolgt jetzt durch dm Präsidenten des NVA. (§ 8 VO.).'") 4. Die „richterlichen Beisitzer" werden jetzt nicht mehr vom Kaiser, sondem vom Reichsamt des Innern berufen (§ 9 VO.). II. Die Formationen des RVA. sind zum Teil abweichend vom früheren Recht gestaltet: 1. Grundlegend ist die materielle Verschiedenheit der Geschäfte.. Danach werden „Angelegenheiten der Verwaltung" einerseits und „Rechtsprechung und die derselben nach gesetzlicher Bestimmung gleich­ gestellten Angelegenheiten" andererseits unterschieden (§ 10 Abs. 2 VO.). Für die ersteren fungieren Verwaltungskollegien, für die letzteren Spruchkollegien oder Senate (§ 10 Abs. 2 mit § 20Abs. 1 VO.). 2. Verwaltungskollegien sind die Gesamtheit des RVA., die Abteilungen und die Unterabteilungen. a) An der Spitze der Gesamtheit des RVA. steht, wie bisher^ der „Präsident", welcher als solcher") auf Vorschlag des Bundes­ rats vom Kaiser ernannt wird (§ 11 Abs. 2 MG.). Über seine Dienstleistung, seine Geschäfte und seine Vertretung trifft die Ver­ ordnung besondere Bestimmungen.'") ") Vgl. dazu Bd. I S. 720 91.10 a. E. ") MG. § 14 Abs. 3 mit § 91 ZVG.; vgl. oben § 26 R. 63 ff. Die Bestimmung in § 110 Abs. 3 Schlußsatz JVG. ist dadurch überflüssig geworden und beseitigt. 16> Die Bestimmungen über die den nichtständigen Mitgliedern zu ge­ währenden Vergütungen usw. im § 19 Abs. 3 MG. entsprechen dem bisherigen Recht (Bd. I S. 720 N. 12). 17) § 11 Abs. 2 MG., entsprechend dem bisherigen Recht, aber in Bd. I S. 718 nicht deutlich genug zum Ausdruck gelangt. 18) §§ 1—3 VO. Vertretung durch denjenigen Direktor, dem das Reichs­ amt des Innern diese Funktion als ständige überträgt, eventuell durch den anderen Direktor, eventualissime durch das dienstälteste ständige Mitglied mangels anderweitiger Bestimmung seitens des Reichsamts des Innern. Be­ deutsam ist namentlich noch, daß der Präsident nach § 2 Abs. 2 VO. in jederSitzung den Vorsitz übernehmen darf.

b) Innerhalb des NVA. bestehen jetzt unmittelbar kraft VO. zwei Abteilungen, die „Abteilung für Unfallversicherung" und „die für Invalidenversicherung".") An der Spitze jeder Abteilung steht ein Direktor, welcher als solcher aus der Zahl der ständigen Mit­ glieder jetzt vom Kaiser'") ernannt wird. Die Überweisung der Direktoren an die beiden Abteilungen erfolgt durch den Präsidenten mit Genehmigung des Reichsamts des Innern?') c) Innerhalb jeder Abteilung können für einzelne Teile ihres Geschäftsbereichs Unterabteilungen errichtet werden. Das Nähere ist dem Reichsamt des Innern üf> er taffen. Die Leitung einer Unter­ abteilung steht entweder dem Abteilungsdirektor oder einem be­ sonderen Dirigenten zu. Als solcher fungiert, mangels anderweitiger Bestimmung durch den Präsidenten, das dienstälteste Mitglied der Unterabteilung?') 3. Auch die jetzige Verfahrensordnung geht davon aus, daß die Verwaltungsgeschäfte des RVA. grundsätzlich durch einen einzelnen Dezernenten erledigt werden?') Als solcher fungiert entweder der Präsident selbst oder ein besonderes mit der Bearbeitung der Sache betrautes Mitglied, dessen Verfügungen aber, je nachdem es sich um Angelegenheiten dieses oder jenes Verwaltungskollegiums handelt, einer Mitzeichnung des Präsidenten, Direktors oder Unterabteilungs­ dirigenten bedarf. Nur in den besonderen gesetzlichen oder ver­ ordnungsmäßigen Fällen ergehen die Entscheidungen in Sitzungen, welche entsprechend wieder in Gesamtsitzungen, Abteilungssitzungen und Sitzungen der Unterabteilungen zerfallen (§ 10 VO ). Ge­ samtsitzungen werden in Angelegenheiten, welche beide Abteilungenlö) VO. § 4 mit 51. Die Abteilungen treten nach außen als die wesent­ lichsten organischen Gliederungen des RVA. hervor. Daher ergehen die Aus­ fertigungen und Reinschriften grundsätzlich unter ihrer Unterschrift, soweit nicht gemeinsame Angelegenheiten oder Urteile der Senate .(§ 44 VO.: über Re­ kurse und Revisionen?) in Frage stehen. Zu letzterem vgl. noch Laß S. 51. 20) Aber, entgegen N. 17, ohne Mitwirkung des Bundesrats (§ 11 Abs. 2 Satz 2 mit 1). 21) § o VO. Dort auch über Direktorialgeschäfte und Vertretung durch bct& dienstälteste Abteilungsmitglied. 22) Näheres § 6 VO. 23) Das Prinzip kommt in § 10 VO. nicht so deutlich zum Ausdruck, rote­ in § 2 mit 3 der VO. v. 13. Nov. 1887 (AN. S. 360), ist aber nach §§ 11 ff> in seinen Einzelanwendungen unzweifelhaft erkennbar.

gemeinsam betreffen, auf Anordnung des Präsidenten abgehalten; Abteilungsfitzungen erfolgen auf Bestimmung des Präsidenten oder Direktors oder auf gemeinsamen Antrag eines Unterabteilungsdirigenten und des Dezernenten; Sitzungm der Unterabteilung finden uns Anordnung des Dirigenten oder auf Antrag des Dezernenten statt (§§ 11, 13, 16 VO.). Ausführlich bestimmt die VO., welche Personen zu den einzelnen Sitzungen zu laden ftnb.21) Zu Sitzungen der Unterabteilungen werden nur die derselben zugewiesenen stän­ digen Mitglieder (nebst Hilfsarbeitern) zugezogen (§ 16 VO.). Zu den Gesamtsitzungen werden alle ständigen Mitglieder eingeladm, außerdem aber auch die vom Bundesrat gewählten, die Laien­ beisitzer oder, soweit sie nicht in Berlin anwesend find, Vertreter derselben und die vier Dienstältesten richterlichen Beisitzer (§ 12 VO.). Zu den Sitzungen der Abteilung für Invalidenversicherung25) werden die ständigen Abteilungsmitglieder und die bundesrätlichen Mitglieder unbedingt eingeladen; dagegen ist die Zuziehung von Laien- und richterlichen Beisitzern in das Ermessen des Präsidenten oder Direktors .gestellt.26) Nach Bedarf wird dagegen hier auch der Vorsteher der Rechnungsstelle zugezogen (§ 14). Die Verwaltungssitzungen sind nicht öffentlich (§ 17 VO.); Vorschriften über Berichterstattung und Abstimmung sind in § 18 VO. enthalten. Ausdrücklich hervor­ gehoben ist, daß Beschlüsse über Fragen, die im Wege der Recht­ sprechung in den Senaten zur Entscheidung gelangen können, für die Abstimmung in ben letzteren nicht bindend sind (§ 19 VO.). 4. Die Senate, welche an die Stelle der früheren Spruch­ kammern getreten sind, werden für JnvalidensacheN zunächst inner­ halb der für diese bestimmten Abteilung gebildet26*) und sind ent­ weder Spruchsenate oder Beschlußsenate.*2^) Die Spruchsenate können 24) Eine Bestimmung über eine Präsenzziffer, wie in § 2 Abs. 4 VO. v. 1887 (33b. I S. 722 N. 19) findet sich in der VO. nicht mehr. 25) Bei der Abteilung für Unfallversicherung nach § 14 Ziff. 2, ferner Abs. 2 und § 15 etwas anders. 26) Die Fälle gesetzlicher Vorschrift (§ 14 litt, b) gehen nur die Unfall­ versicherung an (§ 18 MG.). 2«a> Es gibt danach, entsprechend den Abteilungen, „Senate für die Unfall­ versicherung" (§ 21 VO.) und „Senate für die Invalidenversicherung" (§ 22). Vgl. aber über den „erweiterten Senat" im Text litt. d. 27) Vgl. die Bezeichnungen in §§ 25, 28 VO. Die Terminologie der VO. ist insofern nicht einwandfrei, als, wie es scheint, auch die Beschlußsenate zu

sich zu verstärkten Senaten entfalten; außerdem fungiert für gewisse Fälle ein besonders gearteter „erweiterter Senat". Den Vorsitz in den Senaten führen der Präsident, die Direktoren oder die vom Kaiser (§§ 11 Abs. 2 MG.) zu Senatsvorsitzenden28) ernannten stän-feigen Mitglieder. Im Falle des Bedürfnisses kann das Reichsamt des Innern ein anderes ständiges Mitglied vorübergehend mit dem Vorsitz betrauen (§ 20 Abs. 2 VO.). Die Öffentlichkeit der Sitzungen ist auch hier nicht Prinzip und nur für die mündliche Verhandlung in Revisionssachen vorgeschrieben?") Die Grundsätze über die Abstimmung sind die gleichen, wie bei den Verwaltungskollegien (§ 32 VO.). a) Die Spruchsenate^) für die Invalidenversicherung sind die ordmtlichen Spruchkollegien für die Entscheidung auf Revisionen gegen die Urteile der Schiedsgerichte und die sonstigen in § 110 Abs. 1 Ziff. 1—3 aufgeführten Rechtsangelegenheiten?") Besetzt sind sie bei der Entscheidung mit fünf Personen einschließlich des Vor« sitzenden. Darunter muß sich ein richterlicher Beisitzer, ein Vertreter­ der Arbeitgeber und ein solcher der Arbeiter befinden; als fünfter kann ein ständiges oder ein bundesrätliches Mitglied eintreten31) (§ 110 Abs. 1 JVG.). Die Reihenfolge für die Zuziehung der nicht ständigen Mitglieder wird vom Präsidenten in der Regel für ein Vierteljahr im voraus festgesetzt (§ 27 VO.). b) Der Beschlußsenat ist ein verengerter Spruchsenat für feie« jenigen „Beschlüsse", mittelst deren ausnahmsweise (§ 117 Abs. 2 JVG.) Revisionen ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen werden. Der Beschlußsenat ist besetzt mit einem ständigen Mitgliede als Vorsitzendem und je einem Laienbeisitzer aus beidm Ständen den in §20 so genannten und den Verwaltungskollegien gegenübergestellten (§ 10 Abs. 2 VO.; vgl. im Text II, 1) „Spruchkollegien" (d. h. Senaten im allge­ meinen) gehören. 26) Dieselben erhalten den Titel „Geheimer Regierungsrat": Komm.Ber. 3iff. 1 zu § 10 Entw. MG.; vgl. Jsenbart-Spielhagen S. 460. 2v) §§ 35 und 42 mit 32 VO. Vgl. AN. 01 'S. 439 Nr. 917 mit Bezug auf § 110 Ziff. 3 JVG. 2öa) „Vollbesetzte" Spruchsenate, wie sich die Mot. Abs. 3 a. E. zu § 74b—fr Entw. JVG. ausdrücken. 30) Ebenso für die Verhandlung und Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 119 JVG. (§ 26 VO.). 31) Vgl. die oben N. 29 a citierten Motive.

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II. Sud). Organisation.

II. Kap. : Versicherungsbehörden

(§ 110 Abs. 2 JVG.). Die Sache wird dem Beschlußsmat über? wiesen, wenn der Abteilungsdirektor oder der zuständig! Senats­ vorsitzende mit32) den Berichterstattern übereinstimmend der Ansicht sind, daß einer der Fälle des § 117 Abs. 2 JVG. gegebm ist; an diese Ansicht ist aber selbstverständlich der Beschlußsenat nicht ge­ bunden.33) e) Der „verstärkte Senat"3t) besteht aus 7 Personer und ent­ steht dadurch aus dem Spruchsenat, daß zu demselbm noch ein ständiges, sowie ein bundesrätliches Mitglied und im Behmderungsfall ein weiteres ständiges Mitglied zugezogen wird. Ei tritt in Funktion, wenn es sich bei der Entscheidung „um die noch nicht festgestellte Auslegung gesetzlicher Bestimmungen von erheblicher grundsätzlicher Bedeutung handelt".33) Formell wird die Verstärkung entweder von vornherein auf übereinstimmenden Beschluß des Ab­ teilungsdirektors oder Senatsvorsitzenden und des Berichterstatters oder auf Beschluß des Spruchsenats selbst vorgenommen, der bei Gelegenheit der mündlichen Verhandlung dann zugleich die vor­ läufige Aussetzung der Entscheidung verfügt (§ 22 Abs. 2, 8 VO.). d) Der erweiterte Senat33) fungiert ausnahmsweise sowohl für Unfall-, wie für Jnvalidensachen. Er besteht unter dem Vorsitz des Präsidenten des RVA. im ganzen aus 11 Mitgliedern, indem sowohl aus den ständigen Mitgliedern des RVA., wie den bundesrätlichen, den Richterbeisitzern und aus jedem Stande der Laim­ beisitzer je zwei Personen zugezogen werden. An Stelle der bundesrätlichm können auch ständige Mitglieder des RVA. berufen werden, jedoch hier3') nur dann, wenn sämtliche bundesrätliche Mitglieder behindert sind. Im übrigen bezeichnet der Präsidmt für jedes Ge32) Das „und" bezieht sich jedenfalls auch auf den Abteilungsdirektor, wie aus dem „sind" am Eingänge des § 25 VO. hervorgeht. 33) Er wird eventuell sich für unzuständig zu erklären und die Sache an den vollbesetzten Spruchsenat zu verweisen haben. 34) Vgl. die oben N. 29 citierte Entscheidung. 3B) Noch die VO. v. 1899'stellte diesen Fall und den unter litt, d zu be­ sprechenden gleich und überwies beide der „erweiterten Spruchkammer" (Ziff. 5). 36) Derselbe beruht für die Invalidenversicherung nur auf der VO. §§ 23, 24, für die Unfallversicherung dagegen, zugleich unmittelbar auf dem Gesetze (§ 17 MG.). 37) Beim verstärkten Senat wird der „Behinderungsfall" (§ 22 Abs. 2 a. E.) demnach nicht so weitgehend zu interpretieren sein.

ffchäftsjcahi im voraus die Mitglieder des erweiterten Senats und deren Stillvertreter. Für den einzelnen Fall tritt dann noch ein Mitglie-d desjenigen Spruchsenats in dm erweiterten Senat ein, welcher die Sache dem letzteren zugewiesm hat. Der Spruchsenat bezeichmet dieses Mitglied; gehört dasselbe nicht schon ohnehin dem ■eroeitetrtei Senat an, so scheidet ein anderes Mitglied desselbm nach nÄhccer Bestimmung der BO. für diesen Fall aus. Dcer erweiterte Senat fungiert als Präjudizien-Senat derart, daß, roient irgend ein Senat (für Unfall- oder für Jnvalidensachen) in einer grundsätzlichen Rechtsfrage „von einer früheren Ent­ scheidung"39) abweichen will, er die betreffende ©pmdjfadje39) an den ernoererten Senat zu verweisen hat. Die Verweisung erfolgt durch Beschluß, welcher die betreffende Rechtsfrage zu bezeichnen hat. 5. Die „Rechnungsstelle des Reichsversicherungsamts" (§ 124 JVG.), das frühere „Rechnungsbureau" hat die ihm nach dem

umgekehrt entsprechen muß, sofern nicht die Betreffenden in dieser ihrer Eigenschaft dem Organe angehören. Die beamteten Vorstands­ mitglieder, welche Dienstboten haben, ziehen selbstverständlich nicht eine entsprechende Zahl von Arbeitern in den Vorstand nach sich; aber ebensowenig wird das Prinzip der Parität dadurch verletzt, daß z. B. der Ausschuß für bestimmte Zwecke aus sich heraus eine Sonderkommission bildet und in dieselbe Ausschußmitglieder als solche (aber nicht als Vertreter der Arbeitgeber oder Versicherten) lediglich nach ihrer Tauglichkeit für das vorliegende Geschäft ohne Rücksicht auf ihre Standeszugehörigkeit wählt.") Ebensowenig be­ deutet das Prinzip der paritätischen Besetzung im allgemeinen, daß bei jeder einzelnen Sitzung die Zahl der Erschienenen und Abstinlmenden aus jedem Stande gleich sein muß.03) Überhaupt handelt es sich bei ihm nur um eine rechtliche Gleichheit, welche nicht durch willkürliche Einwirkung auf den Bestand der Organe von Außen verrückt werden darf; dagegen ergibt sich keineswegs aus ihm die Konsequenz, daß bei rein tatsächlichem Wegfall eines Ver­ treters aus dem einen Stande, welche während der Wahlperiode durch Tod, Amtsniederlegung usw. erfolgt, bis zur gesetzlichen oder statutarischen Neu- oder Nachwahl auch ein Vertreter aus betn andern Stande außer Funktion gesetzt werden muß.66) 6I) Wenn daher z. B. das badische Anstaltsstatut § 11 den Ausschuß in jeder ordentlichen Versammlung eine Zwischenkommission aus seiner Mitte wählen läßt, welche aus dem Vorsitzenden des Ausschusses und desien Stell­ vertreter und je einem Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten besteht, so ist in den beiden letzten Kommissionsmitgliedern das Prinzip der Parität gewahrt, auch wenn der Ausschußvorsitzende und sein Stellvertreter, welche als solche in die Kommission eintreten, beide Arbeitgeber oder beide Versicherte sein sollten. M) Das wird durch die Ablehnung einer entsprechenden Bestimmung in § 41 Entw. G. 89 erwiesen; vgl. Komm.Ber. 1. Lesung. Übereinstimmend Gebhard - Düttmann Anm. 3 Abs. 2. Dagegen scheinen Zsenbart-Spielhagen Anm. 1 zu § 96 anderer Ansicht zu sein. Sie berufen sich dabei auf gewisse Anstaltsstatuten (vgl. auch das badische § 15), nach denen, wenn infolge Ausscheidens die Anzahl der Vertreter beider Gruppen eine ungleiche geworden ist, zur Vermeidung von Nachwahlen eine entsprechende Anzahl von Vertretern der stärkeren Gruppe ausgelost wird, die sich der Stimm­ abgabe zu enthalten haben. Allein solche Statutenbestimmungen können zwar besonderen Erwägungen ihre Entstehung verdanken; durch § 87 werden sie nicht erfordert. Denn hätte letzterer den ihm von Jsenbart-Spielhagen bei» Rosin, Recht der Arbeiterdersicherun». Band II. 21

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II. Buch. Organisation. III. Kap.: Versicherungsanstalten.

2. Stichentscheid des Vorsitzenden. Nach § 96 gibt bei Abstimmungen der Organe (der Versicherungsanstalten) im Falle der Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Der auch den Statuten gegenüber zwingende Rechtssatz hat, was die gesetzlich vorgesehenen Anstaltsorgane anlangt, praktische Bedeutung nur für Ausschuß und Vorstand?') Den Ausschlag gibt die Stimme des Vorsitzenden; also wird vorausgesetzt, daß ihm auch vor dem Stichentscheid eine Stimme zukommt. Soweit daher der Vorsitzende des Vorstandes nach § 78 oder kraft Statuts den Vorsitz im Ausschuß ohne Stimmrecht (vgl. oben N. 23, 24) führt, kommt ihm auch ein Stichentscheid nicht zu; es muß in solchen Fällen bei der natürlichen Regel bleiben, daß ein mit Stimmengleichheit be­ antworteter Antrag als abgelehnt gUt?8) 3. „Haftung der Mitglieder der Organe." Dieselbe ist in § 93 civilrechtlich und strafrechtlich geordnet. a) Civilrechtlich „haften die Mitglieder der Organe der Ver­ sicherungsanstalt für getreue Geschäftsverwaltung wie Vormünder ihren Mündeln". Der entsprechende § 59 G. 89 bezog sich, soweit die noch jetzt bestehenden gesetzlichen Anstaltsorgane in Betracht kommen, nur auf die Mitglieder des Vorstandes und Ausschusses; die erweiterte Wortfassung soll auch die Rentenstellen in sich be­ greifen?8) Unter den Mitgliedern des Vorstandes sind auch die gelegten Sinn, so wäre ihm auch durch die fraglichen Statutenbestimmungen nicht genügt, da Parität bei der allgemeinen Besetzung und Parität bei der Abstimmung zwei verschiedene Dinge sind (vgl. N. 65) und sich der Einfluß eines Mitgliedes im Kollegium nicht in der Stimmabgabe erschöpft. 67) Bei Rentenstellen (ebenso bei der verstärkten unteren Verwaltungsbehörde und dem Schiedsgericht; vgl. §§ 61, 104 Abs. 5) kann infolge der maßgebenden Besetzungsvorschriften Stimmengleichheit nicht vorkommen. 68) Vgl. dazu die Verhandlungen in 2. Plenarberatung zu § 41 Entw. G. 89, Sten.Ber. S. 1449 f. 60) Mot. zu § 59; Kontrollbeamte und von der Anstalt selbst eingerichtete Hebestellen, ebenso wie alle autonomisch eingerichteten Organe werden unter § 93 mitbegriffen sein, nicht dagegen sonstige Einzugsstellen, da das in § 93 hervortretende Postulat der „Treue" die Eingliederung in den Verbands­ organismus selbst voraussetzt. Eben darum halte ich die in § 61 sich findende ) Mot. Abs. 3 zu § 45 a Entw. ZBG. •>) Das weitreichende Einwirkungsrecht auch in Zweckmäßigkeitsfragen, welches § 45b Abs. 2 Entw. JVG. den Vertretungen der Garantieverbände sichern wollte, ist nicht in das Gesetz aufgenommen worden; vgl. den Komm.Ber. Rostn, Recht der Arbeiterversicherung. Band II.

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rechtswidrigen Beschlußfassung vorzubeugen; eine Präklusion des Versicherungsamts mit Bemängelungen, welche nicht in der vier­ zehntägigen Frist aufgestellt sind, findet aber nicht statt.52) Dem Wesen der Aufsicht entsprechend ist die Erhebung von Anständen mit verbindlicher Wirkung55) auf den Fall beschränkt, daß der Vor­ anschlag oder Teile desselben den gesetzlichen oder statutarischen Be­ stimmungen nicht entsprechen, mag dies im übrigen durch Auslassung gesetzlich notwendiger oder Ausnahme ungesetzlicher Posten geschehen sein. Hiernach wird sich auch die sog. Zwangsetatisierung in dem­ selben einheitlichen Verfahren vollziehen, für dessen weiteren Verlauf der § 75 in Verbindung mit § 95 zur analogen Anwendung ge­ langt.-^) Hiernach ist der Entwurf mit den vom Versicherungsamt erhobenen Anständen bezw. in einer unter Berücksichtigung derselben bewirkten Umgestaltung dem Ausschuß vorzulegen. Stellt derselbe den Voranschlag in einer Form fest, welche den erhobenen Anständen zuwiderläuft oder faßt er, in Abweichung vom ursprünglichen Ent­ wurf, anderweitige, dem Gesetz oder Statut positiv oder negativ zu­ widerlaufende Beschlüsse oder verweigert er die Feststellung des Vor­ anschlags überhaupt,55) so hat der Vorsitzende des Vorstandes dies, unter Vorlegung des nunmehr von ihm selbst gesetzmäßig redigierten Entwurfs, zunächst beim Ausschuß zu beanstanden. Bleibt derselbe bei seinem gesetzwidrigen Verhalten stehen, so erfolgt jetzt auf Be­ schwerde des Vorsitzenden die Feststellung des Voranschlags50) durch 52) Vgl. die Worte „ist befugt". Übereinstimmend Zfenbart-Spielhagen Anm. 12 und Gebhard-Düttmann Anm. 9. 53) Unverbindlich können natürlich auch Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit einzelner Posten oder ihrer Höhe erhoben werden. M) Vgl. oben § 34 III Ziff. 3, 4. Der Schlußsatz des § 71 ist in der Kommission (zu 8 45 d) aus formalen Gesichtspunkten an Stelle der ursprünglich Ln Aussicht genommenen Verpflichtung des Vorstandes, „den Voranschlag entsprechend zu ändern", eingefügt worden, ohne daß man sich über die Trag­ weite seines Inhalts gehörig klar geworden wäre. Der allein herangezogene § 75 reicht aber für sich nicht aus, um auch positiv die Gestaltung des Etats nach Maßgabe des Gesetzes zu sichern. Hierzu bedarf es vielmehr noch der Heranziehung von § 95, der aber hier (im besonderen Hinblick auf § 110 Ziff. 1) mit § 75 zu einem einheitlichen Verfahren zu verbinden ist. Vgl. auch § 55 a des Entw. v. 1897 und AN. 03 S. 253 Nr. 1027 Schlußsatz. 55) Die beiden letzten Fälle sind im Gesetz überhaupt nicht erwähnt. 28

) Soweit dabei freies Ermessen walten muß, wird dasselbe jetzt an Stelle

§ 35. Vermögensverwaltung und Finanzgebahrung.

355

das Versicherungsamt in dem durch § 110 Ziff. 1 vorgeschriebenen Verfahren. Das gleiche Verfahren ist einzuhalten, wenn das Ver­ sicherungsamt nachträglich zu Anständen Veranlassung finden sollte. V. Das Rechnungsjahr der Versicherungsanstalten ist das Kalenderjahr (§ 165 Abs. 3). Die Art und Form der Rechnungs­ führung wird durch das Reichsversicherungsamt, unter Ausschluß der Landesversicherungsämter, geregelt (§ 165 Abs. 2). Diese Regelimg ist erfolgt durch die „Vorschriften über die Art unb Form der Rechnungsführung bei den Versicherungsanstalten zur Durch­ führung des Jnvalidenversicherungsgesetzes" (Rechnungsvorschriften) v. 1: Dez. 1899 (AN. 00 S. 219), welche von einem Rundschreiben gleichen Datums (S. 218) und besonderen Bemerkungen (S. 248 ff.) begleitet sind. Darüber hinaus bleiben den Vorständen weitere Be­ stimmungen, insbesondere auch über die Führung weiterer Bücher und Listen und über die Kassenführung im engeren Sinne vor­ behalten (vgl. Bemerkungen I). Aus dem Inhalte der Rechnungsvorschriften interessieren an dieser Stelle namentlich folgende Bestimmungen: die Buchführung über den Geldverkehr erfolgt durch das Tagebuch und die Hand­ bücher, ersteres nach der Zeitfolge, letztere sachlich nach vorgeschriebenen Rechnungstiteln geordnet?') Besondere Bücher sind über die Ver­ mögensanlagen zu führen, und zwar Lagerbücher für die Wert­ papiere, Darlehen und Grundstücke. Abgesehen von abweichender Bestimmung der Statuten ist monatlich eine Kassenprüfung durch ein Vorstandsmitglied vorzunehmen, überdies wenigstens einmal im Jahre durch den Vorsitzenden des Vorstandes eine unvermutete Kassenprüfung. Die Handbücher bilden die Grundlage der Jahresrechnung, deren Abschnitte den Rechnungstiteln der ersteren zu entsprechen haben. Der Jahresrechnung ist eine Nachweisung der Bestände an Vermögensanlagen beizufügen. Zugleich ist eine Vermögensübersicht austustellen, die den gesamten Vermögensbestand ersehen läßt, insdes Ausschusses vom Vorsitzenden des Vorstandes, ev. von der Aufsichtsbehörde ausgeübt. Vgl. Bd. I S. 702. 67) §§ 1, 2 ff. der Rechnungsvorschriften. Über die Führung besonderer Handbücher für Voreinnahmen und Vorschüsse vgl. §§ 6, 7.

besondere auch den Wert der vorhandenen Grundstücke und Inven­ tarien anzugeben hat?«) VI. Über die Veröffentlichung der Rechnungsabschlüsse hat nach § 70 Ziff. 9 JVG. das Statut Bestimmung zu treffen. Ebenso nach Ziff. 8 „über die Aufstellung und Abnahme der Jahresrechnung, soweit hierüber nicht von der für den Sitz der Versicherungsanstalt zuständigen Landeszentralbehörde Bestimmungen getroffen werden". Nach § 71 Ziff. 3 muß „die Prüfung der Jahresrechnung und die Aufstellung von Erinnerungen gegen dieselbe dem Ausschuß vor­ behalten bleiben". Die Bedeutung dieser Bestimmungen ist nicht unzweifelhaft. Jedenfalls ist es die, auch in den Materialien66) angedeutete, Absicht des Gesetzes, daß die vom NVA. für alle Anstalten einheitlich er­ lassenen, mit Art und Forvr der Rechnungsführung zusammen­ hängenden Vorschriften über die Jahresrechnung (vgl. oben V) in erster Reihe und unbedingt zu beachten sind. Darüber hinaus kommt für die einzelne Anstalt in Bezug auf „Aufstellung und Ab­ nahme der Jahresrechnung" in erster Reihe die Zentralbehörde des Anstaltssitzes66) und eventuell das Statut als Normenquelle in Be­ tracht, nur daß an den Befugnissen des Ausschusses nach § 71 Ziff. 3 nichts geändert werden kann. Freilich ist nach dem Wortlaut dieser Bestimmung dem Ausschuß nur die Prüfung der Rechnung und die Ziehung von Monita vorbehalten, während die entscheidende „Ab­ nahme" und die damit verbundene Entlastung oder Verweigerung der Decharge seitens der Landesregierung auch für sich selbst oder eine besonders damit betraute Staatsbehörde in Anspruch genommen werden kann. Indessen ist wohl, wie auch eine Bemerkung der Materialien nahe legt,61) nur an eine Vorrevision durch eine staat5e) §§ 3, 14, 15 der Rechnungsvorschriften. „Als Inventarien sind die­ jenigen Gegenstände zu betrachten, welche nicht zum alsbaldigen Verbrauch be­ stimmt sind, sondern während eines längeren Zeitraumes ohne Verringerung ihrer Masse benutzt werden können": Ziff. 12 der Bemerkungen. 59) Mot. Abs. 3 zu §§ 42—44 Entw. G. 89; ebenso Gebhard-Düttmann Anm. 10 Abs. 2. 60) Für gemischtstaatliche Anstalten gelten hier keine besondere Bestimmungen. 61) Komm.-Ber. zu § 45 a Entw. JVG. Dort wird regierungsseitig erklärt, daß die Bestimmung „nur den Besonderheiten im Rechnungswesen einzelnem Bundesstaaten Rechnung tragen solle".

§ 35. Vermögensverwaltung und Finanzgebahrung.

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liche Rechnungsbehörde gedacht, während die endgiltige Abnahrne dem Ausschuß verbleiben soll,62) da eine andere Regelung leicht undurchführbare Ergebnisse zeitigen könnte.65) Ergeben sich Anstände, namentlich Etatsüberschreitungen6*), bei der Rechnungsprüfung, so stehen zur rechtlichen Erledigung derselben die regelmäßiger:, im Gesetze vorgesehenen Wege offen.65) VII. Rach § 165 Abs. 3 sind die Versicherungsanstalten ver­ pflichtet, den: Reichsversicherungsamte66) nach näherer Anweisung desselben unb in den von ihm vorzuschreibenden Fristen Übersichten über ihre Geschäfts- und Rechnungsergebnisse einzureichen. Eure Zusammenfassung derselben wird alljährlich vom RVA. dem Bundes­ rate und Reichstage vorgelegt.6') Im Anschluß an die auf Grund des neuen JVG. veränderten Rechnungsvorschriften find durch Rundschr. v. 1. März 1901 auch neue Bestimmungen gemäß § 165 62) Dementsprechend ist in § 17 der bayr. VO. v. 27. Dez. 1899 bestimmt: „Die Aufstellung der Jahresrechnung obliegt dem Vorstande nach näherer Bestimmung des LVA. Die Prüfung und Abnahme der Rechnung erfolgt durch den Ausschuß nach vorgängiger Revision seitens der Regierung, Kammer des Innern." ®3) z. B. die Auffassung von Weymann Anm. 13, welcher meint, daß die Beanstandung einzelner Posten durch die revidierende Landesbehörde für die Versicherungsanstalt und selbst für das RVA. in Bezug auf die Einleitung von Regreßansprüchen unbedingt präjudiziell sein mühte. Eher gangbar ist der in Württemberg eingeschlagene Weg, wo die Aufsichtsbehörde, das LVA. selbst, nach Prüfung der Rechnung durch den Ausschuß über die Genehmigung der­ selben Beschluß faßt (§ 77 der Vollz.Verf. v. 25. Rov. 1899). ") Daß solche einer nachträglichen Genehmigung des Ausschusses unterliegen, wird von Jsenbart-Spielhagen Anm. 14 zu § 71 und Gebhard-Düttmann Anm. 3 zutreffend angenommen. 65) Vgl. § 109 (eventuell § 75, z. B. wenn der Ausschuß eine vom Vor­ stande geleistete, wenn auch im Etat nicht vorgesehene, gesetzlich notwendige Ausgabe beanstandet; vgl. Gebhard-Düttmann Anm. 3 zu § 71 mit Wey mann Anm. 5) und für Regreßklagen § 93. 6tt) Nicht auch dem LVA., welches freilich von Aufsichts wegen Abschrift der Übersicht verlangen kann. 6I) Die Nachweisung für das Jahr 1899 in AN. 01 S. 124, die für 1900, welche gemäß § 173 Abs. 1 zum ersten Mal auch die Geschäfts- und Rechnungsergebniffe der zugelassenen Kasseneinrichtungen (im reichsgesetzlichen Ausmaß) ausführlich behandelt, in AN. 02 S. 124, die Nachweisung für 1901 in AN. 03 S. 138, für 1902 in AN. 04 S. 138. Eine gesetzliche Bestimmung, wie die in § 111 Abs. 1 des mm. fastest im JVG. nicht.

358

II. Buch.

Organisation.

III. Kap.:

Versicherungsanstalten.

Abs. 3 erlassen worden?") Die Einreichung hat bis zum 1. August jedes Jahres zu erfolgen. 68) AN. 0l S. 367 ff. Einzureichen ist namentlich eine Übersicht über die Geschäftsergebnisse, welche sich über die Statistik der Organisation, der Beitrags­ einziehung, Quittungskarten, Streitigkeiten, Strafverfügungen, Sitzungen ver­ breitet, eine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben im Anschluß an die Rechnungstitel der Handbücher, eine Übersicht über den Vermögensbestand, be­ züglich auf Kassenbestand, Wertpapiere, Darlehen, Grundstücke, Inventarien. Die noch geforderte Übersicht über die anerkannten Beitragserstattungen kommt an dieser Stelle unserer Darstellung weniger in Betracht.

Drittes Buch.

Geitragöweseli. § 36.

Begriff der Beiträge.

Beiträge oder Versicherungsbeiträge') sind auf dem Gebiete der Invalidenversicherung diejenigen Geldleistungen, welche zur Deckung des Bedarfs der Versicherungsanstalten auf die zu ver­ sichernden Personen als finanzielles Äquivalent ihrer Versicherung^) entfallen?) Sie werden endgiltig teils von den Versicherten selbst, teils von den Arbeitgebern derselben getragen (§ 27 Abs. 2). Nicht zu den Versicherungsbeiträgen gehören danach: 1. Die Zuschüffe, welche das Reich zur Durchführung der In­ validenversicherung leistet. Es gilt dies zunächst von dem allgemeinen Zuschuß, welchen das Reich in Höhe von 50 M. zu jeder bewilligten ’) Der letztgedachte Ausdruck z. B. in § 69 Abs. 2, während im übrigen das Gesetz meistens schlechtweg von „Beiträgen" spricht. Vgl. dazu Bd. I S. 551, 536. 2) Über die gerade auf dem Gebiete der Invalidenversicherung besonders hervortretende Beziehung der Beiträge zur Versicherungsleistung vgl. schon Bd. I S. 262, 440, 460. 3) Gemäß dem in Bd. I S. 568 N. 1 Entwickelten wird hier der Ausdruck „entfallen" von dem Gesamtbetrag der Beiträge gebraucht, welche sich aus der Verteilung des gesamten Versicherungsbedgrss auf die Beitragsfaktoren (hier also die versicherten Personen) ergeben. Das JVG. folgt allerdings, ebenso wie die neuere Fassung des KVG. im Gegensatz zur älteren, einer anderen, minder passenden Terminologie, indem es nicht, wie § 52 Abs. 1 des KVG. v. 1883, vorschreibt, daß die Arbeitgeber die Hälfte der auf ihre Arbeiter ent­ fallenden Beiträge aus eigenen Mitteln zu leisten haben, sondern unmittelbar die Beiträge auf Arbeitgeber und Versicherte zu gleichen Teilen entfallen läßt (§27 Abs. 3, §151 Ziff. 2).

360

III. Buch. Beitragsivesen.

Jahresrente übernimmt (§ 35 mit § 125 Abs. 1). Das Reich ist zwar, wie die Zusammenstellung in § 27 Abs. 1 zum Ausdruck bringt, neben den Versicherten und Arbeitgebern Lastenträger auf dem Gebiet der Invalidenversicherung;*) aber es nimmt an der Aufbringung der Mittel für dieselbe nicht in der Weise teil, daß es den Versicherten eine Quote ihrer Beiträge abnimmt, wie dies bei den Arbeitgebern der Fall ist, sondern so, daß es sich an der ein­ zelnen, tatsächlich verwirklichten Versicherungsleistung beteiligt und dadurch von vornherein den Bedarf der Versicherungsanstalten mindert?) In diesem Sinne stellt § 27 Abs. 2 „die Zuschüsse des Reiches zu den in jedem Jahre tatsächlich zu zahlenden Renten" den „ laufenden °) Beiträgen der Arbeitgeber und der Versicherten" gegenüber. Gleiches gilt, wie später genauer dargelegt wird/) trotz der äußeren Anknüpfung an die Bcitragswoche von demjenigen „Rentenanteil", welchen das Reich int Hinblick auf die beitragslose Dauer militärischer Dienstleistungen übernimmt und welcher ihm bei der Rentenverteilttng mit einem Betrage von 18 Pf. für jede Beitragswoche zur Last gelegt wird (§ 30 Ziff. 2, § 40 Abs. 2, § 125 Abs. 1). 4) „Die Mittel zur Gewährung der in diesem Gesetze vorgesehenen Leistungen werden vom Reiche, von den Arbeitgebern und von den Versicherten aufgebracht." Über diese „Lastenträger" der Invalidenversicherung vgl. Bd. I S. 535, 636 ff. s) Näheres über die Rechtsform (Erstattung im Gegensatz zum Beitrag) schon Bd. I S. 426 N. 22, S. 536, 542 Ziff. 2. c) Was mit diesem Ausdruck gesagt sein soll, kann zweifelhaft sein. Unter besonderem Hinblick auf die Fassung von § 14 Abs. 2 Entw. G. 89 (vgl. auch Bd. 1 S. 597 N. 22) ergibt sich, daß die auf das Jahr verteilten, durch dasselbe hindurchlaufenden Wochenbeiträge der am Schluß des Jahres in einer Summe erfolgenden Zahlung des Reichszuschusses gegenüberstehen sollen. Der Gegensatz des Kapitaldeckungs- zum sog. Umlageverfahren (vgl. Graßmann Anm. 3), welche beide sowohl mit einmaligen Jahreszahlungen, wie mit Zahlungen in kürzeren Zeitperioden vereinbar sind (vgl. Bd. I S. 587), steht mit dem Aus­ druck nicht oder doch nur sehr mittelbar im Zusammenhange. 7) Vgl. unten die Lehre von der Rentenverteilung. Hier möge nur hervor­ gehoben werden, daß der das Reich treffende Rentenanteil von 18 Pf. schon ziffernmäßig nicht mit dem Wochenbeitrag in Lohnklasse II (§ 32 Ziff. 5, § 40 Abs. 1) identisch ist und daß die Mot. zu §§ 89—94 ausdrücklich „die spätere anteilige Belastung des Reichs" der (nicht angenommenen) „Zahlung von wöchentlichen Beiträgen in Lohnklasie II für die Dauer militärischer Dienst­ leistungen" durch dasselbe gegenüberstellen.

Nach dem G. 89 bezog das Reich als Äquivalent für den von ihm zu leistenden allgemeinen Rentenzuschuß von 50 M., abgesehen von einzelnen ausnahmsweisen Befreiungen, wenigstens von den sich freiwillig versichernden Personen (vgl. oben § 4) gewisse Leistungen, welche in Gestalt von Zusatzbeiträgen (Zusatzmarken) entrichtet wurden. Das Wesen derselben ist in Bd. I S. 579 s. näher erörtert worden. Das neue JVG. hat auf die Erhebung solcher Zusatz­ beiträge überhaupt verzichtet?) Im Gegensatz zum Reichszuschuß handelt es sich bei den nach § 151 Ziff. 2 im Einzugsverfahren möglicherweise eintretenden Leistungen der Gemeinden und weiteren Kommunalverbände um wirkliche Beiträge, welche sie an Stelle der Arbeitgeber gewisser unständig beschäftigter Personen zu entrichten haben und die sie ihrerseits von den eigentlich Pflichtigen wieder einziehen dürfen?) 2. Ihrem Wesen nach keine wirklichen Beiträge, sondern nur Beitragssurrogate sind diejenigen Zahlungen, welche nach § 4 Abs. 2 JVG. (vgl. oben § 13 I Ziff. la) von den Arbeitgebern der auf Grund jener Bestimmung von der Versicherungspflicht ausgenommenen Ausländer an die Versicherungsanstalt zu leisten sind. Sie sind keine Beiträge, weil sie nicht als Äquivalent für die Versicherung jener Arbeiter, sondern nur aus dem Grunde gezahlt werden müssen, damit den Arbeitgebern kein Vorteil aus der Beschäftigung aus­ ländischer Arbeiter entstehe.'") Sie sind aber Beitragssurrogate, weil sie genau in der Höhe desjenigen Betrages zu leisten sind, „den der Arbeitgeber für die Versicherung der Ausländer aus eigenen Mitteln würde entrichten müssen" (Arbeitgeberbeitrag), „wenn deren Versicherungspflicht bestünde". Die näheren Bestimmungen zur Ausführung dieser Norm hat das Gesetz dem NVA. überlassen. Dementsprechend hat dasselbe im Anschluß an den oben § 13 besprochenen Bundesratsbeschluß vom 21. Febr. 1901 seinerseits zuerst durch Bek. v. 23. März 1901 (AN. S. 365) und dann durch die an deren Stelle tretende Bek. v. 31. März 1902 (AN. S. 380) „die Entrichtung der gemäß § 4 fl) Näheres in den Mot. zu 8 lila Entw. JVG. °) Daß das Reich als Arbeitgeber Beitrüge zahlt, wie jeder andere Arbeit­ geber (Piloty S. 76), braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. 10) Vgl. Komm.-Ber. zu tz 3a Entw. JVG.

Abs.2 Satz 2 JVG. zu zahlenden Beträge"") näher geregelt. Den fraglichen Arbeitgebern ist eine binnen 3 Tagen nach dem Beginn der Beschäftigung zu erfüllende Anzeigepflicht gegenüber dem Vorstande der Versicherungsanstalt auferlegt. Der letztere über­ sendet darauf dem Arbeitgeber ein vorgeschriebenes Muster für eine von diesem aufzustellende Nachweisung. Der Arbeitgeber hat das­ selbe für das laufende Kalenderhalbjahr auszufüllen und bis zum 1. August bezw. 1. Februar zurückzusenden. Auf Grund dessen stellt der Vorstand den zu entrichtenden Betrag fest und teilt ihn dem Arbeitgeber gleichzeitig mit den Unterlagen der Berechnung mit. Die Einsendung erfolgt auf Kosten der Versicherungsanstalt. Da nach der Absicht des Gesetzes die Arbeitgeber des § 4 Abs. 2 genau so behandelt werden sollen, als wenn ihre ausländi­ schen Arbeiter versicherungspflichtig wären, so werden auf die von ihnen zu entrichtenden Beitragssurrogate alle formalen Bestimmungen, welche das Gesetz über die eigentlichen Beiträge gibt, entsprechende Anwendung finden."*) Für die Strafbestimmung des § 176 Abs. 1 ist das in Abs. 2 ausdrücklich hervorgehoben. Hiernach greift ins­ besondere die Strafbefugnis des Anstaltsvorstandes (bis 300 M.) Platz, wenn der Arbeitgeber den ihm liquidierten Betrag nicht recht­ zeitig an die Versicherungsanstalt einsendet. Da die Bestimmungen des NVA. eine allgemeine Frist für diese Einsendung nicht fest­ setzen, so wird diejenige maßgebend sein, welche der Vorstand bei der „Aufforderung, den festgestellten Betrag einzusenden", angibt; eventuell muß die Einsendung unverzüglich d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB.) erfolgen. Da aber § 176 Abs. 2 JVG. die „entsprechende" Anwendung der in Abs. 1 enthaltenen Straf­ bestimmung auf die Nichterfüllung aller, den Arbeitgebern „gemäß § 4 Abs. 2 obliegenden Verpflichtungen", also einschließlich der durch die Ausführungsbestimmungen des Bundesrats und des NVA. mittel­ bar begründeten, vorschreibt, so wird auch die Versäumung der rechtzeitigen Anzeige oder der Einsendung des ausgefüllten Musters in n) Nicht „Beiträge". Dieser Ausdruck wird sowohl im Gesetz, wie in den Ausführungsbestimmungen passend vermieden. Vgl. noch das Rundschr. v. 31. März 1902 und in Betreff der Buchung der gezahlten Beträge das vom 8. Jan. 1902, AN. 02 S. 381 f. lla) Natürlich nicht die Verwendung von Beitragsmarken. Der Betrag ist bar einzusenden: Bek. NVA. Ziff. 4 a. E.

§ 37.

Die zuständige Versicherungsanstalt.

363

gleicher Weise gestraft werben können, obgleich diese Pflichten in § 176 Abs. 1 kein unbedingtes Analogon finden. Aber auch über die ausdrückliche Vorschrift des § 176 Abs. 2 hinaus werden z. B. die gesetzlichen Bestimmungen über Beitreibung, Konkursvorrecht, Verjährung, Streitigkeiten, welche sich auf die eigentlichen Versiche­ rungsbeiträge beziehen, auch auf die hier in Rede stehenden Beitrags­ surrogate anzuwenden fein.I2)

1. Kapitel. Die sormateir Krurrdtagen. § 37. Die zuständige Versicherungsanstalt. 1. Alle Beiträge werden an eine bestimmte einzelne Versiche­ rungsanstalt entrichtet. An diesem Grundsatz ändert sich auch da­ durch nichts,') daß nach neuem Recht (§ 33 Abs. 3 JVG.) von dem Gesamtbetrag der eingegangenen Beiträge eines Rechnungsjahres bei jeder Anstalt ein Teil (4/io) buchmäßig zu einem sog. „Gemein­ vermögen" ausgeschieden wird, welches zur Deckung der von allen Anstalten gemeinsam aufzubringenden Last (Gemeinlast) bestimmt ist. Dementsprechend werden die Versicherungsmarken, durch deren Einkleben in eine Quittungskarte die Entrichtung der Beiträge grundsätzlich erfolgt (§ 131 Abs. 1), von der einzelnen Versiche­ rungsanstalt ausgegeben und tragen als Unterscheidungsmerkmal deren Namen?) Durch die Entrichtung der Beiträge erfolgt nach ,2) Ebenso Piloty S. 20. Die Frage der von ihm angenommenen An­ wendbarkeit des Einzugsverfahrens (§ 148) erledigt sich durch den tatsächlichen Inhalt der Ausführungsbesttmmungen. Eine Änderung desselben durch die in. § 148 Abs. 1 genannten Instanzen ist jedenfalls ausgeschlossen. 0 Dies um so weniger, als, wie später auszuführen sein wird, auch das Gemeinvermögen rechtlich kein gemeinschaftliches Eigentum aller Anstalten, sondern ein Alleineigentum jeder einzelnen Anstalt, in deren Büchern es geführt wird, behaftet allerdings mit einem der Gemeinschaft dienenden Verwendungs­ zwecke, darstellt. 2) § 130 Abs. 1 JVG. mit der Bek. RVA. v. 27. Okt. 1899 unter II A, 6 u. 7 (AN. 00 S. 184).

364

III. Buch.

Beitragswesen.

I. Kap.:

Die formalen Grundlagen.

der Sprache des Gesetzes „die Versicherung in oder bei der be­ treffenden Versicherungsanstalt" (§ 65 Abs. 3 Satz 1 mit 5). II. An welche Versicherungsanstalt die Beiträge zu entrichten sind, bestimmt sich nicht nach der freien Wahl des Versicherten oder seines Arbeitgebers; auch die freiwillige Versicherung gewährt ein solches Wahlrecht nicht. Vielmehr wird die zuständige Anstalt unmittelbar durch gesetzliche Normen bestimmt. Nach denselben konlmt als entscheidendes Moment entweder der Beschästigungsort d. h. der Ort der tatsächlichen Arbeitsleistung') oder der Mittelprmkt des wirtschaftlichen Ganzen, für welches die Arbeit geleistet wird, insbesondere der Sitz des betreffenden Betriebes*) oder endlich, bei freiwilliger Versicherung, der Aufenthaltsort des Versicherten in Betracht. Was aber das Verhältnis von Beschäftigungsort und Betriebssitz als Grundlage für die Bestimmung der Zuständigkeit anlangt, so ist, wie die Ausführungen in Bd. I S. 188 ff., 602 ff. ergeben, in der Arbeiterversicherungsgesetzgebung zunächst die Tendenz vorhanden gewesen, den Beschäftigungsort als maßgebendes Moment zu Gunsten des Betriebssitzes zurückzudrängen, während das neue JVG. auf Grund hervorgetretener Unzuträglichkeiten (vgl. oben § 13 N. 8) wieder mehr die entgegengesetzte Richtung verfolgt. III. Während daher für versicherungspflichtige Personen im allgemeinen das G. 89 § 41 Abs. 3 den Sitz des inländischen Be­ triebes, in dem die Beschäftigung stattfand, für maßgebend erklärte, stellt das JVG. § 65 Abs. 3 Satz 1 den Ort der tatsächlichen Be­ schäftigung voran. „In der Versicherungsanstalt sind alle diejenigen Personen zu versichern, welche in deren Bezirke beschäftigt werden." Die Regel ist also die Zuständigkeit der Anstalt des Beschäftigungs­ ortes; die Fälle, in denen der Betriebssitz oder ein analoger wirt­ schaftlicher Mittelpunkt entscheidet, sind „Ausnahmen"?) Hiernach ergibt sich im ganzen zunächst folgendes: 3) Vgl. oben § 13 N. 6. — Im ganzen v. Frankenberg. Die Bedeutung t>e§ Beschäftigungsortes in der deutschen Arbeiterversicherung (Annalen des Deutschen Reichs 1902 S. 743 ff.). 4) Oben § 13 9t. 7 und die dort citierten Stellen von Bd. 1, besonders S. 228 ff. auch über den Begriff und die Bestimmung des Betriebssitzes. 5) Mot. zu § 41 Entw. ZVG. Abs. 3 Satz 2. — Die hierauf gegründetes Bestimmungen des § 65 Abs. 3, 4 finden bei der Dvrchführung der Invaliden­ versicherung auch in verschiedenen anderen Beziehungen' als zur Feststellung der

§ 37.

Die zuständige Versicherungsanstalt.

365

1. Personen, welche außerhalb des Betriebssitzes beschäftigt werden, waren nach früherem Rechte nur dann am Beschäftigungs­ orte versichert, wenir der Teil des Betriebes, dem sie ihre Dienste widmeten, nach Dauer, Umfang, Unabhängigkeit von der Haupt­ leitung oder ähnlichen Momenten als ein eigener Teilbetrieb, ins­ besondere als relativ selbständige Zweigniederlassung mit einem be­ sonderen Mittelpunkte an jenem Beschäftigungsorte, angesehen werden konnte?) Nach geltendem Rechte sind für die in auswärtigen Be­ triebsteilen beschäftigten Arbeiter die Beiträge auch dann an die Anstalt des Beschäftigungsortes zu entrichten, wenn jene besondere Voraussetzung nicht gegeben ist?) 2. Immerhin ist doch auch schon der Beschäftigungsort nicht als Ort jeder augenblicklichen Arbeitsleistung, sondern unter der Einwirkung des rechtlichen Beschäftigungsverhältnisses b) bei Personen, welche zur Dienstleistung an einem bestimmten Orte engagiert sind, als Ort dieser ihrer regelmäßigen Beschäftigung zu verstehen. Die Praxis macht von dieser Auffassung bei Dienstboten, welche ihre Herrschaft vorübergehend auf Reisen oder in einen Sommeraufenthalt begleiten, Gebrauch/) und in derselben Weise werden einzelne geschäftliche oder Dienstreisen von Angestellten zu beurteilen fein.*10)* * * * * 7 8 * zuständigen Versicherungsanstalt, Anwendung. So gemäß dem obigen § 13 mit § 21 II zur Bestimmung der Versicherungspflichtigkeit und Versicherungs­ berechtigung nach dem Gegensatz von Inland und Ausland (vgl. aber § 13 N. 37), so auch sonst zur Regelung von Zuständigkeiten (vgl. z. B. das Citat in § 155 Abs. 1) und materiellen Verhältnissen. Eine vollständige Zusammen­ stellung bei Gebhard-Düttmann Anm. 7 zu § 65. Wenn dieselben aber den Sätzen 3 und 4 in Abs. 3 des § 65 nur Bedeutung für die Markenverwendung einräumen wollen (Anm. 6 Abs. 2), so vermisse ich dafür die Begründung; vgl. übrigens dort Anm. 9 Abs. 1. °) Anleitung RVA. von 1890 Ziff. XX Abs. 3 mit AN. 91 S. 151 Nr. 35 und AN. 94 S. 96 Nr. 344 und dazu über Teilbetriebe, im Gegensatz zu bloßen Betriebsteilen, Bd. I S. 244 ff. 7) Vgl. die Ausführung der Mot. zu § 65. Hier wird in Abs. 3 eine Änderung des bisherigen Rechts gerade „für entfernt liegende Teilbetriebe" (besser wohl: Betriebsteile) „oder unselbständige Zweigniederlassungen" und „insbesondere" mit Bezug auf die „für einen solchen Teilbetrieb oder die Zweig­ niederlassung angenommenen Stammarbeiter" als zweckmäßig begründet. ») Vgl. Bd. 1 S. 188 oben. 8) AN. 00 S. 841 Nr. 864, auch Gebhard-Düttmann Anm. 5 a. E.; ,baju oben § 13 N. 45 und 48 und unten in diesem Paragraphen N. 27. Den­ selben Standpunkt für die Krankenversicherung vertretend Erk. bad. VGH. t>.

366

III. Buch. Beitragswesen. I. Kap.: Die formalen Grundlagen.

3. Bei einer Beschäftigung „an wechselnden Orten" führt die Einheitlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses passend dazu, von dem einzelnen Beschäftigungsorte ganz abzusehen und den Betriebssitz als entscheidende Örtlichkeit zu verwenden. Diesem Bedürfnis kommt das JVG. § 65 Abs. 3 Satz 2 dadurch entgegen, daß es auf die Bestimmung des Beschäftigungsortes im Sinne der Invaliden­ versicherung die Vorschriften des § 5a KVG. überträgt, von denen unter IV besonders die Rede sein soll. 4. Soweit infolge der Anwendung der allgemeinen Regel S. 319 N. 3. Wenn das Gegenteil bei den Verhandlungen des Reichstags ion einzelnen, Rednern daraus geschloffen werden wollte, daß eine Änderung des Gesetzes,, welches ja jetzt die Beiträge festsetze, selbst wieder ein Gesetz sei urd in Gesetzessorm ergehen müsse (Abg. Rösicke-Dessau, Sten. Ber. S, 2251 A, Abg. Büsing S, 225:1 B), so ist die Voraussetzung unzutreffend. Die Änderung der Beiträge wird ja im Gesetz vorgesehen und nach ihren Bedingurgen geregelt •» dieselbe erfolgt also eintretenden Falls nicht gegen, sondern cerade in Ge­ mäßheit des Gesetzes. Sonst müßte die Vertagung des Reichstages aus mehr als 30 Tage gemäß Art. 26 der Reichsverfassung eine Verfassungsänderung feint

§ 43*

Lohnklaffen.

449

maßgebenden Prinzipien im Gesetze selbst enthalten sind. Zu den Folgerungen, die aus dieser Auffassung bereits bei Gelegmheit der oben angeführten früheren Erörterung gezogen worden sind, tritt daher hier die weitere materielle hinzu, daß, so lange jene gesetz­ lichen Grundlagen für die Beitragsbemessung nicht durch formelles Gesetz geändert sind/') der Reichstag nicht berechtigt ist, einseitig von ihnen abzugehen, vielmehr die gesetzliche, wenn auch formell unerzwingbare22) Pflicht hat, diejenigen, auch höheren, Beiträge zu bewilligen, welche für die Durchführung der gesetzlichen Grundlagen und Leistungen erforderlich finb.23) 9. Der im G. 69 vorgeschriebene Reservefonds sollte dort gegen« über dem angenommenen System der Anspruchsdeckung eine tat­ sächliche Annäherung an das System der Anwartschaftsdeckung her­ vorbringen (vgl. Bd. I S. 567 R. 21). Nachdem dieses letztere jetzt selbst im Gesetz zur Grundlage genommen ist, konnte, entsprechend dem Entw. G. 89, von der Ansammlung eines Reservefonds Abstand, genommen werden. Der bereits vorhandene Reservefonds wächst damit dem allgemeinen Anstaltsvermögen zu.

§ 43. Lohnklaffen. I. Wie aus § 42 Ziff. 6 dieser Darstellung sich ergibt, sind die Beiträge nach den Lohnklaffen, deren das Gesetz jetzt fünf kennt, abgestuft. Diese Verschiedenheit der Beiträge nach den Lohnklaffen ist aber jetzt die einzig zulässige. Auch die nach § 24 Abs. 2 G. 89 mögliche verschiedene Bemessung nach Berufszweigen hat das neue JVG. ausgeschlossen, so daß „in den verschiedenen Lohnklassen die Beiträge für die einzelnm Versicherten" unbedingt „gleich zu be21) Dies könnte durch gesetzliche Feststellung eines anderen Deckungssystems oder auch durch Änderung der Höhe des gesetzlichen Reichszuschusses (§ 35) er­ folgen. Zu letzterer Eventualität Graf v. Posadowsky, Sten.Ber. S. 2248. 22) Das ist zwar richtig, begründet aber nicht die Schlußfolgerung Gebhard-Düttmanrrs Anm. 8, 22 über die rechtliche Bedeutungslosigkeit des Abs. 2 für die Entschließungen des Reichstags. 23) Vgl. dazu Antrag Frhr. v. Richt Hofen Nr. 302 (Sten. Ber. S. 2248 A), Abg. Hitze S. 2249 C, Graf v. Posadowsky S. 2248. Zurück­ ziehung des Antrags wegen der bemängelten Fassung (S. 2250 C). Ferner Graf v. Posadowsky S. 2251 C. Rosin, Recht der Arbeiterversicherung.

Band II.

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m. Buch. Beitragswesen.

II. Kap.:

Die Beitragshöh

messen sind" (§ 32 Abs. 3). Geschlecht, Alter, Gesundhit der ein­ zelnen Versicherten und das dadurch für die Versicherumbeegründete verschiedene Risiko dürfen bei der Beitragsfeststellung nichiinBetracht gezogen werden. In welchem Verhältnis die Beiträge nach denLo!»hnklaffen abzustufen sind, bestimmt das Gesetz in § 32 Abs. 3 mhhin, daß dafür „lediglich die durchschnittliche Höhe der in denselbn von den Versicherungsanstalten zu gewährenden Renten" maßeb»end sein solle. Damit ist das Prinzip des § 24 Satz 1 G.N„ wonach jede Lohnklaffe die ganze, durch sie entstehende Belatumg allein tragen und gleichsam eine eigene Versicherungskaffe fü siich bilden sollte, aufgegeben.') Richt mehr sollen sämtliche Morentte, welche im Zusammenhange mit der verschiedenen Lohnhöhe ds Mtsiko in den einzelnen Klaffen günstig oder ungünstig beeinflusset,*2))3 bei der Beitragsbemessung für dieselben in Betracht kommen, studiern einzig und allein die gleichfalls nach den Lohnklaffen abgestuie, in denselbm gewährte Versicherungsleistung. Und selbst dies nvird nur, soweit sie in Renten besteht, in Betracht gezogen; alle otberen Auf­ wendungen der Versicherungsanstalten, mögen sich diesebem auch in anderem Verhältnis, als die Rentenlast, auf die einjinen Klaffen verteilen, werden nicht berücksichtigt?)

n.

1) Das nähere über den Standpunkt des früheren Recks vgl. Bd. I S. 620 ff. Der Versuch der Mot. Abs. 3, 4 zu §§ 20-21 a Entv. ZVG., nach­ zuweisen, daß auch das G. 89 die Bemessung der Beiträge in xdelr Lohnklaffe nur nach der Höhe der Rentenbeträge und nicht auch nach „der besonderen Ge­ fahr, welche diese Lohnklasse für Leben und Gesundheit bot", gevolLt habe und daß die gegenteilige Ansicht wohl aus „streng wörtlicher Ausrgumg der bis­ herigen Fassung gefolgert" werden konnte, aber nicht der Absiht Les Gesetzes entsprach, muß nach den Bd. I a. a. O. beigebrachten Gesetzesnaterialien ent­ schieden zurückgewiesen werden. Ebenso auch Gebhard-Düttnarrn Anm. 13. 2) z. B. die Tatsache, daß in den höheren Lohnklassen regelmäßig ältere, der Invalidität mehr ausgesetzte Arbeiter sich befinden; vgl. Bd.I S. 621 R. 38. 3) Hiernach gestaltet sich die Berechnung der Beiträge für jede künftige Revisionsperiode im ganzen folgendermaßen: Zunächst wird der (für alle An­ stalten gleiche) Durchschnittsbeitrag b berechnet. Dies geschieht, indem nach Maßgabe des oben § 42 Ziff. 3 mit 7 Entwickelten zunächst auf der einen Seite derjenige Betrag ermittelt wird, welcher nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung für den Zeitpunkt, für welchen die Rechnung aufgestellt wird, unter Hinzu­ rechnung von Zinsen und Zinseszinsen erforderlich ist, um daraus alle künftigen Aufwendungen der Anstalten für Renten, Beitragserstattungen, Heilverfahren

§ 43.

Lohnkl-ssen.

451

III. Die fünf Lohnklassen, nach denen die Beiträge für alle Versichertem 0 entrichtet werden müssen, werden nach der Höhe des JahresarbsitSverdienstes derart gebildet, daß die 1. Klaffe bis ein­ schließlich 350 M., die 2. von 350—550, die 3. von 550—850, die 4. vom 850—1150 M. reicht und die 5. Über 1150 M. hinaus­ geht (§ 34 Abs. 1 Satz 1). Dementsprechend findet die Einreihung der 33erfilterten grundsätzlich nach der Höhe eines für sie voraus­ gesetzten Jahresarbeitsverdienstes statt. Davon gibt es jedoch folgende prinzipielle Ausnahmen: 1. Denjenigen, welche sich in irgend einer Form freiwillig ver­ sichern, steht jetzt nach § 145 Abs. 1 Satz 2 die Wahl der Lohnklaffe, ohne Rücksicht auf ihren Arbeitsverdienst, völlig frei. Die Vorschriften des § 34 beziehen sich daher durchweg nur auf Versicherungs­ pflichtige. Und zwar gilt die freie Wahl der Lohnklaffe bei frei­ willig Versicherten für jede einzelne Beitragsentrichtung; sie braucht nicht in derjenigen Klaffe fortgesetzt zu werden, in der sie begonnen wurde?) und Verwaltung bestreiten zu können. Dieser Gesamtbelastung steht aus der anderen Seite das zu dem gleichen Zeitpunkt vorhandene Vermögen und der Wert aller künftig zu erwartenden Beiträge gegenüber, welcher letztere sich als bestimmtes, rechnungsmäßig gefundenes Vielfaches von b darstellt. Aus der daraus sich «ergebenden Gleichung ist b zu entnehmen. — Darauf wird die durchschnittliche künftige Rentenleistung in den einzelnen Lohnklassen und aus ihr der Gesamtdurchschnitt der Rentenleistung in allen Lohnklassen (in der ganzen Anstatt) berechnet. So wie sich nun die Anstaltsrentenleistung zum An­ staltsbeitrag «b verhält, so verhält sich auch die Rentenleistung einer bestimmten einzelnen Lohnklasse zu dem für sie zu ermittelnden Beitrag. (Näheres über diese Berechnungen in der der Begründung des Entw. JVG. beigefügten mathematischen Denkschrift, zu Drucks. Nr. 93, besonders S. 1, 63, 76, sowie in Anl. 2 zum Komm.Ber., Drucks. Nr. 270, besonders S. 196, 197). — Die oben § 42 Ziff. 8 entwickelten Sätze über das Zustimmungsrecht des Reichstags im Falle von Beitragsänderunigen gelten unverändert, auch wenn nur in einzelnen Lohnklassen der Beitrag anderweit festgesetzt werden soll. Unzutreffend ist es auch hier (vgl. oben § 42 N. 22), wenn Gebhard-Düttmann die Bestimmung des § 32 Abs. 3 als rechtlich bedeutungslos ansehen (S. 224 Abs. 1). 4) Auch für Seeleute (Ziff. 3 der Bundesrats-VO. v. 20. Dez. 1894) und für Hausindustrrielle (Ziff. 2 der bezüglichen Verordnungen; vgl. oben § 22) gilt das Lohnklarssensystem. Näheres darüber unten bei ver Darstellung der Beitragsentrichtumg für diese Klassen von Versicherten. °) Praktische Ratschläge über die Wahl der Lohnklasse bei GebhardDüttmann Anim. 6 zu § 145.

2. Nach § 22 G. 89 sollten die Bestimmungen des Abs. 2 über die Einreihung der Versicherten in die Lohnklaffen nach Maßgabe ihres Arbeitsverdimstes nur Platz greifen, sofern nicht Arbeitgeber und Versicherter über die Wahl einer höheren Lohnklasse einver­ standen warm?) Abweichend von Ziff. 1 steht also hier nicht die Wahl der Lohnklaffe schlechtweg, sondern nur die einer höheren, als der gesetzlichen Lohnklaffe frei. In der Ermöglichung dieser frei» willigen Höheroersicherung geht aber das JVG. § 34 Abs. 4 weiter, als das frühere Recht, indem es dieselbe ausschließlich von dem einseitigen Willen des Versicherungspflichtigen abhängig macht. Eine Vereinbarung zwischen diesem und seinem Arbeitgeber hat jetzt nur noch Bedeutung für die Verteilung des höheren Beitrags auf die beiden Parteien des Arbeitsverhältniffes; erfolgt eine solche nicht, so braucht der Arbeitgeber nur denjenigen Betrag auf sich zu nehmen, der ihn bei Einreihung des Arbeiters in die gesetzlich vorgesehene Lohnklaffe treffm würde. 3. Bei versicherungspflichtigen Lehrern und Erziehern7) ent­ scheidet der Jahresarbeitsverdienst nur in gewissem Umfange, im Übrigen aber die Tatsache des Berufes, dem sie angehören. Nach dieser können sie niemals in die drei untersten Lohnklaffen eingereiht werden. Sie gehören vielmehr kraft Berufes der vierten an, sofern nicht wegen ihres 1150 M. übersteigenden Jahresverdienstes die fünfte Klaffe für sie Platz greift. ®) „Wichmarrrrsche Klausel", so genannt nach dem Urheber des gesetzlichen Zusatzes. 6a) Die freiwillige Höherversicherung ist zwar ihrer Substanz nach keine freiwillige Versicherung (vgl. oben § 4 N. 6), steht ihr aber, soweit es sich um die Entrichtung von Beiträgen in einer höheren, als der maßgebenden Lohn­ klaffe handelt, in gewissem Umfange gleich. Vgl. AN. 95 S. 113 Nr. 417 und jetzt hinsichtlich der nachträglichen Beitragsentrichtung § 146 Satz 2. ') Uber den Begriff vgl. oben § 19. Trotz des allgemein lautenden Aus­ drucks bezieht sich die Bestimmung nur auf versicherungspflichtige Lehrer (vgl. im Text HI, 1); freiwillig sich versichernde (§ 14 Ziff. 1 JVG.) können auch eine niedrigere Lohnklasse wählen. Auch Lehrerinnen und Erzieherinnen sind mitbegriffen. 8) Der Wortlaut: „wenn nicht ein Jahresarbeitsverdienst von mehr als 1150 Mark nachgewiesen wird" hat nicht die Bedeutung, die Einreihung in die 5. Klaffe von einem Antrag des Versicherten abhängig zu machen; vgl. Gebhard-Düttmann Anm. 22 Abs. 1. Die Einrechnung von Natural­ bezügen vollzieht sich nach allgemeinen Grundsätzen.

§ 43.

Lohnklaffen.

453

IV. Für die Einreihung in die Lohnklaffen kommt nicht der Jndividmallohn der einzelnen Versicherten, sondern regelmäßig ein vom Gesetz näher bestimmter, für sie als maßgebend bezeichneter Klaffenlohn in Betracht.?) Nur ausnahmsweise tritt der Jndividuallohn unmittelbar oder mittelbar in Geltung: 1. Von allgemeinster Bedeutung ist hier § 34 Abs. 3 JVG. „Sofern im voraus für Wochen, Monate, Vierteljahre oder Jahre eine feste bare Vergütung vereinbart und diese höher ist, als der nach Abs. 2 für den Versicherten maßgebende Durchschnittsbetrag" (Klasseirlohn), „so ist diese Vergütung zu Grunde zu legen". Die Bestimmung gilt für alle Arten von Versicherungspflichtigen, für welche m § 34 Abs. 1 Klassenlöhne als maßgebend erklärt sind, und ist eine, ihrem Wesen nach genau auszulegende Ausnahmevorschrift.'") Sie setzt voraus, daß der Versicherte einen im voraus vereinbarten Barlohn bezieht. Naturalbezüge, welche ihm daneben zukommen, schließen zwar die Anwendung der Bestimmung nicht aus, roerben aber andererseits in den dafür maßgebendm Barlohn nicht (nach ihrem Werte: § 3 Abs. 1) eingerechnet.'"») Diese Barvergütung muß als „feste" für größere Zeitabschnitte, als deren kleinster die Woche erscheint,") vorausvereinbart sein. Der Begriff der festen Vergütung ist nicht unzweifelhaft.'^) Nach der Absicht des Gesetzes ») übet Klassenlöhne vgl. Sb. I S. 206 ff. Daß der Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 2 auf den Gegensatz von „Jndividuallohn" und „Durchschnittslohn einer gewissen Klasse von Versicherten" (Klassenlohn) abzielt, ist in den Mot. Abs. 1 zu § 22 Entw. JVG. ausdrücklich ausgesprochen. Dagegen ist der Wortlaut des Gesetzes, welcher den „tatsächlichen Arbeitsverdienst" „einem Durchschnittsbetrage" gegenüberstellt, insofern nicht zutreffend, als auch der Jndividuallohn unter Um­ ständen durch eine Durchschnittsberechnung gefunden wird; vgl. z. B. unten N. 20. 10) AN. 00 S. 838 Nr. 858 Abs. 3. Daß dieselbe den vom Gesetz verfolgten, in § 34* Ziff. 1 hervortretenden Zweck, durch Annäherung des Beitragssystems der Invalidenversicherung an das der Krankenversicherung das Einzugsverfahren zu erleichtern und zu fördern, durchkreuzen muß, wurde schon in der Kommission zu § 22 Entw. JVG. (Drucks. Nr. 270 S. 85 a. E.) hervorgehoben; vgl. auch v. Frankenberg in Mainzer Ztschr. Bd. 10 S. 9. 'o») AN. 00 S. 648 Nr. 809. u) Dagegen wird man doch wohl anzunehmen haben, daß, wenn die feste Vergütung nach einer Periode von Tagen, welche die Woche überschreitet (z. B nach je 10 Tagen), bemessen wird, die gesetzliche Bestimmung Anwendung findet. Abweichend Gebhard-Düttmann Anm. 23 litt, c a. E. 12) Ähnliche Schwierigkeiten in Bezug auf den Begriff des „festen Gehalts" vgl. Bd. I S. 198, 504.

ist die Vergütung dann eine feste, wenn sie in bestimnenn ziffern­ mäßigen Betrage vereinbart und grundsätzlich nicht mach dem Arbeitserfolge oder der Dauer der tatsächlichen Arbettsletumg inner­ halb der Lohnperiode bemessen werden soll. Dabr scheiden Tantiemen oder Akkordlöhne"*) hier aus; ebenso abr auch die Fälle, in denen der Wochenlohn usw. nur im Sinne eins mormalen Maßstabes für eine tatsächliche Arbeitsleistung an sech- Wagen zu so und so viel Arbeitsstunden gemeint ist, derart, daß Übierstunden besonders honoriert und für versäumte Stunden besonder Kürzungen abgezogen werden sollen.") Dagegen wird eine vetralgsmäßige Lohnkürzung für außerordentliche Fälle z. B. bei Krmkcheit oder Urlaub an einzelnen Tagen usw. der Anwendung von Albs. 3 cit. und zwar nach Maßgabe der vollen vereinbarten Vergütmg u) nicht entgegenstehen. Ist der Lohn nach kleineren Zeiteinheitn, als nach Wochen, also namentlich nach einzelnen Tagen vereinbat, so nützt es nichts, daß die Dauer des Arbeitsverhältniffes nach Naßgabe der verabredeten Kündigungsbedingungen eine auch für fingere Zeit­ räume gefestigte ist.") Anwendung findet aber der As. 3 über­ haupt nur, wenn der unmittelbar ausgeworfene oder >urch Multi­ plikation") ermittelte Jahresverdienst des Versicherten höher ist, als der nach Abs. 2 maßgebende Klassenlohn;16a) dabei linnen aller­ dings die Löhne für mehrere gleichzeitig bestehende rerffcherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zusammengerechnet werden, romn für jedes einzelne die Voraussetzung des Abs. 3 zutrifft.") «a) Es sei denn, daß ein Mindestbetrag derselben garantiert iß; dann würde dieser in Betracht kommen. Ebenso Jsenbart-Spielhagen llmn. 22 zu b, Graßmann Sinnt. 13. 1d) AN. 00 S. 837 Nr. 858; dazu schon Frankenberg a. a.O. S. 11. H) So Jsenbart-Spielhagen Sinnt. 23 und Gebhard-Düttmann Sinnt. 23 litt, d 8, die daher jedenfalls auch im Prinzip übereinstmmen. ") Jsenbart-Spielhagen „zu e"; Gebhard - Düttmcnn litt, c 7; Graßmann Sinnt. 13. 16) Mit 52, 12 oder 4 oder auch dem sonstigen Faktor, der sich durch Division der Lohnperiode in das Jahr (ohne Berücksichtigung rines etwaigen Restes) ergibt. 18a) Bei mehrfacher Beschäftigung auch höher als der gemäß der sonstigen Beschäftigung sich ergebende Klassenlohn (AN. 02 S. 395 Nr. 970 a. E.). n) Gebhard-Düttmann litt, d ß.

§ 43.

Lohnklaffen.

455

2. Für die Einreihung der Lehrer und Erzieher in die 5. Lohnklasie (vgl. oben III, 3) ist ihr individueller Jahresverdienst und zwar nach Naßgabe der jeweiligen, ihnen zukommmden Bezüge'") entscheidend. Ebenso wird bei land- und forstwirtschaftlichen Betriebsbeamtm, wie noch näher zu zeigen, ein Jndividuallohn zu Grunde gebgt (§ 34 Ziff. 2). Endlich kann derselbe auch mittelbar nach Maßgcbe der in § 34 Ziff. 1 in Bezug genommenen, für die Krankewersicherung geltenden Arbeitsverdienste zur Anwendung kommen. V. Hiernach ist für die Einreihung in die Lohnklassen der Jahresverdienst der Versicherten gemäß § 34 Abs. 2 Ziff. 1—5 in folgender Weise zu bestimmen: 1. Als Jahresverdienst solcher Versicherten, welche einer Orts-, Betriebs-, Jan- oder Jnnungskrankenkaffe als Mitglieder angehören, gilt das drnhundertfache des täglichen Arbeitsverdienstes, welcher für ihre Krankenkaffenbeiträge maßgebend ist.'") Derselbe kann ent­ weder gemcß § 26a Ziff. 6 KVG. und dem Kaffenstatut ein Jndividuallohn"°) oder gemäß § 22"') mit § 20 Abs. 1 Ziff. 1 und Abs. 2 KVG?") ein mehr oder wmiger spezialisierter Klaffenlohn (vgl. Bd. I S. 207) sein. Nach § 20 Abs. 1 Ziff. 1 cit. kommt der durchschnittliche Tagelohn der Kaffenmitglieder schlechtweg, nach § 20 Abs. 2 der durchschnittliche Tagelohn der innerhalb der Kaffe gemäß dem Statut etwa gebildeten Quantitäts- oder Qualitäts­ klassen (vgl. Bd. I S. 581) in Betracht?") Eine größere Speziali18) Gebba.rd- Düttmann Anm. 22 Abs. 3. lß) Vgl. oben N. 10. 20) Das Gesetz spricht vom „wirklichen Arbeitsverdienst der einzelnen Ver­ sicherten". Daß derselbe der Zeit nach auch ein durchschnittlicher (z. B. bei Akkordlohn) sein kann, vgl. Bd. I S. 206 N. 13 und z. B. § 31 mit § 13 des Normalstatuts für Ortskrankenkaffen, bei v. Schicker, Kommentar zum KVG. (1893) S. 541, 528. 21) Dieser zunächst entscheidende Paragraph ist beim Citat in § 34 Ziff. 1 ZVG. weggeblieben. 22) Für Betriebskrankenkassen vgl. § 64, für Baukrankenkassen § 72 Abs. 3, für Jnnungskassen § 73 Abs. 1 KVG. 23) Die eventuelle Minderung aus 4 bezw. 5 Mk. für den Arbeitstag (§ 20 Ziff. 1 und Abs. 2, § 26a Ziff. 6) bildet, wie § 20 Abs. 2 Satz 2 KVG. ergibt, schon ein Moment der Festsetzung des für die Krankenversicherung maßgebenden Arbeitsverdienstes und greift daher als solches auch auf das Gebiet der Zn-

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III. Buch. Beitragswesen.

II.Kap.: Die Beitragshöhe.

sierung dieser Tagelöhne ergibt sich dann aus ihrer verschiedenen Feststellung für Männer, Frauen und junge Leute unter 16 Jahren (§ 8 KVG.). Die Tagelöhne für die letzteren kommen auch auf dem Gebiete des JVG. dadurch in Betracht, daß dieselben auch für die über 16 Jahre alten Lehrlinge zu gelten haben.*2*) Behandelt werden nach § 34 Ziff. 1 alle Mitglieder der dort genannten organisierten Kassen, zu denen aber die Hilfskaffen, auch wenn sie als gleichwertig anerkannt sind, nicht gehören. Ob die Mitglied­ schaft bei der Krankenkasse notwendig oder freiwillig ist, macht keinen Unterschied. Ebenso kommt es nur auf die tatsächliche Zu­ gehörigkeit zur Kasse an; eine Untersuchung ihrer Rechtmäßigkeit hat auf dem Gebiete der Invalidenversicherung keinen Platz.26) 2. Besonders behandelt das Gesetz (Ziff. 2) „die in der Landund Forstwirtschaft beschäftigten Personen" und regelt deren maß­ gebenden Jahresverdienst unter teilweiser Heranziehung des landund forstwirtschaftlichen UVG. v. 5. Mai 1896, an dessen Stelle jetzt die neue Fassung dieses Gesetzes v. 30. Juni 1900 getreten ist.26) Dementsprechend wird auch grundsätzlich der Begriff der Land- und Forstwirtschaft parallel mit dem der land- und forstwirtschaftlichen, dem G. v. 30. Juni 1900 unterstehenden, Betriebe22) zu bestimmen validenversicherung über. Danach kann möglicherweise das Interesse an dev Invalidenversicherung der Kassenmitglieder auf die Entschließungen über das Beitragssystem der Kasse zurückwirken. 24) AN. 91 S. 128 Nr. 20. — Der Satz des Textes wird allerdings un­ bedingt nur bei Anwendung von § 8 KVG. (§ 34 Ziff. 5 JVG.) und von § 20 Abs. 1 Ziff. 1 KVG. zu gelten haben. Werden in der Kasse gemäß § 20 Abs. 2 KVG. Klaffen gebildet, so entscheidet zunächst das Kassenstatut, in welche der Klassen die Lehrlinge einzureihen sind. Vgl. Appelius in ArbV. 02 S. 266 und die dort citierte Entsch. NVA. v. 24. März 1902. 2°) AN. 01 S. 633 Nr. 937. 26) § 1 Abs. 3 des sog. Mantelgesetzes v. 30. Juni 1900. 27) Das spricht gegen die Meinung Weymann's Anm. 8 Ziff. 1, welcher annimmt, daß die bei der Land- und Forstwirtschaft in den Bureaus als Rechnungssührer, Schreiber, Kassierer beschäftigten Personen, deren Unterstellung unter die Unfallversicherung er verneint (vgl. dazu oben § 15 N. 9), trotzdem unter § 34 Ziff. 2 zu subsumieren seien. Auch der von ihm unter Ziff. 3 ver­ tretenen Ansicht, daß die in § 1 Abs. 7 LUVG. v. 1900 als landwirtschaftlicher Betrieb erklärte gewerbliche Gärtnerei nicht zur Landwirtschaft im Sinne des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 zu rechnen sei, möchte ich mich nicht anschließen, obgleich hier die von ihm beigebrachten Gründe schwerer ins Gewicht fallen. Mit dem Text übereinstimmend Jsenbart-Spielhagen Anm.9.

§ 43.

Lohnklassen.

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sein; mir werden die in § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes definierten landund forstwirtschaftlichm Nebenbetriebe, welche dort nach den be­ sonderen Verhältnissen jenes Versicherungszweiges der land- und forstwirtschaftlichen Unfallversicherung angegliedert sind, im Sinne des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 als gewerbliche Betriebe anzusehm fein.28) In diesem Rahmen unterscheidet nun das Gesetz zwei Gruppen von Personen: a) Bei Betriebsbeamten wird ein individueller Jahresarbeits­ verdienst zu Grunde gelegt und zwar derjenige, welcher für jeden von ihnen nach § 3 des LUVG. v. 5. Mai 1886, jetzt § 9 Abs. 2 mit § 5 des G. v. 30. Juni 1900 berechnet wird.28) Für die Fest­ stellung des Kreises der land- und forstwirtschaftlichen Betriebs­ beamten werden nach dem Zusammenhang der Gesetze auch für das Gebiet der Invalidenversicherung die statutarischen Bestimmungen der Berufsgenoffenschaften gemäß § 1 Abs. 6 des LUVG. von 1900 maßgebend sein.28) b) Für alle31) anderen in der Land- und Forstwirtschaft be­ schäftigten Personen kommen wiederum Kassenlöhne in Betracht, welche von der höheren Verwaltungsbehörde32) für sie als durch28) £ier ist Weymann a. a. O. Ziff. 2 und dessen Ausführungen zuzu­ stimmen. Von gleicher Anschauung gingen auch schon Bosse-v. Woedtke Anm. 4 zu § 22 G. 89 aus. Dafür spricht auch die Analogie der Kranken­ versicherung; vgl. § 2 Ziff. 6 KVG. und dazu v. Woedtke, Kommentar zum KVG., 5. Ausl., S. 66 a. E., Hahn 2. Aust. S. 32. 20) Die Änderung des Unfallrechts hat es mit sich gebracht, daß jetzt nicht mehr, wie nach dem LUVG. v. 1886 (§ 3), nur „feste" Naturalbezüge zur An­ rechnung gelangen; vgl. Bd. I S. 201 N. 7. Allerdings hatte das NVA. schon früher den durch § 3 cit. begründeten Unterschied gegenüber § 3 Abs. 1 UVG. v. 1884 in seiner Rechtsprechung sowohl für das Gebiet der Unfallversicherung, wie dementsprechend auch für das der Invalidenversicherung verwischt (AN. 90 UV. S. 152 Nr. 787 mit AN. 91 S. 148 Nr. 28). 30) Gebhard-Düttmann Anm. 9. Dazu AN. 96 S. 397 Nr. 529: Guts­ schmied als landwirtschaftlicher Arbeiter, aber nicht Betriebsbeamter; Nr. 330: Gärtner auf einem größeren Gute zur Bewirtschaftung des Haus- und Zier­ gartens kein Betriebsbeamter, weil letztere keinen Betrieb darstellt (vgl. oben § 15 N. 6). 31) Auch die jetzt in § 1 Abs. 6 mit § 9 Abs. 1 LUVG. v. 1900 den Be­ triebsbeamten gletchbehandelten Personen gelten für § 34 Ziff. 2 JVG. nicht als solche. 32) Preußen: Regierungspräsidenten; Bayern: Regierungen, Kammern des Jnnew, im Einverständnis mit den Finanzkammern; Sachsen: Kreishauptmann-

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Dl. Buch.

Beitragswesen.

II. Kap.: Die Beitragshöhe.

schnittlicher Jahresarbeitsverdienst festzusetzen sind. Entsprechend dem § 10 Abs. 1 LUVG. von 1900, welcher eine ebensolche Fest­ setzung für das Gebiet der Unfallversicherung vorschreibt, wird die­ selbe auch hier in obligatorischer Trennung für männliche und weib­ liche und in fakultativer für landwirtschaftliche und für forstwirt­ schaftliche Arbeiter zu erfolgen habend) Doch soll dabei für das Gebiet der Invalidenversicherung der § 3 Abs. 1 JVG., welcher für Naturalbezüge Festsetzungen des Durchschnittswerts33) derselben seitens der unteren Verwaltungsbehörde vorsieht, „berücksichtigt" werden. 3. Die Ziff. 3 des § 34 JVG. ist jetzt durch § 151 des SUVG. v. 30. Juni 1900 ersetzt und lautet danach: „für die auf Grund des See-Unfallversicherungsgesetzes versicherten Seeleute, mit Ausnahme der in Schlepper- und Leichterbetrieben beschäftigten Personm, der Durchschnittsbetrag des Jahresarbeitsverdienstes, welcher gemäß § 11 a. a. D.34) vom Reichskanzler festgesetzt worden ist". Auch hier greifen also zwecks Einreihung in die Lohnklasim nicht individuelle Arbeitsverdienste, sondern Klaffenlöhne Platz. Be­ merkenswert gegenüber dem früheren Rechte ist aber, daß die neue Fassung der Ziff. 3 nur die gegen Unfall versicherten Seeleute33) ergreift, dagegen die früher miterwähnten „anderen bei der See­ schiffahrt beteiligten Personen" ausläßt, so daß für diese nunmehr Ziff. 1 oder 5 des § 34 in Betracht kommen.33) schäften, dazu § 4 der Min.VO. v. 30. Nov. 1899. Die Feststellungen erfolgen durchaus auf Kosten der Verwaltung, nicht der Anstalten (AN. 92 S. 14 litt. a). In Württemberg und Baden ist auf die gemäß dem LUVG. erfolgten Fest­ setzungen maßgebend verwiesen worden: § 5 der württ. Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899 bezw. § 4 der bad. Vollz.VO. v. 28. Nov. 1899. «a) Auch eine Spezialisierung nach Berufsstellungen wird aber für das Gebiet des JVG. nicht auszuschließen sein; vgl. hinsichtlich der landwirtschaft­ lichen Hausbeamtinnen AN. 02 S. 240 Nr. 952 Abs. 3 a. E. 33) Über Durchschnittswert und Durchschnittspreis (§ 5 LUVG. v. 1900) vgl. oben § 8 N. 8. 34) Nach dem geänderten Unsallrecht ist von besonderer Bedeutung, daß als Jahresarbeitsverdienst jetzt nicht mehr das Neunfache, sondern das Elfsache der Monatsheuer angesetzt wird. 35) § 1 Ziff. 1 SUVG. v. 1900; vgl. oben § 21 N. 18. - Eine Übersicht über die Lohnklaffen, denen die versicherungspflichtigen Seeleute nach Maßgabe der seit dem 1. Jan. 1901 geltenden Bestimmungen angehören, ist bei Gebhard-Düttmann S. *291 gegeben. 36) Näheres zu dieser, durch den Wechsel der Gesetzgebung komplizierten.

§ 43.

Lohnklassen.

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4. Für Mitglieder einer Knappschaftskaffe (vgl. Bd. I S. 7 ff.) soll gleichfalls ein Klaffenlohn zu Grunde gelegt werden, nämlich der vom Kassenvorstande festzusetzende durchschnittliche tägliche Arbeits­ verdienst derjenigen Klaffe von Arbeitern, welcher der Versicherte an­ gehört. Dieser wird durch Vervielfältigung mit 300^ zum Jahres­ arbeitsverdienste erhoben. Doch hat hier das JVG. die besondere Bestimmung, daß sie nach Ziff. 5 behandelt werden sollen, wenn sich danach für sie ein höherer Jahresbetrag ergibt. 5. Nach dieser Ziff. 5 des § 34 soll nämlich „im übrigen" der nach § 8 KVG. festzusetzende") dreihundertfache Betrag des orts­ üblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter des Beschäftigungs­ ortes als Einreihungsmaßstab gelten. Doch läßt die neue Faffung des JVG. zu, daß die höhere Verwaltungsbehörde für einzelne be­ sondere Berufszweige38) einen anderen Jahresarbeitsverdienst fest­ setzt. Die Begründung des Gesetzes denkt dabei zunächst nur an sehr niedrig gelohnte Versicherte, bei denen selbst die Zugrunde­ legung der Tagearbeiterlöhnung noch eine Überlastung herbeiführen würbe.39) Doch ist der Wortlaut des Gesetzes unbedingt auch auf solche Fälle anzuwenden, in betten sich wegen des unverhältnismäßig größeren Arbeitsverdienstes eines bestimmten Berufszweiges Unbillig­ keiten ergeben mürben.40) Materie bringt die Zusammenstellung bei Weymann Anm. 10. Vgl. auch sonst die Kommentare, sowie, unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Gesetzesänderungen, Gebhard, Die Jnvaliditäts- u. Altersversicherung der Seeleute (1892) S. 89 ff. 3«») Auch bei denjenigen Arbeiterklaffen, für welche die Zahl der Arbeits­ tage im Zahre höher ist, z. B. beim Hochofenbetriebe: Abg. Frhr. v. Stumm, Sten.Ber. S. 1889 S. 1341. *’) Die oben im Text V, 1 besprochenen Spezialisierungen nach Geschlecht und Alter gelten auch hier. **) Also nicht z. B. für die Mitglieder einer bestimmten Hilsskaffe. 39) Die Mot. Abs. 6 zu § 2*2 Eniw. JVG. exemplifizieren auf die Haus­ weber in manchen Gegenden des Kgr. Sachsen. Entsprechend „wird" nach § 5 Abs. 6 der württ. Vollz.Verf. v. 25. No». 1899 „die höhere Verwaltungs­ behörde von ihrer Befugnis nur ganz ausnahmsweise und nur für solche Bemfszweige Gebrauch machen, deren Durchschnittsverdienst hinter dem orts­ üblichen Tagelohn erheblich zurückbleibt". 40) Vgl. hinsichtlich der Hausbeamtinnen die oben N. 32 a citierte Ent­ scheidung.»

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m. Buch. Beitragswesen.

III. Kap.: Die Einzahlung der Beiträge.

VI. Für Ziff. 1—5 des § 34 gilt noch folgendes Allgemeine: 1. Es ist möglich, daß in der Person eines Versicherten die Merkmale mehrerer dieser Ziffern oder mehrerer innerhalb einer Ziffer zusammengefaßten Gruppen zutreffen. Dabei ist jedoch zunächst zu beachten, daß Ziff. 5, wie aus den Worten „im übrigen" und ihrer Schlußstellung hervorgeht, augenscheinlich eine höchst subsidiäre Bedeutung haben soll und daher nur zur Anwendung kommt, wenn in der Person des betreffenden Versicherten überhaupt keiner der in Ziff. 1—4 bezeichneten Tatbestände zutrifft.") Hier ist also von einem „gleichzeitigen Zutreffen mehrerer Ziffern" überhaupt nicht die Rede.^) Im weiteren aber wird der mögliche Kollisionsfall zwischen Ziff. 1 und 2 dahin ausdrücklich entschieden, daß Ziff. 1 d. h. also die Zugehörigkeit zu einer dort genannten Krankenkaffe vorgehen soll. Es entspricht das der schon besprochenen (vgl. N. 10) Absicht des Gesetzes, das Beitragssystem der Invalidenversicherung dem der Krankenversicherung, namentlich auch zum Zwecke leichterer Durch­ führung des Einzugsverfahrens, anzunähern. Daraus und aus der, keine Ausnahme vorbehaltenden, durch die Anfangsstellung ver­ stärkten Faffung der Ziff. 1 wird man aber zu schließen haben, daß in der ausdrücklichen Einfügung bei Ziff. 2 „sofern sie nicht einer unter Ziff. 1 gehörigen Krankenkaffe angehören"ein allgemeiner Grundsatz zum Ausdruck kommt, der auch im Verhältnis von Ziff. 1 41) Hiernach findet z. B. auf Arbeiter, welche teils in der Land- und Forst­ wirtschaft, teils in landwirtschaftlichen Nebenbetrieben beschäftigt werden, § 34 Ziff. 2 und nicht 5 Anwendung. Übereinstimmend im Resultate Bossev. Woedtke a. a. O. (oben N. 28), die aber „in dem Falle, daß die Tätigkeit der betreffenden Person überwiegend in das Gebiet des industriellen Neben­ betriebs fällt, sich dazu entschließen könnten, Ziff. 5 maßgebend sein zu lassen". Wieder anders entscheidet das RVA. In einem Falle, in welchem eine Dienstmagd überwiegend mit landwirtschaftlichen Arbeiten und daneben im Haushalte ihres zumeist die Kunsttischlerei betreibenden Dienstherrn beschäftigt war, hat das Amt es abgelehnt, die landwirtschaftliche Beschäftigung ent­ scheiden zu lassen und die höhere Einschätzung gemäß der Hausarbeit nach Ziff. 5 als maßgebend erachtet (AN. 02 S. 395 Nr. 971). Vgl. aber unten N. 44. 42) Das übersehen Gebhard-Düttmann Anm. 4 Abs. 3, von denen die citierten Worte stammen. 43) Die Worte hätten im JVG. auch wegbleiben können, während sie im G. 89, wo die heutige Ziff. 2 voranstand und die heutige Ziff. 1 erst, als Ziff. 4 folgte, größere Bedeutung hatten.

§ 44.

Entrichtung durch die Arbeitgeber.

Haftung derselben.

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zu 3 sich betätigen muß.") Soweit aber sonst Kollisionsfälle durch gleichzeitige Beschäftigung eines Versicherten in verschiedenen Berufsstelluntgen sich ergeben sollten,45) wird die für ihn überwiegendere zu entscheiden haben. Erst im äußersten Zweifelsfalle könnte m. E. auf die höhere Lohnklaffe gegriffen werden. 2. Dem Bedürfnis allgemeiner Kenntnis von den Beitrags­ grundlagen der Versicherung soll der § 34 Abs. 5 genügen. Danach kann die Landeszentralbehörde anordnen, „daß die nach Abs. 2 für die einzelnen Orte in Betracht kommenden45) Lohnklassen und Bei­ träge^ sowie die Klaffen von Versicherten, welche an dem betreffenden Orte in die einzelnen Lohnklaffen entfallen, von der Versicherungs­ anstalt in jedem Orte ihres Bezirkes bekannt zu machen sind".

3. Kapitel. § 44.

Die Sinzahtung der Beiträge.

Entrichtung durch die Arbeitgeber.

Haftung derselbe«.

Für die Einzahlung') der Beiträge kennt das Gesetz zwei von ihm der Hauptsache nach unmittelbar geregelte Formen: das Entrichtungsverfahrm und das Einziehungs- oder kürzer Einzugs") Anders Gebhard - Düttmann a. a. O., welche im Verhältnis zwischen allen Ziffern diejenige als maßgebend ansehen wollen, auf Grund deren sich der höhere Jahresarbeitsverdienst ergibt (vgl. auch oben N. 41). Es besteht aber keine Vermutung zu Gunsten der höheren Lohnklasse; insbesondere steht der Aussicht auf die höheren Versicherungsleistungen, welche sich doch nur möglicherweise realisiert, die Gewißheit der höheren Beitragsleistung gegenüber. Dazu kommt die Möglichkeit der freiwilligen Höherversicherung einerseits, die Gefahr einer unbilligen Überlastung aber andererseits. 45) So, wenn gleichzeitig land- und forstwirtschaftliche Beschäftigung statt­ findet und für beide Gruppen verschiedene Festsetzungen erfolgt sind. 4Ö) Die im ganzen sehr schlecht stilisierte Bestimmung sagt hier „maßgebenden". *) Im allgemeinen Sinne gebraucht § 143 den Ausdruck „Erhebung dev Beiträge"; doch empfiehlt sich das nicht, weil man bei demselben, schon wegen, des Zusammenhanges mit den „Hebestellen", eher ausschließlich an das Einzugs­ verfahren zu denken geneigt ist.

462

HI. Buch. Beitragswesen. III. Kap.: Die Einzahlung der Beiträge.

verfahren (§§ 148 ff.). Außerdem überläßt es dem Bundesrate, für Kleinmeister und Haustndustrtelle (§ 143) und für Seeleute (§ 167 Abs. 2 Satz 2) durch Verordnung Sonderbestimmungen zu treffen. Das Entrichtungsverfahren zerfällt wiederum in zwei Unterarten, je nachdem die Entrichtung der Beiträge durch die eine oder die andere Klaffe der Beteiligten, die Arbeitgeber (§§ 140 ff.) oder die Versicherten (§§ 144 ff.) erfolgt. Die grundlegende Verschiedenheit zwischen Entrichtungs- und Einziehungsverfahren besteht darin, daß beim ersteren die Beteiligten durch eigene Markenverwendung die Beiträge an die Versicherungsanstalt einzahlen, während beim Ein­ zugsverfahren amtliche Stellen (Einzugs- oder Hebestellen) zwischen sie und die Anstalt eingeschoben sind, welche die Beiträge von den Beteiligten bar empfangen und dafür ihrerseits das Geschäft der Markenverwendung besorgen. Die folgenden Erörtemngm behandeln hiernach gesondert die fünf verschiedenen Gruppen von Einzahlungs­ normen. Die Normen für die in erster Reihe zur Anwendung gelangende „Entrichtung der Beiträge durch die Arbeitgeber" sind in §§ 140 bis 142 enthalten; 2) dazu treten dann noch Strafbestimmungen in den §§ 176 ff. Die drei §§ 140—142 gliedern sich im Wesent­ lichen nach den drei Seiten des in Betracht kommenden Rechtsverhältniffes. Diese sind: die materielle Haftung des Arbeitgebers gegenüber der Versicherungsanstalt (§ 140, hier § 44), die formelle Markenverwendungspflicht (§ 141, hier § 45) und die Erstattung eines Beitragsteils seitens des Versicherten an den Arbeitgeber (§ 142, hier § 46). Beitragspflicht, Einzahlungspflicht oder „Haftung" (§ 140 Abs. 2 Satz 3) ist die für den Beitragspflichtigen gegenüber der Versicherungsanstalt begründete Verbindlichkeit, den Beitrag in fest­ gestellter Höhe aus seinem Vermögen zu zahlen (vgl. Bd. I S. 607). Beitragspflichtig aber ist auf dem Gebiete der Jnvalidmversicherung bei der Zwangsversichemng prinzipiell ausschließlich der Arbeitgeber (vgl. Bd. I S. 598 ff., besonders S.605). Er zahlt den Beitrag rechtlich in eigenem Namen (vgl. Bd. I S. 599 a. E.); er ist bei Nichtzahlung allein der Zwangsbeitreibung unterworfen (§ 168). 2) Die Systematik ist im Gesetz nicht unbedingt streng durchgeführt. So hat z. B. § 142 Abs. 2, 4 nicht bloß für das Entrichtungs-, sondern auch für das Einzugsverfahren Bedeutung.

Der Versicherte nimmt an der Beitragsleistung nur indirekt teil; er ist nicht beitragspflichtig gegenüber der Versicherungsanstalt, sondern erstattungspflichtig gegenüber seinem Arbeitgeber?) I. Der Begriff des Arbeitgebers als desjenigen, welcher den Versicherungspflichtigen Arbeiter beschäftigt, dessen Arbeitskraft besitzt und über dieselbe verfügt, ist bereits in Bd. I S. 177 ff. (vgl. auch oben § 7 II, 3) ausführlich besprochen worden. Die dort ins­ besondere begründete Auffassung, daß bei sog. mittelbarm Arbeits­ Verhältnissen nicht die unselbständige Mittelsperson, welche formell den Arbeiter annimmt und löhnt/) sondern der Betriebsunternehmer als Arbeitgeber anzusehm ist, darf gegenwärtig als auf dem Gebiete der Invalidenversicherung") anerkannt betrachtet werden. „Es ent­ spräche nicht den Absichten der Versicherungsgesetzgebung, wenn es dem größeren und wirtschaftlich kräftigeren Unternehmer freistände, die Lasten der Versicherung mittels vertragsmäßiger Einräumung einer scheinbaren Selbständigkeit willkürlich auf schwächere Schultern abzuwälzen"?)

II. Die Beiträge werden nach Beschäftigungszeiträumen be­ messen, deren Einheit die Beitragswoche ist (vgl. oben § 38 I). Beitragspflichtig ist danach derjenige Arbeitgeber, welcher den Arbeiter während der Beitragswoche oder auch nur während eines 3) Dagegen läßt Piloty zu § 140 Abs. 1 „zur Entrichtung des Beitrags sowohl den Arbeitgeber, als den Versicherten verpflichtet" sein. Das RVA.

e) Zweifelhaft ist, ob und inwieweit juristisch ein Erlöschen der Anwartschaft durch Verbrauch (Konsumierung) anzunehmen ist, wenn auf Grund derselben und des eingetretenen Versicherungsfalles. eine Rente bewilligt wird. Unzweifelhaft ist das allerdings nicht der Fall bei Bewilligung einer Altersrente an einen noch Erwerbs­ fähigen, welcher seine Anwartschaft sogar fortführen kann und bei versicherungspflichtiger Tätigkeit mangels erlangter Befreiung") fort­ führen und steigern muß, um eventuell später die höhere Invaliden­ rente zu erlangen. Auch in Fällen, wo eine Invalidenrente aus § 15 oder 16 JVG. bewilligt ist, welche allerdings jede weitere Beitragsleistung ausschließt (vgl. oben § 18 I), muß begrifflich mit der verschiedenartigen Möglichkeit eines späteren neuen Rentenanspruchs, sei es nach inzwischen wiedererlangter Erwerbsfähigkeit und Ent­ ziehung der Rente, sei es wegen Überganges der vorübergehenden in die dauernde Invalidität, sei es auch wegen eintretenden Alters (vgl. § 47 Abs. 4 JVG.), gerechnet werden. Es eröffnen sich hier Formulierung unterliegt allerdings einigen Bedenken. Zunächst ist gerade aus dem Schlußsatz klar, daß nicht der alte Anspruch, sondern die Anwartschaft wieder auflebt. Sodann aber erfolgt das Wiederaufleben hier, genau ge­ nommen, schon durch den Wiederwegfall der Erwerbsunfähigkeit; die neue Bei­ tragsentrichtung, die auch freiwillig im Wege der Weiterversicherung erfolgen könnte, läßt nur die wiedererwachte Anwartschaft zur Anspruchsreife heran­ wachsen. — Mit Recht hebt übrigens das RVA. hervor, daß in solchen Fällen eine strenge Prüfung der behaupteten wiedererlangten Erwerbsfähigkeit ge­ boten ist. 47) Vgl. dazu schon die Erörterungen oben § 11 N. 4 und § 52 II, 4 litt. c. 48) Zunächst ist hier gemäß § 30 Abs. 5 bei versicherungspflichtigen Berufs­ arbeitern die Erfüllung der Wartezeit während der Krankheit noch möglich (vgl. oben § 11 N. 11 und § 38 hinter N. 64). Sodann kommt wenigstens tatsächlich in Betracht, daß hier von vornherein mit einer Wiedererlangung der Erwerbs­ fähigkeit gerechnet werden muß. 4fl) Vgl. oben § 10 9t. 6. Die Befreiung vernichtet selbst Die schon be­ stehende Anwartschaft nicht (vgl. oben § 5 III).

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m. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

für die juristische Konstruktion zwei Möglichkeiten; °") entweder man nimmt das Fortbestehen der Anwartschaft auch im Stadium bedRentenbezuges an51) oder man statuiert ein Erlöschen der Anwart­ schaft mit der Rentenbewilligung, muß aber dann ein Wieder­ aufleben derselben bei Wegfall des Anspruchsgrundes oder bei Eintreten eines,im Sinne des Gesetzes neuen annehmen. Ich halte die letztere Auffassung, welche gelegentlich auch vom NVA. ge­ teilt roitb,52) für die zur Erklärung der praktischen Verhältnisse angemessenere und auch dem Gesetz entsprechendere. Der praktische Hauptfall ist doch der, daß einem Versicherten die Invalidenrente aus § 15 bewilligt wird, und er diese bis zu seinem Tode einfach fortbezieht. Dieser muß für die theoretische Auffassung bestimmend sein. In ihm wäre es aber zweifellos unangemessen, neben dem Bezugsrechte die Anwartschaft als fortbestehend anzusehen, welche thatsächlich nie mehr zu praktischer Betätigung gelangt. Dieser Gedanke tritt denn auch in § 45 Abs. 1 JVG. deutlich hervor, indem hier die der Versicherungsanstalt angehörenden „Renten­ empfänger" von den „Versicherten" derselben ausdrücklich geschieden werden.

§ 54.

Das Erlöschen der Anwartschaft durch Beitragsmangel.

I. Der § 46 JVG., in welchen der frühere § 32 G. 89 mit materiellen und formellen Änderungen aufgegangen ist, läßt unter dem Vorbehalt späteren Wiederauflebens (Abs. 4) die Anwartschaft sowohl bei der Pflicht- und Weiterversicherung (Abs. 1), wie auch bei der Selbstversicherung und ihrer Fortsetzung (Abs. 3) er­ löschen, wenn nicht binnen einer bestimmten Zeit Beiträge in einem gewissen Minimalmaß entrichtet oder an ihrer Stelle ausreichende Ersatztatsachen nachgewiesen werden (§ 46 Abs. 2, § 47 Abs. 4, § 53 JVG.). Die Materialien sehen in der Bestimmung des § 46 gelegent­ lich eine „Verjährung" der Anwartschaft,') und diese Aufsagung ist 50) Ihnen entsprechend ändert sich auch in gewissem Umfange die Konstruktion von § 47 Abs. 4; vgl. unten § 54, IV. sl) Das ist die Auffassung von Weymann Sinnt. 19 Abs. 2 zu 8 47. S2) AN. 99 S. 776 Nr. 779 Abs. 2 (vgl. oben N. 17). *) Komm.Ber. zu § 89 Enlw. G. 89, Drucks. S. 155 oben; Mot. zu § 104 Entw. IVG,

auch in die Literatur übergegangen?) Genau betrachtet, kann hier jedoch weder von einer erlöschenden Verjährung/) noch selbst von einer Präklusivfrist mit der Folge des Rechtsunterganges die Rede sein. Denn bei beiden Rechtsinstituten ist das wirksame Moment die Nichtausübung des eventuell dem Untergange geweihten Rechts während bestimmter Frist. Hier aber ist es gar nicht die Anwart­ schaft, welche nicht ausgeübt wird, da für ihre Ausübung mangels vorliegenden Anspruchsgrundes gar keine Möglichkeit besteht, sondern höchstens die Nichtausübung der Beitragsberechtigung/) welche nicht ihren eigenen (davon war oben in § 52 die Rede), sondern den Untergang der Anwartschaft herbeiführt. Damit im Zusammen­ hange spielt auch hier die Zeitbestimmung eine erheblich andere Rolle, als bei Verjährung und Befristung. Bei diesen Instituten genügt eine einmalige Rechtsausübung, um die Verjährung zu unter­ brechen oder die Frist dauernd zu wahren. Hier ist zur Wahrung der Anwartschaft die Entrichtung einer größeren Zahl von Einheits­ beiträgen erforderlich. Da aber diese für je eine Woche entrichtet werden, so dient der gesetzte Zeitraum als eine Mehrheit von Wochen in erster Reihe dazu, um das dem Gesetzgeber angemessen erscheinende Verhältnis der möglichen zu den wirklichen Beitrags­ wochen zu bestimmen, während seine Bedeutung als Frist schon durch die Zulässigkeit nachträglicher Beitragsleistung zurücktritt. Endlich ist die in § 46 JVG. bestimmte Anwartschaftsfrist eine sich immer wieder, und zwar nach Maßgabe der ursprünglichen Gesetzes­ bestimmung erneuernde, so daß weder von einem Neulauf der Ver­ jährung von der erfolgten Unterbrechung an, noch von dauernder Wahrung einer Präklusivfrist durch einmalige Rechtsausübung die Rede ist. Nach alledem handelt es hier trotz gewisser Ähnlichkeiten überhaupt nicht um ein Erlöschen der Anwartschaft durch Zeitablauf, sondern durch mangelnde, oder noch besser, durch unzureichende Bei­ tragsleistung. -) z B. Piloty S. >26 Abs. I. 3) Für die Parallele mit dem bürgerlichen Recht käme von vornherein in Betracht, daß das BGB. §§ 194ff. nur eine Verjährung von Ansprüchen kennt. 4) So kann man schlechtweg sagen, ohne der Nichtausübung versicherungs­ pflichtiger Tätigkeit besonders zu gedenken, weil, nachdem einmal die Anwartschaft entstanden ist, die Berechtigung zur freiwilligen Beitragsleistung bis aus weiteres von selbst gegeben ist.

574 III. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung. II. Der Abs. 1 in § 46 sieht zunächst von der Selbstversicherung ganz ab und regelt den einfachen Fall der Pflichtversicherung und der an sie sich anschließenden Weiterversicherung?) Die Anwart­ schaft erlischt hier, wenn während zweier Jahre nach dem auf der Quittungskarte verzeichneten Ausstellungstage Beiträge auf Grund der Versicherungspflicht oder der Weiterversicherung für weniger als 20 Beitragswochen entrichtet sind. 1. Nach § h2 G. 89 erlosch die Anwartschaft, wenn während vier auf einander folgenden Kalenderjahren °) für weniger als ins­ gesamt 47 Beitragswochen Beiträge entrichtet worden waren. Das neue JVG. weicht erheblich ab?) Die Berechnung nach Kalender­ jahren ist aufgegeben und durch die nach Zeitjahren ^) ersetzt, welche von der Ausstellung einer Quittungskarte an berechnet werden. Die Frist selbst ist auf die Hälfte verkürzt. Obgleich im Zusammen­ hange damit auch die Zahl der zur Erhaltung der Anwartschaft nötigen Beiträge von 47 auf 20 entsprechend ^) herabgesetzt worden 5) Über den Wortlaut „die aus der Versicherungspflicht sich ergebende An­ wartschaft" vgl. oben § 53 bei N. 24 a. Eine aus der Versicherungspflicht sich ergebende Anwartschaft liegt aber in einer bestimmten Anwartschaftsfrist auch dann vor, wenn zuletzt und unmittelbar vor Beginn der betreffenden Frist Weiterversicherung bestanden hat. °) Über Kalenderjahre AN. 99 S. 776 Nr. 780. 7) Die Fragen betreffend die zeitliche Wirksamkeit des § 46 JVG. mögen nur kurz berührt sein. Das NVA. hat angenommen: a) Dem § 46 kommt rückwirkende Kraft insofern zu, als eine nach den Vorschriften des § 32 G. 89 erloschene Anwartschaft als erhalten zu behandeln ist, wenn sie bei Anwendung von § 46 erhalten wäre (AN. 01 @. 192 f. Nr. 873, 874). — b) Umgekehrt wird aber zum Schutze wohlerworbener Rechte eine nach dem alten Rechte erhaltene Anwartschaft unbedingt auch dann als fortwirkend anerkannt, wenn im übrigen auf den Nentenanspruch das JVG. zur Anwendung gelangt: AN. 00 S. 406 Nr. 792 mit AN. 01 S. 192 Nr. 873. — c) Immerhin wird jedoch diejenige, nach dem Ausstellungstage der Quittungskarte zu berechnende Anwartschafts­ frist zuerst lediglich nach dem neuen Recht beurteilt, in welche der 1. Januar 1900 hineinfällt (AN. 02 @.241 Nr. 955, S. 477 Nr. 982). Hierzu die Be­ denken von Weymann Anm. 1 a und Gebhard-Düttmann S. 323. 8) Berechnung (vgl. oben § 52 N. 10). °) Die Zahl von 47 Beitragswochen repräsentierte im früheren Recht ein Beitragsjahr (vgl. Bd. I S. 587 N. 5 a. E.). Der Entw. JVG. nahm regel­ mäßig eine Kürzung der Beitragsfristen im Verhältnis von 47:40 vor, so auch im § 32 Abs. 1. Die Summe von 20 Beiträgen entspricht dann der jetzt: geltenden zweijährigen (statt vierjährigen) Anwartschaftsfrist.

§ 54.

Das Erlöschen der Anwartschaft durch Beitragsmangel.

575

ist, ist doch die Anforderung des neuen Gesetzes eine schärfere, weil die Möglichkeit der breiteren Verteilung auf die doppelte Frist die doppelte Zahl von Beiträgen nicht bloß ebenso, sondern leichter er­ träglich machte.") 2. Die Frist läuft zunächst vom Tage der Ausstellung der ersten Quittungskarte an. Mit dem Ablauf dieser Frist und ebenso jeder ferneren beginnt immer wieder eine neue gleiche Frist.") 10) Daß man sich dieser Verschärfung bewußt war, geht aus dem Komm.Ber. zu § 32 hervor. Die Abkürzung der Frist hat aber in doppelter Richtung zu Verwaltungsmaßregeln im Interesse der Versicherten Veranlassung gegeben: a) Das NVA. hat an die Versicherungsanstalten das Ersuchen gerichtet, Vor­ sorge zu treffen, daß die wegen Nichteintritts der Invalidität mit ihrem Renten­ anspruch abgewiesenen Versicherten schon bei Zustellung des ablehnenden Be­ scheides auf die nachteiligen Folgen der Versäumung der Weiterverwendung von Marken ausdrücklich hingewiesen werden. Es sollte damit verhütet werden, daß die Versicherten infolge eines langandauernden Ltreitverfahrens, während dessen sie in Erwartung der Rente nicht arbeiteten, an ihrer Anwartschaft Schaden litten. Damit in Verbindung erteilt das RVA. selbst in den im Revisions­ verfahren vorkommenden geeigneten Fällen dem Rentenbewerber eine bestimmt gefaßte Belehrung über die Erhaltung der Anwartschaft, eventuell durch nach­ trägliche Beitragsleistung. Endlich hat das NVA. auch an die Landeszentral­ behörden die Bitte gerichtet, anzuordnen, daß die Versicherten, insbesondere bei der Entgegennahme von Rentenanträgen, entsprechend aufgeklärt würden (AN. 01 S. l)37 Nr 941). Vgl. dazu die in ArbV. 01 S. 614 abgedruckte VO. des kgl. sächs. Min. d. Inn. v. 16. Aug 1901. - b) Die AN. 01 S. 366 f. abge­ druckten preußischen Ministerialverordnungen haben Vorsorge getroffen, um zu verhüten, daß Strafgefangene, während sie eine längere Freiheitsstrafe ver­ büßen, ihre Anwartschaft verlieren. Mit ihrem Einverständnis ist die Weiter­ versicherung, zunächst aus dem Guthaben des Gefangenen, aufzunehmen und fortzusetzen. Auch für Korrigenden ist ähnliches angeregt worden. — Endlich mag hier erwähnt sein, daß § 28 des Reichsseuchengesetzes v. 30. Juni 1900 solchen Personen, welche der Invalidenversicherung unterliegen, wenn sie aus seuchenpolizeilichen Gründen in der Wahl des Aufenthalts oder der Arbeits­ stätte beschränkt oder abgesondert werden, eine Tagesentschädigung nach Maßgabe des für die Invalidenversicherung in Betracht kommenden Jahresverdienstes ge­ währt, falls ihnen nicht eine versicherungsrechtliche Unterstützung wegen Erwerbs­ unfähigkeit gewährt wird oder sie auf öffentliche Kosten verpflegt werden. n) Daß trotz des Wortlauts in § 46 Abs. 1 nicht bloß von einer einmaligen Frist die Rede sein kann, ist klar. Auch der § 32 Abs. 1 G. 89 rechnete mit schrittweise fortrückenden Fristen. Den Satz des Textes bestätigen AN. 01 S. 193 Nr. 874, AN. 02 S. 241 Nr. 955, S. 477 Nr. 982. Ebenso Jsenbart-Spielhagen S. 575 a. E.; dagegen scheinen Gebhard-Düttmann bei ihren verschiedenen Fristbestimmungen auf S. 320 ff. von anderer An­ schauung auszugehen. — Jede einzelne Anwartschaftsfrist ist für sich selbständig

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III. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

Jede neue Quittungskarte eröffnet aber wiederum eine neue solche Serie von Fristen, welche sich mit denjenigen aus den früheren Quittungs­ karten kreuzen können. Dieses Durcheinander von Fristen") wird über dadurch gemindert, daß aus einer früheren Karte wenigstens keine neue Frist mehr beginnen kann, wenn inzwischen eine neue Quittungskarte ausgestellt ist, während die schon eröffnete Frist aller­ dings noch abläuft. In jeder Fristenserie, welche von einer be­ stimmten Karte ausgeht, ist also diejenige Frist die letzte, in deren Lauf die Ausstellung einer folgenden Karte hineinfällt. Ist in irgend einer der laufenden Fristen (nicht bloß in der letzten) das gesetzliche Minimum von Beiträgen nicht erreicht, so sind nicht etwa bloß die Beiträge aus dieser Frist unwirksam geworden, sondern die izanze, bis zum Ablauf dieser Frist erwachsene Anwartschaft des Versicherten mit allen in ihr enthaltenen Beiträgen ist erloschen.") „Hiernach empfiehlt es sich, die Prüfung der Anwartschaftsberechnung mit der letzten Ouittungskarte zu beginnen, weil es, wenn nach ihr die Anwartschaft erloschen ist, nicht mehr darauf ankommt, ob sie etwa nach der vorhergehenden oder gar einer noch weiter zurück­ liegenden Karte erhalten ist."") tmb daher eine Verrechnung des Überschusses an Beitragsmarken aus einem zweijährigen Zeitraum auf den anderen unzulässig (AN. 01 a. a. O.). n) Für ein Arbeiterrecht kaum einfach genug! 13) Da nach den Erörterungen des Textes eine durch die Karte A bestimmte Anwartschaftsfrist sich in die Giltigkeitsdauer der folgenden Karte B hinein­ erstrecken kann, so ist es auch möglich, daß mit dem Erlöschen der Anwartschaft aus Karte A auch ein Teil der in Karte B enthaltenen Marken mitgerissen wird; vgl. Weymann Anm. 6 zu § 46. Ob diese Konsequenz vermeidbar ist, kann zweifelhaft sein. Für § 32 G. 89 hat allerdings das RVA. neuerdings in einer Entsch. v. 17. Nov. 1902 (AN. 03 S. 388 Nr. 1052) angenommen, daß das Erlöschen der Anwartschaft immer nur die Unwirksamkeit derjenigen Bei­ tragswochen zur Folge hat, welche in das erste Jahr des nicht ausreichend be­ legten vierjährigen Zeitraumes fallen, nicht aber auch die Unwirksamkeit der in die späteren 3 Jahre fallenden und zugleich einer späteren Anwartschaftsperiode ungehörigen Wochen. Wenn aber schon diese Entscheidung, wie das RVA. selbst anerkennt, mit dem Wortlaut des § 32 dt. nur schwer vereinbar, höchstens noch „verträglich" ist, so ist ihre analoge Übertragbarkeit auf den vorliegenden Fall des neuen Rechts um so bedenklicher, als hier der Beginn der neuen An­ wartschaftsperiode von einem in den Willen des Versicherten gestellten Akte, der Ausstellung einer neuen Karte (§ 131 Abs. 3 JVG.), abhängig ist. Für die unaloge Anwendung Isenbart-Spielhagen, 2. Aust., Anm.7e. ") AN. 02 S. 477 Nr. 982 Abs. 6 a. E.

§ 54.

Das Erlöschen der Anwartschaft durch Beitragsmangel.

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3. Die Bezeichnung des Ausstellungstages einer Karte als Fristenanfang bedarf noch folgender Ergänzung: Hat ein Versiche­ rungspflichtiger überhaupt noch keine Quittungskarte, so besitzt er mangels jeder Beitragsleistung noch gar keine Anwartschaft; es kann daher solange auch von einem Erlöschen derselben keine Rede sein. Erhält er dann eine Quittungskarte, in die er nachträglich Marken klebt, so handelt es sich zunächst um die rückbezügliche Entstehung einer Anwartschaft, deren Möglichkeit gemäß dem oben § 53 II, 3 Entwickelten nach den Grundsätzen über die Zulässigkeit der nach­ träglichen Beitragsentrichtung zu prüfen ist. Fallen schon hiernach gewisie, am meisten zurückliegende Beitragswochen aus, so ist ihnen gegenüber wiederum von einem Erlöschen einer (nicht entstandenen) Anwartschaft nicht die Rede. Die erste Frist für ein solches kann viel­ mehr, unter analoger Anwendung des § 46, nur vom Beginn der­ jenigen Woche an gerechnet werden, für welche zuerst ein giltiger Beitrag nachgebracht und damit die Anwartschaft entstanden ist.15) Für die auf die nachträgliche Ausstellung der ersten Karte folgende Beitragszeit findet dann der § 46 normale Anwendung.15) Für diese, wie auch sonst überhaupt, tritt der Tag, von welchem an die Karte durch besonderen Vermerk als rückverwendbar erklärt worden ist (vgl. oben § 39 N. 20), nicht an die Stelle des Ausstellungsdatums.11) 15) Die erste versicherungspflichtige Arbeit entscheidet daher, gegen Weymann Anm. 6 Abs 3, nicht unbedingt, sondern nur dann, wenn bis zu ihr zurück die Nachbringung von Beiträgen zulässig war. Die Entscheidung AN. 02 S. 478 Nr. 983 betrifft einen eigentümlichen Fall der Übergangszeit, scheint aber am Schluß des vorletzten Absatzes für die Zeit der normalen Anwendung des JVG. auf den hier vertretenen Standpunkt hinzuführen. lft) Für die Seeleute, welche ohne Quittungskarte versichert werden, wollen Gebhard-Düttmann die Anwartschaftsfrist mit jeder Abmusterung beginnen lassen (Anm. 6 Zisf. 6o zu § 46). Mir will es scheinen, als wenn die Serie der sich immer erneuernden Fristen mit der ersten Anmusterung beginnen müßte, und daß, wenn zwischendurch für sie Quittungskarten zur Verwendung gelangen, je vom Datum derselben eine neue Fristenserie beginnt. Jede fernere neue (ohne Karte erfolgende) Anmusterung steht dann der Ausstellung einer neuen Quittungskarte gleich. Daß bei der Versicherung ohne Quittungskarte die Beschäftigungswoche als Woche eines entrichteten Beitrags gilt, vgl. oben § 52 N. 31a und die dort citierte Stelle. 17) So analog (mit Bezug auf § 135) die preuß. Kartenanweisung Ziff. XXVIII a. E. Übereinstimmend Gebhard-Düttmann Anm. 6 Ziff. 4, Weymann Anm. 6 Abs. 2 zu § 46. Rosin, Recht der Arbeiterversicherung. Band IJ.

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HI. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

Dieses aber ist stets nach seiner Tatsächlichkeit entscheidend; nicht dagegen beginnt der Fristenlauf mit dem Tage, an welchem die neue Karte hätte ausgestellt werden sollen, also namentlich nicht mit dem Tage der Ablieferung und Aufrechnung der gefüllten vorhergehenden £Mttung§farte.18) Der Ausstellungstag ist auch dann maßgebend, wenn in einer Karte Marken überhaupt noch nicht verwendet sind, insbesondere auch dieselbe dem Versicherten niemals ausgehändigt worden, sondern bei einer beteiligten Behörde ver­ blieben ist.'8) Ist die Giltigkeitsdauer einer Karte nach § 135 JVG. verlängert, so tritt das Datum des Verlängerungsvermerks an die Stelle des dadurch vertretenen neuen Ausstellungsdatums?8) Sind gegen die Absicht des Gesetzes (vgl. oben §411 Abs. 2) mehrere Karten für denselben Versicherten im Lauf, so müssen von jedem einzelnen Ausstellungsdatum an gesonderte Fristen berechnet werden?') 4. Während der zweijährigen Anwartschaftsfrist müssen zur Er­ haltung der Anwartschaft mindestens 20 Beiträge beigebracht werden;8'*) nicht notwendig ist, was gelegentlich auch bei maß­ gebenden Faktoren angenommen worden zu sein scheint,88) daß auf jedes einzelne Jahr der Frist je 10 Beiträge entfallen müssen.88) ’s) AN. 02 S. 477 Nr. 982. '») AN. 02 S. 396 Nr. 972. 2v) Gebhard-Düttmann Anm. 6 Ziff. 3. 21) Gebhard-Düttmann Anm. 6 Ziff. 2. 2la) Daß nach der Auffassung des RVA. der Eintritt des „Versicherungs­ falles" (Anspruchsgrundes) den weiteren Lauf der Anwartschaftsfrist hemmt, ist bereits oben § 53 N. 40 erwähnt und kritisiert worden. Dabei hebt das RVA. für den Versicherungsfall des § 16 JVG. (vorübergehende Erwerbsunfähigkeit) besonders hervor, daß „nach Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit natürlich der Lauf neuer Anwartschaftsfristen beginnt, die sich in Ermanglung eines anderen Anhaltspunktes nach dem Ausstellungstage der jeweils letzten Quittungskarte berechnen, daß aber die Anwartschaft in keiner Frist erlöschen kann, in welche die Krankheit und Erwerbsunfähigkeit, die den Eintritt des Versicherungsfalls bewirkt hat, hineinreicht" (AN. 03 S. 515 Nr. 1066 mit S. 396 Nr. 1061). 22) Komm.-Ber. zu § 32 Entw. JVG.: „Für den Antrag Ia wurde geltend gemacht, daß die Zahl der erforderten 10 Beitragswochen im Jahre eine so geringe sei, usw." Auch die Bestimmung des Bundesrats (vgl. unten § 55 N. 20), daß die Verlängerung einer Quittungskarte auch auf 1 Jahr erfolgen dürfte, hängt vielleicht mit der im Text zurückgewiesenen Auffassung zusammen. 23) Das würde eine über das Gesetz hinausgehende, noch weitere Erschwerung bedeuten (vgl. oben bei N. 10). Dagegen auch Jsenbart-Spielhagen Anm. 3 a. E.

Die Beiträge müssen, wie der § 32 Abs. 1 G. 89 deutlicher zum Ausdruck brachte, „für" zwanzig Wochen der betreffenden Anwartschaftsftist entrichtet sein. Beiträge, welche innerhalb einer Frist, aber für Wochen einer vorhergehenden nachträglich entrichtet sind, können nicht auf die laufende Frist zur Anrechnung kommen; ob und welchen Einfluß sie auf die Erhaltung der Anwartschaft in der verstrichenen Frist, auf welche sie sich beziehen, ausüben, wird unten (VI) besonders erörtert werden. Die Beiträge müssen ferner ent­ weder Pflicht- oder Weiterversicherungsbeiträge sein; als Beiträge der letzteren Art sind alle diejenigen anzusehen, welche entrichtet werden, nachdem bereits irgend einmal (nicht notwendig in dieser Anwartschaftsfrist) für den Versicherten Pflichtbeiträge geleistet worden sind. Dies muß auch gelten, wenn der betreffende Beitrag auch als Sclbstversicherungsbeitrag gewürdigt werden könnte und in anderer Beziehung (§ 29 Abs. 2 JBG.) auch gewürdigt werden iratfj.24) 5. Die Frage, ob die Anwartschaft in einer bestimmten Frist erhalten oder erloschen ist, kann möglicherweise, wegen der schwer feststellbaren Beziehung der Marken zu bestimmten Beitragswochen, Gegenstand eines nicht einfachen Beweises sein. Diesen Beweis hat im Zweifel die Versicherungsanstalt zu führen. Wenn dies auch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, welche demjenigen, der sich auf ein Recht beruft, den Beweis desselben auferlegen, diskutierbar wäre, so muß es doch, in analoger Anwendung des § 147 JVG. (vgl. oben § 51) und der ihn beherrschenden, auch schon im früheren Recht ohne ausdrückliche Bestinimung zur Anwendung gebrachten und für das Markensystem unentbehrlichen Grundsätze, für den Fall angenommen werden, daß die Markenverwendung im Sinne des § 147 sich äußerlich als ordnungsmäßige darstellt.^) Jede Ab­ weichung von dieser Ordnungsmäßigkeit verschiebt dann die Beweis­ last zu Ungunsten des Versicherten.^) 24) Vgl. dazu oben § 39 N. 12.

Abweichend Weymann Anm. 8 Abs. 3.

25) Appelius in Mainzer Ztschr. Dd. 12 S. 65 und die dort citierte Entsch. RVA. v. 11. Febr. 1901; jetzt auch AN. 02 6.474 Nr. 981. 2Ö) „Behauptet (z. B.) der Versicherte, daß die in einer, nicht mit Rück­ verwendbarkeitsvermerk versehenen Karte enthaltenen Marken für Zeiten, welche vor dem Ausstellungstage liegen, verwendet seien, so hat er dies zu beweisen": Appelius a. a. O.

III. Einen Nachtrag zu Abs. 1 des § 46 stellt der Abs. 3 dar, welcher zunächst von dem einfachsten Falle ausgeht, daß jemand, der kraft Selbstversicherung in die Versicherung eingetreten ist, auch in der Folge nur entweder Marken für Selbstversicherung oder, nach­ dem er die Fähigkeit zur Selbstversicherung verloren, Marken zur Fortsetzung der Selbstversicherung (vgl. oben § 4) beigebracht hat. Während in allem übrigen die Grundsätze des Abs. 1 gelten, sind die Erfordernisse für Erhaltung der Anwartschaft hier insofern gesteigert, als der Betreffende in jeder Anwartschaftsfrist mindestens 40 (nicht bloß 20) Beiträge nachzuweisen hat. Wird ein ursprünglich Selbst­ versicherter später versicherungspflichtig,'") so kommt ihm wiederum der Abs. 1 zugute, wenn er in einer Anwartschaftsfrist 20 Pflicht­ oder Weiterversicherungsmarken nachweisen kann. Erreicht er diese Zahl nicht, so muß er im ganzen23) 40 Marken laben;29) eine pro­ portionale Berechnung, an die man etwa denken könnte, findet nicht statt. IV. Zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft kommen nach § 46 Abs. 2, § 47 Abs. 4 und § 53 in bestimmtem Umfange fiktive Bei­ tragswochen (vgl. oben § 38) zur Anrechnung. Diese Anrechnung beschränkt sich bei gewissen Ersatztatsachen ausschließlich aus das hier in Frage stehende Rechtsverhältnis, bei anderen hat sie auch auf die Erfüllung der Wartezeit und die Rentensteigerung, über welche im einzelnen später zu handeln ist, Einfluß. Nach dem Hinweis, welcher in § 46 Abs. 230) auf den „vorigen Absatz" sich findet, könnte man versucht sein, seine Wirksamkeit auf die in Abs. 1 behandelte An­ wartschaft aus Pflicht- und Weiterversicherung zu beschränken;3') doch kann man nach der Entstehungsgeschichte der Bestimmung,3^) sowie danach, daß Abs. 3 als Nachtrag zu Abs. 1 diesen vollinhaltlich in sich aufnimmt und § 47 Abs. 4 ausdrücklich auch die Wirksamkeit von § 46 Abs. 3 ausschließt, nicht zweifelhaft sein, dem Abs. 2 ”) Zum umgekehrten Falle vgl. oben N. 24. ”) D. h. einschließlich der verwendeten Pflicht- und Weiterversicherungsmarken. 26) Übereinstimmend Piloty S. 126. 30) Vgl. dazu auch § 53 ZVG., welcher wieder auf § 46 Abs. 2 zurückweist. 31) So in der Tat Weymann Anm. 11. 32) Angeführt bei Gebhard -Düttmann Anm. 12 Abs. 2, welche der hier vertretenen Ansicht beistimmen.

§ 54.

Das Erlöschen der Anwartschaft durch Beitragsmangel.

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allgemeine Bedeutung (auch für Abs. 3) einzuräumen. Die Gleich­ stellung der fiktiven Beitragswochen mit den wirklichen vollzieht sich in allen Fällen in der Weise, daß die einzelne, durch die Ersatz­ tatsache gedeckte volle Woche so angesehen wird, als wäre für sie ein Beitrag entrichtet; die Berechnung und der Lauf der Fristen bleibt unverändert. Wenn demgegenüber einzelne Kommentatoren") gerade den § 47 Abs. 4 Schlußsatz anders, nämlich im Sinne einer Hemmung (eines Rühens) des Fristenlaufes während der fraglichen Wochen auslegen wollen, so wird diese an sich nicht zu vermutende ab­ weichende Behandlung eines einzelnen Spezialfalles durch den Wort­ laut der Bestimmung, der ihnen als einziges Beweismittel dient, nicht gerechtfertigt.") Als fiktive Beitragswochen kommen aber in Betracht: 1. Diejenigen Krankheits- und Militärdienstwochen, welche nach § 30 JVG. (vgl. oben § 38 II) allgemein, auch für Wartezeit und Rentensteigerung, als Beitragswochen gerechnet werden") (§ 46 Abs. 2 Ziff. 1). Die Anrechnung findet nur unter allen Voraus­ setzungen und mit allen Beschränkungen des § 30 statt. In erster 33) Gebhard-Düttmann Anm. 12 Abs. 5, Weymann Anm. 9 Abs. 2. Bei ersteren scheint diese Auffassung mit ihrer oben N. 11 zurückgewiesenen An­ schauung, betreffend die Wiederholung der Fristen, zusammenzuhängen. 34) Der Worlaut von § 47 Abs. 4 Satz 2 weicht zwar von dem des § 46 Abs. 2 ab. Der letztere sagt: „Den Beitragswochen im Sinne des Abs. 1 (und 3) werden gleichbehandelt die Zeiten, welche usw.", der § 47 aber lautet: „Die Vorschriften des § 46 Abs. 1, 3 finden auf diese Zeit (des früheren Rentenbezugs) keine Anwendung." Allein man beachte, daß § 47 Abs. 4 Satz 1, auf den sich Satz 2 bezieht, seinerseits sagt, daß „die Zeit des früheren Renten­ bezugs dem Versicherten ebenso, wie eine bescheinigte Krankheitszeit anzurechnen ist", sich also in der Fassung an § 46 Abs. 2 Ziff. 1 anschließt. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß § 47 Abs. 4 Satz 1 und 2 verschiedene Berechnungs­ methoden statuieren sollten. Ferner kommt in Betracht, daß § 37 G. 89, welcher jetzt in § 46 Abs. 2 Ziff. 2 herübergenommen worden ist, eine Fassung hatte, welche derjenigen dem Sinne nach entsprach, die der § 47 Abs. 4 Satz 2 JVG. ausweist („tritt das in § 32 vorgesehene Erlöschen des Versicherungsverhältnisses nicht ein"). Endlich gebrauchen auch die Mot. zu § 32 Entw. JVG. für die Zeiten des jetzigen § 46 Abs. 2 Redewendungen, welche denen des § 47 Abs. 2 Satz 2 entsprechen: „die Bestimmungen des § 32 in gleicher Weise außer Kraft zu setzen" und „das Erlöschen des Versicherungsverhältnisses auch für den Fall auszuschließen". 35) Es entspricht das dem früheren, wenn auch unausgesprochenen Rechte (AR. 00 S. 162 Nr. 785).

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III. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

Beziehung kommt namentlich die Beschränkung der Vergünstigung auf berufsmäßige Lohnarbeiter nach § 30 Abs. 3 in Betracht, welche der Anwendung dieser Ziff. 1 des Abs. 2 auf einen Selbstversicherer allerdings einen bedeutsamen Riegel vorschiebt; in letzterer Beziehung wird namentlich die in § 30 Abs. 5 ausgesprochene Beschränkung der Anrechnung auf 1 Jahr von Bedeutung. 2. Angerechnet werden ferner die Zeiten, während deren der Anwärter eine Unfallrente für eine Verminderung der Erwerbs­ fähigkeit um mindestens 20°/g bezog,ohne gleichzeitig eine nach Jnvalidenrecht versicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben. Der letztgedachte Zusatz stellt klar, daß, wenn der Rentner trotz seiner herabgesetzten Erwerbsfähigkeit versicherungspflichtig tätig ist, für ihn nicht etwa, unter Berufung auf diese Bestimmung, Befreiung von den dadurch verfallenden Beiträgen in Anspruch genommen werden kann?') Werden trotzdem Beiträge für ihn nicht entrichtet, so sind die betreffenden Wochen nicht anrechenbar?'8) Unfallrente ist, ent­ sprechend f)ier38) dem § 6 Abs. 1 JVG. (vgl. oben § 18 II), eine Rente aus der reichsgesetzlichen Unfallversicherung; vorausgesetzt wird ein nach dem Grade der Erwerbsunfähigkeit bestimmtes Minimum. Daraus geht zugleich hervor, daß hier anders, wie bei § 6, nur Verletztenrenten in Betracht kommen?3) Die Bestimmung hat M) Diese Bestimmung ist neu. Vgl. für das frühere Recht AN. 95 S. 252 Nr. 461, eine Entscheidung, die aus Gründen, welche auch auf die Frage der Erhaltung der Anwartschaft paßten, die Anrechnung der Zeit des Bezugs von Unsallrente auf die Wartezeit für die Invalidenrente gemäß § 33 Abs. 3 G. 89 ablehnte. Die neue Bestimmung wird aber gemäß dem oben N. 7 litt, a Bemerkten vom NVA. als rückwirkend behandelt; vgl. die dort cit. Entsch. Nr. 873. ”) Bosse-v. Woedtke S. 364 litt, d zu § 37 G. 89. Über die in ge­ wisser Beziehung abweichenden Verhältnisse bei Krankheitswochen vgl. oben § 38 bei N. 48 a, 49 (§ 30 Abs 2 JVG.). 3Ja) AN. 04 S. 357 Nr. 1114. Dagegen wird hier die „Annahme, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung von wenigstens 20 Wochen in einem für die Erhaltung der Anwartschaft maßgebenden zweijährigen Zeitraum die An­ wendung von § 46 Abs. 2 Ziff. 2 überhaupt ausschließe, da durch die Beitrags­ leistung für diese 20 Wochen die Anwartschaft" auch ohne jene besondere Schutz­ bestimmung „hätte erhalten werden können", abgelehnt. 38) Im übrigen besteht zwischen den beiden Bestimmungen kein Parallelismus, was von Weymann Anm. 18 zu § 6 zum Gegenstände legislatorischer Kritik gemacht wird. 3S) Gebhard-Dü ttmann Anm. 15.

nur für die Erhaltung der Anwartschaft Bedeutung (§ 46 Abs. 2 Ziff- 2). 3. Das gleiche gilt40) von den übrigen in § 46 Abs. 2 Ziff. 2 mit § 53 JVG. angeführten und ebenfalls von dem Mangel ver­ sicherungspflichtiger Tätigkeit abhängigen Ersatztatsachen. Schon der § 37 des G.89 hatte bestimmt, daß für Personen, welche aus den in § 36 G. 89 bezeichneten Zuschußkaffen Invaliden- oder Alters­ renten beziehen, das in § 32 G. 89 vorgesehene Erlöschen des Versicherungsverhältniffes nicht eintreten solle. Die gedachten Kassen (insbesondere Fabrik-, Knappschafts- und Seemannskassen) waren in § 36 ermächtigt worden, denjenigen ihrer Mitglieder, welche von den reichsrechtlichen Versicherungsanstalten Renten bezogen, und so­ bald dieser Fall eintrat, die statutenmäßigen Kassenleistungen um den Betrag der reichsrechtlichen Renten zu kürzen und sich selbst in­ soweit zu entlasten. Die Bestimmung in § 37 diente danach mehr dem Interesse der Zuschußkaffen, damit nicht während des Bezugs der Kaffenrente die reichsgesetzliche Anwartschaft des betreffenden Mitgliedes verfalle und der Kaffe dadurch die Möglichkeit späterer Kürzung abgeschnitten würde.4') Jndeffen war der Wortlaut des § 37 in Bezug auf die Bezeichnung der Kaffm ganz allgemein gefaßt und mußte daher auch auf solche Kaffen Anwendung finden, welche von jener Ermächtigung keinen Gebrauch machten.4^) Das gleiche muß jetzt auch von der Bestimmung des § 46 Abs. 2 Ziff. 2 gelten, nach welcher als Beitragswochen die Zeiten behandelt werden sollen, während deren der Anwärter aus Kassen der in § 52 JVG. (— § 36 G. 89) bezeichneten Art Invaliden- oder Altersrenten bezog. Diesen Kassen stellt dann der § 63 JVG. (— 38 G. 89) diejenigen „zur Fürsorge für Invalidität und Alter" bestehenden Kassen gleich, hinsichtlich deren auf Grund ortsstatutarischer Be­ stimmungen eine Verpflichtung zum Beitritt besteht. Das neue JVG. hat nun aber weiter nach Inhalt der Motive43) es „für unbedenklich erachtet, für Mitglieder der nach §§ 5, 7 des ") AN. 97 S, 593 Nr. 621 ju § 37 G. 89. «') Abg. Frhr. v. Stumm, Sten.Ber. 1889 S. 1380. 42) Übereinstimmend Bosse - v. Woedtke S. 363 Abs. 3, GebhardDüttmann Anm. 16 Abs. 3. «) Mot. Abs. 3 zu § 32 Enlw. ZVG.

Entwurfs") zur selbständigen Durchführung der Invaliden­ versicherung zugelassenen besonderen Kasseneinrichtungen, welche auf Grund der Kassenstatuten andere, als die in diesem Gesetz vor­ gesehenen Renten (z. B. Renten bei Berufsinvalidität) beziehen, die Bestimmungen des § 32 Entw. in gleicher Weise außer Kraft zu setzen, wie dies bisher in § 37 für Mitglieder der in § 36 be­ zeichneten Zuschußkafsen vorgesehen war. Hierdurch werden auch die Interessen der zugelassenen besonderen Kasseneinrichtungen insofern gefördert, als sie hinfort nicht mehr der Gefahr ausgesetzt sind, daß ein Mitglied, welches die statutarische Rente erhält, seinen Anspruch auf reichsgesetzliche Rente gemäß § 32 verfallen läßt und dadurch die Kasse außer Stand setzt, nach dem Eintritte der Voraussetzungen einer reichsgesetzlichen Rente den auf die statutarischen Leistungen anzurechnenden Reichszuschuß zu erlangen".") Weil nun die Worte der Motive nur von denjenigen Kasseneinrichtungen sprechen, welche „andere, als die in diesem Gesetze vorgesehenen Renten gewähren", will Weymann") die Bestimmung auf diejenigen Personen nicht nicht angewendet wissen, welche aus zugelassenen Kasseneinrichtungen nicht „andere oder höhere", sondern nur die reichsgesetzlichen Alters­ und Invalidenrenten beziehen. Auch Gebhard-Düttmann") verkennen mit Weymann nicht das Bedenkliche der entgegen­ gesetzten Auffassung, welche insbesondere zu einer verschiedenartigen Behandlung der Altersrentner, je nachdem sie die reichsgesetzliche Rente aus Kassen oder Anstalten beziehen (vgl. unten Ziff. 4), führen muß, glauben aber doch an dem Wortlaut des Gesetzes und der aus diesem sich ergebenden uneingeschränkten Auslegung festhalten zu sollen. Auch ich halte diesen Standpunkt hier ebenso als gerechtfertigt, wie bei der oben erörterten Interpretation der auf die Zuschußkassen bezüglichen Bestimmungen; die allgemeine, das Festhalten am Gesetzeswortlaut fördernde Regel: „ubi lex non distinguit, non est nostrum distinguere“ muß insbesondere auch hier gelten, wo durch sie den Kassenrentnern zwar vielleicht ein nicht beabsichtigter Vorteil zugewendet, den Anstaltsrentnern aber kein positiver Nachteil bereitet wird. ") Jetzt §§ 8 mit 10 333©.; dazu ist dann noch § 11 des Gesetzes, betreffend die vorbehaltene, besondere Versicherungseinrichtung der See-BG. getreten. 45) Näheres über diese Verhältnisse später! 46) Anm. 13 zu § 46. 47) Anm. 16 Abs. 3.

4. Die letzte Kategorie von Ersatztatsachen enthält § 47 Abs. 4 ZVG., entsprechend dem § 33 Abs. 3 G. 89. Auf die Erhaltung der Anwartschaft bezieht sich der Schlußsatz dieses Absatzes, der aber mit dem vorangehenden Satz 1, welcher die Anrechnung für Warte­ zeit und Rentensteigerung betrifft, in engster Verbindung steht. Hiernach kann nur angenommen werden, daß die in Satz 1 näher bezeichneten Zeiträume genau in demselben Umfange auch als Bei­ lragszeiten zwecks Erhaltung der Anwartschaft in Betracht fotnmen.48) a) Der § 47 Abs. 4 JVG. knüpft seinem Grund und Inhalt nach an die oben § 53 II, 5 litt, e entwickelten Verhältnisse an. Danach kann es vorkommen, daß jemandem, der bereits eine Invalidenrente bezogen hat, später von neuem eine reichsgesetzliche Rente bewilligt wird. Welche der beiden oben bezeichneten Kon­ struktionen man nun auch für richtig erachten mag, in jedem Falle besteht die Gefahr, daß die während des ersten Rentenbezugs fort­ bestehende oder infolge ihres späteren Wiederauflebens als fort­ bestehend anzusehende Anwartschaft während jener, jede Beitrags­ berechtigung ausschließenden, Zeit den Vorschriften des § 46 anheim­ falle. Dem will der § 47 Abs. 4 Satz 2 mit 1 entgegentreten, indem er „die Zeit des früheren Rentenbezugs" als Beitragszeit gelten läßt (vgl. oben N. 34 und § 53 N. 40). b) Wenn hier vom „Rentenbezuge" die Rede ist, so ist damit natürlich nicht unbedingt der rein tatsächliche Bezug der Rente gemeint; denn sonst müßte jede unterlassene Abhebung der Rente die spätere Anrechnung ausschließen. Gemeint ist vielmehr die Zeit des zu Recht bestehenden Bezugs rechts in demSimre, daß dasselbe einer­ seits die bloße Entbehrung des tatsächlichen Genusses miteinschließt, andererseits aber dem nicht zu Recht bestehenden oder doch — worin eine sehr berechtigte Absicht des Gesetzgebers hervortritt48^) — dem 48) Vgl. die Worte „diese Zeit" in Satz 2 mit der „Zeit des früheren Aentenbezugs" in Satz 1 und oben N. 34. Den hier vertretenen Standpunkt teilt Weymann S. 186 Ziff. 2, während Gebhard-Düttmann Anm. 12 Abs. 3 ff. zu § 46 mit Anm. 18 ff. zu § 47 eine Reihe tiefgreifender Ab­ weichungen in der Bestimmung der nach Satz 1 und 2 in Betracht kommenden „Zeiten" aufstellen. 48a) Dieselbe wird in der Revisions-Entfch. v. 5. Nov. 1902 (Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 52 Nr. 1020a Abs. 5 a. E., jetzt AN. 03 S. 387 Nr. 1051 Abs. 3 a. E.) «augenscheinlich verkannt.

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Ill.Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

formell nicht anerkannten Anspruch gegenüber steht. Danach ent­ scheidet sich der in den Kommentaren") zum Teil streitig gebliebene Umfang der anrechenbaren Zeiten im einzelnen?") c) In § 47 Abs. 4 Satz 1 ist bestimmt, daß die Zeit des früheren Rentenbezugs dem Versicherten „ebenso wie eine be") Die Frage ist namentlich bei Gebhard-Düttmann a. a. O. und Wey mann Anm. 19 zu § 47 ausführlich erörtert worden. 50) Unter Vorbehalt näherer Begründung aus dem Wesen der einzelnen Rechtsverhältnisse, welche sich erst aus den späteren Teilen dieses Buches er­ geben kann, möge folgendes bemerkt werden: a) Für nicht anrechenbar halte ich die Zeiträume, für welche dem Versicherten die Rente gemäß § 17 (Vorsatz, Verbrechen) ganz versagt ist, auch wenn sie seinen Angehörigen überwiesen ist (übereinstimmend Weymann Anm. 20 Ziff. 2 zu § 47). Nichtanrechenbarkeit nehme ich ferner (gegen Weymann Anm. 19 Ziff. 5) mit AN. 02 S. 544 Nr. 1001) an, wenn nach § 15 Abs. 2 Satz 2 die Invalidenrente ganz wegfällt, weil die Unfallversicherung eintritt; weiter, wenn nach §§ 22, 47 Abs. 2 die Invalidenrente wegen Widerstandes gegen die Heilmaßregeln der Versicherungs­ anstalt ganz versagt ist (übereinstimmend Wey mann Anm. 20 Ziff. 2), wenn überhaupt kein Antrag auf Bewilligung der Rente gestellt war (AN. 98 S. 333 Nr. 655, aber in tatsächlichem Widerspruch dazu auf Grund unrichtiger Frage­ stellung — vgl. oben § 53 N. 40 — und mit Außerachtlassung des 91. 48a Be­ merkten die dort citierte Rev.Entsch.), sowie für Zeiten, für welche nach § 41 Abs. 3 Rente nicht gewährt wird, weil sie vom Antrag länger als 1 Jahr zurück­ liegen (übereinstimmend die Begründung zur Entsch. Nr. 1001 Zeile 6 von unten, sowie AN.03 S. 386 Nr. 1050, abweichend Weymann Anm. 19 Ziff. 1). Weil kein Bezugs recht vorlag, muß die Anrechenbarkeit auch fortfallen, wenn die frühere Nentenbewilligung später durch Urteil und Recht wieder aufgehoben wird (ebenso Weymann Anm. 20 Ziff. 3). Gegen Gebhard-Düttmann Anm. 18 Ziff. 4 zu § 47 lasse ich endlich die Anrechenbarkeit auch fortfallen sobald nach § 26 JVG. Abfindung der Rente mittels Kapitalzahlung eintritt. Der Grund, daß die Anwartschaft durch die Abfindung nicht definitiv erlöscht, beweist nicht, daß sie nicht während des Abfindungszeitraums durch Beitrags­ mangel erlöschen kann (vgl. dazu unten § 82 N. 30). — b) Dagegen halte ich die Anrechenbarkeit als gegeben für Zeiten, in denen nach § 48 „das Recht auf Bezug der Rente nur ruht" (übereinstimmend Wey mann Anm. 19 Ziff. 2 gegen Jsenbart-Spielhagen, 2. Aufl., Anm. 11 a. E), sowie für solche „in denen die ganze Rente an den Armenverband (§ 49 Abs. 4) oder auf Grund des § 55 an Dritte gezahlt oder durch Aufrechnung getilgt, oder auf die An­ gehörigenunterstützung gemäß § 18 Abs. 4 angerechnet worden oder an die Stelle dieser Unterstützung gemäß § 47 Abs. 2 getreten ist" (Weymann Anm. 19 Ziff. 4). — Gebhard-Düttmann scheiden in einer Reihe der angeführten Fälle zwischen der Anrechenbarkeit nach § 47 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2; vgl. dagegen oben N. 48.

scheinigte Krankheitszeit (§ 40 Abs. 1) anzurechnen" sei. Der Hin­ weis auf § 40 Abs. 1 soll mit Bezug auf die Rentensteigerung die Lohnklasse fixieren, in welcher die Anrechnung zu erfolgen hat. Dagegen findet weder für Satz 1 noch für Satz 2 die Anrechnung nur unter den besonderen Voraussetzungen und Beschränkungen statt, welche für die Anrechnung von Krankheitswochen selbst gelten (vgl. oben IV, 1). Namentlich ist die Rentenbezugszeit auch dann anzurechnen, wenn eine versicherungspflichtige Beschäftigung ihr nicht unmittelbar vorangegangen ist.51) Daß die Beschränkung der An­ rechnung auf 1 Jahr hier fortfällt, ist in Satz 2 noch ausdrücklich, wenn auch überflüssiger Weise, zum Ausdruck gebracht.55) d) Die einzelnen Fälle der Anrechnung, welche hier im Zusammenhange sowohl für Satz 1 wie 2 in § 47 Abs. 4 behandelt werden sollen, ergeben sich im Anschluß an die obigen Erörterungen (§ 52 II, 5 litt. e). In Betracht kommt positiv oder negativ an dieser Stelle (vgl. auch unten § 75 VI, VII) folgendes: aa) Die Zeit des Bezugs einer Rente wegen dauernder Erwerbs­ unfähigkeit (Dauerrente aus § 15 JVG.) wird angerechnet, wenn die Rente bei wiedererlangter Erwerbsfähigkeit entzogen war und später eine neue Invalidenrente aus § 15 oder 16 (Krankenrente) be­ willigt wird. bb) Die Zeit des Bezugs einer Krankenrente55) wird zweifellos, gleichfalls angerechnet, wenn nach einer rentenfreien Zwischenzeit später eine neue Kranken- oder auch Dauerrente bewilligt wird. Dagegen hatte die frühere Praxis in der Frage der Rentensteigerung, die Anwendung von § 33 Abs. 3 G. 89 aus völlig überzeugenden Gründen für den Fall abgelehnt, daß sich an den Bezug der Krankenrente der einer Dauerrente unmittelbar anschloß.*5*)* * Der * Übergang einer bloß vorübergehenden (fiktiv dauernden) in eine wirklich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde daher juristisch in diesem Sinne nicht als ein Wechsel des Anspruchsgrundes angesehen.5*») Diese Auslegung hätte zur Vermeidung der sonst sich ergebenden «') AN. 00 S. 409 Nr. 794. 52) So auch nach früherem Recht (AN. 95 S. 252 Nr. 461 Abs. 2). 53) Früheres Recht grundsätzlich übereinstimmend, was allerdings AN. 9& S. 333 Nr. 655 nur hypothetisch zugiebt. Vgl. auch AN. 04 S. 355 Nr. 111161) AN. 99 S. 559 Nr. 749. 5«a) Vgl. dazu AN. 97 S. 353 Nr. 584 Abs. 3; unten § 61 N. 15.

588 HL Buch.

Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

praktischen Unzuträglichkeiten 55) sehr wohl auch gegenüber dem Texte des jetzigen § 47 Abs. 4 beibehalten werden sönnen;50) das NVA. hat jedoch bereits5') auf Grund einer m. E. nicht durch­ schlagenden Materialienstelle50) anders entschieden. Keinesfalls wird das aber die Konsequenz nach sich ziehen können, daß, wenn 'eine als wirklich dauernd behandelte Invalidität nach Ablauf von 26 Wochen bei Besserung des körperlichen Zustandes in eine nunmehr bloß noch vorübergehende übergeht, auch die bis zur Krisis gewährte Dauer­ rente für die Rente der späteren Zeit als Steigerungsmoment zu verwerten ist.59) cc) Die Zeit des Bezugs einer Invalidenrente wird angerechnet, wenn später eine Altersrente bewilligt wird. Das hatte bereits die frühere Praxis60) im Wege der Auslegung von § 33 Abs. 3 für einen Fall angenommen, in welchem zwischen dem Bezug der In­ validenrente und der Vollendung des 70. Lebensjahres eine Zeit versicherungspflichtiger Beschäftigung gelegen war. Ob gegenüber dem jetzigen Wortlaut des § 47 Abs. 4, welcher ohne Unterscheidung alle Fälle umfaßt, in denen „eine Altersrente bewilligt wird", das M) Vgl. dazu Jsenbart-SpielHagen Anm. 10 zu § 47 und GebhardDüttrnann Anm. 20 und 5 a. E. Diese Unzuträglichkeiten treten besonders hervor, wenn man mit den letzteren eine ex officio eintretende Einstellung der Kranken- und Bewilligung der Dauerrente für ausgeschlossen hält. 66) Es wären dann die Worte „Wird die Rente von neuem" auf die spätere Bewilligung einer gleichartigen Rente, die folgenden Worte ihrem Inhalte nach auf die Bewilligung einer Dauer- statt („an Stellet der Krankenrente zu be­ ziehen gewesen, in beiden Fällen aber unter der Voraussetzung, daß zwischen der einen und der anderen Rente ein rentenfreier Zeitraum gelegen war. M) AR. 00 S. 409 Nr. 794; vgl. auch AN. 02 S. 685 Nr. 1021. 58) Komm.Ber. zu § 33 Entw. JVG. Danach wurden die Worte: „oder wird — (§ 15) bewilligt" „auf Vorschlag eines Vertreters der verbündeten Regierungen zur Beseitigung eines in der Praxis aufgetauchten Zweifels ein­ geschoben". Allein abgesehen davon, daß die Materialien nicht Gesetz sind, geht hier aus denselben nicht einmal sicher hervor, welcher Zweifel eigentlich gemeint war. Vielleicht handelte es sich nur um den in AN. 98 Nr. 655 (vgl. oben N. 43) nicht unbedingt entschiedenen Zweifel. 50) Vielmehr bleibt die Rente unverändert, bis im Sinne von § 47 Abs. 1 Entziehung erfolgen kann. Ebenso AN. 99 S. 559 Nr. 748, eine Entscheidung, deren Bezug auf den vorliegenden Fall durch die Worte „nicht mehr dauernd -erwerbsunfähig" in Zeile 5 von unten bewiesen wird. Über einen besonderen, -ebenso zu beurteilenden Fall vgl. noch unten § 75 N. 82. °o) AN. 98 S. 567 Nr. 686.

§ 54.

Das Erlöschen der Anwartschaft durch Beitragsmangel.

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gleiche auch in den seltneren Fällen °') zu gelten haben wird, in denen, ohne daß wieder Erwerbsfähigkeit und Rentenentziehung eintrat, an Stelle der Invalidenrente die höhere Altersrente be­ ansprucht wird, ließ das NVA. zunächst noch dahingestellt?3) Ich glaube,63) trotz der neueren entgegengesetzten Stellungnahme desAmtes, daß das der Fall sein muß, zumal diese Entscheidung auch innerlich durch die Tatsache gerechtfertigt wird, daß der Anspruchs­ grund des Alters sich als ein zweifellos wesensverschiedener von bem. der Erwerbsunfähigkeit abhebt (vgl. Bd. I S. 341 N. 29 und unten § 62 III, 1). Dagegen schließt das Gesetz durch sein Schweigen den Fall von der Anrechnung aus, daß an Stelle einer Altersrente später eine Invalidenrente bewilligt werden soll. Das ist, wie sich aus den Bemerkungen oben § 53 bei N. 49 ergibt, juristisch durch das besondere Verhalten der Anwartschaft nach Bewilligung einer Altersrente an einen Erwerbsfähigen erklärt. V. Ist die Anwartschaft erloschen, so kann sie doch nach § 46 Abs. 4 JBG?^) in eigentümlicher Weise wieder aufleben. Die Eigentümlichkeit des Falles beruht darin, daß hier zunächst eine neue Anwartschaft entstehen muß, welche, wenn sie selbst einen ge­ wissen Beitragsinhalt gewonnen hat, die alte wiedererweckt und sich mit ihr vereinigt. 1. Jemand, der seine Anwartschaft durch Beitragsmangel ver­ loren hat, kann zunächst von neuem in eine versicherungspflichtige Beschäftigung eintreten, auf Grund deren Beiträge für ihn entrichtet werden. Er könnte ferner, wenn er selbstversicherungsberechtigt ist 6I) Vgl. dazu Gebhard-Düttmann Anm. 18 Schlußabsatz zu §47. «-) AN. 02 S. 544 Nr. 1001 Abs. 2 Zeile 5. 63) Übereinstimmend Weymann Anm. 19 Zifs. 3, dagegen GebhardDüttmann a. a. D., sowie AN. 02 S. 684 Nr. 1021. Doch sind die Gründe dieser Entsch. m. E. nicht durchschlagend. Der schon an sich bei der mangelhaften Redaktion unserer Gesetze unsicheren Bezugnahme auf die systematische Stellung des § 47 Abs. 4 steht, abgesehen von der eigenen Entsch. des RVA. Nr. 794 (vgl. N. 57), der klare Wortlaut des Gesetzes entgegen. Wenn aber gesagt wird sebenso auch Jsenbart-Spielhagen, 2. Ausl., Anm. 10), daß man sonst mit dem Grundsatz in Widerspruch gerät, nach welchen» „der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit die Versicherung beendet, spätere Zeiten nicht mehr anrechenbar sind", so beweist das zu viel, weil es gegen jede Anrechnung, eines früheren Jnvalidenrentenbezugs eingewendet werden könnte. M) Entsprechend § 32 Abs. 2 G. 89. Über die Änderung des Wortlauts vgl. oben § 53 bei 91. 25—27. Zur Sache Bd. I S. 462 f.

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IU. Blich. Beitragswcsen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

oder wird, auf Grund der Selbstversicherung von neuem Beiträge leisten. Er kann aber endlich auch, ohne versicherungspflichtig oder selbstversicherungsfähig zu sein, von neuem freiwillig Marken kleben. Obgleich also die Anwartschaft erloschen ist, wirkt sie in diesem letzten Falle kraft besonderer Konzession des Gesetzes als Rechtsgrund für die freiwillige Fortsetzung der Versicherung, welche sich als Weiter­ versicherung oder Fortsetzung der Selbstversicherung darstellt, je nachdem sie sich an eine frühere Pflicht- oder Selbstversicherung an­ schließt. Einen Zeitraum, während dessen die neue Beitrags­ leistung beginnen muß, bestimmt das Gesetz nicht; auch noch nach beliebig vielen Jahren kann der Grund zum Wiederaufleben der er­ loschenen Anwartschaft gelegt roerben.65) 2. Die Beiträge für die von neuem aufgenommene VersicherungsPflichtige Beschäftigung können, wenn ihre rechtzeitige Entrichtung versäumt ist, unzweifelhaft in den Fristen des § 146 nachgebracht werden, wodurch dann die neue Anwartschaft rückwärts zur Ent­ stehung gelangt (vgl. oben § 53 II, 3). Ob dagegen, ohne vor­ herigen Wiedereintritt in die Versicherungspflicht, für die seit dem Erlöschen der Anwartschaft abgelaufene Zeit innerhalb eines Jahres danach auch freiwillige Beiträge zwecks rückbezüglicher Erwerbung der neuen Anwartschaft gemäß § 146 nachgebracht werden können,66) würde nicht unzweifelhaft sein, wenn man die Analogie des ersten Eintritts in die Selbstversicherung (vgl. oben § 52 N. 35) heran­ ziehen wollte.6') Doch halte ich diese Analogie gerade mit Rücksicht auf das in Ziff. 1 über den Charakter der neuen freiwilligen Ver­ sicherung Bemerkte als ausgeschlossen.66) 65) Daß danach die Bestimmung zur Umgehung der für den Eintritt in die Selbstversicherung aufgestellten Altersgrenze (§ 14 Abs. 1) benutzt werden kann, heben Jsenbart-Spielhagen Anm. 17 zu § 46 hervor. 6Ö) Derart, daß, wenn der Inhaber einer erloschenen Anwartschaft sich ein Jahr nach dem Erlöschen entschließt, sie wieder zu erneuern, er gleich 52 frei­ willige Beiträge auf einmal verwenden kann. 67) Dieser Standpunkt würde wohl dem von Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 a. E. zu § 153 und 2. Ausl. Anm. 7b Abs. 2 zu § 46 Ausgeführten entsprechen. Er wird jetzt vom RVA. in AN. 03 S. 371 Nr. 1045 geteilt, doch kann der Wortlaut „und danach" nicht entscheiden; er ist eben unter Vorbehalt des § 146 zu verstehen. 68) Und zwar auch für den Fall, wenn zur Zeit der Beibringung der neuen freiwilligen Beiträge tatsächlich Selbstversicherungsbefugnis vorlag; vgl. oben N. 24.

3. Die neue Anwartschaft ist zunächst ganz auf sich selbst und die ihr eigenen Beiträge gestellt. Sie unterliegt daher auch hin­ sichtlich ihres Erlöschens ganz den allgemeinen Normen des § 46.69) Wird sie aber soweit fortgeführt, daß sie für sich 200 Wochen­ beiträge gewonnen hat, so lebt nunmehr die alte Anwartschaft mit allen ihr eigentümlichen Rechtswirkungen (vgl. oben § 53 N. 39) wieder auf und vereinigt sich mit der neuen zu einer einzigen ein­ heitlichen Anwartschaft. Jene als Voraussetzung dafür erforderte Beitragszeit von 200 Wochen nennt das Gesetz „Wartezeit"; es ist jedoch wohl zu beachten, daß dieselbe nur ein Warten auf das Wiederaufleben der früheren Anwartschaft darstellt und von der Hauptwartezeit des Gesetzes (§ 29), welche die Anspruchsreife der Anwartschaft bedingt, in ihrem Wesen ganz verschieden ist. VI. In den obigen Erörterungen zu II und III ist vorerst, um der Klarheit der Darstellung willen, von dem Einfluß abgesehen worden, den die Möglichkeit einer nachträglichen Beitragsleistung für ungedeckte Wochm auf die Aufrechterhaltung der Anwartschaft chaben kann. 1. Daß die in eine Anwartschaftsfrist fallenden Wochen einer Versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht für sich allein, sondem nur unter der Voraussetzung ihrer nachträglichen, wenn auch nach Ablauf jener Frist gemäß § 146 erfolgenden Belegung mit Bei­ trägen zur Erhaltung der Anwartschaft angerechnet werden können, ist bereits oben § 53 I, 1 litt, b festgestellt worden. Das bedeutet, im Zusammenhange mit . allem bereits Erörterten, juristisch, daß die Anwartschaft trotz der vorhandenen Beschäftigungswochen zwar er­ lischt, daß sie aber rückbezüglich wieder auflebt, sobald in den Fristen des § 146 eine genügende Anzahl'9) derselben nachträglich mit Beiträgen gedeckt wird.") Dieses Wiederaufleben der Anwartee) Freiwillige Beiträge sind in Betracht von § 46 Abs. 1 als Weiter­ versicherungsbeiträge zu würdigen, wenn vorher und zwar auch zur Zeit der «rloschenen ersten Anwartschaft (vgl. im Text Ziff. 1) bereits Pflichtversicherung bestand. ™) Genügend nach § 46 Abs. 1, 3, nicht etwa notwendig 200 nach Abs. 4. 71) Für die Richtigkeit dieser Konstruktion spricht, daß das RVA. selbst sie in AN. 96 Nr. 479 S. 154 Abs. 2 für den Fall anwenden wollte, „daß Quittungslarten, deren Ungiltigkeit bereits bei ihrem Umtausch deshalb ausgesprochen war, weil im Hinblick auf die geringe Zahl der verwendeten Beitragsmarken die Anwartschaft als erloschen angesehen wurde, später durch den Nachweis der

schaft ist von dem in § 46 Abs. 4 geregelten insofern verschieden, als es nicht durch Vermittlung einer neuen Anwartschaft, sondern unmittelbar, gleichsam aus einer ihr noch innewohnenden latenten Kraft heraus, erfolgt. 2. Bedenklicher ist die Beurteilung einer Nachbringung frei­ williger Beiträge für Wochen einer bereits erloschenen Anwartschaft. Man muß unterscheiden: a) Die erste Frage, ob für Wochen bestandener Versicherungs­ berechtigung, für welche aber Beiträge nicht entrichtet waren, die­ selben innerhalb der nach § 146 geordneten Jahresfrist mit der Wirkung nachgebracht werden können, daß dadurch die erloschene Anwartschaft gemäß dem bei Ziff. 1 Entwickelten wieder auflebt, ist vom NVA. unter der Herrschaft des alten Rechts verneint worden.^) Diese Entscheidung muß auch für das neue Recht aufrecht erhalten bleiben.") Denn bei den Wochen versicherungs­ pflichtiger Tätigkeit bildete diese den objektiven und nicht nachträg­ lich herstellbaren Rechtsgrund für die Nachbringung der Beiträge, während bei der freiwilligen Versicherung die Zulässigkeit einesZurückgreifens auf die nach einmaliger Beitragsleistung jederzeit vorhanden gewesene Beitragsberechtigung in der Tat „einer Außer­ kraftsetzung der Gesetzesvorschrift" des § 46 gleichkommen würde. b) Wird indessen von der Wirkung des Wiederauflebens der erloschenen Anwartschaft abgesehen, so steht der sristzeitigen (§ 146) Nachbringung auch freiwilliger Beiträge nichts entgegen. Nur können sie, da sie tatsächlich auf Zeiten der erloschenen Anwart­ schaft geleistet werden, nicht auf die nach § 46 Abs. 4 zu beerforderlichen Anzahl von Wochen versicherungspflichtiger Tätigkeit" (und ent­ sprechender Beitragsnachbringung; vgl. .oben § 53 I, 1 litt, b) „ihre Giltigkeit wieder erlangen können". Dazu die oben N. 67 citierte Entscheidung N. 1045. 72) AN. 99 S. 776 Nr. 780 Schlußabsatz; vgl. auch Riß in Mainzer Ztschr. Bd. 5 S. 179 Sp. 2. 73) Übereinstimmend Jsenbart-Spielhagen Anm. 3 a. E. zu § 135, Gebhard-Düttmann Anm. 10 Abs. 2 zu § 46. Anders Jsenbart-Spiel­ hagen, 2. Ausl., Anm. 7b mit 3b zu §46 und danach AN. 03 S. 371 Nr. 1045, S. 396 Nr. 1063 (Erstattungsfall; erfolgt hier die Nachbringung nach Eintritt desselben, so kann sie auch vom Standpunkte des NVA. nicht mehr für den Erstattungsanspruch, sondern nur noch für einen späteren Renten­ anspruch wirksam werden). Gegen die neuere Judikatur des NVA. auchAppelius in Mainzer Ztschr. Bd. 14 S. 41.

§ 55.

Die Ungiltigkeit der QuittnngSkarte.

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gründende neue Anwartschaft zur Anrechnung gelangen.’4) Ist aber die letztere anderweitig durch Beiträge, welche auf die laufende Zeit erfolgen, fähig geworden, die alte Anwartschaft wiederzuerwecken, so erlangen in und mit dieser auch die nachträglich beigebrachten freiwilligen Beiträge die Anrechenbarkeit.

§ 55.

Die Nugiltigkeit der Quittnngskarte.

I. Mit den Bestimmungen über das Erlöschen der Anwart­ schaft steht der § 185 JVG. in gewisser, aber inhaltlich zweifel­ hafter Beziehung. Er bestimmt zunächst, daß eine Quittungskarte ihre „Giltigkeit" verlieren soll, wenn sie nicht innerhalb zweier Jahre nach dem auf der Karte verzeichneten Ausstellungstage') zum Umtausch (vgl. oben § 41 N. 12 a) eingereicht ist. Fest steht, daß man mit dieser Vorschrift eines regelmäßigen Umtausches der Quittungs­ karten binnen bestimmter Frist eine Kontrolle über das Erlöschen 71) Das übersehen wohl Gebhard-Düttmann Anm. 21 a. E. zu § 46, richtig Weymann Anm. 7 a. E. Jsenbart-Spielhagen 1. Aufl. halten in Anm. 6 a. E. zu § 135 die hier in Rede stehende und die oben N. 67 berührte Frage nicht genügend auseinander. l) Nach § 104 G. 89 mußte die Karte bei Vermeidung des Giltigkeits­ verlustes bis zum Schlüsse des 3. Jahres, welches dem am Kopfe der Karte verzeichneten Jahre folgt, zum Umtausch eingereicht werden. Für den Übergang zum neuen Recht bestimmte Ziffer 5 der Bundesrats-VO. v. 10. Rov. 1899, betr. die Einrichtung der Quittungskarten, daß „die am Schlüsse des Jahres 1899 in Benutzung befindlichen Karten nach dem 1. Januar 1900, und zwar auch für die Selbstversicherung und deren Fortsetzung, innerhalb zweier Jahre nach dem Tage ihrer Ausstellung zur Beitragsentrichtung noch verwendet werden" durften. Die preußische Kartenanweisung Ziff. XXIX faßte dies dahin auf, daß die vordem 1. Januar 1900 ausgestellten Karten innerhalb der bezeichneten Frist gemäß § 135 ihre Giltigkeit verlieren sollten; doch fügte sie die Verheißung hinzu, daß, soweit die Frist vor dem 1. Januar 1900 oder vor dem auf der Karte bezeichneten Zeitpunkte des Ablaufs der Giltigkeit ihr Ende erreicht, die Anerkennung der fortdauernden Giltigkeit durch den Anstaltsvorstand erfolgen werde (§ 135 Abs. 1 Satz 2). Daß diese Auslegung sowohl als solche, wie nach ihrem Inhalte (vgl. analog oben § 52 N. 20 zu litt, c), nicht unbedenklich war, führen Gebhard-Düttmann Anm. 6 Abs. 2 zu § 135 mit e. *150 Anm. 5 und S. *236 Anm. 55 aus; dazu Jsenbart-Spielhagen, Aufl. I und 2, Anm. 11 zu § 135.

Rostn, Recht der Arbeiterverstcherung. Band II.

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594 HI. Buch.

Beitragswesen.

IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

der Anwartschaft schaffen wollte;^) zweifelhaft und sehr bestritten aber ist, wie der rechtliche Nachteil der „Ungiltigkeit der Quittungs­ karte" aufzufaffen ist, mit dem das Gesetz die Versäumung des recht­ zeitigen Umtauschs bedroht. Es stehen sich hier im wesentlichen zwei Auffassungen scharf gegenüber, welche man kurz als die Theorien der materiellen und der bloß formellen Ungiltigkeit bezeichnen kann. Die erstere findet ihre hauptsächlichste Vertretung in dem Kommentar von GebhardDüttmann/) die letztere ist, wenn man von gewissen Schwan­ kungen und Unklarheiten der einzelnen Erkenntnisse absieht, die jetzige des RVA?) Die Theorie der materiellm Ungiltigkeit nimmt dieselbe im Sinne civilrechtlicher Nichtigkeit und überträgt letztere von der Quittungskarte auf die als ihre Bestandteile erscheinenden 2) Komm.Ber. 2. Lesung zu § 89 (89aaa) Entw. G. 89; Drucks. S. 154 a. E. Der Entw. IVG. wollte den ganzen Paragraphen weglassen, doch entschied der Komm.Ber. wiederum zu Zwecken der Beitragskontrolle für die Beibehaltung. 3) Anm. 2 zu § 135. Auf demselben Standpunkte stehen Bosse - v. Woedtke Anm. 1 Abs. 1 zu § 104 G. 89 und jetzt Appelius in Mainzer Ztschr. Bd. 11 S. 97, sowie Seelmann, ArbB. 02 S. 70. 4) Das RBA. schien zuerst im entgegengesetzten Sinne Stellung nehmen zu wollen, wie aus dem Bericht über die Konferenz der Versicherungsanstalten vom November 1894 Punkt 16 (Mainzer Ztschr. Bd. 5 S. 20 — ArbV. S. 628) wohl hervorgeht. Die neuere Auffassung wurde literarisch vorbereitet von S chmid, Mainzer Ztschr. Bd. 5 S. 113 und Riß S. 169 (vgl. auch schon Laß, unten N. 16) und festgelegt in AN. 96 S. 152 Nr. 479 mit AN. 97 S. 594 Nr. 623 Abs. 5 und AN. 99 S. 775 Nr. 779. Eine ausführliche Bearbeitung der damit für die Praxis der Versicherungsanstalten gegebenen neuen Gesichtspunkte gibt der Erlaß des Vorstandes der Anstalt Württemberg v. 24. Jan. 1896, abgedruckt in Mainzer Ztschr. Bd. 6 S. 84. In bedenklicher Richtung schreitet das NVA. in AN. 00 S. 678 Nr. 822 weiter vor, indem es den Grundsatz aufstellt, daß die Anerkennung der fortdauernden Giltigkeit einer Karte gemäß § 104 den Mangel des § 32 im Sinne einer Erhaltung oder Wiederherstellung der An­ wartschaft heilt. Gegen diese Konsequenz wenden sich namentlich die in N. 3 citierten Aufsätze von Appel ius und Seelmann. Die Übertragung seines bisherigen Standpunktes, wie er sich aus der Entsch. Nr. 479 und 822 ergibt, auf das neue Recht vollzieht ausführlich ein in Mainzer Ztschr. Bd. 11 S. 163 abgedrucktes Schreiben des NVA. an eine Versicherungsanstalt. Endlich aber gibt eine Entsch. des erweiterten Senats AN. 02 S. 474 Nr. 981 die bedenk­ lichen Grundsätze der Nr. 822 auf und bestätigt im übrigen die der Nr. 479 auch für das neue IVG. — Der Judikatur des NVA. zur Zeit ihrer Ab­ fassung schließen sich die Kommentare von Jsenbart-Spielhagen, 1. Aust, (vgl. aber auch die 2., besonders Anm. 5a) und Weymann an.

Marken. Sämtliche Marken, welche sich in einer nicht rechtzeitig umgetauschten Karte befinden, verlieren nach dieser Theorie ihre An­ rechenbarkeit und sind daher namentlich bei der Frage nach dem Er­ löschen der Anwartschaft nicht zu berücksichtigen. Im Gegensatz dazu beurteilt die Theorie der formellen Ungiltigkeit die Frage des Erlöschens der Anwartschaft durch Beitragsmangel ausschließlich nach § 46 JVG.; auch die Marken einer verfallenen Karte bleiben dafür anrechenbar und die Rechtsminderung, welche das fruchtlose Ver­ streichen der Umtauschfrist gemäß § 185 JVG. herbeiführt, besteht nur darin, daß eine verfallene Karte nicht mehr als eine ordnungs­ mäßige gilt und denjenigen Beweis zu Gunsten des Versicherten nicht zu erbringen vermag, den sonst die ordnungsmäßige Marken­ verwendung auf ordnungsmäßiger Quittungskarte begründet. Ich glaube, daß die Theorie der bloß formellen Ungiltigkeit theoretisch und praktisch vorzuziehen ist. Der Hauptvorwurf, der ihr von gegnerischer Seite gemacht wird, besteht in der verhältnis­ mäßigen Geringfügigkeit des Inhalts, welchen sie dem § 135 belasse, und vermöge deren die vom Gesetzgeber durch diese Vorschrift be­ zweckte Kontrolle ihre notwendige Schneidigkeit verliere. Allein selbst wenn und insoweit diese Tatsache richtig ist, kommt ihr gegenüber in Betracht, daß die Kontrolle des Erlöschens der Anwartschaft, welche durch § 135 geleistet werden kann, in jedem Falle, gleichviel welche Folgen man an die Versäumung des Kartenaustauschs knüpfen mag, nur eine mangelhafte sein samt,5) daß aber andererseits, gerade im Hinblick darauf, ein so schwerer Eingriff in die erworbenen Rechte des Versicherten, wie ihn die Theorie der materiellen Un­ giltigkeit statuiert/) ganz unverhältnismäßig und daher für die 6) Man denke namentlich an die Bedeutung der Ersatztatsachen für die Er­ haltung der Anwartschaft, die Möglichkeit einer nachträglichen Beitragsentrichtung rmd das Herübergreifen der Anwartschaftsfristen aus einer Quittungskarte in die folgende. Darüber ist man sich einig: Weymann S. 390, GebhardDüttmann Anm. 4 zu § 135, Jsenbart-Spiel Hagen 1. Aust. Anm. 5 vorletzter Absatz, 2. Aust. Anm. 5 a Abs. 2. *) „Der Gesetzgeber kann nicht beabsichtigt haben, daß beispielsweise eine Karte, welche die denkbar höchste Zahl von Wochenbeiträgen ergibt, nämlich mit 16 Dreizehnwochenmarken und 4 Zweiwochenmarken bedeckt ist, wegen des verspäteten Umtauschs keinen Wert haben und daß dadurch auch noch die ganze -frühere Beitragsleistung nutzlos werden solle. Eine solche Begünstigung des Formenwesens darf dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden" ($VJi. 02 Nr. 981 S. 476 Abs. 2).

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III. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

sozialpolitische Wirkung des Gesetzes geradezu verhängnisvoll wäre?) Im Zusammenhange damit müßte es überhaupt den höchsten Be­ denken begegnen, anzunehmen, daß der Gesetzgeber im vollen Be­ wußtsein seines Thunsb) wesentlich dieselben schweren Rechtsnachteile, welche er mit der unzureichenden Beitragsleistung selbst verband, auch schon an die Nichtbeachtung eines bloßen Kontrollmittels ge­ knüpft und damit zwei selbständige, zum Teil sich kreuzende') Mög­ lichkeiten für den völligen Verlust tatsächlich geleisteter Beiträge und der daraus entstehenden Anwartschaften geschaffen haben sollte. Auch die Vorgänge bei der Entstehung des neuen JVG. sprechen nicht dafür. Denn schwerlich würde man sich im Bewußtsein jenes Standpunktes regierungsseitig zum Vorschlag einer völligen Preis­ gabe der in § 135 enthaltenen Kontrollvorschrift und reichstagsseitig zur Wiederaufnahme derselben entschlossen haben, ohne dem in der Judikatur offen liegenden entgegengesetzten Standpunkt des NVA. Beurteilung bezw. Mißbillignng angedeihen zu lassen.") Dazu kommt, daß auch die Gegner die von ihnen verteidigten Konsequenzen ihrer Ansicht selbst nicht in alle Weite festhalten können und sich dadurch in Widersprüche und Unbilligkeiten verwickeln. Denn wenn auch die in der Quittungskarte enthaltenen Marken ungiltig werden, so kann doch dies allein, ganz abgesehen von dem fraglich bleibenden Schicksal der Ersatztatsachen (Krankheits- usw. Wochen), diejenigen Wochen nicht treffen, für welche Marken überhaupt noch nicht verwendet worden, sondern rückständig geblieben sind. Denn wollte man anderes annehmen, so käme man zu einer Ungiltig­ keit der ganzen, in die Giltigkeitsdauer der Karte hereinfallenden 7) Daß das Alles durch die dem Vorstand gewährte Möglichkeit der Re­ habilitierung einer verfallenen Karte ausgeglichen sein sollte, wie GebhardDüttmann S. 606 Abs. 1 a. E. meinen, kann schon wegen der völlig freien und einem Rechtsmittel nicht unterstellten Ausübung dieser Befugnis nicht an­ genommen werden. ®> Für die Würdigung dieses Bewußtseins kommt in Betracht, daß der ganze § 104 G. 89 erst in der 2. Lesung der Kommission aus der Mitte derselben heraus ohne eingehendere Diskussion eingeschaltet worden ist; vgl. oben N. 2. °) Man erwäge für das G. 89, daß die Fristen nach § 32 und die nach. § 104 sich durchaus nicht decken und ziehe für das JVG. namentlich die Möglichkeit der sich durchkreuzenden Anwartschaftsfristen (vgl. oben N. 5) in. Betracht! 10) Vgl. Jsenbart-Spielhagen 1. Aufl. S. 574 a. E., 2. Aufl. Anm. 5.

(möglichen) Beitragswochen, wovon doch in § 135 mit keinem Worte die Rede ist. Gebhard-Düttmann") geben daher auch die nachträgliche Beibringung rückständiger Marken wenigstens für ver­ sicherungspflichtige Beschäftigung") zu, welche in eine neue Karte geklebt und zur Erhaltung der mit der alten Karte verfallenen An­ wartschaft verwertet werden können. Aber da sie sonst einen Vorzug des säumigen vor dem pünktlichen Beitragszahler statuieren würden, sehen sie sich genötigt, „die nachträgliche Markenverwendung gemäß § 146 auch dann rechtswirksam zu gestatten, wenn Marken für diese Arbeitswochen auch bereits in die ungiltig gewordene Karte ein­ geklebt waren"! Das bedeutet aber -nicht allein, wie sie erklären, „im Ergebnis eine Annäherung an das RVA.", sondern vielleicht sogar ein Zurückgehen hinter dessen Standpunkt, jedenfalls aber eine unerträgliche Begünstigung desjenigen Versicherten, der imstande ist, die in der verfallenen Karte enthaltenen Beitragssummen aus eigenen Mitteln noch einmal zu entrichten.") Wenn aber endlich auch der Wortlaut des Gesetzes gegen die hier verteidigte Ansicht ins Feld geführt wird, indem behauptet wird, daß der „Verlust der Giltig­ keit" mit einer bloßen Minderung der Beweiskraft nicht vereinbar sei, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß im ganzen Ge­ setzestexte stets nur von einer Ungiltigkeit der Quittungskarte die Rede ist, während es doch wunderbar erscheinen müßte, wenn der bei der entgegengesetzten Ansicht so außerordentlich hervortretende Schwerpunkt der ganzen Bestimmung, die Nichtigkeit der Beiträge, vollständig ohne Ausdruck geblieben wäre. Ich halte danach grundsätzlich den Standpunkt des RVA. für den richtigen, welcher jedoch, unter Abstreifung der bereits an­ gedeuteten Schwankungen und Unklarheiten, folgendermaßen im ein­ zelnen zu formulieren ist: 1. Jede Quittungskarte muß innerhalb zweier Jahre nach dem auf der Karte verzeichneten Ausstellungstage zum Umtausch ein­ gereicht werden. Die zweijährige Frist berechnet sich, wie die ent») Anm. 4 zu 8 135. ,2) Sie müßten konsequent auch die Nachbringung freiwilliger Beiträge zu­ gestehen, weil es ja bei § 135, anders als bei § 46, nicht die unterlassene Bei­ tragsentrichtung, sondern nur der unterlassene Kartenumtausch ist, welcher dem Versicherten präjudiciert. ") So auch Weymann S. 391 Ziff. 6.

sprechende des § 46; jedoch läuft die hier in Rede stehende nur ein­ mal ab. Auch der Rückverwendungstermin ist hier, wie dort ohne Bedeutung (vgl. oben § 54 N. 17). Gewahrt wird die Frist durch Einreichung zum Umtausch; der tatsächliche Vollzug des Umtauschs ist demgegenüber irrelevant."») Die gesetzliche Frist kann erstreckt werden, wenn der Bundesrat durch Verordnung, die ihm nach § 135 Abs. 2 vorbehalten ist, dies zuläßt. Die Erstreckung geschieht durch behördliche Abstempelung. 2. Eine rechtzeitig zum Umtausch eingereichte Karte fällt nicht unter § 135, sondern ist in dessen Sinne „gütig", wie gering auch ihr Markenbestand sein möge.") Der letztere Umstand kann ihr nicht nach § 135, sondern nur nach § 46 verhängnisvoll werden. Andererseits ist eine nicht rechtzeitig zum Umtausch eingereichte Karte gemäß § 135 verfallen und in dessen Sinne ungiltig, wie groß auch ihr Markenbestand ist, was ihr wiederum nur aus § 46 zugute kommen kann. 3. Die Ungiltigkeit einer Quittungskarte im Sinne von § 135 besteht aber nicht in der materiellen Vernichtung der An­ rechenbarkeit ihres Markenbestandes zu Gunsten des Versicherten, wenn diese sonst rechtlich unangreifbar ist. Eine solche materielle Vernichtung ursprünglich zu Recht entrichteter Beiträge kann nur nach § 46 int Wege der erloschenen Anwartschaft, aber nicht nach § 135 im Wege des versäumten Kartenumtauschs herbeigeführt werden.") Wohl aber wirkt der letztere bedeutsam auf die Frage »L) Bosse - v. Woedtke Anm. 2 zu § 104, Jsenbart-Spielhagen Anm. 9. Wo keine „Einreichung" zum Umtausch durch den „Versicherten" (Satz 2) stattfindet, die Karte vielmehr gemäß § 153 bei der Einzugsstelle hinterlegt ist, kann auch der Verfall nach § 135 nicht Platz greifen. — Hin­ sichtlich des Rückverwendungstermins vgl. Jsenbart-Spielhagen Anm. 9 Abs. 1 gegen eine entgegengesetzte, aus der Entsch. Nr. 479 zu ziehende Folgerung. ") So ausdrücklich die preuß. Kartenanweisung Ziff. XXVIII Abs. 3. 15) Diese Rechtslage muß man fest ins Auge fassen, und zwar um so mehr, als gerade an diesem Punkte einzelne Aussprüche in den Entscheidungen des NVA. und den ihm folgenden Kommentaren leicht zu Mißverständnissen ver­ leiten können. So sagt AN. 00 S. 678 Nr. 822: „Der Ablauf der Frist des § 104 G. 89, der die Ungiltigkeit der Karte nach sich zieht, bewirkt gleichfalls" (zu ergänzen: wie der Ablauf der in § 32 festgesetzten Frist), „die Ungiltigkeit der inhalts der letzteren geleisteten Beiträge, nur daß eine Ungiltigkeit der Karte nicht eintreten kann, sofern nach der materiellen Vorschrift des § 32 die

§ 55.

Die Ungiltigkeit der Quittungskarte.

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des Beweises jener beiden Tatsachen ein, welche die endgilüge Anrechenbarkeit konstituieren: der ursprünglichen Beitragsberechtigung und der demnächstigen Erhaltung der Anwartschaft. In beiden Be­ ziehungen kann bei der Markenverwendung auf ordnungsmäßiger Quittungskarte der Versicherte nach früheren Erörterungen dm Gegenbeweis der Versicherungsanstalt abwarten.") Indem der Tat­ bestand des § 135 diese Ordnungsmäßigkeit (Giltigkeit) vernichtet, bürdet er in Zweifelsfällen dem Versicherten den Beweis dafür auf, daß die in der verfallenen Karte enthaltmen Beiträge sowohl selbst ursprünglich zu Recht entrichtet, als auch nach Art und Zeit imstande waren, die Anwartschaft desselben zu erhalten. Gelingt dem Ver­ sicherten dieser Beweis, so sind die Marken nebst seiner Anwart­ schaft trotz des versäumten Umtauschs materiell vollgiltig; gelingt er ihm nicht, so ist es doch nicht der versäumte Umtausch, sondem der Anwartschaft selbst noch erhalten ist." Nun ist freilich die Entsch. 822, und mit ihr wohl auch der ihr einverleibte angeführte Satz durch die Entsch. Nr. 981 aufgegeben worden (vgl. oben N. 4), aber auch die früheren, aufrechterhaltenen Entscheidungen (AN. 96 Nr. 479 S. 153 Abs. 2 a. E., AN. 97 S. 594 Nr. 623 Abs. 4, 5) enthalten ähnliche Wendungen. Es ist aber, wie jetzt auch die Entsch. Nr. 981 S. 476 Abs. 2 deutlich erkennen läßt, überhaupt nicht an dem, daß die Ungiltigkeit der Beiträge aus § 135 und § 46 gleichartig und die aus § 135 nun durch die aus § 46 bedingt und beschränkt wäre, sondern beide sind ihrem Wesen nach ungleichartig und nur die aus § 46 ist eine materielle Ungiltigkeit. Damit fallen auch die Deduktionen von Jsenbart-Spielhagen S. 575 Abs. 4 über bedingte und unbedingte Ungiltigkeiten aus § 135, welche sie in der 2. Aust. Anm. 5a selbst aufgegeben haben. 16) Vgl. hinsichtlich des Beweises der Beilragsberechtigung gemäß § 147 oben § 51 II, hinsichtlich der erhaltenen Anwartschaft oben § 54 II, 5. — Laß, Versicherungsmarke und Quittungskarte (1891) S. 54, will, ohne nähere Ausführung, infolge der Ungiltigkeit der Quittungskarte dem Versicherten den Beweis der Zahlung der den Marken entsprechenden Beiträge auferlegen. Das könnte in denjenigen Fällen praktische Bedeutung erlangen, in denen (vgl. oben § 40 II, 10), wie insbesondere beim Einzugsverfahren, die Marke nicht Zahlungs-, sondern bloß Beweisfunktion besitzt. Es kann aber wohl nicht an­ genommen werden, daß der § 135 auch in dieser Beziehung die Beweislast zu Ungunsten des Versicherten verschieben will, weil derselbe zur Kontrolle der hier maßgebenden Verhältnisse nicht bestimmt ist und auch die Norm des § 147 auf sie keine Anwendung findet. Gerade dieser Punkt trägt mit zum Verständnis der Tatsache bei, daß der Wortlaut des § 135 die von ihm normierte Un­ giltigkeit in erster Reihe auf die Quittungskarte und nicht auf die in ihr ent­ haltenen Marken bezieht.

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Hl. Buch. Beitragswesen. IV. Kap.: Wirksamkeit der Beitragsleistung.

Mangel der materiellen Grundlagen, welcher seinen Ansprüchen ent­ gegensteht.'^) 4. Eine durch versäumten Umtausch ungiltig gewordene Quittungskarte kann durch Anerkennung des Vorstandes der Ver­ sicherungsanstalt ihre Giltigkeit wieder erlangen (§ 135 Abs. 1 Satz 2). Die Anerkennung setzt einen Antrag des Versicherten vor­ aus. Zuständig ist die Anstalt des Beschästigungs- oder, wo es an einem solchen mangelt, des Aufenthaltsortes.") Die Anerkennung steht im freien Ermessen des Vorstandes; eine Beschwerde gegen die Ablehnung findet nicht statt. Vorausgesetzt ist, daß „die Annahme be­ gründet ist, es habe der Versicherte ohne sein Verschulden den rechtzeitigen Umtausch versäumt". Im Zusammenhange mit dem ganzen Zweck und Inhalt der Bestimmung liegt ein solcher Mangel des Verschuldens dann vor, wenn nach Lage des Falles die Absicht fehlte, das Fehlen der Beitragsberechtigung oder ein Erlöschen der Anwartschaft zu verschleiern. Der Vorstand wird am sichersten zu dieser Überzeugung gelangen, wenn er Beitragsberechtigung und Anwartschaft selbst prüft und in Ordnung befindet. Er braucht aber auch in seiner Prüfung nicht so weit zu gehen und in jedem Falle gibt er nach Außen mit der „Anerkennung der fortdauernden Giltigkeit der Quittungskarte" kein unanfechtbares Anerkenntnis jener beiden Grund­ lagen des Versicherungsanspruches ab. Die Wirkung seiner Er­ klärung ist vielmehr nur die Wiederherstellung der normalen Beweis­ lage zu Gunsten des Versicherten,^) so daß ihm, wie wenn diese 16a) Vgl. jetzt Jsenbart-Spiel Hagen 2. Ausl. Anm. 5a, 6. Dort auch über die Bedeutungslosigkeit des § 135 für die älteren Quittungskarten, wenn gemäß § 46 Abs. 4 „aus den letzten 200 Beiträgen die Anwartschaft erhalten ist". — Nach der Auffassung des Textes bestimmt sich auch, inwieweit dem Ver­ sicherten nach seiner Abweisung ein Rückforderungsrecht hinsichtlich der ver­ wendeten Marken zusteht. Erfolgt die Abweisung nur, weil die Erhaltung der Anwartschaft nicht nachgewiesen werden kann, so findet ein solches Rückforderungs­ recht nicht statt (vgl. oben § 53 N. 41a). Bestreitet aber die Versicherungs­ anstalt die Beitragsberechtigung hinsichtlich bestimmter Marken der ungiltig gewordenen Karte (z. B. wegen unzulässiger Mehrverwendung während eines bestimmten Zeitraums oder verspäteter Nachbringung), so kann sie auch die Konsequenz nicht ablehnen, den Wert dieser sine causa gezahlten Marken zu er­ statten (vgl. oben § 51 N. 1, § 53 N. 41). n) Dazu § 145 JVG. — GebHard-Düttmann Anm. 8 lassen den Wohnort entscheiden. 18) Vgl. Entsch. Nr. 981 gegen 822 (oben N. 4).

§ 55.

Die Ungiltigkeit der Quittungskarte.

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uon Anfang an vorhanden ist, die Übernahme des Gegenbeweises im Feststellungsverfahren noch immer vorbehalten bleibt. II. Auf der Grundlage dieses gesetzlichen Zustandes ent­ wickelt sich nunmehr nach den maßgebenden Verordnungm folgendes Verfahren: 1. Verlängerung der Giltigkeitsdauer von Quittungskarten. Von der ihm erteilten Ermächtigung (vgl. oben I, 1 a. E.) hat der Bundesrat in seiner VO. v. 10. Nov. 1899 über die Einrichtung der Quittungskarten (vgl. oben § 39 N. 7) Ziff. 4 dahin Gebrauch gemacht, daß er die Verlängerung der Quittungskarte für ver­ sicherungspflichtige Personen (gelbe Karte: Formular A) gestattet hat. Die zuständigen Verlängerungsstellen werden von der Landes­ regierung bezeichnet; nach der preuß. Anweisung v. 17. Nov. 1899 (vgl. oben § 41 I) sind die Ausgabestellen berufen.") Die Ver­ längerung darf nur vor Ablauf der Giltigkeitsdauer, nur einmal und nur auf ein20) oder zwei weitere volle Jahre nach dem Aus­ stellungstage erfolgen. Im Zusammenhange mit den Vorschriften über das Erlöschen der Anwartschaft (vgl. oben § 54 N. 20) steht die Bestimmung, daß die Verlängerung nur erfolgen darf, wenn ■für die Zeit vom Ausstellungstage ab2') mindestens 20 wirkliche22) oder fiktive22) Beiträge nachgewiesen sind, so daß die Erhaltung der Anwartschaft in dieser Frist bereits gesichert ist. Im übrigen steht die Entscheidung über die Verlängerung dem Ermessen der Behörde anheim;2^) Beschwerde des Karteninhabers ist nicht zulässig. Der '») So auch tatsächlich tn Bayern (Gemeindebehörden): § 10 VO. v. 14. Dez. 1899 mit Ziff. 45 Abs. 2 der Kartenanweisung v. 27. Dez. 1899, sowie in Baden. Zn Hessen sind dagegen nach Gebhard-Düttmann 6. *234 Sinnt. 48 nicht die Ausgabestellen, sondern die unteren Verwaltungsbehörden zuständig. 20) Vgl. hierzu oben § 54 N. 22. Die Verlängerung erfolgt hiernach praktisch immer für zwei Zahre; Gebhard-Düttmann S. *234 Sinnt. 49. 21) Die für eine frühere Zeit nachgebrachten Marken zählen nicht mit. 22) Die Marken müssen beigebracht sein; der Nachweis bloßer Wochen ver­ sicherungspflichtiger Beschäftigung genügt nicht. 23) Die maßgebenden Bestimmungen erwähnen nur den § 46 Abs. 2. Ihm gleich steht § 47 Abs. 4. Indem Gebhard-Düttmann @. *234 Sinnt. 50 Ziff. 5 dies anerkennen, gehen sie selbst von ihrer oben § 54 N. 34 zurück­ gewiesenen Auslegung der letztgedachten Bestimmung wieder ab. 24) Sie dürfte danach auch an die Voraussetzung eines Antrags nicht ge­ bunden sein. — Gründe, aus denen die Ablehnung erfolgen sollte, bei Geb­ hard-Düttmann Sinnt. 50 cit.

Verlängerungsvermerk („Gültigkeit um x Jahre verlängert") wird datiert und auf der Innenseite der Karte im unmittelbarm Anschluß an die geklebten Marken handschriftlich oder durch Stempel unter Beifügung des Dienstsiegels angebracht. Nach Ziff. 3 der Bundesrats-VO. v. 9. Nov. 1899 (vgl. oben § 40 N. 62) sind die in der Karte befindlichen Marken in der von der Bundesregierung vor­ geschriebenen Art (Ziff. 6) zu entwerten;^) dabei ist auf der Innen­ seite der Karte handschriftlich oder durch Stempel die Gesamtzahl der in der Karte befindlichen Marken zu vermerken. 2. Die Behandlung verfallener Karten.^) Wird eine nach § 135 JVG. verfallene Karte zum Umtausch vorgelegt, so muß nach der preußischen Anweisung der Versicherte daraus hingewiesen werden, daß er die Anerkennung der fortdauernden Giltigkeit beim Anstaltsvorstand beantragen kann. Stellt er einen solchen Antrag nicht, so wird dies auf der Innenseite der Karte vermerkt. Der gestellte Antrag wird mit der Karte 2°) dem zuständigen Vorstand zur Entschließung übersendet. In jedem Falle erhält der Versicherte sofort eine neue Karte mit der auf die der verfallenen folgenden Nummer. Lehnt der Vorstand den Antrag ab, so kommt die Karte zur Aufbewahrung und der Versicherte ist durch Vermittlung der Aus­ gabestelle von der Ablehnung zu benachrichtigen. Aufbewahrte ver­ fallene Karten, deren Gültigkeit der Vorstand nicht anerkannt hat, sind beim Verfahren mit Sammelkarten als bedenklich zu behandeln und von der Vernichtung auszuschließen?') Wird kein Antrag auf Anerkennung gestellt oder derselbe ab­ gelehnt, so unterbleibt die Aufrechnung der Karte und die Erteilung der Aufrechnungsbescheinigung (vgl. oben § 41III). Dagegen kann der Versicherte eine Bescheinigung über die Ablieferung der ver­ fallenen Karte verlangen. Wird die fortdauemde Giltigkeit auf Antrag anerkannt, so smdet der Vorstand die Karte mit dem An“) Nach dem Wortlaut der Bestimmung hat die Entwertung zu erfolgen, wenn „Karten zur Verlängerung vorgelegt werden", auch wenn diese nicht erfolgt. 26a) Dazu Arb.B. 98 S. 272. “) In Württemberg mit einem Gutachten der Stelle (§ 45 Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899). ”) Bundesrats-VO. v. 21. Juli 1901 Ziff. 8 mit 12 (vgl. oben § 41, VI; Vernichtung der Karten nach VII).

erkennungsvermerk an die Umtauschstelle zurück, diese erteilt die Auf­ rechnung nachträglich und läßt die Karte dem Vorstand dann wiederum zugehen. Eine Verlängerung der Giltigkeit solcher Karten durch Abstempelung ist durch die VO. v. 10. Nov. 1899 Ziff. 4 Abs. 2 ausdrücklich ausgeschlossen.

5. Kapitel. § 56.

Weitragsordmmg Zwangsbeitreibung.

I. Die „Beitreibung" der Rückstände') von Versicherungs­ beiträgen ist einheitlich mit der Beitreibung sonstiger, an die Ver­ sicherungsanstalten geschuldeter Rückstände/) sowie mit der von Strafen in § 168 JVG. geregelt. Unter den letzteren begreift, wie hier bemerkt sein mag, der Wortlaut des Gesetzes alle „in die Kasse der Versicherungsanstalt fließenden Strafen". Derselbe ist jedoch zn weit und erklärt sich durch die Verschiebungen, welche der Text desEntwurfs des G. 89 bei der Beratung im Reichstag erfahren hat?), Gemeint sind in engerer Begrenzung diejenigen Strafen, welche nach § 178 Abs. 1 von den Organen der Versicherungsanstalten und den Schiedsgerichtsvorsitzenden festgesetzt werden und zugleich nach Abs. 2 Rückständigkeit setzt materiell Fälligkeit voraus. Für die letztere gelten, die oben § 51 I, 2 entwickelten Regeln, mit Ausnahme des Schlußsatzes von N. 8, der nur für die Verjährung in Betracht kommt. 2) Über den Umfang des Begriffs der Rückstände vgl. bereits oben § 52 N. 2. Zu denselben gehören danach auch die aus § 162 JVG. erwachsenen. Kontrollkosten. Die besondere, dem § 168 entsprechende Bestimmung über dieBeitreibung derselben ist daher überflüssig. Jsenbart-Spielhagen meinen Anm. 5 zu § 162 das zwar nicht, widerlegen sich aber in Anm. 2 zu § 168 selbst. 3) In § 136 Abs. 2 Entw. G. 89 (= § 178 Abs. 2 JVG.) war gleichfalls, nur von denjenigen Strafen, als in die Kasse der Versicherungsanstalt fließend, die Rede, welche nach Abs. 1 von den Organen der Versicherungsanstalten odeo den Schiedsgerichtsvorsitzenden festgesetzt wurden. Erst in der Kommission wurden auch die von den Verwaltungsbehörden festgesetzten Strafen in dem Abs. 2 eit. einbezogen.

erscheint doch die weitere, in Abs. 3 niedergelegte Deduktion nicht haltbar, welche im Anschluß an den oben N. 55 erörterten Gegensatz eine Rechtsprechung aus § 155 (§ 122 O. 89) über „abgeschlossene, in der Ver­ gangenheit liegende Beschäftigungsverhältnisse" nicht zulassen will. Soweit dasRVA. aus dem von ihm schon früher (vgl. die in Nr. 608 Abs. 3 angeführten Entscheidungen) aufgestellten Satze, daß der § 155 „die Entrichtung der Bei­ träge für die Gegenwart und Zukunft regle", den Schluß zog, daß die Ent­ scheidungen der Verwaltungsbehörden für die Arbeitsverhältnisse der vorgesetz­ lichen Zeit keine Rechtskraft machen, war es um deswillen in seinem Rechte^

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III. Buch. Beitragswesen. V. Kap.: Beitragsordnung.

2. Soweit die Rechtskraft der nach § 155 Abs. 1 ergangenen Entscheidungen reicht, verbindet sie sämtliche, an dem materiellen Rechtsverhältnis beteiligte Personen,59) also auch diejenige Versiche­ rungsanstalt, welche in dem Verfahren nicht gehört worden ist.59) Sachlich aber erstreckt sich die Rechtskraft nur auf dasjenige, die Beitragspflicht oder Beitragsberechtigung begründende„Verhältnis",") insbesondere Beschäftigungsverhältnis, welches die Grundlage der Entscheidung gebildet hat?') Für welche Zeit (welche Beitrags­ wochen) in Gegenwart, Zukunft oder auch Vergangenheit") das Urteil wirksam sein will, ist durch die Auslegung desselben zu erweil jene Entscheidungen nur über das Beitragsverhältnis erkennen, ein solches aber in der vorgesetzlichen Zeit noch gar nicht bestand und die Motive nicht in Rechtskraft erwachsen. Indem aber das Amt weiter anerkannte, daß „die Ent­ scheidungen der Verwaltungsbehörden unter Umständen auch auf die Ver­ gangenheit in gewissem Sinne zurückwirken, nämlich insofern, als auf Grund derselben in Gemäßheit der Vorschriften des § 125 G. 89 (§ 158 JVG.) eine nachträgliche Beitragsentrichtung bezw. die Erstattung zu viel erhobener Bei­ träge erfolgen kann" (AN. 93 Nr. 206 S. 51 Abs. 4), hat es selbst den Gegen­ satz von „Gegenwart und Zukunft" einerseits und -^Vergangenheit" andererseits aufgegeben, und es kann die Frage, ob es sich um die Vergangenheit eines noch bestehenden oder um ein selbst vergangenes Beschäftigungsverhältnis handelt, keinen Unterschied begründen, wie ja doch auch umgekehrt die Verneinung der Rechtskraft für die vorgesetzliche Zeit bestehen bleibt, auch wenn es sich um ein in die nachgesetzliche Zeit hinübergreifendes Beschäftigungsverhältnis handelt. Nur durch die Fristbestimmungen der §§ 146, 168 und die Verjährungsfristen des bürgerlichen Rechts (bei der Rückforderung von Beiträgen) wird ein Zurück­ greifen auf die Vergangenheit eingeschränkt. 58) Im Gegensatz dazu will Wey mann Anm. 10 in ausführlicher Er­ örterung die Rechtskraft auf die am Verfahren beteiligten Personen be­ schränken, zu denen er die ursprünglichen Parteien, sowie den dritten Beteiligten rechnet, welchen die untere Verwaltungsbehörde mit der Wirkung, ihm die Parteirolle aufzuzwingen, zuzieht. Eine solche Zuziehung stellt er jedoch lediglich in das Ermessen der verhandelnden Behörde; vgl. über diesen Punkt oben N. 31. Nur gegen die Versicherungsanstalt nimmt er, im Anschluß an die Rewisionsentscheidung Nr. 206 (vgl. die folgende Note), eine unbedingte Rechts­ kraftwirkung des die Verstcherungspflicht bejahenden Urteils an. 50) AN. 93 S. 48 Nr 206; dazu über die Rechtskraftwirkung gegen dritte, «am Verfahren nicht beteiligte Personen im Verwaltungsrechte Bd. I S. 782. Mit Bezug auf Arbeitgeber und Versicherte, deren Zuziehung sich nicht hat ermöglichen lassen, wird das gleiche gelten müssen. eo) Vgl. zu diesem Begriff oben § 3 N. 9, § 4 N. 8. 61) AN. 93 S. 89 Nr. 242, AN. 92 S. 114 Nr. 159, letzter Absatz. 62) Vgl. hierzu oben N. 57.

mittein.03) Nicht in Rechtskraft erwachsen die Gründe der Ent­ scheidung, daher auch nicht die Beurteilung derjenigen Rechts­ verhältnisse, welche nur als Voraussetzung für die Entscheidung in Betracht kommen. In diesem Sinne konnte z. B. eine Arbeits­ tätigkeit, für welche die Verwaltungsbehörden die Beitragspflicht verneint hatten, weil sie sie für einen selbständigen Gewerbebetrieb erachteten, von den Feststellungsinstanzen als „berufsmäßige Lohn­ arbeit" qualifiziert werden, insofern es sich hier nur darum handelte, ob in Verbindung mit ihr auf Grund des Bundesratsbeschlusses bett. die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen0') eine andere Arbeitstätigkeit als versicherungspflichtig angesehen werden konnte.00) Umgekehrt kann aber auch eine die Beitragspflicht oder Beitrags­ berechtigung anerkennende oder verneinende Entscheidung nicht bloß, auf Grund eines anderen Tatbestandsmomentes hinterher erneut, wieder in Zweifel gezogen werden.00) 3. Bei der erörterten präjudiziellen Wirkung der Entscheidungen aus § 155 Abs. 1 vermögen dieselben in gewissem Umfange einen Ersatz für die auf dem Gebiete der Invalidenversicherung (anders, als auf dem der Unfallversicherung, vgl. Bd. I S. 751 f.) fehlende allgemeine Feststellung der Versicherungsfähigkeit zu bieten.6’) Denn es wird nicht geleugnet werden können, daß ein Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, welche an sich bereit sind, die Versicherungspflichtigkeit ihres Verhältnisses anzuerkennen und darauf hin Beiträge zu ent­ richten, befugt sind, auch im Wege der Feststellungsklage das Ver­ fahren aus § 155 in Gang zu bringen.00) Nur wird in diesem 63) Keinesfalls hat die Entscheidung für Wochen vorgesetzlicher Beschäftigung^ welche für die Übergangsbestimmungen in Betracht kommen, Rechtskraft (AN. 93 Nr. 206 S. 51, S. 91 Nr. 242 Abs. 2 a. E., AN. 94 S. 96 Nr. 344). Über den. Grund vgl. oben N. 57. 64) Vgl. oben § 9 V, 1. fl6) AN. 97 S. 381 Nr. 589. e§ Anstalts v o rstand es für möglich und zulässig anzusehen (vgl. auch oben •§ 52 N. 26). Die Tatsache, daß die Arbeiterversicherung dem öffentlichen Rechte angehört und nicht auf einem Vertrage beruht, schließt das nicht aus, wie .gerade die Stellungnahme des NVA. selbst auf dem Gebiete der Unfallversicherung (vgl. Bd. 1 S. 764 N. 57) entschieden beweist. Andererseits würde es aber, wie im Anschluß an AN. 93 Nr. 206 S. 50, vorletzter Absatz (vgl. oben N. 46), zu behaupten ist, „auf das Rechtsbewußtsein störend und verletzend wirken, ja gegen den auf dem Gebiete der Unfallversicherung geltenden, und auch auf dem ver­ wandten Gebiete der I.- u. A.-V. gleichmäßig anzuerkennenden Grundsatz von Treu und Glauben" und des Vertrauens auf behördliche Zusagen verstoßen, wenn Jemand in Zweifelsfällen durch die Autorität des Anstaltsvorstandes zu Beitragsleistungen veranlaßt würde, „ohne dadurch eine Gewähr zu erlangen, daß ihm die den Beiträgen entsprechende Gegenleistung, die Rente, demnächst zuteil werde. Ein derartiger Zustand von Rechtsunsicherheit kann nicht beab­ sichtigt worden sein". Wenn aber Wey mann von seinem entgegengesetzten Standpunkte aus in allen Zweifelsfällen trotz „der in noch so bündiger Form abgegebenen anerkennenden Erklärung des Vorstandes" zur Beschreitung des Streitweges unter allerhand Simulationen (vgl. oben N. 68) rät, so kann ich -arin nur eine Bestätigung des vorhandenen Bedürfnisses, nicht aber eine aus­ reichende Befriedigung desselben erblicken. Dagegen wird man sich allerdings den Ausführungen Weymanns in Anm. 1 zu § 30 insofern anschließen müssen, -als man in der bloßen Annahme, ja selbst in der Einforderung und Beitreibung (vgl. zu letzteren oben § 56 bei N. 8 ff.) von Beiträgen durch untergeordnete Organe der Versicherungsanstalt ein diese verpflichtendes Anerkenntnis der Beiiragsberechtigung nicht zu sehen hat. Dieses Resultat (— einige Anknüpfungs­ punkte in der bisherigen Judikatur des RVA., vgl. oben § 52 N. 56 und § 51

V. Von erheblich geringerer Bedeutung sind die in §§ 156 und 157 geregelten Streitigkeiten: 1. Der § 156 betrifft den auch schon unter § 155 begriffenen Fall eines Streites über die Zuständigkeit einer bestimmten Ver­ sicherungsanstalt und erfaßt ihn im Hinblick auf die Person der Streitteile dann, wenn die „Streitigkeit zwischen den Organen ver­ schiedener Versicherungsanstalten" erwachsen ist. Die Entscheidung soll dann vom Reichs- bezw. Landesversicherungsamt69) erfolgen, aber nur auf Antrag des Vorstandes einer beteiligten Anstalt. Die untergeordneten Organe derselben werden sich daher zunächst an ihre Vorstände zu wenden habend) An eine Zuziehung der Be­ teiligten denkt das Gesetz hier augenscheinlich nicht; nichtsdestoweniger wird man angesichts der Tatsache, daß die Beiträge bei allen Ver­ sicherungsanstalten gleich sind/9) eine Rechtskrastwirkung der Ent­ scheidung auch ihnen gegenüber anzunehmen haben, so daß es ihnen nicht freisteht, die Frage nochmals, auf dem Wege des § 155 zur Beurteilung zu bringen.") 2. Der § 157 bezieht sich auf Streitigkeiten zwischen Arbeit­ gebern und Arbeitnehmern/9) sowie zwischen mehreren Arbeitgebern und will dabei augenscheinlich das gesamte Rechtsverhältnis der zwischen ihnen begründeten Erstattungsansprüche, dieses aber doch nur soweit treffen, als die dabei hervortretenden Streitfragen nicht schon aus dem grundlegenden Beitragsverhältnis erwachsen und daNr. 31, reichen nicht aus, um ein anderes zu begründen —) befriedigt nicht -vollkommen, wird aber durch die im Gesetz durchgeführte, völlige Dezentralisation der Beitragsleistung bedingt und tatsächlich durch die Vermutung des § 147 erträglich gemacht. Daß die Einziehung von Beitragsrückständen durch eine untere Verwaltungsbehörde ohne ergangenes Urteil (§ 158) und ohne Ersuchen der Anstalt die letztere nicht bindet, hat AN. 02 S. 685 Nr. 1022 mit Recht angenommen. Darüber, daß die Ausstellung einer Quittungskarte der Anstalt nicht präjudiziert, vgl. oben § 41 bei N. 10. 68) Kommt nur für Bayern in Betracht, vgl. § 111 ZVG. 69a) Gebhard-Düttmann Anm. 5 zu § 156. 70) Der möglichen Verschiedenheit in der Praxis des Heilverfahrens (vgl. Weymann Anm. 2) wird kein Gewicht beizulegen sein. 71) Auch für eventuell noch weiter in Frage kommende dritte Anstalten wird Rechtskraft anzunehmen sein; vgl. Bd. I S. 783 N. 47. 72) Vgl. oben N. 7 und die dort citierten Motive; dazu 'auch Ziff. 10 der Dabak- und Ziff. 12 r-er Textil-VO., welche gleichfalls auf § 124 G. 89 (§ 157) Äezug nehmen.

nach auf den Weg des § 155 verwiesen sind.") Der Unterschiedder beiden Bestimmungen besteht aber darin, daß nach § 157 gegen den erstinstanzlichen Entscheid keine Beschwerde zulässig ist. Näheres über die danach unter § 157 fallenden Streitigkeiten ist bereits an früheren Stellen erwähnt worden; vgl. wegen des Erstattungs­ anspruchs des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer (aus § 142) oben § 46 I, 7, über den des Versicherungspflichtigen gegen den Arbeitgeber (aus § 144 bezw. dem ihn in Bezug nehmenden § 142 Abs. 2 Satz 2) oben § 47 I, 4 a. E., über den des Versicherungs­ berechtigten gegen den Arbeitgeber (aus § 145 Abs. 2) oben § 47 bei N. 8, über den Ersatzanspruch zwischen mehreren auf einander folgenden Arbeitgebern (aus § 140 Abs. 2 Satz 2) oben § 44 N. 17 und über den zwischen mehreren gleichzeitigen Arbeitgebern (aus § 140 Abs. 2 Satz 3) oben § 44 N. 21a. VI. Über die Kosten der erwähnten drei Gruppen von Streitig­ keiten bestimmt § 159. Danach trägt die beim NVA. bezw. einem LVA. entstehenden Kosten das Reich oder der betreffende Bundes­ staat. Dem letzteren fallen auch die bei den Verwaltungsbehörden erwachsenden zur Last, während die durch die Tätigkeit der Renten­ stellen sich ergebenden von der Versicherungsanstalt übernommen werden müssen. Für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist das Verfahren kostenlos; doch kann in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 5 die das Verfahren leitende Behörde ihnen solche Kosten desselben") zur Last legen, welche durch Mutwillen oder ein auf Verschleppung oder Irreführung berechnetes Verhalten derselben veranlaßt worden sind. Gegen den bezüglichen Beschluß einer unteren Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle wird im Falle des § 155 entsprechende Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde gegeben sein. § 59.

Berichtigungsverfahren.

I. Berichtigung ist Richtigstellung des Beitrags- und Marken­ bestandes für einen Versicherten. ™) ,,Zm übrigen"; vgl. oben N. 5. ”) Kosten für Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, nicht aber allgemeine Kosten der Bureauhaltung: preuß. Min.Erl. v. Ui. März 1900 bei Hoffmann Sinnt. 2.

1. Gegenstand der Berichtigung ist der Bestand der Beiträge und Versicherungsmarken, welche einem Versicherten zu gute kommen sollen. Die Berichtigung des Markenbestandes nennt das Gesetz (§ 163) in bestimmter Anwendung „Berichtigung der Quittungs­ karte". Es ist das nicht sehr passend, weil man geneigt sein könnte, unter diesem Ausdruck eine Berichtigung der auf der Quittungskarte enthaltenen Ausfüllung ihres Vordrucks (vgl. oben § 39 I, 2) zu verstehen.') Das Gesetz geht ferner in §§ 158 und 163 davon aus, daß die Berichtigung des Beitrags- und Markenbestandes einander parallel gehen. Aber auch das ist nicht unbedingt notwendig, weil beim Einzugsverfahren") sowohl eine Berichtigung des Beitrags­ bestandes ohne gleichzeitige Berichtigung des Markenbestandes, wie auch umgekehrt notwendig werden kann?) 2. Berichtigung im weitesten Sinne ist die Herstellung der fehlenden Übereinstimmung des tatsächlichen Bestandes an Marken und Beiträgen mit den Rechtsverhältnissen, welche für diesen Be­ stand maßgebend sind. Nicht einmal in diesen weitesten Begriff fällt danach die einfache Nachentrichtung freiwilliger Beiträge hinein, weil vor der tatsächlichen Entrichtung eines freiwilligen Beitrags kein auf dieselbe bezügliches Rechtsverhältnis zwischen der Anstalt und dem Versicherungsberechtigten besteht (vgl. Bd. I S. 606). Wohl aber fällt in den Rahmen dieses Begriffes die Nachentrichtung von Zwangsbeiträgen in Gemäßheit der darauf gerichteten Beitrags­ pflicht; doch wird dieselbe Gegenstand eines „Berichtigungs­ verfahrens" nur dann, wenn sie, was nicht immer notwendig und der Fall ist, unter Leitung einer damit beauftragten Behörde oder ') Passender überschreibt daher die badische Kartenanweisung v. 20. Dez. 1899 ihren 4. Abschnitt im II. Teil bei Ziff. 20: „Berichtigung der Marken­ klebung auf den Quittungskarten." 2) Dazu kommt die Möglichkeit einer Berichtigung der Beitragsleistung bei Seeleuten, für welche keine' Quittungskarten verwendet werden; doch ist hier allerdings die Anwartschaft des Versicherten vom Bestände der Beiträge un­ abhängig (vgl. oben § 50). 3) Ersteres, wenn die richtigen Marken geklebt, aber mehr oder weniger Beiträge erhoben worden sind, letzteres, wenn die richtigen Beiträge erhoben, aber mehr oder weniger Marken geklebt sind; vgl. dazu oben § 40 IV, 10. Ähnlich können im Berichtigungsverfahren selbst Irrtümer nach der einen oder anderen Seite vorgekommen sein, welche zu erneuter Berichtigung des Beitrags­ oder Markenbestandes Veranlassung geben können. Rosin. Recht der Arbetterversicherung. Band U.

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III. Buch. Beitragswefen.

V. Kap.: Beitragsordnung.

öffentlichen Stelle verwirklicht wird, wie dies in § 158 Abs. 1 ins Auge gefaßt ist.4)5 6 Im engeren Sinne ist dann der Ausdruck „Berichtigung" der Quittungskarte in § 163 JVG. gebraucht. Er umfaßt hier nur diejenige Richtigstellung des in einer Karte enthaltenen Marken­ bestandes, welche in einer Verringerung desselben besteht oder mit einer solchen verbunden ist, mag derselben immerhin auf der anderen Seite eine Beibringung neuer Marken gegenüber stehen.44) Bei der besonderen Bedeutung, welche eine solche Ausscheidung von Marken aus einer Quittungskarte besitzt, bestimmt der § 163, daß dieselbe während der aktiven Versicherung^) nur entweder bei vorhandenem Einverständnis der Beteiligten oder nach Erledigung eines nach §§ 155 ff. eingeleiteten Streitverfahrens erfolgen darf?) II. Wann das hiernach erforderliche „Einverständnis" der Be­ teiligten anzunehmen ist, muß nach den Umständen bestimmt werden. Danach ist insbesondere zu ermessen, inwiefern in der tatsächlichen Annahme des Markenwertes (vgl. oben § 40 N. 33) oder in der Unterlassung eines Widerspruchs bezw. in der Nichteinleitung des Streitverfahrens nach einer die Beitragsberechtigung verneinenden 4) In diesem weiteren, auch die Nachbringung fehlender Pflichtbeiträge um­ fassenden Sinne wird das Wort „Berichtigung" und „Berichtigungsverfahren" in den einzelstaatlichen Kartenanweisungen gebraucht, z. B. Überschrift zu Ziff. XX und Ziff. XXI Abs. 2 der preußischen Anweisung. 4a) Übereinstimmend AN. 99 Nr. 738 S. 458 Abs. 2 Satz 6. 5) Zst im Feststellungs- oder Beitragserstattungsverfahren die Versicherungs­ pflicht oder das Recht zur freiwilligen Versicherung für gewisse Beitragswochen endgiltig verneint worden, so sind nach § 160 JVG., welcher Zweifel beseitigen will (Mot. zu § 125 b Entw. JVG. mit Mainzer Ztschr. Bd. 2 S. 89), die ent­ richteten Beiträge den Beteiligten auf ihren Antrag gleichfalls zurückzuzahlen. Im Weigerungsfälle wird hier die Aufsichtsbehörde einzuschreiten haben: vgl. den citierten Aufsatz a. E. — Wenn aber die angeführten Motive unter § IGO auch solche Fälle begreifen wollen, in denen, „auch ohne daß ein Steitfall ge­ mäß §§ 155, 156 vorausgegangen ist", „während der Dauer der Versicherung" die Unrichtigkeit einer Annahme der Versicherungspflicht oder Verstcherungsberechtigung „endgiltig festgestellt worden ist", so kann sich dies nur auf das Vorliegen eines Einverständnisses aller Beteiligten gemäß § 163 beziehen, aber nicht, wie Gebhard-Düttmann Anm. 6 Abs. 1 zu meinen scheinen, einen neuen Fall des Berichtigungsverfahrens konstituieren; vgl. dazu unten N. 7. 6) Daher keine einseitige Ungiltigkeitserklärung von Marken und Rückzahlung durch die Anstalt. Näheres bereits oben § 40 N. 33.

§ 59.

Bcrichligungsverfahre».

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Erklärung des Anstaltsvorstandes') ein solches Einverständnis zu er­ blicken ist. „Beteiligt" sind aber die Interessenten des Beitrags­ verhältnisses, der freiwillig oder pflichtmäßig Versicherte, der Arbeit­ geber des letzteren78) und die in Betracht kommenden Versicherungs­ anstalten,') und zwar je nach dein vorhandenen Interesse, das sie an der in concreto beabsichtigten Berichtigung haben.") III. An den Gegensatz zwischen einer Berichtigung auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten und einer solchen nach er­ ledigtem Streitverfahren knüpfen auch die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit zur Leitung des Berichtigungsvcrfahrens an. Ist ein Streit gemäß §§ 155 ff. vorangegangen, so soll nach endgiltiger Erledigung desselben die untere Verwaltungsbehörde, welche ihn in erster Instanz entschieden f)at,IOa) oder entsprechend der Renten7) Vgl. dazu Gebhard-Düttmann Anm. 6 Abs. 1. Auch dieser Tat­ bestand ist also nur relativ; vgl. oben N. 5. fl) AN. 93 @.71 Nr. 228 Abs. 2: „Arbeitgeber und Arbeitnehmer." Hier­ nach nehme ich an, daß auch der Arbeitgeber einverstanden sein muß, wenn ohne Stteitverfahren die für seinen Arbeiter verwendeten Marken kassiert werden sollen. Man kann nicht einwenden, daß er durch Rückempfang des aufgewendeten Beitrags nur gewinnt; denn er hat den Beitrag aufgewendet, um seinem Ar­ beiter ein Recht zu erwerben, muß also gefragt werden, wenn die Aufwendung ihrer rechtlichen Zweckbestimmung entzogen werden soll. Auch ist es sozial­ politisch gewiß im Sinne des Gesetzgebers, wenn man dem Arbeiter bei seinen Verhandlungen mit den Anstaltsorganen über Kassierung der für ihn verwendeten Marken den Arbeitgeber an die Seite stellt. Dies zugleich gegen GebhardDüttmann Anm. 2 Abs. 4 zu § 131 (vgl. oben § 40 N 33). ti) Mit Recht führt daher AN. 93 S. 71 Nr 228 aus, daß der Kontroll­ beamte einer Versicherungsanstalt nicht befugt ist, Marken einer anderen Ver­ sicherungsanstalt ohne Zuziehung dieser letzteren zu vernichten und an deren Stelle solche der eigenen Anstalt zu verwenden. Dasselbe wird vice versa von dem Kontrollbeamten der angeblich unzuständigen Anstalt gelten müssen; denn der angeblich zuständigen Anstalt werden nicht bloß Beiträge zugewendet, sondern auch Anwartschaftspflichten auferlegt. Übereinstimmend Gebhard-Düttmann Anm. 3. lu) Daher wird es z B., wenn die beiden beteiligten Anstalten über die Er­ setzung unzuständiger durch gleichwertige zuständige Marken einig sind, eines Einverständnisses der betreffenden Arbeitsparteien nicht bedürfen tvgl. dazu oben § 58 V, 1). Ebensowenig einer Zuziehung des Versicherten, wenn statt der Marken einer zu niedrigen Lohnklasse die richtigen höheren vom Arbeitgeber beigebiacht werden sollen und eine Erstattungsforderung gegen den Arbeiter .entweder nicht mehr zulässig ist (§ 142 Abs. 3) oder auf dieselbe verzichtet wird, loa) Ist ein Streit nach § 156 vorangegangen, so wird die Verwaltungs-

stellenvorsitzende nach § 158 die Berichtigung (im weiteren Sinne) von Amts wegen oder auf Antrag in die Wege leiten; dagegen können Berichtigungen gemäß § 163 im Einverständnis der Be­ teiligten „durch die die Kontrolle ausübenden Organe, Behörden und Beamten oder durch die die Beiträge einziehenden Organe"") erfolgen. Die Gegenüberstellung der beiden verschiedenen Voraus­ setzungen des Berichtigungsverfahrens, Streit oder Einverständnis, in ihrer Einwirkung auf die Kompetenz, verliert jedoch in der durch die Landes-Ausführungsverordnungen beeinflußten Praxis sehr viel von ihrer Schärfe. Denn zunächst sind die vom Reichsgesetz für den Fall des Einverständnisses berufenen Organe jedenfalls auch dazu kompetent, von vornherein die Verhandlung mit den Beteiligten in die Hand zu nehmen, um sie dann, wenn ein unausgleichbarer Streit entsteht, den zur Entscheidung desselben berufenen Instanzen zu überweisen.") Andererseits wird aber auch für die streit­ entscheidenden Instanzen des § 158, welche ja nicht, wie die Ge­ richte, lediglich unter dem Verhandlungsprinzipe stehen, die Mög­ lichkeit eines Streites bei unrichtigem Markenbestande, welchen sie entweder von selbst, oder auf Anregung einer anderen Stelle, ins­ besondere der Kartenausgabestelle, konstatieren, genügen,, um ihrer­ seits zwecks der Berichtigung in Tätigkeit zu treten. Dazu kommt, daß sie die ihnen nach § 158 aufgetragene „Sorge" für die Be­ richtigung auch sehr wohl dadurch betätigen können, daß sie das Verfahren unter ihrer Aufsicht den in § 163 genannten Stellen überlasten. So ergibt sich in den einzelnen Staaten eine ziemlich mannigfaltige Kombination der Berichtigungsinstanzen.") behörde des Beschäftigungsortes kompetent sein (vgl. Gebhard-Düttmann Anm. 4 zu § 158), soweit überhaupt die Beiztehung einer Behörde hier er­ forderlich wird (so, wenn die Zuständigkeitsverschiedenheit eine Verschiedenheit der Lohnklasse nach sich ziehen sollte; dazu Gebhard-Düttmann Anm. 15). n) Vgl. oben § 57 II, 1. Die Behörden und Beamten können auch mit besonderem Bezug aus § 163 gemäß § 169 durch die Zentralbehörden bestimmt werden. So ist nach Ziff. 35 der bayr. Kartenanweisung die Berichtigung bei Einverständnis der Beteiligten von der Gemeindebehörde vorzunehmen. Als ein die Kontrolle ausübendes Organ kann auch der Anstaltsvorstand erscheinen. ") Darauf deutet auch das Wort „anderenfalls" im Zusammenhange mit den Worten „sofern usw." i3) Preußen, Ziff. 20 ff. der Kartenanweisung v. 17. Nov. 1899: Der Gegen­ satz der Berichtigung nach Streit (§ 158) und im Einverständnis (§ 163) tritt

§ 59.

Berichtigungsverfahren.

645

IV. Für die Berichtigung des Markenbestandes im weiteren Sinne ergeben sich als Grundformen: die Nachverwendung von Beitragsmarken, die Vernichtung eingeklebter Marken und die Er­ setzung solcher durch andere Marken, letztere beruhend auf einer Kombination von Vernichtung vorhandener und Nachverwendung neuer Marken. 1. Die Nachverwendung neuer Marken. Materiell enspricht ihr die nachträgliche Entrichtung bezw. Beitreibung von Beiträgen. Nur soweit die letztere zulässig ist, können auch im Berichtigungsverfahren die Beteiligten zur nachträglichen Beibringung von Marken zugelaffen bezw. angehalten werden.") Alle im Wege des Berichti­ gungsverfahrens neu verwendeten Marken müssen von der Berichti­ gungsstelle entwertet werden. Die Landeszentralbehörde kann dafür eine besondere Art der Entwertung vorschreiben oder zulassen.") wesentlich zurück. Berichtigungsstelle ist grundsätzlich stets die untere Ver­ waltungsbehörde (Landrat, Oberamtmann, Magistrat, Bürgermeister) oder der Rentenstellenvorsitzende. Soweit das Einziehungsverfahren stattfindet, soll den Einzugsstellen die Durchführung des Berichtigungsverfahrens (eventuell unter Aufsicht der Verwaltungsbehörde?) überlassen werden (Ziff. XXI Abs. 3, XXII Satz 2). Ergibt sich die Notwendigkeit der Berichtigung bei der Aufrechnung oder Erneuerung von Quittungskarten, so ist dieselbe bei Einverständnis der Beteiligten von der Ausgabestelle „herbeizuführen" (d. h. wohl, im Gegensatz zu Gebhard-Düttmann S. *233 Anm. 47 mit 39, nicht bloß „durch die untere Verwaltungsbehörde bewirken zu lassen", sondern gemäß der obigen Anm. 11 selbst vorzunehmen). Das gleiche muß von den Kontrollbeamten der Anstalt gelten, welche die Anweisung gar nicht erwähnt. — Bayern, Ziff. 34 ff. der Anw. v. 27. Dez. 1899: Berichtigung bei Einverständnis durch die Gemeindebehörde oder die Kontrollstellen; mangels eines solchen durch die Distriktsverwaltungs­ behörden, in München den Stadtmagistrat. — Sachsen, § 16 der Ausf.-VO. v. 13. Juli 1899: Die Kartenausgabestellen nehmen die Berichtigungen gemäß § 158 auf Anordnung der unteren Verwaltungsbehörde oder im Einverständnis mit den Beteiligten selbst vor. — Württemberg, §§ 73, 76 der Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899: Gemäß § 158 Oberamt, eventuell durch Vermittlung der Ein zugsstellen und des Bezirksvertreters der Versicherungsanstalt, gemäß § 163 die letzteren allein. — Baden, Ziff. 20 der Kartenanweisung v. 20. Dez. 1899: Be­ richtigung im Einverständnis durch die Einzugs- und Kontrollstellen, sonst durch das Bezirksamt. 14) AN. 02 S. 393 Nr. 969 letzter Absatz; vgl. aber zu den Einzelheiten dieser Entscheidung oben § 52 N. 13, 32, 54. ") Bundesrats-VO. v. 9. Nov. 1899 (AN. 00 S. 172) Ziff. 2 Abs. 2, Ziff. 6 Abs. 2. — Ermächtigung der Anstaltsvorstände und Kontrollbeamten zu den Geschäften der Kartenausgabe usw., wenn diese im Berichtigungsverfahren er-

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m. Buch. Beitragswesen. V. Kap.: Beitragsordnung.

2. Über die rechtliche Bedeutung der Markenvernichtung und ihren formellen Vollzug ist bereits oben § 40 VI gehandelt worden. Ebenso über die Ersetzung der Quittungskarte durch eine neue, welche in geeigneten Fällen an die Stelle der Markenvernichtung treten farm.16) Der Vernichtung der Marken entspricht materiell die Rück­ zahlung der Beiträge. In welchen Fällen dieselbe gefordert bezw. geleistet werden darf,'1) ist gleichfalls in den früheren, dem materiellen Recht gewidmeten Partien dieses Werkes erörtert worden.'") Der Rückforderungsanspruch ist seiner Natur nach dem civilrechtlichen Bereicherungsanspruch (§ 812 ff. BGB.) ähnlich,16) steht aber doch forderlich werden: Preußen Ziff. III, Baden Ziff. 3, Sachsen § IG Abs. 4 usw. (vgl. oben § 41 N. 2 a. E.). 16) § 158 Abs. 3 ZVG.; vgl. oben § 41 zwischen N. 38 und 39. 17) Für die Verjährung der Rückforderung kann nicht § 168 JVG., sondern nur die dreißigjährige Frist des Privatrechts zur Anwendung kommen; das Recht der Anstalt, Marken wegen Mangels der Beitragsberechtigung zu be­ anstanden, ist, mangels positiver Bestimmung und da es keinen Anspruch im Sinne des § 194 BGB. darstellt, unverjährbar. Übereinstimmend, aber de lege ferenda für Einführung einer Befristung dieses Rechts, Weymann Anm. 7 Abs. 2 zu § 146; daß, wie er meint, durch die Rechtsprechung eine Umkehrung des § 146 und eine Übertragung desselben auf die Zurückweisung von Marken durch die Anstalt erfolgen könne, halte ich aber für durchaus ausgeschlossen. 18) Rückforderung, wenn von vornherein jede Beitragsberechtigung mangelte: § 160; vgl. oben N. 5 und § 51 N. 1. Sind auf Grund der Versicherungs­ pflicht Beiträge entrichtet, während nur Versicherungsberechtigung vorlag, so findet bei Nachweis des Tatbestandes Rückforderung statt, nicht aber nachträg­ liche Zurückweisung durch die Anstalt gegen den Willen des Beilragsberechtigten, von dem angenommen werden muß, daß er eventuell auch die freiwillige Ver­ sicherung gewollt hat. So auch im Ergebnis AN. 03 S. 538 Nr. 1073; vgl. dazu den Nachtrag. War umgekehrt die Entrichtung auf Grund angenommener Ver­ sicherungsberechtigung erfolgt, während tatsächlich Versicherungspflicht vorlag, so findet weder nachträgliche Zurückweisung, noch auch Rückforderung statt, da auch von dem Versicherten, welcher den Beitrag freiwillig entrichtet hat, angenommen werden muß, daß er umsomehr von § 144 Abs. 1 Gebrauch gemacht hätte; er ist daher auf nachträgliche hälftige Erstattung durch den Arbeitgeber angewiesen. — Rückzahlung verspätet entrichteter Beiträge: oben § 52III, 1 und 3 (dagegen Ziff. 2). — Keine Rückzahlung von Beiträgen, die eine erloschene Anwartschaft kon­ stituieren: oben § 53 N. 41, 41 a. — Verschiedenheit der Sachlage bei ungiltig gewordener Quittungskarte: oben § 55 N. 16 a. 10) Vgl. oben § 51 N. 1; dazu Mainzer Ztschr. Bd. 2 S. 89, AN. 99 S. 380 Nr. 708 vorletzter Satz und AN. 04 S. 479 Nr. 1137 a. E.

in erster Reihe unter seinen eigenen versicherungsrechtlichen Regeln. Danach ist Gegenstand in allen Fällen der Gesamtbetrag der ge­ leisteten Beiträge; weder dürfen Zinsen gefordert, noch Abzüge für die ursprüngliche Erhebung*2") oder die Verwaltung der Beiträge oder das inzwischen tatsächlich getragene Risiko2') gemacht werden. Auch mit Portokosten darf die Rückzahlung nicht belastet werden.22) Auch bei der Bestimmung der Person des Empfängers rück­ zahlbarer Beiträge schließt sich das Gesetz dem § 812 Abs. 1 BGB. an, welcher den Bereicherungsanspruch demjenigen gibt, „auf dessen Kosten" ein anderer etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat. In diesem Sinne ordnet jetzt § 158 Abs. 1 a. E. an, daß zu viel erhobene Beiträge „an diejenigen Arbeitgeber und Versicherten zurück­ zuzahlen sind, welche die Aufwendung für die Beitragsentrichtung gemacht haben", oder, wie die 9Jlottoe23) sagen, „aus deren Mitteln die überschüssigen Beiträge geleistet sind". Konkurrieren, wie ins­ besondere bei Pflichtbeiträgen,2*) Arbeitgeber und Arbeiter kraft Ge­ setzes bei dem Aufwand für die Beitragsleistung, und sind dieselben über die Verteilung der Rückzahlungssumme einig, so wird nach Maßgabe dieser Einigung verfahren. Anderenfalls muß jeder Be­ teiligte, der die Rückzahlung eines Beitrags oder Teilbeitrags an sich beantragt, den Nachweis führen, daß die Aufwendung durch Beitragszahlung oder Erstattung aus seinem Vermögen erfolgt ist.23) 20) Etwa im Hinblick auf die den Einzugsstellen zu gewährende Vergütung. 2D Vgl. hierzu die Erörterungen von Graßmann Anm. 2 Abs. 3, 4 zu § 158 (nachträgliche Verneinung der Versicherungspflicht für ganze Berufs­ klassen, welche bis dahin für versicherungspflichtig erachtet worden waren). 22) Für das Berichtigungsverfahren nach Streiterledigung ergibt sich das unmittelbar aus § 159, welcher, indem er die Beteiligten von „Kosten des Verfahrens" regelmäßig (vgl. Abs. 2) befreit, ausdrücklich auch den § 158 anführt. Dann aber muß für die Berichtigung auf Einverständnis dasselbe gelten. Auch die landesrechtlichen Anweisungen sprechen es aus, daß „den Arbeitgebern und Versicherten Portokosten nicht entstehen dürfen" (j. B. Preußen Ziff. XXXIX, letzter Satz). Soweit nach § 158 eine Verwaltungsbehörde die Einsendung des Betrages an sie selbst von der Versicherungsanstalt verlangt, hat sie auch das Übersendungsporto zu tragen (AN. 99 S. 379 Nr. 708; vgl. auch oben § 31 N. 2). 23) Mot. zu § 125 Entw. JVG. ") Vgl. aber auch § 145 Abs. 2 ZVG. 25) Das gilt insbesondere auch von dem Versicherten; vgl. Bd. I S. 604 N. 17. Dem Texte entsprechend aqanat auch die Vorschrift in § 103 Abs. 1 a. E.

648

III. Buch. Beitragswesen.

V. Kap.: Beitragsordnung.

Die Anstalt oder die Berichtigungsstelle kann jene Einigung26) oder diesen Nachweis abmatten;27) zahlt sie ohne diese Voraus­ setzungen, so tut sie es rechtlich auf ihre Gefahr, welche sie jedoch in vielen Fällen bei der Kleinheit der Beiträge passend übernehmen wird, indem sie dem Antragsteller die Auszahlung bezw. Verteilung der empfangenen Summe überläßt.22) 3. Die Ersetzung unrichtiger Marken durch richtige vollzieht sich in der Form, daß die ersteren vernichtet und die letzteren neu ver­ wendet werden. Materiell enspricht ihr Rückzahlung in Verbindung mit Nachzahlung. Beides kann sich auch tatsächlich, parallel der Markenberichtigung, vollziehen; dann nämlich, wenn, was z. B. bei der Ersetzung zu niedriger Marken durch richtige höhere unter Um­ ständen nötig sein wird, zuerst der Wert der neuen Marken zwecks Ankaufs derselben beigebracht werden muß und dann erst nach Ein­ klebung der richtigen Marken die Vernichtung der unrichtigen er­ folgt und die Rückzahlung ihres Wertes veranlaßt wird. Es kann aber auch auf der materiellen Seite die Berichtigung des Beitrags­ bestandes durch gänzliche oder teilweise Verrechnung in der Hand der Anstalt oder der Berichtigungsstelle, verbunden eventuell mit einer Teilzahlung von der einen oder anderen Seite, bewirkt werden.22) Ob die Nachbringung der richtigen Ersatzmarken noch zulässig ist, bestimmt sich wiederum nach den bereits früher entwickelten des Entw. G. 89, wonach die Rückzahlung „an die Arbeitgeber und Arbeit­ nehmer zu gleichen Teilen" erfolgen sollte, im Gesetze selbst (§ 125) dahin ge­ ändert, daß „die beteiligten Arbeitgeber und Versicherten" als Empfänger ge­ nannt wurden. Wenn nichtsdestoweniger die württ. Vollz.Verf. § 73 Abs. 2 sich an die Fassung jenes ersten Entwurfs anschließt, so kann sie nur für. die normalen Fälle versicherungspflichtiger Beitragsentrichtung Anwendung be­ anspruchen. 2e) Etwaige Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeiter werden nach § 157 zu entscheiden sein. 27) Vgl. die oben N. 23 citierten Motive. 28) Nur so kann ich die Bestimmungen in Ziff. XX Abs. 2, XXIV Satz 2 der preußischen, Ziff. 37 Abs. 2 Satz 2 der bayrischen Anweisung usw. auffassen. 20) z. B. berichtigung, daß nur der rechnung der

württ. Vollz.Verf. § 73 Abs. 1, 2. Dagegen kann die Marken­ wenn zu niedrige Marken geklebt sind, nicht in der Form erfolgen, Differenzbetrag in Marken ausgeglichen wird; das würde die Be­ Beitragswochen verwirren (AN. 91 S. 127 Nr. 18).

§ 59.

Berichtigungsverfahren.

649

Regeln?") Mangelt die Zulässigkeit oder ist die Nachbringung tat­ sächlich nicht zu ermöglichen, so kann auch von der beabsichtigten Ersetzung nicht die Rede sein. Ob dann aber eine andere, nicht so vollkommene Ersetzung durchzuführen oder nur eine Vernichtung der unrichtigen Marken vorzunehmen oder eine Berichtigung ganz zu Unterlasten ist, bestimmt sich nach Maßgabe des Falles und der für ihn als anwendbar erachteten materiellen Maßregeln?') Wenn im Ersetzungsverfahren Beteiligte für die Anschaffung der neuen Marken Aufwendungen gemacht haben, so haben sie An­ spruch darauf, daß ihnen aus dem Werte der alten Marken, welcher demnächst zur Rückzahlung gelangt, ein entsprechender Ersatz geleistet werde. Hier entscheidet also insoweit32) nicht das Verhältnis der Beteiligung an der Aufwendung für die ursprüngliche, sondern für die im Berichtigungsverfahren erfolgende nachträgliche Beitrags­ leistung. Das liegt in der Natur der Sache und dem Wesen der Ersetzung, wenn es auch meistens verkannt wird?3) Es ist aber auch im Gesetz zur Anerkennung gelangt, indem dieses in § 158 Abs. 2 Satz 2 a. E., wo es sich um die Ersetzung unzuständiger durch zuständige Marken handelt, vorschreibt, daß der Betrag der 30) Nachträgliche Beibringung der vorschriftmäßigen statt zu niedriger Marken: vgl. oben § 52 N. 33. Ersetzung unzuständiger durch zuständige Marken: vgl. ebenda, sowie § 52 N. 36 a, 40a. Die Ersetzung irrtümlich verwendeter zu hoher Marken durch die vorschriftsmäßigen niederen wird jederzeit zu­ lässig sein. ") Die Berichtigung unterbleibt und die verwendeten zu niedrigen Marken bleiben anrechenbar, wenn die Ersetzung durch die vorschriftsmäßigen höheren nicht durchführbar ist; vgl. oben § 5l N. 7 und die preuß. Anweisung Ziff. XXI Abs. 1. — Lediglich die Vernichtung der unrichtigen Marken müßte eintreten lassen, wer (entgegen den Ausführungen in § 52 N. 33) die Ersetzung unzu­ ständiger durch zuständige Marken nach Ablauf der in § 146 JVG. bestimmten Fristen nicht mehr für zulässig erachtet; dazu oben § 51 N. 6. — Der im Text gedachte erste Fall aber könnte in Frage kommen, wenn mit der Ersetzung un­ zuständiger durch zuständige Marken zugleich eine Erhöhung der Lohnklasse konkurriert und nur die letztere sich als undurchführbar erweist (vgl. auch oben N. 10a). 32) Was den Überschuß des Werts der vernichteten Marken anlangt, so müßten, genau genommen, die im Text unter Ziff. 2 entwickelten materiellen Regeln Anwendung finden; doch wird hier umsomehr die Verteilung dem An­ tragsteller überlassen bleiben können; preuß. Anw. Ziff. XXIII Schlußsatz. 33) So von Gebhard-Düttmann Anm. 17 a. E. und in der allgemeinen Fassung von Ziff. XX Abs. 2 Satz 2 der preuß. Anweisung.

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lll. Buch. Beitragswesen.

V. Kap.: Beitragsordnung.

ersetzten und vernichteten Marken nach Beibringung der neuen „zwischen den beteiligten Arbeitgebern und Versicherten entsprechend zu teilen ist". Daß dieses „entsprechend" nur in dem Sinne der hier vertretenen Ansicht zu verstehen ist, wird durch die Materialien bündig erwiesen.") V. Hiernach bleibt hinsichtlich des Verfahrens in den einzelnen Berichtigungsfällen nur noch folgendes hervorzuheben: 1. „Dafür, daß zu wenig erhobene Beträge durch nachträg­ liche Verwendung von Marken beigebracht werden", ist nach § 158 Abs. 1 Satz 1 „von Amts wegen zu sorgen". Es kann sich dabei sowohl um einen einfachen Mangel von Beitragsmarken, als auch darum handeln, daß Marken einer zu niedrigen Lohnklaffe eingeklebt sind, welche durch die der höheren zu ersetzen sind (preuß. Anw. Ziff. XX, XXI). Die Beibringung der fehlenden oder richtigen Marken ist zunächst dem verpflichteten Arbeitgeber aufzugeben) eventuell ist der Betrag, wenn nötig nach erledigtem Streitverfahren,-^) von ihm beizutreiben. Erfolgt die Berichtigung durch Einzugsstellen, so können sie den Wert der nachträglich von ihnen beigebrachten Marken, wenn es ihnen angemessen erscheint, mit dem nächsten regelmäßigen Beitrage einziehen. Ist die Beitreibung gegenüber dem Arbeitgeber erfolglos, so ist dem Versicherten die Selbstentrichtung anheimzugeben; eventuell unterbleibt die Be­ richtigung. Nach Beibringung der richtigen Marken sind die zu niedrigen Marken zu vernichten und wegen Rückzahlung des Wertes das nötige zu veranlassen.^») . 2. Von der Rückzahlung zu viel erhobener Beiträge handelt § 158 Abs. 1 Satz 2. Auch hier können entweder einfach zu viel Marken (preuß. Anw. XXII) oder Marken einer zu hohen Lohn­ klasse eingeklebt sein (Ziff. XXIII). Im Hinblick auf die Wich") Vgl. den Wortlaut von § 125 Abs. 1 (oben N. 25) und Abs. 2 (identisch mit § 158 Abs. 2 JVG). Derselbe lautete im wesentlichen gleich, aber nur in Abs. 2 war das Wort „entsprechend" hinzugefügt. 3>) Zn der preußischen Anweisung tritt das nicht hervor; vgl. oben N. 13 und dagegen z. B. Ziff. 20 der badischen, Abs. 1 a. E. Dazu auch oben § 56 bet N. 8-10. 35a) Das muß auch gelten, wenn die zu niedrigen Marken einer verloren gegangenen Karte angehörten und daher zunächst in eine neue Karte übertragen werden mußten (AN. 04 S. 258 Nr. 1104).

mannsche Klausel des § 34 Abs. 5 muß zwecks der Rückforderung im letzteren Falle zugleich dargetan werden, daß die Verwendung von Marken der höheren Lohnklasse nicht auf Vereinbarung oder Verlangen des Versicherten««) erfolgt ist. Nach dem Gesetz soll die untere Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle „zu viel erhobene Bei­ träge nur auf Antrag von der Versicherungsanstalt wieder ein­ ziehen" und nach Vernichtung der unrichtigen Marken an die Be­ teiligten auszahlen?') Als Antragsteller sind, wie auch die Motive ergeben/«) die letzteren gedacht; natürlich wird die Anstalt dadurch nicht gehindert, die fraglichen Beträge spontan der Berichttgungsstelle zur Verfügung zu stellen?«) Im Gegensatz zu den Motiven muß aber angenommen werden, daß sich die Notwendigkeit eines Antrags nur auf die Rückzahlung, nicht aber im Falle zu Unrecht beigebrachter Marken, sofern diese durch das vorangegangene Streit­ verfahren festgestellt ist, auf die Vernichtung derselben bezieht?«) Das Verfahren schließt sich an das im vorigen Falle erörterte an. Sind Marken in bereits aufgerechneten oder umgetauschten Quittungs­ karten vernichtet worden, so bedarf es gleichzeitig der Berichtigung der Aufrechnungen und der zu diesem Zwecke einzuziehenden Auf­ rechnungsbescheinigungen (preuß. Anw. XXV Abs. 2). 3. Die Ersetzung unzuständiger durch zuständige Marken wird in § 158 Abs. 2 JVG. und Ziff. XXIV der preuß. Anw. im An­ schluß an das bereits Erörterte geregelt?') 36) Das letztere ist in der preuß. Anw. unbeachtet geblieben, indem dieselbe hier lediglich den Text der unter dem früheren Recht erlassenen Anw. v. 10. Mai 1892 herübergenommen hat. 37) Dagegen soll nach Ziff. 37 Abs. 2 der bayr. Anweisung (entsprechend Ziff. 2 der früheren preußischen v. 10. Mai 1892) „die Auszahlung der Geld­ summe oder die Verteilung derselben nicht zu den Obliegenheiten der die Be­ richtigung vornehmenden Behörde gehören". Die jetzige preuß. Anw. ist in diesem Punkte auffällig zurückhaltend. 38) Mot. zu § 125 Entw. JVG. 3ti) Gebhard- Düttmann Anm. 10 Abs. 1. 40) Gebhard - Düttmann a. a. O. und Piloty S. 299 begnügen sich, auch der Anstalt das Antragsrecht zu geben. Eine Vernichtung von Amts wegen sah ausdrücklich die frühere preuß. Anw. von 1892 Ziff. 2 vor. Auch die jetzige Ziff. XXII setzt ihrem Wortlaut nach keinen Antrag voraus. 41) Vgl. zu diesem Fall oben § 40 N. 47, 81. Daß die zuständige Anstalt, auf die Ersetzung verzichten dürfe, wie Gebhard-Düttmann S. *233-

-652

III. Buch. Beitragswesen. V. Kap.: Beitragsordnung.

Anm. 44 meinen, kann ich nicht annehmen. — Den Fall einer Ersetzung unzu­ ständiger durch zuständige Marken behandelt die preuß. Anw. Ziff. XXXIII auch für die Selbstversicherungskarten (Formular B) und stellt ihn als den einzigen, hier in Betracht kommenden Berichtigungsfall hin. Das ist aber unrichtig, ebenso wie die gegebene Begründung. Zunächst kann die Berechtigung zur Selbstversicherung verneint werden, was zur Vernichtung der verwendeten Marken führen muß. Ferner aber ist es, analog wie in Ziff. XXIII (vgl. oben N. 36), nicht ausgeschlossen, daß der Nachweis einer irrtümlichen Verwendung höherer Marken, als beabsichtigt, geführt wird, z. B. wenn die Verwendung Lurch eine Einzugsstelle erfolgte (vgl. oben § 48 N. 17 a. E.>.

Viertes Buch. Renten. 1. Kapitel. Anspruchsgründe. § 60.

Dauernde Erwerbsunfähigkeit.

I. Nach § 15 Abs. 1 JVG. „ist Gegenstand der Versicherung der Anspruch auf Gewährung einer Rente für den Fall der Er­ werbsunfähigkeit oder des Alters". Die Erwerbsunfähigkeit ist da­ nach der Anspruchsgrund') für die „Invalidenrente" (§ 15 Abs. 2 Satz 1 und § 16), das Alter der für die „Altersrente" (§ 15 Abs. 3). Die Erwerbsunfähigkeit aber zerfällt wiederum in zwei Arten. Grundsätzlich erzeugt nur die „dauernde Erwerbsunfähigkeit" den Anspruch auf Invalidenrente (§ 15 Abs. 2 Satz 1), daneben aber auch die in Wirklichkeit „nicht dauernde" (vorübergehende) Erwerbsunfähigkeit, welche aber bis auf weiteres als dauernd an­ genommen wird, wenn sie ununterbrochen 26 Wochen bestanden hat (§ 16). Hiernach kommen auf dem Gebiete der Invalidenversicherung die dauernde Erwerbsunfähigkeit, die vorübergehende Erwerbs­ unfähigkeit und das Alter als Fürsorge- und Anspruchsgründe in Betracht. II. „Invalidenrente erhält derjenige Versicherte, welcher im Sinne des § 5 Abs. 4 dauernd*2) erwerbsunfähig ist." Der § 5 Abs. 4 JVG. definiert die dauernde Erwerbsunfähigkeit zu dem Zwecke, um die damit behafteten Personen von der aktiven Ver9 Über den Begriff vgl. Bd. I S. 464 ff. Das Wort „dauernd" ist auch schon im § 5 Abs. 4 selbst enthalten, wird aber hier im Gegensatz zu § 16 nochmals hervorgehoben; vgl. dazu aber auch oben § 11 III. 2)

654

I V. Buch. Renten.

I. Kap.: Anspruchsgründe.

sicherung auszuschließen; der angeführte § 15 Abs. 2 Satz 1 über­ nimmt diese Definition unverändert, um denjenigen bisher Aktiven, welche ihr genügen, die Invalidenrente zu gewähren?) Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit hat daher eine doppelte Funktion; sein Schwerpunkt liegt auf dem Gebiete der Rentengewährung und es ist deshalb oben in § 11 I bei der Besprechung der Erwerbs­ fähigkeit als Voraussetzung der aktiven Versicherung auf die hier folgenden Erörterungen verwiesen worden. III. Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit ist in § 5 Abs. 4 IVG. anders gefaßt, als in den entsprechenden §§ 4 Abs. 2 bezw. 9 Abs. 3 G. 89;*) insbesondere ist im neuen Recht die ziffern­ mäßig nach festen Größen (Lohnsatz und ortsüblichem Tagelohn) zu berechnende Bestimmung des Mindestverdienstes eines noch Erwerbs­ fähigen (vgl. Vd. I S. 339) zu Gunsten einer mehr arbiträren Schätzung nach dem Normalverdienst eines gesunden Berufsgenossen des Rentenansprechers aufgegeben. Es ist damit noch sicherer, als schon nach früherem Rechte, klargestellt, daß die Bestimmung der Erwerbsunfähigkeit sowohl als Fürsorgegrund, wie auch als Grund für den Ausschluß von der Versicherung in keinem Punkte kleinlich und schematisch, sondern überall nach der großen sozialpolitischen Absicht des Gesetzgebers unter billiger Berücksichtigung der Lage des Einzelsalles getroffen werden soll?) 3) Vgl. oben § 11 N. 1. Über einen Antrag v. Stumm, welcher diese Übereinstimmung beseitigen wollte, vgl. Drucks. Nr. 283 und Sten. Ber. 6. 2176 ff von 1899. 4) Der § 4 Abs. 2 G. 89 bezog sich auf die Erwerbsunfähigkeit als Ausschließungsgrund von der Versicherung, der § 9 Abs. 3 auf dieselbe als An­ spruchsgrund. Der § 9 Abs. 3 G. 89 liegt den Erörterungen in Bd. I S. 329 ff. zu Grunde. Infolge der doppelten Neuerung, welche hiernach der § 15 Abs. 2 Satz 1 enthält (indem er einerseits die Übereinstimmung mit § 5 Abs. 4 herstellt und andererseits inhaltlich von den beiden früheren Definitionen der Erwerbs­ unfähigkeit abweicht), konnte es vorkommen, daß ein beschränkt Erwerbsfähiger, der aber nach altem Recht noch als versicherungspflichtig anzusehen war, nach neuem Recht, ohne Veränderung seines Zustandes, als erwerbsunfähig be­ trachtet werden mußte. Das NVA. hat ihm mit Recht die Rente zugesprochen, wonach er nunmehr aus der Versicherung ausschied (AN. 01 S. 190 Nr. 871). 5) Vgl. hierzu die schönen Worte des Bundesratsbevollmächtigten v. Mar­ schall, Sten.Ber. 1889 S. 1213 C., welcher mahnt, „die sozialpolitische Absicht des Gesetzgebers zu ergründen und dann jeden Fall individuell in seiner tat­ sächlichen Gestaltung richtig zu würdigen. Diese facti interpretatio, d. h. die

IV. Die Definition des § 5 Abs. 4 zerfällt in ein als Prinzip vorangestelltes Ergebnis

(Satz 1),

welches vorhanden sein muß,

wenn Erwerbsunfähigkeit angenommen werden soll, und

in eine

nachfolgende Ausführungsbestimmung (Satz 2), welche des näheren die Wege anzeigt, aus denen zur Feststellung jenes Ergebnisses zu gelangen ist.

Das Prinzip geht dahin, daß als erwerbsunfähig an­

zusehen sind

„diejenigen Personen, deren Erwerbsfähigkeit infolge

von Alter, Krankheit oder anderen Gebrechen dauernd auf weniger uls ein Drittel herabgesetzt ist".

Nach der Ausführungsbestimmung

aber „ist dies dann anzunehmen, wenn sie nicht mehr im stände sind, durch eine ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechende Tätig­ keit, die ihnen unter billiger Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemutet werden kann,

ein Drittel des­

jenigen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen".

Diese Ausführungsbestimmung aber

enthält wiederum zweierlei: sie gibt genau den Gegenstand an, der bemessen werden soll (das ist

die Erwerbsfähigkeit des

Nenten-

ansprechers) und andererseits den Maßstab, mit dem zu messen ist (das ist die normale Erwerbshöhe eines gesunden Berufsgenossen des Versicherten). Hiernach zerlegen sich die folgenden Erörterungen") verständige Würdigung des einzelnen Falles in seiner tatsächlichen Gestaltung, ist speziell bei einem sozialpolitischen Gesetze von der Wird darin

gefehlt, so

nützt auch

nichts; geschieht diese tatsächliche Würdigung setzes, so wird von so

allergrößten Wichtigkeit.

die vollkommenste Definition des Gesetzes entsprechend dem Geist des Ge­

irgend eine Inkorrektheit in der Definition des Gesetzes nicht

großem Belang sein."

(Omnis definitio in jure civili periculosa!)

Dementsprechend ist es aber auch kein Widerspruch,

wenn trotz der Gleichheit

der Begriffsbestimmung bei der Würdigung des Einzelfalles Zweifel über den Tatbestand bei der Frage nach der Versicherungspflicht für, bei der Frage nach dem Rentenanspruch

aber gegen die Annahme noch vorhandener Erwerbs­

fähigkeit entschieden werden. 6) Vgl. dazu aus der Literatur die populäre Schrift von Seel mann. Die Feststellung der Invalidität im Sinne des JVG. in ArbV. 02 S. 237 ff.

Von ärztlicher Seite:

(1901);

Stempel,

und Begutachtung der Znvalidenrentenanwärter (1899); Tätigkeit auf dem Gebiete der Invalidenversicherung,

dazu Bazille

Die Untersuchung

Poser.

Die ärztliche

in den Vorträgen über

Arbeiterversicherung und Arbeiterschutzgesetzgebung, gehalten im Charite-Kranken­ hause (1901) S. 106 ff.> 5) Vgl. die bereits oben § 54 91. 54 a citierte Entsch. Nr. 584: „Es ergibt sich, daß der Gesetzgeber die nicht dauernde Erwerbsunfähigkeit, wenn und soweit sie länger als 1 Jahr ununterbrochen währt, rechtlich völlig gleichstellen wollte der Invalidität im Sinne des § 9 (15), und daß hiernach für beide Arten von Erwerbsunfähigkeit nur eine begrifflich einheitliche Invalidenrente festgesetzt werden sollte." Dazu auch die oben § 54 91. 54 citierte Erlisch. Nr. 749 und die hier 91. 12 citierte Entsch. Nr. 460.

§ 62. Alter.

677

II. Das hier in Betracht kommende Alter ist ziffernmäßig be­ stimmt:') es ist ein solches von mehr als 70 Lebensjahren. Rechnungsmäßig beginnt es daher mit dem ersten Tage des 71. Lebensjahres d. h. mit dem sog. 70. Geburtstage (vgl. oben § 10 III). III. Das Alter ist ein zweiter, selbständiger, wenngleich mit dem der Erwerbsunfähigkeit in einer gewissen inneren Beziehung stehender Anspruchsgrund. 1. Das Alter ist ein selbständiger Anspruchsgrund. Er erzeugt nicht als „fingierte Erwerbsunfähigkeit" den Anspruch auf Invaliden­ rente (vgl. Bd. I S. 304, 341 N. 29), sondern einen selbständigm, unter eigenen Voraussetzungen und Regeln stehenden Anspruch auf Altersrente. Daher wirkt er „ohne Rücksicht auf das Vorhandensein von Erwerbsunfähigkeit", und zwar dies nach doppelter Richtung. Weder braucht der Altersrentenansprecher den Nachweis irgend eines Grades von Erwerbsunfähigkeit zu führen?) noch schadet es ihm, wenn dieser Nachweis von der Gegenseite geführt werden fantt*3)*2 5 (vgl. unten V). 2. Das Alter ist ein zweiter, in seiner Bedeutung hinter dem der Erwerbsunfähigkeit zurücktretender Anspruchsgrund. Das zeigt sich nicht bloß in der Fassung unseres Gesetzes, welches schon in seinem Titel die Versicherung gegen Alter unbeachtet läßt (vgl. oben § 2 Ziff. 1), sondern wirkt auch auf die Gestaltung der Rechtssätze ein. Daher kann namentlich ein im Sinne des Gesetzes schon Er­ werbsunfähiger sich behufs Zulassung zur Versicherung nicht darauf berufen, daß er sich noch gegen Alter versichern könnte?) während ein schon über 70 Jahre alter Erwerbsfähiger, welcher jetzt zuerst eine verficherungspflichtige Beschäftigung übernimmt, in die Ver­ sicherung eintreten darf?) obgleich bei der Länge der Wartezeit für 9 Vgl. dagegen über das „Alter" als Ursache der Invalidität (§ 5 Abs. 4 Satz 1 JVG.) oben § 60 VII, 2. 2) Das kam schon in dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 G. 89 zum Ausdruck; der jetzige Wortlaut ist, im Anschluß an § 15 Abs. 2 Satz 1 weiter. Insofern ist die Änderung des Wortlauts doch nicht so inhaltslos, wie GebhardDüttmann Anm. 34 meinen. 3) Vgl. auch AN. 92 S. 125 Nr. 173 Abs. 2 3eUe 3, 4. ) AN. 91 S. 187 Nr. 82, AN. 92S. 49 Nr. 138. ”) AN. 92 S. 49 Nr. 138: „Sogar bloße Beurlaubungen" können hier in Betracht kommen, vorausgesetzt, daß sie nicht sogar das Arbeitsverhältnis und die Versicherungspflicht fortbestehen lassen; vgl. dazu die N. 69 a citierte Stelle. Bei der freien Gestaltung des hausindustriellen Verhältnisses nicht einmal Ur­ laub nötig (AN. 93 S. 631 Nr. 692). ”) AN. 91 S. 157 Nr. 46. Für diese speziell kommt nochZiff. 2 inBetracht. ’«) AN. 94 S. 39 Nr. 328 mit AN. 91 S. 187 Nr. 82und AN. 98 S. 631 Nr. 692. Hieraus und aus N. 69 a ergibt sich, daß der Ausdruck „Arbeits­ oder Dienstverhältnis" nicht im engeren Rechtssinne, sondern im weiteren Sinne rein tatsächlicher, wirtschaftlicher Beziehungen gebraucht ist; im Rechtssinne wäre die Fassung: „Unterbrechung ständiger Arbetts- oder Dienstverhältnisse" zu­ treffender gewesen. ") z. B. weil der Arbeitgeber sein Geschäft aufgibt oder der Arbeiter zu der betreffenden Arbeit unfähig wird (AN. 92 S. 29 Nr. 116). ie) Aufenthalt oder Beschäftigung int Auslande (AN. 97 S. 333 Nr. 576, AN. 99 S. 639 Nr. 767).

712

IV. Buch. Renten.

II. Kap.: Rentenanspruch.

bei einem anderen Arbeitgeber übernehmen. Ist dieselbe für sich selbst real oder ideell versicherungspflichtig, so scheidet die durch sie gedeckte Zeit aus der anrechnungsbedürftigen Unterbrechung aus und macht im Rahmen der anrechnungsfähigen 4 Monate anderen Zeit­ räumen Platz.") b) Teils enger, teils weiter ist der Tatbestand der Ziff. 2: „Zeiten vorübergehender Unterbrechung einer berufsmäßigen Be­ schäftigung, soweit es sich um eine Beschäftigung handelt, die nach ihrer Natur alljährlich für einige Zeit vorübergehend unterbrochen zu werden pflegt (Saisonarbeit)." Weitere Anwendbarkeit gestattet die Bestimmung gegenüber der Ziff. 1 dadurch, daß sie keine Identität des Arbeitgebers, sondern nur eine solche des Berufes fordert (vgl. oben N. 68). Dagegen qualifiziert sie den Grund der Unterbrechung weit enger, indem derselbe ausschließlich in der Natur der sog. Saisonarbeit liegen darf (vgl. N. 73). c) Sehr undeutlich ist der Wortlaut von Ziff. 3, nach welcher „dasselbe gilt von einer zu Zwecken des Verdienstes unternommenen Beschäftigung mit Spinnen, Stricken oder ähnlichen leichten häus­ lichen Arbeiten, wie sie landesüblich von alternden oder schwächlichen Leuten geleistet zu werden pflegen". Aus dem Vergleich mit den Ziff. 1 und 2, die offenbar auf derselben Basis stehen, und unter Heranziehung der Materialien I8) ergibt sich, daß auch hier Per­ sonen in Frage stehen, welche berufsmäßig Beschäftigungen, die an sich in die vorgesetzliche Wartezeit einrechenbar sind, betreiben, aber durch Alter oder Körperschwäche in der Erlangung solcher Arbeits­ gelegenheit beschränkt sind und dann, während der dadurch ver­ anlaßten vorübergehenden Unterbrechung ihrer eigentlichen Berufs­ tätigkeit, mit der Absicht, sie sobald als möglich wieder aufzunehmen, inzwischen im eigenen Hause selbständig, sei es auf Bestellung, sei es auf Vorrat durch Spinnen, Stricken und andere solche leichte häusliche Arbeiten,") wie sie derartige Leute landesüblich vornehmen, ihren Verdienst suchen. ”) AN. 92 S. 4 Nr. 92, AN. 99 S. 639 Nr. 767. ’») Mot. Abs. 3 $u § 158 Entw. JVG. 7°) Andere Beispiele bei Jsenbart-Spielhagen Anm. 14 undGebhardDüttmann Anm. 11 Schlußabsatz. Vorausgesetzt wird immer, daß es sich nicht um (ideell) versicherungspflichtige Arbeiten handelt, welche der Ausnahme­ vorschrift nicht bedürften.

§ 65.

§ 65.

Rentenhöhe.

713

Rentenhöhe.

Die Vorschriften über die Höhe, insbesondere über die Be­ rechnung der Renten haben im JVG. §§ 35—38, 40, 192 mannig­ fache Änderungen gegenüber dem früheren Rechte erhalten.') I. Die Renten der Invalidenversicherung sind nach der Art ihrer Berechnung Jahresrenten?) Sie setzen sich aus zwei oder auch drei, ihrer Art nach verschiedenen Bestandteilen zusammen. Der erste, bei jeder Invaliden- oder Altersrente zum Ansatz ge­ langende, unbedingt feste Betrag ist der Reichszuschuß von jährlich 50 M. (§ 35 a. E.). Ihm gegenüber steht der im Gesetz nicht ganz genau*3) 2sogenannte „von den Versicherungsanstalten aufzubringende Teil der Rente", welcher bei den Invalidenrenten wiederum aus einem „Grundbetrag" und aus „Steigerungssätzen" besteht (§ 36 Abs. 1), während bei den Altersrenten Steigerungssätze nicht zum Ansatz gelangen und daher der Grundbetrag 4) allein dem Reichs­ zuschuß hinzutritt. Grundbeträge und Steigerungssätze bestimmen sich beide verschieden nach den für den Versicherten in Betracht kommenden Lohnklassen (§ 35 Satz 1). Das Wesen des Steigerungs­ satzes aber besteht darin, daß er für jede einzelne Beitrags1) Über die Entwicklung der Gesetzgebung enthalten die Kommentare meist sehr ausführliche Mitteilungen. — Für das zwischenzeitliche Recht kommt auch hier der § 193 JVG. (vgl. oben § 63 N. 1) in Betracht. Kommt danach das neue JVG. zur Anwendung, so findet die Berechnung nach seinen Vorschriften auch für diejenigen Beitragswochen statt, welche vor seinem Inkrafttreten liegen

nicht länger, als ein Jahr zurückliegen, wird Rente gewährt. Der Anspruch im ganzen unterliegt einer durch die Geltendmachung bedingten Präklusivfrist,nicht; anders § 72 GUVG.

732

lv. Buch. Renten,

II, Kap.: Rentcnanspruch,

der Landesregierung bestimmte „andere Behörde";^) dagegen wird durch Anmeldung bei einer unzuständigen Behörde die Frist nicht gewahrt.^) Sind der schließlich erfolgreichen Antragstellung andere erfolglose vorangegangen, so kann nur die erstere der Fristberechnung nach rückwärts zu Grunde gelegt werden;^) dagegen gilt der Tag der ersten Anmeldung, wenn im Laufe des Feststellungsverfahrens anstatt der zuerst verlangten Altersrente im Wege zulässiger Klage­ änderung die Invalidenrente oder umgekehrt verlangt wird?') 4. Auch in anderen Fällen, welche das Gesetz nicht ausdrücklich normiert, kann für den Rentenbeginn ein späterer Zeitpunkt als der der Anspruchsentstehung maßgebend werden. Die Praxis des RVA. hat nach dieser Richtung insbesondere32) die Bedeutung des Ver­ zichts^) und der rechtskräftigen Vorentscheidung^) herangezogen. Auf diese Fälle wird im Zusammenhang mit den gedachten Rechts­ materien an späterer Stelle noch zurückgekommen werden müssen. 28) AN. 01 S. 433 Nr. 909 mit Bezug auf die preuß. Anweisung v. 6. Dez. 1899, welche unter II, 3 dem Versicherten gestattet, seinen Antrag auch bei dem Gemeindevorstand, in Landgemeinden außerdem bei der Ortspolizeibehörde seines Wohnorts oder Beschäftigungsorts anzubringen. 2V) AN. 97 S. 471 Nr. 606. Eine analoge Anwendung von § 114 Abs. 3 JVG. findet nicht statt. 30) AN. 00 S. 699 Nr. 834. 31) AN. 01 S. 433 Nr. 910. Es entscheidet nicht der Zeitpunkt der Klage­ änderung. 32) Dagegen hat sie sich dem von mehreren Seiten (Gebhard-Düttmann S. 176 Ziff. 5, Pauli in ArbV. 17 S. 329) vertretenen Standpunkte, wonach Renten, welche auf Grund des G. 89 nicht beansprucht werden konnten, auf Grund des JVG. nach § 193 desselben frühestens vom Inkrafttreten des neuen Gesetzes gewährt .werden können, nicht angeschlossen (AN. 00 S. 406 Nr. 791, S. 409 Nr. 794; Weymann Anm. 5 zu § 193). 33) Vgl. dazu den folgenden § 67 N. 7. 34) „Grenze für die Zubilligung der Invalidenrente auf Grund eines wiederholten Rentenantrags" (§ 120 JVG.): „dies ist der Zeitpunkt der früheren endgiltigen Entscheidung" (AN. 95 S. 253 Nr. 462); dazu für jetzt Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 Schlußabsatz zu § 120. In Anwendung des­ selben Prinzips könnte nach AN. 02 S. 290 Nr. 959 die an eine Krankenrente sich anschließende Dauerrente frühestens am Tage nach dem die Krankenrente endgiltig festsetzenden Bescheide beginnen, selbst wenn in dem auf die Dauerrente bezüglichen Verfahren ein noch früherer Termin für den Eintritt der wirklich dauernden Erwerbsunfähigkeit festgestellt würde. Vgl. oben § 61 N. 14 a.

§ 67.

Rechtliche Gebundenheit des Anspruchs.

Der Rentenanspruch

soll einer

bestimmten Persönlichkeit eine

sozialpolitische Fürsorge vermitteln (vgl. Bd. 1 S. 255, 463).

Dar­

aus ergibt sich eine gewisse objektive und subjektive Gebundenheit desselben, deren Äußerungen zunächst nach der materiellen Seitehin') im folgenden betrachtet werden sollen. I.

Verzicht und

Vergleich.

Bei der Frage,

ob und in­

wieweit der Rentenanspruch Gegenstand eines Verzichts oder Ver­ gleichs sein kann/) muß die Beurteilung vom Standpunkte des. Ansprechers und

von dem der Versicherungsanstalt d. h. der ein­

seitige Verzicht einerseits und der vertragsmäßige Verzicht und Ver­ gleich andererseits unterschieden werden. 1. Vom Standpunkt des Ansprechers aus kann es nicht zweifel­ haft sein,

daß derselbe auf seinen Rentenanspruch ganz oder teil­

weise, mag es sich im letzteren Falle um die Höhe oder den Beginn der Rente handeln, verzichten kann?) ihm

Das Gesetz will zwar den von

erfaßten Personenklassen aus sozialpolitischen Gründen

eine

gewisie Fürsorge zuwenden, setzt auch in weitem Umfange seinen Zwang in Bewegung, um die Voraussetzungen dieser Fürsorge, so­ weit sie in der Anwartschaft beschlossen sind, zu verwirklichen, gibt aber nach eingetretenem Versicherungsfall dem natürlichen Egoismus des einzelnen Versicherten sogar soweit Raum, daß es schon die Einleitung des Feststellungsverfahrens von einem darauf gerichteten Antrage desselben abhängig macht?) Damit ist im weitesten Um­ fange seine Disposilionsfreiheit in Bezug

auf die Geltendmachung.

*) Die Darstellung des Verfahrens beim Erbeneintritt, der Aufrechnung usw. wird im folgenden Kapitel (§ 73) gegeben werden. 2) Laß, Prozeßrecht in Unfallverstcherungssachen S. 135 ff., Giesler in. ArbV. 93 S. 493. 3) AN. 94 S. 126 Nr. 356 Abs. 2, AN. 01 S. 612 Nr. 928, AN. 02 S. 687 Nr. 1023. Schiedsgerichts-O. § 16 Abs. 2 Ziff. 1, Reichsversicherungsamts-O. § 37 Abs. 1, wo von der Aufnahme der „Verzichtleistungen in das Protokoll" die Rede ist. Daß bei vermögensrechtlichen Ansprüchen auch der öffentlichrechtliche Charakter den Verzicht nicht ausschließt, vgl. Otto Mayer, Ver­ waltungsrecht 1 S. 117, auch AN. 94 Nr. 357 S. 128 Abs. 1 a. E. 4) § 112 JVG., insoweit abweichend von der Unfallversicherung, bei welcher^ wenigstens das Feststellungsverfahren von Amts wegen eingeleitet wird; ogL auch AN. 93 Nr. 289 S. 143 oben.

734

IV. Buch. Renten.

II. Kap.: Rentenanspruch.

des Rentenanspruchs anerkannt. Er kann dieselbe sowohl vor und nach dem Feststellungsverfahren, wie auch im Rahmen des letzteren selbst betätigen. Welche Wirkung aber dieser einseitige Verzicht auf den Rentenanspruch oder b essen Geltendmachung hat und inwieweit er den Verzichtenden für die Zukunft bindet, das läßt sich nicht für alle Fälle gleichmäßig bestimmen/) hängt vielmehr von den materiell­ rechtlichen oder prozessualischen Formen ab, in welche er sich kleidet. Hiernach kann insbesondere der Berechtigte seinen Bewilligungs­ anspruch in Verzichtsabsicht nicht anmelden; die Folge davon ist, daß gegen ihn mit Bezug auf die vergangenen Zeiträume die Aus­ schlußfrist des § 41 Abs. 3 JVG. läuft, während er im übrigen an der späteren Anmeldung seines Rentenanspruchs nicht gehindert wird (vgl. oben § 66 N. 27). Er kann ferner nach endgiltiger Fest­ stellung seiner Rente auf seinen Bezugsanspruch einseitig in der Form der Nichtabhebung der angewiesenen Beträge verzichten/) wiederum nur mit der Folge, daß die vierjährige Verjährung (vgl. -oben § 52 N. 1) der späteren Abhebung entgegensteht. Strenger sind die Wirkungen des Verzichts, welcher sich in die prozessualischen Formen des Feststellungsverfahrens kleidet. So kann z. B. der An­ sprecher auf einen Teil seines Anspruchs verzichten, indem er die Feststellung der Rente erst von einem späteren, als dem gesetzlich bestimmten Zeitpunkte des Rentenbeginns an geltend macht/) sei es, Laß er seinen Antrag von Anfang an nur in dieser Beschränkung stellt/) oder ihn im Laufe des Verfahrens in solcher Weise ein8) In diesem Punkte geht wenigstens die Formulierung von AN. 02 S. 687 Nr. 1023 Abs. 3 zu weit, indem sie den Satz aufstellt: „Der Verzicht ist aber regelmäßig unwiderruflich." Zm Gegenteil ist der materiellrechtliche einseitige Verzicht auf Forderungen regelmäßig unverbindlich (1. Entw. BGB. § 290 Abs. 5 und Mot. dazu Bd. 2 S. 116), auch auf dem Gebiete des öffent­ lichen Rechts (Piloty, Unfallversicherungsrecht S. 580 Anm. 5). ®) Laß S. 135. Es geht zu weit, wenn Piloty hierin überhaupt keinen Verzicht erblicken will; das wäre nur richtig, wenn man a priori den Verzicht 4nit dem zweiseitigen verbindlichen Verzichtsvertrage identifizieren dürfte. 0 Vgl. oben § 66 N. 33. 8) AN. 01 S. 612 Nr. 928 mit AN. 02 S. 687 Nr. 1023 und AN. 03 S. 391 Nr. 1056. Feststehen muß natürlich, daß der Ansprecher die seinen An­ spruch beschränkende Zeitbestimmung wirklich, ohne Willensmängel und in Ver­ zichtsabsicht abgegeben hat. Das bildet in den Entsch. Nr. 1023 und 1056 einen -Gegenstand der Erwägung. Über Nr. 1023 vgl. noch unten N. 31, über Nr. 1056 amten N. 14 und § 70 N. 34.

§ 67.

Rechtliche Gebundenheit des Anspruchs.

735

schränkt') oder etwa gegen eine seinen Anspruch zeitlich beschränkende Entscheidung das zulässige Rechtsmittel nicht einlegt,") auf dasselbe verzichtet oder das schon eingelegte wieder zurücknimmt.") Dem Ansprecher wird hier jedenfalls der Umstand präjudiziell, daß die Entscheidungen der Feststellungsinstanzen nur „innerhalb der er­ hobenen Ansprüche"") erfolgen") und auf diesem Wege ein rechts­ kräftiges Urteil sich einer späteren Erweiterung des Anspruchs ent­ gegenstellen kann. Wie weit aber eine solche noch innerhalb des­ selben Verfahrens zulässig, und damit der erfolgte Verzicht wider­ ruflich ist, hängt wiederum von den prozessualischen Grundsätzen ab, welche für die einzelnen erwähnten Verzichtsformen als maßgebend unerkannt werden.") 2. Wenn aber auch dem Ansprecher von seiner Seite aus der Verzicht auf seinen Rentenanspruch freisteht, so ist damit die Frage noch nicht erledigt, ob und inwieweit die Versicherungsanstalt ihrer­ seits einen solchen Verzicht herbeiführen und den Berechtigten an demselben festhalten darf. ’*5)* *Diese * Frage kann nicht aus dem Wesen °) So in der mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgerichte (AN. 94 S. 126 Nr. 356). io) AN. 94 S. 131 Nr. 360. ”) AN. 02 S. 687 Nr. 1023 Abs. 3. ir) Näheres später; vgl. für jetzt Zsenbart-Spielhagen Anm. 2 zu § 19 Schiedsg.-O. (2. Ausl. S.1061). io) Vgl. die beiden N. 8 zitierten Entsch. ") Das Einzelne muß später erörtert werden. Hier sei bemerkt: Die Rück­ nahme von Rechtsmitteln ist unwiderruflich; vgl. die N. 11 zitierte Entsch. Der Beantragte Tag des Rentenbeginns kann noch in der Berufungsinstanz zurückgeschoben werden: AN. 0l S. 612 Nr. 928 „und diesen Antrag auch in ber Berufungsinstanz nicht geändert hat". (Für den Fall, daß in erster In­ stanz antragsgemäß erkannt war, stehen sich AN. 02 S. 687 Nr. 1028, vgl. unten N. 31, und die in Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 27, später auch in AN. 03 S. 391 Nr. 1056 Abs. 2, publizierte Entsch. NVA. v. 13. Zan. 1903 gegenüber; vgl. unten § 70 N. 34). In der Revisionsinstanz wird das gleiche wegen der beschränkten Natur des Rechtsmittels (vgl. auch AN. 93 S. 52 Nr. 207) grund­ sätzlich nicht mehr zulässig sein, wie die zitierte Entsch. Nr. 928 tatsächlich be­ stätigt (unentschieden die N. 9 zitierte Entsch. Nr. 356 Schlußabsatz). Dazu noch unten § 73 VII. 15) Der im Text hervorgehobene Gegensatz tritt auch in der Judikatur des MVA. bei Gelegenheit ausdrücklich hervor; vgl. AN. 97 (Unfallversicherung) S. 467 Nr. 1648 vorletzter Absatz: „verstößt die Annahme des Rentenverzichts seitens der Beklagten (Berufsgenossenschaft) gegen § 99 UVG. und ist un-

736

IV. Buch. Renten.

II. Kap.: Rentenanspruch.

des subjektiven Rechts, sondern nur der ihm gegenüberstehenden Pflichte entschieden werden. Danach aber sind die Rentenleistungen eine­ obligatorische Aufgabe der Versicherungsanstalten, deren Erfüllung sie sich als öffentliche Verbände nicht entziehen dürfen (vgl. oben § 31 N. 2). Demzufolge sind zunächst vertragsmäßige Verzichte und Teilverzichte ausgeschlossen, durch welche „bei unbestrittener Renten­ verpflichtung" 16) der Berechtigte, sei es unentgeltlich") oder auch, entgeltlich ,8) der Versicherungsanstalt vor oder nach der Feststellung, die Rentenzahlung ganz oder teilweise erläßt.’9) Dagegen würde ich im Sinne des § 397 Abs. 2 BGB. ein sog. negatives An­ erkenntnis für zulässig halten, wenn beide Teile, und zwar die Anwirksam"; ferner AN. 94 S. 126 Nr. 356 Abs. 4 „einseitiger Verzicht" im. Gegensatz zu einem „in die äußere Form einer Verzichtleistung gekleideten. Vergleich". le) Vgl. die auf eine festgestellte Unfallrente bezügliche Rekurs-Entsch. Nr. 1648 (vorige Note) S. 467 Abs. 2. Gleichgestellt werden muß der Falleiner bei pflichtmäßiger Prüfung offenbar unzweifelhaften Verpflichtung. 1 *) So in der zit. Rekurs-Entsch. Nr. 1648, wo es sich um einen Verzicht: auf die Unfallrente für die Zeit handelt, in welcher der Verletzte von seinem Arbeitgeber noch zum früheren Lohne beschäftigt wird. In anderen früheren. Fällen hatte allerdings das NVA. bedenklicher Weise einen solchen vertrags­ mäßigen Verzicht auf Grund einer unrichtigen Auffassung des Wortes „Nachteil" in § 99 UVG. (vgl. unten N. 19) zugelassen, was für das Gebiet der 3nvalidenversicherung jedenfalls unpräjudiziell bleiben muß. 18) Keine Kapitalabfindung für die Rente, außer in den gesetzlich zugelassenen. Fällen: AN. 97 (Unfallversicherung) S. 468 Nr. 1649. Kein Heilverfahren gegen. Rentenverzicht; vgl. unten § 81 N. 24. ,0) Vgl. § 397 Abs. 1 BGB. Auf dem Gebiete der Unfallversicherung konnte das NVA. seine zitierten Entscheidungen auf § 99 UVG. (jetzt § 141 GUVG.) stützen, welcher, im übrigen mit § 180 Abs. 1 ZVG. wesentlich übereinstimmend,, neben den Arbeitgebern auch ausdrücklich den Berufsgenoffenschaften Über­ einkünfte „zum Nachteil der Versicherten" verbietet. Der § 180 cit. erwähnt die Versicherungsanstalten nicht und es kann zweifelhaft sein, ob die Analogie der einzelnen Stelle ausreicht, um ein der Unfallversicherung entsprechendes Er­ gebnis zu erzielen (dafür Piloty zu § 180 gegen Graßmann Anm. 1 undAppelius in Mainzer Ztschr. Bd. 12 S. 74), welches aber jedenfalls durch die im Text verwendete Rechtsanalogie getragen wird. Über die Auslegung der Worte „zum Nachteil der Versicherten" vgl. oben § 45 N. 6 und § 46 N. 16. Der schenkungsweise Verzicht, welchen ein zu Vermögen gelangter Rentner aus sozialpolitischen Motiven der Anstalt gegenüber erklärt, ist jedenfalls nicht zu. beanstanden; vgl. Appelius S. 74 Sp. 2. Über vertragsmäßige Verzichte aus die Anwartschaft oben § 53 bei N. 43.

§ 67.

Rechtliche Gebundenheit des Anspruchs.

737

statt nach pflichtmäßiger Überzeugung (vgl. oben N. 16 a. E.), bet dem Vertrage tatsächltch davon ausgehen, daß der Rentenanspruch in Wirklichkeit nicht besteht?") Bei dem Vergleich, welcher seiner Natur nach vertragsmäßigen Charakter hat, kommt als besonderes Moment in Betracht, daß er sich auf einen streitigen oder doch un­ gewissen^') Anspruch bezieht, der durch gegenseitiges Nachgeben in gewissem Umfange festgestellt werden sott?2) Der Abschluß eines solchen wird daher durch die sozialpolitische Zweckverpflichtung der Versicherungsanstalten an sich nicht ausgeschlossen?2) Nur insofern ist derselbe unzulässig, als er pflichtwidrig eine Benachteiligung des Rentenberechtigten „bezweckt"2*) oder sonst gegen zwingende Be­ stimmungen des Gesetzes verstößt?2) Im übrigen bleibt die An20) Anders, wenn das negative Anerkenntnis nur eine Form für den Er­ laßvertrag bilden soll; vgl. Planck, Kommentar zum BGB. Bd. 2 S. 180. 21) Ungewiß nach pflichtmäßiger Prüfung durch die Versicherungsanstalt; vgl. oben N. 16. 22) § 779 BGB.; AN. 94 S. 127 Nr. 357 (oben N. 3). 23) „Erledigung der Berufung durch Vergleich": § 15 Schiedsg.O.; Auf­ nahme von Vergleichen in das Sitzungsprotokoll: § 16 ebenda, § 37 Reichsvers.Amts-O. * Über Zulässigkeit von Vergleichen in der Bescheidsinstanz die N. 22 cit. Entsch. Nr. 357; über schiedsgerichtliche Vergleiche auch das Rundschr. RVA. v. 5. Aug. 1892, AN. S. 106, in welchem mindestens als zweckmäßig empfohlen wird, „nicht lediglich die Endsumme" (und den Anfangstermin), „sondern zugleich die für die Rentenverteilung maßgebenden Faktoren" fest­ zustellen, wodurch die teilweise Entlastung der feststellenden Anstalt von vorn­ herein sicher gestellt wird. Eine besondere Form für den materiellrechtlichen Vergleich sieht das BGB. nicht vor. Das RVA. empfiehlt Schriftlichkeit (AN. 00 S. 615 Nr. 807 mit AN. 04 S. 412 Nr. 2048). ") AN. 92 S. 329 (Unfallversicherung) Nr. 1179; dazu oben N. 16 und 21. Der bloße spätere Nachweis, daß der Ansprecher tatsächlich günstiger gefahren wäre, wenn er sich nicht verglichen hätte, kann natürlich den Vergleich, seinem Wesen nach, nicht entkräften. Immerhin wirken derartige Vergleiche sozial­ politisch ungünstig; daher sind die auf Einschränkung der Vergleiche überhaupt gerichteten Mahnungen Jsenbart-Spielhagen's Anm. 1 Abs. 3 zu § 15 Schiedsg.O. wohl zu beachten. 2») So dürfen auch im Vergleichswege Renten nicht unter dem nach §§ 35 ff., 189, 192 ZVG. zu berechnenden gesetzlichen Mindestbetrage festgesetzt werden: Rundschr. RVA. v. 5. Aug. 1892, AN. S. 106 Abs. 1. Keine unbedingt lebens­ länglichen Invalidenrenten gegen § 47 JVG.: AN. 96 (Unfallversicherung) S. 260 Nr. 1469. Über unzulässige Kapitalabfindungen vgl. oben N. 18.

Rosin, Recht der Arbeiterversicherung. Band II.

47

738

IV. Buch. Renten. II. Kap.: Rentenanspruch.

fechtung eines vertragsmäßigen Verzichts oder Vergleichs nach den Voraussetzungen des bürgerlichen Rechts vorbehalten.28) II. Vererbung. Gegenüber den Erben wird der Renten­ anspruch in gewissem Umfange an die Voraussetzung persönlicher Geltendmachung durch den Versicherten selbst gebunben?7) Hiernach ergibt sich: 1. Der beim Tode des Bezugsberechtigten (mit welchem an sich der Rentenanspruch endet) bereits ausgezahlte Monatsbetrag der Rente braucht nicht wiedererstattet zu roerben28) und bildet, ohne Beschränkung der Vererblichkeit, einen Teil des allgemeinen Nach­ lasses. 2. Der Bezugsanspruch auf die noch nicht abgehobene Rente beschränkt sich, was den letzten Monat anlangt, auf die Zeit bis zum Todestage,28) vererbt aber im übrigen gleichfalls ohne Ein­ schränkung nach den Regeln des allgemeinen bürgerlichen Rechts?8) 3. In Bezug auf den Bewilligungsanspruch enthält der § 41 Abs. 4 JVG. eine Sondervorschrift. Danach ist der beim Tode des Berechtigten noch nicht angemeldete Rentenanspruch unvererblich und geht mit diesem Momente unter. Der bereits angemeldete ist zwar an sich vererblich;2') doch sind die bürgerlichrechtlichen Vorschriften *>) Laß S. 136, 138; z. B. Rekurs-Entsch. Nr. 1179 (oben N. 24): „Miß­ verständnis". ”) „Höchst persönliche Natur der Rentenforderung", z. B. AN. 97 Nr. 555 S. 274 Zeile 4 von unten; dazu oben § 66 N. 12. Die Gründe sind in AN. 93 S. 143 Nr. 289 (vgl. oben § 66 N. 10) entwickelt. — Über die Erben als „Berechtigte" im Sinne des § 193 JVG. vgl. oben § 63 N. 1 litt. c. -°) § 38 Satz 2 JVG.; vgl. oben § 65 V, 2. --) Vgl. dazu oben § 65 N. 37. 30) Gebhard-Düttmann Anm. 7 Abs. 2 zu § 41 wollen auch in diesem Falle ein der Ziff. 3 des Textes entsprechendes Vorrecht des Ehegatten an­ erkennen, das de lege ferenda zweckmäßig sein mag, im gegebenen Gesetze aber nicht begründet ist („zur Fortsetzung des Verfahrens und im Falle usw."). Auch läßt sich der Standpunkt des Gesetzgebers dadurch erklären, daß er die von ihm beliebte Abweichung von der bürgerlichen Erbordnung nur solange wollte, als deren tatsächliche Würdigung und Berücksichtigung noch int Fest­ stellungsverfahren möglich ist. 31) Ausführlich begründet schon für das frühere Recht in AN. 93 S. 73 Nr. 230 mit Bezug auf Bd. I S. 477. Daß die Rente auch hier nur bis zum Todestage geschuldet wird, ergibt unmittelbar der Wortlaut; vgl. oben § 65 N. 36. Über Nachentrichtung von Beiträgen durch die Erben vgl. oben § 52 N. 46. — Fraglich ist, ob in Weiterentwicklung des dem § 41 Abs. 4 zu Grunde

über die Erbberechtigung durch das JVG. modifiziert, indem hier an erster Stelle der Ehegatte berufen ist, „sofern derselbe mit dem Rentenberechtigten bis zu dessen Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat"?') Erst „wenn ein solcher nicht vorhanden ist, tritt die Rechtsnachfolge nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts ein". a) Die allgemeine Erbfolge wird durch das „Vorhandensein" eines nach dem Gesetz bevorrechtigten Ehegatten ausgeschloffen, gleich­ viel, ob derselbe von der ihm gewährten Berechtigung zur Fort­ setzung des Verfahrens Gebrauch macht oder nicht. „Nach den Be­ stimmungen des bürgerlichen Rechts" treten aber nicht bloß die gesetzlichen @rben,33) sondern eventuell auch die Testamentserben") -ein; es steht auch nichts entgegen, daß der Berechtigte den an­ gemeldeten Bewilligungsanspruch zum Gegenstände des Vermächt­ nisses an einen Dritten macht. b) Der Übergang des Anspruchs an den in erster Reihe be­ rufenen Ehegatten bildet eine sozialpolitische modifizierte, erbrechtliche -Spezialsukzession in denselben, welche für den Ehegatten ein gegen­ über letztwilligen Verfügungen des Erblaffers unentziehbares Recht begründet?3) Der Anspruch gehört insoweit nicht zum allgemeinen Nachlaß und haftet dessen Gläubigern nicht. Die im Gesetz geliegenden Gedankens Ehegatte und Erben zur Inanspruchnahme der Rente un­ widerruflich auch nur in dem Umfange (z. B. von dem Anfangstermine an) berechtigt sind, wie sie der Erblasser angesprochen hatte, oder ob jene, wenn überhaupt die Anmeldung erfolgt war, ihren Modalitäten nur mit derselben Gebundenheit, aber auch Freiheit gegenüberstehen, wie der Erblasser selbst, wenn er gelebt hätte. Das RVA. entscheidet sich, wohl der Absicht des Gesetzes ent­ sprechend, tatsächlich für die letztere Alternative, ohne jedoch die in Betracht kommende Frage richtig zu formulieren (AR. 02 S. 687 Nr. 1028; vgl. oben N. 8 mit 14). 32j Die Bestimmung ist neu; der Komm.Ber. zu § 29 Entw. JVG. be­ gründet sie mit der Anlehnung an § 44 Abs. 4 JVG. Sie findet übrigens nach der Praxis des RVA. in schwebenden Sachen keine Anwendung, auch wenn im ganzen nach dem neuen JVG. geurteilt wird (AN. 00 S. 610 Nr. 798; dazu oben § 63 N. 1 litt, d a. E.). 33) Unter ihnen kann wiederum der Ehegatte ohne Rücksicht auf die be­ sonderen Voraussetzungen des § 41 Abs. 4 JVG. erscheinen; vgl. § 1931 BGB. 34) Ebenso Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 litt, d zu § 41 JVG.; AN. 93 S. 141 Nr. 288. 35) Übereinstimmend Piloty zu Abs. 4 § 41, Weymann Anm. 10.

machte besondere Voraussetzung will denjenigen Ehegatten des Vor­ zugsrechts entkleiden, welcher sich zur Zeit des Todes des anderen Ehegatten schuldhafterweise von der häuslichen Gemeinschaft mit demselben, wenn auch nur tatsächlich36) „ferngehalten hat".") Ist die häusliche Gemeinschaft ohne jede Schuld der Ehegatten38) oder doch des überlebenden Ehegatten33) aufgehoben, so schadet das dem Vorzugsrechte des letzteren nicht. c) Entscheidend für die Vererblichkeit in dem hier besprochenen Falle ist, ob „der Rentenantrag des Versicherten noch zu seinen Lebzeiten bei der zuständigen Behörde eingegangen war". Nach dem Zusammenhange, in welchem der Wortlaut des § 41 Abs. 4 mit dem der Absätze 1 und 3 steht, kann im Gegensatz zu der früheren Judikatur des NVA.43) die Anmeldung bei einer unzuständigen Be­ hörde (vgl. oben § 66 N. 28, 29) zur Herbeiführung der Vererb­ lichkeit nicht genügen. Dagegen wird, wie früher, auch jetzt die Anmeldung durch einen gesetzlichen Vertreter oder einen Bevoll­ mächtigten, sofern sie überhaupt genügt, um das Feststellungs­ verfahren in Gang zu bringen, auch die Vererblichkeit des Anspruchs begründen?') III. Verfügungen unter Sc 6 eit bett.42) Von der „Über­ tragung, Verpfändung und Pfändung" „der aus den reichsgesetz­ lichen Bestimmungen sich ergebenden Ansprüche" insbesondere der Rentenansprüche42) handelt der § 55 Abs. 1 mit 3 JVG. 36) Ist die Ehe geschieden, so kommt der Ehegatte als solcher nicht mehr m Betracht; das gleiche wird aber auch, ohne daß es auf die Schuldfrage ankäme, gelten müssen, wenn nach § 1575 BGB. nur die eheliche Gemeinschaft auf­ gehoben wurde, weil das nur ein Surrogat der Scheidung ist. 37) Vgl. als Analogie § 44 Abs. 2 ZVG.; dazu Mot. zu § 31 Entw. JVG. 38) So z. B. wenn der eine Ehegatte sich dauernder Arbeitsgelegenheit cm fremdem Orte widmet oder wegen geistiger Krankheit im Irrenhaus sich be­ findet. In Bezug auf letzteren Fall gegenteiliger Ansicht Weymann Anm. 11. 39) Anders Weymann a. a. O. und Gebhard-Düttmann Anm. 11. 40) AN. 97 S. 274 Nr. 555. Für Beibehaltung der bisherigen Praxis Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 litt, e, trotzdem sie anerkennen, daß „es eigenartig ist, daß hier in einem Paragraphen dieselben Worte zweimal je mit verschiedener Tragweite gebraucht werden". Ebenso Graßmann Anm. 7, dagegen aber Weymann Anm. 7. 41) AN. 94 S. 31 Nr. 319. ") Der § 55 JVG. bezieht sich nur auf solche (AN. 93 Nr. 230 S. 75 Abs. 2). 43) Die Erweiterung ist gegenüber § 40 G. 89, welcher nur von der „Rente^

1. Das Gesetz geht von der grundsätzlichen Unübertragbarkeit der Rentenansprüche aus, die es nur in bestimmten Ausnahmefällen durchbricht. Die ratio legis dieser Gebundenheit ist jedoch eine etwas andere, als die bei der Beschränkung der Vererbung hervor­ tretende.^^) Während nämlich mit dem Tode des Rentenberechtigten diejenige Person weggefallen ist, für welche durch den Renten­ anspruch gesorgt werden soll, muß dieselbe bei der Regelung der Verfügung unter Lebenden als vorhanden vorausgesetzt werden. Daher kann es sich bei der Regelung der Vererblichkeit nur um eine Bindung des Anspruchs an den Willen des Versicherten handeln, welcher den für ihn entstandenen Anspruch bereits ergriffen haben muß, bevor er im gesetzlichen Umfange vererbt werden kann, während für den Verkehr inter vivos die Absicht des Gesetzes dahin geht und gehen kann, die sozialpolitische Fürsorge, ihrem Zwecke ent­ sprechend, auch gegen den Willen des Berechtigten, an den Genuß durch denselben zu binden. Daraus ergeben sich wesentliche Ver­ schiedenheiten. Auf der einen Seite ergreift die Unübertragbarkeit im Sinne des § 55 JVG. auch den angemeldeten Bewilligungs­ anspruch und den Bezugsanspruch ebenso, wie den Rentenanspruch vor der Anmeldung; auf der anderen Seite besteht aber kein Grund, in denjenigen positiven Ausnahmefällen, wo das Gesetz aus be­ sonderen Rücksichten und zu besonderen Zwecken die Übertragung zum Genuß an einen anderen zuläßt, dieselbe noch von der bereits erfolgten Geltendmachung des Anspruchs durch den Berechtigten ab­ hängig zu machen.") Es ergibt sich daraus, daß sowohl die Regel sprach, neu. Die gegenwärtige Fassung ergreift namentlich auch den Anspruch auf Beitragserstattung. ") Vgl. die N. 42 zitierte Stelle. 45) Für die Pfändung ist dies besonders klar, da doch das Gesetz keines­ wegs beabsichtigt haben kann, es dem Ansprecher freizulassen, dieselbe durch Unterlassung der Anmeldung illusorisch zu machen. Die Übertragung und Ver­ pfändung, die zudem Willensäußerungen des Berechtigten enthalten, werden aber der Pfändung völlig gleich behandelt. Wenn das NVA. unter dem früheren Recht (AN. 99 S. 556 Nr. 744) ausgesprochen hat, daß der Beitragserstattungs­ anspruch jedenfalls so lange unübertragbar ist, als er nicht angemeldet ist, so kann das den Fällen der ausnahmsweisen Übertragung deS neuen Rechts nicht präjudizieren. Dementsprechend schadet es in diesen Fällen dem neuen Erwerber des Anspruchs auch nichts mehr, wenn der Versicherte vor Anmeldung des Anspruchs durch ihn selbst oder den Cessionar verstorben ist (vgl. zu § 55 Ziff. 3 auch § 50 Abs. 2). Dazu Weymann Anm. 9, 10 zu § 112 JVG.

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des § 55, wie die Beschränkung derselben den Rentenanspruch, in allen Stadien seiner Verwirklichung umfaßt, wie denn auch der Wortlaut des Abs. 1 und 3 nach dieser Richtung nicht unter­ scheidet. 2. Nach dem Grunde der gesetzlichen Bestimmungen soll der Rentenanspruch dem Genuß desjenigen verbleiben, aus dessen Ver­ sicherung er entstanden ist. Daraus ergibt sich, daß, soweit er sich kraft gesetzlicher Zulassung bereits in der Hand eines Dritten be­ findet, zur Aufrechterhaltung der in § 55 vorgesehenen Gebunden­ heit keine Veranlassung mehr besteht. Erben, auf welche der Renten­ anspruch gemäß § 41 Abs. 4 JVG. übergegangen ist, sowie diePersonen, welche ihn in den Ausnahmefällen des § 55 erworben haben, sind in der weiteren Verfügung über denselben ebenso un­ beschränkt, wie die Pfändung ihnen gegenüber es ist.46) 3. Die in § 55 grundsätzlich untersagte „Übertragung" ist die in §§ 398 ff. BGB. geregelte „Abtretung" der „Rentcnforderung".46a) Auf den Rechtsgrund derselben kommt es nicht an; die schenkungs­ weise,4') wie die entgeltliche Abtretung sind gleichmäßig verboten. Die Verpfändung des Rentenanspruchs fällt unter §§ 1279 ff. BGB.; Pfändung ist die Zwangsvollstreckung zur Befriedigung eines Gläubigers des Rentenberechtigten, sofern sie gemäß §§ 803 ff., 828 ff. CPO. in den Rentenanspruch erfolgt. Mit dem Ausschluß, der Pfändung ist der Rentenanspruch auch der Konkursmasse des Rentenberechtigten entzogen.46) Auch die Bestellung eines Nieß­ brauchs,46) wie jede andere Verfügung unter Lebenden ist nach der Absicht des Gesetzes unzulässig. Erfolgt eine solche dennoch, so ist sie ohne „rechtliche Wirkung", nichtig.66) Sie gibt dem, zu dessen 46) Ebenso hinsichtlich der Erben Weymann Anm. 1 und Entsch. Stadt­ direktion Stuttgart v. 14. Okt. 1903, Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 4; hinsichtlich, des Cessionars Piloty zu Abs. 1 und 3 des § 55. 4ßa) Vgl. § 55 Abs. 2. 47) Jsenbart-Spielhagen Anm. 4, Gebhard-Düttmann Anm. 4 Abs. 2. 48) § 1 Abs. 1, 4 Reichs-Konk.O.; Gebhard-Düttmann Anm. 4 Abs. 2. Weymann Anm. 4. 49) § 1069 Abs. 2 BGB.; vgl. auch hinsichtlich der Verpfändung schon § 1274 Abs. 2 BGB. 50) So auch nach § 134 BGB.; der § 135 kommt nicht in Betracht, bet das Veräußerungsverbot des § 55 JVG. nicht nur den Schutz des Versichertem bezweckt, sondern allgemeinen sozialpolitischen Zwecken dient.

Gunsten sie erfolgt ist, keinerlei Rechte und befreit die Versiche­ rungsanstalt nicht, welche auf Grund derselben5') Zahlung ge­ leistet hat. 4. Das Gesetz kennt gewisse Ausnahmen von seinem Veräußcrungsverbote, welche in Abs. 1 Ziff. 1—3 und Abs. 3 enthalten sind. Sie entspringen teils einer Rücksicht auf den Renten­ berechtigten selbst, teils einer solchen auf diejenigen Personen, auf welche der Rentenanspruch übergehen soll. Soweit erlaubt, geht der Anspruch zwar, wie erwähnt, ohne die ihm in der Hand des ersten Berechtigten innewohnenden Verfügungsbeschränkungen, im übrigen aber mit allen objektiven Modalitäten (z. B. Postauszahlung), sowie mit allen Schicksalsmöglichkeiten über, welche ihn von der Person des Versicherten aus noch treffen können (z. B. Beendigung der Rentenzahlung durch Tod des Berechtigten — vgl. dazu oben R. 45 —, Entziehung, Ruhen der Rente). Die einzelnen Ausnahme­ fälle sind: a) Zulässig sind Übertragung, Verpfändung, Pfändung usw. „zur Deckung eines Vorschusses, welcher dem Berechtigten auf seine Ansprüche vor Anweisung der Rente von seinem Arbeitgeber oder einem Organe der Versicherungsanstalt oder dem Mitglied eines solchen Organs gegeben worden ist". Deckung ist Sicherung oder Abgeltung der auf Rückzahlung des Vorschuffes gerichteten For­ derung. Vorschuß bedeutet eine Zahlung, welche im Hinblick auf die zu erwartende, aber durch die formale Feststellung sich verzögernde Rentenleistung vorgestreckt worden ist.52) Die Hingabe muß nach Entstehung des Anspruchs55) und vor der erstmaligen Anweisung der Rente54) erfolgt sein. Übertragbar oder pfändbar sind dann 51) Unter diesen Tatbestand fällt der von Gebhard-Düttmann Anm. 4 Abs. 1 angeführte Fall nicht, daß die Anstalt auf Grund einer Bevollmächtigung in gutem Glauben die Zahlung an den verbotswidrigen Cessionar anweist. 52) Zu welchem Zwecke die vorgeschossene Zahlung verwendet werden soll (Weymann Anm. 5), ist gleichgiltig, wenn man die N. 55 ausgesprochene Be­ schränkung annimmt. — Die Vorschüsse aus §§ 115, 117 Abs. 3 JVG. (Piloty) sind besonders geregelt und gehören nicht hierher. M) Es könnte zweifelhaft sein, ob Vorschüsse bei herannahendem 71. Lebens­ jahre oder vor Ablauf der 26. Woche einer Krankheit nicht doch unter Ziff. 1 gestellt werden könnten; doch wird es eher im Sinne des Gesetzes sein, derartige gewagte Geschäfte nicht zu begünstigen. 51) Hierzu, sowie zu N. 52 vgl. Mot. Abs. 2 zu § 40 Entw. JVG.

diejenigen Rentenleistungen, welche bis zum Erlaß der definitiven Zahlungsanweisung gemäß § 123 JVG. verfallen jtnb.55) Der Vorschuß muß gegeben sein von dem zur Zeit der Hingabe letzten Arbeitgeber des Rentenansprechers^) oder einem Organe der An­ stalt oder dem Mitgliede eines solchen. Hier ist augenscheinlich ein Fassungsfehler des Gesetzes seiner Absicht gemäß im Wege der Aus­ legung zu berichtigen. Es ist nicht einzusehen, warum die untere Verwaltungsbehörde/') an welche die Anmeldung des Anspruchs zuerst gelangt, ausgeschlossen, dagegen die Einzugsstelle oder der Ausschuß, welche mit der Feststellung desselben garnichts zu tun haben, inbegriffen sein sollen. Man wird sich daher nicht scheuen dürfen, den „Organen der Versicherungsanstalt" die beim Fest­ stellungsverfahren beteiligten Organe zu substituieren. Dabei ist klar, daß, soweit der Vorschuß von dem betreffenden Organe selbst aus seinen dazu verfügbaren Mitteln gegeben ist, mangels einer juristischen Persönlichkeit desselben als erstattungsberechtigt der von ihm vertretene Verband angesehen werden muß. Zu den Mit­ gliedern der Organe gehören auch die der Verwaltungsbehörde, Rentenstelle, dem Vorstand usw. angehörigen Laienbeisitzer. b) Zulässig sind Übertragungen und Pfändungen „zur Deckung der int § 850 Abs. 4 CPO. bezeichneten Forderungen". In der angeführten Stelle, welche lediglich von der Pfändung handelt, werden mit Bezug auf dieselbe in gewiffer Weise privilegiert die Forderungen der Verwandten, des Ehegatten und des früheren Ehe­ gatten auf die kraft Gesetzes zu entrichtenden Unterhaltsbeiträge, so­ wie die Unterhaltsforderungen des unehelichen Kindes gegen den Vater. Privilegiert sind nur diejenigen Beiträge, tvelche für die Zeit nach Erhebung der Klage und für das diesem Zeitpunkte vor­ ausgehende letzte Vierteljahr zu entrichten sind. Das Privileg des 55) Diese Beschränkung ergibt sich aus dem Zweck der ganzen Bestimmung. Es soll vorschußweise vorweggenommen werden dürfen, was bis zum Eintritt der regelmäßigen Rentenzahlung infolge der Dauer des Verfahrens einbehalten wird. Annäherung an diese Auffassung bei Weymann Anm. 5. M) Grundsätzlich ebenso Weymann Anm. 6. ”) Gegen die Erstreckung der Bestimmung auf diese Gebhard-Düttmann Anm. 5 und Jsenbart- Spiel Hagen Anm. 6, letztere unter Hinweis auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift. Dieses Auslegungsmotiv wird jedoch dadurch paralysiert, daß die Ausnahme, der Tendenz des ganzen Gesetzes entsprechend, den Interessen des Versicherten dienen soll.

rmehelichen Kindes fällt weg, insoweit der Schuldner zur Bestreitung seines notdürftigen Unterhalts und zur Erfüllung der ihm seinen Verwandten, seiner Ehefrau oder seiner früheren Ehefrau gegenüber -gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht der zu pfändenden Bezüge bedarf. Handelt es sich um eine Pfändung des Rentenanspruchs wegen der bezeichneten Unterhaltsforderungen, so werden die in der EPO. aufgestellten zeitlichen Beschränkungen und Wegfallsgründe auch hier Anwendung zu finden haben. Das JVG. will aber, feinein jetzigen Wortlaut nach/») auch die freiwillige Übertragung und Verpfändung zur Deckung der bezeichneten Forderungen zulasien. In diesen Fällen können die zu Ungunsten des unehelichen Kindes -gegen die Pfändung aufgerichteten Schutzbestimmungen natürlich nicht Platz greifen; dagegen wird die Übertragung usw. auch hier nur zulässig sein, soweit die zeitliche Begrenzung der zu deckenden Forderungen inne gehalten wird, wo dann an die Stelle der Klageerhebung der Zeitpunkt der Übertragung oder Verpfändung treten wird. c) Zulässig ist die Übertragung usw. „zur Deckung von For­ derungen der nach §§ 49, 51 ersatzberechtigten Gemeinden und Armenverbände, sowie der an deren Stelle getretenen Betriebsunter­ nehmer und Kassen". Dieser Ausnahmefall wird im Zusammen­ hange mit den §§ 49 und 51 später besprochen werden. Bemerkt sei nur, daß die Ausnahmebestimmung, welche einen gegen den Rentenberechtigten gerichteten Charakter hat, in keinem Falle aus­ dehnend interpretiert und daher z. B. auf Krankenkassen, welche den Rentenberechtigten unterstützt haben, nicht übertrageir werden darf?») d) Allgemein darf „der Berechtigte den Anspruch auf die Rente ganz oder zum Teil auf andere übertragen, sofern dies von der unteren Verwaltungsbehörde genehmigt wird" (Abs. 3). Die Be­ stimmung soll „dem wohlverstandenen Interesse des Renten58) Der Text des früheren § 40 G. 89 bezog die Ausnahme nur auf die Pfändung; vgl. dazu die Mot. Abs. 1 zum Entwurf. 5e) Vgl. AN. 95 S. 109 Nr. 414, wo eine Zuschußkasse, welche eine dem § 35 Abs. 2 G. 89 (vgl. § 49 Abs. 2, § 51 ZVG.) gleichlautende Bestimmung -für die mit ihr verbundene Krankenkasse in ihr Statut aufgenommen und als Ersatz für das einem Rentenberechtigten gewährte Krankengeld die Überweisung der für die Zeit der Unterstützung noch nicht zur Auszahlung gelangten Rente beansprucht hatte, im Hinblick auf § 40 G. 89 zurückgewiesen wird.

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cmpfängers" dienen, dem dadurch z. B. „die Aufnahme in eitr Siechenhaus oder eine Versorgungsanstalt ermöglicht werden" soll; oo) doch ist dies für die genehmigende Behörde nur mftmftionelL Daß deren Funktion auch auf die Rentenstelle gemäß § 80 Halb­ satz 2 übertragen werden darf, wurde in der Kommission aus­ drücklich konstatiert?') Die Genehmigung kann mit einer Be­ fristung oder mit jeder an sich für die Abtretung von Forderungen zulässigen Bedingung beschwert roetben.62) Der Übertragung steht auch die Verpfändung und jede sonstige freiwillige Verfügung gleich; dagegen genügt die Genehmigung der Behörde nicht etwa, um den beschränkten Umfang der Pfändung zu erweitern. IV. Aufrechnung. Nach §394 Satz 1 BGB. findet gegen eine Forderung, soweit dieselbe der Pfändung nicht unterworfen ist,, die Aufrechnung nicht statt. Demgemäß würde eine Nichtauszahlung von Rentenbeträgen auf Grund einer Aufrechnung (abgesehen von den auf Grund von § 55 Abs. 1 Ziff. 1 privilegierten Vorschüßen der Versicherungsanstalt) in vollem Umfange unzulässig fein,63> wenn nicht § 55 Abs. 2 eine Reihe von Ausnahmen gestattet hätte.64) Er bezeichnet eine Reihe von Forderungen der Versiche­ rungsanstalten, welche hiernach zur Aufrechnung gegen den Renten­ anspruch (Bewilligungs- oder Bezugsanspruch) verwendet werden sönnen.644) Dieselben sind: 60) Mot. Schlußabsatz zu § 40 Entw. ZVG. 61) Der Komm.Ber. zu § 40 hält im Hinblick auf § 51 a Abs. 2 Entw. der Landeszentralbehörde die Anordnung der Übertragung auf die Rentenstelle offen;, das wird jetzt gemäß § 80 modifiziert werden müssen. Vgl. oben § 27 II und Jsenbart-Spielhagen 2. Aufl. Anm. 1. 62) Piloty zu Abs. 1, 3; Gebhard-Düttmann Anm. 15. Rach § lä württ. Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899 soll das Oberamt vor der Genehmigung, den Anstaltsvorstand hören. Grundsätzliche Unzulässigkeit der Aufrechnung auch nach früheren: Recht (AN. 94 S. 162 Nr. 392, AN. 95 S. 244 Nr. 451). ") Mot. Abs. 3 zu § 40 Entw. ZVG. Soweit die Ausrechnung nicht zulässig, ist oder nicht durchgeführt wird, bleibt die sonstige Durchsetzung der Forderung, insbesondere der Eivilrechtsweg, offen; vgl. die Schlußabsätze von Nr. 392, sowie von AN. 96 S. 429 Nr. 533. 64a) Die vom NVA. aufgestellten Grundsätze über die schonende Durchführung der Aufrechnung werden für alle Fälle des neuen Rechts instruktionelle Be­ deutung beanspruchen dürfen; vgl. Laß S. 376; Handbuch der Unfallversicherung Anm. 7 zu § 68 UVG.; AN. 03 S. 263 Nr. 1029, S. 602 Nr. 1099. Jedenfalls

1. „Ersatzforderungen für bezogene Unfallrenten und Ent­ schädigungen, soweit der Anspruch auf diese nach §§ 54,113 Abs. 265) auf die Versicherungsanstalt übergegangen ist". Der Tatbestand dieser Ausnahme ist dahin aufzufassen, daß der Rentenberechtigte im Widerspruch mit der erwähnten cessio legis in eigener Person Zahlungen, welche der Anstalt zukommen, „bezogen" haben mufc;65*) der daraus gegen ihn entspringende Bereicherungsanspruch der Anstalt kann von ihr zur Aufrechnung gegen die Rentenforderung verwendet werden. Im übrigen wird dieser Fall mit der Materie der §§ 54, 113 im Zusammenhange besprochen werden. 2. Forderungen „auf geschuldete Beiträge"?') In Betracht kommen nur solche Beiträge, für welche der Versicherte selbst rechtlich der Schuldner ist. Freiwillige Beiträge scheiden danach ganz aus, weil sie überhaupt nicht geschuldet werden. Ebensowenig schuldet aber, auch nicht zu vem ihn belastenden Teile, der Zwangsversicherte die Beiträge, die sein Arbeitgeber für ihn zu entrichten hatte (vgl. oben § 44 bei N. 3). Es kommen daher nur solche Beiträge in Betracht, ivelche ein Hausindustrieller für seine eigene Versicherung schuldet,*") sowie diejenigen, welche in den wenigen Ausnahmefälleu des Gesetzes") von einem Zwangsversicherten selbst entrichtet werden müssen. Verjährte Beiträge können nicht zur Aufrechnung ver­ wendet werden?') Zur Aufrechnung dienlich sind aber nicht bloß, solche Beiträge, welche der Versicherte gerade der feststellenden, sondern auch solche, welche er irgend einer anderen Versicherungs­ anstalt schuldet. Denn die erstere muß, sowie sie von der An­ meldung des Anspruchs an formal als alleinige Schuldnerin dem Ver­ sicherten gegenübertritt, auch berechtigt sein, die der ganzen Renten­ ist ein aufsichtliches Einschreiten ausgeschlossen, wenn der Berechtigte mit dem Abzug höherer Beträge einverstanden ist; vgl. Nr. 1099. M) Die Citate hätten umgestellt werden müssen. 6,a) Vgl. die N. 64 zitierten Entscheidungen. 66) Analog § 394 Satz 2 BGB.; doch hat, wie sich aus dem Text ergibt» die Bestimmung für das Jnvalidenrecht erheblich geringere Bedeutung. G7) Vgl. oben § 49 N. 10a; dazu die Mot. Abs. 3. 68) § 142 letzter Satz und § 151 Ziff. 2 (letztere Stelle auch von Weymann Anm. 13 hervorgehoben); vgl. oben § 48 II 2a und b. 66) Das folgt aus der Wirkung der Verjährung des § 166 ZVG.; vgl. oben § 52 I, 4. Zn Betreff der sonst zur Aufrechnung zugelassenen Forderungen gilt im Falle der Verjährung der § 390 Satz 2 BGB.; Weymann Anm. 17.

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schuld entsprechende Beitragsforderung, unter Vorbehalt der Ver­ rechnung unter den Anstalten selbst, zur Geltung zu bringen. Die Aufrechnung der Beiträge erfolgt auf geschuldete Rentenleistungen,'") nicht auf solche, welche im ganzen oder doch in dieser Höhe erst unter der Voraussetzung der nachträglichen Beitragsleistung geschuldet werden; „die Bestimmung ist daher nicht etwa dahin zu verstehen, daß nunmehr eine Bewilligung der Rente vor erfolgter Nachbringung -geschuldeter Beiträge unter Aufrechnung der letzteren auf die Rente zulässig sein soll"?') 3. Rückforderungen gezahlter Vorschüsse.'^) Es kann sich hier immer nur um Vorschüsse handeln, welche im Namen der Versiche­ rungsanstalt von deren Organen gegeben werden oder, was ich gleichfalls hier für mitinbegriffen halte,") durch Erstattung an den, welcher den Vorschuß zunächst gegeben hat, auf die Anstalt über­ gegangen sind. Soweit dieselben schon den Voraussetzungen des Abs. 1 Ziff. 2 genügen, bedurfte es gemäß § 394 BGB. ihrer be­ sonderen Hervorhebung nicht; man wird daher annehmen können, daß auch darüber hinausgehende Vorschüsse der Anstalt auf die 70) So z. B. bei einem Altersrente beziehenden Hausindustriellen, der noch wersicherungspflichtig gearbeitet hat; vgl. auch N. 71. 71) Sitat aus Jsenbart-Spielhagen Anm. 10; vgl. oben § 53 N. 4. Dagegen steht nach Graßmann Anm. 6 „nichts im Wege, die Rentenbewilligung instanziell unter Aufrechnung der Beiträge auf Antrag der Versicherungsanstalt auszusprechen". Grundsätzlich wird Jsenbart-Spielhagen, wie im Text, zu­ zustimmen sein; doch wird allerdings in Notfällen auf dem Wege des Vor­ schusses nach § 55 Ziff. 1 bezw. auch Abs. 2 behufs Beibringung der rückständigen Marken, sei es, daß dieselben vom Ansprecher selbst geschuldet werden oder freiwillig zur Ergänzung des Anspruchs nachgebracht werden sollen, geholfen werden können. Wird eine Rente, wenn wenigstens die Wartezeit belegt ist, vhne Nachbringung der rückständigen Beiträge im niedrigeren Betrage fest­ gestellt, so können dann die vom Bezugsberechtigten selbst noch geschuldeten rückständigen Beiträge durch Aufrechnung auf die Rente eingezogen werden, ohne daß natürlich daraus noch ein Anspruch auf Erhöhung der rechtskräftigen Rente abgeleitet werden kann. 72) Sonderbestimmungen und daher nicht (anders die Kommentare) unter diese Ziffer, wohl aber zum Teil unter Ziff. 4 des Textes gehörig sind die in ’*§§ 115, 117 Abs. 3 enthaltenen; vgl. auch § 18 Abs. 4. 73) Dagegen wohl Weymann Anm. 2 und Piloty S 149; doch wird im Interesse des Versicherten (vgl. oben N. 57) sehr wohl eine Er­ stattung des Vorschusses einer unteren Verwaltungsbehörde durch die Anstalt mit der Wirkung der Aufrechnung durch diese gerechtfertigt werden können.

g 67.

Rechtliche Gebundenheit des Anspruchs.

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Rcntenleistung, z. B. solche, welche nach erfolgter RentenanweisunK im Laufe eines Monats auf die nächste Monatsrate in Notfällen gegeben werden, zur Aufrechnung benutzt werden sönnen.74) 4. Rückforderungen „zu Unrecht gezahlter Rentenbeträge". Es handelt sich um Beträge von Invaliden- und Altersrenten, welche die Versicherungsanstalten zu Unrecht7') an den Rentenberechtigten gezahlt haben. In gewissem Umfange hatte das RVA. schon unter dem früheren Recht eine solche Aufrechnung zugelassen, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die früheren Zahlungen „unter dem Zwange des Gesetzes",7') nicht aber aus geschäftlichem Irrtum77) ge­ leistet worden waren und daß sie „in demselben Verfahren erwachsen waren und auf der gleichen Rechtsgrundlage beruhten" .78) Diese Beschränkungen werden sich jetzt bei dem allgemeinen Wortlaut des Gesetzes nicht aufrecht erhalten lassen.7') 5. Forderungen auf Erstattung von Verfahrenskosten. Es kommen hier diejenigen Vorschriften in Betracht, nach denen (z. B. § 64 Abs. 5) den Versicherten gewisse Kosten des Verfahrens aus­ nahmsweise zur Last gelegt werden können, welche sie durch ihr eigenes schuldhaftes Verhalten veranlaßt haben. Rach der allgemeinen Grundlage, auf welcher § 55 Abs. 2 JVG. ruht, muß aber voraus") Dem sind auch Gebhard-Düttmann Anm. 11 geneigt. 75) Nicht hierher gehört die Anrechnung zu Recht gezahlter Rentenbeträge im Falle der Konkurrenz von Alters- und Invalidenrente (vgl. oben § 62 N. 14); wohl aber der Fall, daß zu Unrecht Alters- und Invalidenrente neben einander gezahlt worden sind (AN. 03 S. 601 Nr. 1099). 76) Die hierher gehörigen Fälle werden später erörtert werden (vgl. oben N. 72); Verzicht auf die Rückforderung im Rahmen des § 118. 77) AN. 00 S. 612 Nr. 801 unter Bezugnahme auf die Praxis der Unfall­ versicherung. Die Entscheidung, am 16. Jan. 1900 ergangen, bezieht sich aber doch auf einen Tatbestand des alten Rechts. 78) AN. 95 S. 244 Nr. 451: Einbehaltung einer auf Grund des Bundes­ ratsbeschlusses v. 1. März 1894 einem Hausweber gewährten Rente in Auf­ rechnung einer früher auf Grund des Gesetzes selbst vom Schiedsgericht vorläufig bewilligten, vom RVA. aber wieder aberkannten Rente. AN. 98 S. 394 Nr. 674: Einbehaltung einer Invalidenrente wegen einer in einem früheren Verfahren, wegen eines anderen Jnvaliditätsgrundes zu Unrecht abgehobenen Rente. 79) Ebenso Jsenbart-Spielhagen Anm. 9 (insbesondere auch gegen Auf­ rechterhaltung der Entsch. Nr. 801) und Gebhard-Düttmann Anm. 12; dagegen aber Weymann Anm. 9. Auch AN. 03 S. 601 Nr. 1099 (vgl. oben N. 75) erkennt jetzt die Aufrechenbarkeit „versehentlich" zu viel gezahlter Stenten« betrüge an; dazu auch AN. 04 S. 196 Nr. 2031 (Unfallsache).

gesetzt werden, daß die zu erstattenden Kosten sonst der Versicherungs­ anstalt zur Last fallen; hat daher z. B. das RVA., dessen Kosten vom Reiche getragen werden, die Erstattung auferlegt, so dürste dies für einen Abzug nicht ausreichen.^) 6. Forderungen „auf die von den Organen der Versicherungs­ anstalten verhängten Geldstrafen"?') Sind die Geldstrafen von anderen Stellen verhängt, so findet eine Aufrechnung nicht statt, auch wenn dieselben in die Kasse der Versicherungsanstalt stießen sollten.82)

3. Kapitel. Aeststessungsverfaßren.') § 68.

Vorbereitendes Verfahren.

I. Der durch den Vorstand der Versicherungsanstalt zu be­ wirkenden Feststellung des Rentenanspruchs geht ein vorbereitendes Verfahren bei der unteren Verwaltungsbehörde oder der Rentenstelle voraus. Dasselbe läßt sich in vier Abschnitte zerlegen: Ent­ gegennahme des Antrags, Klarstellung des Sachverhalts, Begut­ achtung, Übersendung an den Anstaltsvorstand. Die Normen für das Verfahren sind teils im Gesetz selbst, teils aber in Ausführunzs°°) § 159 Abs. 2 JVG.; § 19 Abs. 2 des sog. Mantel-G. Die Auffassung -es Textes weicht von der der Mot. a. a. O., deren Ausführungen von den .Kommentaren wiederholt werden, ab. Allein es muß erwogen werden, daß die Einbehaltung von Rente wegen Kosten, die dem Reiche oder einem Einzelstcate als Träger des Versicherungsamts erstattet werden sollen, durch die Anstalt wohl Abzug, aber nicht mehr Aufrechnung ist. Auch eine Aufrechnung rach vorheriger Erstattung durch die Anstalt wird hier (anders als bei R. 73) ab­ gewiesen werden müssen. 81) Die Mot. weisen auf die nach den Bundesratsbeschlüssen betr. die Haus­ industrie oder nach § 161 Abs. 3 gegen Versicherte zu verhängenden G:ldstrafen hin. 82) § 178 Abs. 2 JVG.; Gebhard-Düttmann Anm. 4. *) Vgl. Bd. I § 95. Seel mann, Das Streitverfahren in den Reihswersicherungsgesetzen, 2. Ausl. 1904.

Bestimmungen enthalten, welche auf Grund von gesetzlicher Er­ mächtigung erlaffen werden. Dabei findet die nähere Regelung des Verfahrens vor der unteren Verwaltungsbehörde durch die Landes­ zentralbehörde/) die des Verfahrens der Rentenstellen durch den Vorstand der Versicherungsanstalt statt?) II. „Der Anspruch auf Bewilligung einer Rente" ist von dem Nentenansprecher bei der zuständigen Stelle „anzumelden" (§ 112 Abs. 1 JVG.). Über die Bedeutung dieser Anmeldung oder dieses „Antrags auf Bewilligung einer Rente" (§ 57 Ziff. 1 JVG.) in formeller und materieller Beziehung ist bereits oben in § 66 I, III gehandelt worden. Für das Verfahren kommt folgendes in Vetracht: 1. Die Anmeldung hat grundsätzlich bei der zustäirdigen unteren Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle zu erfolgen (§ 112 Abs. 1 Satz 1 JVG.). Besteht eine Rentenstelle für den Bezirk, so schließt sie die Kompetenz der Verwaltungsbehörde aus (vgl. oben § 27 II). Welche Behörden als untere Verwaltungsbehörden berufen werden können und berufen worden sind, ist gleichfalls bereits oben § 26 I, 3 zur Sprache gekommen?) Ergänzend tritt aber hier die Be­ stimmung des § 112 Abs. 1 Satz 2 JVG. hinzu, wonach durch die Landeszentralbehörde angeordnet werden kann, daß speziell die An­ meldung rechtswirksam auch bei einer anderen von ihr zu be­ zeichnenden Behörde erfolgen darf?) Gemeint ist unter dieser 2) § 64 Abs. 6 ZVG. Für Preußen die Anweisung v. 6. Dez. 1899 mit .Kommentar von Seelmann (1903) und von Gebhärd-Düttmann S. *194ff. Dazu auch die Kritik von Seelmann in ArbV. 00 S. 21 ff. und dessen neuen, beachtenswerten Entwurf in ArbV. 03 S. 1 ff. mit Bemerkungen von Bazille S. 193 ff. Anträge der preuß. Landesversicherungsanstalten auf Abänderung der Anweisung nebst Begründung in ArbV. 04 S. 189. — Bayern hat keine be­ sondere Regelung eintreten lassen (Graßmann Anm. 7 zu § 64). Sachsen: VO. v. 30. Nov. 1899 Ziff. 6—12 bei Sala S. XII. Württemberg: Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899 §8 20 ff. bei Biesenberger S. 322 ff. Baden: Vollz.VO. v. 28. Nov. 1899 88 28 ff. bei Muser S. 188 ff. 3) 8 85 Abs. 2 JVG. Nach dem Aufsatz von Seelmann in Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 65 hat die Anstalt Schlesien (vgl. oben 8 26 N. 7) eine bezügliche Anweisung erlassen. 4) Bestellung eines Kommissars, wenn die untere Verwaltungsbehörde ein .Kollegium bildet (preuß. Anw. Ziff. 1 Abs. 2). 5) „Darf", so daß der Ansprecher die Wahl hat, die untere Verwaltungs­ behörde bezw. Rentenstelle oder die „andere" Behörde anzugehen. Eine aus­ schließliche Kompetenz der letzteren darf nicht begründet werden.

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IV. Buch.

Renten.

III. Kap.:

Feststellungsverfahrcn.

„anderen Behörde" eine solche, welche innerhalb des Bezirks deo unteren Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle einem engeren Ver­ waltungssprengel vorsteht und daher dem Rentenansprecher näher­ gerückt ist, als jene?) Dementsprechend haben die Landes­ ausführungsvorschriften vielfach auch die Ortsbehörden zur Ent­ gegennahme von Rentenanträgen berufen?) Dieselben treten abernach Maßgabe des Gesetzes nicht in vollem Umfange in die Funktionen der unteren Verwaltungsbehörden oder Rentenstellen ein,, haben vielmehr die Anmeldung zur weiteren Behandlung^) an die für ihren Bezirk zuständige untere Verwaltungsbehörde oder Renten­ stelle weiterzugeben. Dagegen hat der Eingang des Antrags bei diesen „anderen" Behörden alle Rechtswirkungen, welche sonst dev Anmeldung nach § 112 Abs. 1 Satz 1 JVG. zukommen?) 2. Zuständig int einzelnen Falle ist diejenige untere Ver­ waltungsbehörde, Rentenstelle oder von der Landeszentralbehörde bestimmte „andere Behörde", in deren Sprengel der „Wohnort oderBeschäftigungsort des Versicherten" gelegen ist.6 10)* 8 Als * Wohnort 6) Vgl. Mot. Abs. 1 zu § 75 Entw. JVG.; dazu noch unten N. 10. ?) Preußen Ziff. 3: Gemeindevorstand (Magistrat, Bürgermeister, Guts­ vorsteher), in Landgemeinden außerdem bei der Ortspolizeibehörde. — Sachsen. Ziff. 6: Gemeindebehörde. — Württemberg § 20: Ortsbehörde für die Arbeiter­ versicherung. — Baden § 28: Bürgermeister. 8) In Preußen: Beteiligung der Ortsbehörde an der Klarstellung des Sach­ verhalts ; vgl. unten N. 27. °) Vgl. § 41 Abs. 1, 3, 4; dazu oben § 66 IV, 2 und 3, besonders N. 28„ sowie § 67 II, 2 c. Nicht als Anmeldungsbehörde erscheint die dem Ansprecher „vorgesetzte Dienststelle", durch deren Vermittlung Personen, welche im Dienste des Staates usw. stehen, in Württemberg § 20 Abs. 1 und Baden § 28 Abs. 3* ihren Antrag bei den Anmeldestellen einreichen sollen. In Sachsen § 10 soll der Dienststelle dementsprechend nur Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. 10) In § 112 Abs. 1 JVG. ist diese Kompetenzbestimmung ausdrücklich nur für die untere Verwaltungsbehörde und Rentenstelle gegeben. Sie muß aber auch für die zu bestimmende „andere" Behörde gelten (vgl. oben N. 6). Anderen­ falls würde, da die letztere die Anmeldung an die für ihren Bezirk zuständige untere Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle und diese wiederum die Akten an die für ihren Bezirk zuständige Anstalt weiterzugeben hat, durch die Angehung der „anderen" Behörde die Kompetenz der vom Gesetz zur Entscheidung, berufenen Versicherungsanstalt unter Umständen geändert werden können. G e b Hard-Düttmann Anm. 12 Abs. 1 zu § 112 JVG. nehmen das in der Tat als möglich an. Daß das aber nicht die Absicht des Gesetzes war, ergibt sich aus § 75 Abs. 1 Entw. JVG. und den oben R. 6 zitierten Motiven dazu, sowie aus.

§ 68.

Vorbereitendes Verfahren.

753

kommt derjenige in Betracht, welchen der Ansprecher zur Zeit des Antrags innehat; ihm steht in Ermangelung eines solchen der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts gleich (vgl. Bd. I S. 131 N. 9). Be­ schäftigungsort ist nicht der Ort jeder, sondern nur der einer solchen Beschäftigung, welche Versicherungspflicht oder Versicherungsberechti­ gung begründet.") Dabei bestimmt sich derselbe des näheren nach den in § 65 Abs. 3 und 4 JVG. gegebenen Vorschriften (vgl. oben § 37). Gemeint ist aber auch hier zunächst der Beschäftigungsort zur Zeit des (Altersrenten-) Antrags selbst, bei dem Antrag auf Invalidenrente aber der Ort derjenigen Beschäftigung, während deren die Invalidität oder doch der unmittelbar sie herbeiführende Zustand eingetreten ist.12) Hat der Ansprecher hiernach sowohl einen in Betracht kommenden Wohn- als Beschäftigungsort, so steht ihm die Wahl zwischen den beiden kompetenten Anmeldungsstcllen frei. Ändert sich der Wohn- oder Beschäftigungsort nach erfolgter An­ der Fassung dieser Stelle im Entwurf der Kommission, wo offenbar stets davon ausgegangen wird, daß die von der „anderen" Behörde weitergeleitete An­ meldung an die nach § 75 Abs. 1 Satz 1 prinzipaliter zuständige Behörde ge­ langt. Daß darin durch den die jetzige Fassung bringenden Antrag v. Löbell und Genossen Nr. 282 Ziff. 14 eine Änderung herbeigeführt werden sollte, ist um so weniger wahrscheinlich, als derselbe in zweiter Plenarberatung vom Präsidenten als' „redaktionelles Amendement" bezeichnet und ohne Diskussion angenommen worden ist. Auch die Ausführungsbestimmungen gehen von der hier vertretenen Auffassung aus. Insbesondere ist die Bestimmung in Ziff. 3 der preuß. Anweisung, nach welcher die Anmeldung auch bei dem Gemeindevorstände des früheren Wohn- oder Beschäftigungsortes erfolgen darf, nur auf diejenigen Fälle zu beziehen, in denen auch nach § 112 Abs. 1 Satz 1 der frühere Wohn- oder Beschäftigungsort die Zuständigkeit begründet. — Die Zuständigkeit der Anmeldungsstelle wird übrigens dadurch nicht geändert, daß es sich um Wiederholung eines früher von einer anderen Versicherungsanstalt abgelehnten Jnvalidenrentenanspruchs handelt (AN. 95 S. 34 Nr. 404, S. 255 Nr. 465). lX) Geb hard-Düttmann Anm. 6 Abs. 2 zu § 112 JVG.; Seelmann Anm. 1 Abs. 3 zu Ziff. 2 der preuß. Anweisung. ,2) Nicht ist der Ort der letzten Beschäftigung für alle Dauer maßgebend. Das wird durch die Worte: „wenn er einen solchen im Jnlande nicht mehr hat" bewiesen. Auch die Kommifsionsverhandlungen zu § 75 Entw. JVG., von denen sich W. in ArbV. 00 S. 781 und Wey mann Anm. 5 zu § 112 JVG. wohl zu sehr bestimmen lassen, ergeben jene Tragweite des Gesetzes nicht. Im wesentlichen übereinstimmend mit dem Texte Gebhard-Düttmann und Seelmann in Abs. 3 bezw. 2 der oben N. 11 angeführten Stellen. Rosin, Recht der Arbeiterversicherung. Band II.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

Meldung, so ist das auf die einmal begründete Zuständigkeit ohne Einfluß.15) Liegt sowohl der Wohnort als auch der nach obigem maßgebende Beschäftigungsort im Auslande, so ist der letzte inländische Wohnort oder der Ort der letzten inländischen versiche­ rungsbegründenden Beschäftigung entscheidend.'*) 3. Das Gesetz schreibt keine Form der Anmeldung vor, während die Landesaussührungsbestimmungen regelmäßig eine schriftliche Eingabe oder Aufnahme eines Protokolls seitens der Anmeldungs­ stelle voraussetzen. Doch sieht die Spruchpraxis des RVA. auch in der Vorschrift der Protokollaufnahme nur eine an die Behörde ge­ richtete Instruktion, deren Nichtbefolgung für die Rechtswirksamkeit der Anmeldung ohne Bedeutung ist.15) Als Inhalt der Anmeldung genügt der verständliche „Anspruch auf Bewilligung einer Rente" (§ 112 Abs. 1 JVG.); gleichfalls nur mit der Bedeutung einer Sollvorschrift fordern die Ausführungsbestimmungen die nähere Be­ zeichnung der Rente als Invaliden- oder Altersrente15) und speziell die preußische unzweckmäßigerweise") „die Bezeichnung des Tages, von welchem ab die Rente gefordert wird". Bloß instruktionell ist endlich auch die gesetzliche Bestimmung,15) daß die Anmeldung „unter Einreichung der zur Begründung dienenden Beweisstücke" zu erfolgen habe; das Gesetz selbst hebt als solches „insbesondere die letzte Quittungskarte" hervor, während die Ausführungsbestimmungen in weiterem, mehr oder weniger erschöpfendem Umfange diejenigen Schriftstücke bezeichnen, welche nach Lage des Einzelfalles erforderlich sind. Danach kommen insbesondere beim Anspruch auf Altersrente “) AN. 01 S. 401 Nr. 896 litt. c. ”) Zuständigkeit bei der Versicherung der Bediensteten deutscher Behörden im Auslande (vgl. oben § 13 N. 33). 1S) Vorausgesetzt ist, daß es sich um eine wirklich beabsichtigte Anmeldung handelt und der Ansprecher sich nicht etwa bei der Ablehnung der Protokolliemng im Sinne einer Rücknahme des Antrags beruhigt hat (AN. 01 S. 640 Nr. 948, S. 436 Nr. 915). le) Die Anmeldung ist m. E. nicht rechtsunwirksam, wenn der Anspncher die verlangte Rente nicht näher bezeichnet. Er kann sich selbst darüber unklar sein, und es kann ein Fall vorliegen, wo erst die nähere Prüfung die Ent­ scheidung für die eine oder andere Rentenart ergibt. ”) AN. 02 S. 688 Nr. 1023; vgl. oben § 67 N. 8, 14. “) AN. 95 S. 256 Nr. 466, wo es sich speziell um die Einreichung eines ärztlichen Attestes über die Erwerbsunfähigkeit handelt.

§ 68.

Vorbereitendes Verfahren.

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der Geburtsschein, beim Jnvalidenrentenanspruch ärztliche Zeugnisse über die Erwerbsunfähigkeit, in beiden Fällen in Betreff der Dauer der Versicherung die Aufrechnungsbescheinigungen über frühere Quittungskarten in Betracht.' 9) III. Nach Eingang der Anmeldung hat „die untere Ver­ waltungsbehörde oder Rentenstelle die zur Klarstellung des Sach­ verhalts erforderlichen Erhebungen anzustellen" (§ 112 Abs. 2 JVG.). Zweck derselben ist es, die Sache möglichst soweit zu fördern, daß „der Anstaltsvorstand auf Grund des vorgelegten Materials in der Lage ist, ohne weitere Rückfragen sofort zu entscheiden"?") Hier­ nach wird die Behörde zunächst die Vollständigkeit und Richtigkeit des Antrags und der eingereichten Beweisstücke prüfen und gegebenen­ falls durch Verhandlung mit dem Antragsteller die notwendige Er­ gänzung und Berichtigung herbeiführen. Wird der letztere zur Nach­ bringung fehlender Beweisstücke aufgefordert, so darf ihm doch keineswegs ein Präjudiz dahin gestellt werden, es werde anderenfalls sein Antrag bei Seite gelegt oder als zurückgenommen angesehen werden;2') vielmehr hat die Behörde, „sofern sich das Gesuch nicht von vornherein als unbegründet darstellt, dem Antragsteller zur Beischaffung der Belege tunlichst behilflich zu fein"22) und dieselbe eventuell selbst in die Hand zu nehmen. Ergeben sich weiterhin Bedenken, so sind dieselben auf sachdienliche Weise aufzuklären, sei «s durch Einholung der früheren Quittungskarten,22) sei es durch 19) Die preuß. Anw. Ziff. 2 Abs. 2 verlangt statt der letzten Ouittungskarte ■Bei Seeleuten das Seesahrtbuch und etwa vorhandene Nachweisungen und hebt dann noch Krankheitsbescheinigungen und Militärpapiere, soweit sie bei früheren Aufrechnungen noch nicht berücksichtigt sind, sowie etwaige Nachweise über Be­ schäftigungen gemäß §§ 189, 190 ZBT. hervor. Dagegen erklärt sie den An­ sprecher zur Beibringung eines ärztlichen Zeugnisses über seine Invalidität nur sür „befugt". Andere Ausführungsbestimmungen verlangen noch etwaige Be­ scheinigungen über die Beteiligung bei besonderen Kasseneinrichtungen (§ 9 Abs. 2 ZVG.). Vgl. noch im ganzen die Anmerkungen bei Gebhard-Düttinann und Seelmann. — Über die spätere Rückgabe der eingereichten Ur­ kunden durch die Anstalt vgl. näheres in AN. 98 S. 637 Nr. 698. J0) Badischer Min.Erl. v. 16. Dez. 1899 bei Muser S. 193. S1) Dagegen hinsichtlich des ärztlichen Zeugnisses Gebhard-Düttmann Anm. 2 zu Ziff. 2 der preuß. Anweisung; jedoch Seel mann Anm. 14. § 31 Abs. 5 der bad. Voll,.BO. 23) Seelmann Anm. 12 zu Ziff. 2. Die württ. Vollz.Verf. § 22 Abs. 3 »erlangt stets Einholung der früheren Quittungskarten.

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IV. Buch. Renten.

HI. Kap.: Feststellungsverfahren.

Vernehmung von Auskunftspersonen, sei es insbesondere durch eine von Amts wegen zu veranlassende ärztliche Untersuchung des An­ tragstellers/^) welche nach Maßgabe des Falles und der Aus­ führungsbestimmungen dem Amtsärzte28) oder dem Vertrauensärzte der Versicherungsanstalt 26) aufgetragen werden samt.27) Für die Erledigung dieser Geschäfte gelten im Zweifel die sonst für den Geschäftsgang bei der Behörde bestehenden Bestimmungen (Preußen Ziff. 1 Abs. 2). Anträge auf Bewilligung von Renten sind als eilige Sachen zu behandeln (Ziff. 18). Nach § 64 Abs. 4 bezw. § 84 Abs. 2 JVG. ist die untere Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle „befugt, Zeugen und Sachverständige uneidlich zu ver­ nehmen". Da es zur Entgegennahme freiwilliger Aussagen keiner Ermächtigung seitens des Gesetzes bedurft hätte, so muß in derselben notwendig die Begründung einer Auskunftspflicht für die zu ver­ nehmenden Personen gesehen werden, deren Umfang im einzelnen sich nach Analogie der CPO. bestimmen roirb.28) Die Erzwingung der Aussage wird durch die Behörde mittels der ihr landes­ rechtlich,^) eventuell nach der CPO. zustehenden Zwangsmittel erfolgen. Dagegen ist sie zu eidlichen Vernehmungen auch im 24) Eine nähere Bestimmung der Fälle, in denen eine ärztliche Untersuchung, erforderlich oder überflüssig ist, vgl. bei Gebhard-Düttmann Anm. 5 zu Ziff. 4, Seel mann Anm. 3, ferner z. B. in § 32 der bad. Vollz.VO., sowie in der Anweisung der Versicherungsanstalt Schlesien (Mainzer Ztschr. Bd. 13. S. 66; vgl. oben N. 3). Die Fassung der preuß. Anw. Ziff. 4 Schlußabsatz ist zu weit. 25) Baden § 32. 26) Preußen a. a. O.; dazu kritisch die Anmerkungen von Gebhard-Dütt­ mann und Seelmann. 27) Nach der preuß. Anw. Ziff. 3 hat die Gemeindebehörde („andere" Be­ hörde) die Prüfung und Vervollständigung der Beweisstücke zunächst in die Hand zu nehmen. Auch kann nach Ziff. 5 der Regierungspräsident anordnen, daß dieselbe auch die nach Ziff. 4 nötigen Ermittlungen an Stelle der unteren Verwaltungsbehörde vor Abgabe der Anmeldung an diese vorzunehmen hat 28) Übereinstimmend Piloty zu § 64 Abs. 4. Dagegen gewähren Weymann Anm. 3 Abs. 2 zu § 64 JVG. und Seelmann, Anm. 2 zu Ziff. 7 der Anweisung, der unteren Verwaltungsbehörde keinen eigenen Zeugniszwang^ sondern verweisen sie dieserhalb auf die Requisition des Amtsgerichts. 9SgL dagegen analog Bd. I S. 747. 28a) Ebenso Graßmann Anm. L zu § 64.

Wege eines Ersuchens an die Gerichte nicht für befugt zu er­ achten?*3) * IV. Sobald die tatsächlichen Verhältnisse genügend geklärt sind, hat die Behörde oder Rentenstelle ihr Gutachten zu erstatten (§ 112 Abs. 2, § 57 Ziff. 1 JVG.). 1. Das Gutachten wird jedenfalls dann von der einfachen Be­ hörde (ohne Zuziehung der Laienbeisitzer) erstattet, wenn „dieselbe nach pflichtgemäßer Prüfung sich für die Bewilligung der Rente33) aussprechen zu sollen glaubt" (Preußen Ziff. 6). Das Gesetz be­ zeichnet in § 58 Abs. 1 zunächst eine Reihe von Fragen, auf welche sich das Gutachten besonders beziehen soll. Dahin gehört in erster Reihe „die Versicherungspflicht oder das Versicherungsrecht" des Antragstellers, und zwar darf sich das Gutachten darüber, ob der­ selbe versicherungspflichtig oder versicherungsberechtigt war, nicht bloß auf die Zeit vor Eintritt des Anspruchsgrundes beschränken, sondern muß, soweit Bedenken obwalten, sich auf die ganze Zeit der vor­ liegenden Versicherung erstrecken, wobei allerdings die Vermutung des § 147 (vgl. oben § 51) der Behörde ihre Aufgabe erleichtert?3^) Vorgeschrieben ist dann weiter, abgesehen von besonderen, später zu besprechenden Modalitäten des Falles/') die Begutachtung des Maßes der Erwerbsfähigkeit bei Jnvalidenrentenansprechern,33) wo­ bei sowohl die quantitative Schätzung, wie die ursächliche Be­ gründung^) gemäß § 5 Abs. 4 JVG., als auch der beginn33) und die mutmaßliche Dauer der Invalidität in Betracht kommt. Die Begutachtung soll sich aber endlich nach § 58 Abs. 3 JVG. „über alle diejenigen Fragen verbreiten, welche für die Entscheidung des Vorstandes der Versicherungsanstalt von Belang erscheinen", 2ti) Anders Wey mann a. a. O. 30) Unter „Rente" ist hier die a priori ohne Zeitbeschränkung laufende zu verstehen; vgl. dazu unten N. 37. 3°a) Präjudizielle Wirkung der nach § 155 ergangenen Entscheidungen: vgl. oben § 58 N. 59. 31) Erstreckung des Gutachtens „darauf, ob und inwieweit von den Be­ fugnissen der §§ 17, 22 Gebrauch zu machen ist". 32) Bei der Altersrente kann die Frage der Erwerbsunfähigkeit im Hinblick auf den Ausschluß der Versicherungspflicht oder des Versicherungsrechts durch dieselbe in Betracht kommen. 32a0 Vgl. analog AN. 02 S. 507 Nr. 993 a. E. 33) AN. 01 S. 435 Nr. 913.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

so z. B. über die Frage der Vollendung der Wartezeit, der voll­ ständigen Beitragsentrichtung usw.") Nach der preußischen An­ weisung Ziff. 6 „sind für die gutachtliche Äußerung die derselben anliegenden Formulare zu verwenden", welche jedoch in Bezug auf Vollständigkeit und Fassung in der Literatur mehrfach einer nicht unberechtigten Kritik unterzogen worden sind.") 2. Dem Gutachten der einfachen Behörde steht das durch die verstärkte Behörde (vgl. oben § 26 II) abgegebene gegenüber. a) Voraussetzungen und Umfang einer Zuziehung der Laien­ beisitzer nach dem Gesetze festzustellen, ist nicht ohne Schwierigkeit. Der § 59 Abs. 1 JVG. lautet: „Ist die untere Verwaltungsbehörde in den Fällen des § 57 Ziff. 1" (hierher gehörig und auf die Renten­ bewilligung bezüglich) „und 2 der Ansicht, daß das Gutachten gegen die Gewährung einer Rente oder" (das folgende auf Ziff. 2 be­ züglich) „abzugeben sei, so hat sie vor Abgabe ihres Gutachtens Me­ in § 58 bezeichneten Fragen unter Zuziehung je eines Vertreters, der Arbeitgeber und der Versicherten (§ 61) in mündlicher Ver­ handlung zu erörtern". In engstem Zusammenhange mit dieser Bestimmung steht die für ihre Erläuterung unentbehrliche des § 112 Abs. 3 JVG.:") „Glaubt der Vorstand dem für die Gewährung einer Rente abgegebenen Gutachten der unteren Verwaltungsbehörde oder der Rentenstelle nicht entsprechen zu können, so ist die Sache, soweit es sich um die Frage der Versicherungspflicht (§§ 1—7), oder 34) Die Frage der Wartezeit wird ausdrücklich in § 23 Abs. 1 der roürtt. Vollz.Verf. und in § 31 Ziff. 1 der badischen Vollz.VO. hervorgehoben. Wenn die preuß. Anw. Ziff. 10 sagt, daß sich das Gutachten auf die Erfüllung dev Wartezeit nicht zu erstrecken habe, so bezieht sich das nur auf das Gutachten der verstärkten Behörde; im übrigen muß eventuell eine bezügliche Äußerung, unter Frage 11 bezw. 7 des Formulars erfolgen, was, wie es scheint, Seel­ mann Anm. 2 und Gebhard-Düttmann Anm. 16 nicht beachten. Über­ sonstige bedeutsame Punkte, auf die sich das Gutachten zu erstrecken hat, vgl. noch die württembergische und badische VO. § 23 bezw. § 31, sowie ausführlich Gebhard-Düttmann Anm. 16. Über die Berechnung der Rentenhöhe, so­ weit es sich um rein kalkulatorische Momente handelt, wird sich das Gutachten nach übereinstimmender Anordnung der Ausführungsbestimmungen nicht zu äußern haben; vgl. auch Gebhard-Düttmann Anm. 4 zu Ziff. 3 der preuß. Anweisung. 35) Seelmann ArbV. 00 S. 22- Gebhard-Düttmann Anm. 16 a. E. Dazu Bazille's Formular in ArbV. 02 S. 689. 30) Komm.Ber. vorletzter Absatz zu § 40 d.

§ 58.

Vorbereitendes Verfahren.

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des Versicherungsrechts (§ 14) oder um das Maß der Erwerbs­ fähigkeit des Rentenbewerbers (§§ 5,15, 16) handelt, an die untere Verwaltungsbehörde oder die Rentenstelle zur Anhörung der Bei­ sitzer (§ 59 Abs. 1) zurückzugeben, falls letztere noch nicht gehört sind". Aus dem Zusammenhalte beider Stellen und der Materialien ergibt sich am passendsten folgendes: aa) Eine Zuziehung der Laienbeisitzer hat nur dann zu er­ folgen, wenn die Behörde sich „gegen die Gewährung einer Rente" aussprechen zu sollen glaubt. Sie kann also zunächst dann unter­ bleiben, wenn nur die Gewährung einer anderen Art der Rente, als beantragt ist, befürwortet werden soll, so wenn statt der Alters­ rente die Invalidenrente oder umgekehrt oder statt einer Krankenrente (§ 16) die Dauerrente (§ 15) empfohlen wird. Ebenso aber auch, wenn in Umkehrung des letzten Falles statt der beantragten Dauerrente die Krankenrente „für die weitere Dauer der Erwerbs­ unfähigkeit" gewährt werden soll, zumal bei der späteren Entziehung derselben die Mitwirkung der Laienbeisitzer gemäß § 57 Ziff. 2 mit § 59 Abs. 1 gesichert ist. Dagegen wird die Zuziehung der Bei­ sitzer erfolgen müssen, wenn statt der Dauerrente von vornherein nur die Gewährung einer Krankenrente bis zu einem bestimmten vergangenen Zeitpunkt vorgeschlagen wird, weil die Erwerbs­ fähigkeit bereits wieder als hergestellt erachtet wird?') Nicht er­ forderlich ist auch dann die Anhörung der Beisitzer, wenn nur „die Gewährung eines geringeren, als des beantragten Rentenbetrages"38) in Frage steht, ein Fall, der auch dann gegeben ist, wenn der be­ antragte bestimmte Zeitraum der Gewährung verkürzt oder der Beginn der Rente zu Ungunsten des Ansprechers verschoben werden sott.39) 3’) Übereinstimmend in beiden Fällen Jsenbart-Spielhagen Anm. 2 zu § 59 JVG., in Bezug auf den letzten Fall die Entfch. RVA. v. 15. Okt, 1901 in Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 98. 36) Der Entw. JVG. § 51 e Abs. 4 erforderte auch für diesen Fall das Laiengutachten. .3») Übereinstimmend Jsenbart-Spielhagen a. a. O. gegen einen in ArbV. 02 S. 173 abgedruckten Bescheid des RVA. v. 14. Jan. 1902. Ist die Bestimmung des Zeitpunkts, wann Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, wegen ihrer Rückwirkung auf die Frage der Versicherungspflicht (und die Wartezeit) maßgebend für das Schicksal des ganzen Anspruchs, so muß natürlich die Zu-

bb) Auch wenn hiernach und insoweit ein Fall der Zuziehung der Laienvertreter vorliegt, sollen doch mit ihnen nur bestimmte Fragen des Sachverhaltes erörtert werden. Zwar könnte man da­ gegen anführen, daß der Wortlaut des § 59 Abs. 1 die Erörterung der „im § 58 bezeichneten Fragen" verlangt und daß zu diesen nach § 58 Abs. 3 schlechthin alle „diejenigen Fragen gehören, welche für die Entscheidung von Belang erscheinen" (vgl. oben IV, 1). Allein eine nähere Prüfung zwingt zu dem Schlüsse, daß das Gesetz selbst unter den „in § 58 bezeichneten Fragen" nur die in § 58 Abs. 1 und 2 (hier kommt nur Abs. 1 in Betracht) im einzelnen bezeichneten Fragen versteht. Dafür spricht schon der Wortlaut, weil anderen­ falls das Gesetz wohl kürzer vorgeschrieben hätte, daß die Behörde „das (beabsichtigte ablehnende) Gutachten" unter Zuziehung usw. zu erörtern habe, und nicht, daß sie „vor Abgabe ihres Gut­ achtens die . . . bezeichneten Fragen erörtern" müsse. Dem ent­ spricht, daß in der Tat bei der Kommissionsberatung des Gesetzes der jetzige § 59 Abs. 1 von der Subkommission als § 40d in einer Fassung angenommen worden war, nach welcher nur die in § 40 c Abs. 1 (— dem jetzigen § 58 Abs. 1 und 2) bezeichneten Fragen unter Zuziehung der Laien erörtert werden sollten, und daß nicht erhellt, man habe mit der späteren Änderung des Allegats auch eine Veränderung des Sinnes beabsichtigt.4") Im Gegenteil konimt der dem § 59 Abs. 1 augenscheinlich parallel konstruierte § 112 Abs. 341) ziehung der Laienbeisitzer erfolgen. Vgl. AN. 01 3. 435 Nr. 913; dazu oben N. 33 und unten N. 43. 40) Vgl. Bazille in ArbV. 02 S. 609. Es ist jedoch zweifelhaft, ob mit ihm und der unten N. 44 zitierten Entscheidung wirklich ein Redaktionsversehen („§ 58" statt „§ 58 Abs. 1 und 2") anzunehmen ist. Er übersieht, daß im viertletzten Absatz des Komm.Ber zu § 40 d erwähnt ist, es sei das „zweite" (hier in Rede stehende) „Allegat richtiggestellt" worden. Wenn nun diese be­ absichtigte Richtigstellung dahin erfolgt ist, daß das Zitat „§ 40 c Abs. 1", nach der Zerlegung dieses Absatzes in zwei Absätze, nicht in „§ 40 c Abs. 1 und 2", sondern schlechtweg in „§ 40c" abgeändert wurde, so liegt die Möglichkeit nicht allzufern, daß die Kommission unter den „in § 40c bezeichneten Fragen" bewußt nur die dort ausdrücklich (in Abs. 1 und 2) ihrem Inhalte nach be­ stimmten, nicht aber die in Abs. 3 nur allgemein als möglicherweise bedeutsam hingestellten verstanden hat. 41) Vgl. oben N. 36 gegen Bazille S. 610. Allerdings werden die Kon­ sequenzen dieses Parallelismus auch bei der späteren genaueren Erörterung des § 112 Abs. 3 gezogen werden müssen.

entscheidend dafür in Betracht, daß nur die in der letzten Stelle ausdrücklich (wenn auch Nicht in vollem Umfange) aus § 58 Abs. 1 und 2 (vgl. oben IV, 1) wiederholten Fragen als Gegenstand der Begutachtung durch die Laien vorgeschrieben sein sollten.42) Es sind dies augenscheinlich diejenigen Fragen (Versicherungspflicht, Versiche­ rungsrecht, Erwerbsunfähigkeit), die man in erster Reihe als geeignet zur Begutachtung durch Laien angesehen hat. Wenn hiernach andere Fragen, als die in § 68 Abs. 1 an­ geführten, der Begutachtung durch die Beisitzer nicht unterstellt sind, so folgt daraus mit Notwendigkeit, daß, wenn die Ablehnung einer Rente seitens der Behörde wegen der Verneinung einer solchen .anderen Frage, so namentlich wegen reiner42) Nichterfüllung der Wartezeit, befürwortet werden soll, eine Zuziehung der Laien über­ haupt nicht erforderlich ist.44) Denn es wäre augenscheinlich unsinnig, in solchen Fällen, weil nach dem Wortlaut des § 59 Abs. 1 das Gutachten gegen die Gewährung einer Rente abgegeben werden soll, die Beisitzer zuzuziehen, sie aber dann nur über die unstreitigen Fragen des § 58 Abs. 1, dagegen nicht über die zur Abweisung führende Frage der Wartezeit zu hören.42) Ist dies richtig, so liegt es aber auch, im Anschluß an den Wortlaut des § 112 Abs. 3 JVG.") nahe, jede einzelne, im § 58 Abs. 1 begriffene Frage für sich zu erfassen und sie nur soweit der Begutachtung durch die Laien zu unterstellen, als ihretwegen die Abweisung des Rentenansprechers erfolgen soll. Man gelangt nach alledem dahin, dem § 59 Abs. 1 dt. folgenden genauen Wortlaut unterzulegen: „Ist die untere Ver­ waltungsbehörde im Falle des § 57 Ziff. 1 der Ansicht, daß das Gutachten gegen die Gewährung einer Rente abzugeben sei, so hat sie, soweit es sich dabei um eine der in § 58 Abs. 1 bezeichneten Fragen handelt, dieselbe unter Zuziehung usw. zu erörtern". Ob über diesen Umfang hinaus eine ausgedehntere Zuziehung der Laien 42) Vgl. insbesondere das Wort „soweit" in § 112 Abs. 3. 43) Anders, wenn die Erfüllung der Wartezeit als Konsequenz einer Ver­ neinung der Verstcherungspflicht während bestimmter Zeit in Abrede gestellt wird: Bazille S. 614 a. E. 44) Schreiben des NVA. v. 10. Okt. 1901 bei Neger Bd. 22 S. 395. ") Vgl. dazu die im Resultate allerdings anders gerichtete Ausführung Lei Seelmann Anm. 2 a. E. zu Ziff. 10 der preuß. Anweisung. 4fl) „soweit — oder — oder".

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

wünschenswert erscheint/') kann hier auf sich beruhen bleiben; denir es geht schon aus dem an anderer Stelle (vgl. oben § 26 N. 21 und 21a) Erörterten hervor, daß nicht allein die Versicherungs­ anstalt das Gutachten der Beisitzer über alle ihr wichtig scheinende Fragen unbedingt verlangen/^) sondern daß auch die Behörde die­ selben über alle, auch nicht unter § 58 Abs. 1 fallenden Fragen von sich aus hören kann, da das Gesetz mit seinen Vorschriften augen­ scheinlich nur ein Minimum von Sicherung des Rentenansprechers beabsichtigt. Im Anschluß daran ist es dann auch der Zentral­ behörde ermöglicht, im Wege der Instruktion eine Zuziehung der Vertreter im Falle des beabsichtigten Gegengutachtens49) nicht bloß zur Erörterung der entscheidenden, sondern sämtlicher Fragen des § 58 Abs. I50) oder sogar sämtlicher überhaupt in Betracht kommender fragen51) anzuordnen. b) Zur Herstellung des Gutachtens der verstärkten Behörde wird mit Beschleunigung^) ein Termin zur mündlichen Verhand­ lung anberaumt. Nach näherer Vorschrift der Ausführungsbestimmungen, insbesondere der preußischen Ziff. 7 ff., werden zu diesem Termine Zeugen und Sachverständige geladen. Der Ansprecher braucht nach § 59 Abs. 1 JVG. zunächst nur von dem Termine formlos benachrichtigt zu werden; seine förmliche Ladung ist nur, „wenn es die Aufklärung des Sachverhalts erfordert" oder er selbst sie beantragt, vorzunehmen.^") Die Verhandlung ist nicht öffentlich. Nach einem Berichte des Beamten aus den Akten wird der anwesende Antragsteller gehört. Er kann seinen Antrag ergänzen, berichtigen oder abändern, auch neue Zeugen selbst vorführen. Ist die Sache «) Bazille ArbV. 02 S.613 Sp. 2. 48) Ein solches Verlangen wird auch allgemein im voraus gestellt werden können, jedenfalls gegenüber der dem Anweisungsrechte des Anstaltsvorstandes unterliegenden Rentenstelle. 40) Entsprechend ist durch den badischen Min.Erl. v. 16. Dez. 1899 bei Muser S. 193 vorgeschrieben, daß die Beisitzer auch dann zugezogen werden sollen, wenn die Begründetheit des Anspruchs nur zweifelhaft erscheint. 50) Auf diesem Standpunkte steht die preuß. Anweisung Ziff. 10. 51) So offenbar Württemberg §§ 23, 24 und Baden § 37 Abs. 1. 52) Nach Preußen Ziff. 6 soll der Termin binnen 4 Wochen nach dem Ein­ gang der Anmeldung stattfinden. 52a) Zwischen der Benachrichtigung oder der Zustellung der Ladung und dem Verhandlungstermin sollen in der Regel mindestens drei Tage liegen: preuß. Anw. Ziff. 7.

spruchreif, so ergeht die Beschlußfassung über das Gutachten. Bei derselben sind der Beamte selbst (vgl. oben § 26 N. 19) und die Laienbeisitzer beteiligt. Die Abstimmung muß in kollegialer Sitzung erfolgen; eine nachträgliche schriftliche Äußerung des einen oder anderen Beteiligten ist unzulässig.58) Über die Verhandlung ist unter Zuziehung eines Protokollführers ein Protokoll aufzunehmen,") welches vom Vorsitzenden und Protokollführer zu unterzeichnen ist. Aus dem Protokoll muß ersichtlich sein, wie jeder der beiden Vertretet über die in Betracht kommenden Fragen abgestimmt hat (§ 59 Abs. 1 Schlußsatz JVG.). 3. Die Vorschriften des Gesetzes55) über die Erstattung des Gutachtens durch die einfache56) oder verstärkte") Behörde sind derart zwingend, daß ihre Nichtbeachtung einen wesentlichen, das Rechtsmittel der Revision (§ 116 Ziff. 2) begründenden Mangel des Verfahrens bildet, auf dessen Geltendmachung der Ansprecher nicht verzichten tonn.58) Doch wirkt der Revisionsgrund nur zu Gunsten des letzteren, nicht der Versicherungsanstalt.58) Hat indessen die Revision der Versicherungsanstalt aus anderen Gründen Erfolg gehabt, so muß die Rückverweisung der Sache an den Anstalts­ vorstand zur nachträglichen Erhebung des erforderlichen Gutachtens erfolgen.60) V. Den Schlußakt des vorbereitenden Verfahrens bildet die Übersendung der erwachsenen Verhandlungen an die Versicherungs­ anstalt, und zwar an diejenige, welche für den Bezirk der unteren Verwaltungsbehörde oder Rmtenstelle zuständig ist.6') Die letztere ») AN. Ol S. 197 Nr. 879. 54) Preußen Zisf. 10. Nach AN. 01 S. 434 Nr. 912 müssen in den Fällen des § 59 Abs. 1 und des § 112 Abs. 3 JVG. die Akten darüber Aufschluß geben, ob das Gutachten der unteren Verwaltungsbehörde in der vorgeschriebenen Weise zu Stande gekommen ist. 55) Nicht die bloß instruktionetten der Ausführungsbestimmungen; vgl. oben N. 51, 52. 56) AN. 01 S. 196 Nr. 877. 5‘) AN. Ol S. 196 Nr. 878. 68) Vgl. die in N. 56, 57, 53, 59, sowie in § 26 N. 19 zitierten Ent­ scheidungen. ft0) AN. 01 S. 435 Nr. 914; vgl. auch AN. 96 S. 471 Nr. 535: 60) AN. 02 S. 598 Nr. 1012 a. E. 61) § 112 Abs. 2 a. E. JVG. Der Entwurf § 75 Abs. 2 verordnete die Übersendung an diejenige Anstalt, in deren Bezirke die Rentenstelle ihren Sitz.

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsverfahren.

muß jeden Antrag an die Anstalt gelangen lassen; es steht ihr weder im Laufe des Verfahrens (vgl. oben N. 21) noch nach dem Ausfall des Gutachtens frei, den Anspruch zurückzuweisen.63) Allerdings kann der Ansprecher jederzeit auf Belehrung über dessen Aussichts­ losigkeit seinen Antrag zurücknehmen; doch wird auch in dieser Be­ ziehung jeder Schein einer autoritativen Einwirkung zu ver­ meiden fein.63) VI. Die Kosten des Verfahrens vor der Rentenstelle trägt normalerweise die Versicherungsanstalt, deren Organ sie ist (vgl. oben § 27 IV). Aber auch gegenüber der unteren Verwaltungs­ behörde muß nach § 64 Abs. 3 JVG. die Versicherungsanstalt „die durch das Verfahren6*) entstehenden baren Auslagen erstatten". Nur ist nach § 64 Abs. 5 der Anstaltsvorstand befugt, unter gewissen Voraussetzungen bestimmte Kosten des Verfahrens den Beteiligten zur Last zu legen. 1. Im Verhältnis zwischen Anstalt und unterer Verwaltungs­ behörde hängt die Kostenverteilung von der zweifelhaften Auslegung des Begriffs der „durch das Verfahren entstehenden baren Aus­ lagen" ab. Die Zentralbehörden der Einzelstaaten haben sich viel­ fach für befugt erachtet, bei Ausführung des § 64 Abs. 6 JVG. auch den Umfang der hierher gehörigen, von der Versicherungs­ anstalt zu erstattenden Kosten näher zu bestimmen.66) Ich möchte in der Tat, schon in praktischem Interesse, annehmen, daß § 64 Abs. 6 cit. durch die Worte „Im übrigen", welche sich augenscheinlich auf .alle vorhergehenden Absätze beziehen, beabsichtigt hat, in die den Zentralbehörden überwiesene Regelung des Verfahrens auch eine Deklarierung (vgl. Bd. I ©.84ff.) der durch dasselbe entstehenden Kosten mit einzubegreifen.66) Allerdings bleiben die Ausführungsbestimhat. Die Änderung erfolgte in der Kommission im Hinblick darauf, daß einzelne rmtere Verwaltungsbehörden, deren Bezirke zu der Versicherungsanstalt Branden­ burg gehörten, ihren Sitz in Berlin hätten. 62) So ausdrücklich Sachsen § 9. 63) Seelmann Anm. 6 zu Ziff. 6. 64) Nicht bloß soweit das Verfahren unter Zuziehung der Beisitzer vor sich 'ging; zu einer solchen Beschränkung scheint vielleicht der sächsische Min.Erl. v. 31. Zan. 1901, ArbV. S. 219 Abs. 3 zu neigen. 65) Preußen Ziff. 20 Abs. 2; Sachsen: Der N. 64 zitierte Erlaß; Württem­ berg § 30, Baden § 38. 6Ö) Übereinstimmend die Ausführung der Anstalt Berlin in ArbV. 01 S. 682,

mungen auch dann durch den erkennbaren Sinn des Gesetzes gebunden, und hier möchte soviel doch annähernd feststehen, daß die allgemeinen Kosten für die persönliche und sächliche Ausstattung der Behörde, im Gegensatz6') zu den durch die einzelne Rentensache verursachten Auslagen, der Versicherungsanstalt nicht zur Last gelegt werden tonnen.68) 2. Von den ihr zur Last fallenden Kosten kann die Versiche­ rungsanstalt gewisse auf die Beteiligten abwälzen.66) Zu den letzteren gehören nicht bloß der Rentenansprecher selbst, sondern auch andere am Verfahren Beteiligte, wie Bevollmächtigte, Zeugen oder Sach­ verständige.'6) Vorausgesetzt wird ein Antrag der unteren Ver­ waltungsbehörde oder Rentenstelle;") der Beschluß erfolgt durch den Vorstand der Versicherungsanstalt, gegen welchen Beschwerde an das aufsichtsführende Versicherungsamt stattfindet.'6) Zur Last gelegt werden können solche Kosten des Verfahrens, „welche durch Mut­ willen oder durch ein auf Verschleppung oder Irreführung be­ rechnetes Verhalten" des betreffenden Beteiligten veranlaßt worden sind. 3. Zu den Kosten des Verfahrens, welche die Versicherungs­ anstalt zu tragen hat, werden doch diejenigen nicht gehören können, die der Ansprecher im Sinne des Gesetzes selbst behufs der Andagegen Jsenbart-Spielhagen Anm. 7 zu § 64 JVG. und GebhardDüttmann Anm. 30 zu Ziff. 20 der preuß. Anweisung. 67) Vgl. dazu in gewisser Analogie oben § 28 IV, 2, sowie AN. 92 S. 14 Ziff- 2. 68) Das ist jedenfalls auch der Grundgedanke der in Preußen getroffenen Regelung. Hinsichtlich der Formulare (litt. d) vgl. noch das Erk. Kammerger. v. 25. Sept. 1901, ArbV. S. 681; doch erscheint die Zulässigkeit des Rechts­ weges gegenüber der angezogenen Judikatur des Reichsgerichts zweifelhaft: vgl. Bd. I S. 787. 60) Zwangsbeitreibung vgl. oben § 52 N. 2, Aufrechnung gegen den Renten­ empfänger oben § 67 IV, 5. 70) So auch die Kommentare; zweifelnd Wg. in Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 163. 71) § 64 Abs. 5 mit § 85 Abs. 2 JVG. Daß diese Bestimmung auch beim Verfahren vor der Rentenstelle Anwendung zu finden hat, folgt daraus, daß sie mit dazu dienen soll, „eine tunlichst vorsichtige Anwendung der Vorschrift als einer Ausnahmebestimmung zu sichern": Komm.Ber. zu § 40h; Wg. a. a. O. S.161 ff. 72J Jsenbart-Spielhagen Anm. 6.

Bringung und Begründung seines Antrags aufwenden muß. Dahin gehören insbesondere die Kosten für Beschaffung der nach § 112 Abs. 1 JVG. erforderlichen Beweisstücke,") also auch des nötigen ärztlichen Attestes.") Im übrigen entscheidet sich die viel behandelte") Frage, inwieweit die Anstalten die Kosten solcher Atteste zu tragen haben, nt. E. dahin, daß, wenn der Ansprecher auch auf Erfordern das zur ersten Begründung des Antrags nötige Attest nicht bei­ bringt, die Behörde behufs Klarstellung des Sachverhalts allerdings auf Kostett der Versicherungsanstalt die Beschaffung eines solchen in die Hand nehmen muß, daß aber diese Auslagen unter Anwendung des § 64 Abs. 5 JVG. dann dem Rentenansprecher aufgebürdet werden können, wenn er nach seinen Verhältnissen") in der Lage gewesen wäre, das Attest selbst zu beschaffen und vorzulegen. Denn der Begriff der „durch Mutwillen veranlaßten Kosten" ist auch dann gegeben, wenn es sich um Kosten handelt, die ohne das zu miß­ billigende Verhalten des Beteiligten zwar gleichfalls entstanden, aber nicht der Versicherungsanstalt zur Last gefallen wären.

§ 69.

Bescheid.

I. Auf das vorbereitende Verfahren bei der unteren Ver­ waltungsbehörde oder Rentenstelle folgt das Bescheidsverfahren bei dem Vorstand der Versicherungsanstalt. 1. Erteilt wird der Bescheid von dem Vorstande derjenigen Versicherungsanstalt, an welche, den gesetzlichen Bestimmungen gemäß, die soweit vorbereitete Anmeldung von einer unteren Verwaltungs­ behörde oder Rentenstelle ihres Bezirks übersendet worden ist (vgl. oben § 68 V). In welcher Zusammensetzung der Vorstand den maßgebenden Beschluß faßt, ob durch den Vorsitzenden allein, ob in ’3) Gebühren- und Stempelfreiheit § 171 JVG. ”) Rundschr. RVA. v. 5. Nov. 1900, AN. S. 826. ") Dgl. die dem eit. Rundschr. anliegende Entscheidung im vorletzten Absatz; dazu Fuld in Mainzer Ztschr. Sb. 11 6. 185 und Seelmann ArbB. 01 S. 42 ff., 705. Vgl. oben N. 24. w) Dahin gehört auch der Fall, wenn der Ansprecher ein kostenfreies Attest des Armenarztes Hütte beibringen können.

kollegialer Form, ob unter Zuziehung der Laienmitglieder,') läßt das Gesetz (§ 112 Abs. 3—5) dahingestellt, so daß die Statuten der einzelnen Anstalten entscheiden?) 2. „Der Vorstand der Versicherungsanstalt hat den Antrag zu prüfen"?) Diese Prüfung ist in tatsächlicher und rechtlicher Be­ ziehung durchaus selbständig; der Vorstand ist weder an das Gut­ achten der vorbereitenden Stelle, noch an die Auffassung sonstiger Behörden gebunden, von denen etwa die dem Antrage zur Be­ gründung beigegebenen Beweisstücke herrühren?) Soweit nötig, hat er das Aktenmaterial, insbesondere durch Einforderung der früheren Quittungskarten ^) zu ergänzen. Weitere Erhebungen, welche etwa erforderlich werden, hat er, eventuell durch Inanspruchnahme der vorbereitenden Stelle oder durch besondere Ausübung des Ersuchungsrechts/) zu veranlassen. 3. Um das Interesse des Ansprechers an der für das vor­ bereitende Verfahren vorgeschriebenen Mitwirkung der Laienbeisitzer .gu sichern, verlangt § 112 Abs. 3 (vgl. oben § 68 N. 36) für gervisse Fälle zwecks Nachholung derselben eine Aussetzung der Besscheidserteilung. Hiernach hat der Vorstand die Sache nach ab­ geschlossener Prüfung zunächst an die vorbereitende Stelle zur An­ hörung der Beisitzer zurückzugeben, wenn er die Gewährung einer Rente ablehnen will und es sich dabei um die Frage der Versiche­ rungspflicht und des Versicherungsrechts oder das Maß der Erwerbs­ fähigkeit des Rentenansprechers handelt, auch die Beisitzer vor Ein­ reichung der Akten noch nicht gehört sind. Wenn der Text des Gesetzes diese Bestimmung mit den Worten einleitet: „Glaubt der Vorstand dem für die Gewährung einer Rente abgegebmen Gut3) Die Bildung von Rentenkammern mit Laienbeisitzern, welche § 75 Abs. 3 'Entw. JVG. hatte, kennt das Gesetz nicht mehr. 2) Weymann Anm. 18 zu § 112; vgl. oben § 33 III, 3. Die Satzungen der Anstalt Baden stellen in § 7 Ziff. 3 dem Vorsitzenden die Herbeiführung einer kollegialen Beschlußfassung anheim. 3) So § 75 Abs. 2 G. 89, welcher jetzt als selbstverständlich (vgl. Geb.hard-Düttmann Anm. 15 zu § 112) weggeblieben ist. 4) AN. 99 S. 534 Nr. 743 bezüglich auf behördliche Arbeitsbescheinigungen. 6) Hervorgehoben in § 75 Abs. 2 G. 89; dazu oben § 68 N. 23. 6) § 172 ZVG. Keine eidliche Zeugenvernehmung im Wege der Requisition; wgl. oben § 25 N. 16, 17.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellnngsverfahren.

achten der unteren Verwaltungsbehörde oder der Rentenstelle nicht entsprechen zu können", so ist die darin enthaltene Voraussetzung eines befürwortenden Gutachtens ’) zu eng gefaßt. Denn es ist zu­ nächst klar, daß die Rückverweisung auch dann und um so mehr erfolgen muß, wenn das Gutachten aus Anlaß einer Verneinung der oben gedachten Hauptfragen im ablehnenden Sinne erfolgt und doch gegen die ausdrückliche Vorschrift des Gesetzes die Zuziehung der Beisitzer unterlassen worden ist.78)* 10 Im weiteren aber wird, wenn das oben (vgl. § 68 bei R. 41 ff.) Erörterte richtig ist, nach der Absicht des Gesetzes die Rückverweisung auch in solchen Fällen Platz greisen müssen, in denen bei ablehnendem Gutachten die Zu­ ziehung der Säten- mit Recht unterblieb, weil die Ablehnung sich auf eine Frage gründete, für welche das Gesetz die mündliche Verhand­ lung nicht vorschreibt,8) und nun der Vorstand unter Verwerfung der gegebenen Begründung die Ablehnung wegen Verneinung einer der obigen Hauptfragen aussprechen will. Im übrigen ist der Fall der beabsichtigten Ablehnung einer Rente und die Bedeutung jener Hauptfragen nach Maßgabe des oben § 68 IV, 2 Erörterten zu bestimmen. Die Rückverweisung hat nur mit Bezug auf diejenige der drei Hauptfragen 8°) zu erfolgen, welche für die Ablehnung ent­ scheidend sein soll;'8) für das Verfahren bei Nachholung der münd­ lichen Verhandlung gelten die allgemeinen Vorschriften.'8*) Nicht erforderlich ist die Rückverweisung, wenn bei sonst gegebenen Vor­ aussetzungen die Beisitzer über die entscheidende Frage bereits gehört waren, z. B. der untere Verwaltungsbeamte sie bei bejahendem Gut­ achten wegen Zweifelhaftigkeit der Sache freiwillig oder instruktions­ gemäß (vgl. oben § 68 N. 49) zugezogen hatte, oder wenn der Beamte die Rente ablehnen wollte, die Beisitzer ihn aber dann über7) Daß im Falle eines solchen die Zuziehung der Laien unterbleiben konnte» vgl. oben § 68 IV, 1. 8) Gebhard-Düttmann Anm. 16 Abs. 1. °) z. B. Nichterfüllung der Wartezeit; vgl. oben § 68 N. 43, 44. öa) Kommt keine der drei Hauptfragen (z. B. Note 9) für die Ablehnung seitens des Vorstandes in Betracht, so braucht die Rückverweisung nicht, kann, aber gemäß § 59 Abs. 2 erfolgen. 10) „soweit — oder — oder"; vgl. oben § 68 N. 46. 10a) Insbesondere genügt nicht eine bloße Anhörung der Beisitzer durch den. Beamten, sondern es ist ein gemeinschaftliches Gutachten des Kollegiums ab­ zugeben (AN. 03 S. 390 Nr. 1055).

stimmt hatten. War die Rückverweisung nach dem Gesetz erforderlich und ist sie nicht erfolgt, so wird dadurch ein wesentlicher Mangel des Verfahrens und, falls demselben nicht noch in der Berufungs­ instanz abgeholfen wird, ein Revisionsgrund gegeben.") 4. Die Erteilung des Bescheides ist eine Pflicht des Anstalts­ vorstandes und ein Recht des Versicherten, auf welches derselbe nicht verzichten samt.12) Nach seinem Inhalte ist der Bescheid von drei­ facher Art: ein „anerkennender" (§ 112 Abs. 4 JVG.), ein „ab­ lehnender" (§ 112 Abs. 5) und ein teils anerkennender, teils ab­ lehnender Bescheid.12) Jeder Bescheid") muß den Berusungshinweis d. h. die Bezeichnung der Berufungsfrist und des für die Berufung zuständigen Schiedsgerichts enthalten (§ 114 Abs. 4 JVG., vgl. unten § 70) und dem Ansprecher schriftlich zugestellt werden (§ 170 JVG.). Im übrigen gilt für Inhalt und Form folgendes: a) Soweit der Bescheid den Anspruch auf Rente anerkennt, muß er zugleich die Höhe und dm Beginn der Rente feststellen; die erste muß durch Angabe der Berechnungsart begründet werden.1^) Durch die Rechnungsvorschriften des RVA. v. 1. Dez. 1899l6) sind Muster für die Anerkennungsbescheide und zwar getrennt für die Dauerrente (Anl. V AR. 00 S. 235), für die Krankenrente (Anl. VI AN. S. 237) und für die Altersrente (Anl. VII S. 239) vor­ geschrieben worden. Jeder Bescheid enthält den Namen der Ver­ sicherungsanstalt, die Geschäftsnummer und ein Rentenzeichen. Das ») AN. 01 S. 196 Nr. 878; vgl. oben § 68 IV, 3. 12) Handbuch der Unfallversicherung Anm. 2 zu § 61 UVG.; Laß, Prozeß­ recht S. 136. 13) Der letztere tritt in § 114 Abs. 1 JVG. hervor, wenn hier von einem Bescheide die Rede ist, durch welchen die Höhe und der Beginn der Rente fest­ gestellt und gegen den doch Berufung eingelegt wird. Ebendahin gehören in § 129 Abs. 3 die Fälle, in welchen der Anspruch auf Rente zum Teil anerkannt wird. Die Absätze 4 und 5 des § 112 erfassen ihrem Wortlaut nach allerdings nur die Fälle der totalen Anerkennung und Ablehnung, sind aber sinngemäß auch für den dritten Fall zu kombinieren. 14) Nicht bloß der ablehnende oder teilweis ablehnende; denn es muß, ab­ gesehen von der noch zu erörternden Möglichkeit einer Anspruchserweiterung in der Berufungsinstanz, endgiltig dem Ansprecher die Entscheidung darüber über­ lassen bleiben, ob der Bescheid seinem Anspruch gerecht wird. 15) Eine weitere Begründung wird hier nicht erfordert; anders vielleicht Graßmann Anm. 10 Abs. 2. AN. 00 S. 219 ff.; vgl. oben § 35 V. Rostn, Recht der Arbeiterversicherung. Band II.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

letztere individualisiert mit den Buchstaben „J, K und A“ die Rente nach ihren 3 Arten, fügt die Nummer der Anstalt, die der Rente und den Geburtsjahrgang des Rentenempfängers 6ei.17) Die Berechnung befindet sich auf der Rückseite des Bescheides und be­ rücksichtigt zugleich die nach § 38 JVG. eintretende Abrundung (vgl. oben § 65 Y). Der Text des Bescheides wirft, abgesehen von Rentenbeginn und Berufungsklausel, den jährlichen, wie den monat­ lichen Betrag der Rente aus und bezeichnet die bei Empfang des Bescheides bereits fällige und alsbald zu erhebende Summe. b) Wenn der Bescheid den Rentenanspruch ganz oder teilweise ablehnt, muß er mit Gründen versehen fein.18) Dieselben müssen eine vollständige Würdigung des der Ablehnung zu Grunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Materials enthalten, so daß dem An­ sprecher eine eingehende Prüfung zwecks seines Entschlusses bezüglich der Einlegung einer Berufung ermöglicht ist.'8) Die tatsächlichen Unterlagen der Entscheidung, insbesondere auch die die Erwerbs­ unfähigkeit verneinenden ärztlichen Gutachten müssen dem Ansprecher ihrem wesentlichen Inhalte nach mitgeteilt werden?8) 5. Durch die Rechnungsvorschriften wird auch eine besondere Buchführung über die Renten angeordnet (§ 1 litt. d). Danach sind zum Nachweise der Renten Rentenlisten nach vorgeschriebenem Muster (Anl. IV) zu führen. Sie werden nach den drei Arten der Renten und nach den Geburtsjahren der Empfänger getrennt (§ 16). Die Ausfüllung erfolgt nach Feststellung der Rente (§ 17). Die Rentenliste enthält die lausende Nummer, den Namen des Be­ rechtigten, den Rentenbeginn, den jährlichen Betrag der Rente in Höhe des zwölffachen des abgerundeten Monatsbetrages und die nötigen Eintragungen in Bezug auf Zeit und Grund des späteren Wegfalls der Rente. ”) So bedeutet z. B. -j j

„Invalidenrente 3640 des Geburtsjahrgangs

1850, festgesetzt von der Versicherungsanstalt Nr. 31 (Elsaß-Lothringen)". le) § 112 Abs. 5, bezüglich auch auf teilweise Ablehnungen; vgl. oben N. 13. So auch Gebhard-Düttmann Anm. 21, Weymann Anm. 31 Abs. 3, letzterer aber nur bezüglich „erheblicher Abweichungen". >») Analog AN. 97 S. 316 Nr. 568. 20) AN. 99 S. 533 Nr. 714; doch soll die Mitteilung Äußerungen, welche den Empfänger beunruhigen oder verletzen könnten, vermeiden; vgl. auch AN.

6. Nach § 122 JVG. liegt dem Anstaltsvorstande eine Pflicht zur Benachrichtigung der unteren Verwaltungsbehörde oder Renten­ stelle ob, welche sich, wenn man den Wortlaut des Gesetzes nach der Absicht des Gesetzgebers ergänzt, folgendermaßen gestaltet. Zunächst hat der Anstaltsvorstand derjenigen Verwaltungsbehörde oder Renten­ stelle, aus deren Begutachtung hin seine Entscheidung ergangen ist, von dieser und ihrer etwaigen Abänderung in höherer Instanz2') Nachricht zu geben (Satz 1). Es wird dies schon „durch das be­ rechtigte Interesse" gerechtfertigt, welches jene Stelle „an der Art der Erledigung der von ihr vorbereiteten und begutachteten Renten.anträge (jat".22) Darüber hinaus erscheint es aus Gründen der Verwaltung, insbesondere der Armenpflege, erforderlich, die untere Verwaltungsbehörde2') über die Rentenverhältniffe „der Bewohner ihres Bezirks" regelmäßig in Kenntnis zu setzen.2^) Demzufolge ordnet der Wortlaut des Gesetzes selbst an, daß, wenn in Gemäßheit von Satz 1 die Benachrichtigung an eine Rentenstelle ergangen ist, daneben noch „der für den Wohnort des Rentenempfängers zu­ ständigen unteren Verwaltungsbehörde über die dem Berechtigten zustehenden Bezüge Mitteilung zu machen" ist (Satz 2). Sicher erscheint demgegenüber der Analogieschluß, daß diese Benachrichtigung der Wohnortsbehörde auch zu erfolgen hat, wenn die Anzeige auf Grund von Satz 1 der Verwaltungsbehörde des Beschäftigungsortes zuzuweisen roor.25) Ob aber die weitere Forderung, der Vorstand solle die Wohnortsbehörde in jedem Falle auch von der Ablehnung eines Rentenantrags benachrichtigen, sich noch begründen läßt,2°) kann eher zweifelhaft, wird aber doch wohl, zumal im Hinblick auf 02 S. 187 Nr. 1907 (Unfallsache) und Gebhard-Düttmann Anm. 9 a. E. zu ■§ 106 (Interesse der unerläßlichen Offenheit der Ärzte). 21) Gebhard-Düttmann Anm. 2. 22) Mot. Abs. 2 zu §§ 86, 87 Entw. JVG. 23) Sache dieser ist es, die sonstigen noch interessierten Organe, z. B. der Armenpflege, weiter zu benachrichtigen. Die württ. Vollz.Verf. § 35 schreibt weitere Benachrichtigung der Ortsbehörde für die Arbeiterversicherung und eventuell der vorgesetzten staatlichen Dienststelle vor. Mot. a. a. O. Abs. 3. 2$) Ebenso Isen bort-Spielhagen Anm. 3 und Gebhard-Düttmann Anm. 1. 2e) Bejahend Jsenbart-Spielhagen Anm. 4; Gebhard-Düttmann Anm. 1 nur empfehlend. »)

§ 120 JVG?'), zu bejahen sein. Endlich schreibt Satz 3 des § 122 „das Gleiche" d. h. die Benachrichtigung der Wohnortsbehörde vor, wenn auf Grund tatsächlicher oder rechtlicher Vorkommnisse eine Ver­ änderung in den Rentenverhältnissen ^) eines Bezugsberechtigten ein­ tritt, auf Grund deren eine Berichtigung der ersten Mitteilung er­ forderlich wird. Näheres über Form und Inhalt aller dieser Be­ nachrichtigungen schreibt das Gesetz nicht vor; der Zweck derselben muß über das Maß ihrer Vollständigkeit entscheiden?")

II. Die Erteilung des Rentenbescheides geht vom Vorstande der Versicherungsanstalt auf die Rentenstelle über, wenn dieser gemäss, § 86 Abs. 1 JVG. (vgl. oben § 27 II a. E.) von der Landes­ zentralbehörde ihres Sitzes statt der bloßen Vorbereitung und Be­ gutachtung die Entscheidungsgewalt übertragen ist. Für das Ver­ fahren der entscheidenden Rentenstellcn gelten nach § 129 Abs. 1 JVG. die auch für den Anstaltsvorstand maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere die besprochenen §§ 112 Abs. 3—5, 114 Abs. 4 und 122; im übrigen wird dasselbe nach Maßgabe der in § 86 Abs. 2 Satz 2 JVG. erteilten Ermächtigungen geregelt. Hiernach wird die Verfahrensordnung bei staatlich ungemischten Ver­ sicherungsanstalten von der Landeszentralbehörde des Anstaltssitzes (vgl. oben § 28 N. 3) erlassen. Bestehen bei einer staatlich ge­ mischten^) Anstalt in den zu ihr gehörigen Landesteilen verschie­ dener Staaten entscheidende Rentenstellen, so muffen sich die be­ treffenden Landeszentralbehörden, im Interesse der Einheitlichkeit des Verfahrens bei derselben Versicherungsanstalt?') über die für alle zu erlassende Versahrensordnung einigen, widrigenfalls der Reichs­ kanzler entscheidet. Hat aber nur eine von mehreren, bei einer An­ stalt beteiligten Zentralbehörden für ihr Gebiet die Rentenstellen zur Entscheidung berufen, so wird auch diese allein zum Erlaß der Ver27) Verfahren im Falle der Wiederholung eines Antrags auf Invalidenrente; vgl. § 83 G. 89 und die angeführten Mot. Abs. 2. 28) Näheres über die Fälle der Mitteilung bei Veränderungen, nicht immer, übereinstimmend, Jsenbart-Spielhagen und Geb hard- Düttmann Anm. 5 bezw. 4. Die Bestimmung des Gesetzes ist im Sinne des Textes ausdehnend, ru interpretieren. 20) Gebhard-Düttmann Anm. 3. 30) Das Gesetz sagt „gemeinsamen"; vgl. oben § 31 91 12. 31) So mit Recht Graßmann Anm. 1 zu § 86.

§ 69.

Bescheid.

773

fahrensordnung zuständig fein.32) Besonderheiten treten nach dem Gesetz in folgenden Punkten33) ein: 1. Die Auferlegung von Kosten des Verfahrens auf Beteiligte, welche dieselben frivol veranlaßt haben, erfolgt hier nicht durch den Anstaltsvorstand auf Antrag der Rentenstelle, sondern durch die letztere selbst (§ 86 Abs. 2 Satz 1). 2. Der Erlaß des Bescheides geschieht im allgemeinen durch den Vorsitzenden der Rentenstelle allein oder seinen Stellvertreter. Wenn aber nach dessen Ansicht die beantragte Rente34) versagt werden soll, oder die Gewährung eines geringeren, als des beantragten Rentenbetrages in Frage steht,33) so erfolgt die Entscheidung der Rentenstelle in verstärkter Besetzung nach Stimmenmehrheit unter Zuziehung je eines Vertreters der Arbeitgeber und der Ver­ sicherten. 3. Wird der Rentenantrag abgelehnt, so ist der Versicherungs­ anstalt durch Übersendung einer Ausfertigung oder Abschrift des dem Ansprecher erteilten Bescheides Mitteilung zu machen.33) Wenn dagegen der Anspruch auf Rente ganz oder zum Teil anerkannt worden ist,3') so hat der Vorsitzende der Rentenstelle nach Ertei­ lung des Bescheids an den Ansprecher dem Anstaltsvorstande unver32) Das Gesetz erwähnt diesen Fall nicht, sondern geht augenscheinlich in Abs. 2 davon aus, daß allen Rentenstellen einer Versicherungsanstalt die Ent­ scheidungsgewalt übertragen werden soll. Es liegt aber kein Grund vor, auch im Fall des Textes mit den Kommentaren, z. B. Zsenbart-Spielhagen Anm. 5, die einzelne Regierung in ihrer Selbständigkeit als beschränkt zu erachten. 33) Kein Anweisungsrecht des Anstaltsvorstandes; vgl. oben § 27 R. 35. 34) Also hier auch, wenn statt der beantragten eine Rente anderer Art ge­ währt we-rden soll. 35) Hilerhin gehört auch der Fall des späteren Rentenbeginns. Daß die Mitwirkung der Laien hier, wo es sich um eine Entscheidung über den Renten­ anspruch iim ganzen handelt, nicht auf einzelne Fragen beschränkt sein kann, ist selbstverstcändlich. Aus dem „in Frage steht" folgt, daß, wenn der Vorsitzende die Sache: an die Beisitzer gebracht hat, die Entscheidung jedenfalls kollegial er­ gehen muß, auch wenn sich die Mehrheit für die Rente erklärt. 36) Dne Mot. Abs. 4 zu § 95 a Entw. ZVG. sprechen nur aus, daß in diesem Falle die Mitteilung genügend ist. Daß sie erfolgen muß, schreibt das Gesetz nicht vor, ist aber mit Gebhard-Düttmann Anm. 3 aus ihm zu entnehmen. ”) Diie Zubilligung der Rente wird erfolgen müssen, wenn die Anstalt in dem Verfahren den Anspruch ganz oder teilweise anerkannt hat. Überein­ stimmend Wey mann Anm. 2 zu § 129 ZVG.; dazu unten § 70 VIII, 5 und § 72 R. 4%

züglich die gesamten Verhandlungen zu übersenden. Dabei hat er, weil das für die Entschließung des Vorstandes über Einlegung der Berufung bedeutsam werden kann, bei den von der verstärkten Rentenstelle erlassenen Entscheidungen38) zu vermerken, wenn sie gegen seine (des Vorsitzenden der Rentenstelle). Stimme ergangen sind.

§ 70.

Berufung.

I. Quellen und Wesen des Verfahrens. Mit der Be­ rufung, deren Begriff mit dem zivilprozeffualischen übereinstimmt, geht das Feststellungsverfahren in ein dem Civilprozeß ähnliches Streitverfahren über, indem jetzt auch der Anstaltsvorstand, welcher als Feststellungsorgan den Bescheid erteilt hatte, in die Stellung des Vertreters einer reinen Prozeßpartei zurücktritt. Die das Be­ rufungsverfahren beherrschenden Normen sind teils im Gesetze selbst,') teils in der auf Grund von § 106 Abs. 6 JVG. mit Zu­ stimmung des Bundesrats erlass eiten Kaiserlichen VO. betr. das Ver­ fahren vor den Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung v. 22. Nov. 1900 (SchGO.; vgl. oben § 28 N. 1) enthalten. Zur Ergänzung dieser wenig umfangreichen Vorschriften zieht die Praxis des NVA. in „eklektischer" SBeife*2)3 die 4 Regeln der CPO. heran?) Es recht­ fertigt sich dies dadurch, daß die CPO. als Reichsgesetz dem reichs­ gesetzlichen Feststellungsverfahren näher steht, als z. B. die Verwal­ tungsprozeßgesetze der Einzelstaaten/) und daß sie demselben in weitem Umfange auch innerlich kongenial ist. Denn wie der Civil38) Die Fassung des Gesetzes ist irreführend. Daß § 129 Abs. 3 auch solche Fälle umfaßt, in denen die Laien nicht mitgewirkt haben, ist anerkannt. 0 In Betracht kommen für den vorliegenden Paragraphen besonders § 104 Ziff. 3, § 106 Abs. 2, 4, §§ 114 und 115, § 129 Abs. 4, 5 JVG. 2) Laß, Prozeßrecht in Unfallverstcherungssachen S. 10. 3) Eine ausdrückliche Verweisung auf die Vorschriften der CPO., aber unter Vorbehalt ihrer Abänderung durch Kaiserliche Verordnung, enthält § 119 JVG. in Betreff der Wiederaufnahme des Verfahrens. Die SchGO. zieht in § 4 Abs. 1 und § 18 Abs. 1 bestimmte Normen der CPO. heran, ebenso in § 1 Abs. 3 und § 13 Abs. 2 solche des GVG. 4) Dennoch weisen auch diese gewisse Berührungspunkte mit dem sozial­ politischen Feststellungsverfahren auf. So schließt sich z. B. in § 116 Abs. 3 JVG. die Formulierung der Revisionsgründe an § 94 des preuß. Landes­ verwaltungsgesetzes v. 30. Juli 1883 an (Komm.Ber. zu § 68 Entw. G. 89).

§ 70.

Berufung.

775

prozeß zumeist der Feststellung vermögensrechtlicher Ansprüche und Verbindlichkeiten dient, so ist nach dem bereits Erörterten auch die durch das JVG. geordnete Rentengewährung in die Form subjek­ tiver Ansprüche gekleidet. Immerhin bleibt der bedeutsame Unter­ schied bestehen, daß die vermögensrechtlichen Ansprüche des Civilprozeffes privatrechtlicher Natur sind, an deren Verwirklichung der Staai materiell nicht interessiert ist/) während die Invaliden- und Altersrenten eine öffentlichrechtliche Fürsorge darstellen, zu deren Durchführung im sozialpolitischen Interesse des Staates selbst auch das versicherungsrechtliche Feststellungsverfahren dienen soll?) Dies führt namentlich zu einer weit über das Maß des Civilprozesses57)86 hinaus gesteigerten, von Amtswegen eintretenden Tätigkeit des Ge­ richts behufs des äußeren Fortgangs des Verfahrens und der Be­ schaffung des Tatsachenmaterials, damit auf solche Weise möglichst das materielle Recht verwirklicht werde?) Hierdurch werden der 5) Göthe, Wahrheit und Dichtung, 12. Buch: „Dem Staate liegt nur daran, daß der Besitz gewiß und sicher sei; ob man mit Recht besitze, kann ihn weniger kümmern." 6) AN. 92 S. 133 Nr. 187: „in Anbetracht des Umstandes, daß es sich bei Anwendung des I.- u. AVG. um die Betätigung öffentlichrechtlicher Für­ sorge für die an strenge Rechtsformen nicht gewöhnte arbeitende Bevölkerung handelt." Ferner aus der Praxis der Unfallversicherung: Rundschr. RVA. v. 2. Juli 1887 (AN. 88 0.236): „schiedsgerichtliches Verfahren, bestimmt zur Entscheidung über die, nicht nach privatrechtlichen Gesichtspunkten zu beur­ teilenden, sondern aus einer sozialpolitischen Fürsorgepflicht entspringenden, und durch das Gesetz mit öffentlichrechtlicher Natur und Gewähr ausgestatteten Unfall­ entschädigungsansprüche"; AN. 90 S. 486 Nr. 845: „in dem eine öffentlichrechtliche Fürsorge betreffenden Verfahren". 7) Über analoge Anwendung der Strafprozeßordnung im sozialpolitischen Feststellungsverfahren vgl. Laß S. 9. 8) Das RVA. hebt, zum Teil in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der öffentlichrechtlichen Fürsorge, wiederholt hervor, daß im Feststellungsverfahren „materielles Recht geschaffen", „materielle Wahrheit ergründet, erstrebt, erforscht" werden soll (vgl. die N. 6 zitierten Stellen, ferner Rundschr. v. 6. Aug. 1892 Ziff. 9, AN. 92 S. 109; AN. 93 S. 52 Nr. 207, S. 105 Nr. 257, S. 171 Nr. 314; AN. 98 S. 324 Nr. 314). Wenn indessen in AN. 90 S. 486 Nr. 845 im Gegen­ satz dazu gesagt wird, „daß es sich im Civilprozeß im allgemeinen um sormelle Wahrheit handelt", so geht das zu weit, da doch auch der Civilprozeß. im ganzen, d. h. als eine für alle Fälle bestimmte Ordnung eine möglichst große Annäherung an die materielle Wahrheit bezweckt. Vgl. R. Schmidt, Lehrbuch des Civilprozeßrechts S. 356, sowie Planck, Lehrbuch 1 S. 195, 196. Daß sich in gewissem Umfange auch das Feststellungsverfahren mit formeller

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsvcrfahren.

analogen Anwendung der CPO. Schranken gezogen, während doch auch wiederum das sozialpolitische Feststellungsverfahren als ge­ ordnetes Streitverfahren mit dem Zwecke der Rechtssicherheit ge­ wisse formale Einrichtungen nicht entbehren kann, welche, wie im Civilprozeß, sich der unbedingten Verwirklichung des materiellen Rechts entgegenstellen?) II. Berufungsgericht. Über die Berufungen entscheiden die Schiedsgerichte. Die Verfassung derselben ist bereits oben §28 besprochen worden. Örtlich zuständig im einzelnen Falle ist das­ jenige Schiedsgericht, zu deffen Bereich der Bezirk'") der unteren Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle gehört, welche seiner Zeit die Sache instruiert hat.") Entsteht unter mehreren Schiedsgerichten ein negativerl2) Kompetenzkonflikt, so wird derselbe durch das RVA. entschieden.'2) Der Fall ist auch dann gegeben, wenn nach Eingang der Berufung der Vorsitzende des angegangenen Schiedsgerichts dasselbe für örtlich unzuständig erachtet, die Berufung deshalb an das seiner Ansicht nach zuständige Gericht abgibt und nun auch der Vorsitzende des letzteren dessen Zuständigkeit verneint. Ein Beschluß oder Urteil der Gerichte selbst darf in diesem Falle nicht herbei­ geführt werden.") Wahrheit begnügen muß, vgl. die folgende Note. Das grundsätzlich Ent­ scheidende für den Charakter desselben bleibt positiv und negativ die in ihm sich verwirklichende öffentliche Fürsorge. Vgl. auch unten § 73 N. 79. °) In Betracht kommt namentlich die Rechtskraft der Entscheidungen und die beschränkte Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens, der grundsätz­ liche Ausschluß der reformatio in pejus und die Begrenzung der Entscheidungen durch die Ansprüche der Parteien (§ 19 SchGO.); vgl. auch Bd. 1 S. 759. 10) Über die Fassung des Gesetzes vgl. oben § 68 N. 61, über die Unver­ änderlichkeit der Kompetenz gegenüber späteren Domizil- usw. Veränderungen ebenda N. 13. Besonders hervorzuheben ist, daß für die Kompetenz des Schieds­ gerichts ausschließlich diejenige Vorbereitungsstelle entscheidet, welche mit dem Antrag wirklich befaßt war, auch wenn eine andere nach § 112 Abs. 1 JVG^ damit hätte befaßt werden können. ") § 114 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 2 Satz 1 SchGO. 12) Ein positiver Konflikt kann nicht vorkommen, da kein Schiedsgericht von sich aus eine Sache an sich zu ziehen vermag. 13) § 6 Satz 1 SchGO. Die Kompetenz des LVA. ist in Streitsachen aus -er Invalidenversicherung ausgeschlossen; Satz 2. 14) AN. Ol B. 401 Nr. 896. Das Verfahren nach § 8 SchGO. greift nicht Platz, da sich dasselbe nur auf den Fall sachlicher Unzuständigkeit bezieht.

III. Berufungsparteien, berufungsfähiger Bescheid und Berufungsgründe. In Betracht kommt: 1. Berufungsparteien sind in dem hier zunächst voraus­ gesetzten Normalfalle auf der einen Seite der Rentenansprecher, auf der anderen die Versicherungsanstalt. Letztere, nicht der sie vertre­ tende Vorstand, hat materiell die Parteirolle. Aus der Partei­ stellung der Anstalt ergibt sich für das Berufungsverfahren ihre Gleichberechtigung mit dem Rentenansprecher im Sinne einer gleich­ mäßigen Unterordnung unter das Schiedsgericht; es steht ihr nicht frei, bei der Verhandlung oder Beweiserhebung die Rolle des leiten­ den Teils zu usurpieren.^) 2. Auf den Fall, daß der grundlegende Bescheid von dem Anstaltsvorstande selbst erlassen ist, bezieht sich § 114 Abs. 1 Satz 1 JVG.: „Gegen den Bescheid, durch welchen der Anspruch auf In­ validen- oder Altersrente abgewiesen wird, sowie gegen den Be­ scheid, durch welchen die Höhe und der Beginn der Rente fest­ gestellt wird, steht dem Rentenbewerber die Berufung auf schieds­ gerichtliche Entscheidung zu." Darin liegt: a) Gegen den Bescheid des Anstaltsvorstands steht nur dem Rentenansprecher die Berufung zu. Der Vorstand selbst hat weder zu Ungunsten, noch auch zu Gunsten'°) des Ansprechers ein Be­ rufungsrecht. b) Voraussetzung für die Berufung des Ansprechers ist ein nach dem Sprachgebrauch des RVA. sogen, „berufungsfähiger" d. h. ein solcher Bescheid, durch welchen demselben das instanzielle Ver­ fahren zunächst vor dem Schiedsgerichte eröffnet wird. Ein solcher liegt stets dann vor, wenn im Falle objektiv gegebener Pflicht zur Bescheidserteilung der Anstaltsvorstand aus einen vor ihn gebrachten Rentenanspruch eine endgiltige Entschließung verlautbart hat. aa) Ein berufungsfähiger Bescheid int hier vorausgesetzten Sinne ist gegeben, wo für den Anstaltsvorstand eine gesetzliche Pflicht zur 15) AN. 92 S. 130 Abs. 3 Nr. 180; dazu Laß S. 129 ff. und die dort an-geführte Judikatur in Unfallsachen, namentlich über die verneinte Befugnis der Versicherungsträger, selbständig (ohne Antragstellung beim Schiedsgericht) ärztliche -Gutachten zur Entkräftung eines vom Schiedsgericht eingeholten Obergutachtens zu erheben und vorzulegen. le) Vgl. analog die auf das Rechtsmittel der Revision bezüglichen EntIcheidungen (AN. 91 S. 159 Nr. 49, AN. 93 S. 112 Nr. 256). Zum Ausgleich dient die der Anstalt zukommende Möglichkeit neuer Bescheidserteilung.

Bescheidserteilung bestand (vgl. oben § 69 N. 12). Wenn dasNVA. in konstanter Judikatur die Bedingung für das Vorliegen eines berufungsfähigen Bescheides dahin formuliert, daß „entwederdie Pflicht oder doch die Absicht der Bescheidserteilung bestand",'') so beziehen sich die Fälle, in denen die Absicht der Bescheids­ erteilung genügt, auf die nach der Praxis des Amtes den Anstalts­ vorständen freigestellte Neueröffnung des Verfahrens nach voraus­ gegangener rechtskräftiger Abweisung, und werden in diesem, systematischen Zusammenhange ihre Erledigung erfahren. bb) Berusungsfähige Bescheide sind in dem hier besprochenen Zusammenhange solche, durch welche ein Rentenanspruch seitens des Anstaltsvorstandes erledigt wird. Es gibt noch andere Bescheide in Rentensachen, namentlich solche, welche „über die Entziehung der Rente und die Einstellung von Rentenzahlungen" ergehen (§ 121 JVG.), die mit der Berufung angefochten werden können. Dagegen, findet der berufungsfähige Bescheid außerhalb des Rentenverfahrens keine Stätte'") und die schiedsgerichtliche Entscheidung insoweit keineAnwendung.'") ec) Nur die auf Rentenansprüche ergehenden endgiltigen Entscheidungen sind berufungsfähig. Nicht in dieser Weise anfechtbar sind demnach alle Zwischenverfügungen, welche der Vorstand in einem noch bei ihm schwebenden Ermittlungsverfahren an den Ansprecher erläßt und durch die er ihn z. B. zur Einreichung gewisser Urkunden, oder zur Gestellung behufs ärztlicher Untersuchung oder Beobachtung auffordert. Endgiltig sind dagegen in dem hier gebrauchten Sinne nicht bloß solche ablehnende"") Bescheide, welche den erhobenen Ann) AN. 00 S. 411 Nr. 796 und die dort zitierten früheren Entscheidungen. (AN. 93 S. 107 Nr. 259, AN. 94 S. 33 Nr. 322, AN. 95 S. 255 Nr. 464). 18) So nicht in Angelegenheiten des Heilverfahrens, der Jnvalidenhaussürsorge, der Gewährung von Mehrleistungen nach § 45 JVG., der Vergütung, des Werts ungiltiger Beiträge (vgl. oben § 58). In Beitragserstattungssachen, findet nicht Berufung, sondern Beschwerde statt (§ 128 Abs. 4). Vgl. Geb­ hard -Düttmann Anm. 4 zu § 114. 1U) AN. 96 S. 502 Nr. 539: Verurteilung der Versicherungsanstalt zur Tragung der Kosten des Heilverfahrens unzulässig; AN. 99 S. 778 Nr. 782: Kein Erkenntnis über Rückerstattung von Beiträgen in Verbindung mit der Ab­ weisung des Rentenanspruchs. 20) Der materiellen Ablehnung steht es gleich, wenn im Falle vorliegender Pflicht zur Bescheidserteilung der Vorstand es a Umine ablehnt, in eine Prüfung des Nentenanspruchs einzutreten (AN. 95 S. 255 Nr. 464).

§ 70.

Berufung.

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spruch auf die Dauer abweisen, sondern auch solche, welche nur eine ..Abweisung zur Zeit" enthalten, weil gewisse Voraussetzungen des Anspruchs, z. B. Erwerbsunfähigkeit, Entrichtung von Beiträgen für nachgewiesene, zur Wartezeit gehörige Beschäftigungswochen, noch nicht gegeben sind. Wie aber § 114 Abs. 1 deutlich erkennen lässt, gilt im Falle der Anerkennung als endgtltig und berufungsfähig nur derjenige Bescheid, durch welchen, der gesetzlichen (§ 112 Abs. 4) Pflicht entsprechend, zugleich Höhe und Beginn der Rente festgestellt wird. Bescheide, welche ein nacktes Anerkenntnis enthalten, oder denen ein Ausspruch über Höhe oder Beginn der Rente überhaupt mangelt, müssen erst, um berufungsfähig zu werden, eventuell nach Anrufung der Aufsichtsbehörde, gesetzmäßig ergänzt werden?') dd) Ein berufungsfähiger Bescheid muß dem Ansprecher ver­ lautbart, d. h. irgendwie offiziell bekannt gegeben worden sein. Da­ gegen ist die in § 112 Abs. 4 erforderte schriftliche Zustellung, so­ fern nur die Pflicht zur Bescheidserteilung objektiv gegeben war, ebensowenig unumgänglich, wie die Erfüllung der sonstigen in §§ 112 und 114 JVG. aufgestellten formellen Erfordernisse des Bescheides?^) Das letztere gilt insbesondere von dem Mangel des in § 114 Abs. 4 vorgeschriebenen Berufungshinweises,^) einschließlich der Bezeichnung 21) Anderenfalls fehlt die Grundlage für die Verhandlung in der Berufungs­ instanz. Die Frage ist nicht unzweifelhaft. Doch spricht für die Auffassung des Textes außer dem Wortlaut von § 114 Abs. 1 auch noch das „sodann" in §112 Abs. 4 Satz 2 JVG. Analog läßt sich auch AN. 99 6. 454 Nr. 734 heranziehen. 22) Vgl. die oben N. 17 zitierten Entscheidungen. In Betreff der Zustellung eines schriftlichen Bescheides insbesondere die Entsch. Nr. 796, wo die Abweisung des Anfprechers im Wege mündlicher Eröffnung per requisitionem eines Stadt­ magistrats und demnächst wiederholt durch Bekanntgabe mittels formloser Rand­ verfügung erfolgte. Es wird hier ein berufungsfähiger Bescheid schließlich doch nur um deswillen nicht angenommen, weil in concreto weder Pflicht noch Ab­ sicht der Bescheiderteilung bestand. Die Entsch. AN. 93 S. 111 Nr. 164 kann nicht gegen unsern Text verwertet werden, weil sie einen überhaupt nicht ver­ lautbarten, sondern nur zu den Akten beschlossenen, anerkennenden Bescheid be­ handelt, dessen Verbindungskraft gegenüber der Anstalt verneint wird, während die Berufungsfähigkeit gar nicht in Frage kommen konnte. 23) AN. 94 S. 33 Nr. 322; Laß S. 389. Gegenüber der Pflicht zur Be­ scheidserteilung kann selbst die ausdrückliche Erklärung, keinen berufungsfähigen Bescheid erteilen zu wollen, bei formloser Ablehnung nicht in Betracht kommen (m. 98 S. 248 Nr. 631, S. 249 Nr. 632).

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsverfahren.

t>e§ Berufungsgerichts;24) es muß aber ebenso gelten, wenn dem Erkennenden Bescheide die „Art der Berechnung" (§ 112 Abs. 4) oder dem ablehnenden die Begründung (§ 112 Abs. 5) nicht bei­ gefügt ist. Denn da alle diese Formalien nur im Interesse des Ansprechers vorgeschrieben finb,25) so kann er zwar auf nachträg­ licher Erfüllung derselben bestehen;2°) er kann aber auch, ohne die Versäumnis zu rügen, Berufung einlegen, ohne dabei, da ihm der formell unvollständige Bescheid nicht präjudiziert, an die gesetzliche Berufungsfrist gebunden zu fein.27) Die Anstalt ihrerseits darf in dem darauf eintretenden Berufungsverfahren den von ihr ver­ schuldeten formellen Mangel des Bescheides nicht im Sinne einer. Nichtigkeit desselben zu ihren Gunsten verwerten.2^) c) Die Berufung steht dem Ansprecher gegen den Tenor des Bescheides zu; die Gründe als solche unterliegen der Anfechtung nicht.2^) Anders, wenn die Gründe als Mittel für die Auslegung -es Bescheides selbst in Betracht kommen; dann kann die so er­ mittelte Tragweite des Bescheides durch Berufung angefochten werden?") Wichtig wird dies im Falle des ablehnenden Bescheides, welcher nicht bloß mit dem Antrage auf Zuerkennung einer Rente, sondern auch aus dem Grunde angefochten werden kann, weil auf Abweisung für die Dauer und nicht bloß auf Abweisung zur Zeit erkannt worden ist. Denn da die Abweisung zur Zeit oder auf 24) AN. 99 S. 445 Nr. 721, auf das ältere Recht bezüglich, welches auch die Aufnahme von Namen und Wohnort des Schiedsgerichtsvorsitzenden in den Bescheid verlangte; jetzt auch AN. 04 S. 415 Nr. 1124. -') AN. 94 S. 33 Nr. 322 und das dortige Zitat. »•) AN. 00 S. 411 Nr. 796, AN. 94 S. 33 Nr. 322. ”) Das wird in Nr. 721 und 1124 mit Bezug aus den dort behandelten Fall (vgl. oben N. 24) hervorgehoben. Es muß aber auch für die übrigen, hier in Rede stehenden Fälle gelten. Die Worte der Entsch. Nr. 322 AN. 94 S. 35 Zeile 4: „wenn rechtzeitig eingeht" enthalten daher keinen allgemeinen Rechtssatz, sondern nur den Tatbestand des konkreten Falles (S. 34 Zeile 11). Vgl. auch analog unten N. 43. M) AN. 93 S. 107 Nr. 259. 2e) AN. 91 S. 149 Nr. 31: Anfechtung der Rentenberechnung (durch den Staatskommissar nach früherem Recht) bei gleicher Rentenhöhe; AN. 03 S. 393 Nr. 1057. 30) Weymann Anm. 26 Ziff. 5 zu § 112 übersieht, daß es sich hier in Wahrheit nicht um eine Anfechtung der Gründe, sondern des durch die Gründe erklärten Tenors handelt. Dazu die zit. Entsch. Nr. 1057.

Tauer nicht notwendig im Tenor des Bescheides festgelegt werden muß, sondern auch lediglich in den Gründen desselben zum Ausdruck gebracht werden kann/') so kann der Ansprecher, welcher teils aus. Gründen abgewiesen worden ist, die seine dauernde Abweisung recht­ fertigen, teils aber aus solchen, die seinen Anspruch wenigstens zur Zeit als nicht bestehend erscheinen lassen, ein berufungsfähiges. Interesse daran haben, behufs Vermeidung einer unveränderten Rechtskraft des Bescheides eine Deklarierung desselben in der Be­ rufungsinstanz aus den allein von ihm zugegebenen Gründen der zweiten Art zu verlangen.^) Gegen den Bescheid, durch welchen die Höhe und der Beginn der Rente festgestellt wird, steht dem Ansprecher die Berufung zu­ nächst dann zu, wenn entweder sein gestellter Antrag teilweise ab­ gewiesen worden ist, oder wenn, ohne daß er überhaupt einen Antrag, gestellt hatte, Rentenhöhe oder Rentenbeginn hinter seinen Erwar­ tungen zurückgeblieben ist. Fraglich ist, ob auch dann, wenn ganz, nach dem gestellten Antrag erkannt ist, die Berufung lediglich zu dem Zwecke zulässig ist, um im Wege der Anspruchserweiterung in der zweiten Instanz mehr durchzusetzen. Obgleich das RVA. int allgemeinen die Zulässigkeit einer Anspruchserweiterung in der Be­ rufungsinstanz anerkennt/3) hat es doch die aufgeworfene Frage mit Bezug auf den Rentenbeginn nachdrücklich verneint.^) Doch er­ scheinen die Gründe dieser Entscheidung nicht durchschlagend. Wenn 31) AN. 98 S. 248 Nr. 631, AN. 01 S. 205 Nr. 888; dazu auch AN. 93. S. 170 Nr. 314. 32) So der Sache nach (vgl. oben N. 30) richtig Weymann a. a. O. Auch, die Entsch. Nr. 888 führt, konsequent weiter verfolgt, zu gleichem Resultate (vgl. auch den Vorbehalt in Nr. 1057). Wie diese und das bei Weymann an­ genommene Beispiel erkennen lassen, ergeben sich Fälle des Textes namentlich, aus einer Kombination des Mangels der erfüllten Wartezeit mit der Annahme eines vorzeitigen Eintritts der Invalidität. Auch Jsenbart-Spielhagew Anm. 20 Ziff. 1, 2 zu § 112 („lediglich deshalb") würden wohl zu der hiev vertretenen Ansicht gelangen. 33) Unfallsachen: AN. 88 S. 276 Nr. 540, AN. 91 S. 356 Nr. 1068: Höhe der Rente; Laß S. 440 ff. 34) Entsch. des verstärkten Revisionssenats v. 13. Zan. 1903, abgedruckt in Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 67, nachher auch in AN. 03 S. 391 Nr. 1056 Abs. 2. Die Entscheidung befindet sich im Widerspruch mit der tatsächlichen Stellung­ nahme des Amtes in AN. 02 S. 687 Nr. 1028 (vgl. dazu oben § 67 N. 14). Wie das RVA. auch Graßmann Anm. 11 zu § 112 mit Anm. 1 zu § 114 JVG-

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IV. Buch. Renten. HI. Kap.: Feststellungsverfahren.

dabei int wesentlichen auf die Judikatur des Reichsgerichts in Civilprozeßsachen Bezug genommen wird, so kommt dagegen in Betracht, daß selbst diese von angesehenen Gerichten und Schriftstellern nicht gebilligt imrb,35) und daß jedenfalls gerade hier der Fürsorge­ charakter des Feststellungsverfahrens eine Abweichung vom Civilprozeß dahin rechtfertigen würde, daß der Ansprecher nicht genötigt wird, auf- seinen dem materiellen Recht entsprechenden weiter­ gehenden Anspruch zu verzichten oder doch mit demselben nochmals in die erste Instanz zurückzugehen und sich dabei der Gefahr eines Einwandes der rechtskräftig entschiedenen Sache aussetzen.3^) Dazu kommt, daß, wie das RBA. selbst hervorhebt, der Antrag auf Renten­ gewährung einen ganz anderen Charakter hat, als der Klageantrag des Civilprozesses, da der Ansprecher ein „Art und Maß des Geforderten näher bezeichnendes bestimmtes Klagcbegehren nicht zu stellen braucht, sondern der in irgend einer Form ausgedrückte Antrag auf Bewilligung der Rente genügt" (vgl. oben § 68 bei R. 16,17). Die Behauptung, daß auch auf dem Gebiete des sozialpolitischen Berfahrens jedes Rechtsmittel die „Nichtberücksichtigung eines schon dem ersten Richter unterbreiteten Anspruchs erfordere", ist eine petitio principii, da es gerade darauf ankommt, nachzuweisen, daß nicht im Feststellungsverfahren schon die objektive Abweichung des -ersten Urteils vom materiellen Rechte eine genügende „Beschwer" für die Berufung bitbet.37) Für den hier vertretenen Standpunkt entscheidet aber positiv, daß § 114 Abs. 1, indem er die Berufung „gegen den Bescheid" gibt, „durch welchen die Höhe und der Beginn ”) Das hebt das RBA. selbst hervor; vgl. Gaupp-Stein, Kommentar zur CPO., 4. Ausl., zu § 511 Anm. II a (nicht 3, 4) S. 9. 3e) Wie aus den Worten des Erkenntnisses, „daß jetzt mehr, als bis dahin gefordert und ein Anspruch geltend gemacht wurde, über den der Vorstand der beklagten Versicherungsanstalt mangels eines Antrags überhaupt nicht entschieden hatte", hervorgeht, nimmt das RVA. an, daß der Ansprecher nach Rechtskraft des ersten Bescheides die Rente für den früheren Zeitraum noch nachfordern könne. Jedenfalls aber bleibt er dann doch dem Einwände (gleichviel, ob der­ selbe durchdringt) ausgesetzt, der Bescheid habe, indem er die Rente von einem gewissen Zeitpunkt an feststellte, sie für die frühere Zeit aberkennen willen. 31) Die damit im Zusammenhange stehenden Ausführungen am Schluß, „daß auch beim Verfahren in Jnvalidensachen ein vom Kläger hinsichtlich des Beginns der Rente usw. gestellter Antrag insoweit maßgebend ist, als darüber chinaus nichts bewilligt werden darf", treffen den vorliegenden Fall gar richt, )da ja für die Berufungsinstanz ein entsprechender Antrag vorliegt.

der Rente festgestellt wird", gar keinen Unterschied macht,'b) und daß dementsprechend nach § 114 Abs. 4 (vgl. oben § 69 N. 14) auch der nach Antrag anerkennende Bescheid die Berufungsklausel ent­ halten muß. 3. Ist der Bescheid von einer entscheidendm Rentenstelle er­ lassen, so finden für die Berufung des Ansprechers nach § 129 Abs. 1 JVG. die erörterten Grundsätze in gleicher Weise Anwendung. Daneben steht aber hier nach § 129 Abs. 4 auch dem Vorstand der Versicherungsanstalt die Berufung zu. Dieselbe wendet sich hier nicht gegen einen „berufungsfähigen Bescheid", sondern gegen die „Entscheidung der Rentenstelle", welche dem Vorstand durch Über­ sendung der Verhandlungen oder Rentenstelle bekannt geworden ist. Die Berufung des Vorstandes kann darauf gestützt werden, daß „der Anspruch auf Rente ganz oder zum Teil anerkannt worden ist", während er ganz oder zum Teil oder zu einem größeren Teil, als geschehen, abgewiesen werden sollte. Eine Berufung zu Gunsten des Versicherten, insbesondere im Falle gänzlicher Abweisung, steht -auch hier dem Anstaltsvorstand nicht zu. IV". Einlegung der Berufung und zwar 1. Berufungsfrist. — a) Die Dauer derselben beträgt -sowohl für den Ansprecher, wie für den Vorstand einen Monat;^) nur Seeleuten, „welche sich außerhalb Europas aufhalten", fomjnt die allgemeine Vorschrift des § 167 Abs. 3 JVG. zugute, wonach für sie die Frist zur Einlegung von Rechtsmitteln drei Monate beMgt.40) Auch kann selbst diese längere Frist für sie von derjenigen Behörde, gegen deren Bescheid das Rechtsmittel stattfindet, noch weiter erstreckt werden. Die Erstreckung muß vor dem Ablauf der ursprünglichen oder schon verlängerten Frist erfolgt sein, kann aber iw übrigen auch ohne Antrag4') vorgenommen werden. Zweifel38) „Ubi lex non distinguit, non est nostrum distinguere! “ 3o) § 114 Abs. 2 Satz 2, § 129 Abs. 5 JVG.; § 5 Abs. 1 SchGO. Nach § 77 Abs. 2 G. 89 betrug die Frist 4 Wochen. Auf die am 1. Jan. 1900 schwebenden Sachen fand die verlängerte Frist Anwendung (AN. 00 S. 410 Nr. 795, S. 612 Nr. 800). ") Nach § 36 SchGO. gilt § 167 Abs. 3 JVG. für alle „in dieser Ver­ ordnung bestimmten Fristen". Auf Rechtsmittelfristen findet er auch An­ wendung, wenn sie landesrechtlich zur Ausführung des JVG. bestimmt find; vgl. Gebhard-Düttmann Anm. 14 zu § 167. 41) Gebhard-Düttmann Anm. 16.

haft ist die Dauer der Frist, wenn sich der Seemann nur zeitweilig während der Dreimonatsfrist außerhalb Europas aufgehalten hatEs wird anzunehmen sein, daß die regelmäßige Frist von einem Monat dann Platz greift, wenn der Seemann von der Zustellung, des Bescheides an ununterbrochen einen Monat hindurch in Europa zugebracht hat; hat er aber vorher Europa verlassen, oder war er innerhalb des ersten Monats nach der Zustellung irgend eine zeit­ lang von Europa abwesend, so wird ihm in allen Fällen die Drei­ monatsfrist zugute kommen, auch wenn er später noch innerhalb der­ selben für die ununterbrochene Dauer eines Monats nach Europa zurückgekehrt ist.") b) Die Berufungsfrist beginnt ihren Lauf im Falle der Be­ rufung des Ansprechers mit der Zustellung des formgerechten Be­ scheides an ihn (§ 114 Abs. 2 Satz 2 mit § 129 Abs. 1 JVG.). Daß gegen formell unvollständige oder nicht zugestellte Bescheide Berufung ohne beschränkende Frist zulässig ist, wurde bereits oben II, 2 litt, dd hervorgehoben; in gleicher Weise ist eine Zurück­ weisung der Berufung als verspätet dann nicht angängig, wenn die Zeit der Zustellung nicht nachweisbar ist.") ") Für die Berufung des Vorstandes läuft die Frist von dem Tage an, an welchem die Verhandlungen der Rentenstelle bei ihm eingegangen sind (§ 129 Abs. 5 JVG.). Über den Tag dieses Eingangs hat der Vorstand als Behörde zugleich mit Einreichung der Berufungsschrift amtliche Auskunft zu erteilen (§ 7 Abs. 4 SchGO.). c) Für die Berechnung der Berufungsfristen gelten die Vor­ schriften des BGB.") Auch der § 222 Abs. 2 CPO., wonach, wenn das Ende der Frist auf einen Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt, dieselbe mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werk­ tages endigt, findet analoge Anwendung.") Welche Tage als all42) In letzterem Punkte vielleicht abweichend Gebhard-Düttmann Anm. 15.. «) AN. 92 S. 23 Nr. 107, AN. 98 S. 322 Nr. 648, AN. 99 S. 446 Nr. 724. Zu Nr. 648 vgl. jetzt § 170 Abs. 1 Satz 2 JVG. 44) Nach Laß 6. 397 und der dort zitierten Judikatur findet eine rechts­ wirksame Einlegung der Berufung vor Zustellung des Bescheides nicht statt. Auf die oben N. 22 behandelten Fälle, in denen die Zustellung eines förm­ lichen Bescheides, trotz vorhandener Verpflichtung dazu, überhaupt nicht beab­ sichtigt war, kann das natürlich keine Anwendung finden. 45) § 222 Abs. 1 CPO. mit § 188 Abs. 2 BGB. 4°) AN. 92 S. 15 Nr. 98 Abs. 2.

gemeine Feiertage gelten, bestimmt sich nach den Verhältnissen am Orte derjenigen Stelle, bei welcher die Berufung eingelegt wird?') d) Die Einlegung der Berufung muß binnen der bestimmten Frist „bei Vermeidung des Ausschluffes" (§ 114 Abs. 2, § 129 Abs. 5) erfolgen. Die Berufungsfrist ist eine Notfrist im Sinne der CPO.;49) sie kann, abgesehen von dem die Seeleute betreffenden Falle des § 167, nicht durch die Behörde verlängert werden und ist ebenso der Parteiwillkür entzogen. Die Parteien können weder ihre Verlängerung vereinbaren, noch nützt es der säumigen Partei, daß die andere die Versäumnis nicht rügt oder gar die Rechtzeitigkeit der Berufung anerkennt; vielmehr findet die Prüfung der letzterm von Amts wegen, eventuell noch durch das Revisionsgericht statt.49) Abweichend vom Civilprozeß kann auch eine Verlängerung der Frist nicht im Wege der Anschlußberufung erzielt werden; die §§ 521, 522 CPO. finden keine analoge Anwendung?9) Über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Fristversäumnis wird später im Zusammenhange gesprochen werden. 2. Einlegungsstelle ist diejenige Amtsstelle, bei welcher die Berufung, um rechtswirksam zu sein, innerhalb der Berufungsfrist eingegangen sein muß. Einlegungsstelle ist zunächst das zuständige Schiedsgericht (§ 114 Abs. 2 Satz 2) und zwar für den berufenden Anstaltsvorstand ausschließlich (§ 129 Abs. 5). Zu Gunsten des Ansprechers läßt aber § 114 Abs. 3 auch jede „andere Behörde" als Einlegungsstelle ju50“); dieselbe hat kraft Amtspflicht die Be­ rufungsschrift ungesäumt an das zuständige Schiedsgericht abzugeben, ohne daß doch die Verzögerung dem Berufenden noch nachteilig werden könnte. Als Behörden im Sinne lies § 114 cit. kommen. 47) Die bisherige Zudikatur des NVA. spricht vom Orte des entscheidenden Schiedsgerichts; das muß jetzt im Hinblick auf § 114 Abs. 3 eine Erweiterung erfahren. Im einzelnen: Dreikönigstag kein allgemeiner Feiertag in Berlin, wohl aber Frohnleichnam in einem Bezirk mit überwiegend katholischer Be­ völkerung; vgl. AN. 92 S. 15 Nr. 98 Abs. 3, AN. 94 S. 122 Nr. 353, dazu Laß S. 158 ff., Appelius-Düttmann S. 34. 48) Laß S. 157, 395 ff. 4") AN. 02 S. 509 Nr. 995. *o) AN. 91 S. 161 Nr. 52. 6sa) Die Bestimmung findet auch aus schwebende Sachen Anwendung (AN. 00 S. 612 Nr. 800). Ros in, Recht der Arbeiterversicherung. Band II.

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wie § 5 Abs. 1 SchGO. sinngemäß ergänzt/') nur „inländische" in Betracht, im übrigen nicht bloß staatliche/') sondem alle öffent­ lichen, auch Gemeinbehörden nach Maßgabe des Reichs- oder Landes­ rechts, speziell nach dem JVG. selbst die Versicherungsämter/^) die im betreffenden Falle nicht zuständigen Schiedsgerichte/') die Rentenstellen und die Vorstände der Versicherungsanstalten, insbe­ sondere diejenigen, welche den angefochtenm Bescheid erlaffen haben.33)

Die

Berufungsschrift

muß

innerhalb

der

Frist

bei

der Berufungsstelle „eingegangen" sein (§ 114 Abs. 3), was durch den nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SchGO. vorgeschriebenen Präsentations­ vermerk konstatiert werden soll. Es genügt daher nicht die Absen­ dung, insbesondere Aufgabe zur Post") innerhalb der Frist; an­ dererseits ist es auch nicht nötig, daß die Schrift noch innerhalb der Frist in den „inneren Geschäftsgang" der Berufungsstelle, zu deren Vernehmung gelangt ist; es genügt, wenn sie in den Besitz der Stelle gekommen, von ihr empfangen worden ist.36) 3. Form und Inhalt der Berufung. sich Abs. 3 und 4 des § 5 SchGO.

Hierauf beziehen

„In der Berufung sollen der

Gegenstand des Anspruchs bezeichnet und die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen unter Angabe der Beweismittel angeführt werden; auch ist die Versicherungsanstalt" (oder Rentenstelle), „welche dm angefochtenen Bescheid erteilt hat, zu benennen." „Die Berufung 51) Dazu Appelius-Düttmann S. 35. ßa) Das meint Graßmann Anm. 6 zu tz 114. 82») AN. 02 S. 599 Nr. 1013. 53) Daher

genügt unter allen Umständen die Einlegung der Berufung bei

dem im Bescheide bezeichneten Schiedsgericht, auch wenn dieses in Wirklichkeit nicht das zuständige ist. validenrecht nicht;

Notwendig ist die Einlegung bei demselben nach Jn-

anders die

bei Laß S. 30 zitierte

frühere Judikatur in

Unfallsachen. 54) Daß der Anstaltsvorstand vermöge seiner sozialpolitischen Zweckverpflichtung unfrankierte Briefe, vorbehaltlich des Rückgriffs, annehmen muß und eventuell die zurückgewiesene Berufungsschrift als eingegangen gilt, hat AN. 02 S. 598 Nr. 1013 mit AN. 99 S. 456 Nr. 737 angenommen. M) Die Post, welche nur Übermittlerin ist, zu deren Kenntnis der Inhalt der Postsachen nicht bestimmt ist,

kann nicht als

„andere Behörde" im Sinne

von § 114 Abs. 3 JVG. angesehen werden: Jsenbart-Spielhagen Anm. 11 zu § 114. 56) AN. 02 S. 598 Nr. 1013: Briefkasten usw. L a ß S. 400 ff.

Niederlegung im Amtszimmer,

Dienstraum,

kann schriftlich oder zu Protokoll des Schiedsgerichts, einer anderen in­ ländischen Behörde u.s. ro. erhoben werden. Bei schriftlicher Erhebung ist dem Schriftsatz eine Abschrift beizufügen." Dazu kommt noch § 10 Abs. 1 SchGO., nach welchem „Berufungen von den Beteiligten unterzeichnet sein müssen". Die Praxis des NVA. hat zu Gunsten der rechtsuchenden Arbeiterbevölkerung im Falle der Berufung des Ansprechers den an­ geführten Bestimmungen, auch über deren Wortlaut hinaus,57) weit­ reichend den Charakter bloßer Instruktionen beigelegt, deren NichtLeobachtung die Rechtswirksamkeit der Berufung unberührt läßt. Als unbedingt erforderlich sieht es eigentlich nur an, daß der An­ sprecher in einer über das bloß mündliche Vorbringen hinausgehen­ den schriftlichen gom57a) seine Unzufriedenheit mit dem ergangenen Bescheide zum Ausdruck bringt. Hiernach genügt allerdings die bloß mündliche Erklärung des Berufungswillens bei einer Berufungsstelle nicht, wenn diese nicht innerhalb der Berufungsfrist ein Protokoll darüber aufnimmt.58) Auch wird in irgend welcher Weise der Wille, eine günstigere Entscheidung zu erreichen, hervortreten müssen;19) doch bedarf es dazu nicht unbedingt der genauen Bezeichnung des Berufungsanspruchs und der denselben stützenden, aus der ersten Instanz wiederholten oder auch neuen595) Tatsachen und Beweis57) Über „Sollen" und den häufigen Gebrauch des Infinitivs als instruktionelle Redeform, während allerdings „Müssen" imperativen Charakter hat, vgl. neuer­ dings meinen Aufsatz über „Polizeiverordnungen und Berufsgenossenschaften nach § 120e Gewerbe-O." in der Ztschr. f. Bergrecht Bd. 42 S. 448 ff. Dazu auch AN. 02 S. 510 Nr. 996. 57&) Telegramm gilt als Schriftform: Laß S. 391. — Die Sprache der Be­ rufungsschrift muß deutsch sein, bei Vermeidung der Nichtberücksichtigung: § 34 SchGO. und dazu Appelius-Düttmann Sinnt. 2 in Betreff des Gebrauchs der französischen Sprache in Elsaß-Lothringen. 58) AN. 02 S. 509 Nr. 995, S. 510 Nr. 996 (letztere auf die Einlegung der Revision bezüglich). Die Analogie der Zulässigkeit bloß mündlicher Renten­ unträge (vgl. oben § 68 91 15) läßt das NVA. nicht gelten. Tie Verpflichtung zur protokollarischen Entgegennahme von Berufungseinlegungen bestimmt sich nach den dienstpragmatischen Vorschriften; hinsichtlich der Schiedsgerichte vgl. AN. 95 S. 109 Ziff. 2. a») AN. 92 S. 84 Nr. 154, AN. 01 S. 402 Nr. 896, AN. 02 S. 722 Nr 838. 59a) Auch neue tatsächliche Anführungen über Verhältnisse, welche erst nach Stellung des Rentenantrages bei der unteren Verwaltungsbehörde eingetreten find (inzwischen eingetretene Erwerbsunfähigkeit, wenn wegen Mangels derselben

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

mittel. Die letzteren können noch im Laufe der Verhandlungen nachgebracht werden, während als Berufungsanspruch eventuell das Verlangen der gesetzlichen Rente zu gelten hat?") Auch die jetzt 60a) neu geforderte Bezeichnung der Versicherungsanstalt oder Rentenstelle, welche den angefochtenen Bescheid erlassen hat, kann nicht als wesentlich gelten, sofern nur die Identität des Bescheides ermittelt werden kann. Fehlt es an der Unterschrift des Berufenden, so kann dieselbe auch noch nach Ablauf der Berufungsfrist nach­ geholt werden?') Eine Bezeichnung der Eingabe als „Berufung" oder eine ausdrückliche Rechtsmittelerklärung ist nicht erforderlich?^) Für den Fall, daß der Berufung eine Abschrift nicht beigefügt ist, bestimmt § 7 Abs. 1 SchGO. selbst, daß das Schiedsgerichts eine solche zu fertigen hat und die Kosten derselben von dem Berufenden einziehen darf. Nach alledem konnte schließlich das NVA. dazu ge­ langen, in der bloßen, unter Briefumschlag erfolgten Einsendung des angefochtenen Bescheides und eines ärztlichen, zu Gunsten des An­ sprechers lautenden Attestes oder auch nur eines der beiden Schrift­ stücke eine rechtswirksame Einlegung der Berufung zu erblicken?') Die Frage, ob alle diese Erleichterungen auch dem berufenden Vorstande zu Gute kommen müssen, ist von keiner großen prak­ tischen Bedeutung. Grundsätzlich wird das bei der anerkannten Gleichberechtigung der Parteien behauptet werden müssen ;64) doch ablehnender Bescheid ergangen war), müssen bis zur Urteilssprechung berücksichtigt werden (AN. 93 S. 125 Nr. 274). eo) Laß S. 394 a. E. 60a) Entgegen dem § 4 Abs. 3 SchGO. v. 1899. 61) Der § 10 SchGO. selbst bezieht sich überhaupt nur auf eigentliche Be­ rufungsschriften, während bei Protokollen die Unterschrift ohnehin nur nach Maßgabe der im einzelnen bestehenden Rechtsvorschriften nötig ist (so die Rekurs-Entsch. in Unfallsachen AN. 92 S. 327 Nr. 1171). Vgl. im ganzen Laß. S. 393 und Appelius-DüttmannS. 35, sowie Zsenbart-Spielhagen Anm. 6 zu § 5 SchGO. und die bei diesen angeführte Judikatur. ») AN. 92 S. 84 Nr. 154. ") So namentlich, wenn das Schiedsgericht den Eindruck der hinfälligen Persönlichkeit des Ansprechers ohne weiteres über das begründete Gutachten der Sachverständigen setzt (AN. 99 S. 449 Nr. 729, AN. 01 S. 404 Nr. 899). 14s) Vgl. meinen Aufsatz über „den Begriff des Betriebsunfalls" im Archiv f. äff. Recht Bd. 3 S. 355 ff.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsvcrfahren.

gezweifelt mürbe".140) In diesem Sinne, aber auch nur in diesem, kann der Satz, welchen das RVA. auf dem Gebiete der Unfall­ versicherung öfters ausgesprochen hat,141) daß das Gericht seine „Überzeugung unter Umständen auch aus Wahrscheinlichkeits­ momenten entnehmen kann," auf das Gebiet der Invalidenversiche­ rung übertragen werden. 3. Freie Beweiswürdigung und amtliche Wahrheitserforschung schränken die Frage nach der Bedeutung der Beweislast in engere Grenzen ein, heben sie aber doch keineswegs vollständig auf.140) Vielmehr tritt dieselbe namentlich in folgenden Punkten hervor: a) Kann das Schiedsgericht trotz Anwendung der ihm zu Ge­ bote stehenden Beweismittel sich nach pflichtmäßigem Ermessen nicht entschließen, eine Tatsache als wahr anzunehmen, so gereicht dies derjenigen Partei zum Schaden, welche sie dem Richter hätte be­ weisen müssen. Für die Verteilung der Beweislast140) aber gelten '») AN. 99 S. 642 Nr. 770. »’«) Laß S. 218 ff.; dazu AN. 04 S 420 Nr. 1131 im Nachtrag. '") Rundschr. v. 6. Aug. 1892, AN. S. 110 Ziff. 8 mit Rundschr. in Unfallsachen v. 2. Juli 1887, AN. 88 S. 236 Ziff. 4. m) Vgl. auch v. Stengel, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts S. 238. i78a) Sollen Zeugenaussagen, welche in der mündlichen Verhandlung erhoben sind, sich aber auf einen anderen, als den den Parteien mitgeteilten Beweissatz Leziehen, dem Urteil zu Grunde gelegt werden, so müssen sie zuvor derjenigen Partei, zu deren Ungunsten sie lauten, und zwar auch wenn diese zum Termin geladen, aber nicht erschienen war, mitgeteilt werden (vgl. oben N. 101 ff., 131; AN. 03 S. 551 Nr. 1084).

§ 70.

Berufung.

815

MVA. auf diesem Wege nicht in Anspruch genommen werden (vgl. oben § 25 N. 11); auch erscheint eine Beweisaufnahme durch Er­ suchen des Anstaltsvorstandes, welcher Partei ist, oder durch seine Organe als ausgeschlossen."8) Die Beweisverhandlungen, auch vor 4>er ersuchten Behörde,188) müssen nach § 17 Abs. 4 SchGO. unter Zuziehung eines vereidigten oder, wie hier erleichternd hinzugefügt wird, durch Handschlag zu verpflichtenden Protokollführers und unter Benachrichtigung der Parteien aufgenommen werden.181) Die Unter­ lassung begründet einen wesentlichen Mangel des Verfahrens, welcher jedoch, soweit die Nichtbenachrichtigung der Parteien in Frage steht, im Wege des § 295 CPO. (vgl. oben N. 123) geheilt werden tarnt.182) c) Geeignetenfalls steht die Beweiserhebung auch dem Vor­ sitzenden schon vor Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu.'88) Die Vorschrift des § 17 Abs. 4 SchGO. gilt auch hierfür. VIII. Entscheidung. Den Verfügungen und Bescheiden des Vorsitzenden stehen die „Entscheidungen" des kollegialen Schieds­ gerichts gegenüber. Dieselben zerfallen, im weiteren Sinne ge­ nommen,181) in Beschlüsse und Entscheidungen im engeren Sinne 179) AN. 01 S. 199 Nr. 881 (Kontrollbeamte); vgl. auch oben § 25 N. 4 und § 70 N. 15. 18°) AN. 96 S. 356 Nr. 519, wodurch die Entsch. in Mainzer Ztschr. Bd. 5 S. 163 außer Kraft tritt. Auch die von Appelius-Düttmann Anm. 12 noch aufrecht erhaltene Beschränkung kann nicht gebilligt werden. Die requirierte Behörde muß auf die Bestimmung hingewiesen werden. 181) Die oben N. 101 ff. entwickelten Sätze finden analoge Anwendung; vgl. auch N. 178 a. 182) AN. 96 S. 356 Nr. 519; Laß S. 82, 429 f. 183) § 17 Abs. 3 Satz 3 SchGO. Vgl. dazu, sowie über die durch Abs. 2 bezründete Befugnis des Vorsitzenden, zur mündlichen Verhandlung auch ohne -vorausgehenden Beschluß des Schiedsgerichts Zeugen und Sachverständige vor­ zuladen, sowie das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anzuordnen, oben V, 4. 184) Von Entscheidungen im weiteren Sinne spricht § 106 Abs. 3 JVG. und ebrnso Abs. 4 in seinem ersten Teile. Die ferneren, durch das JVG. erst angefügten Worte fallen dann aus diesem Sprachgebrauch heraus und beziehen sich, wie -§ 25 Abs. 4 SchGO. ergibt, nur auf die Entscheidungen im engeren Sinne. In weiteren Sinne wird der Ausdruck auch in § 7 Abs. 4 sowie in § 20 Abs. 1 ShGO. gebraucht; vgl. oben N. 86.

816

IV. Buch. Renten.

111. Kap.: Feststellungsverfahren.

oder Urteile.1843) Nach der Gestaltung des schiedsgerichtlichen Ver­ fahrens sind Beschlüsse namentlich die Beweisbeschlüsse,'88) ferner die Beschlüße, welche die Vertagung oder Aussetzung des Verfahrens bezwecken (vgl. oben N. 131); auch die Entscheidungen über die Er­ füllung der Zeugenpflicht (§ 18 Abs. 2 SchGO., vgl. oben bei N. 171), sowie diejenigen, durch welche nach Erlaß eines Vor­ bescheides der Antrag auf mündliche Verhandlung als verspätet zurückgewiesen wird (vgl. N. 86,184), ergehen in Form von Beschlüssen. Hiernach verbleiben als Urteile (Endurteile, Endentscheidungen) des Schiedsgerichts diejenigen Entscheidungen im weiteren Sinne, welche auf Grund mündlicher Verhandlung endgiltig über den Berufungs­ anspruch ganz oder zum Teil oder doch dem Grunde nach erkennen und mit dem Rechtsmittel der Revision anfechtbar sind. Von diesen gilt insbesondere folgendes: 1. Nach § 115 JVG. hat auch das Schiedsgericht, wenn es den Anspruch auf Rente für begründet erachtet, zugleich die Höhe und den Beginn der Rente festzustellen.'88) Nur „in besonderen Ausnahmefällen, welche das Reichsversicherungsamt näher bestimmen darf", ist es dem Gericht gestattet, den Anspruch auf Rente nur dem Grunde nach anzuerkennen und nicht gleichzeitig über Höhe und Beginn der Rente zu entscheiden. Dieses Urteil, welches seinem Wesen nach ein Zwischenurteil ist, gilt doch nach Analogie von § 304 CPO. in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil und ist daher mit der Revision anfechtbar. Wird es rechtskräftig, weil entweder Revision nicht eingelegt ist oder das NVA. auf Revision der Ver­ sicherungsanstalt l8’) dasselbe bestätigt hat, und zwar gleichfalls, ohne i84a) So § 23 Satz 1 SchGO.: „Den Beschluß oder die Entscheidung." Entscheidung im engeren Sinne auch in § 19 Satz 1 und § 24. ■85) „Beweisbeschlüsse, die im Laufe des schiedsgerichtlichen Verfahrens er­ gehen, unterliegen als lediglich die Endentscheidung vorbereitende gerichtliche Anordnungen der Anfechtung mittels eines selbständigen Rechtsmittels nicht x vielmehr können Beschwerden, welche aus dem Beweisverfahren, der Beweis­ erhebung wie der Beweiswürdigung hergeleitet werden, nur mit einem gegen die Endentscheidung selbst zulässigen Rechtsmittel geltend gemacht werden" (Handbuch d. Unfallversicherung Anm. 6 zu § 16 SchGO. v. 1885). ie6) Den gleichen Grundsatz suchten auch schon früher zur Geltung zu bringen: Rundschr. RBA. v. 6. Aug. 1892 Ziff. 10 S. 111, AR. 97 S. 316 Nr. 569. AN. 99 S. 454 f. Nr. 734, 735. 18;) Mot. Abs. 2 Satz 6 zu §§ 79, 80 Entw. JVG.

§ 70.

Berufung.

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seinerseits Beginn und Höhe der Rente festzusetzen/88) f0 hat nun­ mehr der Anstaltsvorstand oder die entscheidende Rentenstelle dies zu tun und damit das Zwischenurteil zum wirklichen Endurteil zu er­ gänzen. Es geschieht dies aber durch berufungsfähigen Bescheid, gegen den nun wiederum die ordentlichen Rechtsmittel, zunächst die Berufung, ergriffen werden können. Das Gesetz sorgt aber zugleich dafür, daß auch im Falle der Einlegung der Revision gegen das Zwischenurteil der Ansprecher nicht ohne vorläufige Bezüge bleibt. Da nämlich durch jenes Urteil bereits ein starkes Gewicht zu seinen Gunsten in die Wagschale fällt, so muß ihm der Anstaltsvorstand 18°) „unverzüglich" d. h. alsbald und ohne weitläufige Ermittelungen durch einfache Verfügung „vor­ läufige Rentenbeträge bewilligen". Die Höhe derselben, welche „angemessen"'°o) sein soll, bestimmt sich nach dem Ermessen des Vor­ standes; „die Zahlung des Mindestbetrags der Rente vom Tage der schiedsgerichtlichen Entscheidung an wird die zulässige Untergrenze bilden".Ein Rechtsmittel findet gegen die geschehene Bewilligung in Bezug auf Höhe und Beginn der Zahlungen nicht statt; die Weigerung der Bewilligung selbst kann durch Anrufung der Auf­ sichtsinstanz gebrochen werden.'^") Die vorläufigen Rentenbeträge stehen hinsichtlich ihrer Auszahlung unter allen für die definitive Rente geltenden Regeln. Wird eine solche später, nachdem das Zwischenurteil in Rechtskraft erwachsen, bewilligt, so sind die vor­ läufig gezahlten Beträge auf die endgiltig angewiesene Rente an­ zurechnen; ein Verzicht hierauf steht der Anstalt nicht zu. Wird aber auf Revision der letzteren das Zwischenurteil aufgehoben, so kann zwar die Anstalt im Wege des Civilprozesses'^) jene Beträge zurückfordern; auch kann sie, wenn dem Empfänger später aus anderem Grunde Rente bewilligt wird, diese mit der Rückforderung >88) Das bedeuten die Worte „sofern das nicht bereits früher geschehen ist". 18°) Die entscheidende Rentenstelle wird hier nicht in Betracht kommen. 10°) „vorläufig angemessen erscheinende Beträge": Mot. zu §§ 79, 80 Entw. JVG. Zsenbart-Spielhagen Anm. 6. >">») Gebhard-Düttmann möchten dieselbe auch wegen der Höhe der Be­ träge zulassen; Anm. 8. »-) AN. 93 S. 76 Nr. 230 Schlußabsatz. AN. 97 S. 275 Abs. 3 Nr. 556, Mot. zu § 81a Entw. ZVG. Rostn, Recht der Arbelterverstcherun«. Band D.

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsverfahren.

gemäß § 55 Abs. 2 aufrechnen;'99) doch ist sie nach § 118 JVG. in diesem gatte194) auch befugt, nach Würdigung der besonderen Umstände'99) von einer Wiedereinziehung abzusehen. Verschiedene Punkte bleiben zweifelhaft: a) Klar ist, daß die dem NVA. vorbehaltene nähere Bestimmung der Ausnahmefälle, in denen das Schiedsgericht über den Grund des Anspruchs vorab entscheiden darf, nur allgemein erfolgen fattn.196) So lange aber das NVA. von seiner Befugnis noch keinen Gebrauch gemacht hat, bleibt es fraglich, ob die Vorab­ entscheidung im einzelnen Falle nach dem eigenen Ermessen des Schiedsgerichts zulässig oder in allen Fällen unzulässig ist. Der Wortlaut der Motive klingt etwas nach der letzten Alternative,191) der des Gesetzes mehr nach der ersten, die wohl auch in Überein­ stimmung mit den Kommentaren als die richtige zu erachten sein wird. Doch wird dann das Schiedsgericht gehalten sein, den Fall als Ausnahmefall in den Gründen seines Erkenntniffes besonders zu rechtfertigen.196) b) Gilt es als wesentlicher Mangel des Verfahrens, wenn das Schiedsgericht in anderen, als besonderen Ausnahmefällen die Fest­ stellung von Rentenbeginn und Rentenhöhe unterläßt? Ich möchte das für den Fall annehmen, daß das RVA. die zulässigen Aus­ nahmefälle abschließend bestimmt haben wird, es dagegen vorher, der bisherigen Praxis entsprechend, auf die Würdigung des einzelnen Falles ankommen lassen.199) ,M) Vgl. oben § 67 92. 76 mit 72: Die in § 115 besonders geregelte „An­ rechnung" fällt nicht unter § 55. m) So die 92. 92 zitierten Motive. 16s) Jsenbart-Spielhagen Anm. 2, Gebhard-Düttniann Anm. '2; Weymann Anm. 1 will einen allgemeinen Beschluß dieser Art zulassen, doch wird das durch die Motive nicht begründet. ,06) Zsenbart-SpielHagen Anm. 3. „Nur unter besonderen Ausnahmefällen, deren nähere Feststellung dem RVA. überlassen bleiben kann, dürfen usw." (Mot. zu §§ 79, 80 Entw. JVG ). '«») Beispiele solcher Ausnahmefälle bei Jsenbart - Spielhagen und Gebhard-Düttmann Anm. 3, Weymann Anm. 4. ,0“) „Fehlen einer Bestimmung über die Höhe der Rente selbst dann kein 'wesentlicher Mangel des Verfahrens, wenn das Schiedsgericht den Beginn einer von der Anstalt festgestellten Rente abgeändert hat" (9192. 99 S. 455 32t. 735); „Fehlen einer Bestimmung über den Beginn der Invalidität und der Rente im Urteil als wesentlicher Mangel des Verfahrens"; Würdigung des

•c) Das Gesetz stellt die Anerkennung des Rentenanspruchs dem Grunde nach einerseits, und die Feststellung von Beginn und Höhe der Rente andererseits gegenüber. Ist daraus zu schließen, daß nur in dieser Weise geschieden werden kann, oder ist im Gegenteil cm§ der Absicht des Gesetzes, das Urteil des Schieds­ gerichts möglichst allumfassend zu gestalten, der Schluß zu ziehen, daß neben der Anerkennung des Anspruchs an sich wenigstens Beginn oder Höhe der Rente festzustellen ist, falls dies ohne Auf­ enthalt geschehen kann? Ich bin geneigt, das Letztere anzunehmen?°°) Für solche Fälle müssen sich dann freilich die Ver­ pflichtungen des Vorstandes zur vorläufigen Rentenbewilligung modifizieren, zumal dann auch an die Möglichkeit einer Revision des Rentenansprechers gedacht werden muß. Ist demnach der Beginn der Rente festgesetzt und hat nur der Ansprecher Revision eingelegt, so müssen die vorläufigen Rentenbeträge gemäß § 116 Abs. 1 JVG. vom festgesetzten Rentenbeginn cm gewährt werden. Ist aber die Höhe festgesetzt, so ist diese in allen Fällen mindestens von der schiedsgerichtlichen Entscheidung an zur Auszahlung zu bringen. 2. Zu einem ähnlichen praktischen Resultate, wie in den soeben unter litt, e besprochenen Fällen auf dem Wege des Zwischen­ urteils, kann man im Jnterefle des Versicherten auch auf dem Wege eines schiedsgerichtlichen Tetlurteils gelangen. Regelmäßig soll nach § 115 Satz 1 JVG. das die Höhe und den Beginn der Rente feststellende Erkenntnis ein Vollurteil sein, d. h. den erhobenen Rentenanspruch in vollem Umfange erschöpfen. Indessen gestattet aus dem Gebiete des Civilprozesses der § 301 CPO. die Erlassung •eines Teilurteils, wenn nur ein Teil eines Anspruchs zur End­ entscheidung reif ist; die Erlassung desselben kann unterbleiben, wenn das Gericht sie nach Lage der Sache nicht für angemesien •erachtet. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung in dem Sinne, daß wenigstens in Ausnahmefällen im Interesse einer schleunigeren Verwirklichung der dem Versicherten zustehenden Rechte Einzelfalls: AN. 99 S. 454 Nr. 734. Jsenbart-Spielhagen Sinnt. 2 zu § 115 mit Anm. 1 zu § 41 ebenso wie hier, während Piloty schlechtweg sagt: „Verstöße gegen Satz 1 und 2 bilden nach der Novelle Revisionsgründe; Entsch. Nr. 735 trifft nicht mehr zu." 2'0) übereinstimmend Gebhard-Düttmann Anm. 4.

820

IV. Buch. Renten.

111. Kap.: Feststellungöverfahren.

ein Teilurteil erlaffen werden kann, hat das RVA. auf dem Gebiete der Unfallversicherung zugegeben,20') und es wird keinem Bedenken unterliegen, das Gleiche auch auf dem Gebiete der Invalidenversiche­ rung gelten zu lassen.202) Hiernach kann aus besonderen Gründen202) durch Teilurteil eine Rente von bestimmtem Zeitpunkt an oder in bestimmter Höhe festgestellt werden, während die Frage, ob dieselbe auch für einen früheren Zeitraum oder in weiterer Höhe zu ge­ währen fei,204) dem abschließenden Endurteil überlassen bleiben kann. Anders, als bei dem Zwischenurteil der Ziff. 1, geht hier das Verfahren in der schiedsgerichtlichen Instanz weiter, ohne daß. ein. fernerer Bescheid der Versicherungsanstalt dazwischen tritt. 3. Dagegen sind, von den erörterten Fällen abgesehen, die Schiedsgerichte verpflichtet, ein erschöpfendes, einheitliches Urteil über den vor sie gebrachten Streitstoff abzugeben.200) Daher sind im übrigen, unter Ablehnung der Analogie von §§ 275, 303, 538, 539 CPO. Teil- oder Zwischenurteile, Zurückverweisungen in die Bescheidsinstanz200) oder auch bedingte Urteile, durch welche die Zubilligung einer Rente an die nachträgliche Erfüllung gewisser Voraussetzungen geknüpft wird,20') unzulässig. Derartige Urteile unterliegen, insofern sie das Verfahren in der schiedsgerichtlichen Instanz abschließen sollen und daher in der Form von Endurteilen ’°>) AN. 97 S. 406 Nr. 1636, Laß S. 223 f. 2v2) Die in den folgenden Noten zitierten Entscheidungen beziehen sich» soweit sie von „Teilurteilen" sprechen, doch nicht auf diesen Fall.

203) tlber den Fall des teilweisen Anerkenntnisses vgl. unten N. 213. 204) Vgl. namentlich die von Gebhard-Düttmann Anm. 3 zu § 115(oben N. 198) angeführten praktischen Beispiele. 205) AN. 97 S. 316 Nr. 569 und die dort weiter zitierten Entscheidungen. 20") Kein teilweises Urteil über einzelne Grundlagen des Anspruchs,, namentlich nicht bloß über die Frage der Verstcherungspflicht (AN. 94 S. 32 Nr. 321» AN. 97 S. 518 Nr. 611, AN. 99 S. 452 Nr. 733) oder über die der Erwerbs­ unfähigkeit (AN. 97 S. 316 Nr. 569 mit AN. 99 S. 455 Nr. 735) unter Zurück­ verweisung der Sache im übrigen an den Vorstand. Keine ledigliche Auf­ hebung des Bescheides (AN. 99 S. 453 Nr. 733 litt, b mit AN. 99 S. 451 Nr. 731). Vgl. jetzt aber AN. 04 S. 417 Nr. 1127 im Nachtrag. 2o •) Nachbringung von Marken oder Arbeitsbescheinigungen (AN. 94 S. 120 Nr. 350); dagegen Aussetzung des Verfahrens bis zur Nachbringung und dann. Entscheidung: vgl. oben § 53 N. 4. Vorschüsse zwecks Nachbringung der Marken: vgl. oben § 67 III, 4a und Weymann Anm. 2 zu 115.

ergehen, wegen wesentlichen Mangels im Verfahren der Aufhebung im Wege der Revision.202) 4. Erschöpfend muß das schiedsgerichtliche Urteil auch in Bezug auf das tatsächliche und Beweismaterial sein, welches die statt­ gehabten Verhandlungen ergeben haben. Daß danach auch Tat­ sachen, welche erst nach der Stellung des Rentenantrages eingetreten find, berücksichtigt werden müssen, ist bereits oben N. 59 a hervor­ gehoben worden. Dagegen ist dasjenige Material von der Berück­ sichtigung ausgeschlossen, welches erst nach dem Schluß der münd­ lichen Verhandlung, auf welche das Urteil ergeht (vgl. § 278 Abs. 1 CPO.), dem Gerichte zugekommen ist.509) 5. Die Entscheidungen des Schiedsgerichts ergehen „nach freiem Ermessen" (§ 19 Satz 1 SchGO.), d. h. nach freier Würdigung der vorliegenden Tatsachen und Beweise. Diese inhaltliche Würdigung entfällt jedoch, soweit von Seiten der Versicherungsanstalt der Rentenanspruch als solcher anerkannt worden ist. Anders als beim bloßen Zugeständnis von Tatsachen (vgl. oben VII, 4 litt. b), hat das Schiedsgericht das Anerkenntnis, wenn und soweit es sich mit dem Antrage des Gegners deckt und gegen seine formelle und rechtliche Giltigkeit Bedenken nicht obwalten, ohne weitere Prüfung seiner Begründung dem Urteil210) zu Grunde zu legen.*2") Insofern gilt die Analogie von § 307 CPO., von der jedoch darin abzu­ weichen sein wird, daß dem in der mündlichen Verhandlung ab­ gegebenen2") Anerkenntnis hier ein in den Schriftsätzen niedergelegtes gleichzustellen, ein Antrag des Gegners nicht zu erfordern und beim teilweisen Anerkenntnis der Erlaß eines Teilurteils2") dem ©messen des Gerichts anheimzugeben sein wird. 208) AN. 99 S. 452 Nr. 733. Anders bei einem Zwischenurteil über ein Restttutionsgesuch, dessen Zulässigkeit hier dahingestellt bleibt, aber zu verneinen ist (AN. 93 S. 113 Nr. 266), oder falls ein Beweisbeschluß in Form eines Zwischenurteils ergehen sollte. 20°) Gutachten, welches erst nach Verkündigung des Urteils eingereicht wurde, auch wenn das Ergebnis in der mündlichen Verhandlung verlautbart war (AN. 01 S. 405 Nr. 900). 2l°) Anders, als beim gerichtlichen Vergleich, muß beim Anerkenntnis ein Urteil ergehen (AN. 92 S. 127 Nr. 177). 2") AN. 93 S. 115 Nr. 268. 212) Aufnahme ins Protokoll vgl. oben N. 140, 141. 213) Diesen Fall eines Teilurteils hebt die oben N. 201 zitierte Entsch. aus­ drücklich als zulässig hervor.

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsverfahren.

6. „Das Schiedsgericht entscheidet innerhalb der erhobenen An­ sprüche" (§ 19 Satz 1 SchGO.). Daher kann es zunächst grund­ sätzlich mtf keine, ihrer Art nach andere Leistung erkennen, als der Berufungskläger beantragt hatte/") und ihm ebensowenig überfeine Anträge hinaus ein Mehr zusprechen z. B. einen früheren Beginn der Rente feststellen. Doch kommt, um dem an die Spitze gestellten Grundsatz für das sozialpolitische Verfahren seine Schärfe zu nehmen, in Betracht, daß der Berufungskläger nicht notwendig bestimmte An­ träge zu formulieren braucht, in welchem Falle das gesetzliche Aus­ maß des Anspruchs als beantragt gilt (vgl. oben N. 59, 60), daß ferner zu Gunsten des Versicherten eine wohlwollende Interpretation seiner Anträge Platz greifen mußS1S) und daß endlich die richterliche Fragepflicht selbst auf die Stellung sachgemäßer Anträge hinzuwirken hat (vgl. oben N. 129). Andererseits gilt auch für das sozialpolitische Verfahren das Verbot der reformatio in pejus. Die ein Rechtsmittel einlegende Partei kann, falls die Gegenpartei sich nicht auch beschwert hat, ihre durch das angefochtene Urteil geschaffene Rechtslage keineswegs ver­ schlechtern?^) 7. Beratung und Beschlußfassung (§ 19 Abs. 2SchGO.). Dieselbe vollzieht sich in nicht öffentlicher Sitzung. Die Anwesenden sind zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet?") Mitwirken dürfen, bei Vermeidung der Revision, nur solche Mitglieder, vor welchen die mündliche Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, stattgefunden hat?"'") Andere Personen sollen auch nicht anwesend sein; doch hat das NVA. in der Anwesenheit des Protokollführers keinen wesentlichen Mangel des Verfahrens erMicft,218) und ebenso, wie im 2l4) AN. 96 S. 502 Nr. 539. Insbesondere auch keine Invalidenrente anstatt det beantragten Altersrente (von Klageänderung abgesehen). 2,s) Vgl. den Fall AN. 95 S. 211 Nr. 420. Prüfung der Verzichtsabsicht bei beantragtem späteren Rentenbeginn: vgl. oben § 67 N. 8. Im ganzen Zsenbart-Spielhagen Anm. 2 zu § 19 SchGO. 2l”) Kein späterer Rentenbeginn, als im Bescheid dem Berufungskläger zu­ erkannt (AN. 96 S. 177 Nr. 486). Dazu (auf die Revision bezüglich) AN. 00 S. 412 Nr. 797, AN. 01 S. 400 Nr. 894. Vgl. oben § 63 N. 1 a. E., aber jetzt auch den Nachtrag. 217) Daher auch das Recht der Zeugnisverweigerung nach § 383 Nr. 5 CPO.; Laß S. 94. 2V&) AN. 97 S. 316 Nr. 568. 2lh) So in Abweichung von § 195 GVG. AN. 95 S. 36 Nr. 407.

§ 70.

Berufung.

823

Civilprozeß, wird auch hier der Vorsitzende den zu ihrer Ausbildung beim Schiedsgericht beschäftigten jungen Juristen den Zutritt gestatten dürfen.2^) Die Entscheidung erfolgt nach Stimmenmehrheit (§ 106 Abs. 4 JVG.). Der etwa bestellte Berichterstatter stimmt zuerst, der Vor­ sitzende, auch wenn er selbst referiert hat, in allen Fällen zuletzt. Im übrigen stimmt der dem Lebensalter nach jüngere Beisitzer stets vor dem älteren (§ 22 SchGO.). Bei Abstimmungen über Summen, z. B. über die etwa in Betracht kommenden Jahresarbeitsverdienste, werden, wenn von mehr als zwei Meinungen keine die absolute Mehrheit hat, die für die größte Summe abgegebenen Stimmen so lange den für die zunächst geringere abgegebenen hinzugerechnet, bis sich eine Mehrheit ergibt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SchGO.). 8. Verkündigung (§ 23 SchGO ). Beschlüsse22") und Ent­ scheidungen müssen in öffentlicher Sitzung verkündigt werden.22') Die Verkündigung erfolgt durch den Vorsitzenden. Die Ver­ kündigung kann auf eine sofort anzuberaumende spätere Sitzung vertagt werden, welche in der Regel binnen einer Woche statt­ finden soll (vgl. oben N. 134). Die Besetzung des Gerichts kann in dem neuen Termine eine andere sein. Wird die Verkündigung der Gründe für angemessen gehalten, so erfolgt sie durch mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts. Eine Verkündigung des Stimmenverhältnisses, mit welchem die Entscheidung gefaßt wurde, findet nicht statt und darf nicht verlangt werden; doch darf der diffentierende Richter sein Separatvotum zu den Akten geben.222). 9. Form und Ausfertigung (§§ 24, 25 SchGO.). Die Entscheidungen enthalten die Urteilsformel und von ihr äußerlich gesondert den Tatbestand und die Entscheidungsgründe. Der Tat­ bestand bedeutet eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streit­ standes auf Grund der gesamten Verhandlungen unter Hervorhebung der in der Sache gestellten Anträge.222) Den Mangel einer Be='») § 195 GVG.; Latz S. 92. 220j Für diese gilt aber der Grundsatz, wie § 13 Abs. 1 SchGO. ergibt, nur, wenn sie auf mündliche Verhandlung ergehen; vgl. dagegen oben N. 86. 22') Auch wenn für die Verhandlung die Öffentlichkeit ausgeschlossen war; vgl. oben VI, 3 a. 222) Latz S. 95. 223) Abfassung des Tatbestandes: AN. 94 S. 270 Nr. 1338 (Unfallsache). Bedeutung im Gegensatz zum Civilprozeß: vgl. oben 91.141.

gründung des Urteils rechtfertigt die Revision?2*) Eine Rechts­ mittelbelehrung ist hier nicht erforderlich und auch nicht unter allen Umständen empfehlenswert?^) Zunächst werden die Entscheidungen in der Urschrift abgesetzt. Dieselbe ist vom Vorsitzenden und bei seiner Behinderung von dem ältesten Beisitzer zu unterschreiben. Auf Grund der Urschrift erfolgt die Ausfertigung, welche spätestens innerhalb drei Wochen nach der Verkündigung den Parteien zugestellt werden soll (§ 106 Abs. 4 JVG.). Über die Form der Ausfertigung enthalten §§ 25 Abs. 1,2 nähere Vorschriften?^) Vollzogen wird dieselbe durch den Vor­ sitzenden und im Falle seiner Behinderung hier durch seinen regel­ mäßigen Stellvertreter. Auf die Ausfertigung kann nicht verzichtet roerben?21). IX. Kosten. Die durch die schiedsgerichtliche Tätigkeit ent­ stehenden Kosten zerfallen in die „Kosten des Schiedsgerichts" d. h. die allgemeinen Kosten der Gerichtshaltung und die durch die ein­ zelnen Streitfälle veranlaßten Kosten des schiedsgerichtlichen Ver­ fahrens. Von den ersteren, welche der Versicherungsanstalt, jetzt nach näherer Maßgabe von § 10 MG., zur Last fallen (§ 107 Abs. 1 JVG.), ist bereits oben in § 28 IV, 2 ausreichend die Rede gewesen; hier kommen nur die Verfahrenskosten in Betracht, welche wiederum in die gerichtlichen und außergerichtlichen zerfallen. 1. Die gerichtlichen Kosten des schiedsgerichtlichen Verfahrens22^) sind in Ziff. II der zu § 10 MG. ergangenen Ausführungsbestim­ mungen des RVA. (vgl. oben § 28 bei N. 54) im einzelnen auf­ geführt. Es gehören dahin namentlich die Kosten des angeordneten oder nachträglich für erforderlich erachteten Erscheinens der Partei (vgl. oben N. 121 und unten N. 240a), die Gebühren der Zeugen und Sachverständigen (vgl. oben N. 172), sowie die sonstigen Kosten der Beweiserhebung, einschließlich der Kosten der vom Schiedsgericht 224) AN. 97 S. 316 Nr. 568. Bezugnahme auf die ausführliche und er­ schöpfende Begründung des Vorbescheids des Vorsitzenden zulässig (AN. 98 S. 322 Nr. 647). 225) Rundschr. RVA. v. 6. Aug. 1892 Ziff. 11 AN. S. Ul. 226) über das Siegel vgl. oben § 28 N. 46. 227) AN. 93 S. 139 Nr. 285. 227a) Vgl. zum Folgenden die bereits oben N. 172 zitierte ausführliche Zu­ sammenstellung von Funke und Hering.

angeordneten Untersuchung und Beobachtung des Rentenansprechers,"") endlich auch die Reisekosten und Tagegelder der Gerichtspersonen"") für auswärtige Beweistermine und die Rechtshilfekosten im Falle einer durch eine ersuchte Behörde ausgeführten Beweiserhebung?'") a) Auch die gerichtlichen Verfahrenskosten fallen grundsätzlich der Versicherungsanstalt zur Last, sodaß insoweit zu Gunsten der Versicherten Kostenfreiheit besteht?") Die Auszahlung erfolgt ent­ weder durch das Schiedsgericht aus den ihm durch die Anstalt zur Verfügung gestellten Vorschüsien oder unmittelbar durch die letztere an den Empfangsberechtigten. Durch das Schiedsgericht werden namentlich die Kosten für das Erscheinen der Partei, die Zeugen­ gebühren und die Terminsgebühren der Sachverständigen, die Kosten der vor dem Schiedsgericht oder einem Mitglied desselben statt­ gehabten auswärtigen Beweistermine, sowie etwaige sonstige Kosten berichtigt, deren sofortige Auszahlung geboten ist; von der Anstalt unmittelbar werden alle übrigen Kosten, z. B. die Vergütungen für die außerterminlichen Gutachten der Ärzte, entrichtet. Die vom Schiedsgericht ausgezahlten Kosten werden zu Lasten der Versiche­ rungsanstalt gebucht; am Schluß eines jeden Quartals, falls nicht ein anderer Zeitraum vereinbart ist, wird seitens des Schiedsgerichts­ vorsitzenden der Anstalt eine Zusammenstellung zwecks Erstattung binnen bestimmter Frist zugefertigt. Die unmittelbaren Auszahlungen erfolgen auf Grund der besonderen Übersendung einer Ausfertigung der Kostenfestsetzung?") 228) Dahin gehören auch die Kosten für die Reise des Versicherten zum Orte der Untersuchung und Beobachtung sowie die der Rückreise; vgl. die Be­ stimmungen von 1902 unter II, 2d und das Rundschr. RVA. v. 27. Febr. 1893 Ziff. 2, AR. 93 S. 62. Im ganzen Funke-Hering S. 105 ff. 22°) In Bezug aus die Diäten des Vorsitzenden vgl. noch oben § 28 R. 17. In Bezug aus die Höhe sind die für sein Hauptamt geltenden Gebührensätze maßgebend: Isenbart - Spielhagen Anm. 3 Abs. 3 zu § 20 SchGO. Im einzelnen Funke-Hering S. 113 ff, 230) Vgl. über den Umfang der gerichtlichen Kosten noch besonders das Rundschr. v. 1893 Ziff. 2, Laß S. 283 ff., Funke-Hering S. 1 ff. 231) § 107 Abs. 1 JVG.; § 20 Abs. 1 SchGO.; vgl. oben § 28 R. 55. Ein Ausspruch im Urteil, daß die Anstalt die gerichtlichen Kosten zu tragen habe, erfolgt nicht; vgl. das Rundschr. v. 1892 Ziff. 2. 212) Bestimmungen von 1902 unter IV, 2—5; vgl. oben §28R. 56.

b) Die Festsetzung der gerichtlichen Verfahrenskosten im ein-? zelnen, z. B. der Zeugen- und Sachverständigengebühren oder der Kosten für das Erscheinen der Partei,

erfolgt nach

§ 20 SchGO.

in erster Reihe durch den Vorsitzenden des Schiedsgerichts.

Die­

selbe kann von dem Empfangsberechtigten unverzüglich233) angefochten werden, worauf ein Beschluß2") des Schiedsgerichts, welcher ohne mündliche Verhandlung erfolgen sann,235) herbeizuführen ist.

Der

Versicherungsanstalt steht die Anfechtung zu, nachdem ihr zwecks un­ mittelbarer Auszahlung die Sonderausfertigung der Kostenfestsetzung zugegangen ist; in Bezug auf die vom Schiedsgericht ausgezahlten Kosten gilt die Quartalszusammenstellung „als Festsetzung der Kosten im Sinne des § 20 Abs. 1 SchGO".

In beiden Fällen will das RVA.

eine Anfechtungsfrist von einem Monat gelten lassen.235) Gegen den Beschluß des Schiedsgerichts selbst findet Beschwerde an das Reichs(nicht Landes-) Versicherungsamt statt. Sie ist binnen einem Monat nach der Zustellung beim Schiedsgericht einzureichen, welches ent­ weder selbst, wozu es ausdrücklich für befugt erklärt ist, der Be­ schwerde stattgibt oder sie mit einer gutachtlichen Äußerung unter Beifügung der Verhandlungen dem NVA. einreicht. c) Der § 64 Abs. 5 JVG., nach welchem den Beteiligten solche Kosten des Verfahrens zur Last gelegt werden können, welche durch Mutwillen oder durch ein auf Verschleppung oder Irreführung be­ rechnetes Verhalten

derselben veranlaßt worden sind,

findet nach

§ 104 Abs. 5 Ziff. 3 auch auf die gerichtlichen Kosten des schieds­ gerichtlichen Verfahrens Anwendung.

Dabei ist die

„Auferlegung

231) Das ist m. E. der Sinn der Verordnung, wenn sie für die Anfeätung. keine besondere Frist bestimmt; andere Auswege sucht Jsenbart-Spielhrgen. Anm. 4 zu § 20 SchGO. Über „unverzüglich" — „ohne schuldhaftes Zözern" vgl. § 121 BGB. 234) Der Wortlaut der VO. spricht von „Entscheidung";

vgl. oben N. 184.

235) Rundschr. v. 1893 Ziff. 3 Abs. 2. 236) Bestimmungen von 1902 unter IV, 4, 5. Monatsfrist nichts; vgl. oben N. 233.



Die VO. weiß von dieser-

Manches bleibt unklar;

so z. F. die

nähere Behandlung der von einer ersuchten Behörde bereits verauslagten Losten oder das Verfahren im Falle einer nachträglichen durch das Schiedsgericht ober das RVA.

erfolgenden anderweiten Festsetzung bereits

ausgezahlter Beläge.

(Zeugengebühren sind nach der preußischen, bei Hoffmann S. 665 abgedruckten. Geschäftsanweisung v. 2. Febr. 1901 I, 3 spätestens am Schluß der Sitzmg zu. zahlen). - Zu IV, 4 Abs. 2 vgl. noch AN. 03 S. 602 Nr. 1100.

§ 70.

Berufung.

827

der Kosten gemäß § 64 Abs. 5 dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts" zugewiesen. Das weitere, dabei zu beobachtende Verfahren bleibt ungeregelt und ist in hohem Maße zweifelhaft. Eine Auferlegung der Kosten im Urteil, wie sie für den früheren § 74 Abs. 6 G. 89' vom NVA. vertreten rourbe,23’) kann nach der eingetretenen Rechts­ änderung m. E. nicht mehr in Betracht kommen;233) eine Heran­ ziehung des § 178 JVG. aber, wie sie von den meisten Kommen­ tatoren verteidigt wird,233) erscheint ausgeschlossen, weil die Auf­ erlegung von Kosten gemäß § 64 Abs. 5 mit § 104 Abs. 5 JVG. nicht die Festsetzung einer Strafe, sondern nur die Erstattung wirk­ licher Auslagen, wenn auch mit einem gewissen pönalen Charakter,, darstellt (vgl. Bd. I S. 631). Dagegen bin ich geneigt, aus dem Zusammenhange, in welchem die angeführten Vorschriften des Ge­ setzes in § 20 Abs. 3 SchGO. wiederholt werden, den Schluß zu ziehen, daß das Verfahren bei der Festsetzung gerichtlicher Kosten nach § 20 Abs. 1, 2 SchGO. auch hier Anwendung zu finden haben wird. Die auf solche Weise einem Beteiligten zur Last gelegten Kosten sind durch das Schiedsgericht unmittelbar von dem Ver­ pflichteten wieder einzuziehen.*2^) 2. Zu den außergerichtlichen Kosten gehören die Kosten des. persönlichen Erscheinens einer Partei, sofern dasselbe weder an­ geordnet war noch nachträglich vom Gericht als erforderlich für seine Urteilsbildung erachtet roirb,240a) die von der Partei für An­ fertigung von Schriftsätzen, Abschriften, für Beschaffung von Ur-. künden und Gutachten und für Porto gezahlten Beträge, endlich die --') Rundschr. v. 1893 Zisf. 2 mit Rundschr. v. 6. Aug. 1892 Ziff. 10 Abs. 2,. AR. S. 111; noch jetzt z. B. Jsenbart-Spielhagen Änm. 2. *'") Zu berücksichtigen ist namentlich, daß jetzt nicht mehr das Schiedsgerickt, sondern der Vorsitzende die Befugnis zur Kostenauferlegung besitzt und. daß intcr den Beteiligten des § 64 Abs. 5 JVG. nicht mehr bloß, wie nach § 74 Abs. 6 G. 89, die Parteien zu verstehen sind; vgl. oben § 68 N. 70. 2:u) Vgl. z. B. Jsenbart-Spielhagen Anm. 19 zu § 104 mit Anm. 5 za § 178 JVG.; Gebhard-Düttmann Anm. 5 zu § 178. Vgl. dagegen Weymann Anm. 6 zu § 104, welcher annimmt, daß es gegen die Entscheidung beS Jorsitzenden kein Rechtsmittel gibt. 2‘°) Bestimmungen von 1902 unter IV, 6. Indes bezieht sich der dort aLein zitierte § 10 Abs. 4 MG. nur auf die Unfallversicherung; vgl. § 20 Abs. 3 S-chEO. und Weymann Anm. 6 zu § 104. «)a) AN 03 S 553 Nr 1086; vgl. oben N. 121.

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsoerfahren.

Kosten für die Vertretung der Partei durch gesetzliche oder gewillkürte Vertreter, Rechtsanwälte usw?") a) Die Verpflichtung einer Partei, dem Gegner seine außer­ gerichtlichen Kosten zu erstatten, kann nur durch Urteil des Schieds­ gerichts ausgesprochen werden. Das Kostenurteil soll grundsätzlich gleichzeitig mit der Entscheidung in der Hauptsache ergehen und so­ wohl die Kostenerstattungspflicht, wie auch den Betrag der zu er­ stattenden Kosten festsetzen?4-) Ist dies unterblieben, so kann auch in Analogie von § 321 Abs. 1, 4 CPO. eine nachträgliche Ent­ scheidung auf Grund stattgehabter mündlicher Verhandlung erlasien roerben?43) b) Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten darf nur der unterliegenden Partei auferlegt werden?44) Ob und inwieweit eine Partei als unterliegend anzusehen ist, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen, so daß auch ein nur teilweises Obsiegen als aus­ reichende Begründung der Erstattungspflicht in Betracht kommen kann?4') c) Eines Antrages der obsiegenden Partei, die Kostenerstattung auszusprechen, bedarf es nicht, vielmehr hat das Gericht von Amts -wegen zu prüfen, „ob und in welchem Betrage die unterliegende Partei dem Gegner die erwachsenen Kosten zu erstatten hat". Die Verurteilung wird in den Tenor der Entscheidung aufgenommen, anderenfalls zweckmäßigerweise wenigstens in den Gründen das Absehen von einer solchen gerechtfertigt?43) d) Die Festsetzung des Betrages erfolgt nach freiem Ermessen, über welches in den Gründen nähere Angaben zu machen sind. Dabei sind diejenigen Beträge zur Erstattung aufzuerlegen, deren Aufwendung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechts­ verteidigung notwendig war?44) 24') Laß @.558; Zsenbart-Spielhagen Anm. I zu § 21 SchGO. -«1 § 21 Abs. 1 SchGO.; Rundschr. v. 1892 Ziff. 10, Rundschr. v. 1893 Ziff. 7. 24’) Zsenbart-Spielhagen Anm. 6 Abs. 4 zu § 21 SchGO.; Laß S. 563 ff., AN. 93 S. 134 Nr. 281. Vgl. auch unten § 73 X, 2. 244) § 21 Abs. 1 SchGO.; Rundschr. v. 1893 Ziff. 6. Laß S.558. 24») Rundschr. von 1893 Ziff. 6. 24’) Vgl. § 91 CPO.; Handbuch der Unfallversicherung Anm. 12 zu § 18 SchGO. v. 1885; Laß S.558.

e) Speziell „die Gebühren der Rechtsanwälte im Verfahren vor den Schiedsgerichten werden nach § 20 MG. durch Kaiser!. VO. mit Zustimmung des Bundesrats festgesetzt". Dieselbe ist unterm 22. Dez. 1901 ergangen?") Nach ihr bemißt sich die Ver­ gütung eines Rechtsanwalts auf den Betrag von 3—30 M.; außer diesem Pauschquantum kann nur für die Teilnahme an Beweisverhandlungen außerhalb der Gerichtsstätte, wenn die Anwesenheit eines Rechtsanwalts geboten war, eine angemessene Entschädigung zugebilligt werden. Nach § 20 Abs. 2 MG. ist eine Vereinbarung über höhere, als die in der Verordnung festgesetzten Beträge nichtig. Es soll dies auch im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten Honorarverträge über das Maximalmaß hinaus ausschließen; auch soll die allgemeine Fassung der Bestimmung und ihre Formulierung in einem besonderen Absatz anzeigen, daß dieselbe auch für das Verhältnis der Parteien zu anderen Bevollmächtigten, Volksanwälten, Rechtskonsulenten usw. Anwendung finden soll.249) Innerhalb des durch die Verordnung gesteckten Rahmens wird die Höhe der vom Gegner zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühr nach freiem ©messen durch das Schiedsgericht im Urteil festgestellt; für das Verhältnis zwischen dem Anwalt und seiner Partei entscheidet dagegen insoweit die privatrechtliche, eventuell im Wege der Civilklage geltend zu machende Ver­ einbarung?^9) f) Die Beitreibung der von einer Partei zu erstattenden außer­ gerichtlichen Kosten erfolgt durch Vermittlung des Schiedsgerichts in derselben Weise, wie die der Gemeindeabgaben (vgl. oben § 56 I). Das Schiedsgericht ersucht die Gemeindebehörde um Vollstreckung. Doch ist hierzu, anders als mit Bezug auf die Verurteilung, ein Antrag des Forderungsberechtigten nötig (§ 20 Abs. 2 SchGO.).

§ 71. Revision. I. Revision ist dasjenige Rechtsmittel, durch welches der Rechts­ streit über Rentenansprüche von den Schiedsgerichten an das ReichsRGBl. S. 497; AN. 02 S. 177. MS) Komm.Ber. zu § 17a Entw. MG. »>) Laß S. 560; Jsenbart-Splelhagen Anm.ö Abs. 1 zu §21 SchGO.: „Sie regelt nicht usw."

830

IV. Buch. Renten,

m. Kap.:

Fcststellungsverfahren.

versicherungsamt gebracht wird. Geregelt wird dasselbe durch §§ 116, 117 JVG., sowie durch die auf Grund des § 110 Abs. 4 JVG. ergangene Kaiser!. VO. betreffend den Geschäftsgang und das Verfahren des NVA. v. 19. Okt. 1900 (vgl. oben § 29 N. 3), be­ sonders §§ 29 ff., 33 ff. In erheblichem Umfange wird das Rechts­ mittel der Revision von den gleichen Grundsätzen beherrscht, wie das der Berufung; die folgende Darstellung wird daher namentlich die sich ergebenden Abweichungen hervorheben. II. Revisionsgericht ist das Reichsversicherungsamt, unter Aus­ schluß der Landesversicherungsämter (§ 110 Ziff. 4, § 116 Abs. 2 Satz 1 JVG.). Die Entscheidung über die Revisionen erfolgt durch die bei ihm gebildeten Senate, und zwar je nach Lage des Falles durch die ordentlichen Spruchsenate, den verstärkten oder den er­ weiterten Senat einerseits, oder den (verengerten) Beschlußsenat andererseits (vgl. oben § 29 II 1, 4). III. Grundlegend kommt in Betracht: 1. Revisibel d. h. mit der Revision anfechtbar sind die „Ent­ scheidungen des Schiedsgerichts" (§ 116 Abs. 1 Satz 1 JVG.). Es sind dies die Endurteile') desselben, deren Begriff und Umfang oben § 70 VIII, 1—3 festgestellt wurde. Besonderheiten gelten für die Anfechtung der Kostenentscheidungen (vgl. unten Ziff. 4). 2. Das Rechtsmittel der Revision steht beiden Teilen zu .). Schon aus diesen Bedenken rechtfertigt es sich, von § 1367 ganz abzusehen und allein auf dem JVG. zu fußen. Dazu kommt, daß das aus ihm entwickelte Prinzip auch für die Systeme der Güter­ gemeinschaft und hier auch zu Gunsten des Ehemannes seine Wirkung entfaltet. ") AR. 93 S. 114 Nr. 267, AN. 98 S. 321 Nr. 645. 12) Für das Schiedsgericht ausdrücklich die SchGO. § 10 Abs. 3. ») Rundschr. NVA. v. 30. März 1899 (Unfallsache) AN. 99 S. 464 Ziff. 1 Abs. 2 a. E. 14) AN. 93 S. 114 Nr. 267. Stellt sich heraus, daß eine prozeßunfähigPerson Berufung eingelegt hat, so ist der gesetzliche Vertreter um Genehmigung des bisherigen Verfahrens und Eintritt in das Berufungsverfahren zu befragen. Die Genehmigungserklärung kann rechtswirksam auch nach Ablauf der Be­ rufungsfrist eingehen; vgl. das N. 13 zitierte Rundschr. Ziff. 1 Abs. 3. ’») Seelmann ArbV. 02 S. 285, W. S. 786 und ArbV. 03 S. 425. Dort auch Näheres über das Verfahren. lö) Entsch. Nr. 267; UN. 03 S. 395 Nr. 1060 a. E. Ebenso wird auch in den Fällen zu verfahren sein, welche § 241 CPO. voraussetzt; AppeliusDüttmann Anm. I, la a. E. zu § 5 SchGO. 1T) Das Gleiche wird für das NVA. gelten. Die Befugnis wird vom Vor­ sitzenden ausgeübt. Rosin, Recht der Arbelterversicherung. Band IL

des Feststellungsverfahrens, aber nicht zur Empfangnahme von Zahlungen ermächtigt. Die Kosten desselben gelten als außergerichtliche Kosten. Das Auftreten eines gesetzlichen Vertreters im Prozeß hindert nicht, den Vertretenen selbst zu hören und sein Erscheinen zu Klarstellungs- und Beweiszwecken anzuordnen.") Im Falle ein be­ sonderer Vertreter nach § 10 Abs. 4 SchGO. bestellt ist, muß die prozeßunfähige Partei auf ihr Verlangen selbst gehört werden. II. Gewillkürte Vertretung. anerkannt.")

Auch diese ist als zulässig

1. Die Partei kann jede prozeßfähige Person zu ihrem Bevoll­ mächtigten bestellen; ein Anwaltszwangs) besteht in keinem Abschnitt des Verfahrens. Bevollmächtigte und Beistände, welche das münd­ liche Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben (Rechts­ konsulenten) können vom Schiedsgericht und RVA. zurückgewiesen werden?') Die Zurückweisung kann nur im konkreten Falle, nicht allgemein für alle oder auch nur für einen bestimmten Rechts­ konsulenten erfolgen.22) Eine Anfechtung dieser Anordnung findet nicht statt.22) Personen, denen das mündliche Verhandeln vor Gericht durch eine Anordnung der Justizverwaltung gestattet ist, können nicht zurückgewiesen werden (§ 10 Abs. 2 SchGO., § 31 Abs. 2 RVAO.) 2. Für die Rechtsverhältnisse der Vollmacht gilt im allgemeinen das bürgerliche Recht und die CPO. Der Umfang der Vollmacht bestimmt sich nach der Parteiabsicht; zur Auslegung können die Vor18) Laß S. 44. Die präjudiziellen Ladungen sind an den gesetzlichen Ver­ treter zu richten, der für ihre Durchführung zu sorgen hat. ie) Über die Unterzeichnung von Schriftsätzen durch „Bevollmächtigte", sowie über die Anmeldung des Anspruchs durch solche die N. 1 a. E. angeführten Stellen. Gemeindevorstand als „Privatbevollmächtigter" zur Anmeldung, im Gegensatz zu seiner amtlichen Mitwirkung bei Aufnahme des Antrags (AN. 91 S. 163 Nr. 56). Vgl. im ganzen Laß S. 108 ff., 405 ff. 20) Über die Gebühren der Anwälte vgl. oben § 70 IX, 2 litt. e. 21) Die Zurückweisung ist Sache des Kollegiums, nicht des Vorsitzenden: Laß S. 109. 22) Laß S. 109 f. 23) § 157 Abs. 3 CPO.; Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 Abs. 2 zu § 10 SchGO., Appelius-Düttmann Anm. 4.

schriften der §§ 81—83 CPO. herangezogen werben.24) Die Legiti­ mation eines Vertreters ist danach von Amtswegm zu prüfen (§ 10 Abs. 3 SchGO.); die Aufklärungspflicht der Feststellungsinstanzen findet auch hier Anwendung.2') 3. Für das vorbereitende und Bescheidsverfahren bestehen Vor­ schriften über die Form der Vollmacht nicht. Der Bevollmächtigte muß daher hier stets zugelaffen werden, wenn nach der konkreten Sachlage Zweifel über die erteilte Ermächtigung nicht obwaltm können.2') Dagegen erfordert das Verfahren vor den Schieds­ gerichten und dem RVA. eine schriftliche oder zu Protokoll erklärte2') Erteilung der Vollmacht (§ 10 Abs. 1 Satz 2 SchGO., § 31 Abs. 1 Satz 2 RVAO.). Für die auf Grund mündlicher Ermächtigung vor­ genommenen Prozeßhandlungen, insbesondere Rechtsmitteleinlegungen, kann die schriftliche Vollmacht bis zum Urteil nachgebracht roerben; die Rechtzeitigkeit der Einlegung wird dadurch nicht berührt, daß die Vollmacht erst nach Ablauf der Frist beim Gericht eingeht.2') über die Echtheit der Unterschrift entscheidet das freie Ermessen des Gerichts; ein Recht des Gegners auf Beglaubigung im Sinne des § 80 Abs. 1 CPO. wird nicht anerkannt.2') Ehegatten, Aszendenten und großjährige Deszendenten können auch ohne schriftliche Voll­ macht zur Vertretung zugelassen werden (§ 10 Abs. 1 Satz 3 SchGO., § 31 Abs. 1 Satz 3 RVAO.). 4. Für die Prozeßführung ohne Auftrag ist ebenso, wie für das Auftreten eines Bevollmächtigten ohne Beibringung einer Voll­ macht der § 89 CPO. in dem Sinne rezipiert worden, daß „das 24) Allgemein gehaltene Vollmacht ermächtigt zur Einlegung von Rechts­ mitteln, Vollmacht für das Berufungsverfahren nicht zur Einlegung der Revision. Befugnis zur Bestellung eines Substituten und zum VergleichsAbschluß grundsätzlich eingeschlossen (AN. 88 S. 215 Nr. 517; Unfallsache), Laß S. 110, 113 f. 25) AN. 97 S. 317 Nr. 570, AN. 00 S. 721 Nr. 838. 26) Daher bei Vermeidung aufsichtlichen Einschreitens nicht ohne Not und mit der Wirkung einer Verzögerung Beibringung einer Vollmacht zu fordern (AN. 91 S. 163 Nr. 56, AN. 94 S. 31 Nr. 319). Andererseits kann unter be­ sonderen Umständen auch das Erfordern einer Beglaubigung der Vollmacht im Bescheidsverfahren der Anstalt nicht verwehrt werden: Laß S. 112. ”) AN. 00 S. 721 Nr. 838. 28) AN. 92 S. 27 Nr. 112; vgl. analog oben N. 14. -») AN. 88 S. 280 Nr. 545 (Unfallsache).

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsversahren.

Gericht die ohne Auftrag und Vollmacht auftretende Person in der Regel einstweilen zulassen muß". Die Genehmigung der Partei ist dann von Amtswegen herbeizuführen. Danach wird sogar auch dir auftragslose (vgl. N. 28), aber rechtzeitige Nechtsmitteleinlegung voll­ wirksam, wenn die Ermächtigung überhaupt erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gleichzeitig mit der Ausstellung der schriftlichen Voll­ macht erfolgt tft.30) 5. In Bezug auf die Zustellung hat das RVA. die Anwend­ barkeit des § 176 CPO. verneint und danach die Zustellung an die Partei selbst auch daun für rechtswirksam erklärt, wenn ein zur Empfangnahme ermächtigter Bevollmächtigter vorhanden ist.3') Da­ gegen ist § 189 Abs. 1 CPO. für das Feststellungsverfahren an­ genommen und auch auf den Fall erstreckt worden, wo es sich um eine Zustellung an eine Person handelt, die zugleich in eigenem Namen und als Vertreter eines Beteiligten auftritt.33) III. Rechtsnachfolge. Es kommt hier der Eintritt des Ehe­ gatten oder der Erben nach § 41 Abs. 4 und die Einzelnachfolge unter Lebenden nach § 55 Abs. 1, 3 JVG. in Betracht. 1. Eine Anmeldung des Rentenanspruchs durch den Ehegatten oder die Erben des Versicherten kommt gemäß dem oben § 67 II, 3Entwickelten nicht in Frage. Ist aber das Verfahren durch den Antrag des Ansprechers selbst bereits in Gang gebracht, so sind die genannten Rechtsnachfolger nach Maßgabe der in ihrer Person zu­ treffenden Voraussetzungen (vgl. oben a. a. O. litt, a und b) „zur Fortsetzung des Verfahrens berechtigt". 2. Zunächst wird mit dem Tode des Ansprechers das Fest­ stellungsverfahren gemäß § 239 Abs. 1 CPO. und zwar, abweichend von § 246 CPO. auch im Falle einer Vertretung desselben durch einen Prozeßbevollmächtigten,33) unterbrochen. Die Wirkungen der Unterbrechung bestimmen sich nach § 249 CPO. Ein während der Unterbrechung des Verfahrens in Unkenntnis von dem Tode 3°) AN. 97 S. 317 Nr. 570, AN. 00 S. 721 Nr. 838. 3l) Laß S. 111; Zsenbart-Spielhagen Anm. 16 zu § 112 ZVG. DieErmächtigung zur Empfangnahme von Zustellungen gilt als erteilt, wenn sie: in der Vollmacht nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist; vgl. Laß a. a. O. 31) AN. 92 S. 133 Nr. 185. 33) AN.87 S. 166 Nr. 368 (Unfallsache); Zsenbart-Spielhagen Anm. 10 Abs. 2 zu § 114 3VG.

des Ansprechers erlassenes d. h. verkündigtes Urteil ist regelmäßig nichtig.34) War der Ansprecher nach Verkündigung des Urteils, aber vor der Zustellung, verstorben, so ist die letztere an den Ehe­ gatten oder die Erben zu bewirken.36) Bei dem Bescheid, bei welchem eine Verkündigung nicht stattfindet, tritt dagegen die Zu­ stellung an die Stelle der letzteren, so daß ein in Unkenntnis von dem inzwischen erfolgten Tode an den Ansprecher gerichteter und z. B. dem Bevollmächtigten oder den Erben zugestellter Renten­ bescheid ohne rechtliche Wirkung ist.36) 3. Die Aufnahme des Verfahrens, gleichviel in welcher Lage sich dasselbe befindet,3') steht zunächst den Rechtsnachfolgern zu. Eine Ermittlung der letzteren durch die Feststellungsinstanz, um ihnen die Ausnahme anheimzustellen,36) ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht als Pflicht begründet.36) Die Aufnahme steht bei mehreren Erben auch einem einzelnen von ihnen zu, bedarf aber jedenfalls einer ausdrücklichen Erklärung in Form eines an die Instanz zu richtenden Antrags?6) Das aufgenommene Verfahren geht in regel­ mäßigem Gange weiter; insbesondere ist jetzt den Berechtigten der noch ausstehende förmliche Bescheid zu erteilen?') 4. Auf der anderen Seite tarnt42) aber auch die Anstalt das Verfahren gegen die, in diesem Falle natürlich von ihr zu er34) Handbuch der Unfallversicherung Anm. 4 Abs. 1 a. E. zu § 4 SchGO.; dazu § 249 Abs. 3 CPO. за) Jsenbart-Spielhagen Anm. 16 a. E. zu § 114; über eine Konsequenz, welche sich daraus zu § 44 ZVG. ergibt, vgl. unten. зб) Das ist wohl auch der Standpunkt von Jsenbart-Spielhagen, wie er sich aus Anm. 4 Abs. 2 zu § 170 JVG. und Anm. 5 zu § 10 SchGO. ergibt, während die allerdings bedenkliche Fassung von Anm. 18 Abs. 2 zu § 112 ZVG. wohl nur auf den Fall der Aufnahme zu beziehen ist. Vgl. auch noch analog oben § 71 N. 19, sowie über die Zustellung des Bescheides als Aufnahmeakt unten N. 46. Daß ein beschlossener, aber nicht mehr zugestellter Bescheid zu Gunsten der Erben keine Rechtskraft begründet, vgl. oben § 72 N. 5. 3;) AN. 93 S. 141 Nr. 288. 38) Mit eventueller Belehrung über die Rechtslage, besonders im Hinblick auf den etwa konkurrierenden § 44 Abs. 4 ZVG. (AN. 00 S. 840 Nr. 862 a. E.). 39) AN. 95 S. 238 Nr. 444 mit AN. 91 S. 164 Nr. 57. ") AN. 95 S. 238 Nr. 444. 41) AN. 91 S. 164 Nr. 57, AN. 93 S. 76 Nr. 230, S. 142 Nr. 289. ") „Bei dringendem Grunde" (AN. 93 Nr. 230 S. 76 Abs. 3 a. E.).

870

IV.

Buch. Renten.

III. Kap.:

Feststellungsverfahren.

mittelnden, Rechtsnachfolger aufnehmen?') Dabei finden die Abs. 2—4 des § 239 CPO.44) keine Anwendung, derart, daß die Beendigung der Unterbrechung bereits mit der Aufnahmeerklärung des Vorstandes an die betreffende Instanz eintritt.45) Schwebt das Verfahren beim Vorstande selbst, so wird es durch unmittelbare Be­ scheidserteilung aufgenommen.45) 5. Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob diejenigen Personen, von welchen oder gegen welche das Verfahren aufgenommen worden ist, gemäß den materiellrechtlichen Vorschriften des § 41 Abs. 4 JVG. oder des „bürgerlichen Rechts" wirklich als Rechts­ nachfolger legitimiert sind, bildet einen Jnzidentpunkt des Fest­ stellungsverfahrens und ist als solcher in diesem zur Entscheidung zu bringen.44) Doch wird es auch für zulässig erachtet werden können, daß die den Rentenanspruch anerkmnende Entscheidung bei begründetem Zweifel oder entstehendem Streite die Person des empfangsberechtigten Rechtsnachfolgers dahingestellt läßt, worauf die Anstalt gemäß § 372 BGB. den Betrag hinterlegen und die Aus«) AN. 93 S. 73 Nr. 230, S. 141 Nr. 288 und besonders AN. 98 S. 322 Nr. 649. ") Wohl aber Abs. 5; vgl. Jsenbart-Spielhagen Anm. 16 zu § 112. ") AN. 98 S. 322 Nr. 649. ") Doch kann die Anstalt den nach § 44 Abs. 4 zu begründenden Er­ stattungsanspruch nicht elidieren, „indem sie von ihrer prozessualen Befugnis, das durch den Tod des Versicherten unterbrochene Rentenverfahren ihrerseits aufzunehmen, Gebrauch macht und ohne Antrag die Rente zuerkennt, vielleicht weil diese niedriger ist, als die Beitragserstattung" (AN. 98 Nr. 664 S'. 370 Abs. 2). Auch wenn der Erstattungsanspruch der Witwe niedriger ist, als der für dieselbe nach § 41 Abs. 4 begründete Rentenanspruch, soll doch nicht von Amts wegen zur Feststellung des letzteren geschritten werden (AN. 00 S. 840 Nr. 862); vgl. oben N. 38. — Schwebt das Verfahren bei der Rentenstelle oder einer höheren Instanz, so wird der Anstalt die Aufnahmebefugnis, auch wenn § 44 Abs. 4 in Frage steht, nicht verweigert werden dürfen; die Sache liegt hier für die Erstattungsberechtigten doch nicht anders, wie wenn die Rechts­ nachfolger gemäß § 41 Abs. 4 die Aufnahme erklären (vgl. für jetzt Mot. Abs. 3 a. E. zu § 31 Entw. ZVG.). ") AN. 93 S. 141 Nr. 288; vgl. auch AN. 00 S. 610 Nr. 798. Wird der Anspruch durch Bescheid abgewiesen, so muß die Begründung ergeben, warum der Nachweis der Rechtsnachfolge nicht als geführt erachtet worden ist; vgl. a. a. O. S. 142 Abs. 2. — Beiladung Beteiligter von Amts wegen: Laß. S. 125 ff. Aussetzung des Verfahrens: oben § 70 N. 131.

§ 73. Besonderheiten des Verfahrens.

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tragung der Sache vor den Civilgerichten den Beteiligten überlaffen samt.48) 6. Daß in den Fällen des § 55 Abs. 1 und 3 JVG. auch der Bewilligungsanspruch auf dritte Personen übergehen und daher auch von ihnen im Feststellungsverfahren verfolgt werden kann, ist be­ reits oben in § 67 N. 45 zur Sprache gekommen. Die daraus sich ergebenden Besonderheiten des Verfahrens werden sich eng an die­ jenigen anschließen, welche bei Geltendmachung des Üeberweisungsanspruchs von Armenverbänden usw. nach § 49 ff. JVG. eintreten und später zur Darstellung gelangen werden. Nur werden Streitig­ keiten, welche sich auf die Tatsache und dis Höhe des Rechtsüber­ ganges beziehen, hier nicht in dem jetzt durch § 50 Abs. 3 JVG. neu geregelten Verfahren, sondern im Wege des Civilprozeffes ihre Erledigung zu finden haben.48) IV. Unzuständigkeit und Prorogation. Unzweifelhaft und in der Praxis des NVA. anerkannt ist, daß die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit der Schiedsgerichte (vgl. oben § 70II) zwingender Art sind und einer Abänderung durch Parteiberedung nicht unterliegen?8) Dagegen hat das RVA. für die Zuständigkeit des Anstaltsvorstandes unter der Herrschaft des G. 89 allerdings angenommen,8') daß dieselbe, so wie sie im Gesetz bestimmt ist, „weder eine unbedingte, noch eine ausschließliche" ist. Vielmehr sei bei sinngemäßer Anwendung von § 38 CPO. davon auszugehen, daß auch eine an sich für die Entscheidung unzuständige Anstalt durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung zuständig werden kann, und eine solche Vereinbarung sei ohne weiteres dann ") So nach Analogie von AN. 98 S. 636 Nr. 697 Abs. 3. 40) Ebenso, wie dies nach § 35 G. 89 auch bei den Ansprüchen der Armen­ verbände der Fall war (AN. 95 S. 229 Nr. 436). Die von der früheren Praxis des näheren hierzu sowie zu § 8 UVG. (jetzt aber § 26 Abs. 2 GUVG.) entwickelten Grundsätze werden analog in Betracht zu ziehen sein; vgl. Handbuch der Unfallversicherung zu § 8 UVG. und Laß S. 354 ff. 30) AN. 98 S. 320 Nr. 643, AN. 01 S. 403 Nr. 896 a. E. — Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen, event, noch durch die Revisionsinstanz, letzteres nach Analogie von AN. 02 S. 509 Nr. 995 (vgl. oben § 70 N. 49). Revisions­ grund: § 551 Ziff. 4 CPO., aber nicht Wiederaufnahmegrund (Schmidt, Lehrbuch S. 573). ") AN. 94 S. 119 Nr. 349; vgl. auch AN. 95 S. 212 Nr. 421, auch die N. 50 zitierte Entsch. Nr. 643.

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IV. Buch. Renten. III. Kap.: Feststellungsverfahren.

anzunehmen, wenn eine Anstalt, ohne ihre Unzuständigkeit hervorzu­ heben, eine sachliche Entscheidung über den Rentenanspruch getroffen fjat.52) Hiernach hat das NVA. im Resultat den Einwand der Un­ zuständigkeit verworfen, den eine Anstalt in der Berufungsinstanz erhoben hatte, nachdem sie selbst aus sachlichen Gründen einen ab­ lehnenden Bescheid erteilt hatte. Die Ändemngen, welche die gesetzlichen Bestimmungen über die Anstaltskompetenz im JVG. erfahren haben (vgl. oben § 66 R. 4), können an sich keinen Grund abgeben, diese auf allgemeine Er­ wägungen gestützte Praxis zu verlassen?') Was aber diese letzteren selbst anbetrifft, so ist es allerdings nicht ohne erhebliche Bedenken, die sog. prorogatio fori, welche schon im Civilprozeß eine auf positiver Gesetzesvorschrist beruhende Ausnahme ist, auf das dem Verwaltungsrecht angehörige Feststellungsverfahren zu übertragen?*) Allein das praktische Resultat, zu dem das NVA. in den (N. 51) angeführten beiden Entscheidungen gelangt, rechtfertigt sich auch ohne allgemeine Herübernahme des Prorogationsinstituts aus der eigentümlichen Natur des Feststellungsbescheides, welcher auch bei materiell ablehnendem Inhalte ein der Rechtskraft fähiges An­ erkenntnis der fornralen Verpflichtung, zum Antrage sachlich Stellung zu nehmen, enthält, bei welchem die Anstalt vom Ansprecher im Interesse der Rechtssicherheit, auf welche er sich verlassen durfte, fest­ gehalten werden kann?') Daraus ergibt sich aber zugleich, daß über jenes praktische Resultat hinaus die Ausführungen des RVA. 82) Hier sollte augenscheinlich die Analogie von § 39 CPO. Platz greifen. 53) Dementsprechend halten auch die Kommentare zum ZVG. an der bis­ herigen Praxis fest; so Gebhard-Düttmann Anm. 14 Schlußabsatz, Graß­ mann Abs. 8, Weymann Anm. 16 zu § 112. Bei Jsenbart-Spielhagen Anm. 8 Schlußabsatz, Anm. 12 Abs. 4 zu § 112, Anm. 1 a. E. zu § 5 SchGO. ist es nicht ganz sicher, ob sie etwa den bisherigen Standpunkt des RVA. infolge der neuen Zuständigkeitsbestimmungen verwerfen (so werden sie von W. in ArbV. 03 S. 408 verstanden), oder ob sie, was wahrscheinlicher ist, nur hervorheben wollen, daß diejenigen Ausführungen der zitierten Erkenntnisse, welche direkt die §§ 75 ff., 99 G. 89 betreffen, ihre praktische Bedeutung ver­ loren haben. Gegen die bisherige Praxis W. in ArbV. 03 S. 406 ff. ") Vgl. die entsprechenden Ausführungen im Erk. preuß. OVG. v. 23. Zuni 1879, Bd. 5 S. 469; Schmidt, Civilprozeß S. 226. 55) Dazu Bd. I S. 764 und oben § 72 N. 5 a. E. Das Urteil enthält eine Art rechtskräftiger, auch die übrigen Anstalten bindender, formaler Zugehörigkeits­ feststellung des Versicherten zu der bescheidenden Anstalt; vgl. Bd. I S. 751, 782.

§ 73. Besonderheiten des Verfahrens.

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Mer die Prorogation keine weitere Anwendung auf Fälle erhalten können, für welche die hier gegebene Begründung nicht zutrifft. Daher gibt es keine verbindliche, auf sein eigenes früheres Einverständnis .gestützte Prorogation gegen den Widerspruch des Versicherten;56) beim Verfahren vor entscheidenden Rentenstellen findet § 38 CPO. keine Anwendung, und namentlich können die Zuständigkeitsbestimmungen für das vorbereitende Verfahren durch keinerlei Willensbestimmung des Versicherten und der beteiligten Anstalten durchbrochen werden?') Nur das wird man als Konsequenz aus der Zuständigkeitswirkung des Anstaltsbescheides anzunehmen haben, daß mit Eintritt derselben rückwärts auch die Zuständigkeit des vorbereitenden Verfahrens mit allen an sie geknüpften materiellen Rechtswirkungen99) begründet toitb.59) V. Für die Ausschließung und Ablehnung der Richter bei den Schiedsgerichten und dem Reichsversicherungsamt99) sollen nach § 4 SchGO. und § 34 RVAO. die Bestimmungen in den •§§ 41 ff. CPO. entsprechende Anwendung finden. 1. Die Vorschriften des § 41 CPO. über die Gründe, aus denen ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschloffen ist, sind in der Praxis des RVA. folgendermaßen zur 56) Abweichend Gebhard-Düttmann und Weymann a. a. O. 37) Im Gegensatz dazu möchte Wey mann a. a. O. die Anstalt für ver­ pflichtet erachten, die von der vorbereitenden Behörde angenommene Zu­ ständigkeit ohne Nachprüfung für sich gelten zu lassen. 68) Vgl. § 41 Abs. 1, 3, 4; vgl. oben § 66 IV, 2, 3, § 67 II, 3c. 50) Dabei wird von dem Falle (vgl. N. 57) ausgegangen, daß eine un­ zuständige Anstalt gemäß § 112 Abs. 2 JVG. mit dem Antrag befaßt worden ist, weil derselbe von einer unzuständigen unteren Verwaltungsbehörde usw. vorbereitet wurde. Es ist aber auch der andere Fall denkbar, daß die vor­ bereitende Behörde zuständig war, aber den Antrag nicht an die nach § 112 Abs. 2 für sie in Betracht kommende, sondern an eine fremde Versicherungsanstalt abgegeben hat (vgl. W. in ArbV. 03 S. 407). Auch hier greift der Grundsatz der N. 51 zitierten Entscheidungen Platz. Die Einwendungen W.'s S. 408 a. E. erledigen sich wohl dadurch, daß sich die Zuständigkeit des Schiedsgerichts gemäß § 114 Abs. 2 JVG. nicht nach der Anstalt, sondern nach der vorbe­ reitenden Stelle bestimmt (vgl. oben § 70 II). Endlich sei noch bemerkt, daß der Grundsatz von der Zuständigkeitswirkung des Anstaltsbescheides auch in denjenigen Fällen Platz greifen muß, in denen beim Wiedereröffnungs-' und Wiederaufnahmeverfahren die Anstalt ohne vorheriges Gutachten Bescheid erteilt (vgl. oben § 72 III, 5 und N. 49, 51). 60) Dazu im ganzen Laß S. 141 ff.

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IV. Buch. Renten,

m. Kap.: Feststcllungsverfahren.

Geltung gelangt: Mit Bezug auf Ziff. 1 hat sich das RVA. der Auffassung des Reichsgerichts9') dahin angeschlossen, daß die hier vorausgesetzte Mitbeteiligung des Richters am Rechtsstreite eine un­ mittelbare sein muß, so daß der Richter für seine Person, nicht aber als gesetzlicher Vertreter eines Anderen,9') in die Lage kommen kann, sei es als mitberechtigt in der Sache zu klagen, sei es als mit­ verpflichtet (Mitschuldner, Bürge) bezw. regreßpflichtig93) beklagt zu werden. Das bloße, wenn auch erhebliche Interesse am Ausgange der Sache reicht nicht hin und kann höchstens einen Grund zur Ab­ lehnung abgeben. Dagegen würde gemäß Ziff. 4 der Vertreter eines Armenverbandes wegen § 49 Abs. 2 JVG. ausgeschlossen sein, vorausgesetzt jedoch, daß in dieser Sache der Überweisungsanspruch des Verbandes bereits zur Geltung gelangt ist.6**) Zu Ziffer 5 hat das RVA. im Hinblick auf § 193 GVG. den im schiedsgerichtlichen Verfahren tätig gewesenen Dolmetscher von der Mitwirkung als Beisitzer ausgeschlossen.99) Im Übrigen hat es die Bestimmung6S) auch dann für anwendbar erklärt, wenn nicht eine förmliche Ver­ nehmung vor Gericht stattgefunden hat?') Die Vorschrift der Ziffer 6 wird, was die Besetzung des Schiedsgerichts anlangt, durch die allgemeine Jnkompatibilitätsbestimmung des § 104 Ziff. 1 JVG. gedeckt;99) des Weiteren kommt in Betracht, daß die Tätigkeit der unteren Verwaltungsbehörden und der bloß begutachtenden Renten­ stellen nicht als „entscheidende" im Sinne der Ziffer 6 anzu­ sehen ist?9) 2. Die Frage, ob „Besorgnis der Befangenheit" vorliegt (§ 42 CPO.) ist nach den Verhältnissen des einzelnen Falles zu be«') Entsch. Bd. 7 S. 34. *2) Hier eines Armenverbandes; vgl. unten N. 64. 63) So wäre z. B. als Arbeitgeberbeisttzer ausgeschlossen, wer bei Ablehnung des Rentenantrags auf Schadensersatz wegen unterlassener Markenverwendung haftbar wäre; vgl. oben § 45 I, 4. «) AN. 94 Nr. 355 S. 124 Abs. 4 und 5. M) AN. 01 S. 401 Nr. 895. w) Ausschluß eines Zeugen vom Beisitzeramt (AN. 93 S. 53 Nr. 209, AN. 94 S. 30 Nr. 318; vgl. oben § 70 N. 158). 67) Einholung einer schriftlichen Auskunft des Arbeitgebers über körperliche Leistungsfähigkeit (AN. 97 S. 471 Nr. 605). 68) Über deren Auslegung vgl. oben § 28 N. 15, 16, 29. Mitwirkung beim Feststellungsbescheid einer zugelassenen Kasseneinrichtung (AN. 93 S. 156 Nr. 305). °v) AN. 92 S. 53 Nr. 143, AN. 94 S. 124 Nr. 355 vorletzter Absatz.

urteilen.70) Dabei ist nicht bloß die Anwendbarkeit des § 43 CPO. angenommen, sondern auch festgestellt worden, daß eine Ablehnung jedenfalls dann nicht mehr möglich ist, wenn die Instanz, in welcher der Richter mitgewirkt hat, beendet ist.7') 3. Das Verfahren bei Ablehnung eines ausgeschlossenen oderbefangenen Richters (§§ 44 ff. CPO.) ist durch die angeführten Ver­ ordnungsbestimmungen wesentlich modifiziert worden. Wird ein Mitglied des RRA. abgelehnt, so entscheidet über das Ablehnungs­ gesuch der betreffende Senat durch Beschluß. Auch beim Schieds­ gericht erfolgt die Entscheidung durch Beschluß, welcher, wenn das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt roirb,72) in Abweichung: von § 46 Abs. 2 CPO. nicht für sich allein,72) sondern nur mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden sann.74) Wird ein Beisitzer abgelehnt, so beschließt der Vorsitzende allein;75)' wird der Vorsitzende abgelehnt, so beschließt das Gericht ohne tijnr wobei der dem Lebensalter nach älteste Beisitzer den Vorsitz führt und bei Stimmengleichheit das Gesuch für verworfen gilt. VI. Aus die voranstehenden, die Partei- und Gerichtsverhält­ nisse betreffenden Erörterungen folgen jetzt die das Verfahren selbst angehenden Besonderheiten. Zunächst die Verbindung mehrerer Prozesse. In Bezug hierauf hat das NVA. für die Berufungs-> wie auch für die Revisionsinstanz die entsprechende Anwendbarkeit von §§ 147, 150 CPO. anerkannt. Dabei wurde das Vorliegen eines „rechtlichen Zusammenhanges" z. B. in dem schon (oben § 72: N. 24) erwähnten Falle angenommen, wenn von dem Ansprecher so­ wohl gegen den ersten, wie auch gegen den im Laufe des Ver­ fahrens ergangenen Wiedereröffnungsbescheid Berufung eingelegt wurde. In einem anderen Falle wurden die Altersrentensachen ’°) Beispiele aus der Praxis in Unfallsachen bei Laß S. 145. >•) AN. 98 6. 316 Nr. 1714 (Unfallsache), AN. 94 S. 124 Nr. 355 Schluß­ absatz. ’2) Wird es für begründet erklärt, so findet schon nach § 46 Abs. 2 CPO. kein Rechtsmittel statt. ") Namentlich nicht durch Beschwerde aus § 33 SchGO.; vgl. oben § 28 N. 60 (AN. 88 S. 207 Nr. 508; Unfallsache). M) Revision: vgl. oben § 71 91. 9 und die in den vorangehenden Noten, besonders N. 65, angeführten Entscheidungen. Wiederaufnahme: oben § 72 N. 55. ,5) Keine Provokation auf Gerichtsbeschluß!

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Fcststellungsverfahren.

zweier Eheleute mit einander verbunden, in denen beiden ein verficherungsverpflichtiges Arbeitsverhältnis zum gemeinschaftlichen Sohne in Frage staub.76) Auch gleichzeitig erhobene Ansprüche derselben Person auf Invaliden- und Altersrente werden zweckmäßig ver­ bunden werden.77) Die Verbindung zum Zweck der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung erfolgt durch das Gericht d. h. deffen Kollegium, kann aber vorläufig auch durch dessen Vorsitzenden im Wege der ihm zustehenden vorbereitenden Tätigkeit veranlaßt werden.76) VII. Klageänderung. In der wahlberechtigten Absicht, dem Ansprecher möglichst rasch die ihm vom Gesetz zugedachte Für­ sorge zu gewähren,76) hatte schon die frühere Praxis des RVA. es ausgesprochen, daß „die Grundsätze der CPO. über die Unzulässigkeit der Änderung des Klagegrundes (§ 235 Abs. 2 Nr. 3, § 489) im Fest­ stellungsverfahren der Arbeiterversicherung nicht mit gleicher Strenge zur Anwendung kommen könnten".66) Für dieses Prinzip bleibt auch gegenüber den an sich milderen Vorschriften der neuen CPO. § 264, 527 Raum. Hiernach wird es dabei zu verbleiben haben, daß wenigstens noch in der Berufungsinstanz der Ansprecher auch ohne Einwilligung der Anstalt seinen Anspruch vertauschen6') und sowohl in der Berufungsschrift, wie auch noch in der mündlichen Ver­ handlung 62) statt der Invaliden- die Altersrente und umgekehrt ’“) AN. 99 S. 641 Nr. 770 Abs. 2, 3. Ähnliches muß wohl auch im Falle AN. 92 S. 133 Nr. 185 (vgl. oben N. 32) vorgelegen haben, weil das eheliche Verhältnis unter zwei Rentenansprechern wohl kaum als ein rechtlicher Zu­ sammenhang der Ansprüche selbst angesehen werden könnte. ”) Vgl. dazu oben § 62 V, 1; Appelius-Düttmann Anm. 2 Abs. 5 zu § 11 SchGO. *») Laß S. 88, 419, 477. ,e) Das RVA. (AN. 93 S. 52 Nr. 207) gründet auch die Zulässigkeit der Klageänderung aus das Prinzip der materiellen Wahrheitserforschung, welches aber doch an sich nur dahin führen würde, die materielle Wahrheit hinsichtlich des rechtshängig gewordenen Anspruchs zu erforschen; vgl. oben § 70 N. 8. eo) So die N. 79 zitierte Entsch. Nr. 207, Nr. 986 (Unfallsache).

gestützt auf AN. 91 S. 219

•') Vgl. dazu aber Schmidt, Lehrbuch des Civilprozeßrechts, ErgänzungSheft 6.114. M) Aber Anhörung der Gegenpartei! AN. 95 S. 35 Nr. 405; vgl. oben § 70 N. 133.

§ 73. Besonderheiten des Verfahrens.

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fordern bars.83) Doch wird, wenn nicht die Anstalt den neuen Anspruch anerkennt,8^) bei der erhöhten Bedeutung, welche das neue JVG. dem Gutachten der unteren Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle beilegt,83) das letztere vor dem Urteil bei Vermeidung der Revision nachgeholt werden müssen.86) Durch die Zulässigkeit einer Anspruchsvertauschung wird aber natürlich um so mehr die Zu­ lässigkeit einer Anspruchserweiterung durch Zurückschiebung des be­ antragten Rentenbeginns83) und einer veränderten Anspruchs­ begründung88) gedeckt. Dagegen ist in der Revisionsinstanz wegen der beschränkten Natur des Rechtsmittels die Klageänderung in jedem Sinne ausgeschlossen,86) soweit ihr nicht durch die eintretende freie Beurteilung der Weg geöffnet wird.66) M) AN. 93 S. 52 Nr. 207, AN. 95 S. 35 Nr. 405, AN. 96 S. 396 Nr. 528, S. 471 Nr. 535; vgl. auch AN. 99 S. 558 Nr. 747. Rentenbeginn bei Anfpruchsvertauschung: vgl. oben § 66 N. 31. 84) Vgl. oben § 70 N. 211 mit § 68 N. 59. AN. 96 S. 471 Nr. 535: Nichtanhörung der Vertrauensmänner (§ 75 G. 89) wegen der zuletzt ge­ forderten Invalidenrente „bei vollständigem und bedenkenfreiem Einverständnis unter den Beteiligten". 85) Vgl. oben § 68 N. 56—58. Anders in Betreff der Äußerung der unteren. Verwaltungsbehörde über die zuletzt geforderte Altersrente AN. 93 S. 52 a. E. Nr. 207; vgl. aber die N. 84 zitierte Entsch. Nr. 535. 86) Die Kommentare stellen diese Forderung regelmäßig nicht auf; vgl. ausdrücklich (wegen der Zuziehung der Laienvertreter) Jsenbart-Spielhagen Anm. 2 Abs. 3 zu § 59 JVG. Gegenüber Gebhard-Düttmann. Anm.2 litt. d Abs. 2 zu § 18 SchGO. fügen aber doch App elius - Düttmann Anm. 2 litt. d Abs. 1 gu § 19 SchGO. hinzu, „das Schiedsgericht müsse die wesentlichen Erfordernisse der Vorbereitung direkt nachholen lassen". Aber das Wesentlichste der Vorbereitung ist doch das Gutachten der den Ver­ hältnissen des Ansprechers nächststehenden unteren Bebörde. Vom Standpunkteder Kommentare aus müßte man die Nachholung der Vorbereitung (vgl. oben § 70 V, 6) überhaupt fallen lassen, sobald einmal die Sache an das Schieds­ gericht gediehen ist. — Die Zurückweisung der Sache in die 1. Instanz zwecks Erteilung eines Bescheides ist dagegen nicht nötig, da die Anstalt in ihrer Ver­ teidigung durch die Klageänderung nicht beschwert wird (AN. 93 S. 52 Nr. 207). Auch die entscheidende Rentenstelle wird sich hier ausnahmsweise auf die Be­ gutachtung zurückzuziehen haben. M) Vgl. schon oben § 67 N. 14. Dazu oben § 70 N. 59 a mit 209. 8e) Für die Anspruchsvertauschung AN. 95 S. 36 Nr. 406; für die Anspruchs­ erweiterung oben § 67 N. 14; für die veränderte Begründung oben § 71 N. 4 a. b0; Vgl. oben § 71 VII, 3, 4; Gebhard-Düttmann Anm. 6 a. E. zu § 117 JVG.

VIII. Verfahren bei Aufrechnung. Die materiellen Er­ örterungen über die Aufrechnung") haben ergeben, daß dieselbe, je nach den Umständen, sowohl dem Bewilligungs- als auch dem Be­ zugsanspruch entgegengesetzt werden kann. Genau genommen gehört nur das Verfahren im ersten Falle an diese Stelle des Werkes, während der zweite sich inhaltlich als Einstellung der Rentenzahlung qualifiziert; doch sollen des Zusammenhanges wegen beide Fälle hier behandelt werden. 1. Das Gesetz enthält keinerlei Vorschriften über das Ver­ fahren bei Aufrechnung, und Praxis wie Theorie haben bisher zu sicheren und unanfechtbaren Resultaten nicht geführt. Eingehender hat nur Weymann die Frage behandelt??) Er kommt zunächst für ben Fall der Aufrechnung „auf Ersatzforderungen für bezogene Ent­ schädigungen, soweit der Anspruch auf diese nach § 54 JVG. auf die Versicherungsanstalt übergegangen ist" (vgl. oben § 67 IV, 1) zu dem Ergebnis, „daß über die Frage der Zulässigkeit der Auf­ rechnung an sich nur die Instanzen der Invalidenversicherung, über die Frage der Begründetheit der zur Aufrechnung gestellten Forderung nur die ordentlichen Gerichte zu befinden haben" woraus dann gesolgert wird, „daß, wenn die Instanzen der Invalidenversicherung .die Ausrechnung als an sich zulässig anerkennen, der aufzurechnende Betrag zu hinterlegen ist, bis die ordentlichen Gerichte die Auf­ rechnung als begründet anerkannt haben". „Hinsichtlich der Wieder­ einziehung von zu Unrecht gezahlten Rentenbeträgen im Wege der Aufrechnung würde an sich das gleiche gelten müssen"; doch meint in Bezug aus diesen und die übrigen Fälle Weymann selbst an­ nehmen zu müssen, daß sich das RVA. nach seinen bisherigen Äußerungen seiner Auffassung nicht anschließen werde. Auch ich halte und zwar für alle Fälle, das von Wey mann verfochtme Verfahren als nicht im Sinne des Gesetzgebers liegend. Es ist umständlich und widerspruchsvoll/?) auch nicht genügend be»') § 55 Abs. 2 33$®.; vgl. oben § 67 IV. 82) Anm. 1 zu § 54, Sinnt. 10 zu § 55 ZV®. °3) Vgl. dazu Weymann selbst Anm. 1 Schlußabsatz zu § 54. 3m übrigen möge nur noch auf die unbefriedigende Stellung hingewiesen sein, welche in dem Weymann'schen Verfahren die Hinterlegung des aufzurechnenden Be­ trages einnimmt. 3st sie eine Pflicht oder nur ein Recht der Anstalt? Nach Anm. 10 Abs. I zu § 55 „ist zu hinterlegen". Aber wozu, da doch die Anstalt

§ 73. Besonderheiten des Verfahrens.

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grünbet94) und führt im praktischen Resultate dazu, baß die positive Durchführung der Aufrechnung von der Art der Gegenforderung abhängig ist und mit ihr wechseln müßte.99) Im Gegensatz dazu halte ich den durch § 55 Abs. 2 begründeten Aufrechnungsanspruch als solchen für einen einheitlichen, in „sondergesetzlicher Bestim­ mung"99) wurzelnden, durch welchen ausnahmsweise, aber im all­ gemeinen öffentlichen Interesse die Rentenpflicht der Versicherungs­ anstalten in bestimmtem Umfange verneint wird. Daraus ergibt sich aber grundsätzlich, daß der ganze Aufrechnungsanspruch9Z) im Sinne des Gesetzgebers zu demselben Verfahren zu verweisen ist, welches für die positive Feststellung jener Rentenpflicht gegeben ist, sodaß die Frage des Bestehens der Gegenforderung, welche Wey­ mann ausschließen will, nur einen Jnzidentpunkt für die auf Be­ jahung oder Verneinung der Rentenpflicht gerichtete Entscheidung abgibt. Es schließt sich diese Auffaffung eng an diejenige an, sicher ist? Nach Anm. 1 Abs. 4 zu § 54 aber ist die Anstatt zur Hinterlegung nur „befugt". Aber dann wird sie dieselbe unterlassen, da sie ja nach Wey-rnann nicht hinterlegt, um sich von einer anerkannten Schuld zu befreien, °') AN. 94 S. 162 Nr. 392, AN. 96 S. 429 Nr. 533; auch AN. 93 S. 76 a. E. Nr. 230 mit Weymann Arnn. 10 zu § 55. 108) Gebhard-Düttmann Anm. 16 Ziff. 6 zu Nr. 10 der preuß. Ver­ fahrensanweisung ; oben § 68 N. 34. 108) Durch eine Klausel im Bescheid selbst kann daher nicht, wie GebhardDüttmann Anm. 8 Abs. 4 zu § 55 wollen, die Berufungsfähigkeit ausgeschlossen werden. — Über die jetzt abweichende Praxis des NVA. vgl. oben N. 98 a. E. 107) Vgl. oben § 67 I. Spezielle Anwendungsfälle: Vertragsmäßige Ver­ zichte auf Einlegung der Berufung, oben § 70 N. 65; Rücknahme der Berufung auf Grund eines vertragsmäßigen Verzichts oder Vergleichs, oben § 70 N. 71; Verzicht auf die Rechtskraft durch den Bezugsberechtigten, oben § 72 N. 15. 108) Über Form und Inhalt oben § 67 N. 23. Vor Erstattung des vor­ bereitenden Gutachtens wird wohl ein Vergleich nicht zulässig sein. 10e) AN. 94 S. 127 Nr. 357 (oben § 67 N. 22); dazu aus dem Gebiete der Unfallversicherung AN. 92 S. 329 Nr. 1179 und die dort zitierten Entscheidungen; AN. 97 S. 466 Nr. 1648 (vgl. oben § 67 N. 15).

§ 73. Besonderheiten des Verfahrens.

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Falle der Einlegung von Rechtsmitteln, vor den höheren Instanzen hat der Ansprecher Gelegenheit, den Vergleich nach Maßgabe des materiellen Rechts anzufechten,"") während er mangels solcher Ansechtungsgründe an denselben gebunden bleibt.'") Bei völligem Verzicht auf den Rentenanspruch, welcher einer Rücknahme der An­ meldung gleichsteht, bedarf es eines abweisenden Bescheides nicht;"') doch ist auch hier ein solcher pflichtmäßig zu erteilen, sobald Streit über den Inhalt oder die Giltigkeit des 'Verzichts entsteht."') Ebenso bedarf es jedenfalls eines Bescheides, wenn eine festgestellte Rente auf Grund eines Verzichts entzogen werden soll.'") Ist nach Erlaß eines Bescheides ein Vergleich geschloffen, durch welchen der Ansprecher gegen das Versprechen eines neuen Bescheides auf ein Rechtsmittel gegen den früheren oder das ihn bestätigende Er­ kenntnis verzichtet, so entspringt daraus für die Anstalt die Pflicht zur Erteilung des neuen Bescheides im versprochenen Sinne."') 110) Unbeschadet der von Amts wegen zu berücksichtigenden Verbotswidrigkeit durch die höheren Renteninstanzen und des aufsichtsamtlichen Einschreitens. Eine Ausschließung der Berufung im Vergleich und dementsprechend im Bescheid ist gegen Gebhard-Düttmann Anm. 18 zu § 112 zweifellos unzulässig. "') Laß S. 138. m) Er könnte, wie Gebhard-Düttmann a. a. O. hervorheben, im Hin­ blick auf § 120 JVG. dem Versicherten auch Nachteil bringen. "2) Laß S. 135. ,14) AN. 97 S. 4G0 Nr. 1648 (Unfallsache; vgl. oben N. 110). Hier vollzieht sich der Übergang in die Materie des Entziehungsverfahrens. m) Vgl. den Fall in AN. 99 S. 445 Nr. 722. Es liegt hier eine Art Wiedereröffnung des Verfahrens vor, welche aber ihre besondere rechtliche 'Grundlage in dem vorher abgeschlossenen Vergleiche findet. Daher besteht hier ausnahmsweise (vgl. oben § 72 N. 25) eine Pflicht zur Wiedereröffnung für die Anstalt. Daher wird man aber auch andererseits annehmen müssen, daß^ wenn (anders als in dem zitierten Falle Nr. 722) die Anstalt im Vergleich sofort eine bestimmte Rente zugesagt und der Ansprecher diese angenommen hat, der letztere und entsprechend die höheren Instanzen in dem wiedereröffneten Verfahren (vgl. dagegen oben § 70 N. 20), abgesehen von Anfechtungsgründen, sachlich an die vergleichsmäßigen Feststellungen gebunden sind. Will man hierin einen Widerspruch mit den oben § 72 III, 2 gegebenen Ausführungen finden, welcher durch die Tatsache der verbindlichen Mitwirkung des Versicherten beim Vergleiche nicht völlig ausgeglichen werde, so ist derselbe doch nicht größer, -als im Falle der verbindlichen Kraft eines Vergleichs vor jeder Bescheids­ erteilung, und notwendig mit der Zulassung von Parteidispositionen (Ver­ gleichen) in einem sozialpolitischen Fürsorgeverfahren gegeben. Gegen offen*

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

Dasselbe gilt bei Abschluß eines Vergleiches über Wiedereröffnung: des Verfahrens nach rechtskräftiger Beendigung eines früheren. 2. Von gerichtlichen Verzichtleistungen und Vergleichen im Berufungsverfahren handeln die §§ 15 und 16 Abs. 2 Ziff. 1 SchGO. Über die Aufnahme derselben in das Protokoll der münd­ lichen Verhandlung und Verlesung des letzteren ist bereits oben § 70 VI, 5 gesprochen worden. Verzichtleistungen bilden in gleicher Weise wie Anerkenntnisse (vgl. oben § 70 VIII, 5) die Grundlage für ein ihnen entsprechendes Urteil,"6) so daß sich die Prüfung ihrer formellen und materiellrechtlichen Giltigkeit schon innerhalb des Ver­ fahrens vollzieht. Gegen das Urteil finden die gewöhnlichen Rechts­ mittel statt. Beim Vergleich dagegen ergeht ein Urteil nicht; '"} er tritt an Stelle des Urteils, ohne daß jedoch gegen ihn dasRechtsmittel der Revision stattfände."6) Soll aber der vor einem Schiedsgericht abgeschloffene Vergleich angefochten werden, so hat nach der Praxis des RVA. in Unfallsachen"6) doch das Schieds­ gericht zunächst auf Antrag oder auf Ersuchen des RVA. eine förm­ liche Entscheidung zu erlassen, welche dann mit der Revision an­ gefochten werden kann. Für Vergleiche und Verzichtleistungen in. der Revisionsinstanz wird nach den unvollständigen Bestimmungen in § 37 Abs. 1 RVA. Entsprechendes zu gelten haben. X. Berichtigung und Ergänzung von EntscheidungenHierüber sind ausdrückliche Bestimmungen nur für das RVA. in §§ 45, 46 RVAO. getroffen. 1. Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Un­ richtigkeiten, welche in einem Urteile des RVA. vorkommen, sind jederzeit auch von Amts wegen zu berichtigen. Über die Berichtigung kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die Be­ tz are Benachteiligungen bleibt auch der Versicherte in allen Fällen gemäß den. oben § 67 N. 16, 21 angenommenen Grundsätzen geschützt. Daß der Vergleich die Erteilung eines ungünstigeren Bescheides nicht vorbehalten darf, ist bereitsoben § 72 N. 15 (vgl. hier N. 107) ausgesprochen. *i«) AN. 94 S. 126 Nr. 356. «') AN. 92 S. 128 Nr. 177: vgl. oben § 70 N. 210. Ein die Berufung, erledigender Vergleich soll sich nach § 15 SchGO. auch aus die etwaigen außer­ gerichtlichen Kosten erstrecken. Anders bei Vergleichen, die sich nur auf einenstreitigen Punkt (z. B. Rentenbeginn oder Rentenhöhe) beziehen^ »«) und "«) Vgl. Laß S. 138-

vichtigung erfolgt durch Beschluß, welcher ausschließlich von dem Vorsitzenden und denjenigen Mitgliedern des Senats, die das Urteil unterzeichnet haben (§ 43 RVAO., vgl. oben § 71 VII, 1) erlassen und auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt wird (§ 45 RVAO.). Die grundsätzlichen Bestimmungen dieser Vor­ schrift entsprechen dem § 319 Abs. 1, 2 CPO., besten analoge'An­ wendung auf das Berufungsverfahren des RVA. schon früher mehr­ fach ausgesprochen tiatte.120) Die Berichtigung hat hier „von dem Gerichte", jedoch nicht notwendig in derselben Besetzung,'2') zu er­ folgen. Gegen den Beschluß des Schiedsgerichts, durch welchen ein Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet nach § 319 Abs. 3 CPO. kein Rechtsmittel statt. Gegen den Beschluß, welcher eine Berichtigung ausspricht, findet nach der CPO. die „sofortige Beschwerde" statt, welche das Rentenverfahren nicht kennt; es dürfte statt dessen die einfache Beschwerde nach § 33 Abs. 2 SchGO. zu­ zulassen sein.'22) Statt des Antrags auf Berichtigung kann auch, wie im Civilprozeß, gegebenenfalls das Rechtsmittel der Revision gegen das Urteil eingelegt werden.'22) Richt unter den Begriff der Berichtigung fällt eine durch die schriftliche Ausfertigung herbei­ geführte Korrektur einer anders verkündeten Entscheidung, bei welcher ein materieller Irrtum in der Erkenntnis und im Willen des Richters unterlaufen war. Ein solches Urteil ist im Wege der Re­ vision zu beseitigen.'") Im Falle der erfolgten wirklichen Be­ richtigung läuft die Revisionsfrist gegen den unberichtigten Teil des Erkenntnisses vom Tage der ursprünglichen Zustellung an.'22) Analoge Grundsätze, wie in der Berufungsinstanz, werden auch für 1M) AR. 93 S. 70 Nr. 227, AN. 94 S. 120 Nr. 351, AN. 95 S. 32 Nr. 402, AN. 99 S- 452 Nr. 732. Laß S. 236 Ziff. 6. ---) Ebenso Laß S. 238. Zn AN. 92 S. 329 Nr. 1178 (Unfallsache) wird die Frage der Beschwerde dahingestellt gelassen; AN. 93 Nr. 227 S. 71 Zeile 6 spricht von einer Revision gegen den Berichtigungsbeschluß. m) Vgl. die oben § 71 N. 5 zitierten Entscheidungen. ,M) AN. 94 S. 120 Nr. 351. Hier wird in der Ausfertigung ein anderer Anfangstermin der Rente festgestellt, weil bei dem mündlich verkündigten eine bescheinigte Krankheit übersehen war. m) Keine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist, weil der Anstaltsvorstand wegen der Berichtigung eine Zeit lang die Ausfertigung ■ und seine Akten hatte entbehren müssen (AN. 93 S. 70 Nr. 227).

die Berichtigung der erstinstanzlichen Bescheide zu gelten haben. ,26> Eine Berichtigung des Tatbestandes analog dem § 320 CPO. hat das NVA. nicht für anwendbar erachtet;'2') sie kann danach in keiner Instanz Platz greifen. 2. Wenn in einem Urteil des NVA. ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch oder der Kosten­ punkt l28) ganz oder teilweise übergangen ist, so ist, aber im Gegen­ satz zur Berichtigung nur auf Antrag, ein nachträgliches Ergänzungsurteil129) zu erlassen. Dasselbe wird hier durch den vollständig be­ setzten Senat gesprochen l3°) und auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt. Über den Antrag kann ohne vor­ gängige mündliche Verhandlung entschieden werden, soweit es sich um einen Nebenanspruch oder den Kostenpunkt handelt (§ 46 RVAO.). Die Bestimmung entspricht dem § 321 CPO., läßt aber die dort in Abs. 2, 3 vorgeschriebenen Formalien und namentlich die einwöchige Frist nach der Zustellung des Urteils, binnen welcher die Ergänzung beantragt werden muß, fallen. Die Vorschriften des § 46 NVA. in Verbindung mit § 321 CPO. werden auch für das schiedsgerichtliche und das Bescheidsverfahren mit gewissen beider­ seitigen Modifikationen Anwendung zu finden haben. Danach wird in der schiedsgerichtlichen Instanz mangels einer ausdrücklichen Aus­ nahmevorschrift, wie sie § 46 RVAO. enthält, in allen Fällen eine mündliche Verhandlung dem Nachtragsurteil voranzugehen haben.'2') 126) Beschwerde an die Aufsichtsinstanz wegen Berichtigung durch den Vor­ stand; vgl. im ganzen Laß S. 234, 238. ,27) AN. 93 S. 69 Nr. 226, bezüglich auf eine abgelehnte Tatbestandsberichtigung in der Berufungsinstanz. Gründe: Das in der Hauptsache schrift­ liche Verfahren und die Heranziehung des ganzen Akteninhalts in der Revisions­ instanz. Es findet danach nur Revision statt, bei welcher zu prüfen, ob die Unrichtigkeit des Tatbestandes einen so wesentlichen Mangel des Verfahrens darstellt, der die Aufhebung des Urteils rechtfertigt. 128) Vgl. über diesen schon oben § 71 N. 30. ,26) So richtiger als „Ergünzungsbeschluß", wie § 46 Schlußsatz RVAO. sagt. Vgl. § 517 Satz 2 CPO. und Reincke, Kommentar, 4. Aust., zu § 321. Auch AN. 93 S. 134 Nr. 281 spricht von einem schiedsgerichtlichen „Nachtrags­ urteil". Dazu aber über die unsichere Praxis auf dem Gebiete der Unfall­ versicherung Laß S. 240 f. 13°) Appelius-Düttmann zu § 46 RVAO. m) Vgl. oben § 70 N. 243 und die dort zitierte Ansicht von ZsenbartSpielhagen, aber wiederum auch Laß S. 240 f.

§ 73.

Besonderheiten des Verfahrens.

887

Dagegen wird andererseits die Praxis des NVA. in Unfallsachen, wonach in dm unteren Instanzen die Ergänzungsentscheidung auch ohne Parteiantrag in die Wege geleitet werdm kann, auch auf das Gebiet der Invalidenversicherung übertragen werden sönnen.132) Eine Frist für einen etwaigm Antrag besteht auch hier nicht.'33) Für die Rechtsmittel gegen die ursprüngliche, und die nachträgliche Entscheidung findet § 517 CPO. entsprechende Anwendung.'3') XI. Zustellungen. Alle Entscheidungen, für deren An­ fechtung eine bestimmte Frist gesetzt ist, insbesondere also auf dem Gebiete des Feststellungsverfahrens die Rentenbescheide, die Schieds­ gerichtsurteile und die Vorbescheide der Schiedsgerichtsvorsitzenden,'33) müssen zugestellt werdm, damit dadurch der Beginn des Fristmlaufes bekundet werde.'333) Gegenstand der Zustellung ist die be­ treffende Entscheidung, deren Übereinstimmung mit dm gesetzlichen Formvorschristen vorausgesetzt.'33) Alle Zustellungm in Arbeiter­ versicherungssachen erfolgen von Amts wegen; auf sie kann durch die Parteien nicht verzichtet werden.'3') Zu richten sind die Zustellungm an die empfangsberechtigte Partei; bei geschäftsunfähigen Personen an deren gesetzlichen Vertreter (vgl. oben I). Mehrere Personen, welche eine Partei bilden, sowie Streitgenoffen erfordern je eine gesonderte Zustellung.'33) Für die Form der Zustellung sind in § 170 JVG. einige Bestimmungen getroffen, nach denen sich folgendes ergibt: '«) AN. 97 S. 407 Nr. 1637 (Unsallsache); Laß S. 240, 565. 3» AN. 93 6. 134 Nr. 281 wird (nur) berichtet, daß das schiedsgerichtliche Nachtragsurteil auf Antrag ergangen sei. ---) Laß S. 240. >") Laß S. 241 f. i3») Die Bedeutung des § 170 ZVG. reicht aber über das Feststellungs­ verfahren hinaus. Vgl. ein Verzeichnis der sonst noch in Betracht kommenden Entscheidungen bei Gebhard-Düttmann Anm. 2 Abs. 1. i35») Ist das Datum der Zustellung überhaupt nicht nachweisbar, so kann das eingelegte Rechtsmittel nicht als fristwidrig behandelt werden; vgl. die oben § 70 91. 43 zitierten Entscheidungen. »«) Anders, wenn z. B. das vorgeschriebene Siegel mangelt oder durch „L. S.“ ersetzt ist; Laß S. 252. »') AN. 93 S. 139 Nr. 285. “») AN. 87 S. 38 Nr. 297 (Unfallsache). Zustellung an den gemeinschaft­ lichen Bevollmächtigten und Stellung des Bevollmächtigten bei der Zustellung überhaupt; vgl. oben II, 5. Wirkung des Todes auf die Zustellung: oben N. 35, 36.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststellungsverfahren.

1< „Zustellungen, welche den Lauf von Fristen bedingm, können durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes erfolgen". Es handelt sich hier um diejenige Art der Sendung, welche nach § 13 der jetzt gütigen Postordnung vom 20. März 1900 zur Post auf­ gegeben und nach § 39 Ziff. I mit VII bestellt trab.130) Für das Nähere sind danach die postalischen Vorschriften, einschließlich der ergangenen Ausführungs- und Dienstvorschriften maßgebend. Sie entscheiden namentlich darüber, an welche Personen, „wenn der Empfänger oder sein Bevollmächtigter in der Wohnung nicht an-getroffen wird", die Ersatzzustellung mit Rechtswirkung geschehen darf."3) Bewiesen wird die Zustellung durch die Empfangs­ bescheinigung,"') welche nach § 39 X der Postordnung diejenige Person, an welche die Bestellung erfolgt, für die Post zu vollziehen hat. Die betreffende Auskunft wird im Streitfälle dem RVA. und den Schiedsgerichtsvorsitzenden von den Postanstalten erteilt, insofern die Anftagen ersehen lassen, daß es sich um Berufungen, Re­ visionen usw. in Arbeiterversicherungssachen handelt; aus dem Tage der Posteinlieferung darf der Zeitpunkt der Zustellung nicht ohne weiteres gefolgert werden."3) Erst nach Ablauf von zwei Jahren seit ihrer Ausstellung'") begründen Posteinlieferungsscheine nach einer jetzt'") in das Gesetz aufgenommenen Bestimmung die Ver­ mutung für die in der ordnungsmäßigen Frist nach der Einlieferung erfolgte Zustellung, welche indessen durch Gegenbeweis des Adressaten widerlegt werden kann. 13e) Für Bayern vgl. Graßmann Anm. 1. 14°) Eine Reihe von Entscheidungen des RVA. behandeln zweifelhafte Punkte. So Begriff der „Wohnung" AR. 97 S. 317 Nr. 571 mit AN. 93 S. 172 Nr. 1223 sUnfallsache). „Erwachsenes Familienglied": AN. 90 S. 190 Nr. 817 (Unfallsache). Bestellung an die Ehefrau eines im Krankenhause be­ findlichen Ansprechers in dessen Wohnung: AN. 99 S. 447 Nr. 725. Näheres hierzu, wie überhaupt, bei Laß § 44 und im Handbuch der Unfallversicherung ju § 110 UVG. Über Wiedereinsetzung wegen schuldloser Unkenntnis der Er­ satzzustellung vgl. unten XI, 1. 149 Nicht notwendig, aber natürlich zulässig, ist das Erfordern eines Rück­ scheins; vgl. §§ 26, 39 IX der Postordnung. 142) AN. 99 S. 446 Nr. 724. 143) Die Frist erklärt sich dadurch, daß nach Ablauf derselben die Empfangs­ bescheinigungen bei der Post vernichtet werden; Mot. Abs. 1 zu § 139 Entw. ZVG. m) Vgl. dagegen früher AN. 98 S. 322 Nr. 648.

§ 73.

Besonderheiten des Verfahrens.

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2. Wie das Wort „können" in § 170 Satz 1 erweist, ist die Zustellung durch Einschreibebrief nicht ausschließend; vielmehr sind auch alle anderen gesetzlich geregelten Zustellungsarten, insbesondere neben denjenigen der Postordnung auch diejenigen der Civilprozeßordnung"") einheitlich als rechtsgiltige Zustellungen anzusehen."") Auch noch darüber hinaus ist ganz allgemein „jede Art der Zu­ stellung, durch welche die Tatsache und das Datum des Empfanges des zuzustellenden Schriftstückes ersichtlich gemacht wird, für aus­ reichend erachtet" worden."') Im Zusammenhange damit steht dann der weitere, das Zustellungswesen im Sinne des Gesetzes er­ leichternde Satz, daß, auch wenn die erfolgte Zustellung nach Maß­ gabe der für sie geltenden gesetzlichen oder reglementarischen Vor­ schriften rechtsunwirksam wäre, dieselbe doch mit dem Zeitpunkte als bewirkt gilt, mit welchem der Adressat nachweislich und in dem Bemußtsein der durch das zuständige Organ erfolgten Zustellung in den Besitz des Schriftstücks gelangt ist."8) Für den Fall, daß der Adressat die Annahme des Schriftstücks verweigert, kommen zunächst die für die betreffende Zustellungsart geltenden Normen in Betracht, insofern dieselben auch in diesem Falle noch eine als Zustellung zu erachtende Handlungsweise ermöglichen."8) Im übrigen hat der »«) §§ 208 ff. CPO.: Zustellung durch den Gerichtsdiener oder die Post mit Zustellungsurkunde (§§ 25, 40 Post-O). 14 8) AN. 03 S. 474 Nr. 2004: Rechtsgiltige Zustellung an den Hauswirt nach § 181 Abs. 2 CPO. "y AN. 92 S. 23 Nr. 107, AN. 94 S. 32 Nr. 320. Demnach weitere Zu­ stellungsformen, z. B. Übersendung durch einen Boten mit Empfangsbestätigung, Behändigung zu Protokoll einer Behörde, z. V. des Bürgermeisters (vgl. Mit­ teilungen des bayr. LVA. Bd. 1 S. 8 Nr. 4), Übersendung unter Beifügung einer Rückpostkarte. Vgl. Jsenbart-Spielhagen Anm. 3 Abs. 1, Anm. 4 Abs. 4; Gebhard-Düttmann Anm. 3 mit Appelius-Düttmann Anm. 1 III zu § 5 SchGO.; Graßmann Anm. 1; dazu die N. 140 angeführten Stellen bei Laß und im Handbuch der Unfallversicherung. ne) So in Abweichung vom Civilprozeßrechte in einem Falle, wo die Zu­ stellung an die Hauswirtin erfolgt war, nachdem der Adressat seinen Wohnort bereits verlegt hatte (AN. 94 S. 32 Nr. 320). m) Vgl. § 186 CPO., nach welchem bei Weigerung „ohne gesetzlichen Grund" das Schriftstück am Orte der Zustellung zurückzulassen ist. Vgl. die Bezugnahme hierauf in § 40 Post-O. (Bestellung der Briefe mit Zustellungs­ urkunde); dagegen § 45 I, 2.

Satz zu gelten, daß eine schuldhafte Annahmeverweigerung dem Empfange gleich zu behandeln ist.'50) 3. Personen, welche nicht im Jnlande ihren dauernden Auf­ enthalt haben/") können nach dem Ermessen der die Zustellungen bewirkenden Behörden oder Organe von denselben aufgefordert werden, einen Zustellungsbevollmächtigten im Jnlande zu bestellen. Die Aufforderung, in welcher eine bestimmte Frist gesetzt sein muß, ist dem Betreffenden zuzustellen. Verläuft die Frist fruchtlos, so kann die Zustellung durch öffentlichen Aushang während einer Woche in dm Geschäftsräumen der zustellenden Behörden oder Organe ersetzt werden. Die Zustellung durch Aushang findet gleichfalls Anwendung, wenn der Aufenthalt des Empfängers, gleichviel ob im Auslande oder auch im Jnlande,"") unbekannt und nicht zu er­ mitteln'^) ist. XII. Wiedereinsetzung gegen Fristversäumnis. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung prozeffualischer Notfristenl54) ist aus der CPO. §§ 233 ff. in das Fest­ stellungsverfahren durch die Praxis des NVA. herübergenommm worden.'33) 1. Als Gründe für die Wiedereinsetzung hat das RVA. gemäß § 233 CPO. störende Naturereignisse, unabwendbare Zufälle und ähnliche, außerhalb des Willens liegende objektive Umstände an­ erkannt l3°) und dieselben auch auf dem Gebiete der Invaliden,5°) Mot. Abs. 3 zu § 139 JVG. mit Jsenbart-Spiel Hagen Anm. 3 f. und Gebhard-Düttmann Anm.4 Abs.5. Das Gesetz sagt „wohnen"; vorübergehendes Verlaffen des Inlandes genügt nicht. Das meinen wohl Zsenbart-Spielhagen Anm. 7. '«-) Festzuhalten gegen AN. 91 S. 164 Nr. 57 Abs. 2. 1M) Vgl. § 155 Abs. 3 GUVG. Die Auslegung, welche das RVA. in AN. 03 S. 594 Nr. 2028 dieser Bestimmung gegeben hat, wird auch auf das Gebiet der Znvalidenverficherung zu übertragen sein. ,M) Das sind die Berufungsfrist, die Reoisionsfrist, die Frist sür den An­ trag auf mündliche Verhandlung bei abweisendem Vorbescheid des Schiedsgerichtsvorsttzenden und die Fristen für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Nicht dazu gehören die materiellen gesetzlichen Ausschlutzfristen, z. B. die des § 42 JVG. (AN. 96 S. 359 Nr. 523). m) So zunächst aus dem Gebiete der Unfallversicherung; vgl. Handbuch S. 344, 351, Latz § 30. Verweisung auf das Unfallrecht in AN. 92 S. 27 Nr. 113. »') AN. 92 S. 27 Nr. 113, AN. 93 S. 138 Nr. 284.

Versicherung mehrfach im einzelnen näher Bestimmt.117) Zweifelhaft ist neuerdings geworden, ob schon die Tatsache an sich, daß die Partei von der Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat, zur Begründung der Wiedereinsetzung im Feststellungsverfahren aus­ reichen soll.111) Die CPO. kennt in § 233 Abs. 2 diesen Restitutions­ grund nur in dem Spezialfall der Einspruchsfrist bei Versäumnisurteilen; dagegen stellt ihn die Strafprozeßordnung. § 44 Satz 2" und nach ihr der § 112 Satz 2 des preuß. LVG. allgemein dem „unabwendbaren Zufall" gleich. Die Motive Abs. 3 Satz 1 zu § 139 Entw. JVG. meinen, es „beständen in der Praxis keine Zweifel mehr barüBet, daß die allgemeinen Grundsätze der Wieder­ einsetzung Anwendung finden, wenn der Empfänger ohne sein Ver­ schulden von der Zustellung keine oder verspätete Kenntnis erhalten hat". Ob aber die hier in Bezug genommenen „allgemeinen Grund­ sätze" dahin führen würden, das mangelnde Verschulden allein dem unabwendbaren Zufall gleichzustellen, ist doch sehr zweifelhaft. Diefrühere Praxis des RVA. „hat diesen Satz in seiner Allgemeinheit nicht aufgenommen";l19) doch würde man es allerdings im Hinblick auf den fürsorgenden Charakter des Feststellungsverfahrens119) als gerechtfertigt erachten können, wenn das Amt hier den angeführten Grundsatz des Straf- und Verwaltungsrechtsverfahrens, im Gegen­ satz zur CPO., rezipierte.'11) Geschieht es, so wird trotzdem die Restitution zu verweigern sein, wenn der Adressat die geschehene Zu­ stellung vermuten mußte, ohne die gebotenen Erkundigungen an157) Krankheit als Restitutionsgrund, wenn nach billiger Beurteilung (t>gL Weymann Anm. 13 zu § 114) dieselbe zur Besorgung der Rechtsangelegenheiten, auch durch Dritte unfähig machte (AN. 92 S. 27 Nr. 113, S. 133 Nr. 187» AN. 93 S. 138 Nr. 284). Störung im Postbetriebe, wenn sich der Betreffende nicht gerade auf die letzte planmäßige Beförderungsgelegenheit verlassen hatte (AN. 00 S. 723 Nr. 840, AN. 02 S. 511 Nr. 997). Ein Beispiel eines nichL anerkannten Grundes vgl. oben § 125. Über die Praxis der Unfallversicherung, im einzelnen Laß S. 162 ff. m) Wichtig für die Fälle der Ersatzzustellung, der Zustellung an Zustellungs-bevollmächtigte, des öffentlichen Aushangs. «») So nach Laß S. 161 Anm. 1, dazu die beiden bei Weymann Anm. 1 zu § 170 aus der Anlage zum „Kompaß" zitierten Entscheidungen. Die, Re­ kursentscheidung AN. 03 S. 475 Nr. 2004 läßt die Frage gleichfalls dahingestellte "o) Vgl. dazu oben § 70 N. 6, 8. "*) Dasselbe wünscht Weymann a. a. O.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.: Feststcllungsverfahre».

^üftetten.162) Dagegen darf ein Versehen oder Verschulden des Er­ satzmannes nicht ohne weiteres dem Adreffaten selbst zur Last gelegt werben.163) 2. Das Gesuch um Wiedereinsetzung muß bei derjenigen Instanz eingereicht werden, welche über die nachgeholte Prozeßhandlung zu entscheiden hat (§ 237 CPO.), und zwar das Restitutionsgesuch wegen versäumter Berufungsfrist, infolge der Eigenart des Rechts­ mittels der Revision, auch dann beim Schiedsgericht, wenn bereits dessen Urteil auf Zurückweisung der verspäteten Berufung ergangen ist.164) Die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 CPO.166) hat in­ dessen das RVA. nicht aufgenommen, vielmehr nur verlangt, daß das Restitutionsgesuch in einer nach den Verhältnissen zu be­ urteilenden, angemessenen Frist eingereicht werde.166) Gegen die Entscheidung über dasselbe findet in keinem Falle ein besonderes Rechtsmittel (Beschwerde) statt; vielmehr finden für die Anfechtung die Vorschriften Anwendung, welche für die nachgeholte Prozeß­ handlung gelten.161)

XIII. Eine Besonderheit des Feststellungsverfahrens, welche aber auch über dessen Rahmen hinaus wirksam wird, ist die in § 171 JVG. angeordnete „Gebühren- und Stempelfreiheit". 1. Zugesichert wird gewissen Schriftstücken die Freiheit von Ge­ bühren und Stempelabgaben. Gebühren166) sind öffentlichrechtliche Abgaben, welche aus Anlaß besonderer Inanspruchnahme öffentlicher Organe oder Anstalten zu zahlen sind. Stempelabgaben sind gewisse >«r) So die Rekurs-Entsch. in der Kompaß-Anlage IX S. 71 Z. 133 (hier nach dem Gesamtregister für 1886—99 zitiert). >«) Entsch. des preuß. DBG. v. 2. März 1894, Bd. 26 S. 430. 1M) AN. 92 S. 27 Nr. 113. Wird der Antrag auf Wiedereinsetzung ein? gereicht, nachdem bereits das Berufungsverfahren eingeleitet, so muß derselbe vor der mündlichen Verhandlung dem Gegner mitgeteilt werden (AN. 93 S. 137 Nr. 283); vgl. oben § 70 N. 99. '“) Ebensowenig die Frist des § 235 Abs. 3 CPO., und zwar auch nicht für das Restitutionsgesuch des Anstaltsvorstands, weil die gedachte Bestimmung ein Zustellungswesen mit Parteibetrieb voraussetzt. >«*) AN. 92 S. 133 Nr. 187; vgl. oben § 70 N. 6, 8. «’) § 238 Abs. 2 CPO.; AN. 88 S. 207 Nr. 508 (Unfallsache): Laß S. 167. “*) Auch „Sporteln" vielfach genannt; vgl. § 81 der württ. Vollzugs-VO. v. 25. Nov. 1899.

§ 73.

Besonderheiten des Verfahrens.

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.Verkehrssteuern, welche in der Form einer Verwendung von Stempel­ zeichen erhoben werben.169) Gleichgiltig ist, an wen die Gebühr zu entrichten wäre, ob an eine Staats- obere andere öffentliche Kasse oder auch an die Privatkasse eines öffentlichen Funktionärs."6) Ent­ scheidend dagegen ist der öffentlichrechtliche (steuerrechtliche) Charakter der Forderung. Daher ist z. B. der § 171 JVG. „in seiner An­ wendung auf Physikatsatteste dahin aufgefaßt worden, daß die be­ amteten Ärzte, wenn sie nicht in ihrer Eigenschaft als öffentliche Beamte eine ihnen obliegende Bescheinigung ausstellen, sondern als ärztliche Sachverständige ein Gutachten erstatten, dieses Gutachten zwar stempelfrei, jedoch nicht unentgeltlich auszustellen haben", weil jenes Entgelt keine „öffentliche Abgabe, vielmehr eine reine Privat­ forderung darstellt"."1) Ausgeschlossen sind ferner nur Abgaben für die Herstellung, nicht für die Beförderung der in § 171 genannten Schriftstücke; Portofreiheit ist ihnen damit nicht zugesichert."6) Da­ gegen ist wiederum auch die Tätigkeit der deutschen Behörden im Auslande, z. B. der Konsularbehörden"6) oder der Behörden der Schutzgebiete int Nahmen des § 171 gebührenfrei gestellt. 2. Nach § 171 Satz 1 sind „alle zur Begründung und Ab­ wickelung der Rechtsverhältnisse zwischen den Versicherungsanstalten einerseits und den Arbeitgebern oder Versicherten andererseits er­ forderlichen schiedsgerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen und Urkunden gebühren- und stempelfrei". Die Bestimmung soll im weitesten Umfange den ganzen Verlauf der Invalidenversicherung, sowohl auf der Seite der Aktivität wie der Passivität, umfassen und m) v. Stengel. Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts Bd. I S. 466. bezw. II S. 543. • 15°) Gebhard - Dutt mann Sinnt. 2, Gratzmann Sinnt. 1. m) AN. 91 S. 137 Nr. 24. Das gleiche gilt natürlich noch mehr von Attesten der Privatärzte. In dieser Beziehung kann die Fassung bei GebhardDüttmann Anm. 7 Mißverständnis erregen m) Es gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze, wonach Portofreiheit nur für Sendungen von oder an Reichsbehörden in reinen Reichs-Dienst­ angelegenheiten, ausschließlich der Stadtpostsendungen, besteht. Schiedsgericht« sind in dieser Beziehung keine Reichsdehörden (Dgl. oben § 28 31. 46 mit Bd. I S. 733 31. 26). Nur der Schriftwechsel der Vorsitzenden mit dem NVA. aus Anlaß der Übersendung der Geschäftsberichte ist portofrei: Handbuch der Unsallverficherung Sinnt. 3 zu § 102 UVG. m) Vgl. den im Handbuch Sinnt. 1 a. E. zitierten Erlaß des Reichskanzlers o. 2l. Okt. 1892.

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IV. Buch. Renten.

III. Kap.:

Feststellungsverfahren.

alle Verhandlungen, sowie Urkunden befreien, welche von der ersten Ausstellung der Quittungskarte an durch das Beitragsverfahren hin­ durch bis zur endgiltigen Feststellung und Befriedigung der An­ sprüche an die Versicherungsanstalten aufgenommen, ausgestellt und verwendet werden müssen. Die Beiworte „schiedsgerichtlich und außergerichtlich"'") lassen nur die Verhandlungen und Urkunden der ordentlichen streitigen und freiwilligen Gerichtsbarkeit unberührt, so daß z. B. für die zu Jnvalidenzwecken nötig werdende Aus­ stellung eines Erbscheins oder die Einleitung einer Pflegschaft die gesetzlichen Gebühren verfallen."") Zu den „Urkunden" sind namentlich in übereinstimmender Praxis stets die standes- und pfarramtlichen Zeugnisse über die Personenstandsverhältnisse ge­ rechnet worden."6) Begünstigt sind aber nur die Rechtsverhältnisse zwischen den Anstalten einerseits und den Versicherten'") oder ihren Arbeitgebern andererseits; diejenigen zwischen Arbeitgebern und Ver­ sicherten selbst"8) oder zwischen den verschiedenen Anstalten oder zwischen letzteren und ihren Organen oder Angestellten können Ge­ bühren- und Stempelfreiheit nur auf Grund besonderer landes­ gesetzlicher Bestimmungen in Anspruch nehmen."") 3. Der zweite Satz des § 171 enthält die letztgedachte Be­ schränkung nicht.'"") Er befreit vielmehr schlechthin „privatschriftliche Vollmachten und amtliche Bescheinigungen, welche auf Grund dieses Gesetzes zur Legitimation oder zur Führung von Nachweisen m) „Außergerichtlich" bedeutet also nicht „außerschiedsgerichtlich"; vgl. Jsenbart-Spiel Hagen Anm. 4 gegen Just Anm. 2 zu § 140 G. 89. Hin­ sichtlich des RVA. genügt § 19 Abs. 1 MG. m) Hiermit stimmen die Kommentare zum JVG. überein. Daß die Ver­ handlungen der Rentenstellen zu den „außergerichtlichen" im Sinne des § 171 gehören, konstatieren die Mot. zu § 140 Entw. JVG. Hinsichtlich derjenigen der Verwaltungsbehörden vgl. § 81 der württ., § 8 Abs. 4, § 38 Abs. 4 der dadischen Vollzugs-VO. ”6) AN. 91 S. 124 Nr. 12, AN. 99 S. 778 Nr. 784; § 81 der württ. Vollzugs-VO. Dazu Weyl, Archiv f. öffentl. Recht Bd. 10 S. 358—365. Hier­ nach werden auch die Bescheinigungen der Gerichte, welche früher die Civilstandsregister für Juden und Dissidenten führten, gebührenfrei sein. m) Auch ihrer Erben (und Rechtsnachfolger?): Handbuch Anm. 1 a. E. 178) Dazu aber auch § 159 JVG. ,w) In Preußen wird zu Verträgen zwischen Anstalten und privaten Markenverkaufsstellen Stempel nicht erhoben: vgl. oben § 40 N. 14. 18°) Gebhard-Düttmann Anm. 2 Abs. 1.

§ 73.

Besonderheiten des Verfahrens.

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erforderlich werden." Erfordert wird also nur die Ausstellung und Verwendung auf Grund d. h. zwecks der Durchführung des Jnvalidenversicherungsgesetzes; gemeint sind damit jedenfalls nur die unmittelbaren, sozialpolitischen Maßnahmen des Gesetzes; mit Recht werden dagegen z. B. die Vollmachten, welche bei den Vermögens­ unlagen der Versicherungsanstalten und im allgemeinen vermögens­ rechtlichen Verkehr mit diesen erforderlich sind, von Gebühren oder Stempel nicht verschont.'8') Die „Privatschriftlichkeit" steht der gerichtlichen oder notariellen Aufnahme der Vollmacht gegenüber, welche gebührenpflichtig bleiben; dagegen sind nicht bloß die Voll­ machten der Privatpersonen, sondern auch der Anstalten selbst, der Krankenkassen, Armenverbände usw., welche im obigen Sinne zur Durchführung des Gesetzes erforderlich sind, gebührenfrei. Ob die bloße Beglaubigung der Privatschrift unter § 171 fällt, kann zweifelhaft, wird aber wohl eher zu bejahen fein.182) Dagegen decken die „amtlichen Bescheinigungen" vermöge des Schlusses -a majori ad minus jedenfalls auch die Bescheinigungen von Privatpersonen; Arbeits- und Krankheitsbescheinigungen, von wem immer ausgestellt, und die für sie nötigen Beglaubigungen werden uamentlich durch die Gebühren- usw. Freiheit begünstigt.'82)

4. Kapitel. IorlfaL der Uente. § 74.

Versagung der Invalidenrente.

1. Als „Fortfall der Rente" werden hier die Fälle der Ver­ sagung (§ 17), der Entziehung (§ 47) und des Ruhms der Rente (§ 48) zusammengefaßt. Die Versagung') tritt dem Bewilligungsanspruch, die Entziehung und das Ruhen dem bereits bewilligtm 181) Gebhard-Düttrnann Anm. 2 Abs. 2. 1M) Dafür Geb hard-Düttmann Anm. 6, Laß S. 270, württ. Vollz.VO. § 81; dagegen Graßmann Anm. 2. i83) Gebhard-Düttmann Anm. 7 und tatsächlich ebenso ZsenbartSpielhagen Anm. 6. *) Das Gesetz gebraucht den Ausdruck „Versagung" nur in § 17 Satz 2 won der fakultativen Versagung durch die Feststellungsorgane. Es besteht aber

Rentenanspruch (Bezugsanspruch) entgegen. Versagung und Ent­ ziehung werden nur wirksam in Bezug auf die Invalidenrente^ das Ruhen dagegen ist bei beiden Rentenarten möglich. Versagung ist danach die Abweisung eines Jnvalidenrentenanspruchs trotz dev sonst gegebenen Voraussetzungen wegen gewisser rechtlicher Mängel des Anspruchsgrundes, oder näher: wegen der gemißbilligten Ent­ stehung der Erwerbsunfähigkeit. Die Versagung ergreift beide Unterarten der Invalidenrente, sowohl die Dauerrente (§ 15), wie die Krankenrente (§ 16). Sie tritt entweder mit Rechtsnotwendigkeit ein, derart daß der Rentenanspruch von vornherein nicht zur Ent­ stehung gelangt (§ 17 Satz 1), oder nach dem Ermessen der Fest­ stellungsorgane, derart daß von diesen der zwar materiell entstandene Bewilligungsanspruch ganz oder teilweise „abgelehnt"^) werden kann (§ 17 Satz 2). Der durch die Ablehnung ersparte Rententeil kann dann unter gewissen Voraussetzungen zur Unterstützung der Familie des Ansprechers verwendet werden (§ 17 Satz 8). II. „Dem Versicherten steht ein Anspruch auf Invalidenrente nicht zu, wenn er die Erwerbsunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt hat" (§ 17 Satz 1). 1. Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist die „vorsätzliche Herbeiführung der Erwerbsunfähigkeit durch den Versicherten". Dieser Tatbestand ist gegeben, wenn der Versicherte in rechts- oder doch sittenwidriger Weise einen Eingriff in die Un­ versehrtheit seines Körpers beabsichtigt hat, welcher demnächst die Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes herbeigeführt hat. Darin liegt: a) Die Absicht des Täters kann unmittelbar auf die Herbei­ führung der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes behufs Erkein Bedenken, ihn auch vdn der gesetzlichen Versagung nach Satz 1 und damit als allgemeinen Begriff zu gebrauchen. 2) Diesen passenden Ausdruck gebraucht in gleichem Zusammenhange § 8Abs. 2 Satz 2 GUVG., während § 17 Satz 2 ZVG. im engeren Sinne von „versagen" spricht (vgl. N. 1). Der Anspruch entsteht also behaftet mit einem Ablehnungsgrunde; Piloty sagt: es bestehe eine Einrede gegen denselben. Sachlich ist damit das gleiche gemeint; doch ist „Ablehnungsgrund" besser, als der dem Civilprozeß entnommene Ausdruck „Einrede", und zwar im Hinblick auf die Gestaltung des Verfahrens in erster Instanz, wo entweder der ablehflungsberechtigte Vorstand selbst oder die Rentenstelle entscheidet, vor der es. einer ausdrücklichen Geltendmachung des Ablehnungsgrundes nicht bedarf.

§ 74.

Versagung der Invalidenrente.

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schleichung der Rente gerichtet gewesen sein. Es genügt aber auch, wenn er nur irgendwelche Verletzung seiner körperlichen Integrität beabsichtigt hat/) mochte er sich im übrigen schwerere oder auch leichtere Folgen derselben vorgestellt und ohne Rücksicht auf die eventuelle Erlangung einer Rente gehandelt haben. Daher geht der Rente verlustig, wer Selbstmord beabsichtigt aber nur Invalidität erzielt hat/) aber auch andererseits, wer z. B., um dem Militär­ dienste zu entgehen, sich eine leichtere Selbstverstümmelung beibringen wollte, die dann ohne seinen Willen zur Invalidität geführt hat?) Gleichviel ist, ob der Versicherte die Beschädigung seines Körpers selbst vorgenommen oder durch einen Dritten hat vornehmen lassen. b) Faßt man das Ziel der Willensrichtung in dieser Weise, so hat es kein Bedenken, den vom Gesetz geforderten „Vorsatz" als gleichbedeutend mit „Absicht" zu nehmen?) Das ermöglicht dann, 3) AN. 99 Nr. 706 S. 287 Abs. 2. Ebenso die meisten Kommentare. Die Entscheidung beruft sich unterstützend (S. 286 Abs. 5) auf den Ausdruck „sich zugezogen hat", der in § 11 G. 89 auch von dem Falle des vorsätzlichen Ver­ haltens gebraucht war. Dieser Wortlaut ist zwar schon im Entw. IVG. ge­ ändert worden; die Motive ergeben jedoch nicht, daß damit eine Verwerfung der bisherigen Praxis beabsichtigt war, was sicher hervorgehoben worden wäre. 4) So das zitierte Erk. Nr. 706 S. 285 und ein bei Isenbart-Spiel­ hagen angeführtes Erk. des erweiterten Senats v. 8. März 1902; dagegen nehmen die am Schluß der Entsch. Nr. 706 zitierten Erkenntnisse des OVG. in Krankenversicherungssachen einen anderen Standpunkt ein, gegen welchen aber wiederum Hahn, Kommentar zum KVG., 2. Aufl., Anm. 3 d zu § 6a zu ver­ gleichen ist. 5) So auch in den Gründen der zit. Entsch. Nr. 706 S. 285, 287 mit Just, Kommentar zum G. 89 Anm. 3 zu § 11. Abweichend Weymann S. 60 Abs. 4, indem er den Vorsatz, „die eigene Arbeitskraft ganz oder im wesentlichen zu vernichten" verlangt. Allein das von ihm in Abs. 5 beigebrachte Beispiel überzeugt nicht. Entweder man hält, wie ich, einen solchen Frevelmut für sittenwidrig; dann ist die Anwendung von § 17 gerechtfertigt. Oder man hält ihn für anerkennenswert (will das Wey mann tun?); dann wird die Nichtan­ wendung durch die Abwesenheit des dolus malus (vgl. im Text litt, c) begründet. ®) Dagegen zwar das zit. Erk. Nr. 706 S. 286 Abs. 4, aber nur, um zu den oben N. 3, 4 bemerkten Ergebnissen zu gelangen. Anschließend GebhardDüttmann Anm. 4. Vgl. aber die Entsch. des preuß. OVG. Bd. 13 S. 376 und ArbV. Bd. 9 S. 251. Auch Handbuch der Unfallversicherung Anm. 42 zu § 5 UVG. stellt dem „auf die Herbeiführung einer körperlichen Verletzung ge­ richteten Vorsatz" den „unbeabsichtigten Eintritt des Unfalls" gegenüber. Für die hier vertretene Ansicht spricht auch der Zusammenhang zwischen Satz 1 und 2 (vgl. im Text HI den ersten Satz). Rostn, Recht der Arbeiterverstcherung. Band II.

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

bett § 17 Satz 1 in allen denjenigen Fällen ohne Anwendung zu lassen, in denen die Absicht des Täters nur auf das ihn be­ schädigende Ereignis oder die ihn beschädigende Handlung, nicht aber auf die Beschädigung selbst gerichtet gewesen ist, mochte er sich immerhin die letztere als möglich vergegenwärtigt haben?) Daher kann demjmigen die Rente nicht versagt werden, wer in Gefahr oder um einer Verfolgung78) zu entgehen, aus dem Fenster springt9)10 und sich dabei verletzt oder wer, um einen Anderen zu retten, ins Wasser geht oder in ein brennendes Haus eilt und sich dabei eine zur Invalidität führende Krankheit oder Brandwunde zuzieht. c) Der vorausgesetzte, auf die Selbstverletzung gerichtete dolus muß ein dolus malus in dem Sinne gewesen sein, daß er ent­ weder dem Rechte oder doch der Sittlichkeit widersprach. Das ist bei den sub a besprochenen Fällen der Selbstverstümmelung zwecks Entziehung vom Militärdienste oder des Selbstmordes der Fall, nicht aber da, wo es sich um eine Selbstbeschädigung in vernünftiger oder gar sittlich lobenswerter Absicht handelt. Wenn daher jemand zur Beseitigung eines körperlichen Fehlers oder einer Mißbildung sich einer Operation unterzieht (vgl. schon oben § 38 N. 39) oder zur Rettung eines nahen Angehörigm Blut oder Haut zwecks Trans­ fusion oder Transplantation opfert und dabei durch einen unglück­ lichen Verlauf seine Erwerbsfähigkeit einbüßt, so wird er auch dann auf Rente Anspruch machen können, wenn er diesen Ausgang als möglich in sein Bewußtsein aufgenommen hat. d) Das Erfordernis des Vorsatzes schließt jedes Handeln im unzurechnungsfähigen Zustande aus.'9) Ebenso aber auch jede bloße Fahrlässigkeit, mag der betätigte Leichtsinn einen noch so hohen Grad erreicht haben.") 2. Sind die geschilderten Voraussetzungen gegeben, so entsteht ipso jure kein Anspruch für dm Versicherten, indem die vor­ handenen positiven Bedingungen desselben durch die negativen auf7) Zur Außerachtlassung dieser Beschränkung würde die N. 6 zitierte Formulierung des NVA. führen. 8) Auch einer berechtigten, z. B. durch Sicherheitsbeamte. 8) Vgl. den Fall der N. 6 zitierten Entsch. OVG. ArbV. Bd. 9 S. 250. 10) Vgl. das zit. Erk. Nr. 706 S. 236 Abs. 2, 3. ") Bd. I S. 265; AN. 97 S. 412 Nr. 597, sowie Handbuch der Unfall­ versicherung zu § 5 Abs. 7 UVG.; Gebhärd-Düttmann Anm. 4 Abs. 2.

gewogen werden. Die Feststellungsorgane dürfen die Rente weder ganz noch teilweise bewilligen,") noch auch dieselbe hier der Familie des Versicherten statt seiner zuwenden. Meldet der letztere trotzdem einen Anspruch nach § 112 JVG. an, so sind schon die begut­ achtenden Instanzen gehalten, den Fortfall des Anspruchs aus § 17 Satz 1 hervorzuheben und zu begründm.I3) Dabei muß, wenn die Behörde sich gegen die Gewährung der Rente aussprechen will, das Gutachten über diesen Punkt unter Zuziehung der Laienbeisitzer ab­ gegeben töerben.13“) Im übrigen wird über den Antrag im ge­ wöhnlichen Jnstanzenzuge entschieden. Die Beweislast, daß eine vor­ sätzliche Herbeiführung der Invalidität gegeben ist, liegt der Ver­ sicherungsanstalt ob.") III. Ist die zur Invalidität führende Selbstbeschädigung nicht beabsichtigt gewesen, so kann eine Versagung der Rente nur dann eintreten, wenn das Ereignis, aus dem sie sich ergab, ein Ver­ brechen oder vorsätzliches Vergehen gewesen ist (§ 17 Satz 2). 1. Die Begriffe des Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens bestimmen sich nach den Normen des Strafrechts;13) insbesondere gilt dies auch von der Bedeutung des hier vorausgesetzten Vor­ satzes. Auch der Versuch eines Verbrechens oder vorsätzlichen Ver­ gehens genügt. Vorausgesetzt wird ein eigenes Verbrechen oder Vergehen des Ansprechers/3) das durch strafgerichtliches Urteil fest12) Ausdrücklich konstatiert im Konnn.Ber. zu § 11 Entw. JVG. 13) Vgl. § 58 Abs. 1 JVG. und das Formular Anlage 1 Ziff. 3 zur preuß. Ministerialanweisung v. 6. Dez. 1899, sowie den Kommentar zu ihr von Seelmann S. 64 mit 31. Daß die Fassung des § 58 Abs. 1, obwohl das Wort „Befugnisse" mehr auf § 17 Satz 2 deutet, auch den Fall von Satz 1 mitbegreifen soll, ist unzweifelhaft und wird durch den Komm.Ber. zu § 40 c Entw. JVG. (S. 110) ausdrücklich bestätigt. 13a) Vgl. § 58 Abs. 2 JVG. Eine eventuelle nachträgliche Einholung des­ selben gemäß § 112 Abs. 3 ist für diesen Fall nicht vorgeschrieben (GebhardDüttmann Anm. 16 zu § 112), wird aber zweckmäßig durch den Vorstand gemäß § 59 Abs. 2 erfolgen können; vgl. im ganzen oben § 68 IV, 2 litt, bb und § 69 I, 3, besonders N. 9 a. - M) Der Text von tz 11 G. 89 hatte zur Hervorhebung dessen, allerdings un­ nötiger Weise, die Worte „erweislich zugezogen"; vgl. zur Sache Graßmann Anm. 1. w) Zur Kritik Weymann Anm. 2 S. 70. 16) Besonders hervorgehoben im Komm.Ber. im vorletzten und vorvorletzten Absatz; doch sind Mittäterschaft und Beihilfe eigene Delikte des Teilnehmers.

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

gestellt sein muß. Dieses Urteil muß rechtskräftig sein; dagegen wird Strafverbüßung nicht vorausgesetzt, weshalb auch Begnadigung oder Verjährung der Strafvollstreckung dem Täter nichts hilft. Wird das rechtskräftige Urteil später im Wege der Wiederaufnahme beseitigt, so findet auch gegen die Versagung der Rente gemäß § 580 Ziff. 6 CPO. die Restitutionsklage statt. 2. Der Versicherte muß sich die Erwerbsunfähigkeit „bei Be­ gehung des Verbrechens oder Vergehens zugezogen haben". Das „bei" ist hier kausal gebraucht,") und bedeutet „durch". Wann aber dieser Kausalzusammenhang im Sinne des Gesetzes gegeben ist, läßt sich nur am einzelnen Fall entscheiden. Es muß in con­ creto unter den Bedingungen der eingetretenen Erwerbsunfähigkeit dem Verbrechen oder Vergehen eine derart wesentliche Bedeutung, zukommen, daß danach im Sinne des Gesetzes bei vernünftiger Würdigung die Versagung der Rente dem „Rechtsbewußtsein"'0) entspricht (vgl. dazu Bd. I §§ 43, 44, 48). Nicht richtig ist esdanach, daß die Erwerbsunfähigkeit stets „die erste und unmittelbare Folge der strafbaren Handlung" gewesen sein muß,'") und ebenso­ wenig, daß die Anwendbarkeit unter allen Umständen da wegfallen müsse, wo der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit infolge schon vor­ handener Erwerbsbeschränktheit oder sonst gegebener Krankheiten durch das Verbrechen nur befördert worden ist.20) 3. Im Falle von § 17 Satz 2 entsteht zwar der Nentenanspruch, aber behaftet mit einem Ablehnungsgrunde, derart, daß. danach die Rente ganz oder teilweise versagt werden kann. Ob und in welcher Höhe die Rente dem Versicherten trotzdem zu gewähren^ wird sich nach vernünftigem Ermessen der maßgebenden Instanzen2') nach dem Grade der Schuld und der Schwere des Verbrechens oder Vergehens entscheiden. Die teilweise Gewährung kommt in einem aliquoten Teil der Invalidenrente ('/2, 2/3, '/« usw.) zum Aus­ druck.22) Daß die Rente oder ein Teil derselben auch auf Zeit oder «) Komm.Ber. Abs. 3; Bd. I S. 278 N. 25. 18) Komm.Ber. Abs. 2 a. E. 19) So meinte der Regierungsvertreter laut Kommissionsbericht Abs. 7; da­ gegen auch Gebhard-Düttmann Anm. 6. 20) Vgl. die Bemerkung eines Mitglieds laut Komm.Ber. Abs. 8. Un­ zweifelhafte Beispiele in Abs. 7. 21) Eine Zngerenz der Aufsichtsbehörde findet nicht statt. 22) Isenbart-Spielhagen Anm. 6 Abs. 1.

§ 74.

Versagung der Invalidenrente.

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von einem bestimmten Zeitpunkte an gewährt werden könne, wird zwar von den Kommentatoren meist angenommen, von mir aber für unrichtig erachtet?') Die gewährte Rente oder Teilrente steht in allen Beziehungen unter den Normen, welche nach dem Gesetz für die Invalidenrente überhaupt gelten. 4. Auch hier haben bereits die begutachtenden Behörden die Anstalt auf den Versagungsgrund hinzuweisen, sowie ihr Gutachten über denselben, und zwar, wenn die Behörde sich für Versagung der ganzen2^) Rente aussprechen will, unter Zuziehung der Laienbeisitzer abzugeben (vgl. oben N. 13, 13a). Die Versagung oder volle Ge­ währung geschieht durch Bescheid des Vorstandes nach allgemeinen Normen; bei Gewährung einer Teilrente wird in den Gründen des Bescheides die Berechnung der Vollrmte behufs quantitativer Be­ messung des belassenen Bruchteils anzugeben fein.24) Entscheidet die Rentenstelle, so geht das sonst der Anstalt zustehende ©messen auf sie über. Gegen den Bescheid findet die Berufung in vollern Um­ fange statt; sie ist nicht bloß auf die Voraussetzungm der Versagung (oben Ziff. 1, 2) beschränkt,2') vielmehr kann auch das Ermessen der ■ersten Instanz über das Ob und das Maß der Versagung als un­ sachgemäß angefochten werden.2') Bei teilweiser Versagung kann auch die Berechnung der Vollrente und die danach erfolgte Be23) Weymann Anm. 3 a. E. bezieht sich auf § 22; allein dort ist die Ber­ ingung „auf Zeit" aus besonderen Gründen ausdrücklich, und zwar allein, für zulässig erklärt. Das ist hier nicht geschehen, und es ist auch kein Grund ein­ zusehen, die Freiheit der Versicherungsanstalt auch auf das zeitliche Gebiet aus­ zudehnen (die Berücksichtigung der Dauer der Strafhaft ist in § 48 Ziff. 3 mit Abs. 2 gegeben). Es ist auch nicht richtig, daß, wie Jsenbart-Spielhagen Anm. 10 a. E. meinen, die Versagung auf Zeit, einschließlich der Entziehung nach Ablauf einer gewissen Zeit, ein bloßes minus gegenüber der möglichen -gänzlichen Versagung ist; sie ist ein aliud, weil sie durch Einschaltung einer neuen Modalität für das Ermessen der Anstalt deren Verantwortung erleichtert. 23a) Will die Behörde nur die Gewährung einer Teilrente befürworten, so dürfte, analog wie oben § 68 N. 38, Zuziehung der Beisitzer nicht gesetzlich ge­ boten sein. 24) Die Abrundung gemäß § 38 JVG. wird für die Teilrente, nicht für die rechnungsmäßig vorausgesetzte Vollrente zu erfolgen haben. 25) Dies nehmen Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 a. E. an. 26) Ebenso Weymann Anm. 3 und Graßmann Anm. 3. Dafür auch die Motive zu § 11 Entw. JVG., welche von dem „Ermessen der über den Rentenanspruch entscheidenden Stellen"-sprechen.- Vgl. auch unten § 81 N. 101.

Messung der Teilrente Gegenstand des Angriffs sein. Der Revision unterliegen alle diese Gründe nur im Rahmen der diesem Rechts­ mittel allgemein eigenen Beschränkung?') IV. Nicht ganz einfach ist das Verständnis von § 17 Satz 3: „In Fällen der letzteren Art kann die Rente, sofern der Versicherte eine im Jnlande wohnende Familie besitzt, deren Unterhalt er bis­ her aus seinem Arbeitsverdienste bestritten hat, ganz oder teilweise der Familie überwiesen werden". 1. Die „Fälle der letzteren Art" sind die in Satz 2 geregelten. Während bei vorsätzlicher Herbeiführung der Erwerbsunfähigkeit (Satz 1) keinerlei Leistung weder zu Gunsten des Versicherten, noch auch seiner Familie erfolgen darf, wird der Fall der durch Ver­ brechen oder Vergehen verursachten Invalidität nach verschiedenen Richtungen und insbesondere auch im Jntereffe der schuldlosen Familie milder behandelt. 2. Gegenstand der Überweisung an die Familie ist „die Rente". Welche? Die gewährte oder die versagte? Nach JsenbartSpielhagen Anm. 10, 11 die gewährte: Der Vorstand muß als „Vorbedingung" für die Anwendung von Satz 3 trotz des in Satz 2 gegebenen Ablehnungsgrundes „gleichwohl" für den Versicherten eine (Voll- oder Teil-) Rente „festgesetzt" haben. Diese Rente kann dann, und zwar stets nur in der vollen Höhe, in welcher sie fest­ gesetzt ist (Anm. 11), der Familie überwiesen werden. Ich halte diese Auslegung für verfehlt und nehme mit anderen Kommentatoren28) vielmehr an, daß die der Familie zu überweisende Rente diejenige ist, welche nach Satz 2 dem Versicherten selbst ver­ sagt wurde. Dafür spricht der einfache Wortlaut, während Jsenbart-Spielhagen genötigt werden, demselben durch auslegungs­ weise Beseitigung der Worte „ganz oder teilweise" am Schluß von Satz 3 Zwang anzutun. Dafür spricht auch der Gang der Kom­ missionsverhandlungen, indem hier das ursprünglich beantragte Wort 27) Daher kommen die Ermessensfragen erst bei eintretender freier Be­ urteilung in Betracht; weitergehend wohl Weymann Anm. 3. 28) Ausdrücklich oder nach dem Zusammenhange stehen wohl alle übrigen Kommentare auf diesem Standpunkt. Vgl. z. B. v. Woedtke Anm. c: „Der versagte Teil der Rente darf — der Familie überwiesen werden"; GebhardDüttmann Anm. 9; Weymann S. 75 oben.

„gewährte" vor „Rente" gestrichen rouibe.29) Im weiteren würde die hier bekämpfte Ansicht mit § 48 Abs. 2 in Widerspruch geraten, weil diese Bestimmung wenigstens für die Zeit der Strafverbüßung (§ 48 Abs. 1 Ziff. 3) der Familie auf die dem Versicherten be­ willigte Rente ein festes Recht gewährt. Endlich würden sich auch weitere bedenkliche Konsequenzen ergeben, so z. B. die, daß beim nachträglichen Wegfall der bedachten Familie der Versicherte wiederum deren Rente in Anspruch nehmen tarnt.30)"* Hiernach kann gemäß Satz 3 der dem Versicherten versagte Betrag der Rente seiner Familie zugewendet werden. Hat die Anstalt dem Versicherten die Vollrente belasten, so liegt kein Grund zu besonderer Berücksichtigung der Familie vor; der Fall liegt dann genau ebenso, wie bei der regelmäßigen Rentengewährung. Das gleiche gilt pro rata, soweit dem Versicherten eine Teilrente bewilligt ist. In diesem Falle, sowie bei völliger Versagung kann aber die Anstalt den ersparten Rentenbetrag zur Unterstützung der Familie verwenden.3') Hieraus ergibt sich allerdings, daß auch eine Teil­ rente für den Versicherten und eine Familienrente neben einander herlaufen können. 3. Begünstigt ist „die im Jnlande wohnende Familie des Ver­ sicherten, deren Unterhalt er bisher aus seinem Arbeitsverdienste be­ stritten hat". a) Zweifelhaft ist der Umfang der „Familie". JsenbartSpielhagen wollen nur die Ehefrau und die ehelichen Kinder unter 15 Jahren darunter begreifen.32) Diese strenge und die einzelnen begünstigten Personen genau bezeichnende Auslegung möchte allen­ falls noch für solche Stellen (§ 48 Abs. 2) passen, in denen der 2e) Vgl. den Antrag Nr. 68 Ziff. 5 im Komm.Ber. zu § 11 Entw. JVG. Dieser Antrag nahm allerdings ursprünglich einen anderen Standpunkt ein, was mit seinem jetzt gleichfalls gestrichenen ersten Satze zusammenhing. 2°) Hierüber und über andere, abzulehnende Konsequenzen Wey mann Anm. 9 C. Würde man allerdings (entgegen N. 23) annehmen, daß die Anstalt zu beliebiger Zeit dem Versicherten die gewährte Rente wieder entziehen kann, so käme man um die im Text gezogene Konsequenz herum. 31) Insofern bildet die Bestimmung des § 17 Satz 3 eine Ermächtigung, welche die Anwendung von § 68 Abs. 3 Satz 1 ausschließt und mit § 45: „Angehörige der Versicherten" in gewisser innerer Verbindung steht. 32) Sie beziehen sich zur Analogie auf §§ 16, 17 mit 8 GUVG., sowie aus § 44 JVG.; vgl. unten § 76 N. 63.

Familie ein fester Rechtsanspruch auf gewisse Bezüge gewährt ist. Hier dagegen, wo es sich nur darum handelt, die Grenzen für ge­ wisse unterstützende Leistungen der Versicherungsanstalt festzustellen (vgl. oben N. 31), innerhalb deren sie Bedenken hinsichtlich der Per­ sonen durch ihr Ermessen auszugleichen vermag, wird jedenfalls eine weitere Auslegung gerechtfertigt sein. Zu berücksichtigen ist aber bei derselben, daß das Gesetz nicht einzelne Familienangehörige, sondern die gemeinsam „wohnende Familie" begünstigen will, woraus sich, im Anschluß an § 18 Abs. 2 JVG., ergibt, daß nur diejenigen Per­ sonen in Betracht kommen, welche zur Zeit der Invalidisierung den Haushalt des Versicherten teilten und zugleich mit ihm verwandt oder verschwägert sind?') b) Die Familienrente soll einen Ersatz dafür bieten, daß der bisher vom Versicherten zum Unterhalt seiner Familie angewendete Arbeitsverdienst nunmehr wegfällt. „Bisher" ist: bis zum Eintritt der durch das Verbrechen usw. ausgelösten Gesundheitsbeschädigung, welche schließlich zur Erwerbsunfähigkeit führte. Der Unterhalt der Familie muß aus dem Arbeitsverdienste, nicht aus sonstigem Vermögen bestritten sein. Beides ist jedoch nicht peinlich zu urgieren; es genügt, daß der Versicherte, seinen Kräften und den Verhältnissen entsprechend, einen wesentlichen Beitrag zum Unterhalt der Familie geleistet hat; alles übrige kann dann durch das Er­ messen der Anstalt ausgeglichen werden. Daher ist zwar Familien­ rente nicht zulässig, wenn sich der Versicherte auch vorher seinen Pflichten entzogen hatte, wohl aber auch dann, wenn seine Leistungen allein nicht ausreichten und auch andere Familienmitglieder oder gar die Armenverwaltung unterstützend eingreifen mußten.") c) Die Familie muß im Inlands wohnen. Die Rente darf derselben daher nur bewilligt und weiter gezahlt werden,") wenn bezw. so lange sie ihren (gemeinsamen) Haushalt (vgl. oben a) im Deutschen Reiche besitzt. 33) Im wesentlichen übereinstimmend Wey mann Anm. 8 zu § 17 mit Anm. 15 zu § 48. Daß „Familie" auch eine einzelne Person, insbesondere der Ehegatte sein kann, hebt er gleichfalls Anm. 8 a. E. richtig hervor. 34) Zu den Sätzen des Textes vgl. analog die unmittelbar auf § 48 Abs. 2 bezügliche Entsch. AN. 02 S. 513 Nr. 1000; dazu Weymann Anm. 8. 35) Eine Anwendung von § 48 Ziff. 4 würde sich schon hiernach erübrigen; vgl. unten N. 45.

§ 74.

Versagung der Invalidenrente.

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4. In Bezug auf die Zuwendung der Familienrente hat der Änstaltsvorstand freiestes Ermessen, welches zugleich in der Gestaltung des Verfahrens zum Ausdruck kommt. Zunächst haben die be­ gutachtenden Instanzen auch hier die Voraussetzungen für die An­ wendbarkeit des § 17 Satz 3 ins Auge zu fassen und darüber zu berichten?') Ist dann die Rente dem Versicherten rechtskräftig aus t>em Grunde des § 17 Satz 2 ganz oder teilweise versagt?') so kann *bie Frage der Bewilligung einer Familienrente erwogen werden, sei -es auf Antrag des Versicherten, eines Familiengliedes oder auch von Amts wegen?') Die Entscheidung erfolgt aber nicht in dem instanziellen Verfahren des §§ 112 ff. JVG., sondern ausschließlich Imrch den Vorstand der Versicherungsanstalt39) im Wege formloser Verwaltungsverfügung?') gegen welche weder Berufung noch Be­ schwerde an die Aufsichtsbehörde stattfindet. Die Überweisung kann die ganze versagte Rente oder Rentenquote oder auch nur einen .Teil derselben ergreifen (vgl. oben Ziff. 2); immer aber muß auch hier die Familienrente ihren Ausdruck in dem Ganzen oder einem aliquoten Teil der Versichertenrente erfahren. Auch eine Bewilligung auf Zeit ist hier nicht ausgeschlossen. Rach alledem kann „die Über­ weisung auch zu beliebiger Zeit, in beliebigem Umfange, aus be­ liebigen Gründen zurückgenommen werden", ohne daß ein RechtsM) Das oben N. 13 zitierte Formular spricht unter Ziff. 9 inkorrekt von einzelnen „Angehörigen", statt von „Familie"; vgl. im Text Ziff. 3b a. E. ”) Voraussetzung für die Gewährung einer Familienrente ist daher nach der Auffassung des Textes (anders Gebhard-Düttmann Anm. 9 und Weymann Anm. 9 B Abs. 3 a. E.) zunächst ein Antrag auf Rente seitens des Verstcherten. Insofern (anders bei N. 38) ist allerdings die Familie mit ihren Bezügen abhängig von betn Willen des Ansprechers. Das ist aber in den 'Normalfällen der Rente, welche die Familie nach ihrer Bewilligung tatsächlich mitgenießt, auch nicht anders; auch hier steht ihr kein eigenes Antragsrecht zu. Voraussetzung ist ferner, daß eine Versagung aus § 17 Satz 2 erfolgt sein muß; ist die Abweisung wegen mangelnder positiver Voraussetzungen des Rentenanspruchs, z. B. wegen fehlender Wartezeit erfolgt, so kann von Familien­ rente keine Rede sein, auch wenn tatsächlich die Voraussetzungen von § 17 Satz 2 vorliegen. Wie aber, wenn das Vorhandensein der positiven Voraussetzungen des Anspruchs dahingestellt blieb und die Abweisung aus § 17 Satz 2 erfolgte? Dann kann Familienrente bewilligt werden, wenn sich die Versicherungsanstalt Nachträglich überzeugt, daß der Anspruch, abgesehen von § 17, begründet ist. 38) Jsenbart- Spiel Hagen Anm. 10 Abs. 2. 3») Sie geht auch nicht auf die entscheidenden Rentenstellen über. 40) So auch Weymann Anm. 9 A gegen Gebhard-Düttmann Anm.9.

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IV. Buch. Renten. IV. Kap.: Fortfall der Rente.

mittel dagegen zustünde?') Ist die Familie am Verbrechen usw. wesentlich beteiligt gewesen, so wird ihr regelmäßig, auch ohne daß das durch prozeßgerichtliches Urteil festgestellt zu sein braucht, die Begünstigung nicht zu gewähren sein?") 5. Hiernach ergibt sich die Rechtsnatur der Familienrente4') nach § 17 Abs. 8: sie ist eine der Familie aus der ersparten Rente des Versicherten gewährte freiwillige rentenweise Unterstützung. Sie ist keine Invalidenrente, weder für die Familie, die nicht invalide zu sein braucht und nicht versichert war, noch aus der Person des Versicherten, dem ja die Rente versagt ist?4) Sie ist vielmehr eine durchaus freiwillige Unterstützung, auf welche, so lange sie nicht aus­ gezahlt ist, weder die Familie selbst, noch der Versicherte, noch irgend ein Dritter ein Recht oder einen Anspruch hat oder erlangen kann?') Wenn demgegenüber das Gesetz von einer „Überweisung" der „Rente" 41) Auch nicht dem Versicherten! Andererseits ist auch eine nachträgliche Er­ höhung der der Familie bewilligten Quote int gesetzlichen Umfange nicht aus­ geschlossen. ") Vgl. den Komm.Ber., sowie die N. 34 zitierte Entscheidung. 43) Vgl. zum Folgenden die ausführlichen Erörterungen von Weymamr Anm. 9, welche aber nicht frei von Inkonsequenzen sind, die gerade eine „streng folgerichtig durchzuführende" Formulierung verhindert haben. 44) Anders die dem Versicherten gewährte Quote, auch wenn sie nach § 48 Abs. 2 auf die Familie übergeht. 45) So richtig Weymann Anm. 9 A und E; aber nach B „ist die über­ wiesene Rente die Rente des Versicherten" und nach D ist die Familie zun Bezüge der Rente berechtigt, woraus sich am Schluß von B und D unrichtige Konsequenzen ergeben. Insbesondere kann eine Anwendung von §§ 49 ff., 53 auf die Familienrente weder aus der Person des Versicherten, noch aus der der Familie in Frage kommen, da diese Bestimmungen nur von Ansprüchen bezw. Ansprüchen auf Invalidenrente handeln. sAnders wird gemäß § 55 Abs. 2 („zu Unrecht gezahlte Rentenbeträge") der Versicherte sich die Anrechnung der ausgezahlten Familienrente gefallen lassen müssen, wenn er später im Wege der Restitutionsklage (oben int Text III, 1 a. E.) seine ex tune, d. h. nach den ersten zurückgewiesenen Antrag (Weymann Anm. 6) zu bestimmende Rente er­ langt.^ Ebensowenig kann der vom „Recht auf den Bezug der Rente" handelnde § 48 in der Person der Familie sich verwirklichen (zu § 48 Ziff. 4 vgl. schor oben R. 35); es genügt, auch mit Bezug auf § 22, die jederzeitige, pflichtmäßig auszuübende Möglichkeit, nach Ermessen die Familienrente einzustellen. Über mögliche Rückwirkungen auf die Familienrente, wenn die Tatbestände des § 48 sich in der Person des Versicherten realisieren, vgl. unten R. 48. Zr § 47 Abs. 4 ZVG. vgl. oben § 54 R. 50.

§ 74.

Versagung der Invalidenrente.

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spricht, so hat das nur folgende, in der obigen Begriffsbestimmung, hervortretende Bedeutung: a) Zunächst besagt es, daß die Mittel für die Familienrente ausschließlich aus der wegen § 17 Satz 2 ersparten Rente des Ver­ sicherten entnommen werden dürfen. Daher darf sie die letztere niemals übersteigen d. h. zu keiner Zeit höher sein als diejenige Rente, welche, wenn sie ihm nicht versagt wäre, im gleichen Zeit­ punkt für den Versicherten laufen würde. Stirbt daher der Ver­ sicherte/') so hört ipso jure auch die Familienrente auf. Des­ gleichen darf sie nicht weiter gezahlt werden, wenn er wieder soweit erwerbsfähig wird, daß ihm pflichtmäßig die Rente entzogen werden müßte?') Treten die Tatbestände, welche nach § 48 JVG. dasRuhen einer Invalidenrente bewirken, in der Person des Versicherten ein, so bleiben für die Familie nur diejenigen Rententeile verfügbar, welche etwa (in den Fällen von § 48 Ziff. 1, 2) von der Einstellung nicht getroffen werden würden, abzüglich dessen, was im Falle der nach § 17 Satz 2 erfolgten Bewilligung einer Teilrente der Ver­ sicherte selbst noch erhält?') Auch wenn der Versicherte eine Alters­ rente sei es zur Zeit der Versagung bezieht oder später bewilligt erhält, kann der Familie nur soviel zugewendet werden, als die Altersrente durch die Invalidenrente überstiegen wird?') b) Die Worte des Gesetzes bedeuten ferner, daß die der Familie gewährte Unterstützung in den Formen der reichsgesetzlichen Renten 4Ö) Daß beim früheren Aussterben der Familie die Familienrente wegfällt,, ist selbstverständlich. 47) Vgl. § 47 JVG. und Gebhard-Düttmann Anm. 10. Die For­ mulierung von Wey mann Anm. 9 B, wonach § 47 die „Möglichkeit der Ent­ ziehung der Familienrente" bewirkt, ist ungenügend, weil diese Möglichkeit immer vorhanden ist. 48) So, abgesehen von dem letzten Zusatz im Texte, auch Weymann. Anm. 9 B. Im Falle der Ziff. 4 bleibt also für die Familie nichts übrig. Ziffer 3 verändert, wenigstens wenn man den Personenkreis der „Familie" nach § 48 Abs. 2 nicht enger zieht, als nach § 17 Satz 3, die Rechtslage der Familie in Bezug auf die ihr nach letztgedachter Bestimmung überwiesene Rente nicht, da durch § 48 Abs. 2 der finanzielle Effekt von § 48 Ziff. 3 wieder aufge­ hoben wird. 46) Weymann Anm. 9 B. Daß die Familienrente umgekehrt den Bezug der Altersrente für den Versicherten nicht hindert, ist zweifellos; vgl. Weymann C und Gebhard-Düttmann Anm. 10, welche letzteren aber bei Er­ langung der Altersrente die Familienrente ganz wegfallen lassen.

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap,: Fortfall der Rente.

zur Auszahlung und zur Verteilung unter die Lastenträger gelangen soll. An roert die Auszahlung erfolgen soll, ob an alle Familien­ glieder gemeinsam oder an einen von ihnen usw., wird für die Anwendung des § 17 Satz 3 dem Befinden der Versicherungsanstalt zu überlaffen fein.50) Eine Kapitalzuwendung a» die Familie erscheint in allen Fällen ausgeschloffen.*5')1 2 * *

§ 75.

Entziehung der Invalidenrente.

I. „Entziehung der Invalidenrente" (§ 47 JVG.) ist die gänz­ liche und dauernde Aberkennung einer bewilligten Invalidenrente wegen Fortfalls des Anspruchsgrundes. 1. Die „Entziehung" im Sinne von § 47 Abs. 1, 3 mit § 121 JVG. findet keine Anwendung auf die Altersrente. Wohl aber unterliegt ihr die Invalidenrente gleichmäßig in ihren beiden Formen der Dauer-, wie auch der Krankenrente.') 2. Die Entziehung ist eine gänzliche und dauernde. Eine Min­ derung der bewilligten Rente wegen einer teilweisen Besierung im Zustande des Rentners ist nach Jnvalideirrecht, anders als nach Unfallrecht, nicht zulässig?) Als dauernde Maßregel steht die Ent6ü) Auch eine reelle Teilung der Rente unter mehrere Familienglieder wird gegen Jsenbart-Spielhagen Anm. 11 a. E. nicht unbedingt auszu­ schließen sein. ") Anders Wey mann Anm. 9 B, welcher eine Kapitalabfindung zuläßt, wenn der Versicherte das Inland verläßt. Vgl. aber § 26 JVG.: „der Be­ rechtigte" und oben N. 45. 1) Für § 33 Abs. 1 G. 89 konnte dies zweifelhaft erscheinen; dagegen z. B. Bosse-v. Woedtke Anm. 2. Dafür AN. 95 S. 252 Nr. 460 und AN. 97 S. 353 Nr. 583. Jetzt hat man im Text des § 33 Abs. 1 cit.: „welche ihn nicht mehr als dauernd erwerbsunfähig (§ 9) erscheinen läßt" das Wort „dauernd" gestrichen und neben dem § 15 JVG. — § 9 G. 89 auch den § 16 JVG. angezogen, gerade um auch den Fall der Entziehung einer Krankenrente mit unter §§ 47, 121 JVG. zu stellen (Mot. Abs. 1 zu § 33 Entw. JVG.). Ob man übrigens daran in jeder Beziehung wohlgetan hat, läßt sich bezweifeln; vgl. die zitierten Ausführungen von Bosse - v. Woedtke und GebhardDüttmann Anm. 5 Abs. 2 zu § 47. 2) Anders Piloty S. 129, sowie Wey mann Anm. 4, welcher auf dem Umwege des § 18 JVG. die Anstalten ermächtigen will, gleichzeitig mit der "Entziehung einen Bruchteil der Rente zur Förderung der völligen Genesung zu gewähren.

ziehung der vorübergehenden „Einstellung von Rentenzahlungen" im Falle des „Ruhms der Rente" (§ 48 mit § 121 JVG., vgl. unten § 76) gegenüber. 3. Die Entziehung nach § 47 JVG. bezieht sich auf eine in einem früheren Verfahren bereits bewilligte oder doch als bewilligt vorausgesetzte Rente. Sie unterscheidet sich dadurch zunächst von der Versagung (vgl. oben § 74), welche nicht dem Bezugs-, sondern schon dem Bewilligungsanspruch gegenübersteht. Sodann liegt aber auch keine Entziehung im Sinne des § 47 JVG. vor, wenn in be­ sonderen Fällen^) wo zur Zeit der Bewilligung die Erwerbsunfähig­ keit schon wieder beseitigt war, zugleich mit der Festsetzung der Rente in der gleichen Entscheidung auch der Endtermin derselben bestimmt rotrb.34)5 *Dagegen 7 trifft es nur für die Regelfälle, nicht aber allgemein zu, wenn das NVA. ausspricht, „entzogen" könne nur ein Anspruch werden, welcher bereits Gegenstand eines durch „rechtskräftige Ent­ scheidung" „ordnungsmäßig erledigten Rentenverfahrens" gewesen ist?) Denn es erscheint, ebenso wie int Unfallrecht/) auch im Jnvalidenrecht nicht ausgeschlossen, daß ein Entziehungsbescheid erlassen wird zu einer Zeit, wo das Feststellungsverfahren über den zu ent­ ziehenden Anspruch noch schwebt und der letztere daher entweder nur relativ oder überhaupt noch gar nicht rechtskräftig geworden ist?) Gleichgiltig ist, ob die Feststellung des zu entziehenden Anspruchs. 3) Im allgemeinen, und zwar auch bei Anwendung des § 16 JVG. (vgl. oben § 61 N. 13) gibt es keine Rente auf eine im voraus bestimmte Zeit. Aus­ nahmen nach AN. 97 S. 353 Nr. 583 nur, wenn aus gesetzlichen Gründen die Rente bis zur Bewilligung schon wieder in Wegfall gekommen war. 4) AN. 03 S. 389 Nr. 1053, ausführlicher Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 97. Was hier vom Bescheide gesagt ist, wird auch von jeder Entscheidung höherer Instanz zu gelten haben. 5) Vgl. die N. 4 zitierte Entsch.; auch AN. 01 S. 199 Nr. 880: „rechts­ kräftig abgeschlossenes, vorausgegangenes Rentenfeststellungsverfahren". ®) Laß S. 523, Handbuch der Unfallversicherung Anm. 5 zu § 65 UVG. 7) Das erstere wäre z. B. der Fall, wenn bei bewilligter Rente der An­ sprecher Rechtsmittel wegen der Höhe oder des Beginns der Rente eingelegt hat (übereinstimmend hier Graßmann Anm. 2 zu § 47); das letztere könnte z. B. eintreten, wenn ein Anspruch bei festgestellter Erwerbsunfähigkeit wegen Mangels der Wartezeit abgelehnt wäre und der Ansprecher, während die Re­ vision gegen das ihm die Rente zuerkennende schiedsgerichtliche Urteil schwebt^ wieder erwerbsfähig wird. Hier müßte die Entziehung durch Bescheid für den Fall des Obsiegens des Klägers ausgesprochen werden.

durch Entscheidung oder einen ihr gleichstehenden gerichtlichen Ver­ gleich erfolgt ist.8)* II. Als Voraussetzung für die Entziehung der Rente stellt § 47 Abs. 1 JVG. den „Eintritt einer Veränderung in den Verhältnissen des Empfängers einer Invalidenrente" auf, „welche ihn nicht mehr als erwerbsunfähig (§§ 15, 16) erscheinen läßt". 1. Notwendig ist zunächst eine objektive Veränderung in den Verhältnissen des Bezugsberechtigten. Dieses Erfordernis dient dem Schutze des Rentners, der sich im rechtlich bestätigten Besitz seiner Rente befindet. Es genügt grundsätzlich daher nicht „eine Ergänzung oder Berichtigung derjenigen Kenntnis der an sich unveränderten Verhältnisse, welche bei Vornahme der früheren Feststellung ob­ gewaltet hatte" und ebensowenig „eine veränderte Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei im übrigen unverändertem Sachstande"?) 2. Die „Verhältnisse" des Rentners, in denen eine Veränderung eingetreten sein muß, sind zunächst ausschließlich diejenigen, welche für die Feststellung der Rente maßgebend gewesen firtb.10) Daher kann z. B. eine Entziehung der Rente nicht auf eine anderweitige Verbesserung der Vermögensverhältnisse des Rentners oder auf eine Veränderung in seinen Familienverhältnissen gestützt werden.") 3. Für die Feststellung der Rente sind nach dem früher (vgl. oben § 60) Entwickelten einerseits die Erwerbsverhältnisse des Rentenansprechers im Vergleich zu denen eines gleichartigen gesunden Be­ rufsgenossen,' andererseits die körperlichen Verhältnisse desselben als Ursache für die Herabsetzung seiner Erwerbsfähigkeit maßgebend. Es frägt sich, ob in Bezug auf die erforderte „Veränderung" allen diesm Verhältnissen die gleiche Bedeutung zukommt. Das ist im Sinne des Gesetzes zu verneinen; eine Veränderung in dm Erwerbsverhältniffen genügt allein nicht; vielmehr ist erste und unumgäng­ liche Voraussetzung für die Rentenentziehung, daß eine Veränderung 8) Laß S. 511; vgl. oben § 73 N. 117. 9) AN. 94 S. 159 Nr. 389. Hier kann nur unter gegebener Voraussetzung das Wiederaufnahmeverfahren zum Ziele führen. Das Erfordernis der Ver­ änderung gilt insbesondere auch für die Entziehung der Krankenrente trotz des Wortlauts von § 16: „für die weitere Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit"; vgl. oben N. 1. 10) Das läßt § 88 Abs. 1 GUVG. deutlich hervortreten. n) Gebhard-Düttmann Sinnt. 3.

tut Gesundheitszustände des Rentners eingetreten sein tnufj,'2) welche -für die Besserung seiner Erwerbsverhältnisse von wesentlicher d. h. ursächlicher Bedeutung ist13) Das ergibt sich schon aus dem Wort­ laut des Gesetzes, welcher im Vergleich mit § 5 Abs. 4 Satz 1 JVG. deutlich erkennen läßt, daß in dem Relativsatz die wirtschaft­ liche Folge, in dem Hauptsatz („Tritt — ein") aber die körperliche Ursache derselben ausgedrückt sein soll; es wird auch durch die Materialien des Gesetzes bestätigt. '*) 4. Unter Anwendung des oben Ziff. 1 festgestellten Grundsatzes ergibt sich hiernach, daß in dem Gesundheitszustände des Rentners eine objektive Veränderung zum Besseren eingetreten sein muß. Eine veränderte Erkenntnis oder Beurteilung des objektiv unveränderten Zustandes genügt nicht. Daher kann namentlich eine Renten­ entziehung nicht auf ein sachverständiges Gutachten gestützt werden, welches den Rentner schlechtweg als zur Zeit erwerbsfähig er­ achtet.'3) Eine Ausnahme wird mit Weymann'3) höchstens für solche Fälle zuzugeben sein, in denen das für die Bewilligung der Rente maßgebende ärztliche Gutachten nach dem Stande der medizinischen Wissenschaft mit dem Vorhandensein eines, wenn auch objektiv nicht feststellbaren, Leidens (z. B. Gehirn- oder Rücken­ markserschütterung) rechnen mußte,u) während nach Ablauf einer gewissen Zeit gerade der Nichteintritt weiterer Veränderungen das Nichtvorliegen des betreffenden Leidens erweist. Denn für den mmschlichen Verstand ist das objektiv, was er äußerstenfalls er­ kennen kann, und es steht daher einer objektivm Veränderung gleich, wmn sich die objektive Möglichkeit des Erkennens, nicht bloß die subjektive Erkenntnis verändert. >*) AN. 03 S. 539 Nr. 1074. 13) AN. 95 S. 251 Nr. 459. Der Gegensatz der hier erforderten „wesent­ lichen" Veränderung ist nicht die an sich „geringfügige" (Weymann Anm. 1), 1 andern die nicht kausale. 14) Komm.Ber. Abs. 3, 4 zu § 24 Entw. G. 89. ") AN. 95 S. 251 Nr. 459. 16) Anm. 1 Ziff. 3 zu § 47 JVG. n) Daß in einem solchen Falle Rente wenigstens für vorübergehende Er­ werbsunfähigkeit gewährt werden mußte, nehme ich mit Weymann an (Ziff.3 Abs. 2). Es zeigt sich aber gerade hier, daß für gewisse Fälle die gesetzliche Möglichkeit einer Entziehung der Krankenrente auch ohne objektive „Veränderung" Les Körperzustandes de lege ferenda ein Bedürfnis wäre. Vgl. oben N. 1 mit 9.

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IV. Buch. Renten. IV. Kap.: Fortfall der Rente.

5. Die „Veränderung" bezieht sich auf den Gesundheitszustanddes Rentners im ganzen, nicht auf die einzelne Krankheit, welche zur Invalidisierung geführt hat. Daher findet Belastung, nicht aber Entziehung und Neubewilligung der Rente statt, wenn die frühere Krankheit zwar behoben, aber inzwischen von einer neuen, die Er­ werbsunfähigkeit begründenden abgelöst mürbe.18) Daher ist ferner die Rentenentziehung so lange noch nicht gerechtfertigt, als der Rentner beim Nachlassen seiner Krankheit doch noch der Schonung bedarf, so daß die Wiederaufnahme der Arbeit seine Gesundheit ge­ fährden würde.'8) Daher ist aber auch andererseits die Entziehung zulässig, wenn sich der Rentner an einen gewissen Defekt z. B. den Verlust des linken Armes durch Anpassung soweit gewöhnt hat, daß. dadurch die ursprünglich bewirkte Herabsetzung der Erwerbsfähigkeit in einem für das Gesetz genügenden Maße ausgeglichen erscheint?8). 6. Das Maß der Erwerbsfähigkeit wurde bei Bewilligung dev Rente mit besonderer Berücksichtigung der „Fähigkeiten" und der „Ausbildung" des Rentenansprechers bestimmt. Aus dem bisher Entwickelten beantwortet sich die Frage, ob und inwieweit die Ausbildung einer neuen Fertigkeit zum Erwerbe für die Renten­ entziehung in Betracht kommt. Sie ist zunächst insofern zu be­ achten, als sie einen Schluß auf eine Besserung des Gesundheits­ zustandes an sich oder in Form der eingetretenen Gewöhnung ge­ stattet;21) dann begründet sie nicht als solche, sondern nur als Symptom der für sich wirksamen Gesundheitsveränderung die Renten­ entziehung. Dagegen ist die Entziehung nicht gerechtfertigt, wenn tatsächlich ohne Besserung des körperlichen Zustandes der Rentner sich neue Erwerbsfähigkeiten angeeignet hat;22) es wäre auch in höchstem Maße unsozial, den Rentner zu bestrafen, der auf die Ver­ wertung und Verbesserung der ihm verbliebenen Arbeitskraft bedacht war, und dadurch andere von gleichem Verhalten abzuschrecken.22)ie) Komm.Der. vorletzter Absatz zu § 24 Entw. G. 89. '«) m. 99 S. 559 Nr. 748; vgl. oben § 38 N. 34, § 60 N. 23. 2°) AN. 03 S. 539 Nr. 1074; Weymann Anm. 1 Ziff. 1. 21) Vgl. die 91. 20 zitierte Entsch. Nr. 1074. 22) Vgl. Entsch. Nr. 1074; anders Gebh ard -Düttmann Anm. 3, Wey­ mann Anm. 1 Ziff. 2, Seelmann, Kommentar zur preuß. Min.Ann». v. 6. Dez. 1899.©. 49 litt. c. “) So auch eine Bemerkung in der Entsch. Nr. 1074. Daran können bifc

§ 75.

Entziehung der Invalidenrente.

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Wenn allerdings die Anstalt unter Verwendung der ihr durch § 45 JVG. gegebenen Möglichkeit "*) dem Rentner die Mittel zu seiner neuen Ausbildung gegeben hat, wird sich, im Anschluß an die auch in Unfallsachen geübte Praxis,25) eine Entziehung der Rente, jeden­ falls unter Vermittlung eines vorherigen vertragsmäßigen Ver­ zichts,^") ermöglichen lasten. 7. Ebenso ergibt sich, daß auch die bloße Veränderung des Ortes durch Verlegung des Wohnsitzes einen ausreichenden Ent­ ziehungsgrund nicht abgibt, auch wenn dem Rentner durch dieselbe ein neuer Kreis von verwertbaren Arbeitstätigkeiten eröffnet wird. Mußten die letzteren bei der Feststellung der Rente ausgeschieden werden, weil dem Ansprecher die wesentliche Ortsveränderung (z. B. die Verlegung seines Wohnsitzes aufs Land) nicht zugemutet werden konnte (vgl. oben § 60 V, 6), so kann ihm dieselbe auch nicht schaden, wenn er sich ihr später freiwillig (z. B. um mit der Rente bester auszukommen) ohne Besterung seines Gesundheits­ zustandes unterzieht. Dazu kommt, daß in solchen Fällen stets mit der Rückverlegung des Wohnsitzes nach Entziehung der Rente ge­ rechnet werden muß. 8. Die notwendige Besserung des Zustandes muß eingetreten sein, bevor an die Rentenentziehung herangetreten werden kann. Die bloße voraussehbare Besserung rechtfertigt nicht die Entziehung der Rente von einem schon jetzt zu bestimmenden späteren Zeitpunkte an?') Andererseits kann nach rückwärts jede Besierung in Betracht gezogen werden, welche nach dem Anfangsbeginn der Rente eingetreten ist, auch wenn der angenommene Zeitpunkt ihres Eintritts vor die Bewilligung der Rente fällt?") Durch die Bestimmung des Abs. 3 über den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Rentenentziehung ist jedem Eingriff in frühere rechtskräftige Entscheidungm vorgebeugt. Ausführungen Weymann's, daß es „Ehre der Versicherten ist, auf eigenen Füßen zu stehen", nichts ändern. 24) Gebhard-Düttmann Anm. 3 zu § 47 mit S. 313 vorletzter Absatz. 25) Handbuch der Unfallversicherung Anm. 8d zu § 65 UVG.; Laß S. 513 d. 26) Gegen denselben wird sich ein Einwand wegen Benachteiligung des Ver­ sicherten im Sinne einer vernünftigen Sozialpolitik (vgl. Weymann, wie N. 23 zitiert) jedenfalls nicht erheben lassen. 27) So der Wortlaut „Tritt — ein"; vgl. Laß S. 512. 28) Vgl. Laß S. 513 mit 526. Rostn, Recht der Arbeiterverstcherung. Band n.

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IV. Buch. Renten. IV. Kap.: Fortfall der Rente.

9. Die eingetretene Veränderung im Körperzustande des Rentners muß eine solche sein, „welche ihn nicht mehr als erwerbsunfähig (§§ 15, 16) erscheinen läßt". Der Rentner darf also weder dauernd (§ 15), noch auch vorübergehend (§ 16) erwerbsunfähig sein, d. h. zunächst,30) er muß wieder erwerbsfähig geworden sein. Die Er­ werbsfähigkeit ist aber ihrem Begriffe nach nicht die unbeschränkte, sondern die nach §§ 15,16 JVG. durch den Hinweis auf § 5 Abs. 4 JVG. auf mindestens ein Drittel der normalen bestimmte. Endlich muß die Erhöhung der Erwerbsfähigkeit auf die Besserung des Körperbefindens als Ursache zurückzuführen sein (vgl. oben N. 13). Hiernach finden die in § 60 dieses Werkes entwickelten Berechnungen mit gewiffen durch das Wesen der Entziehung gegebenen, theoretisch nicht ganz unzweifelhaften, näheren Bestimmungen Anwendung: a) Da es sich um eine Erhöhung der Erwerbsfähigkeit durch Besserung des Befindens, also um einen Vergleich des gegenwärtigen mit dem zur Zeit der Rentengewähmng bestandenen Zustande handelt, so muß auch der Maßstab für die Bemessung seinem Wesen nach derselbe sein, wie der damals angewandte. Hieraus ergibt sich, daß der normale Berufsgenoffe, welcher zur Vergleichung heran­ gezogen wird (vgl. oben § 60 VI, 1), auch jetzt nur nach der Be­ rufsstellung und Beschäftigungsart bestimmt werden darf, welche der Rentner vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ausübte, nicht aber nach derjenigen Arbeiterklasse, in welche derselbe erst nach Erlangung der Rente eingetreten ist.30) b) Bei der Bemessung der eigenen Verdienstmöglichkeit des Rentners kommen nach näherer Bestimmung von § 5 Abs. 4 Satz 2 (vgl. oben § 60 V) alle diejenigen Arbeiten in Betracht, die ihm nach Maßgabe seines gebesserten Körperzustandes gegenwärtig möglich sind. Danach müssen, in Konsequenz alles Entwickelten, alle die­ jenigen, seit der Rentenbewilligung neu eröffneten Erwerbsmöglich­ keiten ausscheiden, welche nicht eine Folge des gebesserten Befindens, -«) Dazu unten VII und AN. 99 Nr. 749 S. 561 Abs. 2 a. E. 30) Dies wird allein von Zsenbart-Spielhagen Anm. 1 Abs. 1 richtig hervorgehoben. Für die Ausscheidung des ungünstigeren Berufswechsels ergibt sich eine gewisse Parallele zu § 60 N. 46 dieses Buches. Der Satz des Textes gilt aber im Zusammenhange der ganzen obigen Erörterungen auch für die Lurch Aneignung neuer Fertigkeiten gewonnene Berufsstellung.

sondern int wesentlichen durch eine besondere Ausbildung'') oder durch einen Wohnortswechsel gewonnen sind. Andererseits können auch diejenigen technischen Fertigkeitm, welche etwa in einem gewissen Reste zur Zeit der Rentenbewilligung noch vorhanden waren, aber seitdem infolge von Nichtausübung (vgl. auch oben § 60 V, 7) in Vergessenheit gekommen sind, nicht mehr angerechnet werden. c) Was der normale Berufsgenosse und andererseits der Rentner durch seine in Betracht kommenden Tätigkeiten verdienen kann, ist gleichmäßig, und daher unbedenklich, nach den gegenwärtigen Zeit­ verhältnissen und ebenso auch nach den Verhältnissen des gegen­ wärtigen Wohnorts des Rentners") zu berechnen. Daß auf der Seite des Individuums auch hier (vgl. oben § 60 V, 1, 2) der zu­ fällige tatsächliche Erwerb und die momentan vorhandene Arbeits­ gelegenheit nicht unbedingt für die Höhe der allgemeinen Erwerbs­ fähigkeit entscheidend ist, wird durch die Materialien besonders be­ stätigt.") Ebenso entscheidet auch hier lediglich das durch § 5 Abs. 4 JVG. bestimmte Drittelungsergebnis; ob danach für den als wieder erwerbsfähig zu Erachtenden die Verdienstmöglichkeit hinter der bisher gezahlten Rente zurückbleibt, braucht von Rechts wegen Sie Entziehung der Rente nicht zu hindern.")

III. Sind die bezeichneten Voraussetzungen vorhanden, „so ikann die Rente entzogen werden". Dieses „kann" gewährt dem Vorstande der Versicherungsanstalt35) ein gewisses Ermessen, welches ein wesentliches Mittel ist, die bei Bestimmung der Voraussetzungen für die Rentenentziehung bestehenden theoretischen Schwierigkeiten in der Praxis auszugleichen. Hiernach ist der Vorstand in der Lage, 31) Die Tatsache, daß etwa die Ausbildung nur auf Grund des gebesserten Befindens möglich war, kommt nicht hier, sondern bei der oben N. 21 berührten Frage der eingetretenen Besserung selbst zur Beachtung. Der Standpunkt des Textes kommt vielleicht in den Worten der Entsch. Nr. 1074: „es wird unter .anderem von Bedeutung sein, welches Maß von Vorbildung oder handlicher Fertigkeit dazu nötig ist" zur Erscheinung. 32) Jsenbart-Spielhagen 33) Komm.Ber. Abs. 3 zu § AN. 03 S. 539 Nr. 1074. 34) Weymann Anm. 2; vgl. 35) AN. 02 Nr. 994 S. 508. Las Verfahren ergeben.

Anm. la. 24 Entw. G. 89; AN. 95 S. 251 Nr. 459, aber unten N. 36. Nur diesem, woraus sich Konsequenzen für

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IV. Buch.

Renten.

IV. Kap.:

Fortfall der Rente.

„beim Vorliegen starker Billigkeitsgründe36) mit einer gewissen Milde oder bei zweifelhafter Sachlage abwartend zu verfahren"?') Anderer­ seits ist aber doch der Vorstand außerhalb dieser besonderen Gründe pflichtmäßig gebunden;38) das ergeben sowohl Wortlaut wie Sinn anderer Stellen des Gesetzes/") wie auch die Materialien?") Bet diesem Pflichtcharakter der Vorschrift kann auch der Vorstand nicht vertragsmäßig im Sinne einer Invalidenrente auf Lebenszeit auf die Ausübung der ihm anvertrauten Befugnis verzichten (vgl. oben § 67 N. 25); daher ist ebensowenig der Schluß aus der gesetzmäßig begrenzten Würdigung auf die Möglichkeit einer teilweisen Ent­ ziehung der Rente gerechtfertigt (vgl. oben N. 2). Vielmehr würde­ ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde stattfinden können, wenn die Versicherungsanstalt in falscher Praxis sich ihrer nicht selten un­ angenehmen^') Pflicht der Rentenentzichung entschlüge. IV. Für das Verfahren im Falle der Rentenentziehung gilt folgendes: 1. Nach § 57 Ziff. 4 mit § 79 Abs. 1 JVG. ist den unteren Verwaltungsbehörden und den Nentenstellen die Pflicht auferlegt^ den Vorstand der Versicherungsanstalt von den zu ihrer Kenntnis, kommenden Fällen zu benachrichtigen, in welchen Grund zu der Annahme vorliegt, daß die Invalidenrente zu entziehen sein werde. Benachrichtigungspflichtig ist diejenige Behörde, in deren Bezirk der Rentner seinen Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthaltsort hat (arg, § 121 Abs. 2 JVG.); Adressat derjenige Vorstand, welcher für die 3') Vgl. z. B. oben N. 34. 3i) Bosse-v. Woedtke Anni.4 a. E.; auch Gebhard-Düttmann Anm.6„ Weymann Anm. 2. 3e) Anders Piloty, nach welchem „eine Pflicht zur Entziehung in keinem Falle besteht und sich mit dem Eintritt der in § 47 Abs. 1 beschriebenen Ver­ änderung das Recht des Rentners in eine zur Disposition des Versicherers, stehende, widerrufliche Vergünstigung verwandelt". An die Züchtung eines solchen Heeres abhängiger Almosenempfänger hat der Gesetzgeber sicher nicht gedacht. 36) § 57 Ziff. 4: „daß die Invalidenrente zu entziehen ist"; §68 Abs. 3, § 93. 40) Mot. Abs. 1 zu § 24 Entw. G. 89: „ungerechtfertigte Belastung der Ver­ sicherungsanstalt"; „Rechtsgrund der Rente hinfällig mit dem Fortfall ihrer Voraussetzung". 41) Gebhard-Düttmann Anm. 3 Abs. 2.

§ 75. Entziehung der Invalidenrente.

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Entziehung bezw. den Antrag auf dieselbe zuständig ist. Da nach § 172 Abs. 1 die öffentlichen Behörden ohnehin verpflichtet sind, den Versicherungsanstalten auch unaufgefordert alle Mitteilungen zu­ kommen zu lassen, welche für ihren Geschäftsbetrieb von Wichtigkeit sind, so kann die besondere Hervorkehrung dieser Pflicht in § 57 Ziff. 4 nur in dem weiteren Sinne gemeint sein, daß untere Ver­ waltungsbehörde oder Rentenstelle auch gehalten sein sollen, möglichst durch eigene Nachforschung, unter Heranziehung der ihnen unterge­ ordneten ©teilen,42) den Zustand der ihrem Bezirk angehörigen Rentner zu kontrollieren.42) 2. Die Einleitung des Entziehungsverfahrens selbst steht allein dem Vorstande der Versicherungsanstalt zu. Ohne dessen Initiative haben, abgesehen von der in Ziff. 1 erörterten Benachrichtigung, weder die unteren Verwaltungsbehörden noch auch die Rentenstellen, selbst wenn ihnen nach § 86 JVG. die Entscheidungsgewalt über­ tragen ist, weiter zu prozedieren. Daher steht es den begutachtenden Instanzen nicht zu, vor der Benachrichtigung von sich aus bereits in eine weitere abschließende Erörterung des Falles einzutreten und zugleich mit der Benachrichtigung ein formelles Gutachten über den­ selben abzugeben,44) und ebensowenig können die entscheidenden Rentenstellen die Entziehung ohne Antrag des Anstaltsvorstandes aussprechen.42) Zuständig ist aber stets der Vorstand derjenigen Anstalt, welche die Rente bewilligt hat, auch wenn er gemäß § 112 JVG. nach den gegenwärtigm örtlichen Beziehungen des Rentners für ein neues Bewilligungsverfahren nicht mehr kompetent wäre. ") Nach § 31 der rvürtt. Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899 sind die Orts­ behörden zur Anzeige an das Oberamt verpflichtet. ") Ebenso Piloty, Gebhard - Düttmann Anm. 6 Abs. 3, Weymann Anm. 4 a zu § 57. ") Anders Piloty; vgl. aber die genaue Scheidung der Benachrichtigung Ln Ziff. 4 des § 57, welche schon erfolgen soll, wenn „Grund zu der An­ nahme vorliegt, daß die Rente zu entziehen ist" und des Gutachtens in Ziff. 2, welche eine bestimmte Beurteilung des Verhältnisses ergeben soll. Über­ einstimmend die preuß. Min.Anw. Ziff. 15 (dazu Gebhard-Düttmann Anm. 22 unter Hinweis auf das Ermessen des Vorstandes), sowie die badische Vollz.VO. § 36. ") Es ergibt sich das gleichfalls schon aus dem, ausschließlich dem Vor­ stande zustehenden Ermessen; vgl. oben N. 35 und Zsenbart-Spielhagen Anm. 7 zu § 121.

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

Hat sich ein unzuständiger Vorstand der Sache unterzogen, so ist das ganze Verfahren wegen wesentlichen Mangels nichtig; es bleibt nach Aufhebung desselben der zuständigen Anstalt überlassen, ein neues selbständiges Verfahren in Gang zu bringen?") 3. Ist ein bezüglicher Antrag des Vorstands eingegangen, so hat sich nunmehr die untere Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle der Begutachtung gemäß § 57 Ziff. 2 JVG. zu unterziehen. Kompetent ist dafür die Behörde, in deren Bezirk der Rentner seinen Wohnort oder gewöhnlichen Aufenthaltsort hat. Notwendig ist in erster Reihe auch hier die Aufklärung des Sachverhalts/') welche namentlich durch geeignete Erhebungen über die angebliche Besierung im Ge­ sundheitszustände des Rentners") und über seine gegenwärtigen Arbeitsverrichtungen49) zu bewirken ist. Entzieht sich der Rentner ohne triftigen Grund den durch die Sachlage gerechtfertigten Unter­ suchungsmaßregeln, so können auch im Entziehungsverfahren un­ günstige Schlüsse daraus gezogen werden?") Für die Erstattung des Gutachtens sind hier Formulare in der preußischen Anweisung nicht vorgeschrieben. Jedenfalls hat sich gemäß § 58 Abs. 2 JVG. das Gutachten „auf das Maß der Erwerbsfähigkeit des Rentenempfängers (§ 47 Abs. 1)" einschließlich der Frage, ob und inwieweit die vor­ handene Erhöhung derselben ursächlich auf eine günstige Veränderung im Befinden des Rentners zurückzuführen ist/') zu erstrecken. Ist die Behörde der Ansicht, daß das Gutachten für die Entziehung der Rente abzugeben sei, so tritt über die Frage der Erwerbsfähigkeit (vgl. oben § 68 IV, 2 litt, bb) mündliche Verhandlung mit den ") AN. 01 S. 198 Nr. 880. Seine Prorogation zu Ungunsten des Ver­ sicherten; vgl. oben § 73 N. 56. ") Zwar ist § 112 Abs. 2, jedenfalls int Hinblick auf die Schlußbestimmung, in § 121 Abs. 3 nicht angezogen; vgl. aber § 59 Abs. 1 und Ziff. 15 der preuß. Anweisung. 46) Hinsichtlich der etwa notwendigen Erhebung ärztlicher Gutachten vgl. § 15 der preuß. Anweisung und oben § 68 N. 24 ff. «) Ziff. 15 der preuß. Anweisung. so) Voraussetzungen dafür wie oben § 70 N. 152 mit 116. Namentlich auch hier Würdigung im Zusammenhange mit der ganzen Sachlage (AN. 00 S. 675 Nr. 819). 51) Ebenso Gebhard-Düttmann Sinnt. 3 zu § 58, Seelmann S. 48. Dagegen Jsenbart-Spielhagen Sinnt. 6 zu § 58, weil eine derartige Begut­ achtung nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Das liegt aber schon in der Bezug­ nahme auf § 47 Abs. 1; vgl. auch oben § 68 N. 32 a.

§ 75.

Entziehung der Invalidenrente.

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Beisitzern gemäß § 59 Abs. 1 JVG. ein. Hat die einfache Behörde ihr Gutachten gegen die Entziehung abgegeben und will der Vor­ stand trotzdem entziehen, weil er die Erwerbsfähigkeit gemäß § 47 Abs. 1 für gegeben erachtet, so muß er gemäß § 121 Abs. 8 mit § 112 Abs. 3 die Sache zur Begutachtung durch die verstärkte Be­ hörde zurückgeben, bei Vermeidung wesentlicher Nichtigkeit.5^) Be­ ruhigt sich aber der Vorstand für jetzt bei dem verneinenden Gut­ achten der einfachen oder auch verstärkten Behörde und kommt er später wieder auf seine Absicht zurück, so muß das Begutachtungs­ verfahren von neuem in die Wege geleitet werden.55) 4. Die Entziehung der Rente durch den Vorstand erfolgt im Wege des berufungsfähigen Bescheides, welcher mit Gründen zu ver­ sehen ist54) und die in § 114 Abs. 4 vorgeschriebene Berufungs­ klausel enthalten muß. Ergeht ein Entziehungsbescheid, während das Bewilligungsverfahren noch schwebt (vgl. oben bei N. 6, 7), so empfiehlt es sich, demselben eine besondere Belehrung darüber bei­ zufügen, daß im Falle der Beschwerung eine selbständige Anfechtung des Entziehungsbescheides trotz des schwebenden früheren Verfahrens nötig sei; ebenso ist der mit dem letzteren befaßten Instanz Anzeige zu erstatten.55) Von dem erlassenen Bescheide ist gemäß § 122 JVG. (vgl. oben § 69 I, 6) Benachrichtigung zu erteilen. Der Wegfall der Rente ist zu gegebener Zeit in der Rentenliste zu ver­ merken und der Rechnungsstelle Anzeige zu machen.55) 5. Die nach § 86 JVG. mit Entscheidungsbefugnis ausgerüstete Rentenstelle prozediert auf Antrag des Anstaltsvorstandes (vgl. obm Ziff. 2), und zwar ist sie nach § 86 Abs. 1 Schlußsatz verpflichtet, auf solchen Antrag einen Bescheid zu erlassen, während sie allerdings in Bezug auf dessen Inhalt an Weisungen des Vorstandes nicht ge­ bunden ist. Da die Entscheidungsgewalt an Stelle der Begutachtung tritt, so folgt daraus, daß auch hier die Rentenstelle des Wohnorts AN. 02 S. 507 Nr. 994. «*) Vgl. Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 185. ") Analogie von § 112 Abs. 5, gemäß ausdrücklicher Bestimmung von § 121 Abs. 1. M) Vgl. die Zitate in N. 6. 56) § 20 der Nechnungsanweisung v. 1. Dez. 1899 und Bemerkungen dazu, AN. 00 S. 225, 233, 253; vgl. oben § 69 I, 5 a. E. Formular der Wegfall­ anzeige S. 245.

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

für den Entziehungsbescheid zuständig ist, auch dann, wenn sie nicht im Bezirk der zum Antrag berechtigten rentenpflichtigen Anstalt be­ legen ist (vgl. oben Ziff. 2 a. E.). Dann kann aber auch kein Zweifel darüber bestehen, daß die in § 129 Abs. 3 JVG. an­ geordnete unverzügliche Einsendung der Verhandlungen nach Erlaß des Bescheides"') hier nicht nach dem Wortlaute des Gesetzes an „den Vorstand derjenigen Versicherungsanstalt, die für den Bezirk der Rentenstelle zuständig ist", sondern an den Vorstand der Anstalt, welche den Antrag gestellt hat, zu erfolgen hat."") Die Entscheidung ergeht in verstärkter Besetzung (vgl. oben § 69 II, 2), wenn nach Ansicht des Vorsitzenden die Rente entzogen werden soll. Ist die demnächstige Entscheidung des Kollegiums, mag sie für oder gegen die Entziehung lauten (vgl. oben § 69 N. 35), gegen die Stimme des Vorsitzenden ergangen, so ist das bei Übersendung der Ver­ handlungen dem Vorstande zu bezeichnen (§ 129 Abs. 2, 3). 6. Ist die Entziehung der Rente erfolgt, so steht dem Rentner, ist dagegen der Antrag auf Entziehung durch Entscheidung der Rentenstelle abgelehnt worden, so steht dem Vorstande die Berufung zu (§ 121 Abs. 3, § 129 Abs. 4 JVG.). Von einer aufschiebenden Wirkung der Berufung kann im letzteren Falle keine Rede sein. Zweifelhafter ist der erste Fall. Die meisten Schriftsteller versagen hier dem Rentner den Suspensiveffekt, weil § 114 Abs. 1 Satz 2, auf welchen sich § 121 Abs. 3 beziehe, schlechthin erkläre, daß „die Berufung keine aufschiebende Wirkung haben" solle."") Allein der § 121 Abs. 3 vindiziert dem § 114, und auch diesem nur im ganzen, M) Dieselbe hat sowohl zu erfolgen, „wenn die Entziehung einer Invaliden­ rente abgelehnt", als wenn sie „ausgesprochen" ist. Im ersten Falle muß sich der Vorstand über die Berufung schlüssig machen, im letzteren — nach der hier vertretenen Ansicht, wenn der Rentner keine Berufung einlegt — die Einstellung der Rentenzahlung verfügen und die Post mit Anweisung versehen. M) Man muß, wenn man nicht zu Widersprüchen, namentlich mit der R. 46 zitierten Entscheidung gelangen will, eine irrige Fassung des Gesetzes annehmen, welche die Fälle der Entziehung und Einstellung außer Augen ließ. 6e) Geb hard-Düttmann Anm. 16 Abs. 3 zu § 47, Anm. 6 Abs. 2 zu § 121 (dieselben nehmen, gestützt auf § 116 Abs. 1 Satz 2, weiter an, daß, wenn die Berufung Erfolg hat und dann die Anstalt Revision einlegt, die Rente für die weitere Zeit vorläufig wieder angewiesen werden muß). Ferner Wey mann Anm. 11 zu § 114 und v. Frankenberg im Archiv für öffentl. Recht Bd. 14 S. 227.

§ 76. Entziehung der Invalidenrente.

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„entsprechende" d. h. aber sinngemäße Anwendung, und wenn nun § 114 Abs. 1 Satz 2 in Sachen der Rentenbewilligung der Berufung des Ansprechers gerade zu Gunsten des letzteren auffchiebende Wirkung versagt/") so wäre es doch sicher keine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Anwendung des § 114, wenn man diesen Teil des­ selben auch da aufrecht erhielte, wo er sich zum Nachteil des Ver­ sicherten wendet?') Zuständig ist das Schiedsgericht, in deffen Sprengel der Rentner bei Einleitung des Entziehungsverfahrens seinen Wohnort hatte, welches also der am Verfahren beteiligten unteren Verwaltungs­ behörde oder Rentenstelle entspricht?3) Hat der Rentner nach Ein­ leitung des Verfahrens seinen Wohnsitz verlegt, so übt das auf die Kompetenz keinen Einfluß mehr aus?3) Für die Einforderung der Vorverhandlungen gilt nach Verschiedenheit der Fälle das oben § 70 V, 1 Entwickelte derart, daß bei Einlegung der Berufung durch den Vorstand dieser die Vorakten alsbald mitzusenden hat, während sie ln den übrigen Fällen (vgl. oben N. 58) von ihm unter Mitteilung der Berufungsschrift eingefordert werden?*) Eine Abweichung vom Bewilligungsverfahren ergibt sich insofern, als beim Fehlen des gesetzmäßigen Vorgutachtens dasselbe nicht vom Schiedsgericht nach­ träglich einzuholen, vielmehr der Bescheid aufzuheben ist. Es hängt das mit dem gemäß § 47 Abs. 1 JVG. ausschließlich dem Vorsiande (vgl. oben N. 35) eingeräumten Ermessen zusammen, desien Ausübung durch das Vorliegen des Gutachtens bedingt ist. Dem Vorstande ist anheimgestellt, nach Einforderung des Gutachtens in ■neuem selbständigen Verfahren. zur Frage der Entziehung Stellung zu nehmen?3) 0°) Vgl. oben § 70 IV, 4: dazu Mot. Abs. 3 zu 8 62 Entw. UVG. v. 1884. 61) Ebenso Bosse - v. Woedtke Anm. 1 Abs. 2 zu § 85. Vgl. dazu noch Anten N. 73. M) AN. 03 S. 540 Nr. 1075. Vgl. oben § 73 N. 59. Über die Kosten­ tragung oben § 28 N. 54 a. 63) Vgl. die Entsch. Nr. 1075 a. E. und oben § 70 N. 10. 64) § 7 SchGO.; Jsenbart-Spiel Hagen Anm. la dazu. M) AN. 02 S. 507 Nr. 994. Ein Widerspruch mit dem Prinzip, daß das Schiedsgericht nicht in die erste Instanz zurückverweisen darf (vgl. oben § 70 N. 206), liegt nicht vor, weil mit dem Urteil des Schiedsgerichts diese Sache beendet ist. Vgl. übrigens AN. 04 S. 418 Nr. 1128 im Nachtrag.

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IV. Buch. Renten. IV. Kap.: Fortfall der Rente.

Für die Revision gelten entsprechend die Grundsätze des Be­ willigungsverfahrens, ebenso für die Wiederaufnahme (§ 121 Abs. 3JVG-). Die Anwendung des § 117 Abs. 3 kann nicht in Fragekommen. Auch der Revision des Rentners kommt nach obigem auf­ schiebende Wirkung zu. 7. Es ist vorgeschlagen worden,00) das erstinstanzliche Verfahren bei der Entziehung der Renten, speziell der Krankenrenten, durch Verwendung des Verzichts seitens des Rentners zu vereinfachen. Inwieweit ist das zulässig und erreichbar? Zunächst wird daran fest­ zuhalten sein, daß es weder den Vorständen, noch den sonst be­ teiligten Behörden als Trägern einer sozialpolitischen Aufgabe an­ steht, eine besondere Einwirkung auf den Rentner zwecks Herbei­ führung einer Verzichtserklärung auszuüben;07) gegen eine Anfrage unter Hinweis auf den Sachverhalt wird nichts zu erinnern fein.08) Ferner dürfte sicher sein, daß auch nach Abgabe des Verzichts der Erlaß eines Entziehungsbescheides unentbehrlich ist (vgl. oben § 73 N. 114). Ebensowenig kann die Einholung des Vorgutachtens an sich unterbleiben,00) bei dessen Vorbereitung es der Behörde un­ benommen sein muß, die Möglichkeit einer Anfechtung des der Anstalt gegenüber abgegebenen Verzichts (vgl. oben § 67 I, 2 mit § 73 IX) unter Anhörung des Rentners ins Auge zu fassen?0) Wenn nun aber weiter die Ansicht vertreten wird, daß bei vorliegendem Verzichte jedenfalls die Anhörung der Beisitzer zu unterbleiben habe,") so wird man dem für die Fälle beitreten können, daß der Rentner ent­ weder vor der begutachtenden Behörde selbst seinen Verzicht be­ denkenfrei erklärt oder sich zu dem vorher gegenüber der Anstalt erklärten bekennt und auch die Behörde bei pflichtmäßiger Prüfung keinen Anlaß sieht, denselben zu beanstanden. Denn in allen diesen Fällen kommt die den Besitzern vorzulegende Frage der Erwerbssähigkeit (vgl. oben Ziff. 3) zunächst nicht in Betracht.^) Aller»«) Gebhard-Düttmann Sinnt. 5 Abs. 2 zu § 47 32$®.; Appelius in Mainzer Ztschr. Bd. 12 S. 73. *’) Jsenbart-Spielhagen Sinnt. 2 zu § 59; Appelius S. 74 Sp. 1; vgl. oben § 67 I, 2, auch 91. 24. M) *@o wohl auch Gebhard-Düttmann a. a. O. 6e) Wg. in Mainzer Ztschr. Bd. 12 S. 122 f.; vgl. den Nachtrag. ,0) So auch Appelius in Mainzer Ztschr. Bd. 12 S. 74. ”) Zsenbart-Spiel Hagen und Appelius a. a. O. ’2) Auf diese Begründung kommen wohl auch die Ausführungen von

§ 75.

Entziehung der Invalidenrente.

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dings ist dann die Gefahr vorhanden, daß, wenn dem Rentner irr den höhere,r Instanzen die rechtliche Beseitigung des Verzichts durch Anfechtung gelingt, und damit die materielle Frage nach den Vor­ aussetzungen des § 47 Abs. 1 hervortritt, die Vernichtung des Ver­ fahrens unter Vorbehalt eines neuen erfolgen muß (vgl. oben N. 65). Daher wird auch die sofortige mündliche Verhandlung mit den Bei­ sitzern geboten sein, wenn der Rentner unter Bestreitung seiner Er­ werbsfähigkeit schon vor der Behörde seinen der Anstalt erklärten Verzicht anficht oder verleugnet. V. In gewisser Anknüpfung an § 88 Satz 2 JVG. (vgl. oben. § 65 N. 34) bestimmt § 47 Abs. 3, daß die Entziehung der Rente mit dem Ablauf des Monats in Wirksamkeit tritt, in welchem der die Entziehung aussprechende Bescheid zugestellt worden ist.72*) Esgilt dies gleichviel, ob bei der Zustellung des Bescheides die laufende Monatsrate bereits zur Auszahlung gelangt ist oder nicht. Legt ber Rentner gegen den Bescheid Berufung ein, so muß allerdings die Rente vorläufig weiter gezahlt werden.72) Sie kann aber zurück­ gefordert werden (vgl. oben § 70 N. 192 ff.), wenn der Bescheid definitiv in Rechtskraft erwächst. Ob die Versicherungsanstalt auf diese Rückforderung verzichten kann, ist zweifelhaft. Bei der ge­ botenen wohlwollenden Interpretation des Gesetzes kann man es an­ nehmen, da § 121 Abs. 3 die „entsprechende" Anwendung von § 118 Appelius hinaus, dem jedoch darin nicht zugestimmt werden kann, daß das Verfahren bei vorliegendem Verzicht „nicht das Entziehungsverfahren, wohl aber das Einstellungsverfahren der §§ 57, 121 ist, obgleich der Verzicht nicht, in dem dort angezogenen § 48 aufgeführt ist". Denn sachlich wenigstens hat der Verzicht mit den in §»48 aufgeführten Gründen des Rühens der Rente nichts gemein, da er auf eine dauernde Aufhebung des Rentenanspruchs ge­ richtet ist. Zur Sache vgl. jetzt AN. 04 S. 418 Nr. 1128 im Nachtrag. «a) Es entscheidet also nicht der materielle Wiedereintritt der Erwerbs­ fähigkeit (AN. 95 S. 252 Nr. 460 Schlußabsatz); Gebhard-Düttmann Anm. 16 Abs. 2 zu § 47. 73) v. Frankenberg (oben N. 59) führt dagegen die Möglichkeit .der^Verschleppung ins Feld. Allein, abgesehen von den Verschleppungsstrafen {(§ 64 Abs. 5 mit 104 Ziff. 3), entspricht es doch dem in § 47 Abs. 1 hervortretenden Prinzip möglichster Schonung der im Besitz befindlichen Rentner mehr, un-gerechtfertigte Entziehungen tunlichst unschädlich zu machen, auch wenn infolge­ dessen einmal eine Rente länger, als nötig, und uneinbringlich gezahlt werden, muß. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die wiedereingetretene Erwerbsfähigkeit, doch nur die gesetzliche 7/z - Erwerbsfähigkeit zu sein braucht.,

vorschreibt und eine andere Anwendung desselben, abgesehen von dem hier vorliegendm Falle, nicht gedacht werden kann (vgl. oben IV, 6 a. E.). Wird in den höheren Instanzen festgestellt, daß der Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit zwar nicht vor dem Ablauf des Zustellungsmonats, wohl aber im späteren Laufe des Verfahrens erfolgt ist, so wird die Entziehung analog mit dem Ablauf desjenigen Monats wirksam werden, in welchem das betreffende Berufungs­ oder Revisionsurteil dem Rentner zugestellt wird. Das gleiche muß gelten, wenn der von der entscheidenden Rentenstelle abgewiesene Vorstand durch Bemfung oder Revision die Entziehung der Rente erreicht hat. VI. Ist eine Invalidenrente entzogen, so kann doch später wieder ein neuer Jnvaliditätsfall zur Neubewilligllng einer solchen führen. Man könnte de lege ferenda daran denken, ob es sich empfehlen würde, dem Antrag auf Neubewilligung ähnliche zeitliche Grenzen zu ziehen, wie sie in § 120 JVG. der Wiederholung eines Antrags auf Erstbewilligung gezogen werden (vgl. oben § 72 V, 1); de lege lata erscheint eine analoge Anwendung, da § 121 Abs. 3 dieselbe nicht erwähnt und zudem § 120 eine besondere Ausnahmebestimmung darstellt, jedenfalls ausgeschloffen. Daher ist es möglich, jede neue Erwerbsunfähigkeit als Anspruchsgrund zu berücksichtigen, mag ihr Eintritt noch so nahe bei demjenigen Zeitpunkt liegen, welcher im vorangegangenen Entziehungsverfahren als der des Wiedereintritts der Erwerbsfähigkeit angenommen worden ift.n) Indessen wird auch hier, analog den oben § 72 bei N. 81, 82 gegebenen Ent­ wicklungen, die Bedeutung der Rechtskraft des Entziehungsverfahrens darin sich äußern, daß der Beginn der neuen Rente '*) frühestens auf den Tag nach der die Entziehung endgiltig aussprechenden Ent­ scheidung 76) oder auf den Tag nach der Einstellung der Renten74) Daß derselbe geraume Zeit vor dem Entziehungsbescheide liegen kann, ergibt N. 72 a. 75) Eine neue Krankenrente kann natürlich auch hier erst beginnen, wenn die neue Erwerbsunfähigkeit 26 Wochen angedauert hat. 76) Nicht „nach dem Entziehungsb es cheide", was mit dem Grundsatz der -unten N. 80 zitierten Entsch. Nr. 747 zusammenhängt. Denn danach sagt das Berufungsurteil, welches den Entziehungsbescheid bestätigt, zugleich aus, daß zur Zeit desselben ein neuer Rentenanspruch noch nicht bestand. Anders aller­ dings das lediglich bestätigende Revisionserkenntnis nach § 72 N. 81 a. E.

§ 75.

Entziehung der Invalidenrente.

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zahlung, falls dieser von Rechts wegen") später fällt, zu fixieren ist. Wird schon im Berufungsverfahren über die Entziehung einer Invalidenrente der Eintritt eines abermaligen Jnvaliditätsfalles fest­ gestellt, so ist nach dem Prinzip der vollständigen Erschöpfung des Streitstoffes ’8) von Amts wegen die Rente in demselben Urteil, frühestens vom Tage nach der Wirksamkeit der Entziehung an,"), wiederzugewähren?") Über die Anrechnung der Zeit des früheren Rentenbezugs, welche § 47 Abs. 4 JVG. für den Fall vorsieht, daß. nach einer rentenfreien Zeit eine neue Invalidenrente bewilligt wird, ist bereits an anderer Stelle gehandelt worden?') Schließt sich, wie dies nach den eben gepflogenen Erörterungen vorkommen kann, die neue Rente unmittelbar an die erste an, so wird das Rechts­ verhältnis nt. E. einfach als Fortgewährung der letzteren zu be­ handeln fein.82) VII. Der § 47 mit § 121 JVG. bezieht sich jedenfalls zunächst auf den Fall, daß „der Rentenempfänger weder vorübergehend, noch ”) Das heißt: gemäß § 47 Abs. 3, nicht bloß tatsächlich wegen der auf­ schiebenden Wirkung eines Rechtsmittels, welches dann verworfen wurdeDie Bedeutung des Termins der (späteren) Renteneinstellung gründet sich natürlich auf die Unzulässigkeit einer doppelten Rentenzahlung. 78) Vgl. oben § 70 VIII, 4 mit § 70 N. 59 a. 7ti) Liegt dieser Fall vor, so führt er zur Fortgewährung der Rente und damit zur Aufhebung des Entziehungsbescheides bezw. zur Zurückweisung der vom Vorstande eingelegten Berufung. Vgl. im übrigen über die Form des Urteils die unten N. 80 zitierte Entsch. 747 Schlußabsatz, wo kein Gewicht darauf gelegt wird, ob auf Zurückweisung der Berufung des Rentners und zugleich Neubewilligung der Rente oder auf Abänderung des Entziehungsbescheides in diesem Sinne tenoriert wird. 80) AN. 99 S. 558 Nr. 747: Entziehung durch Bescheid vom I.Juli 1897 ab, Wiedergewährung schon vom 8. desselben Monats ab. Der Gesichtspunkt der Klageänderung würde in keinem Falle entgegenstehen (vgl. oben § 73 N. 82). Es kommt aber auch in Betracht, daß in dem prozessualischen Verlangen des Rentners nach Fortgewähr der Rente das der eventuellen Neubewilligung (wenigstens in Höhe der alten Rente) implicite mit enthalten ist. Daher bedarf es auch keines ausdrücklichen Antrags auf die letztere und ebensowenig wird hier (entgegen oben § 73 N. 84—86) eine Einholung des Vorgutachtens zu verlangen sein. 81) Vgl. oben § 54 IV, 4 litt. aa und den unter bb behandelten ersten Fall. 82) Daher Gleichstellung mit den beiden weiteren in § 54 IV, 4 unter bb behandelten Fällen. Es liegt eine gewisse Analogie mit dem oben bei N. 13 behandelten Falle vor.

dauernd erwerbsunfähig, vielmehr wieder erwerbsfähig ist" (vgl. oben N. 29). Es frägt sich aber, ob diese Bestimmungen unmittelhar oder analog auch auf die Fälle bleibender, aber in Bezug auf die Voraussicht ihrer Dauer wechselnder Erwerbsunfähigkeit An­ wendung finden. Mit Bezug auf § 47 Abs. 4 ist hiervon schon oben § 54 IV, 4 litt, bb gesprochen worden, wozu im übrigen noch folgendes zu bemerken ist: Außer Betracht bleiben kann der Fall, daß eine für dauernd erachtete Invalidität noch innerhalb der •ersten 26 Wochen nach ihrem Eintritt durch eingetretene Besserung in eine bloß noch als vorübergehend anzusehende übergeht. Der­ selbe würde m. E. unter § 47 sollen;83) er wird aber praktisch mit Rücksicht auf die Kürze des kritischen Zeitraums nicht leicht vor­ kommen. Geht vorübergehende Erwerbsunfähigkeit, für welche Rente gewährt wird, in dauernde über, so nehme ich im Anschluß an die frühere Judikatur des RVA.8*) an, daß hier88) im Sinne des Ge­ setzes überhaupt kein rechtlicher Wechsel des Anspruchsgrundes, sondern eine einfache Fortgewähr der Rente stattfindet. Die Ver­ sicherungsanstalt mag im Interesse der Rechnungsverwaltung **) und ihrer Kontrolle den Fall in den Rentenlisten umschreiben und auch den Rentner darüber benachrichtigen, daß er jetzt als dauernd er­ werbsunfähig anerkannt werde: ein förmliches Rechtsverfahren im Sinne einer Entziehung der Kranken- und Bewilligung der Dauer­ rente findet nicht statt. Stellt man sich aber auf den Standpunkt der neueren Judikatur des RVA. (vgl. oben § 54 R. 57), welche auf diesen Fall den § 47 Abs. 4 für anwendbar erklärt, dann muß man auch die Konsequenz ziehm88) und den Anstalten die Befugnis 83) Aus der Streichung des Wortes „dauernd" könnten keine entgegen­ gesetzten Schlüsse gezogen werden, da dieselbe andere Bedeutung hatte; vgl. oben N. 1. 84) Vgl. das oben N. 29 und in § 54 N. 54 citierte Erk. Nr. 749 im vor­ letzten Absatz, wo auch die Worte des § 16 JVG. „für die weitere Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit" in diesem Sinne mit Recht verwertet werden. 8B) Von dem Normalfall des § 47 Abs. 1 würde sich dieser Fall zudem durch die vorausgesetzte Änderung zum Schlimmeren unterscheiden. 85a) Vgl. auch unten § 78 N. 42. ZVG. S. 23 Anm. *) steht offenbar -aß das RVA. zur Durchführung mnrd aufstellen können". 86) Dagegen oder doch zweifelnd

Die mathematische Denkschrift zum Entw. auf diesem Standpunkt und setzt voraus, desselben „unschwer geeignete Grundsätze die oben § 54 N. 55 zitierten Kommentare.

§ 76.

Ruhen der Renten.

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zuerkennen, in Anwendung von § 47 Abs. 1 von Amts wegen die bisherige Krankenrente zu entziehen und, wenn man nicht formalistisch auf § 112 Abs. 1 bestehen will, die neue Dauerrente zu bewilligen. Eines Vorgutachtens wird es nicht bedürfen. Für den letzten Fall endlich, in welchem die dauernde Erwerbsunfähigkeit nach Ablauf von 26 Wochen durch Besserung in eine vorübergehende übergeht, scheint es mir noch sicherer, rechtlich lediglich eine unveränderte Fort­ gewähr der Rente zu statuieren, bis durch gänzliches Schwinden der Erwerbsunfähigkeit die Möglichkeit einer Entziehung der Rente nach § 47 Abs. 1 mit § 121 JVG. eintritt.87)

§ 76.

Ruhm der Renten.

Das „Ruhen der Rente" wird in § 48 JVG.') vom StandPunkte des materiellen Rechts aus behandelt; ihm entspricht auf der -formellen Seite „die Einstellung der Rentenzahlungen", welche in § 121 JVG. und einigen anderen dazu gehörigen Stellen ge­ regelt wird. I. Das Ruhen der Rente2) bedeutet die formell festzustellende °y Vgl. oben §54 bei N. 59 und § 61 bei N. 11-13. 0 Derselbe entspricht mit gewissen Abänderungen dem § 34 G. 89. In Bezug auf die Übergangsfragen sei nur folgendes bemerkt: Daß der § 48 JVG. auch auf die schon vor dem 1. Januar 1900 bewilligten Renten Anwendung findet, wenn der Tatbestand des Rühens erst nach diesem Datum eintritt, dürfte im allgemeinen nicht zu bezweifeln sein; hinsichtlich der pensionsähnlichen Be­ züge der Ziff. 2 vgl. unten N. 21. (Da die Ruhegründe in Ziff. 3 und 4 sich als solche schon im G. 89 finden, so kommen die zu verschiedenen Ergebnissen führenden Erwägungen von AN. 02 S. 372 Nr. 1972 und AN. 01 S. 553 Nr. 1875, welche sich auf die entsprechenden Ziffern 1 und 2 in §94 des neuen GUVG. beziehen, hier nicht in Betracht). — Über die Anwendung der günstigeren Bestimmungen hinsichtlich des Höchstbetrages nach Ziff. 1 und 2 auf Renten, welche bereits am 1. Jan. 1900 ruhten, vgl. AN. 00 S. 458 Ziff. 4 und be­ sonders Jsenbart-Spielhagen Anm. 7. — Nach AN. 00 S. 693 Nr. 828 findet gemäß § 193 JVG. der § 48 Ziff. 2 auf solche am 1. Jan. 1900 schwebende Ansprüche, welche überhaupt nach dem JVG. zu beurteilen sind, mit der Wirkung Anwendung, daß auch schon für die Zeit vor dem 1. Jan. 1900, sobald Pensionen mit Renten zusammentreffen, daraus das Ruhen der Rente sich nur dann ergibt, wenn die Voraussetzungen des neuen Rechts vorliegen. 2) Einen besonders geregelten Fall des Rühens infolge Zusammentreffens

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

zeitweise Unwirksamkeit des an sich zu Recht bestehenden Bezugs­ anspruchs. Darin liegt: 1. Die Möglichkeit des Rühens ist nicht, wie Versagung undEntziehung, auf Invalidenrenten beschränkt, sondern findet bei diesen^ wie bei Altersrenten Anwendung. 2. Mit der Entziehung hat das Ruhen, im Gegensatz zur Ver­ sagung, das gemeinsam, daß es den Bezugsanspruch ergreift*3)** 5 6 und daher für seinen Eintritt eine erfolgte Bewilligung der Rmtevoraussetzt (vgl. oben § 75 I, 3). Da es aber nicht, wie die Ent­ ziehung, die Bewilligung als solche von einem bestimmten Zeitpunkte an für die Dauer verneint, sondern nur eine begrifflich vorüber­ gehende Unwirksamkeit des anerkannten Anspruchs enthält, so ist auch eine Entscheidung, welche uno tenore die Rente bewilligt und zugleich deren Ruhen ausspricht, als Bewilligungs- und als Ein­ stellungsbescheid zu beurteilen. Damit steht weiter im Zusammen­ hange, daß, auch wenn das Ruhen sofort mit dem ersten Beginn des Rentenbezugs einsetzt, doch im Hinblick aus das spätere mögliche Wiederaufleben der Rente deren Feststellung erfolgen muß?) Ebenso^ daß, wenn in einem solchen Falle die Feststellung der Rente ohne gleichzeitige Berücksichtigung ihres Rühens erfolgt ist, daraus kein Einwand der Rechtskraft gegen den später nachzuholenden Ein­ stellungsbescheid entnommen werden kann, weil eben die Bewilligung den Ausspruch des Nichtruhens nicht in sich schließt?) Endlich, daß, wenn während des Rühens einer Rente die Voraussetzungen ihren Entziehung eintreten, dieselbe ausgesprochen werden muß, „selbst, wenn die Umstände, welche das völlige Ruhen der Rente herbei­ führen, voraussichtlich dauernd sein sollten"?) von Invaliden- und Altersrente enthält § 48 Abs. 3. Derselbe ist bereits oben § 62 V, 2 mit § 65 N. 34 erörtert worden und kommt hier nicht mehr in Betracht. Ebenso scheidet hier § 48 Ziff. 1 aus, welcher weiter unten in anderem systematischen Zusammenhange (Invaliden- und Unfallversicherung) behandelt werden soll. 3) § 48: „Das Recht auf Bezug der Rente ruht"; § 48 Ziff. 1 und 2r „unter Hinzurechnung der zugesprochenen Rente"; zu §38: „Ruhen des Renten­ anspruchs" vgl. oben § 66 I Abs. 1 a. E. «) Mot. zu § 25 Entw. G. 89. 5) AR. 99 S. 590 Nr. 754. 6) Gebhard-Düttmann Anm. 3 Abs. 2 zu § 48.

3. Die zeitweise Unwirksamkeit, welche das Ruhen der Rente mit sich bringt, ist eine Unwirksamkeit des Bezugsrechts für eine bestimmte Zeit, nicht bloß in einer solchen. Das bedeutet, daß die vom Ruhen betroffenen Rentenbeträge nicht nachgefordert werden können, wenn die Voraussetzungen des Rühens wieder fort­ gefallen sind/) 4. Während begrifflich0) die Zeitweiligkeit dem Ruhen eigen­ tümlich ist, kann sich dasselbe quantitativ auf die ganze Höhe der Rente oder nur auf einen Teil derselben erstrecken. Im letzteren Falle bleibt der Anspruch auf den Restbetrag in voller Wirksamkeit. Die Grenze zwischen dem zahlbaren und dem ruhenden Betrage kann sich auch während des Bestehens der für das Ruhen maßgebenden Tatsachen verschieben. Völliges Ruhen tritt nach § 48 Ziff. 3 und 4, möglicherweise nur teilweises nach Ziff. 2 (und 1) ein.0) 5. Die Rechtskonstruktion des „Rühens" ist im Gesetz schon durch den gebrauchten Ausdruck im Anschluß an ähnliche Er­ scheinungen auf anderen Rechtsgebieten') gegeben und in den Motiven dementsprechend entwickelt; es liegt kein Grund vor, von ihr abzuweichen. Danach bleibt der Bezugsanspruch an sich rechtlich bestehen; er erlischt nicht, um nach Ablauf des Ruhms wieder neu zu entstehen.") Es entspricht aber auch nicht der Auffaffung des Gesetzes zu sagen, daß durch das Ruhen einzelne zeitlich bestimmte „Ansprüche" auf Rentenbezug als solche vernichtet werden;'0) denn das Gesetz zerlegt den einheitlichen Bezugsanspruch nicht in eine ’) AN. 98 Nr. 694 S. 634 a. Es ist gleichviel, ob dieselbe nach dem G. 89 oder dem ZVG. bewilligt ist (vgl. oben N. 1, 21); der Ausdruck „nach dem gegenwärtigen Gesetze" ist ein -Redaktionsversehen; vgl. Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 litt. a. Gleichviel ist auch, ob die Pension usw. vor oder nach der Entstehung des Rentenanspruchs gewährt wurde; Gebhard-Düttmann Anm. 20 a. E. Die Rente kann übrigens nicht bloß auf freiwilliger, insbesondere Weiterversicherung be­ ruhen, sondern auch (z. B. bei Beamtenwitwen) auf der Versicherungspflicht; vgl -auch die oben N. 18 berührte Streitfrage über die Versicherungspsticht der Be­ amten wegen erheblicher Nebentätigkeit. 24) Berechnungsbeispiele in AN. 00 S. 693 Nr. 828 a. E. und AN. 03 S. 546 Abs. 1 a. E. Nr. 1079. 21) AN. 02 S. 487 Nr. 987 Abs. 2, AN. 03 S. 547 Nr. 1079 Schlußabsatz. 25a) 3ur Erklärung Jsenbart-Spielhagen Anm. 5, zur Kritik Wey­ mann Anm. 6. 26) Über die Grundbeträge und deren Höhe vgl. oben § 65 . IV, 1. Der zu­ lässige Höchstbetrag nach Ziff. 2 variiert danach zwischen 450 und 750 Mark.

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IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

Rentner eine Altersrente, so muß derselben eine fiktive Invaliden­ rente substituiert werden,2') d. h. es muß die Invalidenrente be­ rechnet werden, welche der Betreffende bei gegebenen Voraussetzungen statt der Altersrente in dem gleichen Zeitpunkte, wie diese, erworben hätte. Stichtag für die Höhe der Berechnung ist daher der Zeit­ punkt der materiellen Entstehung des Anspruchs auf Bewilligung der vorliegenden Altersrente,23) nicht aber, wie von anderer Seite ver­ teidigt wird, der Zeitpunkt „des Eintritts des das Ruhen herbei­ führenden Ereignisses" .29) c) Der so berechnete 7fache Grundbetrag wird von der nach litt, a bestimmten Summe abgezogen. Ergibt sich eine positive Differenz, so wird diese von der Rente39) gekürzt, welche insoweit ruht. Der darüber hinaus etwa verbleibende Betrag der Rente wird gemäß § 38 JVG. abgerundet3') und dem Rentner weiter gezahlt. III. In ihrem ganzen Betrage ruht nach § 48 Ziff. 3 die Rente, „solange der Berechtigte eine die Dauer von einem Monat übersteigende Freiheitsstrafe verbüßt oder solange er in einem Arbeits­ haus oder in einer Befferungsanstalt untergebracht ist".32) Die 27) Komrn.Ber. S. 96 Abs. 1 zu § 34 Entw. JVG. Daher wurden in Ziff. 1 auch die Worte „ihnen zustehenden" vor „Invalidenrente" gestrichen. 28) Vgl. oben § 66 III. Nach dem Wortlaut von AN. 00 S. 694 Nr. 828 und Jsenbart-Spielhagen Anm. 6 litt, b soll der „Beginn des Bezugs der Altersrente" maßgebend sein. Sachlich soll damit (jedenfalls auch vom RVA.> der Standpunkt des Textes vertreten sein, wie denn Jsenbart-Spielhagen ausdrücklich hinzufügen, „daß als Beginn des Bezugs der Altersrente der Tag. zu gelten hat, an dem die Voraussetzungen für die Altersrente geg eben sind, nicht etwa der Tag, von dem ab gemäß § 41" (vgl. oben tz 66IV, 3} „erst die Altersrente gewährt werden kann". 20) Gebhard-Düttmann Anm. 17, Weymann Anm. 7. Über praktische Schwierigkeiten dieser Ansicht vgl. Jsenbart-Spielhagen, 1. Aufl., Anm. 6 litt. b. 30) Über die darin liegende Begünstigung gerade der Versicherungsanstalten vgl. Mot. zu § 25 Entw. G. 89. 31) Vgl. dazu oben § 65 N. 32. Daß durch die Abrundung der Höchst­ betrag (vgl. N. 26) überschritten wird, verschlägt Nichts (AN. 93 S. 72 Nr. 229). 32) Eatio legis: demjenigen, der auf Kosten des Staats verpflegt wird, nicht noch überflüssigerweise die Rente zu gewähren; Min. v. Bötticher, Sten.Ber. zum G. 89 S. 1361 C. Zur Kritik Weymann Anm. 12. — Zur besseren Durch­ führung der Bestimmung findet jetzt eine Benachrichtigung der Versicherungs­ anstalten seitens der Post über diejenigen Rentenbeträge statt, welche länger alL

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Ruhen der Renten.

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Fälle der Unterbringung in einem Arbeitshaus oder einer Besierungsanstalt, sowie der Begriff dieser Einrichtungen bestimmen sich nach Reichs- oder Landesrecht?3) Die zu „verbüßenden" Freiheitsstrafen sind die in Freiheitsentziehung bestehenden Äriminatftmfen34) der deutschen Straf- und Polizeistrafgesetzbücher, namentlich Zuchthaus, Gefängnis, Haft, Festungshaft. Nach der Absicht des Gesetzes (vgl. N. 82) müssen auch die Freiheitsstrafen, die an Stelle uneinbring­ licher Geldstrafen getreten sind, dazu gerechnet werden?3) Nicht dazu gehört die Untersuchungshaft; ob aber wenigstens insoweit, als sie durch Urteil auf eine verhängte Freiheitsstrafe angerechnet wird, ist zweifelhaft;33) ich möchte es eher verneinen, da ich nicht glaube, daß ein solches, in allen Fällen rückbezügliches Ruhen der Rente in der Absicht des Gesetzgebers lag. Das Ruhen tritt nur ein, wenn die zu verbüßende Strafe einen Monat übersteigt; ist dies der Fall, so ergreift das Ruhen (nach Maßgabe von § 88) auch den ersten Monat?4) Erfolgt bei einer laut Erkenntnis längeren Freiheits­ strafe im Laufe des ersten Monats Begnadigung, so greift § 48 Zisf. 3 nicht Platz; dasselbe wird auch gelten müssen, wenn der Sträfling im Laufe des ersten Monats stirbt. IV. Die ganze Rente ruht ferner, „solange der Berechtigte nicht im Jnlande seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat". „Der Berechtigte", gleichviel, ob er persönlich Inländer oder Ausländer ist?8) Gleichgiltig ist auch, aus welchem Grunde er sich nicht im Jnlande auf­ hält; auch wenn er zwangsweise, infolge behördlicher Ausweisung das Reichsgebiet verlassen mußte, ruht seine Rente.33) Entscheidend ist aber nicht der juristische Wohnsitz im Jnlande oder Auslande,43) einen Monat nicht abgehoben sind. 1903, AN. 04 S. 244.

Näheres im Rundschr. NVA. v. 24. Jan.

33) Vgl. §§ 55, 56, 362 StrGB. und z. B. § 2 des preuß. G. v. 2. Juli 1900. Eine Zeitdauer der Unterbringung ist hier nicht vorausgesetzt. 34) Zrvangshaft fällt nicht darunter: Weymann Anm. 12 Abs. 4. 35) Ebenso Weymann Anm. 12 Abs. 3. 36) Dafür Gebhard-Düttmann Anm. 24, Weymann Anm. 12. 37) Gebhard-Düttmann Anm. 24. 38) AN. 98 S. 394 Nr. 675. 3Ö) Dafür spricht der Grund der Bestimmung, der vorzugsweise in den Schwierigkeiten der Rentenzahlung nach dem Auslande gefunden wird; vgl. das Ert. Nr. 675. 40) Mot. zu § 34 Entw. G. 89; ebenso schon AN. 98 S. 633 Nr. 694.

936

IV. Buch. Renten.

IV. Kap.: Fortfall der Rente.

sondern der gewöhnliche Aufenthalt (vgl. Bd. I S. 131). Danach tritt ein Ruhen der Rente nicht ein, wenn sich zwar der Berechtigte im Auslande aufhält, dieser Aufenthalt aber, mag er auch an sich nicht von kurzer Dauer sein, im Verhältnis zur gesamten Lebens­ haltung des Berechtigten sich als bewußte Ausnahme von seinem regelmäßigen Aufenthalt in Deutschland darstellt.") Ausnahmen von § 48 Ziff. 4 können durch Beschluß des Bundesrats in doppelter Richtung eintreten: 1. Die Bestimmung kann für bestimmte Grenzgebiete außer Kraft gesetzt werden. Von dieser Ermächtigung hat der Bundesrat verschiedentlich Gebrauch gemacht.^) 2. Durch Beschluß des Bundesrats kann ferner der §48 Ziff. 4 im Wege des Gegenseitigkeitsvorbehalts „für solche auswärtige Staaten, durch deren Gesetzgebung deutschen Arbeitern eine ent­ sprechende Fürsorge für den Fall der Erwerbsunfähigkeit und des Alters gewährleistet ist, außer Kraft gesetzt werden". Vorausgesetzt ist also eine im fremden Staate bestehende gesetzliche Fürsorge für Invalidität und Alter. Auf den Versicherungscharakter, insbesondere auf die Heranziehung der Arbeiter selbst zu Beiträgen, kommt natürlich nichts an. Die Fürsorge muß aber gewährleistet d. h. in Form eines sicheren Rechts zugewiesen und nach dem ©messen des Bundesrats der deutschen im wesentlichen gleichartig sein. Sie muß ferner die deutschen Arbeiter den inländischen gleichstellen und zwar nicht bloß im allgemeinen, sondern auch in dem Punkte, daß ihnen die Fürsorge belassen wird, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt wieder in Deutschland nehmen.") Liegen diese Voraussetzungen sämtlich vor, so kann der Bundesrat bestimmen, daß auch für staatsangehörige Arbeiter des betreffenden ausländischen Staates die ihnen gewährte Alters- oder Invalidenrente nicht ruht, wenn sie in ihre 41) Zn AN. 03 S. 547 Nr. 1080 wird ein einjähriger Besuch des Rentners bei seinen Kindern in Amerika nicht unter § 48 gestellt. Über den Begriff des Inlands vgl. Bd. 1 S. 129. Zu N. 40, 41 vgl. jetzt noch den Nachtrag. 42) Geltende Zusammenfassung in der Bek. v. 16. Okt. 1900, AN. S. 740; dazu noch Bek. v. 1. Febr. 1904, AN. S. 244. Das Großherzogtum Luxemburg ist ganz ausgenommen, sonst Grenzgebiete von Dänemark, Niederlande, Belgien, Schweiz, Österreich-Ungarn, Rußland. 43) Nicht allgemein „im Auslande". Das ist nicht nötig. Auch reicht es aus, daß die betreffende Bestimmung, wie bei uns, nicht durch Gesetz, sondern durch Verordnung eines Verwaltungsorgans getroffen wird.

§ 76.

Ruhen der Renten.

937

Heimat zurückkehren. Ein Fall dieses Beschlusses liegt bisher noch rncht vor. V. Das Verfahren bei Einstellung von Rentenzahlungen schließt .sich an dasjenige bei der Rentenentziehung an, auf dessen Darstellung >°) AN. 98 S. 367—369 Nr. 662—664. Ermittlung der Berechtigten und Belehrung, aber nicht Feststellung von Amts wegen durch den Vorstand (vgl. oben § 73 N. 46). Zweifelhafte Anträge sind im Sinne einer Wahl des Mehr­ betrags auszulegen (AN. 00 S. 840 Nr. 863). 118) Übereinstimmend Jsenbart-Spielhagen Anm. 8 Abs. 2; vgl. auch oben V, 2. Die Praxis in Nr. 663, 664 noch nicht abschließend; dazu auch Weymann Anm. 24. Jedenfalls ist nach Abhebung des bewilligten Betrages kein Wahlrecht mehr vorhanden (AN. 97 S. 414 Nr. 600). 12°) Auch hier keinerlei Rechtskraftwirkung (N. 113, 117), wie AN. 98 S. 368 Nr. 663 selbst erkennen läßt. 1) Der § 21 wird später bei den Grenzbeziehungen zur Unfallversicherung Gehandelt werden. 2) Statistik der Heilbehandlung bei den Versicherungsanstalten und zu­ gelassenen Kasseneinrichtungen für die Jahre 1898 — 1902 in AN. 1903, 1. Beiheft. 3) AN. 94.Nr. 398 S. 175 Abs. 2.

der Einrichtung, neben weichem der rein humanitäre, der Fürsorge für die Erkrankten zugewendete, seine selbständige Bedeutung be­ anspruchen kann?) Man wird die letztere mindestens dann hervor­ kehren dürfen, wenn die ausschließliche Berücksichtigung des finanziellen Zweckes zu Widersprüchen mit der wohltätigen Absicht des Gesetzes und seinen sozialpolitischen Tendenzen führen würde.

II. Das JVG. kennt zwei Arten des Heilverfahrens:45) das vorbeugende (§§ 18 ff.) und das wiederherstellende (§ 47 Abs. 2). Das Unterscheidungsmerkmal ist ein versicherungsrechtliches: der § 47 Abs. 2 findet grundsätzlich Anwendung, wenn der zu Behandelnde bereits eine Rente (Dauer- oder Krankenrente) empfängt, der § 18 dagegen, wenn ihm eine solche noch nicht bewilligt ist. Doch kann hiernach, wie der Schlußsatz von § 18 selbst zeigt/) das vorbeugende in das wiederherstellende Heilverfahren übergehen, wenn während der Dauer des ersteren dem Behandelten eine Rente angewiesen wird. Von da an werden aus das Heilverfahren die etwa abweichenden Grundsätze des § 47 Anwendung zu finden haben. Die Voraus­ setzungen für beide Arten des Heilverfahrens sind folgende: 1. Als persönliche Objekte des Heilverfahrens kommen in Be­ tracht: beim wiederherstellenden die „Empfänger einer Invaliden­ rente" d. h. die bezugsberechtigten Personen/) beim vorbeugenden die „Versicherten". Unter den letzteren sind"die im Besitz einer An­ wartschaft befindlichen Personen zu verstehen (vgl. oben § 53 N. 33 a), 4) Auch in den Motiven zum JVG. wird der Fürsorgezweck nicht bloß neben dem finanziellen hervorgehoben, sondern sogar in die erste Reihe gestellt. Vgl. Mot. Abs. 1 zu § 12—12d: „dem Eintritt einer für die Versicherten ver­ hängnisvollen, für die Versicherungsanstalten kostspieligen Erwerbsunfähigkeit vorzubeugen" und Mot. Abs. 3 zu § 33: „Bei der Bedeutung, welche die Ein­ leitung eines Heilverfahrens nicht bloß für die Versicherungsanstalten wegen der möglichen Verminderung ihrer Rentenlast, sondern vorzugsweise für die Rentenempfänger hat, usw." Daß auch die Kommission für das G. 89, welche das Heilverfahren zuerst in Anregung gebracht hat, dabei von dem Fürsorge­ zweck ausging, vgl. die Mitteilung bei Gebhard - Düttmann Anm. 1 zu § 18. 5) Das G. 89 § 12 kannte nur das vorbeugende Heilverfahren; vgl. dazu Mot. zu § 33 Entw. JVG. «) Vgl. Mot. Abs. 3 zu § 12-12 d Entw. JVG.; AN. 94 S. 175 Nr. 398 SchlußabsaH. ') Darunter fallen auch diejenigen. Bei denen der Bezug der Rente ruht (besonders § 48 Ziff. 1), schon wegen der begrifflichen Zeitweiligkeit des Rühens; vgl. oben § 76 I, 5 mit 4.

so daß auch diejenigen wieder ausscheiden, deren Anwartschaft durch Erstattung (§ 42) oder auch durch Beitragsmangel (§ 46) völlig erloschen ist. Ob die Anwartschaft auf zwangsweiser oder frei­ williger Versicherung beruht, ist gleichgiltig. Ebenso begründet es jedenfalls nach jetzigem Recht°) für die Befugnis der Versicherungs­ anstalt, ein Heilverfahren eintreten zu lassen, keinen Unterschied, obder zu Behandelnde gleichzeitig einen Anspruch aus der Kranken­ versicherung besitzt oder nicht. Die Anordnung eines Heilverfahrenskann nie allgemein für gewisse Klassen, sondern stets nur mit Bezug auf den einzelnen Versicherten nach Prüfung des Falls er­ folgen?) 2. Beim wiederherstellenden Heilverfahren ist mit der Voraus­ setzung der Rentenbezugsbercchtigung schon die weitere des zu be­ handelnden Leidenszustandes, die durch die Bewilligung der Renteanerkannte Erwerbsunfähigkeit, von selbst gegeben. Beim vor­ beugenden Heilverfahren muß der Versicherte „dergestalt erkrankt sein, daß als Folge der Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu besorgen, ist, welche einen Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente be­ gründet" (§ 18 Abs. 1). Darin liegt: a) Der Versicherte muß „erkrankt" sein. Der Begriff ber Krankheit an sich und als Ursache der Erwerbsunfähigkeit bestimmt, sich nach dem oben § 60 bei R. 63 Entwickelten. b) Die als Folge der Krankheit zu besorgende Erwerbsunfähig­ keit muß eine solche sein, „welche einen Anspruch auf Invalidenrentebegründet". Diese Worte bedeuten zweifellos, daß als Erwerbs­ unfähigkeit diejenige in Betracht kommt, welche in abstracto gemäß. §§ 15, 16 JVG. als Anspruchsgrund für eine Invalidenrente wirk­ sam werden sann,810)* so daß z. B. einerseits die gesetzliche DrittelsInvalidität genügt, andererseits bloße Berufsinvalidität nicht aus­ reicht. Dagegen ist zweifelhafter, ob nach dem Gesetz auch weiter 8) Dagegen konnte es nach dem Wortlaut von § 12 Abs. 1 G. 89 allerdings­ zweifelhaft sein, ob die Anstalten berechtigt waren, für einen der reichsgesetzlichen. Krankenversicherung unterliegenden Versicherten das Heilverfahren selbst zu über­ nehmen und ihn in ein Krankenhaus unterzubringen; doch stellte sich schon. AN. 97 S. 410 Nr. 596 auf den bejahenden Standpunkt. °) Piloty S. 58. 10) In diesem Sinne wurden in der 2. Lesung der Kommissionsberatung zu § 7b Entw. G. 89 die angeführten Worte „als eine Konsequenz der §§ 7 und 7a" (jetzt 15 und 16) eingeschaltet (Drucks. Nr. 141 S. 115).

vorauszusetzen ist, daß die ohne Heilbehandlung voraussichtlich ein­ tretende Erwerbsunfähigkeit auch in concreto einen Rentenanspruch erzeugen würde. Die Frage wird allerdings keine Schwierigkeit machen, soweit es sich um selbständige Gegenwirkungen gegen die Kraft des Anspruchsgrundes oder die Wirksamkeit des Anspruchs handelt. So wird natürlich auch das Heilverfahren ausgeschlossen sein, wenn sich der Versicherte die Krankheit vorsätzlich,") ins­ besondere zur Erschleichung einer Rente, zugezogen hat (§ 17 Satz 1 JVG.), wogegen die bloß zu einer fakultativen Versagung der Rente führenden Fälle von § 17 Satz 2 JVG. der Versicherungsanstalt die Freiheit, behandelnd einzutreten, ebenso belassen werden, wie die­ jenigen, in denen mit einem Ruhen der Rente nach Bewilligung der­ selben gerechnet werden kann (§ 48 JVG.; vgl. auch oben N. 7). Schwieriger aber ist der Einfluß der nicht vollendeten Wartezeit zu bestimmen. Anerkannt ist freilich, daß zur Zeit des Eintritts der Heilbehandlung die Wartezeit noch nicht vollendet zu sein braucht:") muß man aber nicht die Gewährung eines Heilverfahrens nrenigstens dann ausschließen, wenn der Versicherte ohne dieselbe voraussichtlich die Wartezeit nicht mehr so zeitig vollenden kann, um noch eilten Anspruch auf Rente zu erheben?") Ist die Anstalt gezwungen, ihre Hand von einem noch erwerbsfähigen, versicherten Lungenkranken zu lasten und ihm die Aufnahme in ihre Heilstätte zu versagen, obgleich ihm dieselbe Genesung bringen könnte, wenn vorauszusehen ist, daß er ohne die Aufnahme vor Vollendung der Wartezeit dauernd er­ werbsunfähig werden wird? Schon dieses Beispiel zeigt, daß es sich hier um einen Widerstreit der finanziellen (versicherungstechnischen) Auffassung, welche die menschlichen Leidenszustände nach der durch sie herbeigeführten Belastung für die Versicherungskaffe beurteilt n) Vgl. oben § 74 II. Insoweit ist es zutreffend, wenn die Entsch. bayr. VGH. in ArbV. 03 S. 68 Sp. 1 feststellt, daß „ein begründeter Jnvalidenrentenanspruch in Aussicht stand". 12) Vgl. die Konferenz von Versicherungsbehörden in ArbV. 94 S. 628 Ziff. 13. 13) Vgl. § 29, § 30 Abs. 5 mit § 16; dazu oben § 66 III. Weymann Anm. 6 zu § 18 findet trotz der sozialpolitischen Grundtendenz seines Werkes und trotz seiner Bemerkungen in Anm. 8 Abs. 3 zu § 47, daß „die Anstalten das Heilverfahren nicht übernehmen dürfen, wenn vorauszusehen ist, daß die Wartezeit noch nicht erfüllt sein wird beim Eintritte der dauernden Invalidität oder dann, wenn die vorübergehende bereits ein Jahr hindurch bestanden haben wird". Rosin, Recht der Arbeiterverslcheruna Band 11.

994

V. Buch.

Nevenleistungcn.

(vgl. Bd. I S. 571), mit der Humanitären und sozialpolitischen handelt, welche in dem Heilverfahren der Versicherungsanstalten zu­ gleich eine selbständige Fürsorgeleistung derselben erblickt (vgl. oben N. 4, auch Bd. I § 42). Indem hier grundsätzlich der letztgedachte Standpunkt vertreten wird, wird auch die Möglichkeit einer späteren wirkungsvollen Beendigung der Wartezeit nicht als Voraussetzung für das vorbeugende Heilverfahren anerkannt, zumal es sich nur um ein Recht der Versicherungsanstalten handelt und zumal auch der Wortlaut des Gesetzes mit dieser Auffassung vereinbar bleibt.") c) Es muß eine gegründete Besorgnis vorliegen, daß Erwerbs­ unfähigkeit eintritt; die bloße entfernte Möglichkeit genügt nicht. Auch muß der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht für eine so ent­ fernte Zukunft zu befürchten sein, daß die sofortige Gewährung der Heilbehandlung außer Verhältnis dazu steht. In diesem Sinne setzt § 57 Ziff. 4 JVG. unter Beziehung auf § 18 den „baldigen Eintritt der Erwerbsunfähigkeit" voraus. 3. Von dem einzuleitenden Heilverfahren muß Erfolg mit Wahr­ scheinlichkeit zu erwarten sein: a) Der Erfolg der wiederherstellenden Heilbehandlung ist die „Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit" (§ 47 Abs. 2 mit § 57 Ziff. 4) d. h., wie der Zusammenhang mit § 47 Abs. 1 ergibt, die Herbeiführung desjenigen Zustandes, welcher die Entziehung der be­ willigten Rente rechtfertigt. Das Heilverfahren soll hier diejenige Veränderung in den Gesundheitsverhältniffen des Rmtners herbei­ führen, welche ihn nach § 47 Abs. 1 (vgl. oben § 75 I) nicht mehr als erwerbsunfähig erscheinen läßt; nicht etwa, daß der Eintritt einer solchen Veränderung, wie nach § 47 Abs. 1 für die Rentenentziehung, so auch nach § 47 Abs. 2 schon für das Heilverfahren vorausgesetzt werden müßte. Übrigens wird bei der Kranken­ rente schon genügen, daß ein früherer Wiedereintritt der Erwerbs­ fähigkeit durch das Heilverfahren zu erwarten ist, als ohne dasselbe anzunehmen wäre. Beim vorbeugenden Heilverfahren besteht der Erfolg in der „Abwendung dieses" (in § 18 Abs. 1 vorher bezeichneten) „Nachu) Denn er spricht von einer Erwerbsunfähigkeit, welche einen Anspruch «) AN. 03 S. 536 Nr. 1071; vgl. oben § 73 N. 98. Umgekehrt bei An­ rechnung der Rente auf die Angehörigenunterstützung Streit nach § 23 Abs. 1.

z.

§ 82.

Kapitalabfindung.

1015

2. Streitigkeiten zwischen Anstalten und Krankenkassen über die Geltendmachung der den ersteren gegen die letzteren eingeräumten Befugnisse werden von der Aufsichtsbehörde der beteiligten Kranken­ kasse entschieden."^) Die Entscheidung ist endgiltig. 3. Streitigkeiten zwischen Anstalten und Kassen über Ersatz­ ansprüche ,07) werden grundsätzlich nach näherer Maßgabe der Landes­ gesetzgebung im Verwaltungsstreitverfahren entschieden.'°°) Wo ein Verwaltungsstreitverfahren nicht besteht, erfolgt die Entscheidung durch die Aufsichtsbehörde der Krankenkasse, welche innerhalb eines Monats nach der Zustellung im Wege des Rekurses nach Maß­ gabe der §§ 20, 21 der Gewerbe-O. angefochten werden kann.'"»)

§ 82.

Kapitalabfindung.

I. Abfindung (§ 26 JVG.) ist die Ersetzung des Bezugs­ anspruchs auf Rente durch einen Anspruch auf einmalige Kapital­ zahlung. Die allgemeinen Grundsätze des Instituts') sind bereits in Bd. 1 S. 415 ff. mit 135 ff. entwickelt worden. i°ß) Einige Sonderbestimmungen über das Verfahren in § 9 Abs. 2 der württ. Vollz.Verf. 107) . . . „welche aus den Bestimmungen in den §§ 18 bis 20, 22" und zwar „unmittelbar" (Erk. preuß. OVG. v. 26. Febr. 1903, ArbV. S. 418 — Reger Bd. 24 S. 146) „entstehen". Etwaige Entschädigungsansprüche privatrechtlicher Art, die sich aus Nichtbeobachtung dieser oder damit zusammenhängender Rechts­ vorschriften ergeben möchten, gehören nicht vor die Verwaltungsgerichte. 108) Preußen: VO. v. 23. Aug. 1899 beruft den Bezirksausschuß mit Revision gegen seine Entscheidung. Sachsen: jetzt nach § 21 Ziff. 10 litt, d G. v. 19. Juli 1900 Kreishauptmannschaft in 1. Instanz. Württemberg: G. v. 13. Mai 1890 mit § 9 Abs. 3 Vollz.Verf. Kreisregierung als 1. Instanz. Baden: § 2 VO. v. 28. Nov. 1899 Bezirksrat als 1. Instanz (Muser S. 166). loe) In Bayern ergibt nach Graßmann S. 303 mit 966 die durch G. v. 13. Juli 1899 erfolgte Regelung des Verwaltungsstreitverfahrens eine diesem Fall sich nähernde Ordnung. Es ergeht ein Beschluß der Aufsichtsbehörde der Krankenkasse, gegen welchen binnen 14 Tagen (!) Beschwerde an die Regierung, Kammer des Innern stattfindet, wenn diese nicht schon selbst in 1. Instanz ent­ schieden hat. Weitere Beschwerde an den VGH. gemäß Art. 45 Abs. II, HI G. v. 8. Aug. 1878. i ') Dasselbe ist ein ausnahmsweises; daher keine ausdehnende Interpretation (Bd. I S. 415 N. la; AN. 92 S. 348 Nr. 1199, Unfallsache). Keine Ver­ einbarung über Rentenverzicht gegen Abfindung (Bd. I S. 415 N. 2; vgl. oben § 67 N. 18). Abweisung des Vorschlags, die Kapitalabfindung auch bei In-

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V. Buch. Nebenleistungen.

II. Voraussetzung für die Abfindung ist, daß „der Berechtigte ein Ausländer ist und seinen Wohnsitz im Deutschen Reiche aufgibt". 1. Vorliegen muß ein Bezugsanspruch auf Rente. Gleichgiltig ist die Art der Rente; auch Krankenrenten sind ablösbar?) Wohl über muß die Rente bereits bewilligt sein?) Daß sie ihrer Höhe nach schon rechtskräftig feststeht, ist nicht erforderlich; daher kann, wenn bereits bei der Rentenbewilligung die Voraussetzungen der Abfindung vorliegen, der Abfindungsbescheid mit dem Feststellungs­ bescheid verbunden werden?) 2. Der Berechtigte muß Ausländer sein. Ausländer ist der Nichtreichsangehörige; auf den positiven Besitz einer ausländischen Staatsangehörigkeit kommt nichts an?) Entscheidend ist die Zeit des Abfindungsbescheides, nicht die der Entstehung oder Bewilligung des Rentenanspruchs?) 3. Der Berechtigte muß als Ausländer seinen Wohnsitz int Deutschen Reiche aufgegeben haben. In Betracht kommt der Wohnsitz im Rechtssinne, nicht wie bei § 48 Ziff. 4 der bloße, selbst gewöhn­ liche Aufenthalt?) Der Berechtigte muß danach zunächst bei oder ländern mit der Maßgabe zuzulassen, daß das Kapital zum Erwerbe von Grund und Boden verwendet wird (Mot. Abs. 3, 4 zu § 14 Entw. JVG.). 2) AN. 98 S. 395 Nr. 675. 3) Der „Berechtigte" ist gleich dem „Bezugsberechtigten" in § 24 Abs. 4, 5. Dieser § 24 ging im Entw. G. 89 als § 8 dem jetzigen § 26 als § 9 unmittelbar voran, und letzterer behandelte in Abs. 1 die Abfindung, während er in Abs. 2 das Ruhen der Rente vorschrieb, „solange der Berechtigte nicht im Inland wohnt usw." (vgl. jetzt § 48 Ziff. 3, 4). 4) Diesen Standpunkt nimmt, wenngleich nicht ganz ohne Bedenken, AN. 93 S. 193 Nr. 1242 (Unfallsache) ein; vgl. auch Laß, Prozeßrecht S. 371 ff. Be­ deutsam wird die Möglichkeit der Verbindung namentlich dann, wenn man die Abfindung auch gegen Berechtigte zuläßt, welche ihren Wohnsitz stets im Auslande gehabt haben (vgl. dagegen allerdings unten N. 9). Nach dem Satze des Textes kann umsomehr die Abfindung während des noch schwebenden FeststellungsVerfahrens erfolgen; vgl. Laß § 59 a. E. 6) Bd. I S. 130, AN. 96 S. 424 Nr. 1545 (Unfallsache); GebhardDüttmann Anm. 2 Abs. 2. 6) Bd. I S. 136 N. 34a; G ebhard-Düttma nn Anm. 2 Abs. 2. 7) Charakteristisch ist, daß man die oben § 76 N. 40 für § 48 Ziff. 4 JVG. bemerkte Textänderung bei § 26 nicht vorgenommen hat, im Gegenteil jetzt in allen Unfallversicherungsgesetzen (z. B. § 95 Abs. 2 GUVG.) die Fassung des JVG. statt der früheren („Ausländer, welche dauernd das Reichsgebiet ver-

§ 82.

Kapitalabfindung.

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feit der materiellen Entstehung seines Rentenanspruchs **0 einen Wohnsitz im Deutschen Reiche gehabt haben; Versicherte, welche schon während ihrer Aktivität ihren Wohnsitz im Auslande hatten und den­ selben seitdem beibehalten haben, können nicht abgefunden werden?) Diesen deutschen Wohnsitz muß der Berechtigte aufgegeben haben;9a) lassen") gewählt hat. Daher ist auch, kein Rückschluß aus der auf § 67 des •älteren UVG. bezüglichen Entsch. AN. 92 S. 348 Nr. 1199 zulässig, welche übrigens im Resultate auch für das JVG. richtig ist (vgl. unten N. 9). Über den Wohnsitz im Rechtssinne im Gegensatz zum bloßen Aufenthalt vgl. 18t).I S. 130; als maßgebendes Reichsrecht kommen jetzt §§ 7 ff. BGB. in Betracht. *) Diese, nicht die Bewilligung oder auch nur Anmeldung des Renten­ anspruchs wird hier zu Grunde zu legen sein, weil es sonst dem Berechtigten ^ermöglicht würde, willkürlich durch vorherige Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland der Abfindung zu entgehen. Dem wird, wenn man sich auf den Standpunkt des Textes stellt, durch die Beschäftigungsverhältnisse des noch aktiven Versicherten ein Gegengewicht geboten. Daß auch die Mot. von diesem Standpunkte ausgehen, ergibt das Zitat in N. 9. °) Beispiele solcher Verhältnisse bei Gebhard-Düttmann Anm.4Abs. 2: „Ausländer, welche zur Besatzung deutscher Seefahrzeuge oder ausländischer, auf deutschen Wasserstraßen fahrender Binnenschiffe gehören oder von ihrem Wohnsitz im Auslande aus in einem inländischen Betriebe arbeiten oder im Auslande die Versicherung freiwillig fortsetzen." Für den Satz des Textes, der Ichon in Bd. I (B. 137 N. 38 aufgestellt wurde und für den auch v. Woedtke Anm. 2 zu § 26, Graßmann Anm. 3 und im Ergebnisse die Rekurs-Entsch. Nr. 1199 (oben N. 7) sprechen, läßt sich außer dem schon in Bd. I betonten, ganz -entschiedenen Wortlaut des Gesetzes auch der sachliche Grund anführen, daß es uicht angeht, eine Person in der Versicherungsleistung auf Grund von Um­ ständen zurückzusetzen, mit denen behaftet sie bereits in die aktive Versicherung «eingetreten ist oder in derselben gestanden hat. Daher kann auch der ab­ weichenden Meinung von Gebhard-Düttmann nicht zugestimmt werden, deren Hinweis auf die Materialien des Entw. G. 89 nicht überzeugend ist, während gerade die Mot. Abs. 1 zu § 14 Entw. JVG. deutlich unseren Stand­ punkt vertreten, indem sie zur Begründung der neuen Ausnahmebestimmung wegen der Grenzbezirke bemerken: „Ausländer, welche im Jnlande unter Ver­ hältnissen gearbeitet haben, die zur Begründung eines inländischen Wohnsitzes geführt haben, werden, wenn sie demnächst invalid werden und in ihre Heimat zurückziehen, hinsichtlich des Bezugs der Invalidenrente den Inländern vielfach gleichgestellt werden können, sofern sie in der Nähe der deutschen Grenze Wohnung nehmen." tia> Auszahlung vor derü Verlassen des Reichsgebietes auf Verantwortung der Anstaltsorgane: Handbuch der Unfallversicherung Anm. 3 zu § 67 UVG.; Jsenbart-Spielhagen Anm. 3, Gebhard-Düttmann Anm. 4 Abs. 1. — Die Fortzahlung der Rente nach dem Verlassen des Reichsgebietes schließt die spätere Abfindung nicht aus; Laß S. 369.

ob er dafür positiv einen ausländischen erworben hat, ist gleichgiltig.'O) Derjenige aber gibt seinen Wohnsitz nicht auf, welcher zwangsweise aus Deutschland ausgewiesen wird.") Endlich kann ebensowenig abgefunden werden, wer als Reichsangehöriger seinen deutschen Wohnsitz aufgibt und erst später seine Eigenschaft alsDeutscher verliert.'2) III. Die Zulässigkeit der Abfindung kann durch Beschlüsse des. Bundesrats ausgeschlossen werden, welche den bei § 48 Ziff. 4 (vgl., oben § 76 IV) vorbehaltenen analog sink12“) Ist ein auf be­ stimmte Grenzbezirke bezüglicher Beschluß ergangen, so bedeutet ba§r daß Ausländer nicht abgefunden werden können, wenn sie nach Auf­ gabe ihres deutschen Wohnsitzes einen solchen in den betreffenden Grenzbezirken genommen haben.") Der auf dem Gegenseitigkeits­ vorbehalt beruhende Beschluß setzt hier zugleich voraus, daß nach, der ausländischen Fürsorgegesetzgebung für Invalidität und") Alter auch deutsche Arbeiter nicht abgefunden werden können, wenn sieihren Wohnsitz nach Deutschland zurückverlegen; dann soll für die betreffenden ausländischen Arbeiter auch der § 26 bei der Rückkehr in ihre Heimat") außer Kraft gesetzt werden dürfen. IV. In allen Fällen ist die Abfindung ein einseitiges, auf freiester Erwägung des eigenen Vorteils beruhendes Recht der Ver10) Hat der Ausländer, ohne seinen inländischen Wohnsitz aufzugeben, nur noch einen ausländischen hinzuerworben, so kann er selbstverständlich auch nichts abgefunden werden; Weymann Anm. 4. n) Diese Abweichung von § 48 Ziff. 4 (vgl. oben § 76 N. 39) wird durch» den Wortlaut gerechtfertigt. Ebenso Weymann Anm. 5. 12) Bd. I S. 137 N. 39; G ebhard-Düttmann Anm. 2. 12a> Bisher sind zu § 26 keine solchen Beschlüsse ergangen. 13) Daß der Grenzbezirk, in welchem der Ausländer seinen Wohnsitz nimmt* gerade seinem Heimatsstaate zugehören muß, wird im Gesetze nicht voraus­ gesetzt. Die oben N. 9 zitierten Motive gehen zwar tatsächlich von diesem Normalfalle aus, aber sie zeigen doch in dem darauf folgenden Satze, daß eä andere, davon unabhängige Momente gewesen sind, auf welche die Bestimmung, gegründet wurde. Dieser Satz lautet: „Denn dann werden die durch das frühere lange Arbeitsverhältnis begründeten Beziehungen zum Znlande häufig, fortgesetzt werden, und es ergeben sich auch für die Auszahlung in Grenz­ bezirken keine besonderen Schwierigkeiten." Anders dagegen bei N. 15. ") Daß es hier im Gesetze, abweichend von § 48 Ziff. 4, „oder" heißt, ist ein unbeachtlicher Redaktionsfehler. ,5) Vgl. dagegen N. 13; übereinstimmend Gebhard-Düttmann Anm. 6.

§ 82.

Kapitalabstndmig.

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sicherungsanstalten. Dieselbe ist von keiner Vereinbarung mit dem Bezugsberechtigten (vgl. Bd. I S. 135) oder auch nur von einem Antrag desselben") abhängig, ebenso wie andererseits auch bei Er­ füllung der Voraussetzungen für die Abfindung der Bezugsberechtigte keinen Anspruch auf dieselbe hat.") Auch steht die Entscheidung, über das Ob der Abfindung bei gegebener Berechtigung dazu aus­ schließlich der Versicherungsanstalt selbst zu und devolviert bei An­ fechtung nicht an die höheren Instanzen.") An Bedingungen kann aber die Abfindung nicht geknüpft werden, auch wenn sich der Ab­ zufindende denselben freiwillig unterwerfen wollte.") V. Dementsprechend ist die Höhe der Abfindung gesetzlich auf den „dreifachen Betrag der Jahresrente" festgelegt. Die nach § 38 Satz 1 JVG. erfolgende Abrundung kommt hier nicht in Betracht?") Der Betrag greift Platz unabhängig vom Willen und selbst vom, Bewußtsein der Versicherungsanstalt. Ergeht daher der Abfindungs­ bescheid gleichzeitig mit dem Feststellungsbescheid oder während schwebenden Feststellungsverfahrens über die Rente, so wird der im letzteren von dem Bezugsberechtigten etwa erzielte höhere Rentenbetrag ohne weiteres der Berechnung der Abfindungssumme zu Grunde gelegt, ohne daß der Anstalt ein Rücktrittsrecht zu­ stünde?') Bezieht der Berechtigte definitiv nur eine Teilrente, wie bei § 17 Satz 2, so ist auch nur deren Betrag der Abfindung zu Grunde zu legen?-) Dagegen pmß die Vollrente verdreifacht werden, wenn die Herabminderung ihrem Wesen nach, wie bei § 48 Ziff. 1,2 10) Anders jetzt die Unfallversicherungsgesetze. 1:) AN. 98 S. 395 Nr. 675. 18) Ebenso Weymann Anm. 3: vgl. analog auch oben § 74 N. 39. ie) Abweichend also von dem, was oben § 81 IV betreffend das Heil­ verfahren entwickelt wurde. Der Grund liegt darin, daß das Gesetz nach dep Abfindung kein Wiederaufleben der Rentenzahlung kennt, welche eintreten müsste, wenn der Abgefundene die bei der Abfindung übernommenen Bedingungen nicht erfüllt. Die Analogie mit dem Heilverfahren könnte höchstens für solche Be­ dingungen Platz greifen, welche vor Erlaß des Abfindungsbescheides endgiltig. zu erfüllen sind. 20) AN. 98 S. 636 Nr. 696. 21) Will sich die Anstalt dem nicht aussetzen, so soll sie mit der Abfindung, die Rechtskraft der Rentenfeststellung abwarten (AN. 93 S. 193 Nr. 1242; Unfall­ sache), Laß S. 371 ff. 22) Vgl. dazu oben § 74 N. 23. Weymann Anm. 7 will den Satz des. Textes bei allen Fällen teilweiser Rentenzahlung anwenden.

") z. B. Wegzug aus dem Bezirke (Bd. I S. 410 f ), Rücktritt der einen ©bet anderen Seite, sofern das Statut denselben vorbehält (Bd. I S. 405 f.), Rücknahme des Schankverbots (oben 91. 2). ') Nach den Motiven zu § 13a Entw. JVG. will derselbe „der hilflosen Lage, in welcher sich manche alte und kränkliche, insbesondere alleinstehende Nentenempsänger trotz der ihnen zugebilligten Rente befinden, Rechnung tragen". s) Die Abfassung derselben unterliegt den allgemeinen Regeln über Er­ richtung bezw. Abänderung des Anstaltsstatuts nach §§ 70 ff. JVG.; vgl. oben H 32 II, besonders N. 5. 3) § 72 JVG.; vgl. oben § 32 II, 3 u. 4. *) Nach Jsenbart-Spielhagen Sinnt. 4a hat das NVA. unter Billigung des Bundesrats eine statutarische Regelung „des Kündigungsrechts der Anstalt, des ihr unter gewissen Voraussetzungen zustehenden Entlassungsrechts ohne Kündigung und des Beschwerderechts des Pfleglings" (vgl. unten VII, 2 und VIII) gefordert.

keinem Falle, weder direkt noch indirekt/) die Aufnahme der grund­ legenden Zulässigkeitserklärung selbst, welche das Gesetz ganz in das freie Ermessen der Anstalten stellen will/) in das Statut er­ zwingen?) II. Die Aufnahme in ein Jnvalidenhaus kann „einem Renten­ empfänger" gewährt werden. Unbedenklich wird es sein, trotz der Bezeichnung „Jnvalidenhaus" auch Altersrentner hierher zu rechnen?) Ebenso wird man sich der Auffassung anschließen können, welche aus der allgemeinen Wortfassung für die hier in Rede stehende, auf beiden Seiten rein fakultative Einrichtung den Schluß zieht, daß die einzelne Anstalt nicht bloß solchen Rentenempfängern, deren Rente sie selbst festgestellt hat, Aufnahme gewähren kann. Das Statut kann den Kreis der zu berücksichtigenden Personen näher um­ grenzen?) III. Ebenso wie dem Vorstand im konkreten Fall freie Ent­ schließung verbleibt, so ist auch hier, abweichend von den Fällen des Heilverfahrens, der Abfindung und der Naturalrenten, die Ausnahme in das Jnvalidenhaus gegen Nentenverzicht von einem „Antrag" des Rentenempfängers abhängig gemacht. Der Ausdruck deckt sich nicht ganz mit dem Sinne des Gesetzes. Einerseits kann das An­ erbieten auch von der Anstalt ausgehen,'") andererseits genügt auch der allgemeine Antrag auf „Aufnahme in ein Jnvalidenhaus" nicht unbedingt in allen Fällen.") Vielmehr handelt es sich um eine Willenseinigung des Rentenempfängers mit dem Vorstande, also juristisch um einen öffentlichrechtlichen Vertrag, in welchem über alle wesentlichen Punkte (vgl. §§ 154, 155 BGB.), namentlich über die 5) Indirekt, indem sie die Aufnahme zur Bedingung für Genehmigung des sonstigen Inhalts eines Statuts oder einer Statutenänderung macht. 6) Vgl. die oben N. 1 angeführten Motive Abs. 1. 7) Über die Durchführung des § 25 in der Praxis vgl. IsenbartSpielhagen Anm. 7 und Gebhard-Düttmann Anm. 1. 8) So Gebhard-Düttmann Anm. 3 Abs. 2. e) Zsenbart- Spiel Hagen Anm. 5, Gebhard-Düttmann Anm. 3. 10) Gebhard-Düttmann Anm. 4. 11) So die Erklärung eines Regierungsvertreters im Komm Ber. zu § 13a Entw. JVG., indem er auf Anfrage hervorhob, „es solle darüber, ob der Ver­ sicherte in eine bestimmte Anstalt eintreten wolle, volle Freiheit herrschen, kein Zwang zu einer bestimmten Anstalt eintreten. Gegebenen Falls sei Rücknahme des Antrages zulässig".

Anstalt, in welche die Aufnahme erfolgen soll und die Zeit der Auf­ nahme, ausdrücklich oder stillschweigend Bestimmung getroffen sein muß. Soweit das Gesetz nicht entgegensteht, können auch in diesem Vertrage die Parteien einander besondere Konzessionen machen, um die Einwilligung des anderen Teils zu erlangen, die Anstalt etwa in Bezug auf die Art der Gewährungen und die Lebensführung des Rentners im Jnvalidenhause, der Rentner in Bezug auf Zuschüsse, welche er über seine Rente hinaus der Anstalt etwa gewähren will und samt.12) Solche Zuschüsse kann sich die Anstalt auch von Dritten z. B. Verwandten des Rentenempfängers, Gemeinden, Armenverbänden versprechen lassen,'2) mögen dieselben formell dem Vertrage zwischen Anstalt und Rentner beitreten oder sich selbständig der ersteren verpflichten. IV. Das Gesetz sagt nicht, welche Gewährungen dem in das Jnvalidenhaus aufgenommenen Rentenempfänger zu leisten sind. Da aber die Invalidenrente vom Gesetzgeber als eine mindestens notdürftige Versorgung aufgefaßt sein muß, welche wenigstens regel­ mäßig das Eintreten der Armenpflege verhüten soll, so muß folge­ richtig auch die an ihre Stelle tretende Unterbringung im Jnvaliden­ haus dem Rentner grundsätzlich alles zur Notdurft des Lebens ge­ hörige, also Wohnung, Kost, Kleidung und Krankenpflege gewähren.") Näheres kann im Anstaltsstatut oder in der Hausordnung festgesetzt sein; auch können besondere Vereinbarungen darüber in den Vertrag zwischen Anstalt und Rentner aufgenommen werden. V. Die Versicherungsanstalt kann die Aufnahme in ein Jn­ validenhaus in doppelter Weise gewähren: 1. Sie kann selbst ein Jnvalidenhaus errichten und betreiben.'2) Die Mittel dazu hat sie ihrem Sondervermögen zu entnehmen (§ 33 Abs. 2). Die dafür erforderlichen Beschlüsse stehen unter den Regeln des § 71 Ziff. 4 (vgl. oben § 35 III) und § 71 Abs. 2 (vgl. oben § 35 IV), dagegen nicht unter denen des § 45l6) und nach der 12) Vgl. aber analog oben § 81 N. 24. 13) Jsenbart-Spiel Hagen Anm. 4a Abs. 4. ") Ebenso Gebhard-Düttmann Anm. 6. Dort auch über Zulässigkeit eines Taschengeldes und der Übernahme der Beerdigungskosten (vgl. oben § 81 N. 51). 15) Das setzen die Mot. a. a. O. voraus. te) Vgl. unten § 85 und die Bemerkung des Regierungsvertreters v. Schicker

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V. Buch. Ncbenleistungen.

hier (vgl. oben § 35 II, 4 c) vertretenen Auffassung grundsätzlich auch nicht unter denen des § 164 Abs. 3.n) Für das Invalid enHaus kann die Anstalt eine Hausordnung erlaffen, deren Inhalt nicht in das Statut aufgenommen zu werden braucht und nicht der für dieses nötigen Genehmigung unterliegt.18) 2. Die Versicherungsanstalt kann ferner auf ihre „Kosten Auf­ nahme in ähnliche von Dritten unterhaltene Anstalten gewähren". „Ähnlich" sind solche Anstalten, in welche invalide oder alte Leute vertragsmäßig gegen Entgelt aufgenommen werden: Detinendenanstalten oder auch Armenhäuser sind danach als ausgeschloffen zu erachten. Der „Dritte" kann ein öffentlicher oder auch privater Unternehmer fein.20) Mit ihm kontrahiert die Versicherungsanstalt2') über die Aufnahme des Rentners gegen eine von ihr selbst aus ihrem Sondervermögen zu leistende Vergütung und muß dabei die Verabredungen so treffen, daß dem Pflegling die ihm zukommenden Leistungen nach Art, Maß und Dauer gewährleistet werden. Diesem selbst bleibt jedenfalls die Versicherungsanstalt verhaftet; 22) ihm da­ neben gemäß § 328 BGB. auch ein direktes Klagerecht gegen den Unternehmer zu gewähren, wird regelmäßig nicht in der Absicht der Kontrahenten liegen.20) VI. In dem Vertrage zwischen dem Rentenempfänger und der Versicherungsanstalt liegt nach den Worten des Gesetzes zugleich not­ wendig ein „Verzicht auf die Rente" seitens des ersteren. Das be­ deutet aber nur, daß er selbst die Rente nicht weiter empfängt; da­ gegen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß, um die normale Abrechnung zwischen den Anstalten, dem Reiche und den verschiedenen Sondervermögen nicht zu durchkreuzen, die Rente nicht einfach ein? Sten.Ber. S. 2299 D (dazu oben § 35 N. 22), Zsenbart-Spielhagen. Anm. 8, dagegen Piloty S. 123. ") Dagegen Zsenbart-Spielhagen Anm. 8 in Gemäßheit ihrer oben § 35 N. 23 besprochenen Auffassung, sowie die dort vermerkte Praxis des NBA. 16) Zsenbart-Spielhagen Anm. 4a Abs. 3. ,e) Zusatz der Kommission. 20) Vgl. den zitierten Kommtssionsbertcht. 21) Anders also in den Fällen, welche bei der Bestimmung in § 55 Abs. 3 ZVG. vorgeschwebt haben; vgl. Mot. Abs. 2 zu § 13a und oben § 67 91.60. “) So auch Zsenbart-Spielhagen Anm. 4 a Abs. 4. 23) Für ausgeschlossen halte ich das gegen Zsenbart-Spielhagen a. a. O. allerdings nicht.

§ 84.

Aufnahme in ein Jnvalidenhaus.

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gestellt werden kann,") sondern kraft einer gesetzlichen Session (wie bei § 24 JVG.) an die aufnehmende Anstalt weiter zu Gunsten ihres Sondervermögens ausgezahlt werden mufc.25) Dies muß auch dann gelten, wenn die Anstalt, welche die Aufnahme gewährt, zu­ gleich die Anstalt der Rentenfeststellung ist, und es ergibt sich damit juristisch der eigentümliche Fall, daß hier eine Forderung im Wege der Session auf eine Person als Gläubiger übergeht, welche zugleich formal Schuldner derselben ist.26) Zweifelhaft kann sein, ob die Versicherungsanstalt, falls sie die Aufnahme durch einen dritten Unternehmer (vgl. V, 2) gewährt, diesem die Rente überweisen kann. Ich möchte dies für zulässig halten, da kein Grund vorliegt, die Anstalt, zu zwingen, die Rente erst an sich zahlen zu lasten und den Betrag dann gegebenenfalls an den Unternehmer weiter zu zahlen. VII. Über die zeitliche Wirksamkeit des Vertrages enthält das Gesetz nur unzureichende Bestimmungen: 1. Der Versicherte ist an den Umwandlungsvertrag insofern überhaupt nicht gebunden, als er jederzeit das Jnvalidenhaus wieder verkästen und damit auf die ihm aus dem Vertrage zustehenden Rechte verzichten darf. Dagegen ist er allerdings an den Renten­ verzicht zeitlich und zwar auf ein Vierteljahr,*2') sowie wenn er nicht M) Daher kann man nicht mit Piloty S. 73 von einem „Ruhen" der Rente, wenigstens nicht im technischen Sinne des § 48, reden. 2') Gebhard-Düttmann Anm. 5, Zsenbart - Spielhagen Sinnt. 6. ") Die Rechtslage ist ähnlich, wie bei einer Eigentümerhypothek. So wie dort die Formalwirkung des Grundbuchs es ist, welche die Konsolidation auf der Recht- und Pflichtseite verhindert, so ist es hier das formale Element des Dazwischentretens der Post für die Auszahlung und der Rechnungsstelle für die Abrechnung, welches die gleiche Wirkung hervorbringt, deren wirtschaftlicher Zweck hier die Befriedigung der aufnehmenden Anstalt aus den Beiträgen der übrigen Lastenträger zur Rente des Versicherten ist. 2’) Nach Gebhard-Düttmann Anm. 9 „wird es nicht als gegen das Gesetz verstoßend anzusehen sein, wenn vereinbart wird, daß das Vierteljahr nicht vom Aufnahmetage, sondern etwa vom Beginn des Monats oder des Kalendervierteljahrs ab laufen soll". Dagegen kann ich mich den Genannten Anm. 12 nicht anschließen, wenn sie auch nach Analogie von § 55 Abs. 3 (vgl. oben N. 21) die Vereinbarung längerer Fristen mit Genehmigung der Irnteren Verwaltungsbehörde für zulässig halten. Beide Bestimmungen müssen getrennt gehalten werden.

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V. Buch. Nebenleistungcn.

einen Monat vor Ablauf desselben fünbigt,28) immer auf ein weiteres Vierteljahr gebunden. Daß durch freie Vereinbarung zwischen An­ stalt und Pflegling der Umwandlungsvertrag jederzeit und ohne Kündigung wieder aufgehoben werden kann, heben die Motive als selbst­ verständlich hervor. Dagegen meinen sie, es „werde nicht wohl angehen, dem Rentenempfänger zu gestatten, aus wichtigen Gründen zu jeder Zeit auszuscheiden und seine Rente wieder in Anspruch zu nehmen". Im Gesetz ist dies aber nicht direkt ausgeschloffen, und ich würde es für eine antisoziale Rechtsverweigerung halten, wenn man dem Pflegling nicht den sofortigen Rücktritt z. B. bei gesetzwidriger oder unwürdiger Behandlung im Jnvalidenhause gestatten wollte. 2. In Bezug auf die Beendigung des Rechtsverhältniffes durch die Anstalt enthält das Gesetz überhaupt keine Bestimmungen. Die Motive meinen, „der Vorstand habe das Recht, auch ohne Zu­ stimmung des Invaliden von der freiwillig gewährten Aufnahme in das Jnvalidenhaus zurückzutreten und die gesetzliche Rente wieder zu gewähren". Das kann unmöglich heißen, daß der Vorstand jeder­ zeit, auch ohne Kündigung, den Invaliden unter Verweisung an die Rente, auf die Straße setzen darf.28) Vielmehr soll jene Bemerkung nur zum Ausdruck bringen, daß die Aufnahme in das Jnvaliden­ haus auch für die Anstalt nicht unbedingt eine lebenslängliche sein muß. Dabei muß man annehmen, daß dasjenige, was das Gesetz über das Kündigungsrecht des Invaliden bestimmt und was unter Ziff. 1 über sein Rücktrittsrecht aus wichtigen Gründen im Sinne des Gesetzes entwickelt worden ist, auf dem Grunde vertragsmäßiger Rechtsgleichheit auch für die Anstalt zu gelten hat. Die näheren Ausführungsbestimmungen88) kann dann und muß eventuell (vgl. oben N. 4) das Statut der Anstalt enthalten, welches danach ins­ besondere die einzelnen wichtigen, zu sofortiger Entlassung be­ rechtigenden Gründe spezialisieren kann. Dieselben können namentlich 2S) Das Gesetz sagt „die Erklärung zurücknimmt". Der tatsächliche Austritt aus der Anstalt wird dem gleichstehen. M) So auch Zsenbart-Spielhagen Anm. 4. 5") Dieselben müssen sich im Rahmen des Gesetzes halten, weshalb ich die Feststellung kürzerer statutarischer Kündigungsfristen, als sie auch dem Invaliden zur Verfügung stehen, nicht für zulässig halte. Daß die Gleichheit der Kündigungsfristen für den stärkeren wie für den schwächeren Teil ein sozial­ politischer Rechtsgrundsatz ist, tritt in unseren modernen Gesetzen vielfach hervor.

in unsittlichem oder ordnungswidrigem Verhalten des Pfleglings gefunden werben;31) dagegen würde es nicht gestattet sein, den In­ validen um deswillen sofort zu entlassen, weil die von ihm oder Dritten versprochenen Zuschüsse nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt werden.33) Denn wenn sich die Anstalt auch solche Zuschüsse ver­ sprechen lasien darf, so liegt doch kraft Gesetzes das wesentliche Äquivalent für die Verpflegung im Jnvalidenhausc in dem Empfang der Rente, welcher fortdauert, bis das Verhältnis durch ordnungs­ mäßige Kündigung gelöst wird. Andererseits ergibt sich aber auch daraus, daß allerdings das Verhältnis dann sofort endet, sobald auf Grund von § 47 Abs. 1 oder 2 die Rente entzogen wird.33) Zweifel­ haft kann die Rechtslage sein, wenn nach § 48 Ziff. 1 oder 2 die Rentenzahlung ganz oder zum Teil eingestellt wird; ich glaube, daß auch dann das Verhältnis alsbald mit der Einstellung zu enden hat, wenn nicht der Invalide den für die Anstalt ausfallenden Betrag34) aus der anderweitig ihm zukommenden Rente dieser, was ich für zu­ lässig halten würde, überweist. VIII. Entstehen zwischen dem Invaliden und der Anstalt Streitigkeiten, so sind dieselben, unter Ausschluß des Rechtsweges, durch die Aufsichtsbehörde m entscheiden. Das Statut kann oder muß eventuell (vgl. oben N. 4) nähere Bestimmungen darüber ent­ halten. § 85.

Überleistungen.

I. Die bisher (§§ 80—84) behandelten Nebenleistungen der Versicherungsanstalten') sind doch immerhin ebenso, wie die in 3l) Näheres ausgeführt bei Jsenbart-Spielhagen 2lnm. 4a. 3a) So auch der Sache nach Jsenbart-Spielhagen Anm. 4 Abs. 4. Die Nachforderung bleibt natürlich vorbehalten. 33) Jsenbart-Spielhagen Anm. 4 a letzter Absatz sagen: „Wie die Rente .selbst, so kommt auch der Aufenthalt in einem Jnvalidenhause in Wegfall, wenn die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 gegeben sind." Aber es genügen doch nicht die „Voraussetzungen" von § 47 Abs. 1, sondern es muß die Rente durch Entscheidung entzogen sein, was bei der Konstruktion der cessio legis (vgl. oben dei N. 26) kein Bedenken hat. Dasselbe gilt von § 47 Abs. 2. 34) Darin, daß die Rente ganz oder teilweise ruht, kann man natürlich kein Äquivalent für die Gewährung der Jnvalidenhauspflege erblicken, weil ja der ruhende Betrag seitens der Lastenträger erspart werden soll. 1) Genau genommen sind die Naturalrenten nach § 24 keine Leistungen der

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V. Buch. Nennleistungen.

Renten bestehenden Hauptleistungen, eigentliche Normalleistungerr derselben. Sie gehören mit zum ordentlichen Geschäftsbetriebe der­ selben und erfahren normalerweise ihre Deckung aus den eingehenden. Beiträgen, bei deren Bemessung sie, soweit nötig, mit berücksichtigt werden?) Anders bei den in § 45 zugelassenen Überleistungen?)' Sie gehören an sich nicht zu den „im Gesetze vorgesehenen Leistungen"?) Ihre Übernahme seitens der Anstalten ist an be­ sonders erschwerte formelle Voraussetzungen geknüpft. Sie werden bei der Bemessung der Beiträge nicht in Betracht gezogen, finden daher auch normalerweise in ihnen keine Deckung, und dürfen dem­ entsprechend von einer Anstalt nur übernommen werden, wenn deren Sondervermögen trotzdem, infolge günstiger Ausnahmebedingungen, eine Überdeckung über die dasselbe normalerweise treffenden Aus­ gaben aufweist (»gl. oben § 42 N. 12). Sie sind ein letztes^)„Sicherheitsventil", um bei der für alle Anstalten notwendigen Gleichheit der Beiträge und Hauptleistungen eine unnütze Kapital­ aufspeicherung bei den mit günstigeren sozialen Bedingungen, arbeitenden Versicherungsanstalten (vgl. oben § 78 I) zu verhüten. Versicherungsanstalten, insofern sie unmittelbar von Kommunalverbänden ge­ währt werden; sie sind es nur mittelbar insofern, als die Anstalten die Mittel dazu zur Verfügung stellen. 2) Vgl. oben § 42 Ziff. 4, besonders hinsichtlich der Kosten des Heil­ verfahrens N. 10. 3) Der Ausdruck erscheint mir charakteristischer, als der in den Materialien öfters verwendete „Mehrleistungen", welcher den Gegensatz zu der Gewährung der Heilbehandlung oder der Jnvalidenhauspflege nicht genügend hervortreteu läßt. Daß die Überleistungen des § 45 zugleich zur Klasse der „Nebenleistungen" gehören, kommt in den Materialien gleichfalls öfters zum Ausdruck; z. B. Graf v. Posadowsky, Sten.Ber. S. 2297 C. Der Ausdruck „Überleistungen" entspricht auch dem, was Zsenbart-Spielhagen Anm. 3 a. E. den „durch­ aus subsidiären Charakter des § 45" nennen. 4) So § 45 Abs. 1; es sind darunter hier die im Gesetze einzeln spezifizierten, von uns bisher behandelten Haupt- und Nebenleistungen gemeint. In einem weiteren Sinne sind die in § 68 Abs. 3 bezeichneten „in diesem Gesetze vorgesehenen Zwecke" zu verstehen, zu denen auch die des § 45 gehören, nachdem sie einmal ordnungsmäßig in den Geschäftsbereich der Anstalt aufgenommen sind; vgl. oben § 31 II. Insofern hat Piloty S. 122 Unrecht, wenn er sagt, der § 45 durchbreche den Grundsatz von § 68 Abs. 3. 5) Vor ihnen kommen zu diesem Zwecke auch die sonstigen freiwilligen, aber normalen Leistungen in Betracht.

II. Die finanzielle Voraussetzung für die Gewährung solcher Überleistungen seitens einer Anstalt ist danach, daß „Überschüsse des Sondervermögens derselben über den zur Deckung ihrer Ver­ pflichtungen dauernd erforderlichen Bedarf" vorhanden sind. In Betracht kommt nur das Sondervermögen einer einzelnen Anstalt;6)7 8 * 10 es ist durch Aufstellung einer Bilanz zu untersuchen, ob das vor­ handene Sondervermögen nebst Zinsen und zuzüglich der ihm in Zukunft zufließenden Einnahmen zweifellos und erheblich mehr als ausreicht, um die dasselbe jetzt und in Zukunft treffenden Normal­ lasten zu bestreiten.') In Betracht kommen auf der Aktiv-, wie auf der Passivseite dieser Bilanz natürlich nur die auf das Sonder­ vermögen bezüglichen Einnahmen und Ausgaben, also z. B. von den Beiträgen nur die nach § 33 Abs. 3 JVG. dem Sondervermögen zufallende Quote, von den Renten nur die dasselbe nach § 125 Abs. 2 JVG. treffenden Anteile. In diesem letzteren beschränkten Sinne sind auch die Worte „zur Deckung ihrer" (d. h. auf dem Sondervermögen ruhenden) „Verpflichtungen" zu verstehen?) „Ver­ pflichtungen" aber sind nicht etwa bloß die obligatorischen Leistungen aus Renten und Beitragserstattungen; vielmehr ist das Wort hier in juristisch untechnischem Sinne für „Lasten" gebraucht und umfaßt sämtliche, „auf dem Sondervermögen ruhenden gesetzlichen" (b. h. normalen) „Lasten",') mögen sie im übrigen auf gesetzlicher Not­ wendigkeit,") oder auf Freiwilligkeit beruhen.") Auch dm letzteren und unter ihnen namentlich den Kosten des freiwilligen Heilverfahrens räumt das Gesetz den Vorrang vor den Überleistungen des § 45 ein, und es muß daher in die Passivseite der aufzunehmenden Bilanz ein kapitalisierter Betrag für diese Kosten eingesetzt werden, der sich mindestens nach einem angemessenen Verhältnis zu demjenigen Be6) Daß Überschüsse des Gemeinvermögens der einzelnen Anstalt schon begrifflich ebensowenig, wie eine Unzulänglichkeit desselben, möglich sind, vgl. oben § 78 N. 18. 7) Vgl. analog oben in Betreff der Gemein Masse § 78 II, 3. 8) So auch die Mot. Abs. I, 2 zu § 31 a Entw. JVG. ö) Worte der Mot. Abs. 2. 10) Dazu gehören auch die Verwaltungskosten der Anstalt. n) So auch Gebhard-Düttmann Anm. 7; doch scheinen sie in zu be­ schränkter Weise nur an diejenigen Lasten zu denken, die sich zur Zeit der Bilanzaufnahme aus der freiwilligen Fürsorgetätigkeit der Anstalt bereits konkretisiert haben.

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V. Buch. Ncbenleistungen.

trage zu bestimmen hat, welcher bei der letzten Beitragsbemessung für sämtliche Anstalten zur Grundlage genommen worden ist.12) Die Richtigkeit dieser Auffasiung geht unmittelbar aus der gesetzlichen Bestimmung selbst hervor, da es keinem Zweifel unterliegen kann, daß die zuerst genannten „Verpflichtungen" und die dann genannten „anderen, als die im Gesetz vorgesehenen Leistungen", für welche die Überschüsse verwendet werden dürfen, sich unmittelbar ergänzen und daß daher jene „Verpflichtungen" mit den „im Gesetz vorgesehenen Leistungen" identisch sind. Ferner entspricht unsere Auffasiung den für die Bemessung der Beitragshöhe maßgebenden, oben § 78 N. 10 bis 12 entwickelten Grundsätzen, und endlich ergibt sich auch aus anderen Stellen des Gesetzes, daß dasselbe unter den auf dem Son­ dervermögen ruhenden „Verpflichtungen" auch die freiwilligen Normallasten, inssondere die Kosten des Heilverfahrens mit begreift.") III. Die gedachten Überschüsse des Sondervermögens dürfen „zu anderen als den im Gesetze vorgesehenen Leistungen im wirt­ schaftlichen Interesse der der Versicherungsanstalt angehörenden Rentenempfänger, Versicherten, sowie ihrer Angehörigen verwendet werden". 1. Zu „den im Gesetz vorgesehenen Leistungen" bedarf es danach des Vorliegens der Voraussetzungen von § 45 nicht, auch wenn sie im Gesetz nicht vorgeschrieben sind. Dahin gehören zu­ nächst schon diejenigen Rentenleistungen, in Bezug auf deren Ge­ währung den Anstalten ein gewisses freies Ermessen zugewiesen ist,") ferner die an sich freiwilligen Nebenleistungen in dem Umfange, den sie bei wohlwollender Auslegung im Sinne des Gesetzes annehmen n) Vgl. dazu oben § 42 N. 10 und die dort zitierte Beckmann'sche Rede, besonders auch die mathematische Denkschrift S. 62 bei Formel 56 und S. 63. u) Vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2: „Alle übrigen Verpflichtungen bilden die Sonderlast der Versicherungsanstalt" mit § 20a Abs. 3 Entw. ZVG.: „Alle übrigen Verpflichtungen bilden die Sonderlast jeder Versicherungsanstalt; dazu gehören ... die Aufwendungen für das Heilverfahren" (vgl. oben § 42 N. 10). ") z. B. § 17 Satz 2 und 3. Ebensowenig bedarf es gegen Piloty S. 123 des § 45, um einem Rentenempfänger bei Wiederherstellung seiner Erwerbssähigkeit die Rente noch zeitweise zu belassen, wenigstens insofern diese Be­ fugnis durch das Wort „kann" in § 47 Abs. 1 gedeckt wird; vgl. oben § 75 III. Darüber hinaus würde aber nach dem im Text unter Ziff. 2 zu Entwickelnden die Belassung der Rente auch gemäß § 45 nicht erfolgen dürfen.

dürfen,'^) endlich auch diejenigen, wenn auch nur nützlichen Ver­ waltungsausgaben, welche zur Erfüllung der gebotenenm) oder auch freiwilligen Aufgaben der Anstalten dienen. In dieser letzten Richtung kommen namentlich die Ausgaben zur Errichtung oder zum Erwerb« von Verwaltungsgebäuden, wie Geschäftshäusern, Heilanstalten, Jnvalidenhäusern (vgl. oben § 84 N. 16) in Betracht, auf welche daher jedenfalls der § 45") mit seinen finanziellen und administrativen Sondervoraussetzungen keine Anwendung findet. 2. Der § 45 gestattet, gewisse im Gesetz nicht vorgesehene Zwecke als zulässige zu erklären (vgl. oben § 31 II); er findet aber seine Grenze vor denjenigen Leistungen, welche nach ausdrücklicher Bestimmung des Gesetzes oder auch in seinem Sinne als verboten auch gegenüber dem § 45 zu gelten haben. So wird es zweifellos unzulässig sein, auch bei vorsätzlicher Herbeiführung der Erwerbs­ unfähigkeit gegen § 17 Satz 1 JVG. Rente zu bewilligen.'0) Nach den Motiven,'") welche sicher die Absicht des Gesetzes zum Ausdruck bringen,20) müssen auch die „eigentlichen Hauptleistungen des Gesetzes,, insbesondere die Rente, nach Höhe und Voraussetzung unverändert bleiben, weil Veränderungen der letzteren Art mit dem Charakter der Invalidenversicherung als eine für das ganze Reich gleichmäßige Einrichtung unvereinbar sein und zu weiteren Verschiebungen der Arbeitskräfte unerwünschten Anlaß bieten würden". Es ist nicht ganz einfach, den Umfang der damit bezeichneten Beschränkung sicher zu 15j Vgl. namentlich hinsichtlich des Heilverfahrens oben § 31 N. 5. 16) Hierhin würde auch die bei Jsenbart-Spielha gen Anm. 7 erwähnte Angehörigenunterstützung bei Beobachtung im Krankenhause gehören. n) Inwieweit der § 164 JVG. auf sie Anwendung findet, ist eine selb­ ständige Frage, die von der engeren oder weiteren Auffassung des Begriffs der dort geregelten Kapitalanlage abhängt; vgl. dazu oben § 35 II, 4c. Die formelle Selbständigkeit von § 45 und § 164 wird auch zutreffend in der oben § 35 N. 22 zitierten Schicker'schen Rede anerkannt; vgl. dazu auch Gebhard Düttmann Anm. 6 zu § 45 und Anm. 28 zu § 164, sowie oben § 35 N. 25» Unrichtig Graf Posadowsky Sten.Ber. (3. 817 A: „Errichtung von Heil­ anstalten". 18) Anders, wie es scheint, Piloty S. 123. lti) Abs. 1 zu § 31a Entw. JVG. 20) Daß allerdings der Wortlaut des § 45 von dieser Beschränkung nichts enthält, wurde auch bei der Beratung nicht verkannt; vgl. Abg. Gamp Sten. Ber. S. 2300. Aber die Bestimmung im ganzen ruht auf diesem Gedankenx vgl. oben im Text I a. E.

fixieren; doch ist zu erwägen, daß es sich infolge der in Abs. 2 Satz 1 des § 45 dem Bundesrat vorbehaltenen freien Genehmigung wesentlich darum handelt, festzustellen, welche Verwendungszwecke für die Überschüsse jedenfalls nicht genehmigt werden dürfen. In dieser Hinsicht aber scheint es, daß die gesetzgebenden Faktoren nur eine allgemeine Erleichterung oder Erhöhung der Rentenbewilligung bei einer einzelnen Anstalt unbedingt ausschließen wollten;2') da­ gegen dürfte, wie die in den Materialien niedergelegten Beispiele nahelegen, eine solche unter besonderen, nicht zu weit begrenzten Voraussetzungen genehmigt werden sönnen.22) Zweifelhaft ist, ob eine allgemeine Erleichterung oder Erhöhung der Beitragserstattung zulässig wäre; ich bin geneigt, trotz gelegentlicher anderweitiger Stellungnahme der Regierung im Reichstage, die Frage zu ver­ neinen.22) 3. Dem gegenüber erscheint prinzipiell als zulässig ein Hinaus­ gehen über dasjenige Maß, welches den freiwilligen Nebenleistungen der Anstalt im allgemeinen durch das Gesetz gesteckt ist.24) Werden auch solche Fälle am nächsten liegen, so ist es doch m. E. nicht richtig, allgemein zu verlangen,2^) daß die Überleistungen aus § 45 „eine Beziehung zur Versicherung", sei es direkt zur Invaliden21) Daher jedenfalls keine Herabsetzung der Beiträge bei der einzelnen Anstalt und keine Verkürzung der Wartezeit, auch nicht um „wenig Wochen" bei „Höchstbedürftigen" (dagegen Piloty S. 123). Keine allgemeine Erhöhung der Renten. 22) Erhöhung des zulässigen Höchstbetrages bei § 48 Ziff. 1, 2 (Mot. Abs. 1 a. E. zu § 31 a). Ein Abgehen von § 48 Abs. 3 Satz 1 dürfte eher unzulässig sein. Erhöhung der Renten bei Rentenempfängern mit zahlreicher Familie scheint mir mit Jsenbart-Spiel Hagen Anm. 8 gleichfalls „sehr zweifelhaft"; dafür Gebhard-Düttmann Anm. 4 Abs. 4. 23) Graf v. Posadowsky Sten.Ber. ) So die N. 19 zit. Entsch. unter V Abs. 4. ") AN. 88 6. 196 Nr. 499 (Unfallsache), AN. 94 S. 161 Nr. 391. M) Daher können Unterstützungen nicht liquidiert werden, welche länger als «in Jahr vor Eingang des Bewilligungs-Antrags zurückliegen (§ 41 Abs. 3 JVG.). Der § 17 JVG. und zwar auch Satz 2 präjudiziert auch dem Armenwerbande gänzlich, § 22 mit § 47 Abs. 2 mit Bezug auf diejenigen Zeiträume, sür welche die Invalidenrente ganz versagt ist. Zeiträume, in denen die Armenunterstützung keine Ersatzforderung begründet, sind auch diejenigen, in denen nach § 48 die Rente gänzlich ruht, sowie die Zeiten nach erfolgter Ab-

b) Indem das Gesetz die Leistung der Unterstützung für einem Zeitraum fordert, für welchen auch ein Bezugsanspruch gegeben ist, hält es insoweit an der zeitlichen Kongruenz beider Gewährungen,, gleich dem früheren Rechte, fest.24) Dagegen läßt es dieselbe in­ sofern fallen, als es den Armenverband zu seiner Befriedigung nicht ausschließlich auf den zeitlich kongruenten Rentenanspruch ver­ weist. Vielmehr zeigen die Worte „zustand oder auch zusteht" in ihrer gegenseitigen Beziehung, daß der Armenverband auch dann Ersatz fordern kann, wenn der Bezugsanspruch für den kritischen Zeitraum durch Auszahlung der Rente bereits erloschen ist. Die Ersatzforderung ist dann aus später fälligen Rentenbeträgen zu be­ friedigen. c) „Diesen", d. h. den unterstützten Personen, muß ein Renten­ anspruch zustehen. Durch diesen Wortlaut ist aber nicht ohne weiteres die Frage erledigt,2") ob nicht ein rentenberechtigtes. Familienhaupt in seiner eigenen Person als hilfsbedürftig und unterstützt anzusehen ist, wenn einem seiner Familienangehörigen Unterstützung gewährt werden mußte. Daß der Geist des JVG. einer Bejahung dieser Frage nicht unbedingt entgegensteht, ergibt sich aus denjenigen Bestimmungen desselben, in denen der Gedanke, daß „die Rente auch zum Unterhalt der Familie mitbestimmt ist", hervortritt.2") Indessen wird man doch nicht soweit gehen können, für diese Frage der sog. „mittelbaren" Armenunterstützung das findung gemäß § 26. Abweichend für § 41 Abs. 3 Gebhard-Düttmann Anm. 9, auch für §§ 17, 22, 48 Weymann Anm. 8; doch findet bei letzterem eine Vermengung der im Text behandelten Frage mit der weiteren, begrifflich verschiedenen, wenn auch analog zu beurteilenden statt, welche Rentenbeträge vom Armenverbande zwecks Überweisung in Anspruch genommen werden können (vgl. unten N. 50). Das allerdings ist zu behaupten, daß, soweit §§ 17, 22, 47 Abs. 2 der Versicherungsanstalt ein gewisses Ermessen in Bezug auf die. Versagung der Rente gewähren, für dasselbe nicht die Tatsache der gleichzeitigen Versagung des Ersatzanspruchs des Armenverbandes ins Gewicht fallen darf. 24) Treffend hervorgehoben bei Wey mann Anm. 7. 25) Anders Erl. sächs. Min. Inn. v. 14. Nov. 1900, ArbV. 01 S. 593 — Reger Bd. 21 S. 306, auch bei Olshausen, Verw.Arch. S. 30. Gegen diesen Erlaß,, welcher die Frage des Textes verneint, Olshausen a. a. O., ebenso Erk. preuß. OVG. v. 17. Dez. 1903, AR. 04 S. 368-^Arb.V. S. 277--Reger Bd. 25 S. 117. 26) Zitat aus dem Komm.Ber. zu § 11 (jetzt 17) Entw. JVG. Vgl. außer diesem Paragraphen auch § 47 Abs. 2, § 48 Abs. 2, sowie in gewissem Sinne auch§ 55 Ziff. 2. Anerkannt in dem in vor. N. zitierten Erk. preuß. OVG.

Prinzip der „armenrechtlichen Familiengemeinschaft", welches auf dem Gebiete des Armenrechts für die mit dem Unterstützungswohnsitz zusammenhängenden Nechtsverhältniffe von der Judikatur entwickelt worden ist, ohne weiteres als entscheidend zu betrachten2') und danach als Familienangehörige in obigem Sinne schlechtweg alle diejenigen Personen anzusehen, „welche an den Unterstützungswohnsitzverhältnisien des Familienhaupts teilnehmen" .28) Vielmehr muß eine Einschränkung jedenfalls schon dahin statuiert werden, daß Personen, welche zwar im armenrechtlichen Sinne zur Familien­ einheit gehören, denen gegenüber aber nach bürgerlichem Recht dem Familienhaupt keine Unterhaltspflicht obliegt, auch nicht als Ver­ mittler der Armenunterstützung für das Letztere im Sinne des § 49 JVG. angesehen werden sönnen.29) Darüber hinaus aber wäre ich im Anschluß an § 17 Satz 3 mit § 48 Abs. 2 (vgl. oben § 74 N. 33) auch geneigt, nur die regelmäßig") im Haushalt des Rentenberechtigten wohnenden, von ihm zu unterhaltenden und seine Unterstützungswohnsitzverhältniffe teilenden Personen als Familien­ angehörige im Sinne von § 49 zu betrachten. Wenn aber umgekehrt einem Familienhaupt Armenunterstützung für einen Zeitraum bewilligt wurde, für welchen einem seiner Familienangehörigen, z. B. seiner Ehefrau, ein Rentenanspruch zu­ steht, so kann eine Ersatzforderung mit Bezug auf letzteren von dem Armenverbande nur dann und insoweit erhoben werden, als die Unterstützung tatsächlich auf die Hilfsbedürftigkeit der Frau entfällt und dieser zu Gute gekommen ist?') ”) Das wollen Gebhard-Düttmann Anm. 8, Graßmann Anm. 2, Frankenberg 6. 330; dagegen insoweit zutreffend Weymann Anm. 5 (vgl. aber Anm. 8 a. E.), welcher die Frage des Textes aber ganz verneinen will. “) Wohlers-Krech S. 10 mit 44. 2e) So mit Bezug auf einen Stieffohn (über dessen armenrechtliche Stellung Wohlers-Krech S. 45 litt, i) Erk. preutz. DBG. v. 19. Juli 1902, ArbB. S. 645 = Reger Bd. 24 S. 287. Die Frage im ganzen bleibt in diesem Er­ kenntnis dahingestellt; dagegen positiv wie im Sinne des Textes namentlich Erk. v. 16. Jan. 1902 (für § 57 KBG.), Entsch. Bd. 41 S. 348; vgl. dazu die weiteren Anführungen bei Olshausen, Verw.Arch. S. 29 ff., welcher sich selbst dieser Ansicht anschließt. Ebenso auch direkt für § 49 ZVG. das oben 91. 25 zitierte Erk. (Unterstützung der Ehefrau). 30) Wenn auch nicht gerade während der Gewährung der Unterstützung, welche vielleicht im Krankenhause erfolgt; vgl. Olshausen S. 35. 31) Olshausen S. 36, Frankenberg S. 330, der aber diesen Satz irrig

Rosin, Recht der Arbelterverflcheruni;. Band II.

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4. Andere Voraussetzungen für den Ersatzanspruch sind nicht gegeben. Insbesondere ist „Einheit des Leistungsgrundes"32) nicht vorausgesetzt, d. h. die Bedürftigkeit des Unterstützten braucht nicht in dem Alter oder derjenigen Invalidität ihren Grund zu finden, wofür die Rente bewilligt ist.33) Ebensowenig ist Voraussetzung, daß der Armenverband nicht von dritter Seite, z. B. von einer Krankenkasse, Ersatz seiner Aufwendungen erlangen sann.34) IV. Werden unter den angegebenen Voraussetzungen von den Armenverbänden Unterstützungen geleistet, „so ist ihnen hierfür durch Überweisung von Rentenbeträgen Ersatz zu leisten". 1. Während das frühere Recht nach geleisteter Unterstützung den Armenverband durch eine gesetzliche Übertragung der auf den Unterstützungszeitraum entfallenden Rentenansprüche des Versicherten schadlos zu halten suchte,33) führen die materiellen Änderungen des neuen Rechts, insbesondere die Gestattung einer Liquidation vor be­ endeter Unterstützung und einer Heranziehung auch künftig fälliger Rmtenbeträge (vgl. oben III, 2 c und 3 b), auch zu veränderten Rechtsformen zwecks Befriedigung des Armenverbandes. An die Stelle der cessio legis ist eigener Ersatzanspruch des Armen­ verbandes getreten, der durch Überweisung von Rentenbeträgen zu befriedigen ist.36) a) Der Anspruch des Armenverbandes ist nicht mehr der auf ihn kraft Gesetzes übergegangene Rentenanspruch des Versicherten, sondern in erster Linie ein eigener Ersatzanspruch gegen die Ver­ sicherungsanstalt. Allein demselben haftet nicht das ganze Vergleichfalls aus betn Prinzip der Familieneinheit ableiten will; dagegen Illing in ArbV. 98 S. 618. Überweisung der aus § 48 gewährten Familienrente selbst: vgl. oben § 76 N. 70. 32) Handbuch der Unfallversicherung Anm. 3 zu § 8 UVG.; Erk. preuß. ÖVG. v. 6. April 1903, ArbV. S. 539, beides auf das abweichende Recht der Unfallversicherung bezüglich. 33) Olshausen, Verw.Arch. S. 58 N. 103, Gebhard-Düttmann Anm. 8 Abs. 2. 34) Gebhard-Düttmann Anm. 11, Bosse-v. Woedtke Anm. 8 zu 8 35 und die dort Zitierten, Olshausen S. 57. Vgl. Bd.I S. 127, 544 ff. 38) Mot. Abs. 3 Entw. JVG. Dazu die ausführlichen Erörterungen im Sinne -es Textes im Erk. preuß. OVG. v. 15. Dez. 1902, ArbV. 03 S. 255 — Reger Bd. 24 S. 148.

mögen der Anstalt, vielmehr nur derjenige Bestand von Mitteln, welcher auch zur Befriedigung des Bezugsanspruchs des Versicherten (dieser allerdings jetzt in seinem ganzen Umfange genommen) be­ stimmt waren. b) Demzufolge vollzieht sich die Befriedigung des Armen­ verbandes ausschließlich durch „Überweisung von Rentenbeträgen", und der Ersatzanspruch desselben nimmt formell die Gestalt eines Anspruchs auf Rentenüberweisung an, in welchem er ausgeht. Wenn aber das Gesetz von einer Überweisung von Rentenbeträgen spricht, so denkt es dabei an den praktischen Enderfolg der Aus­ zahlung; juristisch handelt es sich, was namentlich mit Bezug auf künftige Rentenbeträge wichtig wird, um eine Überweisung des Bezugsanspruchs auf gewisse Rentenbeträge, durch welche an Zahlungsstatt, und zwar unbedingt, die Ersatzforderung befriedigt wird. Die Überweisung ist daher juristisch eine gewisse Art der Forderungsübertragung durch behördliche Verfügung,*3^)** S.welche * * ver­ möge der Doppelstellung der Versicherungsanstalt eine eigentümliche Gestalt insofern annimmt, als der Vorstand der Schuldnerin zu­ gleich als Überweisungsbehörde fungiert.38) c) Schuldner des Anspruchs auf Rentenüberweisung, welcher seiner Natur nach sich nur auf die noch nicht ausgezahlten Renten­ beträge beziehen kann,38) ist ausschließlich die Versicherungsanstalt. Daraus ergibt sich aber, daß auch die Ersatzforderung, welche ihr zu Grunde liegt und nur in ihrer Form Befriedigung finden kann, sich ausschließlich gegen die Versicherungsanstalt richtet. Der § 49 begründet keine selbständige Ersatzforderung des Armenverbandes gegen den unterstützten Versicherten und dessen Vermögen/8) auch 3i) Vgl. oben § 76 N. 62 und zu gewisser Analogie §§ 835 ff. CPO. Un­ richtig Weymann Anm. 9 Abs. 4, welcher den Gegensatz der cessio legis und der Überweisung mit dem Gegensatz der Überweisung einer Forderung an Zahlungsstatt und zur Einziehung vergleicht. Der Unterschied liegt vielmehr nur im Vollzug der Übereignung; ebenso Hahn ArbV. 02 S. 50. 36) Vgl. Hahn ArbV. 01 S. 88. 30) Erk. Bundesamt f. Heimatwesen v. 8. Febr. 1902, Reger Sb. 24 S. 127. 40) Inwieweit ein solcher besteht, bestimmt sich vielmehr nach dem landes­ rechtlichen Armenrecht; vgl. G. Meyer, Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. 1 S. 129, Lüning, Verwaltungsrecht S. 700, Wohlers-Krech S. 105 und die Gesetzesabdrücke in Krech' s kleinem Kommentar zum UWG., 5. Aufl. Anhang F., auch Art. 103 EG. BGB.

nicht mit Bezug auf genossene Rentenleistungen, und es ist daher nicht richtig, wie es allgemein geschieht/') ihn für § 49 neben der Anstalt als Ersatzpflichtigen zu bezeichnen. Seine Verpflichtung aus dieser Bestimmung geht nicht auf ein solvere, sondern auf ein pati; er muß es sich gefallen lassen und, soweit dies formell nötig - ist, seine Zustimmung dazu erteilen, daß seine Bezugsansprüche dem Armenverband zur Befriedigung überwiesen werden. Daraus folgt aber, daß, soweit der Versicherte vor erfolgter Überweisung Renten­ zahlungen von der Anstalt ordnungsmäßig empfangen hat, er aus Grund des § 49 dem Armenverbande gegenüberin keinem Falle verpflichtet ist, ihm dieselben behufs Befriedigung seiner Ersatz­ forderung herauszuzahlen?') d) Wenn nach dem Wortlaut des Gesetzes dem Armenverbande durch Rentenüberweisnng Ersatz „zu leisten ist", so zeigt doch § 50 JVG., daß diese Pflicht der Anstalt von einem Antrage des Ver­ bandes abhängig ist und daß es diesem daher freisteht, unter Würdigung seiner armenrechtlichen Pflichten von der Geltendmachung des Ersatzes abzusehen und dem Versicherten die Rente auch neben der Armenunterstützung zu belasten?') 2. Dem Armenverbande ist „hierfür" d. h. für seine Unter­ stützungen Ersatz zu leisten. Die Rentenüberweisung darf daher stets nur insoweit erfolgen, daß die Höhe der Unterstützung gedeckt, aber keinesfalls überschritten wird. Dieser Satz geht auch aus dem Worte „höchstens" in Abs. 3 und 4 und aus der Bestimmung des Abs. 4 hervor, wonach die fortlaufende Überweisung der vollen Rente nur „in dem zur Ersatzleistung erforderlichen Betrage" erfolgen darf. Eine Aufzinsung der geleisteten Unterstützungen findet nicht statt. Der Geldwert derselben ist im einzelnen Falle nach Angemessenheit ") Vgl. z. B. Zsenbart-Spielhagen Sinnt. 8a. 4>a) über das Verhältnis zur Versicherungsanstalt vgl. unten N. 98. ") Abweichend die gelegentliche Bemerkung „oder an den Kläger herauszuzahlen" im Erk. preuß. OVG. v. 7. Zuli 1902, ArbV. S. 670 Sp. 1 — Reger Bd. 24 S. 290. Die Entscheidung des Bundesamts für Heimatwesen v. 4. Febr. 1899, Heft 31 S. 31 beruht, wie bei Wohlers-Krech S. 106 ausdrücklich hervorgehoben wird, auf dem früheren Recht und behandelt überdies einen Fall, wo die Zahlung der Rente bereits nach erfolgter cessio legis geleistet war. ") Auch diesen Gedanken bringt die Form des Ersatzanspruchs besser, als die der cessio legis zum Ausdruck. Vgl. aber schon für das ältere Recht Erk. Bundesamt f. Heimatwesen v. 5. März 1898. Reaer Bd. 19 S. 80.

festzustellen") Die besonderen Beschränkungen, welche nach § 30 Abs. 3, 4 UWG. im Verhältnis des vorläufig zum endgiltig unter­ stützungspflichtigen Armenverbande die Erstattungsforderung des ersteren beschränken, und die Tarifsätze, welche danach und nach Landesgesetz maßgebend sind, können auf den Ersatzanspruch nach § 49 JVG. nicht übertragen werben.45) 3. Eine weitere Beschränkung der Ersatzforderung will der bayrische Verwaltungsgerichtshof") dahin gelten [offen, daß Renten­ beträge nur für einen gleich langen Zeitraum gefordert werden dürfen, als die Unterstützung gedauert hat. Das neue Recht habe zwar die Möglichkeit der „Inanspruchnahme laufender oder künftiger Renten" eröffnet, aber „bezüglich der zeitlichen Begrenzung der Überweisung nach Maßgabe der Unterstützungsdauer" keine Änderung eintreten [offen. Ich halte indessen diese Beschränkung als allgemeine (abgesehen von dem unten zu behandelnden Falle einer fortlaufenden Rentenüberweisung nach § 49 Abs. 4) nicht als im Gesetze begründet.4') Schon für das frühere Recht beruhte die Beschränkung des gesetz­ lichen Forderungsüberganges auf die Rentenleistungen der konkreten Unterstützungszeit nur auf einer, zwar m. E. richtigen, aber doch nicht unbestrittenen Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen (vgl. oben R. 6). Dieser aber treten die Motive ausdrücklich in dem Sinne entgegen, daß „der ganze, auf eine Reihe von Einzel­ leistungen gerichtete Anspruch auf Rente"") für die Befriedigung des Armenverbandes zur Verfügung gestellt werden sollte. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme auch künftiger Rentenbeträge ist nur eine Konsequenz davon, die andere aber auch die, daß die un­ bedingte Gleichheit des Unterstützungszeitraums und der haftbaren Rentenperiode überhaupt beseitigt ist. Der § 49 Abs. 2 ist nicht dahin auszulegen, als wenn er lautete: „so ist ihnen hierfür durch ") Streit darüber nach § 50 Abs. 3 zu entscheiden; Gebhard-Düttmann Anm. 19. 4S) Frankenberg S. 327, Wohlers-Krech S. 151, 155, dagegen Weynrann Anm. 3. «) Erk. v. 24. Nov, 1902, ArbB. 02 S. 542 = Reger Bd. 23 S. 115, unter IV, V. ") Sie erscheint daher namentlich als nicht anwendbar bei Inanspruchnahme von Rentenrückständen (Fall des zitierten Erk.) und bei § 49 Abs. 3, sofern die Unterstützung weniger als 3 Monate dauert. Vgl. Nachtrag. 4°) Mot. Abs. 2 zu § 35 ff. Entw. JVG.

Überweisung von Rentenbeträgen für einen der Unterstützungs­ zeit entsprechenden Zeitraum Ersatz zu leisten".49) 4. „Rentenbeträge" werden überwiesen. Gleichviel ist es, ob es sich um eine Invaliden- oder Altersrente handelt. Gleichviel auch, ob noch nicht ausgezahlte Rentenrückstände oder künftige Leistungen in Frage stehen, obgleich im übrigen nach Abs. 3, 4 ver­ schiedene Rechtsgrundsätze für beide Fälle in Betracht kommen. Für den Umfang und die Höhe der verfügbaren Rentenbeträge ist auch hier (vgl. oben III, 3 a) die den Bezugsanspruch anerkennende Ent­ scheidung ausschließlich maßgebend?9) Nicht überweisbar sind Leistungen der Versicherungsanstalt, welche nicht Rentenleistungen sind, so Abfindungskapitalien, Ansprüche auf Beitragserstattungen und Mehrleistungen aus § 45 JVG?') 5. Ist der Armenverband für seine Leistungen in vollem Um­ fange befriedigt, so verlieren dieselben den Charakter von Armen­ unterstützungen mit den daran hastenden nachteiligen Einwirkungen, namentlich auf die politischen Rechte?9) V. Als eine Art Äquivalent dafür,99) daß das neue Recht die Lage des Versicherten durch die Heranziehung auch künftiger Renten­ beträge zur Befriedigung der Armenverbände verschlechterte, erscheinen in § 49 Abs. 3, 4 JVG. gewisse Beschränkungen der Rentenüber­ weisung, welche verhindern sollen, daß die laufende Rente dem Bezugsberechtigten in zu weit gehendem Maße entzogen werde. Hiernach ergibt sich als Inhalt dieser vielfach umstrittenen Bestim­ mungen: 1. Auf Rentenrückstände d. h. auf alle Nentenbeträge für be­ reits verstrichene Zeiträume, welche entweder als solche nachträglich bewilligt94) oder zur Zeit der späteren Anmeldung der Ersatz4e) Bedeutung hat das namentlich auch für einmalige Leistungen (vgl. oben

III, 2 b), die sonst nur aus einer Tagesrentenleistung befriedigt werden könnten; vgl. OlsHausen, Verw.Arch. S. 56 Abs. 2. 5Ü) Die nach § 41 Abs. 3, §§ 17, 22 mit 47 Abs. 2 aberkannten Renten­ beträge bilden daher kein Befriedigungsobjekt; übereinstimmend GebhardDüttmann Anm. 5 Abs. 3 und auch Erk. preuß. OVG. v. 17. Sept. 1903, AN. 03 S. 605 Abs. 3, dagegen Wey mann (vgl. oben N. 23). 51) Vgl. auch Gebhard-Düttmann Anm. 2 Abs.4. M) Wohlers-Krech S. 46, dagegen eher Frankenberg S. 339. 53) Mot. Abs. 3 zu §§ 35 ff. Entw. JVG. ") Vgl.- § 116 Abs. 1, § 129 Abs. 4 JVG. ' Diesen Fall entscheidet Erk.

§ 87.

Armenpflege.

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forderung noch nicht ausgezahlt sind, findet § 49 Abs. 3, 4 über­ haupt keine Anwendung. Solche Rentennachzahlungen können viel­ mehr in demjenigen vollen Umfange in Anspruch genommen werden, welcher sich aus den Erörterungen bei Ziff. IV ergibt. Die Be­ schränkungen von Abs. 3, 4 greifen nur Platz, wenn Renten für zu­ künftige Zeiträume(im Sinne der obigen Begriffsbestimmung) von dem Armenverbande mit Beschlag belegt werden. 2. Die Absätze 3 und 4 des § 49 stehen einander so gegen­ über, daß der erstere Anwendung findet, wenn „die Unterstützung eine vorübergehende", der letztere, wenn dieselbe eine „fortlaufende" ist. Diese Gegensätze finden in den Motiven Abs. 2—4 zu §§ 35 ff. Entw. JVG- ihre Erläuterung. Danach wird die „fortlaufende" mit „dauernder Armenunterstützung", welche auf „dauernder Hilfs­ bedürftigkeit" beruht, identifiziert,^), während vorübergehend eine solche Unterstützung ist, bei welcher „wegen außerordentlicher Not­ fälle, z. B. wegen ernster Erkrankung bei einem Rentenempfänger, der durch die Rente an sich regelmäßig vor Hilfsbedürftigkeit bewahrt ist, vorübergehend noch die öffentliche Armenunterstützung ergänzend eintreten muß." An diesem Grundgedanken wird festzuhalten fein,51) bayr. VGH. v. 24. Nov. 1902, ArbB. 03 S. 542 = Reger Bd. 23 S. 115 gemäß dem Satze unseres Textes gegen die Bedenken von Weymann Anm. 10 Ziff. 3, 4 (vgl. auch Hahn ArbV. 02 S. 49); doch treffen die aus der Absicht des Gesetzes und den Materialien entnommenen Gründe auch für den zweiten Fall unseres Textes zu. Vgl. dagegen den Nachtrag. 55) Die Mot. Abs. 3, 4 stellen „bereits fällig gewordene" und „künftig fällig werdende" Rentenzahlungen gegenüber. Allein der Monat, in dem die An­ meldung erfolgt, ist noch nicht verstrichen, obgleich die Zahlung für ihn fällig ist. Seine Rente wird nicht zu den Rentenrückständen gerechnet werden dürfen. M) Mot. Abs. 3—5. Weymann Anm. 10 will diese Identifizierung als zutreffend nicht gelten lassen; aber es kommt doch nicht auf den objektiven Sinn der Worte, sondern auf den subjektiven an, den der Gesetzgeber damit verbindet. 57) So auch Gebhard-Düttmann Anm. 13 und Erk. bayr. VGH. v. 24. Nov. 1902 (oben N. 54) unter I, sowie zu § 25 GUVG. Böttger in ArbV. 04 S. 17 (vgl. auch Nachtrag). Dagegen namentlich Wey mann Anm. 10 mit einer „in ihrer Kasuistik nicht bedenkenfreien Begriffsbestimmung" (Worte des zit. Erk.). Er stellt für den Unterschied von fortlaufender und vorübergehender Unterstützung namentlich darauf ab, ob die Unterstützungen für Zeiträume bestimmt sind, für welche die Rente noch nicht, oder bereits an den Versicherten ausgezahlt ist. Dagegen, abgesehen von den Ausführungen des zit. Erk., namentlich auch Hahn ArbV. 02 S.48. Der letztere will lediglich danach unterscheiden, ob die

wobei man zur näheren Erläuterung auf die analogen Gegensätze, welche im Armenrecht33) und im Jnvalidenrecht50) sonst Verwen­ dung finden,' zurückgehen mag. Danach ergibt sich: a) Eine vorübergehende Unterstützung, für welche höchstens drei Monatsbeträge der Rente in Anspruch genommen werden können, ist die auf vorübergehender d. h. solcher Hilfsbedürftigkeit beruhende, für welche sich ein bestimmter naher Endpunkt absehen läßt?") Der vorübergehenden muß die bereits vorübergegangene, abgeschlofiene Unterstützung gleichgeachtet werden. Als entscheidend für die Beur­ teilung wird der Zeitpunkt der Anmeldung anzusehen sein?') b) Fortlaufende Unterstützung, für welche die fortlaufende Über­ weisung der Rente beansprucht werden kann, ist diejenige, welche zur Zeit der Anmeldung noch läuft und auf dauernder Hilfsbedürf­ tigkeit beruht, daher voraussichtlich lebenslänglich oder doch bis zu einem nicht absehbar nahen Zeitpunkt laufen mtb.02) c) Welcher Zeitpunkt als ein absehbar naher anzusehen ist, be­ stimmt das Gesetz nicht. Man kann nicht daran denken, unbedingt oder doch regelmäßig jede Unterstützung als fortlaufende zu be­ handeln, welche vom Zeitpunkt der Anmeldung an voraussichtlich noch länger als drei Monate dauern roirb.03) Vielmehr war, wie Unterstützung im Zeitpunkte der Anmeldung noch fortdauert oder bereits be­ endet ist. Gegen Hahn wiederum Böttger S. 17. 58) § 31 UWG.: Pflicht zur Übernahme eines Hilfsbedürftigen seitens des endgiltig verpflichteten Armenverbandes, „wenn die Unterstützung aus anderen Gründen, als wegen einer nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit notwendig geworden ist"; dazu Wohlers-Krech S. 162 ff. 59) §§ 15, 16 JVG.; vgl. oben § 60 VII, 3 mit § 61 I, 2. 60) Wohlers-Krech S. 163 Anm. 5 und die dort zitierten Entscheidungen. Einmalige Unterstützungen (vgl. N. 49) sind stets als vorübergehende zu behandeln. 91) Böttger a. a. O. will den Beginn der Unterstützung entscheiden lassen; vgl. aber den vorletzten Absatz der Abhandlung. Der Zeitpunkt der Über­ weisung selbst kann nicht in Betracht kommen, *roeit sonst die Entscheidung in die Hand der dem Armenverbande gegenüberstehenden Beteiligten gelegt wäre; Wohlers-Krech S. 165 Anm. 9e ist hierher nicht übertragbar; vgl. aber unten litt, c a. E. und d. °2) Vgl. oben N. 60 und unten litt, c a. E. 63) So Olshausen ArbV. 00 S. 47 und der dort zitierte Aufsatz, dagegen im Sinne des Textes Gebhard-Düttmann Anm. 13, Hahn ArbV. 02 S. 48. Eine Unterstützung unter 3 Monat behandelt als jedenfalls vorüber­ gehend Erk. preuß. OVG. v. 29. Juni 1903, ArbV. S. 773 — Reger Bd. 24 S. 375.

§ 87.

Armenpflege.

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die Motive*") beweisen, der Gesetzgeber sich bewußt, daß bei Abs. 3 des § 49 die Dauer der noch laufenden Unterstützung die über­ wiesene Rentenperiode überragen kann und darf. Da aber anderer­ seits ohne die größte Benachteiligung der Armenverbände nicht daran gedacht werden kann, jeden voraussehbaren, wenn auch noch so ent­ fernten Endpunkt der Hilfsbedürftigkeit als genügend für den Be­ griff der „vorübergehenden Unterstützung" anzusehen, so scheint als Analogie entweder die halbjährige Frist des § 16 JVG. oder aber diejenige Beurteilung übrig zu bleiben, welche auf dem Gebiete des Armenrechts in analogen Fällen Platz gegriffen hat. Wenn auch gewisse Momente für die erste Alternative sprechen,66) so erscheint doch die zweite als die rationellere, und würde ich danach jede Unterstützung als fortlaufende betrachten, welche zur Zeit der An­ meldung eine begründete Voraussicht der Fortdauer für einen Zeitraum bietet, welcher ein Jahr erheblich überschreitet.66») Wird allerdings diese Voraussicht bis zur Überweisung selbst oder dem auf sie er­ kennenden Urteil widerlegt, so müssen die der vorübergehenden Unterstützung anhaftenden Beschränkungen Platz greifen.66) d) Jeder Fall vorübergehender Unterstützung, für welchen das zulässige Maximum an Rentenbeträgen dem Armenverbande über­ wiesen ist, gilt danach in allen seinen, auch späteren, Leistungen als gedeckt. Geht dagegen die vorübergehende Hilfsbedürstigkeit in eine dauernde über, so kann eine neue fortlaufende Überweisung bean­ tragt werden, deren Rechtsverhältniffe nach der Zeit der neuen An­ meldung zu beurteilen sind.*") 3. Bei vorübergehender Unterstützung6^) können bis zum Be64) Vgl. die beiden letzten Sätze von Abs. 4. 65) Ein vielleicht unbeabsichtigtes Zusammentreffen ist es, daß bei der Rentenverteilung als Durchschnittsdauer der Renten für vorübergehende Er­ werbsunfähigkeit der Zeitraum von 3 Monaten angenommen wird; vgl. oben § 78 N. 42. osa) Die Frage, ob, inwieweit und eventuell mit welchen Modifikationen diese Ausfaffung auf § 25 Abs. 4, 5 GUVG. und namentlich die dort erwähnten „Kaffen" (vgl. Hahn, Böttger a. a. O.) übertragen werden kann, ist hier nicht zu erörtern und kann in keinem Falle für die Auslegung des älteren, nur die Armenverbände in Betracht ziehenden JVG. entscheidend sein. 66) Vgl. den vorletzten Absatz des Böttger'schen Aufsatzes. **) Gebhard-Düttmann Anm. 14. 67a) Auch wenn dieselbe in einer Anstalt erfolgt: OlsHausen ArbV. 00

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VI. Buch. Grenzbcziehunge».

trage derselben (vgl. oben IV, 2) nicht allein nur drei Monatsbeträge der Rente, sondern auch diese nur mit nicht mehr als der Hälfte in Anspruch genommen werden. Das bedeutet, daß dem Bezugs­ berechtigten für jeden Monat die Hälfte seiner Rente verbleiben muß, nicht aber, daß bei kürzerer Rentendauer dem Armenverbande jedenfalls eine Summe gleich der Höhe von anderthalb Monats­ beträgen zu überweisen ist.68) 4. Für den Fall der fortlaufenden Unterstützung kann regel­ mäßig auch die dann zulässige66) fortlaufende Überweisung nur im Betrage von höchstens der halben Rente verlangt werden. Nur „wenn die Unterstützung in der Gewährung des Unterhalts in einer Anstalt besteht", darf die Rente bis zur vollen Höhe überwiesen werden. Vorausgesetzt wird, daß die Gewährung des ganzen Unterhalts in der Anstalt erfolgt und dadurch die Rente ersetzt wird.'6) Anstalten sind nach den Motiven z. B. Kranken- oder Siechenhäuser, d. h. Verpflegungsanstalten; die Unterbringung in Familienpflege wird, wegen der geringeren Garantie, welche die­ selbe den Interessen des Versicherten bietet, der Anstaltspflege nicht gleich geachtet."). Auf die Unterbringung eines Familienangehörigen des Rentners in der Form mittelbarer Unterstützung (vgl. oben III3 c) bezieht sich die Ausnahme nicht.'-) 5. Wird die Rente fortlaufend, gleichviel, ob im vollen oder inr halben Betrage überwiesen,'6) so geschieht das doch nur für die „Dauer" der als fortlaufend anzusehenden Unterstützung, so daß mit deren Ablauf auch die Wirkung der Überweisung endet, auch wenn durch die bisher bezogenen Rentenbeträge dem Armenverbande seine Leistungen nicht voll ersetzt sind. Daraus ist wohl mit Recht ge­ folgert worden, daß, wenn der Rentner im Laufe eines Monats stirbt, der Restbetrag der Rente vom Todestage an, unter BerückS. 47, Erk. preuß. OVG. v. 29. Juni 1903, ArbV. S. 773 — Reger Bd. 24 S. 375. 6S) So unter Hinweis auf §§ 16, 22, 47, 48 JAG. das oben N. 50 zitierte Erk. ec) Begrenzung auch hier durch den Betrag der Unterstützung; vgl. oben IV, 2. 70) Mot. Abs. 5 a. E.; Gebhard - Düttmann Anm. 15. ”) Erk. preuß. OVG. v. 17. Sept. 1903, AN. 03 S. 605 = ArbV. 04 S. 111. n) Frankenberg S. 331 Anm. 18 und das oben N. 25 zitierte Erk. ’3) Daß der Satz des Textes auch bei offener Armenpflege gilt, vgl. Weymann Anm. 10 Ziff. 1.

sichtigung des § 38 Satz 2 nicht dem Armenverbande, sondern den Erben gebührt, und daher von ersterem an die letzteren oder an die Anstalt zurückzuzahlen ist.74) VI. Eine Überweisung von Rentenbeträgen kann nur erfolgen,, nachdem der Bezugsanspruch im Rentenverfahren rechtskräftig 7°> festgestellt ist. Im übrigen ist für das Verfahren zu unterscheiden, ob bei Geltendmachung des Überweisungsanspruchs die rechtsktäftige Feststellung bereits vorliegt oder nicht. Für dm ersten Fall gilt folgendes: 1. Beteiligt am Verfahren sind, abgesehen von dem Falle mehrerer konkurrierender Armenverbände (unten VIII), als Inter­ essenten : der Armmverband, die Versicherungsanstalt, der Renten­ empfänger. a) Von dem Armenverband hat der Antrag auf Überweisung, auszugehen. Eine Überweisung von Amtswegen erfolgt nicht.7") Auch liegt dem Anstaltsvorstand keine Ermittelungspflicht ob, wenn er auch, falls ihm Ersatzansprüche bekannt geworden sind, den Armenverband wegen Geltendmachung derselben anfragen kann.77) b) Kompetent ist jedenfalls in dem hier vorliegenden Falle ausschließlich diejenige Anstalt, welche die Rente festgestellt hat bezw. gegen welche sie festgestellt ist.78) c) Wie namentlich § 50 Abs. 3 JVG. erweist und die Materialien bestätigen,78) bedarf es zur Überweisung einer ausdrücklichen oder doch durch schlüssiges Verhalten88) kundgegebenen, eventuell 74) So Appelius in Schmoller's Jahrbuch 33b. 25 S. 1160 und mit unrichtiger, auf die Höhe, statt auf die Dauer der Unterstützung abgestellter Begründung Erk. preuß. OVG. v. 1. Dez. 1902, ArbV. 03 S 165 — Reger Bd. 24 S. 146; dagegen Jsenbart-Spielhagen Anm. 5a. ;ö) Können auch die vorläufigen Zubilligungen nach §§ 115, 117 Abs. 3 dem Armenverbande überwiesen werden? Ich glaube nicht, da sie zu speziellen Gunsten des Versicherten eingeführt sind. AN. 93 S. 167 Nr. 313. ”) Vgl. die N. 76 zitierte Entsch. und Handbuch der Unfallversicherung, Anm. 5 zu § 8 UVG., sowie Gebhard-Düttmann Anm. 2 zu § 50. T8) Gebhard-Düttmann Anm. 3 zu § 50. 7Ö) Mot. Abs. 6; vgl. auch Hahn ArbV. 02 S. 52, ArbV. 01 S. 89, da­ gegen Olshausen ArbV. 00 S. 47, Graßmann Anm. 3 zu § 50 u. a. 80) Erk. preuß. OVG. v. 8. Jan. 1903, ArbV. S. 336 — Reger Bd. 24 S. 151 und v. 24. Sept. 1903, ArbV. 04 ©. 134 = Sieger Bd. 25 S. 113.

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VI. Buch. Grenzbezichungen.

-aber durch Urteil der nach § 50 Abs. 3 geordneten Instanz zu er­ gänzenden Zustimmung des Rentenempfängers?') Der Anstalt steht -es nicht zu, beim Mangel dieser Voraussetzung selbst über die Be­ rechtigung und den Umfang des Überweisungsanspruchs zu ent-scheiden.83) 2. Der Antrag auf Rentenüberweisung ist bei den gleichen Be­ hörden anzumelden, welche zur Seit83) für die Anmeldung eines Bewilligungsanspruchs seitens des Versicherten zuständig sein würden.8^ Unter mehreren zuständigen Jnstruktionsbehörden hat hier der Armen­ verband die Wahl.83) „Soweit es sich um den Ersatz für eine vor­ übergehende Unterstützung handelt, ist der Anspruch bei Vermeidung des Ausschlusses spätestens binnen drei Monaten seit Beendigung der Unterstützung geltend zu machen." (§ 50 Abs. 1 JVG.) Da zu den vorübergehenden Unterstützungen jedenfalls auch die bereits -erledigten Unterstützungsfälle zu rechnen sind,88) so besagt die Vor­ schrift im Ganzen, daß jeder Überweisungsanspruch entweder im Laufe der ihm zu Grunde liegenden Unterstützung8') oder spätestens in einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Beendigung derselben -anzumelden ist. Die Frist läuft bei einmaligen Unterstützungen von dem Zeitpunkt der Leistung an; in Fällen, in denen der Armen«') Erk. preuß. OVG. v. 26. Sept. 1901, ArbB. 02 S. 99; v. 16. Okt. 1902, ArbB. 03 S. 85; v. 30. Okt. 1902, ArbB. 03 S. 86 — Reger Bd. 23 @.474; v. 23. April 1903, ArbB. @.795; vgl. auch N. 82. Bestellung eines Pflegers für den geisteskranken Rentenempfänger (vgl. oben § 73 N. 5). Auch die Erben des verstorbenen Rentenempfängers müssen eventuell zustimmen: Erk preuß. OBG. v. 7. Juli 1902, ArbB. S. 670 — Reger Bd. 23 S. 290. «-) AN. 03 S. 593 Nr. 2025 (Unfallsache). 8J) Daher entscheidet z. B. der jetzige Wohnort des Rentenempfängers; vgl. Weymann Anm. 2. M) § 112 Abs. 1; vgl. oben § 68 II. Wenn die Mot. Abs. 6 sagen, daß die Anmeldung auch „geeignetensalls bei der zur Entscheidung über den Renten-anspruch zuständigen Stelle" erfolgen könne, so entspricht das dem Gesetze nicht, wie auch Erk. bayr. BGH. v. 24. Nov. 1902 unter II, ArbB. 03 S. 542 — Reger Bd. 23 S. 115 annimmt; doch kann es eventuell von Vorteil sein, dem Vorstand -gleichzeitig von der Anmeldung Kenntnis zu geben (vgl. unten N. 94). “) Gebhard-Düttmann Anm. 3. Ist die Jnstruktionsbehörde mit der Armenbehörde identisch, so ist doch Aktenmäßigkeit der Anmeldung erforderlich; -Gebhard-Düttmann Anm. 5 Abs. 3, Frankenberg S. 347. ee) Vgl. oben V, 2a; dazu Weymann Anm. 3, Hahn wie oben 57 .zitiert. -») Böttger ArbV. 02 S. 20 Sp. Ui.

§ 87.

Armenpflege.

106»

verband die Unterstützung durch Zahlung oder Erstattung an Dritte auf sich genommen hat, entscheidet die Zeit der letzteren, nicht die Zeit des früheren Genusses der vergoltenen Leistung durch den Unterstützten?") Für den Ablauf der Frist ist der Eingang der Anmeldung bei der zuständigen Behörde entscheidend?") Die An­ meldung bei unzuständiger Behörde wahrt die Frist nicht?") Die Anmeldungsbehörde hat die Sachlage klarzustellen"') und nament­ lich, wenn möglich, die Zustimmung des Rentenempfängers zu der beantragten Überweisung herbeizuführen."") 3. Die abgeschlossenen Verhandlungen sind von der vorberei­ tenden Behörde dem zuständigen Anstaltsvorstand"") zu übersenden. Spätestens mit dem Eingänge derselben, aber auch schon von der früheren Kenntnis der geschehenen Anmeldung an"1) wird die An­ stalt verpflichtet, die Rentenzahlung an den Versicherten insoweit einzustellen, als es zur Befriedigung des angemeldeten Ersatzanspruchs erforderlich ist.®5) Sie kann, wenn der Versicherte der Überweisung widersprochen hat, den streitigen Betrag hinterlegen."") Zahlt demM) So das N, 84 zitierte Erk. bayr. VGH. Wey mann Anm. 4 will die Ausschlußfrist hinausschieben, wenn der Armenverband ohne Schuld von der Rentenberechtigung verspätet Kenntnis erhalten hat. Ich kann mich dem nicht anschließen. 8V) Vgl. das N. 84 zitierte Erk. eo) Der § 114 Abs. 3 JVG. ist nicht analog anwendbar; vgl. auch oben § 66 N. 29. Gebhard-Düttmann Anm.5. lli) Mot. Abs. 6. Die württ. Vollz.Verf. v. 25. Nov. 1899 § 12 setzt eine präklusivische Frist von 14 Tagen für den Widerspruch des Versicherten, ge­ rechnet vom Tage der Mitteilung durch das Oberamt, an; vgl. dazu oben N. 80. 63) Ich glaube nicht, daß an dessen Stelle die entscheidende Rentenstelle zu treten haben wird; doch nehmen das die oben N. 84 zitierten Motive augen­ scheinlich an. Die württ. Vollz.Verf. läßt die Überweisung durch das Oberamt „gegenüber dem Vorstand der Versicherungsanstalt" erfolgen, was dem Gesetze kaum entsprechen dürfte. “) Hahn ArbV. 01 S. 89; dazu oben N. 84. Bis dahin muß die Anstalt dem Rentenempfänger zahlen, auch wenn sie von dem Ersatzanspruch des Armen­ verbandes Kenntnis hat; vgl. auch oben N. 43. Eine gewisse Analogie in § 835 Abs. 3 mit § 829 Abs. 3 CPO. Hahn a. a. O. sowie Kommentar S. 413; dagegen Gebhard-Dütt­ mann Anm. 5 Abs. 2. Zm Sinne des Textes auch die N. 96, 97 zitierten Erkenntnisse. »•) § 372 Satz 2 BGB.; AN. 93 S. 167 Nr. 313. Die Hinterlegung ist

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VI. Buch.

Grcrizbeziehinigcn.

■entgegen die Anstalt die volle Rente an den Versicherten weiter, so setzt sie sich der Gefahr aus, wenn der Überweisungsanspruch später -gerichtlich anerkannt wird und Rentenbestände des Versicherten für ■eine Überweisung nicht mehr zur Verfügung stehen, den für den Armenverband ausgefallenen Betrag nochmals demselben aus ihrem Sondervermögen zahlen zu müssen.97) Dagegen ist eine Rück­ zahlungspflicht des Rentenempfängers oder seiner Erben m. E. auch der Versicherungsanstalt gegenüber99) nicht begründet.99) 4. Hat der Rentner seine Zustimmung zur Überweisung er­ klärt und hat auch der Vorstand von sich aus keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Überweisung,'*9')*10so * *vollzieht * * * 08er dieselbe, aber nicht'9') in der Form eines berufungsfähigen Bescheides, sondern in der eines formlosen Beschlusses, welcher dem Armenverbande und dem Rentenempfänger zugestellt wird. Mit der Zustellung an letzteren'") geht der Anspruch auf die überwiesenen Beträge auf den Armenverband über, welcher von da an gegen eine Jnanspruchaber nur eine Befugnis der Anstalt, nicht eine Pflicht (anders H a h'n S. 89); die Einbehaltung genügt: Gebhard-Düttmann Anm. 5 Abs. 5, Appelius bei Schmoller Bd. 25 S. 1160 und die Bemerkung im Erk. preuß. OVG. v. 23. April 1903, ArbV. S. 795. Wenn die Mot. Abs. 7 meinen, daß es der Hinterlegung nicht mehr bedarf, weil die Befriedigung auch aus den später fällig werdenden Renten erfolgen kann, so ist das unzutreffend, weil, abgesehen von dem Fall der fortlaufenden Überweisung, mit den verschiedenen Möglichkeiten eines Aufhörens des Nentenbezugs durch Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit -(namentlich nach § 16), Tod usw. gerechnet werden muß. Vgl. außer den Zitierten noch Olshausen ArbV. 00 S. 49, Frankenberg S. 235. ®7) Auf diesem Standpunkt steht auch Erk. preuß. OVG. v. 30. Okt. 1902, ArbV. 03 S. 86 = Reger Bd. 23 S. 474. 08) Über das Verhältnis zum Armenverband vgl. oben N. 41 a. ") Es kommt in Betracht, daß nicht allein die Übereignung sich erst mit dem Überweisungsakt vollzieht, sondern daß auch erst mit diesem die zu über­ weisenden Rentenbeträge individualisiert werden. Bei dieser Sachlage wird es ein sozialpolitisches Gesetz einem Arbeiter kaum zumuten, Beträge nicht endgiltig .anzunehmen, welche ihm von der Anstalt im ordnungsmäßigen Verlaufe der ihm rechtmäßig zugesprochenen Rentenzahlungen gewährt werden. Anders allerdings Sie Bemerkungen in dem N. 97 zitierten, sowie int Erk. preuß. OVG. v. 7. Zuli 1902, ArbV. S. 670 ^ Reger Bd. 23 S. 290. 10°) Ebenso Gebhard-Düttmann Anm. 5 Abs. 2. 101) Anders demnach, als bei § 48 Abs. 2; vgl. oben § 76 9t. 62. Über­ einstimmend Gebhard-Düttmann Anm. 5 Abs. 2. 102) Hahn ArbV.01 S. 88: an den „Armenverband oder den Versicherten".

§ 87.

Armenpflege.

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nähme derselben Beträge von anderer ©eite103) ausschließlichen Schutz genießt. 5. Stehen dagegen der Überweisung von seiten des Renten­ empfängers oder der Anstalt selbst Gründe entgegen, so ist dieselbe insoweit unter Mitteilung an den Versicherten und den Armenver­ band vorläufig abzulehnen und es diesem zu überlassen, den Streit über Berechtigung und Höhe des Ersatzanspruchs gemäß § 50 Abs. 3 JVG. zum Austrag zu bringen. a) Die Entscheidung erfolgt nicht mehr, wie nach früherem Recht, durch die Civilgerichte,l0t) sondern, sofern am Sitze der Ver­ sicherungsanstalt l05) ein Verwaltungsstreitverfahren gesetzlich besteht, in diesem/00) event, durch die dem ersatzberechtigten Armenverbande vorgesetzte Aufsichtsbehörde; im letzteren Falle findet Anfechtung der Entscheidung im Wege des gewerberechtlichen Rekurses statt. b) Das Verwaltungsstreitverfahren gemäß § 50 Abs. 3 soll in einem und demselben Rechtsgange die Frage der Überweisung voll­ ständig erledigen.101) Der Klageantrag des Armenverbandes gegen den Versicherten ist auf Ergänzung seiner Zustimmung,100) der des Versicherten gegen den Armenverband auf Freigabe der beanspruchten Rente zu richten. Die Anstalt muß mitverklagt werden, sofern sie, abgesehen von der Zurückhaltung der Rentenzahlungen, von sich aus Stellung gegen den betreffenden Kläger genommen hat.100) Gegen die Anstalt allein kann die Klage des Armen­ verbandes nicht gerichtet werden, wofern nicht der Ver­ sicherte seine Zustimmung zur Überweisung erklärt hat;110) *°3) Namentlich gemäß § 55 Ziff. 1, 2 und Abs. 3. Verhältnis zu anderen Armenverbänden vgl. unten N. 144. ,M) AN. 95 S. 228 Nr. 435, S. 229 Nr. 436, AN. 98 S. 371 Nr. 665. ,os) Dieser wird wohl entscheiden, nicht der Sitz des Armenverbandes oder der Wohnort des Versicherten. Ebenso wohl Jsenbart-Spielhagen Änm. 8a. >°°) Die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen schließen sich an die zu § 23 Abs. 2 gegebenen an; vgl. oben § 81 N. 103, 109. '»’) Erk. preuß. OVG. v. 23. April 1903, ArbV. S. 795; v. 15. Dez. 1902, ArbB. 03 S. 255 =r Reger Bd. 24 S. 148. >o») Erk. preuß. OVG. v. 29. Mai 1902, ArbB. S. 620 = AN. 02 S. 653. i°°) Erk. preuß. OVG. v. 23. April 1903 (91. 107), v. 20. Febr. 1902, ArbV. S. 418 — Reger Bd. 22 S. 393, v. 15. Dez. 1902 (91.107); abweichend wohl Erk. v. 30. Okt. 1902, ArbV. 03 S. 86 — Reger Bd. 23 S. 474. »°) Erk. preuß. OVG. v. 16. Okt. 1902, ArbB. 03 S. 85, v. 30. Okt. 1902, (91.109), v. 20. Febr. 1902 (91. 109) mit Erk. v. 8. Jan. und v. 24. Sept. 1903

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VI. Buch.

Grenzbeziehungen.

aus welchem Grunde er widersprochen hat, ist gleichgiltig."') c) Das Verfahren nach § 50 Abs. 3 erfaßt alle Streitigkeiten, welche zwischen irgend welchen Beteiligten „über den Anspruch auf Überweisung" von Rentenbeträgenn2) entstehen, gleichviel wie ber Streit in concreto gelagert ist. Es greift daher auch Platz, wenn der Streit sich nur um die Höhe der Überweisung dreht, "*) oder wenn nach einer ohne seine Zustimmung ergangenen Überweisung der Rentenberechtigte die Rechtsgiltigkeit derselben gegen den Armen­ verband mit dem Antrag auf Rückzahlung"*) bezw. auch gegen dieAnstalt anficht."») 6. Die Auszahlung der überwiesenen Rentenbeträge an bett Armenverband erfolgt gemäß der allgemeinen Regel durch diePost."») An dem Modus der Rentenverteilung wird durch die Überweisung nichts geändert."') VII. Unter der Herrschaft des früheren Rechts hatte das RVA. dem Armenverbande die Befugnis zuerkannt, „die für den Renten-anspruch grundlegende Feststellung selbständig neben dem Haupte berechtigten oder statt desselben in dem vorgeschriebenen Verfahren zu betreiben, insbesondere auch selbst einen Bescheid der Versiche­ rungsanstalt über den Rentenanspruch zu fordern und gegen ab(N. 80). Beiladung des Versicherten genügt nicht; er muß, um mitverurteilt, werden zu können, mit verklagt werden: Erk. v. 15. Dez. 1902 (N. 107). Dazu. die Zusammenstellung von Appelius in ArbV. 03 S. 404. m) Erk. v. 15. Dez. 1902 (N. 107). m) Der Text des Gesetzes spricht unmotivierter Weise von „Entschädigungs­ beträgen". 113) Erk. v. 7. Juli 1902 (N. 99). 114) Erk. preuß. OVG. v. 17. März 1902, ArbV. S. 442 = Reger Bd. 22 S. 390 — Entsch. Bd. 42 S. 326. Zuziehung der Anstalt als Mitbeklagten. m) Ist die Unrechtmäßigkeit der Überweisung gegen die Anstalt festgestellt^ so kann der Berechtigte wiederholte Zahlung, hier aus dem Sondervermögen der Anstalt, verlangen und eventuell durch die Aufsichtsbehörde durchsetzenAnders Hahn ArbV. 02 Anm. *. — Hierhin würden auch Rückforderungs­ klagen der Anstalt gegen den Armenverband oder, wenn zulässig (oben N. 99),. gegen den Rentenempfänger gehören. ne) § i Abs. 3 der Anweisung v. 9. Nov. 1901 und z. B. die Formulare für einmalige Zahlungen (AN. 02 ©1 191, 197, 205, 213). m) Dagegen sagt Piloty S. 137 Ziff. 4: „Der Ersatzanspruch bildet einem Bestandteil der Sonderlast (§ 33 Abs. 2 Satz 2)"; vgl. auch Graßmanm Anm. 4 a. E. zu § 49. Dazu oben bei N. 97 und in N. 115.

lehnende Bescheide und Urteile selbständig Rechtsmittel einzulegen.""8) Trotz des Wegfalls der cessio legis und der damit veränderten formalen Grundlage jenes Prinzips wird dasselbe auch vom JVG. anerkannt und für einen besonders markanten Spezialfall (dem des Todes des Ansprechers vor der Anmeldung seines Anspruchs) zum Ausdruck gebracht.'0) Hiernach ergeben sich für den Fall, daß zur Zeit der Anmeldung einer Ersatzforderung der Bezugs­ anspruch noch nicht rechtskräftig feststeht, folgende Besonderheiten: 1. Das Prinzip, daß die Feststellungsinstanzen nur über den Rentenanspruch zu entscheidm haben, während Streitigkeiten über Berechtigung und Höhe des Ersatzanspruchs in dem Verfahren nach § 50 Abs. 3 JVG. erledigt werden, gilt auch hier, und zwar gleich­ viel, ob der Rentenanspruch liquid oder selbst bestritten ist.120) Bei Wegfall der cessio legis wird aber für das heutige Recht'2') daraus der Schluß zu ziehm sein, daß die vom Armenverbande in Anspruch genommenen Rentenbeträge, auch dann, wenn er selbst das Verfahren betreibt oder mit betreibt, ihm nicht schon im Fest­ stellungsbescheide selbst „zuerkannt" werden können; vielmehr ist der letztere, wie gewöhnlich, auf den Namen des Versicherten, als des Bezugsberechtigten, zu stellen, etwa nur mit Aufnahme eines Hin­ weises auf die gleichzeitig durch besonderen Beschluß erfolgende Überweisung.'22) 2. Gegenüber der besprochenen Trennung des Verfahrens er­ zeugt der Umstand eine gewiffe, auch schon früher bemerkte Schwierig­ keit, daß der Eintritt des Armenverbandes in das Feststellungs­ verfahren einen Nachweis seiner Aktivlegitimation erfordert und dieser nicht ohne ein gewisses Eingehen auf die Berechtigung des Ersatz­ anspruchs geführt werden kann. Es wird jedoch, wie bisher, auch ferner im allgemeinen die Bescheinigung'22) genügen, daß der in das Verfahren eintretende Armenverband seinem Wesen nach unter § 49 JVG. fällt und für den bestenfalls in Frage kommenden I'O) S. 161 -") 12°) »') i22) m)

AN. 91 S. 164 Nr. 57, AN. 93 S. 166 Nr. 312, AN. 94 S. 160 Nr. 390, Nr. 391. AN. 03 S. 394 Nr. 1060. Vgl. die N. 104 zitierte Entsch. Nr. 436. Anders früher AN. 95 S. 227 Nr. 434. So wohl auch Gebhard-Düttmann Anm. 5 Abs. 3 zu § 50. Eine „Feststellung" halte ich nicht für unbedingt nötig.

Rostn, Recht der Arbetterverstcherung. Bd. Is.

1074

VI. Buch. Grenzbeztchungcn.

Zeitraum des Bezugsanspruchs dem Versicherten eine Unterstützung geleistet hat oder noch leisten muß.I2t) Da die Mitwirkung des Armenverbandes dem Versicherten in Bezug auf die Rentenfeststellung selbst keinesfalls einen Nachteil bringen tarnt,125) kann alles weitere dem Verfahren nach § 50 Abs. 3 überlassen bleiben. 3. Hat der Versicherte selbst das Verfahren durch Anmeldung seines Bewilligungsanspruchs bereits in Gang gebracht, so kann der Armenverband, sei es als Nebenintervenient,'28) oder in der Form der notwendigen Streitgenoffenschaft mit allen ihren Rechts­ wirkungen l2T) in dasselbe eintreten. Stirbt der Rentenansprecher im Laufe des Verfahrens, so steht auch dem Armenverbande gleich den Erben (vgl. oben § 73 III) das Recht der Aufnahme desselben jtt.'28) Für das Verhältnis des Armenverbandes zu den Er­ stattungsberechtigten enthält der § 50 Abs. 2 Satz 2 JVG. eine der früheren Praxis'28) sich anschließende Bestimmung, nach welcher zu Gunsten der letzteren unter entsprechender Anwendung des § 44 Abs. 4 JVG. (vgl. oben § 80 VIII) der Armenverband den Erben gleich behandelt wird.'88) 4. Bei jeder Rentenanmeldung seitens eines Versicherten ist im Gutachten der Jnstruktionsbehörde auch zu vermerken, ob seitens eines Armenverbandes Ersatzforderungen zur Anmeldung gelangt sind.'8') Es ist auch hier Sache der Behörde, den Rentenansprecher l3 Vgl. dazu 33b. I § 42 und den Schlußsatz von AN. 03 S. 515 Nr. 1067. I0) Vgl. die zit. Entsch. Nr. 1067; dazu Jsenbart-Spiel Hagen Anm. 2 a zu § 113 und auch die anderen Kommentare. ") Jsenbart-Spielhagen a. a. O.; Gebhard-Düttmann Anm. 7 zu. § 113; Weymann Anm. 3 zu § 113. i8) So die zit. Entsch. Nr. 1067, bezüglich auf einen Unterstützungsgehalt­ gemäß dem badischen G. v. 4. Mat 1888, betr. die Fürsorge für Beamte infolge von Betriebsunfällen. w) § 15 Abs. 2 Satz 2 mit § 113 Abs. 2 JBG. und § 9 Abs. 2 Satz 2 G. 89.

zur Ausführung derselben im einzelnen verschieden gestalten. Wohl aber wird die Existenz eines Rechtsanspruchs auf Unfallrente vor­ ausgesetzt. Ist ein solcher rechtskräftig und endgiltig19a) aberkannt, so entfällt damit die Anwendung der Sonderbestimmung des § 15, und die Invalidenrente ist, wie gewöhnlich, zu bewilligen;2") es must dies auch für diejenigen Fälle gelten, in denen der durch die Ver­ wirklichung seiner positiven Voraussetzungen an sich begründete Un­ fallrentenanspruch wegen besonderer gesetzlicher Ausschlußgründe ab­ gewiesen ist.21) Dem Bestehen eines Rentenanspruchs gilt es grund­ sätzlich gleich, wenn für denselben eine andere gesetzliche Surrogat­ leistung eintritt, so die Gewährung einer Krankenhausbehandlung, durch die Berufsgenossenschaft22) oder auch eine Kapitalabfindung.22) Auch das bloße Ruhen des Bezugsanspruchs wird die Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 2 nicht ausschließen.2*) cc) Neben dem Invalidenrentenanspruch steht einer Person ein Unfallrentenanspruch dann zu, wenn und soweit derselbe für einen Zeitraum besteht, für welchen auch der erstere begründet ist.25) Soweit daher die Invalidenrente für einen Zeitraum geschuldet wird, für den Unfallrente nicht gewährt wird, findet auch die im § 15 Abs. 2 Satz 2 vorausgesetzte Konkurrenz nicht statt, und die«a) Über Rechtsmittel der Anstalt vgl. unten 2c unter litt. ee. 20) AN. 97 S. 290 Nr. 566: auch wenn sich „vom Standpunkte des an­ gefochtenen Urteils die in dem Unfallverfahren ergangenen Entscheidungen als irrtümliche darstellen". Es muß dies auch für die Zeit des vorläufigen Bezugs einer vom Schiedsgericht zugebilligten, in der Rekursinstanz aber wieder ab­ erkannten Rente gelten, auch wenn die Rückforderung derselben erfolglos ge­ blieben ist (AN. 94 S. 147 Nr. 375); dagegen für das jetzige Recht zu Unrecht Gebhard-Düttmann Anm.28 zu § 15 S. 118 a. E. 21) z. B. wegen Vereitelung des Heilverfahrens: AN. 97 S. 412 Nr. 597 (vgl. dazu oben § 74 N. 11). Die Entscheidung bezieht sich auf den Fall einer nur herabgesetzten Unfallrente, wofür Analoges gilt. Vgl. jetzt § 23 Abs. 2 GUVG. Gebhard-Düttmann Anm. 28 S. 120 heben aber mit Recht hervor, daß die Anstalt auf Mitteilung der Berufsgenossenschaft sich alsdann in der Lage befinden würde, auch ihrerseits von dem § 22 JVG. Gebrauch zu machen.. 22) AN. 96 S. 253 Nr. 494, AN. Ol S. 191 Nr. 872. ") Abg. Struckmann Sten.Ber. zum G. 89 S. 1208 D; GebhardDüttmann Anm. 30. M) Gebhard-Düttmann Anm. 30 a. E.; doch wird vielfach § 48 Ziff. 3, 4 JVG. selbständig Platz greifen. 25) Vgl. den Wortlaut von § 113 Abs. 2.

1084

VI. Buch.

Grenzbeziehungcn.

Invalidenrente ist insoweit uneingeschränkt zu bewilligen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen durch Betriebsunfall sofortige dauernde Erwerbsunfähigkeit eintritt, für die sog. Karrenzzeit von 13 Wochen nach dem Unfall?«) c) Invaliden- und Unfallrente müssen aber nicht bloß in Bezug auf Person und Zeitraum, sondern auch in Bezug auf den Fürförgegrund als Ursache zusammenfallen?') Das bedeutet: es muß die tatsächliche Erwerbsunfähigkeit des Versicherten mindestens im Ausmaß der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 JVG. gesetzlichen Invalidität ) AN. 02 S. 597 Nr. 1012. 32) Weymann ArbV. 03 S. 124 litt. b. 3J) Vgl. das Prinzip und Beispiele dazu Bd. I S. 351 N. 13, sowie Hand­ buch der Unfallversicherung Anm. 37 zu § 5. 34) Vgl. Bd. I a. a. O. N. 13 a. E. — Die Sätze des Textes ergeben sich im Zusammenhalte mit Entsch. Nr. 1069 (N. 29) aus den Entscheidungen Nr. 372 (N. 30) und AN. 94 S. 147 Nr. 373, 374. Dagegen ist im Ergebnis wohl als abwegig zu erachten (— den Widerspruch markieren auch Gebhard-Düttmann S. 125 litt, aa a. E. —) AN. 96 S. 253 Nr. 495 (vgl. dazu die ihren Tatbestand nicht klar ergebende Entsch. AN. 04 S. 354 Nr. 1110), weil die hier herangezogenen früheren Leiden doch nicht im Sinne einer dafür gewährten. „Entschädigung" „berücksichtigt" waren; vgl. oben N. 10 a. E. 35) Vgl. AN. 02 S. 683 Nr. 1020.

|at,36) auch die im allgemeinen zutreffende Fassung geben: es müssen die körperlichen Leiden, welche für den Jnvalidenrentenanspruch als Ursache der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeit in Betracht kommen, auf der anderen Seite zugleich die Folgen des festgestellten Betriebs­ unfalls sein. Doch werden dadurch diejenigen, auch vom RBA. zutreffend im Sinne einer Anwendbarkeit von § 15 mit § 113 ge­ würdigten Fälle nicht genau gedeckt, in denen die Invalidität des Versicherten tatsächlich auf den Unfallfolgen und einer späteren selbständigen Krankheit beruht, so jedoch, daß die Unfallfolgen allein schon ausreichen, das gesetzmäßige Ausmaß der Erwerbsunfähigkeit zu konstituieren?') cc) Da die Unfallfolgen sich vom Unfall ab verschlimmern oder verbessern können, so kann auch die Frage, ob die tatsächlich vorhandene Invalidität im gesetzlichen Ausmaße auf den Unfall zurückzuführen ist, für verschiedene Zeitabschnitte verschieden zu be­ antworten sein?3) Der ziffernmäßige Prozentsatz verminderter Erwerbsfähigkeit, welchen die Unfallinstanzen angenommen haben, kann dabei, wie überhaupt, als solcher nicht unbedingt entscheidend sein (vgl. schon oben N. 12), zumal, wie erwähnt (vgl. oben N. 10), die Abschätzung der Erwerbsunfähigkeit im Unfallrecht nicht nach Normal-, sondern nach Jndividualprozenten erfolgt?3) Dagegen hat das RVA. mit Recht angenommen, daß während der Unterbringung eines Versicherten in einem berufsgenoffenschaftlichen Krankenhause dessen invalidenrechtliche Erwerbsunfähigkeit stets als durch den UnM) Vgl. Nr. 322 letzter Absatz (oben N. 27), auch AN. 97 S, 592 Nr. 620: •für denselben „Körperzustand". 37) Vgl. die oben N. 29 zitierte Entsch. Nr. 1069, sowie AN. 02 S. 597 Nr. 1012. In letzterer wird ein Fall entschieden, bei welchem die bestehende ge­ setzliche Invalidität möglicherweise in ihrem vollen Umfange sowohl auf die Unfallfolgen, als auch auf eine selbständige Krankheit zurückgeführt werden konnte. „Mag nun selbst die Annahme des Schiedsgerichts zutreffen, daß der Kläger an einer Lungenkrankheit in einem an sich die Erwerbsunfähigkeit mit sich bringenden Grade leidet, so ist doch damit nicht ausgeschlossen, daß auch Unfallfolgen von ebensolcher Bedeutung für die Erwerbsfähigkeit vorliegen. Da .aber die Erwerbsunfähigkeit bei derselben Person immer nur einmal vorhanden sein kann, so würde die Entscheidung des Schiedsgerichts" (welche die Rente zubilligte) „zur Gewährung einer zweimaligen Entschädigung für die nur ein­ heitliche Erwerbsunfähigkeit führen." Vgl. auch AN. 04 Nr. 1142 S. 487 Abs. 2. 38) AN. 01 S. 191 Nr. 872, AN. 98 S. 393 Nr. 673 u. a. m. 88) AN. 02 S. 683 Nr. 1020, AN. 04 S. 354 Nr. 1110.

fall verursacht anzusehen ist, auch wenn während dieser Zeit die Unfallfolgen für sich eine solche Schwere nicht ausweisen.4") 2. An die erörterten Voraussetzungen knüpfen sich, mit einer gewissen Verschiedenheit der Fälle, folgende Wirkungen: a) In jedem Falle besteht für den Versicherten ein Anspruch auf Bewilligung der Invalidenrente zu demjenigen Betrage, zu welchem dieselbe die gewährte Unfallrente übersteigt (§ 15 Abs. 2 Satz 2). Während es für das frühere Recht zweifelhaft sein konnte, ob nicht bei dem in § 9 Abs. 2 Satz 2 G. 89 vorgesehenen Zu­ sammentreffen von Unfall- und Invalidenrente die letztere unbe­ dingt in ihrem ganzen Betrage wegzufallen habe/') ist jetzt der Bezug des Überschusses derselben durch den Wortlaut des Gesetzes bewußter Weise42) dem Versicherten gewährleistet. Die auf solche Weise zuzubilligende Teilrente steht ganz unter den gleichen Normen, wie die Invalidenrente überhaupt. b) Ist dem Versicherten für die seine Invalidität begründenden Unfallfolgen bereits eine Unfallrente bewilligt und ist dieselbe ihrem Betrage nach mindestens ebenso hoch, als die Invalidenrente, welche ihm zukommen würde, so steht ihm auf die letztere materiell und formell ein Anspruch überhaupt nicht zu (§ 15 Abs. 2 Satz 2). Wird der Antrag auf Bewilligung trotzdem erhoben, so ist er unter entsprechender Begründung abzulehnen, nicht etwa ist die Rente festzusetzen und gleichzeitig ihr Ruhen auszusprechen.'") Ob der Ansprecher ein Bezugsrecht auf Unfallrente besitzt, bestimmt sich nach Maßgabe des Unfallrechts; auch die Bewilligung durch form­ loses Schreiben kann genügen, sofern dem letzteren rechtlich die Wirkung eines rechtskraftfähigen Bescheides beizumeffen ist.44) Mit der Ablehnung ist dem Versicherten das Bezugsrecht rechtskräftig abgesprochen; es findet daher insbesondere auch der § 47 Abs. 4 4°) So verstehe ich die N. 38 zitierte Entsch. Nr. 872. 41) Diese Ansicht wurde Bd. I S. 364 N. 28 begründet, ebenso z. B. Piloty in Mainzer Ztschr. Bd. 1 S. 55 Anm. 1; dagegen aber AN. 94 S. 33 Nr. 322, AN. 95 S. 111 Nr. 415, S. 112 Nr. 416. Hinsichtlich des Übersteigens der Invalidenrente in zeitlicher Beziehung vgl. in anderem Zusammenhange oben N. 26. 42) Antrag Lehr-Esche Nr. 290, Abg. Lehr Sten.Ber. S. 2180 D. ") AN. 95 S. 111 Nr. 415. ") AN. 03 S. 516 Nr. 1068. „Ebensowenig wird die Bedeutung des er­ mähnten Schreibens als eines Feststellungsbescheids durch den Zusatz „„ohne -azu gesetzlich verpflichtet zu sein"" aufgehoben."

JVG. auf die Zeit, während deren er mangels einer Unfallrente die Invalidenrente hätte beziehen können, keine Anwendung (vgl. oben §54 91. 50). Zur Verwirklichung dieser Rechtssätze hat bei Stellung eines. Antrags auf Invalidenrente bereits die vorbereitende untere Ver­ waltungsbehörde ihr Gutachten darauf zu erstrecken, ob der An­ sprecher eine Unfallrente bezieht, in welcher Höhe und von welcher Berufsgenoffenschaft oder sonstigem Versicherungsträger, und ferner darauf, ob die Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 2 durch einen Betriebsunfall herbeigeführt worden ist.43) Die letztere Frage wird, falls daraufhin die Ablehnung des Rentenantrags er­ folgen soll, auch mit den Laienbeisitzern zu erörtern fein.46) Spricht sich die untere Verwaltungsbehörde unter Verneinung der Frage für Gewährung der Rente aus, so ist vom Anstaltsvorstand, wenn er anderer Meinung ist, eventuell gemäß § 112 Abs. 3 die Ver­ nehmung der Beisitzer nachträglich zu veranlassen.") c) Ist dem Versicherten noch keine Unfallrente bewilligt, s» sollen zwar, falls die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 vor­ liegen, die Mittel der Invalidenversicherung endgiltig gleichfalls nur für den etwaigen Überschuß der Invalidenrente über „die zu gewährende Unfallrente" (§113 Abs. 2) in Anspruch genommen werden: vorläufig soll aber doch dem Versicherten die ganze In­ validenrente, welche regelmäßig rascher zu liquidieren ist als die Unfallrente, weil sie von der Voraussetzung des Kausalzusammen­ hanges mit dem Betriebsunfall absieht, gewährt werden. Hieraus ergeben sich folgende Rechtssätze: aa) Meldet der Versicherte seinen Jnvalidenanspruch an,46) so soll ihm gegenüber die materielle Tatsache, daß die Invalidität, im 4') AN. 02 S. 506 Nr. 993: „welches Maß von Erwerbsunfähigkeit durch die Folgen des Unfalls herbeigeführt ist und inwiefern sie etwa auf anderen Gründen beruht". 48) So die Entsch. Nr. 993, welche ihre Ansicht durch sinngemäße Anwendung der Worte „das Maß der Erwerbsfähigkeit" in § 58 Abs. 1 und 2 mit § 59 Abs. 1 JVG. begründet; zweifelhaft äußern sich Zsenbart-Spielhagen Anm. 1 zu § 59. 47) AN. 02 S. 597 Nr. 1012. 48) Daß auch hier ein Antrag des Versicherten erforderlich ist, heben GebHard-Düttmann Anm. 28 zu § 15 besonders hervor. Vgl. auch die unten N. 61 zitierten Motive.

Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 2 durch einen Unfall verursacht ist, nicht zu einer formellen Ablehnung des Anspruchs auf Invaliden­ rente führen dürfen. Der Antrag ist vielmehr, ganz abgesehen von jener materiellen Frage, ganz wie gewöhnlich zu behandeln und die Invalidenrente in voller Höhe zu bewilligen und zahlbar zu machen, wenn nach dem Ermessen der Feststellungsinstanzen (vgl. oben N. 12) deren regelmäßige Voraussetzungen (Invalidität, Erfüllung der Warte­ zeit usw.) vorliegen") (§ 113 Abs. 1). bb) Im weiteren kommt es auf das Ergebnis des Verfahrens wegen Feststellung der Unfallrente an. Geht dasselbe negativ aus, indem der Bewilligungsanspruch des Versicherten abgewiesen wird, weil z. B. die Unfallinstanzen das Vorliegen eines Betriebsunfalls verneinen, so bleibt die rechtskräftige Bewilligung der Invalidenrente unverändert weiter bestehen (vgl. oben Ziff. 1, b, bb); sie kann später nur nach den gewöhnlichen Regeln des Jnvalidenrechts (§ 47) zum Wegfall gebracht werden. Wird dagegen eine Unfallrente be­ willigt/") so kommt es wiederum auf den Betrag derselben an; da­ gegen ist, wie das RVA. neuerdings (unterm 16. Mai 1900) sehr zutreffend entschieden hat/') der Prozentsatz der Erwerbsbeschränkung, welchen die Unfallinstanzen angenommen und zu welchem sie die Vollrente bewilligt haben, für die Jnvalideninstanzen unpräjudiziell; insbesondere sind die letzteren danach, wenn und soweit z. B. einem vor dem Unfall normal Erwerbsfähigen"") nur 50 Proz. der Voll­ rente bewilligt werden, nicht genötigt, ihre Annahme, daß die In­ validität durch Unfall herbeigeführt sei, aufzugeben. Ist nun der Betrag der Unfallrente mindestens eben so hoch, wie die Invaliden­ rente, so kann"") die Versicherungsanstalt die letztere ganz, im 4e) Nach § 19 Abs. 4 der Rechnungsvorschriften (AN. 00 S. 225) ist, wenn die Erwerbsunfähigkeit durch einen Betriebsunfall verursacht ist, dies in der Zählkarte (vgl. oben § 78 III, 1) unter „Bemerkungen" anzugeben. 50) Die Bewilligung der Unfallrente hat auch hier nach den gewöhnlichen Regeln, daher auch rückwärts für diejenigen Zeiten zu erfolgen, für welche Invalidenrente gezahlt wurde (AN. 94 S. 35 Nr. 323 Abs. 5). 31) AN. 00 S. 672 Nr. 816 (vgl. oben N. 12 und hinter N. 38), ebenso Jsenbart-Spielhagen S. 688 a. E., 689. **) Durch die Aufnahme dieser Voraussetzung in den Text wird der Gegen­ satz der Znvidualprozente des Unfallrechts zu den Normalprozenten des Znvalidenrechts ausgeschaltet; vgl. oben N. 10. M) Die Entziehung der Invalidenrente ist nur ein Recht der Versicherungs»

Rosin, Recht der Arbeiterversicherung. Band IX.

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VI. Buch. Grenzbeziehungen.

übrigen aber zu demjenigen Teile entziehen, zu welchem sie durch die Unfallrente gedeckt wird. Die Entziehung erfolgt nach Maß­ gabe von § 47 Abs. 3 mit dem Ablauf des Monats, in welchem der Entziehungsbescheid zugestellt roirb.51) Die Form der Entziehung folgt allgemeinen Regeln,55) geschieht daher insbesondere durch be­ rufungsfähigen Bescheid?") Mit den gegen diesen zustehenden ge­ wöhnlichen Rechtsmitteln kann der Versicherte geltend machen, daß die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 überhaupt nicht vor­ liegen, die Invalidenrente ihm daher neben der Unfallrente (soweit nicht etwa § 48 Ziff. 1 in Betracht kommt) weiter gezahlt werden müsse. cc) Während nach bewilligter Unfallrente die Versicherungs­ anstalt sich für die Zukunft durch Entziehung der Invalidenrente, soweit zulässig, entlastet, findet sie für die Vergangenheit ihre Ent­ lastung in der Form eines Rückgriffs gegen die Berussgenossenschaft oder den sonst zur Zahlung der Unfallrente verpflichteten Verband. Dieser Regreß kann ihr aber wiederum nach jetzigem Recht5ft nicht unbedingt in der vollen Höhe der gezahlten Invalidenrente, sondern nur insoweit zustehen, als die „Invalidenrente die Unfallrente nicht übersteigt",58) so daß auch für die Vergangenheit der Überschuß der anstatt, dessen Nichtausübung oder verzögerte Ausübung ihrem Ersatzanspruch nicht präjudizieren kann; vgl. Entsch. roürtt. LVA. v. 24. Mai 1902 in Mainzer Ztschr. Bd. 13 S. 116 — Reger Bd. 23 S. 128. Übereinstimmend wohl auch Jsenbart-Spielhagen S. 688 und Gebhard-Düttmann S. 519. 51) AN. 03 S. 516 Nr. 1068 vorletzter Absatz. ö5) Anwendung von tz 121 Abs. 2 ZVG.: Gutachten der Verwaltungsbehörde, eventuell mit Beisitzern gemäß § 59 Abs. 1 mit § 57 Ziff. 2 (vgl. oben N. 46 und § 75 IV, 3): AN. 02 S. 506 Nr. 993 mit ArbV. 02 S. 535. »«) AN. 94 S. 33 Nr. 322, AN. 98 S. 393 Nr. 678, AN. 02 S. 506 Nr. 993. Formloser Bescheid auch hier als berufungsfähig zu behandeln: Nr. 322 (vgl. oben § 70 N. 22 mit 17). ”) Anders für das frühere Recht sprach sich im Zusammenhange mit der oben N. 41 erwähnten Ansicht Bd. I S. 367 aus, wo eine einfache Ersatz­ forderung unbedingt in Höhe der vollen Invalidenrente angenommen wurde. 88) Durch die Absicht, dies zum Ausdruck zu bringen, erklärt sich der im Text zitierte Wortlaut von § 113 Abs. 2, der auf einem Antrag Hitze Nr. 355 Li. 25, Sten.Ber. S. 2548 B beruht. Indessen wäre, nachdem das neue Gesetz die cessio legis als Mittel der Ersatzforderung angenommen hat, jene Hervor­ hebung nicht nötig gewesen, weil durch cessio legis schon an sich ein die Unfallsente übersteigender Betrag nicht auf die Anstalt übertragen werden kann. Im

ersteren über i>ie letztere zu eigenen Lasten der Träger der Inva­ lidenversicherung verbleibt. Damit im Zusammenhange verwendet das Gesetz behufs Durchführung des Regresses wiederum die Rechtssorm der cessio legis und schreibt, im Anschluß an die frühere Praxis des NVA., vor, daß, soweit auf Grund der erfolgten Be­ willigung (litt aa) „die Invalidenrente für einen Zeitraum gezahlt ist, für welchen dem Empfänger ein Anspruch auf Unfallrente zu­ steht, dieser Anspruch insoweit auf die Versicherungsanstalt übergeht, ols die gewährte Invalidenrente die zu gewährende Unfallrente nicht übersteigt". Hiernach geht der Anspruch auf Unfallrente nicht als ganzer, sondern nur in Beschränkung auf diejenigen Zeiträume über, -für welche die vorläufige Invalidenrente gezahlt ist;30) Unfallrenten­ beträge, welche auf frühere oder spätere Zeiträume entfallen, können von der Versicherungsanstalt nicht in Anspruch genommen werden?") Ist die Unfallrente höher, als die gezahlte Invalidenrente, so voll­ zieht sich der Rechtsübergang, was das Gesetz nicht besonders zum Ausdruck bringt, nur in Höhe der letzteren (vgl. oben N. 58). Der Zeitpunkt des Überganges ist die rechtskräftige Bewilligung der Invalidenrente, nicht, wie es nach dem Wortlaut scheinen könnte, der Moment der jedesmaligen Zahlung?') Der Übergang ergreift von da an sowohl die in der Vergangenheit, wie auch die in der Gegenteil wäre es eher nötig gewesen auszusprechen, daß die Legalcession der Unfallrente nur in Höhe der etwa niedrigeren Invalidenrente sich vollziehen soll, wie dies auch in § 76 Abs. 2 Entw. JVG. geschehen war. In diesem Sinne hat Wetzet in Zeitschr. f. badische Verwaltung Bd. 32 S. 109 Recht, wenn er ausführt, daß in § 113 Abs. 2 besser zu lesen wäre: „als die zu gewährende Unfallrente die gewährte Invalidenrente nicht übersteigt", nur daß kein „FassungsÄbersehen", sondern eine unnötige und abwegige Fassungsabsicht vorliegt. 60) Die Zahlungen für die ersten 13 Wochen nach dem Unfall bleiben der Anstalt zur Last.; vgl. oben N. 26, 41. 60) AN. 01 S. 440 Nr. 918 mit Handbuch der Unfallversicherung Anm. 3 a 3U § 8 UVG., sowie neuestens AN. 04 Nr. 1141 S. 485 Abs. 3 und Nr. 1142 S. 487 oben, auch AN. 01 S. 443 Nr. 919, 920. Vgl. auch über die frühere Judikatur zu § 35 Abs. 2 G. 89 oben § 87 N. 6. 61) Vgl. dazu Bd. I S. 547 N. 11. Dementsprechend sagen die Mot. Abs. 1 zu § 76 Entw. JVG.: „Der Absatz 2 spricht deshalb zunächst aus, daß bei einer durch Betriebsunfall verursachten Invalidität, für welche auf Antrag (§ 75) eine Invalidenrente hat bewilligt werden müssen, der Anspruch des Ver­ sicherten gegen die Berufsgenossenschaft in Höhe der Invalidenrente auf die Versicherungsanstalt übergeht."

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VI. Buch. Grenzbeziehungen.

Zukunft liegenden Zeiträume, für welche jene Kongruenz von Jnvalidenrentenzahlung und Unfallrentenanspruch sich ergibt;62) doch wird die Berufsgenossenschaft gemäß §§ 412, 407 BGB. durch gutgläubige Zahlungen an den Versicherten befreit, während sie nach erhaltener Kenntnis vom Rechtsübergange auf ihre Gefahr an ihn Zahlung leistet.62) Im übrigen werden im allgemeinen die­ jenigen Rechtssätze analog Anwendung finden können, welche oben § 86 Ziff. 8 zu § 54 JVG. entwickelt worden finb.6*) Auch greift hier ebenso (vgl. oben § 86 Ziff. 8d) die Aufrechnungsbefugnis der Versicherungsanstalt gemäß § 55 Abs. 2 JVG. Platz, soweit der Versicherte im Widerspruch mit der gesetzlichen (Session Zahlungen aus Unfallrenten erhalten hat; dazu gewähren die Unfallversiche­ rungsgesetze der Anstalt die weitere Möglichkeit, für ihren Bereiche­ rungsanspruch im Wege der (Session, Verpfändung oder zivil­ prozessualischen Pfändung die Unfallrente des Versicherten auch über denjenigen Umfang hinaus in Anspruch zu nehmen, in welchem sie gemäß § 113 JVG. der gesetzlichen (Session unterworfen ist.65) dd) Entstehen aus Anlaß des Ersatzanspruchs (litt, cc) Streitig­ keiten, indem namentlich der Versicherte oder auch die Berufs62) Der Übergang beschränkt sich nicht auf die Zeit bis zur Bewilligung der Unfallrente; vgl. das N. 53 zitierte Erkenntnis. 63) AN. 01 S. 440 Nr. 918 mit dem N. 53 zitierten Erk. des württ. LVA.» auch AN. 04 Nr. 1141 S. 485 Abs. 3. — Hat die Anstalt einem Versicherten, bis zu dessen Tode Invalidenrente gewährt und nimmt sie dann die Berussgenossenschaft in Anspruch, so kann diese die Berechtigung des Anspruchs nicht mehr durch die Erklärung negieren, sie übernehme in Ausübung des ihr nach § 22 GUVG. zustehenden Wahlrechts nachträglich die Pflegekosten, welche für den in einem Krankenhaus untergebrachten Verletzten bis zu seinem Tode dort aufgewendet seien (AN. 03 Nr. 267 S. 1032). M) Vgl. Entsch. Nr. 918 mit AN. 94 S. 292 Nr. 1356 (Unfallsache). - Die von den Berufsgenossenschaften zurückgezahlten Rentenbeträge sind als Ein­ nahme in Kap. V der Handbücher nachzuweisen: Bemerkungen zu den Rechnungs­ vorschriften v. 1. Dez. 1899, AN. 00 S. 249 Ziff. 4. M) So verstehe ich die angeführten Stellen z. B. § 96 Ziff. 3 GUVG.r „zur Deckung von Forderungen der Versicherungsanstalten für Invaliden­ versicherung". Vgl. dazu die Mot. Abs. 2 zu § 68 Entw. GUVG. und Illing in Mainzer Ztschr. Bd. 14 S. 49. Die Berufsgenoffenschaft darf aber Abzüge, von der Unfallrente zwecks Befriedigung der Versicherungsanstalt erst dann ein­ treten lassen, wenn der Bereicherungsanspruch der letzteren durch Anerkenntnis, oder Urteil des ordentlichen Gerichts festgestellt ist (AN. 04 S. 484 Nr. 1141 mit AN. 01 Nr. 920 S. 445 st. E.).

genossenschaft die Rechtsnachfolge der Versicherungsanstalt in die Unfallrente bestreiten, so hat darüber in erster und letzter Instanz das RVA. (§ 113 Abs. 6) oder, falls Anstalt und Berufsgenossen­ schaft demselben Landesversicherungsamt unterstehen, dieses zu ent­ scheiden (§ 111 Abs. 2 JVG.). Über Einleitung und Rechtswirkung des Verfahrens verbreitet sich des Näheren eine neuere Entscheidung des RVA. v. 4. Febr. 1903.°«) Die Entscheidung nach § 113 Abs. 6 erfolgt unter Zuziehung aller drei Beteiligten, und zwar beim RVA. gemäß § 110 Ziff. 3 JVG. und der §§ 29 ff. der Kaiser!. VO. vom 19. Okt. 1900 durch die ordentlichen, event, verstärkten Spruchfenote.67) Der Antrag auf Entscheidung ist schriftlich einzureichen und hat den erhobenen Anspruch zu bezeichnen und zu begründen. Nach Einreichung der Vorverhandlungen und erfolgtem Schriften­ wechsel ergeht die Entscheidung nicht öffentlich und ohne mündliche Verhandlung.««) ee) Da nach alledem die Entlastung der Versicherungsanstalt in erster Linie von der Feststellung einer Unfallrente für den Ver­ sicherten abhängt, so gewährt § 113 Abs. 3 derselben, entsprechend schon der früheren Praxis, ausdrücklich das Recht, auch an Stelle««) des Verletzten die Feststellung der Unfallrente, soweit diese noch nicht erfolgt ist, zu beantragen und das unfallrechtliche Feststellungs­ verfahren durchzuführen. Entsprechend dem Zwecke der Bestimmung greift dieselbe nur Platz in solchen Fällen, wo durch die Feststellung der dem Verletzten zustehenden Entschädigung eine Entlastung für 66) AN. 03 S. 519 Nr. 1070. In dieser Entscheidung wird zugleich aus­ geführt, daß, wenn der Versicherte eine Entscheidung gemäß § 113 Abs. 6 nicht herbeigeführt, vielmehr einen seine Rente festsetzenden und zugleich den Abzug zu Gunsten der Versicherungsanstalt aussprechenden Bescheid hat rechtskräftig werden lassen, er dann noch auf anderem Wege zu seinem Rechte gelangen kann. Er kann sich nämlich auf den Standpunkt stellen, daß die Anstalt mit dem Empfang des für sie gemachten Abzugs von der Unfallrente die 'von ihr ge­ zahlte Invalidenrente zurückgenommen habe und kann daraufhin im Jnvalidenverfahren auf nochmalige Gewährung der Invalidenrente klagen; vgl. dazu oben § 73 N. 98. Daher sind die aus Umfang und Voraussetzungen des Rentenanspruchs

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VI. Buch.

Grenzbeztehungen.

allgemeinen,3) den reichsgesetzlichen Renten gleichwertig sein müssen.14) Daneben können sie dann höhere und erweiterte Leistungen ihren Mitgliedern zugute kommen lassen, insbesondere auch mit der In­ validenversicherung im reichsgesetzlichen Sinne eine Versicherung gegen Berufsinvalidität, eine Witwen- und Waisenversicherung, Krankenversicherung usw. verbinden.^) \ b) Diese gleichwertige Fürsorge muß den Mitgliedern „gesichert" sein. Das bedeutet zweierlei. Zunächst muß den Mitgliedern auf die dem Reichsgesetz entsprechenden Leistungen ein fester Rechts­ anspruch eingeräumt sein. Sodann aber muß auch die dauernde Leistungsfähigkeit der Kasse selbst, auch abgesehen von der hinter ihr stehenden Garantie (vgl. unten), nach Maßgabe ihrer Einrich­ tungen, insbesondere des Verhältnisses von Einnahmen und Aus­ gaben, feststehen.^) 2. Besondere Zulassungsbedingungen sind im § 8 Ziff. 1—5 aufgeführt. bezüglichen Bestimmungen des JVG. in § 173 Abs. 1 nicht als direkt anwendbar auf die Kasseneinrichtungen angeführt; sie sind für sie nur bedingt und mittelbar vermöge des Erfordernisses der Gleichwertigkeit von Bedeutung, über dessen Er­ füllung der Bundesrat ausschließlich entscheidet. Dazu Wey mann Anm. 1 II, wo auch der Versuch einer Zusammenstellung dieser Vorschriften im einzelnen gemacht ist. Vgl. z. B. hinsichtlich der Übergangsbestimmungen (§§ 189 ff.) unten X Ziff. 18. 13) Dazu Mot. Abs. 2 zu § 4 Entw. G. 89 und Komm.Ber. 2. Lesung dritt­ letzter Absatz zu § 4 cit. ") Mit dem Text in Bezug auf die Notwendigkeit der Rentengewährung übereinstimmend Jsenbart-Spielhagen Anm.4 zu § 10. Das gleiche muß natürlich auch für § 8 gelten. 15) Dem Reichsrecht am nächsten kommt die Norddeutsche KnappschaftsPensionskasse, welche den Mitgliedern der sie bildenden Knappschastsvereine schlechthin die in dem JVG. „vorgeschriebene Invalidenversicherung" gewährt und deren Statut daher (mir liegt das neue Statut vom 22. Febr. 1900 vor) in Bezug auf Voraussetzungen und Höhe des Rentenanspruchs im wesentlichen den Bestimmungen des Gesetzes sich anschließt. 16) Das Recht zur Prüfung der Leistungsfähigkeit wird dem Bundesrat in Bezug auf die Kassen des § 8 von Gebhard-Düttmann Anm. 1 bestritten; das Gegenteil ergibt schon der Rückschluß aus § 10. Auch gehen die Mot. Abs. 1 zu § 4 Entw. G. 89 (vgl. auch Abs. 3 Satz 1), auf welche sich GebhardDüttmann berufen, nur davon aus, daß an der dauernden Leistungsfähigkeit dieser Kassen „in der Regel" nicht zu zweifeln ist. Übereinstimmend Bosse v. Woedtke Anm. 1 a. E. zu § 7.

§ 89.

Zugelassene Kaffencinrichtungen.

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a) Die erste bezieht sich auf die Höhe der Beiträge, welche von Len Versicherten als Gegenleistung „für die Invalidenversicherung in Höhe des reichsgesetzlichen Anspruchs" erhoben werden.") Hierfür -gilt zunächst die allgemeinel8) Regel, daß diese Beiträge niemals -höher sein dürfen, als die von den Arbeitgebern für den gleichen .Zweck entrichteten.'2) Im übrigen ist zu unterscheiden, ob in der betreffenden Kaffeneinrichtung die Beiträge nach dem System des IVG. §§ 32, 33, d. h. dem der Anwartschaftsdeckung, erhoben werden oder nicht. Ist das erstere der Fall, so dürfen die Beiträge der Versicherten die (den Arbeiter treffende) Hälfte derjenigen Bei­ träge nicht übersteigen, welche bei der Anstaltsversicherung auf Grund von § 32 JVG. jeweils erhoben werden. Werden die Beiträge ober nach einem abweichenden Deckungsprinzip erhoben, so dürfen die Beiträge der Versicherten, sofern sie nur die der Arbeitgeber nicht übersteigen, auch höher sein, als die gesetzlichen, aber nur, soweit dies eine Folge des angewendeten Deckungsprinzips, nicht etwa anderer Umstände, ist.20) b) Bei der Verwaltung der Kaffe, soweit sie sich auf die reichs­ gesetzlichen Leistungen bezieht, müssen die Versicherten mindestens nach Maßgabe des Verhältnisses ihrer für btefe21) entrichteten Bei­ träge zu den Beiträgen der Arbeitgeber beteiligt werden. Die Be­ teiligung muß durch Vertreter erfolgen, welche in geheimer Wahl ge­ wählt werden.22) Werden Beiträge für die reichsgesetzlichen Leistungen überhaupt nicht erhoben, so braucht nach dem Wortlaut des Gesetzes -auch keine Beteiligung der Versicherten an der Verwaltung statt­ zufinden.22) n) Die Kassen sind nicht genötigt, Beiträge zu erheben. Sie können ihren Bedarf aus Stiftungsmitteln, Überschüssen oder gewissen Einnahmen der zur Kasse gehörigen Betriebe entnehmen (AN. 93 S. 159 Nr. 305). ,0) Jsenbart-Spielhagen Anm. 5 a. E. 10) § 8 Ziff. 1 Schlußsatz. 20) Gebhard-Düttmann Anm. 6 Abs. 3 a. E. 21) Regierungsvertreter Dr. Fürst Sten.Ber. 1899 S. 2524 B. 22) Bei der Norddeutschen Knappschafts-Pensionskasse ist das natürlich nicht «auf die Wahl der Arbeitervertreter in den Vorständen der einzelnen Knappschafts­ vereine anwendbar, wohl aber z. B. auf diejenigen Wahlen von.. Arbeiter­ vertretern, welche in der Generalversammlung der Pensionskasse selbst zum Aufsichtsrat vorgenommen werden (vgl. Dr. Fürst a. a. O. und §§ 39, 44 -es Statuts). 23) Vgl. dazu § 11 Abs. 2: „Werden die Versicherten zu Beiträgen herangezogen."

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VI. Buch. Grenzbeziehungen.

c) Ein dritter Punkt bezieht sich auf die zu gewährleistende Freizügigkeit zwischen Anstalten und Kaffeneinrichtungen. Es muß. nämlich denjenigen Versicherten, welche von einer Anstalt zn einer Kaffeneinrichtung übertreten, bei Berechnung der Wartezeit und der Rente, allerdings nur soweit es sich um das Maß des reichsgesetz­ lichen Anspruchs handelt, die bei dm Anstalten zurückgelegte Bei­ tragszeit ebenso angerechnet werden, wie es bei Feststellung der Rente durch eine Anstalt hätte geschehen müssen.24) Analoges hat für solche Versicherte zu gelten, welche von einer Kaffeneinrichtung. zu einer anderen übertreten.2^) d) „Über den Anspruch der einzelnen Beteiligten auf Gewäh­ rung von Invaliden- und Altersrente" im reichsgesetzlichen Ausmaß „muß ein schiedsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung von Ver­ tretern der Versicherten zugelassen sein." Die Forderung des schieds­ gerichtlichen Verfahrens schließt, um den Versicherten eine richterliche Mitwirkung einzuräumen, den ordentlichen Rechtsweg aus. Das. Verfahren ist aber eben dann im Sinne dieser Bestimmung ein schiedsgerichtliches, wenn die Versicherten bei demselben Mitwirkens mehr verlangt das Gesetz von sich aus nicht, so daß insbesondere auf eine Mitwirkung der Arbeitgeber verzichtet werden darf. e) „Wenn für die Gewährung der reichsgesetzlichen Leistungen besondere Beiträge von den Versicherten erhoben werden oder eine Erhöhung der Beiträge derselben eingetreten ist oder eintritt, so dürfen die reichsgesetzlichen Renten auf die sonstigen Kassenleistungen nur insoweit angerechnet werden, daß der zur Auszahlung gelangende Teil der letzteren für die einzelnen Mitgliederklassen im Durchschnitt mindestens den Reichszuschuß erreicht." Die ganze Bestimmung ist aus den besonderen Verhältniffen des allgemeinen Knappschafts­ vereins in Bochum hervorgewachsen und aus diesen zu erklären.2^) ä)) Zn Betracht kommen also nur rechtswirksame Beitragszeiten. deutet der Zusatz „unbeschadet der Bestimmung des § 46".

Darauf

5S) Gebhard-Düttmann Anm. 9. 2#) Vgl. aus den umfangreichen Verhandlungen z. B. die Darlegungen des Abg. Stötzel Sten.Ber. 1899 S. 2197 v; dazu § 90 Abs. 2 mit § 102 der Statuten v. 1. Jan. 1892. Das System der „Zusatzrenten" wurde in der Satzung v. 14. Mai 1898 eingeführt; vgl. die „Begründung" dazu S. 29, 30: „Es soll im Durchschnitt aller Dienstaltersstusen ein der Höhe des Reichs­ zuschusses entsprechender Betrag von 50 Mark gewährt werden." Dazu auch die

Insbesondere soll durch die Worte „im Durchschnitt" das bei dev genannten Kaffeneinrichtung geltende System der „Zusatzrenten" auf­ rechterhalten werden, welche den Berginvaliden bei Eintritt reichs­ gesetzlicher Erwerbsunfähigkeit gewährt werden, nach der Dienstzeit abgestuft und zwar in den ersten Jahren der Beitragsleistung nied­ riger sind, als der Reichszuschuß, im Durchschnitt denselben aber erheblich übersteigen?') IV. Der Umkreis der Mitgliedschaft bei einer nach § 8 oder § 10 JVG. zugelassenen Kasseneinrichtung bestimmt sich grundsätzlich nach ihren Satzungen. Im Verhältnis zur Anstaltsversicherung gelten folgende Rechtssätze: 1. Versicherungspflichtige Personen, welche in den zur Kasse gehörigen Betrieben beschäftigt sind, ersetzen durch ihre Beteiligung, an der Kasseneinrichtung ihre sonst nötige Versicherung bei einer Anstalt, sie „genügen" in dieser Form ihrer „gesetzlichen Versicherungs­ pflicht" (§ 8 Abs. 1). Personen, welche gemäß §§ 6, 7 JVG. An­ spruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht haben, muß, nach einer allerdings nicht unanfechtbaren Bemerkung der Motive,29> „auch bei den besonderen Kasseneinrichtungen das Ausscheiden aus. der Versicherung", soweit sie den reichsgesetzlichen Anspruch zum. Gegenstand fiat,29) „gestattet werden." 2. Auf die freiwillige Versicherung bei Kasseneinrichtungen be­ zieht sich die besondere Bestimmung in § 14 Abs. 3 JVG. Danach haben zunächst die bei der Kaffe gemäß Ziff. 1 pflichtmäßig versicherten Personen, wenn sie aus dem die Versicherungspflicht begründenden Verhältnisse ausscheiden (vgl. oben § 4 Ziff. 2), kraft Gesetzes das Recht der Weiterversicherung bei der betreffenden Kaffeneinrichtung^ Ebenso ist den in den Kaffenbetrieben beschäftigten Personen, welche Festschrift „zum IO jährigen Bestehen" des Vereins S. 6. Über die Höhe ber Zusatzrenten die Tafel S. 38, 39 der v. 1. Januar 1900 ab gütigen Statuten. ”) Dr. Fürst Sten.Ber. S. 2524 A, 2525 D. Zugleich wurde zwischen ihm und dem Abg. Dr. Hitze S. 2524 D festgestellt, daß durch § 8 Ziff. 5 die einzelnen Knappschaftsvereine, welche die Norddeutsche Pensionskasse bilden, fsir sich nicht gehindert sind, als Zuschußkassen gemäß § 52 die ganze von der Pensionskasse gewährte Reichsrente auf ihre landesgesetzlichen Leistungen in Anrechnung zu bringen. 58) Mot. Abs. I zu § 6 Entw. JVG. ,u) Ebenso G ebh ard-Dütt mann Sinnt. 2.

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VI. Buch.

Grenzbeziehungen.

"bie Voraussetzungen der Selbstversicherung gemäß § 14 Abs. 1 Ziff. 1—3 erfüllen, dieselbe bei der Kasseneinrichtung gewährleistet, und das Gleiche wird von dem Rechte zur Fortsetzung der Selbstversicherung gelten,296) wenn diese Personen aus dem die Berechtigung zur Selbstversicherung begründenden Verhältnisse ausscheiden (§ 14 Abs. 1 Schlußsatz). Solange die freiwillige Versicherung bei einer Kaffeneinrichtung rechtlich möglich ist, ist der Betreffende von der freiwilligen Anstaltsversicherung ausgeschlossen?9") Sobald jedoch durch ein neues Arbeits- oder Dienstverhältnis die Zwangsversiche­ rung bei einer Versicherungsanstalt oder einer anderen Kaffeneinrich­ tung begründet wird, hört das Recht zur Weiterversicherung oder zur Fortsetzung der Selbstversicherung bei der ursprünglichen Kassen.einrichtung auf. V. Während § 8 Ziff. 3 (vgl. oben III, 2 c) die Freizügigkeit zwischen Anstalten und Kaffeneinrichtungen auf seiten der letzteren .gewährleistet, geschieht dies auf seiten der Versicherungsanstalten durch §§ 9 und 39 JVG?9) Durch diese Bestimmungen ist dafür gesorgt, daß den von der Kasse zur Anstalt übertretenden Versicherten die bei der ersteren zugebrachte Versicherungszeit ebenso zur Anrechnung .gelangt, als wenn sie Beitragszeit gegenüber den Versicherungs­ anstalten gewesen wäre. Da aber Formen und Grundlagen der Beitragserhebung bei den Kasseneinrichtungen nicht dieselben zu sein brauchen, wie bei den Anstalten, so verpflichtet § 9 Abs. 2 JVG. zunächst den Vorstand einer Kasse, welche das Markensystem nicht anwendet?') den aus der Kassenversicherung ausscheidenden Personen eine Bescheinigung zu erteilen, über deren Form und Inhalt der Bundesrat Vorschriften erlaffen darf?') Dieselbe muß die Dauer ihrer Beteiligung bei der Kaffeneinrichtung und für diesen Zeitraum die Höhe des bezogenen Lohnes, die Zugehörigkeit zu einer Kranken29a) Mot. Schlußabsatz zu § 8 Entw. JVG. r«d) Die Vorschrift hat keine rückwirkende Kraft, so daß Personen, die vor dem 1. Jan. 1900 aus einer Kasseneinrichtung ausgeschieden sind, nur bei der Anstalt die freiwillige Versicherung eingehen oder fortsetzen können (AN. 01 S. 638 Nr. 942). 30) Über die Behandlung der Quittungskarten beim Übergang der Versicherten von Anstalt zu Kasseneinrichtung und umgekehrt vgl. z. B. Ziff. XXXVI der Preuß. Anweisung und Gebhard-Düttmann Anm.61 dazu. 31) Bisher hat keine Kasse das Markensystem angenommen. 31) Das ist bisher noch nicht geschehen.

fasse33) sowie die Dauer etwaiger Krankheiten (§ 30 JVG.) ergeben. Was besonders die Lohnklaffe anbetrifft, welche bei Anstaltsver­ sicherten, die früher einer Kasseneinrichtung angehörten,33») zum Zweck der Bemessung und Verteilung3*) der Rente für die Zeit der Kassen­ versicherung zu Grunde gelegt werden soll, so ergeben sich keine Schwierigkeiten, soweit die Kaffeneinrichtung, wie dies zur Zeit von allen geschieht, selbst das Lohnklassensystem des § 34 JVG. für ihre reichsgesetzlichen Leistungen verwendet. Hier bedarf es nur eiltet Ausweises, in welcher Lohnklaffe der Versicherte in seiner Kaffenzeit Beiträge an die Kasse entrichtet hat.33) Wendet aber die letztere das Lohnklaffensystem nicht an,36) so greifen zur Bestimmung der Lohnklasse die Regeln des § 39 Platz, für deren Durchführung die Bescheinigungen des § 9 Abs. 2 die Unterlage gewähren. Danach wird folgendermaßen verfahren: Gehörte das frühere Kassenmitglied während seiner Kaffenzeit zugleich einer Knappschaftskasse oder auch einer Orts-, Betriebs-, Bau- oder Jnnungskrankenkaffe an, so be­ stimmt sich die für ihn in Rechnung zu bringende Lohnklaffe nach den allgemeinen Grundsätzen des § 34 Ziff. 4 bezw. 1 mit § 34 Abs. 3 JVG. Lag dieser Fall aber nicht vor, so wird er, ohne daß § 34 Ziff. 5 in Betracht käme,3') nach der Höhe des von ihm wirk­ lich bezogenen Lohnes in die Lohnklassen einrangiert. VI. Eine besondere Bestimmung enthält § 173 Abs. 2 JVG. über die Verbände, welche als Garanten der zugelassenen Kaffeneinrichtungen in den Fällen der §§ 68, 127, 101 JVG. einzutreten haben. Danach ist Garant das Reich bezw. der Kommunalverband, wenn die Kasse für Betriebe des Reiches oder eines Kommunalver­ bandes errichtet ist, im übrigen aber, also auch wenn der Kaffenbetrieb kein staatlicher ist, der Einzelstaat, in welchem der letztere seinen Sitz hat. Umfaßt die Kasseneinrichtung mehrere Betriebe, n) Im Hinblick aus § 34 Ziff. 1, 4; vgl. § 39 ZVG. 33a) über die Versicherung von Kassenrentnern und früheren Kassenrentnerm (§ 6 Abs. 1# § 46 Ziff. 2) vgl. oben S. 161, 583.

34) Von dieser spricht das Gesetz nicht ausdrücklich. 35) In Gemäßheit dessen gestalten auch die Kassen die nach § 9 zu erteilender* Bescheinigungen tatsächlich um; vgl. Gebhard-Düttmann Anm. 4 zu § 9 und Anm. 2 zu § 39. 3Ö) Isenbart-Spielhagen Anm. 1 und Gebhard-Düttmann