Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und sein Einfluss auf das russische Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht [1 ed.] 9783428535910, 9783428135912

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren stellt ein Kernelement der Rechtsstaatlichkeit dar und ist in Art. 6 Abs. 1 E

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Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und sein Einfluss auf das russische Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht [1 ed.]
 9783428535910, 9783428135912

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 184

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und sein Einfluss auf das russische Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht Von

Alexej Laptew

Duncker & Humblot · Berlin

ALEXEJ LAPTEW

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und sein Einfluss auf das russische Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von K e r s t i n O d e n d a h l und N e l e M a t z - L ü c k Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

184

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics

Eibe H. Riedel Universität Mannheim

James Crawford University of Cambridge

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Bruno Simma International Court of Justice, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und sein Einfluss auf das russische Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht

Von

Alexej Laptew

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-13591-2 (Print) ISBN 978-3-428-53591-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83591-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Ich behaupte, ohne zu zögern, dass Art. 6 EMRK die Grundlage der demokratischen Gesellschaft bildet“. Rolv Ryssdal, Präsident des EGMR (1985 – 1998), 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1993, Nr. 4, S. 29.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von Dezember 2011. Vereinzelt konnten spätere Rechtsprechung und Literatur für die Veröffentlichung berücksichtigt werden. Die Arbeit ist mit Hilfe der Promotionsförderung der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden. Hiermit möchte ich mich für diese Unterstützung herzlich bedanken. Mein besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Haimo Schack, der durch kritische Diskussion und zahlreiche Anregungen zur Fortentwicklung dieser Arbeit wesentlich beigetragen und mir bei ihrer Erstellung völlige Freiheit gewährt hat. Ebenso herzlich möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Andreas Zimmermann bedanken, der die Mühe der Zweitbegutachtung auf sich genommen hat. Außerdem bin ich meinen guten Freunden, Dr. Johannes Steinbach (Richter am LG Stuttgart) und Fiete Kalscheuer (Doktorand an der Universität Kiel), zu herzlichem Dank verpflichtet. Und zwar nicht nur für das Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit, sondern auch für die Freundschaft, die ich über Jahre genießen durfte. Für alle möglichen Fehler bleibt selbstverständlich der Autor verantwortlich. Seit September 2010 ist der Verfasser als Rechtsreferent am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg beschäftigt. Deswegen ist er verpflichtet anzumerken, dass die in dieser Arbeit vertretenen Ansichten die persönliche Meinung des Autors sind und nicht notwendigerweise die Position des Europarates bzw. des EGMR wiedergeben. Die Arbeit widme ich meinem kleinen Sohn Mark und meiner lieben Frau Natalia, die während der Doktorarbeit viel zu ertragen hatten. Schließlich danke ich allen anderen, die mich bei dieser Promotion begleitet haben. Straßburg, im Frühjahr 2012

Alexej Laptew

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kapitel 1 Geschichtlicher Überblick

25

§ 1 Art. 6 Abs. 1 EMRK als Ausdruck der Positivierung der Menschenrechte im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 2 Beitritt Russlands zur EMRK, ihre Bekanntmachung und Inkrafttreten . . . . . . . . . . 29 I. Beitritt Russlands zur EMRK aus völkerrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Offizielle Bekanntmachung und Inkrafttreten der EMRK im Inland . . . . . . . . . 32 § 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 (historischer Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Vor dem Konventionsbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Einfluss der EMRK auf die Verfassung der Russischen Föderation 1993 . . . 36 2. Einfluss der EMRK auf die GUS-Menschenrechtskonvention 1995 . . . . . . . 37 II. Nach der Unterzeichnung der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Harmonisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Einführung des Amtes eines Vertreters der Russischen Föderation beim EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Nach der Ratifikation der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Harmonisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Organisatorische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 IV. Umsetzung der Urteile des EGMR, Zusammenarbeit mit dem Europarat . . . . . 44

10

Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Russische Justiz im Lichte der EMRK

46

§ 1 Gerichtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Gerichte der Föderationssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Verfassungsgerichte (Statutengerichte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit (Friedensrichter) . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Föderale Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) 1. Stufe: Rayon-Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) 2. Stufe: Gerichte der Föderationssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Unterzweig: Militärgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) 1. Stufe: Militärgerichte der Stützpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) 2. Stufe: Militärgerichte der Bezirke (Flotten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 d) 3. Stufe: Oberstes Gericht der Russischen Föderation (OG RF) . . . . . . . . 56 aa) Kollegien des OG RF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Präsidium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 cc) Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 e) Geplante Reform der Rechtszüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Wirtschaftsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) 1. Stufe: Wirtschaftsgerichte der Föderationssubjekte . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) 2. Stufe: Appellationswirtschaftsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) 3. Stufe: Wirtschaftsgerichte der Bezirke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 d) 4. Stufe: Oberstes Wirtschaftsgericht der Russischen Föderation (OWG RF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Kollegien des OWG RF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 bb) Präsidium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 cc) Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Disziplinäre Gerichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4. Verfassungsgericht der Russischen Föderation (VerfG RF) . . . . . . . . . . . . . . 62 5. Ausblick: Wiederaufnahme des Verfahrens im russischen Gerichtssystem . . 63 § 2 Zwangsvollstreckungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 § 3 Erschöpfung russischer innerstaatlicher Rechtsbehelfe nach Art. 35 Abs. 1 EMRK

64

Inhaltsverzeichnis

11

Kapitel 3 EMRKin der russischen Rechtsordnung

69

§ 1 Rang der EMRK in der russischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Unmittelbare Anwendbarkeit der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Rang der EMRK in der Hierarchie der Normen des Prozessrechts . . . . . . . . . . 70 1. Quellen des Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. EMRK und andere völkerrechtliche Abkommen Russlands . . . . . . . . . . . . . . 74 3. EMRK und das autonome Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) EMRK und das russische Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 aa) EMRK und die russische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 bb) EMRK und das sonstige Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) EMRK und einfache Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 § 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Verbindlichkeit der Leitentscheidungen des EGMR für das Völkerrechtssubjekt Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Verbindlichkeit für einen jeden Konventionsstaat (erga omnes)? . . . . . . . . . 88 2. Sichtweise der Russischen Föderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Verbindlichkeit der Leitentscheidungen für russische Rechtsanwender . . . . . . . 102 1. Stand der Diskussion und Rechtsprechung in Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Amtliche Bekanntmachung als Anwendungsvoraussetzung? . . . . . . . . . . . . . 111 § 3 Anwendung der EMRK und Leitentscheidungen des EGMR durch russische Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Kapitel 4 Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, Prüfungsdichte des EGMR und Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

122

§ 1 Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Ratione loci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Ratione temporis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Ratione personae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 2 Prüfungsdichte des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

12

Inhaltsverzeichnis

§ 3 Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Kapitel 5 Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

137

§ 1 Anforderungen an das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Anforderungen der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Begriff des „Gerichts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. „Auf Gesetz beruhend“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Unabhängigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Richterernennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Amtsdauer, Unabsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Schutzgarantien gegen äußere Beeinflussungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 d) Erscheinungsbild des Gerichts als unabhängig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Gesetzliche Grundlage des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Richterliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Richterliche Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 § 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Nach der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Recht der Partei, ihren Fall angemessen vorzutragen . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Recht der Partei auf angemessene Würdigung ihrer Ausführungen durch Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Recht der Partei auf eine begründete Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Recht auf Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Vernichtung des rechtshängigen Anspruchs durch gesetzgeberische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Anspruch auf rechtliches Gehör nach russischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Inhaltsverzeichnis

13

3. Recht auf eine begründete Entscheidung nach russischem Recht . . . . . . . . . 183 4. Recht auf Waffengleichheit nach russischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5. Zulässigkeit rückwirkender Gesetze nach russischem Recht . . . . . . . . . . . . . 191 § 3 Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Nach der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Recht auf öffentliche und mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Öffentliche Urteilsverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Öffentlichkeit der Zivilverfahren nach russischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Öffentlichkeit der Urteilsverkündung nach russischem Zivilprozessrecht . . . 200 § 4 Recht auf Entscheidung in angemessener Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Spruchpraxis des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Dauer der Zivilverfahren in Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Kapitel 6 Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

209

§ 1 Recht auf Zugang zu Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Begründung des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Inhalt und Umfang des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Ausschluss des Rechtsweges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 5. Immunitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Staatenimmunität und Immunitäten internationaler Organisationen . . . . . 215 b) Parlamentarische Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Richterliche Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 d) Andere Immunitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

14

Inhaltsverzeichnis 6. Gerichtskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Gerichtsgebühren, Sicherheitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 7. Fristvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Verjährungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Rechtsmittelfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 8. Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Zugang zu Gericht nach russischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

§ 2 Recht auf Beachtung der Rechtskraft und Wiederaufnahme des Verfahrens . . . . . . 237 I. Judikatur des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Begründung des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Inhalt und Umfang des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Institut des Aufsichtsverfahrens (nadzor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neu bekannt gewordener Tatsachen. 250 4. Verfahrenswiederaufnahme wegen Verfassungswidrigkeit des angewandten Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 § 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 I. Spruchpraxis des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Begründung des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Inhalt und Umfang des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Urteilsvollstreckung nach russischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Kapitel 7 Folgen von Konventionsverletzungen

266

§ 1 Individuelle Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 I. Beendigung fortdauernder Konventionsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

Inhaltsverzeichnis

15

1. Völkerrechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Russische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Naturalrestitution (restitutio in integrum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Völkerrechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Innerstaatliche Umsetzung in Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 III. Gerechte Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Völkerrechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Vollstreckung der Leistungsurteile des EGMR durch und in Russland . . . . . 284 IV. Unterlassung zukünftiger Konventionsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 § 2 Allgemeine Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 I. Geschuldete allgemeine Maßnahmen nach Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Umsetzung der allgemeinen Maßnahmen durch Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Anhang I:

Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten . . . 304

Anhang II: Verfassung der Russischen Föderation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland mit zivilprozessualen Aussagen und festgestellten Verletzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK (1998 – 2012) . . . . 308 Anhang IV: Resolutionen des Ministerkomitees des Europarats zum Vollzug der EGMR-Urteile (1998 – 2012) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Abkürzungsverzeichnis Abgekürzt zitierte Vorschriften AEMR

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948 (UN Generalversammlung, Res. 217). AllgGerGVG RF Gerichtsverfassungsgesetz für die allgemeine Gerichtsbarkeit = Bundesverfassungsgesetz RF „Über Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit“ vom 07. 02. 2011 (Nr. 1-E;8), SZ RF 2011, Nr. 7, Pos. 898. AMRK Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969, ILM 1970, S. 673 ff.; dt. Übersetzung in: EuGRZ 1980, S. 435 ff. EMRK Europäische Menschenrechtskonvention vom 04. 11. 1950 (eigentlich: Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten), BGBl. 1952 II 685; Neufassung: BGBl. 2002 II 1054, BGBl. 2010 II 1202. GVG RF Gerichtsverfassungsgesetz RF = Bundesverfassungsgesetz RF „Über das Gerichtssystem“ vom 31. 12. 1996 (Nr. 1-E;8), SZ RF 1997, Nr. 1, Pos. 1; dt. Übersetzung in: JOR 2002, Hbd. 1, S. 361 ff. GVG RSFSR Gerichtsverfassungsgesetz RSFSR = Gesetz RSFSR „Über den Gerichtsaufbau“ vom 08. 07. 1981 (o.N.), VVS RSFSR 1981, Nr. 28, Pos. 976. IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966, BGBl. 1973 II 1553. KompensationsG Bundesgesetz RF „Über die Kompensation für die Verletzung des Rechts auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder des Rechts auf Vollstreckung eines gerichtlichen Aktes innerhalb angemessener Frist“ vom 30. 04. 2010 (Nr. 68-E8), SZ RF 2010, Nr. 18, Pos. 2144. MilitärGVG Gerichtsverfassungsgesetz für Militärgerichte = Bundesverfassungsgesetz RF „Über Militärgerichte“ vom 23. 06. 1999 (Nr. 1-E;8), SZ RF 1999, Nr. 26, Pos. 3170. RechtsanwaltsG Bundesgesetz RF „Über die anwaltliche Tätigkeit und die Anwaltschaft“ vom 31. 05. 2002 (Nr. 63-E8), SZ RF 2002, Nr. 23, Pos. 2102; dt. Übersetzung in: Karaß/Wedde (Hrsg.), Das Berufsrecht der Anwälte in der Russischen Föderation, Berlin 2005, S. 37 ff. RichterG Gesetz RF „Über den Status der Richter“ vom 26. 06. 1992 (Nr. 3132 – 1), VSND RF i VS RF 1992, Nr. 30, Pos. 1792. VerfGG RF Verfassungsgerichtsgesetz = Bundesverfassungsgesetz RF „Über das Verfassungsgericht der RF“ vom 21. 07. 1994 (Nr. 1-E;8), SZ RF 1994, Nr. 13, Pos. 1447; dt. Übersetzung in: EuGRZ 1996, S. 219 ff. VerfO-EGMR Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 04. 11. 1998 (in Kraft seit 01. 11. 1998), BGBl. 2006 II 693 (i. d. F. vom 07. 11. 2005); In der jeweils aktuellen Fassung kann die Verfahrensordnung auf den Internetseiten des EGMR in englischer und französischer Sprache abgerufen werden.

Abkürzungsverzeichnis Verf. RF

17

Verfassung der Russischen Föderation, angenommen durch Referendum vom 12. 12. 1993, Rossijskaja Gazeta vom 25. 12. 1993 (Nr. 237); dt. Übersetzung in: EuGRZ 1994, S. 519 ff. = Osteuropa-Recht 1994, S. 296 ff. Verf. RF 1993 in der geltenden Fassung: SZ RF 2009, Nr. 4, Pos. 445. WirtPO RF Wirtschaftsprozessordnung RF vom 24. 07. 2002 (Gesetz-Nr. 95-E8), SZ RF 2002, Nr. 30, Pos. 3012; dt. Übersetzung in: Piksin/Dethloff (Hrsg.), Die Wirtschaftsprozessordnung der Russischen Föderation, Berlin 2005, S. 73 ff. WirtPO RF 1995 Wirtschaftsprozessordnung RF vom 05. 05. 1995 (Gesetz-Nr. 70-E8), SZ RF 1995, Nr. 19, Pos. 1709; dt. Übersetzung in: Wölk, Wirtschaftsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation, Berlin 1997, S. 161 ff. WirtschaftsGVG Gerichtsverfassungsgesetz für Wirtschaftsgerichte = Bundesverfassungsgesetz RF „Über die Wirtschaftsgerichte“ vom 28. 04. 1995 (Nr. 1-E;8), SZ RF 1995, Nr. 18, Pos. 1589; dt. Übersetzung in: Wölk, Wirtschaftsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation, Berlin 1997, S. 111 ff. WVK Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. 05. 1969 (eigentlich: Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge), BGBl. 1985 II 927. ZPO RF Zivilprozessordnung der Russischen Föderation vom 14. 11. 2002 (GesetzNr. 138-E8), SZ RF 2002, Nr. 46, Pos. 4532. ZPO RSFSR Zivilprozessordnung der RSFSR vom 11. 06. 1964 (o.N.), VVS RSFSR 1964, Nr. 24, Pos. 407; dt. Übersetzung in: Roggemann, Die Zivilprozessordnung der RSFSR, Berlin 1965, S. 74 ff. ZVG RF 1997 Zwangstvollstreckungsgesetz RF von 1997 = Bundesgesetz RF „Über Vollstreckungsverfahren“ vom 21. 07. 1997 (Nr. 229-E8), SZ RF 1997, Nr. 30, Pos. 3591. ZVG RF 2007 Zwangstvollstreckungsgesetz RF von 2007 = Bundesgesetz RF „Über Vollstreckungsverfahren“ vom 02. 10. 2007 (Nr. 229-E8), SZ RF 2007, Nr. 41, Pos. 4849.

Sonstige Abkürzungen Abs. a.D. a.F. Art. Artt. Aufl. Bd. Beschl. BGH BGHZ BRD bspw. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG

Absatz außer Dienst alte Fassung Artikel (Singular) Artikel (Plural) Auflage Band Beschluss Bundesgerichtshof (BRD) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrepublik Deutschland beispielsweise Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht (BRD) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht (BRD)

18 bzw. c. ca. CD CEPEJ CoE dec. ders. dies. Doc. DR dt. EC ECHR ECtHR EGMR EHRLR Einl. EJIL EKMR engl. Ent. EU EuGRZ Europ. f. ff. Fn. fr. FS GC gem. GG GK GS GUS Hbd. Hk HRLJ HRLR Hrsg. HUDOC i. d. F. ILM IPG

Abkürzungsverzeichnis beziehungsweise contre (fr.) circa Collection of Decisions of the European Commission of Human Rights (1960 – 1974) Commission europeenne pour l’efficacite de la justice (Europäische Kommission für die Wirksamkeit der Justiz) Council of Europe decision (of the European Court of Human Rights) derselbe dieselbe Document Decisions and Reports (European Commission of Human Rights) (1975 – 1998) deutsch European Community European Convention on Human Rights European Court of Human Rights Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Human Rights Law Review Einleitung European Journal of International Law Europäische Kommission für Menschenrechte englisch Entscheidung Europäische Union Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäische folgend fortfolgend Fußnote französisch Festschrift Grand Chamber (of the European Court of Human Rights) gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Große Kammer (des EGMR) Gedächtnisschrift Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Halbband Handkommentar Human Rights Law Journal Human Rights Law Review Herausgeber Human Rights Documentation (Online-Datenbank des EGMR) in der Fassung International Legal Materials Internationale Politik und Gesellschaft (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis i.S.d. i.S.v. i.V.m. Izvestija CIK SSSR i VCIK

JBl. JOR JZ Kap. K_mm. lit. m. E. Mio. MK Mrd. m.w.Ä. m.w.N. NATO n.F. NGO NJW no. Nr. NVwZ OG RF o.N. OWG RF Parl. Versammlung PKH Pos. RabelsZ RIS RIW RF Rn. RSFSR russ. S. s. sog. StIGH St.Rspr. SU RSFSR

19

im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit Izvestiâ Central’nogo Ispolnitel’nogo Komiteta SSSR i Vserossijskogo Central’nogo Ispolnitel’nogo Komiteta (Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Komitees der UdSSR und des Allrussischen Zentral-ExekutivKomitees) Juristische Blätter Jahrbuch für Ostrecht Juristenzeitung Kapitel Kommentierung litera (Buchstabe) meines Erachtens Million, Millionen Ministerkomitee (des Europarates) Milliarde, Milliarden mit weiteren Änderungen mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organization neue Fassung Nongovernmental Organization Neue Juristische Wochenschrift number Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberstes Gericht der Russischen Föderation ohne Nummer Oberstes Wirtschaftsgericht der Russischen Föderation Parlamentarische Versammlung (des Europarates) Prozesskostenhilfe Position Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsinformationssystem Recht der Internationalen Wirtschaft Russische Föderation Randnummer Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik russisch Seite siehe so genannte Ständiger Internationaler Gerichtshof Ständige Rechtsprechung Sobranie uzakonenij i rasporâzˇenij rabocˇego i krest’ânskogo Pravitel’stva RSFSR (Gesetzgebungssammlung der Arbeiter- und Bauernregierung der RSFSR)

20 SZ RF

Abkürzungsverzeichnis

Sobranie zakonodatel’stva Rossijskoj Federacii (Gesetzgebungssammlung der Russischen Föderation) SZ SSSR Sobranie zakonodatel’stva SSSR (Gesetzgebungssammlung der UdSSR) TACIS Technical Assistance for the Commonwealth of Independent States u. a. unter anderem UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UniDem Universities for Democracy UNO United Nations Organization Urt. Urteil usw. und so weiter v. versus VerfG RF Verfassungsgericht der Russischen Föderation Vestnik CIK, SNK Vestnik Central’nogo Ispolnitel’nogo Komiteta, Soveta Narodnyh Koi STO SSSR missarov i Soveta Truda i Oborony SSSR (Anzeiger des Zentral-Exekutiv-Komitees, Rates der Volkskommissare und Rates für Arbeit und Verteidigung der UdSSR) VfGH Verfassungsgerichtshof (Österreich) vgl. vergleiche Vol. Volume VSND i VS RSFSR Vedomosti S’’ezda Narodnyh deputatov i Verhovnogo Soveta RSFSR (Mitteilungen des Parteitags der Volksabgeordneten und des Obersten Sowjets der RSFSR) VSND i VS SSSR Vedomosti S’’ezda Narodnyh deputatov i Verhovnogo Soveta SSSR (Mitteilungen des Parteitags der Volksabgeordneten und des Obersten Sowjets der UdSSR) VVS RSFSR Vedomosti Verhovnogo Soveta RSFSR (Mitteilungen des Obersten Sowjets der RSFSR) VVS SSSR Vedomosti Verhovnogo Soveta SSSR (Mitteilungen des Obersten Sowjets der UdSSR) WGO-MfOR Die wichtigsten Gesetzgebungsakte in den Ländern Ost- und Südosteuropas – Monatshefte für Osteuropäisches Recht WiRO Wirtschaft und Recht in Osteuropa Z. Ziffer ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZAR Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik z. B. zum Beispiel ZfRV Zeitschrift für Rechtsvergleichung (seit 1991: Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht) zit. zitiert ZP Zusatzprotokoll (zur EMRK)

Einführung Die „sleeping beauty“1 ist erwacht! Die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK), die als ein mehrseitiger Völkerrechtsvertrag zu Gunsten Dritter lange Zeit ein Schattendasein führte, gewinnt immer mehr an Gewicht. Dies hat die EMRK neben der breiten Akzeptanz ihrer Ideen vor allem der Rechtsprechung ihrer Kontrollinstanz, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), zu verdanken. 47 Staaten (etwa 14 aller Staaten der Welt) haben die EMRK für bindend erklärt und zugleich die Gerichtsbarkeit des EGMR anerkannt. Der Rechtsweg zum EGMR steht zurzeit etwa 800 Mio. Menschen offen und Tausende haben bei dem EGMR bereits ihre Rechte schützen können,2 was bedeutet, dass der innerstaatliche Rechtsschutz versagt hatte.3 In seiner Rechtsprechung hat der EGMR zu vielen Fragen des gesellschaftlichen Lebens Stellung genommen und viele Reformen in den Vertragsstaaten veranlasst oder beschleunigt.4 Einen besonders wichtigen Beitrag leistet der EGMR zum Menschenrechtsschutz in den osteuropäischen Staaten, in denen Instrumente zur Durchsetzung subjektiver Rechte erst mühsam aufgebaut werden. Angesichts der herausragenden Rolle, die der Russischen Föderation5 für die Stabilität der Welt und Europas zukommt, ist die Umsetzung der EMRK in diesem Staat von besonderem Interesse. Die wachsende Bedeutung der EMRK hat auch die Wissenschaft erreicht. In den letzten Jahren sind im deutschsprachigen Raum zwei Lehrbücher,6 drei Kommen-

1 Vgl. Frowein, in: Frowein/Ulsamer (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention und nationaler Rechtsschutz, S. 9. 2 Im September 2008 hat der EGMR das 10.000ste Urteil erlassen, vgl. Europarat, Pressemitteilung 638(2008) vom 18. 09. 2008, (Stand aller in der vorliegenden Arbeit zitierten Internet-Quellen: 01. 12. 2011). 3 Die andere Seite der Medaille ist die ständige Überlastung des Gerichtshofes, was den EGMR in gewissem Maße zum „Opfer seines eigenen Erfolges“ gemacht hat. 4 Folglich gehören Aussagen wie: „Die Wirkungen der EMRK in den Mitgliedsstaaten sind so überwiegend rhetorisch“: Gusy, ZfRV 1989, 23; „Eigenständige Bedeutung erlangt [die EMRK] nahezu niemals“: Lippold, NJW 1991, 2383 Fn. 5 m.w.N., der Vergangenheit an. 5 In der Literatur wird zum Teil von der Russländischen Föderation gesprochen, um zu betonen, dass Russland ein Mehrvölkerstaat ist, vgl. etwa Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung: Eine vergleichende Analyse zur Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassungen der Russländischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland (2005). 6 Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention (2003); Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. (2009).

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Einführung

tare7 zur EMRK sowie zahlreiche Dissertationen erschienen, die verschiedene Fragen der EMRK untersuchen. Für das vorliegende Thema relevant sind folgende Arbeiten: S. Matthei, Der Einfluss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auf die ZPO (2000); K. Haase, Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene (2006). Was die Russische Föderation anbetrifft, sind folgende Werke zu nennen: A. Burkov, The Impact of the European Convention on Human Rights on Russian Law: Legislation and Application in 1996 – 2006 (2007); O. Schirinsky, Die Umsetzung der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK in der russischen Rechtsordnung, (Online-Dissertation, HeinrichHeine-Universität Düsseldorf 2006)8 ; M. Pietrowicz, Die Umsetzung der zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangenen Urteile des EGMR in der Russischen Föderation (2010). Die erste Arbeit beschäftigt sich allerdings mit allgemeinen Fragen der Einwirkungen der EMRK auf die russische Rechtsordnung, und die zwei letzteren legen den Schwerpunkt auf das Strafprozessrecht (neben dem Zivilprozessrecht).9 Eine ausführliche Untersuchung hinsichtlich der Einwirkungen der EMRK auf das russische Zivilverfahrensrecht fehlt bislang. Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren gehört zu den Kernelementen der Rechtsstaatlichkeit und ist eine Grundlage für die Umsetzung aller anderen Menschenrechte. Das Recht ist seinem Wesen nach Form.10 Das Ausmaß, in dem die Wahrung der Form garantiert wird, indem das Verfahren geordnet ist und auch eingehalten wird, ist ein Maß für die Rechtsstaatlichkeit. Dies bestätigt die Rechtsprechung des EGMR. Ihre Analyse zeigt, dass die Garantien eines fairen Gerichtsverfahrens am häufigsten gerügt11 und als verletzt festgestellt werden. Die Russische Föderation ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Von 1.212 Urteilen des EGMR, die gegen Russland von 1998 (Beitritt zur EMRK) bis Ende 2011 ergangen sind, haben 1.140 Urteile eine oder mehrere Verletzungen der EMRK festgestellt.12 762 Urteile, in denen Konventionsverletzungen festgestellt worden sind, betrafen 7 Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG: Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz (2006); Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention: Kommentar, 3. Aufl. (2009), Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention: Handkommentar, 3. Aufl. (2011). 8 Veröffentlicht unter . 9 Mit dem Strafprozessrecht beschäftigt sich auch Hussner, M., Die Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 EMRK in der neuen Strafprozessordnung Russlands (2008). 10 Matscher, Die Bedeutung von Verfahrensregelungen für die zwischenstaatlichen Beziehungen, S. 22. 11 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 1. 12 Annual Report 2011 of the European Court of Human Rights, Council of Europe (fortan: Annual Report 2011), S. 161, . Damit gehört Russland zu den Staaten, die in Straßburg die Liste der Verurteilungen anführen. Seit 2002 hat Russland auch den ersten Platz in Bezug auf Anzahl der Beschwerden. Ende 2011 waren beim EGMR 40.250 Beschwerden gegen Russland anhängig (oder 26,6 % der Gesamtzahl), Annual Report 2011, S. 153. Das Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen.

Einführung

23

Art. 6 EMRK.13 Verletzungen prozessualer Garantien in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK sind in den meisten Fällen festgestellt worden: 314 Urteile betreffen mindestens eine Verletzung des Rechts auf effektive Vollstreckung innerstaatlicher Gerichtsentscheidungen (ganz überwiegend gegen den Staat bzw. Staatsunternehmen); 138 Urteile einen Verstoß gegen das Recht auf Beachtung der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen (res iudicata); 83 Urteile die überlange Verfahrensdauer, 37 Urteile einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (im engeren Sinne); 17 Urteile zumindest eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht, drei Urteile einen Verstoß gegen das Recht auf gesetzlichen Richter und drei Urteile eine Verletzung des Rechts auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. In zwei Urteilen wurde ein Verstoß gegen das Recht auf öffentliche Gerichtsverhandlung/Urteilsverkündung festgestellt.14 Im Folgenden wird untersucht, welchen Einfluss Art. 6 Abs. 1 EMRK auf die russische Rechtsordnung im Bereich des Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrechts hat und haben muss. Zunächst werden im historischen Überblick die Positivierung des Rechts auf faires Verfahren im Völkerrecht dargestellt sowie der Beitritt der Russischen Föderation zur EMRK und ihr Einfluss auf die russische Rechtsordnung vor und nach dem Beitritt skizziert (Kap. 1). Im zweiten Kapitel wird das Gerichtssystem der Russischen Föderation im Gefüge der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsmittel untersucht. Dem Status der EMRK und der Leitentscheidungen des EGMR in der russischen Rechtsordnung ist das dritte Kapitel gewidmet. Das vierte Kapitel behandelt den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, die Wirksamkeit des Verzichts auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie die Prüfungsdichte des EGMR. Im fünften und sechsten Kapitel werden die Leitentscheidungen des EGMR zu den in Art. 6 Abs. 1 EMRK ausdrücklich genannten sowie den vom EGMR entwickelten Garantien des fairen Verfahrens und ihr Einfluss auf die russische Rechtsordnung im Einzelnen untersucht. Das siebte, letzte Kapitel wird der Frage über mögliche rechtliche Folgen der Feststellung einer EMRKVerletzung nachgehen sowie die russische Praxis bezüglich der Umsetzung der EGMR-Urteile untersuchen. Nicht berücksichtigt werden konnten der Einfluss materieller Garantien der EMRK auf das Zivilprozess- und Zwangsvollstre-

13 Zum Vergleich: Der EGMR hat in Bezug auf Frankreich bis Ende 2011 in 627 Urteilen Konventionsverletzungen festgestellt, davon in 533 Urteilen Verstöße gegen Art. 6 EMRK; in Bezug auf Deutschland: 159 Urteile mit festgestellten Konventionsverletzungen, davon 119 gegen Art. 6 EMRK, vgl. Annual Report 2011, S. 160. 14 Diese statistischen Angaben sind vom Verfasser der vorliegenden Arbeit aufgrund der Datenbank des EGMR (HUDOC) ermittelt worden, . In einigen Urteilen sind gleichzeitig mehrere Verletzungen (gegebenenfalls in Bezug auf mehrere Personen) gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt worden, vgl. etwa EGMR, Urt. vom 29. 07. 2010 (Nr. 8549/06 u. a.), Streltsov and other „Novocherkassk military pensioners“ v. Russia.

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Einführung

ckungsrecht15 sowie die Einwirkungen der EMRK auf das Insolvenzrecht.16 Einwirkungen der EMRK auf die Schiedsgerichtsbarkeit konnten nur am Rande, bei der Frage der Folgen des Verzichts auf einzelne Ausprägungen des Rechts auf ein faires Verfahren, erläutert werden.17 Die Grundlage der vorliegenden Arbeit ist die Rechtsprechung des EGMR. Dessen Urteile und Entscheidungen, soweit nicht anders angegeben, werden nach der Datenbank des EGMR (HUDOC)18 zitiert, deswegen wurden die Bezeichnungen der Parteien in den Originalsprachen beibehalten. Sie zeigen auch, in welcher Sprache (Englisch oder Französisch) die Urteile/Entscheidungen in HUDOC zugänglich sind.19 Russischsprachige Literaturquellen sowie Nummern von in der Arbeit verwendeten Rechtsakten mit kyrillischen Buchstaben sind zur Erleichterung ihrer Suche in der Originalsprache zitiert. Auf deutsche und/oder englische Übersetzungen solcher Rechtsakte wird, soweit vorhanden, hingewiesen. Russische Namen und Begriffe werden in der wissenschaftlichen Transliteration nach ISO 9:1995 dargestellt, soweit sich nicht eine davon abweichende deutsche Schreibweise etabliert hat. Akte russischer Gerichte sind, soweit nicht anders angegeben, dem russischen Rechtsinformationssystem „ConsultantPlus“20 entnommen. In der deutschen Literatur werden sie nicht einheitlich übersetzt. In der vorliegenden Arbeit wurde „postanovlenie [suda]“ mit „Urteil“ übersetzt, „opredelenie [suda]“ mit „Beschluss“, „resˇenie [suda]“ mit „Entscheidung“, „prigovor [suda]“ mit „Strafurteil“. Was russische untergesetzliche Rechtsakte anbetrifft, so werden sie in dieser Arbeit wie folgt übersetzt: „postanovlenie“ mit „Verordnung“, „polozˇenie“ mit „Ordnung“, „ukaz“ mit „Erlass“, „rasporâzˇenie“ mit „Verfügung“, „prikaz“ mit „Weisung“.

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Vgl. dazu Müller, Verfahrensdimensionen materieller Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (2005). 16 Vgl. dazu Puschner, Konkurs und Europäische Menschenrechtskonvention (2000). 17 Vgl. dazu Matscher, in: Habscheid/Schwab (Hrsg.), FS Nagel, S. 228 ff.; Habscheid, in: Gerhardt u. a. (Hrsg.), FS Henckel, S. 341 ff.; Briner/von Schlabrendorff, in: Briner u. a. (Hrsg.), FS Böckstiegel, S. 89 ff.; Bangert, in: Breitenmoser u. a. (Hrsg.), FS Wildhaber, S. 41 ff. 18 Vgl. . 19 Hier sei auf das umfassende Fundstellenverzeichnis deutscher Übersetzungen von Urteilen des EGMR von Dr. M. Breuer hingewiesen. Sehr hilfreich ist die Datenbank des Österreichischen Instituts für Menschenrechte (Salzburg), in der Zusammenfassungen wichtigster Urteile und Entscheidungen des EGMR in deutscher Sprache abrufbar sind: . Eine Vielzahl der Urteile und Entscheidungen des EGMR in deutscher Übersetzung ist auch auf den Internetseiten des Europarates zu finden: . 20 .

Kapitel 1

Geschichtlicher Überblick § 1 Art. 6 Abs. 1 EMRK als Ausdruck der Positivierung der Menschenrechte im Völkerrecht Die Geschichte der Positivierung der Menschenrechte vollzog sich bis in das 20. Jahrhundert hinein im nationalstaatlichen Rahmen. Allmählich wurden Verfahrensrechte, zuerst in Bezug auf Straf- und später auf Zivilsachen,1 zu deren Bestandteil. Das geschah in der Erkenntnis, dass alle materiell-rechtlichen Sicherungen nichts nützen, wenn nicht gewisse Grundsätze des Verfahrens rechtlich gesichert sind.2 Im Geheimverfahren ohne rechtliches Gehör und öffentliche Kontrolle ist es unmöglich, effektiv Rechte zu verteidigen. Der Grundrechtsschutz auf nationaler Ebene erwies sich bald als unzureichend, da der Staat die von ihm anerkannten Menschenrechte zu jeder Zeit aufheben konnte. Deswegen hat man versucht, das Minimum an Menschenrechten durch völkerrechtliche Verträge abzusichern.3 Verfahrensrechte blieben allerdings zunächst außen vor.4 Sie haben erst mit der am 10. 12. 1948 von den Vereinten Nationen beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) ihre Anerkennung auf internationaler Ebene gefunden. Dabei sind folgende Artikel dieser Erklärung von Bedeutung: Art. 8. Jeder Mensch hat Anspruch auf wirksamen Rechtschutz vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen alle Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden. Art. 10. Jeder Mensch hat Anspruch in voller Gleichberechtigung auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, dass über seine Rechte und Verpflichtungen (…) zu entscheiden hat.

1 Vgl. Matscher, in: Gerhardt u. a. (Hrsg.), FS Henckel, S. 593 f.: „[F]ür die Öffentlichkeit von Zivilprozessen wäre niemand auf die Barrikaden gestiegen“. 2 Partsch, Die Rechte und Freiheiten der EMRK, S. 141. 3 Ausführlich zum Prozess der Internationalisierung der Menschenrechte: Mandelstam, ZaöRV 1931, 375 ff.; Barthel, Die Menschenrechte der dritten Generation, S. 24 ff. 4 Vgl. z. B. die Erklärung über die internationalen Rechte des Menschen, angenommen auf der Tagung vom Institut de droit international am 18. 10. 1929, abgedruckt in: Friedenswerte 1929, 357 ff.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

Die AEMR hat also folgende Verfahrensrechte für Zivilsachen proklamiert: – das Recht auf Zugang zum Gericht, – das Recht darauf, vor Gericht gleich behandelt zu werden, – das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren und – das Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. In Anlehnung an die AEMR5 sowie unter Berücksichtigung6 des Entwurfs des UNO-Paktes7 über bürgerliche und politische Rechte wurde die Europäische Menschenrechtskonvention8 (EMRK) vorbereitet und als völkerrechtlicher Vertrag von den Mitgliedern des Europarates am 04. 11. 1950 in Rom unterzeichnet. Nach Erreichen der erforderlichen Zahl von zehn Ratifikationen trat die EMRK am 03. 09. 1953 in Kraft.9 Damit wurden Verfahrensgarantien zum ersten Mal zu bindendem Recht auf internationaler Ebene. Art. 6 Abs. 1 lautet in den verbindlichen Texten auf Englisch und Französisch:10 Article 6 – Right to a fair trial 1. In the determination of his civil rights and obligations or of any criminal charge against him, everyone is entitled to a fair and public hearing within a reasonable time by an independent and impartial tribunal established by law. Judgment shall be pronounced publicly but the press and public may be excluded from all or part of the trial in the interests of morals, public order or national security in a democratic society, where the interests of juveniles or the protection of the private life of the parties so require, or to the extent strictly necessary in the opinion of the court in special circumstances where publicity would prejudice the interests of justice. Article 6 – Droit à un procès équitable 1. Toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonnable, par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bienfondé de toute accusation en matière pénale dirigée contre elle. Le jugement doit être rendu 5

Vgl. die Präambel der EMRK. Vgl. EGMR, Dokument CDH(68)3 vom 19. 03. 1968 „Preparatory work on Article 6 of the European Convention of Human Rights“, . 7 BGBl. 1973 II 1534. 8 Das Wort „Europäische“ ist kein offizieller Bestandteil des Konventionstitels, jedoch geläufig und zur Unterscheidung – etwa von der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) – zweckmäßig: Stöcker, NJW 1982, 1905. 9 Bekanntmachung in BGBl. 1954 II 14. Deutschland ratifizierte die Konvention am 05. 12. 1952 (BGBl. 1952 II 685, 953) und gehörte damit gemeinsam mit den skandinavischen Staaten (mit Ausnahme Finnlands), mit Belgien, Großbritannien, Irland und Luxemburg zu den Mitgliedstaaten der ersten Stunde. 10 In Deutschland gibt es zwei amtliche Übersetzungen der EMRK in Deutsch (BGBl. 1952 II 685 ff.; BGBl. 2002 II 1054 ff.), die eine Reihe wesentlicher Unterschiede im Grundrechtskatalogteil aufweisen (vgl. Anhang I). Verbindlich sind gemäß der Schlussklausel der EMRK allerdings nur der englische und der französische Text. 6

§ 1 Art. 6 Abs. 1 EMRK als Ausdruck der Positivierung der Menschenrechte

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publiquement, mais l’accès de la salle d’audience peut être interdit à la presse et au public pendant la totalité ou une partie du procès dans l’intérêt de la moralité, de l’ordre public ou de la sécurité nationale dans une société démocratique, lorsque les intérêts des mineurs ou la protection de la vie privée des parties au procès l’exigent, ou dans la mesure jugée strictement nécessaire par le tribunal, lorsque dans des circonstances spéciales la publicité serait de nature à porter atteinte aux intérêts de la justice.

Ein Vergleich mit der AEMR zeigt, dass der Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ beschränkt wurde, was erhebliche Probleme für ihre Abgrenzung bereitet.11 Art. 6 Abs. 1 EMRK enthält folgende Verfahrensgarantien für solche Verfahren: – das Recht auf den gesetzlichen Richter, – das Recht auf ein unabhängiges, unparteiisches Gericht,12 – das Recht auf ein faires Verfahren, – das Recht auf rechtliches Gehör,13 – das Recht auf ein öffentliches Verfahren, – das Recht auf ein Verfahren in angemessener Frist. Art. 6 Abs. 1 EMRK hat damit die meisten Verfahrensrechte der AEMR aufgenommen und weiterentwickelt. Was aber den revolutionären Charakter der EMRK ausmacht, ist das Kontrollsystem, das neben die garantierten Rechte tritt. Dieses Kontrollsystem, das älteste und am weitesten entwickelte im internationalen Bereich,14 besteht aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte15 (EGMR),

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Ausführlich Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 5 ff. Die Grundsätze des neutralen und unabhängigen Richters gehören nicht unmittelbar zu den Verfahrensprinzipien, sondern zur Gerichtsverfassung, vgl. Wolf, in: Köbler (Hrsg.), FS Söllner, S. 1280. 13 1998 wurde im deutschen Text der EMRK der Begriff „gehört“ durch „verhandelt“ ersetzt. Das Verhandeln beinhaltet das rechtliche Gehör, vgl. Wolf, in: Köbler (Hrsg.), FS Söllner, S. 1280 Fn. 5. 14 Hagedorn, Gleiche Maßstäbe für Ost und West?, S. 16 m.w.N. 15 Ursprünglich tagte neben dem EGMR auch die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR), sie hatte die Aufgabe, die Zulässigkeit von Beschwerden zu prüfen. Dabei prüfte sie auch die Begründetheit von Beschwerden. Über 95 % aller Beschwerden wurden in diesem Verfahrensabschnitt für unzulässig erklärt (vgl. Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 223 Fn. 52). Überwand eine Beschwerde aber diese Hürde, so stand der beschwerdeführenden Partei selbst dann der Weg an den EGMR nicht offen. Vielmehr führte der ordentliche Weg an das aus Staatenvertretern bestehende Ministerkomitee des Europarates, welches eine Verurteilung eines Staates nur mit einer 2/3 Mehrheit vornehmen durfte. An den EGMR überwiesen werden konnte eine Beschwerde nach dem Entscheid der Kommission ursprünglich einzig durch den betroffenen Staat und die Kommission, nicht aber durch das Opfer einer EMRK-Verletzung. Nur Schritt für Schritt gelang es durch Zusatzprotokolle zur EMRK, dieses Mistrauen gegen eine unabhängige internationale Gerichtsbarkeit abzubauen und die prozessuale Stellung des Individuums zu stärken. Am 01. 11. 1998 trat der EGMR an die 12

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

der auch dem Einzelnen offen steht und über die Vertragsstaaten bindend urteilt, und das Ministerkomitee des Europarates, das die Vollstreckung der Urteile des EGMR überwacht. Mittlerweile sind 47 Staaten der EMRK beigetreten, haben sich der Zuständigkeit des EGMR unterworfen und damit die Individualbeschwerde zugelassen.16 In der Rechtsprechung des EGMR werden sehr abstrakte Garantien der EMRK auf den Einzelfall angewandt und finden dadurch ihren wahren Inhalt. Dank der vom EGMR verwendeten Auslegungsprinzipien der EMRK,17 wonach die EMRK-Rechte nach heutiger Auffassung verstanden werden und effektiv sein müssen,18 hat der EGMR aus der EMRK Rechte abgeleitet, die dort nicht ausdrücklich verankert sind.19 In Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EMRK sind das folgende Rechte: das Recht auf Zugang zu einem Gericht (s. unten Kap. 6, § 1); das Recht auf Rechtssicherheit mit dem Inkrafttreten eines Urteils (s. unten Kap. 6, § 2); das Recht auf effektive Urteilsvollstreckung (s. unten Kap. 6, § 3). Dabei handelt es sich nach Ansicht des EGMR nicht um eine weite Auslegung, die den Vertragsstaaten neue Verpflichtungen auferlegen würde.20

Stelle der Kommission. Ausführlich zur Reform: Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 1999, 1165 f.; Schlette, JZ 1999, 219 ff. 16 Vgl. . 17 Ausführlich dazu etwa Matscher, in: Macdonald/Matscher/Petzold (Hrsg.), The European system for the Protection of Human Rights, S. 63 ff. 18 Dies wird insbesondere in der Präambel der EMRK deutlich, die von „Wirkung“ und „Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ spricht. Vgl. auch „[T]he interpretation of human rights treaties is an essentially dynamic process, given that human rights treaties are regarded as living instruments, which evolve as responses to the changing needs of protection“, Cançado Trindade, HRLJ 1996, S. 165, Z. 7. 19 Einen Überblick gibt Matscher, in: Breitenmoser u. a. (Hrsg.), FS Wildhaber, S. 437 ff. Kritisch dazu etwa Stöcker, EuGRZ 1987, 474 m.w.N., wonach der EGMR „von der These des klassischen Völkerrechts abgerückt hat, derzufolge im Zweifelsfall jener Auslegung der Vorzug zu geben ist, welche die von einem Staat in einem internationalen Vertrag eingegangenen Verpflichtungen möglichst einschränkt (…). Auf diesem Wege haben die Konventionsorgane gelegentlich die Grenzen dessen berührt, was noch als Vertragsauslegung im Rechtssinn bezeichnet werden kann. (…) [S]ie haben diese Grenze vielleicht auch überschritten und sich damit auf einen Boden begeben, welcher nicht mehr der der Vertragsauslegung ist, sondern bereits echte Rechtspolitik darstellt“. 20 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 21. 02. 1975 (Nr. 4451/70), Golder v. the United Kingdom, Z. 36.

§ 2 Beitritt Russlands zur EMRK, ihre Bekanntmachung und Inkrafttreten

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§ 2 Beitritt Russlands zur EMRK, ihre Bekanntmachung und Inkrafttreten I. Beitritt Russlands zur EMRK aus völkerrechtlicher Sicht Obwohl nach der Satzung des Europarates die Unterzeichnung der EMRK nicht offiziell als Beitrittsvoraussetzung gilt,21 steht beides in der Praxis in engem Zusammenhang. Die Wiener Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Europarats SUM(93)2 vom 09. 10. 1993 etwa lautet: „Der Beitritt [zum Europarat] setzt voraus, dass der antragstellende Staat seine Institutionen und seine Rechtsordnung in Übereinstimmung mit den grundlegenden Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaats und der Achtung der Menschenrechte gebracht hat (…). Die Verpflichtung, die Europäische Menschenrechtskonvention zu unterzeichnen und binnen kurzer Frist die Gesamtheit ihrer Kontrollbestimmungen anzuerkennen, ist gleichfalls wesentlich“.22 Dass sich Russland im Rahmen der EMRK zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hat, stand in engem Zusammenhang mit den Bestrebungen Russlands, Mitglied des Europarates zu werden,23 der hauptsächlich als eine Bühne zur Durchsetzung politischer Interessen Russlands verstanden wurde.24 Nach anderer Auffassung erhoffte sich Russland eine Unterstützung bei der Reform der nationalen Gesetzgebung und eine Stärkung der Demokratie.25 Das Beitrittsverfahren wurde von der kontroversen Diskussion begleitet, ob Russland in der Lage sei, die hohen Standards des Europarates umzusetzen oder ob der Beitritt Russlands zu ihrer

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Im Gegenteil gilt die Möglichkeit des Beitritts zur EMRK als eine der Vertragsfreiheiten der Mitgliedsstaaten des Europarates, vgl. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 EMRK. 22 Zit. nach EuGRZ 1993, 484. Vgl. auch Europarat, MK, Interim Resolution ResDH(2001)80 vom 26. 06. 2001: „Stressing that acceptance of the Convention, including the compulsory jurisdiction of the Court and the binding nature of its judgments, has become a requirement for membership of the Organisation“. 23 N^cY^, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1996, Nr. 3, S. 97; ausführlich zum Beitritt Russlands zum Europarat: Althauser, Russlands Weg in den Europarat; kürzere Zusammenfassung: Hagedorn, Gleiche Maßstäbe für Ost und West?, S. 49 ff. 24 Althauser, Rußlands Weg in den Europarat, S. 70 ff. m.w.N. Zudem brauchte der damalige russische Präsident Boris Jelzin außerpolitische Erfolge für die zweite Präsidentschaftswahl, die bald nach dem Beitritt Russlands zum Europarat (28. 02. 1996) am 16. 06. 1996 und 03. 07. 1996 stattfand, dazu ýV`aVfc, A_bbYZb[YZ Ro\\VcV^m `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, Bd. 11 (1999), S. 38 ff. 25 Nußberger, Ende des Rechtsstaates in Russland?, S. 52. Vgl. auch Tomuschat, in: Wolfrum/Deutsch (Hrsg.), The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications, S. 3: „One may presume that in 1996/98 Russia felt that in order to demonstrate its definitive rupture with its Stalinist past it should accept international obligations to respect and observe human rights. It must have felt politically weak, seeking to rehabilitate itself morally by cooperating with the other States of the continent on a level of parity“.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

Senkung führen und dadurch dem Europarat Schaden zufügen würde.26 Diese Diskussion dauert an.27 Es ist amüsant, wie sich die Bewertung des Europarates im Laufe der Zeit in der russischen Literatur geändert hat. Während zu Zeiten der Sowjetunion behauptet wurde, dass das Ziel des Europarates die Vereinigung der reaktionären Kräfte Europas gegen die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene demokratische Bewegung sei,28 wird der Europarat heute als eine der ältesten und angesehensten Institutionen zum Schutze der Menschenrechte bezeichnet.29 Dasselbe gilt für den EGMR.30 Am 7. Mai 1992 stellte die Russische Föderation, die den Status eines „besonderen Gastes“ hatte,31 einen Antrag auf Beitritt zum Europarat. Am 8. Februar 1996, nach der positiven Stellungnahme32 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 25. Januar 1996, sprach das Ministerkomitee des Europarates die Einladung aus. Der Europarat ging davon aus, dass Russland unter anderem die EMRK bald ratifizieren werde: „The Parliamentary Assembly notes that the Russian Federation shares fully its understanding and interpretation of commitments (…) and intends: 26

Ausführlich dazu Janis, EJIL 1997, S. 93 ff.; Bowring, EHRLR 1997, S. 628 ff.; Kahn, University of Michigan Journal of Law Reform 2001 – 2002 (Vol. 35), S. 642 ff.; aus der russischen Literatur: IVbcQ[_S, 3Vbc^Y[ =_b[_Sb[_T_ d^YSVabYcVcQ. BVaYp 11. @aQS_ . 1997, Nr. 4, S. 63 ff.; ýV`aVfc, A_bbYZb[YZ Ro\\VcV^m `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, Bd. 11 (1999), S. 38 ff. 27 Vgl. etwa Bowring, The Uppsala Yearbook of East European Law 2004, S. 115: „[E]verything has changed, but nothing has changed“; Nußberger, Ende des Rechtsstaates in Russland? (2007). 28 Uibopuu, Moskau entdeckt die Europäische Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1977, 256 f. m.w.N. 29 N^cY^, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2004, Nr. 3, S. 101. 30 Vgl. „[Der EGMR] spielt die Rolle eines rechtlichen Schirms, welcher den Anschein des Schutzes der Menschenrechte erweckt, während er auf der anderen Seite ihre Verletzungen rechtfertigt, wenn diese von Regierungskreisen der Vertragsstaaten begangen wurden“, Uibopuu, EuGRZ 1977, 256 f. m.w.N.; „Das Individualbeschwerdeverfahren und die Ausübung seiner Kompetenzen haben dem EGMR große Autorität und großes Ansehen gebracht“, Cd]Q^_S, 6Sa_`VZb[YZ BdU `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, S. VI. 31 Der Status wurde der Sowjetunion 1989 gewährt (Europarat, Parl. Versammlung, Entschließung 917(1989) vom 11. 05. 1989, EuGRZ 1989, 258) und ist auf die Russische Föderation als Rechtsnachfolgerin übergegangen. 32 Dies geschah trotz des seit einem Jahr herrschenden Krieges in Tschetschenien, mit allen damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen. Westliche Politiker, der deutsche Bundeskanzler H. Kohl, wollten B. Jelzin Unterstützung bei der nächsten Präsidentschaftswahl geben und haben Lobbyarbeit in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates geleistet, ýV`aVfc, A_bbYZb[YZ Ro\\VcV^m `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, Bd. 11 (1999), S. 38 ff. Durch die Aufnahme Russlands versuchte der Europarat zudem sein Gewicht im Vergleich zu anderen Organisationen, vor allem der EU und OSZE zu stärken, Interview mit dem Berichterstatter der Parl. Versammlung des Europarates Ernst Muehlemann vom 11. 10. 1997, zit. nach 1\cd^p^, ?RaQX B_SVcQ 6Sa_`l `_ ]QcVaYQ\Q] a_bbYZb[_Z `aVbbl, . Das Interesse des Europarates war auch darauf gerichtet, den Transformationsprozess in Russland zu stabilisieren; Nußberger, Ende des Rechtsstaates in Russland?, S. 52.

§ 2 Beitritt Russlands zur EMRK, ihre Bekanntmachung und Inkrafttreten

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i. to sign the European Convention on Human Rights at the moment of accession; to ratify the Convention and Protocols Nos. 1, 2, 4, 7 and 11 within a year; to recognise, pending the entry into force of Protocol No. 11, the right of individual application to the European Commission and the compulsory jurisdiction of the European Court (Articles 25 and 46 of the Convention) (…); xx. to pursue legal reform with a view to bringing all legislation in line with Council of Europe principles and standards; The Assembly recommends that the Committee of Ministers – on the basis of the commitments and understandings indicated above: i. invite the Russian Federation to become a member of the Council of Europe (…)“.33 „The Committee of Ministers (…) having taken note of the intention of the Government of the Russian Federation to sign the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms and its Protocol No. 11 upon the deposit by the said government of its instrument of accession to the Statute of the Council of Europe; Expecting that these instruments will be ratified as soon as possible and that the said government, on this occasion, will recognise the right of individual application under Article 25 and the compulsory jurisdiction of the Court under Article 46 of the Convention (…) resolves: i. to invite the Russian Federation to become a member of the Council of Europe (…)“.34

Am 28. Februar 1996 wurde im Rahmen des Beitritts35 Russlands zum Europarat in Straßburg vom damaligen russischen Außenminister Evgenij Primakov auf Verfügung36 des Präsidenten RF eine Reihe von Abkommen des Europarates unterzeichnet, darunter auch die EMRK.37 Nach der positiven Stellungnahme38 der Regierung RF vom 8. Oktober 1997 wurden die EMRK und ihre Zusatzprotokolle Nr. 1, 4, 7, 9, 10 und 11 (mit einigen wenigen Vorbehalten, die das Zivilverfahren nicht betreffen) durch Gesetz am 20. 02. 1998 von der Staatsduma (untere Kammer des russischen Parlaments) ratifiziert,39 am 13. 03. 1998 von der Föderalen Versammlung (obere Kammer) gebilligt40 und am 30. 03. 1998 vom Präsidenten der RF unterschrieben. Das Ratifikationsgesetz wurde in der Sammlung der Gesetzgebung der RF

33 Europarat, Parl. Versammlung, Opinion 193(1996) vom 25. 01. 1996 „On Russia’s request for membership of the Council of Europe“, HRLJ 1996, S. 185 ff. 34 Europarat, MK, Resolution (96)2 vom 08. 02. 1996 „Invitation to the Russian Federation to become a member of the Council of Europe“. 35 Der Beitritt ist an diesem Tag wirksam geworden, vgl. Bekanntmachung in BGBl. 1996 II 479. Die Russische Föderation ist der 39. Mitgliedstaat und stellt mit 18 Sitzen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates eine der fünf größten Delegationen. 36 Präsident RF, Verfügung vom 13. 02. 1996 (Nr. 66-a`), SZ RF 1996, Nr. 8, Pos. 743. 37 ýd[mp^gVS, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1997, Nr. 3, S. 114. 38 Zugänglich unter . 39 SZ RF 1998, Nr. 9, Pos. 1089. Dabei wurden nur 65,3 % der Abgeordnetenstimmen für die Ratifikation der EMRK abgegeben: 4\_c_S, A_bbYp Y B_SVc 6Sa_`l, S. 233. Viele Abgeordneten haben einfach an der Abstimmung nicht teilgenommen. 40 SZ RF 1998, Nr. 12, Pos. 1369.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

(Sobranie zakonodatel’stva Rossijskoj Federacii) am 06. 04. 1998 bekannt gemacht.41 In dem Ratifikationsgesetz (Nr. 54-E8) heißt es: „In Fällen mutmaßlicher Verletzungen der Konvention durch die Russische Föderation, die nach In-Kraft-Treten von entsprechenden Konventionsnormen stattgefunden haben, erkennt die Russische Föderation die Zuständigkeit der Europäischen Kommission für Menschenrechte gem. Art. 25 EMRK [a.F.] an, ein Gesuch jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personenvereinigung zu verhandeln. In Fällen mutmaßlicher Verletzungen der Konvention durch die Russische Föderation, die nach In-Kraft-Treten von entsprechenden Konventionsnormen stattgefunden haben, erkennt die Russische Föderation die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gemäß Art. 46 EMRK [a.F.] ohne weiteres und ohne besondere Vereinbarung für alle Angelegenheiten an, die sich auf die Auslegung und die Anwendung dieser Konvention beziehen“.

Die zweijährige Verzögerung der Ratifizierung der EMRK wurde mit der Notwendigkeit begründet, die nationale Gesetzgebung an deren Anforderungen anzupassen.42 Die Zeit war auch nötig, um den politischen Kompromiss zu erzielen. Die EMRK trat für Russland als Völkerrechtssubjekt am 5. Mai 1998 in Kraft, mit der Übergabe der Ratifikationsurkunde zur Verwahrung an den Generalsekretär des Europarates gemäß Art. 66 Abs. 3 EMRK (a.F.).43 Dadurch wurde die Diskussion obsolet, ob die Ratifikation der EMRK eine völkerrechtliche Verpflichtung Russlands oder eine unverbindliche Empfehlung des Europarates sei.44 II. Offizielle Bekanntmachung und Inkrafttreten der EMRK im Inland Gemäß Art. 15 Abs. 3 Verf. RF 1993 sind normative Rechtsakte jeglicher Art, welche die Menschen- und Bürgerrechte betreffen, solange nicht anwendbar, als sie nicht zur allgemeinen Kenntnisnahme amtlich veröffentlicht wurden. Der offizielle Wortlaut der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle in englischer Sprache und in russischer Übersetzung wurden erst in der Sammlung der Gesetzgebung der RF Nr. 20 vom 18. Mai 1998 (Pos. 2143) bekannt gemacht. Daher wurde die EMRK für staatliche und kommunale Organe der Russischen Föderation, einschließlich der 41

SZ RF 1998, Nr. 14, Pos. 1514. Vgl. 4\_c_S, A_bbYp Y B_SVc 6Sa_`l, S. 217. Trotzdem bewerten ausländische Beobachter den Anpassungsprozess als unbefriedigend; dazu ýV`aVfc, A_bbYZb[YZ Ro\\VcV^m `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, Bd. 11 (1999), S. 38 ff. Dieselbe Beurteilung gab der Ombudsmann RF in seinem Sonderbericht vom 20. 05. 2002 „Über die Erfüllung der Verpflichtungen durch die Russische Föderation, die beim Beitritt zum Europarat eingegangen wurden“, Abs. 13, 97, . 43 Bekanntmachung in BGBl. 1998 II 2932 = EuGRZ 1998, 308. 44 Vgl. 4\_c_S, A_bbYp Y B_SVc 6Sa_`l, S. 225, 229; Bowring, EHRLR 1997, S. 633 f. Die Diskussion bleibt aber in Bezug auf den ZP Nr. 6 zur EMRK (Verbot der Todesstrafe) aktuell, der entgegen der beim Beitritt zum Europarat abgegebenen Erklärung nicht ratifiziert wurde, vgl. Europarat, Parl. Versammlung, Opinion 193(1996) vom 25. 01. 1996 „On Russia’s request for membership of the Council of Europe“, Z. 10 (ii). 42

§ 2 Beitritt Russlands zur EMRK, ihre Bekanntmachung und Inkrafttreten

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Gerichte, innerstaatlich erst am 18. Mai und nicht bereits am 5. Mai 1998 verbindlich.45 Im Jahre 2000 erreichte das russische Außenministerium ein offizielles Ersuchen aus Straßburg die beiden Originaltextversionen der EMRK auf Englisch und Französisch zu veröffentlichen,46 was im Jahre 2001 geschah.47 Gleichzeitig wurde eine neue vom Außenministerium RF erstellte russische Übersetzung der EMRK veröffentlicht,48 die unter Berücksichtigung des englischen und des französischen Vertragstextes und der Rechtsprechung des EGMR ausgefertigt worden war.49 Dies führte faktisch zur parallelen Existenz zweier amtlich veröffentlichter Texte der EMRK in russischer Sprache, die im Übrigen eine Reihe wesentlicher Unterschiede im Grundrechtskatalogteil aufweisen. So lautet etwa Art. 6 Abs. 1 EMRK in der Übersetzung von 1998: „Jeder Mensch hat das Recht bei der Verhandlung über seine Rechte und Pflichten auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren (…)“.

In der Übersetzung von 2001 heißt es dagegen: „Jedermann hat im Falle eines Streites über seine bürgerlichen Rechte und Pflichten das Recht auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren (…)“.

In diesem Zusammenhang entstand eine gewisse Verwirrung.50 So bezog sich das VerfG RF in seinem Urteil (Z. 2 Abs. 5) vom 10. 04. 2001 (Nr. 5-@)51 auf die erste 45 @. ýQ`cVS, 6WVT_U^Y[ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 1999, S. 346 Fn. 3. Dadurch entstand kurzzeitig die Situation, dass die Russische Föderation für Verletzungen der EMRK durch staatliche und kommunale Organe zur Verantwortung gezogen werden konnte, obwohl diese nach innerstaatlichem russischem Recht die EMRK nicht anwenden durften. Besser hätte man zuerst das innerstaatliche Verfahren zur Inkraftsetzung eines völkerrechtlichen Abkommens durchgeführt und erst dann auch das völkerrechtliche Verfahren. Dann hätte sich die juristische Öffentlichkeit auf die neue Rechtslage vorbereiten können. Das gilt erst recht im vorliegenden Fall, in welchem das Inkrafttreten der EMRK in der Literatur als bahnbrechend oder gar revolutionär innerhalb der russischen Rechtsgeschichte angesehen wird (@. ýQ`cVS, in: ý_`QcY^ (Hrsg.), @aQSQ hV\_SV[Q S A_bbYY Y `aQS_XQjYc^Qp UVpcV\m^_bcm T_bdUQabcSQ, S. 24; ders., in: 2QfY^ (Hrsg.), 1[cdQ\m^lV `a_R\V]l ]VWUd^Qa_U^_T_ TaQWUQ^b[_T_ `a_gVbbQ, S. 13), da seither juristische Prinzipien und Konstruktionen anwendbar seien, die in der russischen Wissenschaft und Praxis bisher unbekannt waren. 46 3_X^VbV^b[YZ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 203. 47 SZ RF 2001, Nr. 2, Pos. 163. Die neue Bekanntmachung war auch deshalb zweckmäßig, weil in der Zwischenzeit (am 01. 11. 1998) der 11. ZP zur EMRK (SZ RF 1998, Nr. 44 vom 02. 11. 1998 (!), Pos. 5400) in Kraft getreten war, der die EMRK grundlegend veränderte (abgesehen vom Grundrechtskatalog in Artt. 1 – 18). 48 3_X^VbV^b[YZ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 203. 49 Vgl. die Anmerkung zur offiziellen Übersetzung des Konventionstextes in der Übersetzung von 2001, SZ RF 2001, Nr. 2, Pos. 163. 50 Dieses Problem ist besonders dadurch brisant, dass sich die russischen Gerichte in der Praxis auf die russische amtliche Übersetzung von völkerrechtlichen Verträgen (auch der EMRK) stützen, ohne die fremdsprachigen Konventionstexte zu vergleichen oder nur zu berücksichtigen.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

Übersetzung des Konventionstextes, obwohl die Neuübersetzung bereits erfolgt und auch bekannt gemacht war. Dies kann damit erklärt werden (wenn man dem VerfG RF nicht Unachtsamkeit unterstellen will), dass die zweite Übersetzung ausschließlich vom russischen Außenministerium erstellt worden war, während die erste Übersetzung von der Staatsduma im Rahmen der Ratifizierung der Konvention gebilligt worden war.52 Darüber hinaus verfasste das Informationszentrum des Europarates in Russland eine Erklärung, wonach als amtliche Übersetzung nur der im Rahmen der Ratifizierung gebilligte Text gelten sollte.53 Inzwischen wird in der Literatur54 wie in der Rechtsprechung55 nach dem Grundsatz der wohlwollenden Auslegung der sich aus der Konvention ergebenden Vertragspflichten die zweite Übersetzung des Konventionstextes als amtliche Übersetzung anerkannt.

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 (historischer Überblick) I. Vor dem Konventionsbeitritt Die EMRK enthält Grundsätze, die die Grundlage des Rechtssystems eines jeden Rechtsstaates bilden. Schon bei Ausrufung ihrer Souveränität im Jahre 1990 hatte sich die Russische Föderation zum Ziel gesetzt, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen.56 Im Jahre 1991 wurde vom Obersten Sowjet [Parlament] RSFSR das Konzept der Gerichtsreform verabschiedet, eines deren Ziele es war, die Gesetzgebung in Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards zu bringen.57 1992 stellte Russland einen Antrag auf Aufnahme in den Europarat, angesichts dessen hat der Präsident RF Boris Jelzin eine Reihe von Ministerien und die Akademie der Wissenschaften beauftragt, Vorschläge zur Harmonisierung der autonomen 51

SZ RF 2001, Nr. 17, Pos. 1768. Als amtliche Übersetzung gilt eine in Übereinstimmung mit den anwendbaren Verfahrensvorschriften im Rahmen der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Abkommens erstellte Übersetzung, die jedenfalls im Inland als Rechtsquelle gilt, 3_X^VbV^b[YZ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 208. 53 B_RQ[Y^, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1997, Nr. 3, S. 11. 54 3_X^VbV^b[YZ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 212 f.; ;Q^QiVSb[YZ, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ TaQWUQ^b[_T_ Y QaRYcaQW^_T_ `a_gVbbQ, Bd. 2 (2002 – 2003), S. 282 Fn. 1. 55 St.Rspr. des VerfG RF, vgl. etwa Urt. vom 20. 02. 2006 (Nr. 1-@), Z. 2 Abs. 5, SZ RF 2006, Nr. 10, Pos. 1145. 56 Vgl. die Präambel der Unabhängigkeitserklärung der RSFSR, verkündet von der Versammlung der Volksabgeordneten der RSFSR am 12. 06. 1990, VSND i VS RSFSR 1990, Nr. 2, Pos. 22. 57 Vgl. Oberster Sowjet RSFSR, Konzept der Gerichtsreform in der RSFSR vom 24. 10. 1991, Kap. IV, § 1, Z. 5, VVS RSFSR 1991, Nr. 44, Pos. 1435. 52

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung

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Rechtsordnung mit den Standards des Europarates im Bereich der Menschenrechte vorzubereiten.58 1994 verfasste die Staatsduma eine Erklärung,59 dass die Zusicherung von EMRK-Standards in Russland ein Staatsziel sei, das alle staatlichen Organe im Rahmen ihrer Befugnisse zu erreichen haben. Ihrerseits werde sie die Gesetzgebung im Geiste der EMRK und anderer Menschenrechtsverträge vorantreiben. Dies wurde in einem an den Europarat adressierten gemeinsamen Schreiben vom Präsidenten, vom russischen Regierungschef und von den Vorsitzenden der beiden Kammern des russischen Parlaments (High level Russian Message) vom 18. 01. 1995 noch einmal bestätigt.60 Daher hatte die EMRK schon vor der Unterzeichnung durch Russland Einfluss auf deren Rechtsordnung. Besonders spürbar im Bereich Zivilprozessrecht ist dieser Einfluss auf die Verfassung RF 1993 und auf die Konvention der GUS über Menschenrechte und Grundfreiheiten 1995. Um verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen, sollten der Zivilprozess sowie die Justiz grundlegend reformiert werden. Die ZPO RSFSR 1964 in der Fassung aus der sozialistischen Zeit wurde den neuen Anforderungen nicht gerecht. Die Ideologie hatte den Zivilprozess stark geprägt. Zu denken ist etwa an die Regelungen, die auf der Ebene des Verfahrens den verfassungsrechtlich anerkannten stärkeren Schutz des sozialistischen (staatlichen) Eigentums (vgl. etwa Art. 10 Verf. UdSSR 1977)61 konkretisierte.62 Ein direkter Einfluss der EMRK auf das Zivilprozessrecht ist jedoch bis zum In-Kraft-Treten der EMRK für Russland im Jahre 1998 nicht sichtbar.

58 Vgl. Präsident RF, Verfügung vom 26. 06. 1992 (Nr. 328-a`), Z. 1, VSND i VS RSFSR 1992, Nr. 28, Pos. 1643. 59 Staatsduma RF, Erklärung (zaâvlenie) vom 24. 06. 1994 (Nr. 149-I 45), SZ RF 1994, Nr. 13, Pos. 1461. 60 „High level Russian Message“ (o.N.) lautet u. a.: „We are sure that, having regard to the development trends in our society, Russia’s accession to the family of European democracies will not result in any lowering of the high standards of your Organisation but, on the contrary, will help to turn them into norms generally accepted and generally applied throughout our continent (…). We expect that, after joining the Council of Europe and acceding to its most important fundamental conventions (first and foremost, the European Convention on Human Rights), we will observe in full the obligations thereby accepted by us and will be able, in collaboration with all the structures of the Organisation, to continue with even greater perseverance and effectiveness our efforts to improve legislation and law-enforcement practice in the Russian Federation in accordance with the standards of the Council“, HRLJ 1996, S. 195 f. Vgl. auch Appendix to the Message, Z. III: „In accordance with the general working procedure of the Federal Assembly, the Administration of the President and the Government of the Russian Federation, it is obligatory to take account of international standards during the preparation of draft laws, orders and decrees“, HRLJ 1996, S. 205. 61 Vedomosti VS SSSR 1977, Nr. 41, Pos. 617; dt. Übersetzung: . 62 Ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung des Zivilprozessrechts in Russland: Roggemann, Die Zivilprozeßordnung der RSFSR, S. 7 ff.; Kengyel, Osteuropa-Recht 1993, 198 ff.; Ajani, Das Recht der Länder Osteuropas, S. 217 ff.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

1. Einfluss der EMRK auf die Verfassung der Russischen Föderation 1993 Der Text der Verfassung der Russischen Föderation vom 12. 12. 1993 (Verf. RF)63 wurde von der Verfassungsversammlung zur Volksabstimmung vorbereitet. Aus deren Beratungen64 geht hervor, dass das den Menschenrechten und Grundfreiheiten gewidmete Kapitel 2 Verf. RF, in vielen Punkten auf der Grundlage der Menschenrechtspakte der UNO von 1966 sowie der EMRK verfasst wurde.65 So hat man etwa angesichts des von der Regierung angestrebten Beitritts zur EMRK Art. 46 Abs. 3 in die Verfassung eingeführt. Art. 46 Abs. 3 Verf. RF berechtigt jeden, sich gemäß den völkerrechtlichen Verträgen der Russischen Föderation an die zwischenstaatlichen Organe zum Schutz der Menschenrechte und -freiheiten zu wenden, wenn alle innerstaatlichen Mittel des Rechtsschutzes ausgeschöpft sind.66 Der Entwurf der Verf. RF wurde in unmittelbarer Zusammenarbeit mit der Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission)67 des Europarates erstellt.68 So hat man z. B. auf Empfehlung der Kommission das Recht auf Zugang zum Gericht im Kapitel 2 der Verfassung „Menschenrechte und Grundfreiheiten“ (Art. 46 Abs. 1) verankert und nicht im Kapitel 7 „Die Gerichtsgewalt“, wie es ursprünglich geplant war.69

63 A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 25. 12. 1993 (Nr. 237); dt. Übersetzung in: EuGRZ 1994, 519 ff. Verf. RF 1993 in der geltenden Fassung: SZ RF 2009, Nr. 4, Pos. 445. 64 Die Beratungen über die Verfassung der Russischen Föderation sind mittlerweile in einem mehrbändigen Werk publiziert, ;_^bcYcdgY_^^_V b_SVjQ^YV. BcV^_TaQ]]l, =QcVaYQ\l, 5_[d]V^cl. 29 Q`aV\p – 10 ^_pRap 1993 T., Bd. I bis XX, =oskau 1995 – 96. 65 Vgl. z. B. ;_^bcYcdgY_^^_V b_SVjQ^YV . BcV^_TaQ]]l, =QcVaYQ\l, 5_[d]V^cl. Bd. VIII (1996), S. 525; ;_S\Va, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2004, Nr. 1, S. 151. In der Vorbereitungsund Beratungsphase des Entwurfes wurde in einem angesehenen Fachmagazin eine Übersetzung des Konventionstextes der EMRK veröffentlicht, vgl. 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1993, Nr. 4, S. 37 ff. Allerdings liefern die Materialien der Verfassungsgebenden Versammlung keine Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsprechung des EGMR bei der Ausarbeitung des Verfassungstextes berücksichtigt wurde. 66 ;_^bcYcdgY_^^_V b_SVjQ^YV. BcV^_TaQ]]l, =QcVaYQ\l, 5_[d]V^cl. Bd. X (1996), S. 339. 67 Die Venedig-Kommission wurde vom Europarat 1990 gegründet, um neue Demokratien Osteuropas beim Rechtsstaatsaufbau zu unterstützen, dazu unter . 68 Ausführlich dazu ;_^bcYcdgY_^^_V b_SVjQ^YV. BcV^_TaQ]]l, =QcVaYQ\l, 5_[d]V^cl. B`aQS_h^lZ c_] (1996), S. 81 ff.; Siehe auch Dokumente der Venedig-Kommission: CDL (1993)015e-restr vom 15. 03. 1993; CDL(1993)021e-restr vom 23. 03. 1993; CDL(1994)011erestr vom 24. 03. 1994, zugänglich unter . 69 Vgl. Venedig-Kommission, Opinion CDL(1994)011e-restr vom 24. 03. 1994, Charter 7, § 4.

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung

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Ein Vergleich der konstitutionellen Garantien,70 die sich auf das Zivilverfahren beziehen, mit Art. 6 Abs. 1 EMRK zeigt, dass jene detaillierter sind und höhere Standards setzen.71 Allerdings gewährt die russische Verfassung kein Grundrecht auf Abschluss eines Gerichtsverfahrens innerhalb angemessener Frist. Dies kann dadurch erklärt werden, dass ein zügiges Gerichtsverfahren in der russischen Rechtswissenschaft traditionell nicht als ein Menschenrecht, sondern als eine Angelegenheit der Gerichtsorganisation verstanden wurde.72 Doch ergibt sich ein solches Grundrecht mittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 1 Abs. 1 Verf. RF), wonach die Menschenrechte als höchstes Gut gelten (Art. 2 Verf. RF), und ist darüber hinaus in Art. 8 der AEMR der UNO verbürgt, der für den Fall der Verletzung dieser Rechte einen effektiven Rechtsschutz vor den zuständigen nationalen Gerichten anerkennt. Das Wichtigste ist allerdings, dass die neue russische Verfassung internationalen Standards entspricht. Die Venedig-Kommission hat etwa folgende Beurteilung abgegeben: „[T]he Russian Constitution, adopted by popular referendum on 12 December 1993, does not give rise to any serious question as to conformity with principles of democratic States, governed by the rule of law, and respect for human rights“.73 2. Einfluss der EMRK auf die GUS-Menschenrechtskonvention 1995 Einige Mitgliedstaaten74 der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) unterzeichneten am 26. 05. 1995 in Minsk (Weißrussland) eine Konvention75 über Menschenrechte und Grundfreiheiten, die am 11. 08. 1998 für die Russische Föderation,76 Tadschikistan und Weißrussland, am 21. 08. 2003 für Kirgisien in Kraft trat.77 Wie die EMRK verbürgt sie in Art. 6 Abs. 1 das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren: 70

Vgl. Anhang II. ;_S\Va, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2004, Nr. 1, S. 151. 72 4adUgl^Q, 8Q[_^_UQcV\mbcS_ Y n[_^_]Y[Q 2005, Nr. 2, S. 58 ff., zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 73 Venedig-Kommission, Opinion CDL(1994)011e-restr vom 24. 03. 1994, General Remarks. 74 Insgesamt 7 Staaten: Armenien, Georgien (ausgetreten aus der GUS am 18. 08. 2009), Kirgisien, Moldawien, Russische Föderation, Tadschikistan, Weißrussland, Angaben nach RIS „Garant“. 75 SZ RF 1999, Nr. 13, Pos. 1489, engl. Übersetzung in: HRLJ 1996, S. 159 ff. 76 Ratifiziert von Russland durch Bundesgesetz vom 04. 11. 1995 (Nr. 163-E8), SZ RF 1995, Nr. 45, Pos. 4239. 77 Zit. nach RIS „Garant“. Ihren bescheidenen Erfolg hat die GUS-Menschenrechtskonvention u. a. dem Europarat zu verdanken. Die Parl. Versammlung des Europarates hat nämlich die Mitglieder des Europarates sowie Bewerber für die Mitgliedschaft, die auch Mitglieder der GUS sind, dazu aufgefordert, die GUS-Menschenrechtskonvention nicht zu unterzeichnen oder zu ratifizieren, da sie insgesamt einen weniger weit reichenden Schutz als die EMRK biete: Resolution 1249(2001) vom 23. 05. 2001 „Coexistence of the Convention on Human Rights and Fundamental Freedoms of the Commonwealth of Independent States and the European Convention on Human Rights“, Z. 6 (i). 71

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick „Alle Personen sind vor Gericht gleich. Jedermann hat bei der Verhandlung einer jeglichen Sache ein Recht auf eine gerechte und öffentliche Verhandlung innerhalb einer angemessenen Frist durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, allerdings kann das Gerichtsverfahren ganz oder teilweise nichtöffentlich sein in Angelegenheiten der öffentlichen Ordnung, zum Schutz von Staatsgeheimnissen oder wenn die Interessen Minderjähriger oder der Schutz des Privatlebens von Prozessparteien dies verlangt“.

Eine Analyse dieses Artikels und ein Vergleich mit der EMRK zeigen, dass er nahezu wörtlich mit Art. 6 Abs. 1 EMRK übereinstimmt. Es gibt aber einige Ausnahmen: Der Anwendungsbereich der prozessualen Garantien erstreckt sich auf jegliches Gerichtsverfahren, und es wird zusätzlich die Gleichheit aller Personen vor Gericht garantiert. Auf der anderen Seite wird das Recht auf den gesetzlichen Richter dort nicht verbürgt, und der Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz von Staatsgeheimnissen wird von Experten des Europarates als zu breit im Vergleich mit der EMRK eingestuft.78 Während die beiden erstgenannten Abweichungen den Menschenrechtsschutz erweitern und daher zu begrüßen sind, erschweren dies die beiden letztgenannten und sind daher als der Logik des Schutzes der Menschenrechte im Völkerrecht widersprechend anzusehen.79 Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat daraufhin hingewiesen, dass die Menschenrechtskonvention der GUS die Anwendung der EMRK nicht sperren darf.80 Allerdings erscheint diese Besorgnis unbegründet, da Art. 33 der GUS-Konvention eine Kollision mit dem autonomen Recht und anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach dem Günstigkeitsprinzip löst. Ein Einfluss der EMRK auf die GUS-Konvention kann auch darin gesehen werden, dass die GUS-Länder einen völkerrechtlichen Kontrollmechanismus zur Sicherung der GUS-Konvention schaffen wollten. Ein Bestandteil dieser Konvention ist die Ordnung über die Menschenrechtskommission der GUS, bestätigt durch die Entscheidung des Rates der GUS-Staatsoberhäupter vom 24. 09. 1993. Sie sieht die Einrichtung einer solchen Kommission vor. Nach Art. 1 Abs. 3 der Ordnung obliegt dieser Kommission die Aufsicht über die Einhaltung der Konventionspflichten durch die Konventionsstaaten sowie die Entscheidung über individuelle oder kollektive Beschwerden beliebiger Personen oder NGOs, welche die Verletzung der Menschenrechte der Beschwerdeführer betreffen. Allerdings gilt die Kommission gemäß Art. 33 Satzung der GUS vom 22. 01. 1993 als beratendes Organ der Gemeinschaft, deren Entscheidungen nicht verbindlich sind, und nach zugänglichen Informationen 78 Venedig-Kommission, Opinion CDL(1998)017e-restr vom 26. 02. 1998 „On the legal problems arising from the coexistence of the Convention on Human Rights and Fundamental Freedoms of the Commonwealth of Independent States and the European Convention on Human Rights“, ; Frowein, HRLJ 1996, S. 183, Z. 2.3. 79 Vgl. Cançado Trindade, HRLJ 1996, S. 165, Z. 5 ff. 80 Opinion 193(1996) vom 25. 01. 1996 „On Russia’s request for membership of the Council of Europe“, Z. 10 (xvi), HRLJ 1996, S. 185 ff.

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung

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wurde sie bis heute nicht eingerichtet.81 Das Hauptproblem der GUS-Konvention von 1995 ist somit das Fehlen eines effektiven Kontrollmechanismus. Um die Verwirklichung der in der GUS-Menschenrechtskonvention verbürgten Menschenrechte sicherzustellen, wird in der Literatur die Schaffung eines Gerichtshofes für Menschenrechte der GUS nach dem Vorbild des EGMR vorgeschlagen.82 Der Vorschlag wurde allerdings nicht realisiert. Angesichts dessen, dass die Regierungen der GUSStaaten, die gleichzeitig Mitglieder des Europarates sind, genug Probleme mit dem EGMR haben, dürfte die Schaffung eines solchen Gerichtshofes im Rahmen der GUS mittelfristig eher unwahrscheinlich sein. II. Nach der Unterzeichnung der EMRK Nach der Unterzeichnung der EMRK im Jahre 1996 begann ein Prozess der zielgerichteten Anpassung der russischen Gesetzgebung und Justiz an die Normen der EMRK. 1. Harmonisierung des Rechts Bei dem Beitritt Russlands zum Europarat war es beiden Seiten bewusst, dass die russische Rechtsordnung noch nicht allen Anforderungen der EMRK entspricht.83 Dies war eigentlich schon vor dem Beitritt klar.84 Deswegen forderte der Europarat 81

Vgl. etwa EGMR (GK), Ent. vom 02. 06. 2004 (o.N.) „On the competence of the Court to give an advisory opinion“, Z. 11 (zugänglich in der HUDOC-Datenbank des EGMR unter „Advisory Opinions“). 82 ;\VQ^Ua_S, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1998, Nr. 2, S. 34. 83 „Russische Gesetzgebung, ausgenommen Verfassung RF, und Rechtsanwendungpraxis entsprechen den Anforderungen der EMRK nicht in vollem Maße“: Außenministerium RF, Stellungnahme zur Ratifizierung der EMRK vom 30. 01. 1996, zit. nach 2da[_S (Hrsg.), @aY]V^V^YV 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 157 f.; „Russia does not yet meet all Council of Europe standards. But integration is better than isolation; cooperation is better than confrontation“: Europarat, Parl. Versammlung, Report (Rapporteur: Muehlemann) vom 02. 01. 1996 (Doc. 7443) „Russia’s request for membership of the Council of Europe“, Z. VI (xii), HRLJ 1996, S. 187 ff.; vgl. auch Europarat, Parl. Versammlung, Opinion (Rapporteur: Bindig) vom 18. 01. 1996 (Doc. 7463) „Russia’s application for membership of the Council of Europe“, HRLJ 1996, S. 218 ff. Auf einen bedauerlichen Fehler in der Opinion weist zu Recht hin Danilenko, in: Yee/Tieya (Hrsg.), GS Haopei, S. 186 Fn. 21 m.w.N.: „The eminent experts of the Council of Europe (…) apparently had no idea about Russia’s system of judicial review. This follows from their statement that ,a complaint against administrative abuse cannot even be brought to court, since the prosecutor’s office is the competent state organ‘ [Opinion, Z. 8, HRLJ 1996, S. 219]. This assertion is simply wrong“. 84 Europarat, Parl. Versammlung, Report AS/Bur/Russia(1994)7 vom 28. 09. 1994 „The Conformity of the Legal Order of the Russian Federation with Council of Europe Standards“ (prepared by Bernhardt/Trechsel/Weitzel/Ermacora), Z. VI, 13, HRLJ 1994, S. 287: „In sum, the experts have, after careful consideration of the evidence submitted to them and the findings during their mission, come to the conclusion that the legal order of the Russian Federation does not, at the present moment, meet the Council of Europe standards as enshrined in the Statute of the Council and developed by the organs of the European Convention on Human Rights“.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

mit der Unterzeichnung der EMRK die russische Seite auf, die Justizreform fortzusetzen und das gesamte nationale Recht in Einklang mit den Standards des Europarates zu bringen.85 In Russland wurde gefordert, diese Anpassung nicht durch ein mechanisches Kopieren europäischer Normen zu erledigen, sondern diese Regelungen und Vorgaben organisch und stufenweise in das russische Rechtssystem zu integrieren, ohne dessen kulturelle und historische Besonderheiten außer Acht zu lassen.86 Unmittelbar nach der Unterzeichnung der Konvention im Februar 1996 wurde mit der Umsetzung eines gemeinsamen Programms der Europäischen Union und des Europarates begonnen, um den Reformprozess zu unterstützen.87 Im April 1996 beauftragte der Präsident der Russischen Föderation eine zwischenbehördliche Kommission mit der Aufgabe, einen Plan vorrangiger Gesetzesentwürfe zur Anpassung der autonomen Gesetzgebung an die Vorgaben der EMRK zu entwerfen.88 Der Europarat seinerseits beauftragte eine Gruppe unabhängiger russischer Experten (unter Leitung des Akademikers Boris Topornin) aus dem Institut für Staat und Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften und Institut für Europarecht der Moskauer Staatlichen Universität für Internationale Beziehungen mit einer Studie „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“ 1997, die im Oktober 1998 vorgelegt wurde.89 Auf deren Grundlage hat der Präsident RF am 29. 03. 1998 einen Plan zur Harmonisierung des russischen Rechts mit den Vorgaben der EMRK verabschiedet.90 2. Rechtsprechung Gleich nachdem die EMRK unterzeichnet wurde, hat das VerfG RF angefangen, sie zur Begründung seiner Entscheidungen heranzuziehen.91 Das ist ein interessantes Phänomen der Anwendung eines internationalen Vertrages, der noch gar nicht

85 Vgl. Europarat, Parl. Versammlung, Opinion 193(1996) vom 25. 01. 1996 „On Russia’s request for membership of the Council of Europe“, Z. 10 (xx). 86 CYf_]Ya_S, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1996, Nr. 2, S. 162. 87 „Joint Program between the Commission of the European Community and the Council of Europe for Strengthening of the Federal Structure Introduction of human rights protection mechanisms and legal system reform in the Russian Federation“ vom 23. 11. 1995, vgl. unter . 88 Vgl. Präsident RF, Verfügung vom 13. 04. 1996 (Nr. 188-a`), Z. 3, SZ RF 1996, Nr. 16, Pos. 1848. 89 Europarat, Dokument H(98)7 (192 Seiten), . 90 2VaVbc^VS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 1, S. 14; Der Plan ist teilweise veröffentlicht in: 4\_c_S, A_bbYp Y B_SVc 6Sa_`l, S. 70. 91 Vgl. z. B. VerfG RF, Urt. vom 04. 04. 1996 (Nr. 9-@), Z. 3 Abs. 1, SZ RF 1996, Nr. 16, Pos. 1909.

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung

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verbindlich war.92 Allerdings begnügte sich das VerfG RF mit der Wiedergabe der EMRK-Normen. Dem Richter am VerfG RF Oleg Tiunov zufolge, tat das Verfassungsgericht dies, um die Begründung der Entscheidung zu bereichern.93 3. Einführung des Amtes eines Vertreters der Russischen Föderation beim EGMR Durch Erlass des Präsidenten vom 29. 03. 1998 (Nr. 310)94 wurde das Amt eines Vertreters (Bevollmächtigten) der Russischen Föderation beim EGMR eingeführt, das der Administration des Präsidenten RF unterstellt wurde (Z. 3 des Erlasses). Seit Beginn der Mitgliedschaft Russlands im Europarat hatte Pavel Laptev diese Position inne. Im März 2007 wurde die Stelle neu besetzt. Pavel Laptev wurde von Veronika Milincˇuk abgelöst.95 Gleichzeitig wurde diese Position offiziell – der europäischen Praxis entsprechend – aus dem Kompetenzbereich der Präsidialadministration herausgelöst und an das Justizministerium RF verlagert.96 Im August 2008 wurde Georgij Matûsˇkin zum Bevollmächtigten der RF bei dem EGMR ernannt.97 III. Nach der Ratifikation der EMRK 1. Harmonisierung des Rechts Nach der Ratifikation der EMRK wurde die Arbeit an der Anpassung der Gesetzgebung fortgesetzt.98 Am 20. 03. 2001 wurde ein spezielles Bundesgesetz99 RF (Nr. 26-E8) „Über Änderungen einiger Gesetze im Zusammenhang mit der Ratifi92

Dasselbe wurde allerdings auch in einigen anderen Konventionsstaaten praktiziert, vgl. Keller, ZaöRV 2005, 313. 93 Zit. nach 2da[_S, in: 2da[_S (Hrsg.), @aY]V^V^YV 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 32 m.w.N. 94 SZ RF 1998, Nr. 14, Pos. 1540. 95 Präsident RF, Erlass vom 20. 03. 2007 (Nr. 371), SZ RF 2007, Nr. 13, Pos. 1556. Der personelle Wechsel wurde in den Medien mit den vielen „Niederlagen“ Russlands vor dem EGMR in den vergangenen Jahren erklärt, Nußberger/Marenkov, Russlandanalysen vom 29. 06. 2007 (Nr. 140), S. 4 f. 96 Präsident RF, Erlass vom 20. 03. 2007 (Nr. 370), SZ RF 2007, Nr. 13, Pos. 1530. Vgl. „[T]he presidential administration appeared to be exhausted by the burden of losing case after case in Strasbourg, and the Kremlin decided to transfer this responsibility to the Justice Ministry“, Trochev, Demokratizatsiya 2009, S. 151. 97 Präsident RF, Erlass vom 05. 08. 2008 (Nr. 1179), SZ RF 2008, Nr. 32, Pos. 3776. 98 Im Konzept der Außenpolitik Russlands, bestätigt vom Präsidenten RF am 28. 06. 2000, Z. III, 4 (Menschenrechte und internationale Beziehungen), A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 11. 07. 2000 (Nr. 133), wurde die Harmonisierung der innerstaatlichen Gesetzgebung mit völkerrechtlichen Verpflichtungen als staatliche Aufgabe proklamiert, engl. Übersetzung: . Konzept der Außenpolitik Russlands in der geltenden Fassung: A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 12. 07. 2008 (Nr. 3524). 99 SZ RF 2001, Nr. 13, Pos. 1140.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

kation der EMRK“ erlassen (ZPO und WirtPO waren davon nicht betroffen), das am 23. 03. 2001 in Kraft getreten ist. Auch beim Zustandekommen anderer Gesetze orientierte sich der Gesetzgeber an den Vorgaben der EMRK.100 Es wurde immer häufiger davon Gebrauch gemacht, von der Staatsduma in erster Lesung angenommene Gesetzesvorhaben durch Sachverständige des Europarates begutachten zu lassen.101 In der Regel reicht der Präsident RF der Staatsduma nach Erhalt eines solchen Gutachtens seine Anregungen und Verbesserungsvorschläge ein, die die Ansicht der Sachverständigen des Europarates berücksichtigen.102 Ein reguläres Verfahren zur Prüfung von Gesetzentwürfen mit Vorgaben der EMRK fehlt allerdings im russischen Parlament bislang.103 Im Jahre 2002 wurde in Russland in enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission (TACIS-Programm) sowie dem Europarat unter Beratung unabhängiger Experten eine Zivilprozessreform durchgeführt,104 deren Ziel zu einem wichtigen Teil die Anpassung des Verfahrensrechts an die Standards der EMRK war.105 Es wurden eine neue Wirtschaftsprozessordnung (WirtPO), eine neue Zivilprozessordnung (ZPO) sowie weitere Gesetze im Bereich des Prozessrechts und der Gerichtsverfassung verabschiedet und in Kraft gesetzt, die unter Berücksichtigung der EMRK, der Rechtsprechung des EGMR und auch der Empfehlungen des Europarates verfasst wurden.106 Nach Einschätzung von Sachverständigen des Europarates sollen die beiden neuen russischen Prozessordnungen (ZPO und WirtPO) den Vorgaben der EMRK für ein faires Gerichtsverfahren im Großen und Ganzen entspre-

100

4_ai[_SQ, BcQ^UQacl B_SVcQ 6Sa_`l `_ `aQSQ] hV\_SV[Q Y a_bbYZb[_V XQ[_^_UQcV\mbcS_, S. 63. Zu Problemen bei der Konformitätskontrolle von Gesetzesentwürfen der Staatsduma RF mit den Standards des Europarates: 9S\YVS, ?gV^[Q XQ[_^_`a_V[c_S b dhVc_] aViV^YZ B_SVcQ 6Sa_`l Y 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, . 101 Vgl. z. B. Venedig-Kommission, Opinion vom 12. 10. 2004 (Begutachtung des Gesetzesentwurfes zur Reform des VerfG RF): . 102 2VaVbc^VS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 1, S. 15. 103 Vgl. Europarat, Parl. Versammlung, Report AS/Jur(2010)36 (Rapporteur: Pourgourides) vom 09. 11. 2010 „Implementation of judgments of the European Court of Human Rights“, Z. 208. 104 Reitemeier, Osteuropa-Recht 2003, 122. 105 Vgl. Begründung (poâsnitel’naâ zapiska) zum Entwurf einer ZPO RF, in die Staatsduma eingebracht vom OG RF, Plenumsbeschl. vom 25. 12. 2000 (Nr. 37), Z. 2; Begründung zum Entwurf einer WirtPO RF, in die Staatsduma eingebracht vom OWG RF, Plenumsbeschl. vom 31. 07. 2000 (Nr. 6), Z. 2; beide zit. nach RIS „Garant“. 106 þViQcQVSQ, =VWUd^Qa_U^lZ TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb, S. 55; Die Anpassung des Zivilprozessrechts an die Anforderungen der EMRK wurde auch von der Interparlamentarischen Versammlung der GUS-Staaten (Sitz: Sankt Petersburg) bei der Vorbereitung eines Modellgesetzbuchs für Zivilverfahren als Ziel gesetzt, dazu Lapin, in: Boguslawskij/Trunk (Hrsg.), Reform des Zivil- und Wirtschaftsprozessrechts in den Mitgliedstaaten der GUS, S. 37.

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung

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chen107 (zum konkreten Einfluss der Rechtsprechung des EGMR auf das russische Zivilprozessrecht, vgl. Kap. 5 f.). 2. Rechtsprechung Seit dem Inkrafttreten der EMRK im Mai 1998 begannen die russischen Gerichte immer häufiger, die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR auf konkrete Einzelfälle anzuwenden (dazu Kap. 3, S. 113 ff.).108 Bezugnahmen auf Urteile des EGMR finden sich in der Rechtsprechung russischer Gerichte seit Ende 1999 (in der Rechtsprechung des VerfG RF seit 2000)109, ohne dass ein spezifischer Grund ersichtlich wäre, warum erst in diesem Jahr mit der Bezugnahme auf den EGMR begonnen wurde.110 3. Organisatorische Maßnahmen Das Gesetz RF über die Ratifizierung der EMRK vom 30. 03. 1998 (Nr. 54-E8) sieht vor, dass der russische Bundeshaushalt ab dem Haushaltsjahr 1998 ein erhöhtes Budget für die Entwicklung des Gerichtssystems und der Rechtspflegeorgane bereitstellt, um so die Rechtsanwendungspraxis in volle Übereinstimmung mit den sich aus dem Beitritt zur EMRK ergebenden Verpflichtungen der Russischen Föderation zu bringen (Art. 2). Am 20. 11. 2001 verabschiedete die russische Regierung ein Programm zur Entwicklung des Gerichtssystems Russlands in Jahren 2002 – 2006,111 das im Auftrage des Präsidenten RF vom OWG RF vorbereitet worden war.112 In Übereinstimmung mit dem Programm wurde die Finanzierung des Gerichtssystems im Jahre 2004 auf 28,2 Mrd. Rubel (etwa 800 Mio. Euro) erhöht.113 Sie betrug 2004 das Achtfache von 1998. Dies hat es u. a. ermöglicht, etwa 8.000 neue Richter einzustellen sowie die technische Ausstattung der Gerichte zu verbessern.114 Am 21. 09. 107 @aYf_Um[_, 5_bcd`^_bcm `aQS_bdUYp S QaRYcaQW^_] Y TaQWUQ^b[_] `a_gVbbV, S. 10; ein Gutachten von Experten des Europarates zur ZPO RF ist veröffentlicht in: 7dZ[_S/ @dhY^b[YZ/CaVdi^Y[_S (Hrsg.), @dcm [ XQ[_^d (Ybf_U^lV U_[d]V^cl, `_pb^YcV\m^lV XQ`Yb[Y, ]QcVaYQ\l [_^eVaV^gYZ, SQaYQ^cl `a_V[cQ 4@;, ^_SlZ 4@; AE), Moskau 2004, S. 593 ff. 108 Eine Übersicht der Rechtsprechung des VerfG RF in Bezug auf die EMRK (bis Frühjahr 2004) liefert Rückert, Das Völkerrecht in der Rechtsprechung des Russischen Verfassungsgerichts, S. 279 ff.; siehe auch Arnold/Gerasimtchuk (Hrsg.), Die EMRK in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation (2003), sowie Urteile russischer Gerichte zur EMRK unter (VerfG RF); . 109 VerfG RF, Urt. vom 16. 05. 2000 (Nr. 8-@), Z. 5 Abs. 5, SZ RF 2000, Nr. 21, Pos. 2258. 110 Rückert, Das Völkerrecht in der Rechtsprechung des Russischen Verfassungsgerichts, S. 285 Fn. 1234. 111 SZ RF 2001, Nr. 49, Pos. 4623. 112 Jakovlev, JOR 2002, Hbd. 1, S. 58. 113 4dbVS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2005, Nr. 1/2, S. 23. 114 Ebenda, S. 24.

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Kap. 1: Geschichtlicher Überblick

2006 verabschiedete die Regierung der RF ein weiteres Programm zur Entwicklung des Gerichtssystems Russlands in den Jahren 2007 – 2011,115 das die Finanzierung verschiedener Maßnahmen zur Erhöhung der Effizienz der Justiz vorsieht. Die Entwicklung des Gerichtssystems verfolgt unter anderem das Ziel, die russische Justiz in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu bringen (vgl. Z. I Abs. 8 des letzteren Programms). IV. Umsetzung der Urteile des EGMR, Zusammenarbeit mit dem Europarat Das erste Urteil des EGMR gegen Russland erging am 07. 05. 2002 (Fall Burdov). Dies hat das Verfahren eingeleitet, die Verpflichtungen aus den Urteilen umzusetzen (dazu Kap. 7). Wie in der Einführung erwähnt, ergingen bis Ende 2011 gegen Russland über Eintausend Urteile, in denen eine oder mehrere Verletzungen der EMRK festgestellt worden sind. Das Umsetzungsverfahren verläuft nicht immer reibungslos.116 Russland ist auf der „schwarzen“ Liste des Europarates gelandet, in der Staaten angeführt sind, die unakzeptabel lange Verzögerungen in der Umsetzung der Urteile des EGMR aufweisen (zusammen mit vielen anderen Staaten).117 Das liegt zum einen an den schwerwiegenden Problemen, die Russland beim Aufbau des Rechtsstaates zu bewältigen hat, zum anderen in dem Wunsch der politischen Führung, nach innen wie außen ihre Entscheidungs- und Handlungsfreiheit zu bewahren, wobei jegliche Harmonisierung unter Berücksichtigung der Unabhängigkeit russischer Gesetzgebungsverfahren und des Rechtssystems sowie unter Wahrung eigener Normen und Standards zu erfolgen habe.118 Als Ausdruck des politischen Widerstandes ist die Weigerung der Ratifizierung des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK „Über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention“ durch die russische Staatsduma am 20. 12. 2006 zu verstehen, die die Reform des EGMR blockiert 115

SZ RF 2006, Nr. 41, Pos. 4248. Einen guten Überblick über die Zusammenarbeit zwischen der RF und dem Europarat hinsichtlich der Umsetzung der Urteile des EGMR liefert 4_\dR_[, 3XQY]_UVZbcSYV A_bbYZb[_Z 116

EVUVaQgYY b ;_]YcVc_] ]Y^Ybca_S B_SVcQ 6Sa_`l `_ S_`a_bd Yb`_\^V^Yp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, . Vgl. auch Trochev, Demokratizatsiya 2009, S. 151 ff. 117 Europarat, Parl. Versammlung, Bericht AS/Jur(2010)36 (Rapporteur: Pourgourides) vom 09. 11. 2010 „Implementation of judgments of the European Court of Human Rights“; vgl. auch Parl. Versammlung, Bericht (Rapporteur: Jurgens) vom 18. 09. 2006 (Doc. 11020) „Implementation of judgments of the European Court of Human Rights“; Parl. Versammlung, Entschließung 1516(2006) vom 02. 10. 2006 betreffend die Umsetzung der Urteile des EGMR, Z. 5, BT-Drucks. 16/3941, S. 8. 118 Spanger, IPG 2007, Nr. 2, S. 93 f. m.w.N. „Die Administration Russlands erkennt jedoch den damit verbundenen [Mitgliedschaft Russlands im Europarat] teilweisen Souveränitätsverlust und die Notwendigkeit einer Umorientierung des Rechtssystems, wenn überhaupt, nur bedingt an“, so Umland, Osteuropa-Recht 2002, 23; „Russian officials have chosen to value their sovereignty over their pledge to observe key European human rights norms“, so Jordan, Demokratizatsiya 2003, S. 293.

§ 3 Einfluss der EMRK auf die russische Rechtsordnung

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hat.119 Am 15. 01. 2010 stimmte die Staatsduma mit 392 von 450 Stimmen der Ratifizierung jedoch zu.120 Damit trat das 14. Zusatzprotokoll nach dessen Artikel 19 am 1. Juni 2010 in Kraft.121 Es laufen auch gemeinsame Programme der Europäischen Union und des Europarates für die Unterstützung der Rechtsreformen in der Russischen Föderation weiter.122 In Zusammenarbeit mit dem Europarat und russischen Behörden haben z. B. Vertreter der Richterschaft aus allen Subjekten der Russischen Föderation den EGMR besucht und an seinen Verhandlungen teilgenommen.123 Dies soll den EGMR den Richtern näher bringen und sie anregen, in ihrer täglichen Arbeit mehr Verständnis für die EMRK zu zeigen.

119 Für das In-Kraft-Treten des 14. ZP zur EMRK war die Ratifikation durch sämtliche Konventionsstaaten erforderlich (Art. 19). Als einziger der Europaratsstaaten fehlte Russland. Bei der Abstimmung stimmten lediglich 27 von 450 Duma-Abgeordneten (vgl. Art. 95 Abs. 3 Verf. RF) für die Ratifizierung, 130 stimmten dagegen (der Rest hat sich der Abstimmung entzogen). Argumentiert wurde vor allem, die Reform sei nur Stückwerk und die Qualität der Rechtsprechung würde verschlechtert, könnten Einzelrichter abschließende Entscheidungen treffen. Kommentatoren aus dem In- und Ausland werten das Ergebnis der Abstimmung dagegen als Ausdruck einer allgemein „anti-westlichen“ Stimmung; man wolle nicht ein Kontrollinstrument stärken, das Russland an den internationalen Pranger stelle, Nußberger/Marenkov, Russlandanalysen vom 29. 06. 2007 (Nr. 140), S. 3. 120 Vgl. Ratifikationsgesetz vom 04. 02. 2010 (Nr. 5-E8), SZ RF 2010, Nr. 6, Pos. 567. Das Gesetz ist am 08. 02. 2010 in Kraft getreten. Ausführlich dazu Bowring, The Russian Federation, Protocol No. 14 (and 14bis), and the Battle for the Soul of the ECHR, Goettingen Journal of International Law 2010, 605 ff. 121 . 122 Vgl. unter . Vgl. auch Saari, East European Human Rights Review 2007, Nr. 1, S. 25 ff. 123 4dbVS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2005, Nr. 1/2, S. 26.

Kapitel 2

Russische Justiz im Lichte der EMRK Die russische Justiz ist in Deutschland wenig bekannt1 und von so großer Wichtigkeit für die vorliegende Untersuchung, dass ihre kurze Darstellung unabdingbar erscheint. Dabei werden das Gerichtssystem, die Zwangsvollstreckungsorgane sowie die Rechtswege vorgestellt.

§ 1 Gerichtssystem Unter dem Gerichtssystem versteht man die Gesamtheit der staatlichen Gerichte, die die Rechtsprechung als staatliche Funktion wahrnehmen. Keine anderen staatlichen Behörden bzw. nichtstaatlichen Einrichtungen können Recht sprechen. Schiedsgerichte stehen außerhalb des Gerichtssystems. Insgesamt gibt es in Russland über 2.600 Gerichte2 und 34.390 Richter.3 Die Verf. RF 1993 unterscheidet in Art. 118 Abs. 2 zwischen Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit. Nach der Verfassung besteht grundsätzlich eine Zweiteilung zwischen den so genannten Gerichten der allgemeinen Gerichtsbarkeit (Art. 126), die man mit den deutschen ordentlichen Gerichten vergleichen kann, und den Wirtschaftsgerichten, die wirtschaftliche Streitigkeiten zu entscheiden haben (Art. 127). Beide Gerichtszweige bestehen parallel zueinander mit jeweils einem eigenen Instanzenzug und einem eigenen Gericht höchster Instanz. Daneben gibt es ein VerfG RF (Art. 125). Gemäß Art. 118 Abs. 3 Verf. RF wird das Gerichtssystem durch ein Bundesverfassungsgesetz festgelegt. Das Bundesverfassungsgesetz4 RF (Nr. 1-E;8) „Über das Gerichtssystem“ (GVG RF) wurde am 31. 12. 1996 verabschiedet und gilt seit 06. 01. 1997 (mit Änderungen). Nach dem GVG RF werden Gerichte der Russischen Föderation in föderale Gerichte und Gerichte der 1 Zu den wenigen Aufsätzen gehören: Steininger, Der Gerichtsaufbau der Russischen Föderation unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschafts- und Schiedsgerichtsbarkeit, Osteuropa-Recht 1997, 281 ff.; Gemmel/Maier, Das russische Gerichtssystem aus der Wirtschaftsperspektive, RIW 2009, S. 208 ff. Ausführlich zum Gerichtssystem Russlands: Burnham/Maggs/Danilenko, Law and Legal System of the Russian Federation, S. 51 ff. Vgl. auch Nußberger (Hrsg.), Einführung in das russische Recht, S. 66 ff., 285 ff. 2 Trochev, Demokratizatsiya 2009, S. 155. 3 Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ), Bericht „European judicial systems. Edition 2010 (2008 data)“, S. 117. 4 SZ RF 1997, Nr. 1, Pos. 1; dt. Übersetzung in: JOR 2002, Hbd. 1, S. 361 ff.

§ 1 Gerichtssystem

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Föderationssubjekte unterteilt. Gemäß Art. 4 Abs. 4 GVG RF zählen zu den Gerichten der Subjekte der RF: – Verfassungsgerichte (Statutengerichte) der Subjekte der RF, – Friedensrichter. Gemäß Art. 4 Abs. 3 GVG RF gehören zu den föderalen Gerichten: – Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit, – Wirtschaftsgerichte, – Disziplinäre Gerichtsbehörde (Disciplinarnoe sudebnoe prisutstvie), – Verfassungsgericht der RF. Das Gesetz lässt die Gründung von Fachgerichten in der Russischen Föderation grundsätzlich zu (Art. 26 GVG RF).5 I. Gerichte der Föderationssubjekte Die Russische Föderation besteht zurzeit aus 83 gleichberechtigten Gliedern (Art. 5 Abs. 1, 4 Verf. RF), so genannten Föderationssubjekten (eine Art Bundesländer, allerdings mit unterschiedlicher Organisationsform), die verschiedene Bezeichnungen haben.6 Gemäß Art. 71 Verf. RF gehört die Gerichtsverfassung zur ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes. Die Notwendigkeit der Existenz von Gerichten der Subjekte der Russischen Föderation wird mit ihrer Volksnähe, dem Grundsatz der Teilung der Staatsgewalt (Art. 10 Verf. RF) und dem föderativen Staatsaufbau Russlands (Art. 5 Verf. RF) begründet. Darüber hinaus sollen Föderationssubjekte, genauso wie die Föderation an sich, Organe der Legislative, Exekutive und Judikative haben.7 Jedoch bilden alle Gerichte Russlands ein einheitliches System (Art. 3 GVG RF), deswegen sind die Gerichte der Subjekte der RF keineswegs selbständig.8 Alle Richter in Russland haben den gleichen Status (Art. 12 GVG RF) und genießen die gleichen Garantien ihrer Unabhängigkeit, die durch die Bundesgesetzgebung vorgesehen sind. 5 Zum 1. Februar 2013 soll ein Fachgericht für Rechte an geistigem Eigentum (Sud po intelektual’nym pravam) im System der Wirtschaftsgerichte gegründet werden, vgl. Bundesverfassungsgesetz vom 06. 12. 2011 (Nr. 4-E;8), SZ RF 2011, Nr. 50 Pos. 7334. 6 21 Republiken, 46 Gebiete (oblast’), 9 Regionen (kraj), 4 autonome Kreise (avtonomnyj okrug), 1 autonomes Gebiet (das sog. Jüdische autonome Gebiet), sowie zwei Städte von föderaler Bedeutung (Moskau und Sankt Petersburg). Nach der Verf. RF 1993 bestand die Russische Föderation ursprünglich aus 89 Subjekten, zur besseren Wirtschaftsentwicklung wurde der Territorialaufbau geändert, vgl. Art. 65 Verf. RF (n.F.). 7 7dZ[_S, in: 6eY]_S/@Yb[QaVS (Hrsg.), =Ya_S_Z bdUmp S TaQWUQ^b[_] bdU_`a_YXS_UbcSV, Einl.; 5_a_i[_S, =Ya_S_Z bdUmp. 9bc_aYhVb[YV, _aTQ^YXQgY_^^lV Y `a_gVbbdQ\m^lV Qb`V[cl UVpcV\m^_bcY, Kap. 1, § 4. 8 VerfG RF, Beschl. vom 06. 12. 2001 (Nr. 249-?), Z. 3.5 Abs. 5, SZ RF 2002, Nr. 4, Pos. 374.

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

1. Verfassungsgerichte (Statutengerichte) Gemäß Art. 67 Verf. RF haben Republiken ihre eigenen Verfassungen und alle anderen Subjekte der Russischen Föderation ihre eigenen Statuten. Die Subjekte können (müssen aber nicht) Verfassungsgerichte bzw. Statutengerichte (fortan: Verfassungsgerichte) einrichten (Art. 27 Abs. 1 GVG RF).9 Anfang 2012 waren Verfassungsgerichte in 17 Subjekten gegründet und tätig,10 und in vielen anderen Subjekten wurden Rechtsakte verabschiedet, die ihre Gründung vorsehen.11 Die Tatsache, dass die Gründung der Verfassungsgerichte nur langsam voranschreitet, wird mit Folgendem erklärt: Die Legislative und Exekutive der Subjekte haben oft Abneigungen gegenüber einer eigenen Verfassungsjustiz, da sie eine Veränderung des Kräftegleichgewichts im Subjekt befürchten. Der Bund ist in dieser Frage passiv, er hat alles den Subjekten überlassen. Auch finanzielle Gründe und der Mangel an hochqualifizierten Juristen, die als Verfassungsrichter tätig werden könnten, bremsen die Entwicklung.12 Im GVG RF sind nur die Grundlagen der Verfassungsgerichtsbarkeit der Subjekte festgelegt. Die Finanzierung der Verfassungsgerichte erfolgt aus dem Haushalt der betreffenden Subjekte, sie legen auch selbständig organisationsrechtliche Formen der Verfassungsgerichtsbarkeit (z. B. Ernennung und Entlassung der Richter,13 Verfahrensregeln vor dem Verfassungsgericht14) fest, vgl. Art. 27 Abs. 2, 3 GVG RF. Gemäß Art. 27 Abs. 1 GVG RF sind Verfassungsgerichte der Subjekte für die Überprüfung der Übereinstimmung der Normsetzung in dem Subjekt mit der eigenen Verfassung und für deren Auslegung zuständig. Subjekte sind befugt, Verfassungsgerichte mit weiteren Befugnissen auszustatten, vorausgesetzt, sie greifen nicht in die Kompetenz anderer Gerichte ein.15 Darüber hinaus haben einige Subjekte die abstrakte und konkrete Normenkontrolle vorgesehen. In 10 Subjekten haben die Bürger die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen.16 Die existierenden Verfassungsgerichte der Subjekte sind recht aktiv in der Beilegung bestimmter Streitigkeiten.17 Die meisten Fälle sind wohl keine Streitigkeiten 9 Ausführlich dazu Gäßner, Zur Verfassungsgerichtsbarkeit in den Subjekten der Russischen Föderation (2004). 10 Ihre Adressen sind unter sowie im RIS „ConsultantPlus“ zu finden. 11 ;apW[_S, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2007, Nr. 3, S. 159. 12 Yushkova/Stolz, Osteuropa-Recht 2004, 7. 13 OG RF, Präsidium, Urt. vom 21. 02. 2001 (Nr. 256`S-2000), 8Q[_^^_bcm 2001, Nr. 8, S. 62 f. 14 VerfG RF, Beschl. vom 07. 02. 2003 (Nr. 46-?). 15 VerfG RF, Beschl. vom 06. 03. 2003 (Nr. 103-?), Z. 2 Abs. 8, SZ RF 2003, Nr. 17, Pos. 1658. 16 Yushkova/Stolz, Osteuropa-Recht 2004, 7. 17 Das Statutengericht des Swerdlowsker Gebiets hat innerhalb von 12 Jahren (1998 – 2010) z. B. 80 Urteile sowie 71 Beschlüsse erlassen, vgl. unter . In

§ 1 Gerichtssystem

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über „civil rights and obligations“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK, doch sind Fälle denkbar, die unter diese Vorschrift subsumiert werden können.18 In ihrer Tätigkeit müssen sich Verfassungsgerichte von der Verf. RF leiten lassen und alle völkerrechtlichen Verpflichtungen der Russischen Föderation befolgen (Art. 3 GVG RF). Keine Entscheidung eines Verfassungsgerichtes, die im Rahmen seiner Kompetenz erlassen worden ist, darf von einem anderen Gericht überprüft werden (Art. 27 Abs. 4 GVG RF). 2. Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit (Friedensrichter) Das GVG RF 1996 hat die Einführung von Friedensrichtern19 als ordentliches Gericht erster Instanz vorgesehen (Art. 28 Abs. 1). Ihre Zuständigkeit und Tätigkeit sollte durch ein Bundesgesetz und Gesetze der Subjekte der RF geregelt werden (Art. 28 Abs. 2). Das Bundesgesetz RF (Nr. 188-E8) „Über die Friedensrichter“ (FriedensrichterG)20 wurde am 17. 12. 1998 verabschiedet und ist seit 21. 12. 1998 in Kraft (mit Änderungen).21 Danach ist ein Friedensrichter in einem vom Föderationssubjekt zu bestimmenden Gerichtsbezirk tätig, auf den 15.000 bis 23.000 Einwohner entfallen (Art. 4 Abs. 4 FriedensrichterG). Gemäß Art. 2 Bundesgesetz22 RF vom 29. 12. 1999 (Nr. 218-E8) „Über die gesamte Zahl der Friedensrichter und die Zahl der Gerichtsbezirke in den Föderationssubjekten“ (mit Änderungen) sind insgesamt über 7.600 Gerichtsbezirke und eine dementsprechende Anzahl der Ämter von Friedensrichtern vorgesehen. Nach Änderungen des Prozessrechts (ZPO, StPO), konnten seit 2000 die Friedensrichter ihre Aufgaben wahrnehmen. Gesetze der Föderationssubjekte sind eine weitere Rechtsgrundlage der Friedensrichter. Die Föderationssubjekte legen das Verfahren der Ernennung oder der Wahl der Friedensrichter fest (Art. 6 FriedensrichterG). Sie sind für die räumliche Subjekten, in denen Verfassungsgerichte noch nicht gebildet worden sind, werden in ihre Kompetenz fallende Streitigkeiten vom VerfG RF bzw. von anderen Bundesgerichten entschieden, vgl. Art. 27 Abs. 1, 5 Bundesgesetz über die allgemeinen Prinzipien der Organisation der gesetzgebenden (Repräsentativ-) und Vollzugsorgane der Staatsgewalt der Subjekte der RF vom 06. 10. 1999 (Nr. 184-E8), SZ RF 1999, Nr. 42, Pos. 5005; Art. 26 Abs. 1 Nr. 2, Art. 251 Abs. 4 ZPO RF; Art. 29 Abs. 1, Art. 52 Abs. 1 WirtPO RF; VerfG RF, Urt. vom 18. 07. 2003 (Nr. 13-@), SZ RF 2003, Nr. 30, Pos. 3101. 18 Vgl. etwa Statutengericht des Swerdlowsker Gebiets, Urt. vom 30. 12. 1999, B_RaQ^YV XQ[_^_UQcV\mbcSQ BSVaU\_Sb[_Z _R\QbcY 1999, Nr. 12-1, Pos. 1418: Vereinbarkeit einer Verordnung des Bürgermeisters der Stadt Jekaterinburg über die Festlegung des Mietzinses für munizipale Grundstücke mit dem Gebietsstatut. 19 Die Bezeichnung „Friedensrichter“ geht auf die slawischen Friedensrichter im Mittelalter zurück, die die streitenden Parteien immer versöhnen wollten, Macieiowski, Slavische Rechtsgeschichte, Bd. 2 (1836), Rn. 29. 20 SZ RF 1998, Nr. 51, Pos. 6270. 21 Ausführlich dazu Solomon, The New Justices of the Peace in the Russian Federation: A Cornerstone of Judicial Reform?, Demokratizatsiya 2003, S. 381 ff. 22 SZ RF 2000, Nr. 1 (Teil I), Pos. 1.

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

und technische Ausstattung verantwortlich (Art. 10 Abs. 3 FriedensrichterG) und finanzieren das Personal der Friedensrichter (vgl. Art. 9 FriedensrichterG). Die Föderationssubjekte dürfen allerdings keine zusätzlichen Anforderungen an Bewerber stellen und den Friedensrichtern keine materiellen Garantien gewähren,23 dafür ist der Bund verantwortlich (Art. 10 Abs. 1 FriedensrichterG). Der Spielraum der Föderationssubjekte ist also ziemlich begrenzt. Die Aufgaben der Friedensrichter sind mit denen der Amtsgerichte in Deutschland vergleichbar.24 Der Friedensrichter bildet das Gericht erster Instanz bei Bagatellsachen in Zivil-, Arbeits-, Familien-, Straf- sowie Verwaltungsstreitigkeiten, sofern die Sache nicht in die Zuständigkeit der Wirtschafts- oder Militärgerichte fällt. Die Zuständigkeit der Friedensrichter in Zivilsachen ist in Art. 23 ZPO RF geregelt. Sie entscheiden z. B. Streitigkeiten, deren Streitwert 50.000 Rubel (etwa 1.250 Euro) nicht überschreitet, sowie eine Reihe von Familiensachen. Friedensrichter entscheiden über 60 % aller Zivilsachen.25 Dabei verfahren sie nach allgemeinen Regeln der ZPO, ohne jegliche Ausnahmen (Art. 1 ZPO RF). Ihre Entscheidungen werden nach Ablauf von 10 Tagen nach deren Erlass rechtskräftig, wenn keine Appellationsbeschwerde eingelegt worden ist (Art. 209 Abs. 1 i.V.m. Art. 321 ZPO RF). II. Föderale Gerichte Zu den föderalen Gerichten gehören Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit (ordentliche Gerichte), Wirtschaftsgerichte, das Verfassungsgericht RF sowie die Disziplinäre Gerichtsbehörde. Richter der obersten Bundesgerichte (Verfassungsgericht, Oberstes Gericht und Oberstes Wirtschaftsgericht) werden vom Föderationsrat auf Vorschlag des Präsidenten der RF, alle anderen Bundesrichter vom Präsidenten selbst ernannt (Art. 83 lit. e Verf. RF).26 Im Jahre 2011 gab es insgesamt 28.240 Ämter für Bundesrichter in Russland.27

23 Durch das Gesetz vom 22. 08. 2004 (Nr. 122-E8), SZ RF 2004, Nr. 35, Pos. 3607, wurde die Norm im Art. 2 Abs. 2 FriedensrichterG (a.F.) gestrichen, die solche Befugnis der Subjekte vorsah. 24 Solotych, JOR 2002, Hbd. 1, S. 358. 25 7dZ[_S, in: 6eY]_S/@Yb[QaVS (Hrsg.), =Ya_S_Z bdUmp S TaQWUQ^b[_] bdU_`a_YXS_UbcSV, Einl. 26 Ausführlich darüber: Art. 6 Gesetz RF vom 26. 06. 1992 (Nr. 3132-I) „Über den Status der Richter“ (mit Änderungen). 27 Vgl. Art. 8 Abs. 2 Bundesgesetz RF vom 13. 12. 2010 „Über den Bundeshaushalt für das Jahr 2011 sowie die geplante Periode von den Jahren 2012 und 2013“ (Nr. 357-E8), SZ RF 2011, Nr. 51 (Teil I), Pos. 6809.

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1. Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit Gemäß Art. 19 Abs. 1 GVG RF i.V.m. Art. 22 ZPO RF sind Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit für alle Zivil-, Straf-, Verwaltungs- sowie Familien- und Arbeitssachen zuständig, soweit nicht durch Gesetz die Zuständigkeit eines anderen Organs bestimmt ist. Sie lassen sich dabei von entsprechenden Prozessordnungen (Kodexen) leiten. Anders als in Deutschland gehören in Russland zu den ordentlichen Gerichten des Bundes Rayon-Gerichte (erste Stufe), Gerichte der Subjekte (zweite Stufe) und als dritte Stufe das Oberste Gericht der Russischen Föderation (OG RF). Im Jahre 2011 waren 24.157 Richterämter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorgesehen.28 Art. 20 Abs. 3 GVG RF 1996 sieht ein Bundesverfassungsgesetz über Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit vor, das erst im Februar 2011 verabschiedet wurde. Das Bundesverfassungsgesetz RF (Nr. 1-E;8) „Über Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit in der RF“ vom 7. Februar 2011 (AllgGerGVG RF)29 trat ein Monat später, am 11. März 2011, in Kraft und ersetzte das aus den Sowjetzeiten stammende und mehrmals geänderte Gesetz RSFSR (o.N.) „Über den Gerichtsaufbau“ vom 8. Juli 1981 (GVG RSFSR 1980)30. a) 1. Stufe: Rayon-Gerichte Ordentliche Gerichte werden in Gerichtsbezirken gebildet, die dem verwaltungsterritorialen Aufbau der Subjekte entsprechen (Rayon, etwa: Landkreis bzw. Stadtbezirk), Art. 32 Abs. 1 AllgGerGVG RF. Der Gerichtsbezirk eines RayonGerichts kann aus mehr als einem Rayon bestehen (Art. 32 Abs. 1 AllgGerGVG RF). Das Rayon-Gericht verhandelt im Bereich seiner Zuständigkeit Sachen als erste und zweite Instanz (Art. 21 Abs. 1 GVG RF 1996). Als Gericht erster Instanz sind Rayon-Gerichte für alle Zivil-, Verwaltungs- sowie Familien- und Arbeitsstreitsachen zuständig, soweit nicht durch Gesetz die Zuständigkeit eines anderen Gerichts bestimmt ist (vgl. Art. 24 ZPO RF). Sie verhandeln z. B. Streitigkeiten, deren Streitwert 50.000 Rubel (etwa 1.250 Euro) überschreitet, Arbeitsstreitigkeiten, die Anfechtung der Vaterschaft (Mutterschaft), die Adoption eines Kindes und den Entzug von Erziehungsrechten. Ihre Entscheidungen werden nach Ablauf von 10 Tagen nach deren Erlass rechtskräftig, wenn keine Kassationsbeschwerde eingelegt worden ist (Art. 209 Abs. 1 i.V.m. Art. 338 ZPO RF). Als Gericht zweiter Instanz sind Rayon-Gerichte für (Appellations-)Beschwerden gegen nicht rechtskräftige Entscheidungen der Friedensrichter zuständig. Das Verfahren wird neu aufgerollt, die erneute Beweisaufnahme ist zulässig (Art. 327 Abs. 3 28 29 30

Ebenda. SZ RF 2011, Nr. 7, Pos. 898. VVS RSFSR 1981, Nr. 28, Pos. 976.

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ZPO RF). Das Rayon-Gericht bestätigt entweder die angegriffene Entscheidung des Friedensrichters oder entscheidet die Sache neu (Art. 328 ZPO RF). Die Zurückweisung des Falles an den Friedensrichter ist unter Umständen zulässig.31 Die Entscheidung des Rayongerichts als Appellationsinstanz wird mit deren Erlass rechtskräftig (Art. 209 Abs. 1 ZPO RF). b) 2. Stufe: Gerichte der Föderationssubjekte In jedem Föderationssubjekt ist ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Subjekts (auf der Ebene) tätig, das im Bereich seiner Zuständigkeit Sachen als erste und zweite Instanz, im Aufsichtsverfahren und wegen neuer Tatsachen verhandelt (Art. 20 Abs. 1 GVG RF). Das Gericht des Subjekts ist die unmittelbar übergeordnete Instanz für die Rayongerichte, die auf dem Territorium des entsprechenden Föderationssubjekts tätig sind (Art. 20 Abs. 2 GVG RF). Als erstinstanzliche Gerichte entscheiden sie nur in wenigen Ausnahmefällen, so etwa bei der Anfechtung von normativen Rechtsakten der Organe der Föderationssubjekte, bei Auflösung eines Regionalzweiges einer politischen Partei und Angelegenheiten, die ein Staatsgeheimnis berühren (Art. 26 ZPO RF). Nach Art. 410 ZPO RF sind sie auch für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zuständig. Ihre Entscheidungen als Gericht erster Instanz werden nach Ablauf von 10 Tagen nach deren Erlass rechtskräftig, wenn keine Kassationsbeschwerde eingelegt worden ist (Art. 209 Abs. 1 i.V.m. Art. 338 ZPO RF). Als Gericht zweiter (Kassations-)Instanz entscheiden Gerichte der Subjekte (genauer: ihr Kollegium für Zivilsachen) über Berufungen gegen Urteile erster Instanz der Rayongerichte. Die Kassationsinstanz hat die angefochtene Entscheidung auf prozessuale und materielle Gesetzmäßigkeit zu überprüfen (Art. 347 Abs. 1 ZPO RF). Neue Beweise können im Kassationsverfahren nur zugelassen werden, wenn die betroffene Partei beweist, dass sie verhindert war, diese dem erstinstanzlichen Gericht vorzulegen (Art. 358 Abs. 1 ZPO RF). Das Gericht kann die angefochtene Entscheidung als Ganzes, also auch in dem nicht angefochtenen Teil und bezüglich der Personen, die keine Kassation eingelegt bzw. sich keiner Kassation angeschlossen haben, im Interesse der Gesetzlichkeit überprüfen (Art. 347 Abs. 2 ZPO RF). Die Kassationsinstanz kann die Sache an die erste Instanz zur erneuten Verhandlung verweisen, wenn sie Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht aus der Welt schaffen kann (vgl. Art. 361 ZPO RF). Entscheidungen der Kassationsinstanz werden mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 367 ZPO RF). Das Gericht des Subjektes (genauer: sein Präsidium) ist auch als Aufsichtsinstanz tätig. Im Aufsichtsverfahren werden rechtskräftige Entscheidungen von Friedensrichtern, von Rayongerichten (als erste und als Appellationsinstanz) sowie des Gerichts des Subjekts RF (als Kassationsinstanz) überprüft, Art. 377 Abs. 2 Nr. 1 31

VerfG RF, Urt. vom 21. 04. 2010 (Nr. 10-@), SZ RF 2010, Nr. 19, Pos. 2357.

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ZPO RF (n.F.).32 Für das Verfahren sind verschiedene Stadien vorgesehen, um dem eigentlich entscheidenden Präsidium nur die wichtigsten Verfahren zur inhaltlichen Entscheidung zukommen zu lassen. Zunächst entscheidet ein Einzelrichter über die Annahme des Antrages zur Entscheidung und Anforderung der Akte, Art. 381 Abs. 1 ZPO RF (n.F.). Weiter studiert er die Akte und entscheidet über die Einreichung der Sache ins Präsidium, Art. 381 Abs. 2 ZPO RF (n.F.), das die angegriffene Entscheidung aufheben kann (Art. 390 ZPO RF). Die Entscheidung der unteren Instanz kann im Aufsichtsverfahren aufgehoben oder geändert werden, wenn grobe Verletzungen des materiellen oder prozessualen Rechts vorliegen, die den Ausgang des Verfahrens beeinflusst haben und ohne deren Beseitigung die Wiederherstellung und der Schutz von verletzten Rechten, Freiheiten und gesetzlich geschützten Interessen sowie der Schutz von öffentlichen Interessen nicht möglich ist, Art. 387 ZPO RF (n.F.). Das Gesetz gibt keine Definition für den Begriff „grobe Verletzungen des materiellen oder prozessualen Rechts“. Das OG RF weist darauf hin, dass sie mit absoluten Kassationsgründen nicht identisch sind.33 Für die „Grobheit“ der Verletzungen soll auf die Besonderheiten des Einzelfalles und die Wesentlichkeit der Verletzungen für die betroffene Person abgestellt werden.34 Die Aufsichtsinstanz kann angegriffene Entscheidungen nur in dem angefochtenen Teil überprüfen (Art. 390 Abs. 1.1 Satz 3 ZPO RF), ist aber an das Vorbringen des Beschwerdeführers in Bezug auf die angefochtene Entscheidung bzw. ihren Teil nicht gebunden (Art. 390 Abs. 1.1 Satz 2 ZPO RF). In der ZPO RF fehlt jede Regelung, ob das Vorbringen neuer Beweise vor der Aufsichtsinstanz zulässig ist. Die Aufgabe der Aufsichtsinstanz, grobe Verletzungen des materiellen oder prozessualen Rechts aus der Welt zu schaffen, spricht dagegen. Das OG RF hat entschieden, dass die Aufsichtsinstanz bezüglich der Tatsachen an die Feststellungen der Vorinstanzen gebunden ist35 und keine neuen Beweise erheben darf.36 Später wurde diese Praxis in den „Erläuterungen“ des OG RF festgeschrieben.37 Nachdem die Aufsichtsinstanz die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben hat, trifft sie eine eigene Entscheidung (wenn materielles Recht falsch angewandt wurde) oder verweist den Fall zur erneuten Verhandlung an eine untere Instanz zurück (Art. 390 Abs. 1 ZPO RF), die an den rechtlichen Ausführungen der Aufsichtsinstanz gebunden ist (Art. 390 Abs. 2 32 Als Reaktion auf die Rechtsprechung des EGMR wurde das Institut des Aufsichtsverfahrens im russischen Zivilprozessrecht Ende 2007 grundlegend reformiert, ausführlich dazu Kap. 6, S. 242 ff. 33 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 12. 02. 2008 (Nr. 2), Z. 6. 34 VerfG RF, Beschl. vom 04. 02. 2005 (Nr. 54-O), Z. 2 Abs. 4. 35 OG RF, Beschl. vom 23. 12. 2003 (Nr. 51-B03-20), 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2004, Nr. 8, S. 8 f. 36 OG RF, Beschl. vom 06. 09. 2006 (Nr. 30-306-4). 37 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 12. 02. 2008 (Nr. 2), Z. 5. Die abweichende Auffassung in der Literatur wird damit begründet, dass die neuen Beweise die Grobheit der Rechtsverletzung unterer Instanzen belegen können, vgl. etwa 8QZgVS, in: 7Y\Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ 4aQWUQ^b[_]d `a_gVbbdQ\m^_]d [_UV[bd AE, S. 720 Z. 7. Vgl. auch Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Volgo-Vjatskij, Urt. vom 02. 02. 2000 (Nr. 698/98).

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ZPO RF). Entscheidungen der Aufsichtsinstanz werden mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 391 ZPO RF). c) Unterzweig: Militärgerichte In der Armee, den Organen und Formationen, in denen durch Bundesgesetz der Militärdienst vorgesehen ist,38 üben Militärgerichte die rechtsprechende Gewalt aus (Art. 22 Abs. 1 GVG RF). Sie bilden einen Unterzweig der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Art. 19 Abs. 2 GVG RF). Rechtsgrundlage für Militärgerichte ist das GVG sowie ein spezielles Bundesverfassungsgesetz RF (Nr. 1-E;8) „Über Militärgerichte“ (MilitärGVG)39, das am 23. 06. 1999 verabschiedet wurde und seit 29. 06. 1999 in Kraft ist. Die Notwendigkeit der Existenz von Militärgerichten wird in der Literatur hauptsächlich mit folgenden Argumenten begründet: Die Rechtsprechung soll unmittelbar in der Armee, auch in der Kriegszeit, ausgeübt werden. Militärrichter sollen vorbereitet sein, in schwierigen Situationen zu handeln, das Militärrecht beherrschen und mit Besonderheiten des militärischen Lebens vertraut sein.40 Militärgerichte werden gemäß Art. 1 Abs. 2 MilitärGVG an jeweiligen Truppenstandorten eingerichtet (ohne Berücksichtigung des Verwaltungsaufbaus). In Übereinstimmung mit internationalen Verträgen können sie auch an den jeweiligen Standorten russischer Truppen im Ausland eingerichtet werden (Art. 8 Abs. 2 MilitärGVG). Das System der Militärgerichte besteht aus Militärgerichten der Stützpunkte und Militärgerichten der Bezirke (Art. 8 Abs. 1 MilitärGVG). Militärgerichte sind gemäß Art. 7 MilitärGVG für straf-, verwaltungs- und einige zivilrechtliche Streitigkeiten von Militärangehörigen zuständig. Dabei lassen sie sich ohne Ausnahme von allgemeinen Normen des materiellen und prozessualen Rechts leiten (Art. 3 MilitärGVG). Sie entscheiden vor allem Streitigkeiten zwischen Militärangehörigen und der Militärverwaltung (Art. 7 Abs. 1 MilitärGVG), z. B. über die Vergütung und Schadensersatzansprüche von Militärangehörigen41 sowie über die Haftung für Schäden durch Militärangehörige gegenüber dem Staat,42 die wohl als „civil right and obligations“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK subsumiert 38

Dazu gehören etwa der Sicherheitsdienst (FSB), der Bundesgrenzschutz, der Auslandsgeheimdienst (SVR) sowie die militärähnlichen Sicherheitskräfte des Innenministeriums, die zusätzlich zur regulären Polizei Schutz der inneren Sicherheit des Landes gewährleisten sollen, vgl. Art. 2 Abs. 1 Bundesgesetz RF vom 28. 03. 1998 „Über Militärpflicht und Militärdienst“ (Nr. 53-E8), SZ RF 1998, Nr. 13, Pos. 1475. 39 SZ RF 1999, Nr. 26, Pos. 3170. 40 @Vcdf_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 1999, Nr. 9, S. 7. Vgl. auch Begründung zum Entwurf (Nr. 97038953-2) des Bundesverfassungsgesetzes RF über Militärgerichte, eingebracht in die Duma vom OG RF am 02. 06. 1997, zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 41 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 14. 02. 2000 (Nr. 9) (i. d. F. vom 20. 01. 2003), Z. 3. 42 Ebenda, Z. 9.

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werden können.43 Militärgerichte im Ausland sind für alle Streitigkeiten zuständig, für die russische ordentliche Gerichte zuständig sind (Art. 7 Abs. 4 MilitärGVG). aa) 1. Stufe: Militärgerichte der Stützpunkte Die Militärgerichte der Stützpunkte entscheiden in erster Instanz alle Streitigkeiten, für die Militärgerichte zuständig sind und die nicht der Gerichtsbarkeit höherer Militärgerichte unterliegen (Art. 22 Abs. 1 MilitärGVG). Nach Angaben des Staatlichen Informationssystems „Pravosudie“ gibt es in Russland insgesamt 132 Militärgerichte der Stützpunkte,44 davon befinden sich aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Russlands fünf Militärgerichte im Ausland: in Armenien, Kasachstan (zwei Gerichte), Moldawien, Tadschikistan.45 Sie sind mit Rayon-Gerichten vergleichbar. bb) 2. Stufe: Militärgerichte der Bezirke (Flotten) Militärgerichte zweiter Stufe sind mit den Gerichten der Föderationssubjekte vergleichbar. Als erstinstanzliche Gerichte entscheiden sie nur in wenigen Ausnahmefällen, so etwa Sachen der Militärangehörigen, die ein Staatsgeheimnis berühren (Art. 14 Abs. 1 MilitärGVG). Als Gericht zweiter (Kassations-)Instanz entscheiden sie über Berufungen gegen nicht rechtskräftige Urteile der Militärgerichte der ersten Stufe (Art. 14 Abs. 2 MilitärGVG). Das Präsidium des Militärgerichts zweiter Stufe kann auch als Aufsichtsinstanz tätig werden (Art. 14 Abs. 3 MilitärGVG). Im Aufsichtsverfahren kann sie rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte der Stützpunkte sowie ihre eigenen in zweiter Instanz erlassenen Entscheidungen überprüfen (vgl. Art. 377 Abs. 2 Nr. 2 ZPO RF). Nach Angaben des Staatlichen Informationssystems „Pravosudie“ gibt es insgesamt 12 Militärgerichte der zweiten Stufe (9 der Bezirke und 3 der Flotten) in Russland.46

43 Vgl. EGMR, Urt. vom 21. 06. 2007 (Nr. 2191/03 u. a.), Pridatchenko and Others v. Russia, Z. 47: „[T]he Court notes that the applicants’ claims were accepted, examined, and partially granted by the domestic courts following ordinary rules of civil procedure. It is true that the cases (…) were examined by military courts, i. e. the courts composed of military personnel and attached not to a particular administrative territorial unit, but to a garrison. However, nothing suggests that the military courts are not ,tribunals‘ within the meaning of Article 6 [EMRK]“. 44 Vgl. unter . 45 1SU_^[Y^/C_\[d^_S, @aQS_ S 3__adWV^^lf BY\Qf 2003, Nr. 6, zit. nach RIS „ConsultantPlus“. Außerdem sitzt zu Gericht ein Senat des russischen Militärgerichts am Standort Noworossijsk in Sewastopol (Ukraine). Adressen der Gerichte sowie zusätzliche Informationen unter . 46 Vgl. unter .

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d) 3. Stufe: Oberstes Gericht der Russischen Föderation (OG RF) Als dritte und höchste Stufe des Systems der ordentlichen Gerichtsbarkeit folgt das Oberste Gericht der Russischen Föderation (Art. 126 Verf. RF) in Moskau, das zur Zeit aus fünf Kollegien (Kollegien für Straf-, Zivil- und Verwaltungssachen, Militärkollegium sowie Kassationskollegium), Präsidium und Plenum besteht.47 AllgGerGVG 2011 RF regelt die Aufgaben, Struktur und Tätigkeit des OG RF im Einzelnen. Am Obersten Gericht der Russischen Föderation (OG RF) sind 125 Richterstellen vorgesehen.48 aa) Kollegien des OG RF Die Kollegien für Straf-, Zivil- und Verwaltungssachen sowie das Militärkollegium des OG RF entscheiden in erster und zweiter (Kassations-)Instanz. Die Kollegien für Zivil- und Verwaltungssachen haben z. B. folgende Fälle in erster Instanz zu entscheiden: die Anfechtung von Verwaltungs- und Normativakten des Präsidenten RF und der Regierung RF, die Anfechtung der Liquidation politischer Parteien sowie andere in Art. 27 ZPO RF aufgezählte Fälle. Ihre Entscheidungen als Gericht erster Instanz werden nach Ablauf von 10 Tagen nach deren Erlass rechtskräftig, wenn keine Kassationsbeschwerde eingelegt worden ist (Art. 209 Abs. 1 i.V.m. Art. 338 ZPO RF). Als zweite (Kassations-)Instanz entscheiden die Kollegien über Beschwerden gegen nicht rechtskräftige Urteile, die in erster Instanz von den Gerichten der Föderationssubjekte und von den Militärgerichten der Bezirke ergangen sind. Entscheidungen der Kassationsinstanz werden mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 367 ZPO RF). Die Kollegien des OG RF können auch als Aufsichtsinstanz tätig werden und rechtskräftige Entscheidungen überprüfen. Das Kollegium für Zivilsachen überprüft etwa folgende in Art. 377 Abs. 2 Nr. 3 ZPO RF (n.F.) aufgezählte Entscheidungen: rechtskräftige Kassations- und Aufsichtsentscheidungen von Gerichten der Subjekte RF sowie rechtskräftige Entscheidungen von Rayon-Gerichten als Gerichte erster Instanz, wenn sie vor Präsidium des Gerichts des Subjekts RF als Aufsichtsinstanz angefochten worden sind. Entscheidungen von Friedensrichtern sind somit vor dem Kollegium für Zivilsachen des OG RF nicht anfechtbar.49 Das Militärkollegium des OG RF überprüft rechtskräftige Entscheidungen der Militärgerichte, Art. 377 Abs. 2 Nr. 4 ZPO RF (n.F.). Entscheidungen der Aufsichtsinstanz werden mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 391 ZPO RF).

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Vgl. unter . Vgl. Art. 8 Abs. 2 Bundesgesetz RF vom 13. 12. 2010 „Über den Bundeshaushalt für das Jahr 2011 sowie die geplante Periode von den Jahren 2012 und 2013“ (Nr. 357-E8), SZ RF 2011, Nr. 51 (Teil I), Pos. 6809. 49 Das VerfG RF hat die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung nicht beanstandet, vgl. VerfG RF, Urt. vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-@), Z. 7 Abs. 6, SZ RF 2007, Nr. 7, Pos. 932. 48

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Das Kassationskollegium des OG RF ist als zweite Instanz für die Urteile, Entscheidungen und Beschlüsse der Kollegien für Straf-, Zivil- und Verwaltungssachen sowie für das Militärkollegium des OG RF vorgesehen. Entscheidungen der Kassationsinstanz werden mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 367 ZPO RF). bb) Präsidium Das Präsidium des OG RF kann grundsätzlich nur als Aufsichtsinstanz tätig werden (Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 AllgGerGVG). Als Aufsichtsinstanz überprüft das Präsidium rechtskräftige in Art. 377 Abs. 2 Nr. 5 (n.F.) sowie die in Art. 377 Abs. 3 ZPO RF aufgezählten Entscheidungen in Zivilsachen. Das sind rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte der Subjekte RF als erste Instanz, wenn sie vor dem OG RF als Kassationsinstanz angefochten worden sind, sowie Entscheidungen verschiedener Kollegien des OG RF. Außerdem kann das Präsidium des OG RF zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung unter Umständen jede rechtskräftige Entscheidung russischer Gerichte überprüfen, Art. 389 Abs. 1 ZPO RF (n.F.). Entscheidungen der Aufsichtsinstanz werden mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 391 ZPO RF). cc) Plenum Das Plenum des OG RF ist das oberste Gremium des Systems der ordentlichen Gerichtsbarkeit, aber kein Spruchkörper. Es besteht aus allen Richtern des OG (Art. 14 Abs. 1 AllgGerGVG) und gibt Erläuterungen zu Fragen der Rechtsanwendung, entscheidet über Gesetzesinitiativen und nimmt einige Verwaltungsaufgaben wahr (vgl. Art. 14 Abs. 4 AllgGerGVG). e) Geplante Reform der Rechtszüge Zum 1. Januar 2012 tritt eine Reform der ZPO RF in Kraft, die Prozessabwicklung bei Rechtsmittelgerichten der allgemeinen Gerichtsbarkeit verbessern soll.50 Die nicht in Kraft getretenen Entscheidungen aller Gerichte erster Instanz (und nicht nur solche von Friedensrichtern wie derzeit) werden im Appellationsverfahren bei höheren Gerichten anfechtbar sein, vgl. Art. 320.1 ZPO RF. Die Entscheidungen von Friedensrichtern werden also nach wie vor durch die Rayon-Gerichte geprüft. Für erstinstanzliche Entscheidungen von Rayon-Gerichten werden Gerichte der Föderationssubjekte zur Appellationsinstanz; erstinstanzliche Entscheidungen letzterer Gerichte werden mit der Appellationsbeschwerde vor den Kollegien des OG RF angreifbar sein. Die in erster Instanz angenommenen Entscheidungen des OG RF werden vom Appellationskollegium des OG RF überprüft. Die Frist zur Einlegung der Appellationsbeschwerde wurde von 10 Tagen auf einen Monat verlängert

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Bundesgesetz RF vom 09. 12. 2010 (Nr. 353-E8), SZ RF 2010, Nr. 50, Pos. 6611.

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(Art. 321 Abs. 2 ZPO RF n.F.). Entscheidungen der Appellationsgerichte werden mit dem Erlass rechtskräftig sein (Art. 329 Abs. 5 ZPO RF n.F.). Rechtskräftige Entscheidungen mit Ausnahme von solchen des OG RF werden vor der Kassationsinstanz angreifbar sein (Art. 376 Abs. 1 ZPO RF n.F.), jedoch nur unter der Bedingung der Rechtswegerschöpfung, d. h. nach dem Appellationsverfahren, und innerhalb von 6 Monaten (Art. 376 Abs. 2 ZPO RF n.F.). Als Kassationsinstanz werden das Präsidium des entsprechenden Gerichts des Föderationssubjekts sowie Kollegien des OG RF auftreten (Art. 377 Abs. 2 ZPO RF n.F.). Ein Vergleich mit dem geltenden Aufsichtsverfahren zeigt, dass das reformierte Kassationsverfahren kaum von dem ersteren abweicht. Als einzige Aufsichtsinstanz wird das Präsidium des OG RF bleiben, das rechtskräftige Entscheidungen untergeordneter Spruchkörper nach der entsprechenden Rechtswegerschöpfung prüfen wird, vgl. Art. 391.1 ZPO RF. Die Aufsichtsbeschwerdefrist wird 3 Monate betragen, Art. 391.2 Abs. 2 ZPO RF. Entscheidungen der Kassations- sowie Aufsichtsinstanz werden mit deren Erlass rechtskräftig sein (Artt. 391, 391.14 ZPO RF). 2. Wirtschaftsgerichte Gemäß Art. 127 Verf. RF sind Wirtschaftsstreitigkeiten von Wirtschaftsgerichten51 zu entscheiden. Am 28. 04. 1995 wurde das Bundesverfassungsgesetz52 RF (Nr. 1-E;8) „Über die Wirtschaftsgerichte“ (WirtschaftsGVG) verabschiedet, das seit 01. 05. 1995 (mit Änderungen) gilt. Nach Art. 3 WirtschaftsGVG besteht das System der Wirtschaftgerichte aus Wirtschaftsgerichten der Föderationssubjekte, Appellationswirtschaftsgerichten, Wirtschaftsgerichten der Bezirke und dem Obersten Wirtschaftsgericht der Russischen Föderation (fortan: OWG RF). Wirtschaftsgerichte haben ihre eigene Prozessordnung, die Wirtschaftsprozessordnung53 (WirtPO RF). Nach Artt. 27 ff. WirtPO RF sind Wirtschaftsgerichte für alle Handelssachen, Verwaltungs- und Finanzstreitigkeiten unter Beteiligung von Wirtschaftspersonen zuständig. Im Jahre 2011 gab es 4.083 Richterämter an den Wirtschaftsgerichten.54

51 „Arbitrazˇnye sudy“ – wörtlich: Arbitragegerichte. Diese Übersetzung ist jedoch irreführend (dazu Bednarz, in: Schröder (Hrsg.), Die neuen Kodifikationen in Russland, S. 186 f.), deswegen ist der Ausdruck „Wirtschaftsgerichte“ vorzuziehen. 52 SZ RF 1995, Nr. 18, Pos. 1589; dt. Übersetzung in: Wölk, Wirtschaftsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation (1997), S. 111 ff. 53 SZ RF 2002, Nr. 30, Pos. 3012; dt. Übersetzung in: Piksin/Dethloff (Hrsg.), Die Wirtschaftsprozessordnung der Russischen Föderation (2005), S. 73 ff. 54 Vgl. Art. 8 Abs. 2 Bundesgesetz RF vom 13. 12. 2010 „Über den Bundeshaushalt für das Jahr 2011 sowie die geplante Periode von den Jahren 2012 und 2013“ (Nr. 357-E8), SZ RF 2011, Nr. 51 (Teil I), Pos. 6809.

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a) 1. Stufe: Wirtschaftsgerichte der Föderationssubjekte Das Wirtschaftsgericht des Föderationssubjektes verhandelt im Bereich seiner Zuständigkeit Sachen als erste Instanz (Art. 36 WirtschaftsGVG). Der Anzahl der Föderationssubjekte (83) abweichend gibt es in Russland 81 Wirtschaftsgerichte der Föderationssubjekte.55 Entscheidungen der Wirtschaftsgerichte erster Stufe werden einen Monat nach deren Erlass rechtskräftig, wenn keine Appellationsbeschwerde eingelegt worden ist (Art. 180 Abs. 1 WirtPO RF).56 b) 2. Stufe: Appellationswirtschaftsgerichte Das Appellationswirtschaftsgericht ist die Appellationsinstanz für die Beschwerde gegen nicht rechtskräftige Entscheidungen der Wirtschaftsgerichte der Föderationssubjekte (Art. 33.3 WirtschaftsGVG). Es gibt in Russland insgesamt 20 Appellationswirtschaftsgerichte (Art. 33.1 WirtschaftsGVG), die stufenweise in den Jahren 2004 – 2007 eingerichtet wurden.57 Früher war die Appellationsinstanz am Wirtschaftsgericht des Föderationssubjektes angesiedelt. Die Einrichtung der Appellationswirtschaftsgerichte als neue Ebene des Systems der Wirtschaftsgerichte wurde mit der Stärkung ihrer Unparteilichkeit begründet.58 Das Appellationsverfahren ist das Verfahren zur vollständigen Tatsachen- und Rechtsüberprüfung (Artt. 257 ff. WirtPO RF). Zusätzliche Beweismittel dürfen nur in das Verfahren eingeführt werden, wenn das nicht bereits im Verfahren erster Instanz geschehen konnte (Art. 268 Abs. 2 WirtPO). Das Appellationsgericht hat unabhängig von der Beschwerde einen langen Katalog von in Art. 270 Abs. 4 WirtPO RF ausgeführten Aufhebungsgründen zu überprüfen (Art. 268 Abs. 6 WirtPO). Das Appellationsgericht darf die Sache nicht zur erneuten Verhandlung an das Wirtschaftsgericht des Subjekts verweisen, sondern muss in der Sache selbst entscheiden (vgl. Art. 269 WirtPO). Die Entscheidung der Appellationsinstanz wird mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 271 Abs. 5 WitPO).59 55

Ein Wirtschaftsgericht erster Instanz ist für zwei Föderationssubjekte eingerichtet (Wirtschaftsgericht für Sankt Petersburg und Leningrader Gebiet). In einem bevölkerungsarmen Föderationssubjekt (Autonomer Kreis der Nenzen) gibt es kein Wirtschaftsgericht. 56 Vgl. Art. 180 Abs. 2, 3 WirtPO RF, die einige Ausnahmen von dieser Regel vorsehen. 57 Vgl. Art. 3 Bundesverfassungsgesetz RF vom 04. 07. 2003 (Nr. 4-E;8), SZ RF 2003, Nr. 27 (Teil I), Pos. 2699. 58 Edab_S, in: 7Y\Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ 1aRYcaQW^_]d `a_gVbbdQ\m^_]d [_UV[bd AE (`_bcQcVZ^lZ), Komm. zu Art. 258. Vgl. auch Begründung zum Entwurf (Nr. 298921-3) des Bundesverfassungsgesetzes RF über Änderungen einiger Bundesverfassungsgesetze, eingebracht in die Duma vom Präsidenten RF am 21. 02. 2003, zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 59 Dabei handelt es sich um eine Besonderheit der russischen Rechtsordnung. Entscheidungen der Appellationsinstanz gelten als rechtskräftig und somit vollstreckungsfähig (Art. 318 Abs. 1 WirtPO RF), können aber binnen 2 Monaten nach ihren Erlass in der Kassationsinstanz angefochten werden (Art. 276 WirtPO RF). Auf Antrag der Partei kann die Zwangsvollstreckung von der Kassationsinstanz ausgesetzt werden, vgl. Art. 283 WirtPO RF.

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

c) 3. Stufe: Wirtschaftsgerichte der Bezirke Die Russische Föderation ist in 10 Wirtschaftsbezirke eingeteilt, in welchen jeweils ein Wirtschaftsgericht des Bezirkes tätig ist (Art. 24 WirtschaftsGVG). Das Wirtschaftsgericht des Bezirkes verhandelt im Bereich seiner Zuständigkeit Sachen als Kassationsgericht (Art. 26 WirtschaftsGVG). Als Kassationsinstanz überprüft das Wirtschaftsgericht des Bezirkes die Gesetzmäßigkeit rechtskräftiger Entscheidungen von Wirtschaftsgerichten der Subjekte oder Appellationswirtschaftsgerichten (Art. 273 WirtPO RF). Das Vorbringen neuer Beweise ist ausgeschlossen (vgl. Art. 287 Abs. 2 WirtPO RF). Das Gericht hat somit wesentlich weniger Kompetenzen als die Appellationsinstanz. Der Katalog von Aufhebungsgründen ist in Art. 288 WirtPO RF ausgeführt. Von Amts wegen hat das Gericht die absoluten Aufhebungsgründe des Art. 288 Abs. 4 WirtPO RF zu prüfen (vgl. Art. 286 Abs. 2 WirtPO RF). Die Kassationsinstanz kann die Sache zur erneuten Verhandlung an die erste oder zweite Instanz zurückverweisen, wenn sie Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht aus der Welt schaffen kann (Art. 287 Abs. 1 WirtPO RF). Die Entscheidung der Kassationsinstanz wird mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 289 Abs. 5 WitPO RF). d) 4. Stufe: Oberstes Wirtschaftsgericht der Russischen Föderation (OWG RF) Als vierte und höchste Stufe des Systems der Wirtschaftsgerichtsbarkeit folgt gemäß Art. 127 Verf. RF das Oberste Wirtschaftsgericht der Russischen Föderation (OWG RF) in Moskau, das aus zwei Kollegien für Verwaltungs- und Zivilsachen, Präsidium und Plenum besteht (Art. 11 WirtschaftsGVG). Am OWG RF sind 85 Richterämter vorgesehen.60 aa) Kollegien des OWG RF Die Kollegien für Verwaltungs- und Zivilsachen des OWG RF entscheiden in erster Instanz über die Anfechtung von Verwaltungsakten und Normativakten des Präsidenten, der Regierung oder Ministerien sowie wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen der Russischen Föderation und ihren Föderationssubjekten und zwischen den Föderationssubjekten untereinander (Art. 18 Abs. 4 WirtschaftsGVG, Art. 34 Abs. 2 WirtPO RF). Eine genaue Anzahl der Richter in den Kollegien ist nicht vorgegeben, sie wird vom Plenum des OWG RF auf Vorschlag des Vorsitzenden des OWG bestimmt (Art. 18 Abs. 1 WirtschaftsGVG). Kollegien ihrerseits bestehen aus Spruchkörpern, die durch den Vorsitzenden des OWG RF bestimmt werden (Art. 19

60 Vgl. Art. 8 Abs. 2 Bundesgesetz RF vom 13. 12. 2010 „Über den Bundeshaushalt für das Jahr 2011 sowie die geplante Periode von den Jahren 2012 und 2013“ (Nr. 357-E8), SZ RF 2011, Nr. 51 (Teil I), Pos. 6809.

§ 1 Gerichtssystem

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WirtschaftsGVG). Entscheidungen der Kollegien des OWG RF werden mit deren Erlass rechtskräftig (Art. 180 Abs. 2 WirtPO RF). bb) Präsidium Das Präsidium des OWG RF ist die einzige Aufsichtsinstanz im System der Wirtschaftsgerichte (vgl. Art. 16 WirtschaftsGVG, Art. 292 Abs. 1 WirtPO RF). Als Aufsichtsinstanz überprüft das Präsidium des OWG RF rechtskräftige Entscheidungen der Wirtschaftsgerichte. Nach Art. 304 Abs. 1 WirtPO RF (n.F.) können rechtskräftige Entscheidungen nur aus folgenden Gründen aufgehoben werden: Das Gerichtsakt gefährdet die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, verletzt die Rechte eines unbestimmten Personenkreises oder sonstige öffentliche Interessen oder verstößt gegen Menschen- und Bürgerrechte entsprechend den allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts sowie völkerrechtlichen Verträgen der RF. Der letzte Grund wurde durch Gesetz vom 31. 03. 2005 (Nr. 25-E8)61 eingeführt, damit sollte dem Präsidium OWG RF ermöglicht werden, Verletzungen der EMRK auf innerstaatlichem Wege aus der Welt zu schaffen.62 Das Aufsichtsverfahren nach der WirtPO RF ähnelt dem Verfahren nach der ZPO RF, obwohl es auch einige Besonderheiten hat.63 Die Entscheidung das Präsidiums des OWG RF wird mit ihrem Erlass rechtskräftig (Art. 307 Abs. 1 WirtPO RF). Zum Zweck der Vereinheitlichung der Rechtsprechung hat das Präsidium des OWG RF außerdem nach Art. 16 WirtschaftsGVG die Befugnis, sich mit bestimmten Fragen der Rechtsprechung zu befassen und untere Wirtschaftsgerichte über seine Ergebnisse zu informieren. Dies geschieht in der Praxis in Form von Informationsschreiben (informacionnye pis’ma) und „Übersichten der Rechtsprechung“ (obzory sudebnoj praktiki) zu bestimmten Fragen der Rechtsanwendung. cc) Plenum Das Plenum des OWG RF ist das oberste Gremium des Systems der Wirtschaftsgerichtsbarkeit aber kein Spruchkörper. Genauso wie das Plenum des OG RF besteht es aus allen Richtern des OWG (Art. 12 Abs. 2 WirtschaftsGVG), gibt Erläuterungen zu Fragen der Rechtsprechung, entscheidet über Gesetzesinitiativen und nimmt einige Verwaltungsaufgaben wahr (Art. 13 WirtschaftsGVG).

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SZ RF 2005, Nr. 14, Pos. 1210. Vgl. Begründung zu diesem Gesetzesentwurf, eingebracht in die Duma durch Plenumsbeschl. des OWG RF vom 13. 08. 2004 (Nr. 22), zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 63 Hier sei auf die Ausführungen zum Aufsichtsverfahren nach der WirtPO RF in der Literatur verwiesen: Reitemeier, Osteuropa-Recht 2003, 139 f., Pashchenko, WGO-MfOR 2003, 21 f.; Piksin/Dethloff, in: Piksin/Dethloff (Hrsg.), Die Wirtschaftsprozessordnung der Russischen Föderation, S. 45 ff.; Moyseenko/Wedde, Osteuropa-Recht 2007, 167. 62

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

3. Disziplinäre Gerichtsbehörde Die Disziplinäre Gerichtsbehörde (Disciplinarnoe sudebnoe prisutstvie) ist ein Sondergericht für Richter, das Streitigkeiten über deren Amtsenthebung entscheidet. Diese Gerichtsbehörde wurde 2009 gegründet und hat ihre Tätigkeit im März 2010 aufgenommen. Die Schaffung dieser Gerichsbehörde wurde mit der Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit begründet. Der Sitz der Gerichtsbehörde ist Moskau.64 Die Rechtsgrundlage der Disziplinären Gerichtsbehörde stellt das Bundesverfassungsgesetz RF vom 09. 11. 2009 (Nr. 4-E;8).65 Die Gerichtsbehörde besteht aus sechs Richtern, die von den Richterversammlungen des OG RF sowie OWG RF für drei Jahre gewählt werden. Sowohl die betroffenen Richter als auch der Vorsitzende des OG RF bzw. OWG RF können Amtsenthebungsentscheidungen vom entsprechenden disziplinären Richterausschuss (Richterqualifikationskollegium), mit denen sie nicht einverstanden sind, vor der Gerichtsbehörde anfechten. Das Verfahren richtet sich nach den Regelungen zum Verfahrensablauf von öffentlichrechtlichen Streitigkeiten der ZPO RF sowie nach einer speziellen Prozessordnung (reglament), die von der Richterversammlung der beiden Obersten Gerichte Russlands verabschiedet wurde.66 Im Lichte der EGMR-Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die vor der Disziplinärbehörde behandelten Streitigkeiten im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK liegen.67 4. Verfassungsgericht der Russischen Föderation (VerfG RF) Rechtsgrundlagen des Verfassungsgerichtes der Russischen Föderation (VerfG RF) sind Art. 125 Verf. RF und das Bundesverfassungsgesetz RF (Nr. 1-E;8) „Über das Verfassungsgericht der Russischen Föderation“ (VerfGG)68 vom 21. 07. 1994 (in Kraft seit 23. 07. 1994) mit weiteren Änderungen.69 Sitz des VerfG RF war Moskau (Art. 115 Abs. 1 VerfGG a.F.), später wurde sein Umzug nach Sankt Petersburg beschlossen.70 Ende Mai 2008 hat das VerfG RF seine Arbeit am neuen Sitz aufgenommen. Das VerfG RF besteht aus 19 Richtern (Art. 125 Abs. 1 Verf. RF). In vieler Hinsicht (Organisation, Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen, Status der Ver64

Vgl. . SZ RF 2009, Nr. 45, Pos. 5261. 66 Vgl. . 67 Vgl. EGMR (GK), Urt. vom 19. 04. 2007 (Nr. 63235/00), Vilho Eskelinen and Others v. Finland, Z. 62 f. 68 SZ RF 1994, Nr. 13, Pos. 1447; dt. Übersetzung in: EuGRZ 1996, 219 ff. 69 Ausführlich dazu Krjazˇkov/Lazarev, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation (2001). 70 Vgl. Bundesverfassungsgesetz vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-E;8), SZ RF 2007, Nr. 7, Pos. 829. 65

§ 2 Zwangsvollstreckungsorgane

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fassungsrichter) orientiert sich das VerfG am deutschen Bundesverfassungsgericht.71 Dessen ungeachtet ist auf zwei Unterschiede hinzuweisen: Erstens kann das VerfG RF nicht über die Verfassungsmäßigkeit von Entscheidungen anderer Gerichte entscheiden. Es darf nur klären, welche Auslegung einem Gesetz zuerkannt wird (konkrete Normenkontrolle), vgl. Art. 79 Abs. 5 VerfGG. Zweitens hat das VerfG RF die Kompetenz der so genannten „direkten Auslegung der Verfassung“ (Art. 125 Abs. 5 Verf. RF), die keine Rüge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder eines anderen Rechtssatzes voraussetzt. Bei diesem Verfahren handelt es sich um die abstrakte Verfassungsauslegung, die auf Antrag der in Art. 125 Abs. 5 Verf. RF aufgezählten höchsten Staatsorgane zu erfolgen hat.72 5. Ausblick: Wiederaufnahme des Verfahrens im russischen Gerichtssystem Jeder Spruchkörper der Bundesgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Wirtschaftsgerichte sowie Friedensrichter und die Disziplinäre Gerichtsbehörde kann das Verfahren wegen neuer bzw. neu bekannt gewordener Tatsachen wiederaufnehmen und seine eigene Entscheidung überprüfen (vgl. Art. 393 ZPO RF, Art. 310 WirtPO RF, Art. 20 VerfO der Disziplinären Gerichtsbehörde). Auch einige Verfassungsgerichte der Föderationssubjekte haben diese Möglichkeit.73 Das VerfG RF dagegen hat eine solche Befugnis nicht.

§ 2 Zwangsvollstreckungsorgane Das Organ der Zwangsvollstreckung in Russland ist der Zwangsvollstreckungsdienst (sluzˇba sudebnyh pristavov).74 Die rechtliche Grundlage seiner Tätigkeit bilden das Bundesgesetz RF vom 02. 10. 2007 (Nr. 229-E8) „Über Vollstreckungsverfahren“ (ZVG RF 2007)75, das Bundesgesetz RF vom 21. 07. 1997

71 Tumanov, in: Frowein/Marauhn (Hrsg.), Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mittel- und Osteuropa, S. 77. 72 Das VerfG RF besitzt noch Befugnisse zur präventiven Verfassungsmäßigkeitskontrolle völkerrechtlicher Verträge (Art. 125 Abs. 2 lit. g Verf. RF), im Bereich Organstreitigkeiten (Art. 125 Abs. 3 Verf. RF) und im Strafverfahren gegen den Präsidenten RF (vgl. Art. 125 Abs. 7 Verf. RF). 73 2_Ra_SQ, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2002, Nr. 10, S. 12. 74 Ausführlich dazu Kenk, Die Zwangsvollstreckung in der Russischen Föderation (2003); Steinbach, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile und Schiedssprüche in der Russischen Föderation (2003), S. 222 ff.; Solotych, Die Vollstreckung von Gerichtsurteilen in Russland. Unter besonderer Berücksichtigung der Vollstreckung ausländischer Urteile, forost Arbeitspapier Nr. 35 (Juni 2006). 75 SZ RF 2007, Nr. 41, Pos. 4849. ZVG RF 2007 gilt seit 01. 02. 2008 (vgl. Art. 130 Abs. 1 des Gesetzes).

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

(Nr. 118-E8) „Über die Gerichtsaufseher und Gerichtsvollzieher“76 (mit Änderungen), entsprechende Vorschriften in der ZPO RF (Artt. 428 ff.) und WirtPO RF (Artt. 318 ff.), sowie andere auf deren Grundlage erlassene Vorschriften. Der Vollstreckungsdienst bildet eine Institution innerhalb des Justizministeriums und ist ein Organ der Exekutive.77 Früher waren Gerichtsvollzieher den Rayon-Gerichten unterstellt (vgl. Artt. 348 f. ZPO RSFSR). Die neue Zuordnung sollte dem Gerichtsvollzieher mehr Selbständigkeit verleihen, ohne ihn der richterlichen Kontrolle zu entziehen.78 Die Organe des Vollstreckungsdienstes werden wie föderale Gerichte in verwaltungsterritorialen Einheiten (Rayons) gebildet. Der Vollstreckungsdienst ist streng hierarchisch gegliedert. Die Vollstreckungsorgane im Rahmen eines Föderationssubjekts der Russischen Föderation unterstehen dem Hauptgerichtsvollzieher des Subjekts, an der Spitze des Vollstreckungsdienstes steht der Direktor – der Hauptgerichtsvollzieher der Russischen Föderation. Das Personal des Dienstes beläuft sich auf etwa 75.000 Mitarbeiter.79

§ 3 Erschöpfung russischer innerstaatlicher Rechtsbehelfe nach Art. 35 Abs. 1 EMRK Der Rechtsschutz durch den EGMR ist im Verhältnis zum Rechtsschutz auf innerstaatlicher Ebene subsidiär. Der EGMR kann sich mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe in Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts und nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung befassen (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Daher soll im Folgenden die auszuschöpfenden Rechtsbehelfe der russischen Justiz in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EMRK kurz dargestellt werden.80 Der EGMR legt den Begriff „Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe“ autonom81 aus und unterscheidet zwischen fortdauernden (continuing violations) und abgeschlossenen Konventionsverletzungen (instantaneous acts). Eine fortdauernde Konventionsverletzung stellt eine Situation dar, in welcher dem Beschwerdeführer 76

SZ RF 1997, Nr. 30, Pos. 3590. Vgl. Z. 1 der Ordnung „Über den föderalen Gerichtsvollzieherdienst“, bestätigt durch Erlass des Präsidenten RF vom 13. 10. 2004 (Nr. 1316), SZ RF 2004, Nr. 42, Pos. 4111. 78 AViVc^Y[_SQ/Pa[_S, 4aQWUQ^b[_V `aQS_ Y TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb S b_SaV]V^^_Z A_bbYY, S. 193 ff. 79 Vgl. Präsident RF, Erlass vom 13. 10. 2004 (Nr. 1316), Z. 3, SZ RF 2004, Nr. 42, Pos. 4111. 80 Allgemein zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Beschwerde vor dem EGMR Grabenwarter, EMRK, § 13 Rn. 2 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 35 Rn. 1 ff.; Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 35 Rn. 1 ff. 81 EGMR, Urt. vom 23. 03. 1994 (Nr. 14940/89), Silva Pontes v. Portugal, Z. 29. 77

§ 3 Erschöpfung russischer innerstaatlicher Rechtsbehelfe

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über einen längeren Zeitraum in der Konvention verbürgte Rechte entzogen sind.82 Bei einer beendeten Verletzung liegt keine Verletzung mehr vor, obwohl ihre Folgen auch nach ihrer Beendigung fortdauern können (instantaneous act producing continuing effects).83 Dabei ist auf die Umstände des Einzelfalls und die Fassung der jeweils einschlägigen Konventionsbestimmung abzustellen.84 Sofern die in der Konvention verankerten Rechte und Freiheiten dem Einzelnen eine bestimmte Situation garantieren, stellt deren Vorenthaltung eine andauernde Konventionsverletzung dar.85 Etwas anderes gilt, wenn sich der Beschwerdeführer in erster Linie gegen das konventionswidrige Zustandekommen einer konkreten Entscheidung wendet, die fortdauernde Auswirkungen hat. Hinsichtlich der in Art. 6 Abs. 1 EMRK verbürgten Rechte kommen vor allem folgende fortdauernde Konventionsverletzungen in Betracht: lange Dauer des Gerichtsverfahrens86 sowie unangemessen lange Nichtvollstreckung von Gerichtsentscheidungen.87 Auch die permanente Verweigerung des Zugangs zu Gericht, um Ansprüche gegen einen Dritten durchzusetzen, kann unter Umständen eine andauernde Konventionsverletzung darstellen.88 Ver82

EGMR, Ent. vom 19. 10. 2004 (Nr. 65106/01), Karpov v. Russia, Z. 1: „[T]he concept of a ,continuing situation‘ refers to a state of affairs which operates by virtue of continuous activities by or on the part of the State to render the applicant a victim of a violation of the Convention“; allgemein hierzu: Loucaides, The concept of „continuing“ violations of human rights, in: Mahoney u. a. (Hrsg.), GS Ryssdal, S. 803 ff. 83 EGMR, Ent. vom 01. 04. 2004 (Nr. 50357/99), Camberrow MM5 AD v. Bulgaria, Z. 2: „[T]he fact that an event has significant consequences over time does not in itself constitute a continuing situation for the purposes of Article 35 § 1 of the Convention“. 84 Polakiewibz, ZaöRV 1992, 173. 85 Es ist besonders hervorzuheben, dass das Bestehen gesetzlicher Vorschriften eine konventionswidrige Situation und somit andauernde Konventionsverletzung darstellen kann, vgl. EGMR, Urt. vom 29. 11. 1991 (Nr. 12849/87), Vermeire v. Belgium (Diskriminierung unehelicher Kinder im Erbrecht). Ausführlich dazu Polakiewibz, ZaöRV 1992, 149 ff. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 23. 05. 2006 (Nr. 32570/03), Grant v. the United Kingdom (Diskriminierung von Transsexuellen in der Sozialversicherung). 86 Vgl. EGMR, Urt. vom 23. 09. 2004 (Nr. 60408/00), Yemanakova v. Russia, Z. 36 ff.; Urt. vom 23. 04. 2009 (Nr. 1479/08), Ballhausen v. Germany. 87 EGMR, Urt. vom 06. 03. 2008 (Nr. 9769/04), Trunov v. Russia, Z. 15: „[N]on-enforcement of a judgment is a continuing situation“. 88 EKMR, Ent. vom 07. 12. 1988 (Nr. 12750/87), Philis v. Greece: „Die Kommission stellt fest, dass die behauptete Verweigerung eines Zugangs zum Gericht eine andauernde Situation darstellt“, dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 1989, 268; EGMR, Urt. vom 10. 02. 2005 (Nr. 69315/01), Sukhorubchenko v. Russia, Z. 54 „The Court finds therefore that the long period during which the applicant was prevented from having his civil claim determined by the domestic court as a consequence of the defective notification entailed a violation of Article 6 § 1 of the Convention [right of access to a court]“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 4856/ 03), Dubinskaya v. Russia, Z. 40 ff.; Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 3354/02), Gorbachev v. Russia, Z. 26 ff. Jedoch wurden die Beschwerden gegen die Verweigerung des Zugangs zu Gericht wegen des Verstreichens der Sechsmonatsfrist gelegentlich abgewiesen: EGMR, Ent. vom 06. 05. 2004 (Nr. 33408/03), Denisov v. Russia. Nach der Rechtsprechung des EGMR handelt es sich um fortdauernde Auswirkungen eines Einzelaktes, wenn der Beschwerdeführer eine ihm gegenüber bereits ergangene verwaltungsbehördliche Verfügung auf Grund der Rechtslage vor

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

letzungen anderer Garantien des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK), wie ein nichtöffentliches Gerichtsverfahren, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör etc., dauern sicherlich eine Weile, die Verletzungshandlung ist jedoch mit Rechtskraft der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung beendet.89 Die konventionswidrige Aufhebung einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung stellt eine abgeschlossene Konventionsverletzung dar.90 Diese Unterscheidung ist bei der Berechnung der Beschwerdefrist wichtig. Bei andauernden Konventionsverletzungen endet die Sechsmonatsfrist nach der Beendigung der konventionswidrigen Situation,91 die Beschwerde vor dem EGMR ist während der andauernden Verletzung jederzeit zulässig (wenn keine Rechtsbehelfe gegen sie vorhanden sind).92 Bei abgeschlossenen Verletzungen endet die Frist sechs Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Jedoch beginnt die Sechsmonatsfrist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht mit der Verkündung der endgültigen Entscheidung, wie der Wortlaut des Art. 35 Abs. 1 EMRK nahe legt, sondern ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer (bzw. sein Vertreter) wirksam und ausreichend von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat.93 Wenn die Entscheidung nach innerstaatlichem Recht zugestellt werden muss, was in Russland hinsichtlich der nicht erschienenen Prozessbeteiligten der Fall ist (vgl. Art. 214 ZPO RF), ist das Zustellungsdatum maßgebend.94 Wie oben dargelegt, können fortdauernde Konventionsverletzungen vor dem EGMR grundsätzlich vor ihrer Beendigung geltend gemacht werden. Gegen eine überlange Verfahrensdauer95 sowie gegen Nichtvollstreckung rechtskräftiger Ge-

Gericht nicht bekämpfen kann: EGMR, Urt. vom 08. 06. 1995 (Nr. 14726/89), Kefalas v. Greece, Z. 45. Vgl. auch EKMR, Ent. vom 29. 03. 1993 (Nr. 19438/92), A.J. and M.J. v. Sweden: „[I]t cannot be seen as a new violation of the Convention“. 89 Vgl. etwa EGMR, Ent. vom 16. 10. 2003 (Nr. 55723/00), Fadeyeva v. Russia, Z. 2. 90 EGMR, Urt. vom 02. 04. 2009 (Nr. 34615/02), Kravchenko v. Russia, Z. 34: „[T]he quashing of a final judgment is an instantaneous act, which does not create a continuing situation, even if it entails the re-opening of the proceedings“. 91 Vgl. EGMR, Urt. vom 13. 04. 2006 (Nr. 75470/01), Sukhobokov v. Russia, Z. 29 f. (in Bezug auf die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens); Urt. vom 17. 03. 2005 (Nr. 38305/02), Gorokhov and Rusyayev v. Russia, Z. 27 (in Bezug auf die unangemessene Dauer der Vollstreckung einer Gerichtsentscheidung). 92 Vgl. EGMR, Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 77089/01), Olshannikova v. Russia, Z. 1, 33 f. (in Bezug auf die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens); Ent. vom 25. 03. 2004 (Nr. 15021/02), Wasserman v. Russia (in Bezug auf die unangemessene Dauer der Vollstreckung einer Gerichtsentscheidung). 93 Vgl. EGMR, Urt. vom 14. 10. 2008 (Nr. 68337/01), Buzychkin v. Russia, Z. 91. 94 Ebenda. 95 EGMR, Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 61 ff.; Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 28639/03), Savenko v. Russia, Z. 35 f.; Urt. vom 15. 07. 2010 (Nr. 25270/06), Salikova v. Russia, Z. 72 ff.

§ 3 Erschöpfung russischer innerstaatlicher Rechtsbehelfe

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richtsentscheidungen gegen den Staat96 gab es in der russischen Rechtsordnung lange Zeit keine wirksamen Rechtsbehelfe, deswegen mussten sie auch vor Einlegung der Beschwerde nicht ausgeschöpft werden. Die Lage änderte sich mit dem In-KraftTreten des Gesetzes vom 30. 04. 2010 (Nr. 68-E8) “Über die Kompensation für die Verletzung des Rechts auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder des Rechts auf Vollstreckung eines gerichtlichen Aktes innerhalb angemessener Frist“ (KompensationsG),97 das einen Rechtsbehelf dagegen eingeführt hat. Art. 2 Abs. 2 KompensationsG ermächtigt innerstaatliche Gerichte eine entsprechende Konventionsverletzung festzustellen sowie finanzielle Entschädigung zuzusprechen und verpflichtet die Gerichte, die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Standards (einschließlich Höhe der Entschädigung) zu berücksichtigen. Der EGMR geht jetzt davon aus, dass Beschwerdeführer den neuen Rechtsbehelf auszuschöpfen haben.98 Beim Unterlassen der Zwangsvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen gegen private Personen muss eine Beschwerde gegen den Gerichtsvollzieher vor Gericht eingelegt werden.99 Als endgültige Entscheidungen in Bezug auf die russische ZPO betrachtet der EGMR Entscheidungen der Kassationsinstanz.100 Trotz mehrerer Reformen des Aufsichtsverfahrens in den letzten Jahren stellt die Aufsichtsbeschwerde im russischen Zivilprozessrecht (im Gegensatz zum Wirtschaftsprozessrecht)101 nach der Auffassung des EGMR immer noch keinen effektiven Rechtsbehelf im Sinne des Art. 35 Abs. 1 EMRK dar.102 Da Entscheidungen der Friedensrichter einer Über96 EGMR, Ent. vom 16. 09. 2004 (Nr. 24669/02), Gerasimova v. Russia; Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 72374/01), Kazmina v. Russia, Z. 23; Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2), Z. 101 ff.; noch anders jedoch EGMR, Ent. vom 13. 11. 2003 (Nr. 24669/02), Gerasimova v. Russia, Z. 2. 97 SZ RF 2010, Nr. 18, Pos. 2144. In Kraft seit 04. 05. 2010, vgl. Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes. 98 EGMR, Ent. vom 23. 09. 2010 (Nr. 26716/09 u. a.), Fakhretdinov and Others v. Russia, Z. 24 ff. (in Bezug auf die überlange Verfahrensdauer); Ent. vom 23. 09. 2010 (Nr. 27451/09 u. a.), Nagovitsyn and Nalgiyev v. Russia, Z. 27 ff. (in Bezug auf die Nichtvollstreckung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen gegen den Staat). 99 EGMR, Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 2202/05), Tishkevich v. Russia, Z. 17 f. 100 EGMR, Ent. vom 05. 11. 2009 (Nr. 29612/09), Martynets v. Russia. Folglich ist die Auffassung überholt, dass zur Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe i.S.v. Art. 35 Abs. 1 EMRK die Anrufung von Obergerichten und eine Beschwerde beim Ombudsmann der Russischen Föderation erforderlich sei (vgl. bspw. E_[_S, OaYbc 2000, Nr. 3, S. 46). 101 EGMR, Ent. vom 25. 06. 2009 (Nr. 6025/09), Kovaleva and Others v. Russia. In der Entscheidung vom 04. 09. 2003 (Nr. 13338/03), AO „Uralmash“ v. Russia, hielt der EGMR die Aufsichtsbeschwerde im russischen Wirtschaftsprozessrecht noch für keinen wirksamen Rechtsbehelf. 102 In Bezug auf das alte Institut des Aufsichtsverfahrens nach der ZPO RSFSR 1964: EGMR, Ent. vom 22. 06. 1999 (Nr. 47033/99), Tumilovich v. Russia; in Bezug auf das Institut des Aufsichtsverfahrens nach der ZPO RF 2002: EGMR, Ent. vom 06. 05. 2004 (Nr. 33408/03), Denisov v. Russia; in Bezug auf das Institut des Aufsichtsverfahrens nach der ZPO RF 2002 (i. d. F. des Gesetzes vom 04. 12. 2007): Ent. vom 05. 11. 2009 (Nr. 29612/09), Martynets v. Russia. Wenn aber der Beschwerdeführer im Aufsichtsverfahren Erfolg hatte, fehlt ihm die

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Kap. 2: Russische Justiz im Lichte der EMRK

prüfung in der Kassationsinstanz nicht unterliegen, betrachtet der EGMR Entscheidungen der Appellationsinstanz (Rayon-Gerichte) als endgültig i.S.v. Art. 35 Abs. 1 EMRK.103 Das VerfG RF ist ausschließlich ein Normenkontrollorgan und schafft keine Abhilfe bei individuellen Rechtsakten, deswegen muss es grundsätzlich nicht angerufen werden.104 Die Erschöpfung der Verfassungsbeschwerde kommt aber in den Fällen in Betracht, in denen die Ursache der Verletzung unmittelbar im Bestehen einer gesetzlichen Norm liegt.105 So ein Fall ist allerdings in Bezug auf die Russische Föderation vor dem EGMR noch nicht vorgekommen. Angesichts der vielen Verurteilungen vor dem EGMR wurde ein neues Gesetz diskutiert, das Beschwerden gegen die Verletzung der EMRK beim OG RF zulassen will.106 Damit würde eine zusätzliche innerrussische Instanz geschaffen, bevor russische Beschwerdeführer sich an den EGMR wenden dürfen. Am 09. 12. 2010 wurde das Bundesgesetz RF (Nr. 353-E8)107 verabschiedet, wodurch das Aufsichtsverfahren in der ZPO RF zum 01. 01. 2012 erneut reformiert werden soll. Es bleibt abzuwarten, ob der EGMR das reformierte Aufsichtsverfahren als einen effektiven Rechtsbehelf im Sinne des Art. 35 Abs. 1 EMRK ansehen wird.

Opfereigenschaft und seine EGMR-Beschwerde ist somit unzulässig; EGMR, Ent. vom 12. 09. 2000 (Nr. 45665/99), Nikishina v. Russia. 103 EGMR, Ent. vom 13. 11. 2008 (Nr. 5836/05), Alekseyev v. Russia. 104 EGMR, Ent. vom 22. 06. 1999 (Nr. 47033/99), Tumilovich v. Russia, Z. 1; Ent. vom 06. 07. 2006 (Nr. 14085/04), Sergey Smirnov v. Russia, Z. 1 lit. a; Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 21851/03), Bezymyannaya v. Russia, Z. 21. Vgl. auch VerfG RF, Beschl. vom 13. 01. 2000 (Nr. 6-O), Z. 5 Abs. 2: „Die Durchführung eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gehört nicht zur Erschöpfung des Rechtsweges und ist daher keine notwendige Voraussetzung für die Erhebung einer Beschwerde [beim EGMR]“, SZ RF 2000, Nr. 11, Pos. 1244. Dasselbe gilt für Verfassungs- und Statutengerichte der Föderationssubjekte der RF, vgl. Art. 27 GVG RF 1996. 105 Ferschtman, in: Barkhuysen/van Emmerik/van Kempen (Hrsg.), The Execution of Strasbourg and Geneva Human Rights Decisions in the National Legal Order, S. 134. Vgl. auch EGMR, Ent. vom 13. 02. 2003 (Nr. 36117/02), Grisˇankova and Grisˇankovs v. Latvia; Ent. vom 09. 10. 2003 (Nr. 47414/99), Szott-Medynska and Others v. Poland, in denen Anrufung des Verfassungsgerichts für eine Normenkontrolle als ein zu erschöpfender Rechtsbehelf bewertet wurde. 106 Nußberger, Ende des Rechtsstaates in Russland?, S. 62. Vgl. auch Europarat, Pressemitteilung DC007(2011) vom 20. 05. 2011, . 107 SZ RF 2010, Nr. 50, Pos. 6611.

Kapitel 3

EMRK in der russischen Rechtsordnung § 1 Rang der EMRK in der russischen Rechtsordnung Das Völkerrecht legt den Staaten die Verbindlichkeit auf, vertraglich übernommene Verpflichtungen zu erfüllen (pacta sunt servanda), vgl. Art. 26 WVK. Am effektivsten kann das Völkerrecht Wirkung entfalten, wenn es im Inland unmittelbar gilt und den höchsten Rang besitzt. Die Verbindlichkeit der EMRK für die Vertragsstaaten als Völkerrechtssubjekte stellt eine unabdingbare, jedoch nicht die einzige Voraussetzung für deren Anwendbarkeit durch den Rechtsanwender dar. Die Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen kann in manchen Staaten ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers sein, nicht hingegen der Gerichte. Die Geltung des Völkerrechts im Inland richtet sich nach dem autonomen Recht des jeweiligen Staates. Die EMRK legt ihre innerstaatlichen Wirkungen nicht selbst fest, diese hängen deswegen – wie auch sonst im Völkerrecht – vom internen Recht der Vertragsparteien ab.1 Gemäß Art. 15 Abs. 4 Satz 1 Verf. RF gelten allgemein anerkannte Grundsätze und Regeln des Völkerrechts sowie zwischenstaatliche Verträge RF als Bestandteil der russischen Rechtsordnung. Kraft dieser Vorschrift sowie auf Grund des Ratifizierungsgesetzes gilt die EMRK auf dem Gebiet Russlands. Gleichzeitig wird sie dadurch zum innerstaatlichen Recht der Russischen Föderation. I. Unmittelbare Anwendbarkeit der EMRK Laut Art. 5 Abs. 3 des Bundesgesetzes RF vom 15. 07. 1995 „Über die völkerrechtlichen Verträge“ (Nr. 101-E8)2 gelten die Vorschriften offiziell bekannt gemachter völkerrechtlicher Verträge, welche keiner innerstaatlichen Rechtsakte zu ihrer Umsetzung bedürfen, in Russland unmittelbar. Zur Umsetzung sonstiger

1 Sauer, ZaöRV 2005, 40; vgl. auch Huber, in: Conrad u. a. (Hrsg.), GS Peters, S. 390: „Nach der wohl vorherrschenden Auffassung ist es aber doch das Verfassungsrecht der einzelnen Vertragsstaaten, das über die unmittelbare Anwendung des Rechts der Konvention innerhalb dieser Staaten, über das Verfahren der Herbeiführung dieser Anwendung und schließlich über den Rang des allenfalls inkorporierten Rechts befindet“. 2 SZ RF 1995, Nr. 29, Pos. 2757; engl. Übersetzung in: Butler, The Law of Treaties in Russia and the Commonwealth of Independent States, S. 5 ff.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Vorschriften völkerrechtlicher Verträge der Russischen Föderation werden entsprechende Rechtsakte erlassen. Die EMRK wurde offiziell bekannt gemacht, sie enthält ziemlich genau bestimmte Vorschriften, die als unmittelbar anwendbar angesehen werden können,3 und bedarf daher keiner innerstaatlichen Rechtsakte zu ihrer Umsetzung, so dass sie folglich in der RF unmittelbar gilt.4 Das bedeutet, dass alle staatlichen und kommunalen Organe der RF verpflichtet sind, die Vorschriften der EMRK im Rahmen ihrer Tätigkeit anzuwenden und zu befolgen, und private und juristische Personen können sich dabei auf die Normen der EMRK berufen.5 So ist die EMRK insbesondere von Gerichten bei der Entscheidung von Zivil- und Strafsachen anzuwenden. II. Rang der EMRK in der Hierarchie der Normen des Prozessrechts Wenn ein Widerspruch zwischen Vorschriften des prozessualen oder des materiellen Rechts besteht, die bei der Entscheidung eines konkreten Falles anzuwenden sind, wird die höherrangige Norm angewandt (Art. 120 Abs. 2 Verf. RF, Art. 5 Abs. 3 GVG6 RF 1996). In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, welchen Rang die EMRK in der Hierarchie der Normen des Prozessrechts hat. Zu diesem Zweck ist zunächst zu klären, welche Rechtsquellen das Gerichtsverfahren in Zivilsachen in der Russischen Föderation regeln. 1. Quellen des Zivilprozessrechts Gemäß Art. 71 lit. o Verf. RF liegt die zivilprozessuale Gesetzgebungskompetenz bei der Russischen Föderation. Das bedeutet, dass Föderationssubjekte nicht be3

Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, S. 42 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 405; Sauer, ZaöRV 2005, 39; Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Einl. Rn. 33. 4 VerfG RF, Beschl. vom 23. 01. 2001 (Nr. 40-?), Z. 2; Beschl. vom 20. 11. 2003 (Nr. 405-?), Z. 3. Folglich ist die Auffassung, dass die EMRK ausschließlich für den EGMR unmittelbar anwendbar sei und nicht für innerstaatliche Gerichte unmittelbar gelte (4QSaY\_S, in: F_f\_S (Hrsg.), 6Sa_`VZb[Qp [_^SV^gYp _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U, Bd. I (1999), S. 54, 56), überholt. 5 Ferschtman, in: Blackburn/Polakiewicz (Hrsg.), Fundamental Rights in Europe, S. 736; vgl. UN, Generalversammlung, Resolution A/RES/56/83 vom 28. 01. 2002, Anlage „Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen“, Art. 4 Abs. 1: „Das Verhalten eines jeden Staatsorgans ist als Handlung des Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten, gleichviel ob das Organ Aufgaben der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt, der Rechtsprechung oder andere Aufgaben wahrnimmt, welche Stellung es innerhalb des Staatsaufbaus einnimmt und ob es sich um ein Organ der Zentralregierung oder einer Gebietseinheit des Staates handelt“; EGMR, Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 30138/02), Nurmagomedov v. Russia, Z. 61: “[I]t should be stressed that Governments are answerable under the Convention for the acts of any State agency since what is in issue in all cases before the Court is the international responsibility of the State“. 6 SZ RF 1997, Nr. 1, Pos. 1; dt. Übersetzung in: JOR 2002, Hbd. 1, S. 361 ff.

§ 1 Rang der EMRK in der russischen Rechtsordnung

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rechtigt sind, Gesetze in diesem Bereich zu erlassen7 und dass die Gerichte solche Gesetze nicht anwenden dürfen. Wie oben im Kapitel 2 dargelegt ist, sind für die Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten nach russischem Recht Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Wirtschaftsgerichte zuständig. Sie verfügen über ihre eigenen Prozessordnungen, die Zivilprozessordnung 2002 (ZPO RF) und die Wirtschaftsprozessordnung 2002 (WirtPO RF). Gemäß Art. 1 ZPO und Art. 3 Satz 2, 3 WirtPO werden die Zivil- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit durch die Verf. RF, völkerrechtliche Abkommen sowie Bundesverfassungsgesetze und Bundesgesetze geregelt. Das bedeutet, dass der Präsident und die Regierung Russlands ebenso wenig wie sonstige Bundesministerien oder Behörden berechtigt sind, normative Akte zu erlassen, die zivilprozessuale Normen enthalten (z. B. ein dem Gerichtsverfahren vorgelagertes außergerichtliches Schlichtungsverfahren einzuführen, die gerichtliche Zuständigkeit oder die Bewertung von Beweismitteln zu regeln), während die Gerichte solche Vorschriften im Falle ihres Erlasses nicht anwenden dürfen.8 Eine besondere Stellung in der russischen Rechtsordnung haben Erläuterungen des OG RF und OWG RF.9 Traditionell haben Obergerichte in Russland die Befugnis, Erläuterungen der Gesetzgebung zu erlassen.10 Historisch kann diese Befugnis mit der Regelungsnot und der schlechten Qualifikation von Richtern an unteren Gerichten in den ersten Jahren der Sowjetmacht und mit der totalen Kontrolle der kommunistischen Partei in der UdSSR erklärt werden. Die Verfassung RF 1993 enthält diese Befugnis in Art. 126 für das OG RF und in Art. 127 für das OWG RF. Die Erläuterungen erfolgen in der Regel in Form von Plenumsbeschlüssen (postanovleniâ plenuma), die einen bestimmten Gegenstand behandeln und eine umfassende Regelung darstellen. In den Beschlüssen werden zahlreiche Gesetzesnormen zitiert, aber eben auch Fragen erläutert, die durch Gesetz nicht ausdrücklich geregelt sind. Im Prinzip sind Plenumsbeschlüsse abstrakt-generelle Regelungen, sie enthalten aber keine Regelung über ihr In-Kraft-Treten, da sie keine neuen Normen schaffen, sondern nur bestehende Vorschriften „konkretisieren“ sollen. Sie teilen das Schicksal des ausgelegten Gesetzes. Gemäß Art. 56 GVG RSFSR 1981 waren Plenumsbeschlüsse des OG RF für Gerichte und andere Rechtsanwender, die ein durch einen Plenumsbeschluss ausgelegtes Gesetz anwenden, bindend. Sie wurden in diesem Artikel als „leitende Erläuterungen“ bezeichnet. Die Plenumsbeschlüsse des OWG werden im WirtschaftsGVG nur für Wirtschaftsgerichte für bindend erklärt (Art. 13 Abs. 2). Das 7 OG RF, Beschl. vom 05. 08. 2003 (Nr. 58-403-17), 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2004, Nr. 8, S. 12. 8 7dZ[_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2003, Nr. 4, S. 13. 9 Ausführlich dazu Burkov, Russian Law 2011, Nr. 1, S. 85 ff. 10 Vgl. Art. 43 lit. a Verfassung UdSSR von 1924, Vestnik CIK, SNK i STO SSSR 1924, Nr. 2, Pos. 24; dt. Übersetzung in: Eljaschoff, Die Grundzüge der Sowjetverfassung (1925), S. 85 ff.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

AllgGerGVG RF von 2011, das GVG RSFSR 1980 ersetzte, ermächtigt nun das Plenum des OG RF, „Gerichten der allgemeinen Jurisdiktion Erläuterungen zu Fragen der Rechtsanwendung zum Zwecke von Sicherstellung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu geben“ (Art. 14 Abs. 4 Nr. 1). Es fehlt jeglicher Hinweis auf Bindungskraft von Plenumsbeschlüssen. Soweit ersichtlich halten jedoch ordentliche Gerichte die Plenumsbeschlüsse des OG RF nach wie vor für bindend (zumindest de facto). Gemäß Art. 120 Abs. 2 Verf. RF hat das Gericht jedoch nach dem Gesetz zu entscheiden, wenn ein Akt eines Staatsorganes dem Gesetz widerspricht. Nach der Auffassung des VerfG RF gilt dies auch in Bezug auf Plenumsbeschlüsse des OG und OWG.11 Gemäß Art. 170 Abs. 4 WirtPO RF können Wirtschaftsgerichte die Plenumsbeschlüsse des OWG RF in ihren Entscheidungen zitieren. Obwohl eine ähnliche Vorschrift in der ZPO RF fehlt, berufen sich ordentliche Gerichte in ihren Entscheidungen traditionell auf die Plenumsbeschlüsse des OG RF.12 Manchmal erlassen das OG und das OWG RF gemeinsame Beschlüsse, in denen Gesetze ausgelegt werden, die für beide Zweige der Justiz von Bedeutung sind. Das sind in der Regel Auslegungen des materiellen Rechts, aber auch Zuständigkeitsregelungen.13 Manchmal können die gemeinsamen Plenumsbeschlüsse nicht erlassen werden, da zwischen beiden Obergerichten kein Konsensus erreicht werden kann. Die Plenumsbeschlüsse sind zahlreich und haben eine sehr große Bedeutung in der Praxis. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: Die neue ZPO RF ist am 01. 02. 2003 in Kraft getreten, aber schon am 20. 01. 2003 (also 10 Tage früher!) hatte das OG RF den Plenumsbeschluss [Erläuterungen] „Über einige Fragen, die mit InKraft-Treten der ZPO RF entstehen“14 erlassen. Sie werden wegen ihrer Bindungskraft, der Autorität der erlassenden Gremien sowie unter dem Aspekt der Rechtssicherheit sehr geschätzt und ständig von den Rechtsanwendern in ihrer Arbeit verwendet. Bei der wissenschaftlichen Kommentierung von Gesetzen werden die „Erläuterungen“ in der Regel systematisiert und wiedergegeben. Die Herausgabe verbindlicher Erläuterungen wird von einigen Autoren im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip als bedenklich angesehen, da sie für Gerichte gesetzesähnliche Bedeutung haben.15 Das VerfG RF hat dies allerdings ohne 11 VerfG RF, Beschl. vom 13. 07. 2000 (Nr. 197-?), Z. 2 Abs. 3, 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 2001, Nr. 4, S. 4; Beschl. vom 21. 02. 2002 (Nr. 21-?), Z. 2 Abs. 2; Beschl. vom 14. 03. 1995 (Nr. 17-?), Z. 2 Abs. 2. 12 7dZ[_S, in: 7dZ[_S (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ `_bcQ^_S\V^Yp] @\V^d]Q 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE `_ TaQWUQ^b[Y] UV\Q], S. 8. 13 Vgl. z. B. Plenumsbeschl. [Erläuterungen] des OG RF und OWG RF „Über einige Fragen der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und Wirtschaftsgerichte“ vom 18. 08. 1992 (Nr. 12/ 12). 14 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2003, Nr. 3, S. 1 ff. 15 Révész, Justiz im Ostblock, S. 222 m.w.N.; Schröder, Das Oberste Gericht der UdSSR, S. 42: „Plenumsbeschlüsse greifen in die Unterwerfung des Richters unter das Gesetz ein,

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nähere Begründung als mit dem Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar eingestuft.16 2002 hat das VerfG RF ausgeführt: „Art. 13 Abs. 2 WirtschaftGVG, der das Plenum des OWG RF ermächtigt, für Wirtschaftsgerichte verbindliche Beschlusse zu erlassen, regelt das Verhältnis zwischen dem Plenum des OWG RF und anderen Wirtschaftsgerichten der RF, folglich betrifft diese Norm nicht unmittelbar Verfassungsrechte und -freiheiten des Beschwerdeführers“17 und die Verfassungsbeschwerde für unzulässig erklärt. In der Literatur wird dazu angemerkt, es gäbe keinen Widerspruch zum Gewaltenteilungsprinzip, weil die Rechtsetzung vom Gesetzgeber den Gerichten nicht übertragen und von ihnen auch nicht „blockiert“ werde. Der russische Gesetzgeber habe die Möglichkeit, aus eigener Initiative Recht zu setzen, und sei dabei an Plenumsbeschlüsse nicht gebunden.18 Es gibt bis jetzt kein Gesetz, das einen Rechtsbehelf gegen Plenumsbeschlüsse vorsieht. Gerichte weigern sich deswegen, sie auf Antrag auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen.19 Wegen der damit verbundenen Gefahren wird in der Literatur vorgeschlagen, die gerichtliche Überprüfbarkeit von Plenumsbeschlüssen gesetzlich vorzusehen.20 Eine mittelbare21 Verfassungsmäßigkeitskontrolle der Plenumsbeschlüsse kann nur durch das VerfG RF erfolgen. Nach dem VerfGG berücksichtigt das VerfG RF bei der Verfassungsmäßigkeitskontrolle eines Gesetzes dessen offizielle Auslegung und Rechtsanwendungspraxis (Art. 74). Es kann also durchaus sein, dass das VerfG eine andere Auslegung des Gesetzes gibt und dadurch die Gesetzesauslegung im Plenumsbeschluss indirekt für verfassungswidrig erklärt.22 Außer Plenumsbeschlüssen geben Obergerichte auch andere Erläuterungen des Rechts heraus. Das Präsidium des OWG RF erlässt Informationsschreiben (inforindem sie gewissermaßen einen offiziellen Interpreten des Gesetzes dazwischen schaltet“; Bednarz, in: Schröder (Hrsg.), Die neuen Kodifikationen in Russland, S. 171. 16 VerfG RF, Ent. vom 06. 04. 1993 (Nr. 19-a). 17 VerfG RF, Beschl. vom 04. 07. 2002 (Nr. 200-O), Z. 4, 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 2003, Nr. 1, S. 80. 18 4QUWYVS/1^YiY^Q, in: 6ai_S (Hrsg.), BQ]_bc_pcV\m^_bcm Y ^VXQSYbY]_bcm bdUVR^_Z S\QbcY AE, S. 261. 19 Vgl. etwa OG RF, Beschl. vom 24. 04. 2000 (Nr. 4;@9 00-368), zit. nach RIS „Garant“. 20 4QUWYVS/1^YiY^Q, in: 6ai_S (Hrsg.), BQ]_bc_pcV\m^_bcm Y ^VXQSYbY]_bcm bdUVR^_Z S\QbcY AE, S. 258. 21 Eine unmittelbare Verhältnismäßigkeitskontrolle der Plenumsbeschlüsse ist unmöglich, da sie nicht im VerfGG RF als Objekt der Verfassungsbeschwerde genannt sind. Deswegen weigert sich das VerfG RF, diejenigen Beschwerden zur Entscheidung anzunehmen, die den Plenumsbeschluss selbst und nicht das durch ihn ausgelegte Gesetz rügen; vgl. VerfG RF, Beschl. vom 09. 04. 1998 (Nr. 48-?), 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 1998, Nr. 4, S. 62; Beschl. vom 13. 07. 2000 (Nr. 197-?), 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 2001, Nr. 4, S. 3 ff.; Beschl. vom 27. 05. 2004 (Nr. 189-?); Beschl. vom 20. 06. 2006 (Nr. 226-?). 22 Vgl. VerfG RF, Beschl. vom 13. 01. 2000 (Nr. 11-?), SZ RF 2000, Nr. 12, Pos. 1312, wo das VerfG ein Gesetz anders ausgelegt hat als das OG RF in Z. 14 seines Plenumsbeschl. vom 27. 04. 1993 (Nr. 3). Daraufhin hat das OG RF durch Plenumsbeschl. vom 10. 10. 2001 (Nr. 11) die fragliche Regelung aufgehoben.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

macionnye pis’ma) und „Übersichten der Rechtsprechung“ (obzory sudebnoj praktiki) zu bestimmten Fragen der Rechtsanwendung, das Präsidium des OG RF veröffentlicht Antworten23 auf Fragen von unteren Gerichten (otvety na voprosy nizˇestoâsˆih sudov) in Bezug auf die Rechtsanwendung und die „Übersichten der Rechtsprechung“. Sie werden nicht als bindend angesehen,24 tragen aber enorm zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung und dadurch zur Rechtssicherheit bei. 2. EMRK und andere völkerrechtliche Abkommen Russlands Art. 53 EMRK sieht vor, dass wenn ein anderes völkerrechtliches Abkommen günstigere Bedingungen hinsichtlich der Menschenrechte enthält, das jeweilige Abkommen und nicht die EMRK anzuwenden ist. In Bezug auf ungünstigere völkerrechtliche Vorschriften enthält die EMRK keine Aussage. Nach Ansicht des EGMR bleibt die Verantwortung der Konventionsstaaten aus der EMRK selbst dann erhalten, wenn sie nach In-Kraft-Treten der Konvention oder ihrer Protokolle Verpflichtungen durch völkerrechtliche Verträge übernommen haben.25 Gleichzeitig betont der EGMR, dass die EMRK soweit wie möglich unter Heranziehung anderer Regeln des Völkerrechts ausgelegt werden müsse.26 Soweit im Rahmen einer internationalen oder supranationalen Organisation ein der EMRK vergleichbarer (nicht unbedingt identischer) Schutz der Grundrechte gewährleistet ist, nimmt der EGMR die Kontrollintensität zurück.27 Im russischen autonomen Recht fehlen Vorschriften über die Kollision verschiedener völkerrechtlicher Verträge. Die russischen Obergerichte haben erläutert, dass die Gerichte in einem solchen Fall die Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. 05. 1969 (WVK)28 anzuwenden haben.29 Gemäß Artt. 30, 59 WVK sind Vorschriften eines älteren Abkommens nur noch insoweit anwendbar, als sie den Vorschriften neuerer Abkommen nicht widersprechen, während im Falle einander wi23

Vgl. etwa die Antworten des Kollegiums für Zivilsachen des OG RF auf Fragen von Gerichten über die Anwendung der ZPO RF, bestätigt durch Präsidium des OG RF am 24. 03. 2004, zit. nach RIS „Garant“. 24 Burkov, The Impact of the European Convention on Human Rights on Russian Law, S. 31. Der Vorsitzende des OWG RF Anton Ivanov spricht von der Orientierungswirkung derartiger Dokumente, vgl. 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2007, Nr. 9, S. 4. 25 EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 42527/98), Prince Hans-Adam II of Liechtenstein v. Germany, Z. 47. 26 EGMR (GK), Urt. vom 21. 11. 2001 (Nr. 37112/97), Fogarty v. the United Kingdom, Z. 35. 27 EGMR (GK), Urt. vom 30. 06. 2005 (Nr. 45036/98), Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim S¸irketi v. Ireland, Z. 152 ff. 28 In Kraft seit 27. 01. 1980. Für die UdSSR trat die Konvention am 29. 05. 1986 in Kraft und gilt für die Russische Föderation als deren Rechtsnachfolgerin. 29 OWG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 11. 06. 1999 (Nr. 8), Z. 3 Abs. 1, 3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 1999, Nr. 8, S. 6; OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 10. 10. 2003 (Nr. 5), Z. 10. Abs. 1, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2003, Nr. 12, S. 6.

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dersprechender Vorschriften, die eine gleichzeitige Anwendung ausschließen, das ältere Abkommen als ungültig anzusehen ist (lex posterior). Da die WVK mögliche Kollisionen nicht abschließend regelt und auch nicht alle völkerrechtlichen Abkommen Kollisionsnormen enthalten, wurden in der russischen Lehre und Rechtsprechung einige ergänzende Regeln entwickelt: (1) Bilaterale Abkommen haben Vorrang vor regionalen und universalen Abkommen, die denselben Fragenkreis abdecken, während regionale Abkommen in diesem Falle Priorität vor universalen Abkommen genießen;30 (2) Völkerrechtliche Abkommen (unabhängig von der Anzahl der beteiligten Staaten), die einen speziellen Charakter tragen, d. h. einen bestimmten Fragenkreis detaillierter regeln, haben Vorrang vor anderen allgemeineren völkerrechtlichen Abkommen.31 Die russische Rechtsprechung hat noch nicht dazu Stellung genommen, ob die EMRK Vorrang vor bilateralen und sonstigen völkerrechtlichen Abkommen genießt, die für einen bestimmten Fragenkreis speziellere Vorschriften erhalten, aber bezüglich der Menschenrechte eine ungünstigere Regelung als die EMRK vorsehen. Aus der Rechtsprechung des EGMR folgt z. B., dass bei der Vollstreckbarerklärung ausländischer Gerichtsentscheidungen aus einem Staat, der kein EMRK-Vertragsstaat ist, eine ordre public-Kontrolle in Bezug auf Fairness des ausländischen Gerichtsverfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) durchzuführen ist.32 Seit 29. 07. 2002 gilt zwischen der Russischen Föderation und der Republik Weißrussland eine Vereinbarung (soglasˇenie) vom 17. 01. 2001 über die gegenseitige Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen der Wirtschaftsgerichte.33 Nach diesem bilateralen Vertrag sind ausländische Gerichtsentscheidungen wie innerstaatliche zu behandeln, sie benötigen keine Erklärung für ihre Vollstreckbarkeit (Art. 1). Weißrussland ist kein Vertragsstaat der EMRK. Es ist eine Kollision festzustellen: Nach der EMRK muss man die ordre public-Kontrolle durchführen; nach dem bilateralen Vertrag darf man das gerade nicht. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass die Russische Föderation unter diesen Umständen für Mängel der weißrussischen Gerichte vor dem EGMR verantwortlich gemacht werden kann.34 Es ist anzunehmen, dass in einer solchen Situation die EMRK Vorrang haben muss,35 da für deren Anwendung in diesem Fall nicht nur der allgemein anerkannte 30

Vgl. OWG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 11. 06. 1999 (Nr. 8), Z. 3 Abs. 2,

3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 1999, Nr. 8, S. 6; OG RF, Präsidium, Beschl. vom 29. 01. 1997, zit. nach 8Y]^V^[_, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2003, Nr. 10, S. 12; ders., A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, S. 62 f. 31 @QS\_SQ, 3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 1999, Nr. 8, S. 102. 32

EGMR, Urt. vom 20. 07. 2001 (Nr. 30882/96), Pellegrini v. Italy, Z. 40. SZ RF 2003, Nr. 7, Pos. 550. 34 =_ajQ[_SQ, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2002, Nr. 12, S. 13. 35 So das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik, Urt. vom 15. 04. 2003 (Nr. I US 752/02), Z. IV Abs. 12: „The priority of the obligations from agreements on the protection of 33

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völkerrechtliche Grundsatz „pacta sunt servanda“ spricht, sondern, als ein weiteres völkerrechtliches Prinzip, auch der Schutz der Menschenrechte.36 Außerdem spricht die Rechtsnatur der EMRK als Vertrag zu Gunsten Dritter dagegen, Begünstigten ohne ihre Zustimmung durch die EMRK gewährte Rechte zu entziehen.37 Das Argument, der Betroffene möge seine Rechte in Straßburg geltend machen, kann nicht überzeugen, da bereits die innerstaatlichen Organe als Wächter der in der EMRK verbürgten Rechte und Freiheiten anzusehen sind. Die Tätigkeit des EGMR hat lediglich ergänzenden (subsidiären) Charakter.38 Außerdem regelt die EMRK dank der Rechtsprechung des EGMR Beziehungen in ihrem Anwendungsbereich sehr umfassend und detailliert und kann oft als lex specialis angesehen werden.39 Auch rein tatsächlich, dank ihrem Durchsetzungsmechanismus – in Gestalt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, hat die EMRK eine stärkere Stellung im Völkerrecht.

human rights, in the event of conflict between obligations under international agreements, arises primarily from the content of these agreements, in connection with Art. 1 para. 1 of the Constitution, under which the Czech Republic is a state governed by the rule of law“, ; Bundesgericht der Schweiz, Urt. vom 01. 11. 1996, zit. nach Blackburn/Polakiewicz (Hrsg.), Fundamental Rights in Europe, S. 40: „In a judgment of 1 November 1996, it [Swiss Federal Supreme Court] recognized the Convention’s precedence not only over domestic legislation, but also over bilateral treaties“. Vgl. auch Europarat, Parl. Versammlung, Resolution 1249(2001) vom 23. 05. 2001 „Coexistence of the Convention on Human Rights and Fundamental Freedoms of the Commonwealth of Independent States and the European Convention on Human Rights“, Z. 6: „The Assembly thus confirms the primacy and supremacy of the European Convention on Human Rights and its Court of Human Rights for all member states of the Council of Europe“. 36 Vgl. Präambel der WVK 1969: „(…) im Bewusstsein der in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen völkerrechtlichen Grundsätze, darunter (…) der allgemeinen Achtung und Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle“. 37 Vgl. OG (Hoge Raad) der Niederlande, Urt. vom 30. 03. 1990, Fall Short, Z. 3.4 f.: „The mere fact that the State has assumed certain conduct by treaty does not prevent the Dutch court from concidering whether the State by such conduct violates another treaty from which citizens may directly derive rights. The interests of all concerned have to be considered. The interest of [Mister] Short not to be put to death [in breach of the ECHR] takes precedence over the interest of the State to fullfil its obligations under the NATO Status Treaty“, ILM 1990, S. 1389. 38 EGMR, Urt. vom 07. 12. 1976 (Nr. 5493/72), Handyside v. the United Kingdom, Z. 48: „Die Konvention weist in erster Linie jedem Vertragsstaat die Aufgabe zu, die Gewährung der von ihr verbürgten Rechte und Freiheiten sicherzustellen“, dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 1977, 41. 39 Davon geht bspw. Richter Loucaides aus in seinem Sondervotum zum Urteil des EGMR (GK) vom 21. 11. 2001 (Nr. 31253/96), McElhinney v. Ireland: „In a case like the one before the Court [conflict of international obligations], the lex specialis is the European Convention of Human Rights“. In diese Richtung geht offensichtlich auch folgende Aussage des EGMR: „So bleibt die Verantwortung der Konventionsstaaten selbst dann erhalten, wenn sie nach In-KraftTreten der Konvention oder der Protokolle dazu Verpflichtungen durch völkerrechtliche Verträge übernommen haben“, EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 42527/98), Prince HansAdam II of Liechtenstein v. Germany, Z. 47, dt. Übersetzung zit. nach NJW 2003, 650.

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Was das hier angesprochene Beispiel anbetrifft, liefert uns ein gemeinsames Informationsschreiben des OWG RF, der Zentralbank RF und des Justizministeriums RF aus dem Jahre 2004 „Über die Anwendung der Vereinbarung zwischen der Russischen Föderation und Republik Weißrussland über die gegenseitige Vollstreckung der Gerichtsentscheidungen von Wirtschaftsgerichten“40 eine indirekte Bestätigung der hier vertretenen Auffassung. In diesem Schreiben steht, dass trotz des bilateralen Vertrages Gerichtsentscheidungen aus Weißrussland vor russischen Gerichten mit der Behauptung angegriffen werden können, dass das Recht auf rechtliches Gehör in Weißrussland nicht gewährt worden sei. Allerdings wird dies nicht mit der EMRK begründet, sondern mit dem Kiewer Übereinkommen der GUSStaaten über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen in Wirtschaftsstreitigkeiten von 1992, das eine begrenzte ordre publicKontrolle vorsieht (Art. 9)41 und auf das in der Präambel des bilateralen Vertrages Bezug genommen wird. Nach der früheren Auffassung der russischen Obergerichte sollte eigentlich der bilaterale Vertrag als lex specialis dem Kiewer Übereinkommen vorgehen. Da jedoch auch im Kiewer Übereinkommen 1992 ein dem Art. 6 Abs. 1 EMRK vergleichbarer Katalog der Prozessrechte sowie eine allgemeine ordre public-Klausel fehlen, ist eine Kollision zwischen diesen beiden regionalen völkerrechtlichen Verträgen festzustellen.42 Die Kollision wird dadurch verschärft, dass ihre Vertragsparteien (zum Teil) nicht identisch sind. Ein weiteres Beispiel, wo die EMRK bei der Kollision völkerrechtlicher Verträge berücksichtigt werden soll, ist der Bereich der internationalen Rechtshilfe.43 Aus dem 40 Das Schreiben hat 3 Nummern (je nach der mitwirkenden Behörde): 06/899-OH, B17/=?-627, 01-31/2020 und ist im RIS „Garant“ zu finden. 41 Art. 9 Kiewer Übereinkommen 1992 lautet: „Die Vollstreckbarerklärung einer Gerichtsentscheidung darf auf Antrag der Partei, gegen welche die Entscheidung erlassen worden ist, nur verweigert werden, wenn diese Partei dem zuständigen Vollstreckungsgericht Beweise vorlegt, dass Q) ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichts des ersuchten Staates vorliegt, das in einem Rechtsstreit zwischen denselben Parteien, über denselben Gegenstand und aus demselben Rechtsgrund ergangen ist; b) eine Vollstreckbarerklärung in Bezug auf eine Entscheidung von einem zuständigen Gerichts aus einem Drittstaat über den Rechtsstreit zwischen denselben Parteien, über denselben Gegenstand und aus demselben Rechtsgrund erteilt wurde; c) das Erstgericht gemäß diesem Übereinkommen für den Rechtsstreit unzuständig war; d) die Partei von dem Verfahren nicht in Kenntnis gesetzt wurde; e) die Dreijahresfrist für den Antrag auf Zulassung der Zwangsvollstreckung abgelaufen ist“. Das zur Auslegung des Übereinkommens zuständige Wirtschaftsgericht der GUS vertritt die Auffassung, dass in allen anderen Fällen die Verweigerung der Vollstreckbarerklärung unzulässig sei, vgl. sein Gutachten (konsul’tativnoe zaklûcˇenie) vom 20. 06. 2011 (Nr. 01-1/310), . 42 Ausführlich Laptew, IPRax 2004, 495 ff. 43 Ein Beispiel für die Kollision zwischen der EMRK und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Vertragsstaaten im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen liefert Fall Shamayev and Others v. Georgia and Russia, EGMR, Urt. vom 12. 04. 2005 (Nr. 36378/02). Hier ging es um

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Recht auf das Gerichtsverfahren in angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 EMRK) folgt meines Erachtens auch, dass beim Vorliegen mehrerer Verträge Rechtshilfe in Zivilsachen nicht nach dem bilateralen Vertrag als lex specialis oder dem späteren Vertrag als lex posterior, sondern nach dem für die Prozessbeschleunigung günstigeren Vertrag gewährt werden muss.44 3. EMRK und das autonome Recht Gemäß Art. 53 EMRK findet autonomes Recht Anwendung, sofern es eine günstigere Regelung enthält als die Konvention. Entsprechend kann die Anwendung des ungünstigeren autonomen Rechts zu einer Verletzung der Konvention führen. a) EMRK und das russische Verfassungsrecht Sowohl die Verf. RF als auch andere russische Rechtsvorschriften schweigen über das Verhältnis von völkerrechtlichen Verträgen (darunter solchen, die Menschenrechte betreffen) zur Verfassung sowie zum Bundesverfassungsrecht.45 Die Frage wurde in der Rechtsprechung noch nicht entschieden.46 In der Literatur wird daher zu die Auslieferung tschetschenischer Angeklagter aus Georgien nach Russland. Der EGMR hat die Nichtauslieferung als eine vorläufige Maßnahme i.S.v. Art. 39 Abs. 1 seiner VerfO (Sicherung der Durchführung des Verfahrens) am 04. 10. 2002 festgestellt, vgl. Z. 5 ff. des Urteils. Daraufhin hat die Staatsduma RF am 01. 11. 2002 eine Erklärung (zaâvlenie) (Nr. 3252-III 45) abgegeben, in der dem EGMR vorgeworfen wird, die Erfüllung der Verpflichtungen aus der Minsker Rechtshilfekonvention 1993 in Bezug auf die Auslieferung tschetschenischer Terroristen verhindert zu haben, vgl. SZ RF 2002, Nr. 45, Pos. 4487. Dieser Vorgang ist insoweit bedenklich, als hier die Angeklagten entgegen der Unschuldsvermutung als Terroristen bezeichnet worden sind, sowie ein Versuch der Einflussnahme auf den EGMR zu sehen ist. Im Urteil vom 06. 02. 2003 (Nr. 46827/99 u. a.), Mamatkulov and Abdurasulovic v. Turkey, hat der EGMR seine vorläufigen Maßnahmen nach Art. 39 Abs. 1 VerfO für rechtsverbindlich erklärt (Z. 111); bestätigt durch EGMR (GK), Urt. vom 04. 02. 2005 im demselben Fall, Z. 128 f. Das Kollisionspotential in diesem Bereich hat sich somit erhöht. 44 Für die Anwendung des günstigeren Abkommens (allerdings ohne Begründung): Pa[_S, in: Pa[_S (Hrsg.), 1aRYcaQW^lZ `a_gVbb, S. 464. Bajons, in: Fasching (Hrsg.), Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen, Bd. 1 (2000), S. 564 Rn. 2, geht noch weiter und leitet aus Art. 6 Abs. 1 EMRK eine völkervertragsrechtliche Pflicht zur Rechtshilfe ab, auch wenn kein Rechtshilfevertrag vorhanden ist. Dagegen zu Recht kritisch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 2074, 2374, da die EMRK nicht dazu verpflichtet, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Vgl. EGMR, Urt. vom 12. 12. 2006 (Nr. 35853/04), Bajrami v. Albania, Z. 66: „The Court recalls that the European Convention on Human Rights does not impose on States the obligation to ratify international conventions“. 45 Ferschtman, in: Blackburn/Polakiewicz (Hrsg.), Fundamental Rights in Europe, S. 737, schreibt in diesem Zusammenhang: „No real solution seems to exist to the problem“. 46 Hier sei auf eine Kollision zwischen der EMRK und der Verf. RF hingewiesen. Verurteilte Häftlinge sind gemäß Art. 32 Abs. 3 Verf. RF von der Teilnahme an Wahlen jeglicher Art ausgeschlossen. Art. 3 des ZP Nr. 1 zur EMRK (Recht auf freie Wahlen) sieht keine solche Ausnahme vor. Einen umfassenden Ausschluss aller Strafgefangenen von Wahlen hat der

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Recht auf die Notwendigkeit verwiesen, diese Frage entweder gesetzlich zu regeln oder durch das VerfG RF klären zu lassen,47 in dessen Kompetenz die Auslegung der Verfassung liegt (Art. 125 Nr. 5 Verf. RF). aa) EMRK und die russische Verfassung Drei Artikel der Verf. RF 1993 sind für die Bestimmung des Verhältnisses von EMRK und Verfassung48 von Bedeutung. Gemäß Art. 15 Abs. 1 verfügt die Verf. RF über „die höchste Rechtskraft, unmittelbare Geltung und wird auf dem gesamten Gebiet der RF angewendet. Gesetze und andere Rechtsakte, die in der RF erlassen werden, dürfen der Verfassung nicht widersprechen“. Angesichts der Formulierung „Rechtsakte, die in der RF erlassen werden“, und nicht „Rechtsakte, die in der RF anzuwenden sind“, bleibt unklar, ob der höchste Rang auch gegenüber völkerrechtlichen Verträgen beansprucht wird, die nicht erlassen, sondern abgeschlossen werden, und auch dies nicht immer auf dem Gebiet der RF. Nach Art. 15 Abs. 4 Satz 2 Verf. RF sind, wenn ein völkerrechtliches Abkommen der RF andere als die gesetzlich vorgesehenen Regelungen vorschreibt, die Vorschriften des völkerrechtlichen Abkommens anzuwenden. Allerdings ist aufgrund dieser Vorschrift unklar, ob unter dem Gesetz, vor welchem das völkerrechtliche Abkommen Vorrang hat, auch die Verfassung selbst zu verstehen ist. Gemäß Art. 17 Abs. 1 Verf. RF 1993 werden die Menschenrechte in der RF entsprechend den allgemein anerkannten Grundsätzen und den Normen des Völkerrechts in Übereinstimmung mit der Verfassung anerkannt und garantiert. Das OG RF hat in seinem Plenumsbeschluss [Erläuterungen] vom 31. 10. 1995 (Nr. 8)49 „Über einige Fragen der Anwendung der Verfassung der RF durch Gerichte“ zu Art. 15 Abs. 1 der Verfassung Stellung genommen „Gemäß dieser Vorschrift haben Gerichte bei der Anwendung eines Gesetzes oder eines anderen Normativaktes seinen Inhalt zu bewerten und wenn nötig die Verfassung als Akt der unmittelbaren Geltung anzuwenden“ (Z. 2). Diese Aussage deutet auf den absoluten Vorrang der Verfassung hin, auch in Bezug auf völkerrechtliche Verträge, weil sie Normativakte sind. Allerdings ist diese Aussage mit Vorsicht zu behandeln, weil in der Systematik des Beschlusses immer noch unklar bleibt, ob das OG RF tatsächlich auch die Kollision der Verfassung mit völkerrechtlichen Verträgen entscheiden wollte. Das

EGMR als unvereinbar mit der EMRK eingestuft, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 06. 10. 2005 (74025/01), Hirst v. the United Kingdom (no. 2). 47 ýd[mp^_SQ, 8Q[_^ _ XQ[_^Qf, 8Q[_^_UQcV\mbcS_ 1999, Nr. 11, S. 79 ff., zit. nach RIS „Garant“; 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2003, Nr. 3, S. 12; 6ai_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2004, Nr. 6, S. 14. 48 A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 25. 12. 1993 (Nr. 237); dt. Übersetzung von Oertner in: EuGRZ 1994, 519 ff.; von Frenzke in: Osteuropa-Recht 1994, 296 ff. Verf. RF 1993 in der geltenden Fassung: SZ RF 2009, Nr. 4, Pos. 445. 49 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 1996, Nr. 2, S. 1 ff.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

letzte Wort bei der Auslegung der Verfassung hat das VerfG RF, und es hat dieses Wort noch nicht gesprochen. In Hinblick auf ihre höhere Rechtskraft (Art. 15 Abs. 1) geht die herrschende Lehre vom Vorrang der Verf. RF vor völkerrechtlichen Abkommen aus.50 Der Vorrang der Verf. RF wird auch mit folgenden Argumenten begründet: Der Vorbehalt des ordre public ermögliche es, die Anwendung völkerrechtlicher Abkommen im Rahmen gerichtlicher Entscheidungen zu verhindern,51 und an dem Verbot für staatliche Organe, Abkommen zu schließen, die der Verfassung widersprechen, könnte festgehalten werden.52 Dem kann ein rechtsvergleichendes Argument hinzugefügt werden.53 In der Tat unterliegen völkerrechtliche Verträge einer vorhergehenden verfassungsrechtlichen Begutachtung vor der Entscheidung über ihre Verbindlichkeit für Russland, vgl. Artt. 118 Abs. 1, 189 Abs. 1 und 190 Abs. 1 Geschäftsordnung (reglament) der Staatsduma RF vom 22. 01. 1998 (Nr. 2134-II 45).54 Gemäß Art. 22 des Bundesgesetzes RF über die völkerrechtlichen Verträge von 1995 ist eine Entscheidung über die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Abkommen, die Regelungen 50 „Gerade die Verfassung stellt den höchstrangigen Rechtsakt dar, die den völkerrechtlichen Abkommen der RF Geltung innerhalb der russischen Rechtsordnung verleiht und die ihnen im Falle der Kollision mit dem Gesetz Anwendungsvorrang verleiht“, so 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2003, Nr. 3, S. 10. „Der Grundsatz des Vorrangs der Verfassung lässt einen Vorrang der völkerrechtlichen Abkommen auch im Falle des Widerspruches mit ihr nicht zu“, so CYd^_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 10, S. 15; vgl. auch CQ\Q\QVS, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1994, Nr. 4, S. 13 f.; 9SQ^_S, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1994, Nr. 8/9, S. 72; DbV^[_, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1995, Nr. 2, S. 17 ff.; NRXVVS, ;_^bcYcdgYp. @aQS_S_V T_bdUQabcS_. ;_^bcYcdgY_^^lZ bdU, S. 58; ýd[Qid[, þ_a]l ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ S `aQS_S_Z bYbcV]V A_bbYY, S. 42; @VcadfY^, A_bbYZb[Qp obcYgYp 1998, Nr. 7, S. 4; GV`V\VS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2000, Nr. 10, S. 28; =_ajQ[_SQ, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2002, Nr. 12, S. 13; 1^UaYQ^_S, in: ;Qa`_SYh (Hrsg.), @_bcQcVZ^lZ [_]]V^cQaYZ [ ;_^bcYcdgYY AE, S. 124; @QcaQ[VVS, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2005, Nr. 2, S. 64; 3Ycad[, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 185; ?b]Y^Y^, 8Q[\ohV^YV Y Y]`\V]V^cQgYp ]VWUd^Qa_U^lf U_T_S_a_S Y S^dcaYT_bdUQabcSV^^_V `aQS_, S. 228; Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung, S. 99 f. m.w.N.; besonders in Bezug auf die EMRK: Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 25; Koroteev/Golubok, HRLR 2007, S. 632; FYW^p[, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 2007, Nr. 8, S. 32. 51 CYf_]Ya_S, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 101 f. 52 AQgYR_aY^b[Qp, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 25; @QcaQ[VVS, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2005, Nr. 2, S. 64: Der Abschluss eines verfassungswidrigen völkerrechtlichen Vertrages sei ein Akt ultra vires, was die Nichtanwendung des entsprechenden Vertrages nach sich ziehen würde. 53 Im internationalen Vergleich stellen auch durchaus völkerrechtsfreundliche Verfassungen unmittelbar anwendbares Völkerrecht nicht über die Verfassung; dazu Giegerich, in: Frowein/Marauhn (Hrsg.), Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mittel- und Osteuropa, S. 517 m.w.N. 54 SZ RF 1998, Nr. 7, Pos. 801.

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enthalten, welche eine Änderung der Verfassung erfordern, nur durch Bundesgesetz nach Vornahme entsprechender Änderungen im dafür vorgesehenen Verfahren möglich. Das VerfG RF ist auf Antrag der in Art. 125 Abs. 2 Verf. RF aufgezählten höchsten Staatsorgane für die präventive Verfassungsmäßigkeitskontrolle völkerrechtlicher Verträge zuständig (Art. 125 Abs. 2 lit. g Verf. RF). Für verfassungswidrig erklärte Vorschriften völkerrechtlicher Verträge dürfen nicht in Kraft treten und angewandt werden (Art. 125 Abs. 6 Verf. RF).55 Eine andere Auffassung sieht die Verfassung als ein Gesetz an, vor welchem völkerrechtliche Abkommen Vorrang haben (Art. 15 Abs. 4 Satz 2),56 und beziehen sich auf Art. 27 Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969, woraus sich ergibt, dass ein Staat die Nichterfüllung seiner Verpflichtungen nicht unter Bezug auf sein autonomes Recht, einschließlich seiner Verfassung, verweigern darf.57 Osminin merkt zu Recht an, dass die Russische Föderation an ihre völkerrechtlichen Abkommen gebunden ist (solange sie in Kraft sind), auch wenn diese gegen die Verfassung verstoßen.58 Für die Bestimmung des EMRK-Ranges in der russischen Rechtsordnung als völkerrechtliches Abkommen über Menschenrechte ist Art. 17 Abs. 1 Verf. RF von großer Bedeutung, wonach die Menschenrechte in der RF entsprechend den allgemein anerkannten Grundsätzen und Normen des Völkerrechts in Übereinstimmung mit den Regeln der Verfassung anerkannt und garantiert werden. In Literatur59 und

55 Es ist jedoch anzumerken, dass das VerfG RF bis jetzt noch keinen einzigen Vertrag auf Verfassungsmäßigkeit hin überprüft hat, ?b]Y^Y^, 8Q[\ohV^YV Y Y]`\V]V^cQgYp ]VWUd^Qa_U^lf U_T_S_a_S Y S^dcaYT_bdUQabcSV^^_V `aQS_, S. 125. 56 Dem kann zwar entgegengehalten werden, dass die Verf. RF 1993 entgegen der früheren Tradition nicht mehr als Grundgesetz bezeichnet wird (vgl. 8Y]^V^[_, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1999, Nr. 2, S. 116), der Natur nach bleibt die Verfassung allerdings ein (Grund)Gesetz. 57 „Der Staat ist verpflichtet, sein Verfassungsrecht in Einklang mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu bringen, da sich sonst die Frage der völkerrechtlichen Haftung Russlands stellt“, so 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2003, Nr. 3, S. 10. 58 ?b]Y^Y^, 8Q[\ohV^YV Y Y]`\V]V^cQgYp ]VWUd^Qa_U^lf U_T_S_a_S Y S^dcaYT_bdUQabcSV^^_V `aQS_, S. 365 ff. Vgl. auch StIGH, Rechtsgutachten vom 04. 02. 1932 (o.N.): „[E]in Staat [kann] sich nicht gegenüber einem anderen Staat auf seine eigene Verfassung berufen, um sich den Verpflichtungen zu entziehen, die ihm das internationale Recht oder die geltenden Verträge auferlegen“, dt. Übersetzung zit. nach Institut für internationales Recht in Kiel (Hrsg.), Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs, Bd. 9 (1932), S. 31; UN, Generalversammlung, Resolution A/RES/56/83 vom 28. 01. 2002, Anlage „Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen“, Art. 32 (Unerheblichkeit des innerstaatlichen Rechts): „Der verantwortliche Staat kann sich nicht auf sein innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung der ihm (…) obliegenden Verpflichtungen zu rechtfertigen“. 59 þViQcQVSQ, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1998 – 1999, S. 222; dies., =VWUd^Qa_U^lZ TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb, S. 47.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Rechtsprechung60 ist es anerkannt, dass sich diese Vorschrift auf allgemeine Grundsätze und Normen des Völkerrechts in Form von Gewohnheitsrecht wie von völkerrechtlichen Abkommen bezieht. Daher wird der Status der Vorschriften der EMRK, die als allgemein anerkannt gelten, von Art. 17 Abs. 1 Verf. RF bestimmt. Diese Schlussfolgerung hat für die vorliegende Untersuchung Bedeutung, da die russischen Obergerichte Art. 6 Abs. 1 EMRK als allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts eingestuft haben.61 Dennoch wird ein Anwendungsvorrang der Verfassung RF auch gegenüber Abkommen und allgemein anerkannten Grundsätzen über Menschenrechte (unter Hinweis auf die Staatssouveränität) vertreten.62 Der Verweis in Art. 17 Abs. 1 Verf. RF auf die Übereinstimmung von allgemein anerkannten Grundsätzen und Normen des Völkerrechts mit den Regeln der Verfassung wird als Möglichkeit betrachtet, diese Grundsätze und Normen im Falle ihrer Unvereinbarkeit mit der Verfassung zu beschränken.63 Allerdings zeigt ein Blick in entsprechende Lexika, dass die in dieser Vorschrift verwendeten Ausdrücke „entsprechend“ (soglasno) und „in Übereinstimmung mit“ (v sootvetstvii s) Synonyme darstellen64 und auf korrespondierende Menschenrechte in der Verfassung und dem Völkerrecht verweisen.65 Menschenrechte bilden die Grundlage des russischen Rechtssystems und gehören zu den obersten Grundprinzipien des Rechtsstaates, der Staat ist gemäß Art. 2 Verf. RF zu ihrer Beachtung und Einhaltung verpflichtet. Die Menschenrechte gelten unmittelbar, sie prägen den Sinn, Inhalt und die Anwendung der Gesetze, die Tätigkeit der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt und der kommunalen Selbstverwaltung und werden durch die Rechtsprechung sichergestellt (vgl. Art. 18 Verf. RF).66 Gemäß Art. 55 Abs. 1 Verf. RF ist die in ihr enthaltene Aufzählung der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht als Verneinung oder Schmälerung anderer allgemein anerkannter Menschen- und Bürgerrechte zu verstehen. Hiervon ausgehend ist der Schlussfolgerung zuzustimmen, dass anerkannte Grundsätze und Normen des Völkerrechts, welche Menschenrechte und Grundfreiheiten garantieren, 60

Vgl. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 31. 10. 1995 (Nr. 8), Z. 5 Abs. 1,

2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 1996, Nr. 2, S. 1 ff. 61 VerfG RF, Urt. vom 16. 03. 1998 (Nr. 9-@), Z. 4, SZ RF 1998, Nr. 12, Pos. 1459; dt.

Übersetzung in: Kutter/Schröder, Die Rechtsprechung des russischen Verfassungsgerichts 1995 – 1999 (2000), S. 196 ff.; Urt. vom 14. 04. 1999 (Nr. 6-@), Z. 3, SZ RF 1999, Nr. 16, Pos. 2080; dt. Übersetzung in: Kutter/Schröder, ebenda, S. 209 ff.; OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 18. 11. 1999 (Nr. 79), Z. 1, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2000, Nr. 1, S. 3. 62 CYf_]Ya_S, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 101: Dem Prinzip der Staatssouveränität könne man die Menschenrechtsschutzdoktrin nicht entgegenhalten. 63 1SQ[mp^, ;_^bcYcdgYp A_bbYY: `aYa_UQ, nS_\ogYp, b_SaV]V^^_bcm, Kap. 4 Z. 4.1.4. 64 9T^QcV^[_, @aQS_SVUV^YV 2001, Nr. 1, S. 87 m.w.N. 65 =_ajQ[_SQ, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 10, S. 9. 66 Dies wird von Hussner übersehen, die in Art. 17 Abs. 1 Verf. RF nur eine allgemeine politische Stellungnahme sieht, Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung, S. 94.

§ 1 Rang der EMRK in der russischen Rechtsordnung

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vor der Verfassung Vorrang haben sollen67 oder zumindest keinen geringeren Rang einnehmen.68 Umgekehrt ergibt sich eine Bestätigung dieser Schlussfolgerung aus Art. 46 Abs. 3 Verf. RF, wonach jedermann das Recht hat, sich zum Schutz der Menschenrechte an zwischenstaatliche Organe zu wenden, sofern alle innerstaatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Damit erkennt die Verfassung selbst an, dass ihre Normen die Menschenrechte nicht immer und in jedem Fall schützen können, und räumt der internationalen Kontrolle unter anderem der EMRK Priorität ein.69 Der Hinweis auf den ordre public-Vorbehalt als Ermächtigung, die Geltung der allgemein anerkannten Normen zum Schutze der Menschenrechte zu begrenzen, ist dagegen verfehlt, weil diese Normen selber zum Kern des ordre public der Russischen Föderation gehören.70 Das gleiche gilt für den Hinweis auf die staatliche Souveränität: Der Staat ist gerade da, um Menschenrechte zu schützen und nicht umgekehrt.71 Das Prinzip der Staatssouveränität darf nicht über alles triumphieren.72 67 Butler, The Law of Treaties in Russia and the Commonwealth of Independent States, S. 38: „This formulation [of Art. 17 of the Constitution] places international law ahead of the Constitution and, in so doing, confers upon international law a special status in the Russian Legal System“. Vgl. auch ýd[Qid[, in: 8SV[_S/?b]Y^Y^ (Hrsg.), @_bcQcVZ^lZ [_]]V^cQaYZ [ EVUVaQ\m^_]d XQ[_^d „? ]VWUd^Qa_U^lf U_T_S_aQf AE“, S. 17; þViQcQVSQ, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1998 – 1999, S. 221; dies., 3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 1999, Nr. 4, S. 96; ausdrücklich in Bezug auf die EMRK: 6\YbVVS, 8Q[_^ 2004, Juni (Nr. 6), S. 9. 68 CQ\Q\QVS, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1994, Nr. 4, S. 13 ff; ýd[Qid[, þ_a]l ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ S `aQS_S_Z bYbcV]V A_bbYY, S. 39; 9SQ^_S, B__c^_iV^YV XQ[_^Q Y `_UXQ[_^^_T_ ^_a]QcYS^_T_ `aQS_S_T_ Q[cQ A_bbYZb[_Z EVUVaQgYY, Kap. 1, § 1; ausdrücklich in Bezug auf die EMRK: 3Ycad[, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.),

9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 186. 69

Es muss jedoch angemerkt werden, dass sich die hier vertretene Auffassung nicht auf die Rechtsprechung stützen kann: „[T]here has not been any instance of a decision of the Constitutional Court or of Russian ,ordinary‘ courts allowing general international law to prevail over contrary provisions of the Constitutions“, Danilenko, in: Yee/Tieya (Hrsg.), GS Haopei, S. 198. 70 Vgl. Frowein, in: Dicke u. a. (Hrsg.), FS Delbrück, S. 281: „Wie kann man sich vorstellen, dass die Anwendung der Grundrechte der [EMRK] oder der Entscheidungen des [EGMR] zu einem Verstoß gegen tragende Grundsätze unserer Verfassung führen könnte?“ (in Bezug auf das deutsche GG). 71 Vgl. Bernhardt, HRLJ 1986, S. 212 f.: „There are good reasons for assuming that human rights treaties and the competence of human rights organs should in case of doubt be interpreted in favour of the effective protection of human rights. This principle has also its limits, but there can be no reasonable doubts that there does not exist any presumption of State sovereignty and domestic jurisdiction“. Dem entgegnet Stöcker, EuGRZ 1987, 477 m.w.N.: „Greift man auf das nationale Selbstbestimmungsrecht als Basis der Souveränität zurück, so handelt es sich um einen Konflikt zwischen zwei Menschenrechten. Und dieser ließe sich nicht einfach dadurch lösen, dass das Selbstbestimmungsrecht unter den Tisch fällt. Eine solche Verfahrensweise würde dem Gewicht nicht gerecht, das ihm als ,grundlegendstem aller Menschenrechte‘ zukommt“ und sprich sich für einen stillschweigenden Vorbehalt bei der Ratifikation der EMRK zu Gunsten der Staatssouveränität. Diese Argumentierung ist zwar originell, aus rechtspoliti-

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

bb) EMRK und das sonstige Verfassungsrecht Außer der Verfassung enthalten auch andere verfassungsrechtliche Normen zivilprozessuale Vorschriften, nämlich die in Art. 76 Abs. 1 Verf. RF erwähnten Bundesverfassungsgesetze.73 Das Verhältnis von völkerrechtlichen Verträgen zu den Bundesverfassungsgesetzen ist im russischen Recht nicht klar geregelt, und die Rechtsprechung hat sich hiermit noch nicht beschäftigt, während in der Literatur verschiedene Ansichten bestehen. In Bezug auf die EMRK gewinnt diese Frage z. B. deshalb an Bedeutung, weil zwischen Art. 79 des Bundesverfassungsgesetzes über das VerfG RF, wonach seine Entscheidungen unmittelbar gelten und normative Wirkung haben, und Art. 46 Abs. 1 EMRK, wonach das Urteil des EGMR zu befolgen ist, ein Kollisionspotenzial besteht. Russische Fachgerichte sind an tragende Gründe der VerfG-Entscheidung gebunden, auch wenn der EGMR in demselben Fall eine abweichende Bewertung vornehmen würde.74 Gemäß Art. 76 Abs. 3 Verf. RF dürfen Bundesgesetze den Bundesverfassungsgesetzen nicht widersprechen, welche wiederum der Verfassung entsprechen müssen (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 Verf. RF). Bundesverfassungsgesetze werden nur in den von der Verfassung speziell vorgesehenen Fällen erlassen (Art. 108 Abs. 1 Verf. RF).75 schen Gründen ist jedoch abzulehnen. Individuelle Rechte haben schon deswegen Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht, weil die freie Meinungsbildung der Nation nur unter Einhaltung der Rechte der Einzelnen möglich ist. In Bezug auf stillschweigenden Vorbehalt unter EMRK, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 23. 03. 1995 (Nr. 15318/89), Loizidou v. Turkey (Preliminary Objections), Z. 75: „If, as contended by the respondent Government, substantive or territorial restrictions were permissible (…), Contracting Parties would be free to subscribe to separate regimes of enforcement of Convention obligations depending on the scope of their acceptances. Such a system, which would enable States to qualify their consent under the optional clauses, would not only seriously weaken the role of the (…) Court in the discharge of their functions but would also diminish the effectiveness of the Convention as a constitutional instrument of European public order (ordre public). (…) In the Court’s view, having regard to the object and purpose of the Convention system (…), the consequences for the enforcement of the Convention and the achievement of its aims would be so far-reaching that a power to this effect should have been expressly provided for“. 72 In der Rechtsprechung des VerfG RF finden sich Urteile, in denen die EMRK im Tenor des Urteils aufgenommen wird, was auch für die Gleichrangigkeit der Verfassung und der EMRK spricht, vgl. etwa VerfG RF, Urt. vom 25. 01. 2001 (Nr. 1-@), Z. 1 des Tenors, SZ RF 2001, Nr. 7, Pos. 700; Urt. vom 20. 02. 2006 (Nr. 1-@), Z. 5 des Tenors, SZ RF 2006, Nr. 10, Pos. 1145; Urt. vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-@), Z. 8 des Tenors (Hier geht es um völkerrechtliche Standards, die von der RF anerkannt wurden, ist aber die EMRK in der Auslegung des EGMR gemeint), SZ RF 2007, Nr. 7, Pos. 932. 73 In der deutschsprachigen Literatur werden sie zum Teil als „Sonderverfassungsgesetze“ übersetzt, vgl. Wieser, Osteuropa-Recht 1998, 105. 74 Schon geschehen im Fall Konstantin Markin v. Russia, EGMR, Urt. vom 07. 10. 2010 (Nr. 30078/06), zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in der russischen Armee in Bezug auf Urlaubsansprüche für Kinderbetreuung. 75 Insgesamt ist in der Verfassung RF der Erlass von Bundesverfassungsgesetzen für 16 Themengebiete vorgesehen, darunter über das Gerichtssystem (Art. 118 Abs. 3 Satz 1); vgl. 1SQ[mp^, ;_^bcYcdgYp A_bbYY: `aYa_UQ, nS_\ogYp, b_SaV]V^^_bcm, Kap. 4, Z. 4.1.2.

§ 1 Rang der EMRK in der russischen Rechtsordnung

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Ein Bundesverfassungsgesetz gilt als angenommen, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Mitglieder beider Kammern des russischen Parlaments dafür gestimmt hat (Art. 108 Abs. 2 Verf. RF).76 Hingegen werden völkerrechtliche Abkommen durch einfaches Gesetz ratifiziert, das durch eine einfache Mehrheit der Abgeordneten angenommen wird (Art. 105 Abs. 2 Verf. RF). Aus diesem Grund räumen einige Autoren den Bundesverfassungsgesetzen einen höheren Rang ein als völkerrechtlichen Abkommen.77 Für die Ratifikation der EMRK wurden 65,3 % der Abgeordnetenstimmen in der Staatsduma abgegeben,78 wonach die EMRK nach dieser Auffassung vor Bundesverfassungsgesetzen zurückzutreten hat. Andere Autoren gehen von einer grammatikalischen Auslegung des Art. 15 Abs. 4 Satz 2 Verf. RF aus, der den Anwendungsvorrang von völkerrechtlichen Verträgen vor dem Gesetz festlegt. Als „Gesetz“ in diesem Sinne sehen sie sowohl Bundesgesetze als auch Bundesverfassungsgesetze an und gehen daher von einem Vorrang völkerrechtlicher Abkommen aus.79 Jedenfalls in Bezug auf völkerrechtliche Abkommen über Menschenrechte verdient diese Ansicht den Vorzug. Wenn die Menschenrechte in Russland entsprechend den allgemein anerkannten Grundsätzen und Normen des Völkerrechts sowie in Übereinstimmung mit den Regeln der Verfassung garantiert werden (Art. 17 Abs. 1 Verf. RF), schließt Art. 55 Abs. 2 Verf. RF80 die Möglichkeit aus, die Gesetzgebung dazu zu benutzen, diese Menschenrechte aufzuheben oder zu schmälern. Die Argumentation von Giesecke: „Hätte der Verfassungsgeber [Bundes]Verfassungsgesetze in diese Vorrangregelung [Art. 15 Abs. 4 Satz 2 Verf. RF] einbeziehen wollen, hätte er dies wie an anderen Stellen ausdrücklich erwähnen müssen“,81 kann nicht überzeugen, weil in der Verf. RF Bundesverfassungsgesetze nicht an allen Stellen ausdrücklich erwähnt werden. Etwa in Art. 15 Abs. 1 Verf. RF wird 76 Darunter nicht weniger als drei Viertel der Stimmen der Gesamtzahl der Mitglieder des Föderationsrates (obere Kammer des Parlaments) und nicht weniger als zwei Drittel der Gesamtzahl der Abgeordneten der Staatsduma (untere Kammer), vgl. Art. 108 Verf. RF. 77 AQgYR_aY^b[Qp, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 25; 1^UaYQ^_S, in: ;Qa`_SYh (Hrsg.), @_bcQcVZ^lZ [_]]V^cQaYZ [ ;_^bcYcdgYY AE, S. 119; ýd[Qid[, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1995, S. 175; ders., in: 8SV[_S/?b]Y^Y^ (Hrsg.), @_bcQcVZ^lZ [_]]V^cQaYZ [ EVUVaQ\m^_]d XQ[_^d „? ]VWUd^Qa_U^lf U_T_S_aQf AE“, S. 72. 78 Zit. nach 4\_c_S, A_bbYp Y B_SVc 6Sa_`l, S. 233. 79 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2003, Nr. 3, S. 12; @_^VUV\mhV^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 32; AQUhV^[_, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2002, Nr. 8, S. 3; @QcaQ[VVS, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2005, Nr. 2, S. 64 f. m.w.N.; besonders in Bezug auf die EMRK: Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 25. 80 Art. 55 Abs. 2 Verf. RF 1993 lautet: „In der Russischen Föderation dürfen keine Gesetze erlassen werden, die die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers aufheben oder schmälern“, dt. Übersetzung zit. nach Osteuropa-Recht 1994, 304. 81 Giesecke, Die auswärtige Gewalt in der Russischen Föderation und die Rolle des Völkerrechts in der russländischen Rechtsordnung, S. 214.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

von Gesetzen gesprochen, die der Verfassung nicht widersprechen dürfen. Dass dies nur für die Bundesgesetze gelten soll, nicht dagegen für die Bundesverfassungsgesetze, diese also der Verfassung widersprechen könnten, kann durch den Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 Verf. RF sicher nicht gemeint sein.82 b) EMRK und einfache Bundesgesetze Das Verhältnis von völkerrechtlichen Abkommen und Bundesgesetzen ist in Art. 15 Abs. 4 Satz 2 Verf. RF klar geregelt: Wenn ein völkerrechtliches Abkommen der RF von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Regelungen enthält, sind die Regelungen des völkerrechtlichen Abkommens anzuwenden. In Bezug auf Gesetze, die das Gerichtsverfahren in Zivilsachen regeln, ist diese Vorschrift auch in der ZPO RF (Art. 1 Abs. 2) und WirtPO RF (Art. 3 Abs. 3) enthalten. Gemäß Art. 15 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes RF über völkerrechtliche Verträge 1995 sind völkerrechtliche Abkommen zwingend zu ratifizieren, wenn sie von gesetzlichen Vorgaben abweichen. Daher genießen nach der Auffassung des OG RF nur die ratifizierten völkerrechtlichen Abkommen Vorrang vor russischen Bundesgesetzen.83 Als ratifiziertes Abkommen hat die EMRK folglich Vorrang vor russischen einfachen Bundesgesetzen, auch vor solchen, die nach ihrer Ratifikation verabschiedet werden.84 Schließlich ist noch kurz auf die Diskussion in der russischen Literatur über die Rechtsnatur des Vorranges völkerrechtlicher Abkommen vor autonomem Recht einzugehen. Während einige Autoren völkerrechtlichen Abkommen höheren Rang verleihen wollen,85 erkennen andere sie als lex specialis an.86 Gelegentlich sprechen 82 Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung, S. 97. 83 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 31. 10. 1995 (Nr. 8), Z. 5; Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 10. 10. 2003 (Nr. 5), Z. 8. Hier ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgeber bewusst auf das Merkmal „ratifizierte Verträge“ verzichtet hat, da in der Verfassungsversammlung dies vorgeschlagen wurde, ýd[Qid[, in: 1\V[bVVSQ/7dZ[_S/ýd[Qid[ (Hrsg.), =VWUd^Qa_U^lV ^_a]l _ `aQSQf hV\_SV[Q Y `aY]V^V^YV Yf bdUQ]Y AE, S. 10. Das begründet die abweichende Auffassung in der Literatur; vgl. þViQcQVSQ, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1998 – 1999, S. 226; dies., =VWUd^Qa_U^lZ TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb, S. 38. (Das VerfG RF hat sich zu dieser Frage noch nicht ausdrücklich geäußert). Ausführlich dazu Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung, S. 101 ff. m.w.N., die zu Recht darauf hinweist, dass es sich bei der Auslegung des OG RF faktisch um eine (unzulässige) Einschränkung der Wirkung der Verfassung handelte (S. 103). 84 OG RF, Beschl. vom 05. 06. 2001 (Nr. ;1B 01-153), zit. nach 8Y]^V^[_, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2003, Nr. 11, S. 6 f. 85 CYd^_S, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1995, S. 182; ders., A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 10, S. 15; 7dZ[_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2003, Nr. 5, S. 27 ff. 86 ýd[Qid[, þ_a]l ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ S `aQS_S_Z bYbcV]V A_bbYY, S. 42 f.; 8Y]^V^[_, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2004, Nr. 1, S. 10; =_X_\Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ 4aQWUQ^b[_]d [_UV[bd AE, hQbcY caVcVZ, Komm. zu Art. 1186 Z. 12; 1^deaYVSQ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [

§ 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR

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Gerichte von Oberhoheit (verhovenstvo), um das Verhältnis von völkerrechtlichen Abkommen zu autonomem Recht zu beschreiben.87 Das spricht für die erstere Theorie, allerdings sind es Einzelfälle geblieben. Diese Diskussion ist Teil einer größeren Diskussion, ob die Verf. RF 1993 vom Monismus oder vom gemäßigten Dualismus im Verhältnis von autonomem Recht und Völkerrecht ausgeht.88 Angesichts der Unterschiedlichkeit der beiden Rechtsordnungen verdient die zweite Ansicht den Vorzug. Auch der Wortlaut des Art. 15 Abs. 4 Satz 2 „(…) werden angewandt“ (primenâûtsâ) spricht für den Anwendungsvorrang und nicht für den im Völkerrecht nicht üblichen Geltungsvorrang.89 Danach sind völkerrechtliche Verträge eine Art lex specialis.90

§ 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR Die Mehrzahl der Regelungen der EMRK, die die Menschenrechte verbürgen (Artt. 2 – 14 sowie Zusatzprotokolle), sind abstrakt formuliert und lassen verschiedene Auslegungen zu. Der Gerichtshof legt die Konvention autonom als „living instrument“ aus und hat faktisch eine Reihe neuer Grundrechte geschaffen (auch betreffend Art. 6 Abs. 1 EMRK). Es ist daher der Frage nachzugehen, welcher Status den Leitentscheidungen des EGMR zukommt, die eine Auslegung des Konventionstextes enthalten. Gemäß Art. 32 EMRK hat der EGMR bei der Entscheidung konkreter Fälle das Recht, alle Fragen zu klären, die die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle betreffen. Die EMRK gibt jedoch dem Gerichtshof nicht das Recht, eine allgemeinverbindliche „authentische“ Interpretation der Konvention zu erstellen. Andererseits bezieht sich der EGMR bei der Beurteilung von Konventionsverletzungen eines Konventionsstaates häufig auf seine früher zu anderen Konventionsstaaten getroffenen Auslegungen der EMRK. Auf diese Weise 4aQWUQ^b[_]d [_UV[bd AE. HQbcm caVcmp (`_bcQcVZ^lZ), Komm. zu Art. 1186 Z. 3; ausdrücklich in Bezug auf die EMRK: ýd[QZUVb, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2004, Nr. 2, S. 17. 87

Vgl. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 29. 09. 1994 (Nr. 6), Z. 2 Abs. 1, allerdings ersetzt durch einen anderen Plenumsbeschl. vom 05. 03. 2004 (Nr. 1), in dem der Begriff nicht verwendet wird. 88 Die Monismus-Theorie wird etwa vertreten von F\Vbc_S, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1994, Nr. 4, S. 55; ýd[mp^gVS, 6Sa_`VZb[YV bcQ^UQacl S _R\QbcY `aQS hV\_SV[Q, S. 38; Umland, Osteuropa-Recht 2002, 13 f. m.w.N.; der gemäßigte Dualismus von @QcaQ[VVS, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2005, Nr. 2, S. 61. Für Dualismus plädiert jedoch FYW^p[, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 2007, Nr. 8, S. 31 ff., der dies mit dem höchsten Rang der Verf. RF begründet. 89 Giesecke, Die auswärtige Gewalt in der Russischen Föderation und die Rolle des Völkerrechts in der russländischen Rechtsordnung, S. 211 m.w.N.; Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung, S. 105 m.w.N. 90 Hussner, Die Übernahme internationalen Rechts in die russische und deutsche Rechtsordnung, S. 96.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

erarbeitet der Gerichtshof bestimmte Standards der Auslegung und Anwendung der Konvention in seiner Rechtsprechung. Die Fragen, ob diese Leitentscheidungen für die Konventionsstaaten verbindlich sind und insbesondere, ob die Gerichte der Konventionsstaaten verpflichtet sind, diese bei ihrer Rechtsprechung anzuwenden, sind nicht eindeutig geklärt. Daher ist zunächst zu untersuchen, inwieweit die Leitentscheidungen des EGMR für die Russische Föderation als Völkerrechtssubjekt bindend sind, um sodann der Frage nachzugehen, inwieweit diese Leitentscheidungen bei der Rechtsanwendung zu beachten sind. I. Verbindlichkeit der Leitentscheidungen des EGMR für das Völkerrechtssubjekt Russland 1. Verbindlichkeit für einen jeden Konventionsstaat (erga omnes)? Art. 46 Abs. 1 EMRK, der die völkerrechtliche Verbindlichkeit rechtskräftiger Urteile regelt, besagt, dass sich die Vertragsparteien verpflichten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofes zu befolgen. Daraus folgt zunächst, dass die durch den EGMR im konkreten Fall getroffene Auslegung in Bezug auf den betroffenen Staat als verbindlich gilt. Das deutsche BVerfG wählt daher den Ausdruck der begrenzten materiellen Rechtskraft der Urteile des EGMR.91 Die Verpflichtung, ein Urteil zu befolgen, gilt in den jeweiligen personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstandes.92 Die Frage der Verbindlichkeit der Auslegung des EGMR über den entschiedenen Fall hinaus sowie in Bezug auf andere Staaten ist bis heute Gegenstand heftiger Diskussion.93 Nach einer Ansicht sind solche Auslegungen, selbst wenn sie eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs darstellen, nicht verbindlich, sondern dienen lediglich der Orientierung (Orientierungswirkung).94 Diese Ansicht gründet 91

BVerfG, Beschl. vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481/04), Fall Görgülü, NJW 2004, 3409. Ebenda. Vgl. auch BVerfG, Kammerbeschl. vom 11. 10. 1985 (2 BvR 336/85), Fall Pakelli , EuGRZ 1985, 656. 93 Zum Stand der Diskussion jeweils m.w.N. Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 285 ff.; Haß, Die Urteile des EGMR: Charakter, Bindungswirkung und Durchsetzung, S. 164 ff.; Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK für die BRD, S. 19 ff. 94 Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, S. 214 ff.; Kilian, Die Bindungswirkung der Entscheidungen des EGMR, S. 196; Leeb, Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des EGMR, S. 124 m.w.N.; Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK für die BRD, S. 22; Grabenwarter, EMRK, § 16 Rn. 9 m.w.N. Originell ist die Argumentation von Stöcker, EuGRZ 1987, 478 ff.: „Die unantastbaren Grundlagen des nationalen Rechts bilden den (stillschweigenden) Vorbehalt, unter dem jede Unterwerfung eines Staates unter fremde Entscheidungsautorität steht (…). [D]ie die deutschen Gerichte bindende Verweisung auf die Konvention in der Auslegung durch den Gerichtshof [EGMR] (…) [gilt] durchaus nicht ohne jede Einschränkung, sondern [steht] wie im Internationalprivatrecht 92

§ 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR

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sich darauf, dass der Gerichtshof von den Konventionsstaaten nicht ermächtigt worden sei, allgemeine Fragen der Auslegung der EMRK zu entscheiden, also mit anderen Worten kein Auslegungsmonopol besitze. So gelten die Entscheidungen des EGMR nur inter partes und die materielle Rechtskraft ist durch die persönlichen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstandes begrenzt (dazu unten Kap. 7, S. 266 ff.). Gleichzeitig wird aber auf die große faktische Bedeutung der Leitentscheidungen aufgrund des hohen Ansehens des EGMR hingewiesen.95 Nach anderer Ansicht geht die Verbindlichkeit der durch den EGMR getroffenen Auslegung über den konkreten Fall hinaus und ist für alle Konventionsstaaten verbindlich, trägt also einen erga omnes-Charakter.96 Dies folge daraus, dass die EMRK den Gerichtshof ermächtige, die Konvention auszulegen,97 wobei diese Auslegung jedoch faktisch durch die Vertragsstaaten als verbindlich angesehen werde, was durch zahlreiche Gesetzesreformen belegt sei, die auf Grund von Verfahren gegen Drittstaaten ausgelöst oder beschleunigt wurden.98 Die erga omnes-Wirkung wird auf Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK 1969 gestützt, wonach bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge jede spätere Übung ihrer Anwendung, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über ihre Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen ist.99 Schließlich sollen teleologische Erwägungen eine entsprechende Wirkung stützen. Nur so könnten die einheitliche Anwendung des Konventionsrechts innerhalb der Konventionsstaaten, Rechtssicherheit und die praktische Wirksamkeit der EMRKMenschenrechte gewährleistet werden.100 unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit des Ergebnisses der Anwendung des vom Gerichtshof gesetzten Richterrechts mit dem deutschen Ordre public (…). Wenn die Konventionsstaaten schon die Konvention kündigen können (…), ohne dass ihr Ordre public auf dem Spiele stehen müsste, dann muss ihnen, falls ein Urteil fundamentale Grundlagen der innerstaatlichen Rechtsordnung antastet, erst recht das weitaus mildere Mittel zur Verfügung stehen, die fallübergreifenden Wirkungen dieses Urteils unter Berufung der Ordre public-Klausel abzuwehren“. 95 Ausführlich Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, S. 220 ff.; Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 286 f. m.w.N. 96 Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 350; Zimmer, ZAR 1998, 123. 97 „Die EMRK gilt wegen des Rechtsprechungsauftrages in Art. 32 EMRK völkerrechtlich und damit auch innerstaatlich in der Gestalt, die sie durch die Auslegung und Anwendung durch den EGMR erfährt“, so Sauer, ZaöRV 2005, 41. „Es ist weder wünschenswert, noch rechtlich möglich, zwischen der Konvention selbst und der dazu ergangenen Rechtsprechung zu differenzieren“, so Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 17. „It is not possible to apply the Convention without looking at the corresponding case-law of the Court“, so Burkov, The Impact of the European Convention on Human Rights on Russian Law, S. 26 f. 98 Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 350 f. m.w.N. Weitere Beispiele bei Okresek, EuGRZ 2003, 170. 99 3_X^VbV^b[YZ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 212; Burkov, The Impact of the European Convention on Human Rights on Russian Law, S. 42. 100 Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 351; Zimmer, ZAR 1998, 123.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Meyer-Ladewig vertritt eine vermittelnde Ansicht: „Man wird dem Konventionsstaat das Recht nicht absprechen können, mit Reaktionen bis zum Urteil gegen ihn zu warten, nämlich abzuwarten, ob der EGMR auch in diesem Verfahren an seiner Auffassung festhält. Jedenfalls bei einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs wird aber eine Bindung nach Art. 1 EMRK [wonach die Konventionsstaaten allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen EMRK-Rechte zuzusichern haben] daran anzunehmen sein“.101 Bei dieser Lösung stellt sich allerdings das von MeyerLadewig nicht behandelte Problem, ab wann die Rechtsprechung des EGMR als ständig gelten soll und wer darüber zu entscheiden hat. Sogar Richter des EGMR sind in dieser Frage nicht einig. Richter Zagrebelsky hat dazu ausgeführt: „Of course, the Court’s judgments do have erga omnes effects in relation to persons other than the applicant and to other States. The Committee of Ministers’ activities are clearly influenced by them“.102 Richter Ress: „Da die Urteile des EGMR keine erga omnes-Wirkung enthalten, binden sie die nicht am Verfahren beteiligten Staaten nicht im streng juristischen Sinne, sondern entfalten nur eine Orientierungswirkung. Die Staaten können im Prinzip abweichen, ohne die Konvention schon allein deshalb zu verletzen, wenn sie sich ernsthaft mit der Meinung des EGMR auseinandersetzen“.103 Ress spricht sich also für eine Abweichungsmöglichkeit mit entsprechender Argumentationslast aus. Interessant sind die Ausführungen von Richter Zupancˇicˇ : „First, a de facto erga omnes effect exists anyway, whether the Court is forced to repeat it 60,000 times or not. There is no escaping this. Second, a de jure erga omnes binding effect would be one expressed in the judgment in abstracto. In such a case we would say that a particular piece of national legislation that had been the cause of the case before us was incompatible with the Convention, or in other words ,un-conventional‘. The Court clearly does not have, with the usual paraphernalia of constitutional law, an interest in meddling in what national legislation should or should not do. Subsidiarity is a healthy collateral effect of the simple fact that an international judicial body does not know how to, and thus does not want to, enter into the details of national legislative happenings. This is the role rightly reserved for national constitutional courts. Third, we are situated at the top of 46 national judicial pyramids. The message sent to one of these jurisdictions will have a completely different meaning in another. In other words, our pronouncements are decisions concerning minimum standards, irrespective of how the violations happened in Iceland or in Azerbaijan. We are not and cannot be the constitutional court for the 46 countries concerned. The fears that we shall usurp that role are not realistic. The subsidiary international jurisdiction nevertheless plays a role and engages in a legal discourse and in decision-making, functions which are somewhat

101

Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 18. Vgl. sein Sondervotum zum Urteil des EGMR (GK) vom 19. 06. 2006 (Nr. 35014/97), Hutten-Czapska v. Poland. 103 Ress, Forum Constitutionis Europae 2002, Nr. 2, S. 4 Fn. 16. 102

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similar to what the constitutional courts do. I would expect constitutionalist legal academia to decipher all the constitutive differences“.104 Im Auftrag des Europarates hat die Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) 2002 eine Studie durchgeführt und ist zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen: „Given that States have committed themselves to securing the enjoyment of the rights guaranteed by the Convention to anyone within their jurisdiction (Article 1 of the Convention) and that the interpretation of the provisions of the Convention ultimately rests with the Court (see Article 19 in conjunction with Article 44 of the Convention), the interpretations given by the Court in its judgments form part and parcel of the Articles of the Convention concerned and, consequently, share the legally binding force of the Convention erga omnes. The Court’s judgments have thus, according to the famous French formula, ,autorité de la chose interprétée‘. Indeed, it is a matter of course that the Court’s decisions will have effects extending beyond the confines of a particular case. The Court’s judgments, in fact, serve not only to decide those cases brought before the Court but, more generally, to elucidate, safeguard and develop the rules instituted by the Convention, thereby contributing to the observance by the States of the engagements undertaken by them as Contracting Parties. This means that States parties, besides having to abide by the judgments of the Court pronounced in cases to which they are party, also have to take into consideration the possible implications which judgments pronounced in other cases may have for their own legal system and legal practice; in this respect, it must be underlined that cultural differences may not be used as a pretext to escape the erga omnes effects of the Court’s judgments“.105 In der Tat sprechen jeweils sehr gute Argumente für und auch gegen erga omnesWirkungen der EGMR-Urteile. Für ihren erga omnes-Charakter spricht zunächst ihre Anerkennung (neben der EMRK) als Hauptpfeiler des europäischen ordre public.106 Außerdem vertritt der EGMR den Standpunkt, dass seine Urteile „(…) nicht nur dazu [dienen], die ihm vorgelegten Fälle zu entscheiden, sondern, allgemeiner, die Bestimmungen der Konvention zu erläutern, zu sichern und fortzuentwickeln und auf diese Weise zur Beachtung der Verpflichtungen durch die Staaten beizutragen, die sie als Vertragsparteien eingegangen sind“.107 Dabei handelt es sich nach Ansicht des EGMR nicht um eine weite Auslegung, die den Vertragsstaaten neue Verpflichtungen 104

Vgl. sein Sondervotum zum Urteil des EGMR (GK) vom 19. 06. 2006 (Nr. 35014/97), Hutten-Czapska v. Poland. 105 Venedig-Kommission, Opinion 209/2002 vom 14. 12. 2002 „On the Implementation of the Judgments of the ECtHR“ (by Helgesen/Malinverni/Matscher/Van Dijk), Z. 32 f., . 106 Vgl. etwa Europarat, Parl. Versammlung, Entschließung 1516(2006) vom 02. 10. 2006 betreffend die Umsetzung der Urteile des EGMR, Z. 1, BT-Drucks. 16/3941, S. 8. 107 EGMR, Urt. vom 18. 01. 1978 (Nr. 5310/71), Ireland v. the United Kingdom, Z. 154, dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 1979, 152; bestätigt durch EGMR, Urt. vom 06. 11. 1980 (Nr. 7367/76), Guzzardi v. Italy, Z. 86; Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 40016/98), Karner v. Austria, Z. 26.

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auferlegen würde.108 Der EGMR hat ausgeführt: „Although the primary purpose of the Convention system is to provide individual relief, its mission is also to determine issues on public-policy grounds in the common interest, thereby raising the general standards of protection of human rights and extending human rights jurisprudence throughout the community of Convention States“.109 Der EGMR erwartet also eine Übernahme seiner Praxis durch die Vertragsstaaten,110 ganz abgesehen davon, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK innerstaatliche Gerichte insbesondere zur Durchführung einer ordentlichen Prüfung des Vorbringens, der Begründungen und Beweise der Parteien verpflichtet (ausführlich unten Kap. 5, S. 163 ff.),111 was sicherlich auch für Vorbringen gilt, die sich auf Urteile des EGMR gegen andere Konventionsstaaten stützt.112 Der EGMR hat sogar ausgesprochen: „The domestic courts must also be able, under domestic law, to apply the European case-law directly and their knowledge of this case-law has to be facilitated by the State in question“.113 Mit dem Beitritt zur EMRK verpflichteten sich alle Staaten Mittel- und Osteuropas, ihre Gesetzgebung in Einklang mit den bestehenden Standards des Europarates zu bringen, worunter unter anderem die Umsetzung der gegen „alte“ Konventionsstaaten ergangenen Leitentscheidungen des EGMR verstanden wurde.114 108

Z. 36. 109

Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 21. 02. 1975 (Nr. 4451/70), Golder v. the United Kingdom,

EGMR, Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 40016/98), Karner v. Austria, Z. 26; Urt. vom 24. 11. 2005 (Nr. 49429/99), Capital Bank AD v. Bulgaria, Z. 79. 110 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 29. 11. 1991 (Nr. 12849/87), Vermeire v. Belgium, Z. 25: „It cannot be seen what could have prevented the Brussels Court of Appeal and the Court of Cassation from complying with the findings of the Marckx judgment [of the European Court of Human Rights]“; EGMR, Urt. vom 22. 04. 1993 (Nr. 15070/89), Modinos v. Cyprus, Z. 20: „Moreover, the Supreme Court of Cyprus in the case of Costa v. The Republic considered that the relevant provisions of the Criminal Code violated neither the Convention nor the Constitution notwithstanding the European Court’s Dudgeon v. the United Kingdom judgment of 22 October 1988“; EGMR, Ent. vom 27. 03. 2003 (Nr. 36813/97), Scordino and Others v. Italy (no. 1), Z. 1 (3): „[I]t follows from the principle of subsidiarity (…) that the national courts must, where possible, interpret and apply domestic law in accordance with the Convention“; EGMR, Urt. vom 16. 06. 2005 (Nr. 61603/00), Storck v. Germany, Z. 93: „In securing the rights protected by the Convention, the Contracting States, notably their courts, are obliged to apply the provisions of national law in the spirit of those rights. Failure to do so can amount to a violation imputable to the State of the Convention (…)“; EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 239: „The domestic courts must also be able, under domestic law, to apply the European case-law directly and their knowledge of this case-law has to be facilitated by the State in question“. 111 Vgl. z. B. EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 18064/91), Hiro Balani v. Spain, Z. 28; Urt. vom 12. 06. 2003 (Nr. 35968/97), Van Kück v. Germany, Z. 48. 112 Burkov, The Impact of the European Convention on Human Rights on Russian Law, S. 41 m.w.N. 113 EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 239. 114 ;QacQi[Y^, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1996, Nr. 3, S. 23 f.; in Bezug auf Russland: 2VaVbc^VS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 1, S. 14; Polakiewibz, in: Blackburn/

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Es ist jedoch klar, dass erga omnes-Wirkung nicht aus Art. 46 Abs. 1 EMRK abgeleitet werden kann, wonach der vor dem EGMR unterlegene Konventionsstaat verpflichtet ist, das endgültige Urteil des EGMR zu befolgen. Der Wortlaut lässt eine solche Auslegung nicht zu.115 Der im Zuge der Reformdiskussion zum 14. Zusatzprotokoll eingebrachte Vorschlag, eine entsprechende Änderung des Art. 46 Abs. 1 EMRK vorzunehmen, wurde abgelehnt. Die Reflection Group des Europarates begründete dies damit, dass die Schwierigkeiten der Umsetzung einer Anordnung des EGMR in einer anderen Rechtsordnung dagegen sprächen.116 Die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an die Konventionsstaaten, mehr Gebrauch von der Möglichkeit zu machen, sich an Verfahren vor dem EGMR zu beteiligen, um die erga omnes-Wirkung seiner Urteile zu fördern,117 wurde auch abgelehnt. Das Ministerkomitee des Europarates hat in seiner Antwort vom 09. 01. 2002 [Reply to Parliamentary Assembly Recommendation 1477(2000)] darauf hingewiesen, dass gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK intervenierende Drittstaaten an dem Urteil des EGMR nicht gebunden seien (Anhang, Z. 10) und, dass nach der EMRK die Konventionsstaaten kein allgemeines Recht hätten, laufenden Verfahren am EGMR beizutreten (Anhang, Z. 12). Außerdem würde eine derartige Intervention zu unerwünschten Verfahrensverzögerungen führen (Anhang, Z. 13). Gleichzeitig hat das Ministerkomitee des Europarates ausgeführt (Anhang, Z. 14): „Finally, the [Steering Committee for Human Rights] would like to recall in this context the authority of the Court’s judgments: it is inherent in the control system set up by the Convention that any contracting State – independently of any possible participation in proceedings pending against another State – should examine and apply each judgment, in order to ensure constantly that its law and practice correspond to the Convention“. Auch in seiner Empfehlung Rec(2004)6 vom 12. 05. 2004 geht das Polakiewicz (Hrsg.), Fundamental rights in Europe, S. 50, der jedoch daraus keine erga omnesWirkung der EGMR-Urteile ableiten will. 115 De Salvia, in: Council of Europe (Hrsg.), The Status of International Treaties on Human Rights, S. 92, schreibt in diesem Zusammenhang jedoch: „There is, however, nothing to prevent the Committee [of Ministers of the Council of Europe] from drawing conclusions from such a judgment that apply to other States, by virtue of the general supervisory power afforded to it by the Organisation’s Statute“. 116 Europarat, Steering Committee for Human Rights, Reflection Group, 7th meeting, Contribution of rapporteurs „C“ „Improving and accelerating execution of judgments of the Court“, 31 January 2003, CDDH-GDR(2003)003, Z. II, lit. F: „The Group was not in favour of the idea to delete the last words of Article 46 § 1 (,in any case to which they are parties‘) so as to give erga omnes effects to judgements of the Court (…) The Group agreed that it was important that all contracting states followed the case-law of the Court, and that they reviewed their legislation and administrative practice in the light of the Court’s case-law, including judgements against other states. It did, however, find it difficult to give states a legal obligation to abide by judgements against other states. Firstly, the judgement will be directed at one contracting state, and it will be more difficult to assess the implications of the judgement in another legal system. Secondly, states, which have not been party to the proceedings, will not have had the opportunity to present their case in the Court, and may have arguments that might have lead to another result. The Group therefore rejected the idea of amending Article 46 § 1“. 117 Empfehlung 1477(2000) vom 28. 09. 2000, HRLJ 2000, S. 274.

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Ministerkomitee von der erga omnes-Wirkung der EGMR-Urteile aus: „Recalling that in addition to the obligation of ascertaining the existence of such effective remedies in the light of the case-law of the European Court of Human Rights (…)“ (Z. 1). Folglich sollen die Leitentscheidungen des EGMR kraft Art. 1 EMRK, wonach die Konventionsstaaten allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen EMRK-Rechte zuzusichern haben, erga omnes gelten.118 Es können jedoch auch schwerwiegende Argumente gegen eine erga omnesWirkung angeführt werden. Zum einen verbietet das rechtliche Gehör, worauf auch Staaten Anspruch haben, ihnen Verpflichtungen aufzuerlegen, ohne sie vorher anzuhören.119 Gemäß Art. 36 Abs. 2 EMRK kann der Präsident des EGMR im Interesse der Rechtspflege jedem Konventionsstaat, der in dem Verfahren nicht Partei ist, Gelegenheit geben, schriftlich Stellung zu nehmen oder an den mündlichen Verhandlungen teilzunehmen. Auch wenn entsprechenden Anträgen der Konventionsstaaten vom Präsidenten des EGMR – soweit ersichtlich – immer stattgegeben wird120 und man diese Vorschrift nicht für eine Ermessensvorschrift hält, was sie ihrem Wortlaut nach ist und vom Ministerkomitee des Europarates so gesehen wird, sondern das von Art. 36 Abs. 2 EMRK eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ansieht,121 kann man immer noch kaum eine Obliegenheit der Konventionsstaaten annehmen, sich mit allen für zulässig erklärten Beschwerden auseinandersetzen zu müssen, um mögliche Auswirkungen auf ihre Rechtsordnungen zu kalkulieren. Und auch, dass zahlreiche Staaten auf Verurteilungen anderer Konventionsstaaten reagiert und ihre Gesetzgebung geändert haben, weist noch nicht darauf hin, dass solche Urteile des EGMR auch gegenüber allen verbindlich sind.122 118

Vgl. Europarat, Parl. Versammlung, Report on the execution of judgments of the European Court of Human Rights (Rapporteur: Jurgens) vom 28. 09. 2000 (Doc. 8808), Z. 4 f. „[T]he interpretation of the provisions of the Convention ultimately rests with the European Court of Human Rights (see Art. 19, 44 of the Convention). This means that, although Art. 46 of the Convention only refers to the obligation of the State which is a party to the case, to abide by the judgment, the interpretations given by the Court in its judgments form part and parcel of the provisions concerned and, consequently, share the legally binding force of the Convention erga omnes. From this it follows that, although the Contracting States are, first of all, under the obligation to execute the judgments of the Court pronounced in cases to which they are a party, they also have to take into consideration the possible implications which judgments pronounced in other cases may have for their own legal system and legal practice. Only in that way can they meet in an effective and full way their primary responsibility, under Art. 1 of the Convention, to ensure the rights and freedoms of the Convention as interpreted by the Court“, HRLJ 2000, S. 275. 119 Vgl. Europarat, Steering Committee for Human Rights, Reflection Group, 7th meeting, Contribution of rapporteurs „C“ „Improving and accelerating execution of judgments of the Court“, 31 January 2003, CDDH-GDR(2003)003, Z. II, lit. F. 120 Vgl. z. B. EGMR (GK), Annual Activity Report 2006 (January 2007), S. 55 f., sowie andere Annual Activity Reports. 121 Vgl. Cremer, EuGRZ 2004, 696. 122 Kilian, Die Bindungswirkung der Entscheidungen des EGMR, S. 198; Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK für die BRD, S. 22.

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Einer näheren Untersuchung bedarf das Argument, wonach die erga omnesWirkung auf die Übung der Konventionsstaaten im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK 1969 gestützt werden kann.123 Gemäß dieser Norm ist bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge jede spätere Übung ihrer Anwendung, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über ihre Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen. Das Ministerkomitee des Europarates weist darauf hin, dass die EMRK zum Bestandteil des Rechtssystems aller Konventionsstaaten geworden sei und inländische Gerichte und Exekutive sich immer mehr von der Rechtsprechung des EGMR bei der Anwendung des autonomen Rechts leiten lassen.124 Hierbei wird auch angemerkt, dass die direkte Anwendbarkeit der Leitentscheidungen des EGMR in den Vertragsstaaten eine Besonderheit des Schutzmechanismus der Konvention sei.125 In der Tat beachten Gerichte der Mehrheit der Konventionsstaaten die Leitentscheidungen des Gerichtshofs in ihrer Rechtsprechung und zwar sowohl Urteile gegen den jeweiligen Konventionsstaat als auch gegen andere Konventionsstaaten.126 Die Gerichte, insbesondere die Verfassungsgerichte, verweisen bei der Auslegung der EMRK oder des autonomen Rechts zur Begründung zum Teil auf die Leitent123

Vgl. „[I]t would be legitimate to treat the outcomes of human rights treaty monitoring procedures, such as final views on individual complaints (…) as various forms of ,subsequent practice‘ in the meaning of VCLT [Vienna Convention on the Law of Treaties] article 31 (3) (b) – at least in the majority of instances where no formal objection is made by states parties“: Scheinin, in: Council of Europe (Hrsg.), The Status of International Treaties on Human Rights, S. 52. 124 Europarat, MK, Empfehlung Rec(2004)6 vom 12. 05. 2004, Anhang Z. 7: „[I]t is a welcome development that the Convention has now become an integral part of the domestic legal orders of all states parties. (…) [C]ourts and executive authorities increasingly respect the case-law of the Court in the application of domestic law“. 125 Europarat, Control of the execution of judgments and decisions under the European Convention of human rights (Application of former Articles 32 and 54 and of Article 46 of the Convention). Selected Resolutions of the Committee of Ministers (Doc. H/Conf(2000)8), S. 6: „The fact that domestic law in virtually all the member states recognises the direct enforceability of the Strasbourg Court’s judgments is a unique feature of the Convention system that has no equivalent in modern international law. The case-law made in Strasbourg is thus a powerful force for legal integration among the Council of Europe member states“. 126 Blackburn/Polakiewicz (Hrsg.), Fundamental rights in Europe, Landesberichte (jeweils m.w.N.): „Bulgaria“, S. 201 ff.; „Cyprus“, S. 223 ff.; „Czech Republic“, S. 252 ff.; „Estonia“, S. 284 ff.; „Hungary“, S. 387 ff.; „Lithuania“, S. 519 ff.; „Luxembourg“, S. 535 ff.; „The Netherlands“, S. 600 ff.; „Norway“, S. 642 ff.; „Poland“, S. 664 ff.; „Portugal“, S. 685 ff.; „Slovakia“, S. 765 f.; „Slovenia“, S. 791 ff.; „Spain“, S. 815 ff.; „Sweden“, S. 843 ff.; „Switzerland“, S. 864 ff.; „Turkey“, S. 890 ff. Europarat, Control of the execution of judgments and decisions under the European Convention of human rights (Application of former Articles 32 and 54 and of Article 46 of the Convention). Selected Resolutions of the Committee of Ministers (Doc. H/Conf(2000)8), S. 56 ff. (Resolutions referring notably to the direct effect or a similar effect granted to the decisions of the Convention’s organs in domestic law). Vgl. auch aktuellere Sammlungen von Landesreferaten: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l (2006), überwiegend in Bezug auf Staaten Osteuropas; Keller/Stone-Sweet

(Hrsg.), A Europe of Rights. The Impact of the ECHR on National Legal Systems (2008).

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scheidungen des EGMR, zum Teil hingegen folgen sie der Rechtsprechung des EGMR, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen.127 In einigen Staaten hat der Gesetzgeber Gerichte ausdrücklich dazu angehalten, Leitentscheidungen des EGMR anzuwenden. Der britische Human Rights Act 1998 legt etwa fest: „So far as it is possible to do so, primary legislation and subordinate legislation must be read and given effect in a way which is compatible with the Convention“ (Art. 3 Abs. 1).128 Eine ähnliche Regelung enthält der irische European Convention on Human Rights Act 2003: „In interpreting and applying any statutory provision or rule of law, a court shall, in so far as is possible, subject to the rules of law relating to such interpretation and application, do so in a manner compatible with the State’s obligations under the Convention provisions (Art. 2 Abs. 1).129 In der Ukraine lautet das Gesetz „Über die Umsetzung der Urteile des EGMR und ihre Anwendung“ 2006: „While adjudicating cases courts shall apply the Convention and the case-law of the Court as a source of law“ (Art. 17).130 In einigen Staaten übernehmen dies Obergerichte. Das Oberste Gericht der Republik Aserbaidschan hat bspw. in seinem Plenumsbeschluss [Erläuterungen] vom 30. 03. 2006 (Nr. 5) Folgendes ausgeführt: „The courts (…) have to refer to the practice of the European Court of Human Rights“ (Z. 2 Abs. 3), „The courts (…) have to secure the performance of the obligations undertaken by the States on the basis of the Convention“ (Z. 4 Abs. 2).131 Die belgische Cour de cassation hat etwa ausgeführt: „The final and binding nature (autorité de la chose interprétée) of interpretations by the European Court cannot therefore be ignored by the national courts of a State without laying that State open to the various legal penalties implied under the system of the Convention, by the undertakings entered into in international law by Contracting States. For these reasons it should (…) be admitted that, except where there are new facts or other objective evidence manifestly calling for the European Court’s interpretative case-

127 Blackburn/Polakiewicz (Hrsg.), Fundamental rights in Europe, Landesberichte (jeweils m.w.N.): „Italy“, S. 484 f.; „Malta“, S. 570 ff.; in Bezug auf Dänemark: Glöckner, in: Trunk/ Nuutila/Nekrosˇius (Hrsg.), Recht im Ostseeraum, S. 49, 55 m.w.N. 128 Vgl. . „That is a rule of construction, neither more nor less. Sometimes, by reason of the clarity of the language, it is simply not possible to construe a piece of national legislation in a way which is compatible with the ECHR. In such a case, the courts have not been given the power to strike down the national legislation“: Kay, The Influence of the ECHR on English Law: Before and After the Human Rights Act, . 129 Vgl. . 130 Gesetz vom 23. 02. 2006 (Nr. 3477-IV), zit. nach Europarat, Parl. Versammlung, Bericht (Rapporteur: Jurgens) vom 18. 09. 2006 (Doc. 11020) „Implementation of judgments of the European Court of Human Rights“, Appendix III, Part IV, Z. 2. 131 Zugänglich unter .

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law to be overturned, this case-law has special authority (autorité particulière) and should normally be followed by the national courts“.132 Jedoch folgt aus der Praxis der Konventionsstaaten keine bedingungslose Bereitschaft, dem EGMR zu folgen.133 Zum einen variiert die Übernahme der Praxis des EGMR nicht nur von einem Konventionsstaat zum anderen, sondern auch innerhalb eines einzigen Konventionsstaates – von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet.134 Zum anderen verweigern gelegentlich innerstaatliche Gerichte ausdrücklich dem EGMR die Gefolgschaft. Ein Beispiel dafür liefert die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom 14. 10. 1987, in der unter Berufung auf die Verfassungsordnung eine Auslegung der EMRK durch den EGMR abgelehnt wurde, weil sie sich als offene Rechtsfortbildung erweise, die den Vertragsstaaten Verpflichtungen auferlege, die einzugehen sie niemals gewollt oder erklärt hätten.135 „Der VfGH hat bei der Auslegung der EMRK insbesondere der Rechtsprechung des EGMR als dem zur Auslegung der EMRK zunächst berufenen Organ besonderes Gewicht einzuräumen. An die verfassungsmäßigen Grundsätze (…) ist der VfGH aber auch im Falle eines Widerspruchs zur EMRK gebunden. Selbst wenn daher der EGMR eine Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung in diesem Punkte annehmen sollte, könnte dieser Verstoß nur durch den Verfassungsgesetzgeber selbst geheilt werden“.136 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die Eidgenössische Personalrekurskommission in der Schweiz. „Wenn sich der Gesetzgeber also letztlich und in vollem Bewusstsein der EMRK-Problematik (…) für eine Lösung (…) ausgesprochen hat, so weicht die Rekurskommission davon aufgrund von Art. 191 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (…) nicht ab (…). Es wäre gegebenenfalls am Gesetzgeber, auf dem Wege der Gesetzesrevision eine entsprechende [Änderung vorzunehmen]. Dazu 132

Urt. vom 14. 04. 1983, zit. nach EKMR, Ent. vom 08. 11. 1988 (Nr. 12849/87), Vermeire v. Belgium. 133 Hier sei auf die Aussage des britischen Home Secretary Charles Clarke im September 2005 hingewiesen, wonach seine Regierung die EMRK kündigen könnte, wenn der EGMR an seiner Rechtsprechung zur (erschwerten) Auslieferung ausländischer Terrorverdächtigen festhalten würde: „If people start to believe that decisions at the European Court, in operating the European Convention, are not broadly in accordance with a consensus about how rights should be defended, then there will be some very difficult questions about the convention itself in Britain (…). There are already some forces which are asking already whether Britain should still be part of it“, . 134 Hess, JZ 2005, 548 ff. m.w.N.; Grewe, in: Grewe/Gusy (Hrsg.), Menschenrechte in der Bewährung, S. 124 ff. m.w.N. 135 JBl. 1988, 303. Hier ging es um die eingeschränkte verwaltungsrechtliche Kontrolle österreichischer Gerichte, die mit dem vom EGMR in Bezug auf Drittstaaten entwickelten Recht auf Zugang zu Gericht kollidierte. 136 Ebenda. Der österreichische Verfassungsgesetzgeber hat schon im Vorfeld einer möglichen Verurteilung durch den EGMR reagiert und durch die Bundesverfassungsgesetznovelle 1988 einen konventionskonformen Zustand hergestellt; dazu Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 160 ff.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

bestünde allenfalls auch deshalb Anlass, weil sich die Entwicklung der Rechtsprechung der Konventionsorgane (…) weiterentwickelt hat“.137 Das Oberste Gericht Großbritanniens beharrt ebenfalls ab und zu auf seinem Rechtsverständnis: „(…) The requirement to ,take into account‘ the Strasbourg jurisprudence will normally result in this Court applying principles that are clearly established by the Strasbourg Court. There will, however, be rare occasions where this court has concerns as to whether a decision of the Strasbourg Court sufficiently appreciates or accommodates particular aspects of our domestic process. In such circumstances it is open to this court to decline to follow the Strasbourg decision, giving reasons for adopting this course. This is likely to give the Strasbourg Court the opportunity to reconsider the particular aspect of the decision that is in issue, so that there takes place what may prove to be a valuable dialogue between this court and the Strasbourg Court. This is such a case“.138 Auch das deutsche BVerwG weigert sich, der Rechtsprechung des EGMR gegen Drittstaaten zu folgen und legt stattdessen die EMRK mit einem abweichenden Ergebnis selbst aus.139 Dies fällt besonders ins Auge, da bei anderen Fallkonstellationen das BVerwG de facto eine erga omnes-Wirkung anerkannt hatte: „Der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch den EGMR kann unter bestimmten Voraussetzungen über den entschiedenen Einzelfall hinaus eine normative Leitfunktion beigemessen werden, an der sich die Vertragsstaaten zu orientieren haben. Lässt sich auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofes eine verallgemeinerungsfähige und allgemeine Gültigkeit beanspruchende Auslegung einer Konventionsbestimmung feststellen, haben die deutsche (Verwaltungs-)Gerichte dem vorrangig Rechnung zu tragen“.140 Das deutsche BVerfG hat im Jahre 2004 klargestellt, dass die Urteile des EGMR gegen Drittstaaten keine juristische Bindungswirkung besitzen: „Die Entscheidungen des Gerichtshofs [EGMR] in Verfahren gegen andere Vertragsparteien geben den nicht beteiligten Staaten lediglich Anlass, ihre nationale Rechtsordnung zu überprüfen und sich bei einer möglicher137

Entscheid vom 26. 03. 2004 (Nr. PRK 2004-003), Z. 2, b, dd, . 138 United Kingdom Supreme Court, Urt. vom 09. 12. 2009 (UKSC 2009/0073), Regina v. Horncastle and others, Z. 11, . Hier ging es um die Möglichkeit der Verurteilung des Angeklagten auf der Grundlage von Aussagen als entscheidendes oder einziges Beweismittel, ohne ihm Gelegenheit einzuräumen, die Belastungszeugen zu befragen, was nach der Rechtsprechung des EGMR (auch in Bezug auf Großbritannien) mit der EMRK unvereinbar sei. 139 BVerwG, Urt. vom 15. 04. 1997 (9 C 38/96), NVwZ 1997, 1127; bestätigt durch Urt. vom 27. 04. 1998 (9 C13/97), NVwZ 1998, 973; Urt. vom 07. 12. 2004 (C 14/04), JZ 2005, 784. Hier ging es um die Zulässigkeit der Auslieferung von Asylbewerbern in die Staaten, in denen eine nichtstaatliche Verfolgung drohte, was nach der Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Drittstaaten gegen die EMRK verstieße. Vgl. auch BVerwG, Urt. vom 20. 01. 1987 (1 D 114.85), NJW 1987, 2691: „Was von Verfassungs wegen geboten ist, kann nicht durch Normen des Völkerrechts hinfällig werden“. 140 BVerwG, Beschl. vom 30. 07. 2001 (4 BN 41/01), NVwZ 2002, 87.

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weise erforderlichen Änderung an der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu orientieren“.141 „Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität. Insofern widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist“.142 Der Beschluss des BVerfG hat in Russland sowie anderen Vertragsstaaten „enorme Resonanz“ hervorgerufen.143 Dabei sind Befürchtungen laut geworden, er könne zu einer Aufweichung des Konventionsschutzes führen, weil Staaten aus der Begründung des BVerfG ableiten könnten, sie hätten die EMRK und die Entscheidungen des EGMR nur so lange strikt zu beachten, als sie mit ihrer nationalen Rechtsund Verfassungsordnung vereinbar sind.144 Jedoch ist die Haltung des BVerfG keine Neuerung, eher eine Bestätigung der Rechtslage. Die Haltung des österreichischen VfGH sowie die britische und irische Formulierung „in so far as is possible“ belegen,145 dass die maßgebliche Praxis der Konventionsstaaten de lege lata gerade (noch) nicht von erga omnes-Wirkungen der EGMR-Urteile ausgeht.146 Auch der 141

BVerfG, Beschl. vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481/04), Fall Görgülü, NJW 2004, 3409. Ebenda, 3408. Vgl. auch BVerfG, Urt. vom 04. 05. 2011 (2 BvR 2365/09 u. a.), Fall Sicherungsverwahrung, NJW 2011, 1931 ff. 143 Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, 16 m.w.N. 144 Ebenda. Vgl. auch Frowein, in: Dicke u. a. (Hrsg.), FS Delbrück, S. 280: „Wenn schon Deutschland seine Souveränität unproblematisch ins Feld führen kann, um Bindungen eines Menschenrechtsschutzvertrages abzuschütteln, dann können das auch andere tun“. 145 Auch in anderen Rechtsordnungen finden sich Gerichtsurteile, die dem EGMR die Gefolgschaft ausdrücklich verweigern; vgl. etwa Grewe, in: Grewe/Gusy (Hrsg.), Menschenrechte in der Bewährung, S. 122 ff. m.w.N. (in Bezug auf Frankreich); Jelitte, Die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge in nationales Recht in Deutschland und Spanien, S. 215 m.w.N. (in Bezug auf Spanien). 146 Noch im Jahre 2002 verneinte die überwiegende Anzahl der europäischen Verfassungsgerichte (21 von 33) eine rechtliche Bindung an die Rechtsprechung des EGMR, vgl. Conference of European Constitutional Courts (XIIth Congress, Brussels, 14 – 16 May 2002), The relations between the Constitutional Courts and the other national courts, including the interference in this area of the action of the European Courts (General report), Part III, Z. 32, . Vgl. auch Interlaken Erklärung der Europarat-Mitgliedstaaten vom 19. 02. 2010, Action Plan, lit. B, Z. 4: „The Conference (…) calls upon the States Parties to commit themselves to (…) taking into account the Court’s developing case-law, also with a view to considering the conclusions to be drawn from a judgment finding a violation of the Convention by another State, where the same problem of principle exists within their own legal system“. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich auch gescheut, eine formale Bindung an die Urteile des EGMR in den Text der Charta aufzunehmen, und sich mit einem verklausulierten Hinweis (gleichzeitige Erwähnung mit dem EuGH) in der Präambel begnügt: „Diese Charta bekräftigt (…) die Rechte, die sich (…) aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, (…) sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergeben“. 142

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EGMR hat Bereitschaft gezeigt, in Fällen einer starken Nichtakzeptanz seiner Interpretation der EMRK durch nationale Gerichte seine Rechtsprechung zu ändern.147 Auch wenn man eine bindende erga omnes-Wirkung annehmen möchte, müsste man eine Verurteilung des jeweiligen Drittstaates durch den EGMR abwarten, bevor eine Verletzung seiner völkerrechtlichen Verpflichtung bindend festgestellt werden könnte. Dann erwachsen aber seine Verpflichtungen zur Beseitigung eines konventionswidrigen Zustandes schon direkt aus dem gegen ihn erlassenen EGMRUrteil. Es gibt kein anderes rechtliches Instrument für die Durchsetzung der Auslegungen des EGMR. Seine Rechtsprechung ist also zu Recht weiterhin auf ihre Überzeugungskraft angewiesen, wenn sie in den nicht direkt betroffenen Konventionsstaaten berücksichtigt werden will.148 Folglich stellt das case law des EGMR eine Art soft law dar.149 In der Praxis sind die Orientierungswirkungen der Judikatur des EGMR allerdings nicht zu unterschätzen. Auch die Konventionsstaaten sind gut beraten, die Leitentscheidungen gegen andere Konventionsstaaten zu berücksichtigen, sonst ist die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung durch den EGMR sehr groß.

147 Vgl. Kloth, EHRLR 2003, S. 34: „The decision [judgment of 28. 10. 1998, Osman v. the United Kingdom] caused an outcry amongst the British judiciary and academics alike“. Hier ging es um die vergleichsweise weitgehenden Immunitäten englischer Behörden, die der EGMR als Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht zunächst eingestuft hatte. Nach heftiger Kritik der juristischen Fachkreise in Großbritannien nahm der EGMR seine Ansicht zurück, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 10. 05. 2001 (Nr. 29392/95), Z. and Others v. the United Kingdom, Z. 100 (mit 12 zu 5 Stimmen). Vgl. auch EGMR (GK), Urt. vom 16. 12. 2003 (Nr. 48843/99), Cooper v. the United Kingdom, Z. 122: „The Grand Chamber is of the view that the submissions and material before it in the present case are such as to justify it in departing from this latter conclusion in Morris“. 148 Bertschi/Keller, EuGRZ 2005, 218; Vgl. auch Villiger, Handbuch der EMRK, § 13 Rn. 261: „Die Befolgung der Straßburger Auslegung durch innerstaatliche Behörden lässt sich (…) nur durch die Überzeugungskraft, das heißt die juristische Qualität jener Entscheidungen rechtfertigen“. Parl. Versammlung des Europarates scheint ihre früher vertretene Auffassung zur Verbindlichkeit der Leitentscheidungen des EGMR erga omnes ebenso geändert zu haben, vgl. Committee on Legal Affairs and Human Rights, The future of the Strasbourg Court and enforcement of ECHR standards: reflections on the Interlaken process, Conclusions of the Chairperson, Mrs Däubler-Gmelin, of the hearing held in Paris on 16 December 2009 (Doc. AS/ Jur(2010)06), Z. 15: „Rather than refer to the erga omnes effect of Grand Chamber judgments of principle, it is probably more accurate to refer to its interpretative authority (res interpretata) within the legal orders of states other than the respondent state in a given case, . 149 4QUWYVS, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 5. In den beiden letzteren Dissertationen zum Thema wird die erga omnes-Wirkung der Urteile des EGMR im Ergebnis (mit teilweise anderer Begründung) ebenfalls abgelehnt; Haß, Die Urteile des EGMR: Charakter, Bindungswirkung und Durchsetzung, S. 173; Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK für die BRD, S. 207.

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2. Sichtweise der Russischen Föderation Russland hat zu dieser Frage bis jetzt noch nicht eindeutig Stellung genommen. Der Wortlaut des Ratifikationsgesetzes: „Die Russische Föderation anerkennt (…) die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes für Menschenrechte (…) für alle Angelegenheiten, die sich auf die Auslegung und die Anwendung dieser Konvention beziehen, in den Fällen mutmaßlicher Verletzungen der Konvention durch die Russische Föderation, die nach In-Kraft-Treten von entsprechenden Konventionsnormen stattgefunden haben“, spricht eher dafür, dass ausschließlich Urteile des EGMR als bindend gelten sollen, die gegen Russland erlassen worden sind. Jedoch ist der Zweck dieser Regelung offensichtlich die Anerkennung der Zuständigkeit des EGMR, über Russland zu Gericht zu sitzen, und enthält kaum eine Aussage in Bezug auf die Bindungswirkung seiner Urteile gegenüber Drittstaaten. Bei dieser Norm handelt es sich um eine wörtliche Übernahme von Art. 46 Abs. 1 EMRK a.F., der die Möglichkeit der Anerkennung der Gerichtsbarkeit des EGMR vorsah. Im Anhang zur Resolution ResDH(2003)123 des Ministerkomitees des Europarates vom 04. 06. 2003 (Information provided by the Government of the Russian Federation during the examination of the Kalashnikov case by the Committee of Ministers) heißt es: „Given this wide dissemination of the Kalashnikov judgment and its binding force in Russian law, the Government trusts that domestic courts will not fail to take it directly into account (…)“. Im Anhang zur Resolution ResDH(2004)46 des Ministerkomitees des Europarates vom 20. 07. 2004 (Information provided by the Government of the Russian Federation during the examination of the Posokhov case by the Committee of Ministers) steht: „[T]he Convention, as interpreted in the light of the case-law of the European Court, is part of the national legal order and its provisions prevail over every other legislative provision“. Die letzte Aussage spricht eher für die Anerkennung der erga omnes-Wirkungen der Urteile des EGMR durch die Russische Föderation, jedoch ist sie in Bezug auf ein gegen Russland erlassenes Urteil des EGMR abgegeben, folglich könnten hiermit ausschließlich solche Urteile des EGMR gemeint sein. Bei der Ratifikation der EMRK und der Kenntnisnahme der Rechtsprechung des EGMR sowie seiner Auslegungsregeln hatte die Russische Föderation die Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären.150 Russland wusste (oder hätte zumindest wissen sollen) was auf sie zukommt. Vertreter der RF haben immer wieder betont, dass die Anpassung der Gesetzgebung und Rechtsanwendung an die Standards des Europarates ein vorrangiges Ziel des russischen Staates sei.151 Zu diesen Standards gehört 150 151

@_^VUV\mhV^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 33.

Vgl. etwa „High level Russian Message“ vom 18. 01. 1995 (o.N.): „[W]e will observe in full the obligations thereby accepted by us and will be able, in collaboration with all the structures of the Organisation, to continue with even greater perseverance and effectiveness our efforts to improve legislation and law-enforcement practice in the Russian Federation in accordance with the standards of the Council“, zit. nach Europarat, Parl. Versammlung, Report (Rapporteur: Muehlemann) vom 02. 01. 1996 (Doc. 7443) „Russia’s request for membership of

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die EMRK in der Auslegung des EGMR. Im Jahre 2001 schrieb der russische Gesetzgeber die Berücksichtigung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich fest.152 Besonders hervorzuheben ist, dass diese Berücksichtigung für obligatorisch erklärt wurde.153 Da zu der Zeit noch keine Urteile gegen Russland ergangen waren, kann es sich dabei nur um Urteile gegen andere Konventionsstaaten handeln. Indirekt kommt die Verbindlichkeit der Rechtsprechung des EGMR für die Russische Föderation erga omnes dadurch zum Ausdruck, dass die zweite offizielle Übersetzung der EMRK in die russische Sprache unter Berücksichtigung ihrer Anwendung und Auslegung durch den EGMR erstellt wurde.154 Dies alles begründet die Schlussfolgerung, dass Russland die EMRK durch die Ratifikation als solche für sich für verbindlich erklärte, und zwar in dem Umfang, der durch die Auslegung und die Rechtsanwendung des EGMR zu dem Zeitpunkt vorgegeben war. II. Verbindlichkeit der Leitentscheidungen für russische Rechtsanwender 1. Stand der Diskussion und Rechtsprechung in Russland Nach der Ratifizierung der EMRK begann in der Literatur eine heftige Diskussion über die Verbindlichkeit der Leitentscheidungen des EGMR für innerstaatliche Organe, insbesondere für Gerichte.155 Nach einer Ansicht ist die Rechtsprechung des the Council of Europe“, Appendix II, HRLJ 1996, S. 195 f.; vgl. auch Staatsduma RF, Erklärung (zaâvlenie) vom 24. 06. 1994 (Nr. 149-I 45), SZ RF 1994, Nr. 13, Pos. 1461. 152 Staatsduma RF, Verordnung vom 07. 03. 2001 (Nr. 1218-III 45), „Über die Zusammenarbeit mit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates“, Z. 4, SZ RF 2001, Nr. 12, Pos. 1088; vgl. auch VerfG RF, Urt. vom 31. 07. 1995 (Nr. 10-@), Z. 5 Abs. 1, SZ RF 1995, Nr. 33, Pos. 3424: „Die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die völkerrechtliche Verträge sind gemäß Art. 15 Abs. 4 Verf. RF Bestandteil ihres Rechtssystems und müssen nach Treu und Glauben beachtet werden, und zwar auch durch die innerstaatliche Gesetzgebung“, dt. Übersetzung zit. nach ZaöRV 1997, 187 f. Allerdings bleibt festzuhalten, dass der Gesetzgeber nach geltendem autonomen russischen Recht zur Einhaltung dieser Vorgabe nicht gezwungen werden kann. 153 Vgl. Appendix to the high-level Russian message to the Parliamentary Assembly of the Council of Europe (Answers to the questions put by the Parliamentary Assembly’s rapporteurs) of 18 January 1995, Z. III: „In accordance with the general working procedure of the Federal Assembly, the Administration of the President and the Government of the Russian Federation, it is obligatory to take account of international standards during the preparation of draft laws, orders and decrees“, zit. nach HRLJ 1996, S. 205. 154 Vgl. Vermerk zur amtlichen Übersetzung, SZ RF 2001, Nr. 2, Pos. 163. Vgl. auch die amtlichen Bekanntmachungen der EMRK in Deutschland (BGBl. 1952 II 685 ff.; BGBl. 2002 II 1054 ff.), die nicht unwesentliche Unterschiede aufweisen. 155 Ausführlich zum Stand der Diskussion 1\YbYVSYh, AViV^Yp 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q Y a_bbYZb[Qp `aQS_SQp bYbcV]Q, .

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EGMR nicht Teil des russischen Rechtssystems,156 weshalb die Gerichte sich vor deren Umsetzung in das autonome Recht nicht darauf stützen dürfen, da anderenfalls das geltende Recht umgangen werde. Ansonsten drohe eine Entfremdung einer nationalen Rechtsordnung von ihrer geltenden Gesetzgebung, was nicht nur die gerichtliche Autorität untergrabe, sondern zur Verwirrung bei den Bürgern führe, die keinen Zusammenhang mehr erkennen könnten zwischen dem geschriebenen Recht und den Entscheidungen der Gerichte.157 Hier sei auch das Schreiben (pis’mo)158 des staatlichen Rentenfons (Pensionnyj fond Rossii) vom 07. 06. 2005 „Über die rechtliche Bedeutung des Urteils des EGMR vom 18. 11. 2004 in der Sache Pravednaya v. Russia [Nr. 69529/01]“ erwähnt, in dem den unteren staatlichen Versicherungsanstalten erklärt wurde, dass der EGMR in diesem Urteil (neue Gesetzesauslegung im Schreiben des Versicherungsfonds als Abänderungsgrund für eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung – konventionswidrig) einen Konventionsverstoß ausschließlich in Bezug auf die Beschwerdeführerin festgestellt habe und deswegen das Urteil des EGMR bei der Entscheidung anderer Fälle in der Russischen Föderation nicht angewendet werden dürfe. Die Anhänger der Gegenansicht erkennen die Rechtsverbindlichkeit aller Auslegungen der EMRK durch den Gerichtshof (oft ohne nähere Begründung) an.159 So bejaht etwa Kanasˇevskij die Geltung der Leitentscheidungen des EGMR als in Russland anzuwendendes Recht und sieht darin einen „rechtlichen Regulator“.160 Jarkov spricht von einer Verbindlichkeit der Entscheidungen des EGMR in Russland sowohl von Urteilen gegenüber der RF als auch gegenüber anderen Konventionsstaaten.161 Abdullaev erachtet die Rechtsprechung des EGMR, in der die EMRK ausgelegt wird, als deren Bestandteil, mit der Folge, dass sie die juristische Kraft der Konvention teilt.162 Einige Autoren berufen sich auf den Wortlaut des Ratifikationsgesetzes: „Die Russische Föderation erkennt (…) die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes für Menschenrechte (…) für alle Angelegenheiten, die sich auf die Auslegung und die Anwendung dieser Konvention beziehen, an, in den Fällen mutmaßlicher Verletzungen der Konvention durch die Russische Föderation, die nach In-Kraft-Treten von entsprechenden Konventionsnormen stattgefunden haben“, und halten ausschließlich solche Urteile des EGMR für bindend, die gegen Russland erlassen worden 156

@_^VUV\mhV^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 33. CaQS^Y[_S, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2002, Nr. 6, S. 73 f. 158 Nr. ;1-09-26/5848, zit. nach RIS „Garant“. 159 Vgl. etwa NaUV\VSb[YZ, 8Q[_^^_bcm 2000, Nr. 3, S. 38; 4QUWYVS/1^YiY^Q, in: 6ai_S (Hrsg.), BQ]_bc_pcV\m^_bcm Y ^VXQSYbY]_bcm bdUVR^_Z S\QbcY AE, S. 148. 160 ;Q^QiVSb[YZ, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2003, Nr. 4, S. 126. 161 Pa[_S, in: Pa[_S (Hrsg.), 1aRYcaQW^lZ `a_gVbb, S. 38. 162 1RUd\\QVS (Vorsitzender des VerfG der Republik Aserbaidschan), in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 48. 157

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

sind.163 Die Redaktion der Schriftenreihe „Bulletin des EGMR“ (russische Übersetzung der Monatszeitschrift des Sekretariats des EGMR „Information note on the case-law of the Court“) bestätigt, dass gegen die Russische Föderation erlangte Urteile des EGMR in Russland genauso verbindlich seien wie Entscheidungen der russischen Obergerichte – VerfG RF, OG RF und OWG RF.164 Es wird die Auffassung vertreten, dass Urteile des EGMR nach ihrem Inhalt und ihrem Einfluss auf das [russische] Rechtssystem in einer Reihe mit Urteilen des VerfG RF stünden, gleichzeitig wird jedoch angemerkt, dass in der innerstaatlichen Gesetzgebung keine Garantien für ihre Umsetzung und Anwendung vorhanden seien.165 In der russischen Literatur gibt es eine ganze Reihe Aussagen zur Verbindlichkeit der Auslegungen des EGMR, die als vermittelnde Ansicht bezeichnet werden kann. Verbreitet ist die Meinung, dass die Entscheidungen des EGMR zwar formal innerstaatlich nicht verbindlich seien, die russische Rechtsprechung ihnen jedoch nicht widersprechen dürfe.166 Unter Hinweis auf den Görgülü-Beschluss des deutschen BVerfG vom 14. 10. 2004 wird vertreten, dass bei der Umsetzung der Urteile des EGMR innerstaatliches Recht berücksichtigt werden müsse.167 Es werden zwei Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Rechtsansichten des EGMR durch russische Gerichte genannt: Sie müssten allgemein anerkannte Grundsätze des Völkerrechts zum Ausdruck bringen und mit der russischen Verfassung vereinbar sein.168 Insgesamt ist festzustellen, dass sich in der Literatur noch keine herrschende Meinung gebildet hat. Bemerkenswert ist, dass sogar die Meinungen der russischen Verfassungsrichter, die sie in wissenschaftlichen Publikationen vertreten, geteilt sind. Valerij Zor’kin, der Vorsitzende des VerfG RF, hält Auslegungen des EGMR insoweit für verbindlich, als es sich dabei um allgemein anerkannte Grundsätze des Völkerrechts handelt.169 Richter Boris Èbzeev nennt Entscheidungen des EGMR „mit aller Deutlichkeit“ als Rechtsquellen, die unmittelbaren und wesentlichen Einfluss 163 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `aQS_ Y `aQS_SQp bYbcV]Q AE, S. 313 f. Vgl. Zimnenko, International Law and the Russian Legal System, S. 268: „Judgments of the ECtHR containing a fact of a violation of the Convention (…) rendered against Russia and which have entered into legal force become part of the legal system of the Russian Federation and thus become binding with regard to questions of interpretation and application of the Convention“. 164 Vgl. . 165 1RUaQiYc_SQ, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2007, Nr. 9, S.126 f. 166 4_ai[_SQ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 1999, Nr. 2, S. 174; þViQcQVSQ, 3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 1999, Nr. 4, S. 96; @. ýQ`cVS , A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 3, S. 5; 3_X^VbV^b[YZ, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2002, Nr. 1, S. 212; AQgYR_aY^b[Qp, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 26; @_^VUV\mhV^[_, =VWUd^Qa_U^_V `dR\Yh^_V Y hQbc^_V `aQS_ 2004, Nr. 1, S. 36. 167 ýQXQaVS/=daQi_SQ, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2007, Nr. 9, S. 123. 168 =QahV^[_, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 2006, Nr. 2, S. 19. 169 8_am[Y^, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2005, Nr. 3, S. 4; ders., in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 177, der jedoch an anderer Stelle schreibt, dass Rechtsansichten und Leitentscheidungen des EGMR für die RF bindend seien und das VerfG RF sie faktisch als Rechtsquellen betrachtet (ebenda, S. 179).

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auf die Rechtsprechung des VerfG RF haben.170 Dieselbe Auffassung vertritt Richter Nikolaj Bondar’ und fügt hinzu, dass Rechtsansichten des EGMR Bestandteil der EMRK sind und Vorrang vor dem autonomen russischen Recht und sogar vor der Verfassung haben, wenn sie ein Mehr an Menschenrechtsschutz bieten.171 Richter Nikolaj Vitruk (a.D.) bestreitet dagegen ihre Eigenschaft als Rechtsquellen (zumindest in Bezug auf andere Konventionsstaaten), weil sonst die Oberhoheit der Verfassung RF und der Gesetze geschwächt sein könnte.172 Richter Gadis Gadzˇiev nennt die Entscheidungen des EGMR als Rechtsquelle.173 Zu untersuchen bleibt die Position der russischen Rechtsprechung. Das VerfG RF darf Gesetze nur auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen, nicht dagegen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht (vgl. Art. 125 Verf. RF sowie VerfGG). Nach Art. 74 VerfGG hat das VerfG RF jedoch bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des gerügten Normativaktes dessen Stellung im Rechtssystem zu berücksichtigen. 2001 hat das VerfG RF klar gemacht, dass dabei auch völkerrechtliche Verträge der RF (einschließlich der EMRK) zu berücksichtigen sind, da sie Teil des russischen Rechtssystems sind.174 Nach Angaben des Vorsitzenden des VerfG RF Valerij Zor’kin geht das VerfG RF bei der Ermittlung des Inhaltes einer bestimmten Verfassungsvorschrift auf entsprechende völkerrechtliche Normen sowie auf das soft law ein und wendet dann die Verfassung an, da es sich als Hüter der Verfassung nur von ihr leiten lassen dürfe.175 Gleichzeitig merkte Zor’kin dazu an, dass das VerfG RF die Bestrebung zeige, seine Position derjenigen des EGMR eng anzunähern, indem es Entscheidungen erlasse, die nicht nur mit der Rechtsprechung des EGMR in Einklang stünden, sondern sich daran anlehnten.176 In der Tat sind folgende Aussagen in der Rechtsprechung des VerfG RF typisch: „Mit diesen Regelungen [der Verfassung] korrespondiert auch die Regelung in Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie die Praxis ihrer 170

NRXVVS, „9^cVa^QgY_^Q\YXQgYp“ XQ[_^_UQcV\mbcSQ [Q[ baVUbcS_ dSV\YhYcm XQjYcd U_bc_Y^bcSQ \Yh^_bcY, A_bbYZb[Qp EVUVaQgYp bVT_U^p 2006, Nr. 21 = . 171 2_^UQam, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 198 ff. 172 3Ycad[, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), ebenda, S. 184 ff. 173 4QUWYVS, in: 4dRY^/ýQf^_ (Hrsg.), @aVU`aY^Y]QcV\mb[_V `aQS_ AE, Kap. 2, § 4. Später hat er offensichtlich seine Auffassung geändert, vgl. 4QUWYVS, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 5, wo er der Rechtsprechung des EGMR Qualität des soft law beimisst. 174 VerfG RF, Urt. vom 25. 01. 2001 (Nr. 1-@), Z. 6 Abs. 1, SZ RF 2001, Nr. 7, Pos. 700. Dadurch wurden apodiktische Aussagen in der früheren Rechtsprechung deutlich relativiert, wonach das VerfG RF für die Überprüfung des einfachen Rechts auf seine Übereinstimmung mit dem Völkerrecht hin schlicht überhaupt nicht zuständig sei; vgl. etwa VerfG RF, Beschl. vom 05. 11. 1999 (Nr. 185-O), Z. 3 Abs. 5. 175 8_am[Y^, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2005, Nr. 3, S. 8; ders., 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2004, Nr. 12, S. 7. 176 8_am[Y^, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2005, Nr. 3, S. 8.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Anwendung durch den EGMR“;177 „Eine derartige Deutung [der Verfassung] korrespondiert mit derjenigen des EGMR, die der Anwendung des Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur EMRK durch den EGMR zugrunde liegt“.178 In der Literatur wird die Rolle der Leitentscheidungen des EGMR in der Rechtsprechung des VerfG RF als stützendes Argument, als „persuasive authority“ im Gegensatz zur „binding authority“, bewertet.179 Bei der verfassungskonformen Auslegung unter Heranziehung des case law des EGMR handelt es sich jedoch durchaus um eine EMRK-konforme Auslegung des einfachen Rechts.180 Im Jahre 2007 hat das VerfG RF zum ersten Mal ausdrücklich Stellung zur Verbindlichkeit der Leitentscheidungen des EGMR genommen: „Durch die Ratifikation der EMRK hat die Russische Föderation die Gerichtsbarkeit des EGMR in Fragen der Auslegung und Anwendung der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle im Falle etwaiger Verletzungen dieser Vertragsbestimmungen durch die Russische Föderation, sofern diese Verletzung nach deren Inkrafttreten für Russland stattfand, als verbindlich anerkannt (…). Folglich sind Leitentscheidungen des EGMR genauso wie die Konvention selbst – in dem Teil, in dem sie, entsprechend den allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts, die Auslegung der in der Konvention enthaltenden Grundrechte und Freiheiten geben – Bestandteil des russischen Rechtssystems und daher vom Bundesgesetzgeber bei der Rechtsetzung und von Rechtsanwendern bei der Anwendung entsprechender Vorschriften zu berücksichtigen“.181

Aus dieser Aussage folgt, dass die Leitentscheidungen des EGMR Bestandteil der russischen Rechtsordnung sind, insoweit sie die EMRK entsprechend allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts auslegen. Wann diese Auslegung als den allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts entsprechend gelten soll, bleibt allerdings unklar.182 Unklar bleibt auch, was unter „berücksichtigen“ (ucˇityvat’) 177 VerfG RF, Urt. vom 30. 07. 2001 (Nr. 13-@), Z. 2 Abs. 2, SZ RF 2001, Nr. 32, Pos. 3412; Urt. vom 14. 07. 2005 (Nr. 8-@), Z. 2.1 Abs. 2, SZ RF 2005, Nr. 30 (Teil II), Pos. 3199. 178 VerfG RF, Urt. vom 16. 05. 2000 (Nr. 8- @), Z. 5 Abs. 4, SZ RF 2000, Nr. 21, Pos. 2258. 179 Arnold, in: Arnold/Gerasimtchuk (Hrsg.), Die EMRK in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation, S. I. 180 Rückert, Das Völkerrecht in der Rechtsprechung des Russischen Verfassungsgerichts, S. 290. 181 VerfG RF, Urt. vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-@), Z. 2.1, SZ RF 2007, Nr. 7, Pos. 932. Vgl. die weniger deutliche, aber offensichtlich konventionsfreundliche Aussage des VerfG RF im Urteil vom 25. 01. 2001 (Nr. 1-@), Z. 6 Abs. 4 f., SZ RF 2001, Nr. 7, Pos. 700: „[The Convention] is ratified by the Russian Federation and is in force in all its territory and, consequently, forms part of the domestic legal system. Furthermore, the Russian Federation accepted the jurisdiction of the European Court of Human Rights and undertook to render its law-enforcement practice, including judicial, in full conformity with the obligations flowing from the participation in the Convention and the Protocols thereto. (…) Consequently, the [challenged legislative provisions] should be considered and applied in consistent normative unity with the exigencies of [the Convention]“, engl. Übersetzung zit. nach Koroteev/Golubok, HRLR 2007, S. 622 f. 182 Darauf weist zu Recht Richter des VerfG RF a.D. Nikolaj Vitruk hin (in Bezug auf dieselbe Aussage, die früher vom Vorsitzenden des VerfG RF Valerij Zor’kin verbreitet wurde): 3Ycad[, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ

§ 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR

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gemeint ist,183 z. B., ob von den Leitentscheidungen des EGMR abgewichen werden kann. Der Vorsitzende des VerfG RF Zor’kin hat in einem Interview184 vom 15. 04. 2006 unter Hinweis auf den Görgülü-Beschluss des deutschen BVerfG gesagt, dass die Beziehung zwischen dem EGMR und den Obergerichten der europäischen Staaten nicht als eine Einbahnstraße angesehen werden kann, und hat sich im Prinzip für die Nachprüfungskompetenz der Urteile des EGMR durch nationale Gerichte ausgesprochen. Auch wenn die Aussage des VerfG RF in diesem Sinne verstanden werden sollte, würde immer noch unklar bleiben, unter welchen Voraussetzungen die Abweichung von Leitentscheidungen zulässig wäre.185 Es sei aber darauf hingewiesen, dass noch kein einziger Fall bekannt ist, in welchem das VerfG RF dem EGMR die Gefolgschaft ausdrücklich verweigert hätte. Immer öfter übernimmt das VerfG RF dagegen ausdrücklich die Rechtsauffassungen des EGMR.186 Das Oberste Gericht RF erließ am 10. 10. 2003 einen Plenumsbeschluss [Erläuterungen] „Über die Anwendung von allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und völkerrechtlicher Verträge der RF durch die Gerichte der or-

6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l,

S. 184. Der Vorsitzende des VerfG RF Zor’kin hat in einem Vortrag von 2009 jedoch zu verstehen gegeben, dass darunter alle Leitentscheidungen des EGMR gemeint sind, auch gegen andere Konventionsstaaten, vgl. 8_am[Y^ , ;_^bcYcdgY_^^lZ BdU AE Y VT_ a_\m S XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S [_^cV[bcV T\_RQ\m^_Z oaYb`adUV^gYY, Z. III. 3, . 183 In der Literatur wird aus dieser Aussage des VerfG RF unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen, vgl. etwa die brisante Aussage von Koroteev/Golubok, HRLR 2007, S. 624: „Given the appalling practice of the application of the Convention by Russian courts [more honoured in breach than in observance] that would effectively mean first ,read and forget‘ and then ,forget even without reading‘ (…)“. Ausführlich zum Stand der Diskussion ýQ`cVS/EY\Qc_SQ, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2011, Nr. 1, S. 137 ff. 184 Veröffentlicht unter . 185 Es bleibt jedoch hinzufügen, dass im Tenor des Urteils (Z. 8) das VerfG RF eine Klausel aufgenommen hat, wonach der Gesetzgeber verpflichtet sei, das vom EGMR kritisierte Institut des Aufsichtsverfahrens (dazu Kap. 6, S. 242 ff.) zu reformieren, um es mit dem völkerrechtlichen Standard in Übereinstimmung zu bringen. Dabei meinte es offensichtlich die Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf das Aufsichtsverfahren nicht nur gegen Russland sondern auch gegen andere Konventionsstaaten. 186 Vgl. etwa VerfG RF, Urt. vom 19. 06. 2002 (Nr. 11-@), Z. 8.2 Abs. 1, SZ RF 2002, Nr. 27, Pos. 2779: Der Staat könne die Nichtvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen nicht mit dem Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel rechtfertigen (mit Hinweis auf Urteil des EGMR vom 07. 05. 2002, Burdov v. Russia); Urt. vom 17. 01. 2008 (Nr. 1-@), Z. 1.4 Abs. 2, SZ RF 2008, Nr. 4, Pos. 300: Einschränkungen des Rechts auf Zugang zu Gericht sind mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar, wenn der Wesensgehalt dieser Vorschrift gewahrt bleibt, die Einschränkung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und das eingesetzte Mittel verhältnismäßig zum angestrebten Ziel ist (mit Hinweis auf st.Rspr. des EGMR); Urt. vom 25. 03. 2008 (Nr. 6-@), Z. 2, SZ RF 2008, Nr. 13, Pos. 1352: Die richterliche Unparteilichkeit müsse nach subjektiven und objektiven Gesichtspunkten gewährleistet sein (mit Hinweis auf eine ganze Reihe von Urteilen des EGMR).

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

dentlichen Gerichtsbarkeit“ (Nr. 5),187 in welchem er klarstellte, dass die Nichtanwendung von völkerrechtlichen Normen und/oder deren unrichtige Auslegung ein Grund für die Aufhebung oder Abänderung gerichtlicher Entscheidungen sein könne. Hinsichtlich der Anwendung der EMRK durch die Gerichte heißt es dort (Z. 10): „Die Gerichte sind darauf hinzuweisen, dass die Auslegung völkerrechtlicher Verträge nach Maßgabe der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 (Artt. 31 – 33) zu erfolgen hat. Gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b dieser Konvention ist bei Auslegung völkerrechtlicher Verträge neben deren Kontext auch die Anwendungspraxis in den Teilnehmerstaaten zu berücksichtigen. Die Russische Föderation erkennt als Vertragsstaat der EMRK die Gerichtsbarkeit des EGMR in Fragen der Auslegung und Anwendung der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle im Falle etwaiger Verletzungen dieser Vertragsbestimmungen durch die Russische Föderation, sofern diese Verletzung nach deren Inkrafttreten für Russland stattfand, als verbindlich an, Art. 1 des Ratifikationsgesetzes RF vom 30. März 1998 (Nr. 54-E8). Daher hat die Anwendung der EMRK durch die Gerichte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR unter Vermeidung jeglicher Verletzungen der EMRK zu erfolgen“.

In einem anderen Plenumsbeschluss [Erläuterungen] vom 19. 12. 2003 (Nr. 23) „Über die gerichtliche Entscheidung“ stellte das OG RF klar, dass bei der Entscheidungsfindung Leitentscheidungen des EGMR zu berücksichtigen seien, die eine Auslegung der Konventionsbestimmungen enthalten, welche im gegebenen Fall anwendbar sei (Z. 4).188 Dabei werden Urteile des EGMR zusammen mit Entscheidungen des VerfG RF sowie Plenumsbeschlüssen [Erläuterungen] des OG RF genannt, die nach russischem Recht bindend sind. Auch in anderen Plenumsbeschlüssen hat das OG RF die russischen Gerichte mehrfach darauf hingewiesen, dass sie Rechtspositionen des EGMR zu berücksichtigen haben.189 Die Plenumsbeschlüsse [Erläuterungen] des OG RF sichern keine klare Stellung der Leitentscheidungen des EGMR in der russischen Rechtsordnung. Der letzte Satz in dem zitierten Auszug aus dem Plenumsbeschluss vom 10. 10. 2003: „Die Anwendung der EMRK durch die [russischen] Gerichte hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR unter Vermeidung jeglicher Verletzungen der EMRK zu erfolgen“ spricht sehr stark dafür, dass von keiner Leitentscheidung des EGMR abgewichen werden darf und dass sie alle (sowohl die gegenüber Russland als auch die gegenüber anderen Vertragsstaaten der EMRK ergangenen Urteile) für russische

187

2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2003, Nr. 12, S. 4 ff.; engl. Übersetzung in: HRLJ 2004,

S. 108 ff. 188

2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2004, Nr. 2, S. 2. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 24. 02. 2005 (Nr. 3), Z. 1 Abs. 5, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2005, Nr. 4, S. 3; Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 05. 04. 2005 (Nr. 7), Z. 20, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2005, Nr. 6, S. 19. 189

§ 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR

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Gerichte verbindlich sind.190 Allerdings spricht der vorherige Satz, dass die Gerichtsbarkeit des EGMR in Fragen der Auslegung und Anwendung der Konvention bei Verletzungen durch die Russische Föderation anerkannt werde, sofern diese nach dem Inkrafttreten der EMRK für Russland stattfanden, gegen eine solche Interpretation der „Erläuterung“.191 Hier sei auch auf das Schreiben (pis’mo)192 des OG RF vom 12. 09. 2005 hingewiesen, in dem die rechtlichen Folgen des EGMR-Urteils vom 18. 11. 2004 (Nr. 69529/01) im Fall Pravednaya v. Russia (Aufhebung einer rechtskräftigen Gerichtentscheidung wegen der neuen Auslegung eines materiellen Gesetzes durch Rechtsverordnung – Verstoß gegen die EMRK) erklärt wurden: „Was die Rechte anderer Rentner anbetrifft sowie die Richtigkeit der Rechtsanwendung in Bezug auf die Beschwerdeführerin, hat der EGMR dies nicht entschieden. Folglich erstreckt sich das Urteil des EGMR auf andere Rentner nicht“ (Abs. 4). Diese Aussage spricht sehr stark gegen die Verbindlichkeit der Urteile des EGMR für die innerstaatlichen Rechtsanwender, bindet allerdings die Gerichte nicht. Diese unklare Lage spiegelt sich auch in der Rechtsprechung unterer Gerichte wider. Während einige Gerichte von der Verbindlichkeit der Rechtsansichten des EGMR ausgegangen waren,193 haben andere Gerichte den Leitentscheidungen des EGMR die Bindungswirkung abgesprochen. So meinte z. B. das Gericht für das Swerdlowsker Gebiet in seinem Beschluss vom 23. 10. 2003 (Nr. 33-7907): „Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Urteil des EGMR in der Sache Posokhov v. Russia [Urteil vom 04. 03. 2003, Nr. 63486/00] kann nicht berücksichtigt werden, da Posokhov vor dem EGMR Rechtsschutz in einem konkreten Fall gefunden hat“.194 Das Gericht für das Rostower Gebiet in seinem Beschluss vom 01. 03. 2006 (Nr. 331798) begründete: „Der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Urteil des EGMR ist untauglich, da gemäß Art. 11 ZPO RF Präzedenzfälle nicht zu normativen Rechtsakten gehören, die bei der Entscheidungsfindung anzuwenden sind“.195 Dem folgte das Gericht für das Tjumener Gebiet in seinem Beschluss vom 27. 04. 2005.196 Das 190 Darauf stützt seine Argumentation etwa =pb^p^[Y^, @aQS_ Y `_\YcY[Q 2006, Nr. 6, S. 118 ff., zit. nach RIS „ConsultantPlus“; vgl. auch 1RUaQiYc_SQ, 8Q[_^ 2007, Oktober (Nr. 10), S. 220. 191 Darauf stützt seine Argumentation etwa 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `aQS_ Y `aQS_SQp bYbcV]Q AE, S. 313 f. 192 Nr. 1673-5/_Rj, zit. nach RIS „Garant“. 193 Zum Beispiel Gericht für das Krasnojarsker Gebiet, Gericht für die Republik der Komi, dazu IV`V\VSQ, @aQ[cY[Q a_bbYZb[Yf bdU_S: eQ[c_al, S\YpojYV ^Q `aY]V^V^YV ^_a]

6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q a_bbYZb[Y]Y bdUQ]Y (`aVUSQaYcV\m^lV aVXd\mcQcl Q^Q\YXQ), . 194 Veröffentlicht unter . 195 Veröffentlicht unter . 196 Zit. nach IV`V\VSQ, @aQ[cY[Q a_bbYZb[Yf bdU_S: eQ[c_al, S\YpojYV ^Q `aY]V^V^YV

^_a] 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_

110

Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Gericht für die Republik Mari El hat nur Leitentscheidungen des EGMR für verbindlich erachtet, die gegen die Russische Föderation erlassen wurden.197 Gerichte, die in ihren Urteilen auf die Rechtsprechung des EGMR Bezug nehmen, machen dies meistens unter Hinweis auf den Plenumsbeschluss des OG RF oder das Ratifizierungsgesetz. Zum Teil werden Rechtsansichten des EGMR angewandt, ohne auf die Frage der Verbindlichkeit näher einzugehen. Das OWG RF äußerte sich zu der Frage der rechtlichen Bindung der Urteile des EGMR noch weniger konkret. Im Jahre 1999 richtete es an die unteren Wirtschaftsgerichte ein Informationsschreiben „Über grundsätzliche Rechtspositionen, die der EGMR bei dem Schutz der Vermögensrechte und Recht auf ein faires Verfahren anwendet“, in welchem erbeten wurde,198 bei der Rechtsanwendung die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen.199 Allerdings erklärte der Vorsitzende des OWG RF (damals) Veniamin Jakovlev, der Plenumsbeschluss [Erläuterungen] des OG RF vom 10. 10. 2003 sei von großer Bedeutung für die gesamte russische Justiz.200 Die meisten Wirtschaftsgerichte gehen wohl von der Verbindlichkeit der Rechtsprechung des EGMR aus und erwähnen dies zum Teil ausdrücklich, allerdings ohne auf die Begründung näher einzugehen.201 Die uneinheitliche Rechtsprechung zeigt, wie nötig es ist, die Stellung der Leitentscheidungen des EGMR in der russischen Rechtsordnung zu klären. Dies könnten sowohl der Gesetzgeber als auch die Obergerichte tun. Meines Erachtens ergibt sich die Verbindlichkeit der Rechtsprechung des EGMR (und zwar in Bezug auf alle Vertragsstaaten) nach russischem Recht bereits aus Art. 2 Verf. RF, wonach der Mensch und seine Bürgerrechte als oberstes Gut gelten, in Verbindung mit Art. 18 Verf. RF, demgemäß die Menschen- und Bürgerrechte den Sinn, den Inhalt sowie die Anwendung der Gesetze, die Tätigkeit der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt, der örtlichen Selbstverwaltung sowie der Rechtsprechung bestimmen. Das Ziel der genannten Verfassungsvorgaben ist die Sicherstellung einer effektiven Umsetzung der Menschenrechte. Der EGMR konkretisiert in seiner BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q a_bbYZb[Y]Y bdUQ]Y, . 197 @_UdX_S, :_i[Qa-_\Y^b[YZ T_a_Ub[_Z bdU ad[_S_UbcSdVcbp ^_a]Q]Y ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ, . 198 Vgl. „Prosˇu prinât’ vo vnimanie izlozˇennye polozˇeniâ pri osusˆestvlenii pravosudiâ“ (rus.). 199 OWG RF, Informationsschreiben vom 20. 12. 1999 (Nr. B1-7/B=@-1341) „Über grundsätzliche Rechtspositionen, die der EGMR bei dem Schutz der Vermögensrechte und Recht auf ein faires Verfahren anwendet“, 3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 2000, Nr. 2, S. 93 ff. 200 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2003, Nr. 12, S. 1. 201 Vgl. Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Nord-Kaukasus, Urt. vom 28. 02. 2006 (Nr. E08-451/06); Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Nord-West, Urt. vom 09. 03. 2005 (Nr. 152/3796/2004/2); Urt. vom 11. 10. 2004 (Nr. 156-49741/03); Urt. vom 28. 06. 2004 (Nr. 156-33882/03); Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Powolzh’e, Urt. vom 07. 12. 2000 (Nr. 165-6794/2000-B11-32), alle zit. nach RIS „Garant“.

§ 2 Status der Leitentscheidungen des EGMR

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Rechtsprechung die menschenrechtlichen Mindeststandards. Daher senken Entscheidungen russischer Staatsorgane, die gegen die Leitentscheidungen des EGMR verstoßen, die Menschenrechtsgarantie und verletzen dadurch gleichzeitig sowohl die oben genannten Verfassungsbestimmungen als auch die EMRK selbst. Diese Ansicht kann sich auch auf Art. 46 Abs. 3 Verf. RF stützen, der jedermann den Zugang zum EGMR garantiert, sowie auf Art. 55 Abs. 1 Verf. RF, wonach die Aufzählung der Grundrechte und Grundfreiheiten in der Verfassung nicht als Verneinung oder Schmälerung anderer allgemein anerkannter Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers ausgelegt werden darf. Folglich geht die Verfassung selbst davon aus, dass sie nicht ausreichend sein kann, um das erstrebte Ziel (die Sicherstellung einer effektiven Umsetzung der Menschenrechte) zu erreichen. Es scheint plausibel anzunehmen, dass es unter diesen Umständen von Verfassungs wegen nicht geboten sein kann, die Umsetzung der Rechtsauffassungen des EGMR in Russland zu blockieren. 2. Amtliche Bekanntmachung als Anwendungsvoraussetzung? Noch ist der Frage nachzugehen, ob eine amtliche Bekanntmachung der Leitentscheidungen des EGMR in Russland Voraussetzung für deren dortige unmittelbare Anwendbarkeit ist. Gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 3 Verf. RF sind beliebige normative Rechtsakte, welche die Menschen- und Bürgerrechte betreffen, dann nicht anzuwenden, wenn sie nicht amtlich und allgemein zugänglich bekannt gemacht wurden. Angesichts des seinem Wesen nach normativen Charakters der Leitentscheidungen des EGMR wurde in der Literatur die Frage aufgeworfen, ob die genannte Vorschrift sich auch auf diese bezieht.202 Nach einer Ansicht muss diese Norm der Verf. RF auch für Leitentscheidungen des EGMR gelten.203 So wurde 2002 von zwei Abgeordneten ein Gesetzesentwurf in die Staatsduma eingebracht, der eine amtliche Veröffentlichung der Entscheidungen des EGMR in russischer Sprache vorsah, sowohl bei Verfahrensbeteiligung der RF als auch in allen übrigen Fällen.204 In der offiziellen Stellungnahme der russischen Regierung zu diesem Entwurf heißt es jedoch, Entscheidungen des EGMR seien keine normativen Rechtsakte der RF, weiterhin stelle die Veröffentlichung der Urteile und Zulassungsentscheidungen des EGMR in Russland keine Vertragspflicht der RF als Vertragspartei der EMRK

202 2VaVbc^VS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 3, S. 18; @. ýQ`cVS , in: ý_`QcY^ (Hrsg.), @aQSQ hV\_SV[Q S A_bbYY Y `aQS_XQjYc^Qp UVpcV\m^_bcm T_bdUQabcSQ, S. 29; 1RUaQiYc_Sa, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2007, Nr. 9, S.126. 203 Vgl. Begründung (poâsnitel’naâ zapiska) zum Entwurf eines Bundesgesetzes „Über das Verfahren der Bekanntmachung von Entscheidungen des EGMR in der Russischen Föderation“ (Nr. 166294-3), RIS „Garant“. 204 Entwurf eines Bundesgesetzes „Über das Verfahren der Bekanntmachung von Entscheidungen des EGMR in der RF“ (Nr. 166294-3), Art. 3, zit. nach RIS „Garant“.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

dar205 und habe auf die Rechtsfolgen ihrer Anwendung keinen Einfluss, weshalb die Beschäftigung mit der Frage einer gesetzlichen Regelung des Verfahrens der Veröffentlichung von Urteilen und Entscheidungen des EGMR nicht sinnvoll erscheine.206 Aus diesem Grund unterstützte die Regierung diesen Entwurf auch nicht.207 Durch Beschluss208 der Staatsduma vom 23. 05. 2003 (Nr. 4099-III 45) wurde der Entwurf abgelehnt. Aus diesem Beschluss der Duma geht bedauerlicherweise der Ablehnungsgrund nicht hervor. Allerdings ist angesichts des Umstandes, dass es bis heute im russischen Recht keine Regelung über die Veröffentlichung von Urteilen des EGMR gibt, selbst nicht für den Fall, dass die RF betroffen ist, davon auszugehen, dass der russische Gesetzgeber die Urteile des EGMR nicht als normative Rechtsakte im Sinne des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 Verf. RF ansieht.209 In der Praxis nennen russische Gerichte, wenn sie Entscheidungen des EGMR zitieren, entweder keine Quellenangabe210 oder sie beziehen sich auf die Veröffentlichungen des EGMR (z. B. „Decisions and Reports“).211 205 Diese Aussage der Regierung RF steht im klaren Widerspruch zur Auffassung der Gruppe der Weisen des Europarates; vgl. Report of the Group of Wise Persons to the Committee of Ministers vom 15. 11. 2006, CM(2006)203, Z. 72: „In the Group’s view, responsibility for translation, publication and dissemination of case-law lies with the member states and their competent bodies. Each country should make its own arrangements while taking due account of the importance of these texts“. Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung Rec(2004)6 vom 12. 05. 2004 „Über die Verbesserung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe“, Anhang Z. 8: „The improvement of domestic remedies also requires that additional action be taken so that, when applying national law, national authorities may take into account the requirements of the Convention and particularly those resulting from judgments of the Court concerning their state. This notably means improving the publication and dissemination of the Court’s case-law (where necessary by translating it into the national language(s) of the state concerned) and the training, with regard to these requirements, of judges and other state officials (…)“. 206 Regierung RF, Stellungnahme (undatiert) zum Entwurf des Bundesgesetzes „Über das Verfahren der Bekanntmachung von Entscheidungen des EGMR in der RF“, zugänglich unter . Es findet sich darin allerdings ein Satz, der mit dem übrigen Geist des Dokuments nicht recht zusammenpassen will: „Diese Urteile [des EGMR] sollten unserer Ansicht nach allgemein zugänglich sein und in einem der offiziellen Publikationsorgane der RF veröffentlicht werden“. Was als „offizielles Publikationsorgan“ in diesem Sinne zu verstehen ist, bleibt indes unklar. 207 In der zweiten Stellungnahme der Regierung zum Gesetzesentwurf. In der ersten Stellungnahme vom 20. 12. 2001 (Nr. 7265`-@4, RIS „ConsultantPlus“) hatte die Regierung den Entwurf noch unterstützt. Was die Auffassung der Regierung geändert hat, bleibt im Dunkeln. 208 SZ RF 2003, Nr. 23, Pos. 2192. 209 Vgl. Staatsduma RF, Komitee für Staatsaufbau, Stellungnahme (undatiert) zum Entwurf des Bundesgesetzes „Über das Verfahren der Bekanntmachung von Entscheidungen des EGMR in der RF“: „Entscheidungen des EGMR sind zum größten Teil für Rechtsanwender unzugänglich. Ihre Anwendung ist faktisch unmöglich, weil vorhandene Übersetzungen nicht offiziell angefertigt und nicht amtlich bekannt gegeben sind“, zugänglich unter . 210 Vgl. z. B. OG RF, Ent. vom 14. 11. 2003 (Nr. 4;@9 03 – 1265), zit. nach RIS „Garant“. 211 Vgl. z. B. OG RF, Ent. vom 17. 10. 2003 (Nr. 4;@9 03 – 958), zit. nach RIS „Garant“.

§ 3 Anwendung der EMRK durch russische Gerichte

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In der Tat handelt es sich bei den Urteilen des EGMR nicht um normative Rechtsakte im Sinne des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 Verf. RF. Hauptziel dieser Bestimmung ist die Verhinderung willkürlicher, unrechtmäßiger und gesellschaftlich nicht kontrollierbarer Einschränkungen der Grundrechte und Grundfreiheiten, sowie die Verhinderung der Gewährung ungerechtfertigter Vergünstigungen an einzelne Bevölkerungsgruppen.212 Die Entscheidungen des EGMR hingegen vermögen die Grundrechte und die Grundfreiheiten nicht einzuschränken, sondern garantieren deren Mindeststandards. Daher steht Art. 15 Abs. 3 Satz 3 Verf. RF der Anwendung der Leitentscheidungen des EGMR in der Russischen Föderation nicht entgegen.

§ 3 Anwendung der EMRK und Leitentscheidungen des EGMR durch russische Gerichte Nach der vorangegangenen Analyse des rechtlichen Rahmens ist nun zu untersuchen, inwieweit die EMRK und die Leitentscheidungen des EGMR in der Praxis in Russland berücksichtigt werden und welche Umstände auf deren effektive Umsetzung Einfluss haben.213 Bekanntlich kann die Praxis weit entfernt vom geschriebenen Recht liegen. Die wirkliche Stellung des Völkerrechts in der RF wurde und wird nicht nur von der Verfassung bestimmt, sondern von der Bereitschaft der Richter, das Völkerrecht in der Praxis anzuwenden.214 Nach Ansicht des Vorsitzenden des OG RF Vâcˇeslav Lebedev ist diese Bereitschaft gering: „Man kann im Moment nicht sagen, dass das Völkerrecht einen festen Platz neben dem autonomen Recht in der russischen Rechtsordnung eingenommen hat. Typischerweise neigen die Richter ausschließlich zur Anwendung autonomen Rechts, ohne sich die Frage zu stellen, ob anzuwendendes Völkerrecht besteht. Die Richter fühlen sich sicherer, wenn sie ihre Entscheidungen auf autonomes Recht als auf weniger bekanntes und zum Teil sehr kompliziertes Völkerrecht stützen.“215 Einen starken Anstoß zur Anwendung der EGMR-Rechtsprechung gab der Plenumsbeschluss [Erläuterungen] des OG RF vom 10. 10. 2003 „Über die Anwendung von allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts durch Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit der RF“, mit dem die Richter aufgefordert wurden, die Konventionsverstöße zu vermeiden und die Leitentscheidungen des EGMR zu berücksichtigen. 212

Komitee für Verfassungsaufsicht UdSSR, Rechtsgutachten (zaklûcˇenie) vom 29. 11. 1990 Nr. 12(2-12), Vedomosti SND i VS SSSR 1990, Nr. 50, Pos. 1080, in dem in der UdSSR sehr verbreitete Praxis des In-Kraft-Tretens von normativen Rechtsakten ohne ihre Veröffentlichung für verfassungs- und völkerrechtswidrig und somit unwirksam erklärt wurde. 213 Ausführlich dazu Trochev, Demokratizatsiya 2009, S. 157 ff.; 2da[_S, ;_^SV^gYp _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 142 ff. 214 Danilenko, EJIL 1999, S. 53. 215 Zit. nach @_^VUV\mhV^[_, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2004, Nr. 3, S. 273.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Trotz der „Erläuterungen“ des OG RF werden die EMRK und Leitentscheidungen des EGMR indes erst sehr selten in der russischen Rechtsprechung zur Entscheidungsgrundlage gemacht. Obwohl es leider keine umfangreiche offizielle Statistik über die Anwendung der EMRK durch russische Gerichte gibt216 – ebenso wenig wie über die Anwendung anderer völkerrechtlicher Abkommen – können die folgenden Daten die Rolle der EMRK in der russischen Rechtsprechung illustrieren: Eine Analyse der Rechtsprechung des VerfG RF aus dem Jahre 2008 zeigt, dass von seinen 167 Urteilen, die nach Inkrafttreten der EMRK für Russland gefällt wurden, 74 Bezüge zur EMRK (44,3 %), von diesen nur 29 (rund 17,4 % von Gesamtzahl) zur Rechtsprechung des EGMR bzw. der EKMR aufweisen.217 Im Jahre 2004 wurde im Auftrag des OG RF in den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf Subjektsebene die Rechtsprechung in Verfahren ausgewertet, die die Menschenwürde und den Ehrschutz, aber auch den Schutz vor Ehrschädigungen natürlicher und juristischer Personen betreffen, wobei die Auswertung auf Entscheidungen aus den Jahren 2002 bis 2004 beschränkt wurde. Von den über 700 untersuchten Entscheidungen enthalten über 50 Verweise auf die EMRK. Jedoch beziehen sich lediglich weniger als 20 Entscheidungen auf die Rechtsprechung des EGMR.218 Gemäß einer weiteren empirischen Untersuchung, die im Jahre 2004 in Bezug auf Entscheidungen der Wirtschaftgerichte durchgeführt wurde, wurde die EMRK lediglich in 23 von über 38.000 untersuchten Entscheidungen erwähnt.219 Somit hat die EMRK am stärksten auf die Rechtsprechung des VerfG RF Einfluss, obwohl sie natürlich mittelbar auch durch dessen Entscheidungen auf das gesamte Gerichtssystem der RF einwirkt. Die Situation verbessert sich allmählich, in der Praxis ist die Bedeutung der EMRK aber immer noch gering. Entscheidungen, die sich unmittelbar auf bestimmte Urteile des EGMR beziehen oder dessen Urteilstext in Teilen übernehmen, sind selten. In der Regel werden nur einzelne Rechtsansichten des EGMR wiedergegeben, ohne Quellen zu nennen.220 Manchmal werden Urteile des EGMR zitiert ohne einen Hinweis auf den Inhalt dieser Urteile oder deren Bedeutung für den zu entschei216 217

2Yao[_S, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2003, Nr. 2, S. 23. ;_a_cVVS, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2009, Nr. 4, S. 93 f. Vgl. auch

statistische Angaben bei Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 36, 38 f. m.w.N.; 2_^UQam, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.),

9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 203. 218 4_\_SQ^_S/@_cQ`V^[_, @aY]V^V^YV a_bbYZb[Y]Y bdUQ]Y `_\_WV^YZ ;_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q: cV_aVcYhVb[YV Y `aQ[cYhVb[YV Qb`V[cl, . 219 Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 66. 220 Vgl. z. B. Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Nord-West, Urt. vom 28. 06. 2004 (Nr. 156-33882/03); Urt. vom 11. 10. 2004 (Nr. 156-49741/03); Urt. vom 09. 03. 2005 (Nr. 152/ 3796/2004/2), alle zit. nach RIS „Garant“.

§ 3 Anwendung der EMRK durch russische Gerichte

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denden Fall.221 Die Hinweise auf die EMRK und die Rechtsprechung des Gerichtshofs stammen häufig von ein und demselben Gericht und sogar zum Teil wiederholt von demselben Richter. Das beschränkt die Anwendung dieser Normen zusätzlich.222 Auf eigene Initiative beschäftigen sich Richter selten mit der Rechtsprechung des EGMR (insbesondere in Bezug auf andere Staaten), oft tun sie das nur, weil Parteien darauf bestehen.223 Vielmehr wird von den Gerichten vielfach wenig geschätzt, wenn sich Parteien im Prozess auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR beziehen, dies wird als Besserwisserei angesehen, und es wird zum Teil ausdrücklich gesagt, dass die russischen Gesetze und die russische Verfassung eine völlig ausreichende Entscheidungsgrundlage böten.224 Auch wenn die Parteien sich auf die Leitentscheidungen des EGMR beziehen, haben russische Gerichte die Tendenz, unmittelbare Analogien zum russischen Recht zu suchen und Vorschriften der EMRK gleichzeitig stets mit Verweisen auf die russische Gesetzgebung zu stützen. Typisch ist die Situation, dass die Richter in der Urteilsbegründung schlicht auf die Übereinstimmung des autonomen Rechts mit den Vorgaben der EMRK verweisen.225 Somit sehen viele Rechtsanwender im Ergebnis die Verweise auf die EMRK anscheinend nur als notwendiges Attribut einer Urteilsbegründung an, die sich doch im Wesentlichen auf das russische Recht stützt. Oft gehen die Gerichte auf die entsprechende Fragestellung nur am Rande oder überhaupt nicht ein, um so die Problematik zu umgehen.226 Dies weckt Zweifel an der Begründetheit der betreffenden Entscheidungen.227

221

Rückert, Das Völkerrecht in der Rechtsprechung des Russischen Verfassungsgerichts, S. 288 m.w.N. 222 IV`V\VSQ, @aQ[cY[Q a_bbYZb[Yf bdU_S: eQ[c_al, S\YpojYV ^Q `aY]V^V^YV ^_a]

6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q a_bbYZb[Y]Y bdUQ]Y, . 223 Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 56 ff. m.w.N. 224 2Yao[_S, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2003, Nr. 2, S. 22 f.; OG RF, Beschl. vom 23. 10. 2005 (Nr. 45-Eþ05-629), ; Beschl. vom 19. 10. 2004 (Nr. 45-404-35): , dazu 2da[_S (Hrsg.), @aY]V^V^YV 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 62 ff. 225 CVaVi[_SQ, @aY]V^V^YV aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S UVpcV\m^_bcY QaRYcaQW^lf bdU_S AE, . 226 Ausführlich dazu 2da[_S, in: 2da[_S (Hrsg.), @aY]V^V^YV 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 52 ff. m.w.N. 227 4_\_SQ^_S/@_cQ`V^[_, @aY]V^V^YV a_bbYZb[Y]Y bdUQ]Y `_\_WV^YZ ;_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q: cV_aVcYhVb[YV Y `aQ[cYhVb[YV Qb`V[cl, .

116

Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Aber auch wenn Gerichte die Bereitschaft zeigen, die EMRK anzuwenden, tun sie das oft, ohne die Leitentscheidungen des EGMR in dem gebotenen Maße zu berücksichtigen, was nicht selten zu groben Fehlern führt. Hierzu einige Beispiele aus der Rechtsprechung: Am 23. 05. 2005 (also 7 Jahre nach dem Beitritt zur EMRK) hat das Wirtschaftsgericht Moskau (also in der Hauptstadt!) eine Entscheidung erlassen, in der der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK in Bezug auf juristische Personen verneint wurde. Diese Entscheidung wurde im Rechtsinformationssystem (RIS) „Garant“ veröffentlicht (ohne Nr.). Diese grobe Verletzung der EMRK hat das OWG RF veranlasst, ein Schreiben im RIS „Garant“ zu veröffentlichen, in dem erklärt wurde, dass das Gegenteil der Fall ist.228 Oft wird Art. 6 Abs. 1 EMRK durch russische Gerichte (ohne Begründung) auch in Streitigkeiten im Bereich des Wahlrechts229 und des Steuerrechts230 angewandt, obwohl nach der Rechtsprechung des EGMR diese Streitigkeiten nicht zu „civil rights and obligations“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK gehören.231 Eine solche Erweiterung des Menschenrechtschutzes kann man allerdings auch positiv sehen, weil sie den Zwecken der EMRK nicht widerspricht. 2000 hat das VerfG RF einige Regelungen des Bundesgesetzes RF „Über die staatliche Unterstützung von Massenmedien in der RF“ von 1995 für verfassungswidrig erklärt, wonach die Föderationssubjekte der RF ihre Räumlichkeiten ohne Zustimmung und ohne eine angemessene Entschädigung an die Redaktionen der Massenmedien zu überlassen hatten. Dies gehe unter anderem über die im Art. 1 1. ZP zur EMRK (Schutz des Eigentums) festgelegten Anforderungen hinaus.232 Damit hat das VerfG RF (wieder ohne Begründung) den Schutzbereich der EMRK auf staatliche Gebietskörperschaften ausgedehnt. Dies erscheint nicht selbstverständlich, weil die EMRK eine Konvention zum Schutze der Menschenrechte und nicht dagegen zum Schutze der staatlichen Gebietskörperschaften ist (vgl. Art. 1 EMRK). In der Entscheidung vom 16. 11. 2000 hat das OG RF die Rechtswidrigkeit einer Regelung festgestellt, wonach Beamten der Polizei (miliciâ) ohne ihre Zustimmung versetzt werden konnten.233 Dies hat das OG RF unter anderem damit begründet, dass

228

OWG RF, Schreiben vom 09. 11. 2005 (Nr. B=@-25/2005), zit. nach RIS „Garant“. VerfG RF, Urt. vom 15. 01. 2002 (Nr. 1-@), Z. 4 Abs. 3, SZ RF 2002, Nr. 6, Pos. 626; Urt. vom 25. 02. 2004 (Nr. 4-@), Z. 4 Abs. 2, SZ RF 2004, Nr. 9, Pos. 831. 230 Vgl. z. B. Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Nord-West, Urt. vom 09. 03. 2005 (Nr. 152/3796/2004/2); Urt. vom 11. 10. 2004 (Nr. 156-49741/03); Urt. vom 28. 06. 2004 (Nr. 156-33882/03), alle zit. nach RIS „Garant“. 231 Vgl. EGMR, Ent. vom 25. 01. 2000 (Nr. 51501/99), Cherepkov v. Russia, Z. 2 (in Bezug auf Wahlrechtsstreitigkeiten); EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 44759/98), Ferrazzini v. Italy, Z. 29 (in Bezug auf Steuerstreitigkeiten). 232 VerfG RF, Urt. vom 22. 11. 2000 (Nr. 14-@), Z. 4 Abs. 6, SZ RF 2000, Nr. 49, Pos. 4861. 233 OG RF, Ent. vom 16. 11. 2000 (Nr. 4;@9 00 – 1195), zit. nach RIS „Garant“. 229

§ 3 Anwendung der EMRK durch russische Gerichte

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die Vorschrift im Widerspruch zu Art. 4 Abs. 2 EMRK stehe, der den Begriff der Zwangsarbeit definiere. Das tut Art. 4 Abs. 2 EMRK jedoch gerade nicht.234 Diese Fehler können zum Teil durch die Unkenntnis der Rechtsprechung des EGMR erklärt werden,235 sowie dadurch, dass die russischen Gerichte völkerrechtliche Normen traditionell in erster Linie anhand der Textauslegung anwenden, da andere Methoden den Gerichten schlechter zugänglich sind.236 Während allerdings früher die Urteile des EGMR in Russland tatsächlich nur stellenweise und in teilweise chaotischer Auswahl veröffentlicht wurden,237 steht seit 2002 eine russische Übersetzung der Monatszeitschrift des Sekretariats des EGMR, die „Information note on the case-law of the Court“ zur Verfügung, darüber hinaus sind zahlreiche Entscheidungssammlungen238 und Kommentare239 zur EMRK erschienen. Russische Übersetzungen der Urteile und Entscheidungen des Gerichtshofs werden zudem in juristischen Fachzeitschriften, Datenbanken sowie im Internet vielfach veröffentlicht, insbesondere wenn Russland am Verfahren beteiligt ist, wobei als Internetquellen die Seiten des Europarates sowie die verschiedener NGOs zu nennen sind.240 Seit 2000 ist ein staatliches Ausbildungsprogramm im Gange, das Richter mit der Rechtsprechung des EGMR vertraut machen soll.241 Daher können die fehlende Zugänglichkeit oder Unkenntnis heutzutage nicht mehr als Grund für die Nichtbeachtung der Rechtsprechung des EGMR angesehen werden.

234 Vgl. EGMR, Urt. vom 23. 11. 1983 (Nr. 8919/80), Van der Mussele v. Belgium, Z. 32: „Article 4 does not define what is meant by ,forced or compulsory labour‘ and no guidance on this point is to be found in the various Council of Europe documents relating to the preparatory work of the European Convention“. 235 Vgl. B[daQc_S, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 2005, Nr. 3, S. 121. 236 ýd[Qid[, =VWUd^Qa_U^_V `aQS_. ?RjQp hQbcm , S. 208. 237 2VaVbc^VS, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 3, S. 18. 238 Unter anderen Cd]Q^_S/Nc^Y^ (Hrsg.), 6Sa_`VZb[YZ BdU `_ `aQSQ] hV\_SV[Q. 9XRaQ^^lV aViV^Yp. 3 USdf c_]Qf (2000); 2VaVbc^VS (Hrsg.), 6Sa_`VZb[YZ BdU `_ `aQSQ] hV\_SV[Q. 9XRaQ^^lV `_bcQ^_S\V^Yp Y aViV^Yp 2001 T_UQ, S USdf hQbcpf (2003); 2VaVbc^VS (Hrsg.), 6Sa_`VZb[YZ BdU `_ `aQSQ] hV\_SV[Q Y A_bbYZb[Qp EVUVaQgYp (2005); 5V BQ\mSYQ (Hrsg.), @aVgVUV^cl 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q. Ad[_S_UpjYV `aY^gY`l bdUVR^_Z `aQ[cY[Y, _c^_bpjYVbp [ 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U. BdUVR^Qp `aQ[cY[Q b 1960 `_ 2002 T_Ul (`VaVS_U b eaQ^gdXb[_T_) (2004). 239 Unter anderen 1\V[bVVSQ/=_d\/FQaRY, 6Sa_`VZb[Qp [_^SV^gYp _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U. BcQcmp 6. @aQS_ ^Q b`aQSVU\YS_V bdUVR^_V aQXRYaQcV\mbcS_ . @aVgVUV^cl Y [_]]V^cQaYY (2001); Cd]Q^_S/Nc^Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y Vr `aY]V^V^Yp (2002); Interights (Hrsg.), @aQS_ ^Q b`aQSVU\YSlZ bdU S aQ][Qf 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q (bcQcmp 6), 2009. 240 Vgl. ; ; ; ; ; . 241 Vgl. 5V]V^VSQ/Hda[Y^Q, in: 2da[_S (Hrsg.), @aY]V^V^YV 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 84.

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

Burkov sieht den Grund hierfür darin, dass das OG RF zwar die unteren Gerichte, die nicht ausreichend auf die Rechtsprechung des EGMR eingingen, mehrfach auf die unmittelbare Geltung der Leitsätze des EGMR sowie auf die Möglichkeit der Aufhebung solcher Urteile hingewiesen habe. Allerdings sei von dieser Möglichkeit praktisch kaum Gebrauch gemacht worden. Er vergleicht das OG RF daher mit einem Professor, der Hausaufgaben aufgebe, ohne sie später abzufragen.242 Eine Studie aus dem Jahre 2006, die sich mit der Spruchpraxis des russischen Obersten Gerichts beschäftigt, bestätigt diese Ansicht. Obwohl die EMRK für Russland schon 8 Jahre in Kraft war, ließen sich nur 30 Entscheidungen des OG RF finden, in denen die EMRK erwähnt ist, nur 10 davon enthalten einen Bezug auf Leitentscheidungen des EGMR.243 Dementsprechend sehen sich russische Richter nicht veranlasst, sich ausführlich mit der EMRK und Rechtsprechung des EGMR auseinander zu setzen. Auch in seiner eigenen Rechtsprechung will (oder kann) das OG RF (wie die oben dargestellten Beispiele zeigen) kein Vorbild für die unteren Gerichte sein. Ein anderes Problem liegt darin, dass es keine regelmäßige Veröffentlichung der Entscheidungen des EGMR in einer offiziellen Übersetzung gibt,244 was dazu führt, dass oftmals zwei, drei oder noch mehr Versionen desselben Urteils kursieren, wobei die Qualität der Übersetzung vielfach zu wünschen übrig lässt. Daher ist oft unklar, auf welche Übersetzung sich die Gerichte stützen sollen. Eine Analyse der Entscheidungen über die Anwendung der EMRK zeigt, dass die Tendenz zur Zitierung unterschiedlicher Übersetzungen der Urteile des EGMR genau verfolgt wird.245 Dadurch entsteht Raum für eine Manipulierung der Gerichte, die es im konkreten Fall für notwendig erachten, die Position des EGMR zu berücksichtigen, ohne jedoch Zugang zu einer offiziellen Veröffentlichung seiner Entscheidungen zu haben. Die Parteien haben so die Möglichkeit, verschiedene Übersetzungen ein und derselben Leitentscheidung des EGMR vorzubringen, um so die Urteilsfindung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.246 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass viele russische 242

S. 76.

Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law,

243 @VaiQ[_SQ, @aY]V^V^YV ^_a] 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY Y aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ S `aQ[cY[V 3Vaf_S^_T_ BdUQ A_bbYY (`aVUSQaYcV\m^lV aVXd\mcQcl Q^Q\YXQ) m.w.N.: . 244 @. ýQ`cVS , in: ý_`QcY^ (Hrsg.), @aQSQ hV\_SV[Q S A_bbYY Y `aQS_XQjYc^Qp UVpcV\m^_bcm T_bdUQabcSQ, S. 29. Erste Urteile des EGMR gegen Russland wurden in russischer Übersetzung in der amtlichen Zeitung Rossijskaâ gazeta veröffentlicht; am 04. 06. 2002: Urteil Burdov vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00); am 17. und 19. 10. 2002: Urteil ;Qlashnikov vom 15. 07. 2002 (Nr. 47095/99); am 08. 07. 2003: Urteil Posokhov vom 04. 03. 2003 (Nr. 63486/00). Später hatte es die Regierung anscheinend satt, selber an ihrem eigenen Image zu kratzen. 245 4_\_SQ^_S/@_cQ`V^[_, @aY]V^V^YV a_bbYZb[Y]Y bdUQ]Y `_\_WV^YZ ;_^SV^gYY _

XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q: cV_aVcYhVb[YV Y `aQ[cYhVb[YV Qb`V[cl, . 246 Hierzu wird insbesondere ein Beispiel angeführt, bei welchem sich ein russisches Gericht auf eine Entscheidung des EGMR bezog, wobei jedoch die zitierte Textstelle so in der

§ 3 Anwendung der EMRK durch russische Gerichte

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Staatsbedienstete, darunter auch Richter, nur über geringe Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Nach dem Plenumsbeschluss [Erläuterungen] des OG RF vom 10. 10. 2003, hat der Richter in diesem Fall allerdings die Möglichkeit, eine Auskunft im Wege der Amtshilfe beim Rechtsdepartment des Außenministeriums oder beim Justizministerium einzuholen (Z. 16),247 was allerdings zu unerwünschten Verzögerungen des Verfahrens führen kann. Eine offizielle Bekanntmachung offizieller Akte hat nicht nur das Ziel, diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern dient auch als Garantie dafür, dass der veröffentlichte Text mit dem von dem zuständigen Organ verabschiedeten Text übereinstimmt. Daher ist eine Regelung der offiziellen Veröffentlichung der Urteile des EGMR für eine wirksame Umsetzung der EMRK in Russland sehr wünschenswert.248 Angesicht der Vielzahl der Urteile des EGMR würde es hierbei auch ausreichen, wenn regelmäßig eine jährliche Rechtsprechungsübersicht des EGMR (Short Survey of Cases Examined by the Court)249 in russischer Sprache veröffentlicht würde. Hierzu wären insbesondere die Obergerichte Russlands in der Lage, die auch nach innerstaatlichem russischem Recht derartige, als Leitfaden dienende Rechtsprechungsübersichten in Form von Plenumsbeschlüssen und Informationsschreiben herausgeben könnten,250 wobei dies vereinzelt bereits praktiziert wurde. Solche Akte genießen bei den unteren Gerichten traditionell große Beachtung.251 Originalentscheidung weder dem Wortlaut nach noch dem Sinn nach zu finden ist: 4_\_SQ^_S/@_cQ`V^[_, ebenda. 247 Dafür plädieren z. B. 5V]V^VSQ/Hda[Y^Q, in: 2da[_S (Hrsg.), @aY]V^V^YV 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q S bdUQf A_bbYY, S. 96. 248 Vgl. NGO „DEMOS“, Bericht (undatiert) „European Court of Human Rights Judgments Implementation in Russia: A need to create effective mechanisms of execution“: „Another important measure, which can raise effectiveness of the ECtHR judgments execution in Russia, might be official translation and publication of the ECtHR judgments. Nowadays the ECtHR judgments are translated and published by NGOs and commercial structures. Although these publications definitely contribute to providing information on the ECtHR case-law to the legal community and officials, they – as unofficial by status – can not be used by judicial bodies to decide on concrete cases. Absence of the established procedure of the ECtHR judgments official publication hinders bringing Russian judicial practice in accordance with the requirements of the ECHR. And this in its turn excludes the judicial branch from the process of the ECtHR judgments execution“, . 249 Vgl. . 250 Derartige Plenumsbeschlüsse werden auch in der Literatur gefordert, vgl. =Qa_h[Y^, A_bbYZb[YZ VWVT_U^Y[ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2004, S. 31; 5V]V^VSQ, in: Hda[Y^Q/2V\pVS (Hrsg.), ?RpXQcV\mbcSQ T_bdUQabcS – dhQbc^Y[_S 6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q `_ Yb`_\^V^Yo `_bcQ^_S\V^YZ 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ, S. 102; 3Ycad[, in: 9^bcYcdc `aQSQ Y `dR\Yh^_Z `_\YcY[Y (Hrsg.), 9]`\V]V^cQgYp aViV^YZ 6Sa_`VZb[_T_ BdUQ `_ `aQSQ] hV\_SV[Q S `aQ[cY[V [_^bcYcdgY_^^lf bdU_S bcaQ^ 6Sa_`l, S. 190, Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 84. 251 Vgl. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 10. 10. 2003 (Nr. 5), „Über die Anwendung von allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts durch Gerichte

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Kap. 3: EMRK in der russischen Rechtsordnung

In Ergebnis ist festzustellen, dass die Anwendung der EMRK und der Leitentscheidungen des EGMR durch russische Gerichte als wenig befriedigend bezeichnet werden kann.252 Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Forscher: „[T]he Russian case-law appears to be an attempt to show to the Council of Europe that the Convention is being formally referred to, instead of being substantially applied“.253 „Es ist zu beobachten, dass sowohl die EMRK als auch das case-law des Gerichtshofs in Entscheidungen russischer Gerichte, insbesondere auch des russischen Verfassungsgerichtshofs, (…) tatsächlich öfter zitiert werden. Allerdings sind die Verweise oftmals ein Lippenbekenntnis und haben eher eine dekorative Funktion, als dass sie der nationalen Rechtsprechung eine neue Richtung geben würden“.254 Die unbestrittene Führung Russlands in der Anzahl beim EGMR anhängigen Beschwerden (Ende 2011 waren beim EGMR über 40.000 Beschwerden gegen Russland anhängig (oder 26,6 % der Gesamtzahl)255 ist eine Folge dieser Lage. Die Zahl der Beschwerden und der Urteile gegen Russland wächst stetig, ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Burkov merkt dazu an, dass die EMRK-Verpflichtungen in Russland anscheinend nur als Anerkennung des individuellen Beschwerderechts durch die russische Staatsgewalt und nicht auch als Zusicherung der durch die EMRK garantierten Rechte im Inland verstanden werden.256 In der Literatur werden drei Gründe für die mangelhafte Umsetzung der EMRK durch russische Gerichte genannt: Mangel an Unabhängigkeit, fehlende Professionalität und ungenügende Motivation der Richter.257 Der Ombudsmann RF hat es in 2002 auf den Punkt gebracht: Haupthindernis sind alte Dogmen in Beamtenköpfen (ihr Nichtwollen oder Nichtkönnen, sich auf neue Standards einzustellen).258 Zu den

der ordentlichen Gerichtsbarkeit RF“, Z. 12 ff., engl. Übersetzung in HRLJ 2004, S. 108 ff.; OWG RF, Informationsschreiben vom 20. 12. 1999 (Nr. B1-7/B=@-1341) „Über grundsätzliche Rechtspositionen, die der EGMR bei dem Schutz der Vermögensrechte und des Rechts auf ein faires Verfahren anwendet“. 252 Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 83. 253 Burkov, Russian Law 2006, Nr. 1, S. 69; Koroteev/Golubok, HRLR 2007, S. 624 Fn. 22. 254 Nußberger/Marenkov, Russlandanalysen vom 29. 06. 2007 (Nr. 140), S. 3. 255 Annual Report 2011 of the European Court of Human Rights, S. 153. Setzt man allerdings die Anzahl der Beschwerden zur Anzahl der Bürger ins Verhältnis, ergeben sich etwa für Rumänien oder die Türkei ähnliche Ergebnisse wie für Russland, Nußberger/Marenkov, Russlandanalysen vom 29. 06. 2007 (Nr. 140), S. 2. 256 Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 20. 257 Ebenda, S. 69 ff.; Bowring, The Uppsala Yearbook of East European Law 2004, S. 113 f., sieht den Hauptgrund in der mangelnden Unabhängigkeit der russischen Justiz. 258 Ombudsmann RF, Sonderbericht vom 20. 05. 2002 „Über die Erfüllung der Verpflichtungen durch Russland, die beim Beitritt zum Europarat eingegangen wurden“, Abs. 13, .

§ 3 Anwendung der EMRK durch russische Gerichte

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alten Dogmen gehört, dass Staatsinteressen (sprich die Interessen der politischen Elite) Vorrang vor individuellen Menschenrechten haben müssen.259 Die Situation mit der Anwendung der Leitentscheidungen des EGMR durch russische Gerichte hat sich in den letzten Jahren jedoch wesentlich verbessert. Seit Anfang 2009 schließt das OG RF eine Auswahl der Zusammenfassungen von EGMR-Urteilen gegen Russland in die Quartalübersichten seiner Rechtsprechung ein.260 Auch auf Internetseiten von anderen Gerichten sind Zusammenfassungen der EGMR-Urteile gegen Russland261 sowie Übersichten der Rechtsprechung zum Völkerrecht, insbesondere zur EMRK262 zu finden. Die Gerichte scheinen kein Problem mehr damit zu haben, die Leitenscheidungen des EGMR (auch gegen andere Konventionsstaaten) in ihre Urteilsbegründung einfließen zu lassen. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass sich die russische Judikative zunehmend mit der EMRK in der Auslegung des EGMR beschäftigt, was eine positive Entwicklung erwarten lässt.

259 Vgl. etwa die brisante Aussage des Exinnenministers RF Sergej Stepasˇin (der auch Justizminister RF und Regierungschef RF war): „I am in favour of human rights violations, if this human being is a criminal“, zit. nach Bowring, EHRLR 1997, S. 629 m.w.N. – eine Einstellung, die im Lichte des Kampfes gegen den Terror auch in der „freien Welt“ leider Verbreitung fand (Stichwort: Guantanamo). 260 Vgl. OG RF, Übersicht der Gesetzgebung und Rechtsprechung des OG RF für das 1. Quartal 2009, bestätigt vom Präsidium am 16. 01. 2009, , sowie spätere Quartalsübersichten unter . 261 Vgl. etwa Gericht des Belgoroder Gebiets, ; Oberstes Gericht der Republik Burjatien, . 262 Vgl. etwa Gericht des Amurer Gebiets, Übersicht der Rechtsprechung zur Anwendung von Prinzipien und Normen des Völkerrechts sowie internationalen Verträgen der RF, bestätigt vom Präsidium am 22. 03. 2010, ; Oberstes Gericht der Republik Burjatien, ; Gericht des Irkutsker Gebiets, .

Kapitel 4

Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, Prüfungsdichte des EGMR und Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK Vor der Untersuchung der einzelnen Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK sollen ihr Geltungsbereich, die Prüfungsdichte ihrer Einhaltung durch den EGMR sowie die Voraussetzungen eines wirksamen Verzichts erörtert werden. Grundsätzlich sind die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK Leistungsrechte (status positivus) des Einzelnen gegenüber dem Staat. So müssen die Rechtsordnungen der Konventionsstaaten für Zivilrechtssachen einen gerichtlichen Rechtsschutz vorsehen und ihn in bestimmter Weise organisieren, damit der Einzelne von diesem auch tatsächlich Gebrauch machen kann. Nur bei dem Recht auf Beachtung der Rechtskraft ist der Staat zum Unterlassen verpflichtet, deswegen stellt dieses Recht ein Abwehrrecht dar (status negativus).

§ 1 Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK Der Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK bestimmt sich, wie die EMRK selbst, nach vier Kriterien: einem räumlichen (ratione loci), zeitlichen (ratione temporis), sachlichen (ratione materiae) und einem persönlichen (ratione personae). I. Ratione loci Der territoriale Geltungsbereich eines völkerrechtlichen Vertrages umfasst grundsätzlich das gesamte Hoheitsgebiet der Vertragsparteien (Art. 29 WVK). Die EMRK einschließlich Art. 6 Abs. 1 gilt territorial innerhalb der Hoheitsgewalt des jeweiligen Konventionsstaates (vgl. Artt. 1, 56 EMRK). Die Auslegung des Begriffs „Hoheitsgewalt“ ist Gegenstand einer ganzen Reihe von Urteilen und Entscheidungen des EGMR, bei denen es um die Ausübung von Staatsgewalt außerhalb des eigentlichen Staatsgebiets ging.1 Die Russische Föderation hat keinen Vorbehalt in Bezug auf den territorialen Geltungsbereich der EMRK eingelegt, folglich gilt die EMRK für das gesamte russische Staatsterritorium und extraterritorial, soweit rus1 Ausführlich dazu Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 1 Rn. 5 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte. Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK (2008).

§ 1 Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

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sische Hoheitsgewalt im Ausland ausgeübt wird. In Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EMRK ist diese Erkenntnis vor allem für russische Militärgerichte praktisch relevant, die sich im Ausland befinden. II. Ratione temporis Nach allgemeinem Völkerrecht bezüglich des zeitlichen Geltungsbereiches völkerrechtlicher Verträge gilt, dass der Vertrag, vom Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens an, Rechtswirkungen nur für die Zukunft entfaltet, es sei denn, die Parteien haben eine Rückwirkung vereinbart. Art. 28 WVK, der diesen Grundsatz kodifiziert, erfasst nur die echte Rückwirkung (auf abgeschlossene Sachverhalte), nicht aber die unechte (auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte). In zeitlicher Hinsicht gilt die EMRK einschließlich Art. 6 Abs. 1 ab Hinterlegung der Ratifikationsurkunde bei dem Generalsekretär des Europarates (Art. 59 Abs. 3 EMRK), für die Russische Föderation also ab dem 5. Mai 1998. Bei andauernden Konventionsverletzungen (etwa überlanger Verfahrensdauer) berücksichtigt der EGMR den Prozessverlauf vor dem In-Kraft-Treten der EMRK.2 Die EMRK lässt eine Kündigung der Konvention ausdrücklich zu (Art. 58). III. Ratione materiae Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK erstreckt sich auf Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen, was die Frage aufwirft, welche Ansprüche dazu gehören. Der EGMR konnte (oder wollte) bis jetzt keine allgemeine Definition für diesen Begriff entwickeln,3 was zu einer ausdifferenzierten (und zum Teil heftig kritisierten)4 Rechtsprechung geführt hat.5 Die Ansicht, darunter alle Streitigkeiten zu subsumieren, die nicht strafrechtlicher Natur sind, hat sich bis jetzt nicht durchsetzen können.6 Unstreitig kann aber davon aus2

Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 48. Vgl. England and Wales Court of Appeal, Ent. vom 13. 04. 2011 (Nr. C1/2010/2522), Secretary of State for the Foreign Office & Commonwealth Affairs v. Maftah & Anor, Z. 14: „The only thing which is certain is that civil rights in article 6 have an autonomous meaning. The Strasbourg court has made this clear on more than one occasion. What is neither certain nor clear is what that meaning is“, . 4 Vgl. Z. 5 des Sondervotums der EGMR-Richter Lorenzen, Rozakis, Bonello, Straznika, Birsan, Fischbach zum Urteil des EGMR (GK) vom 12. 07. 2001 (Nr. 44759/98), Ferrazzini v. Italy. Vgl. auch Matthei, Der Einfluss der Rechtsprechung des EGMR auf die ZPO, S. 42 m.w.N.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 22 ff. m.w.N.; sowie 2. Aufl. (1996), Art. 6 Rn. 29 ff. 5 Ausführlich Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 36 ff. m.w.N.; ders., EMRK, § 24 Rn. 5 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 17 ff.; vgl. auch 2. Aufl. (1996), Art. 6 Rn. 51 ff. 6 EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 44759/98), Ferrazzini v. Italy, Z. 30: „The principle according to which the autonomous concepts contained in the Convention must be interpreted in the light of present-day conditions in democratic societies does not give the Court power to interpret Article 6 § 1 as though the adjective ,civil‘ (with the restriction that that 3

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

gegangen werden, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Zivilprozessrecht Anwendung findet, soweit es sich um Rechte aus einem privaten Rechtsverhältnis handelt.7 Innerprozessuale Entscheidungen wie z. B. solche über die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts8 oder Prozesskostenhilfe9 fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK, weil dort nicht über den Bestand oder den Umfang eines zivilrechtlichen Anspruchs entschieden wird. Wenn sich jedoch innerprozessuale Entscheidungen auf das Urteil auswirken, müssen die Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK gelten.10 In der jüngsten Rechtsprechung hat der EGMR den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK in Bezug auf den einstweiligen Rechtsschutz noch weiter erweitert.11 Entscheidend hierfür ist zum einen die Beobachtung, dass die Konventionsstaaten die Garantien aus Art. 6 EMRK auf den einstweiligen Rechtsschutz anwendeten. Zum anderen stellt der EGMR darauf ab, dass angesichts der bestehenden Überlastung in den jeweiligen Justizsystemen das einstweilige Rechtsschutzverfahren oftmals eine längerfristige oder sogar endgültige Entscheidung in der Hauptsache zur Folge hat. Nach der neuen Rechtsprechung hängt die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes von folgenden Voraussetzungen ab: (1) Sowohl im einstweiligen Rechtsschutz als auch in der Hauptsache muss ein „zivilrechtlicher“ Anspruch im Sinne der autonomen Auslegung des EGMR in Rede stehen. (2) Die einstweilige Maßnahme muss im Einzelfall zu einer effektiven „Bestimmung“ eines zivilrechtlichen Anspruchs oder einer zivilrechtlichen Verpflichtung führen. (3) Die besondere Garantie aus Art. 6 Abs. 1 EMRK darf nicht die mit dem einstweiligen Rechtsschutz verfolgten Zwecke unangemessen beeinträchtigen. Es bleibt abzuwarten, wie diese Voraussetzungen in der Rechtsprechung des EGMR angewandt werden. Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert keinen materiellrechtlichen Inhalt für „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ im innerstaatlichen Recht der Kon-

adjective necessarily places on the category of ,rights and obligations‘ to which that Article applies) were not present in the text“. 7 Matthei, Der Einfluss der Rechtsprechung des EGMR auf die ZPO, S. 39; PfannkuchenHeeb, in: Sutter/Zelger (Hrsg.), 30 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz, S. 221; Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 7 ff. 8 EGMR, Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 76835/01), Kolomiyets v. Russia, Z. 32 ff. 9 EGMR, Urt. vom 12. 06. 2003 (Nr. 45681/99), Gutfreund v. France, Z. 38 ff. 10 EGMR, Ent. vom 10. 07. 2007 (Nr. 696/05), Dassa Foundation and Others v. Liechtenstein: „Only exceptionally has the Court considered Art. 6 to be applicable to proceedings relating to interim orders. This concerned, in particular, cases in which an interim decision in fact already partially determined the rights of the parties in relation to the final claim (see, in particular, Markass Car Hire Ltd v. Cyprus (dec.), no. 51591/99, 23 October 2001 …) or in which an interim order immediately led to the institution of main proceedings deciding on the dispute in question (see, in particular, Air Canada v. the United Kingdom, judgment of 5 May 1995, Series A no. 316-A, p. 21, § 61)“. 11 EGMR (GK), Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 17056/06), Micallef v. Malta, Z. 74 ff.

§ 1 Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

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ventionsstaaten.12 Folglich muss der Anspruch nach innerstaatlichem Recht bestehen oder zumindest auf vertretbare Weise geltend gemacht werden können.13 Das bedeutet, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK bei gleicher Sachlage in einem Konventionsstaat anwendbar sein kann, im anderen hingegen nicht.14 Daraus resultiert auch die Gefahr, dass Konventionsstaaten Ansprüche im innerstaatlichen Recht beseitigen und so die Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK aushöhlen. Der EGMR hat allerdings festgestellt, dass die Konventionsstaaten dies nicht ohne Einschränkung oder seine Kontrolle tun dürfen, sonst wäre das mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.15 Aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich, dass der Gesetzgeber nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Ausgang bereits anhängiger Verfahren Einfluss nehmen darf.16 Weiter verlangt Art. 6 Abs. 1 EMRK das Vorliegen einer wirklichen und ernsthaften Streitigkeit.17 Das Fehlen einer Streitigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK hat der EGMR z. B. bei einer Berufseignungsprüfungsentscheidung, mit der der Beschwerdeführer nicht einverstanden war, angenommen.18 Das Vorliegen einer ernsthaften Streitigkeit wird vermutet, sofern keine Anzeichen für das Gegenteil bestehen.19 Deswegen spielt diese Voraussetzung keine große Rolle in der Rechtsprechung des EGMR und wird oft gar nicht geprüft.20 Insgesamt lässt sich fest-

12 EGMR (GK), Urt. vom 10. 05. 2001 (Nr. 29392/95), Z. and Others v. the United Kingdom, Z. 87; Urt. vom 19. 10. 2005 (Nr. 32555/96), Roche v. the United Kingdom, Z. 117. Genauso wenig gibt die EMRK einen Anspruch auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Gesetzen; EGMR, Urt. vom 21. 02. 1990 (Nr. 9310/81), Powell and Rayner v. the United Kingdom, Z. 36; Urt. vom 12. 01. 2006 (Nr. 26111/02), Mizzi v. Malta, Z. 86. 13 Übersicht der Rechtsprechung der Konventionsorgane bei Peukert, RabelsZ 1999, 603 ff.; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 7 ff. 14 Unbefriedigend empfand diese Lage der EGMR-Richter Lagergren, Sondervotum zum Urteil des EGMR vom 28. 05. 1985 (Nr. 8225/78), Ashingdane v. the United Kingdom, und hat vorgeschlagen, die Frage, ob ein Recht i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegt, von den Konventionsorganen autonom zu beurteilen. Der EGMR hat dem Vorschlag allerdings nicht gefolgt. 15 EGMR, Urt. vom 21. 09. 1994 (Nr. 17101/90), Fayed v. the United Kingdom, Z. 65; EGMR (GK), Urt. vom 14. 12. 2006 (Nr. 1398/03), Markovic and Others v. Italy, Z. 97. 16 EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 13427/87), Stran Greek Refineries and Stratis Andreadis v. Greece, Z. 44 ff.; Urt. vom 23. 10. 1997 (Nr. 21319/93 u. a.), National & Provincial Building Society, Leeds Permanent Building Society and Yorkshire Building Society v. the United Kingdom, Z. 112 f. Ausführlich dazu Schneider, Gesetzlicher Entzug von Rechten und Art. 6 EMRK, in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg.), Kontinuität und Wandel der EMRK, S. 245 ff. 17 Vgl. EGMR, Urt. vom 01. 07. 1997 (Nr. 23196/94), Rolf Gustafson v. Sweden, Z. 39. Ausführlich zu dieser Voraussetzung Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 83 ff. m.w.N.; Peukert, RabelsZ 1999, 605 m.w.N. 18 EGMR, Urt. vom 26. 06. 1986 (Nr. 8543/79 u. a.), Van Marle and Others v. the Netherlands, Z. 36 ff. 19 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 01. 07. 1997 (Nr. 23196/94), Rolf Gustafson v. Sweden, Z. 39. 20 Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 14 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR in Fn. 58.

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

stellen, dass der EGMR bei der Beurteilung des sachlichen Anwendungsbereiches von Art. 6 Abs. 1 EMRK einen „beschwerdeführerfreundlichen“ Maßstab anlegt.21 IV. Ratione personae Die EMRK enthält keine ausdrückliche Regelung des persönlichen Geltungsbereichs der in ihr garantierten Rechte und Freiheiten. Art. 1 EMRK statuiert die Verpflichtung der Konventionsstaaten, allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I der Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zuzusichern. Gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK gelten seine Garantien für jede Person. Präzisere Hinweise über den persönlichen Anwendungsbereich der Konvention fehlen. Allerdings bestimmt Art. 34 EMRK, dass neben natürlichen Personen auch nichtstaatliche Organisationen oder Personenvereinigungen berechtigt sind, eine Individualbeschwerde beim EGMR einzureichen. Weitergehende Ausführungen in Bezug auf die Berechtigung zur Individualbeschwerde finden sich in einer Entscheidung des EGMR: „The Court observes that a legal entity ,claiming to be the victim of a violation by one of the High Contracting Parties of the rights set forth in the Convention and the Protocols thereto‘ may submit an application to it (…), provided that it is a ,non-governmental organisation‘ within the meaning of Article 34 of the Convention. The term ,governmental organisations‘, as opposed to ,non-governmental organisations‘ within the meaning of Article 34, applies not only to the central organs of the State, but also to decentralised authorities that exercise ,public functions‘, regardless of their autonomy vis-à-vis the central organs; likewise it applies to local and regional authorities (see, in particular, Rothenthurm Commune v. Switzerland, no. 13252/87, Commission decision of 14 December 1988, Decisions and Reports (DR) 59, p. 251; Municipal Section of Antilly v. France (dec.), no. 45129/98, ECHR 1999-VIII; Province of Bari, Sorrentino and Messeni Nemagna v. Italy, no. 41877/98, Commission decision of 15 September 1998, unreported; Ayuntamiento de Mula v. Spain (dec.), no. 55346/00, ECHR 2001-I; and Danderyds Kommun v. Sweden (dec.), no. 52559/ 99, 7 June 2001). The European Commission of Human Rights reached the same conclusion regarding public-law entities other than territorial authorities: the General Council of Official Economists’ Associations in Spain, on the ground that it performed ,official duties (…) assigned (…) by the Constitution and the legislation‘ (see Consejo General de Colegios Oficiales de Economistas de España v. Spain, nos. 26114/95 and 26455/95, Commission decision of 28 June 1995, DR 82-B), and the Spanish national railway company, essentially on the grounds that it was under the control of the government and enjoyed an operating monopoly (see RENFE v. Spain, no. 35216/97, Commission decision of 8 September 1997, DR 90-B). Moreover, in The Holy Monasteries v. Greece (judgment of 9 December 1994, Series A no. 301-A, § 49) the Court recognised that the public-law entities concerned had the status of ,non-governmental organisation‘ because they did not exercise ,governmental powers‘, had not been established ,for public-administration purposes‘ and were ,completely independent‘ of the State. It follows from the above-mentioned decisions and judgment that the category of ,governmental organisation‘ includes legal entities which participate in the 21

Callewaert, EuGRZ 1996, 366 m.w.N.

§ 1 Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

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exercise of governmental powers or run a public service under government control. In order to determine whether any given legal person other than a territorial authority falls within that category, account must be taken of its legal status and, where appropriate, the rights that status gives it, the nature of the activity it carries out and the context in which it is carried out, and the degree of its independence from the political authorities“.22

Nach der Prüfung gemäß diesen Kriterien kam der EGMR zum Ergebnis, dass das zu 100 % im Eigentum des Staates stehende Radio France eine „nichtstaatliche Organisation“ i.S.v. Art. 34 EMRK darstellt. Für in staatlichem Eigentum stehende Organisationen, die keine öffentlich-rechtlichen Befugnisse ausüben, gelten folglich die Garantien des Art. 6 EMRK in vollem Maße. Aus Art. 34 EMRK, der nur die Berechtigung zur Individualbeschwerde regelt, wird zum Teil abgeleitet, dass sich staatliche Organisationen, die kein Recht auf Individualbeschwerde haben, auf die Konventionsrechte (einschließlich Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht berufen können.23 Nach anderer Auffassung reicht der persönliche Anwendungsbereich der Konvention über Art. 34 EMRK hinaus.24 Dabei wird zum Teil zwischen dem Staat und ihm unterstellten Personen des öffentlichen Rechts unterschieden sowie nach der Art des angerufenen Rechts differenziert.25 Es wird auch eine weitgehende Gleichstellung von juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts vertreten, allerdings nur in deren speziellem Zuständigkeitsbereich und soweit dies nicht mit den Grundsätzen des öffentlichen Dienstes unvereinbar sei.26 Eine Erweiterung des Geltungsbereichs in Bezug auf Staatsorganisationen, die öffentlich-rechtliche Funktionen ausüben, würde zum Zusammenfallen zwischen Grundrechtsberechtigten und Verpflichteten führen, was ein logischer Widerspruch wäre. Außerdem ist die EMRK eine Konvention zum Schutze der Menschenrechte. Auf der anderen Seite muss, wer verklagt werden kann, sich auch im Prozess verteidigen können. Dieses Standardproblem des Staatsrechts spielt in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EMRK insoweit keine große Rolle, weil staatliche Körperschaften unstreitig kein Individualbeschwerderecht zum EGMR besitzen und in der Regel Prozessrechte nach innerstaatlichem Recht haben. Daraus kann man

22

EGMR, Ent. vom 23. 09. 2003 (Nr. 53984/00), Radio France and Others v. France, Z. 26. Guradze, EMRK, Art. 6 Z. 4; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 4. 24 Vgl. Velu, in: FS Ganshof van der Meersch, Bd. I, S. 591 ff. Bemerkenswert, dass das VerfG RF (wenn auch ohne Begründung) die EMRK in Bezug auf staatliche Körperschaften anwendbar erachtet hat, vgl. Urteil vom 22. 11. 2000 (Nr. 14-@), SZ RF 2000, Nr. 49, Pos. 4861, wo das VerfG RF einige Regelungen des Bundesgesetzes „Über die staatliche Unterstützung von Massenmedien in der RF“ für verfassungswidrig erklärt hat, wonach die Föderationssubjekte der RF ihre Räumlichkeiten ohne Zustimmung und ohne eine angemessene Entschädigung an die Redaktionen der Massenmedien zu überlassen hatten. Dies gehe über die im Art. 1 1. ZP zur EMRK (Schutz des Eigentums) festgelegten Anforderungen hinaus (Z. 4 Abs. 6 des Urteils). 25 Vgl. Golsong, in: Université catholique de Louvain [Hrsg.], Les droits de l’homme et les personnes morales, S. 23, 31; Schorn, EMRK, Art. 6 Z. 3. 26 Velu, in: FS Ganshof van der Meersch, Bd. I, S. 596 ff. 23

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

folgern, dass die Gewährung der Prozessrechte für Organisationen, die öffentlichrechtliche Funktionen ausüben, im Ermessen der Konventionsstaaten liegt. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK „In the determination of his civil rights and obligations (…), everyone is entitled to (…)“ spricht eindeutig dafür, dass die Garantien nur für Prozessparteien und ihnen gleichgestellte Personen gelten, über deren Rechte im Verfahren entschieden wird.27 Personen, die keine Prozessparteien sind, wie etwa Zeugen oder Sachverständige, können daher keine Rechte aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK herleiten.28 Nur Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK „Judgment shall be pronounced publicly but the press and public may be excluded from all or part of the trial (…)“ setzt einen Anspruch der Öffentlichkeit auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung voraus.29 Auch der Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes, dass das Volk bzw. die Allgemeinheit die Gerichte soll kontrollieren können, spricht dafür. Im Übrigen gelten die Garantien des Art. 6 Abs. 1 für jede Person (vgl. Art. 1 EMRK), die über ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen streiten, also natürliche und juristische Personen, In- und Ausländer, sowie Staatenlose ohne Unterschied. Die Frage der Parteienstellung im Zivilprozess hängt mit der Aktivlegitimation zusammen, die sich nach nationalem Recht bestimmt. Sie wurde etwa für die Anteilseigner einer unter Liquidation stehenden griechischen Handelsgesellschaft verneint, die namens der Gesellschaft eine Schadensersatzklage gegen die Verwaltung der Stadt Athen durchführen wollten.30 Bei Minderjährigen oder Geisteskranken kommt es auf die nationale Regelung der Prozessfähigkeit an.31

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Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 4, spricht von Beteiligten an dem Verfahren vor den staatlichen Gerichten. Vgl. EGMR, Urt. vom 31. 05. 2005 (Nr. 64330/01), Antunes Rocha c. Portugal, Z. 43, in dem in Bezug auf einen Nebenkläger (assistente) im Strafverfahren die Geltung des Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkannt wurde. 28 Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 4 m.w.N. Vgl. auch EKMR, Ent. vom 15. 09. 1998 (Nr. 41877/98), Province of Bari, Sorrentino and Messeni Nemagna v. Italy, Z. 1: „In the instant case (…) the second applicant is (…) [not] one of the parties to the civil and criminal proceedings currently pending. Therefore, he cannot claim to be a ,victim‘ (…)“. 29 Vgl. Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 72 m.w.N. Soweit ersichtlich ist jedoch der Anspruch auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK für Vertreter der Öffentlichkeit vor dem EGMR nicht durchsetzbar, vgl. EKMR, Ent. vom 03. 12. 1990 (Nr. 13366/87), Atkinson, Crook and The Independent v. the United Kingdom, Z. 2. Die Vertreter können sich aber auf Art. 10 EMRK (Informationsfreiheit) im EGMR-Verfahren berufen. 30 EGMR, Urt. vom 24. 10. 1995 (Nr. 14807/89), Agrotexim and Others v. Greece, Z. 73: „Neither Article 6 nor Article 13 imply that under the national law of the Contracting States shareholders in a limited company should have the right to bring an action seeking an injunction or damages in respect of an act or omission that is prejudicial to ,their‘ company“. 31 Peukert, RabelsZ 1999, 607, mit Hinweis auf EGMR, Urt. vom 28. 05. 1985 (Nr. 8225/ 78), Ashingdane v. the United Kingdom. Vgl. aber EGMR, Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 44009/ 05), Shtukaturov v. Russia, Z. 69 ff.

§ 2 Prüfungsdichte des EGMR

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§ 2 Prüfungsdichte des EGMR Über die Einhaltung der Verpflichtungen der Konventionsstaaten aus der EMRK wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als ein ständiger Gerichtshof (vgl. Art. 19 EMRK). Der EGMR ist nicht befugt, die Konventionskonformität gerügter innerstaatlicher Normen in abstracto zu prüfen. Bei Individualbeschwerden hat er sich „so weit wie möglich“ auf die Frage zu konzentrieren, ob die Anwendung dieser Normen im Einzelfall zu einer konventionswidrigen Situation geführt hat.32 Diese Vorgehensweise hat allerdings zur Folge, dass generalisierungsfähige Aussagen aus der Rechtsprechung des EGMR nur sehr beschränkt gezogen werden können.33 In manchen Fällen hat die Konventionsverletzung ihre Ursache allerdings nicht in einzelnen Vollzugsmaßnahmen, sondern in den einschlägigen Gesetzesbestimmungen.34 In solchen Fällen kommt die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR einer Erklärung ihrer Konventionswidrigkeit praktisch gleich.35 Eine gewisse Durchbrechung des Grundsatzes, wonach der EGMR innerstaatliche Normen nicht in abstracto überprüfen darf, stellen außerdem die so genannten Piloturteile des EGMR dar. Bei ihnen handelt es sich um Urteile, die ein der Konventionsverletzung zugrunde liegendes strukturelles oder systembedingtes Problem aufdecken, das zu entsprechenden weiteren Beschwerden Anlass gegeben hat oder zu geben geeignet ist (vgl. Art. 61 Abs. 1 VerfO-EGMR i. d. F. vom 21. 02. 2011). Der Gerichtshof bezeichnet in seinem Piloturteil die Art des von ihm festgestellten strukturellen oder systembedingten Problems sowie die Art der Abhilfemaßnahmen, die der betroffene Konventionsstaat aufgrund des Urteilstenors auf innerstaatlicher Ebene zu treffen hat (vgl. Art. 61 Abs. 3 VerfO-EGMR i. d. F. vom 21. 02. 2011). Damit nähert sich der EGMR einem supranationalen Verfassungsgericht an. Der EGMR macht von dieser Befugnis sehr vorsichtig Gebrauch (ausführlich unten

32 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 13092/87 u. a.), Holy Monasteries v. Greece, Z. 55: „[T]he Court’s task is not to review the relevant legislation in the abstract; it must as far as possible examine the issues raised by the case before it“. 33 Matscher, in: Schilken/Becker-Eberhard/Gerhardt (Hrsg.), FS Gaul, S. 437. 34 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 13. 06. 1979 (Nr. 6833/74), Marckx v. Belgium. 35 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 09. 10. 2007 (Nr. 13229/04), Clionov v. Moldova, Z. 41 f.: „[T]he Supreme Court of Justice was prevented from verifying the applicant’s ability to pay by the express provisions of the law (Article 437 (2) of the Code of Civil Procedure …). Such a blanket prohibition on granting court fee waivers as contained in that Article raises of itself an issue under Article 6 § 1 of the Convention. In view of the above, the Court considers that the applicant was denied access to a tribunal. There has, accordingly, been a violation of Article 6 § 1 of the Convention“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002 (Nr. 48553/99), Sovtransavto Holding v. Ukraine, Z. 77: „The Court considers that judicial systems characterised by the objection (`a_cVbc) procedure and, therefore, by the risk of final judgments being set aside repeatedly, as occurred in the instant case, are, as such, incompatible with the principle of legal certainty that is one of the fundamental aspects of the rule of law for the purposes of Article 6 § 1 of the Convention“.

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Kap. 7, S. 291 ff.). Seine primäre Aufgabe ist es zu entscheiden, ob im konkreten Fall des bestimmten Beschwerdeführers die EMRK verletzt worden ist oder nicht. Der EGMR ist keine Superrevisionsinstanz, d. h. er ist nicht dafür zuständig, Urteile innerstaatlicher Gerichte auf Fehler in tatbestandlicher oder rechtlicher Hinsicht zu überprüfen.36 Seine Aufgabe ist es nicht, die strikte Einhaltung des innerstaatlichen Rechts zu überwachen, es sei denn, deren Nichtachtung hätte eine Verletzung der EMRK zur Folge.37 Die Konventionsstaaten haben einen großen Beurteilungsspielraum (margin of appreciation) bei der Sicherstellung der Garantien der EMRK.38 Der EGMR überprüft also ihre Entscheidungen nur darauf, ob sie mit der Konvention vereinbar sind, und nicht darauf, ob sie die beste Lösung gefunden haben. Der Beurteilungsspielraum der Konventionsstaaten ist jedoch dadurch eingeschränkt, dass Fehler in tatbestandlicher oder rechtlicher Hinsicht eine Verletzung der EMRK darstellen können,39 außerdem übt der EGMR eine Willkürkontrolle aus.40 Bei der Beurteilung, ob einzelne Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK im innerstaatlichen Gerichtsverfahren eingehalten worden sind, nimmt der EGMR eine Gesamtbewertung einschließlich der Rechtsmittelinstanz vor.41 Daraus folgt, dass Verfahrensmängel in unterer Instanz durch ein vollständig EMRK-konformes Verfahren in höherer Instanz grundsätzlich geheilt werden können, vor allem wenn sie in vollem Umfang prüft sowie gegebenenfalls das Verfahren neu aufgerollt wird.42 Eine

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EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998 (Nr. 28090/95), Pérez de Rada Cavanilles v. Spain, Z. 43. EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 42527/98), Prince Hans-Adam II of Liechtenstein v. Germany, Z. 50. 38 Vgl. EGMR, Urt. vom 09. 10. 1997 (Nr. 25052/94), Andronicou and Constantinou v. Cyprus, Z. 199; Urt. vom 04. 07. 2006 (Nr. 24706/02), Rylski v. Poland, Z. 82. Ausführlich zur Doktrin: Rupp-Swienty, Die Doktrin von der margin of appreciation in der Rechtsprechung des EGMR (1999), die zum Schluss kommt, dass bei Art. 6 EMRK die Doktrin eine geringe Rolle spielt, wofür der zumeist sehr eindeutiger Wortlaut ursächlich sei. Nur bei der Gestaltung des Zugangs zum Gericht haben Konventionsstaaten einen breiten Spielraum (S. 61). Vgl. auch Arai-Takahashi, The Margin of Appreciation Doctrine and the Principle of Proportionality in the Jurisprudence of the ECHR, S. 33 ff. 39 Vgl. bspw. EGMR, Urt. vom 23. 06. 1994 (Nr. 16997/90), De Moor v. Belgium, Z. 55. 40 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 11. 01. 2005 (Nr. 58580/00), Blücher c. République tchèque, Z. 56. 41 Vgl. EGMR, Urt. vom 27. 10. 1993 (Nr. 14448/88), Dombo Beheer B.V. v. the Netherlands, Z. 31; Ent. vom 02. 02. 2006 (Nr. 5398/03), Rippe v. Germany: „Having regard to the entirety of the proceedings before the German Courts (…)“. 42 Ausführlich dazu Matscher, in: Funk u. a. (Hrsg.), FS Adamovich, S. 405 ff.; MeyerLadewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 88, 98, 173. Die Rechtsprechung des EGMR zur Heilung von Verletzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK ist jedoch nicht einheitlich. Manchmal forderte der EGMR, dass bereits das Gericht erster Instanz den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 genügen muss, vgl. z. B. EGMR, Urt. vom 26. 10. 1984 (Nr. 9186/80), De Cubber v. Belgium, Z. 32; Urt. vom 25. 02. 1997 (Nr. 22107/93), Findlay v. the United Kingdom, Z. 79. Dagegen etwa EGMR, Urt. vom 26. 08. 1997 (Nr. 22839/93), De Haan v. the Netherlands, Z. 52: „(…) no violation of 37

§ 3 Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

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in der Unterinstanz bereits eingetretene überlange Verfahrensdauer kann durch ein zügiges Rechtsmittelverfahren naturgemäß zwar nicht beseitigt, wohl aber kompensiert werden, weil für die Beurteilung der Angemessenheit die Gesamtdauer des Verfahrens in allen Instanzen maßgeblich ist (dazu unten Kap. 5, S. 202). Umgekehrt kann allerdings ein konventionskonformes unterinstanzliches Verfahren nicht genügen, wenn in höherer Instanz Verstöße gegen die EMRK begangen werden. Der Gerichtshof legt dieselben Maßstäbe an, einerlei, gegen welchen Vertragsstaat sich die Beschwerde richtet, ob es sich um eine seit langem etablierte westliche Demokratie oder um einen neuen Mitgliedstaat aus Mittel- oder Osteuropa handelt. Der Gerichtshof ist aber bereit, besondere Umstände und die Geschichte eines beklagten Staates in Betracht zu ziehen, die sich aus Besonderheiten des Überganges von einer Diktatur in eine Demokratie ergeben können.43 Besonderheiten des Überganges in eine Demokratie und eine damit verbundene Wirtschaftskrise haben Russland allerdings nicht geholfen, Verurteilungen des EGMR zu vermeiden,44 weil sich der Übergang bereits vor mehreren Jahren vollzogen hat.

§ 3 Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK Beim Grundrechtsverzicht handelt es sich darum, ob der Einzelne über seine Grundrechtspositionen dergestalt verfügen kann, dass kraft seiner Zustimmung hoheitliche Maßnahmen oder Unterlassungen zulässig werden, die sonst unzulässig wären.45 Ein wirksamer Verzicht auf in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltene Garantien schließt die völkerrechtliche Haftung des Konventionsstaates aus.46 Daher muss hier untersucht werden, inwieweit der Verzicht zulässig ist. Es gibt nur relativ wenige Urteile des EGMR zu dieser Frage. Der EGMR geht davon aus, dass die Natur gewisser von der Konvention gewährleisteter Rechte einen Verzicht auf deren Ausübung ausschließt, z. B. beim Recht auf Leben47 (Art. 2 Abs. 1) und auf Freiheit48 Article 6 § 1 could be found if the decision of the Appeals Tribunal was subject to subsequent control by a judicial body that had full jurisdiction and did provide the guarantees of Article 6“. 43 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 10. 07. 1984 (Nr. 8990/80), Guincho v. Portugal, Z. 38. 44 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 49, 55. 45 Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 31. 46 In Konventionsstaaten besteht keine Einigkeit hinsichtlich der Verzichtbarkeit von prozessualen Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK. In Deutschland ist etwa die Zulässigkeit des Verzichts auf Zugang zum Gericht anerkannt, vgl. BVerfG, Beschl. vom 17. 03. 1959 (1 BvL 5/ 57), BVerfGE 9, 199 ff.; BGH, Urt. vom 11. 12. 1980 (III ZR 38/79), BGHZ 79, 131 ff. Das russische Recht verbietet dagegen einen Verzicht auf Zugang zum Gericht (Art. 3 Abs. 1 ZPO RF). 47 EGMR, Urt. vom 29. 04. 2002 (Nr. 2346/02), Pretty v. the United Kingdom, Z. 40: „Aus Art. 2 EMRK [Recht auf Leben] kann kein Recht abgeleitet werden, mit Hilfe einer dritten Person oder einer Behörde zu sterben“, dt. Übersetzung zit. nach NJW 2002, 2852. 48 EGMR, Urt. vom 18. 06. 1971 (Nr. 2832/66 u. a.), De Wilde, Ooms, and Versyp v. Belgium, Z. 65: „Detention might violate Article 5 [Recht auf Freiheit] even although the person

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

(Art. 5 Abs. 1). Der EGMR hat angedeutet, dass es auch unverzichtbare Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK gebe.49 Es ist noch nicht vollständig geklärt, welche Garantien dazu gehören. In der Literatur ist diese Frage umstritten.50 Die Konventionsorgane haben ausdrücklich anerkannt, dass das Recht auf Zugang zum Gericht,51 das Recht auf Zugang zum Rechtsmittelgericht,52 das Recht auf öffentliche Verhandlung,53 das Recht auf kontradiktorisches Verfahren54 sowie das Recht auf Teilnahme am Gerichtsverfahren55 verzichtbar sind. Der Rechtsprechung der Konventionsorgane kann außerdem entnommen werden, dass unter Umständen

concerned might have agreed to it“; vgl. auch EGMR, Urt. vom 16. 06. 2005 (Nr. 61603/00), Storck v. Germany, Z. 74: „A person can only be considered to have been deprived of his liberty if, as an additional subjective element, he has not validly consented to the confinement in question“; Z. 126: „The mere fact that the applicant may initially have given herself up to be taken into detention, however, does not deprive her of the protection of Article 5 § 1 for the entire period of her stay in the clinic“. 49 EGMR, Ent. vom 23. 02. 1999 (Nr. 31737/96), Suovaniemi and Others v. Finland: „Waiver may be permissible with regard to certain rights but not with regard to certain others. A distinction may have to be made even between different rights guaranteed by Art. 6“. 50 Matscher, in: Funk u. a. (Hrsg.), FS Adamovich, S. 410, hält etwa Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK für verzichtbar. Reiner, ZfRV 2003, 60 f., vertritt dagegen die Auffassung, dass auf faires Verfahren, angemessene Verfahrensdauer, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts nicht verzichtet werden kann. Villiger, Handbuch der EMRK, § 22 Rn. 412, hält etwa einen Verzicht auf die Garantien der Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Gerichts für möglich. Vgl. auch Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 121: „Ebenso wie auf verfassungsrechtliche Verfahrensgarantien kann auch auf Konventionsrechte nur eingeschränkt verzichtet werden“. 51 EKMR, Ent. vom 05. 03. 1962 (Nr. 1197/61), X. v. Germany, Yearbook of the ECHR 1962, S. 94 ff.; Ent. vom 13. 07. 1990 (Nr. 11960/86), Axelsson and Others v. Sweden; Ent. vom 08. 01. 1993 (Nr. 15718/89), I.H. v. Austria; EGMR, Urt. vom 27. 02. 1980 (Nr. 6903/75), Deweer v. Belgium, Z. 49. 52 EKMR, Ent. vom 02. 10. 1989 (Nr. 12725/87), W.M. v. Germany: „Not only his defence counsel but also the applicant himself declared that they waived the right to appeal. The applicant thus was not taken by surprise (…). In conclusion (…) the applicant has had a fair trial in conformity with the requirements of Article 6 of the Convention“. Matscher, in: Habscheid/ Schwab (Hrsg.), FS Nagel, S. 230, vertritt die Auffassung, dass der Rechtsmittelverzicht von der EMRK schon deshalb nicht erfasst werde, weil Art. 6 Abs. 1 grundsätzlich keinen mehrstufig organisierten gerichtlichen Rechtsschutz verlangt und somit auch keinen Anspruch auf Rechtsmittel gewährt. Jedoch wird die Einhaltung der Garantien des Art. 6 Abs. 1 auch im Rechtsmittelverfahren überprüft, wenn Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht vorgesehen sind (dazu Kap. 6, S. 212). Folglich soll auch die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts überprüft werden, was die in der Fußnote zitierte Entscheidung der EKMR belegt. 53 EGMR, Urt. vom 10. 02. 1983 (Nr. 7299/75 u. a.), Albert and Le Compte v. Belgium, Z. 35; Urt. vom 21. 02. 1990 (Nr. 11855/85), Håkansson and Sturesson v. Sweden, Z. 66. 54 EKMR, Ent. vom 02. 10. 1989 (Nr. 12725/87), W.M. v. Germany: „The Commission is satisfied that the present applicant had accepted the agreement negotiated by his official defence counsel and thereby waived a contradictory procedure, the hearing and questioning of witnesses, and the assertion of his defence in a different manner“. 55 EGMR (GK), Urt. vom 01. 03. 2006 (Nr. 56581/00), Sejdovic v. Italy, Z. 86 ff.

§ 3 Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

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auch auf das Recht auf Entscheidung in angemessener Frist56 und sogar auf das Recht auf den unabhängigen und unparteiischen Richter57 wirksam verzichtet werden kann. Der EGMR begründet die Verzichtbarkeit prozessualer Garantien damit, dass weder Wortlaut noch Geist des Art. 6 Abs. 1 EMRK dagegen sprechen, auf die Wahrnehmung bestimmter Rechte, die dieser Artikel zuerkennt, zu verzichten,58 sowie damit, dass dies dem Betroffenen ebenso wie der Rechtspflege unbestreitbare Vorteile bringen kann.59 Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Verzichts auf EMRK-Rechte ist stets die Freiwilligkeit.60 Die Drohung gegen den Betroffenen ein Rechtsmittel einzulegen, lässt grundsätzlich die Freiwilligkeit des Verzichts unberührt.61 Auch das Kostenrisiko des innerstaatlichen Verfahrens, das zu einem Vergleich und somit zum Verzicht auf Zugang zu Gericht führte, beeinträchtigt die Freiwilligkeit noch nicht.62 Als freiwillig wurde auch der Verzicht auf Zugang zum Gericht gewertet, wenn die Annahme der Schiedsklausel für den Abschluss eines Arbeitsvertrages unumgänglich war.63 Nicht frei von Zwang hielt der EGMR dagegen z. B. den in der Bußgeldzahlung enthaltenen Verzicht auf Zugang zum Gericht, weil es sonst zu einer sofortigen Geschäftsschließung durch die zuständige Behörde gekommen wäre.64

56 EKMR, Ent. vom 05. 12. 1984 (Nr. 8695/79), Inze v. Austria; Ent. vom 04. 03. 1987 (Nr. 10881/84), R. v. Switzerland. 57 EGMR, Ent. vom 23. 02. 1999 (Nr. 31737/96), Suovaniemi and Others v. Finland: „Without having to decide whether a similar waiver would be valid in the context of purely judicial proceedings the Court comes to the conclusion that in the circumstances of the present case concerning arbitral proceedings the applicants’ waiver of their right to an impartial judge should be regarded as effective for Convention purposes“. Vgl. auch EKMR, Bericht vom 08. 09. 1994 (Nr. 17358/90), M.B. v. Austria, Z. 35: „The present case is thus not one in which waiver of the Convention right at issue is not permissible“ (Es ging hier um den Vorwurf der Befangenheit eines Richters). Vgl. aber EGMR, Urt. vom 18. 05. 2010 (Nr. 64962/01), Ozerov v. Russia, Z. 57: „[T]he Court considers that waiver of rights guaranteed by Article 6 cannot depend on the parties alone where the right in issue is of essential importance, such as the fundamental right to an independent and impartial tribunal in view of the public interest involved (…)” (in Bezug auf Strafverfahren). 58 EGMR, Urt. vom 10. 02. 1983 (Nr. 7299/75 u. a.), Albert and Le Compte v. Belgium, Z. 35. 59 EGMR, Urt. vom 27. 02. 1980 (Nr. 6903/75), Deweer v. Belgium, Z. 49. 60 Ebenda, Z. 54. 61 EKMR, Ent. vom 02. 10. 1989 (Nr. 12725/87), W.M. v. Germany: „Nor can it be regarded as a measure of inadmissible constraint that the prosecution declared that they would no longer feel bound by the agreement if the applicant appealed, and that in this case they would also have to consider filing an appeal“. 62 EKMR, Ent. vom 09. 09. 1998 (Nr. 28918/95), Stevens and Knight v. the United Kingdom. 63 EKMR, Ent. vom 05. 03. 1962 (Nr. 1197/61), X. v. Germany, Yearbook of the ECHR 1962, S. 94 ff. 64 EGMR, Urt. vom 27. 02. 1980 (Nr. 6903/75), Deweer v. Belgium, Z. 51 ff.

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Ein Verzicht muss eindeutig65 sein und darf wichtigen öffentlichen Interessen nicht widersprechen.66 Der Erklärende muss sich über die Tragweite seines Handelns bewusst sein und ohne Beeinträchtigung seines Rechts auf anwaltliche Beratung handeln.67 Der Verzicht kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. Wenn z. B. nach innerstaatlichem Recht eine mündliche Verhandlung nur auf Antrag stattfindet, nimmt der EGMR einen gültigen Verzicht an, wenn der Antrag nicht gestellt wird.68 Bei stillschweigendem Verzicht muss sich der Betroffene jedoch im Klaren sein, worauf er verzichtet.69 Die Frage, ob die Vereinbarung eines Schiedsgerichts einen vollkommenen Verzicht auf prozessuale Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK bedingt, ist von den Konventionsorganen noch nicht abschließend geklärt. Während die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) im Jahre 1996 erklärte, dass „[I]t cannot be required under the Convention that national courts must ensure that arbitral proceedings have been in conformity with Art. 6 of the Convention. In some respects – in particular as regards publicity – it is clear that arbitral proceedings are often not even intended to be in conformity with Art. 6, and the arbitration agreement entails a renunciation of the full application of that Article. The Commission therefore considers that an arbitral award does not necessarily have to be quashed because the parties have not enjoyed all the guarantees of Article 6, but each Contracting State may in principle decide itself on which grounds an arbitral award should be quashed“.70

Die Entscheidungen der EKMR aus dem Jahre 1991 gehen in die Richtung, dass Konventionsstaaten verpflichtet sind, ein Kontrollsystem, das die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards in schiedsgerichtlichen Verfahren garantiert, zu errichten: „The Commission (…) observes that the applicant company had voluntarily entered into an arbitration agreement and thereby renounced its right to have its civil rights determined in court proceedings for the conduct of which the State is responsible under the Convention (…). This does not mean, however, that the respondent State’s responsibility is completely excluded (…) as the arbitration award had to be recognised by the German courts and be given executory effect by them. The courts thereby exercised a certain control and guarantee as to the fairness and correctness of the arbitration proceedings which they considered to 65 EGMR, Urt. vom 28. 08. 1991 (Nr. 12151/86), F.C.B. v. Italy, Z. 33; Urt. vom 23. 05. 1991 (Nr. 11662/85), Oberschlick v. Austria, Z. 51. 66 EGMR, Urt. vom 21. 02. 1990 (Nr. 11855/85), Håkansson and Sturesson v. Sweden, Z. 66. 67 EGMR, Urt. vom 25. 02. 1992 (Nr. 10802/84), Pfeifer and Plankl v. Austria, Z. 38 f. 68 EGMR, Urt. vom 21. 02. 1990 (Nr. 11855/85), Håkansson and Sturesson v. Sweden, Z. 67 f.; Urt. vom 24. 06. 1993 (Nr. 14518/89), Schuler-Zgraggen v. Switzerland, Z. 58; Urt. vom 21. 09. 1993 (Nr. 12235/86), Zumtobel v. Austria, Z. 33 ff.; Urt. vom 01. 07. 1997 (Nr. 23196/94), Rolf Gustafson v. Sweden, Z. 47. 69 EGMR (GK), Urt. vom 01. 03. 2006 (Nr. 56581/00), Sejdovic v. Italy, Z. 87. 70 EKMR, Ent. vom 27. 11. 1996 (Nr. 28101/95), Nordström-Janzon and Nordström-Lehtinen v. the Netherlands.

§ 3 Verzicht auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

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have been carried out in conformity with fundamental rights and in particular with the right of the applicant company to be heard“.71

Klar ist, dass Konventionsstaaten einen breiten Beurteilungsspielraum besitzen, Gründe für die Aufhebung von Schiedssprüchen im nationalen Recht festzulegen.72 Einer näheren Untersuchung bedarf die Frage, inwieweit ein Vergleich im innerstaatlichen Verfahren einen Verzicht auf die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK bedeuten kann. Vorab sei angemerkt, dass ein Vergleich auf das Nichterschöpfen des innerstaatlichen Rechtsweges im Sinne des Art. 35 Abs. 1 EMRK hinauslaufen kann.73 Wenn der Rechtsweg erschöpft worden ist, muss man zwischen privaten Vergleichen unterscheiden und solchen, die mit dem Staat als Partei des innerstaatlichen Verfahren abgeschlossen worden sind. In einem Vergleich mit dem Staat könnte man eine Pauschalentschädigung für alle Unannehmlichkeiten des Verfahrens und gleichzeitig einen Verzicht auf die Verfahrensgarantien sehen. Die Konventionsorgane haben mehrfach entschieden, dass dem Beschwerdeführer in solchen Fällen die Opfereigenschaft fehle.74 Diese Auffassung kann nur überzeugen,

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EKMR, Ent. vom 02. 12. 1991 (Nr. 18805/91), Firma Heinz Schiebler KG v. Germany; Ent. vom 02. 12. 1991 (Nr. 18479/91), Jakob Boss Söhne KG v. Germany. 72 EGMR, Ent. vom 23. 02. 1999 (Nr. 31737/96), Suovaniemi and Others v. Finland: „The Court considers that the Contracting States enjoy considerable discretion in regulating the question on which grounds an arbitral award should be quashed“. Die Frage, ob die Parteien auf Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK verzichten, wenn sie eine Schiedsvereinbarung treffen, ist in der Literatur umstritten, vgl. etwa Bangert, Die Bindung privater Schiedsgerichte an Art. 6 Abs. 1 EMRK, in: Breitenmoser u. a. (Hrsg.), FS Wildhaber, S. 41 ff. m.w.N. Vgl. auch BGH, Urt. vom 03. 07. 1975 (III ZR 78/73), BGHZ 65, 59 ff.: „Ein Verstoß gegen das auch für Schiedsgerichte geltende Gebot unabhängiger und unparteilicher Rechtspflege rechtfertigt die Aufhebung des Schiedsspruchs (…). [D]ie für die staatlichen Gerichte selbstverständlichen und unverzichtbaren Verfahrensgrundsätze [sind] im schiedsrichterlichen Verfahren nicht ausnahmslos und ohne Unterschied anzuwenden (S. 63). (…) Denn Schiedsgerichtsverfahren dient nur dem Schutz der Parteien, nicht auch – wie in der staatlichen Gerichtsbarkeit – dem öffentlichen Interesse (S. 64). Die Regel, dass (…) dem in voller Kenntnis seiner Tragweite gebildeten Parteiwillen der weitestmöglichen Raum zu geben ist, findet ihre Grenze in dem auch für Schiedsgerichte geltenden Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf“ (S. 65). In Russland ist dagegen die Vollstreckbarerklärung eines (in- wie ausländischen) Schiedsspruchs zu verweigern, soweit er gegen tragende Gründsätze der russischen Rechtsordnung verstößt, vgl. etwa Art. 46 Abs. 2 Nr. 2 des Bundesgesetzes RF vom 24. 07. 2002 (Nr. 102-E8) „Über die Schiedsgerichte in der RF“ (SZ RF 2002, Nr. 30, Pos. 3019). Art. 6 Abs. 1 EMRK gehört eindeutig zu solchen Grundsätzen, folglich müssen seine Garantien für russische Schiedsgerichte im vollen Maße gelten. 73 EGMR, Ent. vom 28. 06. 2001 (Nr. 47402/99), Zawadzka v. Poland: „The applicant complains about the courts’ alleged failure to examine her claims. The Court observes that the applicant reached a friendly settlement in respect of a part of her claims and withdrew her appeal against the judgment (…) in respect of the remainder. Therefore, domestic remedies have not been exhausted (…)“. 74 Vgl. EKMR, Bericht vom 13. 12. 1978 (Nr. 6504/74), Preikhzas v. Germany, Z. 81 ff. (sowie Europarat, MK, Resolution DH(79)8 vom 19. 10. 1979 zu diesem Fall); EKMR, Ent. vom 10. 07. 1981 (Nr. 8865/80), Verband deutscher Flugleiter e.V. v. Germany. Vgl. aber

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Kap. 4: Geltungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK

wenn die Parteien die Entschädigung für Verfahrensmängel in der Tat gemeint haben. Der Vergleich zwischen Privatpersonen ist dagegen weniger geeignet, als Verzicht auf Verfahrensgarantien gewertet zu werden. Seiner Natur nach erstreckt er sich nicht auf verfahrensrechtliche Mängel, die dem Staat zuzurechnen sind.75 Bei einem Vergleich zwischen der Regierung und dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem EGMR (vgl. Art. 62 Abs. 3 VerfO-EGMR) handelt es sich naturgemäß um einen Verzicht auf die Geltendmachung der Grundrechte der EMRK.

EGMR, Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 3790/05), OOO PTK „Merkuriy“ v. Russia, Z. 20 ff., sowie die abweichenden Sondervoten der EGMR-Richter Vajic´ und Steiner zum Urteil. 75 EGMR, Ent. vom 24. 06. 2003 (Nr. 47402/99), Dojs v. Poland: „The Court observes that, as the Government themselves noted, the length of the proceedings was not taken into account in the terms of the settlement between the applicant and her former husband. It follows that, despite that settlement, the applicant can still claim to be the victim of a violation of the right to a trial within a reasonable time“. Vgl. aber EKMR, Ent. vom 05. 12. 1984 (Nr. 8695/79), Inze v. Austria: „The applicant has (…) complained that his civil rights and obligations have not been determined within reasonable time as required by Art. 6 § 1 of the Convention. (…) [T]he Commission considers that the above complaints have lost their object by the settlement concluded by the applicant with his half brother since this settlement made it unnecessary for the court to determine the applicant’s civil rights by a judicial decision. The Commission therefore is not required to deal with these complaints“.

Kapitel 5

Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK § 1 Anforderungen an das Gericht I. Anforderungen der EMRK Gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK müssen alle Verfahren in dessen Anwendungsbereich von einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht entschieden werden. Alle diese Voraussetzungen dienen der formellen Sicherung des konventionsmäßigen Richters. Deswegen gelten sie für alle Gerichte, auch für Gerichte mit Laienrichtern.1 Da der EGMR noch nicht zu allen Aspekten des konventionsmäßigen Richters Stellung nehmen konnte, sind hier auch andere Dokumente des Europarates von Interesse.2 1. Begriff des „Gerichts“ Die eben genannten Garantien gelten in Bezug auf ein Gericht. Deswegen ist von Bedeutung, was unter einem „Gericht“ im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist.3 Nach der Rechtsprechung des EGMR handelt es sich beim „Gericht“ nicht notwendigerweise um ein klassisches, ordentliches Gericht, sondern um einen justizförmigen, unabhängigen und unparteiischen Spruchkörper, der über Streitigkeiten auf Grundlage des Rechts und in einem gesetzlich vorgesehenen Verfahren mit rechtsstaatlichen Garantien entscheidet.4 Deswegen sind auch Sondergerichte und 1 Vgl. EGMR, Urt. vom 04. 03. 2003 (Nr. 63486/00), Posokhov v. Russia, Z. 39; EGMR (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 119. 2 Vgl. Europarat, MK, Empfehlung CM/Rec(2010)12 vom 17. 11. 2010 „On judges: independence, efficiency and responsibilities“; Europäische Charta zum Status der Richter vom 10. 07. 1998; Beirat der Europ. Richter (CCJE), Stellungnahme 1(2001) vom 23. 11. 2001 „Über die Vorschriften betreffend die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit von Richtern“, sowie andere Stellungnahmen des Beirats unter . 3 Ausführlich zum Gerichtsbegriff i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK Matscher, in: Prütting (Hrsg.), FS Baumgärtel, S. 363 ff.; Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 27 ff. 4 EGMR, Urt. vom 29. 04. 1988 (Nr. 10328/83), Belilos v. Switzerland, Z. 64; Ent. vom 06. 04. 2004 (Nr. 67950/01), Rozsa v. Austria: „According to the Court’s case-law, a ,tribunal‘ is characterised in the substantive sense of the term by its judicial function, that is to say determining matters within its competence on the basis of rules of law and after proceedings conducted in a prescribed manner“.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

die so genannten Schiedsgerichte mit Zwangszuständigkeit Gerichte im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Im Fall Morris betonte der EGMR, er werde solche Gerichte tolerieren, „as long as sufficient safeguards are in place to guarantee their independence and impartiality“.5 Ein weiteres Merkmal des Gerichts ist seine Kompetenz, eine endgültige Lösung des Falles herbeizuführen.6 Deswegen ist ein Organ, das lediglich einen Entscheidungsvorschlag abgibt (auch wenn seine Stellungnahmen in der Regel befolgt werden), kein Gericht i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK.7 Schließlich muss das Gericht über umfassende Prüfungskompetenz in Rechts- und Tatsachenfragen verfügen (zumindest in einer Instanz).8 2. „Auf Gesetz beruhend“ Das Gericht i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK muss auf Gesetz beruhen, wobei dieses Gesetz hinreichend bestimmt sein muss.9 Die Garantie des gesetzlichen Richters ist auf die Abwehr sachwidriger Eingriffe in die Rechtsprechung von außen gerichtet.10 Der EGMR betont, dass die Gerichtsverfassung in einer demokratischen Gesellschaft nicht vom Ermessen der Exekutive abhängen darf, sondern durch auf parlamentarischem Wege beschlossene Gesetze geregelt wird.11 Wenigstens in ihren Grundzügen muss die Gerichtsverfassung auf einem Parlamentsgesetz (oder der Verfassung) beruhen.12 Per Gesetz sollen nicht nur die Errichtung des Gerichts vorgesehen, sondern auch dessen materielle und territoriale Zuständigkeit festgelegt werden.13 Die Gerichte müssen gesetzlich vorgeschriebene Zuständigkeiten beachten. Der EGMR hat etwa das OWG der Ukraine in einem Fall nicht als ein „auf Gesetz beruhendes Gericht“ 5

EGMR, Urt. vom 26. 02. 2002 (Nr. 38784/97), Morris v. the United Kingdom, Z. 59. EGMR, Urt. vom 19. 04. 1994 (Nr. 16034/90), Van de Hurk v. the Netherlands, Z. 45 ff.; Urt. vom 26. 02. 2002 (Nr. 38784/97), Morris v. the United Kingdom, Z. 73. 7 EGMR, Urt. vom 23. 10. 1985 (Nr. 8848/80), Benthem v. the Netherlands, Z. 40. 8 Vgl. EGMR, Urt. vom 21. 09. 1993 (Nr. 12235/86), Zumtobel v. Austria, Z. 29; Urt. vom 17. 12. 1996 (Nr. 20641/92), Terra Woningen B.V. v. the Netherlands, Z. 52; Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 57785/00), Zlínsat, spol. s r.o. v. Bulgaria, Z. 73. 9 EGMR, Urt. vom 22. 06. 2000 (32492/96 u. a.), Coëme and Others v. Belgium, Z. 98. 10 Eser, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kap. IVArt. 47 Rn. 31. 11 EGMR, Urt. vom 20. 07. 2006 (Nr. 29458/04 u. a.), Sokurenko und Strygun v. Ukraine, Z. 23. 12 EGMR, Urt. vom 23. 06. 1981 (Nr. 6878/75 u. a.), Le Compte, Van Leuven and De Meyere v. Belgium, Z. 56. 13 EKMR, Bericht vom 12. 10. 1978 (Nr. 7360/76), Zand v. Austria, Z. 68: „[T]he Commission observes that the term ,a tribunal established by law‘ in Article 6 (1) envisages the whole organisational set-up of the courts, including (…) the matters coming within the jurisdiction of a certain category of courts, but also the establishment of the individual courts and the determination of their local jurisdiction“; bestätigt durch EGMR, Urt. vom 20. 07. 2006 (Nr. 29458/ 04 u. a.), Sokurenko und Strygun v. Ukraine, Z. 23. 6

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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angesehen, weil es die in der WirtPO der Ukraine eindeutig festgelegten Grenzen seiner Zuständigkeit überschritten hatte.14 Die Mehrheit (vier Richter) hat dabei angeführt, dass sich das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage auch darauf bezieht, dass das Gericht die speziellen, seine Tätigkeit regelnden Bestimmungen einhält (Z. 24).15 Die Minderheit (drei Richter) hat die Auffassung vertreten, dass eine solche detaillierte Prüfung der Einhaltung des innerstaatlichen Rechts dem subsidiären Charakter des EGMR widerspricht (vgl. die Sondervoten der EGMRRichter Lorenzen, Maruste und Jaeger). Die Formulierung „auf Gesetz beruhend“ bezieht sich nicht nur auf die gesetzliche Grundlage für das Bestehen eines Gerichts, sondern auch auf seine Zusammensetzung im Einzelfall: „The ,law‘ referred to in Article 6 § 1, therefore, encompasses not just the legislation concerning the establishment and jurisdiction of the courts, but also any other provisions of domestic law which, if not complied with, would render the participation of one or more judges in the case unlawful. Such provisions relate in particular to the terms of office, disqualification and challenging of judges“.16 Deswegen ist Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt, wenn ein Richter nach Ablauf seiner gesetzlich vorgesehenen Amtszeit zu Gericht sitzt.17 3. Unabhängigkeit des Gerichts Die Hauptkriterien der richterlichen Unabhängigkeit sind, nach der Rechtsprechung des EGMR, die Art und Weise der Ernennung, die Amtsdauer, das Vorhandensein von Schutzgarantien gegen äußere Beeinflussungen und schließlich das Erscheinungsbild des Gerichts als unabhängig.18 a) Richterernennung Solange die Richter ihr Amt in ihrer individuellen Kapazität und frei von Weisungen ausüben, spielt die Art ihrer Ernennung keine große Rolle. Die Ernennung der 14

EGMR, Urt. vom 20. 07. 2006 (Nr. 29458/04 u. a.), Sokurenko und Strygun v. Ukraine, Z. 23 ff. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 22. 06. 2000 (32492/96 u. a.), Coëme and Others v. Belgium, Z. 105 ff. (zum Strafverfahren). 15 Bestätigt durch EGMR, Ent. vom 03. 04. 2007 (Nr. 43788/05), Karuna v. Ukraine: „(…) ,established by law‘, relating not only the legal basis for the very existence of a ,tribunal‘, but also compliance by the tribunal with the particular rules that govern its functioning“. In früherer Rechtsprechung vertrat der EGMR eine etwas andere Auffassung, vgl. Urt. vom 21. 02. 1975 (Nr. 4451/70), Golder v. the United Kingdom, Z. 32: „As regards the phrase ,independent and impartial tribunal established by law‘, it conjures up the idea of organisation rather than that of functioning, of institutions rather than of procedure“. 16 EGMR, Ent. vom 20. 01. 2005 (Nr. 30598/02), Accardi and Others v. Italy, Z. 2. 17 EGMR, Urt. vom 04. 03. 2003 (Nr. 63486/00), Posokhov v. Russia, Z. 43 f.; Urt. vom 11. 07. 2006 (Nr. 36455/02), Gurov v. Moldova, Z. 37 ff. 18 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 78; Urt. vom 25. 02. 1997 (Nr. 22107/93), Findlay v. the United Kingdom, Z. 73.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Richter durch die Exekutive19 oder durch Volkswahl20 sind mit der EMRK vereinbar. Bedenken können sich allerdings ergeben, wenn die Mitglieder eines Gerichts von Interessengruppen bestellt oder vorgeschlagen werden und das Gericht über die Interessen eben jener Gruppen bzw. ihrer Angehörigen zu entscheiden hat.21 „To be a violation of Article 6, the applicant would need to show that the practice of appointment as a whole was unsatisfactory or that the establishment of the particular tribunal deciding a case was influenced by motives suggesting an attempt to influence its outcome“.22 In diesen Fällen stellt sich auch die Frage ihrer Unbefangenheit (dazu unten Kap. 5, S. 142 ff.). b) Amtsdauer, Unabsetzbarkeit Die gerichtliche Amtsdauer soll die Unabhängigkeit des Richters gewährleisten. Der EGMR hat jedoch eine ziemlich kurze Amtsdauer (3 Jahre) als ausreichend angesehen23 und in einem Fall mit der Unentgeltlichkeit der Tätigkeit begründet: „It might well prove difficult to find individuals willing and suitable to undertake the onerous and important tasks involved if the periode were longer“.24 Angesichts dessen, dass diese Rechtsprechung schon älter ist und der UNO-Menschenrechtsausschuss eine Amtsdauer der Richter von 6 Jahren25 für ungenügend hält, sind Änderungen in der Rechtsprechung des EGMR in diesem Bereich zu erwarten.26 Während der Amtsperiode müssen Richter grundsätzlich unabsetzbar sein.27 Die faktische Unabsetzbarkeit von Richtern genügt für die Annahme ihrer Unabhän-

19 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 79. 20 EGMR, Urt. vom 22. 10. 1984 (Nr. 8790/79), Sramek v. Austria, Z. 39. 21 EGMR, Urt. vom 22. 06. 1989 (Nr. 11179/84), Langborger v. Sweden, Z. 35; Urt. vom 03. 02. 2005 (Nr. 58141/00), Thaler v. Austria, Z. 35 ff. Vgl. aber EGMR, Urt. vom 26. 10. 2004 (Nr. 41579/98), AB Kurt Kellermann v. Sweden, Z. 60 ff. 22 EKMR, Bericht vom 12. 10. 1978 (Nr. 7360/76), Zand v. Austria, Z. 77. 23 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 80; Urt. vom 22. 10. 1984 (Nr. 8790/79), Sramek v. Austria, Z. 26, 38. 24 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 80. 25 UN Menschenrechtskomitee, Concluding observations: Armenia vom 19. 11. 1998 (CCPR/C/79/Add.100), Z. 8: „The Committee notes that the independence of the judiciary is not fully guaranteed. In particular, it observes that the election of judges by popular vote for a fixed maximum term of six years does not ensure their independence and impartiality“. 26 Davon spricht etwa der EGMR-Richter Garlicki, ;_^bcYcdgY_^^_V `aQS_: S_bc_h^_VSa_`VZb[_V _R_XaV^YV 2004, Nr. 1, S. 123. 27 EGMR, Urt. vom 22. 11. 1995 (Nr. 19178/91), Bryan v. the United Kingdom, Z. 38. Vgl. auch UN Menschenrechtskomitee, Concluding observations: Algeria vom 18. 08. 1998 (CCPR/ C/Add.95), Z. 14: „It is also concerned at the fact that judges enjoy immovability only after 10 years of work“.

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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gigkeit, wenn sie allgemein anerkannt ist und die anderen gebotenen Garantien gewahrt sind.28 c) Schutzgarantien gegen äußere Beeinflussungen Durch Schutzgarantien gegen äußere Beeinflussungen soll sichergestellt werden, dass ein Richter seine Entscheidung allein nach Recht und Gewissen treffen kann. Äußere Beeinflussungen von anderen Staatsgewalten, Parteien29 und auch anderen Richtern30 sind zu vermeiden. Die Richter dürfen weder in ihrer Handlungsweise Weisungen erhalten noch müssen sie sich gegenüber übergeordneten Stellen rechtfertigen.31 Der Staat muss der Judikative genügend Finanzmittel zur Verfügung stellen, um äußere Beeinflussungen auszuschließen.32 Das Recht auf ein unabhängiges Gericht ist vor allem dann verletzt, wenn Staatsorgane in ein privatrechtliches Verfahren eingreifen und dadurch dessen Ausgang möglicherweise beeinflussen.33 Dagegen wird die Unabhängigkeit der Gerichte nicht beeinträchtigt, wenn diese weiterhin als unabhängige Entscheidungsträger erscheinen.34 Unabhängig ist das Gericht nur, wenn es nicht an die Entscheidungen der Exekutive gebunden ist. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Auslegung des Rechts (z. B. Fragen der Auslegung des Völkerrechts,35 der Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages36) als auch in Bezug auf Entscheidungen in Tatsachenfragen.37 Bindungen an Entscheidungen innerhalb der Judikative beinträchtigen dagegen die 28

EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 80. 29 EGMR, Urt. vom 24. 11. 1994 (Nr. 15287/89), Beaumartin v. France, Z. 38. 30 EGMR, Urt. vom 06. 09. 2005 (Nr. 65518/01), Salov v. Ukraine, Z. 86. 31 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 79. 32 EGMR, Urt. vom 06. 09. 2005 (Nr. 65518/01), Salov v. Ukraine, Z. 86. 33 EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002 (Nr. 48553/99), Sovtransavto Holding v. Ukraine, Z. 18, 22, 80 (In diesem Fall ging es u. a. um Briefe des ukrainischen Präsidenten an einen Richter in Bezug auf eine anhängige Streitigkeit mit russisch-ukrainischer Beteiligung mit der Aufforderung, „Die Interessen ukrainischer Staatsbürger gebührend zu schützen“). 34 EGMR, Urt. vom 22. 10. 2002 (Nr. 29769/96), Curutiu c. Roumanie, Z . 44 f. (In diesem Fall ging es u. a. um die Anweisung des Staatspräsidenten an Behörden, ein Gerichtsurteil vorerst nicht auszuführen). 35 EGMR, Urt. vom 24. 11. 1994 (Nr. 15287/89), Beaumartin v. France, Z. 38 f. 36 EGMR, Urt. vom 13. 02. 2003, Chevrol v. France (Nr. 29769/96), Z. 46 ff. 37 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1990 (Nr. 11761/85), Obermeier v. Austria, Z. 70; Urt. vom 17. 12. 1996 (Nr. 20641/92), Terra Woningen B.V. v. the Netherlands, Z. 53 ff.; Urt. vom 28. 04. 2005 (Nr. 43578/98), I.D. v. Bulgaria, Z. 46 ff. In all diesen Fällen hat der EGMR jedoch die Bindung der Gerichte an behördliche Entscheidungen unter das Recht auf Zugang zum Gericht mit umfassender Prüfungskompetenz subsumiert.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

richterliche Unabhängigkeit nicht.38 Der EGMR entschied sogar, dass ein nationales Gericht nicht gegen die EMRK verstoße, wenn es die Entscheidung eines höheren Gerichtes für bindend hält, obwohl diese rechtswidrig sei.39 d) Erscheinungsbild des Gerichts als unabhängig Das Gericht muss bereits den äußeren Anschein der Unabhängigkeit wahren. Hier kommt der Gedanke zum Ausdruck: „Justice must not only be done, it must also be seen to be done“.40 Der EGMR konnte z. B. einen Spruchkörper, welcher mit Verwaltungstätigkeiten unter der Aufsicht der Regierung betraut war und die Ernennung dessen Vorsitzenden von der Exekutive kontrolliert wurde, nicht als unabhängig bezeichnen, obwohl der Spruchkörper selbständig handelte und entschied.41 4. Unparteilichkeit Die Unabhängigkeit eines Gerichts ist eine der Grundvoraussetzungen für seine Unparteilichkeit. Die erste ist ein Mittel, die zweite das Ziel. Sie sind eng miteinander verbunden und werden vom EGMR oft zusammen geprüft.42 Jeder befangene Richter muss sich ablehnen.43 Wird der Vorwurf der Parteilichkeit erhoben, so sind die nationalen Gerichte dazu verpflichtet zu überprüfen, ob diese Vorwürfe tatsächlich begründet sind, es sei denn, die entsprechende Behauptung entbehrt offensichtlich jeder tatsächlichen Grundlage.44 Der EGMR unterscheidet zwischen subjektiver und objektiver Unparteilichkeit, es gibt allerdings keine eindeutige Trennung zwischen den beiden Gesichtspunkten.45 Dabei berücksichtigt er Vorschriften des staatlichen Rechts, wenn sie deutlich machen, dass bei Verstoß gegen sie Zweifel an der Unparteilichkeit berechtigt sein können.46 Gleichzeitig hat der EGMR klargestellt, dass er bei der Unparteilichkeit des innerstaatlichen Gerichts die relevante Rechtslage und 38

EKMR, Ent. vom 11. 07. 1979 (Nr. 7984/77), Pretto v. Italy, Z. 1 lit. c; EGMR, Urt. vom 23. 05. 1991 (Nr. 11662/85), Oberschlick v. Austria, Z. 48 ff.; Urt. vom 22. 10. 2002 (Nr. 29769/ 96), Curutiu c. Roumanie, Z. 44 f. 39 EGMR, Urt. vom 23. 05. 1991 (Nr. 11662/85), Oberschlick v. Austria, Z. 46 f. 40 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 81. 41 EGMR, Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 47227/99), Baková v. Slovakia, Z. 32. 42 Vgl. EGMR, Urt. vom 22. 06. 1989 (Nr. 11179/84), Langborger v. Sweden, Z. 32; Urt. vom 06. 09. 2005 (Nr. 65518/01), Salov v. Ukraine, Z. 82. 43 EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998 (Nr. 28194/95), Castillo Algar v. Spain, Z. 45; Urt. vom 10. 04. 2003 (Nr. 39731/98), Pétur Thór Sigurðsson v. Iceland, Z. 37. 44 EGMR, Urt. vom 23. 04. 1996 (Nr. 16839/90), Remli v. France, Z. 48; vgl. auch Urt. vom 30. 11. 1987 (Nr. 8950/80), H. v. Belgium, Z. 53: „[The applicant] had cause to fear that there was some risk of being dealt with arbitrarily, especially as there was no provision allowing him a right of challenge [the tribunal members]“. 45 EGMR (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 119. 46 EGMR, Urt. vom 15. 07. 2005 (Nr. 71615/01), Mezˇnaric´ v. Croatia, Z. 27.

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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Praxis nicht abstrakt zu prüfen habe, sondern entscheiden müsse, ob deren Anwendung im konkreten Einzelfall eine Verletzung der Konvention darstelle.47 Als subjektives Kriterium dienen die persönliche Überzeugung des Richters und seine Interessen in einem bestimmten Fall.48 Die subjektive Unparteilichkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.49 Diese Vermutung wird widerlegt, wenn sich z. B. der Richter feindselig oder böswillig verhalten hat oder wenn er sich aus persönlichen Gründen darum bemüht hat, dass ihm der Fall zugewiesen wird.50 Allein, dass in einem ähnlich gelagerten Fall anders entschieden wurde51 oder das Gericht einen Fehler bei der Anwendung des Rechts oder der Sachverhaltsermittlung gemacht hat und seine Entscheidung aufgehoben wurde, reicht nicht aus, um eine Parteilichkeit des Gerichts festzustellen.52 Die Unparteilichkeit soll im Gesamtkontext des Verfahrens bewertet werden und umfasst die subjektive Einstellung des Richters, seine Erklärungen sowie sein Verhalten gegenüber den Parteien,53 wobei auch das Verhalten des Richters außerhalb des Gerichtssaales von Bedeutung sein kann. Der EGMR hat z. B. ein Familiengericht nicht mehr als unbefangen angesehen, weil dessen Präsident nach einer Provokation durch den Beschwerdeführer eine öffentliche Erklärung über ein für den Beschwerdeführer ungünstiges Urteil abgegeben hatte.54 Dabei hat der EGMR ausgeführt, dass Organe der Rechtsprechung der Verschwiegenheit unterliegen.55 Die Definition der Unparteilichkeit als innerer Zustand des Richters, seine Einstellung gegenüber Beteiligten des Verfahrens, macht deutlich, dass eine wirklich bestehende Parteilichkeit des Richters in der Regel schwer nachweisbar ist. Deswegen überprüft der EGMR, ob, völlig ungeachtet des persönlichen Verhaltens des 47 EGMR, Urt. vom 25. 06. 1992 (Nr. 13778/88), Thorgeir Thorgeirson v. Iceland, Z. 48; Urt. vom 24. 02. 1993 (Nr. 14396/88), Fey v. Austria, Z. 27. 48 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989 (Nr. 10486/83), Hauschildt v. Denmark, Z. 46; (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 118: „[S]ubjective approach, that is endeavouring to ascertain the personal conviction or interest of a given judge in a particular case“. 49 EGMR, Urt. vom 01. 10. 1982 (Nr. 8692/79), Piersack v. Belgium, Z. 30; Urt. vom 24. 05. 1989 (Nr. 10486/83), Hauschildt v. Denmark, Z. 47. 50 EGMR (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 119. 51 EGMR, Ent. vom 22. 10. 1998 (Nr. 31779/96), Swoboda v. Austria. 52 EGMR, Ent. vom 04. 03. 2003 (Nr. 37235/97), Sofri and Others v. Italy, Z. 2 lit. a. 53 EKMR, Ent. vom 21. 03. 1975 (Nr. 5574/72), X. v. the United Kingdom; EGMR (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 129 ff.; EGMR, Urt. vom 10. 08. 2006 (Nr. 75737/01), Schwarzenberger v. Germany, Z. 38. 54 EGMR, Urt. vom 16. 09. 1999 (Nr. 29569/95), Buscemi v. Italy, Z. 68 f.; vgl. auch EGMR, Urt. vom 28. 11. 2002 (Nr. 58442/00), Lavents c. Lettonie, Z. 119. 55 EGMR, Urt. vom 16. 09. 1999 (Nr. 29569/95), Buscemi v. Italy, Z. 67: „[T]he judicial authorities are required to exercise maximum discretion with regard to the cases with which they deal in order to preserve their image as impartial judges. That discretion should dissuade them from making use of the press, even when provoked. It is the higher demands of justice and the elevated nature of judicial office which impose that duty“.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Richters, nachweisbare Tatsachen vorliegen, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit objektiv begründen.56 Der Nachweis, dass der Richter tatsächlich befangen war, muss nicht geführt werden. Die Rechtsprechung des EGMR zeigt zwei mögliche Situationen, in denen sich die Frage fehlender richterlicher Unparteilichkeit stellt.57 Probleme ergeben sich insbesondere, wenn ein Richter mit einer Sache mehrfach, wenn auch in unterschiedlichen Funktionen, befasst ist (erste Situation). Dass ein Richter bereits Entscheidungen im Vorverfahren gefällt hat, ist für sich genommen nicht ausschlaggebend, es wird auf die Reichweite und den Charakter der Entscheidungen im Vorverfahren abgestellt: „It is true that the mere fact that a judge had already taken pre-trial decisions cannot by itself be regarded as justifying concerns about his or her impartiality. What matters is the scope and nature of the measures taken by the judge before the trial. Likewise, the fact that the judge has detailed knowledge of the case file does not entail any prejudice on his part that would prevent his being regarded as impartial when the decision on the merits is taken. Nor does a preliminary analysis of the available information mean that the final analysis has been prejudged. What is important is for that analysis to be carried out when judgment is delivered and to be based on the evidence produced and argument heard at the hearing (see, among other authorities, mutatis mutandis, the Hauschildt v. Denmark judgment of 24 May 1989, Series A no. 154, p. 22, § 50; the Nortier v. the Netherlands judgment of 24 August 1993, Series A no. 267, p. 15, § 33; the Saraiva de Carvalho v. Portugal judgment of 22 April 1994, Series A no. 286-B, p. 38, § 35)“.58

Die Unparteilichkeit eines Gerichts ist z. B.59 dann nicht mehr gegeben, wenn ein Richter im Rechtsmittelgericht über die Beanstandung einer Entscheidung zu urteilen hat, an deren Erlass er selbst beteiligt gewesen war.60 Auch wenn es sich um einen technisch getrennten Streitgegenstand handelt, der aber denselben Sachverhalt betrifft, muss der Richter sich ablehnen.61 Dasselbe gilt, wenn das Gericht zur Bewertung von Beweisen aufgerufen ist, welche vorher von einem seiner Richter in Form eines Sachverständigengutachtens erstellt wurden.62 Eine Fallkonstellation, in der Richter und Kläger zusammenfallen, ist konventionswidrig.63 56 EGMR, Urt. vom 24. 05. 1989 (Nr. 10486/83), Hauschildt v. Denmark, Z. 48; EGMR (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 118. 57 EGMR (GK), Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 73797/01), Kyprianou v. Cyprus, Z. 121. 58 EGMR, Urt. vom 15. 11. 2001 (Nr. 26760/95), Werner v. Poland, Z. 43. 59 Übersicht der Rechtsprechung des EGMR bei Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 78 ff. m.w.N. 60 EGMR, Urt. vom 23. 05. 1991 (Nr. 11662/85), Oberschlick v. Austria, Z. 50 f.; Urt. vom 26. 08. 1997 (Nr. 22839/93), De Haan v. the Netherlands, Z. 51 ff. 61 EGMR, Urt. vom 01. 02. 2005 (Nr. 46845/99), Indra v. Slovakia, Z. 51 ff. (Hier ging es um die Beteiligung des Richters am Verfahren einer Rehabilitation, der vorher über die Entlassung des Beschwerdeführers entschieden hatte). 62 EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2001 (Nr. 27154/95), D.N. v. Switzerland, Z. 53; Urt. vom 08. 02. 2007 (Nr. 75617/01), Sˇvarc and Kavnik v. Slovenia, Z. 44.

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Folgende Umstände z. B. geben nach der Rechtsprechung des EGMR keinen hinreichenden Anlass, an der Unparteilichkeit zu zweifeln: die Zurückweisung der Sache nach Aufhebung eines Urteils an dieselben Richter des erstinstanzlichen Gerichts.64 Ein Richter, der erst an der Entscheidung über die Ablehnung eines Richters der ersten Instanz und dann an der Entscheidung des Rechtsmittelsgerichts teilgenommen hat, ist nicht schon aufgrund dieser Tatsache befangen.65 Auch nach der Wiederaufnahme des Verfahrens dürfen dieselben Personen erneut urteilen, wenn sie in keiner Weise an die frühere Entscheidung gebunden sind und den Fall unter voller Beweisaufnahme neu bewerten.66 Dagegen beanstandete der EGMR eine Entscheidung von Richtern über die Ablehnung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens, in dem geltend gemacht wurde, dass ihre vorige Entscheidung auf einer falschen Rechtsauslegung beruhe, weil die Richter über eigene Fehler urteilen sollten.67 Entscheidend ist also, ob die zweite Entscheidung als eine in „demselben Fall“ betrachtet werden kann (dieselbe Tragweite hatte). Dies kann gegeben sein, wenn eine direkte Beteiligung der Richter bei der Verabschiedung einer Rechtsvorschrift vorliegt, deren Rechtsmäßigkeit sie zu überprüfen haben,68 oder später über Gründe entscheiden sollen, die eine Abweichung von dieser Vorschrift erlauben könnten.69 In diesen Fällen ging es um die Gutachten der Obergerichte, die zu Gesetzesentwürfen abgegeben wurden. Es liegt jedoch kein Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit vor, wenn sich das Gutachten auf einen anderen als den zu entscheidenden Teilaspekt bezieht.70 Die bloße Eigenschaft eines der Richter als Parlamentsabge63 EGMR, Urt. vom 09. 11. 2004 (Nr. 41984/98), Svetlana Naumenko v. Ukraine, Z. 97: „The Court notes that the protest of the Deputy President of the Odessa Regional Court was lodged with the Presidium of that same court. The Deputy President of the Odessa Regional Court examined the protest that he lodged with the Presidium, of which he was a member and Deputy President, along with his colleagues sitting in the Presidium. The Court is of the opinion that this practice is incompatible with the ,subjective impartiality‘ of a judge hearing a particular case, since no one can be both plaintiff and judge in his own case“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. 11. 2001 (Nr. 26760/95), Werner v. Poland, Z. 44. 64 EGMR, Urt. vom 16. 07. 1971 (Nr. 2614/65), Ringeisen v. Austria, Z. 97; Urt. vom 26. 09. 1995 (Nr. 18160/91), Diennet v. France, Z. 37 f. 65 EGMR, Ent. vom 05. 04. 2001 (Nr. 48799/99), Priebke c. l’Italie. 66 EGMR, Urt. vom 10. 06. 1996 (Nr. 17602/91), Thomann v. Switzerland, Z. 35 ff. 67 EGMR, Urt. vom 29. 07. 2004 (Nr. 77562/01), San Leonard Band Club v. Malta, Z. 61 ff. Den Antrag auf die Wiederaufnahme des Verfahrens nach maltesischem Recht hat der EGMR als eine Art Kassationsbeschwerde eingestuft. 68 EGMR, Urt. vom 28. 09. 1995 (Nr. 14570/89), Procola v. Luxembourg, Z. 44 f. 69 EGMR, Urt. vom 08. 02. 2000 (Nr. 28488/95), McGonnell v. the United Kingdom, Z. 55: „[T]he Court considers that any direct involvement in the passage of legislation, or of executive rules, is likely to be sufficient to cast doubt on the judicial impartiality of a person subsequently called on to determine a dispute over whether reasons exist to permit a variation from the wording of the legislation or rules at issue“. 70 EGMR (GK), Urt. vom 06. 05. 2003 (Nr. 39343/98 u. a.), Kleyn and Others v. the Netherlands, Z. 200 ff.

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ordneter begründet erst recht keine berechtigten Zweifel an der Befangenheit des Gerichts.71 Die zweite Situation, die die Unparteilichkeit gefährdet, ist gegeben, wenn zwischen einem Richter und einer Prozesspartei oder den am Prozessausgang interessierten Kreisen besondere Beziehungen, Bindungen oder auch Gegensätzlichkeiten bestehen. Gegensätzlichkeiten, die eine Beteiligung des Richters an der Verhandlung der Sache ausschließen, hat der EGMR etwa angenommen, wenn der Richter zum Kreis der Verletzten gehört72 oder wenn er vorher eine Partei in demselben73 oder einem anderen Verfahren vertreten hat.74 Enge familiäre Beziehungen zwischen dem Anwalt der gegnerischen Partei und dem vorsitzenden Richter (etwa ein Onkel-Neffen-Verhältnis) reichen aus, um Zweifel an dessen Unparteilichkeit objektiv zu rechtfertigen.75 Zu besonderen Bindungen gehören berufliche und finanzielle Verbindungen der Richter zu einer Partei, wenn z. B. ein Professor in einem Prozess gegen die eigene Universität zu Gericht sitzt.76 Auch Geschäftsbeziehungen zu einer Partei können Zweifel rechtfertigen, z. B. wenn eine der Parteien das Gerichtgebäude kostenlos renoviert hat77 oder der Richter seinen Ehepartner, der als ein Sicherungsgeber gegenüber einer Bank haftet, durch gemeinsames Eigentum sichert und in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang über diese Bank urteilen muss.78 Die Tatsache allein, dass der Richter bei einer der Parteien beschäftigt war, wenn diese Beschäftigung über fünf Jahre zurück liegt, rechtfertigt keine Zweifel an seiner Unparteilichkeit.79 Auch besondere Bindungen mit am Prozessausgang interessierten Kreisen können Zweifel an der objektiven Unparteilichkeit begründen. Das Gericht kann z. B. nicht als unparteiisch gelten, wenn einem ärztlichen Standesgericht Ärzte angehören, die Mitglieder einer Notarztgemeinschaft sind, welche in Konkurrenz zu der Notarztgemeinschaft steht, der die disziplinarisch verfolgten Ärzte angehören.80 Eine persönliche Verbindung des Richters zu einem der Zeugen begründet nicht den notwendigen Verdacht, dass er im Hinblick auf dessen Aussage voreingenommen ist. Entscheidend ist, wie weit die Verbindung reicht.81 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81

EGMR, Urt. vom 22. 06. 2004 (Nr. 47221/99), Pabla Ky v. Finland, Z. 34 f. EGMR, Urt. vom 27. 08. 1991 (Nr. 13057/87), Demicoli v. Malta, Z. 41. EGMR, Urt. vom 15. 07. 2005 (Nr. 71615/01), Mezˇnaric´ v. Croatia, Z. 34 ff. EGMR, Urt. vom 21. 12. 2000 (Nr. 33958/96), Wettstein v. Switzerland, Z. 45 ff. EGMR (GK), Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 17056/06), Micallef v. Malta, Z. 102 ff. EGMR, Urt. vom 17. 06. 2003 (Nr. 62435/00), Pescador Valero v. Spain, Z. 27 ff. EGMR, Urt. vom 09. 11. 2006 (Nr. 33949/02), Belukha v. Ukraine, Z. 54 f. EGMR, Urt. vom 10. 04. 2003 (Nr. 39731/98), Pétur Thór Sigurðsson v. Iceland, Z. 45 f. EGMR, Ent. vom 11. 12. 2001 (Nr. 37372/97), Walston v. Norway, Z. 1. EGMR, Urt. vom 20. 05. 1998 (Nr. 21257/93 u. a.), Gautrin and Others v. France, Z. 57 ff. EGMR, Urt. vom 10. 06. 1996 (Nr. 22399/93), Pullar v. the United Kingdom, Z. 37 ff.

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II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland In Bezug auf Russland hat der EGMR bis Ende 2011 nur drei Urteile erlassen, in denen das Recht auf ein auf Gesetz beruhendes Gericht bei der Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen als verletzt angesehen wurde. In diesen Fällen waren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts bei der Zusammensetzung des Gerichts verletzt worden (Teilnahme an der Gerichtsverhandlung von Laienrichtern außerhalb der dafür gesetzlich vorgesehenen Fristen).82 2011 hat der EGMR zudem in drei Urteilen gegen Russland Verletzungen des Rechts auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht in Zivilsachen festgestellt. Alle Fälle betrafen die zentrale Stellung der Gerichtsvorsitzenden (Gerichtspräsidenten) im russischen Gerichtssystem. Zwei Urteilen lag ein ähnlicher Sachverhalt zu Grunde: Nach einem Rechtstreit mit dem Rentenfonds RF, der zu Gunsten der Beschwerdeführer ausging und vom Vorsitzenden eines Rayongerichts entschieden wurde, verfasste der Vorsitzende des Berufungsgerichts (Gericht des Moskauer Gebiets) einen Brief, in dem die zum Rechtsstreit ergangenen und schon in Rechtskraft erwachsenen Urteile für rechtwidrig erklärt wurden. Der Brief enthielt zudem eine Aufforderung, die Fehlurteile aufgrund einer neu bekannt gewordenen Tatsache (nachfolgende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung) auf Antrag des Rentenfonds aufzuheben. Der Vorsitzende des Rayongerichts hat der Aufforderung Folge geleistet, die Urteile aufgehoben und die Fälle zu Gunsten des Antragstellers entschieden. Der EGMR berücksichtigte, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts nach dem geltenden Recht befugt war, ein Disziplinarverfahren gegen den Vorsitzenden des Rayongerichts einzuleiten, das auch zu seiner Amtserhebung führen konnte. Zudem waren rechtswidrige Gerichtsentscheidungen in der Praxis als ein Disziplinarvergehen von Richtern anerkannt, das auch mit der Amtserhebung strafbar war. Unter diesen Unständen nahm der EGMR zu Recht an, dass Zweifel der Beschwerdeführer an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Vorsitzenden des Rayongerichts objektiv gerechtfertigt seien.83 Das letzte Urteil des EGMR erging zu folgender Fallkonstellation: Der Vorsitzende des Berufungsgerichts (Gericht des Archangelsker Gebiets) reichte bei dem Rechtsanwaltskollegium des Gebiets eine Beschwerde gegen einen Rechtsanwalt (Beschwerdeführer) ein, in der sein Verhalten in einem Strafverfahren scharf kritisiert wurde. Gegen den Rechtsanwalt wurde vom Kollegium ein Berufsverbot ver82 EGMR, Urt. vom 13. 04. 2006 (Nr. 73225/01), Fedotova v. Russia, Z. 38 ff.; Urt. vom 14. 12. 2006 (Nr. 5433/02), Shabanov and Tren v. Russia, Z. 28 ff.; Urt. vom 29. 04. 2008 (Nr. 26716/03), Barashkova v. Russia, Z. 30 ff. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 04. 03. 2003 (Nr. 63486/00), Posokhov v. Russia, Z. 43 f.; Urt. vom 09. 07. 2009 (Nr. 6945/04), Ilatovskiy v. Russia (beide zu Strafverfahren). 83 EGMR, Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 33186/08), Khrykin v. Russia, Z. 23 ff.; Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 33188/08), Baturlova v. Russia, Z. 23 ff.

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hängt, gegen welches dieser Beschwerde einlegte, die dem Gericht des Archangelsker Gebiets in der zweiten Instanz vorgelegt wurde. Der Beschwerdeführer lehnte die Besetzung des Gerichts als befangen ab und beantragte, seinen Fall an ein anderes Gericht zu verweisen. Der zuständige Spruchkörper lehnte den Antrag als unbegründet ab, prüfte den Fall und bestätigte die Entscheidung des Rechtsanwaltskollegiums. Die Spruchkörperbesetzung war, wie vom geltenden Recht vorgeschrieben, vom Vorsitzenden des Gerichts bestimmt worden, der auch das Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet hatte. Der EGMR stellte fest, dass unter diesen Umständen eine Verletzung des Unparteilichkeitsgebots vorliegt.84 Es seien hier auch zwei Urteile des EGMR gegen Russland erwähnt, die zwar zum Unabhängigkeits- und Unparteilichkeitsgebot im Strafverfahren ergingen, aber auch für den Zivilprozess von Bedeutung sind. In diesen Urteilen kritisierte der EGMR, dass die Neubesetzungen der Spruchkörper in laufenden Verfahren ohne Angaben von Gründen erfolgt waren. Die Neubesetzung war vom Vorsitzenden des Gerichts jeweils rechtmäßig angeordnet worden, eine Begründung der Entscheidung war auch nicht vorgeschrieben. Obwohl diese Vorgehensweise mit dem geltenden innerstaatlichen Recht vereinbar war, konnte sie sachfremde Erwägungen nicht ausschließen. Deswegen kam der EGMR zu Recht zum Schluss, dass Zweifel der Beschwerdeführer an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der neu besetzten Spruchkörper objektiv gerechtfertigt seien.85 Auch in Bezug auf Zivilsachen ist der jeweilige Gerichtsvorsitzende nach russischem Recht befugt, den Fall von einem Richter an einen anderen zu übergeben, ohne seine Entscheidung begründen zu müssen.86 Die Urteile des EGMR sind deswegen auch für den russischen Zivilprozess relevant. 2. Gesetzliche Grundlage des Gerichts Gemäß Art. 118 Abs. 1 Verf. RF wird die Rechtsprechung in der Russischen Föderation nur durch Gerichte ausgeübt. Nach Art. 118 Abs. 3 Satz 1 Verf. RF 1993 wird das Gerichtssystem der Russischen Föderation durch die Verfassung und ein Bundesverfassungsgesetz festgelegt. Die Errichtung von Ausnahmegerichten ist unzulässig (Art. 118 Abs. 2 Satz 2 Verf. RF). Nach Art. 47 Abs. 1 Verf. RF darf niemandem das Recht auf Verhandlung seiner Sache vor dem Gericht und durch die Richter, die gesetzlich für ihn zuständig sind, entzogen werden. Das Recht auf den gesetzlichen Richter darf sogar unter den Bedingungen eines Ausnahmezustandes nicht eingeschränkt werden (Art. 56 Abs. 3 Verf. RF). Wie oben dargestellt (Kap. 2, § 1), regeln formelle Gesetze sowohl die Gerichtsorganisation in der Russischen Föderation als auch die Gerichtsbarkeit. Auch 84

EGMR, Urt. vom 03. 02. 2011 (Nr. 8921/05), Igor Kabanov v. Russia, Z. 30 ff. EGMR, Urt. vom 09. 10. 2008 (Nr. 62936/00), Moiseyev v. Russia, Z. 167 ff.; Urt. vom 03. 05. 2011 (Nr. 30024/02), Sutyagin v. Russia, Z. 178 ff. 86 Vgl. Art. 157 Abs. 2 ZPO RF, Art. 6.2 Abs. 1 Z. 3 RichterG RF 1992. 85

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die Zusammensetzung der Gerichte ist in formellen Gesetzen festgelegt, vgl. Artt. 125 ff. Verf. RF; Artt. 18 ff. GVG RF 1996; Art. 6 FriedensrichterG usw.87 Trotzdem hat der EGMR in einigen Urteilen das Recht auf den gesetzlichen Richter in Bezug auf die Zusammensetzung des Gerichts als verletzt angesehen. In diesen Fällen ging es darum, dass die Besetzung des Gerichts mit Laienrichtern nicht gesetzeskonform erfolgte. Diese Situation war in den Jahren 2000 – 2002 sehr verbreitet und kam wie folgt zustande:88 In der Sowjetunion waren Laienrichter (Volksbeisitzer) Teil des Gerichtssystems. Jedes Gericht erster Instanz bestand aus einem Berufsrichter und zwei Volksbeisitzern.89 Volksbeisitzer wurden durch Arbeitskollektive und Räte der Volksdeputierten für zweieinhalb bzw. fünf Jahre gewählt.90 Später wurden ihre Befugnisse vom Präsidenten RF „bis zum Erlass eines entsprechenden Bundesgesetzes über die Auswahl von Volksbeisitzern“ mehrmals verlängert.91 Dieses Gesetz (über die Laienrichter der Bundesgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit)92 vom 02. 01. 2000 (Nr. 37-E8) ist am 06. 01. 2000 in Kraft getreten. Das Gesetz enthielt keine Vorschriften bezüglich „alter“ Laienrichter. Daraus könnte man schließen, dass diese ihre Befugnisse ipso iure verloren haben. Gemäß Art. 2 des LaienrichterG müssen Laienrichter für fünf Jahre von Gemeinden aus den Wählerlisten ausgewählt und vom Parlament des jeweiligen Subjekts der Russischen Föderation bestätigt werden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 müssen die Laienrichter für ein konkretes Verfahren von einer Gesamtliste vom Vorsitzenden des jeweiligen Gerichts ausgelost werden. Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes dürfen sie nicht länger als 14 Tage im Jahr tätig sein, es sei denn, dass die Dauer eines Verfahrens diese Dauer übersteigt. Am 25. 01. 2000 verordnete der Präsident RF, dass die alten Laienrichter im Amt bleiben sollten, bis zur Wahl neuer Richter nach dem LaienrichterG 2000 (Erlass Nr. 103).93 Dies dauerte in einigen Subjekten der RF bis zu zwei Jahre. In dieser Fallkonstellation besteht ein formelles Gesetz, das ein Auswahlverfahren und Tätigkeitsbegrenzungen von Laienrichtern vorsieht, sowie ein untergesetzlicher Akt, der Erlass des Präsidenten, auf 87 Deswegen kommen Experten des Europarates zu dem Schluss, dass alle Gerichte in der Russischen Föderation auf Gesetz beruhen, vgl. Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 70. 88 Ausführlich dazu 5V]V^VSQ (Hrsg.), ;Q[ „BdcpW^Y[“ b`QbQ\ A_bbYo _c `_aQWV^Yp S 6Sa_`VZb[_] bdUV `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, Y\Y 5 iQT_S [ XQ[_^^_]d `aQS_bdUYo (2004). 89 Vgl. Art. 8 Satz 2 Grundlagen der Gesetzgebung über die Gerichtsverfassung der UdSSR, verabschiedet durch Gesetz vom 25. 12. 1958, Vedomosti VS SSSR 1958, Nr. 1, Pos. 12. 90 Vgl. Art. 22 Abs. 2, Art. 29 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 GVG RSFSR 1981 a.F. 91 Präsident RF, Erlass vom 22. 03. 1995 (Nr. 299), SZ RF 1995, Nr. 13, Pos. 1124 (in Bezug auf Rayongerichte); Erlass vom 23. 01. 1997 (Nr. 41), SZ RF 1997, Nr. 4, Pos. 525 (in Bezug auf Gerichte der Föderationssubjekte), Erlass vom 12. 12. 1998 (Nr. 1564), SZ RF 1998, Nr. 50, Pos. 6129 (in Bezug auf das OG RF). 92 SZ RF 2000, Nr. 1, Pos. 1. 93 SZ RF 2000, Nr. 5, Pos. 473.

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Grund dessen Laienrichter zu Gericht saßen, ohne die Voraussetzungen des LaienrichterG 2000 erfüllt zu haben. Unter diesen Umständen hat der EGMR zu Recht eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter festgestellt. Die meisten Entscheidungen, die in Russland im Jahre 2000 ergingen, beruhen auf derselben rechtlichen Grundlage und können folglich nicht als solche eines auf Gesetz beruhenden Gerichts angesehen werden. Die Wiederaufnahme all dieser Verfahren hätte das russische Gerichtssystem völlig lahm gelegt. Als Antwort auf diese Herausforderung fiel dem Gesetzgeber nichts Besseres ein, als das Institut der Laienrichter im Zivilprozess völlig abzuschaffen.94 Dadurch wurde möglicherweise gegen Art. 55 Abs. 2 Verf. RF verstoßen, wonach in der Russischen Föderation keine Gesetze erlassen werden dürfen, die die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers aufheben oder schmälern. Immerhin wurde das Recht der Bürger darauf, sich an der Ausübung der Rechtsprechung zu beteiligen (Art. 32 Abs. 5 Verf. RF), zumindest in Zivilsachen aufgehoben.95 Das VerfG RF hat aber diese Entscheidung des Gesetzgebers nicht beanstandet.96 In Bezug auf das Gebot des gesetzlichen Richters wird in der Literatur bemängelt, dass es in Russland keine Geschäftsverteilungspläne gibt, nach denen die eingehenden Sachen unter den Richtern verteilt werden, dies erledigt der Vorsitzende des entsprechenden Gerichts.97 Mit dem Gesetz vom 14. 06. 2011 (Nr. 140-E8)98 wurde die ZPO RF mit einer Vorschrift ergänzt, wonach die Verteilung der Fälle an die einzelnen Richter in der Weise erfolgen soll, die Einfluss der am Ausgang des Verfahrens interessierten Personen ausschließt (vgl. Art. 14 Abs. 3 ZPO RF). Dabei ist die Möglichkeit der Verwendung von einem EDV-System ausdrücklich vorgesehen. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Vorschrift umgesetzt werden wird. In anderen Bereichen sind keine Probleme in Bezug auf die Umsetzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter sichtbar. Hier sind zwei Entscheidungen des VerfG RF zu erwähnen, in denen, unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, folgende Bestimmungen der ZPO RSRSR 1964 (a.F.) für verfassungswidrig erklärt wurden, weil sie mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter unvereinbar seien: Art. 123 (vgl. Urteil vom 16. 03. 1998, Nr. 9-@)99 und Art. 122 Abs. 2 Satz 1 (vgl. 94 Vgl. Art. 2 des Einführungsgesetzes für die ZPO RF vom 14. 11. 2002 (Nr. 137-E8), SZ RF 2002, Nr. 46, Pos. 4531. Hier ist auch insoweit keine Logik des Gesetzgebers sichtbar, als durch das Bundesgesetz vom 30. 05. 2001 (Nr. 70-E8), SZ RF 2001, Nr. 23, Pos. 2288, Beisitzer der Wirtschaftsgerichte erst eingeführt wurden. 95 Wenn, wie anzunehmen ist, die Entscheidung des Gesetzgebers durch anhängige Verfahren in Straßburg beeinflusst wurde, ist dies ein Beispiel dafür, dass der Einfluss der EMRK nicht immer zur Ausweitung der Menschenrechte führt. 96 VerfG RF, Ent. vom 18. 06. 2004 (Nr. 258-O). 97 Morsˇcˇakova (Richterin am VerfG RF a.D.), Osteuropa-Recht 2007, 6, hält diese Verfahrensweise für einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters. 98 SZ RF 2011, Nr. 25, Pos. 3533. 99 SZ RF 1998, Nr. 12, Pos. 1459; dt. Übersetzung in: Kutter/Schröder, Die Rechtsprechung des russischen Verfassungsgerichts 1995 – 1999 (2000), S. 196 ff.

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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Beschluss vom 04. 06. 1998, Nr. 89-O)100. Gemäß Art. 123 ZPO RSFSR (a.F.) durften Rechtsstreitigkeiten in besonderen Fällen vom Vorsitzenden eines höheren Gerichts zum Zwecke einer schnelleren und rechtmäßigen Verfahrensdurchführung sowie zur bestmöglichen Gewährleistung der erzieherischen Rolle des Gerichtsverfahrens bis zum Verhandlungsbeginn vom zuständigen Gericht an ein anderes abgegeben werden. Art. 122 Abs. 2 Satz 1 ZPO RSFSR (a.F.) sah die Befugnis des zuständigen Gerichts vor, die Streitigkeit an ein anderes Gericht, an dessen Sitz die meisten Beweise vorhanden waren, abzugeben. Die Abgabe erfolgte in beiden Fällen ohne Zustimmung der Parteien und das Gesetz schrieb keine Begründung für eine solche Entscheidung vor. Dem VerfG RF ist zuzustimmen, dass diese Normen aus der Sowjetzeit zu unbestimmt sind und eine willkürliche Auslegung und Anwendung durch die zuständigen Organe zulassen. Die Entscheidungen des VerfG RF hat der Gesetzgeber berücksichtigt, indem in Art. 33 Abs. 2 ZPO RF konkrete Voraussetzungen für die Abgabe eines Rechtsstreits an ein anderes Gericht aufgenommen wurden sowie die Beschwerde gegen die Entscheidung über eine solche Abgabe geregelt wurde (Art. 33 Abs. 3). Art. 33 ZPO RF (Verweisung einer zur Verhandlung zugelassenen Sache an ein anderes Gericht) lautet: 1. Eine Sache, die von einem Gericht unter Beachtung der Zuständigkeitsregeln zur Verhandlung zugelassen worden ist, ist von ihm in der Sache zu entscheiden, auch wenn später ein anderes Gericht dafür zuständig wird. 2. Ein Gericht verweist eine Sache zur Verhandlung an ein anderes Gericht, wenn: (1) ein Beklagter, dessen Wohnort oder Aufenthaltsort vorher nicht bekannt war, die Verweisung der Sache an das Gericht seines Wohn- oder Aufenthaltssitzes beantragt; (2) beide Parteien beantragt haben, die Sache an ein anderes Gericht, an dessen Sitz die meisten Beweise vorhanden sind, abzugeben; (3) sich bei der Verhandlung der Sache vor dem betroffenen Gericht herausstellt, dass sie unter Verletzung der Zuständigkeitsvorschriften zur Verhandlung zugelassen worden ist; (4) nach Ablehnung eines oder mehrerer Richter oder aus anderen Gründen ihre Ersetzung oder Verhandlung der Sache am betroffenen Gericht unmöglich geworden ist. Die Verweisung der Sache wird in diesem Fall von einem übergeordneten Gericht angeordnet. 3. Über die Verweisung der Sache an ein anderes Gericht oder bei der Ablehnung des Überweisungsantrages wird ein Gerichtsbeschluss erlassen, gegen den besondere Beschwerde eingelegt werden kann. Die Verweisung einer Sache an ein anderes Gericht erfolgt nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen diesen Beschluss und falls Beschwerde eingelegt wird, nach Ergehen eines Beschlusses über die Zurückweisung der Beschwerde. 4. Eine Sache, die von einem Gericht an ein anderes verwiesen worden ist, ist von dem Gericht zur Verhandlung zuzulassen, an das sie überwiesen worden ist. Streitigkeiten über die Zuständigkeit zwischen Gerichten der RF sind unzulässig.

100

SZ RF 1998, Nr. 30, Pos. 3799; dt. Übersetzung in: Kutter/Schröder, ebenda, S. 204 ff.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Problematisch erscheint in diesem Artikel nur die Vorschrift des Abs. 2 Nr. 4, weil da keine Kriterien genannt sind, von denen sich das übergeordnete Gericht bei der Überweisung der Sache an ein anderes Gericht leiten lassen soll. Als letztes bleiben Artt. 115 f. ZPO RSFSR (a.F.) zu erwähnen, die es erlaubten, dem OG RSFSR und Gerichten der Föderationssubjekte untergeordneten Gerichten jede beliebige Zivilsache zu entziehen und das Verfahren als Gericht erster Instanz an sich zu ziehen. Das OG RF erklärte im Jahre 1995, dass diese Vorschriften nur mit Zustimmung der Parteien angewandt werden dürften, weil sonst das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 47 Abs. 1 Verf. RF) verletzt wäre.101 Später wurde diese Vorschrift vom Gesetzgeber gestrichen.102 3. Richterliche Unabhängigkeit Art. 10 Satz 2 Verf. RF verankert, dass die Organe der Exekutive, Legislative und Judikative selbständig sind. Art. 120 Abs. 1 Verf. RF führt diesen Grundsatz aus. Danach sind Richter unabhängig und nur der Verfassung der Russischen Föderation und den Bundesgesetzen unterworfen. Richter sind unabsetzbar (Art. 121 Abs. 1 Verf. RF). Die Amtsbefugnisse eines Richters können nur aus den Gründen und in den Verfahren aufgehoben oder suspendiert werden, die bundesgesetzlich festgelegt sind (Art. 121 Abs. 2 Verf. RF). Richter genießen Immunität, ein Richter darf nur in dem durch ein Bundesgesetz bestimmten Verfahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden (Art. 122 Verf. RF). Gemäß Art. 124 Verf. RF erfolgt die Finanzierung der Gerichte ausschließlich aus dem Bundeshaushalt und soll eine vollständige und unabhängige Ausübung der Rechtsprechung gewährleisten. Diese Verfassungsbestimmungen werden in zahlreichen Gesetzen konkretisiert (RichterG RF 1992;103 VerfGG RF 1994;104 WirtschaftsGVG 1995;105 GVG RF 1996;106 MilitärGVG 1999;107 FriedensrichterG 1998;108 AllgGerGVG RF 2011;109 ZPO RF und andere Prozessordnungen). Zu erwähnen sind auch folgende Gesetze (jeweils mit weiteren Änderungen): Bundesgesetz RF vom 20. 04. 1995 „Über den staatlichen Schutz der Richter, Beamten der Rechtsschutz- und Kontrollorgane“ 101

OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 31. 10. 1995 (Nr. 8), Z. 8. Vgl. Art. 1 Bundesgesetz RF vom 30. 11. 1995 (Nr. 189-E8), SZ RF 1995, Nr. 49, Pos. 4696; Art. 1 Bundesgesetz RF vom 07. 08. 2000 (Nr. 120-E8), SZ RF 2000, Nr. 33, Pos. 3346. 103 VSND RF i VS RF 1992, Nr. 30, Pos. 1792. 104 SZ RF 1994, Nr. 13, Pos. 1447; dt. Übersetzung in: EuGRZ 1996, 219 ff. 105 SZ RF 1995, Nr. 18, Pos. 1589; dt. Übersetzung in: Wölk, Wirtschaftsgerichtsbarkeit in der Russischen Föderation (1997), S. 111 ff. 106 SZ RF 1997, Nr. 1, Pos. 1; dt. Übersetzung in: JOR 2002, Hbd. 1, S. 361 ff. 107 SZ RF 1999, Nr. 26, Pos. 3170. 108 SZ RF 1998, Nr. 51, Pos. 6270. 109 SZ RF 2011, Nr. 7, Pos. 898. 102

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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(Nr. 45-E8);110 Bundesgesetz RF vom 10. 01. 1996 „Über zusätzliche Garantien des sozialen Schutzes von Richtern und Gerichtsmitarbeitern“ (Nr. 6-E8);111 Bundesgesetz RF vom 21. 07. 1997 „Über die Gerichtsaufseher112 und Gerichtsvollzieher“ (Nr. 118-E8);113 Bundesgesetz RF vom 08. 01. 1998 „Über das Gerichtsdepartement beim Obersten Gericht RF“ (Nr. 6-E8);114 Bundesgesetz RF vom 10. 02. 1999 „Über die Finanzierung der Gerichte“ (Nr. 30-E8);115 Bundesgesetz RF vom 14. 03. 2002 „Über die Organe der Richterschaft“ (Nr. 30-E8).116 Eine ausführliche Darstellung der zahlreichen Garantien richterlicher Unabhängigkeit, die in diesen Gesetzen enthalten sind, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, zudem sind sie schon in der deutschen Literatur zum Teil ausführlich behandelt.117 An dieser Stelle soll genügen, dass Experten des Europarates die rechtlichen Garantien der Unabhängigkeit für ausreichend halten.118 „A lot of power concerning the appointment of judges is concentrated in the hands of very few people, and of political institutions (…). However, while far from ideal, these provisions do not clearly lack conformity with Council of Europe standards, since the suspension of a judge from all his duties can only be ordered by the Judges’ Qualifications Board, i. e. an organ of judicial self-administration“.119 „What is important is the fact that we found no evidence of the executive or the administrative authorities’ interfering with the activities of judges (…) judges now consider themselves as independent, and this was challenged neither by lawyers nor by representatives of non-governmental organisations or any other of our interlocutors“.120 Auf der anderen Seite wird die Kluft zwischen den Rechtsnormen und der Realität oft bemängelt: „Although on paper this immunity is a sufficient safeguard to ensure that

110

SZ RF 1995, Nr. 17, Pos. 1455. SZ RF 1996, Nr. 3, Pos. 144. 112 Gerichtsaufseher sind eine Art Gerichtspolizei, die für einen reibungslosen Ablauf der Gerichtsverfahren, Sicherheit der Richter und den Schutz von Gerichtsgebäuden sorgen, vgl. Artt. 1, 11 des Gesetzes. 113 SZ RF 1997, Nr. 30, Pos. 3590. 114 SZ RF 1998, Nr. 2, Pos. 223. 115 SZ RF 1999, Nr. 7, Pos. 877. 116 SZ RF 2002, Nr. 11, Pos. 1022. 117 Schirinsky, Die Umsetzung der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK in der russischen Rechtsordnung, S. 75 ff. 118 Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 69 f. 119 Europarat, Parl. Versammlung, Stellungnahme (Rapporteur: Bindig) vom 18. 01. 1996 (Doc. 7463) „Russia’s application for membership of the Council of Europe“, Z. 13, HRLJ 1996, S. 219. 120 Europarat, Parl. Versammlung, Bericht AS/Bur/Russia(1994)7 vom 07. 10. 1994 „On the Conformity of the Legal Order of the Russian Federation with Council of Europe Standards (prepared by Bernhardt/Trechsel/Weitzel/Ermacora), Z. V, D, 4, lit. a, HRLJ 1994, S. 284. 111

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judges work in a serene climate, it is not always fully applied“.121 „The courts can now be considered structurally independent from the executive, but the concept that it should in the first place be for the judiciary to protect the individuals has not yet become a reality in Russia“.122 „Bribery, and threats to life and health, are commonplace methods with which the Russian Mafia tries – and apparently often succeeds – to influence the decisions of the courts. The state can hardly keep up, although it tries to afford some measure of protection to its judges (…). A comparatively low status of the profession of judge in the public eye contributes to the general problems of the judiciary“.123 In der Tat genießen russische Richter keinen guten Ruf. Nach Umfragen sind mehr als 60 % der Bevölkerung in Russland der Meinung, dass die Mehrheit der Richter Bestechungen annimmt.124 Offizielle Vertreter der Justiz entgegnen zwar, dass dieser Meinung die Grundlage fehle, weil nur 2 % der Vertreter dieser Aussage angegeben hätten, ihre Meinung beruhe auf ihren persönlichen Erfahrungen oder solchen von ihren Bekannten, während alle anderen ihre Meinung als eine allgemein bekannte Tatsache begründeten.125 Die traditionell niedrige Bewertung des russischen Rechtsstaates in internationalen Rankings,126 trotz positiver Wirtschaftsentwicklung, sowie die Tatsache, dass die Auslandsinvestitionen pro Kopf in Russland deutlich hinter den meisten Transformationsstaaten zurückbleiben,127 sprechen jedoch dafür, dass diese Meinung nicht völlig aus der Luft gegriffen ist.128 Auch der Beitritt zum 121 Europarat, Kommissar für Menschenrechte, Bericht CommDH(2005)2 vom 20. 04. 2005 „On his visits to the Russian Federation, 15 to 30 July 2004, 19 to 29 September 2004“, Z. 46, . 122 Europarat, Parl. Versammlung, Bericht AS/Bur/Russia(1994)7 vom 07. 10. 1994 „On the Conformity of the Legal Order of the Russian Federation with Council of Europe Standards (prepared by Bernhardt/Trechsel/Weitzel/Ermacora), Z. IV, 6, HRLJ 1994, S. 287. 123 Europarat, Parl. Versammlung, Stellungnahme (Rapporteur: Bindig) vom 18. 01. 1996 (Doc. 7463) „Russia’s application for membership of the Council of Europe“, Z. 15 f., HRLJ 1996, S. 219. 124 Russlandanalysen vom 25. 02. 2005 (Nr. 57), S. 9; Russlandanalysen vom 29. 06. 2007 (Nr. 140), S. 10. Es sind allerdings auch positivere Umfragen zu finden, vgl. z. B.: Frye, East European Constitutional Review 2002, Nr. 1/2, S. 125 ff.; Solomon, Demokratizatsiya 2008, S. 70 f. 125 AQUhV^[_ (Richter am OG RF), =^V^YV _ ^YX[_] aVZcY^TV ^QiYf bdU_S ^V S`_\^V b`aQSVU\YS_, . 126 Vgl. etwa Russlandanalysen vom 19. 11. 2010 (Nr. 210), S. 13 ff. 127 Wedde, Russlandanalysen vom 25. 06. 2004 (Nr. 32), S. 7: „Fragt man westliche Unternehmen nach den Hauptgründen für zögerliches Engagement in Russland, so taucht eine Antwort immer wieder auf: Fehlende Rechtssicherheit. In den Medien verbreitete Fälle eines Missbrauchs der Justiz für sachfremde Zwecke haben den russischen Gerichten einen schlechten Ruf eingetragen“. 128 Vgl. auch International Commission of Jurists (ICJ), The State of the Judiciary in Russia, Report of the ICJ research mission on judicial reform to the Russian Federation on 20 – 24 June 2010 (November 2010): .

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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Europarat hat die Lage nicht drastisch geändert, dagegen wird die Beschwerde nach Straßburg häufig als die „einzige Hoffnung“ gesehen, um Recht zu bekommen.129 Die Vergütung der Richter war noch vor wenigen Jahren anerkanntermaßen ungenügend, um ihre Unabhängigkeit vollkommen zu garantieren: „A district judge’s salary is currently between 12.000 and 15.000 roubles [ca. 400 Euro] a month, while an urban/regional judge earns between 23.000 and 25.000 roubles [ca. 620 Euro]. This salary is not in keeping with the responsibilities shouldered by judges, who expressed their concern about the matter to me. It is of prime importance that judges should receive a respectable salary. In addition, this should remedy the problem of corruption that exists within the judiciary – an issue raised by all those to whom I spoke“.130 Auf dem Allrussischen Richterkongress Ende 2004 versprach Präsident RF Wladimir Putin alles zu tun, um die Richterrobe für Juristen attraktiver zu machen.131 Seitdem sind die Richtergehälter drastisch gestiegen. Mittlerweile gehört das Richteramt in Russland zu den bestbezahlten Berufen. Ein russischer Richter bekommt nun zwischen 70.000 Rubel [ca. 1.800 Euro] und 150.000 Rubel [ca. 3.800 Euro] monatlich.132 In einem Erlass des Präsidenten darüber heißt es, die Gehälter würden „mit dem Ziel“ erhöht, „Richtern dafür materielle Garantien zu gewährleisten, dass sie in vollem Umfang und unabhängig auf Gerechtigkeit hinwirken“.133 Im Jahre 2009 hat man Richter verpflichtet, ihr eigenes Einkommen und Vermögen sowie das ihrer Ehepartner und minderjährigen Kinder offen zu legen.134 Zu begrüßen ist auch die Abschaffung der Probezeit von drei Jahren, die föderale Richter absolvieren mussten, bevor sie ihren Posten auf Lebenszeit besetzen konnten (vgl. Bundesgesetz RF vom 17. 07. 2009, Nr. 157-E8).135 Die Probezeit wurde in der Literatur nicht nur wegen der Kürze der Frist kritisiert,136 sondern auch wegen des Umstandes, dass die Ernennung von einer Empfehlung des Richterqualifikationskollegiums abhängig war, die in der Praxis ohne Angabe von Gründen verweigert wurde.137 Dies machte den Richter auf Probe stark von der Richterschaft abhängig, 129

Nußberger/Marenkov, Russlandanalysen vom 29. 06. 2007 (Nr. 140), S. 2. Europarat, Kommissar für Menschenrechte, Bericht CommDH(2005)2 vom 20. 04. 2005 „On his visits to the Russian Federation, 15 to 30 July 2004, 19 to 29 September 2004“, Z. 40. 131 A_bbYZb[Qp obcYgYp 2005, Nr. 1/2, S. 27. Dies kann in direktem Zusammenhang mit dem Russlandbesuch des Kommissars für Menschenrechte des Europarates gesehen werden. 132 A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 24. 11. 2011 (Nr. 264), S. 6. 133 Präsident RF, Erlass vom 31. 01. 2007 (Nr. 113) „Über die Erhöhung der Gehälter der Richter in der RF“, SZ RF 2007, Pos. 728. 134 Art. 8.1 RichterG RF 1992 (i. d. F. des Gesetzes vom 25. 12. 2008), SZ RF 2008, Nr. 52 (Teil I), Pos. 6229, in Kraft seit 09. 01. 2009. 135 SZ RF 2009, Nr. 29, Pos. 3594. 136 4_\dR_[, @aQS_SVUV^YV 2007, Nr. 1, S. 118; 1\V[bVVSQ/=_d\/FQaRY, 6Sa_`VZb[Qp [_^SV^gYp _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U. BcQcmp 6, S. 54 f. 137 =_ajQ[_SQ, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2004, Nr. 4, S. 127; Morsˇcˇakova (Richterin des VerfG RF a.D.), Osteuropa-Recht 2007, 5, hielt diese Befristung für einen Verstoß gegen das Prinzip der Unabsetzbarkeit der Richter. Das VerfG RF hat die Norm 130

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vor allem vom Vorsitzenden seines Gerichts, aufgrund dessen Stellungnahme das Richterqualifikationskollegium die Empfehlung aussprechen konnte.138 Trotz dieser positiven Entwicklungen wird von in- und ausländischen Beobachtern seit dem Jahre 2000 (Amtsantritt des Präsidenten Wladimir Putin) eine Entwicklung beschrieben, die als Gerichtskonterreform (bzw. Gegenreform) bezeichnet wurde.139 Danach werde das eigentliche Ziel der Reform, die Unabhängigkeit der Richter zu gewährleisten, auf unterschiedliche Weise in den Hintergrund gedrängt und zugleich die Verantwortlichkeit der Richter im Sinne kontrollierbarer Tätigkeit entgegen den Ideen von Immunität in der Vordergrund gerückt.140 Zu den wesentlichen Zügen dieser Gegenreform gehören die Einführung der Disziplinarverantwortung der Richter, die Einführung eines Vertreters des Präsidenten RF in jedem Richterqualifikationskollegium, die Stärkung der Stellung der Gerichtsvorsitzenden, die viele Einflussnahmemöglichkeiten auf die Karriere anderer Richter haben (Sie entscheiden etwa über die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen andere Richter, die zur Enthebung des Richteramtes führen können, vgl. Art. 22 Abs. 1 Bundesgesetz RF „Über die Organe der Richterschaft“ 2002).141 Die Gerichtsvorsitzenden werden wiederum vom Präsidenten der RF ernannt.142 Die Amtszeit beträgt sechs Jahre, sie kann anschließend am selben oder einem anderen Gericht für weitere sechs Jahre verlängert werden. In der Literatur wird dieser Mechanismus als geeignet bewertet, die Amtsinhaber zum Vollstrecker des Willens der Exekutive zu machen (obwohl der Präsident RF nicht befugt ist, den Vorsitzenden

nicht beanstandet, weil in einem solchen Fall dem betroffenen Richter der Weg zu Gericht offen stehe, vgl. VerfG RF, Beschl. vom 01. 12. 1999 (Nr. 210-O); Beschl. vom 02. 02. 2006 (Nr. 45O), SZ RF 2006, Nr. 20, Pos. 2211. 138 =_ajQ[_SQ, BaQS^YcV\m^_V [_^bcYcdgY_^^_V _R_XaV^YV 2004, Nr. 4, S. 127. 139 Solomon, Threats of Judicial Counterreform in Putin’s Russia, Demokratizatsiya 2005, S. 325 ff.; Morsˇcˇakova (Richterin des VerfG RF a.D.), Die Gerichtsreform in Russland, Osteuropa-Recht 2007, 4 ff. 140 Ausführlich dazu die oben genannten Quellen. Vgl. auch Europarat, Parl. Versammlung, Resolution 1418(2005) vom 25. 01. 2005 „The circumstances surrounding the arrest and prosecution of leading Yukos executives“, Z. 6: „The Assembly stresses the importance of the independence of the judiciary, and of the independent status of judges in particular, and regrets that legislative reforms introduced in the Russian Federation in December 2001 and March 2002 have not protected judges better from undue influence from the executive and have even made them more vulnerable. Recent studies and highly publicised cases have shown that the courts are still highly susceptible to undue influence. The Assembly is particularly worried about new proposals to increase further the influence of the President’s administration over the judges’ qualification commission“. 141 Die Gefahr der Abhängigkeit der Richter vom Gerichtsvorsitzenden hat das VerfG RF erkannt und im Jahre 2008 entschieden, dass der Gerichtsvorsitzende bei der Entscheidung des Richterqualifikationskollegiums über die Enthebung des Richteramtes nicht anwesend sein und die Entscheidung nur in geheimer Abstimmung gefällt werden darf, VerfG RF, Urt. vom 28. 02. 2008 (Nr. 3-@), SZ RF 2008, Pos. 976. 142 Ausführlich dazu Art. 6.1 RichterG RF 1992.

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aus dem Amt zu entlassen).143 Die zum Unabhängigkeits- und Unparteilichkeitsgebot jüngst ergangenen Urteile des EGMR gegen Russland (vgl. Kap. 5, oben S. 147 f.) machen deutlich, dass die Befugnisse der Gerichtsvorsitzenden begrenzt werden müssen, um die EMRK-Rechte von Prozessbeteiligten zu garantieren. Es bleibt abzuwarten, wie die Urteile in Russland ungesetzt werden. Hier ist noch auf eine Frage einzugehen, die unter dem Blickwinkel der Unabhängigkeit der Justiz bedenklich erscheint und keine Erwähnung in den (veröffentlichten) Gutachten von Experten des Europarates fand. Es geht hier um die Befugnis der Obergerichte RF, bindende Richtlinien in Form von Plenumsbeschlüssen [Erläuterungen] zu erlassen (dazu oben Kap. 3, S. 71 ff.). In diesem Institut wird teilweise eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit gesehen.144 Nach anderer Auffassung ist es eine technische Frage, ob die Wahrung der Einheit der Rechtsprechung durch Rechtsmittelgerichtsentscheidungen in zahllosen Einzelfällen oder aber durch abstrakte Festlegungen erfolgt, zumal wenn diese aus vorangegangenen Verfahren verallgemeinert werden.145 Es bleibt abzuwarten, welche Stellung der EGMR hierzu einnimmt. Angesichts dessen, dass die in den common law-Systemen praktizierte Präjudizienbindung nicht als Infragestellung der richterlichen Unabhängigkeit angesehen wird, scheint auch das Institut der Plenumsbeschlüsse innerhalb des EMRK-konformen Gestaltungsspielraums zu liegen.146 Außerdem wären solche Richtlinien sehr gut geeignet (obwohl kaum dazu benutzt), um gerade die Umsetzung der Leitentscheidungen des EGMR in Russland sicherzustellen (dazu oben Kap. 3, S. 119). Im Übrigen ist kein Einfluss der EMRK in diesem Bereich sichtbar. Es ist jedoch das Urteil des VerfG RF zu erwähnen, in dem nicht die EMRK selbst, sondern das Ratifikationsgesetz zur EMRK zum Schutz richterlicher Unabhängigkeit herangezogen wurde.147 Dem Urteil lag folgende Fallkonstellation zu Grunde: Art. 102 des Bundeshaushaltsgesetzes148 für das Jahr 1998 vom 26. 03. 1998 erlaubte es der russischen Regierung, im Falle eines Haushaltsdefizits eine Kürzung aller Ausga143

Morsˇcˇakova, Osteuropa-Recht 2007, 6. Bednarz, in: Schröder (Hrsg.), Die neuen Kodifikationen in Russland, S. 171. 145 Schröder, Die Rechtsordnung Russlands und die Anforderungen der EMRK, S. 10, . Hier sei angemerkt, dass er seine Auffassung offensichtlich geändert hat, vgl. Schröder, Das Oberste Gericht der UdSSR, S. 42: „Plenumsbeschlüsse greifen in die Unterwerfung des Richters unter das Gesetz ein, indem sie gewissermaßen einen offiziellen Interpreten des Gesetzes dazwischen schalten“. 146 Vgl. EGMR (GK), Urt. vom 06. 05. 2003 (Nr. 39343/98 u. a.), Kleyn and Others v. the Netherlands, Z. 193: „Although the notion of the separation of powers between the political organs of government and the judiciary has assumed growing importance in the Court’s caselaw (see Stafford v. the United Kingdom [GC], no. 46295/99, § 78, ECHR 2002-IV), neither Article 6 nor any other provision of the Convention requires States to comply with any theoretical constitutional concepts regarding the permissible limits of the powers’ interaction. The question is always whether, in a given case, the requirements of the Convention are met“. 147 Vgl. VerfG RF, Urt. vom 17. 07. 1998 (Nr. 23-@), SZ RF 1998, Nr. 30, Pos. 3801. 148 SZ RF 1998, Nr. 13, Pos. 1464. 144

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benbereiche vorzunehmen. Angesichts einer Finanzkrise im Jahre 1998 wurden auch die Ausgaben für die Finanzierung der Gerichte um 26,2 % gekürzt. Auf Antrag des OG RF hat das VerfG RF diese Norm, soweit sie die Kürzung des Gerichtssystems betraf, für verfassungswidrig erklärt, weil dadurch die Unabhängigkeit der Gerichte gefährdet würde. Zur Begründung hat das VerfG RF auch Art. 2 des Ratifizierungsgesetzes zur EMRK vom 30. 03. 1998 herangezogen, wonach der russische Bundeshaushalt ab dem Haushaltsjahr 1998 ein erhöhtes Budget für die Entwicklung des Gerichtssystems und der Rechtspflegeorgane bereitstellen sollte, um so die Rechtsanwendungspraxis in volle Übereinstimmung mit den sich aus dem Beitritt zur EMRK ergebenden Verpflichtungen der Russischen Föderation zu bringen (vgl. Z. 4 Abs. 2 des Urteils). 4. Richterliche Unparteilichkeit Gemäß Art. 7 Abs. 2 GVG RF 1996 dürfen Gerichte keinen Organen und Personen, die am Verfahren als Parteien teilnehmen, den Vorzug wegen ihrer staatlichen, sozialen, geschlechtlichen, rassischen, nationalen, sprachlichen oder politischen Zugehörigkeit oder wegen ihrer Herkunft, Vermögenslage, Dienststellung, ihres Wohnorts, Geburtsorts, ihrer Haltung zur Religion, ihrer Überzeugungen, ihrer Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Vereinigungen sowie wegen sonstiger, nicht durch Bundesgesetz geregelter Gründe geben. Art. 17 ZPO RF verbietet die Mitwirkung des Richters an der Verhandlung derselben Zivilsache in zwei Instanzen. Außerdem garantieren folgende Regelungen der ZPO RF die Unparteilichkeit der Richter: Art. 16 (Gründe für die Ablehnung eines Richters) 1. Ein Friedensrichter sowie Richter darf nicht an der Verhandlung einer Sache teilnehmen und unterliegt der Ablehnung, wenn er: (1) an einer vorangegangenen Verhandlung derselben Sache als Staatsanwalt, Protokollführer, Prozessvertreter, Zeuge, Sachverständiger, Spezialist oder Dolmetscher beteiligt war; (2) mit den Prozessbeteiligten oder deren Vertretern verwandt oder halbverwandt ist; (3) persönlich, direkt oder indirekt am Ausgang des Verfahrens interessiert ist oder wenn andere Umstände vorliegen, die Zweifel an seiner Objektivität und Unparteilichkeit hervorrufen. 2. Das Gericht darf im Zivilverfahren nicht mit Personen besetzt sein, die miteinander verwandt sind. […] Art. 19 (Antrag auf Selbstablehnung und Ablehnung) 1. Liegen die (…) Gründe für Ablehnung vor, so sind der Friedensrichter, Richter, (…) verpflichtet, selbst ihre Ablehnung zu beantragen. Aus den gleichen Gründen kann die Ablehnung auch von den Prozessbeteiligten beantragt oder von Amts wegen verhandelt werden. 2. Die Selbstablehnung oder Ablehnung ist zu begründen und vor Beginn der Verhandlung zur Sache zu beantragen. Ein späterer Antrag auf Selbstablehnung oder Ablehnung ist nur in

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den Fällen zulässig, in denen der Ablehnungsgrund dem Antragsteller oder dem Gericht erst nach Beginn der Verhandlung bekannt geworden ist. […] Art. 20 (Verfahren bei Entscheidung über den Ablehnungsantrag) 1. Wird die Ablehnung beantragt, so hat das Gericht die Meinung der Prozessbeteiligten anzuhören, ebenso ist die abgelehnte Person zu hören, wenn sie eine Erklärung abzugeben wünscht. Über die Ablehnung entscheidet das Gericht durch Beschluss im Beratungszimmer. 2. Über die Ablehnung eines Richters, der eine Sache allein verhandelt, entscheidet derselbe Richter. Über die Ablehnung eines Richters bei kollegialer Verhandlung einer Sache entscheidet die übrige Besetzung in Abwesenheit des Richters, der abgelehnt werden soll. Bei gleicher Stimmenzahl für und gegen die Ablehnung gilt der Richter als abgelehnt. Wird die Ablehnung mehrerer Richter oder des ganzen Spruchkörpers beantragt, so entscheidet der Spruchkörper in vollständiger Besetzung mit einfacher Stimmenmehrheit. […] Art. 21 (Folgen der Ablehnung) 1. Im Falle der Ablehnung eines Friedensrichters in einer Verhandlung wird die Sache vom Rayongericht zur Verhandlung an einen anderen Friedensrichter in diesem Gerichtsrayon verwiesen, oder, wenn dies nicht möglich ist, wird die Sache vom übergeordneten Gericht zur Verhandlung an einen Friedensrichter in einem anderen Gerichtsrayon verwiesen. 2. Im Falle der Ablehnung eines Richters oder des ganzen Spruchkörpers in einer Verhandlung vor dem Rayongericht wird die Sache vor demselben Gericht, jedoch mit einem anderen Richter oder mit einem anderen Spruchkörper verhandelt oder vom übergeordneten Gericht zur Verhandlung an ein anderes Rayongericht verwiesen, wenn die Ersetzung des Richters an dem Gericht, an dem die Verhandlung stattfindet, nicht möglich ist. 3. Im Fall der Ablehnung eines Richters oder des ganzen Spruchkörpers in einer Verhandlung vor dem Obersten Gericht [eines Subjekts der RF] oder dem Obersten Gericht der RF wird die Sache vor demselben Gericht, jedoch mit einem anderen Richter oder mit einem anderen Spruchkörper verhandelt. 4. Die Sache ist an das Oberste Gericht der RF zur Bestimmung des zu verhandelnden Gerichts zu verweisen, wenn es am Obersten Gericht [eines Subjekts der RF] nach erfolgter Ablehnung oder aus den in Art. 17 dieses Gesetzes genannten Gründen nicht möglich ist, einen neuen Spruchkörper für die Verhandlung der betreffenden Sache zu bilden.

Das Konzept des EGMR bezüglich der subjektiven und objektiven Unparteilichkeit der Richter wurde vom VerfG RF ins russische Prozessrecht übernommen.149 Die bestehenden Regelungen müssen folglich im Lichte der Rechtsprechung des EGMR angewandt werden. Sie erscheinen durchaus geeignet, die Unparteilichkeit der Richter zu garantieren.150 Bedenklich erscheint lediglich die Regelung des Art. 20 Abs. 2 Satz 1, wonach über die Ablehnung eines Richters, der eine Sache allein verhandelt, derselbe Richter entscheidet. Offensichtlich kann man als Richter

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VerfG RF, Urt. vom 25. 03. 2008 (Nr. 6-@), Z. 2, SZ RF 2008, Nr. 13, Pos. 1352. Hier sei auch Art. 3 Abs. 3 RichterG RF 1992 erwähnt, der Zugehörigkeit der Richter zu politischen Parteien verbietet. 150

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

in eigener Sache nicht unparteiisch bleiben.151 Deswegen wird in der Literatur hierin ein Verstoß gegen die Verfassung und die EMRK angenommen.152 Das VerfG RF dagegen hat diese Norm nicht beanstandet, weil der Vorwurf der Parteilichkeit im Wege der Appellations-, Kassations- oder Aufsichtsbeschwerde geltend gemacht werden könne.153 Angesichts dessen, dass die Rechtsprechung des EGMR uneinheitlich ist, ob das Prinzip des unparteilichen Richters in jeder Instanz gewährleistet sein muss oder in einer höheren Instanz geheilt werden kann (dazu Kap. 4, S. 130 Fn. 42), bleibt abzuwarten, welchen Standpunkt der EGMR hierzu einnehmen wird. Ein anderes Problem bei der Sicherstellung richterlicher Unparteilichkeit ist die ungenügende Finanzierung der Justiz aus dem Bundeshaushalt in den 1990er Jahren,154 die dazu führte, dass wohlhabende Föderationssubjekte zum Teil Gelder gesponsert sowie andere Leistungen für Gerichte erbracht haben.155 Unter diesen Umständen waren sicherlich begründete Zweifel an der Unparteilichkeit der Richter im Falle eines Prozesses gegen den Geldgeber gegeben.156 Mit der Verbesserung der Finanzierung verliert das Problem an Bedeutung. Der Gesetzgeber versucht auch, den Anschein der Unparteilichkeit aus der Welt zu schaffen. Art. 2 Abs. 2 FriedensrichterG 1998 (a.F.) erlaubte es z. B. den Subjekten der Russischen Föderation, zusätzliche finanzielle und soziale Garantien für Friedensrichter vorzusehen. In der Literatur wurde dies im Lichte der EMRK kritisiert.157 Der Gesetzgeber hat reagiert und diese Norm ersatzlos gestrichen.158 Probleme könnten sich auch aus dem Recht der russischen Obergerichte (VerfG, OG, OWG) zur Gesetzesinitiative in Fragen ihrer Zuständigkeitsbereiche (Art. 104 Abs. 1 Satz 2 Verf. RF) ergeben. Besonders offensichtlich steht das Recht des VerfG 151 WirtPO RF sieht z. B. eine andere Regelung vor: Hier entscheidet über die Ablehnung eines Einzelrichters der Gerichtspräsident oder sein Stellvertreter (Art. 25 Abs. 2). Nach deutschem Recht darf der abgelehnte Richter über das Ablehnungsgesuch nicht entscheiden, vgl. § 45 Abs. 2 ZPO BRD. 152 1\V[bVVSQ, in: Cd]Q^_S/Nc^Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y Vr `aY]V^V^Yp, S. 101; 4adXU/BQZ[Y^, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2003, Nr. 11, S. 18 f.; 2QaUY^, 1US_[Qcb[Qp `aQ[cY[Q 2004, Nr. 2, zit. nach RIS „Garant“; 4_^hQa_SQ, in: 5V]V^VSQ (Hrsg.), 6Sa_`VZb[YV bcQ^UQacl `aQSQ ^Q b`aQSVU\YS_V bdUVR^_V aQXRYaQcV\mbcS_ Y a_bbYZb[Qp `aQ[cY[Q, S. 122; 4_\dR_[, @aQS_SVUV^YV 2007, Nr. 1, S. 119 f. 153 VerfG RF, Beschl. vom 23. 06. 2005 (Nr. 262-?). 154 Die Finanzierung war so knapp, dass einige Gerichte nicht einmal mehr Geld für das Porto für Ladungen und Bescheide hatten: Schröder, WiRO 1996, 163 m.w.N. 155 Vgl. z. B. der Gouverneur des Moskauer Gebiets, Verordnung vom 30. 07. 1996 „Über den Verlauf der Gerichtsreform im Moskauer Gebiet“ (Nr. 350-@4), zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 156 Der EGMR hat jedoch solche Praxis nicht beanstandet, vgl. EGMR, Ent. vom 18. 03. 2010 (Nr. 18299/03 u. a.), Finogenov and Others v. Russia, Z. 235 ff. 157 4_^hQa_SQ, in: 5V]V^VSQ (Hrsg.), 6Sa_`VZb[YV bcQ^UQacl `aQSQ ^Q b`aQSVU\YS_V bdUVR^_V aQXRYaQcV\mbcS_ Y a_bbYZb[Qp `aQ[cY[Q, S. 117. 158 Vgl. Art. 111 Bundesgesetz vom 22. 08. 2004 (Nr. 122-E8), SZ RF 2004, Nr. 35, Pos. 3607.

§ 1 Anforderungen an das Gericht

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RF zur Gesetzesinitiative mit dem Prinzip der richterlichen Unparteilichkeit in Widerspruch, weil es die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze überprüfen soll.159 Das VerfG RF hat die Gefahr erkannt und macht von diesem Recht keinen Gebrauch.160 Das OG RF und OWG RF dagegen nehmen dieses Recht regelmäßig in Anspruch und haben z. B. die neuen ZPO RF bzw. WirtPO RF in die Staatsduma eingebracht (dazu Kap. 1, S. 42 Fn. 105). Die Mitwirkung derselben Richter im Normsetzungsverfahren und bei der Anwendung der Normen kann nach der Rechtsprechung des EGMR unter Umständen mit dem Prinzip der richterlichen Unparteilichkeit unvereinbar sein (s. oben Kap. 5, S. 145). Ob allein die Tatsache, dass z. B. die ZPO RF vom OG RF vorbereitet wurde, ausreicht, um Zweifel an der Unparteilichkeit seiner Richter bei der Anwendung der ZPO zu begründen, erscheint indes zweifelhaft. Die letzte Entscheidung über den Gesetzesentwurf der ZPO RF lag in den Händen des Gesetzgebers und das OG RF muss auch nicht über die Verfassungsmäßigkeit der ZPO-Normen entscheiden. Klarheit kann auch hier jedoch nur eine entsprechende Entscheidung des EGMR schaffen. Zu erwähnen bleibt das Urteil des VerfG RF vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-@),161 in dem das Institut der Gerichtsaufsicht (ausführlich dazu unten Kap. 6, S. 242 ff.) auf seine Verfassungsmäßigkeit im Lichte der Rechtsprechung des EGMR überprüft wurde. Nach Art. 389 (a.F.) i.V.m. Art. 386 Abs. 2 Satz 1 ZPO RF waren der Vorsitzende des OG RF sowie sein Stellvertreter befugt, zusammen mit anderen Richtern des Präsidiums des OG RF rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu überprüfen, in Bezug auf welche sie zum Zwecke der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Aufsichtsüberprüfung eingeleitet hatten. Das VerfG RF hat klargestellt, dass solche Verfahrensweise mit dem Recht auf einen unparteiischen Richter unvereinbar ist (Z. 8 Abs. 4 ff.). Dabei hat das VerfG RF ein Urteil des EGMR herangezogen, der in Bezug auf eine ähnliche Verfahrensweise nach ukrainischem Recht eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf einen unparteiischen Richter) festgestellt hatte, weil man nicht [prozessualer] Kläger und Richter in derselben Sache sein dürfe.162 Bemerkenswert ist, dass das VerfG RF damit ein Urteil des EGMR gegen einen anderen Konventionsstaat der Sache nach umgesetzt hat, ohne ein entsprechendes Urteil gegen Russland abzuwarten. Art. 389 Abs. 4 ZPO RF (i. d. F. des Gesetzes vom 04. 12. 2007)163 verbietet jetzt ausdrücklich die Teilnahme des Vorsitzenden sowie seines Stellvertreters an der Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen, in Bezug auf welche sie das Aufsichtsverfahren eingeleitet haben.

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Schweisfurth, EuGRZ 1992, 288. 9bQ[_S, in: ýQXQaVS (Hrsg.), þQdh^_-`aQ[cYhVb[YZ [_]]V^cQaYZ [ ;_^bcYcdgYY AE, Komm. zu Art. 104. 161 SZ RF 2007, Nr. 7, Pos. 932. 162 EGMR, Urt. vom 09. 11. 2004 (Nr. 41984/98), Svetlana Naumenko v. Ukraine, Z. 97. 163 SZ RF 2007, Nr. 50, Pos. 6243, in Kraft seit 08. 01. 2008. 160

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren I. Nach der Rechtsprechung des EGMR Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert jeder Person das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, wobei der Inhalt dieses Rechts von der EMRK nicht näher definiert wird (unbestimmter Rechtsbegriff). Eigentlich sichern alle Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK ein (im weiteren Sinne) faires Gerichtsverfahren. Dies folgt schon aus der Artikelüberschrift, die durch das 11. ZP zur EMRK vom 11. 05. 1994 in die EMRK eingeführt wurde (vgl. Art. 2 Abs. 2 i.V.m. dem Anhang zum ZP).164 Darüber, was im engeren Sinne unter dem Recht auf ein faires Verfahren zu verstehen ist, gibt Art. 6 Abs. 3 EMRK lediglich im Hinblick auf die Rechte der Angeklagten weitere Auskunft.165 Der EGMR zieht Art. 6 Abs. 3 EMRK zur Auslegung des Gebotes des fairen Verfahrens für zivile Rechtsstreitigkeiten heran, berücksichtigt dabei die Präambel und die übrigen Konventionsvorschriften, merkt dabei jedoch an, dass die Fairnessanforderungen in einem privatrechtlichen Verfahren nicht dieselben sind wie in einem Strafverfahren.166 Dies lässt sich bereits aus den zusätzlichen Absätzen von Art. 6 EMRK entnehmen. Die Fairness des Verfahrens als unbestimmter Rechtsbegriff gibt dem EGMR eine große Flexibilität, in seinen Entscheidungen auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen.167 In der Literatur wird folgende Definition des Rechtes auf ein faires Gerichtsverfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK angeboten: „das Recht der Parteien auf einen Verfahrensablauf, in dem sie unter im Wesentlichen gleichartigen Bedingungen ihren Prozessstandpunkt effektiv vertreten können“.168 Der EGMR erläutert in seiner 164

Vgl. auch die semantischen Ausführungen zum Begriff der „Fairness“ im Gerichtsverfahren bei Haase, Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene, S. 21 ff. 165 Art. 6 Abs. 3 EMRK lautet: „Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte: a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; c) sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; d) Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; e) unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht“. 166 EGMR, Urt. vom 21. 05. 2002 (Nr. 28856/95), Jokela v. Finland, Z. 68. 167 Matscher, in: Schilken/Becker-Eberhard/Gerhardt (Hrsg.), FS Gaul, S. 446, der dazu anmerkt, dass diese Methode im Einzelfall nicht unbedingt kohärent erscheint und nicht immer zu überzeugen vermag, wofür auch die zu vielen Urteilen abgegebenen Sondervoten sprechen (S. 439). 168 Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 60 m.w.N.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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Rechtsprechung immer wieder neue Aspekte des Fairnessgebots. Nach seiner Rechtsprechung gehört zum Fairnessgrundsatz im Zivilprozess eine Vielzahl von Teilgarantien, welche sich mit zwei Begriffen zusammenfassen lassen: Rechtliches Gehör und Waffengleichheit,169 die wiederum aus verschiedenen Teilgarantien bestehen und miteinander verzahnt sind.170 Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren setzt auch einen Schutz gegen Vernichtung des rechtshängigen Anspruchs durch gesetzgeberische Maßnahmen voraus. Der Grundgedanke, der hinter dem Fairnessgebot steht, lautet, dass die Verfahrensparteien nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden dürfen, und ist damit mit der Menschenwürde verbunden. 1. Rechtliches Gehör Der Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich schon aus der Formulierung des Art. 6 Abs. 1 EMRK („right to a hearing by a tribunal“ = right to be heard).171 Der Schutzbereich umfasst drei Einzelgarantien, die kumulativ gewährleistet sein müssen: – das Recht der Partei, ihren Fall angemessen vorzutragen; – die Ausführungen der Parteien müssen vom Gericht tatsächlich zur Kenntnis genommen werden; und – die Parteien müssen ein begründetes Urteil bekommen.172 a) Recht der Partei, ihren Fall angemessen vorzutragen „A procedure whereby civil rights are determined without ever hearing the parties’ submissions cannot be considered to be compatible with Article 6 § 1 [EMRK]“.173 Jeder Partei muss daher ausreichende Gelegenheit eingeräumt werden, ihren Standpunkt vor Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutra-

169 In der Literatur wird das Recht auf Waffengleichheit aus verschiedenen Rechtsgrundsätzen abgeleitet, etwa als Teil des fairen Verfahrens, Teilgehalt des rechtlichen Gehörs oder als besondere prozessuale Ausprägung der Rechtsgleichheit; Pfannkuchen-Heeb, in: Sutter/Zelger (Hrsg.), 30 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz, S. 234 Fn. 82 m.w.N. 170 Der EGMR stellt in der Regel einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren fest, ohne Teilaspekte zu spezifizieren. In den meisten Fällen können diese Erkenntnisse nur aus dem Gesamtkontext des Urteils gewonnen werden. 171 Die Übersetzung der deutschen Fassung wurde aufgrund einer Abstimmung mit Liechtenstein, Österreich und der Schweiz im Sommer 1998 geändert. Insbesondere wurde der Begriff „gehört“ durch „verhandelt“ ersetzt. Das Verhandeln beinhaltet das rechtliche Gehör, Wolf, in: Köbler (Hrsg.), FS Söllner, S. 1280 Fn. 5. 172 Peters, Einführung in die EMRK, S. 131. 173 EGMR, Urt. vom 29. 05. 1997 (Nr. 21522/93), Georgiadis v. Greece, Z. 40.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

gen.174 Dies beinhaltet das Recht, Ausführungen zu machen, Anträge zu stellen sowie zu Verfahrensanordnungen Stellung zu nehmen.175 Im Fall Feldbrugge erblickte der EGMR etwa eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör darin, dass die Beschwerdeführerin vor Gericht keine Möglichkeit hatte, sich zu den entscheidungsrelevanten medizinischen Gutachten zu äußern.176 Voraussetzung für die effektive Ausübung des rechtlichen Gehörs ist, dass die Parteien Kenntnis vom Akteninhalt haben, gleich ob es sich um die von Amts wegen eingeholten oder von der gegnerischen Partei vorgebrachten Stellungnahmen und Beweismittel handelt.177 Daraus resultiert das Recht auf Akteneinsicht.178 Wenn es sich um schwierige Fragen handelt, müssen die Beteiligten rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung von den Beweismitteln unterrichtet werden.179 In der früheren Rechtsprechung ist der EGMR davon ausgegangen, dass die Parteien das Recht auf Kenntnis vom Akteninhalt unabhängig davon haben, ob die Unterlagen entscheidungsrelevant sind: „Only the parties to a dispute may properly decide (…); it is for them to say whether or not a document calls for their comments“.180 In der späteren Rechtsprechung des EGMR wurde diese Ansicht jedoch relativiert.181 174 Vgl. EGMR, Urt. vom 27. 10. 1993 (Nr. 14448/88), Dombo Beheer B.V. v. the Netherlands, Z. 33: „[E]ach party must be afforded a reasonable opportunity to present his case – including his evidence – under conditions that do not place him at a substantial disadvantage visà-vis his opponent“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 78145/01), Kovalev v. Russia, Z. 34, sowie Urt. vom 23. 06. 1981 (Nr. 6878/75 u. a.), Le Compte, Van Leuven and De Meyere v. Belgium, Z. 51: „For civil cases (…) Article 6 par. 1 draws no distinction between questions of fact and questions of law. Both categories of question are equally crucial for the outcome of proceedings relating to ,civil rights and obligations‘.“ Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn missbräuchliches Prozessvorbringen oder -verhalten geahndet wird, vgl. EGMR, Urt. vom 28. 08. 1991 (Nr. 11170/84 u. a.), Brandstetter v. Austria, Z. 53. 175 Matthei, Der Einfluss der Rechtsprechung des EGMR auf die ZPO, S. 81; Peters, Einführung in die EMRK, S. 131. 176 EGMR, Urt. vom 29. 05. 1986 (Nr. 8562/79), Feldbrugge v. the Netherlands, Z. 44 ff. 177 EGMR, Urt. vom 03. 06. 2003 (Nr. 37372/97), Walston (no. 1) v. Norway, Z. 57 ff.; Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 78145/01), Kovalev v. Russia, Z. 34; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 114 Fn. 281 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR. 178 EGMR, Urt. vom 21. 06. 2005 (Nr. 61811/00), Milatová and Others v. the Czech Republic, Z. 59: „The Court further reiterates that the concept of a fair hearing implies the right to adversarial proceedings, according to which the parties must have the opportunity not only to have made known any evidence needed for their claims to succeed, but also to have knowledge of, and comment on, all evidence adduced or observations filed, with a view to influencing the court’s decision“. 179 EGMR, Urt. vom 03. 03. 2000 (Nr. 35376/97), Krcˇmárˇ and Others v. the Czech Republic, Z. 42: „A party to the proceedings must have the possibility to familiarise itself with the evidence before the court, as well as the possibility to comment on its existence, contents and authenticity in an appropriate form and within an appropriate time, if need be, in a written form and in advance“. 180 EGMR, Urt. vom 18. 02. 1997 (Nr. 18990/91), Nideröst-Huber v. Switzerland, Z. 29. 181 Vgl. EGMR, Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 57793/00), Kukkonen v. Finland, Z. 25 f.: „The Court does not consider that the note in the instant case constituted a reasoned opinion on the

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Ein Anspruch auf Abgabe einer mündlichen Stellungnahme besteht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK im Zivilprozess grundsätzlich nicht, sofern das Gehör in schriftlicher Form gewährt wird.182 Allerdings kann sich dieser Anspruch aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergeben, wenn es für die Entscheidung in der Sache auf den Eindruck der Person des Beschwerdeführers ankommt. Dies kann etwa in familienrechtlichen183 und in Entmündigungsverfahren184 sowie in Haftungsprozessen, bei denen die persönliche Verantwortlichkeit einer Partei entscheidend ist,185 der Fall sein.186 In einem jüngeren Fall hat der EGMR eine persönliche Anhörung des Klägers in einem Schadenersatzprozess wegen Missbrauchs seitens der Polizei für notwendig erachtet (obwohl er durch seine Prozessvertreter vertreten war).187 Eine Voraussetzung der Gehörsgewährung in der Gerichtsverhandlung ist das Recht, über ein anhängiges Verfahren informiert und rechtzeitig zu einer Gerichtsverhandlung geladen zu werden.188 Jedoch kann nach dem EGMR, wer bereits

merits of the applicant’s appeal nor was it such a piece of evidence or an observation, filed with the Insurance Court by the other party (the insurance company), with a view to influencing that court’s decision. The applicant’s lack of knowledge of the note did not adversely affect his ability to challenge the insurance company’s and Accident Board’s decision before the Insurance Court. The Court is not therefore persuaded that there was any procedural unfairness as regards the manner in which the applicant’s case was examined in the Insurance Court. Accordingly, there has been no breach of Article 6 § 1 of the Convention“. 182 EKMR, Ent. vom 13. 05. 1988 (Nr. 12087/86), Karting v. the Netherlands, Z. 1. 183 EKMR, Ent. vom 28. 02. 1977 (Nr. 7370/76), X. v. Switzerland. 184 Vgl. EGMR, Urt. vom 24. 10. 1979 (Nr. 6301/73), Winterwerp v. the Netherlands, Z. 74. Hier war entscheidungserheblich, dass die Beschwerdeführerin in dem sie betreffenden Unterbringungsverfahren weder persönlich gehört wurde noch durch einen Anwalt vertreten war. 185 Vgl. EGMR, Urt. vom 29. 10. 1991 (Nr. 11826/85), Helmers v. Sweden, Z. 38: „[T]aking into account the seriousness of what was at stake for the applicant, namely his professional reputation and career, the Court finds that the question of the defendants’ guilt could not, as a matter of fair trial, have been properly determined (…) without a direct assessment of the evidence given in person“. 186 In solchen Fällen steht einer im Ausland lebenden Partei ein Recht auf Einreise zu, vgl. EKMR, Ent. vom 30. 06. 1959 (Nr. 434/58), X. v. Sweden, Yearbook of the ECHR, Vol. 2 (1958 – 1959), S. 372 f.; ein Recht auf freies Geleit wird dabei in der Literatur abgelehnt: Haase, Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene, S. 71; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 164: „Wer die Gerichte eines Staates in eigener Sache in Anspruch nehmen will, muss sich diesen Gerichten auch stellen, soweit er sich strafrechtlich zu verantworten hat“. 187 EGMR, Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 78145/01), Kovalev v. Russia, Z. 37: „Given that the applicant’s claim was, by its nature, largely based on his personal experience, his statement would have been an important part of the plaintiff’s presentation of the case, and virtually the only way to ensure adversarial proceedings. In refusing to order his attendance, the domestic courts therefore failed to ensure a fair hearing of the applicant’s claim“. 188 Vgl. EGMR, Urt. vom 03. 05. 2007 (Nr. 8630/03), Prokopenko v. Russia, Z. 18: „[T]he Court is not persuaded that the domestic authorities had notified the applicant of the appeal hearing in such a way as to provide her with an opportunity to attend it and prepare her case“. Zur Sorgfaltspflicht der Betroffenen vgl. EGMR, Urt. vom 16. 12. 1992 (Nr. 12129/86), Hennings v.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

durch die Medien davon erfahren hat, dass er von einem laufenden Gerichtsverfahren betroffen ist, obwohl er keine Partei ist, nicht nach der Urteilsverkündung rügen, dass er vom Gericht hätte geladen werden müssen (hierbei ging es um die Ungültigkeiterklärung eines Auswahlverfahrens durch die Klage eines abgelehnten Bewerbers, woraufhin die Beschwerdeführerin ihre Stelle als Lehrerin verloren hatte).189 Den Anwälten einer Partei in einem Gerichtsverfahren kann außerdem zugemutet werden, eigenständig das Datum einer mündlichen Verhandlung in Erfahrung zu bringen, wenn dies der üblichen Gerichtspraxis im Konventionsstaat entspricht.190 Eine Ladung durch öffentliche Bekanntmachung (in einer Zeitung) ist mit der EMRK zumindest dann vereinbar, wenn der Aufenthaltsort der Person unbekannt ist und sie gewisse Rechtsmittel hinsichtlich der gegen sie erlassenen Entscheidung hat.191 Dagegen liegt eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör bei einer öffentlichen Ladung vor, wenn der Aufenthaltsort der Person ohne große Schwierigkeiten ermittelt werden konnte.192 Für Sprachunkundige ist es umständlicher, das Recht auf rechtliches Gehör wahrzunehmen. Einen Anspruch auf Unterrichtung in verständlicher Sprache über Art und Grund des eingeleiteten Verfahrens sowie kostenlose Übersetzungshilfe enthält die EMRK nur für Angeklagte (vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. a, e). In Zivilverfahren obliegt es grundsätzlich den Beteiligten, für notwendige Übersetzungen von Prozessdokumenten zu sorgen193 bzw. sich der Sprache des Gerichts zu bedienen.194 b) Recht der Partei auf angemessene Würdigung ihrer Ausführungen durch Gericht Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst, dass die Ausführungen der Parteien (Sachvortrag, rechtliche Argumente und Beweismittel) auch vom Gericht tatsächlich Germany, Z. 26: Bei längerer Abwesenheit muss dafür Sorge getragen werden, dass eingehende Post zur Kenntnis gelangt. 189 EGMR, Urt. vom 15. 10. 2002 (Nr. 55782/00), Cañete de Goñi v. Spain, Z. 32 ff. (mit 5 zu 2 Stimmen). 190 EGMR, Urt. vom 05. 11. 2002 (Nr. 32576/96), Wynen and Centre hospitalier interrégional Edith-Cavell v. Belgium, Z. 35. 191 EGMR, Ent. vom 10. 04. 2003 (Nr. 69829/01), Nunes Dias v. Portugal. 192 EGMR, Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 423/03), Díaz Ochoa c. Espagne, Z. 41 ff.; Urt. vom 31. 05. 2007 (Nr. 61655/00), Miholapa c. Lettonie, Z. 23 ff. (mit 5 zu 2 Stimmen). 193 Vgl. EKMR, Ent. vom 09. 12. 1981 (Nr. 9099/80), X. and Y. v. Austria: „If the applicants had acted with due care they could have found out in time what these documents were about and also that they had a possibility (…) of requesting a translation“. Hier ging es um die Ladung in einer Sprache, welche die Betroffenen nicht verstehen konnten. Für die Übersetzung der Ladung (zur Vermeidung einer völligen Überraschung der Beklagten in solchen Fällen) plädieren Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 116. 194 Vgl. EKMR, Ent. vom 07. 10. 1966 (Nr. 2332/64), X. and Y. v. Belgium, CD 21, S. 59 ff. Art. 6 Abs. 1 garantiert auch nicht das Recht, vor dem Zivilgericht die Muttersprache zu sprechen, EGMR, Urt. vom 15. 09. 2009 (Nr. 798/05), Mirolubovs et autres c. Lettonie, Z. 104.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung angemessen gewürdigt werden.195 Im Fall Kraska verneinte der EGMR jedoch eine Verletzung des Art. 6 EMRK (mit 6 zu 3 Stimmen), obwohl ein Richter am schweizerischen Bundesgericht die Beschwerdeschrift lediglich zur Hälfte gründlich gelesen hatte und auf dieser Grundlage sein Urteil fällte, weil die anderen vier Richter der Kammer sich gut mit dem Fall auskannten und das Verfahren insgesamt als fair gewertet wurde.196 Aus dem Recht auf rechtliches Gehör ergibt sich zudem, dass sich gerichtliche Entscheidungen nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen dürfen, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten.197 Die Erhebung und Würdigung von Beweisen gehören zu den Aufgaben der staatlichen Gerichte.198 Zum einen enthält die EMRK keine Vorschriften darüber, zum anderen sind die innerstaatlichen Gerichte besser in der Lage, die Beweise zu würdigen. Dies gebietet auch das Subsidiaritätsprinzip der EMRK. Der EGMR prüft nur, ob das Verfahren insgesamt, einschließlich der Art und Weise, wie Beweise erhoben und verwertet wurden, fair war.199 Auf der anderen Seite ist der EGMR an die Tatsachenfeststellungen innerstaatlicher Instanzen nicht gebunden, weil nach Art. 32 Abs. 1 EMRK die Zuständigkeit des EGMR die Auslegung und Anwendung der Konvention in allen ihm vorgelegten Fällen umfasst. Die durch innerstaatliche Instanzen vorgenommene Tatsachenfeststellung bzw. Beweiswürdigung kann durchaus mit dem Gebot eines fairen Verfahrens unvereinbar sein. Bei der Prüfung dieser Frage geht der EGMR zum Teil in Einzelheiten. So hat 195 EGMR, Urt. vom 19. 04. 1993 (Nr. 13942/88), Kraska v. Switzerland, Z. 30; Urt. vom 19. 04. 1994 (Nr. 16034/90), Van de Hurk v. the Netherlands, Z. 59; Urt. vom 21. 05. 2002 (Nr. 28856/95), Jokela v. Finland, Z. 68. Die Tatsache allein, dass ein Kassationsgerichtshof nach der öffentlichen Verhandlung noch am gleichen Tag sein Urteil gefällt hat, begründet die Annahme nicht, dass Ausführungen der Parteien vom Gericht nicht zur Kenntnis genommen worden sind; EKMR, Ent. vom 09. 12. 1986 (Nr. 10938/84), Kaufman v. Belgium, Z. 4. 196 EGMR, Urt. vom 19. 04. 1993 (Nr. 13942/88), Kraska v. Switzerland, Z. 28 ff. 197 Die Beweisaufnahme kann unter Umständen unter Ausschluss der Parteien erfolgen. Zwecks Erlangung einer unbeeinflussten Aussage kann es z. B. gerechtfertigt sein, im Verfahren um das Sorgerecht das Kind in Abwesenheit der Eltern zu hören; EKMR, Ent. vom 05. 03. 1983 (Nr. 8893/80), X. v. Austria. 198 EGMR, Urt. vom 11. 01. 2007 (Nr. 20027/02), Herbst v. Germany, Z. 83: „The Court reiterates that the assessment of the facts and the taking of evidence and its evaluation is a matter which necessarily comes within the appreciation of the national courts and cannot be reviewed by the Court unless there is an indication that the judges have drawn grossly unfair or arbitrary conclusions from the facts before them“; vgl. auch EGMR, Urt. vom 24. 10. 1989 (Nr. 10073/ 82), H. v. France, Z. 60 f.: „The Government contended that the requirements of a ,fair trial‘ could not include an obligation on the court trying the case to order an expert opinion to be given or any other investigative measure to be taken solely because a party had sought it; it was for the court to judge whether the requested measure would serve any useful purpose. The Court agrees with the Government“. 199 EGMR, Urt. vom 13. 07. 2000 (Nr. 25735/94), Elsholz v. Germany, Z. 66; Urt. vom 15. 06. 2004 (Nr. 40847/98), Tamminen v. Finland, Z. 38. Ausführlich zur Prüfungsdichte des EGMR siehe oben Kap. 4, S. 130.

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der EGMR etwa eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt, weil in der Berufungsinstanz vor der Entscheidung über eine Umgangsregelung eines unehelichen Vaters mit seinem Kind kein psychologisches Gutachten angefordert worden war und keine erneute mündliche Anhörung in zweiter Instanz stattgefunden hatte.200 Ein anderes Beispiel ist der Fall Schuler-Zgraggen. Hier sah der EGMR eine Verletzung von Art. 14 (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK darin, dass das Gericht seine ablehnende Entscheidung auf eine die Frauen diskriminierende, unzutreffende Argumentation gestützt hatte und nicht bereit gewesen war, auf die Gegenargumente der Klägerin einzugehen (mit 8 zu 1 Stimmen).201 Wenn angebotene Beweise, die für die Entscheidung des Falles relevant sind, von innerstaatlichen Gerichten nicht berücksichtigt werden, kann das Recht auf rechtliches Gehör verletzt sein.202 Im Fall De Haes and Gijsels hat der EGMR eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK angenommen, weil zwei belgische Tatsacheninstanzen in einem Schadensersatzprozess wegen Verleumdung die von den beklagten Journalisten als Beweismittel benannten Expertenberichte dreier Professoren nicht berücksichtigten, auf denen die inkriminierte Berichtserstattung der Journalisten beruhte.203 Dies gilt jedoch nicht unbeschränkt: „Article 6 § 1 [EMRK] does not grant an unlimited right to have evidence taken, and it is primarily the task of the respective courts to decide on the relevance to the proceedings of the taking of evidence“.204 Zu Recht schreibt in diesem Zusammenhang F. Matscher: „The dividing line between the assessment of evidence and the requirements of fair trial is not always clear“.205 Praktisch relevant ist die Frage, ob Beweise, die unter Verletzung des nationalen Rechts erlangt wurden, zu einer Konventionsverletzung führen. Solange das Verfahren insgesamt als fair bezeichnet werden kann, können nach der Rechtsprechung des EGMR solche Beweise verwertet werden.206 Dies hat der EGMR auch für unter Verstoß gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) erlangte Beweise angenommen, weil dem Beschwerdeführer in jeder Instanz die Möglichkeit gegeben wurde, sowohl die Authentizität der Beweise zu bezweifeln als auch deren Gebrauch anzufechten, und seine Einwände angemessene Beachtung

200

EGMR, Urt. vom 13. 07. 2000 (Nr. 25735/94), Elsholz v. Germany, Z. 66. EGMR, Urt. vom 24. 06. 1993 (Nr. 14518/89), Schuler-Zgraggen v. Switzerland, Z. 66 f. 202 EGMR, Urt. vom 22. 09. 1994 (Nr. 13616/88), Hentrich v. France, Z. 53 ff. 203 EGMR, Urt. vom 24. 02. 1997 (Nr. 19983/92), De Haes and Gijsels v. Belgium, Z. 58 f. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. 06. 2004 (Nr. 40847/98), Tamminen v. Finland, Z. 39 ff. Hier hatten innerstaatliche Gerichte die Zeugenvernehmung von einer der Parteien genannten Zeugen mit unzutreffenden und widersprüchlichen Gründen abgelehnt. 204 Etwa EKMR, Ent. vom 05. 10. 1987 (Nr. 12007/86), Rebasso v. Austria. 205 Matscher, in: Council of Europe (Hrsg.), The right to a fair trial, S. 15. 206 EGMR, Urt. vom 18. 03. 1997 (Nr. 21497/93), Mantovanelli v. France, Z. 34: „The Court (…) cannot exclude as a matter of principle and in the abstract that evidence obtained in breach of provisions of domestic law may be admitted“. 201

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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fanden.207 Sogar die Verwendung von Beweisen, die unter Verstoß gegen das Misshandlungsverbot (Art. 3 EMRK) erlangt waren, kann unter Umständen mit dem Fairnessgebot des Verfahrens vereinbar sein.208 c) Recht der Partei auf eine begründete Entscheidung Einen Prozess durch Orakelspruch zu beenden, wäre kein faires Verfahren.209 Deswegen hat der EGMR das Recht auf eine begründete Entscheidung zuerst in Bezug auf Strafverfahren anerkannt: Gerade die Begründung der Entscheidung ermögliche, von dem eingeräumten Berufungsrecht sinnvollen Gebrauch zu machen.210 Später hat der EGMR das Recht auf das Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ausgedehnt211 sowie zusätzliche Argumente für die Begründungspflicht vorgetragen: Sie ermögliche eine effektive öffentliche Kontrolle staatlicher Machtausübung und demonstriere den Parteien, dass sie beim Gericht rechtliches Gehör gefunden haben.212 Die Garantie gilt vor allem für das Endurteil erster Instanz und, wenn auch begrenzt, für Sachentscheidungen der Rechtsmittelinstanzen.213 Sie kann sich unter Umständen auch auf andere Entscheidungen des Gerichts erstrecken, z. B. über die Zurückweisung eines Beweismittels,214 die Überweisung der Sache an ein anderes Gericht,215 die eigene Unzuständigkeit216 oder die Wiederaufnahme des Verfahrens.217 Der Umfang der Begründungspflicht hängt vom Gegenstand der Entscheidung ab und muss im Lichte der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden.218 Bei der Begründungspflicht lässt der EGMR den nationalen Gerichten einen gewissen 207 EGMR, Urt. vom 12. 05. 2000 (Nr. 35394/97), Khan v. the United Kingdom, Z. 38 ff. (Strafverfahren). 208 EGMR (GK), Urt. vom 01. 06. 2010 (Nr. 22978/05), Gäfgen v. Germany, Z. 169 ff. (Strafverfahren). 209 Wimmer, NJW 1963, 2248. 210 EGMR, Urt. vom 16. 12. 1992 (Nr. 12945/87), Hadjianastassiou v. Greece, Z. 33. Noch im Urteil vom 30. 11. 1987 (Nr. 8950/80), H. v. Belgium, Z. 53, hat der EGMR eine unbegründete Entscheidung kritisiert. 211 EGMR, Urt. vom 24. 06. 1993 (Nr. 14518/89), Schuler-Zgraggen v. Switzerland, Z. 67; Urt. vom 19. 04. 1994 (Nr. 16034/90), Van de Hurk v. the Netherlands, Z. 61. 212 EGMR, Urt. vom 01. 07. 2003 (Nr. 37801/97), Suominen v. Finland, Z. 37; Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 1509/02), Tatishvili v. Russia, Z. 58. 213 EGMR, Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 12365/03), Krasulya v. Russia, Z. 52 ff. 214 EGMR, Urt. vom 01. 07. 2003 (Nr. 37801/97), Suominen v. Finland, Z. 34 ff.; Urt. vom 21. 05. 2002 (Nr. 28856/95), Jokela v. Finland, Z. 69. 215 EGMR, Urt. vom 03. 05. 2007 (Nr. 7577/02), Bochan v. Ukraine, Z. 74. 216 EGMR, Urt. vom 03. 12. 2002 (Nr. 35671/97), Lindner and Hammermayer v. Romania, Z. 32 ff. 217 EGMR, Urt. vom 06. 12. 2005 (Nr. 19960/04), Popov v. Moldova (no. 2), Z. 53. 218 EGMR, Ent. vom 06. 09. 2005 (Nr. 28070/03), Glender v. Sweden; Urt. vom 21. 05. 2002 (Nr. 28856/95), Jokela v. Finland, Z. 72.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Ermessensspielraum; Art. 6 Abs. 1 EMRK verlange keine detaillierte Antwort auf jedes vorgebrachte Argument der Parteien.219 Eine Verletzung kann aber gegeben sein, wenn das Gericht auf Hauptargumente nicht eingeht,220 z. B. den Verjährungseinwand221 oder die Ungültigkeit eines Gutachtens.222 Dadurch hat der EGMR klargestellt, dass er durchaus beurteilen darf, ob von den Beschwerdeführern vorgebrachte Argumente für das Gerichtsverfahren erheblich sind. Wenn nicht besondere Umstände für das Gegenteil sprechen, wird angenommen, dass das Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat. Ein solcher besonderer Umstand kann vorliegen, wenn sich aus der Begründung des Urteils ergibt, dass es auf einem Irrtum über den Vortrag beruht223 oder die Gründe der Entscheidung eindeutig unzureichend, offensichtlich widersprüchlich sind bzw. völlig rätselhaft bleiben.224 Bei Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei Ermessensentscheidungen ist eine ausreichende Begründung notwendig.225 Die Wiederholung des Wortlauts einer Bestimmung und die Feststellung ihrer Anwendbarkeit reichen auf keinen Fall.226 Rechtsmittelgerichte haben mehr Spielraum. Hier können auch unbegründete Entscheidungen unter Umständen mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar sein.227 So reicht etwa im Falle der Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Hinweis auf die entsprechende gesetzliche Bestimmung, die dies vorsieht.228 Allerdings muss bei der Zurückweisung wegen Fristversäumnis die Entscheidung eine Angabe hinsichtlich des Fristbeginns, des Fristendes sowie des 219

EGMR (GK), Urt. vom 12. 02. 2004 (Nr. 47287/99), Perez v. France, Z. 81; EGMR, Urt. vom 10. 08. 2006 (Nr. 40476/98), Yanakiev v. Bulgaria, Z. 72: „[W]hile Article 6 § 1 does not lay down specific rules on how to draft and present judicial opinions and cannot be understood as requiring a detailed answer to every argument raised by a litigant, it obliges the courts to give adequate reasons for their judgments“. 220 EGMR, Urt. vom 24. 05. 2005 (Nr. 61302/00), Buzescu v. Romania, Z. 67; Urt. vom 03. 05. 2007 (Nr. 7577/02), Bochan v. Ukraine, Z. 80 ff. 221 EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 18390/91), Ruiz Torija v. Spain, Z. 30. 222 EGMR, Urt. vom 16. 11. 2006 (Nr. 58472/00), Dima c. Roumanie, Z. 39 ff. 223 EGMR, Urt. vom 21. 03. 2000 (Nr. 34553/97), Dulaurans c. France, Z. 36 ff. 224 EGMR, Urt. vom 15. 03. 2007 (Nr. 19215/04), Gheorghe v. Romania, Z. 44 ff.; Urt. vom 23. 06. 1994 (Nr. 16997/90), De Moor v. Belgium, Z. 55: Das Gericht habe sich auf rechtlich unerhebliche Gründe gestützt. 225 EGMR, Urt. vom 30. 11. 1987 (Nr. 8950/80), H. v. Belgium, Z. 53; Urt. vom 23. 06. 1994 (Nr. 16997/90), De Moor v. Belgium, Z. 54 ff.; Urt. vom 29. 05. 1997 (Nr. 21522/93), Georgiadis v. Greece, Z. 41 ff. 226 EGMR, Urt. vom 15. 01. 2004 (Nr. 61828/00), Sakkopoulos c. Grèce, Z. 50 ff.; Urt. vom 06. 07. 2006 (Nr. 21091/04), Papa c. Grèce, Z. 14 f. 227 EGMR, Ent. vom 06. 09. 2005 (Nr. 28070/03), Glender v. Sweden; Ent. vom 12. 06. 2006 (Nr. 24079/02), Stepenska v. Ukraine: „The Court recalls that leave to appeal proceedings (…) may comply with the requirements of Article 6, although (…) the reasoning for rejecting a request for leave to appeal was not detailed“. 228 EGMR, Ent. vom 26. 02. 2002 (Nr. 54367/00), Bufferne v. France.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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Datums der Rechtsmitteleinlegung enthalten.229 In der Sachentscheidung kann das Rechtsmittelgericht sich darauf beschränken, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen.230 Wenn das Rechtsmittelgericht seine Entscheidung nicht begründet und sich auch nicht auf die Begründung der Vorinstanzen bezieht, verletzt es Art. 6 Abs. 1 EMRK.231 Wenn aber gerade die Unbegründetheit der Gerichtsentscheidung einer unteren Instanz vor dem Rechtsmittelgericht angegriffen wird, reicht der Hinweis auf die angefochtene Entscheidung nicht.232 Das Rechtsmittelgericht muss die wichtigsten Argumente des Rechtsmittelführers ansprechen.233 Bei der Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz muss das Rechtsmittelgericht alle relevanten Argumente, auf die sich die angefochtene Entscheidung stützt sowie die von Parteien vorgebracht wurden, ansprechen.234 Art. 6 Abs. 1 EMRK kann auch verletzt sein, wenn ein oberes Gericht von seiner ständigen Rechtsprechung abweicht, ohne das zu begründen.235 2. Recht auf Waffengleichheit Das Recht auf Waffengleichheit in einem Gerichtsverfahren kann schon aus dem Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK abgeleitet werden. Danach muss jede Partei Gelegenheit haben, ihren Fall einschließlich ihrer Beweise zu präsentieren, und zwar unter Bedingungen, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber ihrem Gegner darstellen.236 Das bedeutet, dass beide Prozessparteien verfahrensrechtlich grundsätzlich gleichgestellt werden müssen. Die Rechtsprechung des EGMR zum Recht auf Waffengleichheit ist nicht einheitlich. In einigen Entscheidungen machte der EGMR seine Entscheidung davon abhängig, ob die Beachtung der Waffengleichheit den Ausgang des Verfahrens hätte beeinflussen können. So war etwa im Fall Ankerl die Zeugin einer Partei nicht vereidigt und ihre Zeugenaussage im Vergleich zu denen der gegnerischen Streitpartei entsprechend weniger gewichtet worden. Dennoch lehnte der EGMR eine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit ab, da das nationale Gericht die Zeugenaussage als nicht ausreichend relevant für den Ausgang des Falles erachtet 229

EGMR, Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 51343/99), Angel Angelov v. Bulgaria, Z. 38; Urt. vom 14. 11. 2006 (Nr. 6923/03), Melnic v. Moldova, Z. 41. 230 EGMR (GK), Urt. vom 21. 01. 1999 (Nr. 30544/96), García Ruiz v. Spain, Z. 26. 231 EGMR, Urt. vom 28. 04. 2005 (Nr. 57808/00), Albina c. Roumanie, Z. 33 ff.; Urt. vom 10. 08. 2006 (Nr. 40476/98), Yanakiev v. Bulgaria, Z. 71 ff. 232 EGMR, Urt. vom 27. 09. 2001 (Nr. 49684/99), Hirvisaari v. Finland, Z. 30 ff. 233 EGMR, Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 19997/02), Boldea c. Roumanie, Z. 31 ff.; Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 1509/02), Tatishvili v. Russia, Z. 62. 234 EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 18064/91), Hiro Balani v. Spain, Z. 28. 235 EGMR, Urt. vom 27. 01. 2009 (Nr. 24428/03 u. a.), S¸tefan et S¸tef c. Roumanie, Z. 34 ff. 236 EGMR, Urt. vom 27. 10. 1993 (Nr. 14448/88), Dombo Beheer B.V. v. the Netherlands, Z. 33; Urt. vom 23. 10. 1996 (Nr. 17748/91), Ankerl v. Switzerland, Z. 38; Urt. vom 15. 02. 2005 (Nr. 68416/01), Steel and Morris v. the United Kingdom, Z. 62.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

hatte und deshalb auf ihre Vereidigung verzichten durfte.237 In vielen anderen Fällen hat der EGMR jedoch ausgeführt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Gegenpartei einen Vorteil tatsächlich ausgenutzt hat, sondern ob ein solcher abstrakt besteht und ob dieser von der Partei ausgenutzt werden könnte.238 Folglich sei es irrelevant, ob das Verfahren einen anderen Ausgang genommen hätte.239 Die Literatur versucht, diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, dass sie zwischen den Fällen, die sich direkt auf das materielle Beweisrecht beziehen, und Fällen, die lediglich formelle Verfahrensaspekte betreffen, unterscheidet.240 Ungleichbehandlung in formellen Verfahrensaspekten, etwa die Nichtgewährung einer Stellungnahme oder die unterlassene Information, bedeute eine Verletzung des Rechts auf Waffengleichheit (zumindest wenn das Gericht erwägt, die in Frage stehenden Unterlagen in das Urteil einfließen zu lassen). In den Fällen, die sich direkt auf das materielle Beweisrecht beziehen, müsse eine Benachteiligung der Partei vorliegen. Diese Unterscheidung wird vom EGMR nicht ausdrücklich vorgenommen, sie scheint aber ein gelungener Ansatz zu sein, um die Rechtsprechung des EGMR besser zu verstehen. Ungleichbehandlung in formellen Verfahrensaspekten führt in der Regel zum Verstoß gegen das Recht auf Waffengleichheit. Sie liegt etwa vor, wenn eine Verfahrensordnung dem Kläger eine kürzere Frist für das Einreichen seiner Schriftsätze einräumt als dem Beklagten,241 oder wenn wegen Gerichtsferien einer Partei (hier dem Staat) eine Fristverlängerung gewährt wird, der anderen Partei hingegen

237

EGMR, Urt. vom 23. 10. 1996 (Nr. 17748/91), Ankerl v. Switzerland, Z. 38. Vgl. auch EGMR, Ent. vom 15. 06. 1999 (Nr. 42957/98), Ruiz Santillan and Others v. Spain: „[T]he right to a fair trial is not breached merely by the existence of an error in the proceedings, but only when the error caused effective and real prejudice to the possibilities of defence, which is not the case“. 238 EGMR, Urt. vom 05. 10. 2000 (Nr. 32367/96), APEH Üldözötteinek Szövetsége and Others v. Hungary, Z. 42: „[I]t is to be recalled that the principle of equality of arms does not depend on further, quantifiable unfairness flowing from a procedural inequality. It is a matter for the parties to assess whether a submission deserves a reaction and it is inadmissible for one party to make submissions to a court without the knowledge of the other and on which the latter has no opportunity to comment“. 239 EGMR, Urt. vom 20. 07. 2001 (Nr. 30882/96), Pellegrini v. Italy, Z. 45: „It is irrelevant that, in the Government’s opinion, as the nullity of the marriage derived from an objective and undisputed fact the applicant would not in any event have been able to challenge it“; Urt. vom 03. 06. 2003 (Nr. 37372/97), Walston (no. 1) v. Norway, Z. 58: „The Court does not need to determine whether the omission to communicate the document caused the applicants prejudice; the existence of a violation is conceivable even in the absence of prejudice“. 240 Pfannkuchen-Heeb, in: Sutter/Zelger (Hrsg.), 30 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz, S. 238. 241 EGMR, Urt. vom 05. 11. 2002 (Nr. 32576/96), Wynen and Centre hospitalier interrégional Edith-Cavell v. Belgium, Z. 32 (mit 4 zu 3 Stimmen). Eine Minderheit war der Meinung, dass diese Unterscheidung durch Besonderheiten des Verfahrens vor dem Kassationsgerichtshof sowie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles die Fairness des Verfahrens insgesamt nicht beeinflusst habe, vgl. Sondervoten der EGMR-Richter Lemmens, Thomassen, Jungwiert.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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nicht.242 Dasselbe gilt, wenn eine Partei gehört wird, ohne dass die Gegenpartei Gelegenheit zur Stellungnahme dazu gewährt wird.243 Die Ungleichbehandlung liegt dagegen nicht vor, wenn etwa vor den Rechtsmittelgerichten, die nur über Rechtsfragen zu urteilen haben, rechtliche Rügen abschließend mit der Rechtsmittelbegründung vorzubringen sind und keine Möglichkeit der Erwiderung auf die Stellungnahme besteht.244 Der Grundsatz der Waffengleichheit kann nach der Rechtsprechung des EGMR nicht nur in Fällen verletzt werden, in denen eine der Parteien unmittelbar benachteiligt wird, sondern auch in den Fällen, in denen ein Vertreter von unabhängigen Justizstellen (Vertretern des öffentlichen Interesses) bei einer nichtöffentlichen Beratung des entsprechenden Gerichts, wenn auch ohne Stimmrecht, anwesend ist, und dadurch eine zusätzliche Gelegenheit hat, seinen Standpunkt zu vertreten.245 Durch die Beteiligung am Verfahren wird die unabhängige Justizstelle, nach Auffassung des EGMR, objektiv zum Gegner einer der Parteien. Kein Problem sah der EGMR jedoch in der Beteiligung des Generalanwalts an der mündlichen Verhandlung, da die Parteien ausreichend Möglichkeiten hatten, auf die von ihm vorgebrachten Argumente zu antworten.246 „The concept of a fair trial, of which equality of arms is one aspect, implies the right for the parties to have knowledge of and to comment on all evidence adduced or observations filed“.247 Folglich müssen beide Parteien nicht nur unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs, sondern auch des Rechts auf Waffengleichheit Zugang zu allen vorgebrachten Beweisen und Bemerkungen gegenüber dem Gericht haben.248 Dies umfasst die Pflicht des Gerichts, alle ihm zugänglich gemachten Beweise oder Dokumente an die andere Partei weiterzuleiten, wenn diese auch nur annähernd von Bedeutung sein könnten.249 Dies gilt nicht nur für Schriftstücke der Gegenseite,250 sondern auch für solche, die das Gericht ex officio anfordert,251 Stellungnahmen zur Rechtsstreitigkeit, die von unabhängigen Justizstellen252 (etwa der Generalanwaltschaft) oder anderen Gerichten stammen.253 242 243 244 245 246 247

Z. 55.

EGMR, Urt. vom 11. 01. 2001 (Nr. 38460/97), Platakou v. Greece, Z. 48 f. EGMR, Urt. vom 23. 06. 1993 (Nr. 12952/87), Ruiz-Mateos v. Spain, Z. 67 f. EKMR, Ent. vom 09. 12. 1986 (Nr. 10938/84), Kaufman v. Belgium, Z. 2. EGMR (GK), Urt. vom 12. 04. 2006 (Nr. 58675/00), Martinie v. France, Z. 53. EGMR (GK), Urt. vom 07. 06. 2001 (Nr. 39594/98), Kress v. France, Z. 76. EGMR, Urt. vom 19. 05. 2005 (Nr. 63151/00), Steck-Risch and Others v. Liechtenstein,

248 EGMR, Urt. vom 27. 01. 2004 (Nr. 38267/97), H.A.L. v. Finland, Z. 44; Urt. vom 31. 05. 2007 (Nr. 21510/03), Grozdanoski v. the former Yugoslav Republic of Macedonia, Z. 36 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 249 EGMR, Urt. vom 27. 01. 2004 (Nr. 38267/97), H.A.L. v. Finland, Z. 45. 250 EGMR, Urt. vom 03. 06. 2003 (Nr. 37372/97), Walston (no. 1) v. Norway, Z. 60. 251 EGMR, Urt. vom 31. 05. 2001 (Nr. 29346/95), K.S. v. Finland, Z. 19 ff. 252 EGMR (GK), Urt. vom 07. 06. 2001 (Nr. 39594/98), Kress v. France, Z. 64 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung. In all diesen Verfahren ging es um die besondere Rolle der generalan-

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

Eine unterschiedliche Behandlung bei der Anhörung von Zeugen kann das Prinzip der Waffengleichheit verletzen. Die Leitentscheidung dazu ist der Fall Dombo Beheer B.V.254 Dem Urteil lag folgende Fallkonstellation zu Grunde: In einem Zivilprozess vor holländischen Gerichten über die streitentscheidende Frage, ob eine mündliche Vereinbarung über ein Kreditgeschäft zustande gekommen war, konnten nur zwei Personen (die einzigen, die am einschlägigen Gespräch teilgenommen hatten) Auskunft geben. Eine davon war der Direktor der klagenden Gesellschaft, die andere ein leitender Angestellter der beklagten Bank. Das Gericht hatte aber nur letzteren als Zeuge vernommen, eine Vernehmung des ersteren wegen seiner Eigenschaft als Partei gemäß dem niederländischen Recht hingegen nicht zugelassen. Hierin sah der EGMR eine Verletzung des Prinzips der Waffengleichheit (mit 5 zu 4 Stimmen).255 In einem anderen Fall sah der EGMR das Recht auf Waffengleichheit als verletzt an, weil das Gericht die Vernehmung von einer der Parteien benannten Zeugen mit der Begründung abgelehnt hatte, der Sachverhalt sei ausreichend ermittelt, dann aber Zeugen der Gegenpartei vernommen hatte.256 Das Recht auf Waffengleichheit kann unter Umständen einen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) begründen. Dies hat der EGMR für einen sehr komplexen Schadensersatzprozess wegen Verleumdung zwischen McDonald’s und zwei arbeitslosen Greenpeace-Aktivisten angenommen.257 Entscheidend ist danach, dass die Parteien sich selbst wirksam vertreten können. Das Recht auf Waffengleichheit in Bezug auf die Gewährung von PKH überschneidet sich mit dem Recht auf Zugang zu Gericht (ausführlich dazu unten Kap. 6, S. 221 ff.) Das Recht auf Waffengleichheit kann bestimmte Fürsorgepflichten des Gerichts begründen. Die EKMR hat deutlich gemacht, dass z. B. die fehlende Rücksichtnahme des Gerichts auf die unzureichenden Sprachkenntnisse der Partei in Zivilverfahren waltlichen Abteilungen, deren Beamten neben staatsanwaltlicher Tätigkeit und der anwaltlichen Vertretung des Staates auch die Beteiligung an Gerichtsverfahren als amici curiae zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und einer einheitlichen Entscheidungspraxis obliegt. Anders noch EKMR, Ent. vom 09. 12. 1986 (Nr. 10938/84), Kaufman v. Belgium, Z. 5. 253 EGMR, Urt. vom 18. 02. 1997 (Nr. 18990/91), Nideröst-Huber v. Switzerland, Z. 23. Hier hatte sich der EGMR damit auseinanderzusetzen, dass nach schweizerischem Zivilprozessrecht ein Kantonsgericht bei Berufungen zum Bundesgericht zusammen mit der Akte eine eigene Stellungnahme an letzteres weiterleiten kann. Der EGMR befand, dass gerichtliche Stellungnahmen zur Berufung – wenngleich ein seltenes Phänomen innerhalb der Konventionsstaaten – als solche nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK verstießen, da sie Zeit und Kosten sparen und von einem unabhängigen Gericht abgegeben würden (Z. 22). Anderes gelte für den Umstand, dass die Parteien die Stellungnahme nicht einsehen konnten. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 21. 02. 2002 (Nr. 33499/96), Ziegler v. Switzerland, Z. 39. 254 EGMR, Urt. vom 27. 10. 1993 (Nr. 14448/88), Dombo Beheer B.V. v. the Netherlands. 255 Ein Anspruch, in eigener Sache als Zeuge gehört zu werden, enthält Art. 6 Abs. 1 EMRK allerdings nicht: EKMR, Ent. vom 08. 05. 1962 (Nr. 1092/61), X. v. Austria, DR 9, S. 37 ff. 256 EGMR, Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 34499/06), Peric´ v. Croatia, Z. 22 ff. 257 EGMR, Urt. vom 16. 07. 2002 (Nr. 56547/00), P., C. and S. v. the United Kingdom, Z. 89 ff.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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unter Umständen gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen kann.258 Auf der anderen Seite muss das Gericht unparteiisch bleiben. Wie weit die Fürsorgepflicht des Gerichts reicht, ist noch nicht abschließend geklärt. Aufgrund der grundsätzlichen Autonomie der Parteien in einem Zivilprozess hat die EKMR eine generelle Pflicht des Gerichts abgelehnt, durch Belehrung der Parteien darauf hinzuwirken, dass sie sich zu allen Rechtsfragen äußern, die sich nach seiner Sicht im konkreten Fall stellen.259 Eng mit dem Recht auf Waffengleichheit ist das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren verbunden. Dementsprechend haben die Verfahrensbeteiligten das Recht darauf, dass alle Beweise in ihrer Gegenwart erhoben werden und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, Fragen zu stellen und unmittelbare Einwendungen und Mängel der Beweismittel geltend zu machen. Dies ergibt sich etwa aus dem Urteil des EGMR im Fall Mantovanelli,260 dem folgender Sachverhalt zu Grunde lag: In einem Schadensersatzprozess wegen eines Behandlungsfehlers hatte der vom Gericht bestellte Sachverständige sein Gutachten im Krankenhaus des Beklagten, unter Anhörung dessen Bediensteten, aber in Abwesenheit der Klägerin und ihres Rechtsanwalts, vorbereitet. Darüber hinaus konnte die Klägerin auch die Unterlagen nicht einsehen, die dem Sachverständigen zugänglich waren. Der EGMR erblickte hierin eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (mit 5 zu 4 Stimmen), obwohl das erstellte Gutachten noch vor der Gerichtsverhandlung der Klägerin zur Kenntnis gebracht worden war. 3. Vernichtung des rechtshängigen Anspruchs durch gesetzgeberische Maßnahmen Der Grundsatz des fairen Verfahrens kann auch dadurch verletzt werden, dass während laufender Verfahren durch rückwirkende Gesetze ein Anspruch vernichtet 258 Vgl. EKMR, Ent. vom 09. 12. 1981 (Nr. 9099/80), X. and Y. v. Austria: „The Commission observes that the right to be informed of the nature and cause of a civil action in a language which the defendant understands is not expressly guaranteed in the Convention (…). This does not mean, however, that the language of court proceedings and of individual acts relating to them can under no circumstances be relevant in the context of the application of Article 6 (1) to civil cases. Whether or not the failure to translate certain documents is unfair must, however, be determined in each individual case having regard to the particular circumstances“. Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung R(81)7 vom 14. 05. 1981 an die Mitgliedstaaten über Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zum Rechtsschutz, Anhang Z. 6: „Ist eine der Prozessparteien der Gerichtssprache nicht hinreichend mächtig, haben die Staaten die Frage der Verdolmetschung und Übersetzung besondere Aufmerksamkeit zu widmen und darüber zu wachen, dass die wirtschaftlich Schwachen nicht wegen ihrer Unfähigkeit, die Gerichtssprache zu sprechen oder zu verstehen, hinsichtlich des Zugangs zum Gericht oder des Prozessverlaufs benachteiligt werden“, dt. Übersetzung zit. nach Miehsler/Petzold (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention: Texte und Dokumente, Bd. 2 (1982), S. 259. 259 EKMR, Ent. vom 08. 11. 1989 (Nr. 13957/88), Lehmann v. Germany; Ent. vom 07. 02. 1968 (Nr. 3147/67), X. & Co. (England) Ltd. v. Germany. 260 EGMR, Urt. vom 18. 03. 1997 (Nr. 21497/93), Mantovanelli v. France.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

und der Ausgang des Verfahrens gezielt beeinflusst wird.261 Der EGMR hat dies zum ersten Mal im Fall Stran Greek Refineries and Stratis Andreadis 1994 entschieden und sich dabei auf das Prinzip der Fairness des Verfahrens in Verbindung mit der Rechtsstaatlichkeit gestützt.262 Manchmal argumentiert der EGMR in solchen Fällen auch mit dem Prinzip der Waffengleichheit.263 Eingriffe des Gesetzgebers in anhängige Verfahren schließt der EGMR grundsätzlich nicht aus, soweit sie auf zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses beruhen.264 Ein Beispiel hierfür ist der Fall Forrer-Niedenthal, in dem im Zuge der deutschen Wiedervereinigung auftretende Eigentumskonflikte im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens durch rückwirkende gesetzgeberische Maßnahmen bereinigt wurden.265 Im Übrigen ist zu fragen, ob der Eingriff verhältnismäßig und vorhersehbar ist. Der EGMR hielt eine Vernichtung des rechtshängigen Anspruchs durch gesetzgeberische Maßnahmen dann für konventionskonform, wenn sie zur Schließung einer Lücke in der Gesetzgebung notwendig war und somit mit der fraglichen Maßnahme zu rechnen war.266 In einem Fall hat der EGMR außerdem berücksichtigt, dass das rückwirkende Gesetz in Kraft trat, noch ehe es in den Klagesachen zu einer Verhandlung kam.267 Keine zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses stellen Haushaltsüberlegungen sowie die Umsetzung eines politischen Programms dar.268 Widersprechende Gerichtsentscheidungen im Rahmen eines noch schwebenden Verfahrens begründen den gesetzgeberischen Eingriff genauso wenig.269

261 In einigen Fällen der Rückwirkung von Gesetzen, die existierende Ansprüche schlicht zunichte machen, nahm der EGMR eine Verletzung des Art. 1 1. ZP zur EMRK (Schutz des Eigentums) an, und hielt eine Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 1 EMRK deshalb für nicht erforderlich, vgl. etwa EGMR, Urt. vom 20. 11. 1995 (Nr. 17849/91), Pressos Compania Naviera S.A. v. Belgium. 262 EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 13427/87), Stran Greek Refineries and Stratis Andreadis v. Greece, Z. 49. In diesem Fall war Art. 6 Abs. 1 EMRK dadurch verletzt, dass die Durchsetzung eines rechtshängigen und in zwei Instanzen anerkannten Schadensersatzanspruchs gegen den Staat durch gesetzgeberische Maßnahmen gezielt unmöglich gemacht wurde. 263 Etwa EGMR, Urt. vom 11. 04. 2006 (Nr. 60796/00), Cabourdin c. France, Z. 28 ff. 264 EGMR (GK), Urt. vom 28. 10. 1999 (Nr. 24846/94 u. a.), Zielinski and Pradal and Gonzalez and Others v. France, Z. 57; EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 126. 265 EGMR, Urt. vom 20. 02. 2003 (Nr. 47316/99), Forrer-Niedenthal c. Allemagne, Z. 50 ff. 266 EGMR, Urt. vom 27. 05. 2004 (Nr. 42219/98 u. a.), OGIS-Institut Stanislas, OGEC St. Pie X. et Blanche de Castille et autres c. France, Z. 61 ff. 267 EGMR, Urt. vom 23. 10. 1997 (Nr. 21319/93 u. a.), National & Provincial Building Society, Leeds Permanent Building Society and Yorkshire Building Society v. the United Kingdom, Z. 112. 268 EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 132. 269 EGMR (GK), Urt. vom 28. 10. 1999 (Nr. 24846/94 u. a.), Zielinski and Pradal and Gonzalez and Others v. France, Z. 59.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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In den am meisten besprochenen Fällen, in denen der Gesetzgeber rückwirkend in Rechtsstreitigkeiten eingegriffen hatte, war der Staat selbst Partei. Aber auch rückwirkende Gesetze, die den Ausgang des Verfahrens zwischen privaten Personen beeinflussen, müssen durch zwingende Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein.270 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland Der EGMR hat in 37 Urteilen die Fairness der Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen vor russischen Gerichten bis Ende 2011 beanstandet. In den meisten Fällen ging es um die Unmöglichkeit der Anwesenheit der Beschwerdeführer in Gerichtsverhandlungen. Hier kommen Verletzungen sowohl des Anspruchs auf rechtliches Gehör als auch des Rechts auf Waffengleichheit in Frage. In 18 Urteilen lag die Ursache für die Konventionsverletzung daran, dass die Beschwerdeführer in innerstaatlichen Verfahren zu Gerichtsverhandlungen (in der zweiten Instanz) nicht in einer Weise geladen worden waren, die ihre Teilnahme an den Verhandlungen ermöglicht hätte.271 In elf Urteilen war das Recht der Strafgefangenen auf ein faires Verfahren im Zivilprozess verletzt, weil ihre persönliche Anhörung für nicht notwendig erachtet wurde und die Gefangenen insgesamt ihre Fälle nicht wirksam vor Gericht vertreten

270

EGMR, Urt. vom 11. 04. 2006 (Nr. 60796/00), Cabourdin c. France, Z. 28 ff.; Urt. vom 18. 04. 2006 (Nr. 66018/01), Vezon c. France, Z. 28 ff. (In beiden Fällen stellte der EGMR fest, dass das „finanzielle Gleichgewicht des Bankensektors“ keine Rückwirkung des Gesetzes rechtfertige). Vgl. EGMR, Urt. vom 20. 07. 2004 (Nr. 37598/97), Bäck v. Finland, der die Einschätzung des finnischen Gesetzgebers nicht beanstandet hat, wonach ein dringendes und zwingendes öffentliches Interesse daran bestand, verschuldeten Personen die Möglichkeit zur Regulierung ihrer Schulden zu bieten. [Diese Maßnahme hat der EGMR nur auf Vereinbarkeit mit Art. 1 des 1. ZP zur EMRK (Recht auf Eigentum) geprüft]. 271 EGMR, Urt. vom 15. 03. 2005 (Nr. 72701/01), Yakovlev v. Russia, Z. 19 ff.; Urt. vom 20. 10. 2005 (Nr. 69889/01), Groshev v. Russia, Z. 27 ff.; Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 23377/02), Mokrushina v. Russia, Z. 20 ff.; Urt. vom 03. 05. 2007 (Nr. 8630/03), Prokopenko v. Russia, Z. 17 ff.; Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 74286/01), Larin et Larina c. Russie, Z. 38 ff.; Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 837/03), Subbotkin v. Russia, Z. 16 ff.; Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 75893/01), Fokin v. Russia, Z. 15 ff.; Urt. vom 16. 10. 2008 (Nr. 1385/04), Sazonov v. Russia, Z. 20 ff.; Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 34489/05), Litvinova v. Russia, Z. 13 ff.; Urt. vom 07. 05. 2009 (Nr. 31049/05), Sivukhin v. Russia, Z. 22 ff.; Urt. vom 26. 05. 2009 (Nr. 3932/02), Batsanina v. Russia, Z. 31 ff.; Urt. vom 26. 11. 2009 (Nr. 11583/05), Zaytseva v. Russia, Z. 19 ff.; Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 22596/04), Akhmatova v. Russia, Z. 54 ff.; Urt. vom 03. 02. 2011 (Nr. 6571/ 04), Igor Vasilchenko v. Russia, Z. 67 ff.; Urt. vom 15. 03. 2011 (Nr. 15093/05), Shandrov v. Russia, Z. 23 ff.; Urt. vom 07. 06. 2011 (Nr. 28956/05), Gusak v. Russia, Z. 21 ff.; Urt. vom 13. 12. 2011 (Nr. 43330/09), Trudov c. Russie, Z. 16 ff.; Urt. vom 10. 05. 2011 (Nr. 23464/06), Kostin v. Russia, Z. 10 ff. (In einigen Fällen sah der EGMR den Grundsatz der Öffentlichkeit neben dem Recht auf ein faires Verfahren aufgrund der Abwesenheit der Beschwerdeführer von der Gerichtsverhandlung als verletzt an).

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konnten.272 Russische Gerichte haben Anträge der Gefangenen auf persönliche Anhörung in der Regel mit der Begründung abgewiesen, es sei die Möglichkeit ihrer Überstellung an Zivilgerichte gesetzlich nicht vorgesehen. Gerichte haben auch keine anderen Optionen geprüft, um die Gefangenen (etwa im Gefängnis) anzuhören oder durch andere Maßnahmen ihre wirksame Beteiligung am Verfahren sicherzustellen. In einigen Fällen sah der EGMR eine persönliche Anhörung von Gefangenen als unerlässlich an, weil ihre Klagen im Wesentlichen auf persönliche Erfahrungen gestützt waren (Schadensersatzprozesse wegen Missbrauchs seitens der Polizei und wegen unmenschlicher Haftbedingungen). Die Anhörung war hier nach der Meinung des EGMR zur Aufklärung der Sache besonders wichtig und im Interesse der Justiz notwendig.273 In den anderen Fällen war die Anwesenheit von Strafgefangenen in mündlichen Verhandlungen zwar nicht zwingend erforderlich, der EGMR kam aber zum Schluss, dass die Gefangenen insgesamt ihre Fälle nicht wirksam vor Gericht vertreten konnten. Dabei hat der Gerichtshof berücksichtigt, dass die Gefangenen mittellos waren, keine Vertretung hatten und keine PKH in Anspruch nehmen konnten.274 In einigen Fällen wurde zudem die Ladung zu spät zugestellt und die

272 EGMR, Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 78145/01), Kovalev v. Russia, Z. 37; Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 13470/02), Khuzhin and Others v. Russia, Z. 103 ff.; Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 23243/03), Sokur v. Russia, Z. 30 ff.; Urt. vom 17. 12. 2009 (Nr. 20075/03), Shilbergs v. Russia, Z. 104 ff. (3 Verletzungen in verschiedenen Prozessen); Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 4871/03), Skorobogatykh v. Russia, Z. 69 ff.; Urt. vom 04. 03. 2010 (Nr. 28245/04), Mokhov v. Russia, Z. 41 ff.; Urt. vom 20. 05. 2010 (Nr. 15034/02), Larin v. Russia, Z. 41 ff.; Urt. vom 27. 05. 2010 (Nr. 14146/02), Artyomov v. Russia, Z. 204 ff. (3 Verletzungen in verschiedenen Prozessen); Urt. vom 10. 06. 2010 (Nr. 13173/02), Mukhutdinov v. Russia, Z. 110 ff.; Urt. vom 25. 11. 2010 (Nr. 30251/03), Roman Karasev v. Russia, Z. 58 ff. (2 Verletzungen in verschiedenen Prozessen); Urt. vom 06. 12. 2011 (Nr. 50098/07), Rozhin v. Russia, Z. 26 ff. 273 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 78145/01), Kovalev v. Russia, Z. 37 (Der Beschwerdeführer war im Schadensersatzprozess vertreten): „Given that the applicant’s claim was, by its nature, largely based on his personal experience, his statement would have been an important part of the plaintiff’s presentation of the case, and virtually the only way to ensure adversarial proceedings. In refusing to order his attendance, the domestic courts therefore failed to ensure a fair hearing of the applicant’s claim“. In diesem Urteil hat der EGMR noch Ausführungen gemacht, die für Bestimmung der Bindungswirkungsgrenze innerstaatlicher Urteile von Bedeutung sind. Das innerstaatliche Gericht hat die Klage abgewiesen, weil die Behauptungen über den Missbrauch der Polizei im Strafverfahren, in dem der Beschwerdeführer verurteilt wurde, geprüft worden und das Zivilgericht daran gebunden sei. Der EGMR folgte einem derartigen Verständnis von res iudicata nicht: „The Court has already distinguished on several occasions between complaints about police brutality made for the purpose of contesting evidence in the criminal proceedings, on one hand, and a civil action aimed at establishing the existence of ill-treatment which may eventually result in a compensation award, on the other hand (see Ksenzov v. Russia (dec.), no. 75386/01, 27 January 2005, and Slyusarev v. Russia (dec.), no. 60333/00, 9 November 2006). Therefore, the mere reference to the episode of the applicant’s complaint before the criminal court was insufficient to refuse him a further opportunity to make submissions on the subject“ (Z. 36). 274 Vgl. EGMR, Urt. vom 20. 05. 2010 (Nr. 15034/02), Larin v. Russia, Z. 54: „In the Court’s opinion, where the effective participation of a detainee in civil proceedings cannot be secured by other means, the law must provide for some form of legal aid“.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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Strafgefangenen hatten folglich keine Möglichkeit, sich eines Vertreters zu bedienen oder schriftlich ihren Standpunkt effektiv zu vertreten.275 In einem Fall wurde der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt darüber informiert, dass es ein Verfahren gab, um ihn zu entmündigen. Folglich war er nicht in der Lage, an dem Verfahren in irgendeiner Form teilzunehmen. Der EGMR führte aus, dass die Beteiligung des Beschwerdeführers am Verfahren nicht nur zur Präsentation seines Falles unerlässlich war, sondern auch notwendig, um dem Richter die Möglichkeit zu geben, sich eine eigene Meinung über den geistigen Zustand des Beschwerdeführers zu verschaffen.276 In drei Urteilen hat der EGMR das Recht auf Waffengleichheit als verletzt angesehen. In einem Fall hat das Gericht im Verfahren gegen eine psychiatrische Anstalt, in dem es darum ging, ob die Unterbringung in dieser Anstalt rechtmäßig war, ein Gutachten über den Geisteszustand des Klägers bei den Ärzten der Anstalt eingeholt und seine Entscheidung darauf gestützt. Der EGMR hat hervorgehoben, dass den Sachverständigen im Verfahren großes Gewicht (dominant role) zugekommen war und sie gegenüber ihrem Arbeitgeber zur Loyalität verpflichtet waren.277 In zwei anderen Urteilen hat der EGMR die Beteiligung der Staatsanwälte an Zivilprozessen nach der ZPO RSFSR 1964 für konventionswidrig gehalten.278 Es ging dabei um die Intervention der Staatsanwaltschaft zugunsten staatlicher Organe, die selbst in der Lage wären, ihre Interessen in Prozessen gegen Privatpersonen effektiv zu vertreten. Der EGMR wertete die Intervention als einen prozessualen Vorteil staatlicher Organe und berücksichtigte, dass die Gegenseite Schlussvorträge der Staatsanwaltschaft nicht kommentieren konnte. Unter diesen Umständen hat der EGMR einen Verstoß gegen das Recht der Beschwerdeführer (Privatpersonen) auf Waffengleichheit festgestellt. Die Beteiligung der Staatsanwälte an Zivilprozessen wird jedoch nicht völlig ausgeschlossen.279 In einem Urteil gegen Russland hat der EGMR die Erhebung der Klage und die Prozessführung der Staatsanwaltschaft gegen eine Privatperson im Namen einer staatlichen Organisation sowie einer Privatperson nicht beanstandet (das Verfahren richtete sich auch nach der ZPO RSFSR 1964).280

275

Vgl. ebenda, Z. 41 ff. EGMR, Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 44009/05), Shtukaturov v. Russia, Z. 61 ff. 277 EGMR, Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 34449/03), Shulepova v. Russia, Z. 54 ff. 278 EGMR, Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 42454/02), Menchinskaya v. Russia, Z. 21 ff.; Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 5447/03), Korolev v. Russia (no. 2), Z. 19 ff. 279 Vgl. EGMR, Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 5447/03), Korolev v. Russia (no. 2), Z. 33: „The Court does not exclude the possibility that support by the prosecutor’s office for one of the parties may be justified in certain circumstances, for instance for the protection of vulnerable persons who are assumed to be unable to protect their interests themselves, or where numerous citizens are affected by the wrongdoing concerned, or where identifiable State assets or interests need to be protected“. 280 EGMR, Urt. vom 26. 05. 2009 (Nr. 3932/02), Batsanina v. Russia, Z. 20 ff. (mit 6 zu 1 Stimmen). 276

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

In zwei Urteilen hat der EGMR eine Verletzung gegen die Begründungspflicht innerstaatlicher Gerichtsentscheidungen festgestellt. Obwohl die meisten Verfahren nicht im Bereich des klassischen Zivilprozessrechts liegen, sind die Ausführungen des EGMR für das ganze Prozessrecht RF von Bedeutung. Die Urteile des EGMR belegen, dass es für Individuen in Russland nach wie vor schwierig ist, ihre Ansprüche gegen den Staat vor Gericht durchzusetzen. Im Fall Kuznetsov u. a. zur konventionswidrigen Auflösung einer religiösen Veranstaltung hat der EGMR ausgeführt: „The Court is struck by the inconsistent approach of the Russian courts, on the one hand finding it established that the Commissioner and her aides had come to the applicants’ religious meeting and that it had been terminated ahead of time, and on the other hand refusing to see a link between these two elements without furnishing an alternative explanation for the early termination of the meeting (…). The crux of the applicants’ grievances – a violation of their right to freedom of religion – was thus left outside the scope of review by the domestic courts which declined to undertake an examination of the merits of their complaint. In these circumstances, the Court finds that the domestic courts failed in their duty to state the reasons on which their decisions were based and to demonstrate that the parties had been heard in a fair and equitable manner“.281 Im Fall Tatishvili, in dem es um die Rechtsmäßigkeit des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Russland ging, hat der EGMR ausgeführt: „The Court finds it anomalous that the District Court relied on a treaty governing the conditions of entry and stay for Georgian citizens without giving any reasons for the assumption that the applicant had been a Georgian citizen. As the Court has found above, no evidence to that effect has been produced either in the domestic proceedings or before it. Nor was the inadequacy of the District Court’s reasoning corrected by the Moscow City Court, which simply endorsed the reasons for the lower body’s decision. While such a technique of reasoning by an appellate court is, in principle, acceptable, in the circumstances of the present case it failed to satisfy the requirements of a fair trial. As the applicant’s statement of appeal indicated that the District Court’s findings had been devoid of a factual and/or legal basis, it was all the more important that the City Court give proper reasons of its own (…). Nevertheless, the City Court endorsed the District Court’s findings in a summary fashion, without reviewing the arguments in the applicant’s statement of appeal. Accordingly, the Court considers that the manifestly deficient reasoning by the Dorogomilovskiy District Court and the subsequent approval of such inadequate reasoning by the Moscow City Court as an appellate body failed to fulfil the requirements of a fair trial“.282 Im Fall Khamidov (Schadensersatzklage wegen der Besetzung und Zerstörung von Eigentum durch Sicherheitskräfte in Tschetschenien) hat der EGMR die Beweiswürdigung durch innerstaatliche Gerichte als willkürlich angesehen.283 Dabei 281 282 283

EGMR, Urt. vom 11. 01. 2007 (Nr. 184/02), Kuznetsov and Others v. Russia, Z. 84 ff. EGMR, Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 1509/02), Tatishvili v. Russia, Z. 61 ff. EGMR, Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 72118/01), Khamidov v. Russia, Z. 167 ff.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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ging es überwiegend um die unbegründete Zurückweisung von Beweismitteln bzw. um fehlende Stellungnahmen der Gerichte zu Argumenten der Parteien. Das Urteil des EGMR im Fall Galich erging zu einem Rechtsstreit zwischen Privaten. Hier ging das Berufungsgericht über die Berufungsanträge der Parteien hinaus und entschied nach eigenem Ermessen über eine Frage (Senkung von Verzugszinsen wegen deren Unverhältnismäßigkeit), ohne dies zu begründen und die Parteien dazu anzuhören.284 Neben der Verletzung des Rechts auf eine begründete Entscheidung kann hier auch der Anspruch auf rechtliches Gehör als verletzt angesehen werden.285 2. Anspruch auf rechtliches Gehör nach russischem Recht Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in der russischen Verfassung nicht ausdrücklich genannt. Das VerfG RF hat ihn jedoch aus der Verf. RF unter Heranziehung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 13 EMRK abgeleitet und somit den Verfassungsrang anerkannt.286 Die ZPO RF enthält eine ganze Reihe von Vorschriften, die das Recht auf rechtliches Gehör sicherstellen. Die Beteiligten des Zivilverfahrens haben einen Anspruch auf Unterrichtung und auf Gelegenheit zur Äußerung, bevor eine ihnen nachteilige Entscheidung ergeht (vgl. etwa Artt. 137 ff., 150 Abs. 1 Nr. 3, 157 Abs. 1, 166, 327 Abs. 3 ZPO RF). Sie können sich zu jeder im Verlauf des Verfahrens auftauchenden Frage äußern (Art. 35 Abs. 1 ZPO RF). Über Anträge entscheiden Gerichte erst nach Anhörung aller Beteiligten (vgl. etwa Artt. 174, 330 Abs. 4 Nr. 2 ZPO RF). In einem Urkundenverfahren mit unstreitigen Forderungen (prikaznoe proizvodstvo) (Artt. 121 ff. ZPO RF) oder einem Versäumnisverfahren (zaocˇnoe proizvodstvo) (Artt. 233 ff. ZPO RF) ist der Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch gesichert, dass dem Beklagten die ergangene Gerichtsentscheidung zugestellt wird und er die Möglichkeit hat, das Verfahren in den vorigen Stand zu setzen (vgl. Artt. 128 f., 236 f. ZPO RF). Die Gerichtssprache in Russland ist naturgemäß Russisch; in den Republiken der Russischen Föderation ist die Durchführung des Zivilgerichtsverfahrens in der Staatssprache der entsprechenden Republik möglich (Art. 9 Abs. 1 ZPO RF). Verfahrensbeteiligte, die der Sprache der Gerichtsverhandlung nicht mächtig sind, haben das Recht, sich vor Gericht in der Muttersprache oder einer frei gewählten Sprache zu äußern und sich eines Dolmetschers zu bedienen (Art. 9 Abs. 2 ZPO RF). Für russische Staatsangehörige werden die Kosten für notwendige Übersetzungen und die 284

EGMR, Urt. vom 13. 05. 2008 (Nr. 33307/02), Galich v. Russia, Z. 26 ff. Vgl. ebenda, Z. 37: „The Court concludes that, assuming that the court of appeal was entitled to exercise its discretion to reduce the amount of statutory interest payable, in the specific circumstances of the case, by depriving the parties of an opportunity to be heard on the issue, which was not purely technical, it failed to exercise that discretion in a manner consistent with the requirements of Article 6 § 1 of the Convention“. 286 Vgl. etwa VerfG RF, Ent. vom 23. 03. 2010 (Nr. 340-?-?), Z. 2 Abs. 3. 285

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Arbeit des Dolmetschers vom Staat übernommen, Art. 97 ZPO RF. Für Ausländer gilt dies nur, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag das vorsieht, vgl. Art. 94 ZPO RF. Mithin ist festzustellen, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in der ZPO RF gesetzgeberisch in ausreichendem Maße sichergestellt worden ist. Bei der Auslegung der ZPO RF muss die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigt werden. Denn das vom EGMR in einzelnen Urteilen kritisierte Vorgehen russischer Gerichte, ohne rechtzeitige Ladung einer der Parteien den Fall zu verhandeln, ist auch nach russischem Recht rechtswidrig, vgl. Art. 113 Abs. 3 ZPO RF.287 Auch das Recht der Strafgefangenen auf rechtliches Gehör in Zivilsachen sichert das geltende Recht in ausreichendem Maße. Die Parteien werden vom Gerichtstermin unterrichtet und bekommen alle Schriftsätze des Gegners im Voraus zugeschickt, um diese kommentieren zu können. In der Ladung werden sie auf die Möglichkeit hingewiesen, einen Vertreter für die gerichtliche Sitzung zu engagieren. Die Gerichtsverhandlung kann im Gefängnis stattfinden bzw. das Gericht kann den Strafgefangenen persönlich anhören. Darauf hat das VerfG RF mehrmals in seinen Entscheidungen hingewiesen.288 Die Umsetzung der Entscheidungen des VerfG RF bleibt aber fraglich, was die Rechtsprechung des EGMR belegt. Die Praxis lässt in diesem Bereich noch keinen spürbaren Einfluss der Rechtsprechung des EGMR erkennen. Ein dringender Handlungsbedarf ist offensichtlich. Das EGMR-Urteil vom 27. 03. 2008 hat im Fall Shtukaturov (gerichtliche Entmündigung in Abwesenheit des Betroffenen, s. oben) entsprechende Mängel des Regelungswerkes in der ZPO RF zum Vorschein gebracht, die aber relativ schnell beseitigt werden konnten. 2009 hat das VerfG RF die Vorschriften der ZPO RF für verfassungswidrig erklärt, die eben die Entmündigung in Abwesenheit des Betroffenen ermöglichten und seine Rechtsmittel gegen die Entmündigung nicht erlaubten.289 2011 wurden entsprechende Änderungen in die ZPO RF aufgenommen (vgl. Art. 284 ZPO RF n.F.). Der Betroffene kann jetzt auch ein Rechtmittel gegen die Entmündigung einlegen, soweit seine Anhörung im Gericht erster Instanz unterblieb (Art. 284 Abs. 3 ZPO RF n.F.). Der Gesetzgeber hat außerdem vorgesehen, dass die entmündigte Person nach der Besserung selbständig bzw. mit Hilfe eines Vertreters Aufhebung der Entmündigung beim Gericht beantragen kann (Art. 286 Abs. 2 ZPO RF n.F.). Auch Art. 37 Abs. 5. ZPO RF wurde dahingehend geändert, dass das Gericht die Geschäftsunfähigen nun anhören kann, soweit es über ihre Rechte entscheidet. 287 Bis jetzt nahm das Ministerkomitee des Europarates an, dass die Veröffentlichung der Urteile des EGMR zur fehlenden Ladung der Beschwerdeführer zu Gerichtsverhandlungen und deren Verbreitung unter den russischen Gerichten vom OG RF zur Vermeidung ähnlicher Konventionsverletzungen ausreichen, vgl. Europarat, MK, Resolution CM/ResDH(2008)17 vom 27. 03. 2008 (zur Umsetzung der Urteile des EGMR in den Fällen Groshev v. Russia, Yakovlev v. Russia). 288 VerfG RF, Ent. vom 16. 10. 2003 (Nr. 478-O); Ent. vom 14. 10. 2004 (Nr. 335-O); Ent. vom 21. 02. 2008 (Nr. 94-O-O). 289 VerfG RF, Urt. vom 27. 02. 2009 (Nr. 4-@), SZ RF 2009, Nr. 11, Pos. 1367.

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Die im Urteil des EGMR zum Fall Galich kritisierte Vorgehensweise russischer Gerichte (Senkung von Verzugszinsen wegen deren Unverhältnismäßigkeit ex officio, ohne dies zu begründen und die Parteien dazu anzuhören, s. oben S. 181) scheint auch ausgeräumt zu werden. Das OWG RF hat am 22. 12. 2011 ein Plenumsbeschluss [Erläuterungen] (Nr. 81) erlassen, in dem die Wirtschaftsgerichte angewiesen wurden, in dieser Frage nur auf Antrag des Beklagten tätig zu werden, den Kläger anzuhören und die Verzugszinsensenkung sorgfältig zu begründen. Zwar fehlt noch eine derartige Erläuterung des OG RF für Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, es ist aber abzunehmen, dass sie in gleicher Weise verfahren werden. 3. Recht auf eine begründete Entscheidung nach russischem Recht Die ZPO RF verlangt an mehreren Stellen, dass alle gerichtlichen Entscheidungen eingehend und sorgfältig zu begründen sind. Gemäß Art. 195 ZPO RF müssen Gerichtsurteile gesetzmäßig und begründet sein. Das Urteil wird von dem Vorsitzenden oder einem der Richter schriftlich abgefasst und von den mitwirkenden Richtern unterschrieben (Art. 197 ZPO RF). Der Inhalt des Urteils ist in Art. 198 ZPO RF geregelt. Danach besteht das Urteil aus folgenden Teilen: Einleitung, Sachdarstellung, Begründung und Entschließung. Im Einleitungsteil werden Zeit und Ort des Urteilserlasses, Bezeichnung des Gerichts, das das Urteil erlassen hat, Besetzung des Gerichts, Protokollführer, die Parteien, andere Prozessbeteiligte und Vertreter sowie der Streitgegenstand genannt. Der darstellende Teil des Urteils hat die Angaben zum Anspruch des Klägers, die Entgegnungen des Beklagten und die Erklärungen anderer Prozessbeteiligter zu enthalten. Im begründenden Teil des Urteils sind der vom Gericht festgestellte Sachverhalt, die Beweise, auf die das Gericht die Schlussfolgerungen stützt, und die Gründe, aus denen das Gericht bestimmte Beweismittel zurückweist, sowie die Gesetze, von denen sich das Gericht leiten lässt, anzugeben. Der entschließende Teil des Urteils (Tenor) hat die Schlussfolgerung des Gerichts darüber zu enthalten, ob der Klage ganz oder teilweise stattgegeben oder, ob sie abgewiesen wird. Außerdem hat dieser Teil die Entscheidung über die Verteilung der Gerichtskosten und die Angabe der Frist und des Verfahrens für die Anfechtung des Urteils zu enthalten. Der Vorsitzende Richter ist zudem verpflichtet, nach der Verkündung die Entscheidung, wenn die Beteiligten Fragen haben, zu erläutern (Art. 193 Abs. 1 Satz 2 ZPO RF). Zusätzlich erklärte das OG RF im Plenumsbeschluss [Erläuterungen] vom 19. 12. 2003 (Nr. 23) „Über die Gerichtsentscheidung“ unter anderem, wie Urteile zu begründen sind (Z. 3 f.). Danach ist eine Entscheidung begründet, wenn alle zulässigen, für die Sache relevanten Tatsachen bewiesen, vom Gericht erforscht worden sind und die Entscheidung erschöpfende Schlussfolgerungen enthält, die aus den festgestellten Fakten folgen. Das OG RF hat auch ausgeführt, dass im begründenden Teil der Entscheidung neben Gesetzen auch für die Entscheidung des Falles relevante

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Urteile des VerfG RF, seine eigenen Plenumsbeschlüsse sowie Urteile des EGMR zu berücksichtigen sind. Eine Begründungspflicht ist ausdrücklich auch für die Entscheidungen der Appellationsinstanz (Art. 329 ZPO RF), der Kassationsinstanz (Art. 388 ZPO) und der Aufsichtsinstanz (Art. 391.13 ZPO) vorgeschrieben. Außerdem ist eine Begründungspflicht für eine ganze Reihe von Neben-, Zwischen- und Rechtsmittelzulassungsentscheidungen vorgesehen (vgl. z. B. Art. 79 Abs. 2, Artt. 225, 323, 383, 384 ZPO RF). Trotz dieser ausführlichen Bestimmungen weisen viele Entscheidungen russischer Gerichte erhebliche Mängel in der Begründung auf, was in der Literatur mit Recht kritisiert wird.290 Dabei wird besonders hervorgehoben, dass Argumente der Parteien, die sich auf die Rechtsprechung des EGMR stützen, oft von den Gerichten nicht berücksichtigt werden und keinen Ausdruck in der Entscheidungsbegründung finden.291 Insgesamt wurde die Situation als unbefriedigend eingeschätzt.292 Die oben erwähnte Rechtsprechung des EGMR bestätigt diese Schlussfolgerung in gewissem Maße. Die unbefriedigende Situation bei der Begründung der Gerichtsentscheidungen kann dadurch erklärt werden, dass traditionell Entscheidungen russischer Gerichte recht kurz sind, oft bestehen sie aus zwei bis vier Seiten, wobei die Urteilsbegründung meist nur aus wenigen Sätzen besteht.293 Es ist unüblich, Präzedenzfälle oder Literaturansichten zu erwähnen. Dazu kommen die hohe Arbeitsbelastung sowie Mängel in der juristischen Ausbildung der Richter. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Praxis in diesem Bereich noch keinen spürbaren Einfluss der Rechtsprechung des EGMR aufweist. Dies liegt anscheinend daran, dass zur Verbesserung der Situation sehr komplexe Maßnahmen ergriffen werden müssen. In diesem Zusammenhang ist die Änderung des RichterG RF 1992 zu begrüßen, welche das vorher vorgesehene Recht der Richter auf Fortbildung alle drei Jahre zur Pflicht gemacht hat (Art. 20.1 i. d. F. des Gesetzes vom 25. 12. 2008).294 Im Jahre 2007 hat das VerfG RF zudem klargestellt, dass die Prozessbeteiligten Anspruch darauf haben, Erläuterungen des begründenden Teils des Urteils zu erhalten.295 Allerdings werden diese Maßnahmen wenig bewirken, soweit sich die Anforderungen der Rechtsmittelgerichte an die Rechtsprechungsqualität nicht erhöhen, was ein neues Berufsver290

Vgl. z. B. =daQ^_S, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2001, Nr. 4, S. 222 f. Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 51 ff. m.w.N.; 2Yao[_S =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2003, Nr. 2, S. 23. 292 Burkov, The Impact of the European Convention of Human Rights on Russian Law, S. 83; Ausführlich dazu die Rede des Vorsitzenden des VerfG RF Zor’kin auf dem VI. Allrussischen Richterkongress, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2005, Nr. 1/2, S. 12 f. 293 Wedde, Russlandanalysen vom 25. 06. 2004 (Nr. 32), S. 7, schreibt dazu: „Selten sind Urteile länger als eine Seite, eine ausführliche rechtliche Begründung sucht man häufig vergeblich“. Siehe auch Steinbach, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile und Schiedssprüche in der Russischen Föderation, S. 44 m.w.N. 294 SZ RF 2008, Nr. 52 (Teil I), Pos. 6229, in Kraft seit 09. 01. 2009. 295 VerfG RF, Ent. vom 19. 06. 2007 (Nr. 457-?-?). 291

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ständnis voraussetzt. Rechtstechnisch wäre es m. E. gut, Gerichte auf den Aufbau der Urteile des EGMR hinzuweisen und zu verpflichten, nach diesem Muster vorzugehen. 4. Recht auf Waffengleichheit nach russischem Recht Art. 123 Abs. 3 Verf. RF 1993 enthält eine knappe Regelung, in der das Recht auf Waffengleichheit zum Ausdruck kommt: „Das Gerichtsverfahren wird auf der Grundlage des kontradiktorischen Prinzips und der Gleichberechtigung der Parteien durchgeführt“. In der ZPO RF werden diese Vorgaben konkretisiert und weiter ausgeführt. An dieser Stelle können nur die relevanten Vorschriften der ZPO RF kurz dargestellt werden. Art. 12 (Ausübung der Rechtsprechung auf der Grundlage der streitigen Verhandlung und der Gleichbehandlung der Parteien) lautet: „1. Die Rechtsprechung in Zivilsachen wird auf der Grundlage der streitigen Verhandlung und der Gleichbehandlung der Parteien durchgeführt. 2. Das Gericht übt unter Wahrung seiner Unabhängigkeit, Objektivität und Unvoreingenommenheit die Leitung des Verfahrens aus, belehrt die Verfahrensbeteiligten über ihre Rechte und Pflichten, warnt vor den Folgen der Vornahme oder Nichtvornahme von Prozesshandlungen, unterstützt die Verwirklichung ihrer Rechte, schafft die Bedingungen für die allseitige und vollständige Untersuchung der Beweise, der Feststellung der tatsächlichen Umstände und der richtigen Anwendung der Gesetzgebung bei der Erörterung und Entscheidung der Sache.“

Wichtig sind die richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten gegenüber den Parteien in diesem Artikel, die die Fairness des Verfahrens sicherstellen sollen. Zusätzlich enthält Art. 6 ZPO RF das Gleichbehandlungsgebot vor Gesetz und Gericht aller Bürger und Organisationen im Zivilverfahren. Der verwendete Ausdruck „Bürger“ erscheint unglücklich, weil auch ausländischen Staatsangehörigen sowie Personen ohne Staatsangehörigkeit das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren in Bezug auf zivile Ansprüche und Verpflichtungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK zusteht; Art. 398 ZPO RF stellt klar, dass diese Personen in Bezug auf die Verfahrensrechte Inländern völlig gleichgestellt sind.296 Art. 38 Abs. 3 ZPO RF stellt zudem klar, dass Parteien eines Zivilverfahrens die gleichen prozessualen Rechte haben und die gleichen prozessualen Pflichten zu tragen haben. Die aufmerksame Lektüre der ZPO RF zeigt, dass die Parteien in der Tat die gleichen Rechte haben, etwa auf die Beantragung einer Richterablehnung (Art. 20 Abs. 1 ZPO RF), die Stellung von Anträgen, die Führung von Beweisen, die Teilnahme an deren Untersuchung, den Parteivortrag vor Gericht und darauf, dem 296 Vgl. auch Art. 7 Abs. 2 GVG RF 1996: „Gerichte dürfen keinen Organen und Personen, die am Verfahren als Parteien teilnehmen, den Vorzug wegen ihrer staatlichen, sozialen, geschlechtlichen, rassischen, nationalen, sprachlichen oder politischen Zugehörigkeit oder wegen ihrer Herkunft, Vermögenslage, Dienststellung, ihres Wohnorts, Geburtsorts, ihrer Haltung zur Religion, ihrer Überzeugungen, ihrer Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Vereinigungen sowie wegen sonstiger, nicht durch Bundesgesetz geregelter Gründe, geben“.

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Gericht ihre Argumente und Erklärungen darzulegen sowie die Ausübung anderer durch die ZPO RF vorgesehener prozessualer Rechte (vgl. Art. 35 Abs. 1 ZPO RF). Hohe Bedeutung wird der Benachrichtigung der Gegenpartei über die Argumente der jeweils anderen beigemessen. Vor Beginn der Gerichtsverhandlung werden der Gegenpartei die Klage bzw. Rechtsmittelbeschwerde und die beigefügten Schriftstücke zugestellt (vgl. Art. 150 Abs. 2, Art. 325 ZPO RF). Das Gericht ist verpflichtet, die Parteien über den Termin der Gerichtsverhandlung zu benachrichtigen (Art. 155, Art. 327 Abs. 1 ZPO RF). Dabei muss der Gegenpartei genügend Zeit zur Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung sichergestellt werden (Art. 113 Abs. 3 ZPO RF). Die ZPO RF enthält einige Regelungen, die das Recht auf Waffengleichheit des Beklagten, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, sicherstellen sollen. Nach Art. 119 ZPO RF tritt das Gericht in die Verhandlung der Sache gegen einen Beklagten, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, erst ein, nachdem eine Mitteilung über den letzten bekannten Wohnort des Beklagten bei Gericht eingegangen ist. Eine öffentliche Zustellung ist in der ZPO RF nicht vorgesehen. Die Ermittlung des Aufenthalts des Beklagten ist nach Art. 120 Abs. 1 ZPO RF nur bei bestimmten Klagearten durchzuführen (Klagen auf Zahlung von Unterhalt und Ersatz des durch schwere Körperverletzung oder andere Gesundheitsschädigung sowie durch Tod des Ernährers entstandenen Schadens sowie Klagen zum Schutz der Interessen der Russischen Föderation, Subjekten der Föderation und Gemeinden). Art. 50 ZPO RF sieht jedoch vor, dass das Gericht für den Beklagten, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, einen Rechtsanwalt mit dessen Vertretung im Prozess zu beauftragen hat.297 Außerdem können ohne Verschulden abgelaufene Rechtsmittelfristen nach Art. 112 Abs. 1 ZPO RF vom Gericht in den vorigen Stand wiedereingesetzt werden. Eine Besonderheit des russischen Zivilprozessrechts ist die traditionelle Beteiligung der Staatsanwaltschaft an Zivilprozessen. Nach der ZPO RSFSR 1964 war die Stellung der Staatsanwaltschaft im Vergleich zu anderen Beteiligten deutlich stärker. So hatten Staatsanwälte die Aufsicht über die Gesetzlichkeit auszuüben und alle gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen zur Beseitigung jeglicher Rechtsverletzungen zu ergreifen, von wem auch immer diese Rechtsverletzungen ausgingen (vgl. Art. 12 ZPO RSFSR). Die Staatsanwaltschaft hatte also auch die Aufsicht über die gerichtliche Tätigkeit auszuüben. Dafür hatte sie etwa die Möglichkeit, zivilrechtliche Verfahren jeglicher Art einzuleiten und in jedem Stadium des Prozesses in das Verfahren einzutreten, „wenn dies der Schutz der staatlichen oder gesellschaftlichen Interessen oder Rechte und gesetzlich geschützten Interessen der Bürger erfordert“, also auch gegen den Willen der Parteien (vgl. Art. 41 Abs. 1 ZPO RSFSR). In einigen Fällen war die Beteiligung der Staatsanwaltschaft am zivilgerichtlichen Verfahren obligatorisch (vgl. Art. 41 Abs. 2 ZPO RSFSR). Unabhängig von der Teilnahme am 297

In den Medien wird aber berichtet, dass eine derartige Beteiligung der Rechtanwälte in der Regel zu einer Formalität werde und Rechte des Beklagten nicht ernsthaft verteidigt werden, vgl. etwa Gericht für Kirower Gebiet, Übersicht der Rechtsprechung, bestätigt vom Präsidium am 16. 01. 2008, . Dies mag an der miserablen Bezahlung ihrer Arbeit durch den Staat liegen.

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Zivilverfahren war die Staatsanwaltschaft befugt, Rechtsmittel gegen die Gerichtsentscheidung einzulegen (vgl. etwa Art. 282 ZPO RSFSR). Ein Rechtsmittel gegen rechtskräftige Gerichtsentscheidungen (sog. Aufsichtsprotest) stand ausschließlich der Staatsanwaltschaft zur Verfügung (Artt. 319 f. ZPO RSFSR).298 Der am Prozess beteiligte Staatsanwalt hatte als letzter die Stellungnahme zu dem Streitfall abzugeben (Art. 187 ZPO RSFSR). Diese sehr starke Stellung der Staatsanwaltschaft im Zivilprozess wurde von den Experten des Europarates als konventionswidrig eingestuft.299 Nach heftigen Diskussionen darüber, welche Rolle (wenn überhaupt) die Staatsanwaltschaft im Zivilprozess zu spielen hat, hat man in der ZPO RF einen Kompromiss erzielt: Die Teilnahme der Staatsanwaltschaft blieb möglich, ihre Stellung wurde aber deutlich geändert.300 Art. 45 ZPO RF (Mitwirkung des Staatsanwalts am Prozess) lautet nunmehr: „1. Der Staatsanwalt ist berechtigt, sich zum Schutz der Rechte, Freiheiten und gesetzlich geschützten Interessen der Bürger, eines unbestimmten Kreises von Personen oder der Interessen der Russischen Föderation, ihrer Subjekte oder Kommunen an das Gericht zu wenden. Der Antrag zum Schutz der Rechte, Freiheiten und gesetzlich geschützten Interessen eines Bürgers darf vom Staatsanwalt nur eingereicht werden, wenn der Bürger auf Grund seines Gesundheitszustandes, seines Alters, seiner Geschäftsunfähigkeit oder aus anderen triftigen Gründen sich nicht selbst an das Gericht zu wenden vermag. Diese Einschränkung gilt nicht für Anträge der Staatsanwaltschaft, deren Grundlage der Antrag eines Bürgers zum Schutze sozialer Rechte, Freiheiten und legitimen Interessen im Bereich Arbeits- (Dienst-) Beziehungen und anderer direkt damit verbundener Beziehungen; Schutz der Familie, Mutterschaft, Vaterschaft und Kindheit; Sozialschutz, einschließlich sozialer Versorgung, Sicherstellung des Rechts auf Wohnung in staatlichen und kommunalen Wohnraumfonds; Schutz der Gesundheit, einschließlich medizinischer Versorgung; Sicherstellung des Rechts auf eine gesunde Umwelt und Bildung ist.301 2. Der Staatsanwalt, der einen Antrag gestellt hat, verfügt über alle prozessualen Rechte und trägt alle prozessualen Pflichten des Klägers, ausgenommen das Recht, einen Vergleich abzuschließen, und die Verpflichtung, die Gerichtskosten zu zahlen. Wenn der Staatsanwalt den Antrag, den er zum Schutz der gesetzlichen Interessen anderer Personen gestellt hat, nicht weiter verfolgt, wird das Verfahren in der Sache fortgeführt, es sei denn, die Person oder der gesetzliche Vertreter hat die Rücknahme der Klage erklärt.

298 Ausführlich zum Aufsichtsverfahren nach der ZPO RSFSR und der ZPO RF siehe unten Kap. 6, S. 242 ff. 299 Vgl. Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 74. 300 Ausführlich dazu Deppe, in: Trunk/Knieper/Svetlanov (Hrsg.), FS Boguslavskij, S. 649 ff. 301 Der letzte Satz in diesem Absatz wurde durch das Bundesgesetz RF vom 05. 04. 2009 (Nr. 43-E8) eingeführt, SZ RF 2009, Nr. 14, Pos. 1578. Diese Ergänzung wurde mit einem besseren Schutz der Menschenrechte begründet, vgl. Begründung zum Gesetzentwurf (Nr. 149335-5), RIS „ConsultantPlus“.

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3. Der Staatsanwalt tritt in den Prozess ein und gibt eine Stellungnahme ab in den Angelegenheiten über die Ausbürgerung, über die Wiedereinsetzung am Arbeitsplatz, über den Ersatz des Schadens, der durch die Verletzung des Lebens oder der Gesundheit entstanden ist, und auch in anderen Fällen, die von dieser ZPO oder anderen Bundesgesetzen vorgesehen sind, zum Zwecke der Ausübung der auf ihn übertragenen Befugnisse. Das Nichterscheinen des Staatsanwalts, der über Zeit und Ort des gerichtlichen Verfahrens unterrichtet wurde, stellt keinen Hinderungsgrund für die Fortführung des Verfahrens dar“.

Die Gleichstellung der Staatsanwaltschaft mit den übrigen Prozessbeteiligten bedeutet etwa, dass sie nur als Beteiligte Rechtsmittel einlegen kann.302 Nach den Erläuterungen der Generalstaatsanwaltschaft RF kann jedoch ein Staatsanwalt, der gemäß Art. 45 ZPO RF am Prozess in erster Instanz teilnehmen sollte, in jedem Fall Rechtsmittel einlegen, gleich, ob er am erstinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat oder nicht.303 Das OG RF hat diese Auslegung betätigt.304 Das könnte einen prozessualen Vorteil der Staatsanwaltschaft bedeuten. Das Prinzip der Waffengleichheit bleibt m. E. dadurch gewahrt, dass nach der ZPO RF jede Person, deren Rechte von der Gerichtsentscheidung betroffen sind, ein Rechtsmittel einlegen kann, auch wenn sie am Verfahren nicht beteiligt war.305 Der Staatsanwalt ist in der ZPO RF mit bestimmten Aufgaben betraut und kann als Drittperson, dessen Rechte betroffen sind, angesehen werden. Der am Verfahren teilnehmende Staatsanwalt tritt in den Schlussvorträgen vor Gericht jetzt als erster auf (vgl. Art. 190 Abs. 3 ZPO RF), sodass die andere Partei (Parteien) die Möglichkeit hat, die Vorträge des Staatsanwaltes zu kommentieren. Die grundsätzliche Gleichstellung der Staatsanwaltschaft mit den übrigen Prozessbeteiligten soll die Konformität mit der EMRK sicherstellen. Trotzdem wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass staatsanwaltschaftliche Kontrollrechte im Zivilverfahren immer noch gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen.306 Dem kann entgegengehalten werden, dass nach der ZPO RF die Staatsanwaltschaft kaum noch Kontrollrechte besitzt. Der EGMR hatte noch keine Gelegenheit, die Beteiligung der Staatsanwaltschaft an Zivilprozessen nach der ZPO RF zu überprüfen. Die (wenigen) ergangenen Urteile des EGMR zur Beteiligung der Staatsanwaltschaft nach der ZPO RSFSR sprechen eher dafür, dass die Regelungen der ZPO RF über die Teilnahme der 302 Früher wurde das Rechtsmittel des Staatsanwaltes „Protest, Einspruch“ (protest) genannt, vgl. etwa Artt. 319 f. ZPO RSFSR. Um die stärkere Stellung der Gerichte zu betonen, wurde der Ausdruck in den neuen Prozessordnungen RF durch „Antrag“ (zaâvlenie) sowie „Vorstellung, Eingabe“ (predstavlenie) ersetzt, vgl. Artt. 45, 320 ZPO RF. 303 Generalstaatsanwaltschaft RF, Weisung (prikaz) vom 02. 12. 2003 (Nr. 51) „Über die Sicherstellung der Teilnahme der Staatsanwälte im Zivilprozess“, Z. 6 Abs. 2, zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 304 OG RF, Übersicht der Gesetzgebung und Rechtsprechung des OG RF für das 3. Quartal 2004 vom 08. 12. 2004, „Zivilsachen“, Z. 5, zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 305 Vgl. Art. 320 Abs. 3 ZPO RF für Appellationsbeschwerde; Art. 376 Abs. 1 ZPO RF für Kassationsbeschwerde; Art. 391.1 Abs. 1 ZPO RF für Aufsichtsbeschwerde. 306 Deppe, in: Trunk/Knieper/Svetlanov (Hrsg.), FS Boguslavskij, S. 656 (ohne Begründung).

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Staatsanwaltschaft am Zivilverfahren als EMRK-konform anzusehen sind.307 Der EGMR hat eine bloße Beteiligung der Staatsanwaltschaft an Zivilprozessen nie für konventionswidrig gehalten.308 Der Vorschlag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, den Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft auf die Strafverfolgung zu begrenzen,309 wurde vom Ministerkomitee des Europarates abgelehnt.310 Ob die rechtliche Vertretung privater Interessen im Zivilprozess tatsächlich Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein sollte, wird in der Literatur zu Recht in Frage gestellt.311 Anscheinend ist diese Lösung zum Teil durch das Fehlen einer angemessenen staatlichen Prozesskostenhilfe bedingt.312 Die Möglichkeit der Gewährung eines 307 Eine Ausnahme stellt die automatische Befreiung der Staatsanwaltschaft von Gerichtskosten (Art. 45 Abs. 2 Z. 1 ZPO RF). Dies kann unter Umständen zur Verletzung der Waffengleichheit der Parteien führen, vgl. EGMR, Urt. vom 06. 04. 2006 (Nr. 46917/99), Stankiewicz v. Poland, Z. 68 f.: „The Court (…) notes that the prosecuting authorities enjoy ab initio a privileged position with respect to the costs of civil proceedings. In that connection, the Court also notes the applicants’ argument that in any event the prosecuting authorities have at their disposal legal expertise and ample financial means exceeding those available to any individual. It is true that such a privilege may be justified for the protection of the legal order. However, it should not be applied so as to put a party to civil proceedings at an undue disadvantage vis-à-vis the prosecuting authorities“. 308 Vgl. in Bezug auf die ähnliche Stellung der Staatsanwaltschaft im Zivilprozess in Bulgarien, EGMR, Ent. vom 14. 03. 2002 (Nr. 39832/98), Todorov v. Bulgaria: „The Court notes that (…) the prosecutor participating in civil proceedings as a ,special party‘ does not have any rights not afforded to the other parties. In particular, he or she does not have the right to attend the deliberations of the court, give legally binding opinions, or present his or her point of view after the other parties, in writing or orally (…). The Court does not find, therefore, any indication that there has been a violation of the principle of equality of arms as a result of the prosecutor’s participation“. 309 Europarat, Parl. Versammlung, Empfehlung 1604(2003) vom 27. 05. 2003 „Role of the public prosecutor’s office in a democratic society governed by the rule of law“, Z. 7 (v): „The Parliamentary Assembly (…) makes the following recommendations to the governments of member states (…) as to non-penal law responsibilities, it is essential (…) that the powers and responsibilities of prosecutors are limited to the prosecution of criminal offences and a general role in defending public interest through the criminal justice system, with separate, appropriately located and effective bodies established to discharge any other functions“. 310 Europarat, MK, Antwort vom 06. 02. 2004 auf die Empfehlung der Parl. Versammlung 1604(2003) „Role of the public prosecutor’s office in a democratic society governed by the rule of law“ (Doc. 10068), Z. 3: „The Committee of Ministers underlines the variety of public prosecution models in different countries, resulting from legal traditions (…). Each system has its own checks and balances and it is difficult to treat one single element – the role of the public prosecutions services, for instance – in isolation from other elements of the system (…). The Committee of Ministers finds no reason to request that the principle of legality be abandoned by those European jurisdictions where it is applied or to prevent prosecutors from exercising certain functions outside the criminal justice system, as it is the case in many legal systems“. 311 Deppe, in: Trunk/Knieper/Svetlanov (Hrsg.), FS Boguslavskij, S. 653 ff. m.w.N. 312 Vgl. Solomon, Law & Society Review 2004, S. 549 ff.: „Throughout the Soviet period, the Procuracy combined prosecutorial functions with its original duty to supervise the legality of public life, including the actions of all government agencies. This service was available to any citizen free of charge. Some proponents of judicial reform in Russia regard the continuation of this alternative to the courts as a obstacle to the growth of judicial power; but others, including

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

kostenlosen Rechtsbeistandes ist in der ZPO RF nicht vorgesehen. Diese Lage kann unter Umständen zur Verletzung der Waffengleichheit der Parteien führen. Diese Gefahr kann auch durch die Möglichkeit der Teilnahme der Staatsanwaltschaft an Zivilverfahren nicht vollständig abgewendet werden. Im Lichte des Urteils des EGMR gegen Russland im Fall Shulepova müssen russische Gerichte darauf achten, dass die bestellten Sachverständigen ihre Aufgaben weisungsfrei und unparteiisch erfüllen können. Eine Klarstellung des Gesetzgebers bzw. des OG RF wäre wünschenswert, blieb bisher aber aus. In anderen Bereichen des russischen Zivilprozessrechts sind hinsichtlich des Rechts auf Waffengleichheit, soweit ersichtlich, keine Probleme vorhanden.313 Indirekt wird diese Auffassung dadurch bestätigt, dass zum Gebot der Waffengleichheit im Zivilverfahren kaum Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland vorliegt. Im Hinblick auf den Einfluss der EMRK auf die innerstaatliche Ausgestaltung der Waffengleichheit im Zivilprozess bleibt das Urteil des VerfG RF vom 14. 04. 1999 (Nr. 6-@)314 zu erwähnen, in dem unter Heranziehung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (in Z. 3 Abs. 1 des Urteils) Art. 325 Abs. 1 Satz 2 ZPO RSFSR für verfassungswidrig erklärt wurde. Gemäß dieser Regelung war es dem jeweiligen Gericht als Aufsichtsinstanz315 überlassen, die Parteien und andere Prozessbeteiligte von Zeit und Ort der Verhandlung der Sache in der Aufsichtsinstanz „in notwendigen Fällen“ zu benachrichtigen. Dies führte oft dazu, dass die Aufsichtsinstanz nur die Benachrichtigung einer der Parteien für notwendig gehalten hatte. Das VerfG RF hat klar gemacht, dass der Gleichheitssatz (Art. 19 Abs. 1 Verf. RF) und das Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens (Art. 123 Abs. 3 Verf. RF) im Falle der Benachrichtigung einer Partei die Benachrichtigung auch der Gegenpartei erforderlich machen (Z. 1 des Tenors). Die ZPO RF sieht jetzt ausdrücklich vor, dass alle Prozessbeteiligten von Zeit und Ort der Verhandlung der Sache in der Aufsichtsinstanz benachrichtigt werden müssen, dabei muss ihnen genügend Zeit für die Vorbereitung gegeben werden, vgl. Artt. 385 (n.F.), 391.10 Abs. 2 ZPO RF. Auch das Urteil des VerfG RF vom 14. 02. 2002 (Nr. 4-@)316 ist von Interesse, hier wurde Art. 140 ZPO RSFSR 1964 unter Heranziehung von Art. 6 Abs. 1 EMRK top officials of the procuracy, argue that the procuracy complaints mechanism should be maintained, at least in the short run, as a low-cost alternative accessible to the poor and the elderly“. 313 Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 73; Schirinsky, Die Umsetzung der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK in der russischen Rechtsordnung, S. 117 ff., hat keine Probleme in Bezug auf das Prinzip der Waffengleichheit im Zivilprozessrecht feststellen können. 314 SZ RF 1999, Nr. 16, Pos. 2080; dt. Übersetzung in: Kutter/Schröder, Die Rechtsprechung des russischen Verfassungsgerichts 1995 – 1999 (2000), S. 209 ff. 315 Ausführlich zum Aufsichtsverfahren nach der alten und neuen ZPO siehe unten Kap. 6, S. 242 ff. 316 SZ RF 2002, Nr. 8, Pos. 894.

§ 2 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

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verfassungskonform ausgelegt. Nach dieser Vorschrift konnte das Gericht vom Kläger Sicherheitsleistung für die dem Beklagten möglicherweise entstandenen Verluste verlangen. Ob dasselbe für eine Klage der Staatsanwaltschaft im Interesse Dritter gilt, sagte die ZPO RSFSR nicht ausdrücklich. Deshalb verlangten die Gerichte in solchen Fällen die Sicherheitsleistung weder von Dritten noch von der Staatsanwaltschaft. Das VerfG RF hat entschieden, dass die Staatsanwaltschaft die Klagesicherung nur mit Einverständnis der Person beantragen darf, in deren Interesse die Staatsanwaltschaft klagt, was sich aus dem Dispositionsgrundsatz ergebe (Z. 4 Abs. 4 des Urteils). Unter diesen Umständen verlange das Prinzip der Waffengleichheit, dass von der Person, in deren Interessen die Staatsanwaltschaft die Klagesicherung beantragt, die Sicherheitsleistung für die dem Beklagten möglicherweise entstandenen Verluste verlangt werden kann (Z. 1 des Tenors). Art. 146 ZPO RF (Ersatzleistung für die durch die Klagesicherung entstandenen Verluste an den Beklagten) enthält dieselbe Regelung wie Art. 140 ZPO RSFSR. Trotzdem ist Art. 146 ZPO RF gem. Art. 79 Abs. 2 VerfGG 1994 verfassungskonform auszulegen und anzuwenden. 5. Zulässigkeit rückwirkender Gesetze nach russischem Recht Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Zivilgesetzbuch RF lässt rückwirkende Gesetze im Bereich des Zivilrechts ausdrücklich zu. Der Gesetzgeber macht davon auch reichlich Gebrauch.317 Dabei muss jedoch Art. 54 Abs. 1 Verf. RF berücksichtigt werden, wonach ein Gesetz, das eine Haftung begründet oder verschärft, keine rückwirkende Kraft haben darf. Das OG RF hat anerkannt, dass diese Norm nicht nur im Bereich des Straf- oder Verwaltungsrechts, sondern auch für die zivilrechtliche Haftung gilt.318 Im Umkehrschluss könnte Art. 54 Abs. 1 Verf. RF allerdings bedeuten, dass ein Gesetz, das die Haftung im Zivilrecht beseitigt oder mildert, rückwirkende Kraft haben kann. Dabei würden in der Regel Haftungsansprüche anderer Personen beeinträchtigt. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass dadurch anhängige Ansprüche vernichtet würden. Gegen eine derartige Auslegung kann jedoch Art. 55 Abs. 2, 3 Verf. RF angeführt werden: „In der Russischen Föderation dürfen keine Gesetze erlassen werden, die die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers aufheben oder schmälern“; „Die Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers können durch Bundesgesetz nur in dem Maße eingeschränkt werden, wie dies zum Schutz der Grundlagen der Verfassungsordnung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer sowie zur Gewährleistung der Landesverteidigung und Staatssicherheit notwendig ist“. Mit diesen Normen beschäftigt sich das VerfG RF in der Regel, wenn es rückwirkende Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit

317

Ausführlich dazu ;dX^Vg_SQ, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2006, Nr. 8, S. 94 ff. OG RF, Übersicht der Rechtsprechung für das 2. Quartal 2001, bestätigt durch das Präsidium am 26. 09. 2001, Antworten auf Fragen (Frage 2), zit. nach RIS „ConsultantPlus“. 318

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

überprüft.319 Das Problem der Vernichtung rechtshängiger Ansprüche wurde bisher, soweit ersichtlich, für Russland nicht aktuell. Folglich ist auch kein Einfluss der EMRK in diesem Bereich zu verzeichnen.

§ 3 Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip I. Nach der EMRK 1. Recht auf öffentliche und mündliche Verhandlung Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt sich für die Konventionsstaaten die Verpflichtung, grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung abzuhalten. Das Gebot der Öffentlichkeit schließt das Gebot der Mündlichkeit ein.320 Die öffentliche Verhandlung soll vor Geheimjustiz schützen, Vertrauen in die Rechtsprechung schaffen und ein faires Verfahren sichern.321 Dafür muss die öffentliche Kontrolle, wenn keine Ausschlussgründe nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK vorliegen, jederzeit möglich sein. Identitäts- und Sicherheitskontrollen sind unschädlich.322 Ein Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit kann bei einem rechtlichen oder tatsächlichen Hindernis gegeben sein. Der Staat ist verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, damit Informationen über Zeit und Ort der Verhandlung sowie der Ort für die Öffentlichkeit leicht zugänglich sind.323 Der EGMR hatte noch kaum Gelegenheit, die einzelnen Ausschlussgründe zu erörtern.324 Aus der Rechtsprechung des EGMR folgt, dass beim Ausschluss der

319 Vgl. etwa VerfG RF, Urt. vom 03. 06. 2004 (Nr. 11-@), SZ RF 2004, Nr. 24, Pos. 2476; Urt. vom 24. 05. 2001 (Nr. 8-@), SZ RF 2001, Nr. 22, Pos. 2276. In den beiden Fällen ging es um Sozialleistungen des Staates, die durch rückwirkende Gesetze beseitigt wurden, was das VerfG RF für verfassungswidrig erklärt hat. 320 EGMR, Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 28394/95), Döry v. Sweden, Z. 37: „The Court (…) finds that the entitlement to a ,public hearing‘ in Article 6 § 1 necessarily implies a right to an ,oral hearing‘.“ Vgl. auch EGMR (GK), Urt. vom 23. 11. 2006 (Nr. 73053/01), Jussila v. Finland, Z. 40: „An oral, and public, hearing constitutes a fundamental principle enshrined in Article 6 § 1“. 321 EGMR, Urt. vom 08. 12. 1983 (Nr. 7984/77), Pretto and Others v. Italy, Z. 21; Urt. vom 26. 09. 1995 (Nr. 18160/91), Diennet v. France, Z. 33; Urt. vom 14. 11. 2000 (Nr. 35115/97), Riepan v. Austria, Z. 27. 322 EKMR, Ent. vom 22. 10. 1998 (Nr. 35580/97), Allen v. the United Kingdom; EGMR, Urt. vom 14. 11. 2000 (Nr. 35115/97), Riepan v. Austria, Z. 28: „Nor did the fact that any potential spectators would have had to undergo certain identity and possibly security checks in itself deprive the hearing of its public nature“. 323 EGMR, Urt. vom 14. 11. 2000 (Nr. 35115/97), Riepan v. Austria, Z. 29. 324 Es sei hier deswegen auf die Erörterungen in der Literatur verwiesen, Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 80 m.w.N.

§ 3 Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip

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Öffentlichkeit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist.325 Ausschlussgründe des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK stehen nicht unter dem Vorbehalt des Gesetzes, woraus der Schluss gezogen wird, dass diese Vorschrift einen unmittelbar anwendbaren Vorbehalt darstellt (vgl. Artt. 8 – 11 EMRK).326 Vom Wortlaut her lässt Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK nur Ausnahmen von der Öffentlichkeit zu, nicht dagegen von der Mündlichkeit. Der EGMR hält allerdings das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung unter Umständen für zulässig. Ohne mündliche (und somit ohne öffentliche) Verhandlung können nach der Rechtsprechung des EGMR Verfahren durchgeführt werden, in denen ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen entschieden werden, wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann.327 Dies hat der EGMR z. B. bei Klagen auf Leistungen aus der Sozialversicherung328 und für das Exequaturverfahren329 angenommen. Diese Auffassung kann mit Interessen der Rechtspflege (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK) begründet werden. In diesen Sachen dürfen die Staaten dem Gebot der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Schnelligkeit den Vorrang geben.330 Unter Hinweis auf den Schutz von Minderjährigen und der Privatsphäre der Beteiligten hat der EGMR entschieden, dass in Sorgerechtsstreitigkeiten eine mündliche Verhandlung grundsätzlich unterbleiben kann.331 Dies stellt eine Kodifikation der in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 aufgezählten Ausnahmegründe dar. Dabei kommt es auf die Art der Sache an, nicht auf die Häufigkeit. Art. 6 wird nicht so verstanden, dass nur in wenigen Fällen ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Deswegen ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Staat eine Fallgruppe ausnimmt, wenn das zum Schutze der in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK aufgezählten Werte angemessen ist.332 Aus den anderen Grundrechten (etwa Art. 8 325 Vgl. EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 87: „Die Forderung, Disziplinarverfahren, die verurteilte Strafgefangene betreffen, öffentlich stattfinden zu lassen, würde den staatlichen Behörden eine unverhältnismäßige Belastung auferlegen“, dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 1985, 541. 326 Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 75 m.w.N. 327 EGMR (GK), Urt. vom 23. 11. 2006 (Nr. 73053/01), Jussila v. Finland, Z. 41 m.w.N. aus der Rechtsprechung; EGMR, Urt. vom 26. 01. 2006 (Nr. 76293/01), Brugger v. Austria, Z. 22 m.w.N. 328 EGMR, Urt. vom 26. 01. 2006 (Nr. 76293/01), Brugger v. Austria, Z. 22 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 329 EGMR, Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 69917/01), Saccoccia v. Austria, Z. 78 f. 330 EGMR, Ent. vom 06. 12. 2001 (Nr. 31178/96), Petersen v. Germany: „The Court recalls that in assessing the need for publicity, the national authorities should have regard to the demands of efficiency and economy, as in order to ensure compliance with the ,reasonable time‘ requirement of Article 6 § 1“. 331 EGMR, Urt. vom 24. 04. 2001 (Nr. 35974/97 u. a.), B. and P. v. the United Kingdom, Z. 37 ff. 332 Ebenda, Z. 42. Vgl. EGMR, Ent. vom 14. 02. 2006 (Nr. 45983/99), Kaplan v. Austria, Z. 1 lit. a: „[T]he Court considers that custody proceedings fall, in principle, within the category

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) kann sich sogar die Verpflichtung des Staates zum Ausschluss der Öffentlichkeit ergeben. Der EGMR wendet das Öffentlichkeitsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK flexibel an, berücksichtigt die Besonderheiten des Einzelfalls und den Umfang der Befugnisse des entscheidenden Gerichts. Der Europäische Gerichtshof berücksichtigt dabei, ob der Betroffene die Möglichkeit hatte, die mündliche Verhandlung zu beantragen,333 ob das Gericht deren Ausschluss nachvollziehbar begründete334 und Parteien zu dieser Frage anhörte,335 sowie die Wichtigkeit des Falles für den Betroffenen.336 An die Verhandlung vor der ersten (und unter Umständen einzigen) Instanz sind strengere Anforderungen zu stellen. Wenn in erster Instanz eine öffentliche Verhandlung durchgeführt wurde, hängt die Notwendigkeit einer öffentlichen Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz davon ab, ob diese die volle Kontrollbefugnis in Rechts- und Tatsachenfragen hat. Entscheidet das Rechtsmittelgericht nicht über Fragen des Sachverhalts, so kann grundsätzlich eine mündliche Verhandlung in oberer Instanz unterbleiben.337 Wenn ein Rechtsmittelgericht hingegen volle Kontrollbefugnisse in Rechts- und Tatsachenfragen hat, sind andere Gesichtspunkte erheblich. Das Unterbleiben der Verhandlung bildet dann eine Ausnahme vom Grundsatz der Mündlichkeit, die der

of cases that may be exempt from the conduct of public hearings under Article 6 § 1 of the Convention, namely when required by the interests of juveniles or the protection of the private life of the parties“; Vgl. aber auch das Sondervotum der EGMR-Richter Loucaides und Tulkens zum Urteil des EGMR vom 24. 04. 2001 (Nr. 35974/97 u. a.), B. and P. v. the United Kingdom, wonach die Entscheidung über die nichtöffentliche Anhörung nicht abstrakt für eine ganze Fallgruppe, sondern nur konkret für einen einzelnen Fall gefällt werde kann (Z. 1). Vgl. auch Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 90 Fn. 415: „Ein genereller verfahrensrechtlicher Ausschluss der Öffentlichkeit für eine bestimmte Art von Verfahren wäre nur dann zulässig, wenn jedes Verfahren tatsächlich notwendig einen Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK erfüllt“. 333 EGMR (GK), Urt. vom 12. 04. 2006 (Nr. 58675/00), Martinie v. France, Z. 44: „[W]here, both on appeal (if applicable) and at first instance, ,civil‘ proceedings on the merits are conducted in private in accordance with a general and absolute principle, without the litigant being able to request a public hearing on the ground that his case presents special features. Proceedings conducted in that way cannot in principle be regarded as compatible with Article 6 § 1 of the Convention (…) other than in wholly exceptional circumstances, litigants must at least have the opportunity of requesting a public hearing, though the court may refuse the request and hold the hearing in private on account of the circumstances of the case and for the aforementioned reasons“. 334 EGMR, Urt. vom 24. 03. 2005 (Nr. 54645/00), Osinger v. Austria, Z. 52: „Furthermore, the Court observes that the domestic courts did not consider whether the exclusion of the public was justified in the proceedings at issue“. 335 EGMR, Urt. vom 28. 10. 2010 (Nr. 14040/03), Krestovskiy v. Russia, Z. 32 (zum Strafverfahren). 336 EGMR (GK), Urt. vom 12. 04. 2006 (Nr. 58675/00), Martinie v. France, Z. 43. 337 EGMR, Urt. vom 08. 12. 1983 (Nr. 8273/78), Axen v. Germany, Z. 28; Urt. vom 08. 02. 2005 (Nr. 55853/00), Miller v. Sweden, Z. 30.

§ 3 Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip

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Rechtfertigung bedarf.338 Das Unterbleiben der Verhandlung kann dann gerechtfertigt sein, wenn Streitfragen des Rechtsmittelverfahrens „in angemessener Weise“ auf Grund der Aktenlage gelöst werden können.339 Hat das Rechtsmittelgericht hingegen die Glaubwürdigkeit von Beteiligten durch persönliche Vernehmung zu klären oder sind sonstige Tatsachenfragen, die für die Schuld oder Unschuld des Beklagten entscheidend sind, ungeklärt, dann spricht dieser Umstand dafür, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich ist.340 Des Weiteren kann die Bedeutung des Falles für eine der Parteien die Öffentlichkeit der Verhandlung erforderlich machen, wenn sie etwa die berufliche Existenzgrundlage betreffen.341 Diese Aussage hat der EGMR jedoch deutlich relativiert: „It must also be said that the fact that proceedings are of considerable personal significance for the applicant, as in certain social insurance or benefit cases, is not decisive for the necessity of a hearing (see Pirinen v. Finland (dec.), no. 32447/02, 16 May 2006)“.342 Dagegen erfordern Bagatellsachen eher keine mündliche Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz. 2. Öffentliche Urteilsverkündung Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK „Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit (…) während der (…) Verhandlung [unter Umständen] ausgeschlossen werden“ legt die Vermutung nahe, dass die Verkündung des Urteils auf jeden Fall öffentlich zu erfolgen hat, und zwar selbst dann, wenn die Öffentlichkeit im Verfahren zulässigerweise ausgeschlossen wurde.343 Im Wege teleologischer Reduktion hat der EGMR dieses Recht auf ein Recht auf Veröffentlichung des Urteils beschränkt:

338 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 29. 10. 1991 (Nr. 12631/87), Fejde v. Sweden, Z. 34: „[T]he Court reaches the conclusion that there were special features to justify the refusal to hold a public hearing“. 339 EGMR, Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 28394/95), Döry v. Sweden, Z. 37: „[A] hearing may not be necessary due to exceptional circumstances of the case, for example when it raises no questions of fact or law which cannot be adequately resolved on the basis of the case-file and the parties’ written observations“. Vgl. auch EGMR, Ent. vom 02. 02. 2006 (Nr. 5398/03), Rippe v. Germany. 340 EGMR, Urt. vom 29. 10. 1991 (Nr. 11826/85), Helmers v. Sweden, Z. 37 (mit 11 zu 9 Stimmen); bestätigt durch EGMR, Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 38978/97), Salomonsson v. Sweden, Z. 39 f. 341 Vgl. EGMR, Urt. vom 29. 10. 1991 (Nr. 11826/85), Helmers v. Sweden, Z. 38 f.; EGMR (GK), Urt. vom 12. 04. 2006 (Nr. 58675/00), Martinie v. France, Z. 43 f. 342 EGMR (GK), Urt. vom 23. 11. 2006 (Nr. 73053/01), Jussila v. Finland, Z. 44. 343 Vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR 1966: „Jedes Urteil in einer (…) Zivilsache ist jedoch öffentlich zu verkünden, sofern nicht die Interessen Jugendlicher dem entgegenstehen oder das Verfahren Ehestreitigkeiten oder die Vormundschaft über Kinder betrifft“. Diese Regelung scheint mit dem Gebot der Öffentlichkeit nach Art. 6 Abs. 1 EMRK zu kollidieren, der EGMR hat jedoch die EMRK zu Gunsten des IPBPR ausgelegt, vgl. Urt. vom 08. 12. 1983 (Nr. 8273/ 78), Axen v. Germany, Z. 30 ff.

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„The formal aspect of the matter is, however, of secondary importance as compared with the purpose underlying the publicity required by Article 6 § 1 (…). In the opinion of the Court, the object pursued by Article 6 § 1 in this context – namely, to ensure scrutiny of the judiciary by the public with a view to safeguarding the right to a fair trial – is (…) no less achieved by a deposit in the court registry, making the full text of the judgment available to everyone, than by a reading in open court of a decision dismissing an appeal or quashing a previous judgment, such reading sometimes being limited to the operative provisions“.344

Diese Aussage in Bezug auf die Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts hat der EGMR später auf Entscheidungen der ersten Instanz übertragen.345 Folglich ist mit Art. 6 Abs. 1 Satz 2 jede Veröffentlichung vereinbar, die das Urteil der Öffentlichkeit in einer Art und Weise zugänglich macht, die den Kontrollzweck ebenso wie bei einer öffentlichen Verkündung erfüllt. Früher hat der EGMR klar gemacht, dass auch beim zulässigen Ausschluss der Öffentlichkeit die Entscheidung zumindest der ersten Instanz der Öffentlichkeit auf irgendeine Weise zugänglich gemacht werden muss.346 Später befand der EGMR es nicht als ausreichend, wenn ein Dritter nur bedingt Einsicht in die Urteile erlangen kann (if he shows a legitimate interest), da diese Entscheidung im Ermessen des betroffenen Gerichts lag.347 In Bezug auf Urteile in Sorgerechtsstreitigkeiten hat der EGMR dagegen das Erfordernis eines legitimen Interesses für die Gewährung der Einsicht in die Urteile nicht beanstandet.348 Trotzdem hat der EGMR 2006 unter ähnlichen Umständen einen Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit festgestellt.349 Die Veröffentlichung des Urteils eines Höchstgerichts ist dann nicht notwendig, wenn die Entscheidungen der Unterinstanzen bereits öffentlich verkündet worden sind.350 Die öffentliche Verkündung des Beschlusses des Rechtsmittelgerichts mit summarischer Zusammenfassung des Urteils der ersten Instanz kann seine fehlende Verkündung heilen.351 Es bleibt festzustellen, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Öffentlichkeitsgebot ausgeprägt kasuistisch und wenig übersichtlich ist. Besser wäre es, vom 344 EGMR, Urt. vom 08. 12. 1983 (Nr. 7984/77), Pretto and Others v. Italy, Z. 27; vgl. auch Urt. vom 08. 12. 1983 (Nr. 8273/78), Axen v. Germany, Z. 27 ff. 345 EGMR, Urt. vom 24. 04. 2001 (Nr. 35974/97 u. a.), B. and P. v. the United Kingdom, Z. 45 ff.; Ent. vom 06. 12. 2001 (Nr. 31178/96), Petersen v. Germany, Z. 4. 346 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1984 (Nr. 7819/77 u. a.), Campbell and Fell v. the United Kingdom, Z. 86 ff. 347 EGMR, Urt. vom 24. 11. 1997 (Nr. 20602/92), Szücs v. Austria, Z. 45 ff. 348 EGMR, Urt. vom 24. 04. 2001 (Nr. 35974/97 u. a.), B. and P. v. the United Kingdom, Z. 47 ff. 349 EGMR, Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 12643/02), Moser v. Austria, Z. 103: „The Court finds that in the present case, in which dispensing with a public hearing was not justified in the circumstances, the above means of rendering the decisions public, namely giving persons who establish a legal interest in the case access to the file and publishing decisions of special interest, mostly of the appellate courts or the Supreme Court, did not suffice to comply with the requirements of Article 6 § 1“. 350 EGMR, Urt. vom 08. 12. 1983 (Nr. 8273/78), Axen v. Germany, Z. 32. 351 EGMR, Urt. vom 10. 07. 2001 (Nr. 28923/95), Lamanna v. Austria, Z. 33 ff.

§ 3 Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip

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Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 EMRK auszugehen und von der öffentlichen Verhandlung und Urteilsverkündung so wenig Ausnahmen wie möglich zuzulassen. Schließlich sind die Konventionsstaaten verpflichtet, ihre Gerichtssysteme in der Weise zu organisieren, dass alle Gebote eines fairen Verfahrens (einschließlich Öffentlichkeit und Zügigkeit) in vollem Maße umgesetzt werden. II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland Bis Ende 2011 hat der EGMR nur in einem einzigen Fall einen Verstoß gegen das Recht auf öffentliche Gerichtsverhandlung festgestellt.352 In einem Insolvenzverfahren einer privaten Bank vor dem Moskauer Wirtschaftsgericht wurden ins Gerichtsgebäude nur Personen zugelassen, die eine Ladung vorweisen konnten. Im Gerichtssaal gab es aber freie Plätze. Der EGMR hat in diesem Urteil ausgeführt: „The Court observes that, although the case potentially touched upon the rights of thousands of people, there is nothing to suggest that the building was besieged by crowds on the days in question (…). The Court considers that the Government did not put forward any argument capable of persuading it to agree that admitting the public to the hearings would have jeopardised public order or affected the length of the proceedings“.353 In einem weiteren Urteil, das gegen Russland 2008 erlassen worden ist, hat der EGMR entschieden, dass das öffentliche Vorlesen des Urteiltenors und die spätere Zusendung des vollen Wortlauts des Urteils an die Prozessbeteiligten nicht ausreiche, weil der Zugang der Öffentlichkeit zum vollen Wortlaut des Urteils im russischen Recht nicht sichergestellt sei.354 Es sei hier auch auf Urteile des EGMR gegen Russland hingewiesen, die zwar zum Öffentlichkeitsgebot im Strafverfahren ergingen, aber auch für den Zivilprozess von Bedeutung sind. In den Urteilen wertete der EGMR den pauschalen Ausschluss der Öffentlichkeit mangels einer hinreichenden Begründung als Verletzung des Rechts auf öffentliche Gerichtsverhandlung.355

352

EGMR, Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 66941/01), Zagorodnikov v. Russia, Z. 23 ff. Ebenda, Z. 26. 354 EGMR, Urt. vom 17. 01. 2008 (Nr. 14810/02), Ryakib Biryukov v. Russia, Z. 38 ff. 355 EGMR, Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 28617/03), Belashev v. Russia, Z. 75 ff.; Urt. vom 28. 10. 2010 (Nr. 14040/03), Krestovskiy v. Russia, Z. 24 ff.; Urt. vom 11. 10. 2011 (Nr. 24273/04), Nevskaya v. Russia, Z. 35 ff.; Urt. vom 11. 10. 2011 (Nr. 20702/04), Raks v. Russia, Z. 43 ff.; Urt. vom 11. 10. 2011 (Nr. 23215/02), Romanova v. Russia, Z. 152 ff. 353

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

2. Öffentlichkeit der Zivilverfahren nach russischem Recht Art. 123 Abs. 1 Verf. RF 1993 lautet: „Die Verhandlung ist in allen Gerichten öffentlich. Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind in den durch ein Bundesgesetz vorgesehenen Fällen zulässig“. Art. 10 ZPO RF (Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung) gilt für alle Instanzen und konkretisiert das Öffentlichkeitsgebot: „1. Die Verhandlung an allen Gerichten ist öffentlich. 2. Eine Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgt in den Fällen, die Informationen enthalten, die ein Staatsgeheimnis, ein Adoptionsgeheimnis darstellen sowie in anderen Fällen, wenn dies durch ein Bundesgesetz bestimmt ist. Eine Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist auch bei einem vom Gericht stattzugebenden Antrag eines Prozessbeteiligten zulässig, der sich auf die Notwendigkeit der Wahrung eines Geschäftsgeheimnisses oder eines anderen durch Gesetz geschützten Geheimnisses, auf die Unantastbarkeit des Privatlebens von Bürgern oder andere Umstände beruft, deren öffentliche Verhandlung die richtige Verhandlung des Falles beeinträchtigen oder die oben genannten Geheimnisse offenbaren oder Rechte und gesetzlich geschützte Interessen von Bürgern verletzen kann. 3. Prozessbeteiligte und andere Personen, die bei der prozessualen Handlung anwesend sind, im Laufe derer Informationen offenbart werden können, die in Abs. 2 dieses Artikels genannt worden sind, werden vom Gericht über die Verantwortlichkeit für ihre Preisgabe belehrt. 4. Über die Verhandlung der Sache unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Bezug auf die ganze oder einen Teil der Gerichtsverhandlung wird ein mit Gründen versehener Gerichtsbeschluss gefasst. 5. Einer Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit wohnen nur die Prozessbeteiligten, deren Vertreter und, soweit dies notwendig ist, auch die Zeugen, Sachverständige, Spezialisten und Dolmetscher bei. 6. Die Gerichtsverhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird in Übereinstimmung mit allen gerichtlichen Zivilprozessregeln durchgeführt. 7. Prozessbeteiligte und andere Bürger, die einer offenen Gerichtsverhandlung beiwohnen, haben das Recht, den Verlauf der Gerichtsverhandlung schriftlich sowie durch Tonaufnahme zu fixieren. Bildaufnahme, Videoaufnahme, Übertragung der Gerichtsverhandlung im Radio und Fernsehen bedürfen einer Zustimmung des Gerichts. 8. Die Verkündung des Urteils erfolgt öffentlich, es sei denn, diese Verkündung des Urteils berührt Rechte und gesetzlich geschützte Interessen von Minderjährigen“.356

Ein Vergleich zu entsprechenden Vorschriften der ZPO RSFSR zeigt, dass die neuen Regelungen mehr Möglichkeiten für den Ausschluss der Öffentlichkeit bieten, was mit dem Versuch erklärt werden kann, ein Gleichgewicht mit dem Recht auf 356 Diese Vorschrift der ZPO RF beruht offensichtlich auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 IPBPR 1966: „Jedes Urteil in einer (…) Zivilsache ist jedoch öffentlich zu verkünden, sofern nicht die Interessen Jugendlicher dem entgegenstehen oder das Verfahren Ehestreitigkeiten oder die Vormundschaft über Kinder betrifft“.

§ 3 Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip

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Achtung des Privat- und Familienlebens (etwa Art. 8 EMRK) zu erreichen.357 Bemerkenswert, dass im Gegensatz zum deutschen Recht (vgl. § 169 Satz 2 GVG BRD) Tonaufnahmen in der Gerichtsverhandlung zulässig sind.358 Die neuen Normen bilden eine gute Grundlage für die Umsetzung des Öffentlichkeitsgebots der EMRK im russischen Zivilprozess und sind wohl EMRK-konform.359 Richter genießen ein weites Ermessen bei der Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit (vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 ZPO RF), deswegen ist es besonders wichtig, dass das Ermessen im Lichte der Rechtsprechung des EGMR ausgeübt und der Ausschluss der Öffentlichkeit hinreichend begründet wird. In der Literatur wird nicht selten von Verstößen gegen innerstaatliche Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens berichtet.360 Teilweise verlangen die Richter von Besuchern auch im Fall einer öffentlichen Sitzung eine Erlaubnis des Vorsitzenden des Gerichts,361 was sowohl mit dem autonomen Recht Russlands als auch mit der EMRK nicht zu vereinbaren ist. Brisant ist etwa eine Aussage des stellvertretenden Vorsitzenden des Moskauer Wirtschaftsgerichts N. Lagunov. Auf den Vorwurf, dass das Nichtzulassen von Journalisten zu einer Gerichtsverhandlung gegen die Verfassung verstoße, antwortete er: „Sie brauchen mir nichts von der Verfassung zu erzählen, in unserem Land verstößt jeder gegen sie“.362 Ein Verstoß gegen das Öffentlichkeitsprinzip der ZPO RF würde zwar nicht immer, weil die ZPO RF mehr Schutz bietet,363 jedoch meistens einen Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK bedeuten. Angesichts der Verpflichtung des Staates, Maßnahmen zu ergreifen, damit Informationen über Zeit und Ort der Verhandlung leicht zugänglich sind,364 wäre es wünschenswert, eine Regelung vorzusehen, auf welche Art und Weise dies geschehen soll. So regelt etwa Art. 153 ZPO RF, dass die Parteien und andere Pro357 Die alten Vorschriften über die Gewährung der Öffentlichkeit wurden von Experten des Europarates gerade unter diesem Blickwinkel kritisiert, vgl. Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 67. 358 Welche Beweiskraft solche Tonaufnahmen vor höheren Instanzen haben, ist allerdings nicht geregelt. Deswegen weigern sich die russischen Gerichte oft, die Tonaufnahmen zu berücksichtigen, ausführlich dazu 2Qa^Y[_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2007, Nr. 10, S. 32 f. 359 Schirinsky, Die Umsetzung der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK in der russischen Rechtsordnung, S. 127 f., 131. 360 BY]_^_S (Hrsg.), BaVUbcSQ ]Qbb_S_Z Y^e_a]QgYY Y bdUVR^Qp S\Qbcm S A_bbYY: (`a_R\V]l SXQY]_UVZbcSYp), S. 182 ff.; 1\V[bVVSQ, in: Cd]Q^_S/Nc^Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y Vr `aY]V^V^Yp, S. 104. 361 Pietrowicz, Die Umsetzung der zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangenen Urteile des EGMR in der Russischen Föderation, S. 247 m.w.N. 362 BY]_^_S (Hrsg.), BaVUbcSQ ]Qbb_S_Z Y^e_a]QgYY Y bdUVR^Qp S\Qbcm S A_bbYY: (`a_R\V]l SXQY]_UVZbcSYp), S. 185. 363 Schirinsky, Die Umsetzung der Verfahrensgarantien aus Art. 6 EMRK in der russischen Rechtsordnung, S. 132. 364 EGMR, Urt. vom 14. 11. 2000 (Nr. 35115/97), Riepan v. Austria, Z. 29.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

zessbeteiligte zur Verhandlung geladen werden. Wie die Öffentlichkeit von den Gerichtsterminen erfahren kann, wurde nicht näher konkretisiert. Am 01. 07. 2010 trat das Bundesgesetz RF vom 22. 12. 2008 „Über die Sicherstellung des Zugangs zu Informationen über die Tätigkeit der Gerichte in der RF“ (Nr. 262-E8)365 in Kraft, das das Problem gelöst zu haben scheint. Das Gesetz sieht nun die Verpflichtung vor, Informationen über alle Gerichtsverhandlungstermine im Gerichtsgebäuden auszuhängen sowie ins Internet zu stellen (Artt. 14 Abs. 1 Nr. 2, 16 Abs. 1). Es bleibt abzuwarten, wie das Gesetz umgesetzt wird. Das Erfordernis für Besucher des Gerichts, sich auszuweisen (vgl. Z. 5.1 der Rahmenbestimmungen der Geschäftsordnung für Gerichte),366 wird zum Teil als eine unzulässige Beschränkung des Öffentlichkeitsgebots der EMRK angesehen.367 Das OG RF hält diese Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit für gerechtfertigt.368 Diese Maßnahme erscheint nicht unverhältnismäßig und folglich EMRKkonform.369 Ein Hindernis für die vollkommene Durchsetzung des Öffentlichkeitsgebots stellt auch der Mangel an Gerichtssälen dar, so dass bei bedeutenden Verfahren nicht alle Zuschauer Zutritt bekommen können.370 In der Literatur wird dazu angemerkt, dass Beschränkungen der Anzahl zugelassener Personen aus Kapazitätsgründen möglich seien, sofern die Auswahl nach objektiven Kriterien erfolgt und den Vertretern der Massenmedien Vorrang gegeben wird.371 3. Öffentlichkeit der Urteilsverkündung nach russischem Zivilprozessrecht Die Verkündung des Urteils muss nach russischem Zivilprozessrecht öffentlich erfolgen, es sei denn, diese betrifft Rechte und gesetzlich geschützte Interessen von Minderjährigen (vgl. Art. 10 Abs. 8, Art. 193 Abs. 1 Satz 1 ZPO RF). Das Urteil ist zusätzlich schriftlich zu verfassen (Art. 197 Abs. 1 ZPO RF). Der Vorsitzende Richter ist außerdem verpflichtet, nach der Verkündung die Entscheidung (offensichtlich nur, wenn die Beteiligten Fragen haben) zu erläutern (Art. 193 Abs. 1 Satz 2 365

SZ RF 2008, Nr. 52 (Teil I), Pos. 6217. Bestätigt vom Richterrat RF durch Verordnung vom 18. 04. 2003 (Nr. 101), zit. nach RIS „Garant“. 367 Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 67. 368 OG RF, Ent. vom 07. 04. 2006 (Nr. 4;@9 06-367), bestätigt durch Beschl. vom 06. 07. 2006 (Nr. ;1B 06-220). 369 Vgl. EGMR, Urt. vom 14. 11. 2000 (Nr. 35115/97), Riepan v. Austria, Z. 28: „Nor did the fact that any potential spectators would have had to undergo certain identity and possibly security checks in itself deprive the hearing of its public nature“. 370 Europarat, Dokument H(98)7 „The compatibility of Russian Federation Law with the requirements of the European Convention on Human Rights“, S. 67. Das Problem wird durch die Bundesprogramme der Regierung RF zur Entwicklung der Justiz allmählich gelöst. 371 Haase, Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene, S. 53 m.w.N.; Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 88 m.w.N. 366

§ 4 Recht auf Entscheidung in angemessener Frist

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ZPO RF). Ausnahmsweise kann der Begründungsteil einer komplizierten Entscheidung gemäß Art. 199 ZPO RF bis zu fünf Tage später fertig gestellt werden, die Einführungs- und Resolutionsteile müssen jedoch unmittelbar nach dem Ende der Gerichtsverhandlung verkündet werden. Im Falle einer Teilverkündung der Entscheidung muss der Vorsitzende den Prozessbeteiligten erklären, wann sie die ganze Entscheidung erhalten können (vgl. Art. 193 Abs. 2 ZPO RF). Laut internen Regelungen der Gerichte sind ausschließlich Prozessbeteiligte berechtigt, eine Kopie der kompletten Entscheidung sowie den Zugang zur Gerichtsakte zu erhalten.372 Der EGMR hat diese Regelung für ungenügend gehalten und einen Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt, weil der Begründungsteil der Entscheidung der öffentlichen Kontrolle entzogen sei.373 Mit In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes RF vom 22. 12. 2008 „Über die Sicherstellung des Zugangs zu Informationen über die Tätigkeit der Gerichte in der RF“ (Nr. 262-E8)374 am 01. 07. 2010 scheint das Problem gelöst zu sein. Das Gesetz sieht nun die Verpflichtung vor, alle Gerichtsentscheidungen (mit wenigen Ausnahmen) ins Internet zu stellen (Art. 15). Zudem besteht jetzt die Möglichkeit, die entsprechenden Informationen innerhalb von 30 Tagen vom Sekretariat des Gerichts zu erhalten (Art. 18).

§ 4 Recht auf Entscheidung in angemessener Frist I. Spruchpraxis des EGMR Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert den Prozessbeteiligten ausdrücklich das Recht auf Verhandlung in angemessener Frist. Erforderlich ist danach, dass es in angemessener Frist überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kommt und, dass das Gerichtsverfahren innerhalb eines angemessenen Zeitraums endet,375 der Fall also entschieden wird. Dieser Garantie liegt der Gedanke zu Grunde: „Justice delayed is justice denied“. Ihre große praktische Bedeutung zeigt die Statistik. Diese Garantie wird vor dem EGMR traditionell am häufigsten in Anspruch genommenen376 und vom EGMR am häufigsten als verletzt angesehen. Der maßgebliche Zeitraum in Zivilsachen beginnt mit der Klageerhebung.377 Tritt eine Partei einem laufenden Verfahren bei, so ist für sie dieser Zeitpunkt maßgebend.378 Tritt sie als Rechtsnachfolgerin bei, rechnet die Gesamtzeit.379 Bei Ver372 Vgl. EGMR, Urt. vom 17. 01. 2008 (Nr. 14810/02), Ryakib Biryukov v. Russia, Z. 19 ff. m.w.N. 373 Ebenda, Z. 38 ff. 374 SZ RF 2008, Nr. 52 (Teil I), Pos. 6217. 375 Haase, Die Anforderungen an ein faires Gerichtsverfahren auf europäischer Ebene, S. 75. 376 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 1, 188. 377 Vgl. z. B. EGMR, Urt. vom 02. 12. 2004 (Nr. 42138/02), Yaroslavtsev v. Russia, Z. 22. 378 EGMR, Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 44374/04), Kudinova v. Russia, Z. 33.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

fahren, die vor Inkrafttreten der EMRK in einem Vertragsstaat begannen, beginnt die Frist erst mit Inkrafttreten der EMRK. Der EGMR berücksichtigt aber den Stand des Verfahrens zu diesem Zeitpunkt und insoweit das vor der Ratifizierung abgelaufene Verfahren.380 Der Endzeitpunkt des Verfahrens ist die endgültige rechtskräftige Entscheidung (bzw. anderweitige Erledigung), wobei es auf die Verkündung der Entscheidung oder deren Zustellung an den Beschwerdeführer ankommt.381 Wenn über Kosten des Verfahrens später entschieden wird, gilt dieser Zeitpunkt.382 Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Frist werden alle Rechtsmittelinstanzen umfasst, einschließlich des Verfahrens am Verfassungsgericht, wenn sein Ergebnis geeignet ist, den Ausgang eines Streitfalls vor den ordentlichen Gerichten zu beeinflussen.383 Außerordentliche Rechtsbehelfe, die dafür nicht geeignet sind (z. B. Antrag auf Urteilsberichtigung) werden nicht mitgezählt.384 Der Zeitraum zwischen einer rechtskräftigen Entscheidung und der Wiederaufnahme des Verfahrens385 sowie das Verfahren, in dem über die Wiederaufnahme entschieden wird,386 wird jedenfalls nicht eingerechnet. Ob die Fristen angemessen sind, hängt von den Besonderheiten des Einzelfalls ab. Der EGMR berücksichtigt die Schwierigkeiten des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers, die Verhaltensweise der Gerichte und die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer.387 Der EGMR hat es immer vermieden, bestimmte Zeitgrenzen festzustellen, deren Überschreitung per se eine Verletzung darstellen würde. Manchmal bewertet er die Gesamtdauer als unangemessen, manchmal stellt er eine Konventionsverletzung bei einer längeren Untätigkeitsperiode der Behörden fest.388 Die noch als angemessen angesehenen Fristen sind sehr unterschiedlich,389 deswegen 379 Vgl. EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 220. 380 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 48. 381 EGMR, Urt. vom 23. 09. 2004 (Nr. 60408/00), Yemanakova v. Russia, Z. 41. 382 EGMR, Urt. vom 23. 09. 1997 (Nr. 22410/93), Robins v. the United Kingdom, Z. 29. 383 EGMR, Urt. vom 23. 06. 1993 (Nr. 12952/87), Ruiz-Mateos v. Spain, Z. 35; Urt. vom 27. 07. 2000 (Nr. 33379/96), Klein v. Germany, Z. 32 ff., wonach das Verfahren über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG angerechnet wird; anders noch EGMR, Urt. vom 06. 05. 1981 (Nr. 7759/77), Buchholz v. Germany, Z. 48. 384 EGMR, Urt. vom 26. 04. 2005 (Nr. 50913/99), Mehmet Özel et autres c. Turquie, Z. 34. 385 EGMR, Urt. vom 02. 12. 2004 (Nr. 42138/02), Yaroslavtsev v. Russia, Z. 22; Urt. vom 08. 06. 2006 (Nr. 2703/02), Pyrikov v. Russia, Z. 35. 386 EGMR, Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 4171/03), Chevkin v. Russia, Z. 32. 387 Vgl. etwa EGMR (GK), Urt. vom 27. 06. 2000 (Nr. 30979/96), Frydlender v. France, Z. 43; EGMR, Urt. vom 09. 11. 2004 (Nr. 63527/00), Levshiny v. Russia, Z. 28. 388 Ausführlich dazu Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ), Bericht vom 08. 12. 2006 „Length of Court proceedings in the member states of the Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights“, S. 17, . 389 Übersicht der jüngeren Rechtsprechung des EGMR bei Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 207 f.

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lassen sich aus der Spruchpraxis kaum generalisierende Regeln ableiten. Der EGMR erwähnt manchmal beiläufig, dass ein Jahr je Gerichtsinstanz als grobe Faustregel gelten könne (ohne zwischen Straf- und Zivilverfahren zu differenzieren).390 In der Literatur wird dazu angemerkt, dass dies die Rechtsprechung des EGMR nicht widerspiegele, zwei Jahre kommen ihr näher.391 Dennoch lassen sich die folgenden generalisierenden Aussagen aus der Rechtsprechung des EGMR ableiten. Das Gebot angemessener Verfahrensdauer steht in einem Spannungsverhältnis zu den einzelnen Garantien des fairen Verfahrens, da ein Mehr an Verfahrensrechten regelmäßig das Verfahren verlängert.392 Daraus folgt, dass je umfangreicher und schwieriger das Verfahren ist, desto länger innerstaatliche Gerichte den Fall verhandeln dürfen.393 Für Verzögerungen, die ihre Ursache im Verhalten des Beschwerdeführers (seines Vertreters) haben, kann der Staat nicht verantwortlich gemacht werden.394 Es wird dem Beschwerdeführer jedoch nicht angelastet, wenn er von Rechtsbehelfen Gebrauch macht, die ihm das innerstaatliche Recht zur Verfügung stellt.395 Die Vertragsstaaten der EMRK haben die Verpflichtung, ihr Gerichtssystem so zu organisieren, dass das Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Verfahrensdauer gewahrt bleibt.396 Besondere Eile ist geboten, wenn der Ausgang des 390 EGMR, Urt. vom 08. 02. 2005 (Nr. 45100/98), Panchenko v. Russia, Z. 117; Urt. vom 26. 11. 2009 (Nr. 13591/05), Nazarov v. Russia, Z. 126. 391 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 199; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 249. Bundessozialgericht BRD, Beschl. vom 13. 12. 2005 (Nr. B 4 RA 220/04 B), geht davon aus, dass eine generelle Grenze, bei deren Überschreiten ein Konventionsverstoß zu vermuten ist, bei drei Jahren je Gerichtsinstanz liegt (Rn. 51), . 392 EGMR, Urt. vom 28. 06. 1978 (Nr. 6232/73), König v. Germany, Z. 100; Urt. vom 18. 02. 1997 (Nr. 18990/91), Nideröst-Huber v. Switzerland, Z. 30; Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ), Bericht vom 08. 12. 2006 „Length of Court proceedings in the member states of the Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights“, S. 18 m.w.N. 393 Zusammenstellung der Rechtsprechung des EGMR zu dieser Frage in: Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ), Bericht vom 08. 12. 2006 „Length of Court proceedings in the member states of the Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights“, Anhang 3, 4, S. 99 ff. 394 EGMR, Urt. vom 06. 05. 1981 (Nr. 7759/77), Buchholz v. Germany, Z. 48; Ent. vom 04. 10. 2005 (Nr. 74828/01), Konibolotskiy v. Russia. 395 EGMR, Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 15969/02), Vladimir Nikitin v. Russia, Z. 32; Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 29510/04), Marchenko v. Russia, Z. 40. 396 EGMR, Urt. vom 27. 02. 1992 (Nr. 12460/86), Ruotolo v. Italy, Z. 17; Urt. vom 09. 11. 2004 (Nr. 63527/00), Levshiny v. Russia, Z. 31. Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung R(81)7 an die Mitgliedstaaten über Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zum Rechtsschutz vom 14. 05. 1981, Anhang Z. 8: „Alles ist zu unternehmen, um die Zeit, die zur Entscheidung der Sache notwendig ist, auf ein Minimum zu beschränken. Hierzu sind Maßnahmen zu treffen, um archaische Verfahren ohne praktischen Nutzen abzuschaffen, um sicherzustellen, dass die Gerichte über genügend Personal verfügen und wirksam arbeiten und dass Verfahren geschaffen werden, die es dem Gericht gestatten, den Ablauf eines Verfahrens von Beginn an zu verfolgen“,

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Prozesses besondere Bedeutung für den Beschwerdeführer hat. Das ist der Fall etwa397 in arbeitsrechtlichen Gerichtsverfahren,398 bei Schadensersatzklagen wegen Gesundheitsverletzung,399 Kindschaftssachen, bei fortgeschrittenem Alter400 und schlechtem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers401. Bei der Bewertung der Angemessenheit der Frist berücksichtigt der EGMR auch Umstände, die den Vertragsstaaten objektiv die Erfüllung ihrer Verpflichtung erschweren. Dies hat der EGMR etwa bei der Verschlechterung der Wirtschaftslage,402 der Staatsgründung und Transformation der Rechtsordnung,403 der Wiedervereinigung Deutschlands404 angenommen, die ein erhebliches Anwachsen des Geschäftsanfalls bei den Gerichten zur Folge hatten. Allerdings wurde in Bezug auf Russland das Argument der Regierung nicht akzeptiert, dass die Dauer der Verfahren durch die schlechte Wirtschaftslage gerechtfertigt sei.405 Das liegt wohl daran, dass bis zum Inkrafttreten der EMRK im Jahr 1998 die russische Regierung genug Zeit hatte, die Justiz zu reformieren, um neuen Anforderungen gerecht zu werden. II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland Bis Ende 2011 hat der EGMR 83 Urteile gegen Russland erlassen, in denen das Recht auf Verhandlung in angemessener Frist in Verfahren in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen als verletzt angesehen wurde.406 Die kürzeste vom EGMR beanstandete Verfahrensdauer beträgt 3 Jahre und 5 Monate.407

dt. Übersetzung zit. nach Miehsler/Petzold (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention: Texte und Dokumente, Bd. 2 (1982), S. 259. 397 Andere Beispiele bei Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 262. Vgl. auch Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ), Bericht vom 08. 12. 2006 „Length of Court proceedings in the member states of the Council of Europe based on the case law of the European Court of Human Rights“, Anhang 2, S. 95 ff. 398 EGMR, Urt. vom 27. 02. 1992 (Nr. 12460/86), Ruotolo v. Italy, Z. 17; Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 56. 399 EGMR, Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 29510/04), Marchenko v. Russia, Z. 40. 400 EGMR, Urt. vom 22. 09. 2005 (Nr. 75475/01), Vasyagin v. Russia, Z. 33. 401 EGMR, Urt. vom 26. 08. 1994 (Nr. 22800/93), Karakaya v. France, Z. 43. 402 EGMR, Urt. vom 06. 05. 1981 (Nr. 7759/77), Buchholz v. Germany, Z. 68. 403 EGMR, Urt. vom 12. 06. 2001 (Nr. 39914/98), Tricˇkovic´ v. Slovenia, Z. 67. 404 EGMR (GK), Urt. vom 16. 09. 1996 (Nr. 20024/92), Süßmann v. Germany, Z. 60. 405 EGMR, Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 49, 55. 406 Vgl. Anhang III lit. E., S. 310 ff. 407 EGMR, Urt. vom 03. 06. 2010 (Nr. 20441/02), Lelik v. Russia, Z. 38 ff. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 09. 06. 2005 (Nr. 26384/02), Vokhmina v. Russia, Z. 19 ff. (Verfahrensdauer 3 Jahre, 7 Monate und 9 Tage – Verletzung mit 4 zu 3 Stimmen).

§ 4 Recht auf Entscheidung in angemessener Frist

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Das bis jetzt längste Verfahren dauerte seit Oktober 1992 und war zum Zeitpunkt des Urteils des EGMR noch anhängig (insgesamt 14 Jahre und 4 Monate).408 2. Dauer der Zivilverfahren in Russland Die Bedeutung der EMRK für die russische Rechtsordnung in diesem Bereich liegt vor allem darin, dass durch die EMRK das Recht auf ein Verfahren in angemessener Frist zum ersten Mal ausdrücklich positiviert wurde. Traditionell hat man in Russland Verfahrensfristen als eine Angelegenheit der Gerichtsorganisation verstanden.409 Das OG RF hat in einem Plenumsbeschluss aus dem Jahre 1999 darauf hingewiesen, dass die Nichteinhaltung von Verfahrensfristen zur Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK führen kann, und die Einhaltung von Fristen gefordert.410 Das OWG RF hat Wirtschaftsgerichte in seinem Informationsschreiben vom 20. 12. 1999 über die Kriterien der Angemessenheit der Frist informiert.411 Das OG RF hat dies in seinem Plenumsbeschluss vom 10. 10. 2003 getan.412 In der Literatur wird angemerkt, dass die Positivierung des Rechts auf Entscheidung in angemessener Frist die Lage nicht wesentlich verbessert hat.413 Anders als das deutsche sieht das russische Zivilprozessrecht traditionell Fristen vor, während derer Gerichtsverhandlungen abgeschlossen werden müssen. Nach der ZPO RSFSR waren dies höchstens ein Monat und 20 Tage für das Verfahren im Gericht erster Instanz (Art. 99), 10 Tage bzw. ein Monat (im OG RSFSR) für das Gericht zweiter Instanz (Art. 284.1); 20 Tage bzw. ein Monat (im OG RSFSR) für die Aufsichtsinstanz (Art. 328). Die ZPO RF sieht nun folgende Maximalfristen vor: zwei Monate (ein Monat für Friedensrichter) für das Verfahren in erster Instanz 408

EGMR, Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 76835/01), Kolomiyets v. Russia. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 27865/06), Plemyanova v. Russia, Z. 25 ff. (Verfahrensdauer 11 Jahre und 8 Monate – Verletzung). 409 1\V[bVVSQ, in: Cd]Q^_S/Nc^Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y Vr `aY]V^V^Yp, S. 104; 4adUgl^Q, 8Q[_^_UQcV\mbcS_ Y n[_^_]Y[Q 2005, Nr. 2, S. 58 ff., zit. nach RIS „ConsultantPlus“. Nach der ZPO RSFSR war die richtige und schnelle Verhandlung und Entscheidung von Zivilrechtsstreitigkeiten eine Aufgabe des sowjetischen Zivilverfahrens (Art. 2 Abs. 1). 410 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 18. 11. 1999 (Nr. 79) „Über Fristen der Verhandlungen in Zivil- und Strafsachen durch Gerichte RF“, Z. 1, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2000, Nr. 1, S. 2 f. 411 OWG RF, Informationsschreiben vom 20. 12. 1999 (Nr. B1-7/B=@-1341) „Über grundsätzliche Rechtspositionen, die der EGMR bei dem Schutz der Vermögensrechte und Recht auf ein faires Verfahren anwendet“, Z. 8, 3Vbc^Y[ 3lbiVT_ 1aRYcaQW^_T_ BdUQ AE 2000, Nr. 2, S. 93 ff. 412 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 10. 10. 2003 (Nr. 5), „Über die Anwendung von allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts durch Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit RF“, Z. 12, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2003, Nr. 12, S. 3 ff., engl. Übersetzung in: HRLJ 2004, S. 108 ff. 413 1\V[bVVSQ, in: Cd]Q^_S/Nc^Y^ (Hrsg.), ;_]]V^cQaYZ [ [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U Y `aQ[cY[Y Vr `aY]V^V^Yp, S. 104.

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

(Art. 154 Abs. 1); ein Monat (zwei Monate im OG RF) für das Verfahren in der Appellationsinstanz (Art. 327.2 Abs. 1, 2), zwei Monate (fünf Monate im OG RF) für das Verfahren in der Kassationsinstanz (Art. 382), fünf Monate für das Verfahren in der Aufsichtsinstanz (Art. 391.6). Nur für das Verfahren vor dem VerfG RF sind keine Maximalfristen vorgesehen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist die Belastung der russischen Justiz wesentlich gestiegen. So wurden in Russland 1990 z. B. 1,65 Mio. Zivilsachen verhandelt, 1996 – 3,04 Mio., 2006 – über 7,5 Mio.414 Die Zahl der Zivilverfahren steigt weiter. So hatten russische Gerichte nach Angaben des Gerichtsdepartements beim OG RF im Jahre 2010 über 14 Mio. Fälle zu verhandeln.415 Als Folge dieser Arbeitsbelastung konnten Gerichte die recht kurzen gesetzlichen Fristen der Gerichtsverhandlungen nicht einhalten. So wurden z. B. 12,7 % aller 1998 (im Jahr des In-Kraft-Tretens der EMRK für Russland) abgeschlossenen Verfahren in Zivilsachen mit Verstößen gegen gesetzliche Prozessfristen verhandelt.416 Im Jahre 2004 waren dies noch etwa 8,8 %,417 2006 – 6,0 % und 2010 – ca. 3 %.418 Es sind also wesentliche Fortschritte zu verzeichnen, die durch die Einführung von Friedensrichtern sowie bessere technische und personelle Ausstattung und Finanzierung der Justiz (dank der Bundesprogramme zur Entwicklung des Gerichtssystems Russlands, dazu oben Kap. 1, S. 43 f.) erreicht wurden.419 2002 gab es etwa in Russland 17.144 Richter (oder 11,81 pro 100.000 Bevölkerung),420 2004 schon 29.685 (oder 20,07 pro 100.000 Bevölkerung),421 2006 – 30.539 (oder 21,5 pro 100.000 Bevölkerung),422 und 2008 – 34.390 Richter (oder 24,2 pro 100.000 Bevölkerung)423. (Zum Vergleich: In

414

Solomon, Demokratizatsiya 2008, S. 71. Statistische Angaben vom Gerichtsdepartement beim OG RF, . 416 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 18. 11. 1999 (Nr. 79) „Über Fristen der Verhandlungen in Zivil- und Strafsachen durch Gerichte RF“, 2o\\VcV^m 3Vaf_S^_T_ BdUQ AE 2000, Nr. 1, S. 3. 417 A_bbYZb[Qp obcYgYp 2005, Nr. 9, S. 44. 418 Statistische Angaben vom Gerichtsdepartement beim OG RF, . 419 In der Literatur wird angemerkt, dass Richter einige Möglichkeiten hätten, die tatsächlichen Verfahrensfristen zu verschleiern, so dass es eine erhebliche Zahl nicht berücksichtigter überlanger Verfahren gebe: Jarkov, in: Boguslawskij/Trunk (Hrsg.), Reform des Zivil- und Wirtschaftsprozessrechts in den Mitgliedstaaten der GUS, S. 94. 420 Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ), Bericht „European judicial systems 2002. Facts and figures on the basis of a survey conducted in 40 Council of Europe Member States“, S. 36. Alle CEPEJ-Berichte sind zugänglich unter . 421 CEPEJ, Bericht „European judicial systems. Edition 2006 (2004 data)“, S. 78. 422 CEPEJ, Bericht „European judicial systems. Edition 2008 (2006 data): Efficiency and quality of justice“, S. 106. 423 CEPEJ, Bericht „European judicial systems. Edition 2010 (2008 data)“, S. 117. 415

§ 4 Recht auf Entscheidung in angemessener Frist

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Deutschland gibt es 20.901 Richter, oder 25,2 pro 100.000 Bevölkerung).424 Die Programme laufen weiter, deswegen sind weitere Verbesserungen in diesem Bereich zu erwarten. Auf der anderen Seite darf jedoch nicht vergessen werden, dass, auch wenn die Zahl der nicht fristgemäß abgeschlossenen Verfahren in Russland prozentual gering sein mag, es sich dabei um mehrere tausend Fälle handelt. Obwohl die Fristen im russischen Zivilprozessrecht immer noch recht kurz sind und ihre Nichteinhaltung längst noch nicht zu einer Verletzung der EMRK führt, zeigt die Rechtsprechung des EGMR doch wesentliche Mängel im Funktionieren der russischen Justiz. Außerdem können fristgemäß abgeschlossene Verfahren durch Aufhebung der Entscheidung mehrfach wieder aufgenommen werden, so dass die Gesamtdauer gegen das Recht auf Verfahren in angemessener Frist verstoßen kann. Aus dem Recht der Parteien auf Entscheidung in angemessener Frist folgt die Pflicht der Richter, bei allen Prozesshandlungen (Terminierung, Aussetzung des Verfahrens usw.) auf die möglichst schnelle Beendigung des Prozesses hinzuwirken, sowie in erster Linie Fälle zu entscheiden, die nach der Rechtsprechung des EGMR besondere Bedeutung für die oder eine der Parteien haben.425 Der russische Gesetzgeber hat für Streitigkeiten über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie über Kindesunterhalt eine kürzere Frist (ein Monat) vorgesehen (Art. 154 Abs. 2 ZPO RF). Richter müssen aber wegen der Bedeutung der Sache für die Parteien auch anderen relevanten Fällen Vorrang einräumen. Darauf haben die russischen Obergerichte in ihren Erläuterungen der Spruchpraxis des EGMR zum Recht auf Entscheidung in angemessener Frist untere Gerichte leider nicht hingewiesen. Ein wesentliches Problem bei der Gewährleistung angemessener Verfahrensdauer in Russland war das Fehlen eines wirksamen Rechtsmittels gegen Verfahrensverschleppung. Deshalb stellte der EGMR gleichzeitig mit einem Verstoß gegen das Recht auf angemessene Verfahrensdauer oft einen Verstoß gegen Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) fest.426 Noch im Jahre 2001 hat das VerfG RF dem russischen Gesetzgeber die Verpflichtung auferlegt, Verfahren und Voraussetzungen für den Ersatz des Schadens vorzusehen, der infolge unangemessener Verfahrensdauer entstanden ist.427 Leider hat der Gesetzgeber lange Zeit nicht reagiert. Erst 424 CEPEJ, Bericht „European judicial systems. Edition 2008 (2006 data): Efficiency and quality of justice“, S. 106. 425 Matthei, Der Einfluss der Rechtsprechung des EGMR auf die ZPO, S. 63 m.w.N. 426 Vgl. z. B. EGMR, Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia, Z. 64; Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 77089/01), Olshannikova v. Russia, Z. 45. Russische Obergerichte versuchten mit drohenden Disziplinarmaßnahmen für Richter dem entgegen zu wirken, vgl. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 18. 11. 1999 (Nr. 79), Z. 3; Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 31. 05. 2007 (Nr. 27), Z. 13. Disziplinarmaßnahmen sind allerdings nach der Rechtsprechung des EGMR kein effektives Mittel, vgl. die in dieser Fußnote angegebenen Urteile des EGMR. 427 VerfG RF, Urt. vom 25. 01. 2001 (Nr. 1-@), Z. 3 des Tenors, SZ RF 2001, Nr. 7, Pos. 700. In einer späteren Entscheidung von 2004 bestätigte das VerfG RF sein voriges Urteil und führte

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Kap. 5: Ausdrückliche Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK

unter zunehmendem Druck aus Straßburg wurde am 30. 04. 2010 das KompensationsG erlassen, das einen entsprechenden Rechtsbehelf eingeführt hat (in Kraft seit 04. 05. 2010).428 Dabei ist man von den Vorgaben429 des EGMR ausgegangen und man hat versucht, die gute Praxis anderer Vertragsparteien zu berücksichtigen.430 Das Gesetz ermächtigt innerstaatliche Gerichte eine entsprechende Konventionsverletzung festzustellen sowie finanzielle Entschädigung unabhängig vom Verschulden der Gerichte zuzusprechen und verpflichtet die Gerichte, die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Standards (einschließlich Höhe der Entschädigung) zu berücksichtigen (Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes).431 Der EGMR geht davon aus, dass Beschwerdeführer den neuen Rechtsbehelf auszuschöpfen haben.432 Auch sieht nun Art. 6.1 Abs. 6 ZPO RF die Möglichkeit vor, eine Untätigkeitsbeschwerde bei dem Vorsitzenden des entsprechenden Gerichts einzulegen, um den Verfahrensablauf zu beschleunigen. Der Vorsitzende kann sowohl eine Frist für die Durchführung der Verhandlung setzen als auch auf Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens hinweisen (Art. 6.1 Abs. 7 ZPO RF). Es ist abzuwarten, ob durch die ergriffenen Maßnahmen das Problem überlanger Dauer von Gerichtsverfahren in Russland wirksam gelöst sein wird. Die ersten Erfahrungen mit dem Kompensationsrechtsbehelf sind eher positiv.433 aus, dass seine Urteile unmittelbar gelten und bei Fehlen gesetzlicher Vorschriften Gerichte solche Fälle auf der Grundlage des geltenden Rechts entscheiden bzw. dies analog anwenden müssen, VerfG RF, Beschl. vom 27. 05. 2004 (Nr. 210-O), Z. 2 Abs. 3 f. In den russischen juristischen Datenbanken konnten aber keine Entscheidungen nachgewiesen werden, in denen Schadensersatz wegen überlanger Verfahrensdauer zugesprochen worden wäre. Es sei allerdings auf Entscheidungen hingewiesen, in denen eine Verletzung des Rechts auf Verfahren in angemessener Frist als Folge einer Appellationsbeschwerde festgestellt und das untere Gericht zur Prozesshandlung verpflichtet wurde, vgl. z. B. Föderales Wirtschaftsgericht für den Bezirk Nord-Kaukasus, Urt. vom 28. 02. 2006 (Nr. E08-451/06): . 428 Damit hat der EGMR indirekt verholfen, das Urteil des VerfG RF aus dem Jahre 2001 (Nr. 1-@) umzusetzen! 429 Vgl. eine Zusammenstellung der Spruchpraxis des EGMR zur Effektivität von Rechtsmitteln gegen Verfahrensverschleppung nach Art. 13 EMRK: Venedig-Kommission, Report CDL-AD(2006)036rev vom 03. 04. 2007 „On the Effectiveness of National Remedies in Respect of Excessive Length of Proceedings“, . 430 Mehrere Studien dazu sind auf Internetseiten der Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) veröffentlicht: . Vgl. auch Milej, Osteuropa-Recht 2006, 337 ff.; Auch in Deutschland wird die Diskussion über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren lautstark geführt, vgl. etwa BT-Drucks. 16/ 7558; BT-Drucks. 17/3802. Der Gesetzgeber hat jungst ein entsprechendes Gesetz erlassen, BGBl. 2011 I 3202 ff. 431 Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass das von dem EGMR entwickelte Kriterium – Bedeutung der Sache für die Parteien – im KompensationsG 2010 nicht genannt ist. 432 EGMR, Ent. vom 23. 09. 2010 (Nr. 26716/09 u. a.), Fakhretdinov and Others v. Russia. 433 EGMR, Ent. vom 02. 12. 2010 (Nr. 9610/05), Balagurov v. Russia. Hier hat der EGMR entschieden, dass wegen der innerstaatlichen Kompensation nach dem KompensationsG 2010 der Beschwerdeführer seine Opfereigenschaft verloren habe.

Kapitel 6

Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien § 1 Recht auf Zugang zu Gericht I. Rechtsprechung des EGMR 1. Begründung des Anspruchs Ein Recht auf Zugang zu Gericht ist in Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht ausdrücklich genannt, daher spricht der Wortlaut dafür, dass diese Vorschrift keine allgemeine Rechtsweggarantie enthält, sondern lediglich die Mindestanforderungen des in Gang gesetzten gerichtlichen Verfahrens festlegt. Immerhin drei Richter des EGMR vertraten diese Auffassung im Fall Golder (1975), in dem der EGMR zum ersten Mal darüber zu entscheiden hatte.1 Die Mehrheit (9 Richter) bejahte dagegen den Anspruch unter Heranziehung der Auslegungsregeln von Artt. 31 – 33 WVK 1969. Vor allem auf die Präambel sowie auf Ziel und Zweck der EMRK im Zusammenhang mit anderen Völkerrechtsquellen gestützt (Z. 28 ff.), hat der EGMR das Recht auf Zugang zu Gericht als einen universell anerkannten Rechtsgrundsatz des Völkerrechts anerkannt (Z. 35). Die ausschlaggebenden Argumente waren: „Nach Ansicht des Gerichtshofes bliebe unverständlich, dass Art. 6 Abs. 1 [EMRK] im Einzelnen die den Parteien eines laufenden Zivilverfahrens zugestandenen Verfahrensgarantien umschrieb und nicht zunächst das schützt, was allein das ermöglicht, aus jenen Garantien praktischen Nutzen zu ziehen, den Zugang zum Richter. Billigkeit, Öffentlichkeit und Zügigkeit eines Prozesses haben da nicht das geringste Interesse, wo es einen Prozess nicht gibt (…). Würde man [Art. 6 Abs. 1 EMRK] so verstehen, dass er ausschließlich den Ablauf eines schon bei einem Gericht anhängigen Verfahrens betrifft, könnte ein Vertragsstaat, ohne gegen ihn zu verstoßen, seine Gerichte abschaffen oder ihrer Zuständigkeit die Erledigung bestimmten Arten von Streitfällen zivilrechtlicher Natur entziehen, um sie regierungsabhängigen Organen zuzuweisen“ (Z. 35).2 In seiner späteren Rechtsprechung hat der EGMR den Inhalt und Umfang dieses Anspruches ausführlich herausgearbeitet. Heute steht das Recht auf Zugang zu Gericht im Zentrum der Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK.3

1 EGMR, Urt. vom 21. 02. 1975 (Nr. 4451/70), Golder v. the United Kingdom, Sondervoten der Richter Fitzmaurice, Zekia, Verdross. 2 Dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 1975, 97. 3 Grabenwarter/Pabel, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, S. 676.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

2. Inhalt und Umfang des Anspruchs Im Geltungsbereich der Garantie (Streitigkeiten über innerstaatlich anerkannte zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen) gewährleistet Art. 6 Abs. 1 EMRK ein subjektives Recht gegen den Staat als Träger der Justizhoheit, ein Verfahren bei Gericht, das den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 genügt, anhängig zu machen und eine abschließende gerichtliche Entscheidung zu erhalten.4 Deswegen ist es gerechtfertigt, von einem „Anspruch auf Gerichtsentscheidung“ zu sprechen.5 Die Rechtsordnungen der Konventionsstaaten müssen folglich für Zivilrechtssachen einen gerichtlichen Rechtsschutz vorsehen.6 Art. 6 Abs. 1 EMRK verlangt nicht, dass über einen zivilrechtlichen Anspruch von vornherein nur ein Gericht entscheidet. Es genügt, dass von der Entscheidung einer nicht als Gericht organisierten Behörde ein Rechtszug an ein Gericht offen steht, vorausgesetzt, dass sowohl die Rechtsfrage als auch der Sachverhalt – soweit dieser nicht von der Verwaltungsbehörde in voller Unabhängigkeit festgestellt wird – durch dieses Gericht überprüft werden können.7 Das Gericht, zumindest die letzte Instanz, muss allen Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK entsprechen. Der EGMR spricht in diesem Zusammenhang von einem „Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren“.8 Das Gericht soll die Kompetenz haben, eine endgültige Lösung des Falles herbeizuführen.9 Der Anspruch auf Zugang zu Gericht erstreckt sich auf ein gerichtliches Verfahren in erster Instanz: Art. 6 Abs. 1 EMRK begründet keinen Anspruch auf ein Rechtsmittelverfahren.10 Die Vertragsstaaten sind nicht verpflichtet, Berufungs- oder Re-

4 EGMR, Urt. vom 19. 03. 1997 (Nr. 18357/91), Hornsby v. Greece, Z. 40; Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 4856/03), Dubinskaya v. Russia, Z. 41: „The right of access to a court includes not only the right to institute proceedings but also the right to obtain a ,determination‘ of the dispute by a court“. 5 Vgl. Matscher, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 1980, 13 Fn. 42. 6 Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung R(81)7 vom 14. 05. 1981 an die Mitgliedstaaten über Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zum Rechtsschutz; dt. Übersetzung in: Miehsler/Petzold (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention: Texte und Dokumente, Bd. 2 (1982), S. 255 ff. 7 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 10. 02. 1983 (Nr. 7299/75 u. a.), Albert and Le Compte v. Belgium., Z. 29; Urt. vom 25. 11. 1994 (Nr. 12884/87), Ortenberg v. Austria, Z. 28. Ausführlich dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 56 ff. 8 EGMR, Urt. vom 21. 02. 1975 (Nr. 4451/70), Golder v. the United Kingdom, Z. 36. 9 EGMR, Urt. vom 12. 01. 2006 (Nr. 26111/02), Mizzi v. Malta, Z. 80: „Der Zugang zu einem Gericht in der Form, dass nur das Recht besteht, eine vorbereitende Frage zu stellen, kann nicht als ausreichend angesehen werden, um in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft den Schutz des Rechts auf Zugang zu einem Gericht zu sichern“, dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 2006, 113. 10 Die Verpflichtung, ein Rechtsmittelgericht zu schaffen, enthält Art. 2 7. ZP EMRK nur in Bezug auf Strafverfahren.

§ 1 Recht auf Zugang zu Gericht

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visionsgerichte zur Verfügung zu stellen.11 Dasselbe gilt in Bezug auf Obergerichte12 und Verfassungsgerichte13. Der Anspruch auf Zugang zu Gericht beinhaltet kein Recht, einen anhängigen Rechtsstreit zur Entscheidung über eine Vorfrage von einer nationalen Instanz an eine andere oder an einen internationalen Spruchkörper zu verweisen,14 sowie kein Recht auf eine Rechtsmittelbelehrung wegen Form- und Fristvorschriften.15 Der EGMR hat auch mehrfach ausgeführt, dass kein Anspruch auf Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens besteht.16 In einigen Fällen hat der EGMR jedoch einen Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht festgestellt, weil inländische Gerichte sich wegen res judicata weigerten, eine Klage zur Entscheidung anzunehmen. Das sind vor allem Fälle der Anfechtung (Feststellung) der Vaterschaft: Wenn der Betroffene dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse (DNA-Analyse) beweisen kann, dass die gesetzliche Vermutung mit der biologischen Realität nicht übereinstimmt.17 Die Achtung des Familienlebens verlangt nach Ansicht des EGMR, dass die biologische und die gesellschaftliche Realität grundsätzlich den Vorrang vor einer Rechtsvermutung (und offensichtlich auch vor der Rechtssicherheit!) haben.18 Der EGMR hat das Recht auf Zugang zu Gericht trotz res 11 EGMR, Urt. vom 17. 01. 1970 (Nr. 2689/65), Delcourt v. Belgium, Z. 25: „Article 6 § 1 of the Convention does not, it is true, compel the Contracting States to set up courts of appeal or of cassation“; vgl. auch EGMR (GK), Urt. vom 29. 07. 1998 (Nr. 24767/94), Omar v. France, Z. 41; EGMR, Urt. vom 09. 03. 2006 (Nr. 59261/00), Menesheva v. Russia, Z. 101: „The Court recalls that a right of recourse against a faulty judicial decision is not recognised as a general guarantee (…)“. 12 EGMR, Ent. vom 12. 06. 2006 (Nr. 24079/02), Stepenska v. Ukraine: „No provision of the Convention, therefore, requires a State to grant persons under its jurisdiction an appeal to a Supreme Court acting as a third instance court. If a State makes provision for such an appeal, as in the instant case, it is entitled to lay down the conditions for such an appeal. When a Supreme Court determines in a preliminary examination of a case, whether or not the conditions required for granting leave to appeal have been fulfilled, the manner of application of this provision must depend on the special features of the proceedings involved (…)“. 13 EGMR, Ent. vom 21. 06. 2001 (Nr. 45132/98), Gauder v. Croatia: „The Court recalls (…) that Article 6 § 1 does not guarantee a right of bringing constitutional proceedings. Nevertheless, a Contracting State which sets up a possibility of challenging the constitutionality of the lower courts’ decisions may be required to ensure that persons within its jurisdiction enjoy before the Constitutional Court the fundamental guarantees in Article 6 (…)“. 14 EGMR, Urt. vom 15. 07. 2003 (Nr. 33400/96), Ernst et autres c. Belgique, Z. 74. 15 EGMR, Ent. vom 04. 07. 2000 (Nr. 51717/99), Société Guerin Automobiles c. les 15 Etats de l’Union Européenne. 16 EGMR, Urt. vom 27. 01. 2011 (Nr. 1355/04), Dichev v. Bulgaria, Z. 36: „The Court observes that according to its case-law, Article 6 does not guarantee a right to the reopening of proceedings and is not applicable to proceedings concerning requests for the reopening of proceedings which have been concluded by a final decision“. 17 EGMR, Urt. vom 09. 11. 2006 (Nr. 11449/02), Tavli v. Turkey, Z. 31 ff; Urt. vom 10. 10. 2006 (Nr. 10699/05), Paulík v. Slovakia, Z. 41 ff. 18 EGMR, Urt. vom 27. 10. 1994 (Nr. 18535/91), Kroon and Others v. the Netherlands, Z. 40.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

judicata auch für den Fall bejaht, dass das innerstaatliche Verfahren unter einem gravierenden Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK zustande gekommen war.19 Die Konventionsstaaten können bestehende Rechtsmittel auch einschränken oder sogar abschaffen.20 Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt einen Schutz durch den Richter, aber nicht gegen den Richter.21 Wo aber mehrere Rechtsprechungsebenen vorliegen, gilt die EMRK auch für das Verfahren vor diesen Gerichten; das heißt, es besteht ein Anspruch auf Zugang zu diesem Gericht und auf ein faires Verfahren.22 Der gerichtliche Rechtsschutz muss in der Weise organisiert sein, dass der Einzelne davon auch tatsächlich Gebrauch machen kann. Nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Hindernisse können das Recht auf Zugang zu Gericht beeinträchtigen, wenn etwa wegen kriegerischer Auseinandersetzungen die Gerichte nicht tätig sind23 oder ein Gefängnisinsasse keinen Zugang zum Rechtsanwalt erhält, um seine Klage vorzubereiten.24 Die Wirksamkeit des Zugangs zu Gericht kann auch in Frage gestellt werden, wenn das Gerichtsverfahren unverhältnismäßig lange dauert.25 Da Art. 6 Abs. 1 EMRK das Recht auf Zugang zum Gericht nicht ausdrücklich erwähnt, sieht er diesbezüglich auch keine Schranken vor, was solche allerdings nicht ausschließt. In ständiger Rechtsprechung führt der EGMR aus, dass das Recht auf Zugang zu Gericht schon seiner Natur nach eine Regelung durch den Staat verlange, die nach Ort und Zeit wechseln könne, abhängig von den Bedürfnissen und den 19 Vgl. EGMR, Urt. vom 26. 01. 2006 (Nr. 62710/00), Lungoci c. Roumanie, Z. 34 ff., Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 423/03), Díaz Ochoa c. Espagne, Z. 34 ff.; Urt. vom 22. 07. 2010 (Nr. 30604/07), Melis c. Grèce, Z. 27 ff. 20 Vgl. EGMR, Urt. vom 19. 12. 1997 (Nr. 26737/95), Brualla Gómez de la Torre v. Spain, Z. 34 ff. (Anhebung des Streitwertes für zugelassene Rechtsmittel, die am nächsten Tag nach der amtlichen Bekanntgabe in Kraft getreten ist – konventionskonform). 21 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 61. Etwas anderes gilt für Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde): Hier ist der Staat verpflichtet, zumindest für Rügen wegen unangemessener Dauer des Verfahrens einen Rechtsbehelf vorzusehen, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 26. 10. 2000 (Nr. 30210/96), Kudła v. Poland, Z. 146 ff. Ob der EGMR daraus einen Anspruch auf einen Rechtsbehelf in Bezug auf andere Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK ableiten wird, bleibt abzuwarten. Dabei könnte der EGMR dem BVerfG folgen, welches mit Plenarbeschluss vom 30. 04. 2003 (1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 394 ff.) entschieden hat, dass im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs der Rechtsweg auch zur Überprüfung einer behaupteten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch ein Gericht offen steht. Abgeleitet wird dieser Anspruch nicht aus der EMRK, sondern aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. 22 EGMR, Urt. vom 19. 12. 1997 (Nr. 26737/95), Brualla Gómez de la Torre v. Spain, Z. 37; Urt. vom 06. 12. 2005 (Nr. 64001/00), Mikulová v. Slovakia, Z. 52. 23 EGMR, Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 72118/01), Khamidov v. Russia, Z. 153 ff. 24 EGMR, Urt. vom 21. 02. 1975 (Nr. 4451/70), Golder v. the United Kingdom, Z. 26 ff. 25 Vgl. EGMR, Urt. vom 11. 01. 2005 (Nr. 33695/96), Musumeci c. Italie, Z. 40 ff. (Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht, weil das Gerichtsverfahren unverhältnismäßig lange dauerte). Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 49, weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass sich insoweit Überschneidungen mit dem Recht auf Entscheidung in angemessener Frist ergeben.

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Mitteln der Gemeinschaft und der Einzelpersonen.26 Einschränkungen des Rechts sind mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar, wenn der Wesensgehalt („very essence“) dieser Vorschrift gewahrt bleibt, die Einschränkung ein rechtmäßiges Ziel verfolgt und das eingesetzte Mittel verhältnismäßig zum angestrebten Ziel ist.27 Hier ist darauf hinzuweisen, dass der EGMR den „Wesensgehalt“ des Rechts auf Zugang zu Gericht als einen relativen Begriff versteht:28 Wenn der Zugang ausgeschlossen und der Ausschluss verhältnismäßig ist, nimmt er keine Verletzung an.29 In der Rechtsprechung des EGMR finden sich mehrfach Hinweise auf das legitime Ziel und die in der Abwägung zu berücksichtigenden Interessen. 3. Ausschluss des Rechtsweges Als der stärkste Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf Zugang zu Gericht ist der Ausschluss des Rechtsweges anzusehen, er beeinträchtigt den Wesensgehalt dieses Rechts.30 Nur schwerwiegende Gründe können diesen Eingriff rechtfertigen.31 Die Berufung etwa auf die Bestätigung eines Ministers, dass Gründe der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung für die Unanwendbarkeit eines Gesetzes vorliegen, das einen Rechtsweg eröffnet, rechtfertigt die Verweigerung des Zugangs zu Gericht nicht (Hier ging es um das Recht eines Arbeitgebers, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit den Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitnehmer wegen dessen Religionszugehörigkeit zu kündigen, ohne dass diesem die Möglichkeit eines gerichtlichen Vorgehens gegen diese Maßnahme verblieb).32 In dem Fall Prince Hans-Adam II of Liechtenstein ist dagegen der Ausschluss von Klagen in einem Vertrag zur Regelung von Kriegs- und Besatzungsfolgen als zulässig angesehen worden, da das Interesse des Beschwerdeführers, deutsche Gerichte anzurufen, nicht erheblich genug war, um das gewichtige öffentliche Interesse zu überwiegen, dass Deutschland seine Souveränität wiedererlangen konnte.33 26

Z. 65.

Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 21. 09. 1994 (Nr. 17101/90), Fayed v. the United Kingdom,

27 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 22. 10. 1996 (Nr. 22083/93 u. a.), Stubbings and Others v. the United Kingdom, Z. 50; Urt. vom 14. 12. 1999 (Nr. 34791/97), Khalfaoui v. France, Z. 35 f. 28 Peters, Einführung in die EMRK, S. 118 f. 29 Vgl. etwa EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 42527/98), Prince Hans-Adam II of Liechtenstein v. Germany, Z. 69. 30 EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 13092/87 u. a.), Holy Monasteries v. Greece, Z. 83. 31 Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist von entscheidender Bedeutung, ob ausreichende anderweitige Rechtsmittel gegen Missbrauch vorhanden waren, vgl. EGMR, Urt. vom 21. 09. 1994 (Nr. 17101/90), Fayed v. the United Kingdom, Z. 71 ff. 32 EGMR, Urt. vom 10. 07. 1998 (Nr. 20390/92 u. a.), Tinnelly & Sons Ltd and Others and McElduff and Others v. the United Kingdom, Z. 76 ff; Urt. vom 19. 03. 2002 (Nr. 24265/94), Devenney v. the United Kingdom, Z. 25 ff. 33 EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 42527/98), Prince Hans-Adam II of Liechtenstein v. Germany, Z. 69 f.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

4. Parteifähigkeit Von großer Bedeutung für die Klagemöglichkeit, das heißt Zulässigkeit eines Verfahrens und damit für den effizienten Zugang zu Gericht, ist die Anerkennung der Parteifähigkeit von Kläger und Beklagten. Obwohl die EMRK, im Gegensatz zu anderen Verträgen zum Schutze der Menschenrechte,34 kein Recht auf Rechtsfähigkeit ausdrücklich garantiert, gelten die verfahrensrechtlichen Garantien für jede Person, was ihre Parteifähigkeit voraussetzt.35 So stellte der EGMR beispielsweise einen Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht fest, weil griechische Gerichte die Rechtspersönlichkeit der Katholischen Kirche von Canea verneinen, während sie die der griechisch-katholischen Kirche und ihrer Pfarrkirchen anerkennen.36 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte der EGMR im Fall Heilige Klöster, in dem deren Klagebefugnis entzogen wurde, da sie sich an einer Vereinbarung mit dem Staat bezüglich ihres Vermögens nicht beteiligen wollten.37 Soweit es sich um zivilrechtliche Ansprüche i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK geht, müssen Ausländer parteifähig sein.38 Psychische Erkrankungen,39 Minderjährigkeit40 sowie Querulanz41 können in manchen Fällen gewisse Einschränkungen des Rechts auf ein Verfahren rechtfertigen. Der Zugang zu den Gerichten darf aber nicht völlig verwehrt sein. Es können sich sogar spezielle verfahrensrechtliche Sicherungen als notwendig erweisen, um die Interessen der Personen zu schützen, die nicht voll in der Lage sind, eigenständig zu handeln.42 Das gilt allerdings nicht, wenn die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.43 Der Zwang, eigene Ansprüche durch eine Berufsvereinigung vertreten zu lassen, die alsdann selbständig den Anspruch verfolgt, widerspricht dem Recht auf Zugang 34 Vgl. z. B. Art. 16 IPBPR: „Jedermann hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden“. 35 Geimer, in: Kälin u. a. (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Menschenrechtsschutzes, S. 224. 36 EGMR, Urt. vom 16. 12. 1997 (Nr. 25528/94), Canea Catholic Church v. Greece, Z. 39 ff. 37 EGMR, Urt. vom 09. 12. 1994 (Nr. 13092/87 u. a.), Holy Monasteries v. Greece, Z. 83. 38 EGMR, Urt. vom 27. 07. 2006 (Nr. 62539/00), Jurisic and Collegium Mehrerau v. Austria, Z. 68 ff.; Urt. vom 27. 07. 2006 (Nr. 10523/02), Coorplan-Jenni GmbH and Hascic v. Austria, Z. 66 ff. 39 EGMR, Urt. vom 24. 10. 1979 (Nr. 6301/73), Winterwerp v. the Netherlans, Z. 75. 40 EKMR, Ent. vom 11. 10. 1993 (Nr. 15780/89), Egger v. Austria: „[I]t is a common feature in the laws of the States Parties to the Convention that limitations on the right of access to court exist for minors and persons of unsound mind. Such limitations must in principle be regarded as admissible under Art. 6-1 of the Convention“. 41 EGMR, Ent. vom 09. 03. 2000 (Nr. 41519/98), Graeme v. the United Kingdom; EKMR, Ent. vom 02. 12. 1985 (Nr. 11559/85), H. v. the United Kingdom. 42 EGMR, Urt. vom 24. 10. 1979 (Nr. 6301/73), Winterwerp v. the Netherlans, Z. 60, 75; Urt. vom 12. 05. 1992 (Nr. 13770/88), Megyeri v. Germany, Z. 22. 43 EKMR, Ent. vom 12. 04. 1996 (Nr. 23532/94), Juntunen v. Finland; Ent. vom 21. 05. 1998 (Nr. 24240/94), Bocsi v. Hungary.

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zu Gericht.44 Es sei nicht ausreichend, dass dem Betroffenen lediglich die Rechte der Intervention, der Drittwiderspruchsklage und Schadensersatzansprüche gegen die Vereinigung verblieben.45 Daraus könnte man folgern, dass ein Gesetz gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt, wenn es Dritten die ausschließliche Vertretungsbefugnis für bestimmte Fälle überträgt. Trotzdem wurde im Fall Lithgow eine generelle Entschädigungsregelung für eine Nationalisierung gebilligt, die die kollektive Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen seitens der betroffenen Anteilseigner durch einen von diesen zu wählenden Repräsentanten vor einem Zwangsschiedsgericht vorsah und damit Klagen Einzelner ausschloss.46 Dies wurde mit dem Interesse der ordnungsgemäßen Rechtspflege (Ausschluss mehrerer Klagen) begründet.47 Ein Anwaltszwang dient ebenfalls dem Interesse der ordnungsgemäßen Rechtspflege und ist mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar.48 5. Immunitäten Bei Immunitäten, die bestimmte Personen von der Gerichtsgewalt der Vertragsstaaten ausnehmen, hat der EGMR in seiner Rechtsprechung einige Fallgruppen herausgebildet.49 a) Staatenimmunität und Immunitäten internationaler Organisationen Die Staatenimmunität verfolgt das legitime Ziel, dem Völkerrecht Rechnung zu tragen und gute Beziehungen zwischen den Staaten zu fördern, deswegen schließt sie den Rechtsweg in zulässiger Weise aus, soweit die Gewährung der Staatenimmunität allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts entspricht. In mehreren Fällen hat der EGMR entschieden, dass die Gewährung der Immunität ausländischer Staaten dem Völkerrecht entsprach und folglich mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar war.50 In 44

EGMR, Urt. vom 27. 08. 1991 (Nr. 12750/87), Philis v. Greece, Z. 64 f. Ebenda, Z. 64. 46 EGMR, Urt. vom 08. 07. 1986 (9006/80 u. a.), Lithgow and Others v. the United Kingdom, Z. 196. 47 Ebenda, Z. 197. 48 EGMR, Urt. vom 24. 11. 1986 (Nr. 9063/80), Gillow v. the United Kingdom, Z. 69; EKMR, Ent. vom 11. 12. 1990 (Nr. 16598/90), Philis v. Greece; Ent. vom 21. 05. 1998 (Nr. 24240/94), Bocsi v. Hungary. 49 Ausführlich dazu Kloth, Immunities and the right of access to court under Article 6 of the European Convention on Human Rights (2010). 50 EGMR (GK), Urt. vom 21. 11. 2001 (Nr. 37112/97), Fogarty v. the United Kingdom, Z. 34 ff. (angebliche Diskriminierung bei der Bewerberauswahl an einer ausländischen Botschaft, mit 16 zu 1 Stimmen); EGMR (GK), vom 21. 11. 2001 (Nr. 31253/96), McElhinney v. Ireland, Z. 35 ff. (Schadensersatzansprüche wegen rechtswidrigen Verhaltens von Soldaten im Ausland, mit 12 zu 5 Stimmen); EGMR (GK), Urt. vom 21. 11. 2001 (Nr. 35763/97), Al-Adsani v. the United Kingdom, Z. 55 ff. (Schadensersatzansprüchen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Folter), mit 9 zu 8 Stimmen). Die überstimmte Minderheit war der Meinung, 45

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

anderen Fällen stellte der EGMR dagegen eine Verletzung des Rechts auf Zugang zum Gericht fest, weil die Gewährung der Immunität dem Völkerrecht nicht entsprach.51 In Immunitäten internationaler Organisationen sieht der EGMR ein unverzichtbares Mittel, ihre Funktionsfähigkeit frei vom Einfluss einzelner Regierungen sicherzustellen. Es wäre aber mit der EMRK unvereinbar, wenn die Konventionsstaaten dadurch aus ihrer Verantwortung gegenüber der EMRK entlassen wären. Deswegen kommt es wesentlich darauf an, ob angemessene andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die durch die EMRK garantierten Rechte zu schützen.52 Der EGMR verneinte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK bei Gewährung von Immunität einer internationalen Organisation (European Space Agency) in Deutschland, weil den Beschwerdeführern ein alternativer Rechtsweg zur Lösung des Streits innerhalb der Organisation zur Verfügung stand.53 b) Parlamentarische Immunität Der EGMR vertritt den Standpunkt, dass es sich bei der parlamentarischen Immunität um einen verhältnismäßigen, in allen Mitgliedstaaten anerkannten Eingriff in das Recht auf Zugang zu Gericht handelt, weil sie der Wahrung der Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit des Parlaments dient.54 Soweit die Immunität Äußerungen im Parlament selbst betrifft (Indemnität), ist dies mit der Konvention vereinbar.55 In einem Fall etwa hatte ein Parlamentarier während einer Parlamentssitzung die Familie der Beschwerdeführerin aufgrund nicht bewiesener Vorgänge als „Nachbarn aus der Hölle“ bezeichnet. Wegen der parlamentarischen Immunität war der Rechtsweg ausgeschlossen. Der EGMR hat dies als EMRK-konform angesehen und die Beschwerdeführerin auf die Möglichkeit verwiesen, gegen den Parlamentarier vorzugehen, indem sie seine Immunität in einem innerparlamentarischen Verfahren aufzuheben versucht.56 Wenn es sich nicht um eine parlamentarische Tätigkeit „im strengen Sinn“, sondern eher um einen Konflikt zwischen Privatpersonen handelt, ist der Verweis auf das Folterverbot als jus coge`s-Norm verdränge die Staatenimmunität als Norm ohne jus coge`s-Qualität, vgl. das Sondervotum zum Urteil der EGMR-Richter Rozakis und Caflisch. 51 EGMR (GK), Urt. vom 23. 03. 2010 (Nr. 15869/02), Cudak v. Lithuania; EGMR (GK), Urt. vom 29. 06. 2011 (Nr. 34869/05), Sabeh El Leil v. France (beide zu Ansprüchen wegen ungerechtfertigter Entlassung des Botschaftspersonals, das nicht die Staatsgehörigkeit des ausländischen Staates besaß und keine hoheitlichen Aufgaben erfüllte). 52 EGMR (GK), Urt. vom 12. 07. 2001 (Nr. 42527/98), Prince Hans-Adam II of Liechtenstein v. Germany, Z. 48. 53 EGMR (GK), Urt. vom 18. 02. 1999 (Nr. 26083/94), Waite and Kennedy v. Germany, Z. 59 ff.; Urt. vom 18. 02. 1999 (Nr. 28934/95), Beer and Regan v. Germany, Z. 58, 63. 54 EGMR, Urt. vom 17. 12. 2002 (Nr. 35373/97), 1. v. the United Kingdom, Z. 83. 55 Ebenda, Z. 75 ff. Weitere Nachweise bei Grabenwarter, EMRK, § 24 Rn. 54 Fn. 278. 56 EGMR, Urt. vom 17. 12. 2002 (Nr. 35373/97), 1. v. the United Kingdom, Z. 86.

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die parlamentarische Immunität eine unzulässige Beschränkung des Zugangs zu Gericht.57 Dies hat der EGMR etwa für Zivilklagen wegen Äußerungen eines Parlamentsabgeordneten im Rahmen einer Wählerversammlung58 angenommen oder wegen Äußerungen eines ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten außerhalb seiner Tätigkeit als Senator auf Lebenszeit,59 die von den Betroffenen als Beleidigung wahrgenommen worden waren.60 c) Richterliche Immunität Auch die richterliche Immunität verfolgt ein legitimes Ziel, nämlich die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtsprechung, daher hat der EGMR entschieden, dass sie mit der EMRK vereinbar ist.61 Dabei hat er jedoch berücksichtigt, dass eine Amtshaftungsklage gegen den Staat offenstand. d) Andere Immunitäten Bei anderen Fällen der Haftungsbefreiung ist die Rechtsprechung nicht einheitlich und, worauf in der Literatur zu Recht hingewiesen wird, zum Teil schwer nachvollziehbar.62 Auch innerhalb des EGMR sind diese Fragen höchst umstritten, was in vielen abweichenden Meinungen zum Ausdruck kommt. Manchmal wertet der EGMR bei vergleichbaren Fallkonstellationen den Ausschluss der Klagemöglichkeit gegen staatliche Einrichtungen als ein prozessuales Hindernis (Immunität), manchmal als eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Klage (Bestehen des Anspruchs). Der Unterschied besteht darin, dass es sich bei der Immunität um einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Recht auf Zugang zu Gericht handelt; bei der materiell-rechtlichen Sichtweise dagegen liegt kein Eingriff vor, weil Art. 6 Abs. 1 EMRK keine Ansprüche begründet, sondern nur die Durchsetzung bestehender Ansprüche garantiert (dazu oben Kap. 4, S. 124 f.). Der EGMR hält z. B. die so genannte „political acts doctrine“, wonach Handlungen der Außenpolitik einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich sind, für ein materiell-rechtliches Hindernis.63 Hier ging es um die Entscheidung der italienischen Regierung für die Beteiligung an der militärischen Operation der NATO gegen das ehemalige Jugoslawien. Der Ausschluss der gerichtlichen Überprüfung 57

EGMR, Urt. vom 30. 01. 2003 (Nr. 45649/99), Cordova v. Italy (no. 2), Z. 63. Ebenda. 59 EGMR, Urt. vom 30. 01. 2003 (Nr. 40877/98), Cordova v. Italy (no. 1), Z. 61 ff. 60 Vgl. auch EGMR, Urt. vom 06. 12. 2005 (Nr. 23053/02), Ielo c. Italie, Z. 39 ff.; Urt. vom 20. 04. 2006 (Nr. 10180/04), Patrono, Cascini et Stefanelli c. Italie, Z. 54 ff. 61 EGMR, Urt. vom 15. 07. 2003 (Nr. 33400/96), Ernst et autres c. Belgique, Z. 50 ff. 62 Herberg/Le Sueur/Mulcahy, in: Jowell/Cooper (Hrsg.), Understanding Human Rights Principles, S. 126. 63 EGMR (GK), Urt. vom 14. 12. 2006 (Nr. 1398/03), Markovic and Others v. Italy, Z. 114 (mit 10 zu 7 Stimmen). 58

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dieser Entscheidung führte zur Unzuständigkeit italienischer Gerichte für Schadensersatzansprüche wegen der während der Operation verursachten Schäden. Dagegen wertete der EGMR die Befugnisse eines Ministers, eine Bestätigung auszustellen, dass Gründe der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung für die Unanwendbarkeit eines Gesetzes vorliegen, das einen Rechtsweg eröffnet, als ein prozessuales Hindernis und stellte eine Verletzung der EMRK fest.64 Im Fall Z. and Others bejahte der EGMR die materiellrechtliche Natur des Ausschlusses der Verantwortlichkeit von Sozialbehörden für ihr fahrlässiges Handeln.65 Dagegen urteilte der EGMR im Fall Osman, dass das englische Recht insoweit gegen die Konvention verstieß, als die Polizei wegen Untätigkeit bei der Verbrechensaufklärung bzw. -verhinderung, die zum Tod und zu schweren Körperverletzungen potentieller Verbrechensopfer geführt hatte, nicht verklagt werden konnte.66 Urteile des EGMR, in denen die materiell-rechtliche Sichtweise der Haftungsbefreiung zum Ausdruckt kommt, werden in der Literatur zu Recht heftig kritisiert.67 Zum einen hält es der EGMR ja selbst für bedenklich, wenn Konventionsstaaten einen ganzen Bereich von zivilrechtlichen Ansprüchen der Zuständigkeit der Gerichte entziehen oder eine Befreiung von zivilrechtlicher Haftung für bestimmte Kategorien von Personen verfügen würden.68 Zum anderen ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die prozessrechtliche Sichtweise erforderlich macht, am besten geeignet, die widerstreitenden Interessen in Einklang zu bringen. 6. Gerichtskosten a) Gerichtsgebühren, Sicherheitsleistungen Art. 6 Abs. 1 EMRK hindert die Vertragsstaaten nicht, Gerichtsgebühren sowie Sicherheitsleistungen zu erheben (z. B. Klageerhebungsgebühr,69 Kostenvorschüsse,70 Sicherheitsleistungen für Prozesskosten der Gegenpartei71 sowie für dem 64 EGMR, Urt. vom 10. 07. 1998 (Nr. 20390/92 u. a.), Tinnelly & Sons Ltd and Others and McElduff and Others v. the United Kingdom, Z. 76 ff.; Urt. vom 30. 10. 2001 (Nr. 29545/95), Devlin v. the United Kingdom, Z. 27 ff; Urt. vom 19. 03. 2002 (Nr. 24265/94), Devenney v. the United Kingdom, Z. 25 ff. 65 EGMR (GK), Urt. vom 10. 05. 2001 (Nr. 29392/95), Z. and Others v. the United Kingdom, Z. 100 (mit 12 zu 5 Stimmen); vgl. auch Urt. (GK) vom 19. 10. 2005 (Nr. 32555/96), Roche v. the United Kingdom, Z. 116 ff. (Ausschluss der Schadenersatzansprüche von Armeeangehörigen gegen den Staat für Erkrankung nach Atomwaffentests – eine Einschränkung materiellen Rechts an sich, mit 9 zu 8 Stimmen). 66 EGMR (GK), Urt. vom 28. 10. 1998 (Nr. 23452/94), Osman v. the United Kingdom, Z. 150 ff. 67 Kloth, EHRLR 2003, S. 33 ff. 68 EGMR, Urt. vom 21. 09. 1994 (Nr. 17101/90), Fayed v. the United Kingdom, Z. 65; Urt. (GK) vom 14. 12. 2006 (Nr. 1398/03), Markovic and Others v. Italy, Z. 97. 69 EGMR, Urt. vom 19. 06. 2001 (Nr. 28249/95), Kreuz v. Poland, Z. 60. 70 EGMR, Ent. vom 05. 06. 2003 (Nr. 74789/01), Reuther v. Germany.

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Gegner zuerkannte Beträge bei der Zulassung von Rechtsmitteln).72 Die Kosten des Gerichtsverfahrens sind grundsätzlich von den Parteien zu tragen (die EMRK gewährt sogar kein Recht auf Kostenerstattung durch den unterlegenen Gegner).73 Der Staat hat jedoch die Verpflichtung, sein Verfahrensrecht so zu gestalten, dass dem Einzelnen der Zugang zu Gericht nicht aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich ist.74 Bei der Beurteilung, ob der Staat dieser Verpflichtung nachgekommen ist, stellt der EGMR wie auch sonst auf die Besonderheiten des Einzelfalles ab, auf die Höhe der Gebühren, die Zahlungsfähigkeit des Betroffenen, das Stadium des Verfahrens, in dem die Gebühr verlangt wird,75 und den Streitgegenstand76. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt sich in folgenden Leitsätzen zusammenfassen: (1) Eine Rechtslage, die es den Gerichten verbietet, die Bedürftigkeit des Rechtssuchenden zu prüfen und gegebenenfalls von Gerichtsgebühren zu befreien, ist mit Art. 6 Abs. 1 EMRK per se unvereinbar.77 (2) Der Zugang zu Rechtsmittelgerichten darf strengeren finanziellen Einschränkungen unterworfen werden als der Zugang zum Gericht der ersten Instanz.78 (3) Das Interesse des Gegners an der Vollstreckung der Entscheidung sowie schlechte Erfolgsaussichten des Rechtsmittels rechtfertigen hohe Sicherheitsleistungen eher als das Interesse des Staates an der Finanzierung des Gerichts71 EGMR, Urt. vom 13. 07. 1995 (Nr. 18139/91), Tolstoy Miloslavsky v. the United Kingdom, Z. 61 ff. 72 EGMR, Urt. vom 15. 02. 2000 (Nr. 38695/97), García Manibardo v. Spain, Z. 38. 73 EGMR, Ent. vom 25. 01. 2001 (Nr. 28460/95), M.C. v. Finland. Die Nichterstattung der Gerichtskosten kann gegen das Prinzip des fairen Verfahrens des Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen: EGMR, Urt. vom 06. 04. 2006 (Nr. 46917/99), Stankiewicz v. Poland, Z. 46 ff. Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung R(81)7 vom 14. 05. 1981 an die Mitgliedstaaten über Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zum Rechtsschutz, Anhang Z. 14: „Von besonderen Umständen abgesehen, hat die obsiegende Partei grundsätzlich von der unterliegenden Partei Erstattung ihrer Kosten und Auslagen zu bekommen, einschließlich der Anwaltshonorare, die sie bezüglich des Verfahrens angemessenerweise aufgewandt hat“, dt. Übersetzung zit. nach Miehsler/Petzold (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention: Texte und Dokumente, Bd. 2 (1982), S. 261. 74 Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung R(81)7 vom 14. 05. 1981, Anhang Z. 11: „Eine Klageerhebung darf nicht abhängig gemacht werden von der Zahlung eines Geldbetrages durch eine Partei für Rechnung des Staates, dessen Höhe angesichts der Streitsache unangemessen wäre“, dt. Übersetzung zit. nach Miehsler/Petzold (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention: Texte und Dokumente, Bd. 2 (1982), S. 261. 75 Vgl. EGMR, Urt. vom 06. 04. 2006 (Nr. 46917/99), Stankiewicz v. Poland, Z. 59. 76 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 71731/01), Kniat v. Poland, Z. 41. 77 EGMR, Urt. vom 09. 10. 2007 (Nr. 13229/04), Clionov v. Moldova, Z. 41 f. 78 Vgl. EGMR, Urt. vom 19. 12. 1997 (Nr. 26737/95), Brualla Gómez de la Torre v. Spain, Z. 37; Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 39199/98), Podbielski and PPU Polpure v. Poland, Z. 65; Urt. vom 10. 01. 2006 (Nr. 48140/99), Teltronic-CATV v. Poland, Z. 61: „It is also of significance for the Court that the refusal to grant exemption took place at the preliminary stage of the proceedings before the first-instance court and resulted in the applicant company’s claims never being examined on the merits“.

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systems. Der EGMR hat z. B. eine Rechtsmittelgebühr in Höhe von 10.000 Zloty (ca. 2.600 Euro) als unangemessen beurteilt.79 Andererseits wurde eine Kaution für die Zulässigkeit der Berufung in Höhe von ca. 125.000 britische Pfund (ca. 150.000 Euro) als Kostensicherheit des Gegners wegen deren Aussichtslosigkeit für zulässig gehalten.80 Der EGMR hat dazu ausgeführt: „[R]estrictions which are of a purely financial nature and which (…) are completely unrelated to the merits of an appeal or its prospects of success, should be subject to a particularly rigorous scrutiny from the point of view of the interests of justice“.81 (4) Der Streitgegenstand sowie das, was für die Person auf dem Spiel steht, müssen bei der Festsetzung der Gebühren berücksichtigt werden. In Prozessen, in denen es um den bürgerlichen Status oder die Rechtsfähigkeit geht, sind inländische Behörden zu besonderer Sorgfalt verpflichtet.82 Im Fall Kniat wurde eine Gebühr für die Berufungsbeschwerde in einem Scheidungsverfahren in Höhe von 10.000 Zloty (ca. 2.600 Euro) als unverhältnismäßig angesehen. Der EGMR hat dabei ausgeführt: „[I]t does not seem that the obligation to make a special payment for handling a divorce case was justified by the interest of justice“.83 (5) Bei sehr hohen Gerichtsgebühren muss der Kläger einen Anspruch auf Ermäßigung der Gebühr auf eine für ihn tragbare Höhe haben, sonst verstößt der Konventionsstaat gegen Art. 6 EMRK. Das ist der Fall, wenn Klageerhebungsgebühren nach einem Prozentsatz vom Streitwert der Klage gerechnet werden und keine Prozesskostenhilfe vorgesehen ist (z. B. Klageerhebungsgebühren in Höhe von ca. 323.000 Euro84 sowie von 10.000 Zloty (ca. 2.600 Euro; also eines durchschnittlichen Jahresgehalts im betreffenden Land zum damaligen Zeitpunkt)85. In einem anderen Fall sah der EGMR eine Sicherheitsleistung für die Prozesskosten in Höhe von 80.000 fr. Franc (ca. 12.200 Euro) für die Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens als unangemessen an.86 Zum Vergleich: Eine Gebühr für die Einlegung einer Berufungsbeschwerde in Höhe von 400 Zloty (ca. 105 Euro) hält der EGMR für zulässig.87 79 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 39199/98), Podbielski and PPU Polpure v. Poland, Z. 65 ff. 80 EGMR, Urt. vom 13. 07. 1995 (Nr. 18139/91), Tolstoy Miloslavsky v. the United Kingdom, Z. 59 ff. Hier sei aber darauf hingewiesen, dass die Entscheidung zu dieser Frage bei 10 zu 5 Stimmen erging. Der EGMR stellte außerdem einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) wegen der Höhe des Schadenersatzes (1,5 Mio. britische Pfund) fest, der dem Beschwerdeführer wegen seiner Verleumdung auferlegt wurde. 81 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 39199/98), Podbielski and PPU Polpure v. Poland, Z. 65. 82 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 71731/01), Kniat v. Poland, Z. 41. 83 Ebenda. 84 EGMR, Urt. vom 24. 05. 2006 (Nr. 63945/00), Weissman and Others v. Romania, Z. 38 ff. 85 EGMR, Urt. vom 19. 06. 2001 (Nr. 28249/95), Kreuz v. Poland, Z. 61 ff. 86 EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998 (Nr. 22924/93), Aït-Mouhoub v. France, Z. 37 ff. 87 EGMR, Urt. vom 04. 07. 2006 (Nr. 24706/02), Rylski v. Poland, Z. 84 f.

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Das Recht auf Zugang zu Gericht muss also auch für solche Personen gewährleistet sein, die keine ausreichenden Mittel haben, um Gerichtsgebühren zu bezahlen. Ob der Betroffene wegen seiner Armut das Gericht nicht anrufen konnte, überlässt der EGMR grundsätzlich innerstaatlichen Gerichten.88 Er übt nur eine Willkürkontrolle aus und stellt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK fest, wenn er Ungereimtheiten bemerkt. Im Fall Jedamski und Jedamska etwa wurde beanstandet, dass das Gericht auf die Möglichkeit des Erwerbs für den Beschwerdeführer abgestellt und keine Ermittlungen über seine finanziellen Verhältnisse angestellt hatte.89 Im Fall Kniat wird beanstandet, dass der Betroffene darauf verwiesen wurde, eine im Scheidungsverfahren zugesprochene Summe für die Gerichtskosten aufzuwenden, anstatt sie für die Existenzsicherung einzusetzen.90 Im Fall TeltronicCATV hat der EGMR folgende Argumente innerstaatlicher Gerichte für nicht überzeugend gehalten: Eine Handelsgesellschaft habe dafür Sorge zu tragen, genügende Finanzmittel für Gerichtsverfahren bereit zu stellen (Geld hat man zu haben). Dafür müsse sie ihr Vermögen aufwenden (sogar wenn dies zu ihrer Insolvenz führen würde), ein Darlehen bei einer Bank aufnehmen oder von Gesellschaftern zusätzlich finanziert werden.91 Unangemessen hohe Gerichtsgebühren können das Recht auf Zugang zu Gericht verletzen, auch wenn sie erst nach Abschluss des Verfahrens zu zahlen sind.92 b) Prozesskostenhilfe Um einen effektiven Zugang zu Gericht sicherzustellen, können Vertragsparteien verpflichtet sein, die eine oder andere streitende Partei nicht nur von Gerichtsgebühren zu befreien, sondern ihr auch einen Rechtsanwalt im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) zu bestellen.93 Obwohl die EMRK keine PKH in Bezug auf

88 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 73547/01), Jedamski and Jedamska v. Poland, Z. 64: „ It is true that the taking and evaluating of evidence are primarily matters for the domestic courts and that the Court’s role is to ascertain whether those courts, when exercising their power of appreciation in that sphere, acted in accordance with Article 6 § 1“. 89 Ebenda, Z. 60 ff. 90 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 71731/01), Kniat v. Poland, Z. 41 ff. 91 EGMR, Urt. vom 10. 01. 2006 (Nr. 48140/99), Teltronic-CATV v. Poland, Z. 50 ff. Eine so detaillierte Beurteilung der Finanzlage von Parteien eines innerstaatlichen Verfahrens ist nicht unbedenklich, weil sie mit dem Subsidiaritätsprinzip der Kompetenzen des EGMR unvereinbar sein könnte, was auch in den abweichenden Sondervoten der EGMR-Richter Baka, Garlicki und Popovic zum Urteil Ausdruck fand. 92 EGMR, Urt. vom 12. 07. 2007 (Nr. 68490/01), Stankov v. Bulgaria, Z. 53 ff. 93 Vgl. Europarat, MK, Entschließung (78)8 vom 02. 03. 1978 über Prozesskostenhilfe und Rechtsberatung; dt. Übersetzung in: Miehsler/Petzold (Hrsg.), Europäische Menschenrechtskonvention: Texte und Dokumente, Bd. 2 (1982), S. 199 ff.; sowie Entschließung (76)5 vom 18. 02. 1976 über Armenrecht in Zivil-, Handels- und Verwaltungssachen; dt. Übersetzung in: Miehsler/Petzold (Hrsg.), ebenda, S. 177.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

Zivilsachen garantiert (im Gegensatz zu Strafsachen, vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. c),94 hat der EGMR in seiner Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 EMRK diesen Anspruch anerkannt, wenn die PKH unabdingbar für den wirksamen Zugang zu Gericht ist.95 Die Notwendigkeit der Gewährung von Verfahrenshilfe muss im Lichte der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden.96 Sie hängt u. a. von der Bedeutung des Ausgangs des Verfahrens für die Partei, der Komplexität des anzuwendenden Rechts und des Verfahrens sowie der Fähigkeit der Partei ab, sich selbst wirksam zu vertreten (die letzte Voraussetzung überschneidet sich mit dem Recht auf Waffengleichheit).97 Der EGMR hielt z. B. bei folgenden Fallkonstellationen den Beistand eines Rechtsanwaltes für erforderlich: Scheidungsverfahren wegen der Komplexität des Verfahrens, Wichtigkeit der Scheidung für die Beschwerdeführerin sowie mangelnder Fähigkeit (Hausfrau, emotionale Belastung), ihre Interessen vor Gericht effektiv selbst zu vertreten;98 Entzug des Sorgerechts wegen der Bedeutung des Ergebnisses der Verfahren, in denen über die zukünftige Beziehung der Eltern zu ihrem Kind entschieden wurde sowie entsprechender emotionaler Belastung;99 Klage einer Privatperson gegen einen Rechtsanwalt wegen der Eigenschaft des Prozessgegners.100 Als nicht erforderlich erachtet wurde der Beistand eines Rechtsanwalts z. B. in einem Zivilverfahren wegen übler Nachrede, weil die Rechtslage nicht hinreichend komplex und der Betroffene ein gut ausgebildeter und erfahrener Journalist war.101 Wenn also der Betroffene einen Anwalt nicht bezahlen und seine Sache wegen eines Vertretungszwangs oder aufgrund der Komplexität des Falles oder der emo94 EGMR, Urt. vom 26. 02. 2002 (Nr. 46800/99), Del Sol v. France, Z. 20; Urt. vom 13. 02. 2003 (Nr. 36378/97), Bertuzzi v. France, Z. 23: „[T]here is no obligation under the Convention to provide legal aid for all civil disputes“. 95 EGMR, Urt. vom 09. 10. 1979 (Nr. 6289/73), Airey v. Ireland, Z. 26. Dabei hat der EGMR angeführt, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe nur eine der in Betracht kommenden Möglichkeiten sei. Ebenso sei etwa eine besonders bürgerfreundliche Ausgestaltung der nationalen Verfahrensvorschriften möglich, wenn die Möglichkeit gegeben ist, eine Klage mit Aussicht auf Erfolg auch ohne Rechtsbeistand durchzuführen. Siehe auch EGMR, Urt. vom 15. 02. 2005 (Nr. 68416/01), Steel and Morris v. the United Kingdom, Z. 60; Urt. vom 09. 10. 1997 (Nr. 25052/94), Andronicou and Constantinou v. Cyprus, Z. 199. In Frage kommt auch die Übernahme durch den Staat von Kosten für Sachverständige und Zeugen, die vom Gericht geladen wurden, EGMR, Ent. vom 25. 01. 2001 (Nr. 28460/95), M.C. v. Finland. 96 EGMR, Urt. vom 15. 02. 2005 (Nr. 68416/01), Steel and Morris v. the United Kingdom, Z. 60. 97 EGMR, Urt. vom 16. 07. 2002 (Nr. 56547/00), P., C. and S. v. the United Kingdom, Z. 89 ff. 98 EGMR, Urt. vom 09. 10. 1979 (Nr. 6289/73), Airey v. Ireland, Z. 20 ff. 99 EGMR, Urt. vom 16. 07. 2002 (Nr. 56547/00), P., C. and S. v. the United Kingdom, Z. 92 ff. 100 EGMR, Urt. vom 13. 02. 2003 (Nr. 36378/97), Bertuzzi v. France, Z. 20 ff. 101 EGMR, Urteil vom 07. 05. 2002 (Nr. 46311/99), McVicar v. the United Kingdom, Z. 50 ff.

§ 1 Recht auf Zugang zu Gericht

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tionalen Belastung nicht selbst vertreten kann, muss ein Rechtsanwalt im Wege der PKH beigeordnet werden, wenn das für einen wirksamen Zugang zu Gericht erforderlich ist. Die Festlegung der Modalitäten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegt in der Kompetenz der Vertragsstaaten.102 Dabei kann beispielsweise auf die finanzielle Situation,103 auf die mangelnden Erfolgsaussichten der Beschwerde104 sowie auf Formerfordernisse (Einreichung der Beweise für eine Bedürftigkeit)105 abgestellt werden. Die Feststellung der Mittellosigkeit überlässt der EGMR, genauso wie bei der Befreiung von Gerichtsgebühren, grundsätzlich den innerstaatlichen Behörden, übt aber eine Willkürkontrolle aus.106 Wie oben erwähnt (Kap. 4, S. 124), sind Verfahren bezüglich des Antrags auf Prozesskostenhilfe selbst nicht am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 zu prüfen, weil dort nicht über den Bestand eines zivilrechtlichen Anspruchs entschieden wird. Ablehnende Entscheidungen müssen aber begründet werden.107 Die Ablehnung eines Antrags auf PKH durch die zuständige Behörde mit der Begründung, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, verstößt aber gegen das Recht auf Zugang zu Gericht, da es nicht Aufgabe einer Behörde ist, die Begründetheit der Klage zu erörtern.108 Es reicht jedoch, wenn gegen die Verweigerung der PKH durch die zuständige Behörde ein Rechtsmittel beim Richter gegeben ist.109 Die Wirksamkeit des Zugangs zu Gericht kann auch in Frage gestellt werden, wenn die Prüfung der Bedürftigkeit unverhältnismäßig lange Zeit braucht oder verspätete Gewährung kostenlosen anwaltlichen Beistandes Einlegung des Rechtmittels unmöglich macht.110 Eine Regelung, die die Gewährung von Prozesskostenhilfe an Ausländer nur bei Gegenseitigkeit vorsieht, dürfte mit Art. 6 Abs. 1 nicht vereinbar sein.111 102 EGMR, Urt. vom 13. 02. 2003 (Nr. 36378/97), Bertuzzi v. France, Z. 25: „It is therefore for the Contracting States to decide how they will comply with the obligations arising under the Convention and legal-aid systems cannot function unless there is a means of selecting the cases that should qualify for legal aid“. 103 EGMR, Urt. vom 19. 09. 2000 (Nr. 32346/96), Glaser v. the United Kingdom, Z. 98 ff. (Der Antrag des Beschwerdeführers auf Verfahrenshilfe war abgelehnt worden, weil sein Einkommen die dafür festgesetzte Einkommensgrenze überstieg – keine Verletzung der EMRK). Dabei kann auch die Vermögenslage des Ehe- bzw. Lebenspartners berücksichtigt werden: EKMR, Ent. vom 12. 10. 1992 (Nr. 17175/90), D.S. v. the Netherlands. 104 EGMR, Urt. vom 19. 09. 2000 (Nr. 40031/98), Gnahoré v. France, Z. 35 ff.; Urt. vom 26. 02. 2002 (Nr. 46800/99), Del Sol v. France, Z. 23 ff. 105 EGMR, Urt. vom 04. 07. 2006 (Nr. 24706/02), Rylski v. Poland, Z. 84. 106 Vgl. EGMR, Urt. vom 16. 07. 2002 (Nr. 56547/00), P., C. and S. v. the United Kingdom, Z. 90. 107 EGMR, Urt. vom 17. 06. 2008 (Nr. 64916/01), Bobrowski v. Poland, Z. 51: „(…) the Court considers that the principle of fairness required the court to give reasons for rejecting the applicant’s requests concerning the granting of legal aid“. 108 EGMR, Urt. vom 30. 07. 1998 (Nr. 25357/94), Aerts v. Belgium, Z. 60. 109 EGMR, Urt. vom 26. 02. 2002 (Nr. 46800/99), Del Sol v. France, Z. 26. 110 Vgl. EGMR, Urt. vom 09. 10. 2007 (Nr. 9375/02), Saoud c. France, Z. 111 ff. 111 Vgl. EGMR, Urt. vom 30. 09. 2003 (Nr. 40892/98), Koua Poirrez v. France, Z. 46 ff., in dem das Erfordernis der Gegenseitigkeit hinsichtlich der Gewährung von Behindertenbeihilfe

224

Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

Wenn dem Beschwerdeführer im Wege der Prozesskostenhilfe ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, können seine Pflichtverletzungen trotz der Unabhängigkeit des Anwaltsberufes von dem Staat die Haftung des Staates unter bestimmten Voraussetzungen begründen. Im Fall Bertuzzi weigerten sich die bestellten Rechtsanwälte, gegen einen ihren Kollegen vorzugehen, der Staat hat dabei nach Ansicht des EGMR einen effektiven Zugang zu Gericht des Beschwerdeführers nicht sichergestellt und damit gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen.112 Dagegen wurde die Weigerung einer belgischen Anwaltskammer, anwaltlichen Beistand zur Klage gegen eines ihrer Mitglieder zu gewähren, angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer selber Anwalt war und auch auf Mitglieder anderer Anwaltskammern zurückgreifen konnte, nicht beanstandet.113 Die Haftung des Staates kommt nur dann in Betracht, wenn Nachlässigkeiten des Rechtsanwaltes glaubhaft gemacht werden oder sonst bekannt werden.114 Die Weigerung eines Rechtsanwalts, einen aussichtslosen Rechtsbehelf einzulegen, begründet keine Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht, wenn zur Vermeidung von Willkür Verfahrensgarantien vorgesehen sind, insbesondere wegen der Frist und der Form der Ablehnung.115 7. Fristvorschriften a) Verjährungsfristen Die Vertragsstaaten können den Zugang zu Gericht durch Verjährungsfristen zeitlich begrenzen. Dies ist nach Auffassung des EGMR dadurch gerechtfertigt, dass Verjährungsfristen einer geordneten Rechtsprechung sowie höherangigen Zielen wie Rechtssicherheit und Vertrauensschutz dienen.116 Verjährungsfristen für das Bean einen Staatsangehörigen der Elfenbeinküste, der sich legal langfristig in Frankreich aufhielt, als Verstoß gegen Art. 14 EMRK (Gleichheitssatz) i.V.m. Art. 1 des 1. ZP zur EMRK (Eigentumsgarantie) qualifiziert wurde. 112 EGMR, Urt. vom 13. 02. 2003 (Nr. 36378/97), Bertuzzi v. France, Z. 20 ff. 113 EKMR, Ent. vom 06. 04. 1992 (Nr. 15158/89), Boers c. la Belgique. 114 EGMR, Urt. vom 22. 03. 2007 (Nr. 59519/00), Staroszczyk v. Poland, Z. 122. 115 Ebenda, Z. 136 f.: „The Court is of the view that if requirements concerning the written form of refusal, including the reasons for it, to draw up a cassation appeal had existed, they would have rendered possible an objective post-hoc assessment of whether the refusal to prepare the cassation appeal in a given individual case had been arbitrary. This is particularly important in view of the difficulties involved in such an assessment (…). Consequently, the lack of the written form of refusal left the applicants without necessary information as to their legal situation and, in particular, the chances of their cassation appeal to be accepted by the Supreme Court. The mere fact that the timing of the refusal seemed unobjectionable could not cure this deficiency“. 116 EGMR, Urt. vom 22. 10. 1996 (Nr. 22083/93 u. a.), Stubbings and Others v. the United Kingdom, Z. 51: „They serve several important purposes, namely to ensure legal certainty and finality, protect potential defendants from stale claims which might be difficult to counter and prevent the injustice which might arise if courts were required to decide upon events which took place in the distant past on the basis of evidence which might have become unreliable and incomplete because of the passage of time“.

§ 1 Recht auf Zugang zu Gericht

225

streiten der gesetzlichen Vaterschaftsvermutung schützen z. B. die Interessen des Kindes, das ein Recht darauf hat, ohne unnötige Verzögerung Sicherheit bezüglich seiner Abstammung zu erhalten.117 Verjährungsfristen können auch sehr kurz sein. In einem Fall hat der EGMR beispielsweise eine Klagefrist von 30 Tagen ab Kenntnis der Rechtsgutverletzung nicht beanstandet.118 Die Rechtsprechung des EGMR zur Frage, ob Verjährungsfristen erst ab Kenntnis der Rechtsgutverletzung zu laufen beginnen dürfen, ist uneinheitlich. Eine sechsjährige Verjährungsfrist für Entschädigungsansprüche der Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch ab Vollendung des 18. Lebensjahres (und nicht ab Kenntnis der Schädigung)119 oder eine zehnjährige Verjährungsfrist für Ersatz des Kindesunterhaltes ab seiner Zahlung (und nicht ab erfolgreicher Anfechtung der Vaterschaft)120 hat der EGMR z. B. nicht beanstandet.121 Dagegen hielt der EGMR eine einjährige Verjährungsfrist für Schadensersatzklagen ab dem Zeitpunkt der Nichtigerklärung einer Gebührenverordnung122 oder eine fünfjährige Verjährungsfrist für Schadensersatzklagen wegen Verurteilung in Abwesenheit ab dem Zeitpunkt der Verkündung des Strafurteils123 für einen Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht, weil Betroffene nichts von ihrer Rechtsgutverletzung wussten und wissen konnten (im zweiten Fall wegen Verschuldens der Behörden).124 Auch eine Zweimonatsfrist für die gerichtliche Überprüfung einer Verordnung ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe hielt der EGMR für nicht haltbar, weil der Betroffene keine klare und effektive Möglichkeit hatte, vom Eingriff in seine Rechte Kenntnis zu erlangen und sich zu verteidigen.125 Noch 1982 hatte die EKMR eine dreijährige Frist für die Vaterschaftsanfechtung ab Kenntnis der Geburt (und nicht ab Kenntnis der Umstände, die Zweifel an der

117

EGMR, Urt. vom 12. 01. 2006 (Nr. 26111/02), Mizzi v. Malta, Z. 83. EGMR, Ent. vom 10. 10. 2006 (Nr. 11222/03), Szilágyi v. Hungary (Allerdings rügte der Beschwerdeführer in diesem Fall nicht primär die Kürze der Klagefrist). 119 EGMR, Urt. vom 22. 10. 1996 (Nr. 22083/93 u. a.), Stubbings and Others v. the United Kingdom, Z. 50 ff. (mit 7 zu 2 Stimmen). 120 EGMR, Ent. vom 06. 09. 2005 (Nr. 28070/03), Glender v. Sweden. 121 Diese Ansicht wurde auch mehrmals von der EMRK vertreten. Die Kommission hielt für EMRK-konform: eine sechsjährige Frist ab Kenntnis der Umstände, die in 20 Jahren zu einer Krankheit führten (und nicht ab Kenntnisnahme der Ursache der Krankheit), Ent. vom 14. 04. 1989 (Nr. 13674/88), Warner v. the United Kingdom; sowie eine dreijährige Frist für eine Schadensersatzklage ab Kenntnis des medizinischen Eingriffs (und nicht ab Kenntnis der Anhaltspunkte für seine Rechtswidrigkeit), Ent. vom 16. 10. 1996 (Nr. 28477/95), Dobbie v. the United Kingdom. 122 EGMR, Urt. vom 25. 01. 2000 (Nr. 38366/97 u. a.), Miragall Escolano and Others v. Spain, Z. 34 ff. (mit 6 zu 1 Stimmen). 123 EGMR, Urt. vom 04. 05. 2006 (Nr. 28340/02), Examiliotis (no 2) c. Grèce, Z. 27 ff. 124 Vgl. auch EGMR, Urt. vom 07. 07. 2009 (Nr. 1062/07), Stagno c. Belgique, Z. 20 ff. 125 EGMR, Urt. vom 16. 12. 1992 (Nr. 12964/87), De Geouffre de la Pradelle v. France, Z. 34 (mit 8 zu 1 Stimmen). 118

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

Vaterschaft begründeten) nicht beanstandet.126 Der EGMR entwickelte später aber eine andere Rechtsprechung: Die Anfechtung (Feststellung) der Vaterschaft liege im Schutzbereich von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), der (anders als Art. 6 Abs. 1 EMRK) bestimmte Ansprüche begründe. Art. 8 EMRK lege den Vertragsstaaten positive Verpflichtungen auf, das Familienleben auch in Bezug auf Beziehungen Privater untereinander zu schützen.127 Der EGMR unterscheidet zwischen Fällen, in denen der Betroffene nichts von den Umständen, die Zweifel an der Vaterschaft begründen, wusste und wissen konnte und Fällen, in denen der Betroffene davon Kenntnis hatte. Bei Kenntnis sind Verjährungsfristen unbedenklich,128 bei Unkenntnis dagegen verlangt Art. 8 EMRK, dass die biologische und die gesellschaftliche Realität in Übereinstimmung mit rechtlichen Vermutungen gebracht werden. Im Fall Shofman hat der EGMR eine Verletzung gegen Art. 8 EMRK festgestellt, weil das einschlägige russische Recht solche Klagen nur im Laufe eines Jahres nach der Kenntnisnahme der Eintragung als Vater in die Geburtsurkunde erlaubte, der Betroffene erfuhr von der Vaterschaft eines anderen Mannes erst zwei Jahre nach Geburt des Kindes.129 In extremen Fällen, wenn das Verfahren sehr lange dauert und das ersuchte Gericht trotz von der Gegenpartei gerügter Verjährung mit dem Verfahren fortfährt, hat der EGMR einen Vertrauenstatbestand anerkannt, der eine Abweisung der Klage unter Berufung auf die Verjährung hindert (das Gerichtsverfahren dauerte in diesem Fall 63 Jahre).130 b) Rechtsmittelfristen Rechtsmittelfristen dienen auch einer geordneten Rechtsprechung und der Rechtssicherheit. Auch im Ausland lebende Rechtsmittelführer müssen dafür Sorge tragen, dass die Einlegungs- oder Begründungsfrist eingehalten wird.131 Rechtsmittelfristen dürfen aber nur zu laufen beginnen, wenn die betroffene Partei des erstinstanzlichen Verfahrens eine angemessene Möglichkeit hat, von der Entscheidung Kenntnis zu erlangen.132 Die Kenntnis des Rechtsbeistandes von der Entscheidung reicht aus.133 Die Frist kann ab Verkündung der Entscheidung beginnen, wenn mit der Rechtsmittelbeschwerde die Entscheidung nicht einzureichen ist.134 Für Beschwerden in Bezug auf Rechtsfragen darf die Beschwerdefrist aber erst zu 126

EKMR, Ent. vom 06. 10. 1982 (Nr. 9707/82), X. v. Sweden. EGMR, Urt. vom 24. 11. 2005 (Nr. 74826/01), Shofman v. Russia, Z. 33. 128 EGMR, Ent. vom 19. 10. 1999 (Nr. 34308/96), Yildirim v. Austria. 129 EGMR, Urt. vom 24. 11. 2005 (Nr. 74826/01), Shofman v. Russia, Z. 36 ff. 130 EGMR, Urt. vom 06. 12. 2001 (Nr. 41727/98), Yagtzilar and Others v. Greece, Z. 27 f. 131 EKMR, Ent. vom 06. 05. 1980 (Nr. 8407/78), X. v. Switzerland. 132 EGMR, Urt. vom 28. 10. 2004 (Nr. 40897/98), Neshev v. Bulgaria, Z. 38; Urt. vom 06. 12. 2005 (Nr. 64001/00), Mikulová v. Slovakia, Z. 53 ff. 133 EGMR, Ent. vom 07. 09. 1999 (Nr. 39350/98), Jodko v. Lithuania. 134 Ebenda. 127

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laufen beginnen, wenn die Entscheidung dem Beschwerdeführer zugänglich ist, damit er seine Beschwerde begründen kann.135 Fristen müssen lang genug sein, um die Einlegung einer begründeten Beschwerde zu ermöglichen. Drei Tage, innerhalb deren ein Antrag bei Gericht sogar eingegangen sein muss, reichen dafür nicht aus.136 Dagegen hat der EGMR 20 Tage als Frist, innerhalb derer ein Antrag bei Gericht eingegangen sein muss, nicht beanstandet.137 Somit hat der Gerichtshof die Praxis grundsätzlich gebilligt, bei der Frage der Einhaltung von Fristen nicht auf das Absendedatum, sondern auf das Datum des Eintreffens eines Dokuments bei Gericht abzustellen.138 Die Vertragsstaaten müssen ihre Rechtsmittelwege in der Weise organisieren, dass sie für die Beteiligten verständlich und vorhersehbar sind.139 Bei einer Änderung (Verkürzung) von Rechtsmittelfristen und ihrer Anwendung auf laufende Fristen stellt der EGMR darauf ab, ob die Berechnung neuer Fristen für die Betroffenen vorhersehbar war.140 Im Fall Melnyk hat der EGMR eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt, weil die neue Frist (ein Monat statt drei Monate) rückwirkend (und nicht ab Inkrafttreten des Reformgesetzes) berechnet wurde; dies sei für den Betroffenen unvorhersehbar gewesen.141 Der EGMR berücksichtigt das Verhalten des Beschwerdeführers und staatlicher Behörden. Wenn der Betroffene die Frist schuldhaft überschreitet, ist sein Recht auf Zugang zu Gericht nicht verletzt.142 Wenn dagegen staatliche Behörden schuldhaft handeln, stellt der EGMR eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht fest, wenn z. B. das Rechtsmittelgericht irrtümlich ein Rechtsmittel wegen Fristversäumnis als unzulässig verwirft, obwohl es rechtzeitig eingelegt war.143

135

EGMR, Urt. vom 11. 04. 2002 (Nr. 48679/99), AEPI S.A. c. Grèce, Z. 24 ff. EGMR, Urt. vom 28. 10. 1998 (Nr. 28090/95), Pérez de Rada Cavanilles v. Spain, Z. 46 ff. Allerdings wurde eine zweitägige Frist für die Einlegung des Rechtsmittels in einem dringenden Fall (notwendige Operation eines Kindes wegen Lebensgefahr gegen den Willen seines Vaters) als ausreichend angesehen: EKMR, Ent. vom 11. 04. 1996 (Nr. 21607/93), Wedberg and Hillblom v. Sweden. 137 EGMR, Urt. vom 11. 10. 2001 (Nr. 47792/99), Rodriguez Valin c. Espagne, Z. 28. 138 Im Verfahren vor dem EGMR kommt es dagegen auf das Absendungsdatum der Schriftsätze an, vgl. Art. 38 Abs. 2 VerfO-EGMR. 139 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 47273/99), Beˇlesˇ and Others v. the Czech Republic, Z. 63 ff.; Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 46129/99), Zvolsky´ and Zvolská v. the Czech Republic, Z. 48 ff.; Urt. vom 25. 07. 2002 (Nr. 48553/99), Sovtransavto Holding v. Ukraine, Z. 81. 140 EGMR, Urt. vom 28. 03. 2006 (Nr. 23436/03), Melnyk v. Ukraine, Z. 26. 141 Ebenda, Z. 29. 142 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 16. 12. 1992 (Nr. 12129/86), Hennings v. Germany, Z. 25 ff.; Ent. vom 07. 09. 1999 (Nr. 39350/98), Jodko v. Lithuania; EKMR, Ent. vom 16. 04. 1998 (Nr. 36524/97), Darnay v. Hungary. 143 EGMR, Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 51343/99), Angel Angelov v. Bulgaria, Z. 37 ff. 136

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

8. Formvorschriften Formvorschriften, z. B. Anforderungen an die Substantiierung der Klage,144 sind zulässige Beschränkungen des Zugangs zu Gericht. Der EGMR hat anerkannt, dass formelle Anforderungen für den Zugang zu einem höheren Rechtsmittelgericht strenger sein können als zu einem unteren Gericht.145 Bei der Anwendung von Formvorschriften müssen die Gerichte einen übertriebenen Formalismus, der die Fairness des Verfahrens beeinträchtigen könnte, vermeiden.146 Das Verfahrensrecht muss nach Möglichkeit so ausgelegt werden, dass es einen wirksamen Zugang zu Gericht ermöglicht.147 Der EGMR hat z. B. die Haltung griechischer Gerichte als zu formalistisch bewertet, die sich weigerten, Revisionsbeschwerden zur Entscheidung anzunehmen, weil sie nicht genügend Fakten des Falles beschrieben, auf denen die Berufungsinstanz ihre Entscheidung stützte, obwohl die Revisionsbeschwerden nur auf Rechtsfragen zielten und Kopien der Berufungsentscheidung beigelegt worden waren.148 Eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht ist auch bei einer Klageabweisung angenommen worden, die auf einer besonders strengen formalistischen Auslegung prozessualer Vorschriften über die Klageart beruhte.149 Die Konventionsorgane haben aber mehrmals auch die Anwendung von Formvorschriften durch innerstaatliche Gerichte nicht beanstandet, weil eine übertriebene Nachgiebigkeit im Ergebnis zur Abschaffung der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensregeln führen könnte. Der EGMR hat es z. B. für konventionsgemäß gehalten, wenn das Revisionsgericht keine Pflicht hat, auf Formfehler bei der Einlegung des Rechtsmittels hinzuweisen sowie eine Nachfrist zu setzen (Nichteinreichung eines nach der gefestigten Rechtsprechung notwendigen Schriftsatzes – Entscheidung der ersten Instanz).150 Von der EKMR wurde die Verweigerung der Annahme einer Revision zum deutschen Bundessozialgericht nicht beanstandet, weil die Begründung ersichtlich nicht von dem unterzeichneten Prozessvertreter, sondern vom Rechtsmittelführer selbst geschrieben und von seinem Anwalt kritiklos übernommen

144 145

Z. 48. 146

EGMR, Urt. vom 28. 05. 1985 (Nr. 8225/78), Ashingdane v. the United Kingdom, Z. 55. EGMR, Urt. vom 23. 10. 1996 (Nr. 21920/93), Levages Prestations Services v. France,

EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002 (Nr. 48553/99), Sovtransavto Holding v. Ukraine, Z. 81; Urt. vom 28. 06. 2005 (Nr. 74328/01), Zedník c. République tchèque, Z. 29; Urt. vom 25. 05. 2004 (Nr. 49478/99), Kadlec et autres c. République tchèque, Z. 26. 147 EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 54268/00), Qufaj B_. Sh.p.k. v. Albania, Z. 39. 148 EGMR, Urt. vom 24. 05. 2006 (Nr. 20627/04), Liakopoulou c. Grèce, Z. 17 ff.; Urt. vom 14. 12. 2006 (Nr. 77574/01), Zouboulidis c. Grèce, Z. 25 ff. 149 EGMR, Urt. vom 12. 11. 2002 (Nr. 47273/99), Beˇlesˇ and Others v. the Czech Republic, Z. 51; weitere Beispiele aus der Rechtsprechung bei Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 6 Rn. 38. 150 EGMR, Urt. vom 23. 10. 1996 (Nr. 21920/93), Levages Prestations Services v. France, Z. 37 ff.

§ 1 Recht auf Zugang zu Gericht

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worden war.151 Ähnlich hat die EKMR für die Nichtannahme des Falles zur Entscheidung durch ein österreichisches Gericht entschieden, weil eine Kopie der Klageschrift vom Rechtsanwalt nicht unterzeichnet worden war,152 oder weil der verfahrensbevollmächtigte Anwalt der Auflage, innerhalb einer Woche zusätzliche Kopien der Klageschrift einzureichen, nur fehlerhaft nachgekommen war, weil die fristgemäß eingereichten Kopien mit der Klageschrift nicht vollkommen identisch waren.153 Der EGMR hat einen Vertrauenstatbestand auch in Bezug auf Formvorschriften anerkannt, nachdem das Gericht das Rechtsmittel zunächst für zulässig, dann aber nach sieben Jahren doch für unzulässig erklärt hatte.154 II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland Bis Ende 2011 hat der EGMR in 17 Urteilen Verletzungen des Rechts auf Zugang zu Gericht festgestellt (insgesamt 20 Verletzungen). In einem Fall war es dem Beschwerdeführer de facto nicht möglich, eine Klage zu erheben. Während kriegerischer Auseinandersetzungen (von Oktober 1999 bis Januar 2001) waren keine Gerichte in Tschetschenien tätig, keine Maßnahmen wurden auch unternommen, um etwa Klagen vor anderen Gerichten in Russland (zumindest in Bezug auf Immobilien) zu ermöglichen. Dies reichte dem EGMR, um einen Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht des Beschwerdeführers festzustellen.155 In einem anderen Fall hatte das innerstaatliche Gericht es versäumt, die per Post zugesandte Klage zu registrieren sowie eine Entscheidung in der Sache zu fällen. Später hatte die Regierung behauptet, die Klage sei bei Gericht nicht eingegangen. Der EGMR sah es als bewiesen an, dass die fragliche Klage bei Gericht eingegangen war und stellte daraufhin einen Verstoß gegen das Recht auf Zugang zu Gericht fest.156 In sieben Fällen hielten russische Gerichte Klagen aus verschiedenen Gründen für unzulässig, was mit dem Recht auf Zugang zu Gericht nicht zu vereinbaren war. Davon wurden in zwei Fällen Klagen der Beschwerdeführer gegen den Staat auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer von ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt, obwohl das VerfG RF vorher bestimmt hatte, dass solche Klagen zulässig sind.157 Im Fall Vasilyev und Kovtun wurden Schadenersatzklagen von beiden Beschwerdeführern gegen verschiedene Behörden sowie die Judikative für 151

EKMR, Ent. vom 31. 08. 1994 (Nr. 21977/93), S.A. v. Germany. EKMR, Ent. vom 14. 04. 1998 (Nr. 25046/94), Grof v. Austria. 153 EKMR, Ent. vom 15. 03. 1990 (Nr. 13202/87), O. and A.K. v. Austria; Ent. vom 03. 09. 1990 (Nr. 14452/88), H. v. Austria. 154 EGMR, Urt. vom 09. 11. 2004 (Nr. 77837/01), Saez Maeso c. Espagne, Z. 22 ff. 155 EGMR, Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 72118/01), Khamidov v. Russia, Z. 153 ff. 156 EGMR, Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 3354/02), Gorbachev v. Russia, Z. 60 ff. 157 EGMR, Urt. vom 16. 09. 2010 (Nr. 39874/03), Chernichkin v. Russia, Z. 28 ff.; Urt. vom 07. 06. 2011 (Nr. 44150/04), Ryabikina v. Russia, Z. 28 ff. 152

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unzulässig erklärt, weil eine Voraussetzung für die Klage gegen die Judikative nicht erfüllt war (das Strafurteil gegen den Richter wurde nicht vorgelegt). Der EGMR merkte zu Recht an, dass die Klagevoraussetzungen in Bezug auf andere Behörden erfüllt waren und stellte eine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf Zugang zu Gericht fest.158 Im Fall Bezymyannaya sah sich keines der Gerichte dafür zuständig, über die Klage der Beschwerdeführerin zu entscheiden (das Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwies sie an die Wirtschaftgerichte, welche sich wiederum für unzuständig erklärt haben).159 Im Fall Zylkov haben sich russische Gerichte für die Kindergeldklage eines russischen Staatsagehörigen mit Wohnsitz in Litauen gegenüber der russischen Botschaft in Litauen für unzuständig erklärt und den Beschwerdeführer auf den Rechtsweg vor litauischen Gerichten verwiesen. Der EGMR stellte eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht fest, weil die russischen Gerichte die internationale Zuständigkeit Litauens nicht begründet und auch nicht geprüft hatten, ob die Klage des Beschwerdeführers in Litauen mit der völkerrechtlichen Immunität Russlands vereinbar wäre.160 Im Fall Sergey Smirnov wurde die Klage eines Obdachlosen mangels Angabe seiner Anschrift für unzulässig gehalten, obwohl der Kläger eine Korrespondenzadresse angegeben hatte.161 Im Fall Generalov hat der EGMR eine Verletzung angenommen, weil Gerichte sich weigerten, die Klage eines Strafgefangenen anzunehmen. Der Kläger hatte die Klage direkt bei dem Gericht eingereicht und nicht über die Verwaltung des Gefängnisses, wie es vom Strafvollzugsgesetzbuch vorgeschrieben war. Der EGMR führte dabei aus, dass der Verstoß gegen das Strafvollzugsgesetzbuch einen Grund für Disziplinarmaßnahmen gegen den Kläger darstellen möge, dieser jedoch nicht geeignet sei, die Nichtannahme der Klage zu rechtfertigen. Der Gerichtshof hat auch berücksichtigt, dass der Entscheidung jegliche Rechtsgrundlage in der russischen ZPO fehlte.162 In vier Urteilen ging es darum, dass innerstaatliche Gerichte das Verfahren eingestellt hatten, ohne die Kläger darüber in Kenntnis zu setzen, obwohl ihre Adressen bekannt waren.163 In einem anderen Fall waren russische Gerichte elf Jahre lang nicht im Stande, die verloren gegangene Gerichtsakte des Beschwerdeführers zu rekonstruieren und über seine Klage zu entscheiden, obwohl sie nach innerstaatlichem Recht dazu verpflichtet waren (die beklagte Gesellschaft ging inzwischen in die Insolvenz).164 158

EGMR, Urt. vom 13. 12. 2011 (Nr. 13703/04), Vasilyev and Kovtun v. Russia, Z. 48 ff. EGMR, Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 21851/03), Bezymyannaya v. Russia, Z. 22 ff. 160 EGMR, Urt. vom 21. 06. 2011 (Nr. 5613/04), Zylkov v. Russia, Z. 26 ff. 161 EGMR, Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 14085/04), Sergey Smirnov v. Russia, Z. 30 ff. 162 EGMR, Urt. vom 09. 07. 2009 (Nr. 24325/03), Generalov v. Russia, Z. 145 ff. 163 EGMR, Urt. vom 10. 02. 2005 (Nr. 69315/01), Sukhorubchenko v. Russia, Z. 41 ff.; Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 4856/03), Dubinskaya v. Russia, Z. 39 ff.; Urt. vom 21. 12. 2006 (Nr. 23697/02), Popova v. Russia, Z. 31 ff.; Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 3354/02), Gorbachev v. Russia, Z. 40 ff. 164 EGMR, Urt. vom 17. 07. 2008 (Nr. 12377/03), Kabkov v. Russia, Z. 42 ff. 159

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In drei Urteilen ergaben sich Verletzungen daraus, dass über einige Ansprüche, die die Beschwerdeführer vor russischen Gerichten geltend machten, keine Entscheidung getroffen wurde.165 In zwei Urteilen hatte der EGMR das Recht auf Zugang zu Gericht im Berufungsverfahren zu verteidigen. In einem Fall wurde eine fristgemäß eingelegte ausführliche Berufung von einem russischen Gericht nicht angenommen und bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt.166 In einem weiteren Fall wurde die Berufung des Beschwerdeführers willkürlich für unzulässig erklärt.167 Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Richter fertigte seine Entscheidung in über sechs Monaten (!) nach Verkündung des Tenors aus.168 In der Zwischenzeit legte der Beschwerdeführer die Berufung ein, welche jedoch für verspätet erklärt wurde, obwohl die Berufungsfrist erst mit Ausfertigung der Entscheidung zu laufen beginnt, vgl. Art. 338 ZPO RF. 2. Zugang zu Gericht nach russischem Recht Dass der Zugang zu Gericht eine wichtige Rolle beim Aufbau des neuen demokratischen Russlands spielt, hat man früh erkannt.169 Deswegen wurde in die Verfassung RF 1993 eine Norm aufgenommen, wonach jedermann der gerichtliche Schutz seiner Rechte und Freiheiten garantiert wird (Art. 46 Abs. 1).170 Diese Vorschrift ist sehr weit gefasst und ihr Schutz geht weit über den des Art. 6 Abs. 1 EMRK hinaus, der sich auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen beschränkt. Das VerfG RF hat sogar entschieden, dass das Recht auf gerichtlichen Schutz nie durch die allgemeine Schrankenklausel in Art. 55 Abs. 3 Verf. RF einschränkbar ist, da es nie mit einem der in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter in Konflikt geraten könne.171 Der Ombudsmann RF Vladimir Lukin spricht in diesem Zusammenhang

165 EGMR, Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 72118/01), Khamidov v. Russia, Z. 167 ff.; Urt. vom 15. 05. 2008 (Nr. 7672/03), Ponomarev v. Russia, Z. 25 ff.; Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 75894/ 01), Serov v. Russia, Z. 43 ff. 166 EGMR, Urt. vom 24. 05. 2007 (Nr. 70142/01), Dunayev v. Russia, Z. 35 ff. 167 EGMR, Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 4543/04), Georgiy Nikolayevich Mikhaylov v. Russia, Z. 52 ff. 168 Die Entscheidung war spätestens innerhalb von 5 Tagen nach der Verkündung auszufertigen, vgl. Art. 199 ZPO RF. 169 Vgl. Kap. IV, § 5, Z. 1 des Konzepts der Justizreform in der RSFSR, verabschiedet vom Obersten Sowjet RSFSR am 24. 10. 1991, VVS RSFSR 1991, Nr. 44, Pos. 1435. 170 Folglich kann die Aussage von Matthei, Der Einfluß der Rechtsprechung des EGMR auf die ZPO, S. 41 Fn. 34, wonach eine Norm wie Art. 19 Abs. 4 GG auch heute eine in Europa einmalige Vorschrift sei, nicht überzeugen. 171 Vgl. etwa VerfG RF, Urt. vom 03. 05. 1995 (Nr. 4-@), Z. 3 Abs. 3, SZ RF 1995, Nr. 19, Pos. 1764; Urt. vom 29. 04. 1998 (Nr. 13-@), Z. 3 Abs. 2, SZ RF 1998, Nr. 19, Pos. 2142. Zur effektiven Wiederherstellung der Rechte könne in einigen Fällen jedoch auch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle genügen, vgl. VerfG RF, Urt. vom 23. 03. 1999 (Nr. 5-@), Z. 2 Abs. 3, SZ RF 1999, Nr. 14, Pos. 1749.

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vom „uneingeschränkten Zugang zur Justiz in der russischen Verfassung“.172 Auch in der Literatur wird das Recht auf Zugang zur Justiz als nicht einschränkbares „Basisgrundrecht“ qualifiziert.173 Das Prozessrecht konkretisiert die Verfassungsnorm. Danach ist die Anrufung der Gerichte nur im geregelten Verfahren und unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen möglich (vgl. Art. 3 Abs. 1 ZPO RF). Das VerfG RF hat jedoch in seinen Entscheidungen das Recht auf Zugang zu Gericht immer wieder ausgeweitet und fordert eine „inhaltliche“, nicht bloß „formale“ Prüfung der Klage (bzw. der Beschwerde) durch ein Gericht.174 Dasselbe gilt für das OG RF.175 In der Rechtsprechung russischer Gerichte zu Art. 46 Abs. 1 Verfassung RF finden sich nur selten Hinweise auf die Rechtsprechung des EGMR zum Recht auf Zugang zu Gericht.176 Dies liegt offensichtlich daran, dass das Verfassungsrecht einen weitergehenden Schutz gewährt. In folgenden Urteilen finden sich Hinweise auf die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zum Recht auf Zugang zu Gericht: In seinem Urteil vom 25. 01. 2001 (Nr. 1-@)177 hat das VerfG RF faktisch das Richterprivileg aufgehoben, das die Richter vor Zivilklagen schützte. Gem. Art. 1070 Abs. 2 Zivilgesetzbuch RF wird der durch ein falsches Sachurteil verursachte Schaden in den Fällen ersetzt, in denen die Schuld des Richters durch ein rechtskräftiges Strafurteil erwiesen ist. Das VerfG RF hat diese Norm verfassungskonform ausgelegt und festgestellt, dass sie einen Anspruch auf Entschädigung nicht ausschließt, wenn die in Frage stehende zivilprozessuale Handlung kein Urteil in der Sache, sondern eine andere Verfahrenshandlung (oder Unterlassen) ist, etwa eine überlange Verfahrensdauer; ferner wenn die Schuld des Richters nicht durch ein rechtskräftiges Strafurteil, sondern durch eine andere gerichtliche Entscheidung erwiesen ist. Zur Begründung hat das VerfG RF Art. 6 Abs. 1 EMRK herangezogen und aus der Befugnis des EGMR, nach Art. 41 EMRK eine Entschädigung für Konventionsverletzungen zuzusprechen, eine Entschädigungspflicht auch im innerstaatlichen Recht hergeleitet (Z. 6 Abs. 6). Das 172 Ombudsmann RF, Bericht vom 28. 02. 2006, Z. 7 Abs. 5, . 173 Nußberger, EuGRZ 1998, 120. 174 Übersicht der Rechtsprechung des VerfG RF bei ;_c_S, 3\Yp^YV aViV^YZ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ A_bbYY ^Q TaQWUQ^b[_V bdU_`a_YXS_UbcS_, S. 58 ff.; ýQXQaVS (Hrsg.), ;_^bcYcdgYp AE S aViV^Ypf ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ A_bbYY, Art. 46. 175 Vgl. z. B. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 29. 09. 1994 (Nr. 7) „Über die Praxis der Gerichte hinsichtlich der Verhandlung von Fällen über den Verbraucherschutz“ (i. d. F. vom 10. 10. 2001), Z. 5, wonach Gerichte kraft Art. 46 Verf. RF verpflichtet sind, die Klage des Verbrauchers zur Entscheidung anzunehmen, auch wenn eine Reklamationsfrist bereits abgelaufen ist. Eine andere Auslegung wäre mit der Verfassung unvereinbar. 176 Das einzige im RIS „Garant“ nachgewiesene Beispiel: OG RF, Beschl. vom 07. 06. 2011 (Nr. 5-311-30), in dem die Zuständigkeit ordentlicher Gericht nach der Unzuständigkeitserklärung von Wirtschaftsgerichten mit dem Urteil des EGMR vom 22. 12. 2009 (Nr. 21851/03), Bezymyannaya v. Russia, begründet wurde; sonst wäre das Recht der Kläger auf Zugang zu Gericht verletzt. 177 SZ RF 2001, Nr. 7, Pos. 700.

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Urteil ist ein interessantes Beispiel dafür, wie die EMRK zur Schaffung innerstaatlicher Ansprüche beigetragen hat, die eigentlich von der EMRK wegen nicht geboten sind. Im Tenor dieses Urteils hat das VerfG RF dem russischen Bundesgesetzgeber die Verpflichtung auferlegt, Voraussetzungen und Verfahren für den Schadensersatz sowie Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit in solchen Fällen vorauszusehen (Z. 3 des Tenors). Bei der Umsetzung des Urteils muss der Gesetzgeber einen gerechten Ausgleich zwischen dem Recht auf Zugang zu Gericht und dem Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz finden.178 Im Urteil vom 24. 01. 2002 (Nr. 3-@)179 hat das VerfG RF Art. 170 Abs. 2 und Art. 235 Abs. 2 Arbeitsgesetzbuch RF für verfassungswidrig erklärt. Nach diesen Vorschriften durften Arbeitnehmer, die behinderte Kinder hatten oder Mitglieder des Vorstandes einer Gewerkschaft waren, vom Arbeitgeber nicht gekündigt werden (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der behinderten Kinder bzw. ohne Zustimmung des Gewerkschaftsvorstandes). Das VerfG RF hat entschieden, dass dieser Schutz u. a. mit dem Recht der Arbeitgeber auf Zugang zu Gericht kollidiert und unverhältnismäßig ist, weil Arbeitgeber vor Gericht nicht beweisen dürfte, dass derart geschützte Arbeitnehmer ihren Pflichten nicht nachgekommen sind oder sich schwerwiegender Verletzungen der Arbeitsdisziplin schuldig gemacht haben. Diese Entscheidung hat das VerfG RF u. a. auf die Rechtsprechung des EGMR gestützt (Urteile vom 21. 02. 1975, Golder v. the United Kingdom [Nr. 4451/70] und vom 27. 02. 1980, Deweer v. Belgium [Nr. 6903/75]), vgl. Z. 3 Abs. 7 des Urteils. Zu erwähnen ist auch das Urteil des VerfG RF vom 20. 02. 2006 (Nr. 1-@),180 das Art. 336 ZPO RF, wonach Kassationsbeschwerden nur von Parteien und anderen Beteiligten des Prozesses eingelegt werden dürfen, verfassungskonform ausgelegt hat. Das VerfG RF hat entschieden, dass auch andere betroffene Personen, die am Prozess nicht beteiligt waren, aber glauben, dass über ihre Rechte in dem Prozess 178 Es bleibt jedoch festzustellen, dass der Gesetzgeber der darin auferlegten Forderung nach einer neuen Regelung bis heute nicht nachgekommen ist. Dieser Umstand führte zu weiteren Verfassungsbeschwerden, in Bezug auf welche das VerfG RF ausführte, dass seine Urteile allgemeinverbindlich seien, unmittelbar gelten und die Gerichte bis zum Erlass notwendiger Änderungen durch den Gesetzgeber die Verfassung selbst unmittelbar anwenden könnten und solche Fälle auf Grundlage des geltenden Rechts entscheiden müssten; VerfG RF, Beschl. vom 27. 05. 2004 (Nr. 210-O), Z. 2 Abs. 3 f., 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 2004, Nr. 6, S. 85. Weitere Verfassungsbeschwerden zu der Frage zeigen aber auch, dass die Gerichte ohne spezielle Gesetzesregelungen offenbar Schwierigkeiten mit der Umsetzung des Urteils des VerfG RF haben. Das KompensationsG von 2010 hat das Problem im Bezug auf Klagen wegen überlanger Verfahrensdauer gelöst. Die Umsetzung des Urteils des VerfG in Bezug auf andere Schadenersatzklagen gegen Richter bleibt aus. Soweit ersichtlich, weigern sich ordentliche Gerichte, ohne spezielle Gesetzesregelungen derartige Klagen zur Entscheidung anzunehmen; vgl. etwa OG RF, Beschl. vom 14. 03. 2006 (Nr. 8-406-2). Dies kann als eine Episode des Justizkonfliktes zwischen dem OG RF und dem VerfG RF betrachtet werden, ausführlich zum Konflikt Burnham/Trochev, American Journal of Comparative Law 2007, S. 381 ff. 179 SZ RF 2002, Nr. 7, Pos. 745. 180 SZ RF 2006, Nr. 10, Pos. 1145.

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entschieden worden sei, Kassationsbeschwerde einlegen dürfen. Diese Schlussfolgerung hat das VerfG RF unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR begründet (Urteile Kudła v. Poland vom 26. 10. 2000 [Nr. 30210/96] und Klyakhin v. Russia vom 30. 11. 2004 [Nr. 46082/99]), wonach Rechtsschutz auf innerstaatlicher Ebene effektiv sein muss, um Verletzungen der EMRK vorzubeugen, vgl. Z. 2 Abs. 5 des Urteils. Zurzeit kann man kaum noch rechtliche Hindernisse des Zugangs zu Gericht in Russland finden. Auf dieses Recht kann nach russischem Recht sogar nicht wirksam verzichtet werden (vgl. Art. 3 Abs. 2 ZPO RF). Eine der wenigen Ausnahmen ist Art. 17 Familiengesetzbuch RF 1995, wonach der Ehemann ohne Zustimmung seiner Ehefrau die Scheidung innerhalb der Schwangerschaft und einem Jahr nach der Geburt des Kindes nicht beantragen darf. Dieses Hindernis ist vorübergehender Natur, dient dem Schutz der Frau und des Kindes in einer kritischen Periode ihres Lebens und kann als eine Maßnahme zum Schutz der Familie i.S.v. Art. 8 EMRK angesehen werden, die EMRK-konform ist. Zu nennen ist auch Art. 1062 Abs. 1 Zivilgesetzbuch RF, wonach die Durchsetzung gewisser Forderungen aus Spiel und Wette ausgeschlossen ist. Die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit der EMRK steht außer Frage,181 weil sie zum einen die Gesellschaft vor gefährlichen Wetten und Spielen schützt, zum anderen ist überhaupt fraglich, ob hier ein Anspruch im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegt. Auch andere rechtliche Beschränkungen, wie Verjährungsfristen182 oder Rechtsmittelfristen183, sind im Lichte der Rechtsprechung des EGMR nicht zu beanstanden. Immunitäten in Bezug auf Zivilklagen genießen nur ausländische Staaten, ausländische Diplomaten und internationale Organisationen, vgl. Art. 401 ZPO RF, Art. 251 WirtPO RF. Es bleibt somit festzustellen, dass das Recht auf Zugang zu Gericht im russischen Recht zufriedenstellend umgesetzt ist. Das Verbesserungspotenzial liegt somit nicht im rechtlichen sondern, wie die erwähnten Urteile des EGMR zeigen, im organisatorischen Bereich. Angesichts dessen, dass es in Russland im Beurteilungszeit181 Pfannkuchen-Heeb, in: Sutter/Zelger (Hrsg.), 30 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz, S. 224. 182 Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist in der RF drei Jahre ab Kenntnis oder Kennenmüssen der Rechtsverletzung (Artt. 196, 200 Zivilgesetzbuch RF). In Bezug auf einige Forderungen sind kürzere Verjährungsfristen vorgesehen, vgl. z. B. Art. 126 Abs. 1 Luftgesetzbuch RF 1997 (6 Monate), Art. 392 Arbeitsgesetzbuch RF 2001 (1 Monat, 3 Monate). 183 Die ZPO RF sieht folgende Rechtsmittelfristen vor: 10 Tage ab Erlass der Gerichtsentscheidung für die Appellationsbeschwerde (Art. 321); 10 Tage ab Erlass der Entscheidung für die Kassationsbeschwerde (Art. 338); sechs Monate ab In-Kraft-Treten der Entscheidung für die Aufsichtsbeschwerde (Art. 376 Abs. 2). Ab 01. 01. 2012 werden folgende Rechtsmittelfristen gelten: 1 Monat ab Erlass der Entscheidung für die Appellationsbeschwerde (Art. 321 Abs. 2 ZPO RF n.F.); 6 Monate ab In-Kraft-Treten der Entscheidung für die Kassationsbeschwerde (Art. 376 Abs. 2 ZPO RF n.F.); 3 Monate ab In-Kraft-Treten der Entscheidung für die Aufsichtsbeschwerde (Art. 391.2 Abs. 2 ZPO RF). Zwar laufen die Rechtsmittelfristen ab Erlass der Entscheidung und nicht ab dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung zugänglich wird, Art. 112 ZPO RF sieht aber die Möglichkeit der Wiedereinsetzung der Fristen vor.

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raum über 20 Mio. Menschen (14,6 % der Bevölkerung) mit Einkünften unter dem Existenzminimum gab,184 sowie des Umstands, dass die Grenze des Existenzminimums sehr knapp bemessen wird (in 2011 lag sie bundesweit durchschnittlich bei 6.287 Rubel [ca. 155 Euro]),185 sind Maßnahmen gefragt, die das Recht auf Zugang zu Gericht für Arme sicherstellen. Gerichtsgebühren (Klageerhebungs- und Rechtsmittelgebühren) werden in Russland in einem Prozentsatz vom Streitwert festgesetzt, dürfen jedoch nicht höher als 60.000 Rubel (etwa 3.000 Euro) sein (Art. 333.19 Steuergesetzbuch 1998 i. d. F. des Gesetzes vom 27. 12. 2009). Zudem sind einige Gruppen der Bevölkerung davon befreit, z. B. Kläger, die auf ihren Arbeitslohn klagen (vgl. Artt. 333.36 f. Steuergesetzbuch RF). Das VerfG RF hat 2006 entschieden, dass auch andere im Gesetz nicht genannte Personen von den Gerichtsgebühren befreit werden müssen, wenn sie bedürftig sind.186 Dabei bezog sich das VerfG RF in seiner Entscheidung auf die EMRK und das Urteil des EGMR im Fall Omar v. France vom 29. 07. 1998 (Nr. 24767/94).187 Somit ist auch in dieser Hinsicht das Recht auf Zugang zu Gericht sichergestellt. Der Bedarf an Rechtsbeistand für Arme in Zivilsachen ist aber nicht vollkommen gedeckt, was in einigen Fällen zur Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht im Lichte der Rechtsprechung des EGMR führen kann.188 Das RechtsanwaltsG189 sieht die kostenlose Erbringung von Rechtsbeistand für russische Bürger nur in wenigen Fällen vor (vgl. Art. 26). Dazu kommt, dass Rechtsanwälte Schwierigkeiten haben, eine Vergütung für ihre Arbeit im Wege der PKH vom Staat zu bekommen, und dies dementsprechend ungern tun.190 Eine gewisse Abhilfe schafft Art. 45 ZPO RF (Mitwirkung des Staatsanwalts am Prozess), der der Staatsanwaltschaft die Befugnis verleiht, sich zum Schutz der Rechte, Freiheiten und gesetzlich geschützten Interessen der Bürger und eines unbestimmten Kreises von Personen an das Gericht zu wenden. Die prozessuale Beteiligung der Staatsanwaltschaft ist kostenlos. Die Staatsanwaltschaft darf Bürger nur in wenigen im Gesetz vorgesehenen Fällen vertreten, vgl. Art. 45 Abs. 1 Satz 2 ZPO RF. Zudem liegt die Entscheidung darüber im Ermessen der Staatsanwaltschaft (vgl. Art. 45 Abs. 1 Satz 1 ZPO RF: „Der Staatsanwalt ist berechtigt …“). Deshalb kann dieses Institut nicht als effektive 184

4adUgl^Q, ;_]d ^dW^Q T_bdUQabcSV^^Qp QUS_[QcdaQ?, 1US_[Qc 2006, Nr. 10, S. 3 ff., zit. nach RIS „Garant“. 185 Angaben des Statistikdienstes RF, . 186 VerfG RF, Beschl. vom 13. 06. 2006 (Nr. 272-O), SZ RF 2006, Nr. 45, Pos. 4738. 187 Ebenda, Z. 2.1. 188 Vgl. EGMR, Urt. vom 20. 05. 2010 (Nr. 15034/02), Larin v. Russia, Z. 54: „In the Court’s opinion, where the effective participation of a detainee in civil proceedings cannot be secured by other means, the law must provide for some form of legal aid“. 189 SZ RF 2002, Nr. 23, Pos. 2102; dt. Übersetzung in: Karaß/Wedde (Hrsg.), Das Berufsrecht der Anwälte in der Russischen Föderation (2005), S. 37 ff. 190 IQa_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2004, Nr. 6, S. 45 f.

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Alternative zum Institut der Prozesskostenhilfe angesehen werden.191 An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass das VerfG RF „Erfolgshonorare“ von Rechtsanwälten der Sache nach für verfassungswidrig erklärt hat.192 2005 hat die russische Regierung die Durchführung eines Experiments beschlossen193 und in 10 Subjekten der Föderation194 jeweils eine staatliche juristische Kanzlei mit 15 Juristen mit dem Auftrag gegründet, Rechtsbeistand für Bürger kostenlos zu erbringen, deren Einkünfte unter dem Existenzminimum195 liegen (also nicht nur in den im RechtsanwaltsG genannten Fällen). Dieser Schritt ist zu begrüßen, er ist aber sicherlich ungenügend.196 Als Fazit lässt sich feststellen, dass der EMRK in Russland trotz des umfassenden Schutzes in der Verfassung bei der Umsetzung des Rechts auf Zugang zu Gericht eine nicht unwichtige Rolle zukommt. Es sind Urteile zu erwarten, in denen die Lage des Rechtsbeistands für Arme geprüft wird. Die schon ergangenen Urteile zeigen Mängel in der Gerichtsorganisation auf und verpflichten die Russische Föderation, entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen. Bis jetzt nahm das Ministerkomitee des Europarates an, dass die Veröffentlichung der Urteile des EGMR in Russland und deren Verbreitung unter den russischen Gerichten vom OG RF zur Vermeidung ähnlicher Konventionsverletzungen ausreichen.197

191 Ausführlich zur Beteiligung der Staatsanwaltschaft am Zivilprozess nach der alten und neuen ZPO siehe oben Kap. 5, S. 186 ff. 192 VerfG RF, Urt. vom 23. 01. 2007 (Nr. 1-@), SZ RF 2007, Pos. 828. Ausführlich dazu Karraß/Wedde, Erfolgshonorare im Kreuzfeuer, Osteuropa-Recht 2007, 402 ff. 193 Regierung RF, Verordnung vom 22. 08. 2005 (Nr. 534), SZ RF 2005, Nr. 35, Pos. 3615. 194 Im Übrigen in Regionen, aus denen die meisten Beschwerden zum EGMR kommen, þY\db, BYbcV]Q oaYUYhVb[_Z `_]_jY ]Q\_Y]djY] ^dWUQVcbp S b_SVaiV^bcS_SQ^YY, 1US_[Qc 2006, Nr. 1, zit. nach RIS „Garant“, worin auch der Einfluss der EMRK gesehen werden kann! 195 Bundesgesetz RF vom 24. 10. 1997 „Über das Existenzminimum“ (Nr. 134-E8), sieht eine Festlegung des Existenzminimums bundesweit und in den einzelnen Subjekten der Föderation vor. 196 Am 21. 11. 2011 wurde das Bundesgesetz RF „Über den kostenlosen Rechtsbeistand“ (Nr. 324-E8) verabschiedet, SZ RF 2011, Nr. 48, Pos. 6725. Das Gesetz tritt am 15. 01. 2012 in Kraft und sieht verschiedene Maßnahmen zur Sicherstellung des Rechtsbeistandes für Arme in ganz Russland vor. Es bleibt aber abzuwarten, wie das Gesetz umgesetzt wird. 197 Europarat, MK, Resolution CM/ResDH(2008)17 vom 27. 03. 2008 (zur Umsetzung der Urteile des EGMR in den Fällen Dubinskaya v. Russia, Popova v. Russia, Sukhorubchenko v. Russia); Resolution CM/ResDH(2011)152 vom 14. 09. 2011 (zur Umsetzung des Urteils des EGMR im Fall Bezymyannaya v. Russia).

§ 2 Recht auf Beachtung der Rechtskraft und Wiederaufnahme des Verfahrens

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§ 2 Recht auf Beachtung der Rechtskraft und Wiederaufnahme des Verfahrens I. Judikatur des EGMR 1. Begründung des Anspruchs Aus der Rechtsprechung des EGMR folgt, dass Parteien eines entschiedenen Rechtsstreites das Recht auf Beachtung der Rechtskraft haben. Der EGMR hat dies damit begründet, dass das Recht auf ein faires Verfahren im Lichte der Präambel zur Konvention zu sehen ist. In der Präambel ist das Rechtsstaatlichkeitsprinzip verankert, aus diesem lässt sich wiederum der Grundsatz der Rechtssicherheit198 ableiten.199 Das Recht auf Zugang zu Gericht wäre sinnlos, wenn das Rechtssystem eines Vertragsstaates zulassen würde, dass eine bindende Gerichtsentscheidung zu Lasten einer der Parteien ohne zwingende Gründe aufgehoben werden könnte.200 2. Inhalt und Umfang des Anspruchs Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich unzulässig. Ein rechtskräftig entschiedener Fall darf nicht in Frage gestellt werden,201 auch wenn ein höheres Gericht findet, dass der Fall falsch ent-

198 Es sei hier darauf hingewiesen, dass der EGMR in der jüngsten Rechtsprechung gelegentlich zum Ergebnis kam, dass uneinheitliche Rechtsprechung innerstaatlicher Gerichte mit dem Prinzip der Rechtssicherheit und somit mit Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbar war, vgl. etwa EGMR, Urt. vom 24. 03. 2009 (Nr. 21911/03), Tudor Tudor v. Romania, Z. 26 ff.; Urt. vom 02. 11. 2010 (Nr. 38155/02), S¸tefa˘nica˘ and Others v. Romania, Z. 31 ff. Damit scheit der EGMR das Recht auf eine einheitliche Rechtsprechung in gewissem Maße anerkannt zu haben. Dennoch hat die Große Kammer des EGMR neulich betont, dass es nicht die Aufgabe des Gerichtshofs sei, einzuschreiten, nur weil es zu sich widersprechenden Entscheidungen gekommen ist. Seine Rolle sei auf Fälle beschränkt, in denen die angefochtene Entscheidung offensichtlich willkürlich ist, vgl. EGMR (GK), Urteil vom 20. 10. 2011 (Nr. 13279/05), Nejdet S¸ahin and Perihan S¸ahin v. Turkey, Z. 88 f. (keine Verletzung, mit 10 zu 7 Stimmen). 199 EGMR (GK), Urt. vom 28. 10. 1999 (Nr. 28342/95), Brumarescu v. Romania, Z. 61; siehe hierzu aber das Sondervotum der Richter Pratza und Zupancic, die dies als eine Verletzung der Waffengleichheit im Verfahren klassifizierten. 200 EGMR, Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 52854/99), Ryabykh v. Russia, Z. 52. 201 EGMR, Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 11989/03), Margushin v. Russia, Z. 31: „[A quashing of final judgment] is justified only when made necessary by circumstances of a substantial and compelling character, such as correction of fundamental defects or miscarriage of justice“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 9549/05), Panasenko v. Russia, Z. 24: „The Court reiterates its constant approach that a jurisdictional error, a serious breach of court procedure or abuses of power may, in principle, be regarded as a fundamental defect and therefore justify the quashing“. In Bezug auf Strafsachen sieht Art. 4 Abs. 2 des 7. ZP zur EMRK 1984 eine Wiederaufnahme des Verfahren ausdrücklich vor, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

schieden wurde.202 Ebenso wenig rechtfertigen die Unmöglichkeit einer Zwangsvollstreckung203 oder eine wirtschaftliche Krise204 die Aufhebung des Urteils. Nur ein schwerer Rechtsfehler kann dies rechtfertigen.205 Die meisten Urteile des EGMR bezüglich des Rechts auf Beachtung der Rechtskraft ergingen zum so genannten Institut des Aufsichtsverfahrens (sudebnyj nadzor), das in vielen Staaten Osteuropas verbreitet war. Der EGMR hatte folgende Kritikpunkte an diesem Institut: (1) Keine Zeitgrenze für die Aufhebung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen,206 was dadurch verschärft wurde, dass das Aufsichtsverfahren beliebig oft eingeleitet werden könnte.207 (2) Die Einleitung des Aufsichtsverfahrens stand im Ermessen staatlicher Bediensteter und nicht zur Disposition der Parteien. (3) Kein Erfordernis der Rechtsmittelerschöpfung vor der Einleitung des Aufsichtsverfahrens (z. B. in der Appellationsinstanz).208 (4) Keine inhaltliche Begrenzung des Aufsichtsverfahrens (die Urteilsaufhebungsgründe im Aufsichtsverfahren waren identisch mit solchen in anderen Rechtsmittelverfahren und dienten nicht der Behebung von fundamentalen Fehlern).209 In einigen Urteilen führte der EGMR aus, dass das Institut des Aufsichtsverfahrens als extraordinäres Überprüfungsmittel als solches mit dem Recht auf Beachtung der Rechtskraft unvereinbar ist.210 Später hat der EGMR jedoch anerkannt, dass die Durchbrechung der Rechtskraft auch im Aufsichtverfahren gerechtfertigt sein kann.211 Eine andere Auffassung vertritt der EGMR jedoch in Bezug auf Rechtsordnungen, in denen die Überprüfung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen nicht als ein extraordinäres Mittel (wie das Institut des Aufsichtsverfahrens) etabliert, sondern Teil eines ganz normalen Rechtsweges ist. Folgende Merkmale gehören dazu: (1) Das Rechtsmittel ist direkt zugänglich für die Parteien. (2) Das Überprüfungsverfahren wird durch Parteien, nicht durch Beamte, eingeleitet. (3) Die Möglichkeit, eine Überprüfung zu veranlassen, ist durch relativ kurze Fristen begrenzt. (4) Das Rechtsmittelgericht ist eine Art Kassationsinstanz, die die Rechtmäßigkeit der an-

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EGMR, Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 20887/03), Kot v. Russia, Z. 29. EGMR, Urt. vom 01. 03. 2007 (Nr. 38368/04), Sypchenko v. Russia, Z. 29. 204 Vgl. EGMR, Urt. vom 15. 04. 2006 (Nr. 17667/03 u. a.), Macovei and Others v. Moldova. 205 EGMR, Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 52854/99), Ryabykh v. Russia, Z. 52. 206 EGMR (GK), Urt. vom 28. 10. 1999 (Nr. 28342/95), Brumarescu v. Romania, Z. 62. 207 EGMR, Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 3852/02), Uglanova v. Russia, Z. 5 ff., 208 EGMR, Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 14502/04), Nelyubin v. Russia, Z. 29 f. 209 EGMR, Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30674/03), Gavrilenko v. Russia, Z. 37. 210 EGMR, Urt. vom 25. 07. 2002 (Nr. 48553/99), Sovtransavto Holding v. Ukraine, Z. 77; Urt. vom 11. 01. 2007 (Nr. 42872/02), Cornif v. Romania, Z. 32. 211 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 2202/05), Tishkevich v. Russia, Z. 25 f. (fehlende Ladung des Beklagten); Urt. vom 31. 07. 2008 (Nr. 13151/04), Protsenko v. Russia, Z. 25 ff. (fehlende Ladung eines Dritten, dessen Rechte das Urteil beeinflusste); EGMR, Ent. vom 17. 02. 2009 (Nr. 39654/07), Podrugina and Yedinov v. Russia (rechtskräftiges Urteil zwischen denselben Parteien in derselben Sache, das früher erlassen wurde). 203

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gefochtenen Entscheidung überprüft.212 In diesem Fall war das bulgarische Recht auf dem Prüfstand, das das Aufsichtsverfahren sowjetischen Musters 1990 abgeschafft und stattdessen ein neues Verfahren eingeführt hatte. Danach können rechtskräftige Entscheidungen zwei Monate nach ihrem Wirksamwerden von den Parteien vor einer dritten Instanz angefochten werden. Folglich sind die Entscheidungen zwei Monate lang zwar rechtskräftig, aber nicht endgültig. Der EGMR betrachtet das als eine Besonderheit der Rechtsordnung Bulgariens und sieht darin an sich keinen Verstoß gegen das Recht auf Beachtung der Rechtskraft.213 Der EGMR schließt die Überprüfung von rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen auch nach längerer Zeit jedoch nicht völlig aus. Der EGMR prüft, ob im konkreten Fall durch die Wiederaufnahme des Verfahrens eine gerechte Abwägung zwischen den Interessen der Persönlichkeit und der Effektivität der Justiz gegeben ist.214 Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur aus ganz besonderen Gründen ausnahmsweise zur Beseitigung schwerer Justizirrtümer zulässig sein, wenn die Umstände des Falles dies unbedingt erfordern,215 z. B. wenn entscheidungserhebliche Beweismittel nach Ablauf des Verfahrens bekannt werden und vorher nicht bekannt sein konnten (neu bekannt gewordene Tatsachen)216 oder das Urteil durch Betrug erwirkt wurde.217 Wenn der Partei das Beweismittel vorher bekannt war oder bekannt sein konnte und die Wiederaufnahme trotzdVm durchgeführt wird, verstößt das gegen das Recht auf Beachtung der Rechtskraft.218 Nach Ende des Verfahrens entstandene Tatsachen rechtfertigen dessen Wiederaufnahme grundsätzlich nicht.219 Eine Änderung der Rechtslage, etwa durch Erläuterung einer zuständigen Behörde220 oder Rechtsprechung oberer Gerichte,221 ist keine neu bekannt gewordene Tatsache und rechtfertigt die Wiederaufnahme des Verfahrens ebenfalls nicht.

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EGMR, Urt. vom 10. 08. 2006 (Nr. 40476/98), Yanakiev v. Bulgaria, Z. 65. Ebenda, Z. 65 ff. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der EGMR in Bezug auf das reformierte Institut des Aufsichtsverfahrens nach der WirtPO RF, vgl. Ent. vom 25. 06. 2009 (Nr. 42600/05), OOO „Link Oil SPB“ v. Russia; Ent. vom 25. 06. 2009 (Nr. 6025/09), Kovaleva and Others v. Russia. 214 EGMR, Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 24247/04), Prisyazhnikova and Dolgopolov v. Russia, Z. 24. 215 EGMR, Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 52854/99), Ryabykh v. Russia, Z. 52; Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 14853/03), Borshchevskiy v. Russia, Z. 48. 216 EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 69529/01), Pravednaya v. Russia, Z. 27 f. 217 EGMR, Urt. vom 03. 02. 2011 (Nr. 6571/04), Igor Vasilchenko v. Russia, Z. 59 ff. 218 EGMR, Urt. vom 06. 12. 2005 (Nr. 19960/04), Popov v. Moldova (no. 2), Z. 47 ff.; Urt. vom 19. 12. 2006 (Nr. 14385/04), Oferta Plus SRL v. Moldova, Z. 102 ff. 219 EGMR, Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 69524/01), Bulgakova v. Russia, Z. 39. 220 Ebenda, Z. 43. 221 EGMR, Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 53051/08), Koloskova v. Russia, Z. 13 f. (in Bezug auf das OG RF); Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 3784/04), Rodichev v. Russia, Z. 18 (in Bezug auf das VerfG RF). 213

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

Wenn in einem Rechtsstreit zwischen Bürgern und einer Behörde das Eigentum an einem Grundstück den Bürgern zugesprochen wurde, verstößt die Übertragung des Eigentums auf den Staat infolge der Klage einer anderen Behörde bei demselben Sachverhalt gegen das Recht auf Beachtung der Rechtskraft.222 Dasselbe gilt, wenn durch ein endgültiges Urteil die Verjährung des Anspruchs auf Schadensersatz verneint wird, später aber die Klage auf zusätzlichen Schadensersatz aufgrund einer im ersten Verfahren verneinten Verjährung abgewiesen wird.223 Das Recht auf Beachtung der Rechtskraft ist auch verletzt, wenn eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung infolge einer Kassationsbeschwerde aufgehoben wird, die nach Ablauf der Beschwerdefrist eingelegt wurde und keine Gründe für die Versäumnis dieser Frist enthielt, ohne dass das Gericht die Verlängerung der Beschwerdefrist begründet hätte.224 Auch die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neu bekannt gewordener Tatsachen muss begründet werden.225 Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann sogar von Konvention wegen geboten sein. In Betracht kommen hier vor allem gravierende Verstöße gegen die Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK. In einem Urteil hat der EGMR z. B. einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf Zugang zu Gericht) festgestellt, weil der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens als verjährt abgelehnt wurde (fünf Jahre nach der Veröffentlichung der Entscheidung im Amtsblatt), obwohl die Gerichtsentscheidung gegen ihn in Abwesenheit erlassen und er wegen Verschuldens des Richters zum Verfahren nicht geladen worden war.226 In einem anderen Urteil hat der EGMR etwa festgestellt, dass der Schutz der Rechtssicherheit nicht als Argument ausreicht, um dem Beschwerdeführer das Recht auf Kenntnis seiner Abstammung zu entziehen. Hier ging es um den Antrag auf Durchführung eines DNA-Tests an einem Verstorbenen, um die angenommene Vaterschaft nachzuweisen, die schon durch eine rechtskräftige Entscheidung aus dem Jahre 1948 verneint worden war. Schweizer Gerichte haben den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt, daraufhin stellte der EGMR einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) fest.227 Zum anderen empfiehlt der EGMR die Wiederaufnahme des Verfahrens trotz res judicata den Konventionsstaaten ja selbst, wenn das innerstaatliche Verfahren unter Verstoß gegen die EMRK zustande gekommen ist.228 In eigener Sache scheint der EGMR, was die 222 EGMR, Urt. vom 12. 01. 2006 (Nr. 47797/99 u. a.), Kehaya and Others v. Bulgaria, Z. 59 ff. 223 EGMR, Urt. vom 27. 07. 2006 (Nr. 71867/01 u. a.), Gök et autres c. Turquie, Z. 56 ff. 224 EGMR, Urt. vom 14. 11. 2006 (Nr. 6923/03), Melnic v. Moldova, Z. 41. 225 EGMR, Urt. vom 06. 12. 2005 (Nr. 19960/04), Popov v. Moldova (no. 2), Z. 50 f. 226 EGMR, Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 423/03), Díaz Ochoa c. Espagne, Z. 41 ff. 227 EGMR, Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 58757/00), Jäggi v. Switzerland, Z. 28 ff. (mit 5 zu 2 Stimmen). 228 Vgl. EGMR, Urt. vom 29. 07. 2008 (Nr. 26105/03), Mitrea v. Romania, Z. 25: „However, the requirements of legal certainty are not absolute. The Court itself recommends sometimes the re-opening of proceedings as the most appropriate reparatory measure when the domestic

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Anforderungen in Bezug auf res judicata angeht, großzügig zu sein.229 Dies kann damit erklärt werden, dass die Wiederaufnahme seines Verfahrens ausschließlich den Bürgern zu Gute kommt. II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland Bis Ende 2011 hat der EGMR das Recht auf Beachtung der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen (res judicata) in 138 Urteilen gegen Russland als verletzt angesehen. Dabei ging es um die Aufhebung von Leistungsurteilen (überwiegend gegen den Staat) im Wege des so genannten Aufsichtsverfahrens (114 Urteile) sowie wegen neu bekannt gewordener Tatsachen (24 Urteile).230 2. Institut des Aufsichtsverfahrens (nadzor) Das im ehemaligen Ostblock früher verbreitete und dem Recht der westeuropäischen Staaten unbekannte Institut des Aufsichtsverfahrens, in dem rechtskräftige Gerichtsentscheidungen in höheren Instanzen überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden, ist besonders in die Kritik des EGMR geraten. Der Ursprung dieses Instituts ist in der Literatur umstritten. Nach einer Auffassung liegt er in der Macht des russischen Zaren, beliebige Gerichtsentscheidungen aufzuheben.231 Nach Fincke wurde ein ähnliches Institut im Zarenreich durch die Rechtsprechung des Senats

proceedings have not satisfied the Article 6 requirements (see, among other authorities, Lungoci v. Romania, no. 62710/00, § 56, 26 January 2006)“. Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung R (2000)2 vom 19. 01. 2000, wonach eine Wiederaufnahme des Verfahrens besonders notwendig ist, wenn (dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 2004, 808 f.): „(i) die verletzte Partei wegen der innerstaatlichen Entscheidung weiterhin an sehr schwerwiegenden Folgen leidet, die mit der gerechten Entschädigung nicht behoben, sondern nur durch Wiedererwägung oder Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt werden können, und (ii) aus dem Urteil des EGMR hervorgeht, dass (a) die angefochtene innerstaatliche Entscheidung materiell in Widerspruch zur EMRK steht oder (b) die festgestellte Verletzung auf Verfahrensfehler oder -mängel zurückgeht, die derart schwer wiegen, dass ernsthafte Zweifel am Ausgang des angefochtenen innerstaatlichen Verfahrens bestehen“ (Z. II). 229 Vgl. EGMR, Urt. vom 16. 06. 2005 (Nr. 61603/00), Storck v. Germany, Z. 67: „The Court concedes that neither the Convention nor the Rules of Court expressly provide for the reopening of proceedings before the Court (…). However, in exceptional circumstances, where there has been a manifest error of fact or in the assessment of the relevant admissibility requirements, the Court does have, in the interests of justice, the inherent power to reopen a case which had been declared inadmissible and to rectify those errors (…)“. 230 Vgl. Anhang III lit. G, S. 313 ff. 231 B]l[Q\Y^, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 3, S. 42.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

(damals das Oberste Gerichtsorgan) aufgebaut.232 Nach Abschaffung des zaristischen Gerichtssystems233 hat 1917 – 1922 die neue Exekutive (das Volkskommissariat für Justiz und der Rat der Volkskommissare der RSFSR) zur Durchführung ihrer Politik die aufsichtliche Überprüfung von Gerichtsentscheidungen wahrgenommen, unabhängig davon, ob sie rechtskräftig waren oder nicht.234 Später wurden höchste Gerichte mit der Aufgabe betraut, Aufsicht in Bezug auf rechtskräftige Gerichtsentscheidungen auszuüben (vgl. z. B. Art. 254 ZPO RSFSR235 1923; Artt. 10 ff. Grundlagen des Gerichtswesens der UdSSR und der Unionsrepubliken236 1924), das letzte Wort hatte nach wie vor das Zentralexekutivkomitee der UdSSR (Art. 43 lit. b, Art. 46 Verfassung237 UdSSR 1924). Die direkte Ermächtigung der Exekutive, Gerichtsentscheidungen aufzuheben, wurde in der Verfassung238 der UdSSR 1936 gestrichen. Das Oberste Gericht der UdSSR wurde zur obersten Gerichtsaufsichtsinstanz (Art. 104). Später hat man auch den Obersten Gerichten der Unionsrepubliken sowie Regionalgerichten die Aufsichtskompetenz zugeteilt, die von einem speziell gebildeten Spruchkörper (Präsidium) wahrgenommen wurde.239 Das Aufsichtsverfahren wurde in Prozessgesetzen geregelt, für das Zivilverfahren in der ZPO RSFSR 1964. Obwohl in Bezug auf die Instanzen, welche die Gerichtsaufsicht ausübten, mehrfach reformiert, war dieses Institut im Sowjetrecht immer durch folgende Merkmale gekennzeichnet: – es gab keine Fristen für die Einleitung des Aufsichtsverfahrens und folglich für die Aufhebung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen; – im Aufsichtsverfahren konnte jede (auch eine schon mehrfach im Aufsichtsverfahren überprüfte) Gerichtsentscheidung überprüft und aufgehoben werden;240 232 Fincke, Die aufsichtliche Überprüfung rechtskräftiger Strafurteile im Sovietrecht, S. 32 ff. 233 Rat der Volkskommissare RSFSR, Dekret vom 24. 11. 1917 „Justizdekret Nr. 1“, SU RSFSR 1917, Nr. 4, Pos. 50; dt. Übersetzung in: Osteuropa-Institut Breslau (Hrsg.), Die Gesetzgebung der Bolschewiki (1920), S. 131. 234 IY^U, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1957, Nr. 3, S. 103 ff. 235 SU RSFSR 1923, Nr. 46/47, Pos. 478. 236 SZ SSSR 1924, Nr. 23, Pos. 203. 237 Vestnik CIK, SNK i STO SSSR 1924, Nr. 2, Pos. 24; dt. Übersetzung in: Eljaschoff, Die Grundzüge der Sowjetverfassung (1925), S. 85 ff. 238 Izvestija CIK SSSR i VCIK vom 06. 12. 1936 (Nr. 283); dt. Übersetzung in: Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, S. 47 ff. 239 Präsidium des Obersten Sowjets UdSSR, Erlass vom 14. 08. 1954 (o.N.), VVS SSSR 1954, Nr. 17, Pos. 360. 240 Ein gutes Beispiel dafür liefert der Sachverhalt, der dem Urteil des EGMR vom 21. 09. 2006 (Nr. 3852/02), Uglanova v. Russia, Z. 5 ff., zu Grunde lag: Hier haben Aufsichtsinstanzen Entscheidungen unterer Gerichte in derselben Sache vier Mal (!) aufgehoben. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 52854/99), Ryabykh v. Russia, Z. 13 ff. (dreimalige Aufhebung).

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– Gründe für die Aufhebung von Urteilen im Aufsichtsverfahren waren deren Unbegründetheit sowie wesentliche Verstöße gegen die Normen des materiellen oder prozessualen Rechts, vgl. Art. 330 Abs. 1 ZPO RSFSR (a.F.);241 – die Einleitung des Aufsichtsverfahrens stand ausschließlich im pflichtgemäßen Ermessen von höheren Staatsanwälten sowie Vorsitzenden höherer Gerichte und nicht zur Disposition der Parteien; falls Anhaltspunkte gegeben waren, mussten Aufsichtsrechtsmittel (protest) eingelegt werden, unabhängig davon, ob die Parteien eine weitere Verhandlung über die gefallene Entscheidung wünschten, vgl. Art. 324 ZPO RSFSR; – eine Erschöpfung des Rechtsweges vor Einleitung eines Aufsichtsverfahrens war nicht vorgesehen.242 Die Aufsichtsinstanz war verpflichtet, die angefochtene Entscheidung in vollem Umfang zu überprüfen, auch hinsichtlich des nicht angefochtenen Teils sowie in Bezug auf Personen, die im Protest nicht genannt waren (Art. 327 ZPO RSFSR). Die Aufsichtsinstanz war befugt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und neu in der Sache zu entscheiden sowie die Sache zur erneuten Verhandlung an ein unteres Gericht zurückzuverweisen, wenn ein neuer Prozess zur Beseitigung von Fehlern notwendig war (Art. 329 ZPO RSFSR). Die Weisungen der Aufsichtsinstanz waren für das erneut in der Sache verhandelnde Gericht bindend (Art. 331 Abs. 1 ZPO RSFSR). Die ermächtigten Beamten haben das Aufsichtsverfahren verhältnismäßig selten in Anspruch genommen,243 es war aber äußerst effektiv. Im Jahre 1969 z. B. wurden 95,2 % aller Proteste zur Aufhebung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen in Zivilsachen stattgegeben.244 Nach der sowjetischen Rechtswissenschaft stellten Ideen Lenins die Grundlage für das Institut des Aufsichtsverfahrens dar, um die sozialistische Gesetzlichkeit auch gegen den Willen der Parteien245 durchzusetzen.246 Die tatsächliche Gerechtigkeit musste höher stehen als die formelle Rechtssicherheit. „Der sowjetische Gesetzgeber unterstützt die Stabilität eines bereits rechtskräftigen Urteils nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich herausstellt, dass das Urteil den tatsächlichen Umständen der 241 Auch wenn die Gründe für die Aufhebung von Gerichtsentscheidungen im Aufsichtsverfahren enger als im Kassationsverfahren formuliert waren (vgl. Art. 306 ZPO RSFSR), wurden sie in der Praxis jedoch identisch behandelt, CadR^Y[_S, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1970, Nr. 9, S. 45. 242 Nach CadR^Y[_S, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1970, Nr. 2, S. 31, wurde über die 75 % im Aufsichtsverfahren überprüften Fälle in der Berufungsinstanz nicht verhandelt. Das kann dadurch erklärt werden, dass im Unterschied zur Berufung die Einleitung des Aufsichtsverfahrens frei von Gerichtsgebühren war. 243 1968 hat man in Aufsichtsverfahren etwa 1 % aller Zivilurteile angefochten, CadR^Y[_S, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1970, Nr. 2, S. 25 Fn. 5. 244 CadR^Y[_S, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1970, Nr. 9, S. 47. 245 Lenin: „Wir müssen die Einmischung des Staates in private Beziehungen erweitern“, zit. nach 5_Ra_S_\mb[YZ, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1957, Nr. 4, S. 64. 246 CadR^Y[_S, B_SVcb[_V T_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1970, Nr. 9, S. 41.

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Sache (…) nicht entspricht“.247 Das Institut des Aufsichtsverfahrens kann man zusätzlich mit folgenden Argumenten begründen: Es sei eine zusätzliche Garantie zum Schutz der Rechte der Bürger, weil nicht alle Fehler in der Berufungsinstanz beseitigt werden können (Die Qualität der Rechtsprechung unterer Gerichte RF sei gering); das Institut des Aufsichtsverfahrens diene der Vereinheitlichung der Rechtsprechung; die Befugnis des OG RF zur Gerichtsaufsicht sei unmittelbar durch Art. 126 Verf. RF248 1993 garantiert.249 In der sowjetischen Literatur ist das Aufsichtsverfahren zum Teil auf Kritik gestoßen. Kritisiert wurde vor allem die Vielzahl der Aufsichtsinstanzen, dadurch sei das Institut der Rechtskraft der Entscheidung (res judicata) praktisch beseitigt.250 Die Befugnis der Gerichtsvorsitzenden, das Aufsichtsverfahren im eigenen Gericht einzuleiten, sei mit dem Prinzip der Unbefangenheit unvereinbar.251 Es wurde der Vorschlag unterbreitet, das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung einzuführen, bevor man ein Aufsichtsverfahren einleiten dürfe.252 Im Westen hat man die sowjetische Erfindung vorwiegend als ein typisches Institut des totalitären Staates bewertet, mit dessen Hilfe die politische Führung unerwünschte Gerichtsentscheidungen beseitigen konnte.253 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der EGMR das Aufsichtsverfahren als unvereinbar mit der EMRK angesehen hat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat der russische Gesetzgeber das Aufsichtsverfahren zum Teil reformiert. Es wurde versucht, eine Balance zwischen der Dispositionsmaxime und dem Prinzip der Wahrheitsfindung zu erreichen, sowie die Gerichte zu entlasten. 1995 wurde die Möglichkeit begrenzt, die angefochtene Entscheidung in vollem Umfang zu überprüfen sowie neue Beweise im Aufsichtsverfahren zu führen (Art. 327 ZPO RSFSR i. d. F. von 1995). Man hat die Unbe247

Tscheljzow, zit. nach Valters, Osteuropa-Recht 1955, 38. Art. 126 Verf. RF 1993 lautet: „Das Oberste Gericht der Russischen Föderation ist das höchste Gerichtsorgan für Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und andere Sachen, für die die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständig sind, führt die Aufsicht über deren Tätigkeit in den durch ein Bundesgesetz vorgesehenen prozessualen Formen und gibt Erläuterungen zu Fragen der Rechtsprechung“. 249 Mit diesen Argumenten hat etwa das OG RF die Beibehaltung des Instituts des Aufsichtsverfahrens in der ZPO RF 2002 begründet, vgl. Begründung zum Entwurf einer ZPO RF (Nr. 44004-3), in die Staatsduma eingebracht durch OG RF, Plenumsbeschl. vom 25. 12. 2000 (Nr. 37), Z. 9, zit. nach RIS „Garant“. 250 4a_R_SV^[_, @VaVb]_ca `aYT_S_a_S Sbcd`YSiYf S XQ[_^^do bY\d S b_SVcb[_] dT_\_S^_] `a_gVbbV, S. 7 ff. 251 FS_bc_S, B_gYQ\YbcYhVb[Qp XQ[_^^_bcm 1963, Nr. 1, S. 20. 252 2Qcda_S/;\V^_S/EY\Y``_S, @aQS_SVUV^YV 1966, Nr. 1, S. 135. 253 Valters, Osteuropa-Recht 1955, 40: „Das Aufsichtsverfahren ist eine Institution zur politischen Kontrolle der Gerichtsorgane“; Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung, S. 288; Fincke, Die aufsichtliche Überprüfung rechtskräftiger Strafurteile im Sovetrecht, S. 293 ff. Schröder, Das Oberste Gericht der UdSSR, S. 45, vertritt die Auffassung, dass die Hauptursache für die Entstehung und Existenz des Instituts des Aufsichtsverfahrens die schlechte Ausbildung der Richter sei. Vgl. auch Nußberger, EuGRZ 1998, 109 m.w.N. 248

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gründetheit der Entscheidung als Grund für ihre Aufhebung gestrichen (vgl. Art. 330 Abs. 1 ZPO RSFSR i. d. F. von 1995).254 1997 wurden Gebühren für einige Anträge der Parteien auf Einleitung des Aufsichtsverfahrens eingeführt.255 Im Wesentlichen blieb das Institut der Gerichtsaufsicht aber unverändert. Das Institut der Gerichtsaufsicht sowjetischen Musters wurde vom VerfG RF mehrfach auf Vereinbarkeit mit der neuen russischen Verfassung 1993 überprüft.256 Dabei wurden die wesentlichen oben dargestellten Merkmale des Instituts nicht beanstandet. Das VerfG RF hat das Aufsichtsverfahren vielmehr als eine zusätzliche Garantie der Gesetzlichkeit und Begründetheit rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen bezeichnet.257 Durch die ZPO-Reform 2002 hat der russische Gesetzgeber versucht, das Institut der Gerichtsaufsicht in Übereinstimmung mit den Anforderungen der EMRK zu bringen. Gerade dieses Institut wurde nach Einschätzung der Literatur am meisten geändert.258 Es wurde vor allem bestimmt, dass das Antragsrecht auf Einleitung des Aufsichtsverfahrens ausschließlich den Verfahrensbeteiligten selbst sowie Personen, deren Rechte durch die Gerichtsentscheidung beeinträchtigt wurden, zusteht (Art. 376 ZPO RF). Die Staatsanwaltschaft behielt ihr Antragsrecht lediglich für die Fälle, in denen sie beteiligt war (Art. 376 Abs. 3 ZPO RF). Außerdem wurde eine einjährige Frist eingeführt, binnen der die Überprüfung im Aufsichtsverfahren beantragt werden kann (Art. 376 Abs. 2 ZPO RF). Die Aufhebungsgründe blieben unverändert – also wesentliche Verstöße gegen die Normen des materiellen oder prozessualen Rechts (Art. 387 ZPO RF) – ebenso die Mehrzahl der Aufsichtsinstanzen: Das sind das Präsidium der Gerichte der Subjekte der RF, das Kollegium für Zivilsachen des Obersten Gerichts (OG) RF sowie das Präsidium des OG RF (Art. 377 Abs. 2 ZPO RF). Der Antrag auf Aufsichtsüberprüfung konnte nach wie vor auch ohne Erschöpfung des Rechtsweges gestellt werden. Der Antrag einer Partei führt nicht automatisch zu einer Überprüfung durch die Aufsichtsinstanz. Zunächst entscheidet ein Einzelrichter innerhalb eines Monats (im OG RF zwei Monate) über die Annahme des Antrages zur Entscheidung (Art. 381 Abs. 1 ZPO RF). Der Richter muss die Akten anfordern, wenn Zweifel an der Gesetzlichkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen, oder den Antrag abweisen (Art. 381 Abs. 2 ZPO RF). Wenn die Akten angefordert worden sind, entscheidet der Richter innerhalb von zwei Monaten (im OG RF vier Monate), ob die Entscheidung 254 Dies hat jedoch keinen spürbaren Einfluss auf die Gerichtspraxis gehabt; Gerichte im Aufsichts- und Kassationsverfahren wandten nach wie vor im Wesentlichen gleiche Maßstäbe an; 1\V[bVVSQ/=_d\/FQaRY, 6Sa_`VZb[Qp [_^SV^gYp _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U. BcQcmp 6, S. 147. 255 Art. 4 Gesetzes über staatliche Gebühren 1991 (i. d. F. von 1997), SZ RF 1997, Nr. 29, Pos. 3506. 256 Übersicht der Rechtsprechung des VerfG RF in Bezug auf das Institut der Gerichtsaufsicht bei van den Berg, in: Clark/Feldbrugge/Pomorski (Hrsg.), FS Ginsburgs, S. 59 ff.; þ_SY[-;QhQ^, 1US_[Qc 2002, Nr. 5, S. 20 ff. 257 Statt vieler VerfG RF, Beschl. vom 26. 10. 2000 (Nr. 248-O). 258 1^UaVVSQ, F_XpZbcS_ Y `aQS_ 2004, Nr. 8, S. 3.

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zur Überprüfung der Aufsichtsinstanz vorgelegt werden muss (Art. 382 Abs. 1, 2 ZPO RF). Die Aufsichtsinstanz entscheidet dann, ob dem Antrag stattzugeben ist. Trotz der Reform wurde das Institut der Gerichtsaufsicht nicht grundlegend verändert. Auch früher hat man die aufsichtliche Überprüfung meistens als Reaktion auf Beschwerden der Parteien eingeleitet. Das unbefristete Recht des Vorsitzenden des OG RF sowie seines Stellvertreters, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Aufsichtsüberprüfung zu veranlassen, blieb bestehen (Art. 389 ZPO RF). Die Mehrzahl der Aufsichtsinstanzen (Präsidium der Gerichte der Subjekte der RF, Gerichtskollegium für Zivilsachen des OG RF und Präsidium des OG RF) sowie die Erklärung des OG RF, dass jeder Antrag die Jahresfrist für die Einlegung der Aufsichtsbeschwerde unterbricht259 und die Frist neu zu laufen beginnt, haben nicht wirklich viel zur Rechtssicherheit beigetragen. Deswegen verwundert es nicht, dass auch das reformierte Institut der Gerichtsaufsicht vom EGMR mit dem Recht auf Beachtung der Rechtskraft als unvereinbar angesehen wurde.260 Das Ministerkomitee des Europarates, das die Umsetzung der Urteile des EGMR überwacht (Art. 46 EMRK), hat 2006 eine Zwischenresolution verabschiedet und das Institut der Gerichtsaufsicht als ein strukturelles Problem bezeichnet.261 Das Ministerkomitee hat die durchgeführte Reform begrüßt, gleichzeitig aber gefordert, die Reform fortzusetzen.262 Es wurden folgende Eckpunkte festgehalten: – continue to restrict progressively the use of the „nadzor“ procedure, in particular through stricter time-limits for nadzor applications and limitation of permissible grounds for this procedure so as to encompass only the most serious violations of the law; – to ensure that the „nadzor“ procedure respects the requirements of a fair trial, including the adversarial principle, the equality of arms, etc; – to simplify the current „nadzor“ procedure, thus making it more expeditious; – to limit as much as possible the number of successive applications for supervisory review that may be lodged in the same case; – to discourage frivolous and abusive applications for supervisory review which amount to a further disguised appeal motivated by a disagreement with the as259

OG RF, Schreiben vom 21. 07. 2004 (Nr. 52-[_U-2004), zit. nach RIS „Garant“. EGMR, Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 14853/03), Borshchevskiy v. Russia, Z. 45 ff.; Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 24247/04), Prisyazhnikova and Dolgopolov v. Russia, Z. 24 ff.; Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 14502/04), Nelyubin v. Russia, Z. 26 ff. 261 Vgl. Europarat, MK, Interim Resolution ResDH(2006)1 vom 08. 02. 2006. 262 Im Februar 2005 wurde im Europarat eine Tagung mit hochrangigen Vertretern Russlands zum Thema „Supervisory review (nadzor) procedure in the Russian Federation: Prospects for reform in line with the ECHR requirements“ durchgeführt. Auf der Tagung wurde die anstehende Reform des Instituts der Gerichtsaufsicht diskutiert, vgl. Europarat, Dokument CM/ Inf/DH(2005)20 vom 23. 03. 2005: . 260

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sessment made by the lower courts within their competences and in accordance with the law; – to adopt measures inducing the parties adequately to use, as much as possible, the presently available cassation appeal to ensure rectification of judicial errors before judgments become final and enforceable. Das Ministerkomitee erkannte an, dass durch die ZPO-Reform einige Probleme gelöst worden sind, brachte aber Zweifel zum Ausdruck, ob die ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um neue Konventionsverletzungen zu verhindern, und hat beschlossen, das Überwachungsverfahren fortzusetzen. Das Ministerkomitee hat die Regierung RF aufgefordert zu garantieren, den Text der Interim Resolution innerstaatlich bekannt zu geben und im Laufe eines Jahres einen Plan zur Umsetzung allgemeiner Maßnahmen zur Vorbeugung neuer Konventionsverletzungen vorzulegen. Die russische Regierung hat anerkannt, dass durch die durchgeführte Reform nicht alle Probleme beseitigt werden konnten.263 Dazu kommt, dass das VerfG RF im Urteil vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-@)264 das Institut der Gerichtsaufsicht auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft und dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt hat, die Normen des Aufsichtsverfahrens in Übereinstimmung mit den in Russland anerkannten internationalen Standards zu bringen, ohne jedoch eine bestimmte Frist festzusetzen (Z. 8 des Tenors).265 Bereits am nächsten Tag (!) hat das OG RF einen Gesetzesentwurf zur erneuten Reform des ZPO-Aufsichtsverfahrens in die Staatsduma RF eingebracht.266 Am 04. 12. 2007 wurde das Bundesgesetz RF (Nr. 330-E8)267 verabschiedet, in Kraft ist es seit 08. 01. 2008. Die wichtigsten Änderungen sind: Die Frist für die Einleitung des Aufsichtsverfahrens wurde auf sechs Monate verkürzt und von der Erschöpfung aller ordentlichen Rechtsmittel abhängig gemacht, vgl. Art. 376 Abs. 2 ZPO RF (n.F.).268 Die Zahl der Aufsichtsinstanzen wurde verringert (die Vorsitzenden der Gerichte der Subjekte der RF haben das Recht 263

Europarat, MK, Zwischenresolution ResDH(2006)1 vom 08. 02. 2006, Anhang. SZ RF 2007, Nr. 7, Pos. 932, dazu Moyseenko/Wedde, Osteuropa-Recht 2007, 167 ff. 265 Aus Rechtssicherheitsgründen hat das VerfG RF in diesem Urteil davon abgesehen, das Institut der Gerichtsaufsicht für verfassungswidrig zu erklären. Das VerfG RF hat jedoch an der Lösung des Gesetzgebers breite Kritik ausgeübt und einige Normen des Instituts im Lichte der Rechtsprechung des EGMR ausgelegt, z. B. dass die Jahresfrist für die Einleitung des Aufsichtsverfahrens zum Zwecke der Einheitssicherung der Rechtsprechung auch für den Vorsitzenden des OG RF und seinen Stellvertreter gilt und dass diese Richter hierbei ausschließlich auf Antrag der Parteien tätig werden sollen, sowie dass die Einleitung des Aufsichtsverfahrens ausschließlich nach Erschöpfung aller ordentlichen Rechtsmittel möglich ist; vgl. Urteil vom 05. 02. 2007 (Nr. 2-@), Z. 1 und Z. 6 des Tenors. 266 OG RF, Plenumsbeschl. vom 06. 02. 2007 (Nr. 4), zit. nach RIS „Garant“. 267 SZ RF 2007, Nr. 50, Pos. 6243. 268 Nach dem vom OG RF in die Duma eingebrachten Gesetzesentwurf (Art. 1 Z. 2) sollte die Frist lediglich drei Monate betragen, vgl. Anhang zum Plenumsbeschl. des OG RF vom 06. 02. 2007 (Nr. 4), zit. nach RIS „Garant“. 264

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verloren, die Aufsichtsüberprüfung einzuleiten). Der Vorsitzende des OG RF sowie sein Stellvertreter haben das Recht verloren, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung von sich aus die Aufsichtsüberprüfung einzuleiten. Jetzt dürfen sie nur auf Antrag der Betroffenen sowie der Staatsanwaltschaft, soweit sie im Verfahren beteiligt war, tätig werden und nur wenn durch eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung Rechte eines unbestimmten Kreises von Personen, öffentliche Interessen verletzt wurden oder diese unter Verstoß gegen Regeln der Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit der Gerichte ergangen ist (Art. 389 Abs. 1 ZPO RF n.F.). Die Sechsmonatsfrist gilt auch hier (Art. 389 Abs. 2 ZPO RF n.F.). Das OG RF hat auch erklärt, dass diese Frist für alle Aufsichtsinstanzen gleichermaßen gilt und durch die Aufsichtsbeschwerde nicht unterbrochen wird, obwohl die Zeit, während der eine Aufsichtsinstanz sich mit der Beschwerde befasst, nicht mitzurechnen ist.269 Geändert wurden auch die Gründe für die Aufhebung der rechtskräftigen Entscheidungen im Aufsichtsverfahren. Wenn dies früher „grobe Verletzungen des materiellen oder prozessualen Rechts“ waren, vgl. Art. 387 ZPO RF (a.F.), sind es jetzt „grobe Verletzungen des materiellen oder prozessualen Rechts, die den Ausgang des Verfahrens beeinflusst haben und ohne deren Beseitigung Wiederherstellung und Schutz von verletzten Rechten, Freiheiten und gesetzlich geschützten Interessen sowie der Schutz von öffentlichen Interessen nicht möglich sind, vgl. Art. 387 ZPO RF (n.F.). Das OG RF hat darauf hingewiesen, dass diese Gründe mit absoluten Kassationsgründen nicht identisch sind.270 Dabei hat er die Rechtspositionen des EGMR wiedergegeben, dass das Prinzip der Rechtssicherheit das Verbot beinhalte, eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung mit dem Ziel des Aufrollens eines Verfahrens und der Erlangung einer neuen Entscheidung zu überprüfen. Eine andere Auffassung der Aufsichtsinstanz, wie der Fall zu entscheiden wäre, begründet keine Aufhebung oder Änderung der Gerichtsentscheidung einer unteren Instanz.271 Hoffentlich werden diese Änderungen dazu führen, dass die Aufhebung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen in der Tat zur Ausnahme wird. Es bleibt abzuwarten, ob der EGMR diese Maßnahmen für genügend erachtet. Nach vorliegenden Informationen hat das Ministerkomitee des Europarates beschlossen, das Überwachungsverfahren fortzusetzen.272 Angesichts dessen, dass die 269 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 12. 02. 2008 (Nr. 2), Z. 1. Nach Art. 112 Abs. 4 ZPO RF (n.F.) kann die Sechsmonatsfrist für die Aufsichtsbeschwerde durch das Gericht erster Instanz ausnahmsweise wiederhergestellt werden, wenn entschuldigende Gründe vorliegen, die objektiv die Einreichung der Aufsichtsbeschwerde unmöglich gemacht haben und diese Umstände nicht später als ein Jahr nach dem In-Kraft-Treten der angefochtenen Entscheidung vorhanden waren. 270 OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 12. 02. 2008 (Nr. 2), Z. 6 Abs. 2. 271 Ebenda, Z. 6 Abs. 4. 272 Vgl. „The Committee of Ministers has welcomed the reform while noting at this stage that it may need to be complemented by further steps to ensure full compliance with the ECHR’s requirements notably to increase its effectiveness to remedy violations in a clear, predictable and timely manner. The Committee of Ministers has therefore encouraged the authorities to pursue bilateral consultations with the Secretariat with a view to identifying possible out-

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Aufhebung einer Gerichtsentscheidung im Wege der Gerichtsaufsicht, die auf Antrag der Partei binnen zwei Monaten nach ihrem Wirksamwerden eingeleitet worden war, vom EGMR beanstandet wurde,273 ist es äußerst zweifelhaft, dass der EGMR das Aufsichtsverfahren in der gegenwärtigen Form als mit der EMRK vereinbar ansehen wird.274 Gute Gründe sprechen dafür, dass ein Verfahren, bei dem die Rechtskraft mehrfach durchbrochen werden kann, generell mit der EMRK nicht vereinbar ist.275 Meines Erachtens gibt es nur zwei Möglichkeiten, um die Konformität mit der EMRK in diesem Bereich sicherzustellen. Entweder muss das Institut der Gerichtsaufsicht komplett abgeschafft276 oder das vom EGMR nicht beanstandete Model nach der WirtPO RF eingeführt werden.277 Der russische Gesetzgeber hat sich für eine andere Lösung entschieden. Am 09. 12. 2010 wurde das Bundesgesetz RF (Nr. 353-E8)278 verabschiedet, wodurch das Aufsichtsverfahren in der ZPO RF zum 01. 01. 2012 erneut reformiert werden soll. Die einzige Aufsichtsinstanz wird ausschließlich das Präsidium des OG RF bleiben (Art. 391.1 ZPO RF n.F.). Die Frist für die Einleitung des Aufsichtsverfahrens wird nur 3 Monate betragen (Art. 391.2 ZPO RF n.F.). Die Aufhebung einer Entscheidung im Aufsichtverfahren wird nun in folgenden Fällen möglich sein (Art. 391.9 ZPO RF n.F.): (1) Verletzung der Bürger- und Menschenrechte, die durch die Verfassung RF, allgemein anerkannte Prinzipien und Normen des Völkerrechts sowie völkerrechtliche Verträge der RF garantiert werden; (2) Verletzung der Rechte einer unbestimmten Zahl von Personen oder anderer öffentlicher Interessen; (3) Verletzung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Die Anlehnung an das Aufsichtsverfahren der WirtPO RF, das bei dem EGMR Zustimmung fand, ist hier offensichtlich.279 Die Begrenzung des Aufsichtsverfahrens und somit der Durchbrechung der Rechtskraft ist dementsprechend zu begrüßen. Jedoch zeigt die Lektüre der geplanten Änderungen des Kassationsverfahrens, die im demselben Reformgesetz vorgesehen sind, dass die übrigen Aufsichtsinstanzen schlicht in die Kassationsinstanzen umbenannt werden. standing issues and prospects for further measures and/or reforms in this area“, Europarat, Supervision of the execution of judgments of the European Court of Human Rights, 1st annual report (2007), S. 136. 273 EGMR, Urt. vom 01. 03. 2007 (Nr. 38368/04), Sypchenko v. Russia, Z. 8 ff., 28 ff.; vgl. auch EGMR, Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 14502/04), Nelyubin v. Russia, Z. 27 ff. 274 Vgl. EGMR, Ent. vom 05. 11. 2009 (Nr. 29612/09), Martynets v. Russia. 275 In diesem Sinne auch Moyseenko/Wedde, Osteuropa-Recht 2007, 171. 276 Das Institut der Gerichtsaufsicht konnte schließlich die zahlreichen Verurteilungen Russlands durch den EGMR nicht vermeiden. Die ersatzlose Streichung des Instituts des Aufsichtsverfahrens in Russland befürworten auch Moyseenko/Wedde, Osteuropa-Recht 2007, 171. 277 Vgl. EGMR, Ent. vom 25. 06. 2009 (Nr. 6025/09), Kovaleva and Others v. Russia. 278 SZ RF 2010, Nr. 50, Pos. 6611. 279 Vgl. EGMR, Ent. vom 25. 06. 2009 (Nr. 42600/05), OOO „Link Oil SPB“ v. Russia; Ent. vom 25. 06. 2009 (Nr. 6025/09), Kovaleva and Others v. Russia.

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3. Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neu bekannt gewordener Tatsachen Neben dem Institut des Aufsichtsverfahrens kennt die ZPO RF noch einen weiteren Rechtsbehelf für die Überprüfung rechtskräftiger Urteile: die Wiederaufnahme auf Grund neu bekannt gewordener Tatsachen. Dieses Institut ähnelt der Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Restitutionsklage im deutschen Prozessrecht, wie ein Vergleich der Wiederaufnahmegründe in § 580 ZPO BRD und Art. 392 ZPO RF zeigt. Im Vergleich zur ZPO RSFSR wurde dieses Institut kaum verändert. Als einzige Änderung wurde das nicht fristgebundene Antragsrecht der Staatsanwaltschaft, die Überprüfung des Falles wegen neuer Tatsachen zu veranlassen, gestrichen (vgl. Art. 334 ZPO RSFSR). Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neu bekannt gewordener Tatsachen soll binnen einer Dreimonatsfrist gestellt werden (Art. 394 ZPO RF). Gründe für die Überprüfung sind (Art. 392 i.V.m. Art. 395 ZPO RF): (1) für die Sache wesentliche Tatsachen, die dem Antragsteller weder bekannt waren noch bekannt sein konnten (die Antragsfrist wird vom Tag der Entdeckung der Tatsache gerechnet); (2) wissentlich falsche Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten oder Übersetzungen, die Fälschung von Schriftstücken oder anderen Beweismitteln, sofern diese Tatsachen den Erlass eines gesetzeswidrigen oder unbegründeten Urteils nach sich gezogen haben und durch ein rechtskräftiges Strafurteil festgestellt sind; andere strafbare Handlungen der Parteien, sonstiger Prozessbeteiligter oder ihrer Vertreter sowie eine strafbare Handlung der Richter bei der Verhandlung der Sache, sofern sie durch ein rechtskräftiges Strafurteil festgestellt sind (die Antragsfrist läuft ab dem Tag der Rechtskraft des Strafurteils); (3) die Aufhebung des Zivilurteils, Strafurteils, Beschlusses oder der Verfügung eines Gerichtes sowie der Entscheidung eines anderen Organs, auf der der Erlass des betreffenden Urteils oder Beschlusses beruht (die Antragsfrist beginnt mit dem Tag der Rechtskraft des entsprechenden Urteils oder des Erlasses des Verwaltungsaktes). Der Antrag richtet sich an das Gericht, das das Urteil erlassen hat (Art. 393 ZPO RF). Der Antragsteller und die Prozessbeteiligten werden über den Zeitpunkt und Ort der Gerichtssitzung benachrichtigt, ihr Nichterscheinen hindert jedoch die Verhandlung des Antrages nicht (Art. 396 ZPO RF). Nachdem das Gericht den Antrag verhandelt hat, gibt es ihm entweder statt und hebt das Urteil auf oder es lehnt die Überprüfung ab (Art. 397 Abs. 1 ZPO RF). Der Beschluss über die Wiederaufnahme des Verfahrens ist anfechtbar.280 Im Fall der Aufhebung des Urteils verhandelt das Gericht die Sache erneut nach den allgemeinen Vorschriften der ZPO RF (Art. 397 ZPO RF). 280

VerfG RF, Urt. vom 19. 03. 2010 (Nr. 7-@), Z. 1 des Tenors.

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Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dieses Institut als solches oder seine Ausgestaltung in der ZPO RF konventionswidrig wären. In Bezug auf die Wiederaufnahme des Verfahrens hat der EGMR bis jetzt nur die Praxis russischer Gerichte beanstandet, die einen normativen Akt (Instruktion) des Ministeriums für Arbeit und soziale Entwicklung zur Gesetzesauslegung als eine neu bekannt gewordene Tatsache und somit einen Aufnahmegrund gewertet hatten.281 Der EGMR hat ausgeführt, dass dies ein Fall der retrospektiven Rechtsanwendung sei, die als solche zwar von der EMRK wegen nicht verboten sei, aber nicht in Bezug auf abgeschlossene Verfahren angewandt werden dürfe. Die Rechtsprechung des OG RF oder des VerfG RF, in der die Rechts- bzw. Verfassungsmäßigkeit der Instruktion bestätigt wurde, rechtfertigte die Anwendung der Instruktion auf abgeschlossene Verfahren genauso wenig.282 In einer Leitentscheidung im Jahre 2005 hat das OG RF bekräftigt, dass eine Gesetzesänderung keine neu bekannt gewordene Tatsache darstelle, ganz im Lichte der EGMR-Rechtsprechung.283 Zudem hat das OG RF ein EGMR-Urteil gegen Russland zum Wiederaufnahmeverfahren in seine Rechtsprechungsübersicht aufgenommen.284 Es ist jetzt davon auszugehen, dass Gerichte ähnliche Fälle im Lichte der Rechtsprechung des EGMR entscheiden werden. In der älteren Rechtsprechung dehnte das VerfG RF die Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens noch insoweit aus, als es die Begrenzung von Wiederaufnahmegründen auf neu bekannt gewordene Tatsachen als unvereinbar mit der Verfassung angesehen hatte, weil sie die Bürger daran hindere, Gerichtsfehler aus der Welt zu schaffen und das Recht auf ein faires Verfahren real umzusetzen. Diese Feststellung traf das VerfG RF285 hinsichtlich der Entscheidungen des Präsidiums des Obersten Gerichts, die nicht im Aufsichtsverfahren überprüft werden konnten, erstmals in Bezug auf die StPO RSFSR 1960 (u. a. unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 6 IPBPR)286, später hat das VerfG RF seine Feststellung auf die WirtPO RF 1995287 und 281 EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 69529/01), Pravednaya v. Russia, Z. 27 ff.; Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 69524/01), Bulgakova v. Russia, Z. 40 ff. 282 EGMR, Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 53051/08), Koloskova v. Russia, Z. 13 f. (in Bezug auf das OG RF); Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 3784/04), Rodichev v. Russia, Z. 18 (in Bezug auf das VerfG RF). 283 OG RF (Präsidium), Urt. vom 31. 08. 2005 (Nr. 1-@305). 284 Vgl. OG RF, Übersicht der Gesetzgebung und Rechtsprechung des OG RF für das 4. Quartal 2009 (angenommen durch Beschluss des Präsidiums vom 10. 03. 2009). 285 VerfG RF, Urt. vom 02. 02. 1996 (Nr. 4-@), Z. 2 des Tenors, 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 1996, Nr. 2, S. 11. 286 Art. 14 Abs. 6 IPBPR lautet: „Ist jemand wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und ist das Urteil später aufgehoben oder der Verurteilte begnadigt worden, weil eine neue oder eine neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist, dass ein Fehlurteil vorlag, so ist derjenige, der aufgrund eines solchen Urteils eine Strafe verbüßt hat, entsprechend dem Gesetz zu entschädigen, sofern nicht nachgewiesen wird, dass das nicht rechtzeitige Bekanntwerden der betreffenden Tatsache ganz oder teilweise ihm zuzuschreiben ist“. Aus dieser Vorschrift den Schluss zu ziehen, dass jede gerichtliche Entscheidung überprüfbar sein müsse, erscheint unvertretbar, vgl. Nußberger, EuGRZ 1998, 109 f.; Schröder, WGO-MfOR 1999, 109 Fn. 17.

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die ZPO RSFSR 1964288 übertragen und ausgeführt: „Eine Gerichtsentscheidung kann nicht als fair und rechtsstaatlich gelten und der Rechtsschutz als umfassend und effektiv, wenn ein Fehler begangen worden war“. Das Prinzip der Rechtssicherheit hatte infolge dieser Rechtsprechung des VerfG RF keinen Verfassungsrang in Russland. Das VerfG RF verdeutlichte, dass jede für rechtsfehlerhaft gehaltene Gerichtsentscheidung, unabhängig von der Rechtsmittelinstanz, einer nochmaligen Überprüfung unterliegen sollte. Da jedoch das Gesetz keine genauen Voraussetzungen eines Wiederaufnahmeverfahrens festlegte, gab das VerfG RF den Verfahrensbeteiligten durch seine Rechtsprechung dennoch die Möglichkeit, unter Berufung auf einen Rechtsmangel praktisch gegen jede Gerichtsentscheidung ein Wiederaufnahmeverfahren einleiten zu können, und begründete damit praktisch eine weitere Rechtsmittelinstanz.289 Der EGMR hat die Berufung der Regierung RF auf die angeführte Rechtsprechung des VerfG RF nicht gelten lassen und einen Verstoß gegen die EMRK festgestellt: Dies sei mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar.290 Es ist also zu erwarten, dass das VerfG RF in Zukunft bei der Abwägung mehr Wert auf den Grundsatz der Rechtsicherheit legen wird,291 wie das auch schon für das Aufsichtsverfahren geschehen ist. Das VerfG RF hat sich mit der Rechtsprechung des EGMR zum Wiederaufnahmeverfahren jüngst ausführlich beschäftigt. Der Anlass dazu war ein vom OWG RF neu entwickelter Wiederaufnahmegrund, die Änderung seiner Rechtsprechung. Zwar hielt das VerfG RF den Wiederaufnahmegrund für verfassungskonform, jedoch nur insoweit die Durchbrechung der Rechtskraft den Bürgern zu Gute kommen sollte, d. h. grundsätzlich im Verwaltungsrecht und nur ganz ausnahmsweise im Zivilrecht, soweit öffentliche Interessen dies unbedingt erfordern.292 Das VerfG RF hat die einschlägige Rechtsprechung des EGMR in seinem Urteil gründlich analysiert und kam zum Schluss, dass seine Auslegung der Verfassung mir der EGMRRechtsprechung vereinbar sei.293 Durch das Reformgesetz vom 09. 12. 2010 (Nr. 353-E8)294 wird der Wiederaufnahmegrund in die ZPO RF zum 01. 01. 2012 287 VerfG RF, Urt. vom 03. 02. 1998 (Nr. 5-@), Z. 4 des Tenors, 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 1998, Nr. 3, S. 23; dt. Übersetzung in: Kutter/Schröder, Die Rechtsprechung des

russischen Verfassungsgerichts 1995 – 1999 (2000), S. 183 ff. 288 VerfG RF, Beschl. vom 08. 02. 2001 (Nr. 36-O), SZ RF 2001, Nr. 14, Pos. 1430. 289 In der Praxis hat diese Rechtsprechung des VerfG RF jedoch wenig Relevanz erlangt, weil die für die Umsetzung verantwortlichen OWG RF und OG RF in den seltensten Fällen ihre eigenen Entscheidungen als fehlerhaft aufheben, dazu Schröder, WGO-MfOR 1999, 107 ff. 290 EGMR, Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 69524/01), Bulgakova v. Russia, Z. 17 ff. 291 Vgl. VerfG RF, Beschl. vom 28. 05. 2009 (Nr. 579-O-O), in dem in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung das VerfG RF entschieden hat, dass die Beschränkung des Wiederaufnahmeverfahrens auf neu bekannt gewordene Tatsachen keine Verletzung des Rechts auf gerichtlichen Schutz darstelle. 292 VerfG RF, Urteil vom 21. 01. 2010 (Nr. 1-@), Z. 5. 293 Ebenda, Z. 3.4. 294 SZ RF 2010, Nr. 50, Pos. 6611.

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aufgenommen (Art. 392 Abs. 4 Nr. 5 ZPO RF n.F.). Es bleibt abzuwarten, wie der neue Wiederaufnahmegrund angewandt und vom EGMR wahrgenommen wird.295 4. Verfahrenswiederaufnahme wegen Verfassungswidrigkeit des angewandten Gesetzes Einen anderen Wiederaufnahmegrund sieht Art. 100 Abs. 2 VerfGG RF 1994 vor: „Wenn das VerfG RF festgestellt hat, dass ein Gesetz, das in einem konkreten Fall angewendet worden ist, verfassungswidrig ist, muss diese Sache in jedem Fall durch das zuständige Organ in dem gewöhnlichen Verfahren neu behandelt werden“.296 Und Art. 79 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes lautet: „Entscheidungen von Gerichten und anderen Organen, die auf Rechtsnormen beruhen, die für verfassungswidrig erklärt worden sind, werden nicht vollstreckt und müssen in den bundesgesetzlich vorgesehenen Fällen revidiert werden“. Das VerfG RF hat diese Vorschriften dahingehend ausgelegt, dass der Fall des erfolgreichen Beschwerdeführers unabhängig von Fristen sowie anderen Bedingungen aufgerollt werden muss, und ähnliche Fälle anderer Betroffener nach den Vorschriften der ZPO RF über die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neu bekannt gewordener Tatsachen sowie über das Aufsichtsverfahren verhandelt werden müssen.297 Das VerfG RF hat auch klargestellt, dass seine verfassungskonforme Auslegung des Rechts gleiche Rechtsfolgen wie dessen Verfassungswidrigkeit hat.298 Eine derartige Wiederaufnahme des Verfahrens kann gegen die EMRK verstoßen.299 Bis jetzt ist aber keine Reaktion russischer Gerichte auf das Urteil des EGMR bekannt geworden. Bis zum Jahre 2008 war dieser Aufnahmegrund in der ZPO RF nicht enthalten. Ordentliche Gerichte mussten sich von dem VerfGG RF und der Rechtsprechung des VerfG RF leiten lassen. Durch das Bundesgesetz RF vom 04. 12. 2007 (Nr. 330-E8)300 wurde in die ZPO RF eine neue Vorschrift aufgenommen, wonach die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, das bei der Verhandlung eines bestimmten Falles angewandt wurde und weswegen der Beschwerdeführer das VerfG RF angerufen hat, als eine neu bekannt gewordene Tatsache gilt und die

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Das gilt sinngemäß auch für zwei andere Wiederaufnahmegründe, die in die ZPO RF durch das Reformgesetz aufgenommen werden: (1) die Nichtigkeitserklärung eines Rechtsgeschäfts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil (Art. 392 Abs. 4 Nr. 2 ZPO RF n.F.); (2) die Feststellung einer EGMR-Verletzung durch den EGMR in Bezug auf den Fall des Beschwerdeführers (Art. 392 Abs. 4 Nr. 4 ZPO RF n.F.). 296 Dt. Übersetzung in: EuGRZ 1996, 219 ff. 297 VerfG RF, Beschl. vom 14. 01. 1999 (Nr. 4-O), Z. 2, 3Vbc^Y[ ;_^bcYcdgY_^^_T_ BdUQ AE 1999, Nr. 2, S. 48 ff.; VerfG RF, Beschl. vom 05. 02. 2004 (Nr. 78-O), Z. 4. 298 VerfG RF, Beschl. vom 27. 05. 2004 (Nr. 211-?). 299 EGMR, Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 3784/04), Rodichev v. Russia, Z. 18. 300 SZ RF 2007, Nr. 50, Pos. 6243.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

Wiederaufnahme des Verfahrens erfordert (Art. 392 Abs. 2 Nr. 5 ZPO RF).301 Nach ihrem Wortlaut gilt die Norm nur für erfolgreiche Beschwerdeführer vor dem VerfG RF. Daraus ist zu entnehmen, dass anderen Personen, die durch die Anwendung des verfassungswidrigen Gesetzes betroffen sind, nur die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch eine Aufsichtsbeschwerde bleiben soll.

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung I. Spruchpraxis des EGMR 1. Begründung des Anspruchs Der EGMR hat aus dem Recht auf ein faires Gerichtsverfahren den Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung abgeleitet und dies mit dem argumentum e contrario begründet: Das Recht auf Zugang zu Gericht wäre sonst illusorisch.302 Da Art. 6 Abs. 1 dVtaillierte Verfahrensgarantien vorsieht, wäre es unverständlich, wenn die Vollstreckung des Urteils nicht geschützt wäre; der Vollzug des Urteils sei deswegen integraler Teil eines fairen Verfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK.303 301 Gemäß Art. 395 Abs. 5 ZPO RF (n.F.) gilt für die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen der Verfassungswidrigkeit des angewandten Gesetzes die allgemeine Dreimonatsfrist (für die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neu bekannt gewordener Tatsachen) ab dem InKraft-Treten der entsprechenden Entscheidung des VerfG RF. In gewisser Hinsicht hat der Gesetzgeber die Auffassung des VerfG RF relativiert, wonach der Fall des erfolgreichen Beschwerdeführers vor dem VerfG RF unabhängig von Fristen und anderen Bedingungen aufgerollt werden müsse. Es bleibt abzuwarten, ob das VerfG RF dies hinnimmt. 302 EGMR, Urt. vom 19. 03. 1997 (Nr. 18357/91), Hornsby v. Greece, Z. 40. Ursprünglich wurde die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 auf das Zwangsvollstreckungsverfahren verneint, vgl. EKMR, Ent. vom 13. 07. 1988 (Nr. 10757/84), W. v. Austria, Z. 1: „The Commission (…) observes that, as a general rule, enforcement proceedings following a civil court judgment do not come within the scope of Article 6 § 1 of the Convention. They do not themselves determine a dispute (…) relating to civil rights, but presuppose a prior determination of these rights by the competent court“. Später hat der EGMR die Zwangsvollstreckung bei der Prüfung der Dauer des Gerichtsverfahrens berücksichtigt, z. B. EGMR, Urt. vom 23. 03. 1994 (Nr. 14940/89), Silva Pontes v. Portugal, Z. 37 ff. Dies geschieht gelegentlich allerdings auch in der jüngeren Rechtsprechung, z. B. EGMR, Urt. vom 22. 09. 2005 (Nr. 3734/02), Sokolov v. Russia, Z. 32. 303 EGMR, Urt. vom 21. 12. 2004 (Nr. 34297/02 u. a.), Derkach and Palek v. Ukraine, Z. 37: „The execution of a judgment given by any court must therefore be regarded as an integral part of the ,trial‘ for the purposes of Article 6“. Hier sei angemerkt, dass der EGMR nicht immer die Zwangsvollstreckung einer Gerichtsentscheidung auf Vereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 EMRK prüft. So hat z. B. EGMR (GK) im Fall Iatridis v. Greece, Urt. vom 25. 03. 1999 (Nr. 31107/96), einen Verstoß gegen Art. 1 des 1. ZP zur EMRK (Recht auf Eigentum) und gegen Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) wegen der Nichtvollstreckung einer Gerichtsentscheidung gegen den Staat festgestellt und Art. 6 Abs. 1 als von den Erfordernissen der geprüften Artikel absorbiert angesehen (Z. 69). Im Urteil vom 15. 12. 2005 (Nr. 35030/04), Karadzˇic´ v. Croatia, hat der EGMR einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) wegen der Nichtvollstreckung einer Gerichtsentscheidung über die Rückführung eines Kindes festgestellt und hielt die Prüfung auf die Vereinbarkeit mit Art. 6

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung

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2. Inhalt und Umfang des Anspruchs Der Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung gilt nicht nur für Entscheidungen nationaler Gerichte, sondern auch für solche anderer Spruchkörper, die für die Beilegung bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten in der Gesetzgebung vorgesehen sind (z. B. eine Kommission zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten304 oder ein Schiedsgericht305) sowie für ausländische Gerichtsentscheidungen, nachdem sie im Inland für vollstreckbar erklärt wurden.306 In diesen Fällen ist der Staat für ihre Vollstreckung verantwortlich. Die Frage, ob Art. 6 Abs. 1 einen Anspruch auf Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile begründet, auch wenn das autonome Recht dies gar nicht vorsieht, ist noch nicht abschließend geklärt. Im Fall Hornsby (1997) führte der EGMR aus: „Execution of a judgment given by any court must (…) be regarded as an integral part of the ,trial‘ for the purposes of Article 6 [EMRK]“.307 Jedoch ging es in diesem Urteil um die Vollstreckung des Titels eines inländischen Gerichts, weswegen sich diese Leitentscheidung nicht ohne weiteres auf ausländische Urteile übertragen lässt. In der Rechtsprechung des EGMR wird die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile, auch wenn das nationale Recht dies nicht vorsieht, als möglich und notwendig angesehen, allerdings bis jetzt nur im Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens).308 Der EGMR hatte bis jetzt keine Gelegenheit, zur Frage der Vollstreckung ausländischer vermögensrechtlicher Urteile Stellung zu nehmen.309 Seine Rechtsprechung enthält aber Indizien, die nahe legen, dass er wohl nicht so weit gehen würde, ausländische Urteile grundsätzlich als vollstreckbar anzusehen: Die EMRK müsse soweit wie möglich unter Heranziehung anderer Regeln des Völkerrechts ausgelegt werden310 und verpflichte nicht dazu, völkerrechtliche Verträge

Abs. 1 für überflüssig (Z. 67); ebenso im Urteil vom 25. 01. 2000 (Nr. 31679/96), IgnaccoloZenide v. Romania, vgl. aber die teilweise abweichende Meinung des Richters Maruste zum Urteil: „I am of the opinion that the procedural miscarriages and delays that occurred come within the ambit of Article 6 of the Convention rather than of Article 8“. 304 EGMR, Urt. vom 27. 07. 2004 (Nr. 67534/01), Romashov v. Ukraine, Z. 39 ff. 305 EGMR, Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 773/03), Regent Company v. Ukraine, Z. 51 ff. 306 Vgl. EGMR, Urt. vom 20. 07. 2004 (Nr. 38805/97), K. v. Italy, Z. 21. 307 EGMR, Urt. vom 19. 03. 1997 (Nr. 18357/91), Hornsby v. Greece, Z. 40. 308 EGMR, Urt. vom 28. 06. 2007 (Nr. 76240/01), Wagner and J.M.W.L. v. Luxembourg, Z. 99 ff. (Adoption eines Kindes). Vgl. auch EGMR, Urt. vom 25. 01. 2000 (Nr. 31679/96), Ignaccolo-Zenide v. Romania, Z. 95 (Rückführung entführter Kinder). 309 Stimmen in der Literatur halten die Ableitbarkeit einer Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK für möglich: Matscher, ZZP 1990, 318; Adolphsen, in: Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat- Straf- und Öffentlichen Recht, S. 73. 310 EGMR (GK), Urt. vom 21. 11. 2001 (Nr. 37112/97), Fogarty v. the United Kingdom, Z. 35.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

abzuschließen.311 Dagegen verpflichtet die EMRK die innerstaatlichen Gerichte, bei der Vollstreckbarkeitserklärung ausländischer Entscheidungen aus einem Staat, der nicht zu den Vertragsparteien der EMRK gehört, zu prüfen, ob das Recht auf ein faires Verfahren im Ausland gewahrt worden ist.312 Der Umfang der Verpflichtung des Staates zur Vollstreckung unterscheidet sich je nachdem, ob sie gegen Privatpersonen oder gegen den Staat durchzuführen ist. Bei der Vollstreckung gegen Privatpersonen muss der Staat ein angemessenes und wirksames Instrument zur Vollstreckung schaffen.313 Die Verantwortung des Staates reicht in diesem Fall nicht weiter als die ordnungsgemäße Beschäftigung der Behörden im Rahmen der Zwangsvollstreckung.314 Wenn der Schuldner in Insolvenz gegangen315 oder nicht auffindbar ist,316 kann der Staat dafür nicht haften. Der Staat muss jedoch die Vollstreckungsbehörden mit den nötigen Befugnissen und Ressourcen ausstatten, damit sie eine effektive Zwangsvollstreckung betreiben können.317 Die Vollstrecker haben ihre Befugnisse ordnungsgemäß auszuüben und alle notwendigen Maßnahmen, bis zur Bestrafung privater Personen, die sich einer Behinderung der Vollstreckung schuldig gemacht haben, zu ergreifen.318 Sonst kann der EGMR eine Verletzung des Rechts auf effektive Vollstreckung aus dem Urteil feststellen.319 Der Vollstreckungsgläubiger muss bei der Vollstreckung mitwirken und ist sogar verpflichtet, Unterlassungen der Vollstreckungsorgane gerichtlich anzufechten.320

311 EGMR, Urt. vom 12. 12. 2006 (Nr. 35853/04), Bajrami v. Albania, Z. 66. Ein Verstoß gegen den Justizgewährungsanspruch des Art. 6 Abs. 1 EMRK ist denkbar, wenn durch ausschließliche Prorogation auf ein ausländisches Gericht, dessen Entscheidung im Inland nicht anerkannt werden kann, kein Rechtsweg mehr offen steht, vgl. Matscher, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht 1980, S. 22. 312 EGMR, Urt. vom 20. 07. 2001 (Nr. 30882/96), Pellegrini v. Italy, Z. 40. 313 EGMR, Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 36496/02), Kesyan v. Russia, Z. 64 m.w.N. 314 EGMR, Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 24654/03), Bobrova v. Russia, Z. 16 f. 315 Ebenda. 316 EGMR, Ent. vom 18. 06. 2002 (Nr. 48757/99), Shestakov v. Russia, Z. 3. 317 EGMR, Urt. vom 22. 06. 2004 (Nr. 78028/01 u. a.), Pini and Others v. Romania, Z. 183. 318 Ebenda: „[A]ction should be taken against those responsible“. 319 Siehe z. B. EGMR, Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 36496/02), Kesyan v. Russia, Z. 67 ff. Vgl. aber EGMR, Ent. vom 08. 12. 2009 (Nr. 24371/02), Suchkov v. Russia: „The Court takes note of the fact that the domestic courts conceded that the bailiffs had on several occasions failed to respect time-limits prescribed by domestic law. However, the mere fact that time-limits set in domestic law were not respected does not automatically entail a violation of the Convention. To give rise to a violation of the Convention, the omission must have entailed detrimental consequences for the enforcement proceedings as a whole (…). The Court takes the view that in the present case it was not convincingly shown that the impugned delays in performance of enforcement acts caused irreparable consequences to the prospects of recovery of the debt“. 320 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 2202/05), Tishkevich v. Russia, Z. 17 f.

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung

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Bei Urteilen gegen den Staat, seine Einrichtungen und Gemeinden321 ist mehr geschuldet, und zwar die Vollstreckung. Der Staat kann die Nichtvollstreckung solcher Urteilen nicht etwa mit dem Hinweis auf fehlende finanzielle Mittel322 oder wirtschaftliche Schwierigkeiten323 rechtfertigen. Als Verstoß gegen die EMRK wurde z. B. eine Fallkonstellation angesehen, in der das Urteil gegen eine Behörde unter dem Vorbehalt erlassen wurde, dass es nach dem Erhalt entsprechender Finanzmittel aus dem Staatshaushalt vollstreckbar sei.324 Der Gläubiger kann hier auch nicht darauf verwiesen werden, weitere Rechtsbehelfe einzulegen, z. B. auf Vollstreckung zu klagen.325 Bemerkenswert ist, dass der EGMR dabei zwischen dem Staat und Staatsunternehmen nicht unterscheidet, wenn das Staatsunternehmen nach Ansicht des EGMR nicht über genügend Unabhängigkeit verfügt: „The Court observes that (…) the applicants obtained enforceable judgments by which the federal State unitary enterprise ,Vostok‘ was to pay them a substantial amount. The judgments have not been enforced to date. The Court notes that under the domestic law the owner of a unitary enterprise retains ownership of the property of that enterprise, approves all transactions with that property, controls the management of the enterprise and decides whether the enterprise should continue its activity or be liquidated (…) It follows that the Government have not demonstrated that the federal unitary enterprise, such as the Vostok enterprise in the present case, enjoyed sufficient institutional and operational independence from the State to absolve the latter from responsibility under the Convention for its acts and omissions (see, mutatis mutandis, Mykhaylenky and Others v. Ukraine, nos. 35091/02 and following, §§ 41 – 46, ECHR 2004-XII; and Lisyanskiy v. Ukraine, no. 17899/02, §§ 17 – 20, 4 April 2006). Thus, the Court considers that the State should be held liable for debts of the ,Vostok‘ enterprise. The Court reiterates that it is not open to a State authority to cite the lack of funds or other resources as an excuse for not honouring a court award (see, mutatis mutandis, Burdov v. Russia, no. 59498/00, § 35, ECHR 2002-III). Nor can the State, in such circumstances, justify its failure to enforce the judgment against a State enterprise with reference to the liquidation of the company“.326 321

EGMR, Urt. vom 13. 10. 2005 (Nr. 24669/02), Gerasimova v. Russia, Z. 15 ff. EGMR, Urt. vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia, Z. 35; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 43883/02), Plotnikovy v. Russia, Z. 23. 323 EGMR, Urt. vom 26. 07. 2005 (Nr. 15366/03), Chernyayev v. Ukraine, Z. 25. 324 EGMR, Urt. vom 23. 03. 2006 (Nr. 63501/00), Konovalov v. Russia, Z. 42 ff. 325 EGMR, Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 43883/02), Plotnikovy v. Russia, Z. 16; Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 3046/03), Shlepkin v. Russia, Z. 18. Später hat der EGMR aber die Einführung eines Rechtsbehelfs gefordert, der vor dem Gang zum EGMR ausgeschöpft werden muss, vgl. etwa EGMR, Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2), Z. 5 des Tenors. 326 EGMR, Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 13820/04), Grigoryev and Kakaurova v. Russia, Z. 34 ff.; vgl. auch EGMR, Urt. vom 27. 07. 2004 (Nr. 67534/01), Romashov v. Ukraine, Z. 41: „[T]he State is responsible for the debts of the legal entities controlled by it financially or administratively“; EGMR, Urt. vom 13. 01. 2005 (Nr. 5124/03), Gizzatova v. Russia, Z. 19: „[T]he Court notes that the Government do not contest the State responsibility for the debts of the municipal enterprise“; EGMR, Urt. vom 03. 04. 2007 (Nr. 39745/02), Cooperativa Agricola Slobozia-Hanesei v. Moldova, Z. 19: „In view of the delegation of some State functions to M. [State-owned company] (…) and of the significant control over M.’s assets (…), the Court considers that the State is to be held responsible for any debts incurred by M. (…). Hence, the 322

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

Für eine klassische Aktiengesellschaft, deren Hauptaktionär der Staat war, hat der EGMR jedoch eine Haftung des Staates für Schulden der Aktiengesellschaft abgelehnt.327 Der EGMR akzeptiert, dass eine gewisse Zeit zwischen der Rechtskraft und der Vollstreckung verstreicht, sie darf aber nicht so lang sein, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK in seinem Wesensgehalt angetastet wird.328 Wie lang die Zwischenzeit sein darf, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der EGMR berücksichtigt die Schwierigkeit der Vollstreckung, das Verhalten des Beschwerdeführers und der Behörden sowie die Höhe und Art der Forderung.329 Der EGMR berücksichtigt auch, wie wichtig die Vollstreckung für den Beschwerdeführer war,330 sowie seine Lage, sein Alter und seine Arbeitsfähigkeit.331 Als zu lang hat der EGMR z. B. folgende Fristen der Vollstreckung bei Urteilen gegen den Staat bewertet: 14 Monate,332 ein Jahr und zwölf Tage.333 Vereinbar mit der EMRK sollen z. B. folgende Fristen sein: sechs Monate,334 acht Monate,335 zehn Monate,336 elf Monate.337 Aus dieser Aufzählung könnte man den Schluss ziehen, dass die Grenze bei einem Jahr liegt, jedoch ist diese Erkenntnis relativ, weil der EGMR bei der Suche nach Einzelfallgerechenforcement warrant in favour of the applicant may be considered as having been issued against the State itself“. 327 Vgl. EGMR, Ent. vom 31. 05. 2007 (Nr. 25867/02), Anokhin v. Russia: „[T]he Court notes that under domestic law the respondent company is incorporated as a joint-stock limited liability entity with separate legal personality, has the ability to own assets that are distinct from the property of its shareholders and has delegated management. Thus, the State, like any other shareholder, is only liable for debts of the company in the amount invested in the company’s shares and the Court finds nothing in the case file or in the applicant’s submissions to suggest, (…) that the State was directly responsible for the company’s financial difficulties, siphoned the corporate funds to the detriment of the company and its stakeholders, failed to maintain an arm’s-length relationship with the company or otherwise abused the corporate form (see, by contrast, Sharenok and Others v. Ukraine, no. 35087/02, 22 February 2005; Mykhaylenky v. Ukraine, nos. 35091/02 and following, 30 November 2004; and Lisyanskiy v. Ukraine, no. 17899/02, 4 April 2006). The Court also finds the applicant’s allegation that the State failed to supervise the company’s management vague and unspecific (…)“. 328 EGMR, Urt. vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia, Z. 34; Urt. vom 09. 02. 2006 (Nr. 36407/02), Igusheva v. Russia, Z. 16; Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 703/02), Shilov and Baykova v. Russia, Z. 24 f. 329 Siehe z. B. EGMR, Ent. vom 08. 07. 2004 (Nr. 75907/01), Grishchenko v. Russia, Z. 2 lit. a; Urt. vom 17. 03. 2005 (Nr. 38305/02), Gorokhov and Rusyayev v. Russia, Z. 31; Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 703/02), Shilov and Baykova v. Russia, Z. 24 f. 330 EGMR, Urt. vom 27. 07. 2004 (Nr. 67534/01), Romashov v. Ukraine, Z. 43. 331 EGMR, Urt. vom 20. 07. 2004 (Nr. 60750/00), Shmalko v. Ukraine, Z. 44. 332 EGMR, Urt. vom 09. 02. 2006 (Nr. 36407/02), Igusheva v. Russia, Z. 17 ff. 333 EGMR, Urt. vom 06. 10. 2005 (Nr. 63973/00), Androsov v. Russia, Z. 53 f. 334 EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 15021/02), Wasserman v. Russia, Z. 36; Urt. vom 02. 03. 2006 (Nr. 37927/02), Nikolayev v. Russia, Z. 26. 335 EGMR, Ent. vom 07. 10. 2003 (Nr. 36575/02), Kornilov and Others v. Ukraine, Z. 2. 336 EGMR, Urt. vom 29. 04. 2008 (Nr. 34428/04), Portnova v. Russia, Z. 15. 337 EGMR, Ent. vom 25. 11. 2010 (Nr. 36280/05), Leonov v. Russia, Z. 2.

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung

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tigkeit unter Umständen auch wesentlich längere Fristen der Vollstreckung (z. B. 1,5 Jahre)338 für EMRK-konform hält. Zudem hat der EGMR das Recht des Staates anerkannt, durch gesetzgeberische wie individuelle Maßnahmen die Vollstreckung auf bestimmte Dauer im öffentlichen Interesse (z. B. gespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt,339 Beseitigung der Überschwemmungsfolgen bei einem Leistungsurteil gegen den Staat340) auszusetzen. Auf der anderen Seite vertritt der EGMR den Standpunkt, dass in manchen Fällen die Vollstreckung wesentlich schneller zu erfolgen hat.341 Die Nichtvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen unter Hinweis auf die Immunität eines ausländischen Staates ist mit der EMRK vereinbar, soweit sie allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts entspricht.342 Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Nichtvollstreckung auch in anderen Fällen gerechtfertigt sein. So wurde z. B. im Fall Shestakov ein durch den Staat vermittelter Vergleich zwischen einer Privatbank und einer Vielzahl von Anlegern nach der Finanzkrise in Russland im Jahre 1998 vom EGMR nicht beanstandet.343 Durch den Vergleich wurden aber Gerichtsentscheidungen zu Gunsten von Anlegern, die dem Vergleich nicht zugestimmt hatten, faktisch außer Kraft gesetzt. Der EGMR beanstandete dies nicht, da der Staat öffentliche Interessen gegenüber Interessen einzelner Anleger gebührend abgewogen hatte und der Vergleich einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen wurde. Eine konventionswidrige Aufhebung des Urteils kann dagegen seine Nichtvollstreckung nicht rechtfertigen.344 Bei Unmöglichkeit der Vollstreckung ist der Staat verpflichtet, den Gläubiger darüber ordnungsgemäß zu informieren.345

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EGMR, Urt. vom 03. 11. 2005 (Nr. 63995/00), Kukalo v. Russia, Z. 52. EGMR, Ent. vom 15. 01. 2001 (Nr. 35815/97), Meazzi v. Italy, Z. 2. 340 EGMR, Urt. vom 03. 11. 2005 (Nr. 63995/00), Kukalo v. Russia, Z. 52. 341 Vgl. EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 198: „The Court can accept that the authorities need time in which to make payment. However, in respect of a compensatory remedy designed to redress the consequences of excessively lengthy proceedings, that period should not generally exceed six months from the date on which the decision awarding compensation becomes enforceable“. 342 EGMR, Ent. vom 12. 12. 2002 (Nr. 59021/00), Kalogeropoulou v. Greece and Germany; Ent. vom 03. 03. 2005 (Nr. 60861/00), Manoilescu and Dobrescu v. Romania and Russia, Z. 81 f.; Ent. vom 29. 06. 2006 (Nr. 26937/04), Treska v. Albania and Italy, Z. 1 lit. a (ii). 343 EGMR, Ent. vom 18. 06. 2002 (Nr. 48757/99), Shestakov v. Russia. 344 EGMR, Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 36153/03), Alekseyeva v. Russia, Z. 21. 345 EGMR, Urt. vom 26. 05. 2005 (Nr. 57810/00), Costin c. Roumanie, Z. 28. 339

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

II. Einfluss der EMRK in diesem Bereich 1. Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf Russland Bis Ende 2011 hat der EGMR das Recht auf effektive Zwangsvollstreckung in 314 Urteilen gegen Russland als verletzt angesehen.346 Nur in fünf Urteilen ging es um Leistungsurteile gegen Private, in denen der Staat versäumt hatte, gebotene Maßnahmen im Vollstreckungsverfahren zu ergreifen.347 In allen anderen Fällen wurden Leistungsurteile gegen den Staat, seine Einrichtungen und sog. staatliche und munizipale Unitarbetriebe verspätet oder gar nicht vollstreckt. 2009 hat der EGMR das erste Piloturteil gegen Russland erlassen, in dem die Nichtvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen gegen den russischen Staat als eine strukturelle Fehlfunktion (konventionswidrige Praxis) qualifiziert wurde.348 2. Urteilsvollstreckung nach russischem Recht Das OG RF hat noch im Jahre 1998 anerkannt, dass die Nichtvollstreckung von Gerichtsurteilen das Grundrecht auf Gerichtsschutz (Art. 46 Abs. 1 Verf. RF) verletzt.349 Nach Angaben des Justizministeriums RF blieben etwa 60 % aller Vollstreckungstitel im Jahre 1997 nicht vollstreckt.350 Im Jahre 2005 waren es 48 %351 und 2011 nur noch 36,3 %.352 Es ist also eine gewisse Besserung zu verzeichnen. Die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Russland unterscheidet sich erheblich, je nachdem, ob sie gegen den Staat (seine Organe oder Gemeinden) oder gegen eine Privatperson erlassen worden ist. Für die Vollstreckung gegen Privatpersonen sind Gerichtsvollzieher zuständig, das ZVG RF verleiht den Gerichtsvollziehern genug Befugnisse, um die Gerichtsentscheidungen notfalls mit Gewalt durchzusetzen.353 Die Urteile des EGMR haben 346

Vgl. Anhang III lit. H, S. 318 ff. EGMR, Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 36496/02), Kesyan v. Russia, Z. 60 ff.; Urt. vom 01. 10. 2009 (Nr. 23554/03), Makarova v. Russia, Z. 45 ff.; Urt. vom 17. 12. 2009 (Nr. 36337/03), Kunashko c. Russie, Z. 31 ff.; Urt. vom 19. 07. 2011 (Nr. 39178/04), Belokopytova c. Russie, Z. 29 ff.; Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 11989/03), Margushin v. Russia, Z. 33 ff. (Hier wurde das Vollstreckungsverfahren gegen eine private Bank in einer Weise eingestellt, die der EGMR mit dem Prinzip der Rechtssicherheit für unvereinbar hielt). 348 EGMR, Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2), Z. 5 des Tenors. 349 OG RF, Beschl. vom 16. 11. 1998 (Nr. 43-398-15). 350 2o\\VcV^m =Y^YbcVabcSQ obcYgYY AE 1998, Nr. 10, S. 15; Vgl. auch BcV`Q^_S, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 1996, Nr. 4, S. 16 f. 351 Vgl. Z. I Abs. 17 Bundesprogramm zur Entwicklung des Gerichtssystems Russlands in Jahren 2007 – 2011, angenommen durch Verordnung der Regierung RF am 21. 09. 2006 (Nr. 583), SZ RF 2006, Nr. 41, Pos. 4248. 352 Angaben des Gerichtsvollzieherdienstes RF, . 353 Ausführlich dazu Solotych, Die Vollstreckung von Gerichtsurteilen in Russland, forost Arbeitspapier Nr. 35 (2006); Kenk, Die Zwangsvollstreckung in der Russischen Föderation (2003). 347

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung

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organisatorische Probleme in diesem Bereich aufgedeckt, die jedoch auf Einzelfälle begrenzt sind. Es sind noch keine Maßnahmen zur Umsetzung dieser Urteile des EGMR bekannt geworden. Deswegen ist kein direkter Einfluss der EMRK im Bereich der Zwangsvollstreckung innerstaatlicher Gerichtsentscheidungen gegen Privatpersonen zu verzeichnen. Ein Einfluss der EMRK ist jedoch bei der Zwangsvollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen zu verzeichnen, was eigentlich nicht zu erwarten war. Wie oben dargestellt, verlangen weder die EMRK noch die Rechtsprechung des EGMR, ausländische Urteile im Inland für vollstreckbar zu erklären. Traditionell werden Entscheidungen ausländischer staatlicher Gerichte in Russland nur auf der Grundlage eines internationalen Vertrages für vollstreckbar erklärt.354 Daran hat auch die Reform des Prozessrechts 2002 nichts geändert (vgl. Art. 409 Abs. 1 ZPO RF, Art. 241 Abs. 1 WirtPO RF). Dennoch wurde im Jahre 2006 von Wirtschaftsgerichten eine Entscheidung aus Großbritannien für vollstreckbar erklärt,355 obwohl mit Großbritannien (ebenso wie mit Deutschland) kein entsprechender völkerrechtlicher Vertrag über die Anerkennung von Gerichtsurteilen besteht. Dabei verwiesen die Wirtschaftsgerichte ausdrücklich auf das Urteil des EGMR vom 19. 03. 1997 in der Sache Hornsby v. Greece (Nr. 18357/91): „Execution of a judgment given by any court must (…) be regarded as an integral part of the ,trial‘ for the purposes of Article 6 [EMRK]“ (Z. 40). Sicherlich wird das zitierte Urteil des EGMR hierbei überinterpretiert. In diesem Urteil ging es um die Vollstreckung des Titels eines inländischen Gerichts, weswegen sich diese Leitentscheidung nicht ohne weiteres auf ausländische Urteile übertragen lässt. Es bleibt abzuwarten, ob diese Entwicklung zur ständigen Rechtsprechung wird und dadurch die gesetzliche Bestimmung überlagert. Dieser Fall ist insoweit bemerkenswert, als er zeigt, dass der Einfluss der EMRK manchmal weiter reicht, als man erwarten kann.356 In fast allen Urteilen des EGMR gegen Russland hinsichtlich der fehlenden Vollstreckung ging es um die Vollstreckung gerichtlicher Leistungsentscheidungen gegen den Staat und seine Einrichtungen. Angesichts der hohen Anzahl der festgestellten Verletzungen gegen das Recht auf effektive Vollstreckung sowie der zahlreichen Beschwerden, in denen solche Verstoße behauptet wurden (sie betrugen etwa 40 % aller für zulässig erklärten Beschwerden aus Russland),357 sieht der EGMR in diesem Bereich ein systematisches Problem der russischen Rechtsordnung. Nach Einschätzungen der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) wurden etwa 50 % der Entscheidungen gegen den Staat in Russland 354

Ausführlich dazu Laptew, WiRO 2006, 198 ff. Wirtschaftsstadtgericht Moskau, Beschl. vom 21. 12. 2005 (Nr. 140-53839/05-8-388); Föderales Wirtschaftsgericht für den Moskauer Bezirk, Urt. vom 02. 03. 2006 (Nr. ;4-140/69806-@), dt. Übersetzung in: IPRax 2008, 139 f.; OWG RF, Beschl. vom 01. 06. 2006 (Nr. 4217/ 06), der Beschluss ist auf Anfrage beim OWG RF erhältlich und liegt dem Verfasser vor. 356 Ausführlich dazu Laptew/Kopylov, IPRax 2008, 143 ff. 357 Europarat, Memorandum CM/Inf/DH(2006)19rev3 vom 04. 06. 2007, Z. 4. 355

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

nicht während einer angemessenen Frist vollstreckt.358 Die Ursache des Problems liege nicht an den fehlenden finanziellen Mitteln (so die Regierung), sondern an den komplizierten Haushaltsbeziehungen zwischen dem Bundeshaushalt und den Haushalten der Subjekte der Föderation.359 Der Europarat nennt folgende Gründe für die Nichtvollstreckung: – the bailiff’s inefficiency; – lack of coordination between various enforcement agencies; – lack of clarity in judgments to identify the debtor; – lack of funds on the debtor’s account; – non-availability of budgetary funds; – lack of clarity as to the documents to be submitted to the Ministry of Finance.360 In enger Zusammenarbeit mit dem Europarat hat die russische Regierung verschiedene Maßnahmen ergriffen, um das Problem zu lösen.361 Am 27. 12. 2005 wurde etwa ein Gesetz (Nr. 197-E8) verabschiedet, das zum 01. 01. 2006 ein neues Kapitel ins Haushaltsgesetzbuch (HaushaltsgGB) „Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aus Mitteln der Haushalte des Haushaltssystems der RF“ (Kapitel 24.1) eingeführt hat.362 Das Kapitel regelt das Verfahren der Vollstreckung, nennt verantwortliche Behörden und Quellen sowie stellt fest, dass die Vollstreckung binnen drei Monaten ab dem Zeitpunkt des Eintreffens des Vollstreckungstitels bei der zuständigen Behörde vollzogen werden soll (Art. 242.2 Abs. 6). Da ähnliche Regelungen auch früher existierten (in Form einer Regierungsverordnung), hielt der Europarat die Reform für nicht ausreichend, um das strukturelle Problem zu lösen.363

358

Europ. Kommission für die Wirksamkeit der Justiz, Report CEPEJ (2005)8 vom 09. 12. 2005 „Examination of problems related to the execution of decisions by national civil courts against the state and its entities in the Russian Federation“, Z. 11, . 359 Europarat, Memorandum CM/Inf/DH(2006)19rev3 vom 04. 06. 2007, Z. 4, 25. 360 Ebenda, Z. 2. 361 Vgl. Europarat, MK, Resolution ResDH(2004)85 vom 22. 12. 2004; Interim Resolution CM/ResDH(2009)43 vom 19. 03. 2009; Interim Resolution CM/ResDH(2011)293 vom 02. 12. 2011 sowie Europarat, Memorandum CM/Inf/DH(2006)19revised vom 06. 06. 2006 „Nonenforcement of domestic judicial decisions in Russia: general measures to comply with the European Court’s judgments“; und seine neuen Fassungen: CM/Inf/DH(2006)19revised2 vom 17. 10. 2006; CM/Inf/DH(2006)19rev3 vom 04. 06. 2007. Vgl. auch Pietrowicz, Die Umsetzung der zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangenen Urteile des EGMR in der Russischen Föderation, S. 140 ff. 362 SZ RF 2006, Nr. 1, Pos. 8. 363 Europarat, Memorandum CM/Inf/DH(2006)19rev3 vom 04. 06. 2007, Z. 19.

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung

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Das HaushaltsGB RF gewährt Haushaltsmitteln Vollstreckungsimmunität und entzieht diese Fälle dem Zuständigkeitsbereich der Gerichtsvollzieher (Art. 239). Das VerfG RF hat im Jahre 2005 die Vollstreckungsimmunität des Staatshaushaltes auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft und dabei mehrfach auf einschlägige Urteile des EGMR hinsichtlich des Rechts auf effektive Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen Bezug genommen und die Pflicht des Staates zu deren unverzüglicher Vollstreckung bestätigt, hat aber die fehlende Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen nicht beanstandet.364 Dem Verfassungsgericht ist insoweit Recht zu geben, als eine effektive Vollstreckung gegen den Staat auch ohne Zwangsmaßnahmen gewährleistet werden kann. Die Praxis zeigt aber, dass bei dieser Rechtslage obsiegende Privatpersonen dem Staat schutzlos ausgeliefert sind. Im Jahre 2006 hat das OWG RF in seinem Plenumsbeschluss erklärt, dass nach der Verstreichung von drei Monaten, die im HaushaltsGB für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vorgesehen sind, der Vollstreckungsgläubiger seinen Vollstreckungstitel dem Gerichtsvollzieherdienst zur Zwangsvollstreckung einreichen kann.365 Folglich hat das OWG RF die Möglichkeit von Zwangsmassnahmen gegen das Staatsvermögen anerkannt. Da Art. 239 Abs. 2 HaushaltsGB dies ausdrücklich ausschließt, ist diese Stellungnahme eine Auslegung contra legem, jedoch im Sinne der EMRK. Der Gerichtsvollzieherdienst hat sich willig gezeigt, die vom OWG RF zuerkannten Befugnisse wahrzunehmen. Im Jahre 2007 hat der Gerichtsvollzieherdienst RF eine Weisung erlassen, die das Verfahren der Zwangsvollstreckung in das Staatsvermögen geregelt hat.366 Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Gerichtsvollzieher effizient genug sein werden, um die Vollstreckung aller Urteile gegen den Staat innerhalb der vom EGMR vorgegebenen Fristen zu erreichen. In einem Piloturteil gegen Russland hat der EGMR u. a. entschieden, dass Russland einen Rechtsbehelf einführen muss, um eine wirksame Wiedergutmachung für derartige Konventionsverletzungen sicherzustellen. Ein solcher Rechtsbehelf sollte den im Urteil dargelegten Grundsätzen der Konvention entsprechen und binnen sechs Monaten nach dessen Rechtskraft verfügbar sein.367 Mit In-Kraft-Treten des KompensationsG am 04. 05. 2010 hat Russland dem Urteil, wenn auch mit Verspätung, Folge geleistet und den Rechtsbehelf eingeführt.368 Das Gesetz ermächtigt innerstaatliche Gerichte, eine entsprechende Konventionsverletzung festzustellen sowie eine finanzielle Entschädigung unabhängig vom Verschulden der Behörden 364 VerfG RF, Urt. vom 14. 07. 2005 (Nr. 8-@), Z. 3.2, SZ RF 2005, Nr. 30 (Teil II), Pos. 3199. 365 OWG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 22. 06. 2006 (Nr. 23) „Über einige Fragen der Anwendung des Haushaltsgesetzbuches der RF“, Z. 3 Abs. 5. 366 Gerichtsvollzieherdienst RF, Weisung vom 09. 11. 2007 (Nr. 585), ersetzt durch Weisung vom 15. 05. 2009 (Nr. 195). 367 EGMR, Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2), Z. 6 des Tenors. 368 Ausführlich zum KompensationsG Pietrowicz, Die Umsetzung der zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangenen Urteile des EGMR in der Russischen Föderation, S. 153 ff.

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Kap. 6: Vom EGMR anerkannte Verfahrensgarantien

zuzusprechen und verpflichtet die Gerichte, die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Standards (einschließlich der Höhe der Entschädigung) zu berücksichtigen (Art. 2 Abs. 2).369 Das Gesetz hat auch die Schaffung eines entsprechenden Haushaltstitels für die Zahlung der zugesprochenen Entschädigung auf allen Ebenen der Haushalte vorgesehen (Art. 5 Abs. 3).370 Der EGMR hat den neuen Rechtsbehelf als effektiv gewertet.371 Deswegen hat der Europarat die Umsetzung des Piloturteils in dieser Hinsicht als erfolgt erklärt.372 Sicherlich ist das Problem der Nichtvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen gegen den Staat in Russland sehr komplex, so dass dessen Lösung auch komplexe Maßnahmen erfordert. Zu diesen gehören nach dem Europarat373 u. a. die Erhöhung der Zahlungsdisziplin des Staates, damit es zu Gerichtsverfahren gegen den Staat gar nicht erst kommt; die Verbesserung des Haushaltsverfahrens, damit die benötigten Gelder rechtzeitig den zuständigen Behörden zugewiesen werden; die Klarstellung, welche Behörden welche Entscheidungen zu vollstrecken haben; die Bestimmung der staatlichen Güter, in welche eine Zwangsvollstreckung möglich ist; die Sicherstellung eines effektiven Mechanismus für Kompensationen und Schadensersatz wegen verzögerter Vollstreckung; „zero tolerance“ bei der Verfolgung von Beamten, die sich einer Nichtvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen schuldig gemacht haben. Mit dem KompensationsG 2010 und der Ausstattung der Gerichtsvollzieher mit den Befugnissen, gegen das Staatsvermögen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, ist Russland der Lösung des Problems ein gutes Stück näher gekommen. Es bleibt abzuwarten, wie und wann Russland das Problem der Nichtvollstreckung gerichtlicher Entscheidungen gegen den Staat vollständig gelöst haben wird.374 Spannend ist auch, wie die russische Regierung auf die Rechtsprechung des EGMR reagieren wird, wonach der Staat für Schulden der staatlichen und munizipalen Unitarbetriebe 369 Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass das KompensationsG 2010 keine Maßnahmen zur Beschleunigung der Vollstreckung vorsieht. 370 Vgl. auch Art. 242.2 HaushaltsGB RF i. d. F. des Gesetzes vom 30. 04. 2010 (Nr. 69-E8). 371 EGMR, Ent. vom 23. 09. 2010 (Nr. 27451/09 u. a.), Nagovitsyn and Nalgiyev v. Russia; Ent. vom 02. 12. 2010 (Nr. 9610/05), Balagurov v. Russia (Hier hat der EGMR entschieden, dass wegen der innerstaatlichen Kompensation nach dem KompensationsG 2010 der Beschwerdeführer seine Opfereigenschaft verloren hat). 372 Europarat, MK, Interim Resolution CM/ResDH(2011)293 vom 02. 12. 2011. Das KompensationsG erstreckt sich auf die Forderungen gegen Haushaltsmittel (Art. 1). Das OG RF hat diese Norm in der Weise ausgelegt, dass sie nur auf Geldforderungen anwendbar ist, vgl. etwa Beschl. vom 30. 11. 2010 (Nr. 39-410-13). Folglich besteht im russischen Recht nach wie vor kein Rechtsbehelf in Bezug auf andere Forderungen gegen den Staat, etwa auf Wohnungszuweisung. 373 Europarat, Memorandum CM/Inf/DH(2006)19rev3 vom 04. 06. 2007. 374 Eine einfache und effektive Lösung des Problems wäre wohl die Schaffung eines solventen staatlichen Sonderfonds zu diesen Zwecken. Zudem sind die Erfahrungen mit ähnlichen Sonderfonds in Form eines gesonderten Haushaltstitels für die Vollstreckung der Entschädigungsurteile sowohl russischer Gerichte nach dem KompensationsG (vgl. etwa EGMR, Ent. vom 02. 12. 2010 (Nr. 9610/05), Balagurov v. Russia) als auch der EGMR-Urteile, in denen Beschwerdeführern eine gerechte Entschädigung zugesprochen wurde, eher positiv.

§ 3 Anspruch auf effektive Urteilsvollstreckung

265

(unitarnye predpriâtiâ)375 aufkommen soll. Sollte der EGMR seine Rechtsprechung nicht ändern, ist eine Reform in Russland in diesem Bereich zu erwarten.376

375

Ausführlich zu Unitarbetrieben nach russischem Recht Knüpfer, WiRO 2003, 161 ff. Am 16. 06. 2008 wurde ein Antrag der RF auf Überprüfung der Rechtsprechung durch die Große Kammer des EGMR abgelehnt. Dabei ging es um das Urteil des EGMR vom 06. 12. 2007 (Nr. 28965/02), Aleksandrova v. Russia, zit. nach HUDOC-Datenbank des EGMR. In dem Entwurf des Konzepts der Entwicklung der Gesetzgebung über juristische Personen vom 16. 03. 2009, der im Auftrag des Präsidenten RF vorbereitet wurde, ist eine Minderung der Anzahl der Unitarbetriebe und deren Umwandlung in Kapitalgesellschaften mit staatlicher Beteiligung vorgesehen, . Die Rechtsprechung des EGMR wird wohl einen zusätzlichen Impuls für diese Reform geben. 376

Kapitel 7

Folgen von Konventionsverletzungen Auf Grund einer gegen einen (oder mehrere) Vertragsstaat(en) vorgebrachten Beschwerde kann der EGMR eine Verletzung der EMRK feststellen und, sofern notwendig, dem Geschädigten eine angemessene Entschädigung zuerkennen (vgl. Artt. 19, 41 EMRK). Somit sind Feststellungs- und Leistungsurteile des EGMR zu unterscheiden. Nach herrschender Meinung gelten die Urteile des EGMR nur inter partes (zwischen dem Beschwerdeführer und dem beklagten Konventionsstaat)1 und nur in Bezug auf die anhängige Sache, was dem Rechtsinstitut der Rechtskraft der Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte entspricht. Die Parteien sind nicht berechtigt, endgültige Urteile des Gerichtshofs in Frage zu stellen und der Verletzerstaat ist nicht berechtigt, das Vorliegen einer Konventionsverletzung nach endgültigem Urteil des Gerichtshofs zu leugnen.2 Der österreichische Oberste Gerichtshof hat dazu ausgeführt: „[E]ine vom EGMR festgestellte Konventionsverletzung [bindet] die Staatsgewalt in all ihren Ausprägungen – Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung (…). [E]ine Staatsgewalt darf also nicht – entgegen einer durch den EGMR bindend festgestellten Konventionsverletzung – die Auffassung vertreten, das staatliche Verfalten sei konventionsgemäß gewesen“.3 Das deutsche BVerfG betonte: „Aus der Feststellung einer Konventionsverletzung folgt zunächst, dass die Vertragspartei nicht mehr die Ansicht vertreten kann, ihr Handeln sei konventionsgemäß gewesen“.4 In diesem Zusammenhang ist auf die Stellungnahme des russischen

1 Die EMRK sieht auch eine Möglichkeit der Staatenbeschwerde vor (Art. 33), doch wird von ihr äußerst selten Gebrauch gemacht (Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 33 Rn. 2 m.w.N.). Sogar anlässlich des „Urgent appeal to member states ,to make use of Art. 33‘ ECHR (inter-state complaint) v. Russia / Violation of human rights in the Chechen Republic“ (Europarat, Parl. Versammlung, Empfehlung 1456(2000) vom 06. 04. 2000, HRLJ 2000, S. 286 ff.), sah sich kein Staat veranlasst, dies zu tun. 2 Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 32; Kilian, Die Bindungswirkung der Entscheidungen des EGMR, S. 129; Bleckmann, EuGRZ 1995, 387; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 46 Rn. 2; Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 23. Cremer, EuGRZ 2004, 690 Fn. 94, weist zu Recht darauf hin, dass auch der Beschwerdeführer zwar nicht durch Art. 46 EMRK, wohl aber kraft des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der materiellen Rechtskraft an das Urteil gebunden ist und das gerügte Verhalten, soweit es unbeanstandet geblieben ist, als konventionsgemäß gelten lassen muss. 3 Oberster Gerichtshof (Österreich), Beschl. vom 29. 05. 1995 (1 Ob 7/95), JBl. 1995, 797. 4 BVerfG, Beschl. vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481/04), Fall Görgülü, NJW 2004, 3409.

Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

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Außenministeriums vom 08. 07. 2004 (Nr. 1569 – 08 – 07 – 2004)5 und die Resolution der Staatsduma vom 10. 07. 2004 (Nr. 899-IV 45)6 zum Urteil des EGMR im Fall Ilas¸cu and Others7 hinzuweisen, in welchen das Urteil als „fehlerhaft und politisch“, „auf Bestellung gefertigt“ und der EGMR als „politisch engagiert“ bezeichnet wurden. Das Außenministerium RF und die Staatsduma RF erklärten dabei, dass Russland seine völkerrechtliche Verpflichtungen, einschließlich der Beachtung der Urteile des EGMR, immer erfüllt habe und erfüllen werde und keine Provokationen die Entschlossenheit Russlands ins Wanken bringen können, seine nationalen Interessen mit rechtlichen Mitteln zu verteidigen. Angesichts dessen, dass das Urteil von der Großen Kammer des EGMR erlassen wurde und somit endgültig ist (vgl. Art. 44 Abs. 1 EMRK), bleibt allerdings unklar, welche rechtlichen Mittel damit gemeint waren.8 Gemäß Art. 46 Abs. 1 EMRK haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, „in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofes zu befolgen“.9 Die Frage der Umsetzung der zunächst rein völkerrechtlichen10 Urteile in das innerstaatliche Recht ist in der EMRK nicht ausdrücklich geregelt, was in der Literatur als eine der Hauptschwächen des durch die Konvention errichteten Rechtsschutzsystems empfunden wurde.11 Bei der Entstehung der EMRK ging man davon aus, dass hinsichtlich der Konsequenzen einer derartigen Feststellung die allgemeinen Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit gelten.12 Der EGMR hat im Jahre 2000 klargestellt, dass die Umsetzung seiner Urteile seitens des verurteilten Vertragsstaates sowohl Maßnahmen individuellen Charakters in Bezug auf den Beschwerdeführer als auch Maßnahmen allgemeiner Art erfordern 5

In Russisch unter , engl. Übersetzung: . 6 SZ RF 2004, Nr. 29, Pos. 3017 = . 7 EGMR (GK), Urt. vom 08. 07. 2004 (Nr. 48787/99), Ilas¸cu and Others v. Moldova and Russia. In diesem Fall ging es um eine politisch brisante Frage der Verantwortung Russlands wegen EMRK-Verletzungen, die von Behörden der (völkerrechtlich nicht anerkannten) Transnistrischen Republik (in Moldawien) begangen wurden, während russische (Friedens-) Truppen dort stationiert waren. Russland bestritt, dass es für das Handeln örtlicher Behörden verantwortlich sein kann. 8 Darunter kann man allerdings die jahrelange Blockierung des In-Kraft-Tretens des 14. ZP zur EMRK durch Russland verstehen. 9 Gemäß der dt. Übersetzung des bis zum Inkrafttreten des 11. ZP (BGBl. 1995 II 579) am 01. 11. 1998 maßgeblichen Art. 53 EMRK waren die Parteien verpflichtet, „sich nach der Entscheidung des Gerichtshofes zu richten“ (BGBl. 1952 II 698). Mit dem neuen Wortlaut sollte aber laut dem erläuternden Bericht zum 11. ZP (EuGRZ 1994, 336) keinerlei inhaltliche Änderung vorgenommen werden. 10 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 2; Okresek, EuGRZ 2003, 169; ausführlich dazu Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 32 Rn. 67 ff. m.w.N. 11 Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 4. 12 Polakiewibz, ZaöRV 1992, 164 m.w.N.

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

kann, um die Wiederholung gleichartiger Konventionsverletzungen für die Zukunft zu verhindern.13 Derartige Maßnahmen sind auf innerstaatlicher Ebene vorzunehmen. Grundsätzlich sind die Vertragsstaaten in der Wahl der anzuwendenden Maßnahmen frei (obligations of result), solange diese mit den im Urteil festgehaltenen Schlussfolgerungen des EGMR vereinbar sind.14 Allerdings ist in der Rechtsprechung des EGMR in den letzten Jahren eine Tendenz zu einer stärkeren Konkretisierung der staatlichen Verpflichtungen zu beobachten, die dazu führen kann, dass das Umsetzungsermessen des verurteilten Staates in Einzelfällen bis auf Null reduziert sein kann (obligation of means).15 Das Ministerkomitee des Europarates überwacht die Umsetzung der Urteile des EGMR (Art. 46 Abs. 2 EMRK) mit großer Geduld.16 Soweit erforderlich, erlässt das Ministerkomitee so genannte Interim Resolutions, um den Verletzerstaat zur Umsetzung der Urteile zu zwingen,17 wobei das Überwachungsverfahren des Ministerkomitees erst dann durch eine abschließende Resolution beendet wird, wenn die Umsetzung als erfolgreich anerkannt wird.18 Zwangsmittel zur Durchsetzung von Urteilen des EGMR auf internationaler Ebene sind nicht vorgesehen, deswegen ist eine Zwangsvollstreckung durch den Europarat im eigentlichen Sinne nicht möglich.19 Das Ministerkomitee kann durch Resolutionen politischen Druck erzeugen, ebenso die Parlamentarische Versammlung.20 Der Generalsekretär des Europarats kann von seinen Möglichkeiten nach Art. 52 EMRK Gebrauch machen und Informationen erbitten. Als letzte Maßnahme bleibt die Möglichkeit, dem verurteilten Staat nach Art. 8 der Satzung des Europarats 1949 das Recht auf Vertretung (Stimmrecht in der Organisation) vorläufig zu entziehen. Der Mitgliedstaat kann schließlich vom Europarat ausgeschlossen werden. Andere Konventionsstaaten können Staatenbeschwerden nach Art. 33 EMRK auf die Nichtbefolgung eines Urteils stützen. Wegen des „self-contained regime“ der Konvention ist eine Er13 EGMR (GK), Urt. vom 13. 07. 2000 (Nr. 39221/98), Scozzari and Giunta v. Italy, Z. 249. Vgl. auch Europarat, MK, Verfahrensregeln (Rules of the Committee of Ministers for the supervision of the execution of judgments and of the terms of friendly settlements) vom 10. 05. 2006, Regel 6 Abs. 2. OG RF, Plenumsbeschl. [Erläuterungen] vom 10. 10. 2003 (Nr. 5), gibt diesen Ausdruck des EGMR wörtlich wieder (Z. 11). 14 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 26. 02. 2004 (Nr. 74969/01), Görgülü v. Germany, Z. 64. 15 Ausführlich dazu Breuer, EuGRZ 2004, 257 ff.; Grabenwarter, EMRK, § 16 Rn. 7 m.w.N. 16 Okresek, EuGRZ 2003, 172 m.w.N. 17 Vgl. Europarat, MK, Verfahrensregeln vom 10. 05. 2006, Regel 16. 18 Ebenda, Regel 17. 19 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 55; Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 32 Rn. 55, weist zu Recht darauf hin, dass neben den Rechtswirkungen der Verurteilung eines Staates durch den EGMR auch eine Art faktischer Prangerwirkung entsteht, die wesentlich zur Durchführung der EGMR-Urteile beiträgt. 20 Aktuelle Informationen zum Verlauf der Umsetzung der EGMR-Urteile finden sich auf Internetseiten des Europarates unter .

Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

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zwingung der Vollstreckung der Urteile des EGMR auch von anderen Vertragsstaaten z. B. im Wege der Repressalie ausgeschlossen.21 Das allgemeine Völkerrecht wird durch die Konvention verdrängt.22 Der Beschwerdeführer hat das Recht, sich bezüglich der Umsetzung der Urteile des EGMR an das Ministerkomitee des Europarates zu wenden.23 Art. 16 des Protokolls Nr. 14 zur EMRK vom 13. 05. 2004 (in Kraft seit 01. 06. 2010) regelt das Recht des Ministerkomitees, sich mit einer Klage auf angemessene Umsetzung eines Urteils des EGMR an den Gerichtshof zu wenden, der auf Grund dieses Antrags eine Verletzung von Art. 46 Abs. 1 EMRK feststellen kann. Damit wird dem Ministerkomitee ein zusätzliches Druckmittel zur Durchsetzung von EGMR-Urteilen gegeben.24 Ob auch der obsiegende Beschwerdeführer das subjektive Recht hat, eine Verletzung des Art. 46 Abs. 1 EMRK vom EGMR feststellen zu lassen, war lange umstritten.25 Ein entsprechender Vorschlag der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, dem Beschwerdeführer ein subjektives Recht aus Art. 46 Abs. 1 EMRK zu gewähren,26 wurde nicht angenommen. Deswegen hat der EGMR einen anderen Weg eingeschlagen. Nach seiner Rechtsprechung sei er nicht zuständig, die Umsetzung seiner Urteile durch die Konventionsstaaten zu überprüfen, jedoch hindere ihn nichts daran, über zusätzliche Beschwerden zu entscheiden, die neue Anhaltspunkte für eine Verletzung der Menschenrechte des obsiegenden Beschwerdeführers enthalten.27 Solche hat der EGMR in der jüngsten Rechtsprechung etwa in der 21

Dörr, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 33 Rn. 114 m.w.N. Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 52. 23 Vgl. Europarat, MK, Verfahrensregeln vom 10. 05. 2006, Regel 9 Abs. 1. 24 Europarat, Erläuternder Bericht zum 14. ZP, Z. 98 ff., BT-Drucks. 16/42, S. 36 f. Die Wirksamkeit dieser Novellierung wird in der Literatur zu Recht in Frage gestellt, weil für die erneute Feststellung der Konventionsverletzung keine juristischen Folgen vorgesehen sind, ýYh, in: ýYh (Hrsg.), ?RaQjV^YV S 6Sa_`VZb[YZ BdU `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, S. 165. 25 EGMR, Urt. vom 27. 11. 1992 (Nr. 13441/87), Olsson v. Sweden (no. 2), Z. 93 f., hat implizit die Möglichkeit anerkannt, die mangelhafte Umsetzung seiner Urteile in einer Individualbeschwerde zu rügen. EGMR-Richter Pettiti, Matscher und Russo traten im Sondervotum zum Urteil für die Prüfung der Verletzung des Art. 46 Abs. 1 (n.F.) EMRK an. EKMR, Ent. vom 11. 01. 1995 (Nr. 23202/94), Philis v. Greece, weigerte sich, die Beschwerden gegen die unzureichende Umsetzung der Urteile des EGMR anzunehmen, da die Überwachung der Umsetzung dem Ministerkomitee des Europarates anvertraut sei. Zum Meinungsstreit im Schrifttum: Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 271 ff. m.w.N.; Leeb, Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des EGMR, S. 7 ff. m.w.N. Vgl. auch Venedig-Kommission, Opinion 209/2002 vom 18. 12. 2002 „On the Implementation of the judgments of the ECtHR“, Z. 92 f.: Es bestehe das Risiko, dass der EGMR mit solchen Beschwerden überflutet würde. 26 Europarat, Parl. Versammlung, Stellungnahme 251(2004) vom 28. 04. 2004 „On Draft Protocol No. 14 to the ECHR“, lit. viii, HRLJ 2005, S. 107. Dagegen können andere Konventionsstaaten Staatenbeschwerden auch bezüglich fehlender Umsetzung von EGMR-Urteilen einlegen (vgl. Art. 33 EMRK), tun dies aber nicht. 27 Vgl. EGMR, Urt. vom 10. 04. 2003 (Nr. 53470/99), Mehemi v. France (no. 2), Z. 43; Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 21071/05), Wasserman v. Russia (no. 2), Z. 31 ff.; Urt. vom 26. 07. 2011 (Nr. 29157/09), Liu v. Russia (no. 2), Z. 59 ff. 22

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

Weigerung der Behörden gesehen, das Verbot der Ausstrahlung eines Fernsehspots (auch nach der Verurteilung durch den EGMR)28 zu widerrufen, und erneut einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) festgestellt.29 Eine erneute Verurteilung durch den EGMR brachte auch die zweite Beschwerde von Herrn Wasserman. Auch nach dem ersten Urteil des EGMR30 konnten russische Behörden eine innerstaatliche Gerichtsentscheidung gegen den Staat nicht zügig vollstrecken, deswegen hat der Gerichtshof noch einmal die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf effektive Vollstreckung rechtskräftiger Gerichtsurteile) und eine Verletzung von Art. 1 ZP Nr. 1 zur EMRK (Recht auf Eigentum) festgestellt.31 Folglich können obsiegende Beschwerdeführer die im Erstverfahren gerügten Grundrechten vor dem EGMR erneut rügen, sich jedoch nicht auf Art. 46 oder 41 EMRK berufen.32 Im Lichte dieser Rechtsprechung des EGMR erscheint es plausibel anzunehmen, dass bei der Nichtzahlung der zugesprochenen Entschädigung der EGMR vom obsiegenden Beschwerdeführer erneut angerufen und Art. 1 ZP Nr. 1 zur EMRK (Recht auf Eigentum) vor dem EGMR gerügt werden kann.33

§ 1 Individuelle Maßnahmen Maßnahmen individuellen Charakters in Bezug auf den Beschwerdeführer umfassen die Beendigung zeitlich fortdauernder Konventionsverletzungen sowie den Ausgleich der Folgen in der Vergangenheit liegender Konventionsverletzungen in Form der Naturalrestitution (restitutio in integrum).34 Der Staat ist zudem verpflichtet, alle Maßnahmen zu unterlassen, die auf die (Wieder-)Herstellung des als konventionswidrig erkannten Zustandes in Bezug auf den Beschwerdeführer gerichtet sind und somit eine Konventionsverletzung darstellen würden.

28

EGMR, Urt. vom 28. 06. 2001 (Nr. 24699/94), VgT Verein gegen Tierfabriken v. Switzerland. 29 EGMR (GK), Urt. vom 30. 06. 2009 (Nr. 32772/02), Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) v. Switzerland (no. 2), mit 11 zu 6 Stimmen. 30 EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 15021/02), Wasserman v. Russia. 31 EGMR, Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 21071/05), Wasserman v. Russia (no. 2), Z. 64 ff. 32 Vgl. aber EGMR, Urt. vom 11. 10. 2011 (Nr. 5056/10), Emre c. Suisse (no 2), Z. 26 ff. (Fortgeltendes Aufenthaltsverbot trotz EGMR-Urteil – erneute Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) in Verbindung mit Art. 46 EMRK). 33 Der EGMR betrachtet Ansprüche, die in rechtskräftigen Entscheidungen (inländischer) Gerichte bestätigt worden sind, als Eigentum i.S.v. Art. 1 des 1. ZP zur EMRK, vgl. etwa EGMR, Urt. vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia, Z. 40: „The Court reiterates that a ,claim‘ can constitute a ,possession‘ within the meaning of Article 1 of Protocol No. 1 if it is sufficiently established to be enforceable“. Diese Aussage ist ohne weiteres auf zugesprochene gerechte Entschädigungen in Urteilen des EGMR übertragbar. 34 Breuer, EuGRZ 2004, 262 f. weist zu Recht darauf hin, dass die Abgrenzung im Einzelfall erhebliche Zweifelsfragen aufwerfen kann.

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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I. Beendigung fortdauernder Konventionsverletzungen 1. Völkerrechtliche Verpflichtungen Bei andauernden Konventionsverletzungen, die noch zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils des EGMR fortbestehen, ist der Staat zu deren Beendigung verpflichtet.35 Hier ist wiederum die Unterscheidung der Konventionsorgane zwischen fortdauernden Konventionsverletzungen (continuing violations) und fortdauernden Folgen von Konventionsverletzungen (instantaneous act producing continuing effects) wichtig.36 Hinsichtlich der in Art. 6 Abs. 1 EMRK verbürgten Rechte kommen insbesondere folgende fortdauernde Konventionsverletzungen in Betracht: die permanente Verweigerung des Zugangs zu Gericht,37 die Verletzung des Anspruchs auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist, sowie die Verweigerung der Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen.38 Ein Beispiel für eine fortdauernde Konventionsverletzung stellt etwa der Fall Airey dar (faktische Unmöglichkeit aus finanziellen Gründen, sich gerichtlich scheiden zu lassen).39 Nachdem der EGMR das Vorliegen einer Konventionsverletzung festgestellt hatte, übernahmen die irischen Behörden die Kosten des Scheidungsprozesses und stellten somit das Recht der Beschwerdeführerin auf Zugang zu Gericht sicher.40 2. Russische Praxis Eine Analyse der Rechtsprechung des EGMR zeigt, dass als typische fortdauernde Konventionsverletzungen durch russische Behörden und Gerichte in erster Linie die Verweigerung der Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen gegen den Staat und Staatsunternehmen sowie die Verletzung des Anspruchs auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist ins Gewicht fallen. In einer Reihe von Urteilen gab der EGMR der russischen Regierung auf, die Vollstreckbarkeit innerstaatlicher Gerichtsentscheidungen binnen drei Monaten ab Eintritt der Rechtskraft 35

So schon EGMR, Urt. vom 31. 10. 1995 (Nr. 14556/89), Papamichalopoulos and Others v. Greece (Art. 50), Z. 34. 36 Siehe oben Kap. 2, S. 64 ff.; Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 63 ff. 37 EGMR, Urt. vom 10. 02. 2005 (Nr. 69315/01), Sukhorubchenko v. Russia, Z. 54 „The Court finds (…) that the long period during which the applicant was prevented from having his civil claim determined by the domestic court as a consequence of the defective notification entailed a violation of Article 6 § 1 [the right of access to a court]“. 38 Vgl. Leeb, Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des EGMR, S. 32 m.w.N. EGMR, Urt. vom 08. 12. 2005 (Nr. 7363/04), Mikryukov v. Russia, Z. 36, betrachtet die Vollstreckung eines rechtskräftigen Zivilurteils, das konventionswidrig lange nicht vollstreckt wurde, als einen Fall der Naturalrestitution. Gleichzeitig wird aber dadurch auch die fortdauernde Konventionsverletzung beendet. 39 EGMR, Urt. vom 09. 10. 1979 (Nr. 6289/73), Airey v. Ireland. 40 EGMR, Urt. vom 06. 02. 1981 (Nr. 6289/73), Airey v. Ireland (Art. 50), Z. 6, Z. 1 des Tenors.

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seines Urteils sicherzustellen.41 Die hierfür angesetzte Frist von drei Monaten fällt ins Auge, denn grundsätzlich verlangt der EGMR eine unverzügliche Beendigung fortdauernder Konventionsverletzungen,42 während er im Fall der Verletzung des Anspruchs auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist bislang keine ausdrücklichen Fristen gesetzt hat.43 Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Verfahren nach Feststellung einer derartigen Konventionsverletzung so schnell wie möglich zum Abschluss gebracht werden muss.44 Nach den Worten des ehemaligen Vertreters der RF beim EGMR Pavel Laptev sind russische Behörden gehalten, Konventionsverletzungen abzustellen, bevor es zur Verurteilung Russlands durch den EGMR kommt.45 In der Tat werden die betreffenden Konventionsverletzungen von den russischen Behörden oft schon vor einer endgültigen Entscheidung des EGMR abgestellt, da die Behörden bereits auf die Mitteilung eines neu anhängigen Verfahrens vor dem EGMR reagieren.46 Allerdings geschieht dies in der Regel, ohne dass eine Verletzung der EMRK anerkannt wird, so dass die Beschwerdeführer ihre Opfereigenschaft nicht verlieren und auch der Gerichtshof weiterhin für die Entscheidung zuständig bleibt.47 Wie rasch die russischen Behörden hingegen fortdauernde Konventionsverletzungen beenden, nachdem der EGMR darüber entschieden hat, ist bislang schwer zu sagen. In der 5. Interim Resolution des Ministerkomitees des Europarates vom 12. 07. 2007 zum Urteil Ilas¸cu and Others v. Moldova and Russia (Nr. 48787/99) heißt es, die in dem Urteil vom 08. 07. 2004 festgestellten Konventionsverletzungen hätten bis Juni 2007 angedauert.48 Eine erneute Verurteilung Russlands durch den EGMR im 41 EGMR, Urt. vom 30. 06. 2005 (Nr. 11931/03), Teteriny v. Russia, Z. 56, Z. 4 (a) des Tenors; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 43883/02), Plotnikovy v. Russia, Z. 33, Z. 4 (a) des Tenors; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 25964/02), Poznakhirina v. Russia, Z. 33, Z. 4 (a) des Tenors. 42 EGMR (GK), Urt. vom 08. 04. 2004 (Nr. 71503/01), Assanidze v. Georgia, Z. 198 ff., Z. 14 lit. a des Tenors; in Bezug auf Russland: EGMR (GK), Urt. vom 08. 07. 2004 (Nr. 48787/ 99), Ilas¸cu and Others v. Moldova and Russia, Z. 490, Z. 22 des Tenors. 43 Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 24. 03. 2005 (Nr. 55520/00), Baburin v. Russia, Z. 32. Zum Zeitpunkt des EGMR-Urteils war der Fall des Beschwerdeführers von russischen Gerichten konventionswidrig noch nicht entschieden. 44 Leeb, Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des EGMR, S. 42. 45 Vgl. Aussagen von Pavel Laptev (Vertreter RF beim EGMR 1998 – 2007), A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 3, S. 5 f., und Weronika Milintschuk (Vertreterin RF beim EGMR 2007 – 2008), A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 28. 04. 2007 (Nr. 4354), S. 2. Dies entspricht auch der Empfehlung des Europarates, vgl. MK, Resolution Res(2002)59. 46 EGMR, Urt. vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia, Z. 36; Urt. vom 23. 09. 2004 (Nr. 60408/00), Yemanakova v. Russia, Z. 25 ff.; Urt. vom 13. 01. 2005 (Nr. 5124/03), Gizzatova v. Russia, Z. 19; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 36494/02), Petrushko v. Russia, Z. 10; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 41304/02), Koltsov v. Russia, Z. 8 – Vollstreckung rechtskräftiger inländischer Zivilurteile gegen den Staat. 47 Vgl. EGMR, Ent. vom 21. 06. 2001 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 41304/02), Koltsov v. Russia, Z. 13 f. 48 Europarat, MK, Interim Resolution CM/ResDH(2007)106 vom 12. 07. 2007. Hier ging es um die Freilassung der konventionswidrig inhaftierten Beschwerdeführer, die von Behörden der

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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Fall Wasserman v. Russia (no. 2) zeigt zudem erhebliche Defizite auf. Hier wurde die vom EGMR festgestellte andauernde Konventionsverletzung (Nichtvollstreckung eines innerstaatlichen Zahlungsurteils gegen den Staat)49 erst nach über zwei Jahren beendet.50 II. Naturalrestitution (restitutio in integrum) 1. Völkerrechtliche Verpflichtungen Der Gerichtshof geht davon aus, dass der Verletzerstaat grundsätzlich dazu verpflichtet ist, nach Möglichkeit die Lage vor Eintritt der Konventionsverletzung wiederherzustellen: „If the nature of the breach allows of restitutio in integrum, it is for the respondent State to effect it (…)“.51 Der Beschwerdeführer sei so zu stellen, als habe die Konventionsverletzung nicht stattgefunden.52 Dieser Grundsatz gilt auch für Art. 6 Abs. 1 EMRK.53 In dem Fall, dass eine gerichtliche Entscheidung eines Vertragsstaates zu einer Konventionsverletzung geführt hat, stellt eine Wiederaufnahme (im weiteren Sinne)54 des Verfahrens bzw. eine Überprüfung der betreffenden Entscheidung die effektivste,55 wenn nicht die einzige in diesem Fall denkbare Form der restitutio in (völkerrechtlich nicht anerkannten) Transnistrischen Republik (in Moldawien) festgehalten werden. Der EGMR hat dieses Verhalten Russland zugerechnet, weil russische (Friedens-) Truppen dort stationiert sind. Russland bestreitet, auf die örtlichen Behörden Einfluss nehmen zu können. Dies ist insoweit ein Sonderfall und kann keine vollständige Auskunft über die Beendigung von Konventionsverletzungen durch Russland liefern. Inzwischen hat sich die Sache erledigt. Nach Ablauf der 15-jährigen Haftstrafe kamen die letzten der Beschwerdeführer im Juni 2007 frei. Sie haben allerdings beim EGMR neue Beschwerden eingereicht, woraufhin das MK des Europarates das Überwachungsverfahren nach Art. 46 Abs. 2 EMRK bis zum Urteil des EGMR ausgesetzt hat. 49 EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 15021/02), Wasserman v. Russia, Z. 35 ff. 50 Vgl. EGMR, Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 21071/05), Wasserman v. Russia (no. 2), Z. 64 ff. 51 EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 247. Dies entspricht auch dem allgemeinen Völkerrecht, vgl. UN Generalversammlung, Resolution A/ RES/56/83 vom 28. 01. 2002, Anlage „Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen“, Art. 35. 52 St.Rspr., siehe z. B. EGMR, Urt. vom 26. 10. 1984 (Nr. 8692/79), Piersack v. Belgium (Art. 50), Z. 12; Urt. vom 31. 10. 1995 (Nr. 14556/89), Papamichalopoulos and Others v. Greece (Art. 50), Z. 34. 53 EGMR, Urt. vom 08. 12. 2005 (Nr. 7363/04), Mikryukov v. Russia, Z. 36; Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 25964/02), Poznakhirina v. Russia, Z. 33; Urt. vom 05. 04. 2007 (Nr. 5945/04), Furman v. Russia, Z. 30: „The Court recalls that the most appropriate form of redress in respect of a violation of Article 6 is to ensure that the applicant as far as possible is put in the position he would have been in had the requirements of Article 6 not been disregarded (…)“. 54 Darunter versteht etwa Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 117, jegliches Verfahren, das der Überprüfung rechtskräftiger Entscheidungen mit dem Ziel der Beseitigung von Fehlentscheidungen dient. 55 Vgl. EGMR, Urt. vom 26. 10. 1984 (Nr. 8692/79), Piersack v. Belgium (Art. 50), Z. 11; Urt. vom 29. 07. 2004 (Nr. 77562/01), San Leonard Band Club v. Malta, Z. 70: „Where the

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integrum dar.56 Daher empfiehl das Ministerkomitee des Europarates den Vertragsstaaten der EMRK, im autonomen Recht ein geeignetes Verfahren hierfür einzurichten.57 Dies erscheint insbesondere in Bezug auf die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK als gerechtfertigt.58 Der EGMR geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK den Vertragsstaaten zwar keine Verpflichtung zur Schaffung eines derartigen Verfahrens auferlegt,59 er wertet jedoch umgekehrt die Existenz derartiger Regelungen als Beweis dafür, dass der jeweilige Konventionsstaat um die Umsetzung der Urteile des EGMR bemüht ist.60 Allerdings kann durch eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder durch eine Überprüfung der betreffenden Entscheidung die angestrebte restitutio in integrum Court finds that an applicant’s case has been decided by a tribunal which is not independent and impartial within the meaning of Article 6 § 1 of the Convention, it considers that, in principle, the most appropriate form of relief would be to ensure that the applicant is granted in due course a retrial by an independent and impartial tribunal“. 56 Europarat, MK, Empfehlung R(2000)2 vom 19. 01. 2000, EuGRZ 2004, 809. 57 Ebenda, 808 f., wonach eine Wiederaufnahme des Verfahrens besonders notwendig ist, wenn (Z. II): „(i) die verletzte Partei wegen der innerstaatlichen Entscheidung weiterhin an sehr schwerwiegenden Folgen leidet, die mit der gerechten Entschädigung nicht behoben, sondern nur durch Wiedererwägung oder Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt werden können, und (ii) aus dem Urteil des EGMR hervorgeht, dass (a) die angefochtene innerstaatliche Entscheidung materiell in Widerspruch zur EMRK steht oder (b) die festgestellte Verletzung auf Verfahrensfehler oder -mängel zurückgeht, die derart schwer wiegen, dass ernsthafte Zweifel am Ausgang des angefochtenen innerstaatlichen Verfahrens bestehen“. Das gilt für alle innerstaatlichen Gerichtsentscheidungen, die diese Voraussetzungen erfüllen (Anhang zur Empfehlung, Z. 10), folglich auch für Entscheidungen des Verfassungsgerichte der Konventionsstaaten. 58 Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 112. Aus der Empfehlung des Europarates wird nicht ganz klar, wie, sofern zivilgerichtliche Entscheidungen betroffen sind, auch das Interesse der Gegenpartei am Bestand einer rechtskräftig gewordenen Entscheidung und der damit einhergehenden Rechtssicherheit berücksichtigt werden soll. Das Ministerkomitee erkannte das Problem, wies jedoch lapidar darauf hin, dass auch bei anderen innerstaatlichen Wiederaufnahmeverfahren das Problem vorhanden sei (Empfehlung R(2000)2 vom 19. 01. 2000, Anhang Z. 15). 59 St.Rspr.: EGMR, Urt. vom 25. 04. 1983 (Nr. 8398/78), Pakelli v. Germany, Z. 45; Urt. vom 29. 04. 1988 (Nr. 10328/83), Belilos v. Switzerland, Z. 76; Urt. vom 20. 09. 1993 (Nr. 14647/89), Saïdi v. France, Z. 47; Urt. vom 22. 09. 1994 (Nr. 16737/90), Pelladoah v. the Netherlands, Z. 44; Ent. vom 08. 07. 2003 (Nr. 15227/03), Lyons and Others v. the United Kingdom; EGMR (GK), Urt. vom 30. 06. 2009 (Nr. 32772/02), Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) v. Switzerland (no. 2), Z. 89. Bei einer festgestellten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 hat der EGMR gelegentlich jedoch die Pflicht zur Durchführung des neuen Gerichtsverfahrens in den Tenor seines Urteils aufgenommen, vgl. EGMR, Urt. vom 26. 01. 2006 (Nr. 62710/00), Lungoci c. Roumanie, Z. 3 (a) des Tenors: „[T]he respondent State is to ensure that, within six months from the date on which the judgment becomes final in accordance with Article 44 § 2 of the Convention, the proceedings are reopened if the applicant so desires“. Vgl. dazu Breuer, EuGRZ 2004, 782 ff. 60 EGMR, Ent. vom 08. 07. 2003 (Nr. 15227/03), Lyons and Others v. the United Kingdom.

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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nicht immer erreicht werden. Zum Beispiel macht eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Falle von Verfahrensverzögerungen, insbesondere in Zivilsachen, keinen Sinn.61 Ebenso wenig sinnvoll ist eine Wiederaufnahme, wenn sich die festgestellte Konventionsverletzung nicht oder nur geringfügig auf das Ergebnis des Gerichtsverfahrens ausgewirkt hat, so dass allein die Feststellung des Vorliegens einer Konventionsverletzung aus Sicht des EGMR als ausreichend erscheint.62 In solchen Fällen ist lediglich ein Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens auf innerstaatlicher Ebene möglich. Auf der anderen Seite kann eine restitutio in integrum in manchen Fällen auch ohne eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreicht werden. So kann der Verletzerstaat dem Beschwerdeführer etwa die zu Unrecht nicht zugesprochene Geldsumme ersetzen oder zu Unrecht enteignetes Eigentum zurückerstatten. Hierfür muss die innerstaatliche Entscheidung nicht unbedingt förmlich aufgehoben werden, auch wenn ihre Rechtsfolgen zu berichtigen sind.63 Bei der Wiederaufnahme des Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass die Wirkung des EGMR-Urteils nur auf die res judicata bezogen ist und dass sich die Sach- und Rechtslage bis zu einem erneuten nationalen Verfahren unter Beteiligung des Beschwerdeführers entscheidend ändern kann.64 Es sei auch angemerkt, dass das Ministerkomitee des Europarates das Überwachungsverfahren abschließt, wenn den obsiegenden Beschwerdeführern die Möglichkeit offen steht, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen.65 Der EGMR hat allerdings klargestellt, dass das die Wiederaufnahme den Behörden die Möglichkeit einräumen muss, die Schlussfolgerungen und den Geist des umzusetzenden Urteils zu befolgen, ohne die verfahrensrechtlichen Garantien der EMRK zu verletzen.66

61

Vgl. Ress, EuGRZ 1996, 351. In Strafsachen kommt dagegen Strafnachlass in Betracht. Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 145 f. 63 Ebenda, S. 112 m.w.N. 64 BVerfG, Beschl. vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481/04), Fall Görgülü, NJW 2004, 3409. 65 Vgl. etwa Europarat, MK, Resolution ResDH(2003)125 vom 22. 07. 2003; Resolution CM/ResDH(2008)17 vom 27. 03. 2008. 66 EGMR (GK), Urt. vom 30. 06. 2009 (Nr. 32772/02), Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) v. Switzerland (no. 2), Z. 90: „[T]he reopening of proceedings at domestic level could constitute an important aspect of the execution of the Court’s judgments. (…) However, the reopening procedure must also afford the authorities of the respondent State the opportunity to abide by the conclusions and the spirit of the Court judgment being executed, while complying with the procedural safeguards in the Convention. (…) In other words, the reopening of proceedings that have infringed the Convention is not an end in itself; it is simply a means – albeit a key means – that may be used for a particular purpose, namely the full and proper execution of the Court’s judgments“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 10. 08. 2006 (Nr. 40476/98), Yanakiev v. Bulgaria, Z. 90: „The Court is (…) of the view that the most appropriate form of redress in cases where it finds that an applicant has not had access to a tribunal in breach of Article 6 § 1 of the Convention would, as a rule, be to reopen the proceedings in due course and re-examine the case in keeping with all the requirements of a fair trial“. 62

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

2. Innerstaatliche Umsetzung in Russland Angesichts der geringen Anzahl von Resolutionen des Ministerkomitees in Bezug auf Russland ist es bislang schwierig zu sagen, auf welche Weise die russischen Behörden eine restitutio in integrum sicherstellen wollen. Nach den bisherigen Erfahrungen wurden entsprechende Maßnahmen oft schon vor der Verurteilung durch den EGMR getroffen.67 Im Übrigen wurden auch entsprechende Änderungen im Prozessrecht vorgenommen. Noch im Jahr 1996, also lange vor der Ratifizierung der EMRK durch die Russische Föderation, hat das VerfG RF eine grundlegende Entscheidung zu Art. 46 Abs. 3 Verf. RF erlassen, wonach jedermann das Recht hat, sich im Rahmen der völkerrechtlichen Abkommen der Russischen Föderation an internationale Institutionen zum Schutz der Menschenrechte zu wenden, sofern der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft ist. Nach Ansicht des VerfG RF ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass Urteile internationaler Institutionen zu einer erneuten Entscheidung in dem betreffenden Fall durch die russischen Obergerichte führen und somit diese zur Wiederaufnahme des Verfahrens und Abänderung der endgültigen Entscheidung berechtigen können.68 Diese Ansicht stützte das Verfassungsgericht auf Art. 2 Abs. 2 IPBPR 1966, demzufolge die Vertragsstaaten gesetzgeberische oder sonstige Vorkehrungen zu treffen haben, die zur Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte notwendig sind. Im Jahr 2001 sah der Gesetzgeber in der neu gefassten Strafprozessordnung der RF erstmals vor, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens darstellt (Art. 413 Abs. 4 Nr. 2 lit. a, b): „Als neue Umstände [die die Wiederaufnahme des Verfahrens erfordern] gelten: (…) (2) die Feststellung einer Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die bei der Verhandlung eines Strafrechtsfalles vor einem Gericht der Russischen Föderation stattgefunden hat, und verbunden mit: a) der Anwendung des Bundesrechts, das entsprechenden Vorschriften der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht entspricht; b) anderen Verletzungen von Vorschriften der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“.

67 Vgl. z. B. EGMR, Urt. vom 05. 10. 2004 (Nr. 65659/01), Presidential Party of Mordovia v. Russia, Z. 19 f.; EGMR (GK), Urt. vom 02. 11. 2010 (Nr. 21272/03), Sakhnovskiy v. Russia, Z. 25 – Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung des konventionswidrigen Urteils. 68 VerfG RF, Urt. vom 02. 02. 1996 (Nr. 4-@), Z. 7, SZ RF 1996, Pos. 701; in diesem Fall ging es um die Überprüfung rechtskräftiger Urteile in Strafsachen, die schon von der höchsten russischen Gerichtsinstanz (Präsidium des OG RF) überprüft worden waren und deren weitere Überprüfung nach geltendem Recht ausgeschlossen war.

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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Im Jahre 2002 wurde in die WirtPO RF eine entsprechende Vorschrift aufgenommen (Art. 311 Nr. 7): „Als Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer bekannt gewordenen Umständen gelten: (…) (7) die Feststellung einer Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die bei der Verhandlung eines bestimmten Falles vor einem Wirtschaftsgericht stattgefunden hat, und diesbezüglich der Beschwerdeführer den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen hat“.

Der Wortlaut des Art. 311 Nr. 7 WirtPO stellt klar, dass nur solche Gerichtsverfahren der Wiederaufnahme unterliegen, in welchen der Beschwerdeführer sich an den EGMR gewandt hat.69 In der Literatur wird zu Recht angemerkt, dass eine Wiederaufnahme nur dann in Betracht kommt, wenn eine neue gerichtliche Entscheidung zur Beseitigung der Konventionsverletzung geeignet ist.70 Die im Jahr 2002 neu gefasste ZPO RF enthält keine entsprechende Vorschrift.71 Allerdings sprechen die oben genannte Auslegung des Art. 46 Abs. 3 Verf. RF durch das VerfG RF, das in der Verfassung verankerte Gleichheitsgebot (Art. 19 Abs. 1) sowie die Befugnis der ordentlichen Gerichte, das Prozessrecht analog anzuwenden (Art. 1 Abs. 4 ZPO RF), dafür, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR auch im ZPO-Bereich einen Wiederaufnahmegrund darstellen muss.72 Die Rechtsprechung schien diesen Weg eingeschlagen zu haben,73 war aber nicht einheitlich. Die Frage wurde im Jahr 2010 letztendlich dem VerfG RF vorgelegt, welches die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Sieg vor dem EGMR auch im Zivilprozessrecht ausdrücklich anerkannte.74 Soweit er69 Der Wortlaut des Art. 413 Abs. 4 Nr. 2 StPO RF 2001 dagegen schließt die Auslegung nicht eindeutig aus, dass die Feststellung der EMRK-Verletzung durch den EGMR die Wiederaufnahme des Verfahrens auch in Parallelfällen rechtfertigen kann. Diese Auffassung vertritt etwa =QcSVVS, OaYbc-]VWUd^Qa_U^Y[ 2004, Nr. 4, S. 43 f.; dagegen 6UYUY^, 1aRYcaQW^lZ Y TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb 2004, Nr. 11 S. 24. 70 9T^QcV^[_/EVU_a_S, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2003, Nr. 7, S. 23. 71 9T^QcV^[_, in: Staatliche Juristische Akademie des Ural (Hrsg.), @aY]V^V^YV ]VWUd^Qa_U^lf U_T_S_a_S S _R\QbcY `aQS hV\_SV[Q, S. 24, meint, dass nur elementare Unachtsamkeit des Gesetzgebers diese Gesetzeslücke verursacht hat und fordert eine entsprechende Erläuterung durch das OG RF. 72 Vgl. þViQcQVSQ, =VWUd^Qa_U^lZ TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb, S. 21; 8Y]^V^[_, =_b[_Sb[YZ Wda^Q\ ]VWUd^Qa_U^_T_ `aQSQ 2004, Nr. 2, S. 87 Fn. 29; =QcSVVS, OaYbc-]VWUd^Qa_U^Y[ 2004, Nr. 4, S. 44; 5Va[_Sb[Qp, 8Q[_^ Y `aQS_ 2004, Nr. 6, S. 69 f. 73 OG RF, Schreiben vom 12. 09. 2005 (Nr. 1673-5/_Rj), zit. nach RIS „Garant“, berichtet von der Wiederaufnahme des Verfahrens vor einem ordentlichen Gericht (und folglich nach der ZPO RF) nach dem Urteil des EGMR vom 18. 11. 2004 (Nr. 69529/01), Pravednaya v. Russia. 74 VerfG RF, Urt. vom 26. 02. 2010 (Nr. 4-@), SZ RF 2010, Nr. 11, Pos. 1255. Durch Reformgesetz vom 09. 12. 2010 (Nr. 353-E8) wird die Feststellung einer EGMR-Verletzung durch den EGMR in Bezug auf den Fall des Beschwerdeführers als Wiederaufnahmegrund in die ZPO RF zum 01. 01. 2012 aufgenommen (Art. 392 Abs. 4 Nr. 4 ZPO RF n.F.).

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

sichtlich, bleibt die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zu derartigen Wiederaufnahmeanträgen aber uneinheitlich.75 Es bleibt auch unklar, wie dem grundsätzlich schutzwürdigen Vertrauen eines Dritten – hier des Gegners im Ausgangsverfahren – am Bestand einer rechtskräftig gewordenen Entscheidung und der damit einhergehenden Rechtssicherheit Rechnung getragen werden soll. Die deutsche Bundesregierung etwa, die sich veranlasst gesehen hat, eine für das Strafverfahren geltende Konventionsverletzung als Wiederaufnahmegrund (§ 359 Nr. 6 dt. StPO) auf den Zivilprozess auszudehnen,76 will dadurch Abhilfe schaffen, dass der Gegner des Ausgangsverfahrens von einer anhängigen Individualbeschwerde beim EGMR unterrichtet und auf die Möglichkeit der Drittbeteiligung am Verfahren vor dem EGMR und gegebenenfalls auch der Wiederaufnahme hingewiesen werden soll.77 In Russland gibt es so etwas noch nicht. In Betracht kommen nur Amtshaftungsansprüche gegen den Staat. Das neue Verfahren ist allerdings mit Risiken behaftet und kann kaum für den Schutz der Interessen des Gegners des Ausgangsverfahrens als genügend angesehen werden. Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber in diesen Fragen wäre wünschenswert. Es ist durchaus möglich, dass eine Konventionsverletzung durch eine Verfassungsgerichtsentscheidung bewirkt wird.78 Es wird die Frage aufgeworfen, ob das VerfG RF zur Wiederaufnahme des Verfahrens berechtigt bzw. verpflichtet ist, wenn der EGMR eine Konventionsverletzung in einer seiner Entscheidungen festgestellt hat.79 Gemäß Art. 79 Abs. 1 VerfGG 1994 sind Entscheidungen des VerfG RF endgültig und unanfechtbar. Ein Verfahren der Wiederaufnahme ist insoweit – selbst in Bezug auf offensichtlich fehlerhafte Entscheidungen – vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Art. 73 VerfGG lässt eine von einem früheren Urteil abweichende Entscheidung ausdrücklich nur zu, wenn ein neuer Sachverhalt vorliegt. Daher ist nach einer Ansicht eine Wiederaufnahme in einem solchen Fall nach geltendem Recht unmöglich, wobei die Vertreter dieser Ansicht gleichzeitig eine Abänderung

75 Vgl. Gericht des Woronescher Gebiets (Präsidium), Urt. vom 13. 10. 2010 (Nr. 44-T-48); Gericht des Rostower Gebiets (Präsidium), Urt. vom 21. 07. 2011 (Nr. 44T-69) – Anträge stattgegeben; Gericht der Stadt St. Petersburg (Präsidium), Urt. vom 18. 05. 2011 (Nr. 44T-38/ 11) – Antrag abgelehnt. 76 Seit dem 31. 12. 2006 bildet im deutschen Recht die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR einen Wiederaufnahmegrund gem. § 580 Nr. 8 dt. ZPO n.F., vgl. Art. 10 Nr. 6 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes vom 22. 12. 2006, BGBl. 2006 I 3416. 77 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines 2. Justizmodernisierungsgesetzes, BT-Drucks. 16/3038, S. 40. 78 Mit Urteil vom 24. 06. 2004 (Nr. 59320/00), Von Hannover v. Germany, hat der EGMR etwa entschieden, dass die Rechtsprechung der deutschen Gerichte einschließlich des BVerfG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum großen Teil gegen Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verstieße. 79 @. ýQ`cVS , in: Internet-Konferenz vom 12. 02. 2002 „6Sa_`VZb[YV bcQ^UQacl XQjYcl `aQS hV\_SV[Q. ?RVb`VhV^YV U_bcd`Q S A_bbYZb[_Z EVUVaQgYY“, .

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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dieser als unangemessen empfundenen Rechtslage vorschlagen.80 Nach anderer Ansicht bedarf es einer solchen Novellierung angesichts der oben genannten Entscheidung des VerfG RF zu Art. 46 Abs. 3 Verf. RF nicht zwingend.81 Inwieweit sich das VerfG RF durch seine eigene Rechtsprechung gebunden sehen wird bzw. ob es insofern zu Wiederaufnahmeentscheidungen kommt, wird sich zeigen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auch nach der Verkündung des EGMR-Urteils Anspruch auf eine wirksame Beschwerdemöglichkeit bei einer nationalen Instanz im Sinne des Art. 13 EMRK hat.82 Andererseits könnten, angesichts des normativen Charakters der Entscheidungen des russischen VerfG (Verfassungsgericht als negativer Gesetzgeber), Änderungen der Rechtsprechung des VerfG RF für die Zukunft in vielen Fällen für eine Naturalrestitution ausreichen. Hier ist auch ein Kollisionspotential zwischen Art. 79 VerfGG RF 1994, wonach Verfassungsgerichtsentscheidungen unmittelbar gelten und normative Wirkung haben, und Art. 46 Abs. 1 EMRK festzustellen. Russische Fachgerichte sind an tragende Gründe der VerfG-Entscheidung gebunden, auch wenn der EGMR in demselben Fall eine abweichende Bewertung vorgenommen hat.83 Um eine völkerrechtliche Verantwortung zu vermeiden, muss der Gesetzgeber die Bindungskraft von VerfG-Entscheidungen zu Gunsten der EGMR-Urteile lockern.84 III. Gerechte Entschädigung 1. Völkerrechtliche Verpflichtungen Gemäß Art. 41 EMRK kann der EGMR dem Geschädigten eine angemessene Entschädigung zuerkennen. Art. 41 EMRK lautet: „Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist“.

Bei wörtlicher Interpretation dieser Vorschrift müsste man annehmen, der EGMR könne nur dann eine angemessene Entschädigung zusprechen, wenn das inner80

6ai_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2003, Nr. 5, S. 19; Hartwig, EuGRZ 1996, 191: Russland hätte sich hier zum Vorreiter bei der Lösung eines diffizilen Rechtsproblems machen können, das über kurz oder lang von allen Staaten entschieden werden muss. 81 ý_R_S, in: 5V]V^VSa/@VcaQ^_S (Hrsg.), 6Sa_`VZb[YZ BdU `_ `aQSQ] hV\_SV[Q: `aQSY\Q _RaQjV^Yp Y bdU_`a_YXS_UbcSQ, S. 75; Vgl. auch 5Va[_Sb[Qp, 8Q[_^ Y `aQS_ 2004, Nr. 6, S. 69: „Infolge der Feststellung einer Konventionsverletzung ist die Wiederaufnahme des Verfahrens aller Fallarten in Russland möglich“. 82 Polakiewibz, ZaöRV 1992, 176. 83 Vgl. EGMR, Urteil vom 07. 10. 2010 (Nr. 30078/06), Konstantin Markin v. Russia (liegt der Großen Kammer vor). 84 Vgl. Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK, S. 38 (in Bezug auf die Rechtslage in Deutschland).

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

staatliche Recht des betroffenen Vertragsstaates eine vollkommene Wiedergutmachung nicht gestattet (keine entsprechende Regelung vorsieht).85 Der EGMR folgt jedoch zu Gunsten einer effektiven Umsetzung des durch die EMRK verbürgten Menschenrechtsschutzes einer weiteren Auslegung dieser Norm und spricht auch dann eine Entschädigung zu, wenn das Recht des betreffenden Vertragsstaates selbst entsprechende Entschädigungsregelungen bereithält.86 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur zu Recht angemerkt: „What seems surprising is that neither Protocol No. 11, which radically changed the supervisory system, nor Protocol No. 14 (…), considered updating a provision such as Article 41 ECHR which clearly no longer corresponds to the current state of affairs“.87 Auf entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers gewährt der EGMR eine angemessene Entschädigung bei Schäden durch erhebliche Konventionsverletzungen,88 wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen den Schäden und der Konventionsverletzung89 besteht.90 Hierbei bevorzugt der EGMR in seiner Rechtsprechung die Naturalrestitution.91 So spricht der Gerichtshof etwa im Falle zu Unrecht nicht 85

Breuer, EuGRZ 2004, 258. „Wäre das Opfer, nach der vergeblichen Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs vor Einlegung seiner Menschenrechtsbeschwerde in Straßburg verpflichtet, noch ein weiteres Mal den Rechtsweg zu bestreiten, bevor es vor dem Gerichtshof gerechte Entschädigung erlangen kann, so stünde die Gesamtverfahrensdauer nach dem Konventionssystem kaum in Übereinstimmung mit der Idee effektiven Menschenrechtschutzes“: EGMR, Urt. vom 10. 03. 1972 (Nr. 2832/66 u. a.), De Wilde, Ooms and Versyp v. Belgium (Art. 50), Z. 16; Urt. vom 02. 02. 2006 (Nr. 33264/02), Levin v. Russia, Z. 31; Urt. vom 26. 01. 2006 (Nr. 77617/01), Mikheyev v. Russia, Z. 155. Insofern missverständlich die Aussage des EGMR im Urteil vom 08. 04. 2004 (Nr. 11057/02), Haase v. Germany, Z. 115: „Die Gewährung eines Geldbetrages dient als gerechte Entschädigung nach Art. 41 nur der Wiedergutmachung des vom Betroffenen erlittenen Schadens, soweit er eine Folge der Verletzung ist, der nicht anderweitig abgeholfen werden kann“, dt. Übersetzung zit. nach NJW 2004, 3406. Insgesamt lässt sich keine klare Linie in der Rechtsprechung des EGMR in dieser Frage feststellen, vgl. Venedig-Kommission, Opinion 209/2002 vom 18. 12. 2002 „On the Implementation of the judgments of the ECtHR“, Z. 37 ff. m.w.N. 87 De Salvia, in: Council of Europe (Hrsg.), The Status of International Treaties on Human Rights, S. 100. 88 Bei geringfügiger Konventionsverletzung sieht der EGMR allein deren Feststellung als ausreichende Wiedergutmachung. Dabei begnügt sich der EGMR gerade bei Verfahrensdauerfällen oft damit, dass die Feststellung der Konventionsverletzung für sich genommen hinreichenden Schadensersatz bietet, Grabenwarter, EMRK, § 15 Rn. 6 m.w.N. 89 Hier scheitert oft das Begehren der Beschwerdeführer, Ersatz für materielle Schäden wegen Verletzungen von Verfahrensrechten zu bekommen, weil der EGMR nicht über den günstigeren Verfahrensausgang spekulieren will, Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 145 f. m.w.N. 90 Vgl. Art. 60 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 VerfO-EGMR. 91 Ausführlich zur gerechten Entschädigung nach der EMRK Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der EMRK; Zwach, Die Leistungsurteile des EGMR; aus der jüngeren Literatur: Dörr, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 33 Rn. 18 ff. Zur Frage, ob der EGMR die Kompetenz besitzt, punitive damages-Urteile zu erlassen: Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK, S. 201 ff. (zu Recht diese verneinend). 86

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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vollstreckter Geldforderungen dem Forderungsgläubiger nur dann Schadensersatz in Geld zu, wenn er davon ausgeht, dass die ursprüngliche Forderung nicht mehr vollstreckt werden kann.92 Daneben kann der Gerichtshof auch auf Ersatz immaterieller Schäden sowie der entstandenen Parteikosten erkennen.93 Der EGMR sah sich lange Zeit nicht befugt bzw. hielt es für nicht notwendig, dem betroffenen Staat Zahlungsfristen und für den Fall der Zahlungsverzögerung ein Zwangsgeld festzusetzen.94 Schlechte Zahlungsdisziplin95 der Vertragsparteien hat den EGMR dazu veranlasst, dies zu tun.96 Heute sind diese Befugnisse in der Verfahrensordnung des EGMR (Art. 75 Abs. 3) verankert. Die EMRK enthält keine Regelung darüber, die eine unmittelbare Vollstreckbarkeit von Urteilen des EGMR auf innerstaatlicher Ebene zulassen würde (so wie es etwa Art. 68 Abs. 2 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention 1969 vorsieht)97. Nach allgemeinem Völkerrecht können Leistungsurteile internationaler Gerichte genau wie Feststellungsurteile lediglich mit den „primitiven“ Mitteln des Völkerrechts vollstreckt werden.98 Da die Vertragsstaaten bis heute keine entsprechende Änderung der EMRK beschlossen haben,99 geht die herrschende Meinung zu Recht davon aus, dass für die Zwangsvollstreckung von EGMR-Urteilen in dem Vertragsstaat, gegen den sie verhängt wurden, eine entsprechende innerstaatliche Regelung notwendig ist.100 92

Vgl. EGMR, Urteil vom 08. 04. 2004 (Nr. 11057/02), Haase v. Germany, Z. 115; Urt. vom 21. 07. 2005 (Nr. 34687/02), Yavorivskaya v. Russia, Z. 33. 93 Vgl. Art. 74 Abs. 1 lit. j VerfO-EGMR. Gerichtskosten gibt es beim EGMR (noch) nicht, vgl. Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Einl. Rn. 30; Caflisch, in: Dicke u. a. (Hrsg.), FS Delbrück, S. 101. 94 Vgl. EGMR, Urt. vom 26. 05. 1988 (Nr. 10208/82), Pauwels v. Belgium, Z. 49 f. 95 Peters, Einführung in die EMRK, S. 254. 96 Vgl. EGMR, Urt. vom 28. 08. 1991 (Nr. 11296/84), Moreira de Azevedo v. Portugal (Art. 50), Z. 1 des Tenors. 97 Art. 68 Abs. 2 AMRK lautet: „The part of judgment that stipulated compensatory damages may be executed in the country concerned in accordance with domestic procedure governing the execution of judgments against the state“. 98 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 210; ausführlich dazu Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 205 ff. m.w.N.; Urbanek, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1961, 71, betont, dass der einzige Unterschied zwischen völkerrechtlichen Feststellungs- und Leistungsurteilen darin liege, dass Leistungsurteile nicht nur das Völkerrechtsdelikt feststellen, sondern auch noch die völkerrechtliche Urteilsfolge verbindlich festlegen, sozusagen ein doppeltes Feststellungsurteil vorliegt. 99 In der fehlenden innerstaatlichen Vollstreckbarkeit der Urteile des EGMR sah die Parlamentarische (damals Beratende) Versammlung des Europarates eine Lücke im Rechtschutzsystem der Konvention und empfahl, durch den Abschluss eines europäischen Übereinkommens Abhilfe zu schaffen, vgl. Empfehlung 683(1972) vom 23. 10. 1972: „The Assembly (…) proposals (…) to draw up a European agreement rendering the decisions pronounced by the European Court of Human Rights enforceable in internal law“ (lit. C, Z. 2). 100 Villiger, EuGRZ 1991, 81; Ress, EuGRZ 1996, 350; Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 268 ff. m.w.N.; Cremer, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 32 Rn. 83 m.w.N.; Dörr, in: ebenda, Kap. 33 Rn. 115 m.w.N.; Venedig-

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

Gesondert zu betrachten ist die Frage, ob in einem Konventionsstaat Urteile des EGMR über eine gerechte Entschädigung vollstreckt werden können, die dieser in Bezug auf einen anderen Vertragsstaat ausgesprochen hat. Nach geltendem Völkerrecht ist für Zwangsmaßnahmen ins Vermögen ausländischer Staaten deren ausdrückliche Zustimmung erforderlich.101 Fehlt die ausdrückliche Zustimmung des verurteilten Vertragsstaates zur Zwangsvollstreckung, so könnte jedoch eine bedingungslose Verpflichtung aller Konventionsstaaten nach Art. 46 Abs. 1 EMRK, Urteile des EGMR zu befolgen, herangezogen werden. Daher überschritte etwa ein deutsches Gericht mit der Vollstreckbarerklärung eines gegen einen anderen Konventionsstaat (etwa Russland) ergangenen Urteils des EGMR nicht die Grenzen dessen, wozu sich dieser nicht ohnehin schon verpflichtet hat. Die Grundsätze eines effektiven Schutzes der Menschenrechte sowie der kollektiven Verantwortung für ihre Einhaltung, die in der Präambel der EMRK verbürgt sind, sprechen für eine derartige Auslegung. Gewichtige Argumente sprechen allerdings dagegen. Zum einen kann eine ausdrückliche Zustimmung in Bezug auf ausländische Vollstreckungsmaßnahmen dem Art. 46 Abs. 1 EMRK nicht entnommen werden. Die EMRK sieht einen besonderen Kontrollmechanismus im Art. 46 Abs. 2 vor, dem sich Konventionsstaaten unterworfen haben und der offensichtlich andere Zwangsmaßnahmen ausschließen soll. Außerdem bleibt der obsiegende Beschwerdeführer in einer solchen Situation nicht völlig schutzlos. Bis zur tatsächlichen Auszahlung werden Verzugszinsen angerechnet. Nichts spricht dagegen, dass bei Nichtzahlung der zugesprochenen Entschädigung der EGMR vom obsiegenden Beschwerdeführer erneut angerufen und im neuen Verfahren Art. 1 ZP Nr. 1 zur EMRK (Recht auf Eigentum) als verletzt gerügt werden kann. Zudem kann der EGMR von anderen Konventionsstaaten im Wege der Staatenbeschwerde angerufen werden (Art. 33 EMRK), wenn ein Vertragsstaat sich weigert, entgegen Art. 46 Abs. 1 EMRK einem gegen ihn ergangenen Urteil des Gerichtshofes Folge zu leisten.102 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Nichtvollstreckung innerstaatlicher Urteile auf Schadensersatz unter Hinweis auf die Staatsimmunität eines ausländischen Staates auch bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen mit der EMRK vereinbar.103 Diese Aussage lässt sich auf Urteile Kommission, Opinion 209/2002 vom 18. 12. 2002 „On the Implementation of the judgments of the ECtHR“, Z. 34. Vgl. aber Beirat der Europ. Richter (CCJE), Opinion 13(2010) vom 19. 11. 2010 „On the Role of Judges in the Enforcement of Judicial Decisions“, Z. 49: „When a state is condemned to pay compensation by the Court, the creditor should, in case of non-enforcement of the decision of the [ECtHR], have the right to request the enforcement by the national judge, without prejudice to measures which could be taken at a supranational level“. 101 Vgl. Art. 23 Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. 05. 1972; Art. 19 Übereinkommen der UNO über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens vom 17. 01. 2005 (Resolution der Generalversammlung 59/38 vom 02. 12. 2004). 102 Meyer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 33 Rn. 1. 103 EGMR, Ent. vom 12. 12. 2002 (Nr. 59021/00), Kalogeropoulou v. Greece and Germany; vgl. auch EGMR, Ent. vom 03. 03. 2005 (Nr. 60861/00), Manoilescu and Dobrescu v. Romania and Russia, Z. 81 f.

§ 1 Individuelle Maßnahmen

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des EGMR übertragen, in denen eine gerechte Entschädigung zugesprochen worden ist. All dies begründet den Schluss, dass Gerichte der Konventionsstaaten nicht berechtigt sind, auf Grund von Urteilen des EGMR Vollstreckungstitel gegen ausländische Staaten auszustellen. Die EMRK enthält auch keine Aussage darüber, in wiefern die vom EGMR nach Art. 41 EMRK gewährte Entschädigung anzurechnen ist, wenn der Fall zur erneuten Verhandlung vor inländische Behörden kommt. Das Ministerkomitee des Europarates bemerkt in diesem Zusammenhang, dass dies im Ermessen des entsprechenden Konventionsstaates liege.104 Als letztes ist der Frage nachzugehen, ob der Umfang der Entschädigung, die vom EGMR zugesprochen wird, für innerstaatliche Gerichte bei ähnlichen Konventionsverletzungen gelten soll. Große Diskrepanzen in der wirtschaftlichen Entwicklung der Konventionsstaaten sprechen dagegen. Diese Frage wurde in der russischen Literatur ursprünglich verneint.105 In dem jüngst beschlossenen KompensationsG von 2010 hat der russische Gesetzgeber den Gerichten vorgeschrieben (Art. 2 Abs. 2), sich von den EGMR-Standards in diesem Bereich leiten zu lassen (allerdings nur in Bezug auf Kompensationen bei Verletzungen des Rechts auf ein zügiges Gerichtsverfahren sowie des Rechts auf effektive Vollstreckung rechtskräftiger Zahlungsurteile gegen den Staat). Der EGMR akzeptiert, dass die auf nationaler Ebene zugesprochene gerechte Entschädigung geringer als nach seiner Rechtsprechung ausfallen kann: „The Court can (…) perfectly well accept that a State which has introduced a number of remedies, one of which is designed to expedite proceedings and one to afford compensation, will award amounts which – while being lower than those awarded by the Court – are not unreasonable, on condition that the relevant decisions, which must be consonant with the legal tradition and the standard of living in the country concerned, are speedy, reasoned and executed very quickly“.106 „Such a remedy is closer and more accessible than an application to the Court, is faster and is processed in the applicant’s own language; it thus offers advantages that need to be taken into consideration“.107 Der EGMR prüft aber, ob eine innerstaatliche Wiedergutmachung als angemessen und ausreichend angesehen werden kann. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, verliert der Beschwerdeführer nicht die Opfereigenschaft und kann vor dem EGMR klagen.108 Daraus folgt, dass inner-

104

Europarat, MK, Empfehlung R(2000)2 vom 19. 01. 2000, Anhang Z. 16. NaUV\VSb[YZ, 8Q[_^^_bcm 2000, Nr. 3, S. 42. 106 EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 206. 107 Ebenda, Z. 268. 108 Ebenda, Z. 214 f.: „The Court observes that this amount is approximately 10 % of what it generally awards in similar Italian cases. That factor in itself leads to a result that is manifestly unreasonable having regard to its case-law. In conclusion (…) the Court considers that the applicants can in the instant case still claim to be ,victims‘ of a breach of the ,reasonable-time‘ requirement“. Vgl. auch EGMR, Urt. vom 25. 03. 2008 (Nr. 13519/02), Gayvoronskiy v. Russia, Z. 38 ff. 105

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

staatliche Gerichte von den zugesprochenen Entschädigungen des EGMR bei ähnlichen Konventionsverletzungen auszugehen haben.109 2. Vollstreckung der Leistungsurteile des EGMR durch und in Russland Gemäß Art. 5 Abs. 5 der Ordnung „Über den Vertreter der Russischen Föderation beim EGMR“, bestätigt durch Erlass des Präsidenten Nr. 310 vom 29. 03. 1998 (m.w.Ä.), informiert der Vertreter im Falle einer Verurteilung zu einer Geldentschädigung zu Gunsten des Beschwerdeführers das russische Finanzministerium, das innerhalb von 15 Tagen nach seiner Benachrichtigung für eine vollumfängliche Vollstreckung der Entscheidung zu sorgen hat. Seit 2003 ist in den russischen Haushaltsgesetzen auch jeweils ein entsprechender Posten für Schadenersatzzahlungen aufgrund von Verurteilungen durch den EGMR vorgesehen.110 Wegen Konventionsverletzungen hat die Russische Föderation schon über 19 Mio. Euro gezahlt. In der folgenden Tabelle sind die im Staatshaushalt reservierte Beträge und die geleisteten Zahlungen zusammengestellt:111 Haushaltsjahr

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Beträge reserviert (ca. Mio. Rubel) / (ca. Mio. Euro)

2009

2010

10,0 0,3

60,0 1,5

68,25 105,2 1,7 2,6

33,6 0,8

114,4 97,24 97,24 2,9 2,4 2,4

Schadenersatzzahlungen geleistet (ca. Mio. Rubel) / (ca. Mio. Euro)

0,11 21,51 20,59 34,89 33,59 91,53 271,6 321,3 0,003 0,56 0,62 0,85 0,8 2,3 6,8 8,03

Obwohl Zahlungsurteile des EGMR somit in der Praxis durch die russische Regierung in der Regel ziemlich schnell und entgegenkommend umgesetzt werden,112 stellt sich die Frage, ob aus Urteilen des Gerichtshofes in Russland auch 109 Aus der Rechtsprechung des EGMR folgt, dass eine innerstaatliche Entschädigung, die 40 % dessen entspricht, was vom EGMR in vergleichbaren Fällen (in Bezug auf den jeweiligen Konventionsstaat) zugesprochen wird, ausreichend ist, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 272 f. 110 Früher war dazu Rückgriff auf den Reservefonds der russischen Regierung notwendig, vgl. Regierung RF, Verfügung vom 10. 12. 2002 (Nr. 1727-a), SZ RF 2002, Nr. 50, Pos. 4969. 111 Angaben nach Bundeshaushaltsgesetzen sowie Bundeshaushaltsumsetzungsgesetzen RF, siehe z. B. Posten 303 01 01 009 023 im Anhang 7 zum Bundesgesetz RF „Über den Bundeshaushalt für das Jahr 2003“ vom 24. 12. 2002 (Nr. 176-E8), SZ RF 2002, Nr. 52 (Teil I), Pos. 5132 sowie im Anhang 2 zum Bundesgesetz RF „Über die Umsetzung des Bundeshaushalts für das Jahr 2003“ vom 04. 04. 2005 (Nr. 30-E8), SZ RF 2005, Nr. 15, Pos. 1275. 112 Vgl. etwa Arbeitsgruppe beim Ombudsmann RF „Umsetzung der EGMR-Urteile in Russland“, Bericht (undatiert), A_bbYZb[YZ Ro\\VcV^m `_ `aQSQ] hV\_SV[Q, Bd. 22 (2007) = . Nach Angaben des Europarates wurden allerdings in 2007 nur 56 % aller zugesprochenen Zahlungen von Russland innerhalb der festge-

§ 1 Individuelle Maßnahmen

285

zwangsweise vollstreckt werden kann, denn die Rechtspraxis kennt in diesem Zusammenhang durchaus erhebliche Vollstreckungsverzögerungen.113 In der russischen Literatur wurde (ohne nähere Begründung) die Ansicht geäußert, Urteile des EGMR als solche seien vollstreckbare Urkunden, da sie der sofortigen (vorbehaltslosen) Vollstreckung unterlägen.114 In diese Richtung geht auch ein obiter dictum des VerfG RF: „Entscheidungen internationaler Organe zum Schutz der Menschenrechte sind bindend und unterliegen der Vollstreckung innerhalb der Russischen Föderation“.115 Wie oben dargelegt, kann der EMRK nicht entnommen werden, dass die Staaten mit den Urteilen des EGMR innerstaatlich vollstreckbare Titel schaffen wollten. Es bleibt also die Rechtslage nach innerstaatlichem russischem Recht zu untersuchen. Gemäß Art. 6 Abs. 3 GVG RF 1996 bestimmt sich die Bindungskraft von Urteilen internationaler (sowie ausländischer) Gerichte auf dem Gebiet der Russischen Föderation nach ihren völkerrechtlichen Verträgen. Gemäß Art. 7 Abs. 1 ZVG116 RF 1997 galten als vollstreckbare Urkunden auch Vollstreckungstitel, ausgestellt auf Grund von Urteilen zwischenstaatlicher Organe zum Schutz der Menschenrechte.117 Daraus kann man schließen, dass nach dem ZVG RF 1997 die Zwangsvollstreckung aus Urteilen des EGMR zwar möglich, dass dafür aber eine von einem russischen Gericht ausgestellte Vollstreckungsurkunde erforderlich war.118 Im ZVG RF 2007, das das ZVG RF 1997 am 01. 02. 2008 ersetzt hat, fehlt jedoch eine derartige Regelung. Folglich muss die Möglichkeit der unmittelbaren Zwangsvollstreckung von Zahlungsurteilen des EGMR nach russischem Recht de lege lata verneint werden. setzten Fristen gezahlt (19 % wurden außerhalb der Fristen gezahlt, zu den anderen 25 % lagen noch keine Informationen vor): Europarat, Supervision of the execution of judgments of the European Court of Human Rights, 1st annual report (2007), S. 220 f. 113 So wurde etwa das Urteil des EGMR (GK) vom 28. 07. 1998 (Nr. 15318/89), Loizidou v. Turkey (Art. 50), erst am 02. 12. 2003, also nach mehr als fünf Jahren vollstreckt (Europarat, MK, ResDH(2003)190), während das Urteil des EGMR vom 31. 10. 1995 (Nr. 14556/89), Papamichalopoulos and Others v. Greece (Art. 50), erst am 18. 04. 1997, also erst nach anderthalb Jahren umgesetzt wurde (Europarat, MK, ResDH(98)309). 114 IVabco[, in: IVabco[/O[_S (Hrsg.), þQdh^_-`aQ[cYhVb[YZ [_]]V^cQaYZ [ EVUVaQ\m^_]d XQ[_^d AE „?R Yb`_\^YcV\m^_] `a_YXS_UbcSV“, Komm. zu Art. 7 Z. 2; 8Y]^V^[_, =VWUd^Qa_U^_V `aQS_ Y `aQS_SQp bYbcV]Q AE, S. 317, sieht in Urteilen des EGMR juristische Fakten, die innerstaatliche Rechtsfolgen unmittelbar verursachen. 115 VerfG RF, Beschl. vom 13. 01. 2000 (Nr. 6-O), SZ RF 2000, Nr. 11, Pos. 1244. 116 SZ RF 1997, Nr. 30, Pos. 3591. 117 Das ZVG RF 1997 wurde nach dem Beitritt Russlands zum Europarat und der Unterzeichnung der EMRK verabschiedet, folglich zeigt diese Vorschrift den Einfluss der EMRK! 118 8SV[_S, =VWUd^Qa_U^_V hQbc^_V `aQS_, S. 460: „Vollstreckungsurkunden, die von russischen Gerichten auf der Grundlage der Entscheidungen (…) zwischenstaatlicher Organe zum Schutze der Menschenrechte ausgestellt werden, sind Vollstreckungstitel, welche Anforderungen russischer Gesetze für Vollstreckungstitel zu erfüllen haben“; vgl. auch 3Q\VVS, 1aRYcaQW^lZ Y TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb 2000, Nr. 2, S. 53 f.; 1RUaQiYc_SQ, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2007, Nr. 9, S. 128. Das Verfahren der Ausstellung eines solchen Titels sowie örtliche und institutionelle Zuständigkeit waren allerdings nicht geregelt.

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

Nichts spricht aber dagegen, dass ein Leistungsurteil des EGMR einen Anspruch gewährt, der vor innerstaatlichen Gerichten eingeklagt werden kann.119 Nach Art. 53 Verf. RF 1993 [Staatshaftung] hat jeder das Recht auf staatlichen Ersatz des Schadens, der durch ungesetzliches Handeln (oder Unterlassen) der Organe der Staatsgewalt oder ihrer Amtsträger verursacht wurde. In einem derartigen Verfahren wären die zuständigen Gerichte gemäß Artt. 44, 46 EMRK an das Urteil des EGMR gebunden. Das Verfahren hätte allein das Ziel, einen innerstaatlichen vollstreckbaren Titel für den nach Grund und Höhe rechtskräftig festgestellten Anspruch zu erlangen.120 Das russische Recht enthält auch keine Aussage darüber, wie die vom EGMR nach Art. 41 EMRK gewährte Entschädigung zu berücksichtigen ist, wenn der Fall zur erneuten Verhandlung vor inländische Behörden kommt. Es ist anzunehmen, dass insoweit die allgemeinen schuldrechtlichen Erwägungen gelten sollen, so dass beispielsweise bei einer Schmerzensgeldklage zu prüfen ist, inwieweit eine durch den EGMR zugesprochene Entschädigung bereits einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden darstellt. Eine Klarstellung durch den Gesetzgeber in diesen Fragen wäre wünschenswert.121 Was die Höhe der Entschädigung bei Konventionsverletzungen anbetrifft, die durch russische Gerichte zugesprochen wird, liegt sie in der Regel deutlich unter den vom EGMR entwickelten Standards, woran der EGMR einen Verstoß gegen Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) sieht.122 Die Rechtsprechung russischer Gerichte in Bezug auf die Höhe der Entschädigung muss folglich angepasst werden. IV. Unterlassung zukünftiger Konventionsverletzungen Aus Urteilen des EGMR kann sich die Verpflichtung des betroffenen Vertragsstaates ergeben, künftig bestimmte Handlungen zu unterlassen, die eine Konventionsverletzung darstellen würden. Nach der Rechtsprechung des EGMR betrifft dies 119

In Österreich: Leeb, Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des EGMR, S. 1 m.w.N.; in Deutschland: Peters, Einführung in die EMRK, S. 254; Cremer, in: Grote/ Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kap. 32 Rn. 83; Dörr, in: ebenda, Kap. 33 Rn. 116 m.w.N.; Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 271. Ausführlich zum Stand der Diskussion: Polakiewibz, ebenda, S. 268 ff. m.w.N. 120 Polakiewibz, ebenda, S. 271. 121 Erste Erfahrungen russischer Gerichte mit dieser Frage zeigen, dass neben der Entschädigung des EGMR keine weitere Entschädigung zugesprochen wird. Dabei berufen sich die Gerichte darauf, dass die Entschädigung des EGMR eine solche nach russischem Recht übertreffe; vgl. Gericht für Leninskij Rayon, Stadt Nischni Nowgorod, Ent. vom 07. 11. 2006; bestätigt durch das Gericht für das Gebiet Nischni Nowgorod, Beschl. vom 26. 12. 2006, beide zit. nach . Hier ging es um den Schadensersatz eines Folteropfers, dem der EGMR schon 250.000 Euro zugesprochen hatte, vgl. EGMR, Urt. vom 26. 01. 2006 (Nr. 77617/01), Mikheyev v. Russia, Z. 7 lit. a des Tenors. 122 Vgl. EGMR, Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 21071/05), Wasserman v. Russia (no. 2), Z. 51 ff.

§ 2 Allgemeine Maßnahmen

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häufig die Ausweisung oder Auslieferung von Ausländern, wenn der Gerichtshof festgestellt hat, dass dies gegen die EMRK verstoßen würde.123 Der EGMR hat jedoch auch schon einmal entschieden, dass ein Vertragsstaat die Vollstreckung einer Gerichtsentscheidung unterlassen muss, die dem Beschwerdeführer Gerichtskosten auferlegt hatte, die dadurch entstanden waren, dass der Beschwerdeführer eine Konventionsverletzung in oberen Instanzen (ohne Erfolg) gerügt hatte.124 Im Einzelfall kann also die Unterlassung künftiger Verletzungen der in Art. 6 Abs. 1 EMRK verbürgten prozessualen Rechte dadurch verwirklicht werden, dass eine innerstaatliche Gerichtsentscheidung, die konventionswidrig zustande gekommen ist, nicht vollstreckt wird.125 Soweit ersichtlich, sind bislang in Bezug auf Russland keine derartigen Urteile des EGMR ergangen.

§ 2 Allgemeine Maßnahmen I. Geschuldete allgemeine Maßnahmen nach Völkerrecht Trotz des Grundsatzes dass, „general measures, which essentially consist in the adoption of amendments to legislation and regulations, would seem to concern situations that have not, strictly speaking, been examined by the Court, which (…) cannot consider the compatibility of a national law in the abstract“,126 ist es allgemein anerkannt, dass den Verfahren vor dem EGMR über den Fall des Beschwerdeführers hinausgehende Bedeutung zukommt. Die Vertragsstaaten haben die allgemeine Verpflichtung, die den festgestellten Verletzungen zugrunde liegenden Probleme zu lösen.127 Nur so können sie ihrer Grundverpflichtung aus Art. 1 EMRK gerecht 123

Vgl. etwa EGMR, Urt. vom 07. 07. 1989 (Nr. 14038/88), Soering v. the United Kingdom, Z. 1 des Tenors. 124 EGMR, Urt. vom 26. 10. 1984 (Nr. 8692/79), Piersack v. Belgium (Art. 50), Z. 1 des Tenors. 125 Die Zwangsvollstreckung gegen Geldforderungen kann z. B. dadurch abgewendet werden, dass der in Straßburg verurteilte Staat den Vollstreckungsgläubiger befriedigt; Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 96; vgl. auch Stöcker, NJW 1982, 1908, der bei besonders schwerwiegenden Verletzungen der Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie für den Fall, dass die festgestellte Konventionsverletzung die materiellrechtliche Grundlage des innerstaatlichen Urteils berührt, ein Vollstreckungsverbot einnimmt. 126 De Salvia, in: Council of Europe (Hrsg.), The Status of International Treaties on Human Rights, S. 94. 127 Europarat, MK, Interim Resolution DH(2003)123 vom 04. 06. 2003: „Recalling the obligation of every state, under Article 46 § 1 of the Convention, to abide by the judgments of the Court, which includes the adoption of general measures preventing new violations of the Convention similar to those found in the Court’s judgments“; Empfehlung Rec(2004)6 vom 12. 05. 2004 „Über die Verbesserung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe“: „Recalling that High Contracting Parties are required rapidly to take the necessary measures to this end, inter alia by preventing new violations of the Convention similar to those found in the Court’s judgments“.

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

werden, allen ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen den Genuss der Konventionsrechte zu gewährleisten.128 Der EGMR hat dazu ausgeführt: „By becoming a High Contracting Party to the European Convention on Human Rights the respondent State assumed the obligation to secure to everyone within its jurisdiction the rights and freedoms defined in Section 1 of the Convention. In fact, the States have a general obligation to solve the problems that have led to the Court finding a violation of the Convention. This should therefore be the primary goal of the respondent State. Should violations of the Convention rights still occur, the respondent States must provide mechanisms within their respective legal systems for the effective redress of violations of the Convention rights“.129

Wie Polakiewitz zu Recht hervorgehoben hat, handelt es sich dabei um eine die Rechtskraftwirkung der Urteile des EGMR erweiternde Verpflichtung objektiver Natur.130 Anders als individuelle Maßnahmen, die hauptsächlich auf Naturalrestitution gerichtet sind, sollen allgemeine Maßnahmen einer künftigen Wiederholung der festgestellten Konventionsverletzung vorbeugen.131 Ein subjektiver Anspruch des obsiegenden Beschwerdeführers auf Durchführung derartiger Maßnahmen besteht nicht.132

128

Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 158. EGMR, Urt. vom 06. 10. 2005 (Nr. 23032/02), Lukenda v. Slovenia, Z. 94 f. 130 Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 156. 131 Allgemeine Maßnahmen zur Naturalrestitution stattgefundener Konventionsverletzungen (z. B. rückwirke Gesetzesänderung oder Wiederaufnahme von in konventionswidriger Weise entschiedenen Rechtssachen in Parallelfällen) sind von Vertragsparteien in der Regel nicht geschuldet: „Das dem Konventionsrecht notwendigerweise innewohnende Prinzip der Rechtssicherheit [entbindet] (…) davon, Handlungen oder Rechtslagen in Frage zu stellen, die vor der Verkündung des vorliegenden Urteils liegen“, EGMR, Urt. vom 13. 06. 1979 (Nr. 6833/ 74), Marckx v. Belgium, Z. 58, dt. Übersetzung zit. nach EuGRZ 1979, 460. Ausführlich dazu Polakiewibz, ZaöRV 1992, 168 ff. Vgl. auch Europarat, MK, Empfehlung Rec(2004)6 vom 12. 05. 2004 „On the improvement of domestic remedies“, Anhang Z. 17: „[S]tates might envisage, if this is deemed advisable, the possibility of reopening proceedings similar to those of a pilot case which has established a violation of the Convention, with a view to saving the Court from dealing with these cases and where appropriate to providing speedier redress for the person concerned“. Vgl. aber EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 236: „Once such a deficiency [malfunctioning found in the national system of human-rights protection] has been identified, the national authorities have the task, subject to supervision by the Committee of Ministers, of taking – retrospectively if necessary – (…) the necessary measures of redress (…) so that the Court does not have to reiterate its finding of a violation in a long series of comparable cases“. 132 Vgl. Europarat, MK, Verfahrensregeln vom 10. 05. 2006, Regel 9 Abs. 1: „The Committee of Ministers shall consider any communication from the injured party with regard to payment of the just satisfaction or the taking of individual measures“; sowie Sondervotum des EGMR-Richters Mosler im Fall Luedicke, Belkacem and Koç v. Germany, EGMR, Urt. vom 28. 11. 1978 (Nr. 6210/73 u. a.), EuGRZ 1979, 34; Polakiewicz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 156 m.w.N. 129

§ 2 Allgemeine Maßnahmen

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Wie die Praxis der Konventionsstaaten zeigt,133 werden folgende Arten allgemeiner Maßnahmen ergriffen: (1) parlamentarische Gesetzgebung134 (Einführung, Aufhebung oder Änderung gesetzlicher Vorschriften);135 (2) Änderungen der Rechtsprechung (In den Fällen, in denen die Konventionsverletzung ihre Ursache in den einschlägigen Gesetzesbestimmungen hat, sind die innerstaatlichen Gerichte nach Auffassung des EGMR verpflichtet, ihre Rechtsprechung anzupassen, ohne auf entsprechende Gesetzesreformen zu warten. Anderenfalls kann der EGMR eine erneute Konventionsverletzung feststellen.136 Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Urteil des EGMR unbedingt und hinreichend bestimmt ist, um innerstaatlich direkt angewendet zu werden.137); (3) Maßnahmen auf der Ebene des Verwaltungsvollzugs in Form von Verwaltungsvorschriften und Anweisungen an die zuständigen Behörden, ihre Praxis in Übereinstimmung mit den Vorgaben der EMRK zu bringen; 133 Vgl. Europarat, MK, Doc. FH/Exec(2006)1 „General measures adopted to prevent new violations of the European Convention on Human Rights. Stock-taking of measures reported to the Committee of Ministers in its control of execution of the judgments and decisions under the Convention (Application of former Articles 32 and 54 and of Article 46)“. Es kann deswegen angenommen werden, dass sich insoweit Völkergewohnheitsrecht gebildet hat, Mayer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 40. 134 Es wird dabei auf die völkerrechtliche Verpflichtung des Staates hingewiesen, an die auch das Parlament gebunden ist, vgl. Schmalz, Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die EMRK, S. 69 m.w.N.; Mayer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 41 m.w.N. BVerfG spricht nur von „der Möglichkeit“, die der Gesetzgeber habe, auf das EGMR-Urteil zu reagieren, Beschl. vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481/04), Fall Görgülü, NJW 2004, 3410. Der EGMR hat aber festgehalten, dass die Wahlfreiheit eines Staates nicht so weit geht, dass er die Anwendung der EMRK bis zum Abschluss einer entsprechenden Reform suspendieren darf, Urt. vom 29. 11. 1991 (Nr. 12849/87), Vermeire v. Belgium, Z. 26. 135 Wenn das Recht eines Konventionsstaates selbst die Konvention verletzt (das bloße Bestehen einer Norm bedroht den Beschwerdeführer, sog. „chilling effekt“, oder der als konventionswidrig bezeichnete Akt ergibt sich direkt aus zwingendem Recht), kann eine Gesetzesänderung auch in Bezug auf den Beschwerdeführer geschuldet sein und als individuelle Maßnahme zur Durchführung des EGMR angesehen werden, Polakiewibz, Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des EGMR, S. 156 ff.; Sauer, ZaöRV 2005, 40; Mayer-Ladewig, Hk-EMRK, Art. 46 Rn. 41. Wenn eine konventionskonforme Interpretation möglich ist, kann die Umsetzung des EGMR-Urteils auf andere Weise erfolgen. 136 Vgl. EGMR, Urt. vom 29. 11. 1991 (Nr. 12849/87), Vermeire v. Belgium, Z. 25 f.: „It cannot be seen what could have prevented the [Belgian courts] from complying with the findings of the Marckx judgment [of the ECtHR] (…). The freedom of choice allowed to a State as to the means of fulfilling its obligation (…) [under Article 46 of the Convention] cannot allow it to suspend the application of the Convention while waiting for such a reform to be completed (…)“. 137 Polakiewibz, ZaöRV 1992, 177 m.w.N., weist darauf hin, dass ein Unterlassen des Gesetzgebers, Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK zu beachten, allein durch Handeln der Gerichte in der Regel nicht kompensiert werden kann.

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

(4) Bekanntmachung der Urteile des EGMR im Inland und Unterrichtung der Gerichte und Verwaltungsbehörden über das Urteil; (5) andere Maßnahmen, die geeignet sind, künftige Konventionsverletzungen zu verhindern, z. B. personelle Verstärkung von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, gesetzliche Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens. Es sei darauf hingewiesen, dass eine effektive Maßnahme zur Vorbeugung neuer Konventionsverletzungen – die Bestrafung der verantwortlichen Beamten – kraft Völkerrechts in der Regel nicht geschuldet ist. Dies folgt aus der Praxis des Ministerkomitees des Europarates, wonach die Überwachung der Umsetzung der EGMR-Urteile ohne solche Informationen seitens der verurteilten Staaten abgeschlossen wird.138 Nur bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen, wie etwa Folter (Art. 3 EMRK) oder Verstößen gegen das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), hat der EGMR eine Pflicht der Konventionsstaaten anerkannt, Nachforschungen anzustellen, die zur Ermittlung und Bestrafung der Verantwortlichen führen können.139 Maßnahmen allgemeiner Art setzen eine Analyse der Ursachen der Konventionsverletzung voraus. Das Ministerkomitee des Europarates überwacht, welche allgemeine Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Konventionsverletzungen, wenn sie notwendig sind, getroffen wurden.140 Zur Bekanntmachung des Urteils ist der unterlegene Staat in jedem Fall verpflichtet.141 138

Vgl. auch EGMR, Urt. vom 01. 03. 2007 (Nr. 38368/04), Sypchenko v. Russia, Z. 46 f.: „The applicant also complained (…) that the refusal to initiate criminal proceedings against the Town Mayor was unlawful (…). Having regard to all the material in its possession, and insofar as these complaints come within the Court’s competence, it finds that these complaints do not disclose any appearance of a violation of the rights and freedoms set out in the Convention or its Protocols“. Dabei stellte gerade die Weigerung des Bürgermeisters, eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung zu vollstrecken, die Grundlage für die Feststellung einer EMRK-Verletzung durch den EGMR dar. 139 Vgl. etwa EGMR (GK), Urt. vom 20. 05. 1999 (Nr. 21594/93), Ogur v. Turkey, Z. 88. Der EGMR versteht diese Verpflichtung nicht als „obligations of result“, d. h. der Staat schuldet keinen bestimmten Erfolg, sondern als „obligation of means“, d. h. der Staat muss bestimmte Maßnahmen ergreifen, EGMR, Urt. vom 09. 11. 2006 (Nr. 7615/02), Imakayeva v. Russia, Z. 147. 140 Europarat, MK, Verfahrensregeln vom 10. 05. 2006, Regel 6 Abs. 2 lit. b (ii) und Fn. 2. 141 Europarat, MK, Empfehlung Rec(2004)6 vom 12. 05. 2004 „Über die Verbesserung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe“, Anhang Z. 8: „The improvement of domestic remedies also requires that additional action be taken so that, when applying national law, national authorities may take into account the requirements of the Convention and particularly those resulting from judgments of the Court concerning their state. This notably means improving the publication and dissemination of the Court’s case-law (where necessary by translating it into the national language(s) of the state concerned) and the training, with regard to these requirements, of judges and other state officials (…)“; Europarat, Bericht CM(2006)203 vom 15. 11. 2006 „Of the Group of Wise Persons to the Committee of Ministers“, Z. 72: „In the Group’s view, responsibility for translation, publication and dissemination of case-law lies with the member states and their competent bodies. Each country should make its own arrangements while taking due account of the importance of these texts“.

§ 2 Allgemeine Maßnahmen

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Angesichts der Beschwerdenflut, die der EGMR zu bewältigen hat, hängt die Effektivität des durch die Konvention errichteten Rechtsschutzsystems immer stärker davon ab, welche allgemeine Maßnahmen die Vertragsstaaten ergreifen, um neue Konventionsverletzungen zu vermeiden. In der Entschließung Res(2004)3 vom 12. 05. 2004 „Über Urteile, die ein der Konventionsverletzung zugrunde liegendes systematisches Problem aufdecken“, forderte das Ministerkomitee des Europarates den EGMR auf, in seinen Urteilen solche Probleme und ihre Ursachen festzustellen, um die Durchführung der Urteile zu erleichtern (so genannte Piloturteile). Schon am 22. 06. 2004 hat der EGMR diesem Aufruf mit einem Urteil im Fall Broniowski142 Folge geleistet. In diesem Urteil definierte der EGMR als systematisches Problem eine Situation, wo die Umstände des vorliegenden Falles auf einen Mangel im inländischen Rechtssystem hinweisen, aufgrund dessen einer Gruppe von Personen ihre Konventionsrechte und -freiheiten verwehrt wurden oder noch immer verwehrt werden, und diese Defizite in Gesetzgebung und Praxis Anlass zu einer großen Zahl weiterer begründeter Beschwerden geben können.143 Der EGMR hat festgestellt, dass die Verletzung der EMRK (Nichtentschädigung von nach dem Zweiten Weltkrieg in den ehemaligen polnischen Ostgebieten hinter dem Fluss Bug zwangsweise zurückgelassenem Eigentum trotz eines geschaffenen Vertrauenstatbestands) ihre Ursache in bestimmten Mängeln der polnischen Gesetzgebung und Verwaltungspraxis hat, und im Tenor seines Urteils144 dem Staat Polen aufgetragen, durch geeignete juristische Maßnahmen und administrative Praktiken die Mängel zu beseitigen. Die Vorgehensweise des EGMR bei Piloturteilen ähnelt somit dem Normenkontrollverfahren innerstaatlicher Verfassungsgerichte,145 dadurch leitete er eine ganz neue Entwicklung in seiner Rechtsprechung an.146 Dem ersten Piloturteil folgten weitere, wobei die neue Praxis des EGMR teilweise auf Kritik gestoßen ist, weil sie das Ermessen der Staaten hinsichtlich der Umsetzungsmaßnahmen in Frage stelle und keine rechtliche Grundlage in der EMRK habe.147 Der EGMR hat dazu ausgeführt: 142

EGMR (GK), Urt. vom 28. 09. 2005 (Nr. 31443/96), Broniowski v. Poland. Ebenda, Z. 189. 144 Ebenda, Z. 4 des Tenors. 145 EGMR-Richter Zupancˇicˇ in seinem Sondervotum im Fall Hutten-Czapska v. Poland, EGMR (GK), Urteil vom 19. 06. 2006 (Nr. 35014/97), hat dazu Folgendes ausgeführt: „We are not and cannot be the constitutional court for the 46 countries concerned. The fears that we shall usurp that role are not realistic. The subsidiary international jurisdiction nevertheless plays a role and engages in a legal discourse and in decision-making, functions which are somewhat similar to what the constitutional courts do. I would expect constitutionalist legal academia to decipher all the constitutive differences“. 146 Die von Polen ergriffenen allgemeinen Maßnahmen wurden vom EGMR auch bei der Bestätigung der in diesem Fall erreichten gütlichen Einigung zwischen der polnischen Regierung und dem Beschwerdeführer berücksichtigt, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 28. 09. 2005 (Nr. 31443/96), Broniowski v. Poland (Friendly settlement), Z. 34 ff. 147 Die italienische Regierung hat u. a. vorgetragen: „[T]he new practice pursued by the Court ran the risk of nullifying the principle that States were free to choose the means of 143

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

„In theory it is not for the Court to determine what may be the appropriate measures of redress for a respondent State to perform in accordance with its obligations under Article 46 of the Convention. However, having regard to the systemic situation which it has identified, the Court would observe that general measures at national level are undoubtedly called for in the execution of the present judgment, measures which must take into consideration the large number of people affected. Furthermore, the measures taken must be such as to remedy the systemic defect underlying the Court’s finding of a violation, so that the system established by the Convention is not compromised by a large number of applications arising out of the same cause. Such measures must therefore include a mechanism for providing injured persons with compensation for the violation of the Convention established in the present judgment concerning the applicants. In that connection the Court’s concern is to facilitate the rapid and effective suppression of a malfunctioning found in the national system of humanrights protection. Once such a deficiency has been identified, the national authorities have the task, subject to supervision by the Committee of Ministers, of taking – retrospectively if necessary – (see Bottazzi v. Italy [GC], no. 34884/97, § 22, ECHR 1999-V, Di Mauro v. Italy [GC], no. 34256/96, § 23, ECHR 1999-V, and the Interim Resolution of the Committee of Ministers ResDH(2000)135 of 25 October 2000 (Excessive length of judicial proceedings in Italy: general measures); see also Brusco v. Italy (dec.), no. 69789/01, ECHR 2001-IX, and Giacometti and Others v. Italy (dec.), no. 34939/97, ECHR 2001-XII) the necessary measures of redress in accordance with the principle of subsidiarity under the Convention, so that the Court does not have to reiterate its finding of a violation in a long series of comparable cases“.148

In diesem Urteil hat der EGMR die italienische Regierung auch aufgefordert, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die innerstaatlichen Leistungsentscheidungen gegen den Staat hinsichtlich der Entschädigung für überlange Verfahrensdauer nicht nur mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes vereinbar sind, sondern auch binnen sechs Monaten vollstreckt werden.149 Im Fall Lukenda (überlange Verfahrensdauer) hat der EGMR im Tenor seines Urteils eine Klausel aufgenommen, dass Slowenien durch geeignete gesetzgeberische und Verwaltungsmaßnahmen das Recht auf Verfahren in angemessener Frist sicherstellen soll.150 Solche allgemein gültigen Aussagen sind für den EGMR (immer noch) selten. Das erste (und bis jetzt einzige) Piloturteil des EGMR gegen Russland erging 2009 im Fall „Burdov v. Russia (no. 2)“ in Bezug auf die überlange Nichtvollstreexecuting judgments. It also ran counter to the spirit of the Convention and lacked a clear legal basis“, vgl. EGMR (GK), Urt. vom 01. 03. 2006 (Nr. 56581/00), Sejdovic v. Italy, Z. 115. Siehe außerdem das Sondervotum des EGMR-Richters Zagrebelsky im Fall Hutten-Czapska v. Poland, EGMR (GK), Urt. vom 19. 06. 2006 (Nr. 35014/97): „I am inclined to believe – the Court’s indications, in view of their self-evidently vague content, cannot be regarded as binding“. 148 EGMR (GK), Urt. vom 29. 03. 2006 (Nr. 36813/97), Scordino v. Italy (no. 1), Z. 236. 149 Ebenda, Z. 240. 150 EGMR, Urt. vom 06. 10. 2005 (Nr. 23032/02), Lukenda v. Slovenia, Z. 5 des Tenors. EGMR-Richter Zagrebelsky hat diese Vorgehensweise des EGMR in seinem Sondervotum zum Urteil kritisiert: „I do not think that this can be regarded as a judgment of a court. It is not an order that can be executed as judicial orders usually are. The timing and monitoring of the quality and suitability of the ,execution‘ measures that the respondent Government should introduce can only be guessed at“.

§ 2 Allgemeine Maßnahmen

293

ckung innerstaatlicher Urteile gegen den Staat.151 Der EGMR qualifizierte die Situation als konventionswidrige Praxis und stellte fest, dass die der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 1 des 1. Protokolls zur EMRK zugrunde liegenden Probleme die Verabschiedung umfassender und komplexer Maßnahmen, möglicherweise legislativer und administrativer Art, erfordern.152 Er hat allerdings davon abgesehen, spezifische generelle Maßnahmen vorzuschlagen. In Bezug auf Art. 13 EMRK (Fehlen eines Rechtsbehelfs gegen fehlende oder verspätete Vollstreckung innerstaatlicher Urteile) kam der EGMR zu dem Schluss, dass Russland einen Rechtsbehelf einführen muss, der eine wirksame Wiedergutmachung für begründete Konventionsverletzungen sicherstellt, die durch das Versäumnis der Behörden gerichtliche Entscheidungen zu vollstrecken entstanden. Der EGMR hat im Tenor seines Urteils angeordnet, dass ein solcher Rechtsbehelf den im Urteil dargelegten Grundsätzen der Konvention entsprechen und binnen sechs Monaten nach dessen Rechtskraft verfügbar sein muss.153 Außerdem wurde Russland verpflichtet, innerhalb von einem Jahr ab Rechtskraft des Urteils allen Opfern, deren Beschwerden vor Erlass des Urteils eingebracht und der Regierung zur Stellungnahme übermittelt wurden, eine angemessene Wiedergutmachung zu leisten.154 Mit dem Piloturteilverfahren nähert sich der EGMR einem supranationalen Verfassungsgericht an. Piloturteile sind Folge der großen Überlastung des EGMR und insofern lässt sich das vom EGMR entwickelte Piloturteilsverfahren als Notverfahren in gewissen Grenzen rechtfertigen. In den letzten Jahren wurde das Piloturteilsverfahren zum Bestandteil des Rechtschutzsystems der EMRK.155

II. Umsetzung der allgemeinen Maßnahmen durch Russland Das autonome russische Recht enthält Vorschriften darüber, wie allgemeine Maßnahmen zur Umsetzung der EGMR-Urteile innerstaatlich durchzuführen sind. Gemäß Art. 5 Abs. 5 der Ordnung „Über den Vertreter der Russischen Föderation beim EGMR“,156 bestätigt durch Erlass des Präsidenten RF Nr. 310 vom 29. 03. 1998, informiert der Vertreter im Falle einer Verurteilung der Russischen Föderation die Behörden, die bei der Konventionsverletzung mitgewirkt haben, sowie das VerfG RF, das OG RF, das OWG RF und die Generalstaatsanwaltschaft RF, was sicherlich der Prävention neuer Konventionsverletzungen dienlich ist. Wenn die Umsetzung eines EGMR-Urteils eine Gesetzesänderung erfordert, hat der Vertreter zusammen mit den Behörden einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten und dem Präsidenten der Russischen Föderation vorzulegen, damit er von seinem Recht der Gesetzesinitiative Gebrauch 151 152 153 154 155 156

EGMR, Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2). Ebenda, Z. 136. Ebenda, Z. 6 des Tenors. Ebenda, Z. 7 des Tenors. Ausführlich dazu Leach u. a., Responding to Systemic Human Rights Violations (2010). SZ RF 1998, Nr. 14, Pos. 1540.

294

Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

machen kann (Art. 5 Abs. 6). Bei erforderlichen Änderungen untergesetzlicher Normativakte hat der Vertreter zusammen mit den Behörden einen Entwurf auszuarbeiten und dem zuständigen Organ zur Entscheidung vorzulegen (Art. 5 Abs. 7). Soweit ersichtlich macht der Vertreter von der Möglichkeit allerdings kaum Gebrauch.157 Wie die Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates in Bezug auf Russland sowie die vorliegende Untersuchung zeigen, bemüht sich die russische Regierung, durch allgemeine Maßnahmen zukünftigen Konventionsverletzungen vorzubeugen. Eine umfangreiche Reform wurde als eine Antwort auf das erste Piloturteil158 des EGMR gegen Russland durchgeführt. Das KompensationsG vom 30. 04. 2010 (in Kraft seit 04. 05. 2010) hat einen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren sowie verspätete Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen gegen den Staat eingeführt. Dabei wurde von den Vorgaben des EGMR ausgegangen sowie versucht, die gute Praxis anderer Vertragsparteien zu berücksichtigen. Das Gesetz ermächtigt innerstaatliche Gerichte eine entsprechende Konventionsverletzung festzustellen sowie finanzielle Entschädigung unabhängig vom Verschulden der Behörden zuzusprechen und verpflichtet die Gerichte, die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Standards (einschließlich Höhe der Entschädigung) zu berücksichtigen (Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes). Es ist abzuwarten, ob durch die Einführung des Rechtsbehelfs das Problem überlanger Nichtvollstreckung innerstaatlicher Urteile gegen den Staat in Russland wirksam gelöst werden wird. Die ersten Erfahrungen sind eher positiv.159 Allerdings bleibt die primäre Aufgabe des Staates, die zugrunde liegenden Probleme völlig zu beseitigen, noch ungelöst.160 Im Fall Burdov161 (Nichtvollstreckung einer rechtskräftigen Schadensersatzentscheidung eines Opfers der Tschernobyl-Katastrophe gegen den Staat) sah die russische Regierung ihre Verpflichtungen zu folgenden Maßnahmen allgemeiner Art als erfüllt an: Veröffentlichung des Urteils; Vollstreckung von über 5.000 Urteilen zugunsten anderer Tschernobyl-Opfer; Bereitstellung finanzieller Mittel für die Befriedigung solcher Forderungen; Vergleiche mit Beschwerdeführern, die vor dem EGMR ähnliche Konventionsverletzungen geltend machten; Gesetzesreform zur Beseitigung der Unklarheiten, die Rechtsstreitigkeiten über die Höhe von Schadensersatzansprüchen der Tschernobyl-Opfer produzierten. Das Ministerkomitee 157 158

=daQi_SQ, 7da^Q\ a_bbYZb[_T_ `aQSQ 2006, Nr. 3, S. 149.

EGMR, Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2). EGMR, Ent. vom 02. 12. 2010 (Nr. 9610/05), Balagurov v. Russia. Hier hat der EGMR entschieden, dass wegen der innerstaatlichen Kompensation nach dem KompensationsG 2010 der Beschwerdeführer seine Opfereigenschaft verloren hat. 160 Europarat, MK, Interim Resolution CM/ResDH(2009)43 vom 19. 03. 2009, hält die von Russland in dieser Hinsicht getroffenen Maßnahmen (vgl. Anhang zur Resolution) für nicht genügend. Vgl. auch Europarat, MK, Memorandum vom 06. 06. 2006 „Non-enforcement of domestic judicial decisions in Russia: general measures to comply with the European Court’s judgments“ (Doc. CM/Inf/DH(2006)19revised). 161 EGMR, Urt. vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia. 159

§ 2 Allgemeine Maßnahmen

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bestätigte die Auffassung der russischen Regierung und erklärte die Vollstreckung des EGMR-Urteils für erfolgt.162 In Bezug auf den Fall Posokhov163 (Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter durch nichtordnungsgemäße Besetzung des Spruchkörpers mit Laienrichtern) hat die russische Regierung folgende Maßnahmen vorgetragen, die neue ähnliche Verletzungen der EMRK vermeiden sollen: die Veröffentlichung des EGMR-Urteils im Amtsblatt der Russischen Regierung (Rossijskaâ gazeta), eine Gesetzesreform, die das Institut des Laienrichters abgeschafft hat und als Übergangsregelung ein Zirkular des OG RF, in dem untere Gerichte auf das Urteil des EGMR hingewiesen und aufgefordert werden, bei der Zusammensetzung der Spruchkörper das Urteil des EGMR zu beachten. Außerdem hat die russische Regierung auf den Plenumsbeschluss [Erläuterungen] des OG RF vom 10. 10. 2003 hingewiesen, dass die EMRK in Russland als Teil der russischen Rechtsordnung in der Auslegung des EGMR gilt. Das Ministerkomitee hat die Maßnahmen als ausreichend angesehen und erklärte die Vollstreckung des EGMR-Urteils für erfolgt.164 Im Umsetzungsverfahren hinsichtlich der EGMR-Urteile Ryabykh165 und Volkova166 (Missachtung der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen durch das Institut des Aufsichtsverfahrens „nadzor“ im Zivilprozessrecht) hat die russische Regierung darauf hingewiesen, dass eines der Urteile in einer russischen juristischen Zeitschrift veröffentlicht worden sei. Die neue ZPO Russlands, die noch vor den Urteilen des EGMR verabschiedet wurde, enthalte neue Regelungen, welche die Ursachen der Konventionsverletzung beseitigten, führte die Regierung aus. Sie hat sich auch bereit erklärt, andere Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sein werden, um ähnlichen neuen Konventionsverletzungen vorzubeugen. Außerdem berief sich die russische Regierung auf den Beschluss des VerfG RF vom 12. 04. 2005 (Nr. 113O)167, in der das VerfG RF u. a. unter Bezug auf das Ryabykh-Urteil des EGMR einige Vorschriften des Gesetzbuchs über das Ordnungswidrigkeitsverfahren, die Aufsichtsverfahren regeln, für verfassungswidrig erklärt hat. Die Regierung hat darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung, obwohl sie nicht das Zivilverfahren betrifft, das Gegenstand des Verfahrens vor dem EGMR war, die Bemühungen des VerfG RF zeige, neuen Konventionsverletzungen vorzubeugen. Das Ministerkomitee aner162 Europarat, MK, Resolution ResDH(2004)85 vom 22. 12. 2004. Diese Entscheidung des MK wird in der Literatur wie folgt kommentiert: „The Committee appears to be achieving a modest, but encouraging, degree of success with Russia (…). The problem of non-enforcement of judgments is widespread in Russia, and is not limited to Chernobyl-related litigation, but perhaps it is sensible for the Committee to try to remedy the situation piecemeal, rather that attempting to force Russia immediately to execute all unpaid domestic awards“, Ovey/White, Jacobs and White: European Convention on Human Rights, S. 502. 163 EGMR, Urt. vom 04. 03. 2003 (Nr. 63486/00), Posokhov v. Russia. 164 Europarat, MK, Resolution ResDH(2004)46 vom 20. 07. 2004. 165 EGMR, Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 52854/99), Ryabykh v. Russia. 166 EGMR, Urt. vom 05. 04. 2005 (Nr. 48758/99), Volkova v. Russia. 167 SZ RF 2005, Nr. 22, Pos. 2195.

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

kannte, dass durch die ZPO-Reform einige Probleme gelöst worden sind, hat aber Zweifel zum Ausdruck gebracht, ob die ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um neue Konventionsverletzungen zu verhindern, und hat durch eine Interim Resolution168 beschlossen, das Überwachungsverfahren fortzusetzen. Wie oben erläutert, wurde die Reform des Aufsichtsverfahrens in der ZPO RF durch Bundesgesetze RF vom 04. 12. 2007 (Nr. 330-E8) und vom 09. 12. 2010 (Nr. 353-E8) fortgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob das Ministerkomitee diese Maßnahmen für genügend erachtet. In der vorliegenden Arbeit wurden auch andere Maßnahmen dargestellt, die Russland unternommen hat, um die Umsetzung der für die vorliegende Untersuchung relevanten EGMR-Urteile sicherzustellen, die aber noch keinen Ausdruck in Resolutionen des Europarates fanden. Es sei hier auch angemerkt, dass in den Fällen, in denen konventionswidriges Verhalten der Gerichte auch mit dem russischen Recht unvereinbar war, das Ministerkomitee des Europarates die Veröffentlichung der Urteile in Russland und/oder deren Verbreitung unter russischen Gerichten zusammen mit Anweisungen des OG RF, ähnliche Konventionsverletzungen in der Zukunft zu vermeiden, als ausreichend betrachtet, um das Überwachungsverfahren abzuschließen.169 Es lässt sich also feststellen, dass die russische Regierung es durchaus ernst mit der Umsetzung der EGMR-Urteile meint und die Signale aus Straßburg die Justizreform in Russland vorantreiben. Jedoch kann auch nicht übersehen werden, dass die Urteile des EGMR in Russland auf wenig Akzeptanz stoßen, wenn es sich um politisch brisante Fälle handelt.170 Ein Problem für die vollständige Umsetzung der EMRK in Russland im Sinne einer Prävention neuer Konventionsverletzungen stellt m. E. die Tatsache dar, dass die festgestellten Konventionsverstoße in der Regel keine Auswirkungen auf die Karrieren der daran beteiligten Beamten haben.171 Nach einem der ersten Urteile des EGMR im Fall Kalashnikov vom 15. 07. 2002 (überlange Untersuchungshaft, unmenschliche Behandlung) hat die Presse zwar berichtet, dass sogar Richter aus dem Amt entlassen worden seien, die an den Maßnahmen mitgewirkt hatten, die dem EGMR-Urteil zugrunde lagen.172 Im Fall Wasserman (Verstoß gegen das Recht auf effektive Urteilsvollstreckung) hat sich die russische Regierung darauf berufen, dass 168

Europarat, MK, Interim Resolution ResDH(2006)1 vom 08. 02. 2006. Vgl. Europarat, MK, Resolution CM/ResDH(2008)17 vom 27. 03. 2008 (zur Umsetzung der Urteile des EGMR in den Fällen Dubinskaya v. Russia, Popova v. Russia, Sukhorubchenko v. Russia); Resolution CM/ResDH(2011)152 vom 14. 09. 2011 (zur Umsetzung des Urteils des EGMR im Fall Bezymyannaya v. Russia). 170 Zu diesem Ergebnis kommt auch Nußberger, Ende des Rechtsstaates in Russland?, S. 56 ff. 171 Dies belegt ein Bericht der russischen NGO „Sutyajnik“ (July 2005) „=_^Yc_aY^T `aYS\VhV^Yp [ _cSVcbcSV^^_bcY U_\W^_bc^lf \Yg, SY^_S^lf S ^QadiV^YY ^_a] 169

6Sa_`VZb[_Z ;_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q Y _b^_S^lf bS_R_U S A_bbYZb[_Z EVUVaQgYY“, . 172 Vgl. @ . ýQ`cVS, in: A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 17. 10. 2002 (Nr. 197).

§ 2 Allgemeine Maßnahmen

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die verantwortlichen Beamten des Vollstreckungsdienstes aus dem Amt entlassen seien.173 Nach einem anderen Urteil Mikheyev vom 26. 01. 2006 (Folter durch die Polizei) wurden die daran beteiligten Polizeibeamten zu jeweils vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.174 Dies sind allerdings Einzelfälle geblieben, was angesichts der so hohen Zahl der Verurteilungen Russlands wohl verständlich ist. In diesem Zusammenhang ist die Aussage der russischen Generalstaatsanwaltschaft nach der Verurteilung Russlands durch den EGMR im Fall Gusinskiy175 prekär. In diesem Fall stellte der EGMR einen Verstoß gegen die EMRK fest, da dem Beschwerdeführer (einem ehemaligen russischen Oligarchen) durch die Generalstaatsanwaltschaft rechtswidrig die Freiheit geraubt und dies als Druckmittel genutzt worden sei, um ihn zum Verkauf seines Medienkonzerns an das staatliche Unternehmen Gazprom zu bewegen. In Bezug auf die Anfrage einer NGO, welche Maßnahmen gegenüber den in diesen Fall verwickelten Beamten vorgenommen wurden, antwortete die Generalstaatsanwaltschaft RF, es seien keine Maßnahmen nötig, da die Beamten rechtmäßig gehandelt hätten.176 Somit wurde dem Urteil des EGMR indirekt jede Bindungskraft abgesprochen. Wie oben erwähnt, ist Russland auf der „schwarzen“ Liste des Europarates der Staaten gelandet, die unakzeptabel lange Verzögerungen in der Umsetzung der Urteile des EGMR aufweisen (allerdings zusammen mit vielen anderen Konventionsstaaten).177 Die Literatur fordert den Gesetzgeber zunehmend auf, ein Gesetz über die Umsetzung von EGMR-Urteilen zu erlassen, in dem verschiedene Fragen der Umsetzung geregelt werden könnten.178 Der Gesetzgeber hat dieser Aufforderung bis 173

EGMR, Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 15021/02), Wasserman v. Russia, Z. 33. Gericht für Leninskij Rayon der Stadt Nischni Nowgorod, Strafurteil vom 30. 11. 2005; bestätigt durch Gericht für das Gebiet Nischni Nowgorod, Beschl. vom 27. 01. 2006 (Nr. 22258), beide veröffentlicht unter . 175 EGMR, Urteil vom 19. 05. 2004 (Nr. 70276/01), Gusinskiy v. Russia. 176 Zit. nach 5V]V^VSQ, in: Hda[Y^Q/2V\pVS (Hrsg.), ?RpXQcV\mbcSQ T_bdUQabcS – dhQbc^Y[_S 174

6Sa_`VZb[_Z [_^SV^gYY _ XQjYcV `aQS hV\_SV[Q `_ Yb`_\^V^Yo `_bcQ^_S\V^YZ 6Sa_`VZb[_T_ bdUQ, S. 97. 177 Europarat, Parl. Versammlung, Report AS/Jur(2010)36 (Rapporteur: Pourgourides) vom 09. 11. 2010 „Implementation of judgments of the European Court of Human Rights“; vgl. auch Parl. Versammlung, Report (Rapporteur: Jurgens) vom 18. 09. 2006 (Doc. 11020) „Implementation of judgments of the European Court of Human Rights“; Parl. Versammlung, Entschließung 1516(2006) vom 02. 10. 2006 betreffend die Umsetzung der Urteile des EGMR, Z. 5, BT-Drucks. 16/3941, S. 8. 178 Vgl. etwa ýYg, DhV^lV XQ`Yb[Y: BR_a^Y[ ^Qdh^lf cadU_S 9^bcYcdcQ T_bdUQabcSQ Y `aQSQ, Bd. 2 (2001), S. 142; =QcSVVS, OaYbc-]VWUd^Qa_U^Y[ 2004, Nr. 4, S. 44; 6UYUY^, 1aRYcaQW^lZ Y TaQWUQ^b[YZ `a_gVbb 2004, Nr. 11, S. 22 ff.; Hda[Y^Q, @aQS_ Y `_\YcY[Q 2007, Nr. 9, S. 34 f.; NGO „DEMOS“, Bericht (undatiert) „European Court of Human Rights Judgments Implementation in Russia: A need to create effective mechanisms of execution“: „The Russian authorities are highly recommended to work out a number of norms and procedures allowing systematic and comprehensive implementation of general measures, necessary for the ECtHR judgments execution. In particular, it is necessary to create special mechanisms and procedures ensuring coordination between different branches of power (legislative, exe-

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Kap. 7: Folgen von Konventionsverletzungen

jetzt keine Folge geleistet. 2011 beauftragte der Präsident RF das Justizministerium, die Umsetzung des EGMR-Urteile in Russland zu analysieren und entsprechende Rechtsänderungsvorschläge jährlich vorzubereiten.179 Das begründet vorsichtigen Optimismus, dass die Umsetzung der EGMR-Urteile in Russland in der Zukunft schneller und systematischer verlaufen wird.

cutive and judicial) in identifying causes for violation of the ECHR provisions, elaborating a set of measures to resolve such violations and in realization of such measures. Besides, it is necessary to create a monitoring system, which would allow to evaluate the effectiveness of the ECtHR judgments execution in the part of general measures“, . Vgl. auch Europarat, MK, Recommendation CM/Rec(2008)2 vom 06. 02. 2008 to member states on efficient domestic capacity for rapid execution of judgments of the European Court of Human Rights. 179 Präsident RF, Erlass vom 20. 05. 2011 (Nr. 657), SZ RF 2011, Nr. 21, Pos. 2930.

Schlussbetrachtung Folgende Gedanken lassen sich aus der vorliegenden Untersuchung ableiten. Die EMRK setzt einen menschenrechtlichen Mindeststandard in den Konventionsstaaten voraus. Andererseits enthält die EMRK selbst Mindeststandards, die im Laufe der Zeit durch den EGMR so weit entwickelt worden sind (obwohl seine Rechtsprechung als kasuistisch und undogmatisch bezeichnet wird)1, dass selbst westliche Staaten mit langer rechtsstaatlicher Tradition den Standards nicht immer entsprechen können. Vor diesem Hintergrund überrascht die hohe Zahl der Verurteilungen Russlands durch den EGMR nicht. So ist die Prophezeiung in Erfüllung gegangen, dass der EGMR mit Beschwerden aus Russland überflutet werde.2 Die Rechtsprechung des EGMR zeigt die aktuelle Menschenrechtslage in Russland auf. Die Bedeutung der EMRK für die russische Rechtsordnung ist nicht zu unterschätzen. Ganz abgesehen davon, dass viele Menschen (wenngleich erst nach langjährigen Verfahren) zu ihrem Recht kommen, zeigen die Urteile strukturelle Defizite auf und es entstehen konkrete juristische Verpflichtungen, diese Defizite zu beseitigen. Das Wichtigste daran ist, dass die Frage der Durchsetzung der Menschenrechte von politischer Rhetorik zu einer formalisierten rechtlichen Angelegenheit auf internationaler Ebene wurde. Zwar ist es bedauerlich und verdient scharfe Kritik, dass vor Russland noch ein weiter Weg zu einem entwickelten Rechtsstaat liegt,3 die hohe Zahl der Verurteilungen belegt gleichzeitig jedoch, dass die von verschiedenen Seiten befürchtete Aufweichung der EMRK-Standards nach dem Beitritt Russlands nicht eingetreten ist.4 Es war also eine richtige Entscheidung, Russland in das System des europäischen Menschenrechtsschutzes einzubinden.5 1

Grewe, in: Grewe/Gusy (Hrsg.), Menschenrechte in der Bewährung, S. 119. Ametistov, All-European human rights yearbook, Vol. 2 (1992), S. 79. 3 Die Straßburger Bilanz Russlands relativiert zum Teil die sehr positive Aussage von Danilenko, in: Yee/Tieya (Hrsg.), GS Haopei, S. 201: „Any objective observer would acknowledge that Russia has achieved considerable progress in domestic implementation of international human rights standards. It is unprecedented in the history of international law that such a large country has so rapidly opened itself to direct reception of both treaty and general international human rights law. Judicial practice confirms that Russian courts often apply international human rights norms. Russia’s participation in the Council of Europe will only strengthen this trend. Despite remaining relics of the totalitarian past and numerous new problems, there have never been better prospects for true human rights enforcement in Russia to succeed“. 4 Zu diesem Ergebnis kommt auch Hagedorn, Gleiche Maßstäbe für Ost und West?, S. 251. 5 Wieso ausgerechnet der Beitritt Russlands zu einer „Zweitklassen-Rechtsprechung“ des EGMR führen sollte, wenn der seit längerem erfolgte Beitritt anderer Staaten Ost- und Süd2

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Schlussbetrachtung

Mit der Unterwerfung der Russischen Föderation unter die Gerichtsbarkeit des EGMR wurde der internationalen Staatengemeinschaft Einlass in Russlands staatliche Souveränität gewährt, dadurch entstanden zusätzliche Möglichkeiten, Einfluss auf die neue russische Rechtsordnung zu gewinnen, dessen Vorteile für den kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Austausch auf der Hand liegen. Auch für die russische Rechtsordnung ist die Hilfe beim Aufbau des Rechtsstaates wichtig und von Vorteil. Der Druck von außen katalysiert die Reformprozesse, besonders im Bereich der Justiz. Die russische Rechtswissenschaft und Praxis, die sich mit auf Völkerrecht basierenden Argumenten beschäftigen müssen, wurden durch das europäische Gedankengut, das sich in der Rechtsprechung des EGMR verkörpert, erheblich bereichert. Mit der EMRK haben innerstaatliche Menschenrechtsaktivisten ein zusätzliches Instrument in die Hand bekommen. Wie hoch die EMRK von russischen Juristen geschätzt wird, zeigt z. B. die Tatsache, dass obwohl die EMRK die Möglichkeit des Austritts ausdrücklich vorsieht (Art. 58) und von einem möglichen Austritt Russlands keine Rede ist, in der Literatur argumentiert wird, dass ein Austritt aus verfassungsrechtlichen Gründen unmöglich wäre.6 Die Umsetzung der EGMR-Urteile verläuft nicht reibungslos. Die Beziehung Russlands zum EGMR bzw. Europarat wird in den Medien mit der Beziehung Schwiegersohn – Schwiegermutter verglichen.7 Zwar ist man oft übereinander verärgert, ohneeinander geht es aber auch nicht.8 Natürlich hat Russland Probleme mit Menschenrechten und natürlich ärgert die politische Führung die ständige „Besserwisserei“ aus Straßburg (besonders zu politisch brisanten Fragen). Darin wird ein Eingriff in die staatliche Souveränität gesehen, die dann mit politischen Mitteln verteidigt wird, was etwa in der Blockierung des In-Kraft-Tretens des 14. ZP zur EMRK Ausdruck fand.9 Dies führt auch zur zögerlichen Umsetzung der EGMRUrteile, wozu natürlich auch praktische Schwierigkeiten beitragen. Dass dabei Menschenrechte manchmal den Kürzeren ziehen, bleibt nicht aus. Es ist auch bedauerlich, dass sich der EGMR in einer politisch brisanten Frage in Bezug auf die NATO-Staaten (Schadensersatz wegen der Luftangriffe in Jugoslawien) unfähig sah,

osteuropas einschließlich der Türkei zu diesem Ergebnis nicht geführt hat, bleibt unverständlich, vgl. Deppe, Osteuropa-Recht 1999, 112 Fn. 15. 6 Dies wird mit Art. 55 Abs. 2 Verf. RF begründet, wonach in Russland keine Gesetze erlassen werden dürfen, die die Rechte und Freiheiten des Menschen aufheben oder schmälern; 3_Y^_S, A_bbYZb[Qp obcYgYp 2001, Nr. 6, S. 18. 7 8Q[Qc^_SQ, A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 09. 07. 2007 (Nr. 4408), S. 1. Vgl. auch Nußberger, in: Keller/Stone-Sweet (Hrsg.), A Europe of Rights, S. 606: „However, for both sides [Russia and the Council of Europe] it is clear that the marriage, even if unhappy, should continue“. 8 Dies ist keine Ausnahme. Die Beziehungen Frankreichs zum EGMR werden etwa als Hassliebe bezeichnet, vgl. Grewe, Die Rezeption der EMRK in Frankreich, in: Grewe/Gusy (Hrsg.), Menschenrechte in der Bewährung, S. 107. 9 Zu Problemen, welche diese Vorgehensweise für den EGMR und seine Autorität hatte: Engel, Russland setzt EGMR unter Druck, EuGRZ 2007, 241.

Schlussbetrachtung

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seinen Menschenrechtsschutz auszuweiten10 und sich für die Beschwerde zuständig zu erklären.11 Das wäre im Wege der evolutiven Auslegung und im Sinne der Effektivität des Menschenrechtsschutzes ohne weiteres möglich gewesen.12 Eine solche Haltung ist ein Nährboden für Vorwürfe eines Doppelstandards des EGMR.13 Bei allen politischen Differenzen wird ein Austritt oder Ausschluss aus dem Europarat auf beiden Seiten nicht in Erwägung gezogen. Offensichtlich brauchen beide Seiten einander. Die ausdrücklichen und implizit mitumfassten Verfahrens- und Gerichtsgarantien in Art. 6 Abs. 1 EMRK stellen eine wichtige Grundlage eines europäischen Zivilprozessrechts dar und tragen zur Vereinheitlichung der Zivilprozessordnungen in Europa bei.14 Dabei lässt das vom EGMR entwickelte Konzept eines Beurteilungsspielraums der Konventionsstaaten (margin of appreciation) Raum für die Berücksichtigung nationaler Besonderheiten bei der Ausgestaltung einzelner prozessualer Institute. Seit einigen Jahren wird in Russland eine tiefgreifende Justizreform vorangetrieben. Nach dem Beitritt zur EMRK wurden in Russland mehrere gesetzliche Bestimmungen angepasst. Im Bereich des Zivilprozess- und Zwangs10 Vgl. EGMR, Urt. vom 27. 06. 1968 (Nr. 2122/64), Wemhoff v. Germany, Z. 8, wonach für die EMRK die Auslegung zu wählen ist, „die dem Ziel des Vertrages am nächsten kommt und die am besten geeignet ist, seine Zwecke zu verwirklichen, und nicht diejenige, welche die Verpflichtungen der Parteien in größerem Maße begrenzen würde“, dt. Übersetzung zit. nach Golsong/Petzold/Furrer (Hrsg.), Entscheidungen des EGMR, Bd. 1 (1970), S. 126. 11 EGMR (GK), Ent. vom 12. 12. 2001 (Nr. 52207/99), Bankovic´ and Others v. Belgium and 16 Other Contracting States. 12 Vgl. etwa die überzeugende Kritik dieser Entscheidung (m.w.N.) von Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 130 f.: „Es kann nicht angehen, dass ein Staat, der im Ausland eine Person entführt, für die Tat menschenrechtlich haftet, während ein anderer Staat, der von einer Entführung und einem anschließenden Gerichtsverfahren absehen will und daher eine Person im Ausland mittels eines Luftangriffs tötet, menschenrechtlich für dieses Verhalten nicht zur Verantwortung gezogen werden kann“; sowie Loucaides (EGMR-Richter, der an der Entscheidung nicht mitgewirkt hat), EHRLR 2006, S. 391 ff. 13 Vgl. etwa Statement by the Russian Ministry of Foreign Affairs Concerning the Ruling of the European Court of Human Rights in Strasbourg on the „Case of Ilascu“ vom 08. 07. 2004 (Nr. 1569): „Whereas in the case involving the bombings of Yugoslavia by the countries of the North Atlantic Alliance, the Court took up the defense of the NATO nations, using as a cover the principles of territorial jurisdiction, in the ,case of Ilascu‘ the same Court employed in its interests the opposite principle of exterritorial jurisdiction, actually proceeding from the false premise that on the territory of Transnistria jurisdiction is being exercised by the Russian Federation“, zit. nach ; Vgl. auch Internet-Konferenz mit Pavel Laptev, Vertreter der RF beim EGMR (damals), vom 18. 04. 2005, zit. nach , der jedoch zugibt, dass ca. 95 % der Urteile des EGMR gegen Russland „objektiv“ seien, zit. nach . Auch in der russischen Literatur wird die Diskussion über die politische Rolle des EGMR, insbesondere über seine Unabhängigkeit oder Indienstnahme durch bestimmte westliche Organisationen, etwa die OSZE, lautstark geführt; vgl. etwa =QahV^[_, 4_bdUQabcS_ Y `aQS_ 2006, Nr. 2, S. 11 ff. 14 Vgl. Wolf, in: Köbler (Hrsg.), FS Söllner, S. 1279 ff.

302

Schlussbetrachtung

vollstreckungsrechts, das Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist, war eines der Hauptziele der Reform des russischen Zivilprozessrechts von 2002, es mit den Standards der EMRK in Übereinstimmung zu bringen. Die Staatsanwaltschaft RF wurde mit anderen Prozessparteien gleichgestellt. Das Gesetz „Über die Sicherstellung des Zugangs zu Informationen über die Tätigkeit der Gerichte in der RF“ vom 22. 12. 2008 (Nr. 262-E8) ist wichtig und soll die Transparenz der Justiz erhöhen und somit die Gerichtsreform vorantreiben. Wesentliche Änderungen hat das Institut des Aufsichtsverfahrens erfahren, was zur Rechtssicherheit in Russland erheblich beigetragen hat. Angesichts dessen, dass vor der Zivilprozessrechtsreform von 2002 noch keine Urteile gegen Russland gefällt wurden, ist es verständlich, dass bei weitem nicht alle Mängel des sowjetischen Erbes beseitigt werden konnten. Ein weiterer Bereich, in dem der Einfluss der EMRK immer stärker sichtbar wird, ist die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen gegen den Staat. Auch hier ist die Reform noch nicht abgeschlossen. Die Einführung eines Rechtsbehelfs gegen die überlange Vollstreckungs- und Prozessdauer durch das Kompensationsgesetz vom 30. 04. 2010 (Nr. 68-E8) stellt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Schließlich wurden prozessuale Rechte der Betroffenen in Entmündigungsverfahren dank der EGMR-Rechtsprechung deutlich gestärkt. In anderen Aspekten bietet die neue ZPO RF 2002 genug Raum für einen effektiven Schutz der Menschenrechte. Auf der Grundlage des geltenden Rechts ist das im Wege konventions- und verfassungskonformer Auslegung durchaus möglich. Die Reform muss sich daher darauf konzentrieren, die Vollzugsdefizite zu beseitigen. Ohne eine verbesserte Ausbildung, Ausstattung und Bezahlung der Richter, Staatsanwälte und Gerichtsvollzieher und ohne ein neues Berufsverständnis kann der Umbau der russischen Rechtsordnung nicht gelingen.15 Durch spezielle Bundesprogramme zur Entwicklung der Justiz hat man beachtliche Erfolge in der Verbesserung der personellen und technischen Ausstattung der Justiz erzielt. Es sind allerdings noch viele Maßnahmen und Anstrengungen des Gesetzgebers und der Exekutive nötig, um das proklamierte Ziel – die Übereinstimmung des Rechts und der Rechtsanwendungspraxis mit den Standards der EMRK – zu erreichen, die, obwohl sie nicht rechtsverbindlich sind (keine erga omnes-Wirkungen haben), die Vorgaben für einen modernen Rechtsstaat enthalten. Durch den übergesetzlichen Rang der EMRK und ihre unmittelbare Geltung in der russischen Rechtsordnung ist eine gute Grundlage für eine effektive innerstaatliche Anwendung geschaffen worden. In keiner der russischen Verfassungen war die Beziehung zum Völkerrecht so eng wie in der derzeit gültigen. Es bedarf jedoch einer Klarstellung durch den Gesetzgeber oder das VerfG RF in Bezug auf die Bindungswirkungen der Urteile des EGMR (gegen Russland und andere Staaten). Hier könnte etwa der Beschluss des deutschen BVerfG vom 14. 10. 2004 (2 BvR 1481/04) im Görgülü-Fall als Grundlage genommen werden. Wünschenswert ist auch eine gesetzliche Regelung über das Verfahren der Umsetzung der EGMR15

Karaß/Wedde (Hrsg.), Das Berufsrecht der Anwälte in der Russischen Föderation, S. 9.

Schlussbetrachtung

303

Urteile. Hier könnte das Gesetz der Ukraine über die Umsetzung der Urteile des EGMR und ihre Anwendung von 2006, der maltesische European Convention Act 1987, der britische Human Rights Act 1998 sowie der irische European Convention on Human Rights Act 2003 als Grundlage dienen. Sehr wichtig ist die Einführung eines Verfahrens für die amtliche Übersetzung und Veröffentlichung der Urteile des EGMR, die etwa in Form von Rechtsprechungsübersichten durch Plenumsbeschlüsse [Erläuterungen] der russischen Obergerichte herausgegeben werden könnten. Kennzeichnend für die (unvollkommene) Rezeption von Urteilen des EGMR in der Russischen Föderation (besonders von Urteilen gegen andere Konventionsstaaten) sind derzeit die relativ geringe Kenntnisnahme von den Urteilen wegen der Sprachbarriere, die Unsicherheit über die Frage ihrer Verbindlichkeit und die Minimierung der Konventionswirkungen in der Praxis. Dies war jedoch lange Zeit in den meisten anderen Konventionsstaaten nicht anders.16 So hat es etwa 20 Jahre gedauert, bis die erstinstanzlichen Gerichte in der Schweiz angefangen haben, die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR routinenmäßig anzuwenden.17 Angesichts der Sprachbarriere, der Größe des Landes und des Zustandes der Rechtspflege (die sich in Entwicklung befindet) kann es in Russland noch länger dauern. Andererseits ist festzustellen, dass sich die russischen Richter dem Völkerrecht jetzt nicht mehr verschließen können, da sie mit einer Anrufung des EGMR gegen ihre Entscheidungen rechnen müssen. Auf diese Weise gewinnt die EMRK immer mehr an Einfluss auch in der russischen Rechtsprechung.

16 Gusy, ZfRV 1989, 23; vgl. auch Habscheid, in: Gerhardt u. a. (Hrsg.), FS Henckel, S. 344 Fn. 6: „Ich selbst habe es als junger Anwalt erlebt, dass der Vorsitzende eines deutschen Gerichts meinen Hinweis auf die EMRK väterlich-wohlwollend mit der Bemerkung abtat, das sei wohl eine Scherzerklärung gegenüber einem nach deutschem Verfahrensrecht prozessierenden Gericht“. 17 Keller, Reception of the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (ECHR) in Poland and Switzerland, ZaöRV 2005, 313.

Anhang I: Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. 11. 1950 (BGBl. 1952 II 685), in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit 03. 09. 1953, für die Russische Föderation seit 05. 05. 1998 (Auszug) Art. 6 Abs. 1 (1) Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen (…) zu entscheiden hat. (2) Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Gerechtigkeit beeinträchtigen würde, in diesem Falle jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang. […] Neufassung und Neuübersetzung der Konvention (BGBl. 2002 II 1058; BGBl. 2010 II 1202) Art. 6 Abs. 1 Recht auf ein faires Verfahren (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen (…) von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. (2) Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. […]

Anhang II: Verfassung der Russischen Föderation 1

angenommen durch Referendum vom 12. 12. 1993, in Kraft seit 25. 12. 1993 (m.w.Ä.) (Auszug)

Kapitel 1. Grundlagen der Verfassungsordnung […] Art. 10 Die Staatsgewalt in der Russischen Föderation wird auf der Grundlage der Aufteilung in gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt ausgeübt. Die Organe der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt sind selbständig. Kapitel 2. Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers […] Art. 19 Abs. 1 Alle sind vor dem Gesetz und vor Gericht gleich. […] Art. 46 1. Jedem wird der gerichtliche Schutz seiner Rechte und Freiheiten garantiert. 2. Gegen Entscheidungen und Handlungen (oder die Untätigkeit) der Organe der Staatsgewalt, der Organe der örtlichen Selbstverwaltung, der gesellschaftlichen Vereinigungen und Amtsträger steht der Rechtsweg offen. 3. Jeder ist berechtigt, sich gemäß den völkerrechtlichen Verträgen der Russischen Föderation an die zwischenstaatlichen Organe zum Schutz der Menschenrechte und -freiheiten zu wenden, wenn alle bestehenden innerstaatlichen Mittel des Rechtsschutzes ausgeschöpft sind. Art. 47 Abs. 1 Niemandem darf das Recht auf Verhandlung seiner Sache vor dem Gericht und durch die Richter, die gesetzlich für sie zuständig sind, entzogen werden.

1 Text veröffentlicht in: A_bbYZb[Qp TQXVcQ vom 25. 12. 1993 (Nr. 237), dt. Übersetzung von Oertner, in: EuGRZ 1994, 519 ff.; von Frenzke, in: Osteuropa-Recht 1994, 296 ff. Verf. RF 1993 in der geltenden Fassung: SZ RF 2009, Nr. 4, Pos. 445.

306

Anhang II: Verfassung der Russischen Föderation

Art. 48 Abs. 1 Jedem wird das Recht garantiert, qualifizierten juristischen Beistand zu erhalten. In den durch Gesetz vorgesehenen Fällen wird der juristische Beistand unentgeltlich geleistet. Art. 50 Abs. 2 Bei der Ausübung der Rechtsprechung sind Beweise, die unter Verletzung eines Bundesgesetzes erlangt worden sind, nicht verwertbar. […] Art. 52 Die Rechte der Opfer von Straftaten oder von Machtmissbrauch werden durch Gesetz geschützt. Der Staat gewährleistet den Opfern den Zugang zur Gerichtsbarkeit und den Ersatz des zugefügten Schadens. Art. 55 Abs. 1 Die Aufzählung der Grundrechte und Grundfreiheiten in der Verfassung der Russischen Föderation darf nicht als Verneinung oder Schmälerung anderer allgemein anerkannter Rechte und Freiheiten des Menschen und Bürgers ausgelegt werden. […] Kapitel 7. Die Gerichtsgewalt Art. 118 1. Die Rechtsprechung wird in der Russischen Föderation nur durch das Gericht ausgeübt. 2. Die rechtsprechende Gewalt wird im Wege des Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichtsverfahrens ausgeübt. 3. Das Gerichtssystem der Russischen Föderation wird durch die Verfassung der Russischen Föderation und ein Bundesverfassungsgesetz festgelegt. Die Errichtung von Ausnahmegerichten ist unzulässig. […] Art. 120 1. Die Richter sind unabhängig und nur der Verfassung der Russischen Föderation und dem Bundesgesetz unterworfen. 2. Hat ein Gericht bei der Verhandlung einer Sache festgestellt, dass ein Akt eines staatlichen oder anderen Organs nicht mit dem Gesetz übereinstimmt, so entscheidet es gemäß dem Gesetz. Art. 121 1. Die Richter sind nicht absetzbar. 2. Die Amtsbefugnisse eines Richters können nur aus den Gründen und in dem Verfahren aufgehoben oder suspendiert werden, die bundesgesetzlich festgelegt sind. Art. 122 1. Richter genießen Immunität.

Anhang II: Verfassung der Russischen Föderation

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2. Ein Richter darf nur in dem durch ein Bundesgesetz bestimmten Verfahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Art. 123 1. Die Verhandlung ist in allen Gerichten öffentlich. Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind in den durch ein Bundesgesetz vorgesehenen Fällen zulässig. […] 3. Das Gerichtsverfahren wird auf der Grundlage des kontradiktorischen Prinzips und der Gleichberechtigung der Parteien durchgeführt. Art. 124 Die Finanzierung der Gerichte erfolgt ausschließlich aus dem Bundeshaushalt und soll die Möglichkeit einer vollständigen und unabhängigen Ausübung der Rechtsprechung in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz gewährleisten. […]

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland mit zivilprozessualen Aussagen und festgestellten Verletzungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK (1998 – 2012)1 A. Recht auf den gesetzlichen Richter (1) Urt. vom 13. 04. 2006 (Nr. 73225/01), Fedotova v. Russia (2) Urt. vom 14. 12. 2006 (Nr. 5433/02), Shabanov and Tren v. Russia (3) Urt. vom 29. 04. 2008 (Nr. 26716/03), Barashkova v. Russia B. Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter (1) Urt. vom 03. 02. 2011 (Nr. 8921/05), Igor Kabanov v. Russia (2) Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 33188/08), Baturlova v. Russia (3) Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 33186/08), Khrykin v. Russia C. Recht auf ein faires Gerichtsverfahren I. Unverschuldetes Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung vor Rechtsmittelgericht (1)

Urt. vom 15. 03. 2005 (Nr. 72701/01), Yakovlev v. Russia

(2)

Urt. vom 20. 10. 2005 (Nr. 69889/01), Groshev v. Russia

(3)

Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 23377/02), Mokrushina v. Russia

(4)

Urt. vom 03. 05. 2007 (Nr. 8630/03), Prokopenko v. Russia

(5)

Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 74286/01), Larin et Larina c. Russie

(6)

Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 837/03), Subbotkin v. Russia

(7)

Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 75893/01), Fokin v. Russia

(8)

Urt. vom 16. 10. 2008 (Nr. 1385/04), Sazonov v. Russia

(9)

Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 34489/05), Litvinova v. Russia

(10) Urt. vom 07. 05. 2009 (Nr. 31049/05), Sivukhin v. Russia (11) Urt. vom 26. 05. 2009 (Nr. 3932/02), Batsanina v. Russia (12) Urt. vom 26. 11. 2009 (Nr. 11583/05), Zaytseva v. Russia

1 Zugänglich in der HUDOC-Datenbank des EGMR unter „Judgments“, .

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland (13) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 22596/04), Akhmatova v. Russia (14) Urt. vom 03. 02. 2011 (Nr. 6571/04), Igor Vasilchenko v. Russia (15) Urt. vom 15. 03. 2011 (Nr. 15093/05), Shandrov v. Russia (16) Urt. vom 10. 05. 2011 (Nr. 23464/06), Kostin v. Russia (17) Urt. vom 07. 06. 2011 (Nr. 28956/05), Gusak v. Russia (18) Urt. vom 13. 12. 2011 (Nr. 43330/09), Trudov c. Russie (19) Urt. vom 01. 03. 2012 (Nr. 15226/05), Kolegovy v. Russia (20) Urt. vom 09. 10. 2012 (Nr. 41603/05), Puzyrevskiy v. Russia (21) Urt. vom 09. 10. 2012 (Nr. 15722/05), Vorobyev v. Russia II. Zivilverfahren in Abwesenheit des Strafgefangenen (1)

Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 78145/01), Kovalev v. Russia

(2)

Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 13470/02), Khuzhin and Others v. Russia

(3)

Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 23243/03), Sokur v. Russia

(4)

Urt. vom 17. 12. 2009 (Nr. 20075/03), Shilbergs v. Russia

(5)

Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 4871/03), Skorobogatykh v. Russia

(6)

Urt. vom 04. 03. 2010 (Nr. 28245/04), Mokhov v. Russia

(7)

Urt. vom 20. 05. 2010 (Nr. 15034/02), Larin v. Russia

(8)

Urt. vom 27. 05. 2010 (Nr. 14146/02), Artyomov v. Russia

(9)

Urt. vom 10. 06. 2010 (Nr. 13173/02), Mukhutdinov v. Russia

(10) Urt. vom 25. 11. 2010 (Nr. 30251/03), Roman Karasev v. Russia (11) Urt. vom 06. 12. 2011 (Nr. 50098/07), Rozhin v. Russia (12) Urt. vom 10. 01. 2012 (Nr. 28370/05), Vladimir Vasilyev v. Russia (13) Urt. vom 13. 03. 2012 (Nr. 5605/04), Karpenko v. Russia (14) Urt. vom 02. 10. 2012 (Nr. 27359/05), Bortkevich v. Russia III. Andere Aspekte (1)

Urt. vom 11. 01. 2007 (Nr. 184/02), Kuznetsov and Others v. Russia

(2)

Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 1509/02), Tatishvili v. Russia

(3)

Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 72118/01), Khamidov v. Russia

(4)

Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 44009/05), Shtukaturov v. Russia

(5)

Urt. vom 13. 05. 2008 (Nr. 33307/02), Galich v. Russia

(6)

Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 34449/03), Shulepova v. Russia

(7)

Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 42454/02), Menchinskaya v. Russia

(8)

Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 5447/03), Korolev v. Russia (no. 2)

309

310 (9)

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland Urt. vom 12. 06. 2012 (Nr. 19673/03), Gryaznov v. Russia

(10) Urt. vom 31. 07. 2012 (Nr. 34841/06 u. a.), Mikryukov et autres c. Russie (11) Urt. vom 02. 10. 2012 (Nr. 18498/04), Khrabrova v. Russia D. Recht auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung I. Recht auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung (1) Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 66941/01), Zagorodnikov v. Russia (2) Urt. vom 02. 10. 2012 (Nr. 18498/04), Khrabrova v. Russia II. Recht auf eine öffentliche Urteilsverkündung (1) Urt. vom 17. 01. 2008 (Nr. 14810/02), Ryakib Biryukov v. Russia E. Recht auf ein Verfahren in angemessener Frist (1)

Urt. vom 29. 01. 2004 (Nr. 53084/99), Kormacheva v. Russia

(2)

Urt. vom 29. 04. 2004 (Nr. 14949/02), Plaksin v. Russia

(3)

Urt. vom 23. 09. 2004 (Nr. 60408/00), Yemanakova v. Russia

(4)

Urt. vom 09. 11. 2004 (Nr. 63527/00), Levshiny v. Russia

(5)

Urt. vom 02. 12. 2004 (Nr. 42138/02), Yaroslavtsev v. Russia

(6)

Urt. vom 13. 01. 2005 (Nr. 28954/02), Rash v. Russia

(7)

Urt. vom 24. 03. 2005 (Nr. 55520/00), Baburin v. Russia

(8)

Urt. vom 09. 06. 2005 (Nr. 22118/02), Kuzin v. Russia

(9)

Urt. vom 09. 06. 2005 (Nr. 26384/02), Vokhmina v. Russia

(10) Urt. vom 23. 06. 2005 (Nr. 70190/01), Zimenko v. Russia (11) Urt. vom 22. 09. 2005 (Nr. 3734/02), Sokolov v. Russia (12) Urt. vom 22. 09. 2005 (Nr. 75475/01), Vasyagin v. Russia (13) Urt. vom 01. 12. 2005 (Nr. 33914/02), Skorobogatova v. Russia (14) Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 20496/04), Tusashvili v. Russia (15) Urt. vom 22. 12. 2005 (Nr. 14983/04), Rybakov v. Russia (16) Urt. vom 01. 06. 2006 (Nr. 12049/02), Kutsenko v. Russia (17) Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 22892/03), Bakiyevets v. Russia (18) Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 4171/03), Chevkin v. Russia (19) Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 30395/04), Avakova v. Russia (20) Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 76964/01), Kirsanova v. Russia (21) Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 77089/01), Olshannikova v. Russia (22) Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 3852/02), Uglanova v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland (23) Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 29510/04), Marchenko v. Russia (24) Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 36219/02), Shelomkov v. Russia (25) Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 10374/02), Volovich v. Russia (26) Urt. vom 12. 10. 2006 (Nr. 10929/03), Glazkov v. Russia (27) Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 36496/02), Kesyan v. Russia (28) Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 19457/02), Romanenko and Romanenko v. Russia (29) Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 44374/04), Kudinova v. Russia (30) Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 15969/02), Vladimir Nikitin v. Russia (31) Urt. vom 11. 01. 2007 (Nr. 36045/02), Shneyderman v. Russia (32) Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 76835/01), Kolomiyets v. Russia (33) Urt. vom 01. 03. 2007 (Nr. 38015/03), Salamatina v. Russia (34) Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 28639/03), Savenko v. Russia (35) Urt. vom 13. 12. 2007 (Nr. 33820/04), Angelova v. Russia (36) Urt. vom 25. 03. 2008 (Nr. 11549/02), Falimonov v. Russia (37) Urt. vom 29. 04. 2008 (Nr. 9941/03), Rolgezer and Others v. Russia (38) Urt. vom 29. 05. 2008 (Nr. 28602/02), Maruseva v. Russia (39) Urt. vom 02. 10. 2008 (Nr. 44436/06), Kurbatov v. Russia (40) Urt. vom 09. 10. 2008 (Nr. 5507/06), Kirill Marchenko v. Russia (41) Urt. vom 09. 10. 2008 (Nr. 21088/06), Orlova v. Russia (42) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 34171/04), Guber v. Russia (43) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 34938/04), Suslin v. Russia (44) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 34104/04), Yerkimbayev v. Russia (45) Urt. vom 08. 01. 2009 (Nr. 13119/03), Markova v. Russia (46) Urt. vom 08. 01. 2009 (Nr. 16004/04), Rypakova v. Russia (47) Urt. vom 12. 02. 2009 (Nr. 30019/05), Mikhaylovich v. Russia (48) Urt. vom 12. 03. 2009 (Nr. 8363/03), Veretennikov v. Russia (49) Urt. vom 30. 04. 2009 (Nr. 23310/04), Gasanova v. Russia (50) Urt. vom 28. 05. 2009 (Nr. 12098/04), Yeliseyev v. Russia (51) Urt. vom 18. 06. 2009 (Nr. 924/03), Rysev v. Russia (52) Urt. vom 18. 06. 2009 (Nr. 33896/04), Sokorev v. Russia (53) Urt. vom 18. 06. 2009 (Nr. 13458/07), Vdovina v. Russia (54) Urt. vom 25. 06. 2009 (Nr. 42046/06), Zaytsev and Others v. Russia (55) Urt. vom 16. 07. 2009 (Nr. 39898/03), Kharitonov v. Russia (56) Urt. vom 30. 07. 2009 (Nr. 4487/04), Svetlana Orlova v. Russia

311

312

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(57) Urt. vom 17. 09. 2009 (Nr. 32380/06), Zharkova v. Russia (58) Urt. vom 01. 10. 2009 (Nr. 23554/03), Makarova v. Russia (59) Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 42277/04), Dovidyan v. Russia (60) Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 27865/06), Plemyanova v. Russia (61) Urt. vom 29. 10. 2009 (Nr. 7514/05), Troshkin v. Russia (62) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 20882/04), Gorovaya v. Russia (63) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 43372/06), Lekhanova v. Russia (64) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 16141/05), MP Kineskop v. Russia (65) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 20886/04), Tatyana Makarova v. Russia (66) Urt. vom 11. 02. 2010 (Nr. 24427/02), Kayankin v. Russia (67) Urt. vom 18. 02. 2010 (Nr. 16583/04), Gribanenkov v. Russia (68) Urt. vom 25. 02. 2010 (Nr. 24827/06), Kupriny v. Russia (69) Urt. vom 04. 03. 2010 (Nr. 22721/04), Barantseva v. Russia (70) Urt. vom 03. 06. 2010 (Nr. 20441/02), Lelik v. Russia (71) Urt. vom 10. 06. 2010 (Nr. 302/02), Jehovah’s Witnesses of Moscow v. Russia (72) Urt. vom 15. 07. 2010 (Nr. 25270/06), Salikova v. Russia (73) Urt. vom 07. 10. 2010 (Nr. 25957/03), Utyuzhnikova v. Russia (74) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 22596/04), Akhmatova v. Russia (75) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 38321/03), Dzhigarkhanov v. Russia (76) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 4665/04), Sevostyanova v. Russia (77) Urt. vom 25. 11. 2010 (Nr. 10418/04), Nikolay Matveyev v. Russia (78) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 10994/05), Kartashev v. Russia (79) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 25224/04), Kozyak v. Russia (80) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 22554/04), Rubtsova v. Russia (81) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 19440/05), Tokazov v. Russia (82) Urt. vom 10. 03. 2011 (Nr. 21774/06), Ryazantsev v. Russia (83) Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 24411/05), Volodina v. Russia F. Recht auf Zugang zu Gericht (1)

Urt. vom 10. 02. 2005 (Nr. 69315/01), Sukhorubchenko v. Russia

(2)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 4856/03), Dubinskaya v. Russia

(3)

Urt. vom 21. 12. 2006 (Nr. 23697/02), Popova v. Russia

(4)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 3354/02), Gorbachev v. Russia

(5)

Urt. vom 24. 05. 2007 (Nr. 70142/01), Dunayev v. Russia

(6)

Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 72118/01), Khamidov v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland (7)

Urt. vom 15. 05. 2008 (Nr. 7672/03), Ponomarev v. Russia

(8)

Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 75894/01), Serov v. Russia

(9)

Urt. vom 17. 07. 2008 (Nr. 12377/03), Kabkov v. Russia

(10) Urt. vom 09. 07. 2009 (Nr. 24325/03), Generalov v. Russia (11) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 21851/03), Bezymyannaya v. Russia (12) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 14085/04), Sergey Smirnov v. Russia (13) Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 4543/04), Georgiy Nikolayevich Mikhaylov v. Russia (14) Urt. vom 16. 09. 2010 (Nr. 39874/03), Chernichkin v. Russia (15) Urt. vom 07. 06. 2011 (Nr. 44150/04), Ryabikina v. Russia (16) Urt. vom 21. 06. 2011 (Nr. 5613/04), Zylkov v. Russia (17) Urt. vom 13. 12. 2011 (Nr. 13703/04), Vasilyev and Kovtun v. Russia (18) Urt. vom 10. 05. 2012 (Nr. 35368/04), Chelikidi v. Russia G. Recht auf die Beachtung der Rechtskraft I. Durchbrechung der Rechtskraft im Aufsichtsverfahren 1. Aufsichtsverfahren nach der ZPO RSFSR 1964 (1)

Urt. vom 24. 07. 2003 (Nr. 52854/99), Ryabykh v. Russia

(2)

Urt. vom 05. 04. 2005 (Nr. 48758/99), Volkova v. Russia

(3)

Urt. vom 21. 07. 2005 (Nr. 60974/00), Roseltrans v. Russia

(4)

Urt. vom 06. 10. 2005 (Nr. 63973/00), Androsov v. Russia

(5)

Urt. vom 13. 10. 2005 (Nr. 66543/01), Vasilyev v. Russia

(6)

Urt. vom 25. 10. 2005 (Nr. 68029/01), Kutepov and Anikeyenko v. Russia

(7)

Urt. vom 25. 10. 2005 (Nr. 69341/01), Yuriy Romanov v. Russia

(8)

Urt. vom 01. 12. 2005 (Nr. 73203/01), Smarygin v. Russia

(9)

Urt. vom 06. 04. 2006 (Nr. 5964/02), Chernitsyn v. Russia

(10) Urt. vom 27. 04. 2006 (Nr. 67051/01), Zasurtsev v. Russia (11) Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 23795/02), Chebotarev v. Russia (12) Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 878/03), Stetsenko and Stetsenko v. Russia (13) Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 1752/02), Irina Fedotova v. Russia (14) Urt. vom 16. 11. 2006 (Nr. 75473/01), Kondrashova v. Russia (15) Urt. vom 30. 11. 2006 (Nr. 12793/02), Seregina v. Russia (16) Urt. vom 21. 12. 2006 (Nr. 7061/02), Petrov v. Russia (17) Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 11785/02), Klimenko v. Russia (18) Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 55531/00), Sitkov v. Russia (19) Urt. vom 15. 03. 2007 (Nr. 8564/02), Stanislav Volkov v. Russia

313

314

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(20) Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 43282/02), Naydenkov v. Russia (21) Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 4874/03), Pitelin and Others v. Russia (22) Urt. vom 28. 06. 2007 (Nr. 62866/00), Boychenko and Gershkovich v. Russia (23) Urt. vom 31. 07. 2007 (Nr. 934/03), Kozeyev v. Russia (24) Urt. vom 25. 10. 2007 (Nr. 966/03), Almayeva v. Russia (25) Urt. vom 25. 10. 2007 (Nr. 31296/02), Osher and Others v. Russia (26) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 10277/05), Ignatyeva v. Russia (27) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 36495/02), Kurinnyy v. Russia (28) Urt. vom 20. 11. 2008 (Nr. 39897/02), Agasaryan v. Russia (29) Urt. vom 08. 01. 2009 (Nr. 2068/03 u. a.), Kondrashov and Others v. Russia (30) Urt. vom 02. 04. 2009 (Nr. 34615/02), Kravchenko v. Russia (31) Urt. vom 30. 07. 2009 (Nr. 27114/04), Khotuleva v. Russia (32) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 13173/03), Gudkov v. Russia (33) Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 43327/02), Tsareva v. Russia (34) Urt. vom 02. 09. 2010 (Nr. 4596/02), Tayanko v. Russia 2. Aufsichtsverfahren nach der ZPO RF 2002 (1)

Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 14853/03), Borshchevskiy v. Russia

(2)

Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 24247/04), Prisyazhnikova and Dolgopolov v. Russia

(3)

Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 14502/04), Nelyubin v. Russia

(4)

Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 20887/03), Kot v. Russia

(5)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30671/03), Boris Vasilyev v. Russia

(6)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30714/03), Chekushkin v. Russia

(7)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30686/03), Danilchenko v. Russia

(8)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30674/03), Gavrilenko v. Russia

(9)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30777/03), Grebenchenko v. Russia

(10) Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30685/03), Knyazhichenko v. Russia (11) Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 30731/03), Septa v. Russia (12) Urt. vom 01. 03. 2007 (Nr. 38368/04), Sypchenko v. Russia (13) Urt. vom 03. 05. 2007 (Nr. 30672/03 u. a.), Sobelin and Others v. Russia (14) Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 1861/05), Sergey Petrov v. Russia (15) Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 2993/03), Akalinskiy v. Russia (16) Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 2999/03), Dovguchits v. Russia (17) Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 44543/04), Parolov v. Russia (18) Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 25448/06), Zvezdin v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

315

(19) Urt. vom 21. 06. 2007 (Nr. 27790/03), Kudrina v. Russia (20) Urt. vom 26. 07. 2007 (Nr. 3519/05), Sidorenko v. Russia (21) Urt. vom 31. 07. 2007 (Nr. 19134/05), Bolyukh v. Russia (22) Urt. vom 07. 02. 2008 (Nr. 20430/04), Gladyshev and Others v. Russia (23) Urt. vom 14. 02. 2008 (Nr. 30422/03), Pshenichnyy v. Russia (24) Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 26338/06), Murtazin v. Russia (25) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 27101/04), Dmitriyeva v. Russia (26) Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 3548/04), Luchkina v. Russia (27) Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 45017/04), Nekhoroshev v. Russia (28) Urt. vom 24. 04. 2008 (Nr. 11697/05), Ivanova v. Russia (29) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 30616/05), Akashev v. Russia (30) Urt. vom 19. 06. 2008 (Nr. 20745/04), Isakov v. Russia (31) Urt. vom 22. 07. 2008 (Nr. 37354/03), Limasovy v. Russia (32) Urt. vom 24. 07. 2008 (Nr. 15890/04), Viktor Petrov v. Russia (33) Urt. vom 16. 10. 2008 (Nr. 41564/05), Abdulmanova v. Russia (34) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 19813/03), Ignatovich v. Russia (35) Urt. vom 06. 11. 2008 (Nr. 3244/04), Dementyev v. Russia (36) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 18338/05), Azaryev v. Russia (37) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 41395/04), Chistyakov v. Russia (38) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 20111/03), Magomedov v. Russia (39) Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 36153/03), Alekseyeva v. Russia (40) Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 22551/06), Tkachev v. Russia (41) Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 19097/04), Igor Kolyada v. Russia (42) Urt. vom 08. 01. 2009 (Nr. 25114/03 u. a.), Kulkov and Others v. Russia (43) Urt. vom 12. 02. 2009 (Nr. 17472/04), Bodrov v. Russia (44) Urt. vom 12. 03. 2009 (Nr. 51380/07), Aleksey Zakharov v. Russia (45) Urt. vom 12. 03. 2009 (Nr. 19136/04), Kalinichenko v. Russia (46) Urt. vom 26. 03. 2009 (Nr. 38103/04), Nikolenko v. Russia (47) Urt. vom 02. 04. 2009 (Nr. 15242/04), Kuzmina v. Russia (48) Urt. vom 30. 04. 2009 (Nr. 5950/04), Blinov and Blinova v. Russia (49) Urt. vom 28. 05. 2009 (Nr. 32865/06 u. a.), Senchenko and Others and 35 other „Yakut pensioners“ cases v. Russia (50) Urt. vom 09. 07. 2009 (Nr. 11093/07 u. a.), Tarnopolskaya and Others v. Russia (51) Urt. vom 23. 07. 2009 (Nr. 30709/03 u. a.), Klimenko and Ostapenko v. Russia (52) Urt. vom 23. 07. 2009 (Nr. 756/05 u. a.), Markovtsi and Selivanov v. Russia

316

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(53) Urt. vom 23. 07. 2009 (Nr. 3447/05 u. a.), Molodyka and Others v. Russia (54) Urt. vom 17. 09. 2009 (Nr. 42234/04), Borodkin v. Russia (55) Urt. vom 08. 10. 2009 (Nr. 27440/03), Finkov v. Russia (56) Urt. vom 22. 10. 2009 (Nr. 22156/04), Mikhaylov v. Russia (57) Urt. vom 17. 12. 2009 (Nr. 7306/07 u. a.), Kraynova and Kraynov and 9 other „Yakut pensioners“ cases v. Russia (58) Urt. vom 22. 12. 2009 (Nr. 24559/04), Talysheva v. Russia (59) Urt. vom 14. 01. 2010 (Nr. 14290/03 u. a.), Kazakevich and 9 other „army pensioners“ cases v. Russia (60) Urt. vom 11. 02. 2010 (Nr. 11227/05), Abdullayev v. Russia (61) Urt. vom 11. 02. 2010 (Nr. 14390/05), Kucherov and Frolova v. Russia (62) Urt. vom 11. 02. 2010 (Nr. 44381/04), Votintseva v. Russia (63) Urt. vom 11. 02. 2010 (Nr. 23333/05), Zalevskaya v. Russia (64) Urt. vom 18. 02. 2010 (Nr. 3447/06), Nikolay Zaytsev v. Russia (65) Urt. vom 25. 02. 2010 (Nr. 24178/05), Korovina v. Russia (66) Urt. vom 25. 02. 2010 (Nr. 7944/05), Mordachev v. Russia (67) Urt. vom 04. 03. 2010 (Nr. 32991/05), Andreyev v. Russia (68) Urt. vom 08. 04. 2010 (Nr. 38585/04 u. a.), Sizintseva and Others v. Russia (69) Urt. vom 12. 05. 2010 (Nr. 20023/07), Gulyayev v. Russia (70) Urt. vom 20. 05. 2010 (Nr. 12157/06), Garagulya v. Russia (71) Urt. vom 29. 07. 2010 (Nr. 8549/06 u. a.), Streltsov and other „Novocherkassk military pensioners“ v. Russia (72) Urt. vom 23. 09. 2010 (Nr. 7182/03 u. a.), Davletkhanov and other „Chernobyl pensioners“ v. Russia (73) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 16076/06 u. a.), Lenchenkov and Others v. Russia (74) Urt. vom 04. 11. 2010 (Nr. 7319/05 u. a.), Eydelman and other „Emigrant pensioners“ v. Russia (75) Urt. vom 04. 11. 2010 (Nr. 31799/08 u. a.), Pugach and Others v. Russia (76) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 42538/02), Kazmin v. Russia (77) Urt. vom 29. 03. 2011 (Nr. 40713/04), Shchurov v. Russia (78) Urt. vom 05. 04. 2011 (Nr. 38597/04), Kirilenko v. Russia (79) Urt. vom 07. 02. 2012 (Nr. 21834/05), Shanovy v. Russia (80) Urt. vom 06. 03. 2012 (Nr. 28309/03 u. a.), Sergeyev and Others v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

317

3. Aufsichtsverfahren nach der WirtPO RF 1995 (1) Urt. vom 29. 03. 2007 (Nr. 73043/01), Arshinchikova v. Russia (2) Urt. vom 23. 07. 2009 (Nr. 8269/02), Sutyazhnik v. Russia II. Durchbrechung der Rechtskraft im Wiederaufnahmeverfahren (1)

Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 69529/01), Pravednaya v. Russia

(2)

Urt. vom 18. 01. 2007 (Nr. 69524/01), Bulgakova v. Russia

(3)

Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 67579/01), Kuznetsova v. Russia

(4)

Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 43282/02), Naydenkov v. Russia

(5)

Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 73294/01), Kumkin and Others v. Russia

(6)

Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 944/02), Levochkina v. Russia

(7)

Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 560/02), Nikolay Zhukov v. Russia

(8)

Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 852/02), Smirnitskaya and Others v. Russia

(9)

Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 842/02), Volkova and Basova v. Russia

(10) Urt. vom 12. 07. 2007 (Nr. 25580/02), Vedernikova v. Russia (11) Urt. vom 19. 07. 2007 (Nr. 69533/01), Kondrashina v. Russia (12) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 11589/04), Tetsen v. Russia (13) Urt. vom 19. 06. 2008 (Nr. 76676/01), Maltseva v. Russia (14) Urt. vom 19. 06. 2008 (Nr. 77478/01), Yerogova v. Russia (15) Urt. vom 15. 10. 2009 (Nr. 23113/08 u. a.), Goncharova and Others and 68 other „Privileged pensioners“ cases v. Russia (16) Urt. vom 26. 11. 2009 (Nr. 22666/08 u. a.), Botskalev and Rostovtseva and 42 other „Privileged pensioners“ cases v. Russia (17) Urt. vom 17. 12. 2009 (Nr. 4563/07 u. a.), Ryabov and 151 other „Privileged pensioners“ cases v. Russia (18) Urt. vom 23. 09. 2010 (Nr. 59704/08), Konenkova and other „Privileged pensioners“ v. Russia (19) Urt. vom 23. 09. 2010 (Nr. 32310/08), Popova and other „Privileged pensioners“ v. Russia (20) Urt. vom 23. 09. 2010 (Nr. 38126/08), Tyrtova and other „Privileged pensioners“ v. Russia (21) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 53051/08), Koloskova v. Russia (22) Urt. vom 21. 10. 2010 (Nr. 33201/08 u. a.), Zavedeyeva and other „Privileged pensioners“ v. Russia (23) Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 33188/08), Baturlova v. Russia (24) Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 33186/08), Khrykin v. Russia

318

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland III. Durchbrechung der Rechtskraft in anderen Verfahren

(1) Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 11989/03), Margushin v. Russia (2) Urt. vom 10. 05. 2012 (Nr. 34616/02), Bezrukovy v. Russia H. Recht auf eine effektive Urteilsvollstreckung I. Urteilsvollstreckung gegen Private (1) Urt. vom 19. 10. 2006 (Nr. 36496/02), Kesyan v. Russia (2) Urt. vom 01. 10. 2009 (Nr. 23554/03), Makarova v. Russia (3) Urt. vom 17. 12. 2009 (Nr. 36337/03), Kunashko c. Russie (4) Urt. vom 01. 04. 2010 (Nr. 11989/03), Margushin v. Russia (5) Urt. vom 19. 07. 2011 (Nr. 39178/04), Belokopytova c. Russie (6) Urt. vom 02. 10. 2012 (Nr. 69037/10), Pelipenko v. Russia II. Urteilsvollstreckung gegen Unitarbetriebe (1)

Urt. vom 13. 01. 2005 (Nr. 5124/03), Gizzatova v. Russia

(2)

Urt. vom 30. 11. 2006 (Nr. 31276/02), Kolyada v. Russia

(3)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 3046/03), Shlepkin v. Russia

(4)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 22000/03), Raylyan v. Russia

(5)

Urt. vom 05. 04. 2007 (Nr. 5945/04), Furman v. Russia

(6)

Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 13820/04), Grigoryev and Kakaurova v. Russia

(7)

Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 24842/04), Kletsova v. Russia

(8)

Urt. vom 06. 12. 2007 (Nr. 28965/02), Aleksandrova v. Russia

(9)

Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 75894/01), Serov v. Russia

(10) Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 33548/04), Lyatskaya v. Russia (11) Urt. vom 25. 09. 2008 (Nr. 24766/04), Shafranov v. Russia (12) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 19813/03), Ignatovich v. Russia (13) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 42389/02), Jouk c. Russie (14) Urt. vom 12. 03. 2009 (Nr. 8363/03), Veretennikov v. Russia (15) Urt. vom 08. 04. 2010 (Nr. 1387/04), Yershova v. Russia (16) Urt. vom 15. 07. 2010 (Nr. 25270/06), Salikova v. Russia (17) Urt. vom 29. 07. 2010 (Nr. 3006/03), Galina Kuznetsova v. Russia III. Urteilsvollstreckung gegen den Staat 1. Geldforderungen (1)

Urt. vom 07. 05. 2002 (Nr. 59498/00), Burdov v. Russia

(2)

Urt. vom 23. 10. 2003 (Nr. 58263/00), Timofeyev v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland (3)

Urt. vom 18. 11. 2004 (Nr. 15021/02), Wasserman v. Russia

(4)

Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 43402/02), Gasan v. Russia

(5)

Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 41304/02), Koltsov v. Russia

(6)

Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 7023/03), Makarova and Others v. Russia

(7)

Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 36494/02), Petrushko v. Russia

(8)

Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 43883/02), Plotnikovy v. Russia

(9)

Urt. vom 24. 02. 2005 (Nr. 25964/02), Poznakhirina v. Russia

(10)

Urt. vom 17. 03. 2005 (Nr. 38305/02), Gorokhov and Rusyayev v. Russia

(11)

Urt. vom 14. 06. 2005 (Nr. 61651/00), OOO Rusatommet v. Russia

(12)

Urt. vom 07. 07. 2005 (Nr. 34687/02), Yavorivskaya v. Russia

(13)

Urt. vom 22. 09. 2005 (Nr. 1719/02), Butsev v. Russia

(14)

Urt. vom 22. 09. 2005 (Nr. 40642/02), Denisenkov v. Russia

(15)

Urt. vom 29. 09. 2005 (Nr. 23405/03), Reynbakh v. Russia

(16)

Urt. vom 06. 10. 2005 (Nr. 63973/00), Androsov v. Russia

(17)

Urt. vom 06. 10. 2005 (Nr. 9647/02), Shilyayev v. Russia

(18)

Urt. vom 13. 10. 2005 (Nr. 24669/02), Gerasimova v. Russia

(19)

Urt. vom 20. 10. 2005 (Nr. 37930/02), Bazhenov v. Russia

(20)

Urt. vom 20. 10. 2005 (Nr. 19589/02), Parkhomov v. Russia

(21)

Urt. vom 20. 10. 2005 (Nr. 69306/01), Shvedov v. Russia

(22)

Urt. vom 25. 10. 2005 (Nr. 5140/02), Fedotov v. Russia

(23)

Urt. vom 03. 11. 2005 (Nr. 63995/00), Kukalo v. Russia

(24)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 24654/03), Bobrova v. Russia

(25)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 66462/01), Bratchikova v. Russia

(26)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 24657/03), Gerasimenko v. Russia

(27)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 24659/03), Ivannikova v. Russia

(28)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 13995/02), Kazartseva and Others v. Russia

(29)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 27295/03), Korchagina and Others v. Russia

(30)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 22534/02), Mikhaylova and Others v. Russia

(31)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 39866/02), Shestopalova and Others v. Russia

(32)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 55687/00), Suntsova v. Russia

(33)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 24651/03), Tolokonnikova v. Russia

(34)

Urt. vom 17. 11. 2005 (Nr. 7237/03), Valentina Vasilyeva v. Russia

(35)

Urt. vom 01. 12. 2005 (Nr. 55885/00), Skachedubova v. Russia

(36)

Urt. vom 15. 12. 2005 (Nr. 1144/03), Zaugolnova v. Russia

319

320

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(37)

Urt. vom 02. 02. 2006 (Nr. 33264/02), Levin v. Russia

(38)

Urt. vom 09. 02. 2006 (Nr. 3504/02), Bogdanov v. Russia

(39)

Urt. vom 09. 02. 2006 (Nr. 36407/02), Igusheva v. Russia

(40)

Urt. vom 02. 03. 2006 (Nr. 37927/02), Nikolayev v. Russia

(41)

Urt. vom 23. 03. 2006 (Nr. 63501/00), Konovalov v. Russia

(42)

Urt. vom 13. 04. 2006 (Nr. 26724/03), Agibalova and Others v. Russia

(43)

Urt. vom 13. 04. 2006 (Nr. 22519/02), Alekhina and Others v. Russia

(44)

Urt. vom 13. 04. 2006 (Nr. 75470/01), Sukhobokov v. Russia

(45)

Urt. vom 01. 06. 2006 (Nr. 4171/04), Gridin v. Russia

(46)

Urt. vom 01. 06. 2006 (Nr. 19798/04), Korchagin v. Russia

(47)

Urt. vom 01. 06. 2006 (Nr. 31271/02), Shatunov v. Russia

(48)

Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 72374/01), Kazmina v. Russia

(49)

Urt. vom 22. 06. 2006 (Nr. 23795/02), Chebotarev v. Russia

(50)

Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 703/02), Shilov and Baykova v. Russia

(51)

Urt. vom 29. 06. 2006 (Nr. 8011/02), Vasilyeva and Others v. Russia

(52)

Urt. vom 04. 07. 2006 (Nr. 72558/01), Blagovestnyy v. Russia

(53)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 21419/04), Grigoryeva v. Russia

(54)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 21410/04), Kovalenko v. Russia

(55)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 21447/04), Matrena Polupanova v. Russia

(56)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 70501/01), Shamina v. Russia

(57)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 21417/04), Shiryayeva v. Russia

(58)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 21425/04), Terekhova v. Russia

(59)

Urt. vom 13. 07. 2006 (Nr. 21430/04), Vasilyeva v. Russia

(60)

Urt. vom 27. 07. 2006 (Nr. 40250/02), Belyatskaya v. Russia

(61)

Urt. vom 21. 09. 2006 (Nr. 14853/03), Borshchevskiy v. Russia

(62)

Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 10415/02), Chernyshov and 11 Others v. Russia

(63)

Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 32786/03), Silchenko v. Russia

(64)

Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 9800/02), Lazarev v. Russia

(65)

Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 2047/03), Shapovalova v. Russia

(66)

Urt. vom 05. 10. 2006 (Nr. 21769/03), Velskaya v. Russia

(67)

Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 26410/02), Kazartsev v. Russia

(68)

Urt. vom 02. 11. 2006 (Nr. 21779/04), Tytar v. Russia

(69)

Urt. vom 09. 11. 2006 (Nr. 374/03), Volokitin v. Russia

(70)

Urt. vom 30. 11. 2006 (Nr. 10833/03), Shitikov v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland (71)

Urt. vom 14. 12. 2006 (Nr. 24395/02), Lositskiy v. Russia

(72)

Urt. vom 25. 01. 2007 (Nr. 21823/03), Denisov v. Russia

(73)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 20260/04), Bragina v. Russia

(74)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 33689/05), Deykina v. Russia

(75)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 33706/05), Lyudmila Aleksentseva v. Russia

(76)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 33685/05), Nartova v. Russia

(77)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 34422/03), Politova and Politov v. Russia

(78)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 33707/05), Voloskova v. Russia

(79)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 33728/05), Voronina v. Russia

(80)

Urt. vom 01. 02. 2007 (Nr. 33720/05), Zaichenko v. Russia

(81)

Urt. vom 08. 02. 2007 (Nr. 3436/05), Aleksandr Ivanov v. Russia

(82)

Urt. vom 08. 02. 2007 (Nr. 20515/04), Nikishin v. Russia

(83)

Urt. vom 08. 02. 2007 (Nr. 20518/04), Sergey Tarasov v. Russia

(84)

Urt. vom 22. 02. 2007 (Nr. 5225/06), Vyalykh v. Russia

(85)

Urt. vom 29. 03. 2007 (Nr. 35824/04), Vydrina v. Russia

(86)

Urt. vom 05. 04. 2007 (Nr. 38720/03), Aleksandr Popov v. Russia

(87)

Urt. vom 05. 04. 2007 (Nr. 20098/03), Khvorostina and Others v. Russia

(88)

Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 38719/03), Glushakova v. Russia

(89)

Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 25550/05), Korolev v. Russia

(90)

Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 3311/06), Neofita v. Russia

(91)

Urt. vom 26. 04. 2007 (Nr. 16108/06), Kozyyakova and Gureyev v. Russia

(92)

Urt. vom 10. 05. 2007 (Nr. 23287/05), Glushakova v. Russia (no. 2)

(93)

Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 2999/03), Dovguchits v. Russia

(94)

Urt. vom 07. 06. 2007 (Nr. 43282/02), Naydenkov v. Russia

(95)

Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 21198/05), Ayrapetyan v. Russia

(96)

Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 3790/05), OOO PTK „Merkuriy“ v. Russia

(97)

Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 18465/05), Timishev v. Russia (no. 3)

(98)

Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 8582/05), Zheltkov v. Russia

(99)

Urt. vom 14. 06. 2007 (Nr. 25448/06), Zvezdin v. Russia

(100) Urt. vom 21. 06. 2007 (Nr. 27790/03), Kudrina v. Russia (101) Urt. vom 21. 06. 2007 (Nr. 2191/03 u. a.), Pridatchenko and Others v. Russia (102) Urt. vom 28. 06. 2007 (Nr. 3906/06), Sivoldayeva v. Russia (103) Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 36398/04), Baygayev v. Russia (104) Urt. vom 05. 07. 2007 (Nr. 6558/06), Saidov v. Russia

321

322

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(105) Urt. vom 12. 07. 2007 (Nr. 7111/05), Pylnov v. Russia (106) Urt. vom 19. 07. 2007 (Nr. 13296/03), Zverev and Others v. Russia (107) Urt. vom 26. 07. 2007 (Nr. 3519/05), Sidorenko v. Russia (108) Urt. vom 26. 07. 2007 (Nr. 3462/04), Vershinina v. Russia (109) Urt. vom 31. 07. 2007 (Nr. 19134/05), Bolyukh v. Russia (110) Urt. vom 31. 07. 2007 (Nr. 934/03), Kozeyev v. Russia (111) Urt. vom 31. 07. 2007 (Nr. 33986/02), Somchenko v. Russia (112) Urt. vom 31. 07. 2007 (Nr. 39013/05), Svitich v. Russia (113) Urt. vom 04. 10. 2007 (Nr. 33459/04), Galkin v. Russia (114) Urt. vom 11. 10. 2007 (Nr. 11712/06), Krasyuchenko v. Russia (115) Urt. vom 25. 10. 2007 (Nr. 966/03), Almayeva v. Russia (116) Urt. vom 25. 10. 2007 (Nr. 31296/02), Osher and Others v. Russia (117) Urt. vom 08. 11. 2007 (Nr. 41842/04), Fitisov v. Russia (118) Urt. vom 08. 11. 2007 (Nr. 34283/05), OOO PKG „Sib-YUKASS“ v. Russia (119) Urt. vom 15. 11. 2007 (Nr. 2245/05), Subocheva v. Russia (120) Urt. vom 29. 11. 2007 (Nr. 16115/06), Arapovy v. Russia (121) Urt. vom 29. 11. 2007 (Nr. 3509/06), Berezkina v. Russia (122) Urt. vom 29. 11. 2007 (Nr. 21777/04), Glebov and Glebova v. Russia (123) Urt. vom 06. 12. 2007 (Nr. 23542/04), Boldyreva v. Russia (124) Urt. vom 06. 12. 2007 (Nr. 21268/04), Kharitich v. Russia (125) Urt. vom 06. 12. 2007 (Nr. 37641/04), Krivonos v. Russia (126) Urt. vom 06. 12. 2007 (Nr. 24770/04), Ustalov v. Russia (127) Urt. vom 13. 12. 2007 (Nr. 2814/04), Sinitsyna v. Russia (128) Urt. vom 20. 12. 2007 (Nr. 35760/04), Aleksandr Zhukov v. Russia (129) Urt. vom 17. 01. 2008 (Nr. 75025/01 u. a.), Aleksentseva and Others v. Russia (130) Urt. vom 17. 01. 2008 (Nr. 37647/04), Smorodinova v. Russia (131) Urt. vom 24. 01. 2008 (Nr. 37645/04), Lesnova v. Russia (132) Urt. vom 24. 01. 2008 (Nr. 12115/03), Parfenenkov v. Russia (133) Urt. vom 31. 01. 2008 (Nr. 42752/04), Plekhova v. Russia (134) Urt. vom 07. 02. 2008 (Nr. 34439/04), Agaponova and Others v. Russia (135) Urt. vom 07. 02. 2008 (Nr. 7412/02), Cherkashin v. Russia (136) Urt. vom 07. 02. 2008 (Nr. 23490/03), Kostenko v. Russia (137) Urt. vom 14. 02. 2008 (Nr. 24277/03), Zakomlistova v. Russia (138) Urt. vom 21. 02. 2008 (Nr. 43209/04), Ledovkin v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland (139) Urt. vom 06. 03. 2008 (Nr. 38405/02), Abdeyevy v. Russia (140) Urt. vom 06. 03. 2008 (Nr. 34433/04), Denisov v. Russia (141) Urt. vom 06. 03. 2008 (Nr. 37643/04), Kuryanov v. Russia (142) Urt. vom 06. 03. 2008 (Nr. 9769/04), Trunov v. Russia (143) Urt. vom 25. 03. 2008 (Nr. 11549/02), Falimonov v. Russia (144) Urt. vom 25. 03. 2008 (Nr. 13519/02), Gayvoronskiy v. Russia (145) Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 4543/02), Korotkikh v. Russia (146) Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 26338/06), Murtazin v. Russia (147) Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 26307/02), Shirykalova v. Russia (148) Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 14296/03), Tikhov and Others v. Russia (149) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 27101/04), Dmitriyeva v. Russia (150) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 34150/04), Pogulyayev v. Russia (151) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 11589/04), Tetsen v. Russia (152) Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 40136/02), Gorokhov c. Russie (153) Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 42383/02), Shevchenko v. Russia (154) Urt. vom 10. 04. 2008 (Nr. 21071/05), Wasserman v. Russia (no. 2) (155) Urt. vom 24. 04. 2008 (Nr. 36074/04), Klishina and Others v. Russia (156) Urt. vom 29. 04. 2008 (Nr. 28644/06), Dvoryakov v. Russia (157) Urt. vom 29. 04. 2008 (Nr. 34428/04), Portnova v. Russia (158) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 30616/05), Akashev v. Russia (159) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 38999/05), Matviyets v. Russia (160) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 42940/02), Nadezhkin v. Russia (161) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 36939/02), Podyapolskiy v. Russia (162) Urt. vom 19. 06. 2008 (Nr. 20745/04), Isakov v. Russia (163) Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 5761/03), Dorozhko v. Russia (164) Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 731/04), Krasev v. Russia (165) Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 57807/00), Martynova v. Russia (166) Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 40322/02), Petukhov v. Russia (167) Urt. vom 03. 07. 2008 (Nr. 43284/02), Kolayev v. Russia (168) Urt. vom 22. 07. 2008 (Nr. 37354/03), Limasovy v. Russia (169) Urt. vom 24. 07. 2008 (Nr. 11319/04), Kukalo v. Russia (no. 2) (170) Urt. vom 31. 07. 2008 (Nr. 23596/04), Sukhorukov v. Russia (171) Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 32786/04), Bakharev and Others v. Russia (172) Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 34431/04), Denisova v. Russia

323

324

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(173) Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 28488/04), Dokolin v. Russia (174) Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 28785/04), Glukhova and Bragina v. Russia (175) Urt. vom 18. 09. 2008 (Nr. 33617/04), Kholodenko v. Russia (176) Urt. vom 25. 09. 2008 (Nr. 35893/04), Viktor Levin v. Russia (177) Urt. vom 02. 10. 2008 (Nr. 29411/05), Ivchenko v. Russia (178) Urt. vom 02. 10. 2008 (Nr. 33660/04), Smelov v. Russia (179) Urt. vom 02. 10. 2008 (Nr. 38845/04), Zubarev v. Russia (180) Urt. vom 09. 10. 2008 (Nr. 6396/05), Trochev c. Russie (181) Urt. vom 16. 10. 2008 (Nr. 41564/05), Abdulmanova v. Russia (182) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 3784/04), Rodichev v. Russia (183) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 34938/04), Suslin v. Russia (184) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 43715/05), Tulskaya v. Russia (185) Urt. vom 06. 11. 2008 (Nr. 35774/04), Arulepp v. Russia (186) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 18338/05), Azaryev v. Russia (187) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 805/03), Bronich v. Russia (188) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 15407/05), Galikhanova v. Russia (189) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 37758/03), Kabanov v. Russia (190) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 40081/03), Kuzminskiy v. Russia (191) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 42431/02), Larionov v. Russia (192) Urt. vom 14. 11. 2008 (Nr. 38035/04), Vakulenko v. Russia (193) Urt. vom 20. 11. 2008 (Nr. 36765/03), Bezborodov v. Russia (194) Urt. vom 20. 11. 2008 (Nr. 39888/02), Shakirzyanov v. Russia (195) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 41395/04), Chistyakov v. Russia (196) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 20111/03), Magomedov v. Russia (197) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 26759/03), Mozhayeva v. Russia (198) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 31105/05), Roman Ponomarev v. Russia (199) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 3885/04), Semochkin v. Russia (200) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 24664/02), Siverin v. Russia (201) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 11756/06), Trufanova v. Russia (202) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 40543/04), Voronin v. Russia (203) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 8355/07), Yevdokiya Kuznetsova v. Russia (204) Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 36153/03), Alekseyeva v. Russia (205) Urt. vom 11. 12. 2008 (Nr. 21539/02), Trapeznikova v. Russia (206) Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 750/02), Kotlyarov v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

325

(207) Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 5555/06), Veselyashkin and Veselyashkina v. Russia (208) Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 23567/06), Ziabreva c. Russie (209) Urt. vom 08. 01. 2009 (Nr. 2068/03 u. a.), Kondrashov and Others v. Russia (210) Urt. vom 08. 01. 2009 (Nr. 25114/03 u. a.), Kulkov and Others v. Russia (211) Urt. vom 13. 01. 2009 (Nr. 746/05 u. a.), Nina Kazmina and Others v. Russia (212) Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 33509/04), Burdov v. Russia (no. 2) (213) Urt. vom 15. 01. 2009 (Nr. 5249/06), Zhuravlev v. Russia (214) Urt. vom 23. 07. 2009 (Nr. 756/05 u. a.), Markovtsi and Selivanov v. Russia (215) Urt. vom 08. 10. 2009 (Nr. 27440/03), Finkov v. Russia (216) Urt. vom 08. 10. 2009 (Nr. 13869/05), Prokhorova v. Russia (217) Urt. vom 14. 01. 2010 (Nr. 14290/03 u. a.), Kazakevich and 9 other „army pensioners“ cases v. Russia (218) Urt. vom 18. 02. 2010 (Nr. 11470/03), Abbasov v. Russia (219) Urt. vom 18. 02. 2010 (Nr. 16583/04), Gribanenkov v. Russia (220) Urt. vom 08. 04. 2010 (Nr. 38585/04 u. a.), Sizintseva and Others v. Russia (221) Urt. vom 29. 04. 2010 (Nr. 6239/04), Smetanko v. Russia (222) Urt. vom 15. 07. 2010 (Nr. 25270/06), Salikova v. Russia (223) Urt. vom 29. 07. 2010 (Nr. 8549/06 u. a.), Streltsov and other „Novocherkassk military pensioners“ v. Russia (224) Urt. vom 30. 09. 2010 (Nr. 43578/06 u. a.), Matveyev et autres c. Russie (225) Urt. vom 16. 12. 2010 (Nr. 4532/04), Romokhov v. Russia (226) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 42538/02), Kazmin v. Russia (227) Urt. vom 13. 01. 2011 (Nr. 19440/05), Tokazov v. Russia (228) Urt. vom 05. 04. 2011 (Nr. 32215/05), Anufriyev v. Russia (229) Urt. vom 05. 04. 2011 (Nr. 38597/04), Kirilenko v. Russia (230) Urt. vom 19. 04. 2011 (Nr. 52283/07 u. a.), Rykachev et autres c. Russie (231) Urt. vom 25. 10. 2011 (Nr. 44387/04 u. a.), Tkhyegepso and Others v. Russia (232) Urt. vom 22. 11. 2011 (Nr. 18892/04), Krasnov v. Russia (233) Urt. vom 06. 12. 2011 (Nr. 8235/03), Aleksandr Ponomarev v. Russia (234) Urt. vom 13. 12. 2011 (Nr. 35002/05), Rozhnyatovskaya v. Russia (235) Urt. vom 17. 01. 2012 (Nr. 33422/03), Lavrov v. Russia (236) Urt. vom 17. 01. 2012 (Nr. 38202/07), Vladimir Melnikov v. Russia (237) Urt. vom 07. 02. 2012 (Nr. 21834/05), Shanovy v. Russia (238) Urt. vom 06. 03. 2012 (Nr. 28309/03 u. a.), Sergeyev and Others v. Russia (239) Urt. vom 10. 04. 2012 (Nr. 44038/05), Kochalidze v. Russia

326

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

(240) Urt. vom 10. 04. 2012 (Nr. 44595/05), Russkikh v. Russia (241) Urt. vom 10. 04. 2012 (Nr. 16869/08), Pellya v. Russia 2. Sachleistungen (Bereitstellung von Wohnraum) (1)

Urt. vom 30. 06. 2005 (Nr. 11931/03), Teteriny v. Russia

(2)

Urt. vom 07. 07. 2005 (Nr. 41302/02), Malinovskiy v. Russia

(3)

Urt. vom 07. 07. 2005 (Nr. 41307/02), Shpakovskiy v. Russia

(4)

Urt. vom 08. 12. 2005 (Nr. 7363/04), Mikryukov v. Russia

(5)

Urt. vom 15. 06. 2006 (Nr. 35259/04), Kuksa v. Russia

(6)

Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 13910/04), Tarasov v. Russia

(7)

Urt. vom 25. 01. 2007 (Nr. 21074/03), Makarov v. Russia

(8)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 14656/03), Ponomarenko v. Russia

(9)

Urt. vom 01. 03. 2007 (Nr. 38368/04), Sypchenko v. Russia

(10) Urt. vom 12. 04. 2007 (Nr. 9253/06), Mizyuk v. Russia (11) Urt. vom 12. 07. 2007 (Nr. 18557/06), Lykov v. Russia (12) Urt. vom 12. 07. 2007 (Nr. 38103/05), Nevolin v. Russia (13) Urt. vom 12. 07. 2007 (Nr. 18762/06), Telyatyeva v. Russia (14) Urt. vom 19. 07. 2007 (Nr. 21932/03), Bakharev v. Russia (15) Urt. vom 24. 01. 2008 (Nr. 6859/02), Nagovitsyn v. Russia (16) Urt. vom 06. 03. 2008 (Nr. 24229/03), Braga, Timofeyev and Kiryushkina v. Russia (17) Urt. vom 27. 03. 2008 (Nr. 3344/04), Mayamsin v. Russia (18) Urt. vom 03. 04. 2008 (Nr. 12541/05), Ivan Novikov v. Russia (19) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 38918/02), Sharov v. Russia (20) Urt. vom 12. 06. 2008 (Nr. 17701/03), Sitnitskiye v. Russia (21) Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 40078/03), Tolstov v. Russia (22) Urt. vom 31. 07. 2008 (Nr. 24435/04), Bormotov v. Russia (23) Urt. vom 25. 09. 2008 (Nr. 25749/05), Antonova v. Russia (24) Urt. vom 02. 10. 2008 (Nr. 35932/04), Anatoliy Vladimirovich Zakharov v. Russia (25) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 27995/05), Bogunov v. Russia (26) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 29063/05), Kardashin and Others v. Russia (27) Urt. vom 23. 10. 2008 (Nr. 26365/05), Kazantseva v. Russia (28) Urt. vom 20. 11. 2008 (Nr. 38872/02), Ivan Galkine c. Russie (29) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 9593/06), Gorbunov v. Russia (30) Urt. vom 04. 12. 2008 (Nr. 5271/05), Lyudmila Dubinskaya v. Russia (31) Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 13979/03), Sladkov v. Russia

Anhang III: EGMR-Urteile gegen Russland

327

(32) Urt. vom 22. 01. 2009 (Nr. 16048/06), Lotorevich v. Russia (33) Urt. vom 29. 01. 2009 (Nr. 25971/03), Kotsar c. Russie (34) Urt. vom 29. 01. 2009 (Nr. 34672/03), Levishchev v. Russia (35) Urt. vom 10. 02. 2009 (Nr. 32048/03), Bezzoubikova c. Russie (36) Urt. vom 30. 04. 2009 (Nr. 5950/04), Blinov and Blinova v. Russia (37) Urt. vom 08. 04. 2010 (Nr. 24086/04), Bulychevy v. Russia (38) Urt. vom 12. 05. 2010 (Nr. 38029/05), Privalikhin v. Russia (39) Urt. vom 20. 05. 2010 (Nr. 2109/07 u. a.), Butenko and Others v. Russia (40) Urt. vom 16. 09. 2010 (Nr. 11609/05 u. a.), Kravchenko et autres (logements militaires) c. Russie (41) Urt. vom 17. 04. 2012 (Nr. 20420/07 u. a.), Ilyushkin et autres c. Russie (42) Urt. vom 17. 04. 2012 (Nr. 37115/08 u. a.), Kalinkin et autres c. Russie 3. Andere bzw. gemischte Forderungen (1)

Urt. vom 21. 07. 2005 (Nr. 24077/02), Natalya Gerasimova v. Russia

(2)

Urt. vom 28. 09. 2006 (Nr. 26089/02), Kornev v. Russia

(3)

Urt. vom 25. 01. 2007 (Nr. 24620/02), Belyayev v. Russia

(4)

Urt. vom 15. 02. 2007 (Nr. 29898/03), Gorlova v. Russia

(5)

Urt. vom 26. 06. 2008 (Nr. 75894/01), Serov v. Russia

(6)

Urt. vom 03. 07. 2008 (Nr. 34679/03), Belotserkovets v. Russia

(7)

Urt. vom 24. 07. 2008 (Nr. 15890/04), Viktor Petrov v. Russia

(8)

Urt. vom 02. 10. 2008 (Nr. 38943/04), Tibilov v. Russia

(9)

Urt. vom 18. 12. 2008 (Nr. 19097/04), Igor Kolyada v. Russia

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Stichwortverzeichnis Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 25 ff., 37 Amerikanische Menschenrechtskonvention 281 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile 52, 75 ff., 255 f., 261 Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK 27, 48 f., 54 f., 62, 122 ff. Aufsichtsverfahren 161, 238, 242 ff. Beendigung andauernder Konventionsverletzungen 271 ff. Begründung der Gerichtsentscheidungen 169 ff., 180 f. Bindungswirkungen der EGMR-Urteile – innerstaatlich 102 ff., 283 f., 286 – völkerrechtlich 88 ff., 266 ff. Disziplinäre Gerichtsbehörde 62 Durchbrechung der Rechtskraft 237 ff., siehe auch Wiederaufnahme des Verfahrens EGMR – Beschwerdefrist 64 ff. – Beschwerderecht 126 ff., 269 f. – Prüfungsdichte 129 ff. Eilrechtsschutz 124 EMRK – 1. Zusatzprotokoll 116, 270, 282 – 11. Zusatzprotokoll 162, 280 – 14. Zusatzprotokoll 44 f., 93, 269, 280, 300 – Anwendung in Russland 113 ff. – Auslegung 28, 34, 87 ff., 102 – Beitritt Russlands 29 ff. – Ermessensspielraum bei der Umsetzung 128, 130, 135, 157, 301 – Inkrafttreten im Inland 31 ff. – Stellung im autonomen Recht 69 ff., 78 ff. – Stellung im Völkerrecht 74 ff.

– Übersetzungen ins Russische 32 ff. – Umsetzung in Russland 39 ff. Entmündigungsverfahren 165, 179, 182, 302 Entschädigung, gerechte 279 ff. Erfolgshonorare 236 Friedensrichter 49 f. Fairness im Verfahren 162 ff. – Anhörung, persönliche 165 f., 177 ff. – Akteneinsicht 164, 173 – Beweise 166 ff., 171 f., 175, 180 f., 185, 211, 239 – Gehör, rechtliches 163 ff., 177 ff., 181 ff. – Waffengleichheit 171 ff., 177 ff., 185 ff. – Zeugen 128, 146, 171 f., 174 Gericht – Begriff 46, 137 f. – Fachgericht 47 – Fürsorgepflichten 173 ff. – Grundlage, gesetzliche 38, 138 f., 147, 148 ff. – Sondergericht 62, 137 f., 148 – Unabhängigkeit 139 ff., 147 f., 152 ff. – Unparteilichkeit 142 ff., 147 f., 158 ff. Gerichte, ordentliche 49 ff. Gerichtshof für Menschenrechte der GUS 39 Gerichtssystem Russlands 46 ff. Heilung der Verfahrensmängel 130 f., 160, 196 High level Russian Message 35, 101 f. Insolvenzverfahren 24, 197, 221, 256 IPBPR 26, 36, 195, 198, 214, 251, 276 Kiewer Übereinkommen 77 Konventionsverletzungen – abgeschlossene 64 ff., 271

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Stichwortverzeichnis

– fortdauernde 64 ff., 123, 271 ff. – Rechtsfolgen 266 ff. Ladung zum Gerichtstermin 165 f., 177 ff., 182, 197, 199 f., 240 lex posterior 75, 78 lex specialis 76 ff., 86 f. Menschenrechtskommission der GUS 38 f. Menschenrechtskonvention der GUS 35, 37 ff. Militärgerichte 54 ff., 123 Mündlichkeit der Gerichtsverhandlung 134, 165, 168, 177 ff., 192 ff. Naturalrestitution 270, 273 ff., 280 f., 288 Oberstes Gericht (RF) 50, 56 f. – Erläuterungen des Rechts 53, 57, 71 ff., 79, 107 ff., 113, 118 f., 157, 183, 205, 295, 303 – Rechtsprechung zur EMRK 116 ff. Oberstes Wirtschaftsgericht (RF) 50, 58, 60 f., 71 – Erläuterungen des Rechts 61, 71 ff., 183, 263 – Informationsschreiben 61, 73 f., 77, 110, 119, 205 Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens – Gerichtsverhandlung 192 ff., 197 ff. – Schranken 38, 192 ff. – Urteilsverkündung 195 ff., 197, 200 f. Ordre public, europäischer 91 Ordre public-Kontrolle 75 ff., 80 f. 83 Prozesskostenhilfe 124, 174, 178 f., 189 f., 221 ff., 235 f. – Gegenseitigkeit 223 Prozessvergleich 135 f., 187, 259, 294 Quellen des Zivilprozessrechts 70 ff. Rechtsanwalt 147 f., 175, 186, 229 – Anwaltsbeistand 178 f., 212, 221 ff., 235 f. – Anwaltszwang 215, 222 f. Rechtsbehelfe 64 ff., 73 – Aufsichtsbeschwerde 67

– bei Prozessverschleppung 66 f., 207 f. – bei Vollstreckungsverschleppung 66 f., 263 f. – Verfassungsbeschwerde 68 Rechtshilfe, internationale 77 f. Rückwirkung von Gesetzen 175 ff., 191 f., 227 Sachverständiger im Zivilprozess 128, 175, 179, 190 Schiedsgerichtsbarkeit 24, 134 f. – Zwangsschiedsgericht 138, 215 Staatsanwalt im Zivilprozess 173, 179, 186 ff., 191, 235 f., 243, 245, 248, 250, 302 Staatsunternehmen 257 – Kapitalgesellschaften 258 – Unitarbetriebe 257, 264 f. Strafgefangener im Zivilprozess 177 ff., 182, 212, 230 Unterlassung zukünftiger Konventionsverletzungen 286 f. Urteile des EGMR – Bekanntmachung in Russland 111 ff., 118 f., 294 ff. – Piloturteile 129 f., 260, 263 f., 291 ff., 294 – Rechtsfolgen 266 ff. – Stellung im autonomen Recht 102 ff. – Stellung im Völkerrecht 87 ff., 266 ff. – Umsetzung in Russland 44, 113 ff., 150, 159, 161, 182 f., 201, 207 f., 232 ff., 246 ff., 251, 262 ff., 271 ff., 276 ff., 284 ff., 293 ff. Verfahrensdauer 27, 65 ff., 201 ff., 271 f., 275 Verfahrensrechte – Rechtsträger 126 ff. – Verzicht auf ~ 23 f., 131 ff., 234 Verfassungsgericht (RF) 50, 62 f., 72 f., 81, 84, 160 f., 278 f. – Rechtsprechung zur EMRK 33 f., 40 f., 43, 70, 84, 105 ff., 114, 116, 120, 150 f., 157 ff., 181 f., 190 f., 207 f., 232 ff., 235, 247, 252, 263, 277, 295 Verpflichtungen aus EGMR-Urteilen 266 ff. – allgemeine Maßnahmen 287 ff. – individuelle Maßnahmen 270 ff.

Stichwortverzeichnis Vollstreckung innerstaatlicher Urteile 28, 63 ff., 254 ff., 271 ff., 287, 292 ff., 302 Vollstreckungsvereinbarung mit Weißrussland 75 ff. Wiederaufnahme des Verfahrens 63, 145, 150, 169, 202, 211 f., 237 ff., 273 ff. Wiener Erklärung 29 Wiener Vertragsrechtskonvention 69, 74 f., 81, 89, 95, 108, 122 f., 209 Wirtschaftsgerichte 58 ff. Zugang zu Gericht 65, 132 f., 209 ff., 240, 271 – Ausschluss des Rechtsweges 213, 234 – bei Formfehlern 228 f.

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– Immunitäten 215 ff., 230, 234, 259 – nach Vorentscheidungen durch die Verwaltung 210 – Prozessfähigkeit 128, 214 f., 233 f. – Rechtsmittelfristen 226 f., 234 – Schranken 212 f. – Verfahrenskosten 218 ff., 235 f. – Verjährungsfristen 224 ff., 234 Zugang zum Rechtsmittelgericht 132 f., 210 f., 212, 219 f., 226 ff., 231, 235 Zwangsvollstreckung – gegen Private 256, 260 – ins Staatsvermögen 263 – von EGMR-Urteilen 268 ff., 281 ff., 284 ff.