Das Recht auf Arbeit in Japan und Deutschland: Eine rechts- und kulturvergleichende Untersuchung [1 ed.] 9783428479511, 9783428079513

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Das Recht auf Arbeit in Japan und Deutschland: Eine rechts- und kulturvergleichende Untersuchung [1 ed.]
 9783428479511, 9783428079513

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BERND NENNINGER

Das Recht auf Arbeit in Japan und Deutschland

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 131

Das Recht auf Arbeit in Japan und Deutschland Eine rechts- und kulturvergleichende Untersuchung

Von Bernd Nenninger

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Nenninger, Bernd: Das Recht auf Arbeit in Japan und Deutschland: eine rechtsund kulturvergleichende Untersuchung / von Bemd Nenninger. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 131) Zug\.: Bayreuth, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07951-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-07951-5

Meinen Großeltern

Vorwort ErstaunIicherweise gibt es nur menschlich großartige Doktorväter. Dies schließe ich jedenfalls aus den Vorworten der Dissertationen, die ich bisher gelesen habe. Kein Vorwort versäumte es, die Vorzüge des Doktorvaters herauszustellen. Gut für die Doktoranden. Schlecht für mich. Mir fehlen deswegen leider die Worte, mich bei meinem Doktorvater, Professor Dr. Peter Häberle, für die menschliche und fachliche Betreuung zu bedanken. Ich verehre ihn sehr. Deshalb belasse ich es bei einem "Dankeschön" von ganzem Herzen. Er wird es verstehen. Die Danksagungen, die ich zu machen habe, würden den Rahmen eines Vorworts sprengen. Zu viele Menschen haben diese Arbeit unterstützt. Dies gilt insbesondere für zahlreiche Japaner - Hochschullehrer, Mitstudenten, Freunde, Geschäftsleute. Einzelne zu nennen hieße, andere zurückzustellen. Dennoch: herzlichsten Dank an alle. Ohne die Rotary Foundation (Japanaufenthalt) und die Studienstiftung des Deutschen Volkes (Promotionsstipendium) hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können. Jahreszahlen in den §§ 4 - 6 folgen der japanischen Zeitrechnung. Das Jahr (Shöwa) 64 entspricht dem Jahr 1989, das Jahr 63 dem Jahr 1988 usw. Bernd Nenninger

v

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkungen zwn Gang der Untersuchung A. Der Stand der Dinge: Massenaroeitslosigkeit als Dauerzustand ............. . B. Bemerkungen zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. These I: Begriffsverwirrung

8

.................................

8

ß. These 2: Das Recht und die Grenzen der "Machbarkeit" ...............

11

ill. These 3: Der sozio-kulturelle Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12 13

C. Die vorliegende Untersuchung und ihre Grenzen

Teil]

Rechtshistorische Dimension § 1 Die Entwicldtmg in Frankreich

15

A. Vor 1789 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

B. Während der Französischen Revolution (1789-1795)

....................

17

......................

17

I. Die Erklärung der Menschenrechte von 1789

ß. Die Verfassung von 1791

18

ill. Die Verfassung von 1793

18

C. Nach der Französischen Revolution bis 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

l. Ch. Fourier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

ß. V. P. Considerant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

ill. P. J. Proudhon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

D. In den Jahren 1848/49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21

I. L. Blanc und die Nationalwerkstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21

ß. Die Verfassung von 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

ill. Nach 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

23

x

Inhaltsverzeichnis

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

24

A. Die Entwicklung bis 1848

24 ..................................

24

ß. I. G. Fichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

ill. Andere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Das Allgemeine Landrecht

B. Die Paulskirchenverfassung

26

C. Die Entwicklung bis 1918

27

I. O.V. Bismarcks Rede im Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

11. A. Menger

29 30

D. Die Weimarer Reichsverfassung

30

I. Vorgeschichte I. Ausgangsposition

30

2. Entwicklung bis zum Inkrafttreten der WRV

30

3. Die Beratungen in der Nationalversammlung

31

ß. Die Weimarer Reichsverfassung und ihre Konkretisierung

32

I. Das Recht auf Arbeit, Art 163 ß WRV

32

2. Das Arbeitsverfassungsrecht der WRV im übrigen

33

3. Sonstige Gesetze der Weimarer Zeit

34

a) Landesverfassungen .......... . ....... . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

b) Reichsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

E. "Recht auf Arbeit" im Nationalsozialismus

35

F. Die Ausgangssituation 1945

36

I. Der Konsens 1945 und die Entstehung der Landesverfassungen . . . . . . . . . ..

36

ß. Die Entstehung des Grundgesetzes

37

ill. Die Entwicklung in der SBZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

IV. Die Deutsche Einheit und das Recht auf Arbeit in den neuen Bundesländern

44

§ 3 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

46

Teil 2

Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan § 4 Rechtswisseoschaft]jcher Ansatz .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,

47

A. Verfassungsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

47

Inhaltsverzeichnis

I. System des japanischen Verfassungsrechts

XI

........................

1. Verfassungsgeschichte

47 47

a) Die Meiji-Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa)Die Entstehung der Meiji-Verfassung

47

.....................

47

bb) Grundprinzipien der MV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . .

49

b) Entstehung der Japanischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb)Die Erstellung des Verfassungsentwurfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52 53

cc) Der eigentliche Verfassungsgebungsalet und seine stsatsrechtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

2. Verfassungsrecht in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

88) Die japanische Kapitulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.......................... .

55 55

........................................ .

56

................................... .

57

a) Organisatorischer Teil aa) Allgemeine Grundprinzipien bb)Tenno

cc) Kriegsverzicht

dd)Pariament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

....................................... .

59

ff) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... .

60

ce) Kabinett

gg) Finanzwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

hh)Geltungskraft und Änderung der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 63

ii) Sonstiges

63 63 bb)Grundrechtsausübung und ihre Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc) Drinwirkungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

b) Menschenrechte, allgemeine Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

aa) Allgemeine Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Überblick über die Menschenrechte im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichheitsrechte bb) Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........ .

66 66 67

68 68 ce) Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 cc) Wirtschaftliche Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

dd)Iustitielle Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... .

D. Soziale Grundrechte der IV ......................... ........ .

69 69

1. System ......................................

69

b) Vemältnis der Vorschriften zueinander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

69

2. Die sozialen Grundrechte im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

a) Vorbemerkung

a) Art 25 I IV

aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. dd) Einfachgesetzliche Konkretisierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

71 71 72 73 74

Inhaltsverzeichnis

XII

74 74 bb)Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Art 26 N ......................................... . 75 b) Art 25 IIN

aa) Inhalt und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

d) Art 27 11, e) Art 28 N

mN

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. .

76

......................................... .

77 79 79 79 79

f) Sonstige Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa)Art 18 N ....................................... . bb)Art 22 IN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc)Art 29 N ....................................... .

m. Art 27 I JV: Das Recht auf Arbeit

..... .... ...... ... .... ...... ..

80

1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

2. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Rechtsnatur des Rechts auf Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

aa) Subjektives öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

82

86 cc) "Programmsatz" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

bb) "Objektives Recht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

aa) Vollständiges Recht auf Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb)Beschränktes Recht auf Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Aktive Gehalte nach neueren Theorien

88 88

89 89

. . . . . . . . . . . . . .... .

91

iii) Entwicklung des gesetzlichen Konkretisierungen des Rechts auf Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

iv) Gesetzliche Konkretisierungen des Rechts auf Arbeit

94

d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

98

3. Pflicht zur Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ...... .

98

B. Das Recht auf Arbeit in Japan auf einfachgesetzlicher Ebene und seine Einbettung in das System des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. System des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

1. Individualarbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb)Die Bedeutung des Arbeitsstandardgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . .. 101 cc) Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 102 dd)Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 102 b) Ausgewählte Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Der Schluß des Arbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb)Veraetzung, Delegation usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Inhaltsverzeichnis

xm

cc) Regelungen der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... . 107 i) Tages- und Wochenarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 ii) Pausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 iii) "Freie Tage" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 iv) Iahresurlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 dd)Lohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 ce) Beendigungstatbeslände

115

i) Befristete Arbeitsvemältnisse

115

ii) Unbefristete Arbeitsvemältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 ft) Frauen- und lugendarbeitsschutz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

gg) Betriebsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 hh)Disziplinarrnaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Kollektivarbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119 a) Geschichte und System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb)System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Begriff der Gewerkschaft

120

b) Spezielle Vereinigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 121 aa) Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 121 bb)Unfaire Arbeitgebermaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Vemandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern . . . . . . . . . . 123 aa) Vemandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb)Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 d) Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aal Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125 bb)Streik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 126 cc) Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 126 dd)Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 3. Sonstige Rechtsgebiete des Arbeitsrechts .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 128 II. Ausstrahlungswirkung des Art 27 IN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Einstellung

128

2. Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 b) Rechtsmißbrauch und vernünftiger Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) Gründe fiir diese Gestalt des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Ausgestaltung des Kündigungschutzes im übrigen

136

3. Recht auf Beschäftigung

137

4. Pensionierung und Altersgrenzen

139

a) Ausgestaltung des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 b) Zulässigkeit des Systems an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

XN

Inhaltsverzeichnis c) Rechtliche Grenzen bei der Ausgestaltung des Systems . . . . . . . . . . . . . 141 5. Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Entlassung bei Heirat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 143 b) Unterschiedliches Pensionierungsalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 144 6. Union-shop-System

145

7. Arbeitsverwaltung

148

a) Arbeitsunfallversicherung b) Arbeitslosenversicherung c) Arbeitaplatzvennittlung

148 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

d) Berufsausbildung I schulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... . 150 e) Beschäftigungspolitik I Beschäftigungsförderungsrecht . . . . . . . . . . . .. 150 ill. Andere Rechtsgebiete

150

1. Sozialhilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Rentenversicherungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 § 5 Kulturvergieichender Ansatz - Wirtsc~baftliche Besonderheiten ...... 153

A. Volkswirtschaftliche Besonderheiten ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 155 I. Duale Wirtschaftsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Begriffund Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

2. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Bis zum Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Nach dem Zweiten Weltkrieg 3. Einzelaspekte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

a) Frauen in der dualen Wirtschaftsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Die (sonstigen) Nichtprivilegierten in der dualen Wirtschaftsstruktur . . .. 161 4. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 11. Ausbildungssystem 1. Beschreibung

a) Aufbau

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

b) Ausgestaltung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

2. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Industrie und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Nachwuchsanwerbung in der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Innerbetriebliche Ausbildung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

c) Bildungsstand und Karriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Inhaltsverzeichnis 4. Schlußfolgerungen: Gesellschaft und Bildung

xv 170

a) Konfuzianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 b) Fehlen einer Klassengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Bildung und Persönlichkeitsformung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

d) Verstärkung der Strukturen des dualen Wirtschaftssystems . . . . . . . . . . 172 e) Gegeneffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173

m. System der lebenslsngen Beschäftigung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

1. Begriffund Zustandsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Sichemeit für die Arbeitnehmer

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

b) Bezug zur dualen Wirtschaftsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 177 c) Auswirkungen auf das Management selbst

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

d) Immobilität der Arbeitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 e) Arbeitseinstellung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

f) Kosten und Probleme

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

IV. Betriebsgewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

1. Rechtliche Grundlagen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

2. Zustandsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Schlußfolgerungen: Grunde für die Schwäche der Gewerkschaften . . . . . . . . 182 B. Betriebswirtschaftliche Besondemeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 184 I. Seniorität und Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 184 ll. Entlohnungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

1. Gehaltsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 186 a) Gehalt und Seniorität

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

b) Allgemeine Aussagen zu Gehaltshöhe und -verteilung . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Soziale Leistungen der Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Bonussystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

m. Hierarchisch-patriarchalische Strukturen 1. Hierarchie

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 190 190

a) Rangsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 190 b) FührerNorgesetzter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Führung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

2. Gruppenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Gefühl des Einsseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 195

Inhaltsverzeichnis

XVI b) Interne Organisation

195

IV. Zwischenmenschliche Beziehungen und Hannoniestreben . . . . . . . . . . . . .. 196 § 6 Kulturveraleicheode Dim_ion - Sozio-kultureIle &sonderheiten . . . . . . . . . . . .. 198

A. Soziologisch-psychologische Beobachtungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

I. Japanisches Gruppenverstindnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Gruppenslruktur und daraus folgende Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 198

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

a) Grundlagen

aa) Ursprunge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 198 bb)Grundzüge einer Theorie der japanischen Gruppe . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Rahmengruppe und vertikale Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Dominanz der Rahmengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb)Dominanz vertikaler Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Uchi und die Kategorien von "Innen" und" Außen" . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Begriff des "Uchi" ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb)Die Welt in den Kategorien "Innen" und" Außen" . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Weitere Auswirkungen dieses Gruppenverstindnisses . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Zusammensetzung der Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb)Hannoniedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Individualität und Massenkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 dd)Gruppenslruktur und Gleichheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 ee) Gruppenverständnis und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 ff) Effizienz der japanischen Gruppenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

2. Das patriarchalische Familiensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Gruppenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Rahmengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb)Vertikale Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 c) Sozialer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Denken in Hierarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

b) Geschlecht c) Seniorität

212

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

d) OyabunIKobun-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 e) SenpailKöhai-Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 ß. Determinanten japanischen Fühlens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

1. Kultur der Amae

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

a) Begriffliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Inhaltsverzeichnis

XVD

aa) Amae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 bb)Enryo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

217

b) Amae in der sozialen Interaktion

c) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) In der Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb)In der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 cc) Auf Staatsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Kultur der Scham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Scham und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa)Konzept der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb)Konzept der Scham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... 221 b) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 aa) Weiter erhöhter Anpassungsdruck in der Gruppe. . . . . . . . . . . . . . . 222 bb)Andere moralische Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Relativierung der Verbindlichkeit von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . 223 dd)Bezug zum Harmoniedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 B. Japanisches Rechtsverstindnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Giri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

1. Ausgangspunkt

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

2. Begriffliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) "Giri" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) On und Ongaeshi

225

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

c) Sumanai und Ninjö . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 D. Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Zeitalter der Clans (Uji) (bis 645) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Zeitalter des Hofadels (Kuge) (bis 1167) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 3. Zeitalter des Kriegeradels (Buke) (bis 1867) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Kamakura-Periode (1l85-1336)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

b) Muromachi-Periode (1336-1467) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Hochfeudalismus (1467-1603) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 d) Edo-(fokugawa -) Periode (1603-1867) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4. Modemes Zeitalter (seit 1867) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 ffi. Traditionelle Strukturen im Japanischen Rechtsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

1. Beschränkte Übernahme westlicher Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

2. Sprache und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

2 Nenninger

xvm

Inhaltsverzeichnis a) Spnchgeschichte

243

b) Grundstrukturen des gesprochenen Japanisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 c) Grundstrukturen des geschriebenen Japanisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 d) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Betonung der Pngmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Art 9 JV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb)Schadensabwicklung bei Verkehrsunfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 C. Weitere kulturelle Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 I. Konfuzianismus

1. Konfuzianismus in China

252 252

2. Konfuzianismus in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Wesentliche Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 aa) Bildung in einer konfuzianischen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb)Fehlen von Klassengegensätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 cc) Entwicklung des Kapitalismus in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 dd) Autorität und Hierarchie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Religionen in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Inhalte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

c) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Shintoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Inhalte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

c) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Taoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 4. Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 5. "Neue Religionen" (Sekten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

Inhaltsverzeichnis

XIX

Teil 3

Rechtswissenschaftliche Dimension: Das Recht auf Arbeit de lege lata in der Bundesrepublik Deutschland InIrurs: Versuch einer Arbeitsdefinition § 7 Analyse des Normbfstands

264

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

A. Einfache Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

I. Stabilitätsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

1. Rechtscharakter und lustiziabilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Vorrang des Vollbeschäftigungszieles ? . . . . . . . . . . . . . . . . . • ... . ... 271 3. Gehalte des § 1 StabG im Bereich des "Rechts auf Arbeit" . . . . . . . . . . . . . 272 11. §§ 1 ff. ArbeitsIörderungsgesetz

273

1. Rechtscharakter und lustitiabiltät .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

2. Stellenbescha ffung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 InIrurs: Die Praxis der ABM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

3. Gehalte der §§ 1 ff. AFG im Bereich des "Rechts auf Arbeit" . . . . . . . . . . . 278 III. SGB AT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Rechtscharakter und lustitiabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

2. Gehalte im Bereich des "Rechts auf Arbeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 IV. Die Einstellung von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 I. Allgemeine Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

2. Unmittelbare und mittelbare Einstellungspflichten .. . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Einstellungspflichten kraft Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Schwerbehindertengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 c) § 78 a BVG

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

d) § 1 Arbeitsplatzschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 e) § 10 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 f) § 1 1 Nr. 1 ArbeitsplatzIörderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 g) Art 33 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

3. Bindung des Ermessens des Arbeitgebers bei der Einstellung . . . . . . . . . . . 289 V. Beschäftigungspflicht im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

1. Beschäftigungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 291 a) Allgemeiner Beschäftigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Sondergesetzliche Positivierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

xx

Inhaltsverzeichnis 2. (Weiter-)Beschäftigungsanspruch während des KündigungsschulZprozesses

294

a) Schwerpunkt des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) § 102 V BVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Arbeitsvertraglicher Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsschutzprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 d) Gehalt des "Rechts auf Arbeit" im Bereich des Weiterbeschäftigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 VI. Kündigungsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 VD. Mitbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Vill. Sonstige Vorschriften

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

I. Schutz durch die §§ 823 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 a) Das "Recht auf den Arbeitsplatz" als dingliches Recht . . . . . . . . . . . . . 300 b) Dinglicher Schutz der Arbeitskraft über das Pecsönlichkeitsrecht ...... 302 c) Schutz der Arbeitskraft als dinglichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 d) Schutz des Rechts auf Arbeit als dinglichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . 303 e) § 823 D BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 f) Gehalte des "Rechts auf Arbeit" im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 3. Rechtliche Grundlagen der Arbeits- und Sozialordnung . . . . . . . . . . . . . . . 304 4. Sonstige Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 B. Tarifverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

I. Abschlußverbote und -gebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Kündigungserschwerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 InIrurs: Die Praxis von Rationalisierungsschutzabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 D. Rechtliche Probleme

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

ill. Gehalte des "Rechts auf Arbeit" im Tarifvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

c. Landesverfassungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

1. Ausdrückliche Regelungen in den Verfassungen der alten Bundesländer ..... 313

I. Bayerische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 2. Berliner Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 3. Bremer Verfassung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 4. Hessische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5. Nordrbein-westialische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 6. Rheinland-pialzische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7. Saarländische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Inhaltsverzeichnis

u.

XXI

Allgemeine Aussagen zu den ausdrücklichen Regelungen des Rechts auf Arbeit in den Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

l. Allgemeine Stellungnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Insbesondere: Wirksamkeit unter dem GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Art 142 GG

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

b) Art 31 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

c) Lurlaufen mangels Landeskompetenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 ßI. Andere Landesverfassungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

l. Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein

328

2. Die Verfassungsentwürfe der neuen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 c) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 d) Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 e) Thüringen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

1) Verfassung des Runden Tisches (Entwurf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3. Sonstige deutsche Verfassungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

a) Die Verfassung von Württemberg-Baden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Die Verfassung für Württemberg-Hohenzollern . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 c) Die Verfassung des Landes Baden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 d) Die Demokratische Verfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern . 335 e) Die Verfassung des Landes Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1) Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 g) Die Verfassung von Berlin (Ostteil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 D. Internationale Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. AufWeltebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

l. Menschenrechtserklärung der UNO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte .. 338 3. Charta der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

u. Auf europäischer Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. ESC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2. BG-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 III. ILO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 IV. Gehalte des "Rechts auf Arbeit" in internationalen Verträgen . . . . . . . . . . . . 345 E. Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 I. Sozialstaatsprinzip (Art 20 I, 28 I GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

XXll

Inhaltsverzeichnis I. Allgemeine Dogmatik der Sozialstaatsldausel

346

2. Recht auf Arbeit und Sozialstaatsldausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 ll. Art 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 m. Gleichheitssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 1. Art 33 II GG ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 2. Art 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 IV. Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Art 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Art 12 I GG als Freiheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Art 12 I GG als Teilhaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 c) Andere Aspekte des Art 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 d) Gehalte des Rechts auf Arbeit in Art 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 2. Art 2 I GG

363

3. Art 2 II GG

364

V. Art 109 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 VI. Sonstige partiell betroffene Bestimmungen des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Art9mGG

366

2. Art 6 IV GG

367

3. Art 74 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 4. Art 48 II 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Vll. Art 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 1. Bisherige Stellungnahmen zum Verhältnis zwischen Recht auf Arbeit und Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 a) Schrankendenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 b) Positive Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 2. Die Trias Arbeit, Eigentum und Freiheit a) Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

370 370

aa) Arbeit als conditio humana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 bb)Das sich wandelnde Verständnis von Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 i) Bedeutungswandel der Arbeit in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . 373 ii) Bedeutungswandel der Arbeit in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . 375 b) Klassische Dogmatik der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 aa) Doppelnatur des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 bb)Inhalt und Funktionen des Eigentumsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 i) Abwehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 ii) Freiheitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 iii) Leistungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

InhaltsvelZeichnis

xxm

(I) Leistung und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... 382

(2) Arbeit und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 (3) Geistesgeschichtliche Grundlagen dieser Zusammenhänge. . . . 385 iv) Machtverteilungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 v) wertentscheidende Grundsatznonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 vi) Funktion als Auslegungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 3. Allmählicher Bedeutungsschwund der Eigentumsgarantie und Überholung durch die Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 a) Nochmals: Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 b) Verschiedene historische Ansätze zur Verknüpfung der Arbeit mit dem Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 c) Die Verknüpfung der Arbeit mit dem Problem des Bedeutungsverlustes des Eigentums ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 aa) Richtungsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 bb) Bisherige Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 i) O. Kimminich im Bonner Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 ii) P. Häberle in VVDStRL 30 und weiteren Aufsätzen .......... 391 iii) A. Podlech in "Der Staat 19" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 iv) D. Suhr in verschiedenen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 v) H. J. Wipfelder in der FS G. Küchenhoff . . . . . . . . . . . . . . . . 395 vi) H. Rittstieg in "Eigentum als Verfassungsproblem" .......... 395 vii) Die Idee des sozialen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 viii) E. Denninger in seiner Staatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 ix) P. Schiffauer in der EuGRZ 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 5. Die Sozialbindung des Eigentums

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

§ 8 Das Recht auf Arbeit im geltenden deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

A. Die Analyse des Nonnbestands aufVerfassungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 B. Hinzunahme der einfachgesetzlichen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

c. Die Berücksichtigung des Knappheitsargumentes

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

I. Grundsätzliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408

11. Einzelüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 D. Systembedingte Vorgaben und ihre Ausbalancierung durch den Sozialstaat ...... 415 E. Verteilungsgerechtigkeit als oberster Grundsatzes des Rechts auf Arbeit. . . . . . . . . 418 I. Schrin 1: Verteilungsgerechtigkeit "gegen" den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 11. Schrin 2: Verteilungsgerechtigkeit "gegen" den privaten Arbeitgeber ........ 420 1. Verteilungsgerechtigkeit "gegen" den privaten Arbeitgeber, •durch" den Staat: Der Aspekt der staatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420

XXIV

Inhaltsverzeichnis 2. Verteilungsgerechtigkeit "gegen" den privaten Arbeitgeber über eine mittelbare Drittwirkung des Nonnenbündels "Recht auf Arbeit" . . . . . . . . . 420

§ 9 RechtswirkuDgeo des Rechts auf Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 A. Verfassungsmäßigkeit der gefundenen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 B. Konkrete Auswirkungen der gefundenen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I. Wirkungen des Rechts auf Arbeit im Verhältnis zum Staat . . . . . . . . . . . . . . 424 1. "Gegen" den Staat als Arbeitgeber (im Bereich des Art 33 11 GG) . . . . . . . . 424

a) Ernst genommenes Willkürverbot bei der Einstellung im Bereich des Art 33 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 b) Arbeitsplatzsteuerung gegen sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 2. Im Bereich der Arbeitsverwaltung und Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . 425

a) Institutionelle Garantie von Einrichtungen der Arbeitsverwaltung .... . . 425 b) Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 c) Die Auslegung des Begriffs der "Zumutbarkeit" (insbes. in § 119 I Nr. 2 AFG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 d) Indirekte Berufslenkung durch Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 e) Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 3. Im Bereich der Beschäftigungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 4. Im Bereich der Kündigungsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 5. Im Bereich der allgemeinen Verwaltung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

a) Planungsverwaltung (Abwägungsvorgänge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 b) Allgemeine Ennessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 11. Wirkungen des Rechts auf Arbeit im Verhältnis zum privaten Arbeitgeber .... 431 1. Im Bereich der Einstellung von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

a) Verbot von Einstellungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 b) Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 aa) Schutz aller Bewerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 bb)Schutz bestimmter Bewerbergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 2. Im Bereich des Kündigungsschutzrechts

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

3. Auslegung des § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

4. Fragen der Arbeitsverteilung durch Arbeitszeitverkürzung

439

5. Herstellung von Lohnflexibilität

441

c. Rechtspolitische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 I. Kodifikation des Rechts auf Arbeit im Grundgesetz - allgemeine Probleme .... 441

11. Kodifikation des Rechts auf Arbeit in der Sondersituation der Deutschen Einheit 445 D. Die Einbettung in den sozio-kulturellen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

Inhaltsverzeichnis I. Vorbemerkung: Die Selbstverständlichkeit der Selbstbefangenheit

xxv 448

ß. Quervergleich mit den japanischen Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 ill. Fazit

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

Literaturverzeichnis

452

Vorbemerkungen zum Gang der Untersuchung A. Der Stand der Dinge: Massenarbeitslosigkeit als Dauerzustand Massenarbeitslosigkeit schien spätestens Mitte der sechziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland eine überwundene soziale Erscheinung zu sein durchaus etwas "Schreckliches", aber doch ein ferner, geradezu unrealer Schrecken. Der damals hinsichtlich der Vollbeschäftigung vor~errschende Optimismus war jedoch nicht begründet. Im Zuge der nach der Olkrise auftretenden weltweiten Rezession wuchs die deutsche Wirtschaft nicht mehr oder nur noch in kleinen Schritten und konnte den unter anderem durch Produktivitätsfortschritte, Investitionsschwäche und die allgemein wenig gute Ertrags- und Auftragslage bei zahlreichen Unternehmen heIVorgerufenen Schwund der" Arbeitsnachfrage" nicht mehr wettmachen. Als Folge nahm die Anzahl der Arbeitslosen seit etwa 1973 kontinuierlich zu, spätestens 1976 kann man von Massenarbeitslosigkeit sprechen I. Etwa seit 1983 wurde mit über 2,2 Mio. Arbeitslosen (d.h. einer Arbeitslosenquote von über 9 %) ein Höhepunkt (eigentlich ein "Höhenplateau") erreicht.

1 A.A.:

M. B1anldH. Fangmann in AuR 1988,235 (235): Seit 1974.

2

Vorbemerkungen

Tabelle 1

Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der

(alten) Bundesrepublik Deutschland (jeweils in 1.000) lahr

lan. lul. lan. lul. lan. Apr.

1955 1960 1965 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 89 89 90 90 91 91

Bevölk. (

... )

55.433 58.619 60.651 61.672 62.054 61.531 61.327 61.566 61.682 61.638 61.423 61.175 61.624 61.066 61.077 61450 61.745 61.980 ( ... ) ( ... ) ( ... ) ( ... )

Erwtät.

Arl>los.

Quote

ABM

...

1.076 271 147 149 246 582 1.060 993 889 1.272 1.833 2.558 2.266 2.304 2.228 2.229 2.242 2.335 1.973 2.219 1.808 1.874 1.852

5,6% 1,3% 0,7% 0,7% 1,1 % 2,6% 4,6% 4,3% 3,8% 5,5% 7,5% 9,1% 9,1% 9,3% 9,0% 8,9% 8,7% 9,0% 7,7% 8,5% 7,1% 7,2% 6,2%

( ) ( ... ) ( ... )

( ) ( ... ) ( ... )

26.688 26.744 25.565 25.591 25.699 26.328 26.144 25.709 25.331 25.363 25.540 25.794 25.971 ( ... )

27.326 27.662 27.924 28.195 28.662 28.942

...

2 2 3 29 51 41 38 29 45 71 87 102 115 115 100 99 83

( ... ) ( ... )

84

Kurzarb. 25

3 1 10 76 292 288 191 137 347 606

675 384 235 197 278 208

( ... )2

1083 904 30 93 1455

2 Bei veränderter Berechnung der Anzahl der ElWerbstätigen. Nach dieser Methode lauteten die Zahlen (in 1.(00) rur Jan. 1986: 26.525; Juli 1986: 26.907; Juli 1987: 27.102; Jan. 1988: 27.304. 3 Jahresdurchschnitt der KUlZllrbeiter. 4 ABM vom April 1990. 5 Arbeitslosigkeit ist statistisch nicht einfach zu erfassen. Vor allem enthält die Statistik die sogenannte "stille Reserve" des Arbeitsmarktes nicht: Personen, die sich nicht arbeitslos melden, obwohl sie Arbeit suchen - vor allem weil sie bereits resigniert und die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz aufgegeben haben (ältere Arbeitslose; Frauen, die als Hausfrauen "abtauehen" usw.). Zum Problem: W. Däubler, Das Arbeitsrecht 2, Reinbek 1986/4, S. 43 (im folgenden zitiert als 'AR 2'); W. Zöllner, Sind im Interesse einer gerechten Verteilung der vorhandenen Arbeitsplätze Begründung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse neu zu regeln?, Gutachten D rur den 52. DIT, S. 19 ff. (im folgenden zitiert als 'Zöllner D'). Die stille Reserve ist sehr schwierig zu messen, deshalb gehen auch die Schätzungen über ihre Höhe weit auseinander. Einige Beispiele (Einheit: 1.(00): R. AlbrechtlE. Reidegeld in BlStSozArbR 1979,273 (274) mit Über-

Vorbemerkungen

3

Deshalb kann es nicht überraschen, daß die Diskussion um das "Recht auf Arbeit" etwa von 1975 bis 1980 nicht nur im politischen und gesellschaftlichen Leben, sondern auch in der akademisch-juristischen (weniger der wirtschaftswissenschaftlichen) Diskussion - insbesondere im Staatsrecht, aber auch im Arbeitsrecht - nach vielen Jahren der Stagnation eine zweite Blüte erlebte und noch intensiver als während und nach der Schaffung des Grundgesetzes wurde. Leider zeigt die Erfahrung, daß auch für menschliches Leid ein Gewöhnungseffekt besteht. Massenarbeitslosigkeit war spätestens 1980 nicht nur feste gesellschaftliche Realität geworden, man fand sich offenbar im Laufe der Zeit resignativ mehr oder weniger damit ab. Die Arbeitslosigkeit blieb bis etwa 1989 bei nur gering (wenn auch stetig) rückläufiger Tendenz fast unverändert hoch. Den einigermaßen konstant gebliebenen Arbeitslosenquoten läßt sich jedoch nicht entnehmen, wie sehr sich der Arbeitsmarkt seit 1980 wandelte. Jugendarbeitslosigkeit spielt nicht mehr dieselbe überragend wichtige Rolle wie zum Höhepunkt der Krise von 1980 bis 19856 ; vor allem ist der Lehrstellenmangel weitgehend überwunden - der einzige echte und nennenswerte Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wurde auf diesem Gebiet erreicht. Verkannt werden darf auch nicht, daß zwischen 1984 und 1988 I Million7 , zwischen Januar 1989 und April 1991 über 1,5 Mio.8 Arbeitsplätze neu geschaffen wurden und damit die Beschäftigung in der alten Bundesrepublik den höchsten Stand seit ihrer Gründung erreichte. Diese Fortschritte wurden jedenfalls bis 1989 fast vollständig durch das verstärkte Drängen zusätzlicher Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt aufgezehrt. Jugendliche ("geburtenstarke Jahrgänge") und Aussiedler (1989/90 auch Ubersiedler) sind hier besonders zu nennen9 • Auf der anderen Seite veränderte sich die Struktur der Massenarbeitslosigkeit. Insbesondere das Phänomen der Dauerarbeitslosigkeit wurde zu einer imsicht (z.B. 1972: 144, 1978: 639); U. Spörel in S. Katterle/A. Rich, Religiöser Sozialismus ... , Gütersloh 1980, S. 74 (75) 670 (1977); J. Zerche in P. Herder-Dorneich, Die Sicherung des Arbeitsplatzes, Berlin 1979, S. 139 (145): 400-500 (1979); BlanklFangmann in AuR 1988, 235 (235): 1.100 (1988); M. Kittner, Arbeitsmarkt und Recht - Eine Einführung, in ders., Arbeitsmarkt - Ökonomische, soziale und rechtliche Grundlagen, Heidelberg 1981, S. 11 (94): 1. 370 (1988) (erscheint weit überzogen). Dagegen nimmt die Statistik auch Personen auf, die eigentlich nicht arbeiten wollen (einerseits echte Arbeitsunwillige, andererseits ältere Arbeitnehmer oder Frauen, die nicht in das Erwerbsleben zurückkehren wollen, aber sich für den Bezug der Arbeitslosenhilfe arbeitslos melden müssen; vgl. hierzu K. w. Rothschild, Theorien der Arbeitslosigkeit, München 1988, S. 5). 6 Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen (15 - 18 Jahre) liegt nunmehr deutlich unter der allgemeinen Arbeitslosigenquote (1985: 8,1 %; 1987: 6,6 %; 1988: 6,1 %) (Quelle: Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), Amtliche Nachrichten). Ältere Zahlen bei Voigt in Diskurs 1, 97 (102). 7 B. von Rosenbladt in MittAB 1990,373 (373). 8 s. hierzu Tabelle 1. 9 Rosenbladt (FN 8) ebd.; - allgemein zum Einfluß von demographischen Faktoren auf die Arbeitslosigkeit vgl. Rothschild, S. 126 ff.

4

VOItemerlrungen

mer stärkeren Belastung der betroffenen Menschen - die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit verlängerte sich im Laufe der Jahre enorm von 6,7 Monaten (1978) auf 13,6 Monate (1988 und 1990)10. Tabelle 2

Dauer der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit in Monateni) Jahr Dauer

1978 6,7

1980 6,4

1982 7,6

1983 9,2

Jahr Dauer

1986 12,5

1987 13,0

1988 13,6

1989 13,6

1984 10,5

1985 11,6

a) Quelle: Bundesanslaltfür Arbeit (Hrsg.), Amtliche Nachrichten.

Daneben zeigten sich immer stärkere Verdrängungseffekte. Bestimmte Problemgruppen wurden verstärkt von Arbeitslosigkeit betroffen, weil sie von besser qualifizierten, leistungsfähigeren oder scheinbar "unproblematischeren" Arbeitskräften mehr und mehr verdrängt wurden: Die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern, Ungelernten, Frauen und Ausländern wllchs überproportionalli. Tabelle 3

Arbeitslosenquote von Ausländern (in %); absolute Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten und Arbeitnehmern über S9 Jahre (Einheit: 1.000)") Jahr Ausländer Schwerb. Altere AN

1970 0,3% 5

1975 6,8% 24 53

1980 5,0% 68 65

1985 13,9% 136 106

1987 14,3% 127 90

1987 12,2% 127 106

a) Ältere Arbeitnehmer 1977 statt 1975; Quellen für alle Daten wie FN 2.

10 Diese Entwicklung ist besonders gefährlich, denn es ist empirisch nachweisbar, daß Arbeitslosigkeit sich selbst nährt: Je länger sie dauert, desto schwieriger ist es, einen Arbeitsplatz zu finden (Hysteresis; vgl. hierzu Rothschild, S. 123 f.). 11 Zu diesem Problem der ·S.:gmentation des Arbeitsmarktes· s. unten § 9 B II 2. Im übrigen sind die von Arbeitslosigkeit quantitativ am stärksten betroffenen Gruppen auch menschlich am schwersten von der Arbeitslosigkeit betroffen (J. Woller, Der Schutz des Arbeitnehmers vor betriebsbedingter Kündigung, Berlin 1980, S. 118 ff.). Zu den Problemgruppen des Arbeitsmarktes auch J. P. Bauer in RdA 1983, 137 (138); H. Hummel-LiljegrenlG. Kncht in BIStSozArbR 1979,226/241 (242); Zölln.:r D. 136 ff.; s. auch die Aufzählung in § 2 AFG.

Vorbemerkungen

5

Man sollte sich deshalb sehr genau darüber im klaren sein, daß die begrüßenswerten Erfolge bei der Erhöhung des Beschäftigungsstands nicht darüber hinwegtäuschen können, daß Arbeitslosigkeit, gerade die bei uns ungebrochene Massenarbeitslosigkeit, auch in den Jahren bis 1989 eines der wichtigsten gesellschaftlichen und sozialen Probleme der alten Bundesrepublik war. Leid und Angst der Arbeitslosen haben sich wegen der zunehmenden Tendenz zur Dauerarbeitslosigkeit und der damit verbundenen Ausweglosigkeit ihrer Lage eher noch verstärkt l 2. Demgegenüber war der "Boom" in der juristischen Literatur vorbei. Das "Recht auf Arbeit" und die Massenarbeitslosigkeit wurden kaum noch zur Kenntnis genommen. Einschlägige Monographien wurden nicht mehr geschrieben, Aufsätze beschränkten sich mehr auf Rechtsvergleichung oder einzelne, eher technische Aspekte auf speziellen Gebieten des Arbeitsrechts. Die Diskussion um eine verfassungsrechtliche Verankerung des "Rechts auf Arbeit" ebbte ab. Massenarbeitslosigkeit wurde verdrängt, weil sie quasi selbstverständlich geworden war. Der deutsche Einigung~prozeß brachte eine gewisse Verlagerung des Problems. Trotz zahlreicher Ubersiedler in die alte Bundesrepublik nahm die Arbeitslosigkeit schneller ab als in den Jahren zuvor. Dies war nicht nur auf die allgemein gute weltwirtschaftliche Lage und die Erfolge der Bundesrepublik Deutschland im Export zurückzuführen, sondern auch auf die Tatsache, daß durch die Durchlässigkeit des "eisernen Vorhangs" ein lang aufgestauter Bedarf nach westlichen, hochwertigen Konsumgütern frei wurde: Die Ostdeutschen "kauften" quasi "im Westen ein". Der Wirtschaft und dem Arbeitsmarkt in den alten Bundesländern half dies sehr. Demgegenüber brach die Wirtschaft und damit der (bisher ohnehin praktisch nicht vorhandene) Arbeitsmarkt der neuen Bundesländer zusammen. Ausfall der Nachfrage a!'s osteuropäischen Ländern, Freisetzung überflüssiger Arbeitsplätze beim Ubergang von einer ineffektiven Kommandowirtschaft zu einer wettbewerbsintensiven Marktwirtschaft und der Übergang eines Teils der vorhandenen Nachfrage hin zu "Westgütern" trafen zusammen und setzten Arbeitslose in einem erschreckenden und auch jetzt noch nicht völlig absehbaren Maße frei. Die Arbeitsmärkte "West" und "Ost" entwickelten sich in entgegengesetzter Richtung auseinander 13 • Erste aktuelle Statistiken wiesen im Beitrittsgebiet für den April 1991 836.940 Arbeitslose (Quote: 9,5 %) aus - allerdings bei 2.018.907 Kurzarbeitern, deren Freisetzung über kurz oder lang, weitgehend schon im Juli 1991, zu erwarten sein dürfte. Teilnehmer an Fortbildungsmaßnahmen wurden 374.128, an ABM (Zuteilung Januar bis April 1991) 211.678 gezählt l4 •

Zu den Folgen der Arbeitslosigkeit s. unten § 7 E VII 2 a bb. Weitere Hintergriinde zur Entwiclc.lung von Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in den neuen Bundesländern unter § 2 F IV. 12

13

Vorbemerkungen

6

Seriöse Schätzungen gehen von einer Arbeitslosenquote von 25 % im Jahr 1992 im Beitrittsgebiet aus l5 • Gleichzeitig flammte unter dem Eindruck dieser Entwicklung die politische Diskussion über das Recht auf Arbeit wieder auf. Die überwundene Verfassung der DDR hatte es garantiert l6 , für alle Verfassungen der neuen Bundesländer wurde es thematisiert17 und auch bei der Auseinandersetzung über die auf Grund der Einigung relevant gewordene Diskussion über eine (Teil-) Revision des Grundgesetzes im Spannungsfeld der Art 23 und 146 (alt und neu) GG18 spielt es eine Rolle. Es ist deshalb zu erwarten, daß auch für die Rechtswissenschaften eine gewisse Renaissance des Themas "Recht auf Arbeit" bevorsteht. Persönlich wünsche ich mir, daß diese Diskussion nicht erneut mit dem Fluidum des "Modethemas" und allen seinen Negativeffekten behaftet bleibt: Aus aktuellem Anlaß werden von den verschiedenen Seiten Aufsätze produziert, und nachdem man die Argumente ausgetauscht hat, ebbt die Diskussion wieder ab19 - man wendet sich neuen, "aktuellen" Themen zu, mit deren Bearbeitung sich nunmehr die "wissenschaftlichen Sporen" effektiver verdienen lassen. Das "Recht auf Arbeit" ist ferner eines der Felder, in dem bestimmte Vorverständnisse und Ideologien stark ausgeprägt sind. Dies verführt die Akteure des Prozesses der Verfassungsinterpretation und die Vertreter der verschiedenen, divergierenden Interessen besonders dazu, sich auf Statements, Aufzählung eigener Forderungen oder die Diffamierung des andersdenkenden "Gegners" zu beschränken. Natürlich gilt immer der jeweils eigene Standpunkt als rechtlich geboten. Ganz abstrakt und noch weitgehend metajuristisch sollten sich die Beteiligten an der Diskussion zunächst einmal zwei Aspekte vor Augen halten: (1) Das "Recht auf Arbeit" ist nicht etwa in diesen Monaten erneut aktuell ge-

worden, es ist vielmehr angesichts der Massenarbeitslosigkeit seit etwa 1973 ununterbrochen hochaktuell. Die Gesellschaft und ihre Juristen dürfen die Arbeitslosen nicht vergessen. Nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern in der ständigen Auseinandersetzung ist nach Mitteln zu suchen, mit denen man das Schicksal der arbeitswilligen Arbeitslosen verbessern

Quelle: Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), Amtliche Nachrichten. Wirtschaftswoche 1991, Heft 32, S. 12. 16 s. hierzu unten § 2 F m. 17 s. hierzu unten § 7 C m 2. 18 Allgemein zum Problem P. Häberle in JZ 1990, 358 tT.; M. Kriele in ZRP 1991, I tT.; W. Binne in JuS 1990,446 tT.; C. Dcgenhart in DVBI 1990,973 tT.; C. Tomuschat in DöV 1990, S. 608 tT. 19 Wenn auch zugegeben werden muß, daß diese Form der "aktuellen Wissenschaft" in der heutigen Kornmunikations- und Mediengesellschaft ihren legitimen Sinn hat, denn sie befriedigt den Bedarf der Parteien, Verbände, Medien etc. an wissenschaftlichen Analysen aktueller Pr0bleme; zu wünschen wäre darüber hinaus allerdings langfristige Forschung. 14

IS

Vorbemerkungen

7

kann. Arbeitslosigkeit ist nämlich - auch in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit - ein individuelles Schicksal. (2) Sinnlos wäre es, den Mitgliedern des anderen politischen "Lagers" die Gutwilligkeit abzusprechen. Wahrscheinlich kaum eine politische Forderung findet so breiten Konsens wie die Forderung nach hohem Beschäftigungsstand2ll • Alle Parteien von extrem links über die berühmte "Mitte" bis extrem rechts fordern den Abbau der Arbeitslosigkeit in ihren Programmen21 , Gewerkschaften22 und Arbeitgeber stehen ebenso hinter diesem abstrakten Ziel 23 wie alle Juristen, seien sie nun mehr dem einen oder dem anderen "Lager" oder keinem von beiden zuzurechnen. Ich bin auch der Überzeugung, daß dies mehr als Lippenbekenntnisse sind. Die (enormen) Meinungsverschiedenheiten liegen beim Finden eines gangbaren Weges. Die unterschiedlichen Standpunkte wird man mit Sicherheit nicht zur Deckung bringen können, doch ist es der Diskussion nicht förderlich (und dürfte auch unzutreffend sein), der Gegenseite die Gutwilligkeit absprechen zu wollen oder sich gar gegenseitig der bewußten Falschauslegung zwecks Verschwörung gegen die eigenen Interessen (die selbstverständlich all eine für legitim gehalten werden) zu bezichtigen24 • Wenn man einen Gegenvorschlag nicht akzeptiert, ihn gar für dysfunktional hält, dann sollte man ihm (ohne leugnen zu wollen, daß sich die Interessen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in erheblichem Maße gegenseitig ausschließen) wenigstens auf dem Gebiet des "Rechts auf Arbeit" den guten Willen nicht absprechen und zumindest als potentiellen Steinbruch für Ideen ansehen. In diesem Sinne sind auch zahlreiche Zitate und Nachweise in der vorliegenden Arbeit zu verstehen.

2lI Zöllner D. 94; Schäfer, S. 295 (312); B. B. Gemper in FS B. Gleitze, S. 129 (132); E. Wienholtz in AöR 109, 532 (537). Differenzierend G. Jortzig in SF 1979, 35 (39). 21 Zu den Parteien umfassend mit Originalzitaten B. Klees, Das Recht auf Arbeit, Frankfurt 1984, S. 154 ff. Zu Aussagen von links vgl. A. OndruschlM. Premssler in NJ 1983, 22 (23); M. H. Bobke in Marx. BI. 1978, Heft 2, S. 82 (82); D. Rogge in DRiZ 1980,335 (335 t). 22 Ausführliche Nachweise und Zitate zu verschiedenen Gewerkschaftsprogrammen bei Klees, S. 10 ff. Zum Maiaufruf von 1978 besonders W. Spieker in WSI-Mitteil. 1979, 156 (156); Kittner in ders., S. 11 (103 f.). Als typisches Beispiel der gewerkschaftlichen Forderungen sei das DGB-Grundsatzprogramm von 1981 zitiert (nach BlanklFangrnann in AuR 1988, 235 (236»: "Der soziale Rechtsstaat hat die Verpflichtung, die Grundlagen für die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit und Ausbildung zu schaffen. Die Vollbechäftigung und ihre Erhaltung sind dazu wesentliche Voraussetzungen". Aus jüngster Zeit konkrete Gewerkschaftsforderungen zum Recht auf Arbeit bei G. Muhr in SF 1988,328 (bes. 330 ff.) und G. Bäcker in Zf) 1988, 595 (bes. 598 ff.). Zu Forderungen im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit s. unten § 9 C 2. 23 Die beste Gesamtübersicht (einschließlich Parteien, Bundesregierung, Gewerkschaften, Kirchen, BDA) mit Originalzitaten bei K. Hemekamp, Soziale Grundrechte, Berlin usw. 1979, S. 135 ff. 24 Soweit geht leider sogar auch z.B. M. Kittner, Atbeits- und Sozialordnung, Köln 1990/15, S.I06. 3 Nenninger

8

Vorbemerkungen

B. Bemerkungen zur Methode Die Diskussion zum "Recht auf Arbeit" Ende der siebziger Jahre wies einige fragwürdige Besonderheiten (in meinen Augen: Fehlentwicklungen) auf. Ich werde versuchen, hieraus Schlußfolgerungen zu ziehen und diese Probleme unter anderem durch ihre Berücksichtigung bereits bei der Methodenwahl nach Möglichkeit in den Griff zu bekommen.

I. These 1: Begriffsverwirrung Jeder versteht etwas anderes unter dem Recht auf A.rbeit. Fast alle A.utoren schreiben darüber, ohne ihr Verständnis dieses Begriffes offenzulegen. Ergebnis: Vielerorts redet man aneinander vorbei.

Grob kann man die gegebenen Definitionen des Begriffs "Recht auf Arbeit" in drei Gruppen aufteilen2.'i: (1) Zahlreiche Autoren verstehen unter dem Recht auf Arbeit (ausschließlich) ein subjektives öffentliches Recht (sei es gegen den Staat, sei es gegen private Arbeitgeber gerichtet) auf Verschaffung eines Arbeitsplatzes26 • (2) Für andere ist das "Recht auf Arbeit" nur eine Chiffre für ein Bündel von Maßnahmen und/oder Rechtsnormen mit dem Ziel der Vollbeschäftigungspolitik, das aber darüber hinausgehend noch weitere Inhalte wie gerechte Arbeitsbedingungen (insbes. Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsschutz), Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung, Mitbestimmung, Kündigungsschutz21. 28 uvam umfassen kann29•30 • 2.'i Zur Mehrdeutigkeit des Begriffs "Recht auf Arbeit" vgl. nur L. Hambusch in AuR 1972, 268 (268); J. Pietzcker in NVwZ 1984,550 (556); ders. in Symposium Partsch, S. 15 (16); C. Tomuschat ebd.S. 45 (62 f); Wo. Thiele in RyffellSchwardtländer, S. 97 (97); O. Junge in Arbeitgeber 1978, 8 (8); T. Mayer-Maly, Staatslex. Bd. 1, Freiburg 1985, Sp. 209 (209); P. Schiffauer in EuGRZ 1987, 41 (43); L. Saner, Recht auf Arbeit ... , Bem 1985, S. 4; H. M. Pfarr in DuR 1973, 124 (124 f); Spörel, S. 74 (81). 26 F.1. Haun, Das Recht auf Arbeit, Berlin 1889, S. 3; Antoni, Staatslex. , Freiburg 1903, Sp. 753 (753 f); w. Steden, Das Recht auf Arbeit ... in P. Klenuner (Hrsg.), Arbeit und Beschäftigung ... , Köln 1980, S. 24 (26); Saner, S. 33; W. Schulgen, Das Recht auf Arbeit, Diss Aachen 1948, S. 19,60; Spörel, S. 74 (78); G. Stuby, Das Recht auf Arbeit als Grundrecht und als internationales Menschenrecht in U. Achten u. a., Recht auf Arbeit - eine politische Herausforderung, Neuwied usw. 1978, S. 75 (75); G. Brunner, Die Problematik der sozialen Grundrechte, Tübingen 1971, S. 12; H. Monjau, HdSW Bd. 8, Sp. 742 (742); F.Fabricius in BB 1986,881 (889); Junge in Arbeitgeber 1978, 8 (8); K. Kautsky in Die neue Zeit 2 (1884), 299 (301); H. Maier in AtSP 5 (1917), 382 (382); T. Brauer HdbStW 1925/4 Bd. VI S. 1202 (1203); T. Steimle in DAR 1942, 315 (315,316). 27 Als Beispiel für die Spannweite der Inhalte eines dergestalt weitgefaßten Begriffs des "Rechts auf Arbeit" vgl. P. Badura, Grundfreiheiten der Arbeit in FS Berber, S. 11 (35 f.); A. Menger, Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung, Stuttgart usw. 1910/4, S. 6 ff.; F. Gilles, Demokratie und Bismarck, Düsseldorf 1884, S. 105, 106 f.; R. Singer, Das Recht auf Arbeit in geschichtlicher Darstellung, Jena 1895, S. 81; F. Kunz, Das Recht auf Arbeit, Berlin 1955, S. 28, 63, 64 f., 66 f.; R. Lison in BldtintPol 1980, 863 (865 f); U.

Vorbemerkungen

9

(3) Wieder andere verstehen das "Recht auf Arbeit" als etwas, das zunächst einmal beide genannten Bereiche umfaßt31.

Das eigentliche Problem liegt darin, daß viele Autoren falsch verstanden werden, weil sie nicht hinreichend deutlich machen, was sie persönlich unter dem "Recht auf Arbeit" verstehen, wenn sie es fordern oder ablehnen. In der Tat ist die Heftigkeit und Polemik früherer Diskussionen weitgehend auf solche Mißverständnisse zurückzuführen. Es gibt praktisch keinen Autoren, der der Gewerkschaftsseite nahesteht und das Recht auf Arbeit als subjektives öffentliches Recht fordert. Dies tun selbst die Gewerkschaften nicht und z.B. auch nicht die SPD32. Auf der anderen Seite wird selbst von den Arbeitgebern die Berechtigung und Notwendigkeit von "Vollbeschäftigungspolitik" an sich nicht bestritten33 . Dennoch gibt es Veröffentlichungen, die die Verfassungswidrigkeit der (niemals gestellten) Forderung nach einem Recht auf Arbeit zu belegen suchen. Diese haben nur insoweit Berechtigung, wie sie zu analysieren versuchen, wieviel Recht auf Arbeit im geltenden Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland möglich ist; sie sind wenig sinnvoll, soweit sie sich darauf beschränken zu untersuchen, ob das Recht auf Arbeit als subjektives Recht im Rahmen des Grundgesetzes möglich ist34. Auf der anderen Seite gibt es Veröffentlichungen, die die (jedenfalls abstrakt nicht in Abrede gestellte) Zulässigkeit von Beschäftigungspolitik verteidigen. Hier redet man oft aneinander vorbei. Dies liegt wahrscheinlich auch daran, daß der Begriff des "Rechts auf Arbeit" vom Leser mit gewissen Inhalten "beladen" wird, wenn ihn Vertreter der "Gegen "seite verwenden, ohne ihn hinreichend präzise und unmißverständlich zu definieren. Die Diskussion wurde deshalb in der Vergangenheit häufig in sehr unfruchtbarer Weise von Engelen-Kefer, Beschäftigungspolitik, Köln 1976, S. 212; Antoni, Staatslex 1903, Sp 753 (758); Thiele in RyffellSchwardtländer, S. 97 (98). 28 Bei einer solch weiten Fassung des Begriffs werden die Übergänge zum "Recht der Arbeit" fließend. Zu diesem Begriff insbes. P. Häberle in JZ 1984,345 ff.; Badura in FS Berber, S. 11 ff. 29 M. Martiny, Das Recht auf Arbeit in historischer Sicht in FS Vetter, S. 448 (456); M. Benteie, Das Recht auf Arbeit in rechtsdogmatischer und ideengeschichtlicher Betrachtung, Zürich 1949, S. 58 ff.; O. Schilling, Die soziale Frage ... , München 1931, S. 141 f.; O. Weigert, Art 163 in H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung Bd. 3, Berlin 1930, S. 487; W. A. Malachowski, Recht auf Arbeit und Arbeitspflicht, Jena 1922, S. 75; Singer, S. 77, 80 f.; E. Migsch, Die absolut geschützte Rechtsstellung des Arbeitnehmers, München 1972, S. 115; F.Mestitz in Universitas 1976, 1173 (1181). 30 Ganz anders J. Hofstetter in Pol. Rundschau 1942, 2866 (292): rein sittliches Postulat. 31 G. Jortzig in SF 1979, 35 (35); K. Korinek in Gesellschaft und Politik 1979, Heft 2, S. 32 (34); G. Brakelmann, Das Recht auf Arbeit in J. Moltmann (Hrsg.), Recht auf Arbeit - Sinn der Arbeit, München 1979, S. 9 (15, 17); Ondrusch/Premssler in NJ 1983,22 (24); L. Wildhaber in FS M. hnboden, S. 371 (375); P. Schwerdtner in ZfA 1977, 47 (60); M. Cottier, Die arbeitsrechtlichen Bestimmungen der europäischen Sozialcharta, Kamp-Lintfort 1967, S. 90, 97; T. Tomandl, Der Einbau sozialer Grundrechte in das positive Recht, Tübingen 1967, S. 30. 32 Hierzu M. Kittner, Recht auf Arbeit ... in E.-W. Böckenförde/J. JekewitzlT. Ramm (Hrsg.), Die sozialen Grundrechte, Heidelberg usw. 1981, S. 91 (91); ders. in ders., S. 11 (93) mNw; Bobke in Marx. BI. 1978, Heft 2, S. 82 (83). 33 Vgl. Junge in Arbeitgeber 1978, 8 (8). 34 Hierzu kurz unten Vorbemerkung vor § 7.

10

Vorbemerkungen

den wirklich wissenschaftlich diskussionswürdigen Problemen auf scheinbar streitige Scheinprobleme abgelenk13s• Die vorliegende Arbeit versucht dem Rechnung zu tragen, indem sie zunächst keinen eigenen Begriff des "Rechts auf Arbeit" definiert. Vielmehr will sie sich von einem in einem sehr weiten Sinne rechts"vergleichenden" Ansatz zu einer Arbeitsdefinition hinführen lassen. Es soll nämlich zunächst einmal ohne inhaltliche Einschränkungen untersucht werden, wann, wo und in welchem Kontext was unter dem "Recht auf Arbeit" verstanden und gefordert wurde. Dabei hat "RechtS»vergleichung"" zwei Dimensionen: Die in der Zeit (rechtsgeschichtlieh) und die im Raum (eigentliche Rechtsvergleichung)36. In einem föderalen Staat hat die räumliche Rechtsvergleichung wiederum zwei Ebenen: eine externe (Vergleich mit dem Ausland37) und eine interne

3S Vgl. z.B. W. Däubler, Recht auf Arbeit verfassungswidrig?, in U. Achten u. a., S. 159 ff. Däubler wendet sich explizit gegen die Arbeiten von Rath (FN 40), Barth (§ 2 FN 56) und Schwerdtner (FN 34) (S. 161 1). In der Tat ist es eines der wichtigen Ergebnisse auch der Arbeit von Rath, daß ein Recht auf Arbeit als subjektives öffentliches Recht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Däubler wendet sich mit scharfen Worten (S. 165) hiergegen und legt dar, warum nach seiner Meinung auch ein solches Recht auf Arbeit nicht verfassungswidrig sei (S. 169 ff.); er erläutert seine Vorstellungen von Berufslenlrung als Voraussetzung der Verwirklichung des Rechts auf Arbeit (S. 173 f.) und kommt schließlich zum Ergebnis, daß auch nach seinem Konzept ein einklagbarer Anspruch auf einen konkreten Arbeitsplatz regelmäßig nicht in Betracht kommt (5. 174 f.). Dieses Ergebnis steht aber keineswegs in Widerspruch zum Ergebnis der Überlegungen von Rath; die Ausführungen Däublers gehen an denen Raths vorbei - meines Erachtens, weil beide letztlich von einem unterschiedlichen Begriff des Rechts auf Arbeit ausgehen, ohne sich dessen vollständig bewußt zu werden (s. aber die Andeutung bei Däubler FN 83). Die innere Widerspriichlichkeit des Aufsatzes von Däubler wird noch wesentlich schärfer kritisiert bei H. P. Moritz in RdA 1980,272 (272). 36 An dieser Stelle soll ohne weitere Vertiefung der These von P. Häberle in EuGRZ 1991, S. 261 (262) von der Wesensverwandtschaft von Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte zugestimmt. Die genannten drei Ebenen lassen sich in vielem (methodologisch und inhaltlich) auf einen gemeinsamen Nenner bringen - in der Zukunft wird es eine gemeinsame Theorie dieser Rechtsvergleichung im weiteren Sinne geben. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte K. ZweigertlH. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung Bd. 1, § 1 m 3. 37 Rechtsvergleichende Hinweise zum Recht auf Arbeit in Auswahl: Allgemein: M. Rath, Die Garantie des Rechts auf Arbeit, Göttingen 1974, S. 74 ff.; Hemekamp, S. 114 ff.; P. Häberle in AöR 109, 630 (642 ff.); Sachverständigenkommission StaatszielbestimmungenlGesetzgebungsaufträge Rdnr. 102 (jeweils mit zahlreichen abgedruckten Verfassungstexten); Brunner, S. 20 ff.; W. Daum in RdA 1968, 81 (82); Badura in FS Berber, S. 11 (37 ff.); Tomuschat in Symposium Partsch, S. 45 (45 ff.) unter besonderer Beriicksichtigung von Geschichte und Auslegung). Speziell zu den sozialistischen Staalen: K. Westen in RyffellSchwardtländer, S. 135 ff.; P. Häberle in AöR 109, 630 (647 ff.). Spezielle Hinweise zu einzelnen osteuropiJischen Staaten: Sowjetunion (R. Dörfler, Die Vereinbarkeit sozialer Grundrechte mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Diss. Erlangen 1978, S. 21 f.; Häberle in JZ 1984,345 (348 FN 23 mwNw); H. -J. Uibopuu in EuGRZ 1977, 228 ff.), Jugoslawien (I. Kristan in Die Verw. 14,465 (475 ff.»; CSSR (J. Georg in RdA 1984,236 ff.; J. Chysky in BIStSozArbR 1984,232 (233»; Polen (p. Badura in Der Staat 14, 17 (21».

Vorbemerkungen

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(Vergleich der einzelnen BundesländerJ8). In diesem Sinne soll (erst) nach Durchsicht dieser beiden Dimensionen eine explizite Entscheidung darüber getroffen werden, was für diese Arbeit sinnvollerweise unter dem "Recht auf Arbeit" verstanden werden kann und soll.

11. These 2: Das Recht und die Grenzen der "Machbarkeit" Rechtsanwendung muß in einer zweifachen Hinsicht die Vorgaben der Rechtswirklichkeit integrieren: Recht muß die Probleme der sozialen Wirklichkeit aufsparen und zu lösen versuchen - diese UJsungsversuche darfen aber ihrerseits wiederum nicht zu Ergebnissen (·Forderungen·)ftlhren, die vor dem Erkenntnisstand anderer WISsenschaftsdisziplinen als unhalrbar (·utopisch·, "unerfililbar .) erscheinen; Recht und seine Exegese stehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind gebunden an Erkenntnisse anderer WISsenschaften und die Grenzen, die durch diese gesetzt werden.

In der bisherigen Diskussion sind meiner Ansicht nach zu häufig politische Forderungen ("das Wünschenswerte") als rechtlich gebotene Verpflichtungen ausgegeben worden. Auf der anderen Seite diente die Argumentation mit den Grenzen des Machbaren häufig nur dazu, auch rein politische Zielvorstellungen als utopistisch abzutun. Recht darf sicherlich nicht utopische, unmögliche Verpflichtungen auferlegen. Diese Vorstellung ist eine der ältesten der Rechtskultur überhaupt ("Nulla supra possit"). In Deutschland fand sie ursprünglich ihre Positivierung im Zivilrecht (§§ 270, 275, 323 ff. usw. BGB), aber auch Aufnahme im Verwaltungs-39 und Staatsrecht«!. Gerade im Bereich des Rechts auf Arbeit kann die Rechtswissenschaft nicht alleine verbindlich entscheiden, was möglich, was "machbar" ist - hierfür fehlen ihr die Erkenntnismöglichkeiten. Sie ist zumindest noch auf die Erkenntnisse der Nationalökonomie angewiesen, wohl aber auch noch auf zahlreiche andere Nachbarwissenschaften wie z.B. die Soziologie. Andererseits ist auch der Erkenntnisstand der Volkswirtschaftslehre im hochkomplexen Bereich des Rechts auf Arbeit verhältnismäßig

Spezielle Hinweise zu einzelnen Staaten des westüchen Verfassungskreises: Schweiz (Saner, S. 27 tT., 89 tT.; H. -J. Wipfelder in RdA 1985, 93 (99 f.); Österreich (Wipfelder in RdA 1985, 93 (98 f.) und Heft 2 von Gesellschaft und Politik 1979), Griechenland (A. Ananiadis in RdA 1976, 186 (187», Spanien (M. von Schiller in RiW/AWD 1979, 242 (243 f.», Italien (Art I der Verfassung: "Italien ist eine auf Arbeit gegriindete Republik"- V. Schaub in R. Bieber/D. Nickel, S. 829 tT.), England (Rspr.bsp.: J. Dötsch in NJ 1982,68 (69», Frankreich (Rsp. : C. Deves in DöV 1989,249 (250); zur Geschichte P. Häberle in AöR 109,630 (637 f.) und im folgenden § I). J8 Mit P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, Heidelberg 1983/3 sollte man noch genauer vier Ebenen der Rechtsvergleichung unterscheiden: Die inner(bundes)deutsche (hierzu unten § 8 C), die europäische (hierzu unten § 8 D 0), die der deutschsprachigen Verfassungsstaaten (s. hierzu Hinweise oben FN 40) und die universale (5. hierzu auch § 7 D I, Iß). 39 Vgl. nur § 44 ß Nr. 4 Vwvro. «I s. hierzu speziell unten § 9 C I.

Vorbemerkungen

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beschränkt41 • Deshalb müssen die Entscheidungsprozesse der politischen Verantwortung übertragen werden, deren Richtung aber durch gewisse Ziel vorgaben beeinflußt werden kann. Vereinfachend gesagt: Es ist sinnlos, wenn das Recht als Verpflichtung die Verwirklichung von Wohlstand, Arbeit und Glück für alle vorschreibt. Recht hat Grenzen, man darf es nicht überschätzen. Allerdings ist es möglich, Zielvorgaben zu formulieren, z.B. in dem Sinne, daß Wohlstand, Arbeit und Glück für alle (d.h. realistischerweise für möglichst viele) anzustreben seien. Über die Wege dorthin kann das Recht nur beschränkte Vorgaben machen und diese auch nur nach intensivem und fortwährendem Dialog mit anderen Disziplinen. Deshalb versucht die Arbeit, zum einen zwischen Rechtspflichten und reinen Zielvorgaben genau zu differenzieren, zum anderen, das Recht nicht zu überfordern. Gerade im Bereich des "Rechts auf Arbeit" verstehe ich die Rechtswissenschaft als eine Wissenschaft neben zahlreichen anderen einschlägigen Wissenschaften. Vor allem ist sie eine wirklichkeitswissenschaftlich gebundene Wissenschaft42 , gerade im Bereich des Rechts auf Arbeit.

ill. These 3: Der sozio-kulturelle Kontext Recht muß nicht nur die Vorgaben anderer wisseruchafllicher Disziplinen respektieren, sondern sich auch aber die Tatsache Recheruchafl ablegen, daß es (bewußt und noch hllujiger unbewußt) ein Ergebnis seines sozio-kulturellen Kontextes ist: Interpretation ist nicht nur das Ergebnis der Anwendung wertjreier methodischer Regeln auf die Beziehung zwischen Norm und Sachverhalt, sondern Produkt kultureller Prllgung. Erkennen wir diese kulturelle Prllgung, wissen wir, warum ·wir· eine bestimmte Norm in einer bestimmten Weise interpretieren, dann können wir hieraus hllujig RackschlDsse auf den Zusammenhang zwischen Vorverstllndnis, Auslegung, Ergebnisdenken usw. ziehen und eine Rackkoppelung zwischen sozialer Wirklichkeit und Rechtsdenken erreichen, die der Qualilllt des Interpretatioruprozesses und -ergebnisses förderlich ist.

Andere Kulturen, seien sie nun durch die Zeit- oder durch die Raumdimension von uns getrennt, verstehen offenbar trotz mehr oder weniger identischer Wortwahl unter dem "Recht auf Arbeit" etwas völlig anderes als "wir" und versuchen auch auf anderen Wegen und mit unterschiedlicher Intensität, dieses Chiffre in der Rechtswirklichkeit nutzbar zu machen. Die Gründe für dieses unterschiedliche Verständnis liegen in einer soziokulturellen Tiefendimension. Verstehen wir, warum eine andere Kultur in einer bestimmten Weise ein bestimmtes rechtliches Problem angeht, dann können wir auch besser verstehen, warum wir einen bestimmten Ansatz bei einem vergleichbaren Problem wählen. Damit liefert uns die Rechtsvergleichung, hierzu die Nw § 7. Vgl. H. Heller, Staatslehre, Leyden 1934 (NachdNck Tübingen 1983/6), S. 37 ff.; P. Häberle, GNndrechte im Leistungsstaat in VVDStRL 30,43 (45); ders. in DöV 1972,729 (731). 41 S. 42

Vorbemerlrungen

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die sich im Grunde genommen als Kulturvergleichung (mit)verstehen muß 43 , nicht nur neue Ideen, wenn wir sehen, welche alternativen Lösungsmöglichkeiten es außerhalb unseres bisherigen Horizontes noch geben könnte, sondern sie hält uns gleichsam einen Spiegel vor, in dem wir unsere eigenen Vorverständnisse, Mißverständnisse, Vorprägungen, Beengtheiten und Befangenheiten mit einiger Anstrengung erkennen können. Im besten Falle können wir mit diesem Rüstzeug Irrwege erkennen und Irrationaliläten unserer Argumentation herausfiltern. Dies kann der Sachlichkeit und der Zielgerichtetheit der Diskussion, der Ausschaltung von externen und unterbewußten, aber störenden Vorprägungen nur förderlich sein~.

c. Die vorliegende Untersuchung und ihre Grenzen Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich auch zwanglos der Gang der Untersuchung. Zunächst einmal soll durch eine rechtshistorische Betrachtung der Begriff des "Rechts auf Arbeit" so weit eingegrenzt werden, daß in einem zweiten Schritt die Rechtswirklichkeit zu diesem Begriff in Japan untersucht werden kann. Dabei wird sich dann die Frage stellen, warum die Japaner zu ihrer spezifischen Auslegung und Anwendung dieses Begriffes in der Rechtswirklichkeit kommen, obwohl in Anbetracht des vorhandenen Normenmaterials nach deutschem Rechts(vor)verständnis ein solches Ergebnis wohl nicht zu erwarten gewesen wäre. Die Frage nach dem "Warum" führt in wirtschafts-, sozial- und kulturwissenschaftliche Bereiche und sollte unseren Blick schärfen für die Stoß richtungen, in denen ein Recht auf Arbeit wirken kann. Gleichzeitig wird es auch helfen, die Kontextbedingtheit der rechtlichen Diskussion offenzulegen. Mit diesem Rüstzeug soll an die Rechts- und Problemlage in Deutschland herangegangen werden. Eine Untersuchung des deutschen Rechts de lege lata zeigt auf, welche Gehalte des Rechts auf Arbeit im geltenden deutschen Recht nach augenblicklicher Rechtsauffassung niedergelegt sind und welche nicht. Auf diesen Befund werden die gewonnenen Erkenntnisse aus dem vergleichenden Teil angewandt. Dieses integrierende Konzept zeigt auf, ob der augenblickliche Normenstand ausreichend ist, wo seiner "geltenden" Rechtsauslegung gefolgt werden kann und wo nicht. Mit Hilfe der gewonnenen Einsichten läßt sich auch schärfer bestimmen, wie sich aus diesem Konzept heraus stimmig Schlüsse für die Auslegung bestimmter anderer Rechtsnormen ziehen lassen und welche Interessen Berücksichtigung finden müssen. Zuletzt lassen sich aus diesem Ansatz heraus auch Argumente für rechtspolitische Erwägungen gewinnen. Gleichzeitig treten auch die Grenzen dessen, was eine solche Untersuchung leisten kann, zu Tage. Der methodische Ansatz wurde gewählt im Bewußtsein, daß das Recht auf Arbeit nicht nur einen hochkomplexen Ausschnitt des Rechts beschreibt, der nicht auf theoretische Anwendungen beschränkt bleibt, 43 s. hierzu P. Häberle in VRÜ 23 (1990), 225 (250 f.); ders., Wesensgehaltgarantie, S. 415 ff.; ders., Verfassungslehre als Kultlllwissenschaft, Berlin 1982.

44 Dies ist nichts anderes als ein bescheidener erster Schritt in Richtung der Nutzbarmachung der Rechtsvergleichung als ("fünfte" 1!) Interpretationsmethode - hierzu P. Häberle in JZ 1989, 913 (916 ff.); ders. in VRÜ 23 (1990) 225, (244 ff.); ders. in EuGRZ 1991, S. 261 (267).

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Vorbemerkungen

sondern auch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen hochgradig vernetzt ist. Ein Jurist kann im beschränkten Zeit- und Raumrahmen einer Dissertation und mit seinem beschränkten Wissen in vielem nur Anstösse geben. Vor allem aber kann seine Arbeit auch dort in der Regel nur auf der Ebene von vertieften Plausibilitätsüberlegungen bleiben, wo ein erfahrungswissenschaftlicher Nachweis zumindest denkbar wäre. Für die intersubjektive Überprüfung aller hier beschriebenen Erkenntnisse sind Wissen, Mittel und Kraft eines Einzelnen nicht annähernd ausreichend. Außerordentlich problematisch ist gerade der Bereich des Vergleichs JapanIDeutschland in den wirtschaftswissenschaftlichen und soziologischen Aspekten. Direkt beide Länder vergleichende Untersuchungen gibt es kaum. Untersuchungen aber, die sich auf nur ein Land beziehen, sind sehr schwer vergleichbar, da die Rahmenbedingungen, der methodische Ansatz, die Kontrollmechanismen bei den Untersuchungen und die Interpretationsmethoden hinsichtlich der gefundenen Ergebnisse in den seltensten Fällen vergleichbar sind. Deswegen ist auch die Aussagekraft der eigenen Feldforschungen leider nur beschränkt, insbesondere auch weil es ihnen notwendigerweise an einer ausreichend breiten statistischen Basis und Streuung fehlt. Man muß sie realistischerweise als das sehen, was sie sind: Ein zusätzliches Argument, um die Plausibilität der eigenen Darlegungen nach Möglichkeit ein weiteres Stück zu erhöhen. Entsprechendes gilt für die Gefahr des Dilettierens auf fachfremden Gebieten bei interdisziplinären Ausführungen. Jeder., der versucht, in einem interdisziplinären, vernetzten Ansatz einen Uberblick über die relevanten Aspekte der Nachbardisziplinen zu geben, steht vor diesem Problem, egal von welcher Disziplin er herkommt. Dennoch muß die Arbeit von irgendjemandem geleistet werden. Dabei sollte dem Forschenden und dem Leser aber bewußt sein, daß der Forschende in den benachbarten und doch "fremden" Bereichen nur selten über das Niveau der (im günstigsten Falle vertieften) Plausibilität hinauskommen kann. Den Blick für das Ganze kann er zu schärfen, eine integrierende Sicht zu fördern versuchen, vielleicht kann er auch Richtungen weisen - die erfahrungswissenschaftliche Untermauerung wird er kaum jemals zu leisten vermögen. Dieser Balanceakt hat auch formelle Konsequenzen. Eine Arbeit wie die vorliegende, die eine Vielzahl verschiedener Wissenschaftsgebiete und Unterthemen anspricht, kann nicht den Ehrgeiz haben, die verfügbare Literatur in jeder Hinsicht vollständig auszuwerten - Nachweise mußten deshalb vielmals auf eine kleine Auswahl der relevanten Literatur beschränkt werden. Auf der anderen Seite macht ein interdisziplinärer Ansatz manchmal Fußnoten kopflastig, jedenfalls bei den zentralen Themen, wo sich die Schnittpunkte der verschiedenen Bereiche ergeben: Im Einzelfall habe ich mich entschlossen, durch sehr umfangreiche Nachweise zu dokumentieren, daß sich zu bestimmten Themen die Aussagen verschiedener Wissenschaften, verschiedener geschichtlicher Epochen, verschiedener Vorverständnisse decken (oder nicht decken). Besonders ausführliche Fußnoten bitte ich in diesem Sinne zu lesen.

Teil 1

Rechtshistorische Dimension Auf Grund der dargelegten begrifflichen Unklarheit des "Rechts auf Arbeit" soll in einem Abriß der Entwicklung der Diskussion um diese Forderung in Deutschland gezeigt werden, daß im Laufe der Zeit erheblich unterschiedliche soziale und juristische Phänomene mit dem Begriff des "Rechts auf Arbeit" belegt wurden. Darüber hinaus war eine kurze Darstellung der französischen Verhältnisse bis 1849 angezeigt, da auch hinsichtlich des Rechts auf Arbeit eine erhebliche Ausstrahlungswirlrung der französischen Verhältnisse auf die Entwicklung in Deutschland zu erkennen ist, deren Kenntnis das Verständnis der deutschen Prozesse erleichtert.

§ 1 Die Entwicklung in Frankreich

A. Vor 1789 Die Forderung nach einem "Recht auf Arbeit" konnte erst aufkommen, nachdem bestimmte geschichtlich-soziale Voraussetzungen eingetreten waren. Hier ist zunächst das Entstehen des Kapitalismus in seiner liberalistischen Spielart zu nennen, denn er setzte in großem Umfang überschüssige Arbeitskraft frei l . Arbeitslosigkeit allein führte jedoch noch nicht zu Forderungen nach einem "Recht auf Arbeit", denn bereits seit Ausklang des Mittelalters belegten die Probleme, die die Gesellschaft mit der immer mehr zunehmenden Bettelei hatte, daß es Arbeitslosigkeit nicht erst im Frühkapitalismus gab. Eine weitere Rahmenbedingung war auch der Aufstieg der Bürgerklasse, da sie einerseits in ihrem Wertverständnis Arbeit als Mittel der Selbstverwirkli1 C. Schminck-Gustavus, Recht auf Arbeit ... , in U. Achten u.a., S. 16 f.; Benteie, S. Ill; Klees, S. 15; Lison in BldtintPol 1980, 863 (869); E. Molitor, Staatslex., Freiburg 1957, Sp. 410 (411); Kautsky in Die neue Zeit 2, 299 (300); C. Mutafoff, Zur Geschichte des Rechts auf Arbeit, Bem 1897, S. 4 f.; F.Kunz, Des Menschen Recht auf Arbeit, Potsdam-Babelsberg 1989, S. 17. Vgl. auch H. Klages in RyffelfSchwardtländer, S. 13 (15, 17). Tiefgehend B. Prochownik, Das angebliche Recht auf Arbeit, Diss. Berlin 1891, S. 22 ff., der dort auch den Zusammenhang zur fast abrupt beginnenden Bevölkerungszunahme herstellt (s. hierzu auch H. HeIZ, Arbeitsscheu und Recht auf Arbeit, Leipzig usw. 1902, S. 24; Monjau, HdSW Bd. 8, Sp 742 (743). A.A. auch nicht Malachowski (vgl. S. 26 f. im Gegensatz zu S. 4). Zur Geschichte der Arbeitslosigkeit B. Weller, Arbeitslosigkeit und Arbeitsrecht, Stuttgart 1969, S. 1 ff.

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Teil 1: Rechtahistorische Dimension

chung einen besonders hohen Rang einräumte2, andererseits die bisherige starre Arbeitskräfteallokation des Zunftwesens und des Feudalismus durchbrach3 ; wer dann ohne Grund und Boden war, lief eben Gefahr, arbeitslos zu werden., was eine enorme Verschärfung des Arbeitslosenproblems bedeutete. Zuletzt aber setzte die Idee des Rechts auf Arbeit auch voraus, daß überhaupt die Idee der persönlichen Menschenrechte aus dem erst allmählich wachsenden rechtlichen Individualismus geboren wurdes. In Frankreich setzte A.-R. Turgot (ein Minister Ludwigs XVI.) 1779 mit einem Edikt einen ersten Meilenstein6 , in dem er scheinbar ein Recht auf Existenz durch Arbeit formulierte': -Wir schulden allen unsern UlIIertanen, ihnen den voUen und ganzen Genuss ihrer Rechte zu sichern. Besonders schulden wir diesen Schurz jener KÜlsse von Menschen, die, weil sie ausser ihrer Arbeit und ihrem Fleisse kein anderes Eigentum besitzen, umsomehr das Bedarfnis und das Recht haben, diese ihre einzige Existenzquelle in vollem Umfang zu nurzen. (. .. ) (seil.: Der Wille mancher zu Verletzungen dieses Rechts ist) so weit gestiegen, dass sie meilllen, das Recht zur Arbeit (droit de travailler) wc2re ein königliches Recht, welches der Farsl verkaufen könllle, und welches die UlIIerlanen erkaufen missten. Wir beeilen uns, einen 2 C. Schminck-Gustavul ebd.; Prochownik, S. 29. S. hierzu allgemein die Nachweise in § 7 E VD 2 (Arbeit als conditio humana und geschichtliche Entwicldung).

3 Kunz (1989), S. 17; Malachowski, S. 3, 10 ff.; Schäfer, S. 297 (301); Mutafoff, S. 6 f.; Klees, S. 15 . • Allerdings findet sich bereits eine in gewisser Weise auf ein Recht auf Arbeit hindeutende Formulierung im englischen Armengesetz von 1601 (Elisabeth 1.), nach der Armenaufseher den Hilfsbedürftigen Arbeit verschatTen sollten (englischer Text bei Menger, S. 12, FN 10; deutscher Text bei Prochownik, S. 16 = MutafotT, S. 7). Diese Bestimmung gab den Armen allerdings keinen Rechtsanspruch auf Arbeit, sondern war eine reine Wohlfahrtsmaßnahme, die sich mit Zwangsarbeit verband. Ihre Bedeutung gewinnt diese Norm aus der Tatsache, daß mit ihr erstmals ein Staat dokumentierte, daß er Arbeitslosigkeit als soziales Phänomen und als rechtliches Problem, das den Staat angeht, erkannt hat (Rath, S. 24; J. Eschenauer, Das Recht auf Arbeit in ethisch-politischer Perspektive, Frankfurt usw. 1983, S. 228 - vgl. hierzu auch Malachowski, S. 14, 27 und die Ausführungen bei Menger, und Prochownik ebd.). Zur Vorgeschichte dieser Regelung Ma1achowski, S. 8, zu ähnlichen ersten regionalen Bestimmungen im deutschsprachigen Raum vgl. Herz, S. 22 f.; MutafotT, S. 7; Haun, S. 9 ff. Die Idee, die hinter einer solchen Bestimmung steckt, ist allerdings noch wesentlich älter. In den frühchristlichen Gemeinden wurden die Worte des Paulus "Wer nicht arbeiten will, soll nicht essen" (2 Tbe.. 3, 10) sehr ernst genommen (weitere einschlägige Zitate aus AT und NT bei H. Hummel-Liljegren, Zumutbare Arbeit, Berlin 1981, S. 22 bzw. S. 24; Vgl. bes. auch Ps. 90, 10: wenn das Leben "köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen"), was zu der Richtschnur der frühchristlichen Gemeinden "Dem Arbeitsfähigen Arbeit, dem Arbeitsunfähigen Hilfe und Mitleid" führte (zitiert nach H. Hummel-Liljegren, wie oben, S. 15). VgI. hierzu auch W. Zimmerli, Mensch und Arbeit im AT in Moltmann, S. 40 ff. und J. Moltmann in den., S. 59 (63 f.) - ausführlichere Nachweise zum Vemältnis des antiken Christentums zur Arbeit in § 7 E VD 2 a bb. S Benteie, S. 111; Schminck-Gustavus, S. 18. Angedeutet schon bei Prochownik, S. 28; MutafotT, S. 8. 6 Zu Spuren des Rechts auf Arbeit bei noch früheren Vorläufern vgl. F. Stier-Somlo, Reichsund Landesstaatsrecht, Berlin usw. 1924, § 66 I 8. , Zitiert nach MutafotT, S. 18 FN I = Benteie, S. 96 f = Prochownik, S. 18 f = Klees, S. 18. Franz. Original bei Singer, S. 2 FN 1.

§ 1 Die Entwicklung in Frankreich

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derartigen Grundsatz zurückzuweisen. Indem Gott dem Menschen Bedürfnisse gegeben und ihn zur Arbeit genötigt hat, damit er davon lebe, machte er das Recht zu arbeiten zum Eigentum eines jeden Menschen. (.. .) (Seil.,' Wir wollen) unsere Untertanen von allen Fesseln befreien, welche dieses unverjiihrbare Menschenrecht beschränkten ".

In Wirklichkeit waren hiermit nur die Gewerbefreiheits, also ein Recht auf das Ergreifen selbständiger Arbeit, somit gewissermaßen ein "Recht zur Arbeit"9, aber auch Sozialhilfeeinrichtungen gemeint1o• Dennoch sollte die politische Brisanz dieses Edikts nicht unterschätzt werden, denn es postulierte, daß Eigentum durch Arbeit legitimiert werde, kritisierte somit Eigentum, das nicht durch (eigene) Arbeit erworben wurdell und zerstörte damit auch endgültig die Grundlagen der zerfallenden Zunftordnung l2 , führte zur Abschaffung noch vorhandener feudaler Fesseln und bereitete dem Durchbruch der kapitalistischen Wirtschaftsordnung rechtlich den Boden\3.

B. Während der Französischen Revolution (1789-1795) I. Die Erklärung der Menschenrechte von 1789 1789 wurde die Forderung nach dem Recht auf Arbeit das erste Mal von Politikern aufgegriffen. Der Abgeordnete Target schlug am 27. 07. 1789 im Verfassungskommitee unter dem Eindruck von Massenarbeitslosigkeit in Paris als Artikel 6 eines Entwurfs der "Erklärung der Menschenrechte in der Gesellschaft" vor, daß der Staat jedem Menschen die Mittel zum Unterhalt durch Eigentum oder Arbeit schulde l4 • ln der Nationalversammlung vertrat Malouet am 01. 08. 1789 die Idee des Rechts auf Arbeit. Im Ergebnis liefen seine Vorschläge aber nicht auf einen Anspruch des Einzelnen, sondern auf 8 R. Leinweber, Das Recht auf Arbeit im Sozialismus, Marburg 1983, S. 4; Dörfler, S. 10; Singer, S. 2 f., 4; Mutafoff, S. 19 (FN); Klees, S. 16; T. Ramm in RyffeIlSchwardtländer, S. 65 (66); Brauer, HdbStW, S. 1202 (1203). 9 Kuczynski, Menschenrechte und Klassenrechte, Berlin 1978, S. 73; Menger, S. 14; Schäfer, S. 295 (302); Schminck-Gustavus, S. 18; Malachowski, S. 30; Ralh, S. 25; Prochownik, S. 19; Benteie, S. 97; Singer, S. 5; A. Stein, Das Recht auf Arbeit als Grundrecht, Diss. Mainz 1959, S. 2; Mutafoff ebd.; Brauer ebd. 10 Schminck-Gustavus ebd; Kunz (1989), S. 14. Turgot erklärte nämlich auch: "Jeder gesunde Mensch muß sich seinen Unterhalt durch seine Arbeit verschaffen, weil er, falls er ohne zu arbeiten ernährt würde, auf Kosten der Arbeitenden unterhalten würde. Der Staat schuldet jedem seiner Mitglieder die Beseitigung der Hindernisse, die sie belästigen" (zitiert nach A. Wacker, Arbeitslosigkeit ... , Frankfurt usw. 1976, S. 29). 11 Kunz ebd.; Ramm in Ryffel/Schwardtländer, S. 65 (66). 12 Kunz ebd.; Kuczynski, S. 73; Schäfer, S. 295 (302); Martiny in FS Vetter, S. 449 (462). Mit guten Argumenten a.A. (erst 1791 erreicht): Schminck-Gustavus, S. 19; M. Stürmer, Herbst des Alten Handwerks, München 1979, S. 26 f. \3 Leinweber, S. 4. 14 Singer, S. 7; Schminck-Gustavus, S. 19; Prochownik, S. 38; Ralh, S. 26 mwNw FN 12; Malachowski, S. 30; Klees, S. 16; A. Stein, S. 5 (FN 2). Franz. bei Mutafoff, S. 9 = A. Stein, S.5 = Saner S. 65.

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Teil 1: Rechtshistorische Dimension

eine staatliche Beschäftigungspolitik hinaus u . Diese Vorstöße konnten sich allerdings nicht durchsetzen. Die Erklärung der Menschenrechte vom 26. 08. 1789 garantierte zwar das Recht auf Eigentum, ließ jedoch das Recht auf Arbeit unerwähntl6. 1789 wurden auch erstmals Staatswerkstätten eingerichtet (zunächst im Mai durch die Stadt Paris), die unter dem Eindruck der Vorschläge Malouets durch Beschluß der Nationalversammlung vom 31. 08. 1789 weiter institutionalisiert wurden17 ; bis zu 30.000 Arbeitnehmer waren dort beschäftigtl8 . Die Staatswerkstätten waren dem Grund nach Fürsorgeeinrichtungen l9, denn der (unter dem üblichen Niveau liegende Lohn) wurde auch gezahlt, wenn Arbeit nicht vermittelt werden konnle3i. Auf Grund der schlechten Wirtschaftslage und mangelnder Arbeitsdisziplin blieben die Staatswerkstätten ineffektiv und erfolglos; deshalb wurden sie nach kurzer Zeit wieder aufgelöst21 •

11. Die Verfassung von 1791 Diese negativen Erfahrungen führten dazu, daß das Recht auf Arbeit in der Verfassung vom 03. 09. 1791 nur noch als programmatisches Versprechen Aufnahme fand 22 ; Art 21 der Verfassung von 1791 lautete: "Die 6ffentlichen Unterst;UZungen sind eine heilige Verpflichtung. Die Gesellschaft schuldet den unglücklichen Bargern Unterst;UZung entweder dadurch, daß sie ihnen Arbeit verschaffi, oder daß sie den ArbeitsunflJhigen die Existenzminel gewiJhrt"'13.

m. Die Verfassung von 1793 Robbespierre hatte in seinem Entwurf der "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" besonders in Art 11 ein natürliches Recht auf Arbeit, ArbeitsU Klees ebd.; Singer, S. 7 f.; Benteie, S. 113; Schminck-Gustavus ebd.; Mutafoff, S. 9 f. Ähnlich: A. Stein, S. 5; Eichenauer, S. 229; ausführlich: Prochownik, S. 39 ff. und Mutafoff, S. 9 ff. (mit franz. Originalzitaten). Abweichend: Kuczynski, S. 73 (Existenzsicherung). 16 Singer, S. 9; Kuczynski ebd.; Dörfler, S. 10; Schminck-Gustavus, S. 20; Malachowski, S. 31; Rath, S. 26; Klees, S. 16; Mutafoff, S. 13; Monjau, HdSW Bd. 8, Sp 742 (743); H. Maier in ASP 5, 382 (383). Vgl. den vollständigen französischen Text bei Godechot, Les Constitutions de la France depuis 1789, Paris 1984, S. 33 ff. 11 Malachowski, S. 30; Rath, S. 26 mwNw FN 13; Singer, 6 ff. 18 Brauer, HdbStW, S. 1202 (1203); Malachowski, S. 31; Singer, S. 8. 19 Leinweber, S. 5; Rath, S. 27; Schminck-Gustavus, S. 20; Eichenauer, S. 229. 111 Brauer ebd.; Malachowski, S. 31 f.; Mutafoff, S. 13. 21 Brauer ebd.; Schminck-Gustavus, S. 20; Rath, S. 27; Saner, S. 65; Singer, S. 8. Vergleichbare Staatsbetriebe gab es offenbar während der gesamten Revolutionszeit, aber später nur noch in sehr geringem Umfang (A. MathiozlG. Lefebvre, La Revolution Francaise Bd. D, dt. Zürich 1950, S. 746, 749). 22 Benteie, S. 113 f.; Cemy in RdA 1967, I, (1); Rath, S. 27 mwNw FN 17; Singer, S. 9. A.A. (gewisse unbestimmte Verwirklichung des Rechta auf Arbeit): R. Wissei in AuR 1954, 129 (129); (Rechtspflicht des Staates) F.Stöpel, Das Recht auf Arbeit, Leipzig 1884, S. 13 f. 23 Zitiert nach Rath, S. 27 FN 17. Franz. bei Mutafoff, S. 14.

§ 1 Die Entwicklung in Frankreich

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beschaffung, Unterstützung niedergelegt; der Entwurf wurde am 24. 04. 1793 im Nationalkonvent beraten24 • Nach dem Machtwechsel im Mai 1793 fand zumindest dieser Vorschlag Robbespierres in der Fassung von Herault de Sechelles als Art 21 Aufnahme in die Verfassung vom 24.06. 179325: WDie 6Jfentliche Unterstatzung ist eine heilige Schuld. Die Gesellschaft schuldet ihren unschuldig in Not geratenen Mitbargern den Unterha«, indem sie ihnen entweder Arbeit verschafft, oder denen, die außerstande sind, zu arbeiten, die Minelfür ihr Dasein sicherl"26.

Mit unterschiedlichen Begründungen wird dieser Vorschrift aber nur der Charakter einer Existenzsicherungsgarantie, eines Versprechens im Rahmen eines begrenzten Systems der Arbeitslosenfürsorge zugeschrieben27 •

c. Nach der Französischen Revolution bis 1848 Auch in die Verfassung von 1795 wurde nur ein Abwehrrecht (im wesentlichen im Sinne von Gewerbefreiheit) aufgenommen2ll • Die Problematik des Rechts auf Arbeit wurde in den folgenden Jahrzehnten nur noch theoretisch, jedoch sehr intensiv untersucht.

J.

eh. Fourier

Charles Fourier verwandte nicht nur als erster die prägnante Formel "Recht auf Arbeit" ("droit au travail"), sondern gab ibm auch erstmals eine philosophisch-theoretische Begründung29 (1808). Seine Begründung hatte religiös-sozialen Charakter, er leitete das Recht auf Arbeit aus dem Wesen der Freiheit ab; Freiheit und Arbeit waren für ihn fast synonyme Begriffe. Gleichzeitig 24 Malachowski, S. 32; Bentele, S. 114; Prochownik, S. 43; Schminck-Gustaws, S. 21; Mutafoff, S. 14 ff. mit Textbeispielen. 25 Benteie ebd. 2ti Zitiert nach Malachowski, S. 32 = Prochownik, S. 44 = Leinweber, S. 5 f. Französischer Text bei Godechot, S. 82 = Singer, S. 9 = Mutafoff, S. 16 = A. Stein, S. 19 = H. -1. Wipfelder in ZfSH 1982,289 (289). 27 Leinweber, S. 6 (das Privateigentum war nicht eingeschränkt, sondern garantiert, so daß ein subjektives Recht nicht zu verwirklichen war); Benteie, S. 115 (historische Argumentation); Däubler, AR 2, S. 52 (zur Verwirklichung waren nur Mittel der" Annenpolizci" vorgesehen). In diesem Sinne auch Wipfelder ebd.; Rath, S. 27; Malachowski, S. 32; Brauer, HdbStW, S. 1202 (1203); Kuczynski, S. 73; Schminck-Gustaws, S. 21; F.Ruland, Das Recht auf Sicherung gegen Arbeitslosigkeit in RdJB 1984, 85 (91); Schäfer, S. 295 (302); Wissei in AuR 1954, 129 (129); Menger, S. 12 f.; Monjau, HdSW Bd 8, Sp 742 (743); G. Ritter in R. Schnur (Ursg.), Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, Dannstadt 1964, S. 202 (228); Saner, S. 68; Klees, S. 12; Singer, S. 9; Mutafoff, S. 16 f.; A. Stein, S. 29. Etwas weitergehend: A. Berenstein, Die Entwicklung und Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte in Council ofEurope (Ursg.), Die Europäische Sozialcharta, S. 15 (18). 211 In Art 5 der Verfassung (französischer Text bei Godechot, S. 101). Hierzu Rath, S. 28; Mutafoff, S. 17. Zu den Hintergriinden MathiozlLefcbvre, S. 818 f. 29 Benteie, S. 117; Schminck-Gustaws, S. 22; Mutafoff, S. 20; A. Stein, S. 6; Klees, S. 18; Saner, S. 71 f.; V. Schaub in Bieber/Nickel, S. 829 (829 FN 1).

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Teil 1: RechlihilltOrilChe Dimension

erkannte er diesem Recht den Rang des ersten und wichtigsten Menschenrechts ("Recht aller Rechte") zu. Allerdings war er der Auffassung, daß das Recht auf Arbeit in der bestehenden Gesellschaftsordnung nicht zu verwirklichen sei, so daß er ein System von "Genossenschaften" (phalanst6res) ersann, das sich allmählich über die ganze Erde ausbreiten sollteJO. Zwar gehen die Ideen Fouriers im einzelnen bis ins Versponnene3 1, doch kommt ihm das Verdienst zu, daß er als erster klar formuliert hat, daß die bürgerlichen Menschenrechte nur dann wahren Sinn entfalten und von allen wahrgenommen werden können, wenn sie durch die sozialen Grundrechte mit dem Recht der Arbeit als deren Mittelpunkt mit faktisch-materieller Substanz erfüllt werden32 • Fourier begründete diese Auffassung auch mit dem Argument, daß im Laufe der Zeit ein Teil der Menschen durch ihr Eigentum privilegiert wurde hierfür müsse den Besitzlosen als Ausgleich das Recht auf Arbeit zukommen33 •

ß. V. P. Considmmt Bedeutendster Vertreter der Schüler Fouriers war V. P. Considerant. Zwar leitet auch er das Recht auf Arbeit aus den Naturrechten ab, doch will er es innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung verwirklichen, "um sie zu retten"34 (1835/38). Vor allem bringt er das Recht auf Arbeit und das Eigentumsrecht in engen Zusammenhang. Er war der Auffassung, daß der Mensch im wilden Zustande im Rahmen unbeschränkten Zugangs zu den natürlichen Ressourcen seinen Lebensunterhalt sichern konnte. Nachdem nunmehr in der zivilisierten Gesellschaft das Eigentum, besonders an Grund und Boden, von relativ wenigen beansprucht wird, sind die anderen, die nicht über Eigentum verfügen, ihrer natürlichen Existenzgrundlage beraubt. Als Ausgleich müsse die Gesellschaft diesen Besitzlosen das Recht auf Arbeit garantieren und ihnen dadurch ihre Existenzmittel verschaffen35 • Dieses Recht (und zwar nur auf unqualifizierte Arbeit) sollte verwirklicht werden durch eine gewisse Umgestaltung der Gesellschaft mit planwirtschaftlichen Zügen, freie Organisation der Industrie, Maßnahmen öffentlicher Arbeitsbeschaffung36 •

30 Leinweber, S. 9 f.; Malachowski, S. 35; Benteie, S. 117 f.; Kuczynski, S. 83 ff.; Rath, S. 28; Saner, S. 73. Ausführlich mit zahlreichen Originalzitaten Mutafoff, S. 24 ff.; Singer, S. 10 f. 31 Malachowski ebd.; Kuczynski, S. 83. Beispiele bei Schminck-Gustavus, S. 24 f. 32 Schminck-Gustavus, S. 23; Leinweber, S. 11; Mutafoff, S. 35 ff. 33 Malachowski, S. 36; A. Stein, S. 6, Rath, S. 28 mwNw FN 21; Eichenauer, S. 229; Singer, S. 11. 34 Schminck-Gustavus, S. 25; Rath, S. 29; Leinweber, S. 11; Klees, S. 18 f.; Saner, S. 74 f. 35 Schminck-Gustavus ebd.; Menger, S. 17 f.; Benteie, S. 119; Singer, S. 13; Mutafoff, S. 57 f.; Saner, S. 75. 36 Singer, S. 14; J. W. Hedernann, Das Recht auf Arbeit als allgemeines Menschenrecht in: FS Bochmer, S. 51 (52); Benteie, S. 120; Mutafoff, S. 60.

§ I Die Entwicldung in Frankreich

21

ill. P. J. Proudhon P. J. Proudhon wurde besonders duch seine scharfe Kritik des Eigentums ("Eigentum ist Diebstahl") und einer Eigentum garantierenden Gesellschaftsordnung bekannt. Er erkannte zwar grundsätzlich das Recht auf Arbeit als natürliches Recht des Menschen an ("Gebt mir das Recht auf Arbeit, und ich schenke euch das Eigeutum"31), lehnte aber einen individuellen Rechtsanspruch auf Beschäftigung im erlernten Beruf ab; die positive Verrechtlichung des Rechts auf Arbeit wollte er durch eine neue, sozial-solidarische Gesellschaftsordnung überflüssig machen38 ; sie sollte auf einem kODlJ?lizierten Tausch- und Kreditsystem beruhen39 . Insgesamt werden Proudhons Außerungen zu Eigentum und Recht auf Arbeit häufig als widersprüchlich bezeichnet40 •

D. In den Jahren 1848/49 Die Auseinandersetzungen über das Recht auf Arbeit in den Jahren 1848/49 sind nicht nur auf dem Hintergrund dieser Theoriendiskussion zu sehen, sondern auch im politischen (Zusammenstoß zwischen Sozialismus und Liberalismus, gerade nach der Februarrevolution 184841 ) und wirtschaftlichsozialen (Mißernte 1846, Handelskrise 1847, enorme Zunahme der Arbeitslosigkeit42) Kontext dieser Zeit.

I. L. Blane und die Nationalwerkstätten Louis Blanc hatte bereits 1839 eine Schrift ("Organisation du travail") veröffentlicht, in der er seine Vorstellungen zur Verwirklichung eines Rechts auf Arbeit durch Intervention des Staates und Ausschaltung des Wettbewerbs darlegte43 • Im Verlauf der Revolution vom 22. 02. 1848 war er einer der maßgebenden Arbeiterführer und Arbeitsminister der neuen Regierung. Am 25. 02. 1848 erließ er unter dem Eindruck der Drohungen eines bewaffneten, eingedrungenen Arbeiters ein Dekret mit folgendem Wortlaut:

31 Zitiert nach Malachowski, S. 39 = E. Eckardt, Die Gnmdrechte vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart, Breslau 1913, S. 81 = Ramm in Ryffel/Schwardtländer, S. 65 (12). 38 Mutafoff, S. 67 ff.; Benteie, S. 121. 39 Menger, S. 71 ff.; Benteie, S. 123; Singer, S. 22; Mutafoff, S. 67 f. 40 Benteie, S. 122; Rath, S. 30; Malachowski, S. 40. Vgl. die Nachweise bei Malachowski, S. 38 ff., Singer, S. 21 f., 23 ff. und Mutafoff, S. 65 ff., die Proudhon auch als Gegner des Rechts auf Arbeit ausweisen, sowie die Kritik bei Menger, S. 76. 41 Vgl. hierzu Benteie, S. 124. 42 Vgl. Leinweber, S. 11. 43 Malachowski, S. 40 f.; Benteie, S. 126; Schminck-Gustavus, S. 29 f. Zu den theoretischen Vorstellungen von L. Blanc bes. Singer, S. 35 ff.; Mutafoff, S. 62 f.; Saner, S. 76 ff.

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Teil 1: Rechtshistorische Dimension

"Die provisorische Regierung der jranz.tJsischen Republik verpflichtet sich, die Existenz. der Arbeiter durch die Arbeit sichenustellen. Sie verpflichtet sich, allen BQrgern Arbeit zu garantieren (. ..)"44.

Zur Verwirklichung dieses Dekrets wurden zwei Tage später Nationalwerkstätten und am 06. 03. eine kostenlose Arbeitsvermittlung eingerichtet. Bereits nach einem Monat hatten sich mindestens 100.000 Arbeitslose in den Werkstätten zur Arbeit gemeldet, die größtenteils mit wenig sinnvollen Arbeiten betraut wurden. Die Arbeitsdisziplin war sehr gering; auch wenn keine Arbeitsgelegenheit bestand, wurden die üblichen Löhne als Unterstützung ausgezahlt. Die Nationalwerkstätten wurden unbezahlbar teuer und am 04. 07. 1848 nach schweren Auseinandersetzungen geschlossen4!i. Nach gängiger Darstellung dienten die Nationalwerkstätten den bürgerlichen Kräften innerhalb der Revolutionsregierung vorwiegend dazu, die Idee des Rechts auf Arbeit (von dessen Realisierung ausgehend sie ein Entstehen des Sozialismus befürchteten) zu diskreditieren, die Massen zu beruhigen und allmählich die sozialistischen Kräfte zu entmachten; sie können nicht als ernsthafter Versuch gewertet werden, das Recht auf Arbeit mit Hilfe staatlicher Einrichtungen zu verwirklichen46 • ll. Die Verfassung von 1848

Kurz vor der Revolte am 21. Juni 1848 stimmte die Verfassungskommission, dem Druck der Arbeiter nachgebend, einer Anerkennung des Rechts auf Arbeit in Art 7 eines Entwurfs von Cormenin zu: "Das Recht auf Arbeit ist das Recht, das jeder Mensch hat, durch Arbeil seinen Lebensunterhall zu erwerben. Die Gesellschaft soll durch die Produktion und die allgemeinen Mittel, aber welche sie verfügen kann und die noch organisiert werden sollen, allen ArbeilsftJhigen, die sich nicht auf andere Weise Arbeil verschaffen können, solche liefern "41.

Die Würdigung dieses Entwurfes ist sehr umstritten, Anspruchsqualität sollte man ihm jedoch wohl nicht zuschreiben". 44 Mutafoff, S. 72; Däubler, AR 2, S. 52; Schminck-Gustavus, S. 24 f.; Malachowslci, S. 42; Leinweber, S. 12. Kritisch zu dieser Darstellung der Ereignisse Prochownik, S. 53 ff. Franz. Original der Erklärung bei Singer, S. 42 = Saner, S. 81. 4!i Hedemann in FS Boehmer, S. 51 (53); Saner, S. 82 f.; L. Elster, HdbStW Bd. 6, Jena 192516, S. 734 (735); Leinweber, S. 12 f.; Singer, S. 13 ff.; Schminck-Gustavus, S. 31 f.; Malachowslci, S. 44; Prochownik, S. 58 ff.; Stöpel, Das Recht auf Arbeit, S. 15 f.; Mutafoff, S. 74 ff.; Antoni, Staatslex 1903, Sp. 753 (754). Zur Diskussion, die mit den Nationalwerkstätten verbunden war: Menger, S. 20 f. Teilweise werden auch geringfügig abweichende Daten genannt, z.B. der 28. 06. 1848. 46 Rath, S. 34; Däubler, AR 2, S. 53; Leinweber, S. 14; Menger, S. 20; Eichenauer, S. 231; H. Henning in Ryffel/Schwardtiänder, S. 31 (44); Mutafoff, S. 74; Elster, HdbStW, S. 735 (736). Weniger kritisch Brauer, HdbStW, S. 1202 (1203). 41 Zitiert nach Rath, S. 35 = Prochownik, S. 60 f. = Eckhardt, S. 81. Vgl. auch Malachowslci, S. 46. Franz. Original bei Mutafoff, S. 76 f. 48 Ablehnend auch Eckhardt ebd.; Singer, S. 50; Benteie, S. 128; Rath, S. 35; Haun, S. 28. A.A. (Rechtsqualität): Malachowslci, S. 45 f.; A. Stein, S. 21.

§ I Die Entwicklung in Frankreich

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Nach den Juniunruhen und der Niederlage der Arbeiter wurde noch zurückhaltender formuliert. Der Entwurf von A. Marrast vom 29. 08. 1848 traf folgende Regelungen: WDie RepuhüJc soll den Barger beschillzen in seiner Person, seinem Eigentum, seiner Arbeit und jedem den}Ur alle notwendigen Unterhall zuglJngüch machen. Sie schuldet den bedarftigen Bargern den Unterhall, sei es, indem sie ihnen Arbeit verschaßt, sei es, daß sie, wo die Familie nicht ausreicht, die Existenzminel denjenigen gibt, welche außerstande sind, zu arbeiten. (Art 8); WWesentüche Garantien des Rechts auf Arbeit sind: 1) Die Freiheit der Arbeit seihst. ( .. ) 7) Die von Seiten des Staates hergestelile Einrichtung öffentlicher Arbeiten, die geeignet sind, unbeschlJjtigte HlJnde zu verwenden. (Art 132 als wDurchjUhrungsvorschrijtw)49. W

W

Mathieu de la Dröme brachte einen Gegenvorschlag ein, in dem er wesentlich dezidierter ein wohl echtes Recht auf Arbeit garantieren wollte50. Am 05. 09. 1848 begann eine heftige Debatte über das Recht auf Arbeit in der Nationalversammlung. Unter dem Eindruck des Scheiterns der Nationalwerkslätten und einer feurigen Rede de Tocquevilles im liberalistischen Geist wurde schließlich nach langen Diskussionen die Formulierung Marrasts in die Verfassung von November 1848 aufgenommensI. Sie erkannte damit zwar das natürliche Recht auf Arbeit als Mittel der Sicherung der Existenz als staatliches Ziel an, beschränkte sich aber positivrechtlich auf ein "Recht zur Arbeit" und ein "Staatsziel" der Arbeitsbeschaffungspolitiks2.

m. Nach 1848 Unter dem Eindruck der Ereignisse der Revolution wurde in Frankreich nach 1848 circa hundert Jahre lang kein ernsthafter Versuch mehr unternommen, das Recht auf Arbeit zu positivieren53 •

49 Zitiert nach Rath, S. 35 f. FN 51 = Malachowski, S. 46 f.= F. Stöpel, Recht auf Arbeit, Leipzig 1884, S. 15 f.= Menger, S. 23 FN 48 = Prochownik, S. 61 f. (dort auch Zitate aus der Diskussion). Französisches Original bei Singer, S. 50 FN 3 = A. Stein, S. 20 f. so Menger, S. 23; Malachowski, S. 47; &ntele, S. 128; Prochownik, S. 64; Saner, S. 85 ff. Zu anderen Entwürfen mit weiteren Zitaten s. Wissel in AuR 1954, 129 (130); Menger, S. 23 FN 48 ff.; Prochownik, S. 62 ff.; Mutafoff, s. 85 ff. Franz. Orignaltext bei Saner, S. 84 f. 51 Wissei in AuR 54, 129 (130); Malachowski, S. 47; Benteie, S. 129 f.; Menger, S. 23 f. Ausruhrlich: Prochownik, S. 64 ff.; Singer, S. 52; Mutafoff, S. 80 ff.Vgl. auch F. Stöpel, Die freie Gesellschaft, Chemnitz 1881, S. 274 ff. 52 Benteie, S. 131; Stöpel, Recht auf Arbeit, S. 16; Schminck-Gustavus, S. 34 ("annenpflegerisches Recht auf Unterstützung"); Malachowski, S. 48 (" Annenpolitik"); Fritz Hartung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776-1946, Berlin 1946, S. 13 f..("bewußt unklar fonnuliert, um nicht unübersehbare Forderungen hervorzurufen", aber doch ausreichend, um "auf die politisch erregte Maase beruhigend einzuwirken"). 53 Vgl. zur weiteren Entwicklung in Frankreich Benteie, S. 131 ff. 4 Nenninger

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

A. Die Entwicklung bis 1848 Im deutschen Mittelalter war die Idee eines Rechts auf Arbeit unbekannt, man kannte aber durchaus den Begriff der Pflicht zur Arbeit. De facto hatte allerdings ein "Recht auf Arbeit" jedes einzelne Mitglied einer Zunftt.

I. Das Allgemeine Landrecht Das ALR von 1794 kannte folgende Vorschrift (2. Teil, 19. Titel)2,l: W§ 1 Dem Staate kommt es zu, fiJr die Ernllhrung und Verpflegung derjenigen Barger zu sorgen, die sich ihren Unlerhall nicht selbst verschaffen und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besonderen Gesetzen dazu verpflichtet sind, nicht erhallen können.

§ 2 Denjenigen, welchen es nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der ihrigen Unlerhall selbst zu verdienen, ermangell, sollen Arbeiten, die ihren Krllften und Fähigkeiten gemliß sind, angewiesen werden-.

Nach ganz überwiegender Meinung wurde aber mit diesen Normen kein subjektives Recht auf Arbeit, sondern nur eine gewisse Form der Sozial fürsorge positiviert4 , Dies ergibt sich gerade aus § 3, der häufig nicht beachtet wird:

t So ausdrücklich Herz, S. 24; Haun, S. 9; Henning in Ryffel/Schwardtlinder, S. 31 (31); Antoni, Staatalexikon, 1903, Sp. 753 (754). Vgl. auch Reib, S. 36 FN 52; Wissel in AuR 1954, 129 (129); Mutafoff, S. 6. Differenzierend Prochownik, S. 15 f.; GilIes, S. 86 f. Kritiach (von seinem Begriff des Rcchta auf ArlJeit aUB argumentierend) Menger, S. 14. 2 H. Hattenhauer (Hng.), Allgemeines Landrecht für die Prcußiachen Staaten von 1794, Frankfurt aM usw. 1970, S. 663 = Schminck-Gustavus, S. 36 = Malachowski, S. 34 = Singer, S. 65 = A. Stein, S. 9 C.= Klees, S. 30 = Haun, S. 15. 3 Zu Vorläufern in Preußen vgl. Singer, S. 65 FN 1. 4 Däubler, AR 2, S. 55; Martiny in FS Vetter, S. 449 (461); Reib, S. 37; Menger, S. 12 f.; Prochownik, S. 34; Malachowski, S. 34. A.A.: Adler in: Die Gegenwart, 1884, 340; O. von Bismarck, Rede vor dem Reichstag am 09. OS. 1884 (s. ausführlich unter IBm mwNw); Schmink-Gustsvus ebd.; Haun, S. 16 f.

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

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-§ 3 Diejenigen, die nur aus TrlJgheit, Liebe zum Maßiggang oder anderen unordentlichen Neigungen die Miltel, sich ihren UnterhalJ selbst zu verdienen, nicht anwenden wollen, soUen durch Zwang und Strafen zu natzlichen Arbeiten unter gehöriger Aufsicht angehalJen werden ·S.

Dies ergibt sich aber auch bereits aus der Titelüberschrift ·Von Armenanstalten und anderen milden Stiftungen·. Im übrigen stand offenbar der Pflicht des Staates kein Rechtsanspruch des einzelnen Bürgers gegenübef6.

11. J. G. Fichte In Deutschland hatte bereits kurz nach der Französischen Revolution seit 1793 immer wieder Johann Gottlieb Fichte ein Recht auf Arbeit gefordert'. Oberster Grundsatz war für ihn die Möglichkeit für jeden einzelnen, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten zu können, Arbeit war also für ihn das grundlegendste Menschenrecht, das sich direkt aus dem Recht auf Existenz ergab. Das Spannungsverhältnis mit dem Eigentumsrecht wurde von ihm über die Sozialbindung des Eigentums im Rahmen eines gesellschaftsvertraglichen Modells gelöst: Sobald jemand Not leidet, verliert der Besitzende den Schutz seines Eigentums insoweit, als dieser Betrag nötig ist, um dem Notleidenden zu helfen8 • Für Fichte sind allerdings auch Recht auf und Pflicht zur Arbeit untrennbar miteinander verbunden, beide bedürfen der staatlichen Kontrolle: Da potentiell jeder zur Existenzsicherung der Mitmenschen beitragen muß, haben die Inanspruchgenommenen auch ein Recht, daß der Staat darüber wacht, daß jeder Anspruchsberechtigte sein Bestes gibt, um seinen Lebensunterhalt zu erarbeiten9 • Die Herleitung des Rechts auf Arbeit ist naturrechtlich fundiert; der Inhalt ist ein echter Anspruch lO gegen den Staat auf eine den Fähigkeiten angemessene, qualifizierteIl Arbeit. Teilweise wird betont, daß nach den Vorstellungen Fichtes die Eingriffe des Staates in die Eigentumsordnung so weitgehend

Haun ebd. = HaUenhauer, S. 663 = Singer, S. 65 = Klees, S. 30. Prochownik, S. 5, 20; Singer, S. 65; Mutafoff, S. 110; A. Stein, S. 9 f.; Klees, S. 31; SteiInle in DAR 1942,315 (315); Hummel-LiljegrenlKracht in 81StSozArbR 1979,226 (227); Henning in Ryffel/Schwardtländer, S. 31 (41). 7 Zum folgenden: Leinweber, S. 6 ff.; Malachowski, S. 33 f., bes. FN 1; Kuczynski, S. 73 ff.; R. Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, Berlin usw. 1979, S. 29; Rath, S. 36 f.; Benteie, S. 139 ff.; Leinweber, S. 233 f.; Mutafoff, S. 21 ff.; A. Stein, S. 7 f.; Klees, S. 23 f. Bes. eingehend H. Klenner, Das Recht auf Arbeit bei J. G. Fichte in FS Jacobi, S. 149 ff. 8 J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wisscnschaftalehre, in: Gesammelte Werke Bd. 3, Berlin 1845, S. 213 = Jena usw. 1797/98, S. 57 f.; den.: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution, Bem 1844, S. 188 f. 9 Fichte, "Grundlage ... ", S. 214; den., "Beitrag ... ·, S. 189. 10 J. G. Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, Tübingen 1800 (Nachdruck 1979), S. 18 f., 23,26 f. (dies ergibt sich nur aus dem Gesamtzusammenhang der Gedankengänge); vgl. hierzu Leinweber, S. 8; Rath, S. 37. 11 Leinweber, S. 8; Klenner in FS Jacobi, S. 149 (159). S

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Teil 1: Rechtshistorische Dimension

sind, daß sein Modell bereits auf die ÜbelWindung der kapitalistischen Eigentumsordnung gerichtet istl2.

m. Andere Im Vormärz erlangte vor allem Franz Stromeyer eine gewisse Bedeutung, indem er den Fourierismus in Deutschland bekannt machte (1844)13.

B. Die Paulskirchenverfassung In der Frankfurter Nationalversammlung wurde über das Recht auf Arbeit intensiv diskutiertl4,IS - die Ereignisse in Frankreich fanden auch insoweit ihren Widerhall in der Paulskirchel6 . Es gab zahlreiche Anträge auf Ergänzung des § 30 (Eigentum!) 17,18. Der Abgeordnete Simon (Demokratische Partei) forderte z.B. folgenden Zusatz: nDie Vorsorge fir minellose Arbeitsunjahige ist Pflicht der Gemeinden bzw. des Staates. Dem unfreiwillig Arbeitslosen muss die Gemeinde, bzw. der Staat, Arbeit gewähren l9n .

Diese Formulierung wird ausgelegt als Recht auf Arbeit in der Form objektiven Rechts2ll. Vereinzelt gingen die Anträge sogar bis zur Forderung ei12 Leinweber, S. 8 f.; BenteIe, S. 141; Klees, S. 24. Etwas andere Akzente z.B. bei Rath, S. 37 ("korporative Wirtschaft innerhalb eines Ständestaates"). Differenzierend Menger, S. 33 f. Zur Einordnung als "sozialistische Planwirtschaft" Hans Hirsch, Einleitung zu J. G. Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, S. 17 mwNw FN 17. Anders wiederum R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, 5. erw. Aufl., 1985, München, S. 156 ff. (Fichte wies auf den Fruhsozialismus hin) oder Klenner in FS Jacobi, S. 149 (159)(antikapitalistisch, aber nicht progressiv). 13 F. Stromeyer, Organisation der Arbeit, Belle-Vue 1844, bes. S. 41 ff. Vgl. hierzu Bentele, S. 142; Malachowski, S. 46 f.; Singer, S. 55 f.; Mutafoff, S. 97 ff.; A. Stein, S. 8. 14 F.Wigard (Hrsg.) Stenographische Berichte über ... , Leipzig 1849, S. 5100 ff. S. auch die ausfiihrlichen Zitate bei Malachowski, S. 49 ff. und Prochownik, S. 72 ff. sowie drei bedeutende Zitate aus der Diskussion bei F. Federici, Der deutsche Liberalismus, Zürich 1946, S. 234 f. S. auch WisseI in AuR 1954, 129 (130 f.); Haun, S. 31 ff.; Stöpel, Recht auf Arbeit, S. 22 f.; Mutafoff, S. 100 f.; Singer, S. 57; Eckhardt, S. 82 ff. IS Im Ausschuß war das Recht auf Arbeit nur im Zusammenhang mit einem abgelehnten Antrag von Ahrens kurz gestreift worden (H. Scholler in Der Staat 1974, Bd. 13,51 (66». Zum Bericht des Ausschusses F.Wigard (Hrsg.), Berichte, S. 5100 ff. 16 Eckhardt, S. 80; Singer, S. 55 f.; H. A. Strauss, Staat, Bürger, Mensch, Diss. Aarau 1946, S. 71. 17 Zu den drei Hauptsträmungen in diesem Zusammenhang Scholler in Der Staat 1974, Bd. 13,51 (68); Strauss, S. 72 ff. Mit Textbeispielen Stöpel, Recht auf Arbeit, S. 21. 18 Zum sozialen Hintergrund: Scholler in Der Staat 1974, 51 (Anhang); Stadelrnann, S. 117: In der Paulskirche war praktisch kein Arbeiter vertreten. Zum Programm der Arbeiter zu dieser Zeit vgl. Stadelrnann, S. 164; Strauss, S. 72 (Arbeiter suchten nach Schutz der Beschäftigung) und besonders Klees, S. 26 ff. mit ausfiihrlichen Zitaten. 19 Zitiert nach Mutafoff, S. 100 = BenteIe, S. 148 = Stöpel, Recht auf Arbeit, S. 23 Singer, S. 58 FN 1 = Mutafoff, S. 100 = Eckhardt, S. 87. 20 BenteIe ebd.; Mutafoff ebd .. Undeutlich Scholler in Der Staat 1974, Bd. 13,51 (67).

§ 2 Die Entwicklung in Deutachland

27

nes subjektiven öffentlichen Rechls2 l • In der Diskussion dieser Vorschläge gab es zwar auch Stimmen, die sich in der einen oder anderen Form positiv über einen solchen Zusatz aussprachen (besonders Eisenstuck in Richtung eines Rechts auf Beschäftigungspolitik22,23), aber schließlich wurden alle entsprechenden Zusatzanträge zu § 30 in der Sitzung vom 09. Februar 1849 mit großer Mehrheit abgelehnt24• Man folgte im wesentlichen den Bedenken, daß ein Recht auf Arbeit den Leistungswillen des Volkes lähmen würde2S, und im übrigen seine Realisierung ohnehin unmöglich sei26. Außerdem stand man unter dem Eindruck des Scheiterns der Nationalwerkstätten in Frankreich27•

c. Die Entwicklung bis 1918 In den folgenden Jahrzehnten blieb das Recht auf Arbeit immer wieder in der Diskussion. Während die wissenschaftlichen Beiträge mit Ausnahme des Werkes von A. Menger keine wesentliche Schubkraft mehr entwickeln konnten28 , wurde das Recht auf Arbeit nach der Reichsgcüodung auch ein Gegenstand von politischem Interesse. Allerdings gingen die wichtigsten ~!Dpulse nicht von der Arbeiterbewegung bzw. von Marx aus, da diese mit der Uberwindung des kapitalistischen Staates auch die Verhältnisse ändern wollten, die überhaupt die Forderung nach dem Recht auf Arbeit entstehen ließen. Sie sahen also in einem Recht auf Arbeit nur ein wenig taugliches Vehikel zur Minderung der Symptome schwerwiegender Mängel des kapitalistischen Systems, das dieses abzulehnende System möglich~~eise etwas stabilisieren konnte und deshalb in Anbetracht des Zieles der Uberwindung

Rath, S. 39. Vgl. hierzu, tw. mit ausführlichen Zitaten: Federici, S. 234 f.; Leinweber, S. 14 und FN 73; BenteIe, S. 148; Scholler in Der Staat 1974, Bd. 13, 51 (71); Dörfler, S. 15 f.; Malachowslci, S. 50 f.; Stöpel, Recht auf Atbeit, S. 24; Singer, S. 57 f.; Mutafoff, S. 100 f.; Strau88 S.77. 23 Eisenstuck war übrigens Industrieller (Scholler in Der Staat 1974, 51 (70); Reissenberger in DRiZ 1990,271 (271». 24 Wigard, S. 5145; Diubler, AR 2, S. 54; Mutafoff, S. 101; Dörfler, S. 16; Malachowslci, S. 51; BenteIe, S. 149; Menger, S. 24 f.; Singer, S. 58; Prochownik, S. 74; Monjau, HdWb SozW , Bd.8, S. 743; H. Maier in ASP 5, 382 (384); Antoni Sp 753 (754); Strauss, S. 78; Daum in RdA 1968, 81 (83); Eckhardt, S. 84; A. Stein, S. 22; Mutafoff, S. 100; Singer, S. 58; Stöpel, Recht auf Atbeit, S. 24. 2S Vgl. Federici, S. 234; Prochownik ebd.; Scholler in Der Staat 1974, Bd. 13, 51 (67); BenteIe, S. 147; andere Aspekte bei Leinweber, S. 14 f.; Singer, S. 54; Mutafoff, S. 100; Ritter in Schnur, S. 202 (231) mwNw. Vgl. besonders den Diskussionsbeitrag von Degenkolb bei Wigard, S. 5101 f. (s. dort S. 5101 - Das Prinzip des Eigentums ist die Atbeit). 26 F.B. Schnapp, Soziale Grundrechte aus verfusungsrechtlicher Sicht, in B.v. Maydell (Hrsg.), S. 5 (12). 27 Rath, S. 40; Malachowslci, S. 49 f., 51; Hedemann in FS Boehmer, S. 51 (53); Eckhardt, S. 83; Henning in Ryffel/Schwardtländer, S. 31 (41 f.). 28 Vgl. hierzu BenteIe, S. 143; Rath, S. 40 FN 70; Malachowslci, S. 51 ff. S. auch Hedemann in FS Boehmer, S. 51 (51). 21

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Teil 1: RechUhiatoriache Dimension

des Systems tendenziell kontraproduktive Wirkungen entfalten würde. Deshalb standen sie dem Recht auf Arbeit eber skeptisch gegenübeJ'29.

I. O.v. Bismarcks Rede im Reichstag Heute ist allgemein anerkannt, daß Bismarcks bedeutende sozialpolitische Reformen (Krankenversicherungsgesetz 1883, Unfallversicherungsgesetz 1884, Altersversicherungsgesetz 1889) im wesentlichen vom Bestreben motiviert waren, der als gefährlich eingeschätzten Arbeiterbewegung (Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie 1878) unter anderem durch gewisse Zugeständnisse den Wind aus den Segeln zu nehmen. Bismarck selbst stellt seine Rede in der Sitzung des Deutschen Reichstages am 09.05. 1884 in diesen Kontext: "Wir haben die Hoffnung, atif dem Weg der Reform, die wir erstreben, zwar nicht alle Beteiligten zu bekehre1l, aber doch den Zulauf, die Rekrutierung }Ur die revolutio1U'Jren PIlJ1Ie wesentlich zu beschrlJnken, wen1l wir dem Arbeiter das geben, was die Kaiserliche Botschaft und die daran geknüpften ReformvorschllJge ausgesprochen haben (. .. ) Gebe1l Sie dem Arbeiter das Recht aufArbeit, so /a1lge er gesund ist, gebe1l Sie ihm Arbeit, sola1lge er gesund ist, sichern sie ihm Pflege, wen1l er krank ist, sicher1l Sie ihm Versorgung, wenn er a/J ist, - we1ln Sie das tU1l, und die Opfer 1Iicht scheuen (. .. ), dann glaube ich, daß die Herren vom l+Yde1ler Programm (die Sozialdemokratie, der Autor) ihre Lockpfeife vergebens blase1l werden "lO.

In der Debatte wurde dem Reichskanzler vorgeworfen, daß die Folge eines solchen Rechts auf Arbeit ein sozialistischer Staat sei31. Bismarck bekräftigte daraufhin, daß er das Recht auf Arbeit unbedingt anerkenne, bezog sich aber dabei ausdrücklich auf die oben zitierten Vorschriften des ALR32. Der Staat habe ohnedies so umfassende Aufgaben zu erfüllen, daß er durchaus die Ver29 s. hienu Leinweber, S. 16 tT., bes. S. 18 f.; Daum in RdA 1968, 81 (83); Dörfler, S. 18; Kunz, S. 37; Däubler, AR 2, S. 54; H.-J. Steinberg in Diskurs 1, 88 (88); Kuczynski, Berlin 1978, S. 56 ff., bel. S. 59 mwNw und Zitaten. Grundlegend: F.Engels, Juristen-Sozialismus, MEW Bd. 21, Berlin 1975, S. 498 und MEW 36, Berlin 1967, S. 151 f. sowie MEW Bd. 7, Berlin 1960, S. 41 f. (Marx zur Diskussion um dal Recht auf Arbeit in Frankreich 1848 "Die Klasaenlcämpfe in Frankreich 1848 bis 1850"): "Erste unbeholfene Formel, worin lieh die revolutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfasaen"; für Marx war also das Recht auf Arbeit eine historiach bedingte Klasaenkampfparole (Eachenauer, S. 234), el könne erst in der kommunistiachen Gesellachaft verwirklicht werden, sei dann aber wegen der dann gesetzmäßig erfolgenden Verwirklichung der Vollbeachäftigung per se überflü88ig (I. Nw zu Beginn der Fußnote). Ihnen folgend Kautsky in Die Neue Zeit 2 (1884), 299 (302 f.). Heute noch ebenso z.B. U. Mückenberger in Diskurs 1,58 (59); OndruachlPrcmlller in NJ 1982,22 (23) uvam. 30 Zitiert nach Gillel, S. 67 = Klees, S. 29 = Kunz, (1953), S. 39 = Kuczynski, S. 54 f.= Menger, S. 11 FN 9 = Wesaela in PrcU88. Jb. 54 (1884), 44 (44) = Prochownik, S. 81. Weitere Nachweise zu den folgenden Zitaten: Steno Bericht über die Vemandlungen des Reichstags, 1884, Bd. I, S. 481 ff.; Mutafoff, S. 107 ff.; Malachowski, S. 55; Singer, S. 64 FN 1. 31 Singer ebd.; Mutafoff, S. 108; Gilles, S. 67 f.; Malachowski, S. 55 f. S. auch Wisael in AuR 1954, 129 (131 f.); Prochownik, S. 81 f. 32 Singer ebd. = Malachowski, S. 119 = Menger, S. 11 FN 9 = Prochownik, S. 82 f. = Mutafoff, S. 109 = Gilles, S. 68 f.

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

29

pflichtung übernehmen k.önne, Arbeitslosen, die keine Arbeit finden, Arbeit zu verschaffen: -Er IIJßt Arbeiten ausführen, die sonst aus finanziellen Bedenklichkeiten vielleicht nicht ausgeführt werden wilrden; ich wiU sagen, große KanalbaUlen, oder was sonst analog ist,,)3.

Aus den oben (vor C I) dargelegten Gründen stand die SPD dem Recht auf Arbeit sehr skeptisch gegenüber, man brachte aber dennoch einen Gesetzesentwurf ein: -Der Reichstag wolle beschließen, den Bundesrat zu ersuchen, er möge dem Reichstag unverzilglich einen Gesetzesentwurf vorlegen, durch welchen das in der Reichstagssilz.ung vom 9. Mai cr. (cu"entis = des laufenden Jahres, der Autor) von dem Herrn Reichskanzler proklamierte Recht auf Arbeit zur Verwirklichung gelangt"34.

Damit wollte man vor allem dem Reichskanzler den Wind aus den Segeln nehmen, seinen Vorschlag als Taktik entlarven und den angestrebten Beschwichtigungseffekt vereiteln35. Entsprechend verlief die Sache im Sande. Der Antrag der Sozialdemokraten wurde (auch aus Zeitgründen wegen des Endes der Legislaturperiode) nicht mehr behandelt. Auch später kam man nicht mehr auf die Sache zuruck36.

ll. A. Menger In seinem Hauptwerk "Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag"37 hat Anton Menger 188638 drei ökonomische Grundrechte aufgestellt: Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, das Recht auf Existenz und (als Modifizierung desselben) das Recht auf Arbeit39. Meng~r erkannte allerdings dem Recht auf Arbeit nur eine Bedeutung während der Ubergangszeit zu einer sozialistischen Ordnung zu: Es habe nur subsidiären, die bestehenden Vermögensrechte ergänzenden Charakter und setze einen kapitalistischen Kontext voraus40 • Er definierte das Recht auf Arbeit folgendermaßen:

33 Singer ebd. = Wissei in AuR 1954, 129 (132) = Menger ebd. = Prochownik, S. 83 = Mutafoff, S. 108 f.= Gilles, S. 69. 34 Gilles ebd. = Singer ebd. = Kuczynski, S. 55. Vgl. auch Prochownik, S. 84. 35 Engels, MEW Bd. 36, S. 151 f.; Kunz, S. 42; Däubler, AR 2, S. 54 f.; Leinweber, S. 18. Dagegen eine eher positive Würdigung bei H. Herkner in Archiv für soziale Gesetzgebung 1891, S. 565 (589 f.) und Gilles, S. 76 ff. 36 Schminck-Gustavu8, S. 36; Däubler ebd.; Benlele, S. 150; Kunz ebd.; Cemy in RdA 1967, 1 (2); Wissel in AuR 1954, (129) 132. Zu einfachgesetzlichen "Ausprägungen" des Rechts auf Arbeit in der Zeit bis 1917 vgl. H. Maier in ASP 5,382 (386 f.). 37 A. Menger, Da. Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung, Stuttgart 1910/4, konzentrierte sich allerdings - wie der Titel seines Werkes bereits besagt - hauptsächlich auf historische Ausführungen. 38 s. hierzu und zu Mengen "Neue Staatslehre" vgl. Benteie, S. 144 ff. 39 Menger, S. 6 If. 40 Menger, S. 10.

30

Teil 1: RechtlIhistorische Dimension

"Kraft des Rechts auf Arbeit kann jeder arbeilsftJhige StaalsbRrger, der bei einem Privatunternehmer keine Arbeit findet, von dem Staate oder den staatlichen Verbllnden (Bezirk, Gemeinde) verlangen, dass ihm die gewöhnliche TagllJhnerarbeit gegen Zahlung des üblichen Taglohnes zugewiesen werde "41.

Die Wirkung Mengers sollte nicht unterschätzt werden, so gibt es z.B. in Japan eine umfangreiche Mengerrezeption. Auch Engels und Kautsky setzten sich ausführlich (und scharf kritisierend) mit ihm auseinandef42. Im übrigen sind allenfalls noch die Ausführungen bei F. Stöpel zum Recht auf Arbeit hervorzuheben43 •

D. Die Weimarer Reichsverfassung I. Vorgeschichte 1. Ausgangsposition

Stark vereinfachend gesagt rangen in Deutschland nach Kriegsende drei politische Strömungen um Einfluß: Radikale Linke ("Räte" usw.), Mehrheitssozialisten und Bürgerliche. Jede dieser drei Richtungen hatte eine sich aus ihrem politischen Denken ergebende andere Auffassung vom Recht auf Arbeit. Die radikale Linke lehnte ein Recht auf Arbeit ab, weil es in der von ihr angestrebten, durch die Klassenherrschaft der Arbeiter geprägten Gesellschaft per defmitionem keine Arbeitslosigkeit gäbe, so daß ein Recht auf Arbeit sinnlos sein würde. Die SPD wollte auf der Grundlage einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung in möglichst weitem Umfang soziale Grundrechte, dabei auch das Recht auf Arbeit, veIWirklichen. Die bürgerlichen Parteien standen solchen Bemühungen in vielem skeptisch gegenüber. Die Wahlen zur Nationalversammlung am 19. 01. 1919 ergaben dann aber die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen Mehrheits-SPD und wichtigen bürgerlichen Parteien, während die radikale Rätebewegung bereits wieder stark am Abflauen war. Dieser politische Kontext spiegelt sich auch unmittelbar in den gesetzgeberischen Bemühungen im Umfeld des Rechts auf Arbeit wieder. 2. Entwicklung bis zum Inkrafttreten der WRV

Bereits im "Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk" (12. 11. 1918) findet sich folgende Passage:

Menger, S. 14. EngelslKautsky, MEW Bd. 21, S. 491 tT. Positiv Singer, S. 67. 43 F.SlÖpel, freie Gesellschaft, S. 289 tT.; ders., Recht auf Arbeit, S. 25 tT. Vgl. zu ihm z.B. MutafotT, S. 104 tT., A. Stein, S. 8 f.; Haun, S. 42 f .. 41

42

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

31

WDie Regierung wird alles tun, um für ausreichende Arbeitsgelegenheit zu sorgen. Eine Verordnung aber die UnterstQtzung von Erwerbslosen ist fertiggestelh. Sie verteih die Lasten auf Reich, Staol und Gemeinde" (§ 9)44.

Aus der Entstehungsgeschichte des Sozialisierungsgesetzes4S läßt sich dann bereits der erlahmende Einfluß der radikalen Kräfte unter den Revolutionären ablesen. Im Regierungsentwurf zu § 1 hieß es noch: "Das Reich gewtJhrleistet jedem Deutschen die MlJglich/ceit, durch Arbeit seinen Unterhah zu verdienen "46.

Damit wäre also das Recht auf Arbeit als subjektives öffentliches Recht gesetzlich niedergelegt worden47 • Dagegen lautete § 1 des Sozialisierungsgesetzes (23. 03. 1919): "Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner perslJnUchen Freiheit die sinliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Krllfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert. Die Arbeitskraft als höchstes wirtschaftliches Gut steht unter dem besonderen Schutz des Reiches. Jedem Deutschen soll die MlJglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhah zu erwerben. Soweit ihm Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt. Das NtJhere wird durch besondere Reichsgesetze bestimmt "48.

Gerade Abs. 2 Satz 2 Csoll zeigt, daß damit nur noch eine Verpflichtung des Reiches ausgesprochen wurde, der kein subjektives öffentliches Recht mehr gegenüberstand49 (entsprechend wurde aber auch die strengere Arbeitspflicht des Entwurfes gemildert). Bemerkenswert erscheint jedoch vor allem, daß das Recht auf Arbeit den § 1 (!) des Gesetzes einnahm. Dies zeigt, welch enorme Bedeutung man ihm zu jener Zeit einräumte. W

)

3. Die Beratungen in der Nationalversammlung

Im Verfassungsausschuß war der Ausbau der Grundrechte eines der vordringlichen Ziele. Der Abgeordnete Naumann legte hierfür einige Leitlinien vor, die zwar grundsätzlich dem Inhaltlichen nach begrüßt wurden, aber von dergestalt vager Formulierung waren, daß ihnen jegliche lustiziabilität ab-

RGßI. 1918 (Nr. 153), s. 1303. Zitiert auch bei Leinweber, s. 21 = Kunz, s. 44. Zur Entstehung des Sozialisierungsgeaetzes und zu den dahinterstehenden Motiven: o. Reier, Sozialisierungsgeaetz, Berlin usw. 1920, S. 9 ff. 46 Zitiert nach Däubler, AR 2, S. 34 = Leinweber, S. 21 = Rath, S. 42 = Weigert, S. 486 = Klees, S. 46. Vgl. auch Reier, S. 18 f.; Martiny in FS Vetter, S. 449 (453 FN 19). 47 Klees ebd.; Weigert, Bd. 3, S. 486; Stein, S. 34; Rath, S. 42; Reier, S. 31 f.; Martiny in FS Vetter, S. 449 (453). 48 RGßI 1919 (Nr. 68), S. 341; zitiert auch bei Klees ebd. = Huber, S. 80 = Leinweber, S. 21 = Rath, S. 41 f. = Reier, S. 17 f. = Ramm in Böckentörde u.a., S. 17 (25 FN 22). 49 Klees ebd.; Reier, S. 31 f.; Martiny in FS Vetter, S. 449 (453); Däubler, AR 2, S. 56; Rath, S. 42 mwNw (auch zur abweichenden Meinung); Weigert, S. 486. 44 45

Teil 1: Rechllhistorische Dimension

32

ging50 • Der Abgeordnete Beyerle wurde beauftragt, diese Gedanken in eine juristisch handhabbare Form zu bringen. Dabei versuchte er, einen Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus zu gehen; Schutz und Fürsorge in Form von sozialen Grundrechten wurden neben den Freiheitsrechten in weitem Umfang in die WRV eingeführt, ohne daß den Abgeordneten selbst klar war, inwieweit überhaupt anwendbare Rech1ssätze oder nur Programmsätze vorlagen - die Versuche, eine allgemeine, die Grundrechte betreffende Auslegungsregel zu formulieren, scheiterten51 . Im Ergebnis wurde dann § 1 des Sozialisierungsgesetzes zum Art 163 WRV (19. 08. 1919)52; es wurde nur das Wort "angemessen" vor "Arbeitsgelegenheit" eingesetzt, was aber nur eine weitere Abschwächung der Vorschrift bewirken sollteS3.54.

n. Die Weimarer Reichsverfassung und ihre Konkretisierung 1. Das Recht auf Arbeit, Art 16311 WRV

Dem Recht auf Arbeit nach Art 163 11 WRV55 (im Zweiten Hauptteil "Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen", Fünfter Abschnitt "Das Wirtschaftsleben") wurde praktisch einhellig nur der Charakter eines Programmsatzes zugesprochen, die Ableitung eines subjektiven öffentlichen Rechts wurde dementsprechend allgemein abgelehnt56 • Im wesentlichen wur-

50

Benteie, S. 151 f.; Ramm in Ryffel/Schwardtländer, S. 65 (75) mit Textzitat.

51 Benteie, S. 152 f. 52 RGBI 1919 (Nr. 152), S. 1183. 53 Weigert, S. 486; F.Giese, Die Verfassung deI Deutschen Reiches,

1931/8, Art 163, Anm. 3; A. Stein, S. 34. 54 Zur Dislrusaion: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der verfaaaunggebenden Versammlung, Berlin 1919, Bd. 326, S. 715 0 ff., bes. 715 0 ff. (Cohn, USPO: Fassung der WRV viel zu eng), 721 A ff. (Braun, SPO: WRV zu eng), 726 0 ff. (Frank, ONVP: WRV zu weit). ss RGBI 1919, S. 1383. 56 So folgende Kommentare zur WRV: G. Anschütz, Art 163, Anm. 2, 3 (keine Rechtswirksamkeit); L. Gebhard, Art 163, Arun. 2, 3. Ebenso folgendes zeitgeschichtliches Schrifttum: T. Steimle in DAR 1942, 315 (315, 316); B. Köhler, Recht auf Arbeit, Berlin 1937, S. 3; Weigert, S. 487, 500, 505 (s. aber auch S. 498: Aufforderung an den Gesetzgeber). Nicht anders die Äußerungen aus der Nachkriegszeit, z.B.: Hedemann in FS Boehmer, S. 51 (55 f.); A. Süsterhenn, Kommentar zur Verfassung RhPf, Koblenz 1950, Art 53, Arun. 1; Hr. Krüger in DöV 1961,712, (712); Benteie, S. 153 f.; Schulgen, S. 24 f.; Oäubler, AR 2, S. 34; Leinweber, S. 22; Rath, S. 43 mwNw in FN 79; O. Barth, Recht auf Arbeit, Köln 1976, S. 16; E. Forsthoffin VVOStRL 12, 8 (25); G. GellertlK. KleinrehmlDickersbach, VerfNRW, Göttingen 1977/3 Loseblatt, Art 24, Anm. 4 a; Dörfler, S. 24; Oaum in RdA 1968, 81 (83); F.Steinkühler in WSI Mitteilungen 1988, 442 (443), G. Brakelmann in Moltmann, S. 9 (22); Migsch, S. 120; Kunz (1955), S. 16 f.; Weller, S. 44; A. Stein, S. 34; Hummel-LiljegrenlKracht in BlStSozArbR 1979, 226 (227); W. Thiele in DöV 1983, 301 (302); U. Lohmann in GM 1975, 241 (241); Wipfelder in ZfSH 1982, 289 (289); W. Wittkowski, Der Schutz der Arbeitskraft durch das Grundgesetz, Frankfurt 1979, S. 135; Schwerdtner, in ZfA 1977,47 (58 f.); G. Hesse-Salzig, Recht auf Arbeit? in ABA 1958, 36 (36); G. Kleinhenz, Die Forderung

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

33

den vier Begründungen gegeben57: Der Wortlaut der Vorschrift (WsollW)58 lasse eine Auslegung als subjektives öffentliches Recht nicht zu, zumal die Verfassung, indem sie Arbeitslosenhilfe für nicht Vermittelbare garantiert, selbst davon ausgeht, daß nicht jedem Arbeitslosen ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann59• Art 163 I WRV begründet keine Rechtspflicht zur Arbeit. Da aber Recht auf und Pflicht zur Arbeit untrennbar miteinander verbunden seien, könne daher auch das Recht auf Arbeit keinen Individualanspruch begründentlO • Da Art 163 11 WRV die nähere Ausgestaltung des Rechts auf Arbeit einfachem Reichsgesetz überlasse, könne die Vorschrift selbst ohne Ausführungsgesetz keine aktuellen Anspruche begründen61 • Eine konsequente Realisierung des Rechts auf Arbeit durch den Staat würde andere grundlegende Freiheiten der WRV verletzen (z.B. Vertrags- oder Gewerbefreiheit)62. Herauszustellen ist, daß selbst während der Weltwirtschaftskrise mit enorm hohen Arbeitslosenquoten ab 1929 das Recht auf Arbeit in Deutschland keine nennenswerte politische oder rechtliche Rolle spielle63. 2. Das Arbeitsverfassuogsrecht der WRV im übrigen

Der Abschnitt wWirtschaftsleben w wurde durch Art 151 eingeleitet, der nicht nur die Handels- und Gewerbefreiheit garantierte, sondern den Leitsatz der Wirtschaftsordnung unter der WRV proklamierte: nach einem ·Recht auf Arbeit· in P. Herder-Dorneich (Hesg.), Die Sicherung des Arbeitsplatzes, Berlin 1979, S. 73 (17). A.A.: Wehrle, in F.Giesc (Hesg.), Handbuch der Arbeitswissenschaftcn, Halle 1930, Sp 3650 (3653) (gewisse, vage Elemente eiocs Rechts vorhanden); Giesc Art 163, Anm. n 2 (objektiver Rechtssatz); W. Abendroth, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der Weimarer Republik in: J. Mück (Hesg.), Verfassungsrecht, Opladen 1975, S. 37 (den Staat verpflichtende Aufforderung); F.Stier-Somlo, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Bonn 192012, S. 131 FN 2 (Auftrag zur Schaffung einer Wirtschafts.. und Rechtsordnung, die nach den Gesetzen der Volkswirtschaft weitgehende Arbeitsmöglichkeit gewährt. Nicht so weit gehend ders., Reichs- und Landesstaatsrecht, § 66 18: gesctzgeberische Direktive); H. Sinzheimer als Berichterstatter in der Nationalversammlung (laut Stuby, S. 100 FN 99: Staatszielbestimmung). 57 Vgl. insbesondere die Zusammenstellung bei Rath, S. 44 mwNw FN 80-83. 58 Nw bei Rath, S. 92 FN 38. 59 Weigert, S. 500 f.; Hedernsnn in FS Boehmer, S. 51 (56). tIO So vor allem die Erläuterungen zu Art 163 WRV in den Kommentaren von Anschütz (Anm. 2), Gebhard (Anm. 2), Giesc (Anm. 1). Vgl. auch Hedernsnn ebd.; A. Stein, S. 34; E. Molitor, Das Recht auf Arbeit in E. Wolff (Hrsg.), Beiträge zum Handels- und Wirtschaftsrecht, Berlin usw. 1950, S. 159 (169). 61 Hesse-Salzig in ABA 1957,36 (36); Hedemann ebd.; E. Molitor ebd.; Malachowski, S. 63. 62 BayVerftiH in DöV 1961, 611 (611); Hedemann ebd.; Weigert, S. 487, 503, 505. 63 Einen guten Eindruck von der marginalen Bedeutung des Rechts auf Arbeit gibt bereits ein Blick in die Literatur der zwanziger Jahre: Selbst ausführliche Kommentare widmen dem Art 163 n 1 WRV nur wenige Zeilen; Giese und Weigert geben der Norm sogar die (nichtamtliche) Überschrift • Arbeitspflicht; Arbeitsnachweis· und bringen allein damit schon unbewußt zum Ausdruck, daß für sie das Recht auf Arbeit keine Rolle spielt. F.Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, Berlin 1928/3, kein unbedingt knapper Kommentar, kommentiert das Recht auf Arbeit inhaltlich überhaupt nicht.

34

Teil 1: Rechtshistorische Dimension

-Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den GrundslJlzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der GewlJhrleistung eines menschenwi1rdigen Daseins fir alle entsprechen-.

Damit wurde versucht, das Recht auf Existenz mit praktischem Geist zu füllen, indem man es in einen Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit stellte. Im übrigen war der Arbeitsschutz in der WRV umfangreich geregelt. Art 157 WRV bildete die Grundnorm: -Die Arbeitskraft steht unler dem besonderen Schutz des Reiches. Das Reich schalft ein einheitliches Arbeitsrecht-.

Die einfache Gesetzgebung kam diesem Gesetzgebungsauftrag nicht nach. Bemerkenswert erscheint aber auch Art 165 WRV, der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer ausdrücklich und detailliert garantierte. Die Rechtswirklichkeit blieb allerdings auch in diesem Bereich weit hinter den Vorgaben der Verfassung zurück; das Betriebsrätegesetz (1920) räumte den Arbeitnehmern nur geringe Befugnisse ein. Im übrigen enthielt die WRV Bestimmungen über das Sozialversicherungsrecht (Art 161), das Ziel eines sozialen Mindeststandards für alle Arbeitnehmer durch zwischenstaatliche Vereinigungen (Art 162) und die Koalitionsfreiheit (Art 159). 3. Sonstige Gesetze der Weimarer Zeit

a) Landesverfassungen Die Landesverfassungen der Weimarer Zeit setzten sich mit dem Recht auf Arbeit nicht auseinander, sie regelten allenfalls einzelne Freiheitsaspekte des Rechts der Arbeit64. b) Reichsgesetze

Die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Reichsgesetzgebung blieb äußerst unbefriedigend6S • Zwar wurden in den ersten Jahren der Weimarer Zeit in vielen Einzelgesetzen gewisse Fortschritte für den Arbeitnehmer erzielt, doch blieb vor allem der Verfassungsauftrag des Art 157 WRV, die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrechts, unerfüllt. Besonders enttäuschend war die Entwicklung im Bereich des Rechts auf Arbeit. Auch Art 163 11 WRV legte dem Gesetzgeber in Form eines Gesetzgebungsauftrages die Pflicht auf, die Einzelheiten der Arbeitslosenunterstützung zu regeln. Acht Jahre brauchte der Reichstag, um seiner Pflicht nach64 Umfassende Nw bei P. Häberle in AöR 109, 630 (640 f. FN 35).

Das Recht auf Arbeit ausgestaltende Rechtsvorschriften sind aufgeführt bei Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht I, § 66 I 8; Weigert, S. 506. 6S

t 2 Die Entwicklung in Deubchland

35

zukommen: Erst 1927 wurde das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG)66 verabschiedet. Bis zu seinem Inkrafttreten konnten Arbeitslose nur Erwerbslosenfürsorge auf der Grundlage eines Gesetzes aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg beziehen. Voraussetzung für deren Erhalt war wiederum Arbeitsleistung für öffentliche Projekte wie Moorkultivierung, Kanalbauten, Flußregulierungen USW. 67 Eine Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit Landesarbeitsämtern und Arbeitsämtern wurde eingerichtet, die auch öffentliche Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung übernahm6ll • Das AVAVG war jedoch unter dem Eindruck von Weltwirtschaftskrise und dramatischem Anstieg der Arbeitslosigkeit praktisch seit seinem Inkrafttreten kontinuierlich fortschreitenden Leistungseinschränkungen unterworfen: Das Arbeitslosengeld wurde reduziert, sein Empfängerkreis verkleinert, Wartezeiten und Sperrfristen verlängerte man, die Beiträge wurden erhöht, die Bedingungen der Arbeitsbeschaffungsprogramme verschärft69 ; gleichzeitig ersetzte das Fürsorgeprinzip immer mehr das VersicherungsprinziplO. Dennoch hatte das immer wieder modifizierte AV AVG bis zum 26. 06. 1969, als es vom APG abgelöst wurde, Bestand.

E. "Recht auf Arbeit" im Nationalsozialismus Seit etwa 1929 nutzte die NSDAP die Massenarbeitslosigkeit gezielt als Argument zur Diskreditierung der Weimarer Republik71 • Der Nationalsozialismus verkündete feierlich das durch die deutsche Arbeitsfront zu sichernde Recht auf Existenzsicherung (Va vom 24. 10. 1934)72. Tatsächlich gelang es den Nationalsozialisten auch, im Zeichen allgemeiner wirtschaftlicher Erholung und enormer Aufrüstung eine Art Vollbeschäftigung zu verwirklichen. Ganz abgesehen davon, daß dabei die Qualität der Arbeit und die Entlohnung in der Regel kritikwürdig waren, diente das "Recht auf Arbeit" im wesentlichen als Vehikel zum totalen Arbeitseinsatz für den Krieg, die Vollbeschäftigung war also nicht Ziel, sondern Nebenprodukt dieser Anstrengun66 RGBI 1927 (Nr. 32), S. 187. Es fiel gerade in eine letzte einigennaßen günstige Phase der Arbeitsmarktentwicklung (vgl. W. Adamy/J. Steffen, Arbeitsmarktpolitik in der Depression, MinAB 1982,276 (278 f.». 67 Leinweber, S. 21 f.; Klees, S. 52 ff.; Adamy/Steffen in MinAB 1982, 276 (277 f.). 611 Kunz (1955), S. 20; Weller, S. 49 f. 69 Leinweber, S. 23; Klees, S. 51 f. Ausführlich und instruktiv Adamy/Steffen in MinAB 1982, 276 (280 ff.). Im Februar 1932 stieg die Anzahl der Arbeitslosen in Deutschland auf 6, 128 Mio. 10 Kunz (1955), S. 20; A. Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Tübingen 1961, § 5 I. 71 Tomuschat in Symposium für Partsch, S. 45 (49); Weller, S. 103 f. mwNw; Ramm in KJ 1968, 108 (117). Treffend W. Abendroth, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der Weimarer Republik, in J. Mück (Hrsg.), Verfassungrecht, Opladen 1975, S. 33 (37 ff.): Die Weimarer Republik scheiterte, weil die Aushöhlu~ der sozialen gehalte der WRV in die Aushöhlung ihrer demokratischen Gehalte überging. Ahnlich den., Uber den Zusammenhang von Grundrechtssystem und Demokratie, in J. Perela (Hng.), Grundrechte als Fundamente der Demokratie, Frankfurt 1979, S. 249 (261). 72 Köhler, S. 7, 11 f., 18,26 f. (gemeint war demnach offenbar nur Vollbeschäftigungspolitik, vgl. S. 19); SteilnIe in DAR 1942,315 (316).

36

Teil I: Rechllihiatorische Dimension

gen7J • Dabei erfolgte die Verteilung der Arbeitskräfte immer mehr zentralverwaltet, eine konkrete Rechtspflicht rur Arbeit (die schließlich bis hin rum Arbeitszwang und ruf Aufhebung der Freiheit der Berufswahl ging) beherrschte das nationalsozialistische Arbeits "verfassungs "recht74. Ein Recht auf Arbeit als Grundrecht im juristischen Sinne bestand genauso wenig wie andere Grundrechte im NS-Staat75 . Wichtigstes Instrument (gerade rur Einführung) dieser totalitären Arbeitsverwaltung war dabei der Arbeitsdienst, der bereits in den letzten Jahren vor der Machtergreifung Hitlers Vorläufer gefunden hatte, hinsichtlich derer sich sogar ein gewisser gesellschaftlicher Konsens (die Gewerkschaften eingeschlossen) eingestellt hatte, was die Nationalsozialisten geschickt ausmnutzen verstanden76•

F. Die Ausgangssituation 1945 I. Der Konsens 1945 und die Entstehung der Landesverfassungen Im Jahr 1945 bestand unter dem Eindruck des Krieges bei den sich neuformierenden Parteien im wesentlichen Einigkeit darüber, soziale Grundrechte durcbmsetzen und rumindesten teilweise die Industrie unter staatliche Verwaltung ru stellen77 • Dies entsprach auch den Vorgaben des Potsdamer Abkommens. Nr. 2 der wirtschaftlichen Grundsätze des Potsdamer Abkommens lautete: "ln praktisch kDrzester Frist ist das deUISche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden abermi1ßigen Konzentration der

7J Vgl. Völkischer Beobachter vom 24. 03. 1937 (zitiert nach Leinweber, S. 28 = A. Stein, S. 14): "Das Recht auf ArlIeit ist verwirklicht. Wir rüsten auf". 74 E. Molitor, S. 159 (168); Leinweber, S. 22; Ramm in KJ 1968, 108 (115); Klccs, S. 64 ff.; Kunz (1955), S. 19 f.; Weller, S. 104 ff. 75 Kunz (1955), S. 21; Ramm in Ryffel/Schwardtländer, S. 65 (77). Auch im Zusammenhang mit dem Recht auf ArlIeit ist es bezeichnend, daß selbst breit angelegte historische Darstellungen die Zeit dei Nationalsozialismus nur ganz knapp, teilweise nur in einer Fußnote, ansprechen, z.B. Benteie, S. 155 FN 249; Rath, S. 45 FN 85; Molitor. S. 159 (172); Hesse-Salzig in ABA 1957, 36 (36).- Vgl. im übrigen die Darlegungen bei A. Stein, S. 13 f.; Kunz (1989), S. 46 ff.; Leinweber, S. 24 ff.; Däubler, AR 2, S. 56 f. 76 Ausführlich hierzu U. Achten, Scheinalternativen zum Recht auf Arbeit, in U. Achten, S. 48 ff. Vgl. auch Weller, S. 107 f. 77 H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, Darmstadt 1976/2, S. 275 f.; Stuby in: U. Achten u.a., S. 75 (81 f.); A. von Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, BadenBaden 1984, S. 83 mwNw; Kunz, (1989), S. 54; K.-H. Niclauß, Demokratiebegründung in Westdeutschland, München 1974, S. 29 ff.; Leinweber, S. 28; U. Mayer, Vom Potsdamer Abkommen zum Grundgesetz, in: U. Mayer/G. Stuby (Hrsg.), Die Entstehung des Grundgesetzes. Beiträge und Dokumente, Köln 1976, S. 75 (76 f.) mwNw und Zitaten; H. MeyerlM. Stolleis/Stolleis, Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt 1986/2, § 1 D 4; J. MeyerAbieh, Der Schutzzweck der Eigentumsgarantie, Berlin 1980, S. 115; Klees, S. 71 ff. (mit zahlreichen Zitaten); W. Däubler, Eigentum und Recht, Darmstadt usw. 1976, ~. 142 f.

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

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WirtschaJtskraJt, dargestellJ insbesondere durch Kartelle, Syndikale, Truste und andere Monopolvereinigungen "78.

Selbst die CDU forderte in den Kölner Leitsätzen von 1945: W( .. ), die VorherrschaJt des Großkapitals, der privaten Monopole und Konzerne wird beseitigt"79.

Die Parteiprogramme forderten auch durchgängig (so wie sie es heute noch tun80) ein mehr oder weniger weitgehendes Recht auf Arbeit, mindestens im Sinne von Arbeitsplatzsicherung. Nur die LPD machte hinsichtlich beider Forderungen eine Ausnahme81 • Schwer einzuschätzen ist, ob diese Stimmung auch unter der Bevölkerung verbreitet war. Sozialistische oder dem Sozialismus nahestehende Autoren bejahen dies mit dem Hinweis, daß man damals noch stark unter dem Schock des Nationalsozialismus stand und erkannte, daß die soziale Not zu Ende der Weimarer Republik das Aufkommen der Nationalsozialisten entscheidend begünstigt hatte. Deshalb wollte man solche Verhältnisse auf jeden Fall für die Zukunft vermeiden und wäre in ganz erheblichem Umfange bereit gewesen, gesellschaftliche Umgestaltungen zu akzeptieren82 • Autoren mit anderem Vorverständnis schweigen sich in der Regel über diese Frage aus. Jedenfalls darf aber wohl als sicher angenommen werden, daß die meisten Politiker 1945 bei den ersten Formulierungen der Parteiprogramme durchaus im Sinne der gewählten Formulierungen dachten.

In diesem Zusammenhang sind auch die Regelungen der Landesverfassungen der aus den westlichen drei Besatzungszonen hervorgegangenen Länder zu sehen. Außer den norddeutschen Ländern, die ganz auf einen Grundrechtskatalog verzichteten, um dem Grundgesetz nicht vorzugreifen und Baden-Württemberg, das in Hinblick auf den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes auf einen eigenen verzichtete, regelten die Bundesländer das Recht auf Arbeit positiv, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten83 •

11. Die Entstehung des Grundgesetzes 1949, bei Zusammentritt des Parlamentarischen Rates, war die politische Stimmung bereits wieder teilweise umgeschlagen84 • Hierzu trugen sicherlich der Kalte Krieg und der zunehmend totalitäre Charakter des Regimes in der 78 Zitiert nach Historische Gedenkstiitte des Potsdamer Abkommens (Hrsg.), Potsdamer Abkommen, Berlin 1970, S. 70 = Kunz, S. 54. 79 Zitiert nach Leinweber, S. 28 f. S. hierzu auch Mayer, S. 75 (77). Vgl. die Ausführungen zur Situation in einzelnen Bundesländern bei Paul Feuchte, Verfassungsgeschichte von BadenWürttemberg, Stuttgart 1983, S. 85 oder MeyerlStolleis/Stolleis § 1 n 4. 80 Vgl. hierzu Nw oben Vorbemerkungen FN 24,26. 81 V. Brünneck, S. 83; Kunz (1989), S. 54 f.; Leinweber, S. 28 f. 82 Kunz ebd.; Leinweber, S. 29. Am übeneugendsten: Stuby in Achten u.a., S. 75 (82 f.). Differenzierend: Däubler, Eigentum und Recht, S. 142 f. 83 s. hierzu ausführlich unten § 7 C. 84 Unter Berücksichtigung des anderen Vorverstiindnisses ähnlich: Stuby in Achten u.a., S. 75 (84). Vgl. auch Däubler, Eigentum und Recht, S. 147 f.

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Teil 1: Rcchtlhiatorische Dimension

SBZ mit grauenvollen Menschenrechtsverletzungen genauso bei wie die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung der Westzonen. Außerdem war offenbar das Erschrecken über das Ausmaß des nationalsozialistischen Unrechts Gegenstand eines erstaunlich schnell einsetzenden und intensiven Verdrängungsprozesses geworden. Die Parteien hatten sich inzwischen formiert, die ParteienIandschaft der Westzonen hatte ihre grundsätzliche Gliederung erfahren. Im wesentlichen wurde die Arbeit im Parlamentarischen Rat durch einen Gegensatz zwischen der SPD und dem bürgerlichen Block um die CDU geprägt, wobei aber die Atmosphäre für heutige Verhältnisse erstaunlich konstruktiv und von Kompromißbereitschaft geprägt war. Dies drückte sich gerade in den Bestimmungen des Grundgesetzes zur Wirtschafts- und Sozialordnung aus: Keine Gesellschaftsordnung, weder eine sozialistische noch die bestehende kapitalistische, sollte explizit garantiert werden. Man einigte sich auf einen gewissen Mittelkurs und hielt sich die Möglichkeiten für Umgestaltungen offen (hierin wird auch oftmals der eigentliche Existenzgrund des Art 15 GG gesehen)lIS; sowohl SPD als auch CDU/CSU hofften darauf, die bald folgenden Wahlen zu gewinnen und dann auf einfachgesetzlichem Wege die für eine Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung nach ihrer Vorstellung notwendigen Regelungen treffen zu können86 • Gerade die Positivierung umfangreicher einschlägiger Kompetenznormen des Grundgesetzes (vgl. insbesondere Art 74 Nr. 1,4, 9, 11, 12, 15, 16 und 18) deutet daraufhin, daß der einfache Bundesgesetzgeber bewußt in die Lage versetzt werden sollte, das insoweit offene Grundgesetz nach der Wahl gestaltend auszufüllen81 • Darüber hinaus gibt es speziell in der Frage der sozialen Grundrechte Hinweise für einen besonderen "Kompromiß .: Nach gängiger Darstellung verzichtete die SPD auf die Verankerung sozialer Grundrechte im Grundgesetz, im Gegenzug die CDU auf weltanschauliche Regelungen88 •

8S Kunz (1989), S. 56; Stuby in Achten u.a., S. 75 (85 f.); Däubler in Achten u.a., S. 159 (175) - nur so konnte über die Verfassung ein breiter Konsens em:icht werden. 86 Eschenauer, S. 247 f.; Wittkowslci, S. 106; A. von Brünneck, Die Ausweitung der Eigentumsgarantie durch Richtem:cht, in J. Perels (Hrsg.), S. 215 (216). 81 Rittstieg, S. 281 f.; B. Gromoll in MayerfStuby, S. 112 (122). 88 Stuby in Achten u.a., S. 75 (85); Bobke in MarxBl 1978 Heft 2, S. 82 (83); Rath, S. 50 FN 6. Diese Ansicht geht zurück auf eine Äußerung des Abgeordneten Renner (KPD) im Parlamentarischen Rat (parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht Bd. I, 9. Sitzung, S. 180). Es ist dennoch recht fragwürdig, ob dies der ausschlaggebende Punkt war. Solche Absprachen mögen stattgefunden haben. Aber auch innerhalb der CDUfCSU-Fraktion gab es einzelne Abgeordnete, die die Aufnahme sozialer Grundrechte in das GO rur angezeigt hielten. Es herrschte wohl eher allgemein ein die Mehrheiten der wichtigen Fraktionen durchziehendes Klima, das sich gegen die Aufnahme sozialer Grundrechte in das GG wandte (Eschenauer, S. 245 ff.). Die Gründe rur diese Haltung sind im folgenden im Text angetührt. Vgl. im ganzen hierzu auch Gromoll in MayerfStuby, S. 112 (127 f.); H. H. Hartwich, Sozialstaatapostulat und gesellschaftlicher status quo, Köln usw. 1970, S. 76. Differenzierend und überzeugend besonders Niclauß, S. 170 ff., bes. 179 ff. Man sollte die Behauptung Renners nicht im Sinne einer Legendenbildung rur uneingeschränkt zutreffend halten. Ganz anders z.B. Klees, S. 80: Entscheidend war der Einfluß der Alliierten.

§ 2 Die Entwicklung in Deutschland

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Vor diesem Hintergrund hatte ein Antrag der KPD zum Recht auf Arbeit im Parlamentarischen Rat (02. 05. 1949) keine Erfolgsaussichten. Die KPD forderte die Aufnahme folgender Vorschrift in das Grundgesetz: WDie menschliche Arbeitskraft genießt den besonderen gesetzlichen Schutz. Das Recht auf Arbeit wird gewährleistet. Durch Wirtschaftsp/anung ist jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhall zu sichern. Soweit ihm angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird fir seinen notwendigen Unterhall gesorgt "89.

In der Diskussion dieses Antrages wurde seine Aufnahme in das GG vor allem mit dem Argument abgelehnt, daß man nicht (wie die WRV) mit einem Recht auf Arbeit in der Verfassung Versprechungen machen dürfe, die sich hinterher als nicht einlösbar erwiesen und nur erneut eine Verfassungsverdrossenheit des Bürgers (vor allem der Arbeitslosen) auslösen würden, was ihn anfällig für radikale Kräfte mache90 • Es wurde auch vorgebracht, daß sich die sozialen Verhältnisse sowie die Vorstellungen über die Ausgestaltung der sozialen Ordnung ständig und in nicht vorhersehbarer Weise wandelten, so daß eine Verfassung, die ständiger textlicher Änderung nicht unterworfen sein sollte, nicht zur Niederlegung sozialer Rechte (gerade in den unsicheren Nachkriegsjahren) geeignet sei91. Ferner wurde ein Zusammenhang mit Art 1 III GG hergestellt: Die Grundrechte sollten auf jeden Fall konkretisierbar sein. Hinsichtlich der Möglichkeit der Konkretisierung von sozialen Grundrechten war man jedoch gerade wegen der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Situation sehr skeptisch92 • Zudem wurde mit dem provisorischen Charakter des Grundgesetzes argumentiert, der eine Festlegung im sozialen Bereich nicht nahelege93 • Offenbar spielte auch die Furcht vor der ambivalenten Natur der sozialen Grundrechte eine große Rolle. Hitler hatte unter dem Vorwand der sozialen Sicherung das Verschaffen von Arbeit und die Bekämpfung von Verelendung und Armut gegen die Freiheitsrechte der Betroffenen erfolgreich ausgespielt, mit dem Recht auf Arbeit als formalem Argument Arbeitszwang begründet und damit eine wesentliche Stütze seiner Diktatur aufbauen können. Gerade den Gewerkschaften war dieser Zusammenhang bewußt, weshalb sie sich ohne großen Widerstand mit dem Verbot der

89 Zitiert nach Leinweber, S. 32 = Kunz, S. 56 = A. Stein, S. 29 = Bobke in MarxBl 1978 Heft 2, S. 82 (83). 90 Rath, S. 49, O. Bachof in VVDStRL 12,37 (44); T. Ramm, in JZ 1972, 137 (143); W. Weber, Der Staat 4, 409 (412 f.); Daum, RdA 1968, 81 (87); A. Stein, S. 26; Eschenauer, S. 249. Scharf gegen diese Argumentation: Leinweber, S. 277 (FN 167) - er meint, diese Überlegung habe kaum eine Rolle gespielt. 91 Vgl. z.B. die Ausführungen des Abgeordneten Heuss (parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht Bd. I, S. 44); bei Barth, S. 15, 17. Allgemein Rath, S. 48; s. auch Eschenauer ebd. 92 Eschenauer, S. 247. 93 Vgl. hierzu Schmidt-BleibtreufKIein, Kommentar zum Grundgesetz, Neuwied usw. 199017, Arun. 18 vor Art 1; w. Hersehel, Das Arbeitsrecht in K. BetterrnannlH. C. Nipperdey/U. Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 3.1, Berlin 1958, S. 325 (326). Offenbar zweifelnd Barth, S. 17. ~

Nenninger

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Teil I: Rechtahistorische Dimension

Zwangsarbeit im Grundgesetz begnügten94•9S • Deshalb wollte man im Parlamentarischen Rat hinsichtlich der sozialen Grundrechte Zurückhaltung üben und den Freiheitsrechten absoluten Vorrang einräumen96 • Zuletzt waren sich, wie oben dargelegt, SPD und CDU/CSU einig darüber, daß die Wirtschaftsverfassung des GG offen bleibe solle97 ; auch über soziale Grundrechte wollte man hier nichts präjudizieren98 • Der Antrag der KPD wurde mit Mehrheit abgelehnt99 , eine ausdrückliche Aufnahme eines Rechts auf Arbeit in das Grundgesetz unterbliebHIO.

m. Die Entwicklung in der SBZ Die friedliche Revolution im Oktober 1989, die in die deutsche Einheit am 03. 10. 1990 mündete, hat endgültig gezeigt, daß die "DDR" ein totalitärer Staat ohne Legitimation oder auch nur Unterstützung ihres "Staatsvolkes" war - späteren Generationen wird sie nur noch eine Fußnote der Geschichte sein. Die berechtigte Ablehnung des damaligen Systems darf uns jedoch nicht dazu verführen, jede Einrichtung dieses Systems ohne Prüfung in Bausch und Bogen zu verdammen. Deshalb ist auch die Ausprägung, die das Recht auf Arbeit in der SBZ und der "DDR" gefunden hatte, einer näheren Betrachtung wert, zumal es durchaus als Paradigma des "Rechts auf Arbeit" in sozialistischem Kontext dienen kann lol • Hinsichtlich der Entwicklung in der SBZ und der nachmaligen "DDR" sind drei Phasen zu unterscheiden: (1) Das Recht auf Arbeit im Prozeß der sich vertiefenden Abspaltung der SBZ von den drei Westzonen lO2 (insbesondere die Bestimmungen der Verfassungen der damaligen und jetzt wieder hergestellten östlichen fünf Länder lO3)

94 Schäfer, S. 295 (305); Martiny in FS Vetter, S. 449 (456); Henning in Ryffel/Schwardtländer, S. 31 (46). 9S Übemaupt waren die Gewerkschaften in der gesamten Nachkriegszeit hinsichtlich der Forderung nach Positivierung des Rechts auf Arbeit sehr zulÜckhaltend. Oft war das Recht auf Arbeit, wie sie es immer wieder zur Diskussion stellten, als moralische Verpflichtung der Politik und weniger als rechtlicher Grundsatz gemeint; gelegentliche Forderungen nach einer Niederlegung im Grundgesetz waren nicht als Anspruch im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts zu verstehen. Vgl. zum Ganzen Martiny in FS Vetter, S. 449 (451) mwNw (geschichtliche Darstellung und BeglÜndung der Gewerkschaftshaltung). S. auch Nw oben Vorbemerkung FN25. 96 Eschenauer, S. 246 f.; Ramm in Böckentörde u.a., S. 17 (21). 97 s. oben. 98 Eschenauer, S. 247. 99 Leinweber, S. 32; Kunz, S. 56. 100 Über die Analyse des GG s. ausführlich unten § 7 E. 101 s. hierzu auch die ausführlichen Untersuchungen von Kunz (1955) und Leinweber. Der Wert dieser Monographien ist jedoch eingeschränkt, weil sie von systemtreuen bzw. von ihm nahestehenden (Leinweber) Juristen verfaßt wurden, die auch den Mängeln der Diktatur völlig unkritisch und beschönigend gegenüberstanden. 102 s. hierzu z.B. Leinweber, S. 58 ff.; F. Kunz in NJ 1985,90 (90); ders. (1955), S. 63 ff. 103 s. hierzu die Texte unter § 7 C m 3 d-f.

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(2) Das Recht auf Arbeit unter Art 1511 der Verfassung vom 07. 10. 1949: Das Recht auf Arbeit wird verbilrgt. Der StQlJl sichert durch Wirtschaftslenkung jedem Bilrger Arbeit und Lebensunterhall. Soweit dem Bilrger angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden Jcann, wird ftlr seinen notwendigen Lebensunterhall gesorgtlO4,IOS.

(3) Das Recht auf Arbeit unter Art 24 I der Verfassung vom 09. 04. 1968 (unverändert übernommen in der Verfassung vom 07, 10. 1974): -(1) Jeder Bilrger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der perslJnlichen Qualifikation, (. .. )

(2) Gesellschaftlich niltzliche Ttuigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsftJhigen Bilrger. Das Recht auf Arbeit und die pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit.

(3) Das Recht auf Arbeit wird gewlJhrleistet durch das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln,' durch die sozialistische Planung und Leitung des gesellschaftlichen Produktionsproz.esses; durch das stetige und planmlJßige Wachstum der sozialistischen Produktivkrllfte und der Arbeilsproduktivilllt; durch die konsequente DurchJUhrung der wissenschaftlich-technischen Revolution; durch stllndige Bildung und Weiterbildung der Bilrger und das einheitliche sozialistische Arbeitsrecht·IC16,I07.

Dabei ist darauf hinzuweisen, daß das Recht auf Arbeit auch in der ehemaligen "DDR-niemals ein einklagbares Individualrecht war lOll und außerdem 104 Zitiert nach H. Hildebrandt. Die deutschen Verf.ssungen des 19. und 20. Jahrhunderts. P.derbom 1983/12. S. 200 = Hesse-S.lzig in ABA 1957. 36 (38) = Bobke in M.rxBl 1978 Heft 2. S. 81 (88 FN 34). lOS s. hieau: Leinweber. S. 169 ff.; Kunz. S. 73 ff.; ders. in NJ 1985.90 (90 f.). 106 Zitiert nach Rath. S. 77 f. = Hildebrandt. S. 246 = Schwerdtner in ZfA 1977. 47 (61) = Pfarr in DuR 1973, 124 (126) = S.ner, S. 116 f. = Hemekamp, S. 118. 107 s. im übrigen hieau: Kunz, S. 90 ff.; B. Rüthers. Arbeitsrecht und politisches System. Frankfurt 1973. S. 32 f.; Rich.rdi. S. 31; Kunz in NJ 1985. 90 (91 f.). Zur Entstehungsgeschichte: F.Kunz, Neue Sozi.listische Verfassung - Bil.nz und Perspektive des Arbeitsrechts der DDR in AuA 1968. 134 ff. 1011 Rüthers. S. 33; R.th, S. 79; Brunner. S. 30 f.; D.um in RdA 1968. 81 (82); Rich.rdi ebd.; D. Müller-Römer. Die Grundrechte in Mitteldeutschl.nd. Köln 1965. S. 172; Eschenauer. S. 261; Barth. S. 43; AKlKittner, GG. Art 20 Abs. 1-3 IV 77; ders. in Böckentörde u .•.• S. 91 (91); R. Scholz. D.s Recht .uf Arbeit. in Böckentörde u .•.• S. 75 (76 f.); K. Löw. Die Grundrechte - Verständnis und Wirklichkeit in den beiden Teilen Deutschl.nds, München 1977. S. 29; Schwerdtner in ZfA 1977. 47 (60); Kunz (1955). S. 42; S.ner. S. 130; G. Schultz in MDR 1977.640 (641); Pf.rr in DuR 1973. 124 (126); A. Stein. S. 41; Junge in Arbeitgeber 1978. 8 (8); R. Motsch, D.s Recht .uf Arbeit in den beiden deutschen Sta.ten in ROW 1987, 368 (369). Brunner, S. 33 FN 85 spricht davon, daß d.s Recht .uf Arbeit nur vor Erlaß des Arbeitsgesetzbuches eine gewisse Bedeutung hatte, .ber .uch d.mals nur ideologisch verbrämt: 1m Streit gegen sta.t1iche Arbeitgeber wurde es zurückhaltend und damit zu Lasten des Arbeitnehmers ausgelegt. im Streit gegen priv.te Arbeitgeber extensiv und d.mit zu Lasten des Arbeitgebers.

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Teil I: RechtBhistorische Dimension

nur in untrennbarem Zusammenhang mit der Pflicht zur Arbeit gesehen werden kann lO9 • Mittel zur wVerwirklichung des Rechts auf Arbeit war eine in weiten Zügen to~litäre Gestaltung des Arbeitsrechts llo , verbunden mit einer metaphysischen Uberhöhung der Arbeit und der Behauptung, der Sozialismus habe die Entfremdung der Arbeiter aufgelöst lll • Vor allem Ausbildungsfreiheit und Berufswahlfreiheit waren einer die Wahlfreiheit stark einschränkenden Lenkung unterworfen und wurden zentral gesteuert ll2• Andererseits scheint entgegen verbreiteten Vorstellungen in den alten Bundesländern die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes in der wDDR· nicht völlig eingeschränkt gewesen zu sein, Bewerbungen für andere Arbeitsplätze waren durchaus möglich; im übrigen war der Kündigungsschutz potentiell sehr starkll3. Allerdings erfolgten die Lenkungsmaßnahmen nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Man verW

109 So schon der Verfassungswortlaut (Art 24 D 2). Weiterhin Junge ebd.; Rüthers ebd.; Rath, S. 78; Eschenauer, S. 260 mit tiefergehender Begründung; Barth, S. 42; M/D/H/S/Scholz Art 12/44; Akademie .. .IPoppe, Staatsrecht der DDR, S. 203; R. Wank, Das Recht auf Arbeit im Verfassungsrecht und im Arbeitsrecht, Königsteinfl's., 1989, S. 73 ff.; S. Mampel, Unter der Herrschaft der SED, in ASP 1971, 326 (327); Pfarr in DuR 1973, 124 (126); Müller·Römer, S. 172 (zu Art 15 alte Verfassung). Dies ist nicht ganz unstreitig, denn die Arbeitnehmer hatten eine gewisse Wahlfreiheit nur unter den Arbeitsplätzen, die ihnen angeboten wurden (was in der Tat nicht selten mehr als einer war) - daneben war es zwar möglich, daß sie auch von sich aus eine neue Arbeitsstelle suchten, es ist aber schwer zu beurteilen, inwieweit dann auch ein gewollter Wechsel durchgesetzt werden konnte. Die Aspekte der Unfreiheit werden mehr betont bei H. Kleiner, Arbeitskräftelenkung in der Zcntralplanwirtschaft in RdA 1971, 69 (70, 74); D. Reuter in RdA 1978, 344 (347) und besonders überzeugend Müller-Römer, S. 174 f. Von idealtypisch gewährter Berufsfreiheit gehen offenbar aus: Pfarr in DuR 1973, 124 (128 f.); Klees, S. 169 f. (unhaltbar). Allgemein zur Tendenz einer Umdeutung der Grundrechte in Pflichten in der "DDR": Löw, S. 29; Brunner, S. 31; Saner, S. 113; Motsch in ROW 1987, 368 (370). Zuzustimmen ist dem Verdikt von C. Starck in ZcvKR 1990, 237 (241): 1m SED-Staat waren Grundrechte nur Rhetorik. 110 Beispiele für die (nach westlichem Verständnis abzulehnende) Instrumentalisierung des Arbeitsrechts, wie sie offen zugegeben wurde: Intensiver Einfluß des FOGB auf die Rechtsprechung der Gerichte bis hin zum Obersten Gericht (W. Strasberg, Plenartagung des Obersten Gerichts zur Auswertung des 11. FDGB-Kongresscs in NJ 1987, 353 (353); politisch-ideologische Ausrichtung des Arbeitsrechts (ZK-Mitglied W. Beyreuther in NJ 1988,90 (91» und ganz offen "Die neuen aroeitsrcchtlichen Regelungen sind geprägt von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei in unserem Staat" (H. Tisch, Das neue AGB ein Gesetz der sozialen Sicherheit und Menschenwürde in NJ 1977, 382 (382». Hierzu auch Löw, S. 27 ff. Allgemeine Darstellungen des (alten) ostdeutschen Arbeitsrechts bei Rüthers (Vergleich OstWest), bes. S. 77 f., 96 ff., 127 ff.; Wank, S. 73 ff.; K. Pleyer in RdA 1978,351 ff. mit umfassenden Nw in FN 1. 111 Tomuschat in Symposium für Partsch, S. 45 (46) mwNw. Vgl. auch aus der SED-Literatur (die Titel sprechen für sich): K. Sorgenicht, Recht auf Arbeit - Grundlegendes Menschenrecht in NJ 1977, 157 (157); W. Thiel, Die pecsönlichkeitsbildende Rolle des sozialistischen Arbeitsrechts in NJ 1977,581 (581); H. Tisch, Das neue AGB - ein Gesetz der sozialen Sicherheit und Menschenwürde in NJ 1977,382 (382). 112 Leinweber, S. 58 ff., 192 ff., 209 ff.; Rüthers, S. 77 f.; Harnhusch in AuR 1972, 268 (271); Eschenauer, S. 264 f., 267 f.; Barth, S. 42; Kleiner in RdA 1971, 69 (71 ff.); Saner, S. 121 f.; Pfarr in DuR 1973, 124 (129). 113 Rüthers, S. 73 ff.; Leinweber, S. 264 f. Vgl. auch AKlKittner, GG Art 20 Abs. 1-3 IV 77; Mampel in ASP 1971, 326 (330); Saner, S. 127.

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weigerte z.B. politisch mißliebigen Bürgern 1l4 und (im Sinne einer politischrepressiv wirkenden Sippenhaftung) deren Angehörigen den Zugang zu gehobener Berufsausbildung bzw. begünstigte die Angehörigen von politisch einflußreichen Mitgliedern der SED. Im übrigen ist klarzustellen, daß gerade im Fall des Rechts auf Arbeit in der ehemaligen "DDR" Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit weit auseinanderklafftenll5 • Es gab durchaus viele Menschen, denen zur politischen Disziplinierung Arbeit verweigert wurde. Da es aber wegen der angeblichen Verwirklichung der Vollbeschäftigung keine Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe gab, wurde gerade durch diese auch nach damaligem "DDR"-Recht rechtswidrigen Maßnahmen sogar das Recht auf Existenz der Betroffenen in dramatischer Weise negiert 116,1l7. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, daß der Vorwurf, auch bzw. gerade in der sozialistischen "DDR" habe eine große verschleierte Arbeitslosigkeit bestanden, wohl völlig zu Recht erhoben wurde. Offenbar wurden in den Verwaltungen (seien es öffentliche, seien es die von Betrieben) zahlreiche Arbeitnehmer beschäftigt, für die keine oder nicht ausreichend Arbeit im 114 Tomuschat in Symposium für Partsch, S. 45 (46). Vgl. z.B. auch FAZ vom 02. 05. 1977, S. 1. Ausführlich Müller-Römer, S. 173: Die Kündigung aus politischen Gründen war immer auch als fristlose möglich (Beispiele und Nw S. 173 f., 176, z.B.: Kündigung wegen der Äußerung, nicht an der Kundgebung zum 1. Mai teilnehmen zu wollen oder weil die Söhne (!) in die Bundesrepublik geflüchtet waren). 115 Deswegen völlig unzulässig das Vorgehen von Pfarr in DuR 1973, 168 ff., die die Rechtswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschlaod und die Rechtstexte der "DDR" (letztere auch noch unkritisch) miteinander verglich und wohl zu dem Ergebnis kam, die Verhältnisse in der ehemaligen "DDR" seien denen in der alten Bundesrepublik überlegen, die Arbeitsverhältnisse dort demokratischer und humaner. Das Volk, das in diesen Verhältnissen, die ihm die schönen Texte ermöglichten, leben und leiden mußte, sah dies, wie die Revolution zeigte, anders. Formulierungen wie "( ... ) 1968 sah sich die DDR durch das weitgehende Verschwinden der überkommenen Klassengegensätze ( ... ) und das Bestehen erprobter politischer Institutionen in der Lage, das Recht auf Arbeit als voll entfaltetes Recht zu normieren" (S. 125) oder die Ausführungen zur angeblichen demokratischen Durchgestaltung des Arbeitsrechts Ost (S. 131) s0wie die Feststellung, die Ideen Fouriers seien nicht nur Utopien, sondern ernst zu nehmen (S. 133) bedürfen keines weiteren Kommentars. Die inzwischen Ministerin gewordene Professorin konstatiert demgegenüber die grundsätzliche Krisenhaftigkeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme und ruft dazu auf, den Grundwiderspruch kapitalistischer Gesellschaften zu überwinden (S. 134). Bezeichnenderweise findet Pfarr Zustimmung bei Bobke, Marx. B. 1978, Heft 2, S. 82 (84) und erf"ahrt berechtigterweise schärfste Kritik bei D. Reuter in ZfA 1975, 85 (91 FN 35) und Schwerdtner in ZfA 1977, 47 (62). Aus denselben Gründen ist die naive Stellungnahme bei U. Hummel in Blätter für Wohlfahrtspflege 1978, 137 (137) abzulehnen. 116 Tomuschat in Symposium für Partsch, S. 45 (46). 117 Andererseits wurden einige bemerkenswerte sozialpolitische Forderungen als Ausprägungen eines sehr weit ausgelegten Rechts auf Arbeit verstanden (Babyjahr, spezieller Kündigungsschutz, Aus- und Weiterbildung, Eillfliederung von Behinderten usw.). Hierzu allgemein Kunz in NJ 1985, 90 (91 f.); ohne Verf., Uber die Wirksamkeit des Arbeitsgesetzbuches in NJ 1988,265 (266). Zu Behinderten und ihrem Recht auf Arbeit (allerdings dürften die Ausführungen bereits wieder idealisierende Züge aufweisen): R. GoetzelR. Schlegel, Umfassende Fürsorge für physisch und psychisch geschädigte Bürger in NJ 1981, 258 ff. (bes. 259); H. Mück, Rehabilitation im Recht der DDR in Deutschland Archiv 1978,274 ff. (bes. 276 zur Anordnung zur Sicherung des Rechts auf Arbeit für Rehabilitanden, GBI DDR 19690 Nr. 75, S. 470).

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Teil 1: RechlihistorilChe Dimenaion

Sinne produktiver Tätigkeit vorhanden war llS • Juristisch erscheint es deshalb nur als eine Frage der verwendeten Begriffe, ob man überschüssige Arbeitskraft in Form von völlig unproduktiver Arbeit autrangt (Unterbeschäftigung) wie in der ehemaligen "DDR" oder als Arbeitslose mit öffentlichen Geldern untersrutzt ll9 •

IV. Die Deutsche Einheit und das Recht auf Arbeit in den neuen Bundesländern Nach der friedlichen Revolution im Oktober 1989 und der Einheit Deutschlands hat die Bedeutung des Rechts auf Arbeit für die Deutschen in den neuen Bundesländern angesichts der sich inzwischen deutlich abzeichnenden katastrophalen Massenarbeitslosigkeit eher noch zugenommen. Di~. Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern trat dort bereits unter dem Ubergangsregime von Modrow hervor (Anfang 1990 mit ca. 50.000 Arbeitslosen), als die ersten Betriebe begannen, die Arbeitsplätze abzubauen, die nur auf Druck staatlicher Behörden ohne jeglichen ökonomischen Sinn geschaffen worden warenl:lll • Inzwischen ist die Arbeitslosigkeit rasend schnell angestiegen. Betrug sie im Juni 1990 noch 142.000 Personen l2l , so waren im April 1991 bereits 836.940 Personen (Arbeitslosenquote 9,5 %) erreichtl22. Für Januar 1992 kann man m.E. nach dem endgültigen Auslaufen der Kurzarbeitsregelungen von über 2 Millionen Arbeitslosen ausgehen (Quote ca. 25 %123). Für die nähere Zukunft sind positivere Prognosen kaum realistisch. Eine Schätzung der Arbeitslosen für 1992 auf 2,5 Millionen l24 erscheint nicht übertrieben pessimistisch. Selbst die Zahl von 4 Mio. Arbeitslosen (Quote: 50 %) für den Höhepunkt der Arbeitslosigkeitl 25 mag vielleicht etwas pessimistisch sein, kann aber keinesfalls unseriös genannt werden.

Unter diesen Umständen gewinnt das Arbeitsförderungsrecht zentrale Bedeutung. Das Arbeitsrorderungsrecht der neuen Bundesländer findet seinen 118 Ralb, S. 79 FN 22; Eachenauer, S. 263 FN 3 mwNw; R. Heuse in AuA 1990, 47 (47); Reuter in ZfA 1975, 85 (91 FN 35); Moritz in RdA 1980, 272 (273); Wank, S. 77; Gemper in FS Gleitze, S. 129 (133). Vgl. auch F.BuulerlU. Wahwei in MiuAB 1990, 386 (387) unter zusätzlichem Hinwei. auf Allokationsprobleme. Differenzierend, aber durch die En,wicklung widerlegt Motsch in ROW 1987, 368 (369). 119 Zu beriicksichtigen sind in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur die Belastungen einer wenig sinnvollen Arbeit in einem totalitären Kontext, sondern auch auf der anderen Seite die psychischen und physischen Belastungen von Arbeitslosigkeit für den jeweils Betroffenen (s. hierzu unten § 7 E VD 2). 1'lII D. Berg in AuB 1990, 98 (98). Genaue Aufschlüsselungen der überbeschäftigten Bereiche finden sich bei W. Adamy in WSI-Miueil. 1990,433 (434); ders. in SF 1990, 169 (170); R. SchäferlJ. Wahse in MiuAB 1990,68 (72 ff.). 121 Adamy in WSI-MiueilI990, 433 (435). 122 Bundesanatslt für Arbeit (Ursg.), Amtliche Nachrichten. 123 Eigene Schätzung. 124 Wirtschaftawoche 1991, Heft 32, S. 12. 125 Berg in AuB 1990, 98 (98). Differenzierend, aber von ähnlichen Zahlen ausgehend Adamy in SF 1990, 169 (169)

I 2 Die Entwicklung in Deutschland

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Ausgangspunkt in einer Verordnung vom 08. 02. 1990126, die bestimmte Zahlungen bei Arbeitslosigkeit vorsah und von Regelungen über Vorruhestandsl27- und Umschulungsregelungen l28 begleitet wurde l29. Nach der Wirtschafts-, Währuogs- und Sozialunion und der Einheit Deutschlands wurde bei teilweiser Fortgeltung dieses Arbeitsförderungsrechts 130 weitgehend das AFG der alten Bundesrepublik zur Grundlage des Aufbaus der Arbeitsvetwaltung in den neuen Bundesländern gemacht. Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern spielt die klassische Stellenvennittlung allerdings mangels offener Stellen kaum eine Rolle l3l • Neben der bis zum 31. 12. 1991 verlängerten großzügigen Kurzarbeitsregelung 132 wurden die allerschlimmsten Schwierigkeiten kurzfristig bewältigt, zum Teil auch verdeckt. Entscheidende Bedeutung haben im Beitrittsgebiet nunmehr neben Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung 133 vor allem ABMI34. Das Recht auf Arbeit aus Art 24 VerfDDR galt also noch bis zum 03. 10. 1990 weiter, allerdings durch das bereits seit dem 1. Staatsvertrag geltende Kündigungsschutzrecht stark modifiziert und abgeschwächt (es durfte keinen höheren Bestandsschutz mehr verleihen als nach dem bisherigen Kündigungsschutzrecht West)I3.S.

GBI DDR 1990 I, S. 41. GBI DDR 1990 I, S. 42. 128 GBI DDR 1990 I, S. 83. 129 Berg in AuB 1990, 98 (98 f.). 130 Vgl. hierzu auch vorne Vorbem. A a.E. und Bubeck, Einigungsvertrag und Arbeitsförderungsrecht in NZA 1990, 966 tT. 131 Ausnahme: Pendler in die alten Bundesländer. 132 Anordnung vom 20.08. 1990, abgedruckt bei P. Hanau u.a., Da. Arbeitsrecht der neuen Bundesländer, Köln 1991, m 3. 14. Vgl. auch Bubeck in NZA 1990,966 (967 f.). 133 Hierzu K. Kielwein u.a., Aus- und Weiterbildung, Köln 1991, bes. S. 77 ff. (s. auch ebd. Vorwort von H. Franke, S. 5: 6,7 Mrd. DM für Maßnahmen in den neuen Bundesländern in diesem Bereich für 1991 vorgesehen). Zum Thema auch Adamy in WS I-Mitteil 1990,433 (438 f.); Bubeck in NZA 1990, 966 (967). Statistische Angaben bereits oben Vorbem. A. 134 Zu den Besonderheiten der ABM-Ost Bubeck in NZA 1990, 966 (969). Entscheidend sind die Anordnungen ABM (abgedruckt bei Hanau u.a. m 3.12), nach § 99 AFG (für ältere AN) (Hanau u.a. m 3.13) und zur Förderung der Arbeitsaufnahme (Hanau u.a. m 3.10). Zum Übergangsrecht zwischen 1. und 2. Staatsvertrag allgemein: O. KisseI in NZA 1990, 545 ff. Statistische Angaben bereits oben Vorbem. A. 13S ButtlerlWahwei in MiuAB 1990,386 (387); Kissel in NZA 1990, 545 (547 f.). 126

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§ 3 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Es hat sich gezeigt, daß der Begriff "Recht auf Arbeit" im Laufe der Zeit sehr uneinheitlich verwendet wurde. Die Spannweite reicht im engeren Sinne von einem subjektiven öffentlichen Recht auf Arbeitsbeschaffung bis zu einem Sammelbegriff der "(Voll-) Beschäftigungsförderung" in einem sehr umfassenden Sinne, der auch Existenzsicherung, Arbeitsvermittlung, gerechte Arbeitsbedingungen einschließlich Mitbestimmung und anderes mehr umfaßt; andererseits kann vereinzelt sogar eine Verengung zu einem reinen Freiheitsrecht beobachtet werden. Auch der Bezug zum Recht auf Existenz wurde immer wieder hergestellt. "Recht auf Arbeit" erschien teilweise nur als Verpflichtung des Staates zur Armenhilfe, häufig auch als Kombination der Beschaffung eines Arbeitsplatzes mit subsidiärer Existenzsicherung durch Zahlung von Unterhalt, falls die Zuweisung eines Arbeitsplatzes nicht gelingen sollte. Dies bedeutet für den nächsten Schritt der Untersuchung - die Analyse des japanischen Rechtszustands -, daß die Suche nach Gehalten des Rechts auf Arbeit im japanischen Recht nicht nur auf ein subjektives öffentliches Recht verengt werden darf, sondern auch andere Rechtsqualitäten im Bereich des objektiven Rechts und/oder sogar im Rahmen des Zivil- und Arbeitsrechts berücksichtigen muß. Gleichzeitig darf inhaltlich nicht allein die Arbeitsplatzbeschaffung im Mittelpunkt der Suche stehen. Vielmehr dürfen in einem wesentlich weiteren Sinne des "Rechts auf Arbeit" oben genannte Rechtsbereiche nicht vernachlässigt werden.

Teil 2

Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan § 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

A. Verfassungsrechtliche Ebene I. System des japanischen Verfassungsrechts 1. Verfassungsgeschichte

a) Die Meiji-Verfassung

aa) Die Entstehung der Meiji-Verfassung Auf der Grundlage eines sehr weiten und materiellen Verfassungsverständnisses wird teilweise die Verfassung der 17 Artikel des Prinzen Shötoku von 604 als erste Verfassung Japans bezeichnet, auch wenn sie im wesentlichen nur Normen moralischer, aber nicht rechtlicher Natur enthielt!. Den Beginn der Meiji-Restauration markiert die Rückgabe der Herrschaftsgewalt über Japan durch den 15. Shögun Yoshinobu an den Meiji-Tennö am 09.02.18672. Diese teils revolutionäre, teils restaurative Entwicklung fand einen gewissen Abschluß in der Schaffung der Meiji-Verfassung (MV) etwa zwanzig Jahre später3 •

1 s. hierzu unten § 6 BIll mwNw. Vgl. die Ausführungen bei I. Satö, Grundriß der N, Tölc:yö 6113, S. 3; Maki in D. F. Henderson, The Constitution of Japan, Seattle 1968, S. 5 mwNw. 2 s. hierzu unten § 6 B ß 4. 3 Zur Entstehungsgeschichte der MV ausführlich G.M. Beclc:mann, The Making ofthe MeijiConstitution, Westport 1957, mit zahlreichen ins Englische übersetzten Dokumenten und Literaturhinweisen im Anhang; auf Japanisch mit allen wesentlichen Dokumenten s. vor allem

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Iapan

Vor allem zwei Beweggründe veranlaßten die Führer der Meiji-Restauration, eine Verfassung zu schaffen: (1) Die neue Regierung begann alsbald mit dem Aufbau eines modemen, zentralisierten Staates. Am 03.01.1868 wurde durch den Befehl über die kaiserliche Restauration das Shögunat und mit ihm der Feudalstaat abgeschafft4 • Erst im Laufe der nächsten Jahre begann sich in Japan als völlig neuer Begriff die Idee der öffentlichen Meinung zu entwickeln, wobei damit erst ab etwa 1874 Forderungen nach Parlamentarismus verbunden waren5• Die Regierung begann zunächst, lokale Parlamente einzurichten (1878, 1880)6, um erst später ein Reichsparlament auf verfassungsrechtlicher Grundlage einzuführen, das einerseits dem Verlangen nach Parlamentarismus entgegenkam, andererseits aber die Regierung nicht zu sehr bei der Verwirklichung ihrer politischen Vorhaben beeinträchtigen konnte1 • (2) Im Zuge der Meiji-Restauration schritt die Positivierung des Rechts sehr schnell voran, weil man in ihr eines der wichtigsten Mittel zur Revision der "ungleichen Verträge" saha. Dabei kam der Verfassung eine gewisse "abrundende Schlüssel funktion " ZU9. Im Jahre 1874 wurde die oberste Regierungsbehörde mit der Erarbeitung eines Verfassungsentwurfes beauftragt und im Mai 1874 ein Rat für die KodifIkation des Verfassungsrechts gegründet. Der Ältestenrat setzte 1876 einen Verfassungsuntersuchungsausschuß ein, der schließlich im Dezember 1880 einen - zwischenzeitlich auf Grund erheblicher Kritik überarbeiteten - Entwurf dem Tenno vorlegte. Dieser Entwurf orientierte sich vor allem an der belgischen Verfassung von 1831 und an der preußischen Verfassung von 1850 unter besonderer Berücksichtigung des Prinzips der (deutschrechtlichen) konstitutionellen Monarchie. 1881 bestimmten schließlich Regierung und Tenno, daß 1890 ein Parlament eröffnet werde und bis dahin eine Verfassung

M. Inada, Entstehungsgeschichte der MV, 2 Bde., Tökyö 35 und 37. Vgl. auch C. H. Ule in DVBI 1989, 173 (175 f.). 4 N. Kobayashi, Vorlesungen zum Verfassungsrecht (I), Tökyö 1955, S. 78; Miyazawa, S. 13; Beckmann, S. 12 ff., 22. 5 Der Meiji-Tennö hatte allerdings bereits 1867 dem Volk recht abstrakt eine Verfassung versprochen und erneuerte dieses Versprechen 1877 unter dem Eindruck des Satsuma-Aufstands (H. Over, Die japanische Verfassung und die sie ergänzenden Gesetze, Boma/Leipzig 1908 (Diss.), S. 10 f.). 6 N. Kobayashi, S. 80 f.; Miyazawa, S. 14 ff.; Beckmann, S. 7 ff., 41 ff., 43 f.; I. Siemes, Hennann Rösler und die Einführung des deutschen Staatsrechts in Iapan, Berlin 1975, S. 43 f.; ders. in Der Staat 2, S. 181 (181 f.); Nojiri in Von BarloewenlWerbahn-Mees Bd. 2, S. 141 (148); H. H. Ruete, Der Einfluß des abendländischen Rechts auf die Rechtsgestsltung in Iapan und China, Bonn 1940, S. 82 f. 1 E.O. Reischauer, Tbe Iapanese, Tökyö 1982, S. 87; Beckmann, S. 53 und bes. S. 95; Maki in Henderson, S. 6; Siemes, S.43 f.; Irokawa in Scheiner, S. 191 f., 194 ff. a Ishida, S. 118; Reischauer, S. 87; Igarashi, Einfürung in das japanische Recht, Darmatadt 1990, S. 1 f. 9 Ein gewisser Durchbruch bei der Vertragsrevision gelang übrigens erst in den Iahren 1897 bis 1899; vgl. Over, S. 32, 71 f.

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

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zu schaffen seilo. Die wesentlichen Ausarbeitungen nahm dabei ein Stab vor, den Ito Hirobumi nach seiner Rückkehr von langjährigen Studienaufenthalten in Europa, vor allem in Deutschland, ab 1886 leitete; sein wichtigster Berater war der Deutsche Hermann Roesler. Im April 1888 erstattete man dem Tenno Bericht. Schließlich wurde am 11. 02. 1889 nach Beratung im Geheimen Rat die Verfassung des Großjapanischen Reiches im Amtsblatt verkündet und gemeinsam mit Wahl- und Parlamentsgesetzen, dem kaiserlichen Hauskodex sowie einigen anderen Gesetzen erlassen. "Allgemeine" Wahlen zum Abgeordnetenhaus wurden im Juli 1890 durchgeführt. Am 29. 11. des gleichen Jahres trat der erste Reichstag auf Befehl des Tennos zusammen; die MV trat am selben Tag in Kraftll.12. Die MV war im Namen des Tennos erlassen worden, sie ist also keine Volksverfassung, sondern eine oktroyierte l3 . So wird z.B. berichtet, wie in den Jahren 1889/90 große Aufregung und Freude wegen des Erlasses der Verfassung herrschte, obwohl niemand ihren Inhalt kanntel 4 •

In den 58 Jahren ihrer Geltung wurde die MV nicht ein einziges Mal geändert ls . bb) Grundprinzipien der MV Häufig zitiert und auch durchaus zutreffend ist das Schlagwort, die MV sei eine um das Tenno-System angereicherte Preußische Verfassung von 185016 oder mit anderen Worten, sie verbinde eine deutschrechtliche konstitutionelle Monarchie mit einem starken Theokratismus 17 •

10 N. Kobayashi, S. 82 ff.; Miyazawa, S. 16 f.; Beckmann, S. 27 ff., 46 ff., 58 ff.; U1e in DVB11989, 173 (175); Siemes in Der Staat 2, 181 (182). II N. Kobayashi, S. 84 ff.; Miyazawa, S. 17 ff.; Beckmann, S. 69 ff., 77 ff.; U1e ebd. Vg\. unter besonderer Beriicksichtigung des deutschen Einflusses: Siemes, S.60 ff. 12 Deutscher Text bei W. Röhl, Iapanische Verfassung, Berlin 1957, Anhang B, S. 147 ff. 13 K. Yamashita u.a., Grundriß der Verfassung, Tokyo 59, S. 19; Fujii, Iapanisches Verfassungsrecht, Tokyo 1940, s. 91, 100; Ule in DVB11989, 175 (175). Vg\. auch P. Kevenhörster, Das politische System Iapans, Köln usw. 1969, S. 15. So auch das Kaiserliche Edikt (ein Teil der Präambel der IV), s. auch M. Scheer in Eubel, S. 53 (54). 14 Yamashita, S. 19 unter Berufung auf die Beobachtungen eines deutschen Arztes, der sich zu jener Zeit in Tokyo befand. IS W. Röhl, Fremde Einflüsse im modemen japanischen Recht, Frankfurt usw. 1959 (zit. im folgenden "Einflüsse"), S. 20. Zur Verfassungsänderungsproblematik der MV s. unten am Ende dieses Abschnitta. 16 \. Saw, Grundriß des japanischen Verfassungsrechts, Tokyo 6113, S. 41; Yamashita, S. 23; N. Kobayashi, S. 82; Igarashi, S. 18; Over, S. 70. Dies sah übrigens Iw auch selbst so (zitiert nach Beckmann, S. 77). Vg\. auch T. Kobayashi, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, Tokyo 54, S. 144 ff. (zitiert im folgenden: "Kommentierte ... "), der einen recht detaillierten Vergleich anstellt und betont, daß die Grundrechtsgarantien der preußischen Verfassung von 1850 viel weiter gingen als die der MV (S. 146 f.), im organisatorischen Teil aber sehr viele Parallelen zu finden sind (S. 147 f.). Zum deutschen Einfluß besonders auch Siemes bes. S. 143 ff. 17 I. Satö, S. 269; Miyazawa, S. 19; ähnlich Siemes, S.65 f.; Beckmann, S. 77. Vg\. auch Maruyama in Kracht, S. 1 (29 ff.).

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimenaion: Japan Folgende Charakteristika sind hervorzuheben:

(1) Tenno-Theokratismus und dualistische Natur der geschriebenen Verfassung: Der Staatsschöpfungsmythos erzählt, daß der legendäre erste Tenno Jimmu, dessen direkte Nachkommen alle anderen Tennos zu sein behaupten, der Enkel der Göttin Amaterasu sei l8 , so daß sich also auch der Meiji-Tenno auf seine göttliche Herkunft berief. Deswegen "gab" er den Untertanen auch auf Grund der von seinen Vorfahren herrührenden Souveränität die MVI9. Die MV inkorporierte dieses Regierungsrecht des Tennos, das er von seinen göttlichen Vorfahren herleitete, in den Art 1 (Regierung des Tennos seit unzähligen Jahren) und 3 (unverletzliche Heiligkeit des Tennos). Entsprechend hatte der kaiserliche Hauskodex, der die Angelegenheiten der kaiserlichen Familie regelte, denselben Rang wie die Verfassung und konnte nicht vom Parlament geändert werden. Alle Gesetze Japans wurden einem der beiden gleichberechtigt nebeneinander stehenden Rechtssysteme zugeordnet: dem der Verfassung oder dem des kaiserliches Hauskodexes2ll • Das Tennosystem war also gottgegeben und damit unveräDderbaf2I,22.

(2) Tenno-Souveränität mit stark hinkender Gewaltenteilung: Art 4 MV regelte den Grundsatz der Konzentration der exekutiven und legislativen Gewalt beim Tenno. Die Rechtsprechung erfolgte dagegen nur in seinem Namen und war auch in der Praxis weitgehend unabhängig23 • Der Tenno bedurfte bei den meisten seiner Handlungen der Beratung des Kabinetts (Art 55 MV); nur bzgl. Heer/Marine (Art 11 f. MV), Angelegenheiten der kaiserlichen Familie (Kaiserlicher Hauskodex) und der Ausübung seines Notverordnungsrechts (Art 9, 31 MV) war er gänzlich unabhängig. Einer direkten parlamentarischen Kontrolle unterlag er nicht24. Das Kabinett selbst war vom Parlament nur bei der Gesetzgebung und dem Budget in erzwingbarer Weise kontrollierbar (Art 38,64 MV):zs. Daneben gab es aber wichtige, verfassungsrechtlich wenig oder

18 So auch die Lehrbücher der damaligen Zeit, vgl. z.B. Fujii, S. 1fT., 407 f. Vgl. auch die Darstellungen bei Siemes, S.79 f.; Ruete, S. 86. S. hierzu auch unten § 6 C 112. 19 So der kaiserliche Erlaß zum Erlaß der Verfassung. S. hierzu I. Sato, S. 40; Fujii, S. 41 fT., 408 fT.; Beckmann, S. 84; Over, S. 12, 15 f., 19; Siemes, Der Staat 2, 181 (181); Scheer in Eubel, S. 53 (54). 211 Yamashita, S. 21; I. Sato, S. 464; N. Kobayashi, S. 90; Miyazawa, S. 20; Fujii, S. 83 f.; Igarashi, S. 19. 21 So die damals ganz h. M., vgl. die Zitate bei Fujii, S. 48 fT. (prägnante Zusammenfassung S. 55); Miyazawa, S. 20; Siemes, S.80, 84 f. 22 Bereits daraus läßt sich auch absehen, daß die Religionsfreiheit des Art 28 MV unter dem System dieses Staatsshintoismus (vgl. hierzu auch § 6 C D 2) weitgehend inhaltsleer war (Kobayashi, Kommentierte ... , S. 146; Miyazawa, S. 20; N. Shimizu in JöR 29, 623 (650); Siemes, S.107 fT. Vgl. aber auch Ule in DVB11989, 171 (177». 23 I. Sato, S. 385 f.; Miyazawa, S. 25; D. F. Henderson in D.F. Henderson, S. 117; Igarashi, S. 19. Vgl. U1e in DVB11989, 173 (175); K. Hirota in JöR 29,657 (658). Zu den Ansätzen einer Verfassungsgerichtsbarkeit unter der MV vgl. E. Hillach, Die Verfassungsgerichtsbarkeit Japans, Hamburg 1974, S. 9 fT. 24T. Ishida, Japanese Society, New York 1971, S. 25; I. SalÖ, S. 300 fT.; Miyazawa, S. 22; Fujii, S. 232. Vgl. Over, S. 19; Ruete, S. 87. S. Art 49 MV: Das Parlament konnte (nur) Adressen an den TennO richten. :zs Fujii, S. 294 C.; Siemes, S.68. Allerdings konnte die Regierung auch ohne Zustimmung

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

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gar nicht abgesicherte Beratungsgremien, die völlig der parlamentarischen Kontrolle entzogen waren, vor allen Dingen den Geheimen Rat (Art 56 MV), den Genro (Beratergremium der ältesten Staatsmänner) und die Berater aus den Generalstäben von Heer und Marine2CS. Das Reichsparlament selbst bestand aus zwei Kammern (Art 33 MV). Im Oberhaus saßen nur Adelige und Privilegierte, die vom Tenno auf Lebenszeit ernannt wurden (Art 34 MV). Für das Unterhaus wurde erst seit 1925 eine allgemeine Wahl unter Männern durchgeführt, während z.B. bei der ersten Reichstagswahl (abhängig von der Steuerleistung) nur 1 % der Bevölkerung stimmberechtigt waf21. Im übrigen konnte sich das Oberhaus über das Unterhaus hinwegsetzen. Darüber hinaus hatte der Tenno bei der Gesetzgebung eine Art Veto-Recht (Art 6 MV) und das Recht, das Parlament einzuberufen und aufzulösen (Art 7,41-43 MV). (3) Geringer Menschenrechtsstandard: Der zweite Absatz der MV war mit "Rechte und Pflichten der Untertanen" überschrieben. Dabei waren nach dem damaligen Grundrechtsverständnis diese Rechte nicht natürliche Menschenrechte, die ein Individuum mit seiner Geburt erwarb, sondern vom Tenno verliehene Rechte28. Der Menschenrechtskatalog war unvollständig und die einzelnen Garantien mit Ausnahme des Art 28 MV einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt unterworfen, der nach damaligem Verständnis eine materiell unbegrenzte Einschränkung des Grundrechts zuließ, solange sie nur durch oder auf Grund eines Gesetzes erfolgte29. Der Tenno übte allerdings seine enormen Machtbefugnisse unter der MV nicht aus. Andererseits war auch nicht geregelt, wer in seinem Namen staatsleitend politisch tätig werden konnleJO. Anfangs wurde dieses Machtvakuum noch verantwortungsvoll ausgefüllt. In der Verfassungsentwicklung traten sogar zunächst - trotz unveränderten Wortlautes - sich allmählich verstärkende demokratische Tendenzen hervor, vor allen Dingen in der Taishö-Zeit (19121926). Ab 1931 war jedoch der Aufstieg von Totalitarismus und Militarismus, die die demokratischen Ansätze bald rigide unterdrückten, nicht mehr aufzuhalten31 • Die nach der MV klar beim Tenno liegende und durch kollegiale Organe ausgeübte Machtkonzentration wurde immer mehr zersplittert. des Parlaments das Budget des vorangegangenen Jahres wieder in Kraft setzen, Art 71 MV, was aber angesichts der enormen Expansion der japanischen Wirtschaft und auch der Staatsausgaben nur eine theoretische Möglichkeit blieb (Reischauer, S. 250; ditTerenzierend Over, S. 76 f. und 78 f.; zum Problem I. SalO, S. 301). 2t5 Ishida, S. 22; N. Kobayashi, S. 97 f.; Beckmann, S. 90, 92 f.; Miyazawa, S. 22; Röhl, S. 81; Scheer in Eubel, S. 53 (55); Siemes, S.160 f.; Ule in DVBI 1989, 173 (174). Vgl. auch Over, S. 66 f. 27 Reischauer, S. 89; Igarashi, S. 20. Ausführlich Over, S. 45 tT. 1900: 2,2 % (Kevenhörster, S. 20). 28 Kobayashi, Kommentierte ... , S. 146; N. Kobayashi, S. 267; Yamashita, S. 22; Miyazawa, S. 26; Fujii, S. 170,417. A.A. Siemes, S.103 tT. 291. SalO, S. 128 C.; N. Kobayashi, S. 268 C.; Yamashita, S. 22; Miyazawa, S. 26. Vgl. N. Shimizu in DöV 1962, 401 (405); ders. in JöR 29, 623 (626); Beckmann, S. 94; Maki in Henderson, S. (7); Siemes, S.103 tT. 30 Siemes in Der Staat 2, 181 (193). 31 Ishida, S. 22 tT.; N. Kobayashi, S. 282 f.; Reischauer, S. IOI; Miyazawa, S. 27 tT.; Kevenhörster, S. 22 tT.; Ule in DVBI 1989, 173 (176).

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

In einer für die japanische Geschichte sehr typischen Weise wurde sie von verschiedenen Organen wahrgenommen, ohne daß die Kompetenzen abgegrenzt waren, so daß die Verantwortlichkeit für eine bestimmte Entscheidung nur nachträglich und nur sehr diffus bestimmbar wllf32,33. Der Tenno äußerte sich nicht zur Tagespolitik, damit sein göttlicher Nimbus gewahrt blieb34. Seine Erlasse behandelten niemals politisch kontroverse Gegenstände35 , er war also de facto fast genauso wenig staatsleitend tätig wie seine Vorgänger vor der Meiji-Restauration, obwohl fast die gesamte japanische Politik in seinem Namen erfolgte. b) Entstehung der Japanischen Verfassung

aa) Die japanische Kapitulation Die Potsdamer Erklärung vom 26.07.1945 regelte auch die Bedingungen für die japanische Kapitulation36,37. Am 08.08. beschloß die japanische Regierung die Kapitulation und teilte den Alliierten zwei Tage später die Annahme der Potsdamer Erklärung unter dem Zusatz mit, daß durch diese Deklaration die Stellung des Tenno als souveräner Herrscher nicht beeinträchtigt werde. Am 11.08. nahmen die Alliierten die Kapitulation an, ohne auf diese Zusatzerklärung einzugehen. Nach einem kaiserlichen Erlaß über die Annahme der Potsdamer Erklärung vom 14.08.1945 wurde die Kapitulationsurkunde am 02.09.1945 unterzeichnet. Art 10 der Potsdamer Erklärung forderte, daß alle Hindernisse, die der Stärkung der Demokratie in Japan entgegenstehen, zu beseitigen und die Grundlagen für die Achtung der Menschenrechte zu schaffen seien. Art 11 verbot eine die Wiederaufrüstung ermöglichende Industrie. Art 12 bestimmte, daß die letzte Entscheidung über die neue Staatsform Japans durch den frei geäußerten Willen des Volkes erfolgen solle.

Die Kompetenzen des Tenno und der staatlichen Behörden wurden durch die alliierte Verwaltung (die aber de facto eine rein amerikanische Verwaltung war) unter dem obersten Alliierten Militärbefehlshaber eingeschränkt, man Reischauer, S. 239 f. Dieses "Prinzip der Unverantwortlichkeit" auf Grund unklarer Befugnisse hat in Japan tiefste Implikationen. Hinsichtlich der Verwurzelung dieses eigentlich staatsrechtlichen Phänomens s. die geschichtlichen Parallelen (unten § 6 B 0), die psychologischen Hintergrunde (unten § 6 A 11 I a ce), die nicht-rechtliche Grundierung (unten § 6 B I) und modeme Ausprägungen im Mikromaßstab des Unternehmens (unten § 5 B 0). 34 Siemes in Der Staat 2, 181 (192). 35 R. Benedict, The Chrysamthemes and the Sword, 1945 (Reprint London 1967), S. 89. 36 Text bei Röhl, Anhang A, S. 145 ff. mwNw FN 1 auf S. 145 (vgl. auch Nw bei Miyazawa, S. 31, FN 28). Zur Entstehung der N zahlreiche Nw bei R. Neumann, Änderung und Wandlung der japanischen Verfassung, Köln usw. 1982, S. 45, FN 20. Vgl. im übrigen I. SalD, S. 43 f.; N. Kobayashi, S. 110; J. Tagami in FS Jahrreiß, S. 313 (313); Röhl (Einflüsse), S. 17. 37 Zur Geschichte der Entstehung der N allgemein T. Satö, Entstehungsgeschichte der N, 2 Bände, Tökyö 37, 39 (mit Dokumenten und Erläuterungen); H. Tanaka in Juristo 638, 27 ff.; Röhl, S. 13 ff.; B. Müller, Koyobun, Hamburg 1975, S. 80 ff. 32 33

§ 4 Recht.wiueJlllChaftlicher Ansatz

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entschied sich also für eine indirekte Verwaltung, die durch die Organe der japanischen Verwaltungsorganisation vermittelt wirkte38. bb) Die Erstellung des Verfassungsentwurfes Am 04.10.1945 stellten die Alliierten der japanischen Regierung eine Aufforderung zur Verfassungsänderung in Aussicht, woraufhin die Regierung zurücktrat. An das neugebildete Kabinett Shidehara erging am 11.10.1945 nunmehr die gleiche Anweisung, diesmal formell. Am 27.10.1945 richtete die Regierung einen Verfassungsuntersuchungsausschuß unter Leitung des Ministers Matsumoto ein39 , dessen Entwurf unter Beibehaltung der alleinigen Herrschaftsgewalt des Tennos nur geringe Korrekturen in Richtung auf eine konstitutionelle oder gar parlamentarische Monarchie enthielt40. McArthur war mit diesem Entwurf unzufrieden und ließ durch seine Stabsoffiziere nun seinerseits einen Verfassungsentwurf ausarbeiten, der am 13. Februar 1946 der japanischen Regierung vorgelegt wurde4\. Die japanische Regierung ließ daraufhin nach Rückfrage beim Tenno den Matsumoto-Entwurf fallen und arbeitete bis zum 06.03.1946 einen neuen Entwurf aus, der zwar teilweise nur Stichwörter enthielt, aber mit nur geringen späteren Korrekturen zur Japanischen Verfassung (JV) wurde42. Nach den Unterhauswahlen am 10.04.1946 veröffentlichte das Shidehara-Kabinett den Entwurf am 17.04.43 mit leichten Korrekturen und vor allen Dingen mit erheblichen sprachlichen Verbesserungen: Die dem Volk kaum verständliche Kanzleisprache mit antiquierten Formulierungen und außerordentlich schwierigen Schriftzeichen wurde durch einen umgangssprachlicheren Stil ersetzt44 • Die im folgenden neugebildete Regierung Yoshida blieb ebenfalls auf dem Kurs ihrer Vorgänger.

38 N. Kobayaahi. s. 111; Tanaka in Jurillto 638. 27 (27); NeuDlAIUl. S. 42; Miyazawa. S. 34; Kevenhörster. S. 30 f.; Röhl. S. 13 f.; deR. (EinflüBBC). S. 18. 39 Tanaka in Jurilto 638. 27 (28); I. SaUl. S. 44; Tag.mi in FS Jahrreiß. S. 313 (314); Shimizu in JöR 29. 623 (630); Röhl. S. 15 f.; Röhl (Einflüue). S. 21; Kevenhörster. S. 34. 40 Tanaka in Juristo 638. 27 (29 f.); I. Sam. S. 45 f.; T.gami in FS Jahrreiß ebd.; Kevenhörster ebd.; Röhl. S. 16 f.; Röhl (Einflüue). S. 21 f. Text bei T.kay.nagi u .•.• S. 40 ff.; Röhl. Anhang C. S. 153 ff. 4\ Yamashita. S. 24; Tanaka in Juristo 638. 27 (31 f.); K. T.kayanagi u .•.• Der Prozeß der Entwicklung der j.panischen Stutsverfassung. Bd. I - Originaltexte und Übersetzungen. Tökyö 47. S. xxi ff.; N. Kobayaahi. S. 114 ff.; I. SaUl. S. 47; M.ki in Henderson. S. (9); NeumalUl. S.49 ff.• Miyazaw•• S 35 f.; Shimizu in JöR 29. 623 (631 f.); Kevenhörster ebd.; Röhl. S. 19; ders. (Einflüsse). S. 22. Text bei Röhl. Anhang D. S. 159 ff. 42 N. Kobay.ahi. S. 118 ff.; I. Sam. S. 47 ff.; NeumalUl. S. 54 f.; Miyazawa. S. 36; Röhl. S. 19 f.; ders. (Einflüsse). S. 23; Kevenhörster. S. 35. 43 Text bei Röhl. Anhang F. S. 178 ff. ("2. KabineUsentwurf"). 44 Miyazaw•• S. 36. 37 (FN 35); Röhl. S. 21. Sehr instruktiv Müller. S. 86 ff. Der Juris! K. Takayanagi beschreibt. daß zuvor die englische Übersetzung auch für die J.paner leichter verstindlich w.r .IB das jap.nische Original (fakayanagi in Henderson. S. (77». Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu Recht und Sprache unten § 6 B m 2.

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ce) Der eigentliche Verfassungssgebungsakt und seine staatsrechtliche Einordnung Nach Beratung im Geheimen Rat verabschiedete dieser mehrheitlich am 08. 06. 1946 den Regierungsentwurf. Gemäß Art 73 MV wurde nunmehr der Abgeordnetenkammer des Reichstages der Entwurf in Gestalt eines kaiserlichen Erlasses vorgelegt, wo er nach einigen eher geringfügigen Veränderungen am 06.10. verabschiedet wurde. Die Adelskammer stimmte am 07.10., ohne substantielle Korrekturen vorzunehmen, ebenso wie ~ Unterhaus am selben Tag zu, der Geheime Rat billigte am 29. 10. 1946 die Anderungen. Nach der Bewilligung durch den Tenno wurde die JV am 03. 11. 1946 (Geburtstag des Meiji-Tenno) verkündet und trat gemäß Art 100 JV am 03. 05. 1947 in Kraft, ergänzt durch eine ganze Anzahl anderer Gesetze wie z. B. den neuen kaiserlichen Hauskodex, das Schulerziehungsgesetz, das Verwaltungsbehördengesetz, Parlamentsgesetze uvam45 • Formell wurde also die JV im Änderungsverfahren gemäß Art 73 MV, dessen Bestimmungen genau eingehalten wurden, als Änderung der MV eingeführt46 • Materiell brach sie aber mit allen wichtigen Grundprinzipien derselben. Vor allen Dingen entsprach es der h.M. zur MV, daß das darin verankerte Prinzip der Tenno-Souveränität (und des göttlichen Ursprungs des Tennos) auch durch Verfassungsänderung nicht beseitigt werden konnte und durfte47. Insgesamt blieb auch nach dem Wortlaut kein einziger Artikel der MV unverändert, so daß ganz deutlich ist, daß die JV weit über den Charakter einer bloßen Verfassungsrevision hinausgeht, sondern eher eine Verfassungsgebung bedeutete. Nach einer von Miyazawa begründeten Lehre wird diese Diskrepanz zwischen Verfahren und materiellen Inhalten folgendermaßen analysiert: Die eigentliche "Revolution" ("Entmachtung" des Tennos und der Regierungsorgane) erfolgte bereits mit der Annahme der Potsdamer Erklärung im Zuge der Kapitulation, weil dadurch bereits die Tenno-Souveränität und die von der MV auferlegten verfahrensrechtlichen Beschränkungen bei der Verfassungsänderung (insbesondere das fehlende Initiativrecht von Volk oder Parlament48) beseitigt sowie der Sinn vieler staatlicher Organe und Institutionen geändert wurden. Die Kapitulation bedeutete bereits eine .~ilweise Derogierung der MV und war ein erster, wichtiger Schritt des Ubergangs zur JV49. Der Entstehungsgrund der JV kann also nicht in Art 73 MV gesehen werden, nicht nur wegen der materiellen Bruche, sondern auch, weil sich der N. Kobayashi, S. 119 ff.; Neumann, S. 59 ff.; Miyazawa, S. 37 f.; Röhl, S. 36 f. T. Kobayashi, u.a. (Hrsg.) , Grundlagenkommentar Verfassung, Tökyö 59 (Bearbeiter: Osuga), Jöron Anm. ß (im folgenden zitiert: GLK lV/Bearbeiter); N. Kobayashi, S. 122; I. Satö, S. 17,53; Miyazawa, S. 42; Shimizu in DöV 1962, 401 (401); Ule in DVBI 1989, 173 45

46

(177).

Vgl. 1. Satö, S. 53; N. Kobayashi, S. 122; Miyazawa, S. 32. Nach altem Recht hatte nur der Tenno das Initiativrecht zur Verfassungsänderung, vgl. Fujii, S. 78, 91,412. 49 GLK lV/Osuga, Jöron Anm. m a.E.; N. Kobayashi, S. 125 f.; Miyazawa, S. 32 ff.; Neumann, S. 63 mwNw in FN 116. Vgl. Röhl, S. 14, 50 f. 47 48

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

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Sinn der Norm bereits durch die Kapitulation wie beschrieben grundlegend geändert hatte: Auch das Unterhaus hatte nunmehr das Initiativrecht zur Verfassungsänderung und war dadurch sowohl materiellrechtlich (weil die inhaltlichen Beschränkungen der MV nunmehr weggefallen waren) als auch formell (weil auf der Grundlage der Volkssouveränität die Teilnahmehandlungen von Tenno, Oberhaus und anderen Organen nur noch deklaratorischen Charakter hatten) unbeschränkt in seiner Befugnis zur Verfassungsänderungso. Materiell gesehen ist die JV also eine auf dem Prinzip der Volkssouveränität gegründete, von einer Volksvertretung als verfassungsgebender Versammlung gegebene (neue) Verfassung s1 •s2 • 2. Verfassungsrecht in Japan a) Organisatorischer Teil

aa) Allgemeine Grundprinzipien Die JV53 war erklärtermaßen eine Reaktion auf die Mängel der MV und auf den Zweiten Weltkrieg54 • Deswegen lassen sich als wesentliche Grundprinzipien Volkssouveränität/Demokratie (statt Tenno-Souveränität), Pazifismus/Friedenssicherung (als Reaktion auf den Militarismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) und Menschenwürde/Menschenrechte (wegen der

so Vgl. N. Kobayashi, S. 128 ff.; Miyazawa, S 42 f.

51 I. Satö, S. 50 ff.; Takayanagi in Henderson, S. 76 ff., bes. 81; Neumann, S. 64; Miyazawa, S. 43; nicht ganz unstr. Sicherlich ist es nicht ernsthaft zweifelhaft, daß die japanische Verfassung wirksam ist (andere Ansicht nur einzelne Staatsrechtslehrer vom rechten Rand des politischen Spektrums unter Berufung auf die unzulässige Überschreitung der immanenten Schranken einer Verfassungsänderung, die die MV vorgab, z.B. Inoue, Nw bei Neumann, S. 64, FN 119), doch sollte nicht übersehen werden, daß die N auch einen gewissen Einschlag der Aufoktroyierung nicht verleugnen kann, denn es ist in der Tat zweifelhaft, ob die Japaner de facto eine Möglichkeit hatten, von dem von McArthur initiierten alliierten Entwurf in substantieller Weise abzuweichen (vgl. hierzu Neumann, S. 53 - "Bewunderung des atomaren Sonnenscheines" als "Andeutung" der Amerikaner, daß sie auf die Beibehaltung der Grundsätze des McArthur-Entwurfes bestehen könnten; ausführliche Diskussion des Problems mwNw bei Neumann, S. 55 Cf. mit dem Ergebnis, die N sei nicht oktroyiert, S. 67; I. Satö wie oben. A.A. Reischauer, S. 105, Maki in Henderson, S. 9; Röhl (Einflüsse), S. 17; vgl. auch Fukui in Henderson, S. 44). Auch die sprachliche Formulierung der einzelnen Bestinunungen der N ist oft nicht typisch japanisch - einzelne Artikel weisen damit bereits sprachlich ihren amerikanischen Ursprung aus (hierzu mit Beispielen und Hintergrunden T. Ohgushi in JöR 5, 301 (303 ff.); vgl. auch H. Herrfahrdt in DVB11951, 746 (747). 52 Miyazawa, S. 43, verteidigt z.B. die formelle Befolgung des Art 73 MV mit dem Argument, daß damit die formell und tw auch materiell noch gültige MV ohne weiteres und in Wahrung zumindest formeller Kontinuität außer Kraft treten konnte. 53 Zu Wortbedeutung und Begriff der "Kenpö" (Verfassung) I. Satö, S. 3 f. 54 Yamashita, S. 23. 6 Nenninger

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

unvollständigen und wesensgehaltlosen Regelungen der MV) nennen55 • Die JV weist neben der Präambel56 103 Artikel in 11 Kapiteln auf: (1) Tenno (Art 1-8) (2) Kriegsverzicht (Art 9)

(3) Rechte und Pflichten des Volkes (Art 10-40) (4) Parlament (Art 41-64) (5) Kabinett (Art 65-75) (6) Judikative (Art 77-82)

(7) Finanzen (Art 83-91) (8) Kommunale Selbstverwaltung (Art 92-95) (9) Änderung (Art 96)

(10) Oberstes Gesetz (Art 97-99) (11) Ergänzende Bestimmungen (Art 100-103). bb) Tenno Art 1 JV stellt den Grundsatz der Volkssouveränität auf und weist dem Tenno die Funktion eines Symbols des japanischen Staates und der Einheit des japanischen Volkes zu. Der Tenno ist jetzt (zumindest verfassungsrechtlich) von den Göttern geschieden57 • Symbol ist das, was konkret dasjenige darstellt, was man mit den Sinnen nicht in Gestalt fassen kannsa , ähnlich einer Nationalflagge. Aus dem Symbo1charakter des Tennos lassen sich jedoch keine konkreten Befugnisse staatsrechtlicher oder politischer Art herleiten59 • Diese sind vielmehr (abschließend und enumerativ, Art 4 I JV) in der Verfassung, vor allem in Art 7 JV aufgezählt. Diese Befugnisse (z.B. Ernennung des Ministerpräsidenten oder des Präsidenten des OGH, Art 6; Ausfertigung von Gesetzen, Art 7 Nr. 1; Einberufung des Parlamentes, Art 7 Nr. 2; Empfang ausländischer Botschafter, Art 7 Nr. 9; Durchführung von Zeremonien, Art 7 Nr. 10 JV uvam) sind nur formeller oder zeremonieller Natur, die materiellen Entscheidungsbefugnisse und auch die Verantwortlichkeit liegen grundsätzlich beim Kabinett oder auch beim Parlament (Art 3 JV), auch wenn

55 Im wesentlichen ähnlich I. Sata, S. 59 ff.; N. Kobayashi, S. 146 f.; Maki in Henderson, S. 10; Miyazawa, S. 48 ff.; Yamashita, S. 25 ff. 56 Zur Präambel vgl. z.B. I. Sata, S. 56 ff. 57 T. Sata, S. 274; GLKlHariu vor Art 1, Anm. I; Miyazawa, S. 129 f.; Shimizu in DöV 1962,401 (402) - bereits seit dem kaiserlichen Edikt vom 01. 01. 1946. 58 Miyazawa, S. 144; Yamashita, S. 29; Ähnlich I. Sam, S. 277. Vgl. anders GLKlHariu Art 1, Arun. ß; Ohgushi in JöR 5, 301 (310). 59 GLKlHariu ebd.; I. Sata, S. 280; Hashimoto, N, S. 453; Yamashita, S. 31; Igarashi, S. 21; Kevenhörster, S. 37.

§ 4 RechtswissenschaftIicher Ansatz

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dies eine Befugnisnorm nicht ausdrücklich bestimmt6O • Außerordentlich umstritten ist die Frage, ob es neben den strengen Begrenzungen und Kontrollen untelWorfenen staatsrechtlichen Handlungen und den privaten Handlungen des Tennos eine dritte Kategorie öffentlicher Handlungen gibt, wie zum Beispiel die traditionelle Ansprache zur jährlichen Eröffnungsfeier des Parlamentes ("o-kotoba"). Eine starke Mindermeinung verneint dies, weil die Verfassung und die Gesetze eine solche Form nicht kennen61 , während die wohl h.M. die Existenz einer Gruppe von quasiöffentlichen Handlungen bejaht, die ebenfalls strengen Grenzen untelWorfen werden müssen, um den politischen Einfluß des Tennos gering zu halten62 • Sehr umstritten ist auch, ob der Tenno das japanische Staatsoberhaupt ist. Die JV trifft keine Bestimmungen über das japanische Staatsoberhaupt, im Ausland aber wird der Tenno wie ein solches behandelt und empfangen. Dennoch wird dem Tenno vom japanischen Staatsrecht dieser Charakter mehrheitlich nicht zugeschrieben63 • Der Tenno ist strafrechtlich nicht verantwortlich64 und auch nicht Träger aller Grundrechte der JV65. Die wichtigsten Gesetze über die Angelegenheiten des Tennos sind der kaiserliche Hauskodex (nunmehr im Rang eines einfachen Gesetzes) und einzelne Bestimmungen des Staatsvermögensgesetzes (§§ 42, 68 über Apanage und Aufwandsentschädigung). cc) Kriegsverzicht Die Auslegung des Kriegsverzichtsartikels (Art 9 JV, siehe aber auch Präambel) ist das umstrittenste rechtliche und rechtspolitische Problem der Nachkriegsgeschichte Japans. Außerordentlich prekär ist vor allen Dingen die Existenz einer äußerst schlagkräftigen Armee (den "Selbstverteidigungskräften") trotz des scheinbar eindeutig jede (Wieder-) Bewaffnung verbietenden Wortlautes der JV. KonsequentelWeise ist auch die h.L. der Auffassung, daß diese Streitkräfte verfassungswidrig sind66. 60 Yamashita, S. 33; I. Satö, S. 289 f.; Igarashi ebd.; Scheer in Eubel, S. 53 (57); etwas einschränkend Miyazawa, S. 142. 61 K. Hashimoto, Japanische Staatsverfassung, Tökyö 55, S. 454 f. 621. Satö, S. 292; wohl auch Yamashita, S. 33; T. Kobayashi, Fälle, S. 7 f. 63 GLKlHariu Art I, Anm. ill; Miyazawa, S. 133; Röhl, S. 90. A.A. Shimizu in JöR 29, 623 (636). Vgl. Kevenhörster, S. 37. 64 Miyazawa, S. 72. 65 T. Kobayashi, Fälle, S. 19 f.; N. Kobayashi, S. 282; I. Satö, S. 284; str. Zum Problem T. Abe in IöR 26, 595 (598 ff.). 66 Zur Entstehungsgeschichte des Art 9 N ausführlich Takayanagi in Henderson, S. 83 ff. Die Verfassungswidrigkeit bejahen z.B. LG Sapporo vom 07. 09. 1973 in Hanreijihö 712, 26; K. Satö, Verfassungsrecht, Tökyö 57, S. 85; I. Satö, S. 70; GLK NIHasegawa Art 9, Anm. m4. Die Verfassungsmäßigkeit bejahen z.B. OLG Sapporo vom 05.08. 1976 in Hanreijihö 821, 21; Tagami, S. 313 (320). Zu Einzelheiten dieses Streits und zu Erklärungsversuchen über diese enorme Diskrepanz zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit s. unten § 6 B m 3 b aa. Vgl. im übrigen auch die Darstellungen auf Deutsch bei Ohgushi in IöR 5, 301 (313 ff.); Scheer in Eubel, S. 53 (58).

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Teil 2: Recht&- und kulturvergleichende Dimenaion: Japan

dd) Parlament Die JV konstituiert ein System repräsentativer Demokratie mit geringen direkten Beteiligungsrechten des Volkes (Wahlen: Art 15, 43, 93 JV; Verfassungsänderung: Art 96 I JV67; Prüfung der Ernennung der Richter des OGH durch das Volk: Art 79 11 JVC58; Zustimmung zu lokalen Sondergesetzen, Art 95 JV)69. Nach Art 41 JV ist das Parlament das einzige Gesetzgebungsorgan~ und das höchste Staatsorgan. Es besteht ein hinkendes Zweikammernsystem, Art 42 JV, d.h. dem Unterhaus kommt im Dissensfalle Vorrang zu (Art 59 - 61, 67 JV), weil es auf Grund kürzerer Legislaturperioden und der Möglichkeit der Auflösung in stärkerem Maße den Volkswillen repräsentiert71 . Das japanische Wahlsystem ist außerordentlich problematisch. Für die Unterhauswahlen ist das ganze Land in 130 Wahlkreise mit jeweils drei bis fünf zu vergebenden Mandaten unterteilt und jeder Wähler hat eine Stimme. Es kommt bereits deswegen zu erheblichen Verzerrungen, z.B. wenn der Kandidat einer großen Partei mit sehr großem Vorsprung den Wahlkreis gewinnt und dann möglicherweise von anderen, eigentlich aussichtsreichen Kandidaten seiner Partei im selben Wahlkreis zu viele Stimmen abzieht, so daß theoretisch eine Partei, die über 50 % der Stimmen in einem großen Wahlkreis erhält, möglicherweise nur eines von fünf Mandaten erringen kann72. Vor allen Dingen aber ist bei den Stimmen, die rur die Wahl eines Abgeordneten notwendig sind, ein solches Ungleichgewicht zwischen einzelnen Stimmkreisen entstanden, daß im Extremfall ein Verhältnis von 1 : 5 auftritt. Nachdem der OGH diese Entwicklung trotz heftigster Kritik zunächst rur zulässig erklärte73 , hat er zuletzt doch ein solches Mißverhältnis rur verfassungswidrig (Verstoß gegen den Gleichheitssatz, Art 14 I JV) erklärt, ohne jedoch die Konsequenz zu ziehen, die angefochten~ Wahl rur ungültig zu erklären; vielmehr räumte er dem Gesetzgeber eine Anderungsfrist ein74. Trotz dieses Urteils und obwohl nach dem Wahlgesetz automatisch alle runf Jahre eine Anpassun&. der Wahlkreise an die Bevölkerungsentwicklung erfolgen müßte, ist eine Anderung der Wahlkreise bisher nicht erfolgt.

67 s. hienu unten viii. C58 s. hienu unten vi. 69 Bis jetzt hat es noch

keine Verfassungsänderung und keine Sondergesetze gegeben; die Überprüfung der OGH-Richter ist de faclo nur Formalismus, so daß sich die Mitwirkungsrechte des japanischen Volkes letztlich auf Wahlen beschränken. ~ Ausnahmen: Hausregeln der Parlamente, Art 58 D N, Regelungsrechte des OGH, Art 71 N, lokale Sondergesetze, Art 94 N. 71 Vgl. bes. I. Satö, S. 317 ff., 337 ff.; Miyazawa, S. 166. Anders Röhl, Art 59 Anm. 2: Nur technische Bedeutung, da sich die Zusammensetzung beider Häuser sehr ähnelt. 72 Vgl. hienu die Erläuterungen bei I. SalO, S. 334; Hashimoto, S. 500 ff.; Kevenhörster, S. 54 f. 73 Z.B. OGH vom 05.02. 1964 (39), Minshß 18,2,217. 74 OGH vom 14. 04. 51 in Hanreijihö 808, 24. Kritisch praktisch die gesamte Lehre, z.B. T. Kobayashi, Fälle, S. 49.

§ 4 RechtswisaellllChaftlicher Ansatz

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Die Amtsperiode der 51275 Abgeordneten dauert 4 Iahre (entsprechend kürzer ist sie im Falle einer Parlamentsauflösung). Es gilt der Grundsatz der Diskontinuität76. Die Auflösung des Unterhauses erfolgt durch kaiserlichen Erlaß (Art 7 Nr. 3 IV) nur mit Zustimmung und auf Empfehlung des Kabinetts. Art 69 IV regelt hierbei, daß die Auflösung des Unterhauses zu erfolgen hat, wenn dem Kabinett durch das Unterhaus das Mißtrauen ausgesprochen wurde. Andere AuflösungsgrüDde nennt die IV zwar nicht, doch nach h.M. (und auch nach der Staatspraxis) ergibt sich aus Art 7 Nr. 3 IV, daß die Befugnis zur Unterhausauflösung nicht auf den Fall des Art 69 IV beschränkt

istn.

Die verfassungsrechtlichen Probleme des Oberhauses sind mit denen des Unterhauses vergleichbar. 152 Abgeordnete werden lokal gewählt Gede Präfektur ein Wahlkreis mit 2 - 8 Abgeordneten), 100 national (d. h. das gesamte Land bildet einen Wahlkreis). Die Amtsperiode beträgt sechs Iahre, wobei alle drei Iahre die Hälfte der Abgeordneten neu zu wählen ist. Da das Oberhaus darüber hinaus auch nicht aufgelöst werden kann, ist seine Kontinuität besonders hoch78. Die Befugnisse des Parlaments (vor allem Art 59-61, 67 IV)79, seine Geschäftsordnungsautonomie (Art 5811 IV) sowie die Rechte und Pflichten der Abgeordneten (Art 48 - 51 IV) entsprechen ganz dem Typus westlicher Demokratien. Das Oberhaus hat im übrigen in recht engen Grenzen eine Funktion als (alleiniges) Parlament im Notstandsfall gemäß Art 54 11 IVIIO. ee) Kabinett

Auch in Iapan steht das Kabinett an der Spitze der Exekutive (Art 65 IV). Das Kabinett ist dem Parlament gegenüber gemeinschaftlich verantwortlich (Art 66 III IV)8I. Es besteht gemäß Art 66 I IV aus dem Premierminister (gewählt vom Parlament, Art 67 IV) und den Staatsministern (ernannt vom Premierminister, Art 68 I IV). Der Premierminister (Art 67 I IV) und die Hälfte der Minister (Art 68 I 2 IV) müssen Abgeordnete sein. Der Premierminister kann aus eigenem Antrieb und muß im Falle eines erfolgreichen Mißtrauensvotums (Art 69 IV) zurücktreten; die Minister kann er nach seinem Ermessen entlassen (Art 68 11 IV). Tritt jedoch er selbst zurück, bedeutet dies in jedem Fall auch den geschlossenen Rücktritt des Kabinetts. 1989. Miyazawa, S. 104; Röhl, Art 52, Arun. D; Kevenhörster, S. 42. nl. Satö, S. 340 ff.; GLK JVlHashimoto/Nagai Art 68, Arun. ml ff., bes. 5; Miyazawa, S. 99; Röhl, S. 69. Sehr str., a.A. z.B. HQ der Alliierten, vgl. ChOkai Art 7, Arun. 17; Kevenhörster, S. 41 f. 78 Miyazawa, S. 181; Kevenhörster, S. 42. Vgl. I. Satö, S. 335. 79 Vgl. die Aufz.ählung mit Erläuterungen bei I. Satö, S. 311 ff.; Hashimoto, S. 549 ff.; Miyazawa, S. 182 ff. 110 Vgl. hierzu die Ausführungen bei I. Satö, S. 317, 347 f.; GLK NINagai Art 54, Arun. IV; Miyazawa, S 215 ff.; Röhl, Art 54, Arun. D, m. 81 Im einzelnen zu den Beziehungen zwischen Kabinett und Parlament vgl. Hashimoto, S. 570 ff.; I. Satö, S. 383; Miyazawa, S. 234 f. 75

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Teil 2: Rcchts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

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Auch die Exekutivbefugnisse des Kabinetts entsprechen denen in anderen Staaten des Typus westlicher Demokratien82• Darüber hinaus übernimmt das Kabinett die Verantwortung für staatsrechtliche Handlungen des Tennös83. Es hat weiterhin eine Vielfalt von VO-Befugnissen in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Befugnisinhabern, es gibt auch Kabinettsverordnungen. Außerdem zeichnen Minister und Ministerpräsident im Rahmen ihres Verantwortungsbereich Gesetze und Regierungserlasse ab (Art 74 JV). ft) Rechtsprechung

Japanische Gerichte sind staatliche Organe, deren Amtsgeschäfte im wesentlichen darin bestehen, den prozessualen Bestimmungen gemäß Justizfunktionen auszuüben84• Als Gerichte in diesem Sinne kennt die JV nur den OGH und die Untergerichte15 (Art 76 I JV), -Fachgerichte- im deutschen Sinne existieren nicht86. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in Japan besonders stark ausgeprägt. So hat der OGH sehr weitgehende Rechtsetzungsbefugnisse im Verfahrensrecht, Standesrecht der Rechtsanwälte, bzgl. Justizverwaltung u.a. (Art 77 JV); eine Mindermeinung ist sogar der Ansicht, diese Normen hätten Gesetzesrang81• Weiterhin ernennt der OGH die Richter der Untergerichte (Art 80 I JV). In Art 7611 (ergänzend Art 71, 78, 79 VI, 8011, 81 JV) ist die persönliche Unabhängigkeit der Richter niedergelegt. Der OGH hat - wie die Untergerichte auch811 - bei Entscheidungserheblichkeit89 der Frage der Verfassungsmäßigkeit einer bestimmten Norm ein konkretes NormenkontrolIrecht, Art 81 JV90, wobei nach der h.M. diese Entscheidung nur inter partes wirkt91• Gemäß § 10 GVG entscheidet bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten der Große Senat (alle 15 Richter), wobei Vgl. die AufZählung bei Hashimoto, S. 561 ff.; I. SalO, S. 364 ff.; Miyazawa, S. 227. s. hierzu oben ß 1 b. 84 I. SalO, S. 390 f.; Miyazawa, S. 238. Vgl. aber auch Hashimoto, S. 561: Eine allgemeine Definition sei unmöglich, da judikative Gewalt kontextgebunden existiere. 85 Gemäß § 2 GVG AG, LG und OLG nach dem Modell der deutschen ordentlichen Gerichtsbarkeit. 86 Zur Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die oben genannten Gerichte vgl. Fujita/J.Ogawa in Mosler, s. 511 ff. mwNw. Zur Rechtfertigung des einheitlichen Systems T. Takayanagi in Henderson, S. 108 f. 81 Offen gelasscn bei T. Kobayashi, Fille, S. 171 ; a.A. z.B. I. Sat6, S. 487; Hashimoto, S. 634; Röhl, Art 77, Anm. I. 811 OGH vom 01. 02. 1950, KeishO 4,7/8,73; OGH vom 08. 12. 1952, MinshO 6, 9, 783; I. Sat6, S. 419; Takayanagi in Henderson, S. 96 f.; Miyazawa, S. 250; Hillach, S. 17; Röhl, Art 81, Anm. m. 89 OGH vom 08. 12. 1952, MinshO 6, 9, 783 und vom 15. 04. 1953, MinshO 7,305; T. Hatajiri, Allgemeine Lehre der Forschung über Verfassungsgerichtsbarkeit, Tökyö 63, S. 243 ff.; Miyazawa, S. 251; Kcvenhörstcr, S. 60; Hillach, S. 77 ff. mwNw. 90 Hatajiri, S. 254 ff.; I. Sato, S. 414; Henderson in Henderson, S. 139; Hillach, S. 26 ff., 63 ff. mwNw; Röhl, Art 81, Anm. ß I. 91 I. SalO, S. 417 f.; Miyazawa, S. 252. Zum Problem Hashimoto, S. 428; Hirota in JöR 29, 657 (663); Hillach, S. 79 ff. mwNw für beide Ansichten. 82 8J

§ 4 RechtawiucDlChaftlieher AnaaIZ

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jeder Richter seine Entscheidung schriftlich niederlegen muß (§ 11 GVG). Grundsätzlich ist jede Entscheidung eines Staatsorgans auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfbarn, wobei allerdings nach der von der Wissenschaft weitgehend sehr heftig kritisierten Regierungsaktstheorie des OGH hochpolitische Ermessensentscheidungen der Regierung außerhalb des gerichtlichen Prüfungsrechts liegen, es sei denn, sie sind ganz offensichtlich verfassungswidrig9'3. Entsprechend selten sind daher die Fälle, in denen der OGH bisher ein Gesetz für verfassungswidrig erklärte94. Ein abstraktes NormenkontrolIrecht besitzt der OGH nicht. Das System der Volksprüfung der Ernennung der OGH-Richter, die alle zehn Jahre gemeinsam mit den dem Ablauf dieser Frist folgenden allgemeinen Wahlen zum Unterhaus gemäß Art 79 11 JV vorgenommen wird, wurde bereits erwähnt. Dadurch, daß sich die meisten Japaner an der Abstimmung nicht beteiligen und die Abwahl eines Richters nach h.M. nur erfolgt, wenn sie von mehr als 50 % der Wahlberechtigten auf dem Stimmzettel verlangt wird95 , kommt dieser Einrichtung de facto keine Kontrollfunktion ZU96. gg) Finanzwesen Das Finanzwesen ist in der JV verglichen mit dem GG außerordentlich einfach geregelt - sicherlich auch dadurch bedingt, daß der Aufbau des japanischen Einheitsstaates weit weniger kompliziert ist als der der Bundesrepublik Deutschland. Das Parlament hat grundsätzlich die Verwaltungsbefugnis hinsichtlich der Staatsfinanzen (Art 83 JV), das alleinige Steuererhebungsrecht (Art 84 JV) sowie die Kontrolle über Ausgaben und Verschuldung (Art 85 JV). Das Kabinett legt dem Parlament jährlich den Haushalt vor (Art 86 JV) und muß diesem auch mindestens einmal jährlich einen Rechenschaftsbericht über die Staatsfinanzen vorlegen (Art 91 JV). Eine weitere wichtige Kontrollfunktion kommt dem Rechnungshof (Art 90 JV) zu.

92 Ausführlich I. Satö, S. 394 ff.; Hillach, S. 87 ff. mwNw. VgI. z.B. weiterhin OGH vom 08. 07. 1948, KeishO 2, 801; Miyazawa, S. 251; Röhl, Art 81, Anm. D 1; nicht aber völkerrechtliche Verträge, 80 lange sie nicht offensichtlich verfassungswidrig sind, OGH vom 16. 12. 1959, KeishO 13,3225. 93 OGH vom 08.06. 1960, MinshO 14, 1206 und vom 16. 12. 1959, KeishO 13, 3205, 3225 (Stimmenverhältnis von 11 :4); a.A. z.B. Sondervotum Kotani, KeishO 3, 2, 34; Ukai in HOritaujiho 8, 29. Zum Problem ausführlich mwNw Hillach, S. 28 ff., 50 ff. 94 Ausführlich I. Satö, S. 396 ff.; Henderaon in Henderaon, S. 127; Yokota in Henderaon, S. 141 ff. VgI. auch Kevenhörster, S. 61 f. 95 In diesem Sinne ist der GesetzclWortlaut des § 15 I über die Volksprüfung der Riehter dea OGH wohl recht eindeutig. VgI. auch OGH vom 05. 09. 38, Hanreijiho 347, 8; I. Satö, S. 428 f.; Abe in AöR 26, 595 (610); Hillaeh, S. 21. Nw zur a.A. bei GLK IV/Yamashita, Art 79, Anm. m4. 96 Die Nein-Stimmen liegen bei dieser Rechenweise regelmäßig unter 10 %, Kevenhörster, s. 60. Ausführliche tabellarische Angaben bei Funse, 100 Fälle Verfassungsrecht D, Anhang; Abe in JöR 26,595 (610).

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Teil 2:

R~hts-

und kultlnvergleichende Dimension: Japan

hh) Geltungskraft und Änderung der Verfassung In Art 98 I JV ist ausdrücklich niedergelegt, daß die Verfassung als oberste Rechtsnorm gegenüber den anderen japanischen Rechtsregeln erhöhte materielle Geltungskraft genießt und diese, wenn sie der JV widersprechen, unwirksam sind97. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis zum Völkerrecht und zu völkerrechtlichen Verträgen. Nach der wohl h.M. wird aus Art 98 11, 7 Nr. 1 JV gefolgert, daß zumindest deren formelle Geltung der Verfassung überlegen ist, weil sie auch den Verfassungsgeber binden98 • Das Verfassungsänderungsverfahren des Art 96 JV weist die JV als rigide Verfassung aus99, 100. Man unterscheidet im wesentlichen zwei Stufen: Vorschlag und Zustimmung. Der Vorschlag geht vom Parlament aus und erfolgt durch Billigung eines entsprechenden Verfassungsänderungsentwurfes durch mindestens 2/3 sämtlicher Abgeordneter beider Häuser. Hierbei hat jedes Mitglied beider Häuser das InitiativrechtlOI. Sehr umstritten ist, ob daneben auch dem Kabinett ein Initiativrecht zukommt lO2 • Diesem Vorschlag muß das Volk mit einfacher Mehrheit zustimmen. Stimmt das Volk zu, verkündet der Tennö unverzüglich im Namen des Volkes die Änderung als Bestandteil der Verfassung (Art 86 11 JV)I03, so daß dem neuen Wortlaut nunmehr ebenfalls erhöhte Gellu!!gs- und Bestandskraft der Verfassung zukommen lO4 . Bis jetzt ist noch keine Anderung der JV erfolgt lO5 • Sehr heftig wird diskutiert, ob es dabei für Verfassungsänderungen bindende materielle Grenzen gibt. Die h.M. sieht diese in den von der Verfassung anerkannten naturrechtlichen Grundlagen, insbesondere in der Volkssouveränität und den grundlegenden Menschenrechten lO6; besonders streitig 97 Zu den Einzelheiten der Normcnpyramide in Japan vgl. ausführlich I. Satö, S. 477 ff.; Hashimoto, S. 661 ff.; Miyazawa, S. 272, 280 ff. 98 Miyazawa, S. 287 f. Vgl. auch OGH vom 16. 12. 1959, KcishQ 13, 3225 (Englisch bei Maki, Court and Constitution, S. 298 ff. und IW auch bei I. Satö in Henderson, 178 FN 26)aber letztlich doch recht undeutlich. A.A. Hashimoto, S. 665 f.; Takayanagi in Henderson, S. 107. Differenzierend I. Satö, S. 498 ff.; den. in Henderson, S. 181 f.; Ausführliche Darstellung des Problems auf Englisch bei I. Satö in Henderson, S. 173 ff. mwNw und auf Deutsch bei Hillach, S. 34 ff., 50 ff. 99 Hashimoto, S. 654; Röhl, Anm. zu Art 96; Neumann, S. 10. Vgl. I. Satö, S. 500 f. 100 Die Bedeutung dieser Rigidität ist für die Verfassungsinterpretation enorm; 8. hierzu unten § 6 B m 3 b ... 101 I. Satö, S. 502; GLK N/Urabe Art 96, Anm. m I; Miyazawa, S. 268. 102 Bejahend I. Satö ebd.; GLK N/Urabe ebd.; Miyazawa, S. 268. Ablehnend EnqueteKommission, vgl. mwNw Neumann, S. 5, 7. 103 Dieser Akt hat nur formelle Bedeutung, der TennO hat also kein Prüfungs- oder Vetorecht, I. Satö ebd.; Neumann, S. 9 f. 104 Hashimoto, S. 657; GLK N/Urabe Art 96, Anm. m 3; Miyazawa, S. 268; Röhl, Anm. zu Art 96. 105 Ausführlich hierzu mit Griinden Neumann, S. z.B. auf S.163 ff. (Keine Kompromißbereitschaft bei den oppositionellen Parteien, insbesondere nicht bei den Sozialisten; wenig ermutigende Umfragenergebnissc). Zur Diskussion auch Abe in JöR 26,595 (601 ff.). 106 T. Satö, S. 503; Miyazawa, S. 269; Nw bei Neumann, S. 155, 156 FN 10, S. 158; ähnlich Hashimoto, S. 660. A.A. GLK NlUrabe Art 96, Anm. D (Scheinproblem).

§ 4 RcchtswilllCD8Chaftlicher Ansatz

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ist, ob auch Art 9 JV einer Änderung entzogen ist lO7 und ob die JV auch einen künftigen Verfassungsgeber bindet.

ii) Sonstiges Die JV regelt weiterhin im 8. Abschnitt die lokale Selbstverwaltung. Hierbei hat die Selbstverwaltungsgarantie eine doppelte Wirkungsrichtung: Zum einen sichert sie eine gewisse Unabhängigkeit der lokalen Gebietskörperschaften vom Staat, zum anderen garantiert sie die Mitwirkung der Bewohner der Gebietskörperschaften an den öffentlichen Angelegenheiten innerhalb der Gebietskörperschaft lO8 • Geschützt sind nur die allgemeinen öffentlichen Gebietskörperschaften (nämlich Präfekturen und Gemeinden), nicht aber besondere wie die Stadtbezirke lO9 • Die wichtigsten Befugnisse dieser Körperschaften sind gemäß Art 94 JV das Recht zur Selbstverwaltung der eigenen Angelegenheiten einschließlich Finanzen sowie das Satzungsrecht (Sondergesetze der Gebietskörperschaften nur unter den engen Voraussetzungen des Art 95 JV). b) Menscbenrecbte, allgemeine Lebren

aa) Allgemeine Bemerkungen Im Gegensatz zur MVIIO stellt die JV in Art 11 und 97 ausdrücklich klar, daß die Menschenrechte unverletzliche, ewige Rechte sind, die den Bürgern allein auf Grund ihres Menschseins zukommen. Die Einteilung der Grundrechte ist auch in Japan im einzelnen umstritten; die unten c vorgenommene Gliederung entspricht geläufigen Klassifikationenlll • Ausländern stehen nicht alle Menschenrechte der JV uneingeschränkt zu, sondern nur soweit es die Natur des jeweiligen Rechts gebietet, wobei der Wortlaut der Verfassung ("Jeder", "jeder Staatsbürger" usw.) keine Rolle spielt ll2• Die Grundrechte juristischer Personen usw. sind nicht in der JV

Änderungsverbot: I. Satö, S. 504; Kobayashi, Fälle, S. 194; wohl auch Hashimoto ebd. Hashimoto, S. 641 f.; GLK JV/Arai, Art 92, Anm. IV 1,2; I. Satö, S. 454; Miyazawa, S.258. 109 OGH vom 27.03.38; Hashimoto, S. 645; I. Satö, S. 456 f. Sehr str., a.A. z.B. GLK JV/Arai Art 92, Anm. D 5. 110 s. hierzu oben 1 b (3). 111 s. z.B. Yamashita, S. 37 f.; I. Satö, S. 121 ff.; N. Kobayashi, S. 272 f.; M. Ota in Komori, Neuuntersuchung der japanischen Verfassung, Kyato 56, S. 257 ff. 112 OGH vom 04. 10.53, MinahQ 32, 7, 1223; N. Kobayashi, S. 285 ff.; Hashimoto, S. 134 f.; GLK JVlHiguchi vor Art 10, Anm. IV 1; Miyazawa, S. 85 f.; Yamashita, S. 39 f.; IgaraBbi, S.23. 107 108

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Iapan

geregelt, die Rechtsprechung hierzu entspricht aber im wesentlichen der zu Art 19 III GG1I3. bb) Grundrechtsausübung und ihre Schranken Die JV bemüht sich besonders um die Sicherung der Grundrechte, unter anderem durch einige allgemeine Klauseln. Neben den Art 11, 97 sind Art 99 (Verpflichtung aller Staatsorgane und Beamten, die JV zu achten und zu schützen) und Art 12 JV (Verbot des Mißbrauchs der Grundrechte, Bindung ihrer Ausübung an das Gemeinwohl und Verantwortung aller rur ihre Aufrechterhaltung) zu nennen. Im übrigen ist die Jellineksche Statuslehre vollständig rezipiert l14 • Kaum eines der Grundrechte der JV (jedenfalls der Freiheitsrechte) ist ausdrücklichen Gesetzesvorbehalten unterworfen. Grundsätzlich sind sie deshalb nur durch immanente Schranken begrenzbar. Eines der Grundprobleme des japanischen Verfassungsrechts (und heftig umstritten) ist es, ob darüber hinaus Art 13 JV i.V.m. Art 12, 22 und 29 11 JV (Gemeinwohl) eine allgemeine Grundrechtsschranke darstellt. Die wohl h.M. bejaht den echten Schrankencharakter dieser Regelungen llS ,1I6, während die Gegenansicht Art 12 f. JV nur Appellcharakter zubilligen will 117. 118. ce) Drittwirkungsproblematik Der Ausgangspunkt der Diskussion um die Drittwirkungsproblematik ist in Japan und Deutschland identisch: Zielrichtung der grundlegenden Menschenrechte ist die Abwehr von Eingriffen des Staates 119. Demgegenüber sind die Beziehungen zwischen Subjekten des Privatrechts grundsätzlich der Privatau-

113 Vgl. Yamashita, S. 41; GLK NlHiguchi vor Art 10, Anm. IV 2; Igarashi ebd. Sehr weitgehend OGH vom 24.06.45, MinshO 24, 6, 625. 114 Vgl. Yamashita, S. 36 C.; GLK N/Higuchi ebd. IIS OGH vom 04.04. 1951, MinshO 5,217 und vom 20.07.35, KeishO 14, 9, 1242. Vgl. Miyazawa, S. 83, 98, 99 uvam; N. Kobayashi, S. 330 C.; Maki in Henderson, S. 12; Abe in IöR 26,595 (617). Zum Problem auch Röhl, S. 61 C.; T. Kobayashi, Fälle, S. 26. Differenzierend I. Satö, S. 134 C., 136 (da die Freiheitsrechte vorstaatlicher Natur seien, würden sie nur durch immanente Schranken begrenzt). 116 Rechtssoziologisch N. Kobayashi. Das Rechtshewußtsein der Iapaner, Tökyö 43, S. 17: Danach befürwortet es die große Mehrheit der Iapaner, daß die Grundrechte stärker durch das öffentliche Wohl eingeschränkt werden. 117 Yamashita, S. 45 f. (dieser Begriff sei zu abstrakt und weiche die Menschenrechtsgarantien auf, weil er zu offen für das Einfließen der allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Anschauungen des Interpreten sei); GLK N/Higuchi Art 13, Anm. m 3, 6; Röhl, Art 22, Anm. I. 118 Im Ergebnis scheint der Unterschied zwischen beiden Meinungen gar nicht wesentlich zu sein, da auch nach der Mindermeinung das Gemeinwohl bei der EnniuJung immanenter Grundrechtsschrsnken und bei Grundrechtakollisionen wichtiger Harmonierungs- und Entscheidungsmaßstab ist (vgl. z.B. T. Kobayashi, Fälle, S. 26; Yamashita, S. 46, Miyazawa, S. 83). Vgl. im übrigen z.B. auch § 1 18GB. 119 Hashimoto, S. 160; N. Kobayashi, S. 301 C.; Miyazawa, S. 86; Yamashita, S. 42 C.

§ 4 Rechtswissenscheftlicher Ansatz

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tonomie überantwortet l3l . Allerdings, so eine allgemeine Überlegung, werde diese Unterscheidung des privaten und öffentlichen Bereiches durch das Auftauchen neuer sozialer Mächte privatrechtlicher Struktur, denen der Bürger ähnlich ohnmächtig gegenübersteht wie dem Staat, immer mehr relativiert l21 . Es stellt sich damit auch in Japan die Frage, wie die Grundrechtsdogmatik auf diese Erscheinungen reagieren muß. Nach einer Mindermeinung ist ein angemessener Grundrechtsschutz, eine

Art Waffengleichheit in den Rechtsbeziehungen von Privatrechtssubjekten, die Rechtsstaat und Art 13 JV geböten, nur dann gewährleistet, wenn man

grundsätzlich die Grundrechte im Sinne einer direkten Drittwirkung auch auf rein privatrechtliche Beziehungen anwendetl22.

Nach der Gegenansicht dürfen der wesensmäßige Unterschied zwischen öffentlichem Recht und privatem Recht sowie die Beachtung des Grundsatzes der Privatautonomie (dem seinerseits Verfassungsrang zukommt), nicht durch eine Drittwirkung der Grundrechte verwischt werden, so daß diese in jeder Form abzulehnen istl23. Die h.M. vertritt die vermittelnde Ansicht, daß über die Generalklauseln des Zivilrechts die Wertungsgehalte der Grundrechte in Form der mittelbaren Drittwirkung in das Zivilrecht einfließenl24.12S , wobei sich allerdings im Einzelfall aus der Natur eines Grundrechts ergeben kann, daß es direkte Drittwirkung entfaltet l26. Als wesentliches Argument wird genannt, daß damit

131 N. Kobeyashi, S. 302; M. Shimizu, Der Zustand der grundlegenden Menschenrechte, Tökyö 54, S. 47; Yamashita, S. 42 f.; Igarashi, S. 23. 121 T. Abe in Hanreijihö 724, 7; Yamashita, S. 43, N. Kobeyashi, S. 303; N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (I), S. 265. 122 LG Tökyö vom 22. 08. 31, Röminsh6 7, 4, 672 = Hanreijihö 482, 35; vgl. auch die Urteile des GH vom 04. 04. 26, Minsh6 5, 5, 214 sowie vom 22. 02. 27, Minsh6 6, 2, 258 sie werden (wohl aber zu Unrecht) häufig dahingehend ausgelegt. Unklar auch, wohl aber für Extremfalle bejahend, Miyazawa, S. 86. 123 Nw bei T. Kobayashi, Fälle, S. 36. 124 Yamashita, S. 45; N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (1), S. 274 f.; N. Kobayashi, S. 301 ff.; GLK N/Higuchi vor Art 10, Anm. IV 3; I. Satö, S. 142; Abe in Hanreijihö 724,7 f.; ders. in Juristo 1971, 7; ders. in JöR 26,595 (613 ff.); Igarashi, S. 24. 12S Die Rechtsprechung hat nach anfänglichem Zögern (der GH lehnte z.B. im Mitaubishijushi-Fall ausdrücklich eine direkte Drittwirkung ab, und deutete die Möglichkeit einer mittelbaren Drittwirkung kaum an - zu diesem Fall s. ausführlich unten B I I a dd; ähnlich unklar auch GH vom 22. 02. 27, Minsh6 6, 2, 258; GH vom 04. 04. 26, Hanreijihö 5, 215; vgl. auch GH vom 25. 05. 1967, Minsh621, 4, 937 und vom 19. 07. 1974, Hanreijihö 749, 3) in vielen Entscheidungen die Grundsätze der mittelbaren Drittwirkung ausdrücklich (z.B. GH vom 12. 06.38, Minsh617, 5, 754; 24. 03. 56, OLG Tökyö vom 12.06.43, Röminsh6 19,3,791; LG Tökyö vom 28.07. 1967, Hanreijihö 504,88 und vom 29.05. 1970, Hanreijihö 609,91 sowie vom 01. 07. 1969, Hanreijihö 560, 23)(wNw T. Abe in Juristo 71, 8 f.; ders. in JöR 26, 595 (613 ff.» und in noch sehr viel mehr Fällen unausgesprochen angewandt. 126 Dabei ist diese Frage bei jedem einzelnen Grundrecht sehr strittig: Zu Art 28 N s. unten ß 2 e, zu Art 18 N •. unten c ee, zu Art 27 I s. unten m 2 a, zu Art 24 N bejahend T. Abe in Juristo 71, 8 sowie LG Tökyö vom 29. 09. 39, Hanreijihö 396, 13 (a.A. h.M. mit Nw bei N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (I), S. 280 FN 16 unter Berufung auf das LG Tökyö vom 20. 12.41, Hanreijihö 467, 26: mittelbare Drittwirkung), zu Art 27 mN bejahende Nw

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

einerseits die wesensmäßigen Strukturunterschiede zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, die Struktur der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und der Grundsatz der Privatautonomie nicht mißachtet, andererseits aber der Gefährdung grundrechtlicher Positionen durch neue, privatrechtliche Gruppierungen hinreichend Rechnung getragen wirdl27. Daneben wird auch noch mit der Verfassung als Wertordnung argumentiert, der auch das Privatrecht gehorchen muß l28 , allerdings wird der Wertentscheidungscharakter der verfassungsrechtlichen Normen nicht so entschieden bejaht, wie dies teilweise in der deutschen Diskussion erfolgt. Zum Teil wird in der Lehre auch vom Standpunkt der vermittelnden Meinung aus eine Ausnahme zu Gunsten der direkten Drittwirkung für Fälle gemacht, in denen (bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen im übrigen) besonders grundrechtsgefährdende privatrechtliche Machtmonopole entstanden sindl29. Wichtigste Einbruchstelle für die Grundrechte ist vor allen Dingen § 90 BGB (Treu und Glauben, gute Sitten)IJO,m,J32. Dabei kommen aber die Grundrechte nicht unverändert im Privatrecht zur Anwendung, vielmehr erlangen die ihnen zu Grunde liegenden Wertungen und Gehalte Geltungskraft, vor allen Dingen bei vorzunehmenden Güterabwägungen 133 • c) Überblick über die Menschenrechte im einzelnen

Im folgenden sollen die Menschenrechte der JV kurz aufgezählt und in Schlagworten eventuelle Unterschiede zum Verständnis des entsprechenen Rechts in Deutschland herausgestellt werden. aa) Gleichheitsrechte Der allgemeine Gleichheitssatz wird in Japan durch Art 14 I JV gewährleistet, der die Gehalte des Art 3 I und III GG in sich vereint, auch was das bei N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (I), S. 277 FN 8. Vgl. auch I. SalÖ, S. 142, der eine unmittelbare Drittwirkung bei den Art 28,25 (teilweise), 24 und 18 bejaht. 127 N. Kobayaabi, S. 307; Fukase, S. 35; N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (1), S. 264 ff.; T. Abe in luristo 71, 8. Die state-action-Lchre wird als Bcgründungsmustcr auch herangezogen von GLK NlHiguchi vor Art 10, Arun. IV 3; Abe in Hanreijiho 724, (6 f.). 128 N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (I), S. 259; Haabimoto, S. 171, 172. Etwas zurückhaltender, aber ähnlich Abe in Hanreijih8 724, (1). 129 N. Aabibe, Grundlegende Menschenrechte (1), S. 269 mwNw; Abe in Juriato 71, 8. Vgl. auch die Nw oben FN 361 lJO s. hierzu auch exemplarisch das Beispiel der Beschränkung des Kündigungsrcchts des Arbeitgebers unten B D 2. m Vgl. hierzu für viele die allgemeinen Ausführungen bei N. Aabibe, Grundlegende Menschenrechte (1), S. 275 f.; T. Fukase, Diskriminierung wegen der Weltsnschauung, in 100 Fälle zum Verfassungsrccht, S. 31; N. Kobayaabi, S. 307; Shimizu, S. 49. 132 Dabei wird nicht nur intensiv die Rechtsprechung des BVerfU einschließlich grundlegender Werke von deutschen Staatsrechtslehrern, sondern auch die amerikanische Lehre der stateaction rezipiert, vgl. z.B. N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (1), S. 256 ff., 276; T. Abe in Juristo 71, S. 6 f. Vgl. auch Nw oben FN 362. m OGH vom 12. 06. 38, MinshQ 17, 5, 754; LG Otsu vom 21. 06.38, Hanreijiho 341, 19; LG Nagoya vom 26.04.38, RominshQ 14,2,668 = Hanreijih8 33, 10; Shimizu, S. 49 f.

§ 4 Rechtswissenachaft1icher Ansatz

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Willkürverbot und das Erfordernis eines sachlichen Differenzierungsgrundes betrifft. Dabei wird die Aufzählung der Gründe, wegen denen eine Diskriminierung verboten ist, als nicht abschließend verstanden 134 • Spezielle Gleichheitssätze finden sich in Art 1411 (Nichtanerkennung von Adel, d.h. daß der Tenno und die kaiserliche Familie lediglich eine spezifische Art von Staatsbürgern sind I35), 14 III (Ablehnung von Privilegien), 44 (Wahlrechtsgleichheit) und 24 (Gleichberechtigung der Eheleute) JV. Alle diese besonderen Vorschriften sind direkte Reaktionen auf Mißstände unter der MV; vor allen Dingen Art 24 JV führte zu weitreichenden Veränderungen im japanischen Rechtssystem, da er die Abschaffung des patriarchalischen Ie(Haus-) Systems 136 , das Frauen in der Ehe stark diskriminierte, zur Folge hatte. bb) Freiheitsrechte Der Schutz der Würde des Menschen ist in Japan in Art 13 JV verankert und wird im übrigen aus der Garantie der wichtigsten Menschenrechte insgesamt, besonders der Art 13, 24 f., hergeleitet137 • Art 13 JV garantiert auch die allgemeine Handlungsfreiheit l31 in einem dem Art 2 I GG vergleichbaren Sinne. Art 19 JV gewährleistet nicht nur die Gedanken- und Gewissensfreiheit, sondern auch die innere Glaubensfreiheit lJ9 • Art 20 JV garantiert die Religions-, Glaubens- und Kultusfreiheit einschließlich des Verbots irgendwie gearteter religiöser Aktivitäten des Staates - in Japan sind also Staat und Religion (Abs. 3, vgl. auch Art 89 JV) als Reaktion auf den Staatsshintoismus unter der MV streng getrennt l40 • Art 21 JV enthält so verschiedene Garantien wie die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit (die als umfassende Freiheit der Gedankenäußerung Rede-, Veröffentlichungs-, Presse- und

134 GLK N/Nomura Art 14, Anm. V; 1. Taguchi in Hanreijiba 724,9 (10); I. Sam, S. 152; N. Kobayashi, S. 357; vgl. auch Abe in IöR 26,595 (615). 135 Hashimoto, S. 210; I. Sata, S. 158; Miyazawa, S. 89. Fraglich ist dabei, inwieweit die Mitglieder der kaiserlichen Familie und insbesondere der TennO Grundrechtsträger sein können. Nach h.M. sind sie dabei einigen Beschränkungen unterworfen. So genießt zum Beispiel der Tenna nicht das Recht auf Auswanderungsfreibeit. 136 s. hierzu N. Kobayashi, S. 350, 361 ff.; GLK NfTomatsu Art 24, Anm. 1; I. Sam, S. 159 ff.; Röhl, Art 24, Anm. 1. Vgl. Fukui in Henderson, S. 32. Ausführlich N. Toshitani, Family Policy and Family Law in Modem Iapan, Annall of tbe Institute of Social Science, 1990, 95 ff., 130 ff. (bes. 130 ff.); W. Röbl, Verfassung und Familie in Iapan in FamRZ 1967, 301 (303 ff.) sowie soziologisch Iwao in Von BarloewenlWemabn-Mees Bd. 3, S. 116 (116 ff.). 137 Miyazawa, S. 48 ff.; Röhl, Anm. zu Art 19. Vgl. auch N. Kobayashi, S. 310, 315 f.; Hashimoto, S. 189. 138 N. Kobayashi, S. 317 ff.; GLK NlHiguchi Art 13, Anm. ß 3, IV; Igarashi, S. 24; Abe inJöR 26,595 (617). 139 I. Sata, S. 163; N. Kobayashi, S. 356; GLK NfT. Sam Art 19, Anm. 2; Miyazawa, S. 92; Igarashi, S. 26. 140 N. Kobayashi, S. 366 f.; I. Sam, S. 173 f.; Miyazawa, S. 95; Igarashi ebd.; Röhl, Art 20, Anm. I, ß.

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

Medienfreiheit mit umfaßt l41 , Abs. 1), das Verbot der Vorzensur sowie die Garantie des Korrespondenzgeheimnisses l42 (Abs. 2). Art 22 I JV regelt die Freizügigkeit innerhalb Japans und die Berufswahlfreiheitlo , Abs. 2 die Auswanderungsfreiheit (die aber durch ausländische Gesetze eingeschränkt werden kann l44) und das Recht, die japanische Staatsbürgerschaft aufzugeben (sofern eine ausländische Staatsbürgerschaft erworben wird l45), nicht aber die Einwanderungsfreiheit von Ausländern l46 , wohl aber das Recht, nach längerem Aufenthalt in Japan und kurzzeitigem Aufenthalt im Ausland wieder nach Japan zucückzukehren l47 • Art 23 JV garantiert die Freiheit der Wissenschaft, also von Forschung und Lehre und der Veröffentlichung der hieraus resultierenden Ergebnisse (insoweit also lex specialis zu Art 19, 21 JVI48) einschließlich der Universitätsselbstverwaltung l49 • Stark verfahrensrechtlich ist die Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art 35 JV geprägt. ce) Wirtschaftliche Grundrechte An wirtschaftlichen Grundrechten sind vor allen Dingen Art 22 I und 29 IV zu nennen. Sie werden im Zusammenhang mit den sozialen Grundrechten kurz behandelt.

dd) Iustitielle Grundrechte Als Reaktion auf viele Menschenrechtsverletzungen unter der MV im Bereich von Polizei und JustizIso und unter besonders starkem Einfluß der amerikanischen Besatzungsbehörden während der Entstehung der IV trifft diese eine Vielzahl von Regelungen über Verfahrensrechte (vor allen Dingen im Strafprozeß) in den Art 31 bis 40.

141 Hashimoto, s. 207; I. Satö, S. 178 f.; Miyazawa, S. 96; Röhl, Art 21, Anm. D, IV; Igarashi ebd. Zur Meinungsfreiheit s. insbes. die Monographie von L.W. Bur, Freedom of Expression in Japan, Tökyö 1984. 142 Bedenklich vor allen Dingen § 21 des Gesetzes über die Zollsätze, nach dem die Zollbehörden die Einfuhr von Schriftstücken bestimmten Inhalts verhindern können - vgl. hierzu I. Satö, S. 188 ff.; GLKNIYamaguchi Art 21, Anm. D 2; Miyazawa, S. 98. 143 s. hierzu unten B D 6 b. 144 OGH vom 10. 09. 1958, Minshu 12, 1969; Miyazawa, S. 99. 145 Allg. Meinung, z.B. N. Kobayashi, S. 510; Hashimoto, S. 350; GLK NIYamauchi Art 21, Anm. V; Miyazawa, S. 100; Röhl, Art 22, Anm. m. 146 OGH vom 19.06.32, KeishO 11, 1663; Hashimoto, S. 350; Miyazawa, S. 99. 147 LG Tökyö vom 11. 10.43, GyoseireishO 19, 10, 1637; GLK NIIkeda Art 22, Anm. IV 3. 148 Miyazawa, S. 100. 149 OGH vom 22. 05. 38; GLK NlTakayanagi/Ohama Art 23, Anm. V; N. Kobayashi, S. 383 ff.; I. Satö, S. 196; Miyazawa ebd.; Röhl, Art 23, Anm. D. ISO Miyazawa, S. 106. Vgl. N. Kobayashi, S. 473; GLK NlTashima Art 31, Anm. I.

§ 4 Rechtswi8ICß8Chaftlicher Ansatz

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ee) Sonstige Im übrigen lassen sich in der japanischen Verfassung noch drei Gruppen von Grundrechten finden: Zu den wichtigen sozialen Grundrechten siehe das folgende Unterkapitel. Art 17 JV gibt allen Bürgern einen Anspruch auf Entschädigung durch den Staat bzw. die Gebietskörperschaften, wenn sie durch eine unerlaubte Handlung eines Mitglieds des öffentlichen Dienstes einen Schaden erleiden (lex specialis ist hierbei Art 40 JVISI). Art 16 (Petitionsrecht), 15 (Wahl/Abwahl der Beamten lS2), 43, 93 (Wahlrechte bzgl. Staats- und lokaler Parlamente) sowie 79, 95, 96 I JV gewährleisten Teilnahmerechte am politischen Prozeß. 11. Soziale Grundrechte der JV 1. System a) Vorbemerkung Die MV kannte weder sozial- noch arbeitsrechtliche Regelungen. Art 29 MV garantierte zwar grundsätzlich die Vereinigungsfreiheit, was auch zur Bildung einzelner Gewerkschaften führte, doch waren diese auf der Basis der Grundrechtsdogmatik der damaligen Zeit vielfältigen und strengen Beschränkungen unterworfen, so daß ihre Aktivitäten in der Praxis außerordentlich beschränkt bliebenlSJ • Die JV hat direkte arbeitsrechtliche Bezüge in den Art 22 und 27 f.; zu den sozialen Grundrechten sind ferner die Art 18, 25 f. und in gewisser Hinsicht Art 29 zu rechnen. b) Verhältnis der Vorschriften zueinander Grundnorm des Systems der sozialen Grundrechte in der JV ist Art 25 I JVI54, der ein Recht auf menschliche Existenz und zugleich ein Existenzminimum garantiert. Miyazawa, S. 109. Die Vorschrift ist sehr restriktiv auszulegen, OGH vom 20. 04. 1949, KeisM 3, 135; I. Satö, S. 252; Miyazawa, S. 115. Vgl. GLK NlMuroi Art 15, Anm. n 2; Igarashi, S. 40. ISJ N. Kobayaabi, Vorlesung Verfassungsrecht, S. 577; Keiya in Muköyama u.a., S. I (1). 154 S. Araki, Sozialrecht, Tökyö 6412, S. 238; Asai, Prinzipien, S. 21; Hashizume, Begriff und rechtliche Hermeneutik der arbeitsrechtlichen Gnmdrechte, Tökyö 59, S. 7; M. Kawaguchi, Das Recht auf Arbeit, S. 168; T. Sa16, S. 289; Yamaabita, S. 92; A. Osuga, Recht auf Arbeit in Y. Okudaira/Y. Sugihara, Grundprobleme der Menschenrechte, Tökyö 52, S. 105. labii, S. 57, 70; den., Arbeitsrecht, Tökyö 46, S. 75; Numata, Rechte der Arbeiterbewegung, S. 189. 151

lS2

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Teil 2: Rechta- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

Zur Sicherung der menschlichen Existenz sieht die JV zwei grundlegende Konzepte vor: Ein Mensch kann sich den Lebensunterhalt verdienen, indem er von den Fruchten lebt, die sein - durch Art 29 JV garantiertesEigentum l55 abwirft, oder er kann ihn sich durch Arbeit, auf die er gemäß Art 27 I JV ein Recht hat, sichern i56 • Dieses Recht auf Arbeit wird wiederum durch weitere Normen der Verfassung konkretisiert und gesichert. Zunächst wird dem Bürger freier Zugang zu Beruf und Arbeitsplatz gewährt (Art 18, Freiheit von sklavenartigen Bindungen; Art 22 I und 27 I selbst, Freiheit der Berufswahl). Weiterhin sichert die Verfassung auch einen Mindeststandard an Arbeitsbedingungen (Art 27 11 JV, Gesetzgebungsauftrag zur Regelung von Arbeitsbedingungen; Art 27 III JV, Verbot der Ausbeutung von Kindern; wiederum Art 18 JV, Freiheit von sklavenartigen Bindungen)157. Der Schutz durch diese Vorschriften garantiert jedoch nur ein gewisses Basisniveau. Für einen weiteren Ausbau der Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne läßt die JV einen Freiraum, dessen Ausnutzung durch kollektive Anstrengungen der Arbeiterschaft erfolgen soll. Die wichtigsten Betätigungsformen dieser kollektiven Anstrengungen werden durch die Garantie von Koalitionsfreiheit sowie der Rechte auf kollektive Verhandlungen und Wahrnehmung anderer kollektiver Maßnahmen durch Art 28 JV gewährleistetl58 • Insoweit werden die sozialen Grundrechte als notwendige Strukturen innerhalb der von der Verfassung offenbar vorausgesetzten kapitalistischen Ordnung verstanden 1S9• Art 28 JV erweist sich damit im Ergebnis ebenfalls als Mittel zur Konkretisierung des Art 25 JVI60. Die japanische Verfassung überläßt demnach die Verwirklichung der Art 25 und 27 in erheblichem Umfang den Arbeitnehmern selbst, wie sich gerade aus der Existenz des Art 28 JV

155 Gensugenomrnen schützt Art 29 N gerade auch seinem Wortlaut nach das Vennögen. Durch die Ausweitung des Eigentumsbegriffs des Art 14 GG einerseits und gewisse Einschrän1rungen des Vermögensbegriffs des Art 29 N andererseits sind sich beide Termini inhaltlich nunmehr so ähnlich, daß es angemessen erscheint, zumindest erläuternd vom durch Art 29 N geschützten Eigentum zu sprechen. 156 T. IshiilK. Hagizawa, Arbeitsrecht, Tökyö 60/3, S. 3; R. Arilrura/H. Tokioka, Verfassungskommentar, Tökyö 55, S. 169; Hashizume, S. 6; I. Sam, S. 230; ders., Pocket, Tökyö 58/2, S. 460; Hirozawa, S. 163; Ishii, S. 70; GLK N/Urata Art 27, Arun. I; Yamashita, S. 102; T. Sam, S. 289; Kobayashi, Verf., S. 153; M. Kawaguchi, Das Recht auf Arbeit in Vereinigung japanischer Arbeitsrechtslehrer (Hrsg.): Kurs des Arbeitsrechts in der Gegenwart, Bd. I,Tökyö 56, S. 166 (168); Numata, Rechte der Arbeiterbewegung, S. 189; Asai, Prinzipien, S. 21. Das Recht auf Arbeit ersetzt tür den Nichtbesitzenden das Eigentumsrecht als Minel zum Lebensunterhalt. So ausdrücklich T. NakamuralN. Kadoda, Streitpunkte des Arbeitarechts, Tökyö 39, S. 13; Kataoka, Entfaltung des Arbeitarechts der Gegenwart, Tökyo 58 (im folgenden zitiert: "Entfaltung"), S. 199, 201; N. Kobayashi, S. 577; M. KinoshitalK. Og.wa, Arbeitsrecht, Tökyo 60, S. 31. Besonders deutlich zum Charakter des Art 271 N als Konkretisierung des Art 25 1 N Söya, Subjektive Rechte, S. 183. Vgl. auch N. Kobayashi, S. 548; Hashizume, S. 6 f.; Kataoka, Arbeitarecht, S. 27: Art 27 I N soll die Freiheit mit materiellem Gehalt tüllen. 157 s. hierzu unten 11 6. 158 Ishii, Arbeitsrecht, S. 58; Numata, Rechte der Arbeiterbewegung, S. 189. I S9 Ishii, Arbeitsrecht, S. 58. 160 Shimoi, S. 8; Numata, Rechte der Arbeiterbewegung, S. 189; Ishii/Hagizawa, S. 3.

§ 4 RechtawiuelllChaftlicher Ansatz

71

ergibt l6l ,l62, Gewöhnlich werden die drei Rechte des Art 28 als "grundlegende Rechte der Arbeit" (Rödökihonken) bezeichnet, nur vereinzelt wird das Recht auf Arbeit ebenfalls hierzugezählt l63 , Eine weitere inhaltliche Vorgabe zur Verwirklichung des Rechts auf Existenz bietet Art 25 11 JVI64, Daneben ist noch zu beachten, daß die Art 25, 27 I JV in einem Spannungsverhältnis zu Art 29 JV stehen und das Eigentumsrecht im Rahmen seiner Sozialbindung (Art 29 11 JV) teilweise einschränken l6S , wie überhaupt teilweise vertreten wird, daß die Verwirklichung des Rechts auf Existenz mit dem öffentlichen Wohl, wie es Art 12 JV normiert, zusammenfalle l66 • Außerdem sind diese sozialen Grundrechte als konkretisierte Ausprägung der Menschenwürde, die in direktem Zusammenhang mit den Garantien des Art 25 I JV steht, anzusehen l67 • 2. Die sozialen Grundrechte im einzelnen a) Art 25 I

JV

aa) Überblick Wie erläutert sind das Eigentumsrecht und das Recht auf Arbeit die beiden wichtigsten Elemente zur Sicherung des Menschenrechts auf Existenz l68 • Ausstrahlungswirkungen des Rechts auf Existenz im rechtlichen Raum gibt es sowohl im Sozialrecht als auch im Recht des Eigentums als auch im Arbeits161 OGH vom 26. 10.41, Keishü 20, 8, 901; K. Asai, Grundriß des Arbeitsrechts, Tökyö 35, S. 22; ders., Arbeitsrechtsvorlesung, S. 102; S. Taguchi/J. Kawazoe, Praktischer Übungskurs der Rechtswissenschaft - Verfassungsrecht, Tökyö 53, S. 447; Tagami, S. 190; Hashizume, S. 7; N. Kataoka/Y. Yokoi, Praktische Übungen im Arbeitsrecht, Tökyö 47, S. 51; I. Sam, Pocket, S. 460. 162 Rechtssoziologische Hinweise: Ujihara u.a., Das Rechtsbewußt.sein hinsichtlich der s0zialen Sicherung, Tökyö 44, S. 464 f. zur Struktur der Bedürftigkeit in Japan. Wie gering die Bedeutung von Art 25, 27 N auch von Staatsseite her eingeschätzt wird, zeigt die Tatsache, daß bei Regierungsumfragen bezülich der sozialen Grundrechten nur Fragen zu Art 28 N gestellt wurden; vgl. N. Kobayashi, Verfassungsbewußt.sein, Tökyö 43, S. 20 fr. 163 So z.B. N. Funabashi, Arbeitsrecht, Kyöto 41, S. 52; Fujita, Japanische Arbeitsrechtslehre, Tökyö 48, S. 3; N. Kobayashi, S. 582; Kataoka, Arbeitsrecht, S. 26, 48; Yamashita, S. 102. 164 Osuga, S. 106 16S I. Numata, Lehre vom Recht der Sicherung des Rechts auf Arbeit, in Gesammelte Werke, Bd. 7, Tökyö 51, (Zitiert im folgenden: ·Sicherung·), S. 15 fr.; Osuga, S. 105; T. Ishii, Arbeitsrecht, S. 58 f.; ders., S. 35, 140; GLK Nrr. Sam Art 25, Anm. 1; GLK N/Urata Art 27, Anm. 1; Hashimoto, S. 381. Bes. M. Kinoshita/K. Ogawa, Arbeitsrecht, Tökyö 60, S. 31 (Vorrang des Rechta auf Arbeit, aber die Eigentumsordnung muß gewährleistet werden); ähnlich Numata, S. 100. 166 Numata, Sicherung, S. 15. 167 GLK N/Urata Art 27, Anm. I; T. Sam, S. 287. 168 s. hierzu obc .. I 2. 7 Nenninger

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

recht l69 • Da aber der Begriff der "Existenz" recht weit ist und auch den kulturellen Bereich umfaßt, ist gerade der Bezug zum Recht auf Arbeit je nach Regelungsgegenstand enger oder weiter, im kulturellen Bereich also weiter l1O • Kern des Rechts auf Existenz ist die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins, das sich die meisten Bürger durch Arbeit sichern müssen. Wenn sie also einen Arbeitsplatz innehaben, ist es für die Menschenwürdigkeit ihres Daseins von mitentscheidender Bedeutung, daß sie im Arbeitsentgelt eine ihrer Arbeitsleistung entsprechende Gegenleistung erhalten und unter möglichst guten Arbeitsbedingungen arbeiten - hier ist die Berührung zwischen den Art 25 und 27 JV am engsten. Der Gehalt des Art 25 fließt dementsprechend in den Art 27 11 JV ein und führt zu einer Konkretisierung des Mindestmaßstabes der durch Gesetz festzulegenden Arbeitsbedingungen dahingehend, daß sie menschenwürdige Arbeit und Existenz erlauben müssen l7I , was auch in § 1 des auf Grund des Gesetzgebungsauftrags in Art 27 11 JV erlassenen ASG direkt zum Ausdruck kommt. Im übrigen ist Art 27 I JV spezieller als Art 25 I JV, denn ersterer beschränkt sich auf arbeitsfähige Menschen als Grundrechtsträger, letzterer wird gerade dann aktualisiert, wenn sich ein nicht arbeitsfähiger Mensch wegen seines Lebensunterhalts an die Solidargemeinschaft wenden muß172. bb) Rechtsnatur Es ist sehr umstritten, ob das Recht auf Existenz als ein subjektives öffentliches Recht173 , als einseitige Pflicht des Staates oder als Appellnorm ohne echte rechtliche Bedeutung verstanden werden soll. Die h.M. mißt der Vorschrift nicht den Charakter eines direkten Anspruches des Bürgers gegen den Staat zu, sondern erkennt nur indirekte, d.h. nicht einklagbare Verpflichtungen der staatlichen Organe an 174 • Da der Gang der Diskussion ganz ähnlich 169 T. Satö, Geschichte der japanischen Verfassung, Bd. 1, Tökyö 37, S. 292 f.; I. Sa10 in Sonderheft Rödökikanshi 8, 23 f.; Ishii, Arbeitsrecht, S. 72. 110 Ishii, Arbeitsrecht, S. 72. 171 s. hierzu vor allem unten 114. 172 GLK Nrr. Sa10 Art 25, Anm. I; Ishii, Arbeitsrecht, S. 74 f.; Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, Tökyö 42 (im folgenden zitiert: "ArbR. Forschungen"), S. 48, 75 f. 173 Bejahend vor allem Numats, Sicherung, S. 17 ff. Differenzierend Hashimoto, S. 385: Rechtscharakter ist zu bejahen, aber ohne einfachgesetzliche Regelung fehlt es an der Justiziabilität. Zum Meinungsstand mit Argumenten, Rechtsprechung und Geschichte K. Yamashita in Jurisuto 500, S. 69 ff. 174 OGH vom 29. 09. 23, Keishii 2, 10, 1235; OGH vom 05. 12. 25, KeishQ 15, 13,2471; OGH vom 24.05.45, Minshii 21, 5, 1043; OGH vom 07.07.57, MinshQ 36,7, 1235 (hier etwas differenzierend: nur geringe Justiziabilität wegen des sehr weiten Ermessens des Gesetzgebers); T. Kobayashi, Fälle, S. 90; T. Satö, S. 291; Ishii/Hagizawa, S. 3; Abe in JöR 26, 595 (625); Keiya, S. 1 (2); Ishii, Arbeitsrecht, S. 62 f.; Tagami, S. 187; T. Sugimura in 100 Fälle Verfassungsrecht 11, S. 225; Chiikai, S. 488; I. Sa1O, S. 239 f.; Röhl, Art 25, Anm. I. Besonders deutlich: N. Miyashima, Arbeitsrecht, Tökyö 39, S. 80: Programmnorm und als solche nur ein Stück Papier. Etwas weitergehend z.B. M. Nakamura in T. Yamauchi u.a., Kurs des Verfassungsrecht der Gegenwart (2), Tökyö 60, S. 208 f.; N. Kawaguchi, Das Recht auf Arbeit, S. 170; Tagu-

§ 4 RechtswisscRSChaftlicher Ansatz

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wie beim Recht auf Arbeit verläuft, soll auf die Ausführungen zur Rechtsnatur desselben verwiesen werden 17S • ce) Inhalt Das Recht auf Existenz garantiert grundsätzlich Freiheit von Hunger und Mangel 176 • Seine Positivierung in Art 25 I JV bedeutet aber nicht nur, daß die notwendigen Bedingungen dafür gesichert sein müssen, daß jeder Bürger des Staates existieren kann (d.h. nicht verhungern muß), sondern daß er darüber hinausgehend ein menschenwürdiges Leben führen kann, ihm also auch hinsichtlich Gesundheit, kulturellem Leben, sozialer Bindungen usw. ein Standard gesichert wird, der über das bloße Dasein hinausgehende Inhalte der menschlichen Existenz sichertln. Grundrechtsträger sind grundsätzlich alle Menschen, doch sind Systeme wie die Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung für Menschen, die keinen Arbeitsplatz auf Grund eigenen Bemühens gefunden haben, obwohl sie fähig und willig sind zu arbeiten, Ausprägungen des Rechts auf Arbeit, das zwar insoweit seinerseits eine Konkretisierung des Rechts auf Existenz ist, doch hier spezieller bleibt178. Dem Art 25 I JV als lex generalis sind deshalb aktuell vor allem folgende Bereiche zuzuordnen 179: (1) Die Garantie des Rechts auf Existenz für Menschen, die nicht arbeiten können, also vor allem Alte, Kranke, Schwache und Jugendliche. Dabei ist zu beachten, daß die lebenssichernde Funktion des Sozialversicherungsgesetzes in erster Linie den Arbeitswilligen zu Gute kommen soll, daß also detjenige, der arbeiten kann, aber nicht will und dennoch Ansprüche auf Art 25 I JV stützt, einen Rechtsmißbrauch begeht und deshalb nur in geringerem Maße schutzwürdig ist UIO •

(2) Die Garantie des Rechts auf Existenz im Sinne einer allgemeinen Förderung der sozialen Fürsorge findet ihre wesentliche Grundlage in Art 25 11 JV, doch lassen sich wichtige Gehalte, besonders was den Menschenwürdebezug betrifft, bereits aus Art 25 I JV gewinnen.

Teilweise wird das Recht auf Existenz mit dem öffentlichen Wohl (Art 12 JV) geradezu gleichgesetzt. Dann wird aus ihm ein grundlegendes Verfassungsprinzip, das immer dann regulierend und auch dominierend eingreift, wenn andere Grundrechte (d.h. vor allem Freiheitsrechte) notleidend sindl81. chilKawazoe, S. 423 tT.; K. Hashimoto, Grundlagen des Verfassungsrechts, Tökyö 48, S. 255; N. Ashibe, Praktische Übungen im Verfasssungsrecht, Tökyö 60, S. 181 f. 175 s. unten C D 2. Gleichheit des Problems auch betont bei T. Keiya u.a., Hörsaal des Arbeitsrechts, Tökyö 39, S. 16. 176 Numata, Sicherung, S. 14; N. Kobayashi, S. 548 f.; Hashimoto, S. 384; den., Grundlagen, S. 257. m Tagami, S. 188; lshii, Arbeitsrecht, S. 72 f.; Hashimoto, S. 385; T. Satö, S. 287. 178 T. Satö, S. 248. 179 Nach Ishii, Arbeitsrecht, S. 76 tT.; T. Satö ebd.Vgl. auch I. Satö, S. 248. 180 Ishii, Arbeitsrecht, S. 79. 181 Numata, Sicherung, S. 15 f. Vgl. auch vorne B I 2 a.E. mwNw.

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Iapan

Eine Drittwirkung des Rechts auf Existenz wird nur selten thematisiert. Sie wird aber teilweise bejaht mit dem Hinweis auf die naturrechtlichen Wurzeln der sozialen Grundrechte und der besonderen gesamtgesellschaftlichen Verantwortung hinsichtlich ihrer Verwirldichung l82. Die Schranken des Art 25 I JV sind vor allem funktionell-rechtlicher Natur, nämlich Haushaltsvorgaben und der jeweilige Lebensstandard, aber auch seine vage Tatbestandsformulierung l83 . dd) Einfachgesetzliche Konkretisierungen Einfache Gesetze konkretisieren vor allem die Funktion des Art 25 I JV i.S.v. oben iii) (1)184. Zu nennen sind zunächst gesetzgeberische Maßnahmen zur Sicherung der Existenz von Jugendlichen l85 . Hier wird auch der Bezug zur Pflichterziehung und zum Recht auf Erziehung i.S.v. Art 26 JV deutlichl86. Daneben ist das japanische System der Altersversicherung anzuführen l87 . Zuletzt ist das Sozialhilferecht eine Konkretisierung des Rechts auf Existenz für sonstige Schwache und Kranke. Dabei ist wiederum das Verhältnis zu Art 27 I JV von Bedeutung: Der Mindeststandard der Leistungen für nur nach Art 25 I JV Anspruchsberechtigte ist geringer anzusetzen als bei denen, die Arbeit haben oder hatten und unter Art 27 I JV fallen l88 . Dies kommt auch in § 3 Sozialversicherungsgesetz (prinzip der Subsidiarität der Sozial fürsorge) zum Ausdruck l89 . b) Art 25 11 IV

aa) Inhalt und Rechtsnatur

Etwas vergröbernd läßt sich sagen, daß Art 25 11 JV das Sozialstaatsprinzip konstituiert l90,191. Danach hat der Staat die Pflicht, das Recht des Volkes auf ein menschenwürdiges Dasein durch die Förderung und Verbesserung der

182 Numata, Sicherung, S. 17; bejahend auch N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (1), S. 277; I. Satö, S. 142. Vgl. auch den Versuch einer verfassungskonfonnen Auslegung des einfachen Rechts im Lichte des Art 25 I N bei LG Tokyo vom 19. 10. 35, GyosaireishQ 11, 10, 2921. 183 Zum Schrankenproblem Hashimoto, S. 385; Taguchi/Kawazoe, S. 424; Abe in IöR 26, 595 (625). 184 Vgl. auch die Aufz.ählung bei GLK IVrr. Satö Art 25, Anm. I a.E. 185 Ausführliche Beispiele bei Ishii, Arbeitsrecht, S. 76-78. 186 Ishii, Arbeitsrecht, S. 78. 187 s. hielZU § 8 m. 188 Ishii, Arbeitsrecht, S. 78. 189 s. vor allem aber auch unten B m. 190 Kobayashi, S. 140; Miyazawa, S. 52; Ishii, Arbeitsrecht, S. 80. Vgl. auch OGH vom 07. 07. 57, MinshQ 36, 7, 1235. 191 Zum Verhältnis der beiden Absätze des Art 25 N zueinander N. Kobayashi, S. 140 f.

§ 4 Rechtswissenschlftlicher AnsItz

75

Wohlfahrt im weitesten Sinne zu sichern l92. Dabei nennt die Verfassung im einzelnen drei Bereiche: (1) Soziale Wohlfahrt, (2) Soziale Sicherung und (3) VolksgesundheitlHygiene. Auch hinsichtlich Art 2S 11 JV ist streitig, inwieweit der Inhalt der Norm über einen bloß deklaratorischen Charakter hinausgeht. Nach h.M. verpflichtet Art 2S 11 JV die staatlichen Organe (vor allem den Gesetzgeber) in einer Weise, wie es etwa ein Gesetzgebungsauftrag tut, berechtigt aber nicht die Bürger. Versäumnisse des Gesetzgebers können also grundsätzlich nicht gerügt werden - schon deshalb nicht, weil sein Ermessensspielraum bei der Ausfüllung der Norminhalte wegen deren Abstraktheit sehr weit ist. Versäumnisse und Unterlassungen des Gesetzgebers werden allerdings dann rechtswidrig, wenn selbst dieser weite Ermessensspielraum evident verletzt ist, insbesondere wenn die gesetzlich garantierten Standards der S07ialfürsorge usw. so niedrig sind, daß sie die menschliche Existenz nicht mehr sichern - in diesen Fällen kann eine gerichtliche Überprüfung erfolgen l93 . bb) Konkretisierungen Zwar lassen sich die Bereiche der Gesetzgebung, die als Konkretisierung der Art 2S I und Art 2S 11 JV verstanden werden müssen, nicht immer scharf trennen, doch kann man im Falle des letzteren vor allem folgende drei Bereiche anführen l94 : (1) Das Recht der sozialen Fürsorge außerhalb des eigentlichen Sozial- und Sozialversicherungsrechts, z.B. also das Gesetz zur Verhinderung von erbkrankem Nachwuchs oder allgemeiner auch die Förderung kulturstaatlicher Einrichtungen, (2) Krankenversicherung,

(3) Volksgesundheit bzw. öffentliche Hygiene, z.B. die Gesundheitsverwaltung und ihr materielles Recht (Seuchenverhütungsgesetz, Lebensmittelhygienegesetz usw.). c) Art 26JV

Art 26 I und 11 JV konstituieren miteinander korrespondierend ein Recht auf (Abs. 1) und eine Pflicht zur Ausbildung (Abs. 2 Satz 1), wobei gemäß Art 26 11 2 JV die Pflichterziehung kosten frei ist. Art 26 ist ebenfalls eine Konkretisierung des Art 2S JV, soweit sich das Recht auf Existenz auf den kulturellen Bereich erstrecktl9S. Die Vorschrift gibt dem Bürger einen

192 GLK Nff. SIlO Art 25, Anm. I; KoblYIshi, S. 141; S. SIlO in Sondemeft ROdokikanshi 8, 24; KeiYI, S. 1 (3 f.). 193 OGH vom 24.05. 1967, Minshil 21,5, 1043; Hishimoto, S. 386; KeiYI, S. 1 (4). Vgl. T. SIlO, S. 293 f. Noch weitergehender S. SIlO ebd. 194 Isbii, Albeitsrecht, S. 80 f.; T. SIlO, S. 292 f. 195 LG Tokyo vom 17.07.45, Hlnreijiho 604, 29; N. KoblYIshi, S. 567; Abe in löR 26, 595 (627). Röhl, Art 26, Anm. 11. Str., vgl. N Ashibe, Übungen zum Albeitsrecht, Tokyo 60, S. 185.

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Teil 2: Rechta- und Iwlturvergleichende Dimension: Japan

Rechtsanspruch gegen den Staat, daß er dem Anspruchsteller eine der Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung gewährt l96 ; dem steht eine entsprechende Pflicht des Staates zur Kinderausbildung gegenüber, die den Staat zur Errichtung eines Erziehungssystems verpflichtet l97 , d) Art 27 11, III IV Art 27 11 JV ist eine weitere Konkretisierung des Art 25 I JVI98, Gleichzeitig ist die Auslegung des Art 27 11 JV an die Vorgaben des Art 27 I JV gebunden, der seinerseits durch diese Norm konkretisiert wirdl99, Die Vorschrift gibt dem Parlament einen Gesetzgebungsauftrag, angemessene Mindestarbeitsbedingungen durch Gesetz festzulegen, weil die geschichtliche Erfahrung gezeigt hatte, daß beim nur auf dem Grundsatz der Privatautonomie beruhenden Aushandeln der Vertragsbedingungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein menschenwürdiges Dasein der Beschäftigten häufig nicht gewährleistet war - Art 2711 JV beschränkt also die Vertragsfreiheit zum Nachteil des Arbeitgebers, um die Menschenwürde der Arbeitnehmer mit zu sichern:llJO, Es besteht jedoch eine Wechselbeziehung: Der Staat darf auch seinerseits nicht zu weitgehende Mindestbedingungen regeln, sonst würde er unangemessen in die Privatautonomie und Art 28 JV eingreifen2ll\,

Strittig ist, ob Art 27 11 JV durch Parlamentsgesetz ausgeführt werden muß202 oder der Vorschrift auch durch bestimmte Arten von Verordnungen genüge getan werden kann203, Unter Arbeitsbedingungen iSd Art 2711 JV sind nicht nur die in der Vorschrift aufgeführten Regelungsbeispiele zu verstehen, sondern grundsätzlich alle Vertragsbedingungen in arbeitsrechtlichen Verträgen 204 , Dabei hat Art 27 196 T. Kobayaahi, Verfassung, S. 150; N. Kobayaahi ebd. 197 N. Kobayashi, S. 572; Miyazawa, S. 110. 198 Osuga, S. 106; T. Kobayashi, Verfassung, S. 154; I.

Tanslcadate, Seminar des Verfassungsrechts, Tökyö 53, S. 197; Kataoka, Wandel und Aufgaben des Arbeitsrechts, S. 14; N. Kobayashi, S. 580; Hirozawa, S. 154; Nurnsta, Sicherung, S. 24; Yasueda/Nishimura, S. 45; Araki, Sozialrecht, S. 239; Asai, Arbeitalehre, S. 36 - vgl. aber auch dera., Prinzipien, S. 21 (lex specialis zu Art 27 1). 199 Osuga ebd.; Kataolca ebd.; Nurnsta ebd.; ders., Allgemeine Sozialrechtstheorie, Tökyö 50, S. 39; Asai, Arbeitarechtalehre ebd.; N. Kobayaahi ebd.; Arilwraffokioka, S. 169; M. Hayashi, Allgemeine Lehren der Forschung des Rechta auf Arbeitaplatzsicherung, KyOto 50, S. 7. Vgl. aber auch Araki in Streitpunkte, S. 9; Kataoka, Aufgaben und Begriff des Rechta auf Arbeit, Tökyö 41 (im folgenden zitiert: • Aufgaben und Begriff"), S. 28: Das Recht auf Arbeit sei umfassend und einheitlich mit allen seinen Einzelaspekten in Art 27 I bis m IV geregelt. :llJO OGH vom 26. 10. 41, KeishQ 20, 8, 901; Nurnsta, Allgemeine Sozialrechtatheorie, S. 39; T. Kobayaahi, Verfassung, S. 154; N. Kobayaahi, S. 580; I. SatO, Pocket, S. 460; Hirozawa, S. 154; T. Nalcagawa, Die arbeitarechtlichen Grundrechte, in H. Hita (Ursg.), Einffihrung in das Verfassungsrecht, Tökyö 61, S. 130 (131); Tanalcadate, S. 197; Tagami, S. 190. 201 Keiya, S. 1 (1). 202 So z.B. Keiya ebd. 203 So z.B. GLK N/Urata Art 27, Anm. IV- Das Problem wurde zum Beispiel jüngst wieder im Rahmen der Arbeitazeitverkürzung relevant, s. unten B I I b cc mwNw. 204 GLK N ebd.; T. Kobayaahi, Verfassung, S. 154.

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

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11 JV einen gewissen Doppe1charakter. Zum einen schreibt er vor, daß Mindeststandards an Gesundheit und kulturellem Leben, die eine menschenwürdige Existenz ermöglichen, garantiert werden. Gesetzgebung, die hiergegen verstößt, ist verfassungswidrig20s , wobei aber der Gesetzgeber einen recht weiten, gerichtlich nicht überprütbaren Ermessensrahmen hat206 • Zum anderen hat die Norm auch einen gewissen Appellcharakter, sich um allmählich steigende Arbeitsbedingungen zu bemühen207 (vgl. § 111 ASG).

In Erfüllung des Gesetzgebungsauftrags sind neben dem Arbeitsstandardgesetz (ASG) zahlreiche andere Nebengesetze erlassen worden208 • Im übrigen aber ist die Erfüllung des Art 27 11 JV den Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Rahmen des Schutzbereichs des Art 28 JV überlassen209 • Art 27 III JV, der die Ausbeutung Mindetjähriger verbietet, hat neben Abs. 2 im Grunde keine eigenständige Bedeutung und geht weitgehend in diesem auP10, verbietet darüber hinaus aber noch die Ausbeutung von Kindern auch außerhalb von arbeitsrechtlichen Beziehungen2l1 • Konsequenterweise ist das Jugendarbeitsschutzrecht im ASG (§§ 56 ff.) bei den Arbeitsschutzbedingungen für Erwachsene mitgeregelt212 • Die besondere Hervorhebung des Schutzes der Mindetjährigen läßt sich nur dadurch erklären, daß auch in Japan das Arbeitsrecht im Arbeitsschutzrecht für Kinder seinen Anfang nahm213. e) Art 28 JV

Auch Art 28 JV214 dient - in engem Zusammenhang mit Art 27 I JV - als wichtiges Mittel zur Realisierung des Rechts auf Existenz aus Art 25 I JV21S. Gleichzeitig ist das darin geregelte Koalitionsrecht lex specialis zur durch Art 21 I JV garantierten Vereinigungsfreiheit216 . Wichtigster Zweck der Norm ist es, bei der Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern den wirtschaftlich Osuga, s. 107; GLKN ebd.; Numata, Sicherung, s. 25. Vgl. Hashimoto, S. 397. Osuga, S. 106 f. 207 GLK N/Urata Art 27, Anm. IV; Osuga, S. 106; T. Kobayashi, Verfassung, S. 155; N. Kobayashi, S. 580. 208 s. hierzu weitere Beispiele unten § 4 A m 3 c und bei Sugeno, S. 17. 209 Araki, S.238; I. Satö, S. 250. 210 GLKN/Urata Art 27, Anm. IV; Keiya, S. 1 (8); N. Kobayashi, S. 580. 211 M. Azuma, Arbeitsrecht, Tökyö 39/3, S. 54 f.; GLK N ebd.; Chilkai (1. Auflage), S. 263. 212 s. hierzu unten § 4 A II 2 d. 213 Nakamura, S. 439; N. Kobayashi, S. 581; Chiikai (1. Auflage), S. 263; Keiya, S. 1 (8). 214 Zu den Inhalten der unten aufgeführten Rechte im einzelnen s. die Ausführungen zum Kollektivameitsrecht unten B I 2. 215 OGH vom 26. 10.41, Keishil20, 8, 901; Hashimoto, S. 398; Hirozawa, S. 155; N. Kobayashi, S. 582 f.; T. Kobayashi, Verfassung, S. 155; TaguchilKawazoe, S. 447; Keiya, S. 1 (11); S. Nishitani in Eubel, S. 339 (350). 216 Keiya, S. 1 (12). Vgl. Hashimoto, S. 399. 20S

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Teil 2: Rechu- und kulturvergleichende Dimcnaion: Japan

schwächeren Arbeitnehmern materielle Freiheit und Gleichheit zu sichern2l7• Als Mittel hierfür garantiert Art 28 IV drei spezielle arbeitsrechtliche Grundrechte: Das Koalitionsrecht218 , das Recht auf Kollektivverhandlungen und das Recht, andere kollektive Maßnahmen durchzuführen (in erster Linie zu streiken). Der Arbeitnehmerbegriff dieses Menschenrechts ist grundsätzlich umfassend; alle in abhängiger Beschäftigung stehenden Menschen sind Grundrechtsträger unabhängig davon, ob ihr Arbeitsverhältnis privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur istl l9 • Allerdings wird die Anwendung des Art 28 IV für Angehörige des öffentlichen Dienstes durch die einfache Gesetzgebung insbesondere in Hinblick auf das Streikrecht stark eingeschränktDI. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Einschränkungen ist eines der umstrittensten Probleme der japanischen Rechtsinterpretation und -politik überhaupt. Die Norm gibt aber nicht nur ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Die Rechte des Art 28 IV schränken auch die wirtschaftlichen und zivilrechtlichen Freiheiten des Arbeitgebers ein und haben insoweit eine direkte Drittwirkung 22l • Die konkretisierende Gesetzgebung, die Gewerkschaften und Arbeitnehmer vor Eingriffen des Arbeitgebers in diese Rechte schützt und Rechtsgeschäfte dieses Inhalts für unwirksam und Realakte mit diesem Zweck für verfassungswidrig erklärt, hat deshalb insoweit nur noch deklaratorischen Charaktef222. Umstritten ist, welchen Schranken die Rechte aus Art 28 IV unterliegen. Eine Ansicht will das Allgemeinwohl auch hier als allgemeine Grundrechtsschranke heranziehen223 • Die Gegenansicht läßt nur immanente Schranken (bei einer konkreten Gefährdung anderer Menschenrechte im Konfliktsfall 224) zu und argumentiert, daß der Begriff des Allgemeinwohls sich im Grundsatz mit

Hirozawa, S. ISS; T, Kobayashi, Verfassung, S. ISS; Hashimoto ebd. Es ist allerdings nur die positive Koalitionafreiheit geschützt (Sugeno, S. 21; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 157). 219 Unstr.; vgl. rur alle z.B.: I. Satö, S. 251; N. Kobayashi, S. 583; Hashimoto, S. 400; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 156; Tanakadate, S. 198 f.; Miyazawa, S. 112; Keiya, S. 1 (9); Hirozawa, S. 156. 220 Ausführlich I. Satö, S. 258 ff.; Tanakadate, S. 200 ff. Vgl. Bsp. und Nw bei Röhl, Art 28, Anm. ID. 221 Ishii, Lehrgesprich, S. 156; Hashimoto, S. 170,400; T. Abe in Juristo 71, S. 8; den. in JöR 26, 595 (614); Kciya, S. 1 (11); Nishitani in Eubel, S. 339 (350), Hirozawa, S. 156; Igarashi, S. 24; wNw bei N. Ashibe, Grundlegende Mel\lChenrcchte (1), S. 280, FN 9 f. Sehr str., a.A. (nur mittelbare Drittwirkung): N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (I), S. 276 mwNw, S. 277, FN 8. LG Tokyo vom 02. I!. 23, RominshQ 8, 6,872; Sugeno, S. 25, 29, 432. 222 Hirozawa, S. 156. 223 lnsbes. die Urteile des OGH vom 08. 02. 1928, KeishQ 7, 4, 775; vom 15. 03. 38, KeishQ 17, 2, 23; 25. 04. 48, KeishQ 27, 4, 547 (a.A. allerdings zwischenzeitlich OGH vom 26. 10.41, KeishQ 20, 8,901 - doppelte Rechtsprechungsänderung !). Ebenso ChQkai, S. 548; Takayanagi in Henderson, S. 102. 224 OGH vom 26. 10.41, KeishQ 20,8,901; Miyazawa, S. 113; Hirozawa, S. 159. Ähnlich I. Satö, S. 250. 217 218

§ 4 Rechtawiasenschaftlicher Ansatz

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den Garantien der sozialen Grundrechte decke, diese aber jedenfalls nicht einschränken könnens. Wichtigste Konkretisierung des Art 28 JV ist das Gewerkschaftsgesetz (GewG).

oSonstige Bestimmungen aa) Art 18 JV Art 18 JV verbietet sklavenhafte Bindungen (S. 1) und Zwangsarbeit (S. 2; mit Ausnahme von Zwangsarbeit auf Grund eines Strafurteils). Die Vorschrift hat direkte Drittwirkung22lS • Sie findet ihre Konkretisierung vor allem im ASG (insbesondere § 5 mit Strafbewehrung in § 117, daneben §§ 14, 26 - 18, 94)227.

bb) Art 22 I JV Art 22 I JV garantiert die Berufswahlfreiheit, d.h. die Freiheit des Einzelnen, den Beruf ergreifen zu können, dem er sich widmen will228. Die Unternehmens/Gewerbefreiheit fällt ebenfalls hieruntef229. Auch insoweit besteht wiederum ein enger Zusammenhang mit den Rechten des Individuums auf Existenz und Selbstentfaltung23O • Grundrechtsbeschränkend wirkt neben immanenten Schranken (im wesentlichen nur polizeirechtliche Aspekte, die Leben oder Gesundheit anderer betreffen) vor allem das allgemeine Wohl (Art 12 JV) und hier insbesondere der Schutz der wirtschaftlich Schwachen231 •

ce) Art 29 JV

Wortlaut und Dogmatik des Art 29 I und 11 JV entsprechen weitgehend Art 14 GG, gerade auch was Sozialbindung und Enteignung betrifft. Das durch diese Vorschrift geschützte Vermögen umfaßt alles, was im Zivilrecht und im öffentlichen Recht Vermögenswert hat232. Auch im japanischen Recht Hirozawa, s. 158. LG Nagano vom 10. 08. 39, Rominshß, 15,4, 915; I. Saw, S. 142; Hashimoto, S. 172; T. Kobayashi, Fille, S. 39; Igarashi, S. 24; Röhl, Art 18, Anm. I. Slr., a.A.: LG Takarnatsu vom 31. 03. 41, RominshQ, 17,2,405. 227 Über das Verhiltnis zur Pflichl zur Arbeil gemäß Art 27 INs. unten C m. 228 GLK N/Ikeda Art 22, Anm. m I; Hallhimoto, S. 351; I. Sala, S. 214; N. Kobayallhi, S. 510 f.; Hirozawa, S. 160. 229 OGH vom 22. 11. 47, KeishQ 26,9,586; GLK N/Ikec!a Art 22, Anm. D I; N. Kobayashi, S. 512 mwNw; Miyazawa, S. 99; Hirozawa, S. 160; Igarashi, S. 24; slr. 230 OGH ebd.; Hashimoto, S. 352; Hirozawa, S. 160 f. 231 OGH vom 21. 06. 25, Keishß 4, 6, 1049 und vom 04. 12. 38, KeishQ 17, 12, 2433; Ashibe, Lembuch, S. 154; I. Salo, S. 215; GLK N/Ikeda Art 22, Anm. m 2 b; Hirozawa, S. 160 ff.; slr. 232 Hashimoto, S. 359; I. Salo, S. 223; N. Kobayashi, S. 523; Hirozawa, S. 163. 22S

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Teil 2: Rechta- und lrulturvergleichende Dimenaion: Japan

unterscheidet man zwischen Menschenrecht und Institutsgarantie233 • Im System der sozialen Grundrechte hat Art 29 JV eine doppelte Wirkungsrichtung. Zum einen enahrt das Eigentumsrecht über die Sozialbindungsklausel des Abs. 2 gerade durch die sozialen Grundrechte eine Einschränkung, zum anderen ist es eine Konkretisierung des Rechts auf Existenz und somit selbst ein soziales Grundrecht, soweit es Menschen, die nicht durch Arbeit, sondern unter Einsatz ihres Eigentums ihren Lebensunterhalt bestreiten, die Sicherung dieses Eigentums zum Bestreiten eines menschenwürdigen Lebens gewährleistet234 •

ill. Art 27 I JV: Das Recht auf Arbeit 1. Entstehungsgeschichte Die Idee der Verankerung des Rechts auf Arbeit in der JV war bereits seit Anfang 1946 nicht mehr umstritten, allerdings ergaben sich immer wieder umfangreiche textliche Umarbeitungen der jeweiligen Entwürfe, bis der Art 27 JV in seiner endgültigen Gestalt entstand23s. Während der Entwurf Matsumoto A kein Recht auf Arbeit enthielt, sahen sowohl der Entwurf Matsumoto B als auch der private Takanoiwa-Entwurf vom 27. 12. 1945 ein Recht auf Arbeit vof236. Art 30 III Matsumoto B lautete237: Jeder japanische U1IIertan hat gemlJß den gesetzlichen Bestinunungen das Recht auf und die Pflicht zur Arbeit.

Der Takanoiwa-Entwurf formulierte wie folgt 238 : Die Barger haben die Pflicht zu arbeiten. (. . .) Die Barger haben das Recht zu arbeiten und dafilr eine Emwhnung zu erhalten. (. .. ) Die Barger haben das Recht auf Pausen, der Staat muß dafilr sorgen, daß eine H6chstarbeitszeit von acht Stunden täglich undfilr die Arbeitnehmer bezahlter Urlaub, Sanatorien sowie Organe der gesellschaftlichen Bildung eingerichtet werden.

Das japanische Kabinett nahm jedoch den Entwurf A an und legte ihn im Februar 1946 dem HQ vor.

233 I. SalÖ, S. 222 f.; TaguchilKawazoe, S. 44; Miyazawa, S. 104; Igarashi, S. 33; Himzawa ebd. 234 s. unten B I 2. 23S Ausführlich zur Rechtavergleichung und Geschichte des Rechta auf Arbeit: I. Kilruchi, Grundprobleme des Sozialrechts, Töykö 43; zur Geschichte: Nakamura in Ashibe, S. 430 f.; zur Geschichte nach Erlaß der JV: K. Urata, Die arbeitsrechtlichen Grundrechte in Jurisuto 638, 368 ff. 236 Zu den einzelnen Entwürfen 8. oben A 12 b. 237 Takayanagi u.a., S. S4 f.; Röhl, S. 17. 238 Nakamura in Ashibe, S. 430; Takanayagi u.a., S. 482.

§ 4 Rechtswis8el\llChaftlicher Ansatz

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Dort war das Recht auf Arbeit bereits in den zweiten Vorentwurf des alliierten Oberkommandos aufgenommen worden. Man formulierte ausführlich239: Alle Erwachsenen haben das Recht, ihren Lebensunterhalr mü produktiver Arbeü zu bestreüen. Wenn sie keinen angemessenen Beruf ergreifen können, ist ihnen .das zum Lebensunterhalr Unentbehrliche zur Verfilgung zu stellen.

Daraus wurde im McArthur-Entwurf der in Art 25 enthaltene Satz240: Alle Menschen haben das Recht auf Arbeü.

Art 25 des McArthur-Entwurfs regelte die sozialen Grundrechte recht umfassend. Im Regierungsentwurf von Anfang März 1946 wurde diese Vorschrift aufgegliedert, das Recht auf Arbeit wurde herausgenommen, die Vorschriften über Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit hinzugefügt. Art 27 erhielt damit schon fast seine endgültige Fassung 24l . Im Unterhaus fügte man lediglich noch in Abs. 1 die Pflicht zur Arbeit und in Abs. 2 die Pausen als weiteres Beispiel für die Arbeitsbedingungen hinzu242. 2. Auslegung a) Überblick

Auf den engen Zusammenhang zwischen dem Recht auf Existenz und dem Recht auf Arbeit als dem grundlegendsten Mittel zu seiner Ausfüllung in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem wurde bereits hingewiesen. Arbeit i.S.d. Norm meint im übrigen körperliche und geistige Arbeit jeder Art243. In Japan wird gewöhnlich sehr scharf zwischen der Frage nach der Rechtsnatur und dem Rechtsinhalt des Rechts auf Arbeit unterschieden, die Diskussion verknüpft beide Aspekte selten.

Außerdem sei an dieser Stelle auf einige Besonderheiten der Diskussion zwischen Juristen in Japan hingewiesen. Vor allem muß betont werden, daß Theorienstreitigkeiten jedenfalls schriftlich selten in Rede und Gegenrede ausgetragen werden. Zahlreiche, auch sehr namhafte Autoren beschränken sich darauf, eine Meinungsverschiedenheit durch Wiedergabe der verschiedenen Ansichten zu dokumentieren, ohne eine eigene Stellung zu beziehen. Eine geäußerte eigene Meinung erschöpft sich häufig in allgemeinen Formulierungen (z.B. "man könnte meinen, daß die Ansicht A angemessen ist"). Bestenfalls werden die eigenen Argumente dargestellt, während eine 239 Nakamura in Ashibe ebd.

240 Nakamura in Ashibe ebd.; Takayanagi u.a., S. 278 f. (zu den Vorarbeiten S. 224 f.); Röhl, Anhang D, S. 162. 241 Nakamura in Ashibe, S. 430 f. 242 Nakamura in Ashibe, S. 431; Röhl, S. 23. 243 Miyazawa, S. 111. Vgl. auch Osuga, S. 106.

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gegenseite, eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Begründungen so gut wie nie erfolgt. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen sind häufig von Fraktionskämpfen und von persönlichen Rücksichtnahmen geprägt, was häufig zusätzlich einer sachlichen Schärfe abträglich ist. Zuletzt wird in Japan tendenziell wesentlich weniger zitiert als in Deutschland. Vor diesem Hintergrund muß man die folgenden Darlegungen sehen. b) Rechtsnatur des Rechts auf Arbeit aa) Subjektives öffentliches Recht Vergleichsweise heftig wird die Frage diskutiert, ob das Recht auf Arbeit dem einzelnen Bürger ein subjektives öffentliches Recht und somit einen einklagbaren Anspruch gegenüber dem Staat gibt244 • Die ganz h.M. lehnt dies ab245 und stützt sich dabei vor allem auf folgende Argumente:

244 Eine sehr prägnante Darstellung des Ganges der verschiedenen Argumentationen bei diesem Theorienstreit gibt ChQshalru, S. 622 ff., ohne allerdings die eigene Meinung auch nur anzudeuten. Vgl. auch die Darstellungen bei Kataoka, Wandel und Aufgaben des Arbeitsrechts, S. 84; Sugeno, S. 15 f. 245 OLG Osaka vom 23. 01. 38, Gyosaireishii 14, I, 131; LG Tokyo vom 24.07.27, GyOsaireishii 3, 6, 1328; S. Wagatsuma, Die neue Verfassung und die Grundlage der Menschenrechte, Tokyo 24, S. 124 ff.; Ishii, Arbeitsrecht, S. 63; ders., Arbeitsrechtliche Forschung, S. 8; ders., Grundriß des Arbeitsrechts, Tokyo 35 (zitiert im folgenden: (35», S. 139; Ishii/Hagizawa, S. 3; K. Sato, Verfassungsrecht, Tokyo 57, S. 429; T. Sato, S. 296; I. SalO, S. 248; ders., Pocket, S. 461 ff.; ders. (1984), S. 231; M. Ito, Verfassungsrecht, Tokyo 57, S. 370; Miyazawa, Kenpo, S. 437; Hashizume, Probleme des Arbeitsrechts der Gegenwart, Tokyo 53, S. 126; ders., S. 6 (8 f.); Numata, Sicherung, S. 31; ders., Grundstruktur der Arbeitsrechtswissenschaft, Tokyo 28, S. 46; S. Mizugi, Grundlegende Menschenrechte, Kyoto 31, S. 533; Abe, Hörsaal des Arbeitsrechts, Kyoto 61, S. 182; Tagami, S. 190; H. YasuedalK. Nishimura, Arbeitsrecht, Tokyo 6312, S. 16; Sugeno, S. 15; NakamuralKadoda, S. 14; M. HayashilM. Kikuchi, Grundgedanken des Arbeitsrechts, Tokyo 49, S. 23; N. Funabashi, Arbeitsrechtswissenschaft, Kyoto 41, S. 10; H. Kubota/I. Honda, Grundlagen des Arbeitsrechts, Tokyo 50, S. 8; Soya, S. 183; Hayashi u.a., S. 58; Kataoka, Arbeitsrecht (1), Tokyo 63/3, S. 83; Hobo, Einführung, S. 37 f.; K. Matsubayashi in Rödohogakkaishi 45, 96; M. Azuma, Grundriß des Arbeitsrechts, Tokyo 35/2, S. 62, 103; K. Ishikawa, Das Recht der Arbeit, Tokyo 22, S. 138 ff.; Igarashi, S. 36; K. Ono, Die Eigenarten des japanischen Kollektivs im Vergleich zu deutschen Rechtslage, Würzburg 1976 (Diss), S. 8. Zu den Gegenansichten in den verschiedenen Abstufungen: "Recht", aber nicht durchsetzbar (Ergebnis also wie h.M.): N. Kobayashi, S. 578; Hashimoto, S. 397. Subjektives Recht des einzelnen gegenüber dem Staat und gegenüber den Gebietskörperschaften, nicht aber gegenüber privaten Arbeitgebern (ohne die Auswirkungen darzulegen und im wesentlichen mit dem Argument, daß sonst das Recht auf Arbeit nur ein Programmsatz sei): K. Asai, Grundriß des Arbeitsrechts, Tokyo 35, S. 38. Subjektives Recht auf Arbeitsverminlung und Arbeitslosenunterstützung: S. Kiyomiya, Verfassungsrecht, Tokyo 34, S. 178. Inuner mehr aktive Gehalte in Richtung eines subjektiven Rechts zumindest hinsichtlich der Bcschäftigungspolitik: N. Kataob in FS Ariizumi, S. 491.

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

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(1) Die Pflicht zur Arbeit sei nach allgemeiner Ansicht keine Rechtspflicht. Würde man demgegenüber einseitig das Recht auf Arbeit als subjektives Recht ausgestalten, würde dabei jede Balance fehlen und die Verfassung unausgewogen, einseitig ausgelegt246. (2) Sogar unter der Weimarer Reichsverfassung, die weitaus moderner und zeitgemäßer in ihren Vorstellungen und Normierungen als die JV war, verstand man das Recht auf Arbeit nicht als subjektives öffentliches Recht, sondern nur als Programmsatz, so daß dieselbe Norm unter der rückständigeren JV, die noch in vielem dem Geist des 19. Jahrhunderts verhaftet sei, nicht "progressiver" als Vollrecht ausgelegt werden könne241 • (3) Das Recht auf Arbeit sei zu einfach, abstrakt und unkonkret formuliert, als daß sich aus ihm konkrete Rechtsgehalte gewinnen ließen, zumal es an einer konkretisierenden Gesetzgebung weitgehend fehle. Die Bejahung seines Rechtscharakters verbiete sich bereits deshalb, weil Art 27 I JV keine Maßstäbe dafür gebe, wie ein solches Recht inhaltlich auszugestalten sei:z.48. Deshalb würde auch die Judikative unter Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes in die Sphäre der Exekutive eingreifen mÜ8sen249 • Außerdem könne die kapitalistische Verfassung Japans kein soziales Grundrecht normieren, das nicht einmal in den sozialistischen Staaten Rechtscharakter hat2S0. Rechte entstünden aus dem Recht auf Arbeit erst, wenn diese einfachgesetzlich konkretisiert wurden2Sl . (4) Würde man das Recht auf Arbeit als echts subjektives öffentliches Recht ausgestalten, dann würde dies konsequenterweise bedeuten, daß jeder einzelne Bürger auch gegen Unterlassungshandlungen des Staates, die gegen Art 27 I JV verstoßen, gerichtlich vorgehen könnte. In diesem Fall sehen aber weder Verfassung noch GVG eine Abhilfemethode vor, so daß eine Rechtsgarantie auch deshalb nicht von der Verfassung eingeräumt sein könne, weil sie jedenfalls schon vom Verfahrensmäßigen her nicht durchsetzbar sei2S2 (Problem der richtigen Klageart). Subjektives Recht im Extremfall bei völligem Versagen des Staates: TaguchilKawazoe, S. 449. Subjektives Recht bejahend: Osuga, S. 97 fT. und Suginohara in Hotetsugalrushikiho 4,42 fT. 246 Shimizu, S. 16; TaguchilKawazoe, S. 441; Ishii, Arbeitsrechtliche Forschung, S. 82. 241 Ishii, Arbeitsrechtliche Forschung, S. 98 f. Mit abstrakterer Begründung ähnlich Ishii, (35) S. 140; Ishii/Hagizawa, S. 3; Tanakadale, S. 196. Vgl. auch Shimizu, S. 15; N. Kataoka, Wandel und Aufgaben des Arbeitsrechts, Tokyo 62 (zitiert im folgenden: "Wandel und Aufgaben"), S. 85; ders., ArbeitsrechI, Tokyo 45, S. 29; M. Kawaguchi, Das Recht auf Arbeit, Tlikyo 56, S. 171; K. Ishikawa, Das Recht der Arbeit, Tokyö 22, S. 138; K. Goto, Vorlesung über das Arbeitsrecht, Tokyo 33, S. 108; Ono S. 8. 248 Ishii, Arbeitsrecht, S. 63; ders., Arbeitsrechtliche Forschung, S. 100; ders. (35), S. 139; K. Ishikawa, Das Recht auf Arbeit, Tokyo 22, S. 138; Yasueda/Nishimura, S. 16; Hashimoto, S. 396; ders., Grundlagen, S. 263; TaguchilKawazoe, S. 444. Vgl. M. Kawaguchi, Das Recht auf Arbeit, Tokyo 56, S. 171 f. 249 Wagatsuma, S. 138; TaguchilKawazoe ebd. 2SO Ono, S. 8. 2S1 Kataoka, Wandel und Aufgaben, S. 90; Asai, erneuerte, S. 38 f.; I. Sato, Pocket, S. 461 f.

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

(5) Die Einräumung eines konkreten Rechts auf Arbeit sei unvereinbar mit dem kapitalistischem Wirtschaftssystem Japans2S3 • Es fehle jegliche wirtschaftliche Grundlage, um Vollbeschäftigung zu garantieren, jedenfalls würde dies eine weitgehende Aufhebung bzw. Aushöhlung anderer Grundrechte wie der Eigentumsgarantie des Art 29 JV oder der in Art 22 I JV verorteten Unternehmer- und Gewerbefreiheit bedeuten2.S4. Vielmehr sei eine Balance nötiglS5 • Diesen Argumenten wird teilweise entschieden widersprochen: (1) Die JV fordere keine Ausgewogenheit zwischen Rechtsgarantien und Grundpflichten. Für modeme Verfassungen sei es nämlich charakteristisch, daß sie als ihren Mittelpunkt Menschenrechtsgarantien konstituieren, demgegenüber hätten die Grundpflichten nur sekundäre Bedeutung. Deshalb könne man aus der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung einer Pflicht nicht auf die mangelnde Rechtsqualität des korrespondierenden Rechts schließen2S6 • (2) Seit der WRV sei die Grundrechtsdiskussion stark gereift und weit vorangekommen, so daß es ein rein formalistisches Argument sei, mit der WRV Vorschriften der JV die Rechtsqualität absprechen zu wollenlS7 • (3) Eine gewisse Unklarheit und erhebliche Abstraktheit sei allen Verfassungsnormen zwangsläufig eigen. Mit dem Fehlen von ausdrücklich niedergelegten Maßstäben zur Ausfüllung einer Rechtsgarantie könne man deshalb nicht ihre fehlende Rechtsqualität begründen, vielmehr sei es gerade vornehmste Aufgabe der Verfassungsauslegung, solche Maßstäbe und konkreten Inhalte zu gewinnen. Außerdem gäbe es viele Rechte, denen es zunächst an einfachgesetzlichen Konkretisierungen gefehlt habe, und trotzdem seien sie als subjektive Rechte anerkannt worden (auch Teilhaberechte). Deshalb lasse sich sehr wohl ein konkreter Inhalt des Rechts auf Arbeit bestimmen (auch wenn

lS2 Isbii, Arbeitsrecht, S. 65 tT.; ders., Arbeitsrecht, S. 63; den., Arbeitsrechtliche Forschung, S. 100 f.; ders. (35), S. 140; N. Kobayasbi, S. 579; Hasbimoto, S. 396; den., Grundlagen, S. 263; Isbikawa, S. 163 f.; Numata, Grundstrulcturen des Arbeitsrechts, S. 46; K. Higai/J. Honda, Grundmuster des Arbeitsrechts, Tökyö 56, S. 9. lS3 Isbii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 65 tT.; Hashimoto ebd.; TaguchilKawazoe, S. 442; Yasueda/Nishimura, S. 162; Tanakadate, S. 196; Kawaguchi, S. 171; Shimizu, S. 15; Mizuki, S. 538; Gotö, S. 108; K. Yasuzawa, Verfassungslehre, Tökyö 39/2, S. 232. Stark soziologisch N. Kobayashi, Situation der Problembereiche der JV, Tökyö 1964, S. 208 ff., 215 tT., 219 tT. 2.S4 LG Tökyö vom 24. 07. 27, Gyösaireishu 3, 6, 132 f.; T.lshii, Arbeitsrechtliche Forschungen ebd.; den., Arbeitsrecht, S. 63; den. (35), S. 139; NakamuralKadoda, S. 13; Funabashi, S. 10; I. Satö, S. 249; HayashilKikuchi, S. 23; N. Kobayashi, S. 578; I. Satö, Grundriß des japanischen Verfassungsrechts, Tökyö 5512, S. 231; ders., Pocket, S. 461; Azuma, Grundriß, S. 102; ders., Arbeitsrecht, Tökyö 28, S. 52. Ausführlich Kataoka, Entfaltung des gegenwärtigen Arbeitsrechts, S. 187 tT. Ähnlich Asai, S. 38 f. Vgl. Kataoka, Arbeitsrecht (1), S.83. lSS Z.B. ein Kompromiß zwischen Sozialismus und Kapitalismus, Kataoka, Arbeitsrecht, S. 29; S. Satö in ROdöhögakkaishi 56, 195. 2S6 Osuga, S. 94; Numata, Sicherung, S. 27. lS7 Osuga ebd.; Numata, Sicherung, S. 28.

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sehr wohl ein konkreter Inhalt des Rechts auf Arbeit bestimmen (auch wenn dabei ein weiter Ermessensspielraum des Gesetzgebers natürlicherweise einzuräumen sei)258. (4) Selbst wenn man einen einklagbaren Anspruch des Einzelnen auf Arbeit oder Geldzahlungen zur Existenzsicherung gegenüber den Verwaltungsorganen direkt aus der Verfassung nur sehr schwer herleiten und verfahrensrechtlich begründen könnte, so lasse sich zumindest indirekt ein solcher Anspruch gegenüber der Legislative durchsetzen: Der einzelne Bürger hat einen Anspruch gegen den Gesetzgeber auf Tätigwerden; wird dieser nicht tätig, dann ist diese Unterlassungshandlung verfassungswidrig und macht den Staat gemäß Art 17 IV schadensersatzpflichtig - ein solcher Anspruch ist dann ohne weiteres nach den bestehenden Verfahrensgesetzen gerichtlich durchsetzbaf259. Selbst wenn man nicht so weit gehen wolle (Bedenken bestehen vor allen Dingen auf der Grundlage einer möglichen Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes2(0), so müsse es wenigstens möglich sein, die Rechtswidrigkeit eines gesetzgeberischen Unterlassens gerichtlich feststellen zu lassen, so daß zumindest der Staat nicht zu einer bestimmten Gesetzgebung gezwungen wird, wohl aber zu einer politischen Erklärung261 • Außerdem schränke die Pflicht zur Gewährung eines Minimumstandards das Ermessen des Gesetzgebers dahingehend ein, daß das Recht auf Arbeit mindestens das gewährleisten muß, was ein Arbeitsloser zum Leben braucht262 • (5) Es sei zwar richtig, daß das Recht auf Arbeit auf der Grundlage des kapitalistischen Systems konstituiert wurde, d.h. daß es seinen Existenzgrund im Vorhandensein eines kapitalistischen Systems habe. Allerdings sei es gerade kein "kapitalistisches Recht", sondern ein soziales. Es sei ein Prinzip, das in das kapitalistische System eingeführt wurde, um einen seiner schwersten Mängel ("Auswüchse") zu mildem, nämlich die Arbeitslosigkeit, die es vom Konzept her nur in kapitalistischen Wirtschaftssystemen geben könne. Deshalb sei das Recht auf Arbeit gerade zur stabilisierenden Ergänzung des kapitalistischen Systems konstituiert worden, so daß es sich verbiete ("unlogisch sei"), es wiederum gerade umgekehrt dergestalt in das kapitalistische System einzubinden, daß man seine Rechtsqualität verneine und ihm damit im Grunde genommen seine "heilende" Wirkung nehme263. Ein Recht auf 258 Osuga, S. 96; Nurnata, Sicherung, S. 28 f. Differenzierend Kataoka, Aufgaben und Begriff, S. 29: Bestehen gesetzliche Mindestregelungen, daJUl köJUlen diese durch das Recht auf Arbeit in ihren Standards aufgefüllt werden, jedenfalls daJUl, weJUl der von Art 27 I geforderte Standard eines menschenwürdigen Daseins nicht mehr gewährleistet ist; insofern bestehe auch ein echter Anspruch auf Gesetzgebung. Gibt es allerdings überhaupt keine einfachgesetzlichen Regelungen, daJUl versage auch das Recht auf Arbeit, deJUl es köJUle keine Rechte aus dem Nichts heraus erschaffen. 259 Suginohara in Hötetsugalrushikihö 4, 42 (49 f.). Möglicherweise in eine ähnliche Richtung denkt Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45, 95, 104. 260 Vgl. Osuga, S. 108; Wagatsurna, S. 138. 261 Osuga, S. 96, 108; Kataoka, Wesen und Aufgaben, S. 90; Matsubayashi, S. 72 f. Vgl. Nurnata, Sicherung, S. 28. 262 Matsubayashi, Rödöhögakkaishi 45,96. 263 Osuga, S. 95. Ausführlich hierzu Kataoka, Entfaltung ... , S. 187 ff. und ders. Rödöhögakkaishi 47, 86 sowie 56, 196. Vgl. auch N. Kobayashi, S. 578.

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Arbeit ganz ZU verneinen, hieße auch, das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse zu verkennen264 • bb) "Objektives Recht" "Objektives Recht" wurde in diesem Zusammenhang in Anführungszeichen gesetzt, weil zwar die im folgenden angeführten Ansichten diesen Begriff nicht verwenden26S , aber ihre Konzeption (bindende Verpflichtung des Staates ohne berechtigenden Anspruch des Bürgers) meiner Ansicht nach durch den Begriff des "objektiven Rechts" schlagwortartig beleuchtet werden kann. Nach dieser Ansicht wird dem Staat nur eine politische (moralische) Pflicht auferlegt, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, die nötig sind, damit jedem Staatsbürger eine Arbeitsgelegenheit angeboten werden kann~. Wenn der Staat (im weitesten Sinne, also auch Gebietskörperschaften oder sonstige Hoheitsträger) durch eine aktive Handlung (Gesetzgebungsmaßnahme, Verwaltungshandeln, Vertrag oder Realakt) gegen diesen Grundsatz verstößt (also in diesem Sinne kontraproduktiv handelt), dann verletzt er das Recht auf Arbeit, so daß diese Handlung verfassungswidrig und damit unwirksam ist267 • In diesem Fall können sogar Schadensersatzpflichten des Staates entstehen268 • Selbstverständlich weichen die Ausführungen der Vertreter dieser Strömung in Einzelheiten voneinander ab. Dabei lassen sich solche Unterschiede weniger bei der Wirkung des Art 27 I JV gegenüber dem Staat, sondern vielmehr in seiner Wirkung auf Privatrechtssubjekte feststellen. Während eine direkte Drittwirkung des Rechts auf Arbeit nicht nur nicht vertreten, sondern

N. Katsoka, Kikanrödöhö 100, 17; Suginohara in Hötetsugalrushikihö 4, 42 (54). 26S Der Begriff des • objektiven Rechts· wird in der japanischen Stsatsrechtslehre nsch Möglichkeit vennieden, weil er weitgehend mit earl Schmin identifiziert wird, der in Japan weiterhin noch mehr oder weniger als persona non grata gilt. ~ OLG Osaka vom 23. 01. 38, GyösaireishQ 14, I, 131; LG Tökyö 24. 07. 27, GyösaireishQ 3, 6, 1328; Keiya u.a., S. 15 f.; A. Takada, Grundriß des Arlleitsrechts, Tökyö 35, S. 41; den., Arlleitsrecht, Tökyö 51/2, S. 49; T. Satö, S. 296; Ishii, (35), S. 141; den., Arlleitsrecht, S. 64; K. Sotoo, Einführung in das Arlleitsrecht, Tökyö 63/3, S. 37 f.; YasuedalNishimura, S. 16; Nakamura, S. BI; I. Satö (1980), S. 231; Hashizume, S. 8; Abe, Hörsaal des Verfassungsrechts, Kyöto 61, S. 182; W. KataokalY. Yokoi, Praktische Übungen im Arlleitsrecht, Tökyö 47, S. 56; Kataoka, Wandel und Aufgaben, S. 90; N. Kobayashi, S. 579; Hayashi u.a., S. 58; Higai/Honda, S. 9; Ishikawa, S. 138; Funabashi, S. 10; Hashizume, S. 126 f.; den., Begriffe, S. 6 f.; YasUZ8wa, S. 232; Numats, Einführung in das Arlleitsrecht, Tökyö 55, S. 46; I. Satö, S. 249; S. Aoki, Arlleitsrecht, TlIkyll 51, S. 322. 267 Keiya u.a. ebd.; Yasuda/Nishimura ebd.; Numats, Grundstruktur ebd.; den., Sicherung, S. 29; den., Lehre vom Schutz des Rechts auf Koalitionsfreiheit, Tökyll 27 (zitiert im folgenden: Koalitionsfreiheit), S. 108 ff.; Higai/Honda ebd.; Funabashi ebd.; Matsubayashi, Rodohogakkaishi 1945, S. 91; Ishii, Arlleitsrecht ebd.; Ishii, (35) ebd.; Hashizume ebd.; Ishikawa, S. 138; Mizuki, S. 539; N. Kobayashi ebd.; Azuma, Arlleitsrecht, S. 52; den., Einführung, S. 124; ders., Arlleitsrecht 3. Aufl., S. 102 f.; ders., Übersicht, S. 86, 187; Kataoka, Arlleitsrecht, S. 30; ders., Arlleitsrecht (I), S. 84; ders. in FS Ariizumi, S. 490; den., Entfaltung, S. 203; Abe, Schule, S. 187; 000, S. 9. 268 Yasueda/Nishimura, S. 16; Numata, Grundriß der Arlleitsrechtswissenschaft, S. 46; Kataoka, Arlleitsrecht (I), S. 84. 264

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auch (zu Recht) abgelehnt wird269 , geht die h.M. von einer mittelbaren Drittwirkung aus, während die Mindenneinung grundsätzlich jede Drittwirkung ablehnt21O. Als zusätzliches Argument für diese Auslegung wird behauptet, daß eine solche Interpretation auch dem Bewußtseinsstand der Arbeiter und der Arbeiterbewegung zum Zeitpunkt des Entstehens der JV entsprach21l • Treffend erscheint vor allen Dingen aber auch der Hinweis, daß Art 27 I JV wegen Art 13 JV auf jeden Fall unmittelbar den Gesetzgeber bindet und damit auch die zweite und dritte Gewalt, die ihrerseits wieder an die Gesetze gebunden sind (woraus folgt, daß sich eine Auslegung als reine Programmregel verbietet)m. Auf Grund des starken Menschenwürdebezugs sei es ohnehin unangemessen, dem Recht auf Arbeit jeglichen Rechtsgehalt abzusprechen und es zu einer Bestimmung ohne rechtlichen Wert degenerieren zu lassen 273 • cc) ·Programmsatz· "Programmsatz" in diesem (japanischen) Sinne meint eine reine Appellnorm ohne juristische Bindungswirkung. Zwar wird gelegentlich vertreten, das Recht auf Arbeit sei ein Programmsatz in diesem Sinne214 , doch gibt es praktisch keinen Anhänger dieser Meinung, der dann nicht doch die eine oder andere Rechtswirkung (zumindest in der freiheitsrechtlichen Komponente21S) einräumt, so daß im Ergebnis damit bloß ein anderes Etikett für eine Variante der Theorie des "objektiven Rechts" gewählt wurde und dieser Richtung somit im Grunde keine eigenständige Bedeutung zukommt216.

Nw bei N. Ashibe, Grundlegende Menschenrechte (I), s. 280 FN 10. s. hierzu das gesamte folgende Unterkapitel c, vor allem aber die Ausführungen zur Kündigung. Vgl. auch Kinoshita/Ogawa, s. 55; HigailHonda, S. 9 und besonders Keiya u.a., S. 18 sowie Shimizu, S. 16 (keine Drinwirkung). 211 Numata, Sicherung, s. 14 f. m Osuga, S. 104. 213 I. Numata, Sicherung RaA, s. 20 FN I; N. Kobayashi, S. 578. 214 OGH vom 23. 09. 29 in KeishO 2, 10, 1235; LG Nagasaki Zweigstelle Sasebo vom 06. 11. 25, RöminshO 1,6,83; LG Tökyö vom 24.07.27, GyösaireishO 3, 6, 1328; Asai, erneuerte, S. 83; Yamashita, S. 102; Azuma, Grundriß, S. 83; SOIoo, Einführung, S. 37 f.; I. Satö, Pocket, S. 463; Shimizu, S. 16; Miyashima, Arbeitsrechtswissenschaft, Tökyö 39, S. 80; Gotö (33), S. 108. Wohl auch S. Aoki u.a., Lehrmaterial Arbeitsrecht (I),Tökyö 40, S. 105; Hashizume, S. 126; ders., Begriff, S. 6 f.; Ono, S. 9. Besonders stark betont bei Yasuzawa, S. 231. 27S Vgl. ChUshaku, S. 622; Kataoka, Aufgaben und Begriff, S. 25; ChUkai (I. Auflage), S. 261; Kinoshita/Ogawa, S. 35. 216 Zurecht wird die reine "Programm-Theorie" teilweise scharf abgelehnt, vgl. z.B. Hayashi u.a., S. 15; Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45, 95; N. Kataoka in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. I (16); ders. in FS für Ariizumi, S. 490; Kataoka/Yokoi, S. 56; Azuma, Arbeitsrecht, S. 52 f.; Tanakadate, S. 196. 269

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8 Nenninger

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c) Inhalt

Charakteristisch für die Diskussion der Bedeutung des Rechts auf Arbeit in Japan ist, daß grundsätzlich die Ermittlung von Rechtsnatur und Inhalt dieser Bestimmung ganz isoliert voneinander vorgenommen wird; Querverweise zwischen beiden Elementen werden nicht vorgenommen. Hinsichtlich des Rechtsinhalts wird vor allen Dingen zwischen dem vollständigen und dem beschränkten Recht auf Arbeit entschieden. Die unmittelbar nach Inkrafttreten der Verfassung vor allem von Regierungsseite vertretene Ansicht, daß Art 27 I JV nichts weiter sei als ein Freiheitsrecht dahingehend, daß jeder die Freiheit habe (also nicht durch staatliche Eingriffe geoder behindert werden dürfe), die Arbeit zu tun, die er tun möchtezn, wird inzwischen nicht mehr vertreten. Zu überzeugend war das Argument, daß sonst das Recht auf Arbeit neben Art 22 I JV keinen eigenen Regelungsgehalt mehr hätte278 und seine Natur als soziales Recht damit grundlegend verkannt würde279. Es wird jedoch häufig vertreten, daß Art 27 I JVauch diesen Freiheitsbereich (mit) gewährleiste2lKl. Rechtsträger ist grundsätzlich nur derjenige, der arbeitsfähig und arbeitswillig ist1$1 • Ausländer können sich nicht auf Art 27 I JV berufen282 • aa) Vollständiges Recht auf Arbeit Ein vollständiges Recht auf Arbeit bedeutet, daß alle Menschen, die arbeiten wollen und können, dem Staat gegenüber das Recht haben, eine Arbeit und für diese eine angemessene Entlohnung zu erhalten, um damit einen menschenwürdigen Lebensunterhalt bestreiten zu können1$3 • 2TI LG Osaka vom 12. 01. 24, Rökeishi, s. 26; Okada für die Regierung, zitiert nach Suginohara in Hötetsugakushikihö 4,42 (48) und Kanamori nach Gotö (33), S. 103 f. 278 Ishii/Hagizawa, S. 3; Taguchi/Kawazoe, S. 240 f.; Tagami, S. 194; T. Kobayashi, Verfassung, S. 153; Numata, Koalitionsfreiheit, 1952, S. 108 f.; Funabashi, S. 9; Hashizume, S. 126; Nishimura u.a., S. 491; Ishii, (35), S. 140; Nomura, s. 8; M. M, s. 370. Mit Art 18 und Art 22 parallel argumentierend: Azuma, Arbeitsrecht, s. 51 f.; N. Kataoka, Entfaltung, S. 199; ders., Arbeitsrecht, S. 28; ders., Arbeitsrecht (2), S. 83. 279 Keiya u.a., S. 153; Taguchi/Kawazoe, S. 241; T. Kobayashi ebd.; Nomura ebd.; Iahü ebd.; Nishimura ebd.; Azuma ebd.; Kataoka ebd. (alle drei Werke aus obiger FN); N. Kobayashi, S. 578; GLK NlUrata Art 27, Anm. I. 2110 OGH, LG Nagasaki wie FN 507; Chiishaku, S. 621; Kataoka, Entfaltung, S. 199, 201; ders., Wandel und Aufgaben, S. 89; A. Takada, Grundriß des Arbeitsrechts, Tökyö 35, S. 40; ders., Arbeitsrecht, Tökyö 51/2, S. 49, R. Takashima, Arbeitsrecht, Tökyö 54/4, S. 12; Taguchi/Kawazoe, S. 440 f.; K. Sam, S. 429; M. Itö, S. 370; Kinoshita/Ogawa, S. 34; Wagatsuma, S. 87; Nakamura in Yamauchi u.a., S. 213; I. Numata, Überblick der Theorie des Sozialrechts, Tökyö 50 (zitiert im folgenden: "Sozialrecht"), S. 38; ders. in Rödöhöjunpö 904, 10. 1$1 Funabashi, S. 11; I. Satö (1980), S. 230; Kiyomiya, S. 176, 177; Mizuki, S. 533; Ishii, Arbeitsrechtliche Forschung, S. 79; Osuga, S. 98; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 153; Kawazawa, S. 131. Vgl. auch die Ausführungen oben n I a und unten m. 282 Tanakadate, S. 198. 1$3 Taguchi/Kawazoe, S. 442 f.; Osuga, S. 90; I. Satö, Pocket, S. 460; Iahii, Arbeitsrecht, S.60.

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Die ganz h. M. vertritt die Auffassung, daß eine solche Ausgestaltung des Rechts auf Arbeit im kapitalistischen Wirtschaftssystem Japans ein Selbstwiderspruch sei, weil er die Einschränkung wesentlicher Grundrechte der Unternehmer aus Art 22 I, 29 JV und sehr weitgehende Eingriffe in das Prinzip der Privatautonomie verlange, so daß eine solche Ausgestaltung nur in nicht freiheitlichen, sozialistischen Rechtssystemen überhaupt denkbar wird2ll4. Weiterhin sei der Begriff der Zuweisung eiDer (den Fähigkeiten des Arbeitnehmers entsprechend) "angemessenen" Arbeit außerordentlich unklar, subjektiv und rechtlich kaum faßbar. Im übrigen bestehe dann hier eine noch engere Verbindung als bei der Frage der Rechtsnatur des Rechts auf Arbeit mit der Rechtsnatur der Pflicht zur Arbeit: Nur wenn eine rechtlich durchsetzbare Pflicht zur Arbeit besteht, kann der Staat davon ausgehen, daß jeder Bürger durch Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreitet und auf die Einrichtung eines ergänzenden Systems der Arbeitslosenversicherung usw., wie es das beschränkte Recht auf Arbeit vorsieht, verzichten 285 . bb) Beschränktes Recht auf Arbeit i) Grundlagen

Dem beschränkten Recht auf Arbeit kommt folgender Inhalt zu: Im kapitalistischen System wird Privatbesitz an Produktionsmitteln zugestanden. Dementsprechend wird den Bürgern ein Arbeitsplatz nicht zugeteilt, sondern sie müssen ihn sich zunächst grundsätzlich selbst aus eigener Initiative in Privatunternehmen suchen. Gelingt es aber einem Bürger nicht, sich auf diese Weise eine Arbeitsgelegenheit zu sichern, dann muß ihm der Staat eine solche zuweisen. Ist der Staat dazu nicht in der Lage, muß er dem Arbeitslosen so viel Geld bezahlen, daß diesem eine menschenwürdige Lebensführung (Bestreiten eines angemessenen Lebensunterhalts) möglich ist286. Die Garantie des Rechts auf Arbeit als gewissermaßen "Variante" (Konkretisierung) des Rechts auf Existenz wird hierbei besonders deutlich287. Damit erschöpfen sich aber die Begriffsinhalte nicht. Der freiheitsrechtliche Aspekt findet sein Pendant im Inhaltlichen (in einer rein passiven Funktion), so daß auch nach dem 284 Matsubayashi in Rodöhögakkaishi 45, 91; TaguchilKawazoe, S. 443; Ishii, Arbeitsrecht, S. 60, Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 63 f.; Osuga, S. 93 ff.; N. Kobayashi, S. 578 f. Dagegen sehen zwischen den Vorgaben der N und sozialistischen Klassenbeziehungen keinen Widerspruch Kinoshita/Ogawa, S. 35. 285 TaguchilKawazoe, S. 443 f. 286 OLG Osaka vom 23.01. 38, Gyösaireishil 14, 1, 131; Numata (1952), S. 109; ders., Sicherung, S. 23; Ishii, Arbeitsrecht, S. 60; Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 69, 74; ders. (35), S. 141; I. Satö, Pocket, S. 460 f.; Kiyomiya, S. 146 f.; T. Nakagawa, Die arbeitsrechtlichen Grundrechte, Tökyö 61, S. 131; Wagatsuma, S. 123; Funsbashi, S. 59; GLK N/Urata Art 27, Arun. ß; Hashimoto, Grundlagen, S. 262; K. Saw, S. 428; Yamashits, S. 102; T. Saw, S. 296; M. Itö, S. 370; Osuga, S. 101; Nakamura, S. 114; Yamauchi u.a., S. 213; Miyazawa, Kenpö, S. 437; Abe, Schulung, S. 187; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 157 f.; Nomura, S. 8; I. Satö (1980), S. 234 f.; Kawaguchi, S. 169 f.; Chilkai (1. Auflage), S. 259; N. Kobayashi, S. 578 f.; Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45,95; Igarashi, S. 36. 287 Ishii, Arbeitsrecht, S. 60; Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 69. Vgl. Osuga, S. 101.

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

beschränkten Recht auf Arbeit der Staat keine Maßnahmen treffen darf, die verhindern, daß sich ein Bürger ohne Beschränkungen Arbeit sucht und diese auch annimmt288. Darüber hinaus gibt es aber auch eine weitere aktive Komponente, nach der der Staat dafür sorgen muß, bestehende Arbeitsgelegenheiten zu sichern. In erster Linie zwar muß er dafür sorgen, daß sich der Bürger selbst Arbeit suchen kann, aber ergänzend muß er auch darauf hinwirken, daß Arbeitsgelegenheiten angeboten werden289 • Insoweit wird Art 27 I IV zu einer Wertungskomponente, die verhindert, daß bei den dabei auftretenden Grundrechtskollisionen der Eigentumsgarantie zu einseitig überragende Bedeutung zugemessen wird290. Art 27 I wird zu einem inhaltlich-gestaltenden Leitfaden für den Gesetzgebef291, aber auch zur Auslegungsrichtlinie im Bereich der das Recht auf Arbeit konkretisierenden Gesetze292. Es besteht ein beständiger Auftrag des Staates, die Arbeitsgesetzgebung zu verwirklichen und die Arbeitsbedingungen beständig zu verbessern293 • Außerdem hat das Recht auf Arbeit auch einen erheblichen beschäftigungspolitischen Gehalt294. Teilweise wird hier dem Recht auf Arbeit der Inhalt zugewiesen, daß der Staat selbst in gewissem Maße Arbeit anbieten muß 29s, wobei aber hier der Umfang dieser Verpflichtung auf Grund fmanzieller und haushaltsrechtlicher Beschränkungen kaum bestimmbar ist. Arbeitsvermittlung und - in Zusammenspiel mit Art 27 11 JV - bestimmte Arbeitsbedingungen und vor allem Arbeitssicherheit, die zumindest den Erhalt der Arbeitskraft ermöglichen, sowie Berufsausbildung und ihre Förderung gehören ebenfalls zu den zentralen Regelungsgehalten des Rechts auf Arbeit296. Grundziel des Rechts auf Arbeit ist jedoch immer die Verwirklichung eines menschenwürdigen Lebensm.

Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 64 f. Kataolc:a, Aufgaben und Begriff, S. 28; Aralc:i in Streitpunlc:te, S. 10; S. Saw in Rodolc:ogalc:lc:aishi 55, S. 187 (195). 290 Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 67; Osuga, S. 101. S. hierzu auch die Nw oben 2 a bb. 291 Talc:ashima, Arbeitsrecht, S. 13; Asai, erneuerte, S. 39; Talc:ayanagi in Henderson, S. 91. 292 Abe, Schule, S. 182; Azuma, Arbeitsrecht, S. 102; ders., Übersicht, S. 86. 293 Kataolc:a, Arbeitsrecht, S. 30; ders., Arbeitsrecht (1), S. 84; Hayashi u.a., S. 54; Osuga, S. 103; Soya, Lehrmaterial, S. 111. Vgl. bes. Matsubayashi in Rödohogalc:lc:aishi 45, 95, nach dem deshalb ein Abbau des bisherigen Standards verfassungswidrig sein soll. 294 Funabashi, S. 59; Ishii, Arbeitsrechtliche Forschungen, S. 67; Sugeno, S. 15, 32; Kataolc:a in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 9; ders. in FS Ariizumi, S. 490 f.; Araki in FS Ariizumi, S. 520 f.; Hayashi (1975), S. 4; Taguchi/Kawazoe, S. 446. Allerdings besteht bin Recht auf Beschäftigungspolitilc:, Taguchi/Kawazoe, S. 444. A.A. Kataolc:a in FS Ariizumi, S. 491. Vgl. zum Problem auch HayashilKilruchi, S. 52; Röhl, Art 27, Anm. I. Beispiele M. M, S. 370. 295 Ishii, S. 68; Soya, Arbeitsrecht, S. 321. 296 Osuga, S. 102 f.; T. Ishiguro u.a., Arbeitsverwaltungsrecht, Tolc:yo 37, S. 77; S. Aoki, Lehrmaterial Arbeitsrecht (1), Tolc:yo 40, S. 111. 297 Kataolc:a in Kurs des Arbeitsrechts dcr Gegenwart, S. 15; ders., Arbeitsrecht, S. 30; Numata, Koalitionsfreiheit, S. 110; ders., Sicherung, S. 24; Nishimura u.a., S. 403; Taic:ashima, S. 12. 288

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Die Grenzen des Rechts auf Arbeit werden allgemein durch das öffentliche Wohl298 , aber auch durch die haushaltlichen Beschränkungenm gezogen; das Ermessen des Gesetzgebers ist hier sehr weit3OO. ii) Aktive Gehalte nach neueren Theorien

Im übrigen entfaltet das Recht auf Arbeit gerade nicht nur im Zustand der Arbeitslosigkeit, sondern auch im Zustand der Beschäftigung Rechtswirkungen3l)l. Teilweise wird hierbei sogar vertreten, das Recht auf Arbeit sei nicht nur durch ein Denken in Ansprüchen und Verpflichtungen zu erfassen, sondern man müsse es sich auch als wohlerworbenes Recht vorstellen, so daß dadurch auch die KÜDdigungsfreiheit der Arbeitgeber eingeschränkt werde302. In Einzelbereichen berührt das Recht auf Arbeit jedoch direkt die Rechtssphäre des Arbeitgebers und verpflichtet ihn z.B. zur Wahrung von Meldefristen für Massenentlassungen oder zur Mitwirkung bei Berufsbildungsmaßnahmen303 • Weiterhin gibt es Gesetze, die die Vertrags freiheit einschränken304 • Die Gruppe von Wissenschaftlern, die dem Recht auf Arbeit dergestalt aktive Gehalte entnimmt, leitet dieses Ergebnis etwa wie folgt hetlo5 : Die Entwicklung Japans nach dem Krieg in wirtschaftlicher Hinsicht und auch auf dem Gebiet der Gesetzgebung erfordere eine Neubewertung des Rechts auf Arbeit306. Man habe immer aktiver (innerhalb des Rahmens einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur) versucht, Beschäftigungspolitik zu betreibenJ07 • Neben den "klassischen· Gebieten der das Recht auf Arbeit konkretisierenden Gesetzgebung (Arbeitslosenvermittlung und -versicherung) seien neue Felder erschlossen worden, wie z.B. Berufsausbildung, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik308 • Hinzu käme der Einfluß von ILO-Abkommen (bes. 298 LG Nagoya vom 28.04.26, Gyösaireishil 2, 6, 925. Im Ergebnis ebenso IshiilHagizawa,

S. 4 f.

m IshiilHagizawa, S. 137.

M. Itö, S. 370. Grundlegend hierzu Numats, Sicherung, S. 23 ff. Vgl. auch Araki in Streitpunkte, S. 10; Osuga, S. 98; Katsoka, Aufgaben und Begriff, S. 28; ders., Wandel und Aufgaben, S. 89; Yamashits, S. 102 f. Ansatzpunkte ergeben sich sowohl im Zustsnd der Beschäftigung als auch im Zustsnd der Arbeitslosigkeit, so schon im Jahr 28 Numats, Grundstrukturen der Arbeitsrechtswissenschaft, 47; vgl. auch ders., Koalitionsfreiheit, S. 110; ders., Sozialrecht, S. 33; Araki, Streitpunkte, S. 8. 302 Osuga, S. 98. Genauso Numats, Sicherung, S. 24, wobei bei ihm offenbleibt, ob sich danach nur eine Verpflichtung der stsatlichen Gewalt auf Kündigungsschutzgesetzgebung oder rechtsprechung ergibt, oder ob sich der Anspruch direkt in unmittelbarer Orittwirkung gegen den Arbeitgeber richten soll. Vgl. hierzu aber vor allem unten B 11 2 b. 303 Katsoka, Wandel und Aufgaben, S. 89 f. 304 Numata, Allgemeine Sozialrechtstheorie, S. 39. 305 Auch hier gilt, daß eine ausführliche Begründung selten erfolgt, man beschränkt sich idR auf die bloße Behauptung der Existenz bestimmter Rechte oder verweist auf gewerkschaftliche oder politische Forderungen. 306 Katsoka (Entfaltung), S. 189. Vgl. auch Numats in Rödöhöritsujunpö 905, 5. 307 Katsoka, Entfaltung, S. 191. S. hierzu die Ausführungen sogleich unten iii. 308 Katsoka, Aufgaben und Begriff, S. 19,20,24; ders., Entfaltung, S. 192. 300 301

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

Nr. 122)309. Darüber hinaus habe sich das Bewußtsein der Arbeiterbewegung weiterentwickelt, sie habe Arbeitslosigkeit als notwendiges Strukturproblem des Kapitalismus erkannt, ihr sei die Bedeutung des Arbeitsplatzbesitzes (gegenüber reiner materieller Existenzsicherung) verstärkt bewußt geworden310 . Außerdem hätten sich in Folge des enormen Wirtschaftswachstums zahlreiche soziale Strukturen grundlegend geändert (Landflucht und Verlust der Großfamilie, Umweltschäden, Berufskrankheiten, Mechanisierung und Entfremdung)311. Vollbeschäftigungsprobleme seien in den Hintergrund getreten, materielle Not sei selten drückend, so daß Probleme der ideellen Lebens- und Arbeitsqualität an Bedeutung gewonnen hätten312 • Arbeitsmarktund Wirtschaftspolitik hätten sich zu Recht immer mehr miteinander verknüpft313 • Deshalb hätten sich als zentrale Probleme zuletzt Mitbestimmungsund Informationsrechte der Arbeitnehmer hinsichtlich Arbeitsmarktmaßnahmen und das Recht, in einem selbst gewählten Beruf arbeiten zu können, erwiesen314 . Daraus ergäben sich für die Inhalte des Rechts auf Arbeit folgende Konsequenzen: (1) Beibehaltung der klassischen Bereiche kostenloser Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung315 mit Beteiligungsrechten für die Arbeitnehmer316; (2) (noch stärkere Betonung des Rechts auf) Berufsausbildung im Sinne eines Rechts auf lebenslange Ausbildung317 sowie Verankerung des Rechts auf Schulausbildung auch im Recht auf Arbeit318 ; (3) Verstärkung der Verantwortung der Unternehmen für die Beschäftigungssicherung, indem man den Gewerkschaften Mitbestimmungsrechte hinsichtlich aller personeller Maßnahmen sichert319 und vor allem die Verantwortung der Muttergesellschaften für die Beschäftigung der Arbeitnehmer der Subunternehmer verschärft320 ; (4) Erhöhung der Qualität der Arbeitsinhalte321 ; (5) Recht auf Arbeit in einem selbstgewählten, (den eigenen Fähigkeiten) angemessenen und menschenwürdigen BerufJ22 ; (6) Das Recht, Informationen über den Arbeitsmarkt und die Beschäftigungssituation zu erhalten323 ; (7)

309 Kataoka in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, s. 12 ff.; ders., Entfaltung, S. 192 f.; ders. in Wandel und Aufgaben, S. 86 f. 310 Numata, Arbeitsrecht innerhalb der Bewegung, S. 570 f. Kataoka, Entfaltung, S. 192. m Kataoka, Entfaltung, S. 193 f. M. Motozawa, Die wirtschaftliche Entwicklung und ihre negativen Folgen in Japan in Bulletin ofthe University ofOsaka Prefecture 1989, S. 55 ff. 312 Kataoka, Entfaltung, S. 194. 313 Kataoka, Entfaltung, S. 195. 314 Kataoka, Entfaltung, S. 196 f. 315 Nw s. unten FN 948. 316 Kataoka, Entfaltung, S. 204; ders. in Rödöhögakkaishi 56, 195. 317 Kataoka, Entfaltung, S. 198. 318 Kataoka, Entfaltung, S. 204. 319 Kataoka, Entfaltung ebd. 320 Kataoka, Aufgaben und Begriff, S. 24; ders., Entfaltung ebd. 321 Kataoka, Entfaltung, S. 199 f. 322 Kinoshita/Ogawa, S. 34; Kataoka, Aufgaben und Begriff, S. 26; ders., Entfaltung, S. 199 ff.; ders., Arbeitsrecht, S. 30; ders., Wandel und Aufgaben, S. 88; ders. in FS Ariizumi, S. 491 f.; ders. in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 16 f.; Araki in Streitpunkte, S. 10; Matsubayashi, S. 95; den., Rödöhögakkaishi 45,91. 323 Kataoka, Entfaltung, S. 204.

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Beschäftigungspolitik einschließlich Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer hierbei324. Mit unterschiedlicher Intensität wird auch vereinzelt die Meinung vertreten, daß ein Verstoß des Gesetzgebers gegen diese Vorgaben verfassungswidrig seins.

iii) Entwicklung der gesetzlichen Konkretisierungen des Rechts auf Arbeit Die einfachgesetzlichen Konkretisierungen des Rechts auf Arbeit liegen vor allem im Bereich des Rechts der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik (Koyöhoshöhö 326). Die Entfaltung dieser Vorschriften erfolgte in vier Phasen327 : (1) Die Jahre direkt nach Inkrafttreten der JV waren geprägt von hoher Arbeitslosigkeit in der durch den Krieg zerstörten japanischen Wirtschaft328. Erschwerend kam hinzu, daß die Landwirtschaft immer schneller modernisiert wurde und der primäre Sektor hierdurch eine erhebliche Anzahl von Arbeitskräften freisetzte. Das Arbeitssicherungsgesetz versuchte nicht nur die Mängel des bisherigen Arbeitsmarktrechts zu beseitigen und den Arbeitsmarkt zu modernisieren, sondern auch Angebot und Nachfrage zu harmonisieren. Gleichzeitig versuchte man die allerschlimmsten Folgen der Arbeitslosigkeit durch das "Gesetz zur Bekämpfung der drückendsten Arbeitslosigkeit" zu mindern. Im Jahr 30 richtete man zu diesem Zweck öffentliche Unternehmen zur Aufnahme von durch regionale Arbeitslosigkeit betroffene Arbeitnehmer ein.

324 Kataoka, Entfaltung, S. 204.

325 Weitgehend Matsubayashi, S. 81. Vorsichtiger wegen der alleinigen Kompetenz des Gesetzgebers, über haushaltsrechtliche Fragen zu entscheiden Kataoka, Entfaltung, S. 205 f. Vgl. auch ders. in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 18. 326 Zu Begriff und Abgrenzungen dieses Rechtsgebiets Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45, 85 ff.; Kataoka in FS Ariizumi, S. 495 ff.; den. in Rödöhögakkaishi 56, 188 f.; ders. in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 8 ff.; Araki in FS Ariizumi, S. 511 ff.; Hayashi (1975), S. 4. 327 Allgemein zur Geschichte der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Japan I. Numata, Arbeitsrechtslehre (I), Kyöto 1960, S. 189 f.; Fuj its , S. 82 ff.; S. Araki, Rechtliche Aufgaben der Beschäftigungssicherung in FS Ariizumi, S. 503 ff.; Nishimura U.8., S. 404 ff.; M. Uwamur8, Die Entwicklung des Gesetzessystems auf dem Gebiet der Arbeitslosigkeitsverhütung und der Arbeitsförderung in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. 59 ff.; Ernst, S. 256 ff. mit Überblick über die relevanten Gesetze in historischer AufZählung S. 267 ff. Speziell zu einer Einteilung in Phasen K. Tatenuma, Der Charakter der arbeitsrechtlichen Grundrechte in Neuer Arbeitsrechtslehrgang Bd. I, Tökyö 1961, S. 141 ff.; N. Kataoka, Über den Begriff "Beschäftigungssicherungsrecht" in FS rur Ariizumi, S. 477 ff.; ders. in Nihonröd6högakkaishi 56, 191 ff. (bes. instruktiv S. 191: Tabelle mit gegliederter Übersicht über die jeweiligen Gesetzgebungsmaßnahmen); Ernst, S. 270 ff. 328 Hierzu Uwamura im Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 60 f.; Tatenuma in Neuer Arbeitsrechtslehrgang Bd. I, S. 141 f.; Kataoka in FS Ariizumi, S. 481 f.; ders. in Nihonröd6högakkaishi 56, 190 ff.; Nishimura u.a., S. 405, 425; Ernst, S. 270.

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

(2) Etwa seit dem Jahr 33 wurde aktiver das Vollbeschäftigungsziel angestrebt329 , besondere Beratungsorgane zur Planung von Beschäftigungsmaßnahmen eingerichtet und die ersten, zunächst noch sehr speziellen beschäftigungspolitischen Gesetze ("Gesetz über zeitweilige Maßnahmen für Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit dem Rückzug der Besatzungsarmee ihren Arbeitsplatz verloren haben"; "Gesetz über zeitweilige Maßnahmen für Arbeitslose im Bergbau"; "Gesetz zur Förderung der Beschäftigung von Behinderten") beschlossen. Qualitative Verbesserungen der Arbeitsmarktlage versuchte man mit der Einführung des Berufsausbildungsgesetzes und der verstärkt überregionalen Orientierung der Arbeitsvermittlung zu erreichen. (3) Die dritte Phase ab etwa dem Jahr 40330 wurde geprägt durch ein sehr hohes Wirtschaftswachstum, niedrige Arbeitslosigkeit, Mangel an (qualifizierten) Arbeitskräften und steigenden Wohlstand bei nach wie vor durch die duale Wirtschaftsstruktur begründeten schwerwiegenden Wohlstandsdefiziten bis hin zu Armut eines Teils der Arbeitnehmer. Gleichzeitig sank die Geburtenrate, so daß das durchschnittliche Alter der japanischen Arbeitnehmer schnell anstieg. In diesem Zusammenhang nahm sich die Regierung verstärkt der Problemgruppen des Arbeitsmarktes an, besonders der älteren Arbeitnehmer. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten verstärkte Anstrengungen zur ständigen Höherqualifizierung der Arbeitnehmer. Weiterhin versuchte die Regierung, die Berufs- und Arbeitsmarktlenkung aktiver zu gestalten, indem man die Beteiligten des Arbeitsmarktes besser mit Informationen über freie Stellen bzw. Arbeitsplatzsuchende zu versorgen versuchte. (4) Ab Ende 45 331 , als auch die japanische Industrie vom Ölschock getroffen einige Strukturkrisen überwinden mußte, verstärkten sich die genannten Tendenzen: Immer genauere Durchstrukturierung der Arbeitslosenhilfe (mehrfache Änderung der einschlägigen Gesetze, besonders 49, 52 und 54), Anstrengungen zur Höherqualifizierung, besondere Hilfen für Problemgruppen (nunmehr auch auf Seite der Arbeitgeber: Kleinbetriebe, Baugewerbe usw.), kurzfristige (und nur für einen beschränkten Zeitraum geltende) Maßnahmen gesetze bei besonderer regionaler oder konjunktureller Arbeitslosigkeit. iv) Gesetzliche Konkretisierungen des Rechts auf Arbeit

Entsprechend sind die Rechtsgebiete und -inhalte, auf denen das Recht auf Arbeit Wirkungen zeitigt, in Japan sehr zahlreich und zeigen eine Tendenz zur ständigen Ausweitung. Deshalb gehen einige Autoren so weit zu behaup-

329 Hierzu Tatenuma in Neuer Arl>eitsrechtslehrgang Bd. I, S. 143; Uwamura im Kurs des Arl>eitsrechts der Gegenwart, S. 62 ff.; Nishimura u.a., S. 405; Kataoka in FS Ariizumi, S. 482 f.; ders. in Nihonrödöhögakkaishi, 56, 191, 192; Araki in Streitpunkte, S. 10; Ernst, S. 270 ff. 330 Hierzu Nishimura u.a., S. 405 f.; Tatenuma in Neuer Arl>eitsrechtslehrgang Bd. 1, S. 143 ff.; Kataoka in FS Ariizumi, S. 484 ff.; ders. in Nihonrödöhögakkaishi, 56, 191, 192; ders. in Kurs des Arl>eitarechts der Gegenwart, S. 3 ff.; Uwamura in Kurs des Arl>eitsrechta der Gegenwart, S. 64 ff.; Numata, Arl>eitsrecht innerhalb der Bewegung, S. 572; Ernst, S. 275 f. 331 Hierzu Kataoka in Nihonrödöhögakkaishi, 56, 191, 192; ; ders. in Kurs des Arl>eitarechts der Gegenwart, S. 5 f.; Uwamura in Kurs des Arl>eitsrechts der Gegenwart, S. 67 f.;

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ten, daß das Recht auf Arbeit alle Gebiete des Arbeitsrechts beeinflußt332 • Im wesentlichen aber sind es folgende Kembereiche, die von mehr oder weniger zahlreichen Autoren als wesentliche Inhalte und Ausprägungen des Rechts auf Arbeit in Japan genannt werden: - Das Recht auf einen Arbeitsplatz333 - Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen334 - Existenzsicherung33s - berufliche Förderung336 - Berufsausbildung337 - Schulausbildung338 - Mitbestimmung bzgl. Beschäftigungsmaßnahmen339 - Arbeitsvermittlung340 - Information über Beschäftigung und Berufe341 - Arbeitslosenversicherung342

332 Numata, Sicherung, S. 189 ff.; ders. in Rödöhöjunpö 90, 6 ff.; ders., Einführung ins Arbeitsrecht, S. 71; Araki, Streitpunkte, S. 9 f. Vgl. auch Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45, 88 ff. 333 Kinoshita/Ogawa, S. 36; Kataoka, Wandel und Aufgaben, S. 89. 334 Hayashi u.a., S. 62; Kataoka ebd.; S. Aoki, Arbeitsrecht, S. 321. 335 Kinoshita/Ogawa, S. 36; Kataoka ebd.; S. Aoki ebd. 336 Hayashi u.a., S. 62; Kataoka, Arbeitsrecht, S. 30; ders., Arbeitsrecht (1), S. 84 f.; ders., Wandel und Aufgaben ebd.; Shimizu, S. 16; Azuma, Übersicht, S. 57; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 154. 337 Kinoshita/Ogawa, S. 36; Hayashi u.a. ebd.; Numata, Allgemeine Sozialrechtstheorie, S. 37 f.; ders. (1975), S. 38; Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45, 93 f.; Kataoka, Arbeitsrecht, S. 30; ders., Wandel und Aufgaben ebd.; ders. in FS für Ariizumi, S. 491; Shimizu ebd.; T. Kobayashi ebd.; Söya ebd. 338 Kinoshita/Ogawa ebd.; Numata, Allgemeine Sozialrechtstheorie, S. 37 f.; ders.(1975) ebd.; Kataoka ebd.; Matsubayashi ebd. 339 Kinoshita/Ogawa ebd.; Kataoka, Arbeitsrecht, S. 30; ders., Arbeitsrecht (1), S. 84 f.; ders., Wandel und Aufgaben, S. 89; ders. in FS für Ariizumi ebd.; S. Aoki, Arbeitsrecht, S. 321. 340 OLG Osaka vom 29. 01. 38, GyosaireishU 14, 1, 131; Hayashi u.a., S. 62; Numata, Allgemeine Sozialrechtstheorie, S. 37 f.; ders. (1975), S. 37; Kataoka, Arbeitsrecht (1), S. 84 f.; ders. in FS für Ariizumi ebd.; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 154; M. Azuma, Arbeitsrecht an Beispielen, Tökyö 43, S. 41; ders., Übersicht, S. 57; ders., Einführung, S. 124; Osuga, S. 102; Nomura, S. 8; Tanakadate, S. 196 f. Betonung der Kostenfreiheit bei Osuga, S. 111 f.; Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45,91; Tagami, S. 190. 341 Kinoshita/Ogawa, S. 36; Aoki, Arbeitsrecht, S. 321; Numata, Allgemeine Sozialrechtatheorie, S. 37 f.; ders. (1975), S. 38; Kataoka, Wandel und Aufgaben, S. 89; ders. in FS für Ariizumi ebd. 342 Hayashi u.a., S. 62; Nomura, S. 8; Kataoka, Wandel und Aufgaben ebd.; ders. in FS für Ariizumi ebd.; Azuma, Einführung, S. 124; Numata (1975), S. 38.

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- Verstärkte Förderung der Beschäftigung von Körperbehinderten343 - Vermehrung der Arbeitsplätze der öffentlichen Hand344 - Investitionsprogrammel45. - Verfahrensrechte im Bereich dieser Gebiete wie rechtliches Gehör, Klagemöglichkeiten usw. 346 - Arbeitsunfallversicherung347 - bezahlter Urlaub für die Berufsausbildung348 - Mitbestimmung349 . Die Aufzählung muß unkommentiert bleiben, da sich Autoren idR nicht kritisch mit der Zugehörigkeit eines Punktes zum Gebiet des Rechts auf Arbeit auseinandersetzt. Regelmäßig findet man, wenn überhaupt, in Aufsätzen und Büchern nur ähnlich kommentarlose Aufzählungen, die oft von Wunschdenken regiert werden. Dementsprechend sind auch nicht alle diese Inhalte durch Gesetzgebungsakte auf einfachgesetzlicher Ebene rechtlich ausgestaltet worden. Im Augenblick sind deshalb vor allem folgende Gesetze als Konkretisierungen des Rechts auf Arbeit zu nennen35O : (1) Shokugyöanteihö (Arbeitsplatzsicherungsgesetz)351. Dieses Gesetz verbietet grundsätzlich entgeltliche private Arbeitsvermittlung (§ 32). Gleichzeitig errichtet es in ganz Japan flächendeckend Arbeitsämter, die unter anderem kostenlose (öffentlichrechtliche) Arbeitsvermittlung durchführen (§§ 6 ff.)352. Allerdings gelingen Vermittlungen an (Groß-) Unternehmen mit guten Arbeitsbedingungen so gut wie niem .

343 S. Aoki, Ameitsrecht, S. 321. 344 S. Aoki ebd.; Numata, Sozialrecht,

S. 37. Ähnlich, etwas zurückhaltender Mataubayashi in Rödöhögakkaishi 45,94 345 Numata, Ameitsrecht innerhalb der Bewegung, S. 574. 346 Kataoka in Rödöhögakkaishi 56, 195. 347 (da Ersatz für die verlorengegangene Ameitskraft) Araki in Streitpunkte, S. 9, 10; ders. in Rödöhögakkaishi 27, 24 f.; Numata in Rödöhöjunpö 905,9 f. 348 HayashilKikuchi, S. 52. 349 Takashima, S. 12. 350 AuiZählungen finden sich auch bei I. Tagami, Reallexikon des Rechts, Tökyö 52 (zitiert im folgenden: "Reallexikon", S. 397 f.; N. Kobayashi, S. 579; Kanno, S. 15; Nakamura in Yamauchi, S. 214; ders. in Ashibe, S. 438; Numata in Rödöhöjunpö 905, 7 f.; W. Fujita, Japanische Ameitsrechtslehre, Tökyö 48, S. 43; Kataoka, ILO, S. 32; Arakiffokioka, S. 170; Miyashima, S. 81 f.; S. Aoki, Ameitsrecht, S. 322, 324; Hayashi u.a., S. 62; Azuma, Übersicht S. 57; TaguchilKawazoe, S. 446 f. Vgl. auch Kataoka, Kurs des Ameitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. 19; Matsubayashi, Kurs des Ameitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. 28 ff. 351 Gesetz Nr. 141 des Iahrs Shöwa 22 mit zahlreichen Änderungen bis heute. 352 Übersicht bei Numata, Ameitsrechtslehre, S. 194 ff.; K. Abe in Kurs des Ameitsrechts der Gegenwart, S. 77 ff.; I. Hisazuka in Kurs des Ameitsrechts der Gegenwart, S. 121 ff.; Ernst, S. 294 ff. 353 Tagami, Reallexikon, S. 397.

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(2) Shokugyökunrenhö (Berufsausbildungsgesetz)354. Für ungelernte Arbeitnehmer errichtet dieses Gesetz flächendeckend öffentliche Berufsausbildungseinrichtungen. Die Vermittlung grundlegender Fertigkeiten ist kostenlos, hinsichtlich hochwertiger Kenntnisse werden die tatsächlich entstehenden Kosten als Gebühren erhoben (§§ 5 ff.). Gleichzeitig wird ein Aufsichtssystem über betriebsinterne Berufsausbildung eingerichtet (§§ 13 ff.)355. Auch hier wirken sich die Besonderheiten der dualen Wirtschaftsstruktur aus: Da die Arbeitnehmer der Großunternehmen idR sofort nach Abschluß einer allgemeinbildenden Bildungseinrichtung in die Unternehmen eintreten und dort Spezialkenntnisse erwerben356 , erreicht die angebotene Ausbildung fast ausschließlich Benachteiligte der dualen Wirtschaftsstruktur357 . (3) Shitsugyöhokenhö (Arbeitslosenversicherungsgesetz)358. Die japanische Arbeitslosenversicherung entspricht vom Ansatz her dem deutschen System und kennt Wartezeiten, nach Alter ua abgestufte Bezugszeiträume der Arbeitslosenhilfe, Sperrzeiten USW. 359 Allerdings läßt sich generell sagen, daß die Regelungen wesentlich strenger sind als im deutschen Recht360. (4) Kinkyllshitsugyötaisakuhö (Gesetz zur Bekämpfung der drückendsten Arbeitslosigkeit361 ) und verwandte Maßnahmengesetze362 • Dieses Gesetz regelt die Einrichtung von besonderen "Unternehmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" durch den Staat in Regionen, die besonders schwer von Arbeitslosigkeit betroffen sind363. Grundsätzlich soll das Arbeitsamt durch Vermittlungsleistungen dafür sorgen, daß von regionaler Arbeitslosigkeit betroffene Arbeitslose in diesen Betrieben Anstellung finden (§§ 5 ff.). Der Arbeitsminister bestimmt einen gewissen Prozentsatz von Arbeitslosen (unterschiedlich nach Beruf und Region), den diese Unternehmen aufzunehmen verpflichtet sind (§§ 12 ff.). Der Arbeitslose erhält also als Versicherungsleistung der Arbeitslosenversicherung eine Arbeitsgelegenheit mit einem damit verbundenen Lohn364. (5) Koyötaisakuhö (Beschäftigungsmaßnahmengesetz)365. Dieses Gesetz zielt vor allem darauf ab, die Ungleichmäßigkeiten auf dem japanischen Ar354 Gesetz Nr. 133 des lahrs Shöwa 33. S. zur Geschichte Fujita, S. 74 ff. 355 Übersicht bei Nurnata, Arbeitsrechtslehre, S. 203 ff.; M. Uwamura in Kurs des Arbeits-

rechts der Gegenwart, S. 194 ff.; Nishimura u.a., S. 419 ff.; Ernst, S. 313 ff. 356 s. hierzu unten 5 All. 357 Tagami, Reallexikon, S. 397. 358 Gesetz Nr. 146 des lahrs Shöwa 22. 359 Übersicht bei Nurnata, Arbeitsrechtslehre, S. 191 ff.; Nishimura u.a., S. 427 ff.; H. Oyarna in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. 326 ff. 360 Weitere Ausführungen s. unten B ill. 361 Gesetz Nr. 89 des lahrs Shöwa 24. 362 Ausführlich hierzu Nishimura U.8., S. 417 ff. 363 Hierzu besonders H. Watanabe in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 260 ff.; Nishimura u.a., S. 407 f.; Matsubayashi in Rödöhögakkaishi 45, 107 f.; Nurnata, Arbeitsrecht innerhalb der Bewegung, S. 572 f. Zur Geschichte: Y. lmashiro in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, S. 252 ff.; Ernst, S. 335 ff. 364 Vgl. Tagami, Reallexikon, S. 398. 365 Gesetz Ne. 132 des lahrs Shöwa 41.

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Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

beitsmarkt auszugleichen und strebt eine mengen- und qualitätsmäßige Regulierung an. Der Staat wird zur Vorlage eines "Grundplans Beschäftigungsmaßnahmen" verpflichtet (§ 4) und hat gewisse lenkende Aufgaben im Verhältnis zwischen arbeitsuchenden Arbeitnehmern und arbeitnehmersuchenden Arbeitgebern, z.B. durch Bereitstellung von Informationen über den Arbeitsmarkt (§§ 6 ff.). Die Mobilität der Arbeitnehmer soll durch eine Beihilfe beim Arbeitsplatzwechsel (§§ 13 ff.), die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern durch Sondermaßnahmen (§§ 19,20) gefördert werden. d) SteUungnahme

Für einen Deutschen, der juristisch in einem Umfeld von "Rechts- und Anspruchsdenken " groß geworden ist und dessen Vorstellung des "Rechts auf Arbeit" geprägt wird von einem Ringen der Arbeitnehmer um ihren Arbeitsplatz, ist der Stand der Auslegung des Rechts auf Arbeit in Japan eher enttäuschend. Obwohl eine positivrechtliche Regelung besteht, gibt es wenig Ansätze, sie außerhalb des Feldes der Verfassungstheorie nutzbar zu machen. Viele Argumente, mit denen die Rechtsqualität des Art 27 I JV verneint wird, sind nicht sehr überzeugend. Wenn im folgenden die Konkretisierungen und Ausstrahlungswirkungen dieser Norm auf das einfache Recht untersucht wird, verstärkt sich dieser Eindruck noch weiter. Die Diskussion um das Recht auf Arbeit in Japan ist nach deutschem Verständnis blutleer. Es bleibt die Frage nach den Ursachen. Mit rein juristischen Mitteln ist dieses Auslegungsdefizit des Rechts auf Arbeit in Japan nicht zu erklären. Die Grundrechtsdogmatik in Japan liegt nämlich durchaus auf hohem Niveau. Auch wenn man berücksichtigt, daß das Grundrechtsbewußtsein in Japan weniger stark ausgeprägt und das einfache Recht noch viel weniger bei der Rechtsanwendung vom "Geist der Grundrechte" durchdrungen ist als z.B. in Deutschland, kommt man nicht umhin, der japanischen Verfassungsrechtsund Arbeitsrechtslehre ein erhebliches Desinteresse am Recht auf Arbeit vorwerfen zu müssen. Nach einer Analyse der Ansatzmöglichkeiten des Art 27 I JV auf einfachgesetzlicher Ebene wird sich der Verfasser daher eingehend mit einer Erklärung dieser Defizite aus dem soziokulturellen Kontext heraus beschäftigen. 3. Pflicht zur Arbeit

Ergänzend soll noch auf die ebenfalls in Art 27 I JV verankerte Pflicht zur Arbeit eingegangen werden. Die JV kennt nur drei Grundpflichten: Die Steuerpflicht (Art 30 JV), die Schulpflicht (Art 2611 JV) und die Pflicht zur Arbeit (Art 27 I JV). Echte Rechtspflicht ist jedoch nur die Steuerpflicht, die grundsätzlich jeder Bürger mit Einkommen hat. Verpflichtete der Schulpflicht sind die Eltern; sie tragen die Verantwortung dafür, daß ihre Kinder im Rahmen der Pflichterziehung zur Schule gehen366 • Diese Pflichten sind kon-

366 Tanakadate, S. 188; I. Sam, S. 264 f.; N. Kobayashi, S. 571 f. und 274 f.; T. Sam, S. 197 f.; GKNfUrabe Art 27 Anm. ID; Hashimoto, S. 421; Yamashita, S. 47 f., Keiya, S. 5 (6).

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kretisiert in den Steuergesetzen bzw. in §§ 16, 22, 29, 40 Erziehungsgrundgesetz. Dagegen ist die Pflicht zur Arbeit keine durchsetzbare Rechtspflicht367. Dies ergibt sich bereits aus Art 18, 22 JV, die einen gesetzlichen Zwang zur Arbeit nicht gestattenJ68 • Im übrigen wäre eine solche Bestimmung in einem kapitalistisch orientierten Land wie in Japan ein Systembruch; eine Pflicht zur Arbeit wäre nur sinnvoll und durchsetzbar, wenn auf der anderen Seite ein vollkommenes Recht auf Arbeit garantiert wäre, so daß der Verpflichtete auch jederzeit die Möglichkeit zur Erfüllung der Pflicht hat369 • Außerdem garantiert die JV auch das Privateigentum und läßt es damit zu, daß ein Bürger seinen Lebensunterhalt mit Gewinnen aus einem nichterarbeiteten Einkommen, also ohne Arbeit, bestreitet31O. Deshalb hat die Pflicht zur Arbeit in der JV nur Appellcharakter und begründet eine moralische Pflicht zur Arbeit371 • Allerdings konstituiert Art 27 I JV auch eine Obliegenheit zur Arbeit, d.h. daß sich derjenige, der arbeitsfähig, aber nicht arbeitswillig ist, nicht mehr auf das Recht auf Existenz berufen kann372 • Diese Obliegenheit kommt auch in § 4 I Sozialhilfegesetz zum Ausdruck (Anspruchsberechtigt sind nur diejenigen, die sich bemühen, ihre Fähigkeiten und Mittel zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts einzusetzen), vor allem aber in § 32 Arbeitslosenversicherungsgesetz, der für die Verweigerung der Annahme von Arbeit in bestimmten Fällen den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe entfallen läßtJ73 •

367 Hashimoto ebd.; Azuma, AR, S. 53; ders., Übersicht, S. 86 f.; Kataoka, AR, S. 31; Tanakadate, S. 242; Numata, Sicherung, S. 36; I. Sata, S. 265; ders., Pocket, 469; T. Sam, S. 198; N. Kobayashi, S. 275; Keiya u.a., S. 19; Tagami, S. 190; Funabashi, S. 60; Tasoto/Honda, S. 9; TaguchilKawabe, S. 447; Ishii, AR, S. 66; Ishii, ArlIeitsrechtliche Forschungen, S. 82, Takayanagi in Henderson, S. 102; Miyazawa, S. 91, Keiya, S. 5 (6); Osuga, S. 109. A.A. offenbar Minobe, Überblick über die neue Verfassung, S. 117 und Asai, Grundriß, S. 39 (undeutlich). J68 Tagami ebd.; I. Sam ebd.; Keiya, S. 5 (6); 369 Tanakadate ebd.; Numata, Sicherung ebd.; TaguchilKawabe, S. 447. Vgl. N. Kobayashi, S. 275; Hashimoto, S. 421; T. Sata, S. 198 f.; Ishii, ArlIeitsrechtliche Forschungen, S. 83. 310 Azuma, S. 53; I. Sam, S. 265; TaguchilKawabe, S. 447; Osuga, S. 109; Keiya, S. 5 (6); Röhl, Art 27 Anm. I. Vereinzelt wird die Pflicht zur ArlIeit so verstanden, daß sie den Besitzern von Produktionsmitteln die moralische Pflicht auferlegt, diese in einer Weise zu nutzen, daß die Verwirklichung des Rechts auf ArlIeit für die besitzlosen Massen nähenückt (Numata, Sicherung, S. 36). 371 I. Sata, S. 265; T. Sata, S. 199; N. Kobayashi, S. 275; Ishii, ArlIeitsrechtliche Forschungen, S. 82, Numata, Sicherung, S. 36 f. 372 T. Sam ebd.; TaguchilKawabe, S. 448; N. Kobayashi, S. 276; Keiya u.a., S. 19; Kataoka, AR, S. 31; Miyashima, S. 81; Ishii, S. 67; Tagami, S. 190; Osuga, S. 110, Numata, Sicherung, S. 37, Ishii, ArlIeitsrechtliche Forschungen, S. 82, 84, Keiya, S. 5 (7). 373 Deshalb auch schärfer von einer Rechtspflicht für den, der sich auf das Recht auf ArlIeit berufen will, sprechend: Azuma, S. 53; ders., Übersicht, S. 86 f.; I. Sam, S. 265; ders., Pocket, S. 464; T. Sam, S. 199; N. Kobayashi, S. 276; TaguchilKawabe, S. 448.

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B. Das Recht auf Arbeit in Japan auf einfachgesetzlicher Ebene und seine Einbettung in das System des Arbeitsrechts I. System des Arbeitsrechts In Japan unterscheidet man ebenso wie in Deutschland zwischen Individualarbeitsrecht (auch Recht der Beschäftigungsverhältnisse genannt) und Kollektivarbeitsrecht (auch Recht der Beziehungen zwischen Arbeitsnehmer und Arbeitgeber genannt). Beide bilden aber nur einen Ausschnitt des gesamten Arbeitsrechts, da der Begriff des Arbeitsrechts in Japan weiter gefaßt ist als in Deutschland. Man unterscheidet grundsätzlich das Allgemeine Arbeitsrecht mit den drei Gebieten Individualarbeitsrecht, Kollektivarbeitsrecht sowie Arbeitsmarktrecht vom Besonderen Arbeitsrecht mit den verschiedenen Gebieten des Arbeitsrechts des öffentlichen Dienstes (einschließlich der Beamten) und einzelnen Spezialgesetzen für besondere Berufszweige wie z.B. das Seemannsgesetz374 • 1. Individualarbeitsrecht

Im Mittelpunkt des japanischen Individualarbeitsrechts steht das in Verwirklichung des Gesetzgebungsauftrags des Art 27 11 JVm erlassene Arbeitsstandardgesetz (ASG)(das "Grundgesetz" oder die "Magna Charta" des Individualarbeitsrechts in Japan). Allerdings hat das ASG in den letzten beiden Jahrzehnten an Bedeutung verloren, da es durch eine Vielzahl von teilweise ausgegliederten Gesetzen ergänzt wurde376 • a) Allgemeines

aa) Geschichtliches Wie in den meisten Industriestaaten nahm auch in Japan die Arbeitsrechtsgesetzgebung ihren Anfang mit Regelungen zur Beschränkung von Frauen- und Kinderarbeit (Fabrikgesetz, Meiji 44). In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts folgten Gesetze über Unfall- und Krankenversicherung sowie Arbeitsplatzvermittlung. Erst unter dem Einfluß der amerikanischen Besatzungsmacht kam es auf der Basis des Art 27 11 JV im Jahr Shöwa 20 374 Zur Gliederung des Arbeitsrechts vgl. T. Shimoi, Theorie des Arbeitsvertragsrechts, Kobe 1985, S. 3 f.; K. Sugeno, Arbeitsrecht, Tokyo 61, S. 1 (zit. im folgenden: Sugeno, AR); H. YasuedalK. Nishimura, Arbeitsrecht, Tokyo 61 (zit. im folgenden: Yasueda/Nishimura, AR). 37S Vgl. hierzu oben A II 2 d. 376 Zu dieser Entwicklung Grundlagenkommentar ArbeitsstandardgesetzlMatsuoka, Tökyö 1983, Ein!. IV 3 (zitiert im folgenden: GLK ASG/Bearbeiter, § Anmerkung); T. Shimoi, Recht der Beschäftigungsverhältnisse, Tokyö 63, S. 3 ff. (zitiert im folgenden: Shimoi, AR); Yasueda/Nishimura, AR, S. 25 f.; Nishitani in Bubei, S. 344 (349).

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

101

zum Erlaß des alten ASGm, das ständig (bis zum Jahr 61: 21mal) geändert wurde. Bedeutsam waren vor allem die Neuerungen der Jahre 27, 60 (Chancengleichheitsgesetz für Männer und Frauen, CGG) und insbesondere 63 (Arbeitszeitverkürzung). Seit dem Jahr 33 wurde das ASG durch eine Vielzahl von Spezialgesetzen ergänzt; am bedeutsamsten sind dabei das Berufsbildungsgesetz (BBG, 33), das Beschäftigungspolitikgesetz (BPG, 41), das Mindestlohngesetz (MLG, 34), das Heimarbeitsgesetz (HAG, 45)(beide zum Schutz der durch das Wirtschaftswachstum wenig begünstigten Arbeitnehmer), das Gesetz über Sicherheit und Hygiene bei der Arbeit (ASHG, 47), das Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVG, in der Neufassung von 49 - zusammen mit dem BPG Mittel zur Verwaltung des Arbeitskräftemangels in der florierenden japanischen Wirtschaft) und das Chancengleichheitsgesetz für Männer und Frauen (CGG, 60)378. bb) Die Bedeutung des Arbeitsstandardgesetzes Das ASG definiert seine beiden wichtigsten Grundsätze in § 1 I und § 1 11 selbst. § 1 I ASG regelt die Zweckbestimmung des Gesetzes (Sicherung dessen, was der Arbeitnehmer für ein menschenwürdiges Leben benötigt379) und § 1 11 ASG eine Meistbegünstigungsklausel (das ASG normiert nämlich nur unmittelbar verbindliche, § 13 - Mindeststandards380). Besonderheiten stellen die Strafbewehrung vieler Verstöße gegen das ASG (§§ 177 - 120), die Konstituierung eigener Aufsichtsorgane, der Arbeitsstandardsämter (Rödökijunshukankyoku u.a., §§ 97 - 105) und die ausdrückliche privatrechtsgestaltende Wirkung des ASG dar (seine Bestimmungen werden Arbeitsvertragsinhalt, wenn ein Vertrag die Mindeststandards des ASG unterschreitet, § 13). Eine wichtige Funktion haben die zahlreichen Durchführungsverordnungen zum ASG und die Interpretation, die es durch die Verwaltungsaufsichtsorgane erfährt38l. Im übrigen regelt das ASG wichtige Rechtsprobleme nur unvollständig, andere überhaupt nicht382 • Das japanische Individualarbeitsrecht wird weniger von allgemeinen Rechtsgrundsätzen geprägt als das deutsche. Vor allen Dingen werden die gegenseitigen Fürsorge- und Treuepflichten, die sich aus dem Arbeitsverhältnis

377 Allerdings gab es auch schon vor 1945 bedeutende theoretische Arbeiten, vor allem auf der Grundlage deutscher Arbeitsrechtsdogmatik, besonders unter dem Einfluß von Hugo Sinzheimer (Nishitani in Eubel, S. 344 (346». Vgl. hierzu vor allem K. Kubo, Hugo Sinzheimer, Tokyo 1986. 378 Zur Geschichte des Individualarbeitsrechts in Japan vgl. Shimoi (63), S. 1 ff., Nishitani in Eubel, S. 345 (346 ff.) GLK ASGlMatsuoka Ein!. 2; M. MinemuralM. Koto, Arbeitsrechtsvorlesung, Tokyo 1975, S. 7 ff. 379 GLK ASGlKubo § 1 Anm. 1; Yasueda/Nishimura, AR, S. 45. Vgl. hierzu oben A ß 2 a cc. 380 Ausführlich GLK ASGlKubo § 1 Anm. 2; Yasueda/Nishimura, AR, S. 62. 381 Shimoi, AR, S. 6; Sugeno, AR, S. 65, 81 ff. 382 Shimoi ebd. Beiapiele sind die unten erläuterten Naitei, Versetzung, materielle Kündigungsbeschrän1rungen, Pensionierung uvam.

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

ergeben, jedenfalls in rechtlicher Hinsicht weit weniger stark betont als in der Bundesrepublik Deutschland383. cc) Arbeitnehmerbegriff Der Arbeitnehmerbegriff384 des japanischen Individualarbeitsrechts wird im wesentlichen durch die Legaldefinition des § 9 ASG bestimmt385 • Danach ist jeder Lohnempfänger ein Arbeitnehmer, vorausgesetzt er ist durch einen Arbeitsvertrag zu abhängiger Arbeit verpflichtet, wobei allerdings streitig bleibt, ob darauf abzustellen ist, ob formell ein Arbeitsvertrag (und kein Auftrag o.ä.) vorliegen muß386 oder ob es genügt, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber materiell gehorsamspflichtig und wirtschaftlich-sozial von ihm abhängig ist387. Der Anwendungsbereich des ASG selbst ist auf Unternehmen i.S.d. (sehr umfassenden) Aufzählung in § 8 Nr. 1 - 17 ASG beschränkt. dd) Gleichheitsgrundsatz Der Gleichheitsgrundsatz findet im ASG in zweifacher Hinsicht positivrechtlichen Niederschlag. Zum einen bestimmt § 3, daß unterscwedliche Arbeitsbedingungen nicht auf unterschiedliche Staatsbürgerschaft, Uberzeugung oder Herkunft gestützt werden dürfen (es sind nur diese drei Merkmale genannt). Zum anderen stellt § 4 den Grundsatz des gleichen Lohnes für Männer und Frauen auf. Das ASG normiert also keinen allgemeinen Gleichheitssatz, sondern nur einige spezielle Gleichheitsgebote. Eine gewisse Erweiterung des ASG auch in dieser Hinsicht brachte zwar das CGG, doch enthält es im wesentlichen nur rechtlich nicht verbindliche Appeilnormen an den Arbeitgeber: Dieser soll darauf hinwirken, daß Frauen in umfassender Weise Männern gleichgestellt werden388 - allerdings sollte man die Wirksamkeit solcher rechtlich unverbindlicher Normen in Japan nicht unterschätzen389 • Vergleichbare Regelungen finden sich auch in § 3 Beschäftigungssicherungsgesetz, § 5 11 Gewerkschaftsgesetz (GwG) und mittelbar auch in § 7 GwG sowie noch weitergehender im Recht des öffentlichen Dienstes (z.B. §§ 27 Staatsbeamtengesetz, 13 Gebietskörperschaftsbeamtengesetz). Vgl. hierLU nur die Ausruhrungen bei Shimoi, S. 104 f.; Sugeno, AR, S. 63. HierLU Shimoi, AR, S 13 ff.; Sugeno, AR, S. 70 ff.; GLK ASG/Yamamoto § 9, Anm. 1 f.; Nishitani in Bubei, S. 345 (357). 385 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß häufig bestimmte AIbeitnehmer vom Anwendungsbereich arbeitsrechtlicher Gesetze ausgeschlossen sind. Deshalb gilt z.B. das ASG nur rur Arbeitnehmer, die in einem in § 8 Nr. 1 - 17 ASG aufgezählten Betrieb tätig sind. Gerade rur Mitglieder des öffentlichen Dienstes gelten viele Gesetze des AIbeitsrechts nicht oder nur teilweise. 386 So noch OGH vom 25.5.36, Minshu 15,5, 1322. 387 So z.B. LG Kagoshima vom 8. 8. 48, Hanreijihö 721, 96; YasuedalNishimura, AR, S. 28; Sugeno, AR, S. 60. 388 Typisch rur das eGG ist z.B. § 11, der sich gegen eine Diskriminierung von Frauen hinsichtlich Altersgrenze und Kündigung wendet und an die Arbeitgeber den Appell richtet, daß Heirat, Schwangerschaft sowie Geburt keine Gründe rur Entlassung oder Pensionierung sein sollen. Vgl. hierLU M. Nakajima u.a., Praxis des AIbeitsrechts rur Frauen, S. 81 ff. 389 Vgl. hierLU speziell Shimoi, AR, S. 48, 50 f. 383

384

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

103

Sehr problematisch sind in diesem Zusammenhang vor allen Dingen Diskriminierungen von Frauen, die sich auf andere Arbeitsbedingungen als die Lohnhöhe beziehen390 . Nach allgemeiner Meinung sind zwar auch solche Diskriminierungen rechtswidrig, doch die Begründung bleibt strittig. Die herrschende Meinung löst das Problem mit einer mittelbaren Drittwirkung des Art 14 IV (allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) über § 90 BGB (Treu und Glauben)391. In der PraxiS392 haben aber Klagen von Frauen, die z.B. hinsichtlich der Beförderung übergangen worden sind, selten Erfolg. Wenn eine generelle Diskriminierung offenkundig ist, ist die Anwendbarkeit des § 90 BGB zu bejahen; wird aber eine Benachteiligung im Einzelfall geltend gemacht, kann eine Klage wegen des Ermessens der Arbeitgeberseite nur selten Erfolg haben - Gleichbehandlung bedeutet grundsätzlich "nur" Sicherung der Chancengleichheit393 . Daneben wird eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau häufig dann gerechtfertigt sein, wenn sie sich direkt aus Seniorität oder ausgeübter Tätigkeit ergibt und nur gleichzeitig (und indirekt) auch zu Unterschieden zwischen Männern und Frauen führt394. Im übrigen ist auch hinsichtlich der Rechtsfolgen zu differenzieren. Im Falle eines Verstoßes gegen § 4 ASG muß der Arbeitgeber mit einer Strafe rechnen (§ 119 I ASG), die Frau kann den Unterschiedsbetrag zum Gehalt der Männer nach § 13 ASG nachfordern395 . Gerade aber bei einer Diskriminierung hinsichtlich der Einstellung ergibt sich auch bei Sittenwidrigkeit kein Recht der Frau auf Einstellung, sondern nur auf Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung (§ 709 BGB)396. Dies gilt auch bei unterschiedlichen Arbeitsbedingungen ohne sachliches Differenzierungskriterium; auch hier können Frauen jedenfalls nicht grundsätzlich dieselben Arbeitsbedingungen wie Männer fordern, sondern können allenfalls Schadensersatzansprüche geltend machen397. Auf die Einstellung selbst findet § 3 ASG noch keine Anwendung398 . Diskriminierungen sind deshalb nach ganz h. M. über Art 14, 19 usw. IV i.V.m. 390 Zu den vielfaltigen Fonnen dieser Diskriminierung vgl. Nakajima u.a., S. 47 ff.; CooklHayashi, S. 42 ff., 63. Zu den rechtlichen Problemen bei unterschiedlichen Altersgrenzen von Männem und Frauen s. unten AnS b, zu der Entlassung von Frauen bei der Heirat s. unten AnS a. 391 LG Tökyö vom 04. 12. 61, Hanreijihö 1215,3; LG Yokohama vom 19. 6. 49 in Röminshfi 25, 3, 277; Nakajima u.a., S. 20 ff.; GLK ASG/Hokao § 4 Anm. 2.4; Yasueda/Nishimura, AR, S. 56 f.; Nozawa in Muköyama u.a., S. 181; Nishitani in Eubel, S. 345 (359). 392 Ein typischer Fall liegt z.B. der Entscheidung des OLG Nagoya vom 28. 04. 58 in Röminshfi 34, 2, 267 zu Grunde. 393 Shimoi, AR, S. 41. 394 Nakajima u.a., S. 21 f.; Shimoi, AR, S. 44; Sugeno, AR, S. 119. 395 LG Akita vom 10. 04. 50 in Röminshfi 26, 2, 388; Shimoi, AR, S. 42; GLK ASGlHokao § 4 Anm. 3.2 396 Shimoi, AR, S. 43. 397 Shimoi ebd. 398 s. hierzu OGH vom 12. 12. 48 in Minshfi 27, 11, 1536; Shimoi, AR, S. 26; Yasueda/Nishimura, AR, S. 66; GLK ASG/Hokao § 3 Anm. 2.2 00. 9 Nenninger

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§ 90 BGB unwirksam399 • Sehr umstritten ist hierbei insbesodere, ob bei der Einstellung eine Untersuchung der politischen Gesinnung u.ä. zulässig ist. Leitentscheidung hierfür war der Mitsubishijushi-Fall400 , eines der bedeutendsten und meistdiskutierten Urteile in der japanischen Rechtsgeschichte. Der OGH hat die Zulässigkeit der Überprüfung der politischen Einstellung eines Arbeitsplatzbewerbers in Anbetracht der sich aus dem System der lebenslangen Beschäftigung ergebenden intensiven und permanenten Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bejaht40l •

In letzter Zeit stellte sich in diesem Zusammenhang wegen der enormen Zunahme von Teilzeitarbeit häufiger die Frage, ob die vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen von Teilzeitarbeitnehmern402 nicht eine Form rechtlicher Diskriminierung darstellen. In der Praxis haben nämlich 1/3 der sogenannten Teilzeitarbeitnehmer eine Arbeitszeit, die der der Stammbelegschaft vollständig entspricht403 • Dennoch werden allgemein auch in diesen Fällen unterschiedliche Arbeitsbedingungen für zulässig gehalten: Ein Verstoß gegen § 3 ASG läge nicht vor, weil der Begriff "gesellschaftliche Herkunft" nicht einen Rang oder Status, der durch das Arbeitsverhältnis vermittelt wird, umfasse. Auch der allgemeine Gleichheitssatz sei nicht verletzt, da diese Beschäftigten nicht dem System der lebenslangen Beschäftigung unterlägen, deshalb Maßstäbe und Verfahren der Auswahl weniger streng sind als bei der Stammbelegschaft und ihr Gehalt nicht durch Seniorität usw., sondern durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt bestimmt werde404. b) Ausgewählte Institute

aa) Der Schluß des Arbeitsvertrags Eine gesetzliche Definition des "Arbeits"vertrags gibt es nicht. Nach h. M. entspricht er grundsätzlich dem Dienstvertrag des BGB (§§ 623 ff.)40.S. Der Arbeitsvertrag wird wie jeder andere Vertrag durch Angebot und Annahme abgeschlossen. Im allgemeinen geschieht dies, jedenfalls bei Mitgliedern der Stammbelegschaft, die von der Universität oder von Schulen angeworben werden, in drei Phasen: 1. "Naitei ", 2. Probezeit, 3. Übernahme in

399 Vg!. z.B. OGH vom 24. 12.51 in Rökeisolruhö 937, 6; C. Fukase in N. Ashibe, Auswahl verfassungsrechtlicher Entscheidungen I, Tökyö 1980, S. 35; Shimoi, AR, S. 28; Hagizawa, S. 19 f. 400 OGH vom 12. 12. 48 in Minshu 27,11,1536; 8. hierzu ausführlich Fukase in Ashibe, S. 34 ff.; K. Hagizawa, Arbeitsrecht an Hand der Rechtsprechung lernen, Tökyö 53, S. 21 f. 401 OGH ebd. (sehr str). A.A. z.B. die Vorinstanz OLG Töky8 vom 12. 06. 43 in R8minshQ 19,3,791; Shimoi, AR, S. 30 ff. 402 Zum Recht der Tei1zeitarbeitnehmer vg!. insbesondere Nakajima u.a., S. 281 ff.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 40 ff.; Sugeno, AR, S. 146 ff. 403 Cook/Hayashi, S. 11. 404 Shimoi, AR, S. 34 ff.; Sugeno, AR, S. 148. 405 T. Shimoi, Arbeitsstandardgesetz, Tökyö 61/3 (zitiert im folgenden: ASG), S. 69.

§ 4 RechtswissenschaftJicher Ansatz

105

ein festes Dauerarbeitsverhältnis406. "Naitei" ist hierbei eine spezifisch japanische Einstellungspraxis: Bereits vor Abschluß der Ausbildung durchlaufen die künftigen Absolventen ein Bewerbungsverfahren und werden auch bereits ausgewählt407 • Umstritten ist hierbei vor allem, ab wann das ASG gilt und ab wann überhaupt von einem • Arbeitnehmer" iSd ASG gesprochen werden kann; die h. M. setzt hierfür als Zeitpunkt die Aufnahme der Arbeit zur Probezeit an4Oll • Besonderheiten ergeben sich bei der automatischen Verlängerung von Kettenarbeitsverträgen unter bestimmten Voraussetzungen409 •

In Japan ist es allgemein verbreitet, daß der Kandidat des Naitei nach der eigentlichen Arbeitsaufnahme eine Probezeit durchläuft und dann erst die sogenannte HaupteinsteIlung erfolgt410. Die Vereinbarung einer Probezeit hat auf die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags keinen Einfluß, sie bedeutet lediglich einen Vorbehalt der Vertragsauflösung für den Fall, daß sich der Arbeitnehmer als ungeeignet erweist411. Dieser Vorbehalt ist teleologisch dahingehend auszulegen, daß nur Gründe erfaßt sind, die der Arbeitgeber nicht schon bei der Einstellung kannte und auch nicht kennen kOnnte412. Hinsichtlich der Beurteilung des Kandidaten hat die Firma Ermessen; allerdings liegt Rechtsmißbrauch vor (der die Entlassung unwirksam macht), wenn der geltend gemachte Grund, der die Nichteignung begründen soll, nicht nach der Verkehrssitte vernünftig ist413 . Strittig ist, ob der Auflösungsvorbehalt auch wegen Gründen aus der Biographie des Arbeitnehmers, von denen der Arbeitgeber erst während der Probezeit erfahren hat, ausgeübt werden darf. Die h.L. wendet sich dagegen, denn die Probezeit sei keine Ergänzung der Aufnahmeprüfung hinsichtlich der Lebensumstände des Arbeitnehmers, sondern eine Zeit der Beobachtung der Eignung des Kandidaten für die Arbeit414 . Der OGH läßt die Vorbehaltsausübung in diesen Fällen ZU41S. Dies erscheint jedenfalls für das japanische Arbeitsrecht angemessen, wenn man bedenkt, daß die Probezeit idR keine echte Testphase sein kann, weil der Arbeitnehmer in dieser Zeit erst einmal eine Berufsausbildung erhält, da er ja normalerweise direkt von 406 Vgl. hierzu GLK ASGlKawaguchi, vor § 13 Anm. 3; Sugeno, AR, S. 107 ff. S. vor allem unten n 1. 407 Zur Einstellung s. unten D 1; zum Naiteisystem s. unten n 1 (zur rechtlichen Ausgestaltung) und § 5 A D (zur Einbettung in das Bildungssystem). 4011 OHG im Mitsubishijushi-Fall (OGH vom 12. 12. 48, Minshu 11, 15, 36; zustimmend Sugeno, AR, S. 137 und (aber auch einzelne Wirkungen ab Naitei): Shimoi, ASG, S. 59; ders., AR, S. 88 ff. Kritisch auch Yasueda/Nishimura, AR, S. 67. 409 s. hierzu unten b bb. 410 Shimoi, AR, S. 94; Sugeno, AR, S. 137; Yasueda/Nishimura, AR, S. 70 f.; GLK ASGlKawaguchi, vor § 13 Anm. 3.1. Allerdings gibt es in kleinen Unternehmen nur selten eine Probezeit und auch in mittleren und größeren nur hinsichtlich der Stammbelegschaft (Shimoi, ASG, FN 1 auf S. 95) 411 GLK ASGlKawaguchi, vor § 13 Anm. 3.2 i; Yasueda/Nishimura ebd.; Shimoi, AR, S. 95; Sugeno, AR, S. 138 412 Shimoi, AR, S. 96; Sugeno ebd.; GLK ASGlKawaguchi, vor § 13 Anm. 3.2 ro. 413 Sugeno, AR, S. 139; Shimoi, AR, S. 100; Yasueda/Nishimura, AR, S. 71. 414 Vgl. Shimoi, ASG, S. 97 Cf. Allerdings ist auch nach dieser Ansicht in solchen Fällen regelmäßig eine Anfechtung wegen Täuschung oder Motivirrtum (§§ 110 ff. 8GB) oder eine Kündigung aus vernünftigem Grund (s. hierzu unten n 2 b) möglich. 41S OGH vom 27.5.57, Minshu 36,5,777; Yasueda/Nishimura, AR, S. 71.

106

Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

der Schule kommt und keinerlei Arbeitserfahrung hat416 • Außerdem muß im System der lebenslangen Beschäftigung dem Arbeitgeber bei der Einstellung ein besonders weitgehendes Ermessen eingeräumt werden, da eine Übernahmeentscheidung eine enorme faktische Bindungswirkung entfaltet411. Im übrigen wird der Kandidat auch dadurch geschützt, daß die Vereinbarung einer unangemessen langen Probezeit als Verstoß gegen die guten Sitten unwirksam ist418. bb) Versetzung, Delegation usw. Seit 1975 haben Schwankungen in der Konjunktur dazu geführt, daß Unternehmen zur Regulierung des Beschäftigungsstands ihrer Stammbelegschaft gezwungen waren, in großem Umfang Umsetzungen, Versetzungen, Entsendungen o.ä. vorzunehmen, um Entlassungen zu vermeiden. Dabei treten auch nicht unerhebliche soziale Probleme auf, z.B. die vieldiskutierte Tanshinfunin (getrennte Haushaltsführung von versetztem Familienvater am neuen Arbeitsort und Restfamilie am bisherigen Wohnort - häufig mit der Folge von familiären Schwierigkeiten419). Die Rechtsnatur der Umsetzungsanordnung ist umstritten4:1». M~ unterscheidet folgende Umsetzungsformen421 : Umsetzung (Haichikae, ~derung des Arbeitsplatzes innerhalb eines Betriebs), Versetzung (Haiten, Anderung des Arbeitsplatzes innerhalb des Unternehmens zu einem anderen Betrieb), Entsendung (Shukkö, vorübergehende Arbeit bei einem anderen Unternehmen; hier gibt es wiederum zwei Formen: Zaisekishukkö, wenn der Arbeitnehmer weiterhin Arbeitnehmer des entsendenden Unternehmens ist und lsekishukkö, wenn seine formelle Firmenzugehörigkeit ebenfalls wechselt). Die Umsetzung ieS ist idR ohne weiteres zulässig, da es in Japan außerordentlich selten ist, daß bei der Anstellung Arbeitsplatz und Arbeitsinhalt des Arbeitnehmers genauer spezifiziert werden422,423. Über "Haiten" gibt es ebenfalls keine verbindlichen gesetzlichen Normierungen424 , allerdings fmden sich meist Regelungen in der Betriebsordnung42S • 416

Shimoi, AR, S. 97. S. hierzu auch unten § 5 B ß.

417 Sugeno, AR, S. 105. S. hierzu unten § 5 B ß. 418 LG Nagoya vom 23. 03. 59, Röhan 439, 64; Shimoi, AR, S. 101 (s. dort auch FN I);

Yasueda/Nishimura, AR, S. 70 f. 419 Von den etwa 800.000 jährlichen Versetzungen führen mit steigender Tendenz etwa 20 % zur Tanshinfunin (Shimoi, AR, S. 105,FN 2). 4:1» Vgl. hierzu Shimoi, AR, S. 106 ff.; Sugeno, AR, S. 313 ff.; H. Nozawa, Arbeitsvertrag, Arbeitsordnung, Arbeitsentgelt und Arbeitszeit in H. MuköyamalK. Alruzawa/P. Hanau (Hrsg.), Studien zum japanischen Arbeitsrecht, Köln usw. 1984, S. 167 (223). 1m Ergebnis kommen aber die verschiedenen Theorie nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen. 421 Zur Nomenldatur vgl. GLK ASG/Yoroi vor § 13 Anm. IV 2; Shimoi, AR, S. 104 f., 116; Sugeno, AR, S. 312 und 318 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 80 ff. 422 s. hierzu auch § 5 Aß 3 b. 423 Shimoi, AR, S. 111; GLK ASG/Yoroi vor § 13 Anm. IV 2 i. 424 Allerdings gibt es eine Appellnorm in § 8 eGG, die sich gegen eine Diskriminierung von Frauen bei Haiten wendet; diese war allerdings ohnehin schon auf Grund der mittelbaren Drin-

§ 4 RechtswissenschaftIicher Ansatz

107

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für eine Versetzung sind folgende Punkte: (1) Es darf nicht der Tatbestand einer unlauteren Arbeitgebermaßnahme erfüllt sein426; (2) Ein vernünftiger Grund muß vorliegen; (3) Kein Verstoß gegen den Inhalt des Arbeitsvertrags; (4) Kein Rechtsmißbrauch; (5) Kein Verstoß gegen vorher getroffene Zusagen und Vereinbarungen427 ; (6) Ordnungsgemäßes Verfahren. Eine Delegation, die ebenfalls nicht gesetzlich, sondern (meist) nur in den Betriebsordnungen geregelt ist428 , bedarf darüber hinaus noch der ausdrücklichen Zustimmung des Arbeitnehmers zu der konkreten Maßnahme429 • cc) Regelungen der Arbeitszeit Das ASG trifft ausführliche Regelungen über die Arbeitszeit in seinen Abschnitten 4, 6, und 6 a sowie den zugehörigen Vollzugsbestimmungen und verordnungen. Durch Gesetz vom 19. 09. 62 (in Kraft .getreten am 01. 04. 63) ist dieses System erheblich verändert worden; diese Anderung ist die bisher umfangreichste und möglicherweise bedeutendste des ASG43O. Sie ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß Japan den wichtigsten internationalen Abkommen zu Fragen der Arbeitszeit und Urlaubsregelung nicht beigetreten ist43 1. Arbeitszeitrecht iwS umfaßt neben der Regelung der Arbeitszeit ieS vor allem Bestimmungen über Pausen, Ruhezeiten, Ruhetage und Mutterschaftsurlaub432. Arbeitszeit ieS ist die Zeit, in der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Direktionsrecht des Arbeitgebers zu gehorchen433 . i) Tages- und Wochenarbeitszeit

In Japan hat die Arbeitszeit jährlich durchschnittlich um etwa 1 % abgenommen, dennoch ist sie immer noch die höchste aller Industrienationen.

wirkung des Art 14 N unwirksam, so daß § 8 CGG im Grunde nur eine Argumentationshilfe im Rahmen des Art 14 N, § 908GB darstellt (vgl. Shimoi, AR, S. 114; Naicajima u.a., S. 64 ff.). 425 Shimoi, AR, S. 104. 426 s. hierzu unten 2 a bb. 427 LG Tokyo vom 23. 07. 51, Hanreijiho 820, 54; Sugeno, AR, S. 315 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 83 f.; Nozawa in Mukoyama u.a. (Hrsg.), S. 167 (224). 428 Shimoi, AR, S. 116 f. 429 Yasueda/Nishimura, AR, S. 85; Sugeno, AR, S. 318 f.; Shimoi, AR, S. 120 f.; Nozawa in Mukoyama u.a., S.167 (227). 430 Shimoi, AR, S. 197. 431 Vgl. Nozawa in Mukoyama u.a., S. 167 (194). 432 Zum Mutterschaftsurlaub s. unten ff) a.E. 433 LG Nagasaki vom 26. 06. 60, Rominshu 36, 3, 494; Shimoi, AR, FN I auf S. 197; Sugeno, AR, S. 189; nicht ganz unstreitig.

108

Teil 2: Rechls- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

Tabelle 4 Arbeitszeit in Japan (Stunden je Jahr)434 Jahr: lt. Arbeitsvertrag: tatsächlich gearbeitet:

35

40

45

50

55

60

2170

2117

2039

1937

1946

1932

2432

2315

2239

2064

2108

2110

Es ist schwer einzuschätzen, wie produktiv japanische Arbeitnehmer die lange Arbeitszeit nutzen. Zwar ist die Produktivität eines japanischen Arbeitnehmers im internationalen Vergleich auf das Jahr gerechnet sehr hoch, doch dürfte die Produktivität je Arbeitsstunde im internationalen Vergleich nicht zu den höchsten gehören. Japanische Arbeitnehmer verteilen die Arbeit auf einen längeren Zeitraum als westliche, dh das Arbeitstempo ist niedriger.

Tabelle 5 Jahresarbeitszeit in westlichen Industrienationen 1985435 Japan

USA

Eng!.

Frk.

2168

1924

1952

1643

BRep. Deutsch!.

1659

Außerdem darf nicht übersehen werden, daß die Unterschiede zwischen Großkonzernen und kleineren Unternehmen enorm sind (durchschnittlich sechs Stunden je Woche zu Ungunsten der letzteren)436. Weiterhin sind erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Berufszweigen erkennbar.

Shimoi, AR, S. 198. Quelle: Shimoi, AR, S. 203 mit gleichzeitigem Hinweis, daß solche Statistiken keinen absolut zuverlässigen internationalen Vergleich zulassen (S. 199), str. 436 Shimoi, AR, S. 199. 434

435

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

109

Tabelle 6

DurcMchnittliche Wochenarbeitszeit laut Arbeitsvertrag Japan:

43,57

24,0

33,3

3,1

bis 4 AN:

45,38

12,6

43,2

12,1

50-99 An: über 300 AN: Nachr.wesen: prod. Gewerbe:

44,04

19,3

32,2

0,3

39,50

72,2

3,8

0,0

38,08

74,4

3,0

0,0

43,00

34,4

23,4

0,2

45,42

5,6

57,6

0,3

Bauind.:

In Japan begann die Regierung etwa im Jahr 52, sich mit dem Problem der Arbeitszeitverkürzung zu beschäftigen, aber erst im Jahr 55 wurden ernsthafte Bemühungen unternommen, die Arbeitszeit zu verkürzen. ErstaunlicheIWeise wird immer wieder als wichtigster Anstoß für diese Entwicklung die internationale Kritik am Exporterfolg Japans auf der Basis der langen Arbeitszeit und überhaupt das internationale Vorbild kürzerer Arbeitszeiten genannt437. Im übrigen wird angeführt, daß sich die Arbeitslosenprobleme auch in Japan wohl allmählich verschärfen werden und ohnehin wegen des Wachstums des tertiären Sektors und der (technologiebedingten) Veränderungen im produzierenden Gewerbe eine Reform des Arbeitszeitrechts notwendig war438 • Vereinzelt wird sogar vorgebracht, daß angesichts des hohen BSP in Japan eine Steigerung der Lebensqualität nunmehr tendenziell eher durch eine Verkürzung der Arbeitszeit als durch eine Steigerung der Gehälter erreicht werden könne439 • Jedenfalls setzte sich die Meinung durch, daß auf jeden Fall eine gesetzliche Regelung notwendig sei, da bei dem harten Konkurrenzkampf in Japan kein Unternehmen den Mut aufbringen würde, als erstes (sozusagen "einseitig") die Arbeitszeit zu verkürzen und damit Wettbewerbsnachteile auf sich zu nehmen440, zumal auch die Gewerkschaften idR für höhere Löhne, selten aber für kürzere Arbeitszeiten kämpften441 • Im Dezember 55 legte der Arbeitsminister einen Plan zur Einführung des Systems zweier arbeitsfreier Tage in der Woche vor, in dem er gleichzeitig als Ziel die Senkung der 431

438

106.

439

440

441

Shimoi, AR, S. 202, 206. Ähnlich Yasueda/Nishimura, AR, S. 105. Shimoi, AR, S. 202, weitere Grunde dort S. 206. Vgl. auch Yasueda/Nishimura, AR, S. Shimoi, AR, FN 1 auf S. 208; GLK ASGlKaneko vor § 32 Anm. ß 2. Shimoi, AR, S. 208. Dambrnann, S. 243.

llO

Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

Jahresarbeitszeit auf 2000 Stunden innerhalb von fünf Jahren setzte. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Forschungskreises ASG und der ihn begleitenden heftigen öffentlichen Auseinandersetzung mit Alternativvorschlägen der verschiedenen Forschungsgruppen und Interessenverbände brachte die Regierung im Jahr 62 einen Entwurf im Parlament ein, der im Dezember desselben Jahres verabschiedet wurde442 • Nach der Gesetzesänderung sieht § 33 ASG eine Einführung der 40-Stunden-Woche bei acht Stunden täglicher Arbeit in Stufen vor443 • Diese stufenweise Verschärfung wurde in einer Verordnung (vom 11. 12. 62) konkretisiert. Diese VO setzt zunächst 46 Stunden fest, gibt aber verschiedenen Gewerbezweigen hierfür eine Übergangsfrist bis zum 31. 03. 66. Nach Auskunft des Arbeitsministeriums sollen drei Jahre später 44 Stunden vorgeschrieben werden und möglichst früh in der I{.rsten Hälfte der neunziger Jahre die 40 Stunden verwirklicht sein. Diese Anderungen sind recht umstritten, denn bereits jetzt haben 95 % der Unternehmen eine festgesetzte betriebliche Arbeitszeit von 46 Stunden oder weniger444 ; der augenblickliche Nutzen der Änderung scheint also zunächst gering zu sein. Darüber hinaus erfolgt die Fortschreibung der Arbeitszeitverkürzung durch Vo. Dies ist einerseits politisch bedeutsam, andererseits aber gibt es Stimmen, die die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung anzweifeln, weil Art 27 11 JV bestimmt, daß die Arbeitsbedingungen durch Gesetz festgesetzt werden müssen445 • Außerdem wurden Ausnahmeregelungen für bestimmte Kleinunternehmen, die diesen die Festsetzung einer Wochenarbeitszeit von bis zu 54 Stunden ermöglichen, in die Verordnung aufgenommen. Auch gegen die neu eingerichteten "Henkei "Systeme (Verlängerungen der Tagesarbeitszeit ähnlich den §§ 3 ff. deutsche AZO) bestehen nicht unerhebliche Bedenken, weil sie vor allem die Beschäftigung von schwangeren Frauen und Müttern erschweren. Problematisch ist weiterhin, daß das System vermutlich wie bisher durch Tarifverträge, die die Arbeitszeit verlängern, unterlaufen wird446. Andererseits darf die faktische Bedeutung von Appellnormen in Japan auch in diesem Bereich nicht unterschätzt werden447 • Der Grundsatz des § 33 ASG kennt nach altem wie nach neuem Recht zahlreiche Ausnahmen. Vor allen Dingen kann die Arbeitszeit gemäß § 36 ASG durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unbeschränkt (!) verlängert werden. Diese Vorschrift wurde in der Praxis bisher auch weidlich ausgenutzt. Allerdings hat nach h.M. ein Tarifvertrag oder eine betriebsinterne Vereinbarung nach § 36 nur die Wirkung, daß die öffentlichrechtlichen bzw. strafrechtlichen Beschränkungen des ASG hinsichtlich der Arbeitszeit aufgehoben werden. Solche Vereinbarungen verpflichten also den Genauere Darstellung bei Shimoi, AR, S. 202 ff. Hierzu übersichtlich Shimoi, AR,S. 213 ff. mit Tabelle S. 209. 444 Shimoi, AR, S. 218. 445 Shimoi, AR, S. 218. 446 Shimoi, AR, S. 219 f.; Nishitani in Eubel, S. 345 (361). Dies führt oft bis zur faktischen Aufhebung der arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen des ASG. 447 Shimoi, AR, S. 219. 442 443

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Arbeitnehmer nicht per se privatrechtlich zur Leistung von Überstunden-. Meistens treffen die Vereinbarungen jedoch auch eine ausdrückliche Regelung (oder es besteht eine Betriebsübung) dahingehend, daß im Falle einer Regelung nach § 36 ASG die Stammbelegschaft einer Aufforderung des Arbeitgebers zur Mehrarbeit Folge leisten muß449. In jedem Fall ist gemäß § 37 I ASG für Mehrarbeit nach § 36 ASG eine Zulage von mindestens 25 % des Durchschnittsgehalts zu bezahlen. ii) Pausen

Hinsichtlich der Pausen brachte die ASG-Reform keine Veränderungen. Unter Arbeitspausen versteht man die Zeit, während der der Arbeitnehmer von den Bindungen des Direktionsrechts des Arbeitgebers befreit ist, vor allem also von der Pflicht, die Arbeitskraft anbieten zu müssen4S0 • § 34 I ASG garantiert dem Arbeitnehmer eine Pause von mindestens 45 Minuten bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs, eine Pause von mindestens einer Stunde bei mehr als acht Stunden. Abs. 3 schreibt vor, daß der Arbeitnehmer die Pausenzeit frei von Vorgaben des Arbeitgebers verwenden darf. Gerade dieser letzte Punkt ist häufig Gegenstand arbeitsrechtlicher Streitigkeiten. Zum einen gibt es viele Arbeitgeber, die den Arbeitnehmer zu Nebenbeschäftigungen während der Pause verpflichten wollen (z.B. Telephonbereitschaft), zum anderen gibt es zahlreiche Betriebsordnungen, die bestimmte Tätigkeiten während der Pausen verbieten (z.B. politische Betätigung oder das Verlassen des Betriebsgeländes). Der OGH vertritt die Auffassung, daß der Grundsatz des freien Ausnutzens der Pause nach Gutdünken des Arbeitnehmers dann vom Arbeitgeber eingeschränkt werden kann, wenn ein vernünftiger Grund für diese Beschränkung vorliegt451 , legt aber hierbei keinen strengen Maßstab an und läßt somit recht weitgehende Beschränkungen ZU452. iii) wFreie Tage W In Japan gibt es kein System eines arbeitsfreien Sonntags. Der Sonntag ist zum Beispiel sogar der Haupteinkaufstag. An Feiertagen dagegen ist arbeitsfrei, was aber in den Gesetzen, die den Feiertag einführen, jeweils einzeln und ausdrücklich bestimmt ist453 • In den letzten 15 Jahren wurden erhebliche Anstrengungen gemacht, ein System von zwei arbeits freien Tagen je Woche einzuführen. Inzwischen hat es in fast 80 % der Betriebe mit mehr als 30 Beschäftigten Eingang gefunden454 • Die Arbeitszeitverkürzung in Japan in den 448 OGH vom 27. 03. 59, Röhan 430, 69; OLG Tökyö vom 27. 03. 61, Hanreijihö 1185, 185; Sugeno, AR, S. 215, 217; Shimoi, AR, S. 230 f.; GLK ASGlKobota § 36 Anm. 3.3; Nishitani in Eubel, S. 345 (361). 449 OLG Tökyö vom 27. 03. 61 ebd.; str. Differenzierend: Shimoi, AR, S. 232 f.; bejahend hinsichtlich des öffentlichen Dienstes OGH vom 27.03.59 ebd. 4.50 Shimoi, AR, S. 226; Yasueda/Nishimura, AR, S. 123. 451 OGH vom 13.12.52, MinshQ 31,7,974 und vom 1. 11. 58, Hanreijihö 1100, 151. 452 Shimoi, AR, S. 227. Weniger kritisch Yasueda/Nishimura, AR, S. 126. 453 Vgl. hiel"LU den Beitrag des Verfassers zur Fußnote auf S. 25 f. in P. Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identilätselemente des Verfassungsstaates, Berlin 1987. 454 Shimoi, AR, S. 199. Zur Rechtslage Sugeno, AR, S. 203 ff.

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Jahren bis ca. 60 ist vor allem auf die weitgehende Einführung dieses Systems zuruckzuffihren455 . iv) Jahresurlaub Der Jahresurlaub ist im japanischen Arbeitsrecht nur sehr unzureichend normiert. Zwar brachte die Reform des ASG von 63 eine Anhebung des bezahlten Mindesturlaubes auf zehn Tage im Jahr (für Arbeitnehmer, die mindestens ein Jahr ununterbrochen beim anspruchsverpflichteten Arbeitgeber beschäftigt und über 80 % der Arbeitstage am Arbeitsplatz anwesend waren, § 39 I ASG, mit Übergangsfristen für kleinere und mittlere Unternehmen in § 133). Diese zehn Tage werden um einen Tag pro vollendetes Jahr Beschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber bis auf maximal 20 Tage erhöht (Abs.2). Allerdings gab es bisher nur wenig Schutz für Arbeitnehmer, die gewillt sind, den ihnen zustehenden Urlaub voll auszuschöpfen. Nunmehr verbietet der ebenfalls neue § 134 ASG diskriminierende Behandlungen derjeniger , die Urlaub nehmen. Es darf allerdings wegen der äußerst schwierigen Beweisbarkeit der Kausalität zwischen dem Ausschöpfen des Urlaubsanspruches und einer behaupteten Diskriminierung bezweifelt werden, ob diese Bestimmung in der Praxis große Wirkung entfalten kann456 • Im übrigen bleiben andere, wesentliche Probleme weiterhin ungelöst. Das Gesetz schreibt zwar vor, daß Krankheitstage als Tage der Anwesenheit iSd § 39 I ASG behandelt werden müssen (Abs. 5), doch verbietet es nicht die Anrechnung von Krankheitstagen auf den Urlaub457. Problematisch ist auch die Verwaltungsauslegung, die die Urlaubstage nicht in die Berechnung nach Abs. I einbezieht, sondern sie als neutral behandelt458. Weiterhin gibt es keine Regelun,g über die Handhabung unverbrauchten Jahresurlaubs. Nach h.M. ist eine Ubertragung zwei Jahre lang (Verjährungsfrist des § 115 ASG) möglich459 . 70 % der verheirateten männlichen Arbeitnehmer und 40 % aller Beschäftigten verschieben ihren Jahresurlaub zumindest teilweise auf das nächste Jahr460. Deshalb wird dieser 455 GLK ASGlKaneko vor § 32 Anm.

D 1. Außerdem war es z.B. schon nach altem Recht unzulässig, angetretenen Urlaub bei der Berechnung von Boni, Zulagen usw. als Abwesenheitatage zu werten (Shimoi, AR, S. 249) 457 Nozawa in Muköyama u.a., S. 167 (200). Dabei würde ein solches Verbot nicht nur den Arbeitgeber als Adressaten haben. Vielmehr ist es in Japan immer noch selbstverständlich, im Falle von leichten Erkrsnkungen (Erkältungen usw.) Urlaub zu nehmen. Der Verfasser machte selbst immer wieder die Erfahrung, daß der Arbeitgeber idR keinen direkten Druck ausüben muß, um einen solchen faktischen Urlaubsverzicht herbeizuführen. Allerdings ist davon ausgehen, daß ein Arbeitnehmer, der regelmäßig seinen Urlaub vollständig zu Ferienzwecken nutzt, keine allzu großen Aufstiegschancen haben dürfte. Ein weiteres Beispiel (nach Sugeno, AR, S. 236 f.): In Japan ist es nicht unüblich, daß Arbeitnehmer Urlaub nehmen, um an Arbeitakärnpfen teilnehmen zu können. 458 Kritisch OLG Osaka vorn 31. 8. 58, Rörninshu 34, 4, 679; Yasueda/Nishimura, AR, S. 136; Sugeno, AR, S. 238 f.; Shimoi, AR, S. 237, FN 3. 459 GLK ASG/Akita § 39 Anm. 6.1 mwNw; Yasueda/Nishimura, AR, S. 137; Shirnoi, AR, S.249; Sugeno, AR, S. 237 mwNw; Ono, S. 120. A.A. LG Shizuoka vom 23.3.48, Rörninshft 24, 112,96. 460 Nozawa in Muköyama u.a., S. 167 (200); Ono, S. 119. 456

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Urlaub von zahlreichen Betrieben einfach "aufgekauft", d.h. bei Übertragung abgefunden46l . Dies ist zwar unerwünscht, aber nach dem ASG zumindest dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer nicht von Anfang an zu einem Verkauf von Urlaub verpflichtet wird, sondern sich jeweils am Jahresende "rechtlich frei" entscheiden kann462 . Dogmatisch sehr umstritten ist die Rechtsnatur des Rechts des Arbeitnehmers aus § 39 IV ASG, den Zeitpunkt des Urlaubs selbst bestimmen zu können, wobei die Rechtsprechung (Theorie des Zeitbestimmungsrechts463) und die abweichenden Lehrmeinungen kaum zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der Arbeitgeber hat nach dieser Vorschrift die Möglichkeit, dem vom Arbeitnehmer für den Urlaub gewählten Zeitpunkt zu widersprechen, wenn durch die Abwesenheit des Arbeitnehmers der gewöhnliche und ordnungsgemäße Arbeitsablauf gestört würde464. Der ohnehin kurz bemessene bezahlte Jahresurlaub wird in Japan regelmäßig nicht voll ausgeschöpft. 1978 nahmen nur 23 % der Beschäftigten den ihnen zustehenden Urlaub voll, 40 % aber beschränkten sich auf weniger als ein Drittel davon46S - insgesamt wurden nur 60 % der bezahlten Urlaubstage genutzt466. Darüber hinaus nehmen Japaner ihren Urlaub selten geschlossen, sondern teilen ihn über das gesamte Jahr auf467. Zusätzlich entfällt ein Teil des in Anspruch genommenen Jahresurlaubs auf Krankheitstage, die Ausschöpfung ist in Wirklichkeit also noch schlechter, als es die Statistik vermuten läßt. Im allgemeinen wird es von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Demonstration der Loyalität und Hingabe gegenüber der Firma angesehen, wenn der Urlaub nicht ganz ausgenützt wird468 ,469. Allerdings wächst unter den jüngeren Arbeitnehmern die Bereitschaft, den Urlaub so weit wie möglich auszunutzen410 •

461 GLK ASG/Akita § 39 Anrn. 6.1; Shimoi, AR, S. 248; Nozawa in Muköyarna u.a., S. 167 (200); Dole, S. 36. 462 Shimoi (63) ebd.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 138; GLK ASG/Akita § 39 Anrn. 6.3. 463 OGH vom 02. 03. 48 MinshO 27,2,191 und OGH vom selben Tag, MinshU 27,2,210; im Gegensatz zu der Theorie des Forderungsrechts und zu der Theorie des Gestaltungsrechts. Zum Problem Shimoi, AR, S. 235 ff.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 133. 464 Vgl. hierzu GLK ASG/Akita § 39 Anrn. 3.2; Sugeno, AR, S. 233 ff.; Shimoi, AR, S. 240 ff.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 133 f. 46S Dambmann, S. 243. 466 Sugeno, AR, S. 227; Yasueda/Nishimura, AR, S. 105. In absoluten Zahlen ausgedruckt: Von rechtlich verfügbaren 14,8 Tagen bezahltem Urlaub wurden nur 8,8 Tage verbraucht (Yasueda/Nishimura, AR, S. 128). Bedenkt man, daß zusätzlich noch einige Tage für leichte Krankheiten genommen werden und daruber hinaus die Quoten jüngerer männlicher Arbeitnehmer deutlich unter diesen Durchschnittswerten liegt, dann kann man sich vorstellen, daß viele Arbeitnehmer in Japan nur fünf bis sechs Arbeitstage jährlich Urlaub nehmen. 467 Dole, S. 36, Dambmann, S. 243. 468 Dole ebd.; Dambmann ebd. 469 Zur Bedeutung solcher Loyalitätsbekundungen s. unten § 5 B m 2 a und IV. 410 Dole, S. 36, Dambmann, S. 243.

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Rechtlich verstößt auch die betriebliche Praxis einer geringen Ausschöpfung des Urlaubs durch die Arbeitnehmer in einem bestimmten Betrieb nicht ohne weiteres gegen das ASG, da es grundsätzlich der Arbeitnehmer in der Hand hat, Urlaub zu einer bestimmten Zeit zu fordern 471 . dd) Lohn Eine Legaldefinition des Begriffs "Lohn" findet sich in § 11 ASG: Danach ist Lohn all das, was der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Arbeit zahlt. Nicht unter den Lohnbegriff fallen also z.B. freiwillige Leistungen des Arbeitgebers, Kostenerstattungen (z.B. Reisekosten), Sachleistungen, Trinkgelder usw. 47l • Andererseits sind z.B. auch Familienzulagen, Bonuszahlungen473 und Abfindungen (insbesondere bei der Pensionierung474) Lohnelernente. Über das Arbeitsentgelt finden sich ausführliche gesetzliche Regelungen in § 623 BGB, §§ 4, 11 f., 15, 18, 23-27, 89 I Nr. 2, 108 ASG, im MLG, im Lohnsicherungsgesetz und zur VeJjährung in § 115 ASG als lex specialis zu § 174 Nr. 1 BGB. Eigentümlich sind hierbei insbesondere die strengen Regeln über die Umstände der Lohnzahlung (unmittelbar an den Arbeitnehmer, in bar mit vollem Betrag, mindestens einmal monatlich an einem bestimmten Tag, § 26 ASG; Verbot von Zwangsspareinlagen des Arbeitnehmers bei der Firma, § 18 ASG uvam). Mit diesen Vorschriften will der Gesetzgeber die vor dem Zweiten Weltkrieg weit verbreiteten vielfältigen Formen des Mißbrauchs durch Lohnzahlungsmanipulationen vermeiden47S • Charakteristisch für Japan ist auch die Auffassung der h.M., daß sich das Arbeitsentgelt aus zwei Elementen zusammensetzt: Ein Teil des Lohnes ist konkrete Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Beschäftigten unter der Direktionsgewalt des Arbeitgebers (Austauschgehalt), der andere Teil wird dafür gezahlt, daß der Arbeitnehmer die Bindungen auf sich nimmt, die sich aus seiner Eingliederung in die Unternehmensorganisation ergeben (Garantiegehalt - insbesondere Zulagen, die eine besondere Zweckbindung haben wie die Familien- oder Mietzulage)476. Dieser Streit hat durchaus konkrete Auswirkungen: Nach der h.M. ist es z.B. unzulässig, im Falle einer Lohnkürzung wegen der Teilnahme an einer Arbeitskampfmaßnahme auf Grund der Nichterfüllung des Arbeitsvertrags auch das Garantiegehalt zu kürzen477 •

471 Shimoi, AR, S. 248, str.

472 Vgl. die AufLählungen bei Shimoi, AR, S. 170 (FN I); Sugeno, AR, S. 157 ff.; GLK ASG/Yamamoto § 11 Anm. 2. 1-3. 473 s. hierzu unten § 5 B ß 3. 474 s. hierzu unten ß 4 a. 475 Vgl. hierzu Shimoi, AR, S. 77 ff.; Nishitani in Bubei, S. 345 (360); Nozawa in Mukoyama u.a., S. 167 (180 ff.). 476 Seit OGH vom OS. 02. 40, Minshil 19, 1,52; OLG Osaka vom 31. 1. 58, Rorninshil 34, 4,679; LG Yokohama vom 04. 3. SI, Hanreijiho 820, 111; vgl. auch Nozawa in Mukoyama u.a., S. 167 (180 ff.), 197. Kritisch z.B. Shimoi, AR, S. 193 f.

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ee) Beendigungstatbestände

i) Befristete Arbeitsverhdltnisse Nach § 14 ASG darf die Dauer der Befristung eines Arbeitsvertrags ein Jahr nicht überschreiten (erhebliche Verkürzung der Regel des für den Dienstvertrag geltenden § 626 I BGB). Beendigungsgrund bei einem befristeten Arbeitsverhältnis ist grundsätzlich nur der Zeitablauf. Während des Laufes dieses Jahres darf dem Arbeitnehmer nur aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 628 BGB). Da die (in der Praxis häufige) stillschweigende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als stillschweigende Erneuerung des Arbeitsvertrags aufgefaßt wird (vgl. § 629 BGB), verlängert sich in der Praxis das Beschäftigungsverhältnis immer wieder, oft über lange Zeiträume. Es kommt dann häufig vor, daß sich die Arbeitsinhalte dieser Arbeitnehmer denen der Stammbelegschaft annähern, die Arbeitsbedingungen aber deutlich schlechter bleiben47S • Werden befristete Arbeitsverträge mehrmals verlängert, dann ist eine Verweigerung einer weiteren Verlängerung seitens des Arbeitgebers wie eine Kündigungserklärung zu werten479 und bedarf deren Wirksamk:eitsvoraussetzungen; insbesondere muß ein vernünftiger Grund für die Kündigung (Verlängerungsverweigerung) vorliegen480 • Dieser vernünftige Grund kann aber durchaus darin liegen, daß bei notwendigen Personaleinsparungen den Arbeitnehmern mit befristeten Verträgen gekündigt wird, bevor der Kreis der Gekündigten auf die Stammbelegschaft ausgedehnt wird481.

ii) Unbefristete Arbeitsverhältnisse Ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wird durch Aufhebungsvertrag482, Kündigung des Arbeitgebers 483 oder Arbeitnehmers484 , Erreichen der Altersgrenze485 oder den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Arbeitgebers beendet.

4TI OGH vom 5. 2. 40, MinshU 19, 1, 52; OLG Osaka ebd.; LG Yokohama ebd. Im Ergebnis ähnlich K. KuborT. Shimoi, Für Studierende des Arbeitsrechts, Kyoto 5912. 4711 Shimoi, AR, S. 72; etwa 20 - 30 % der Belegschaft eines großen Konzerns stehen in diesem Status, auch wenn es in letzter Zeit eine Tendenz gibt, solche Mitarbeiter zur Stammbelegschaft zu machen und die Zeitverträge mit den sich stark vermehrenden Tei1zeitarbeitskräften zu schließen (Shimoi ebd.). 479 Seit OGH vom 22. 07. 49, MinshU 28, 5, 927; LG Nagasaki vom 12. 6. 39, RominshQ 15, 3, 638; Kataoka, AR (2), S. 422; Yasueda/Nishimura, AR, S. 198; Sugeno, AR, S. 143; Shimoi, AR, S. 73 ff. 480 s. hierzu unten n 2. 481 OLG Tökyö vom 20. 9. 58, Röminshi1 34, 516, 799; Shimoi, AR, S. 75; Sugeno, AR, S. 145. 482 Vgl. Yasueda/Nishimura, AR, S. 202 f.; Sugeno, AR, S. 330. S. hierzu auch unten n 2 d a.E. 483 s. hierzu Sugeno, AR, S. 331 und unten n 2 b. 484 Einschränkungen der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers sind wo:gen Verstosses gegen Art 22 I IV (Berufswahlfreiheit) rechtswidrig und unwirksam (Shimoi, AR, S. 153).

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Die Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers bildet wohl das wesentlichste Gebiet der Anwendung des Art 27 I JV im einfachen Recht, deshalb sei insoweit auf die Ausführungen unten 11 2 verwiesen. ff) Frauen- und Jugendarbeitsschutz Wie fast überall auf der Welt nahm der Arbeitnehmerschutz auch in Japan seinen Ausgangspunkt vom Schutz der arbeitenden Kinder und Frauen-486. Die Abschnitte 6 CJugendliche") und 6 a ("Frauen") des ASG stehen in dieser Tradition. Hinsichtlich des Jugendschutzes487 ist § 56 I ASG die Ausgangsnorm: Er verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren (mit einigen Ausnahmetatbeständen in Abs. 2). Für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren gelten grundsätzlich dieselben Arbeitszeitbeschränkungen wie bei Erwachsenen, doch sind kaum Ausnahmetatbestände hinsichtlich der Verlängerung der Tages- oder Wochenarbeitszeit zugelassen (§ 59 ASG); Nachtarbeit und gefährliche Arbeit sind weitergehenden Einschränkungen unterworfen (§§ 61 ff. ASG). Im übrigen schützt das ASG den Jugendlichen auch vor Mißbrauch der elterlichen Gewalt, indem es dem MindeIjährigen in § 59 eine Teilgeschäftsfähigkeit hinsichtlich des Arbeitsentgelts einräumt. Spezifisch japanisch ist auch die Regelung des § 64 ASG, nach dem der Arbeitgeber grundsätzlich einem gekündigtem Jugendlichen, der innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seine Heimat zurückkehrt, die Reisekosten ersetzen muß. Die Probleme des Jugendarbeitsschutzes verlieren immer mehr an Bedeutung, da wegen der immer längeren Ausbildungsdauer488 der japanischen Jugend die Zahl der arbeitenden Jugendlichen immer weiter abnimmt489. Der Frauenarbeitsschutz hat in Japan hauptsächlich zwei Zielrichtungen: Frauenschutz und Mutterschutz490 . Die neuere Gesetzgebung, besonders das CGG, hat sich wiederholt mit diesen Gebieten beschäftigt. Dabei wurde der Mutterschutz immer mehr verstärkt, der Frauenschutz aber stetig abgeschwächt, je mehr der Gesetzgeber versucht hat, aktiv gestaltend den Frauen Gleichberechtigung zu sichern491.492. Im Laufe dieser Entwicklung wurden z.B. im Jahr 61 Beschränkungen hinsichtlich Mehrarbeit und Arbeit an freien

s. hielZU unten D 4. Shimoi, AR, S. 251; Yasueda/Nishimura, AR, S. 138; Sugeno, AR, S. 249. 487 Vgl. hierzu ausführlich Sugeno, AR, S. 250 ff. 488 s. hierzu unten § 5 A DIa. 489 In den Jahren zwischen 45 und 61 auf etwa die Hälfte mit nunmehr 1,41 Mio. bei weiter sinkender Tendenz (Shimoi, AR, FN 1 auf S. 253). 490 Yasueda/Nishimura, AR, S. 142; Shimoi, AR, S. 253. 491 Man fühlt sich an Dürig erinnert: Rechtezuwachs (im Rahmen der Gleichberechtigung) bedeutet auch Pflichtenzuwachs (MIDIHIS/Dürig Art 3 D Rdnr. 103). 492 Nakajima u.a., S. 147 f.; Shimoi, AR, S. 254. Eher kritisch: E. Furuhashi/H. Hashimoto in H. Fuse U.a. (Hrsg.), S. 128 (137, 142 f.). 48S

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Tagen, das Verbot von Nachtarbeit uvam gelockert (vgl. zu den verbleibenden Beschränkungen die §§ 64, 64 a, 65 ASG). Bemerkenswert bleibt das Menstruationsurlaubssystem des § 68 ASG, nach dem eine Frau an Tagen Urlaub nehmen kann, an denen sie erhebliche Beschwerden wegen ihrer Menstruation hat493. Kernstück des Mutterschutzes ist der Mutterschaftsurlaub vor der Geburt (sechs Wochen, auf Verlangen zu gewähren) und nach der Geburt (acht Wochen, verpflichtend), § 65 ASG4~. Daneben gibt § 67 I ASG einer Mutter das Recht, zweimal täglich mindestens 30 Minuten Pause zur Pflege des Säuglings zu verlangen495 . gg) Betriebsordnung § 89 ASG verpflichtet Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten, eine Betriebsordnung zu erlassen und sie der Verwaltungsbehörde zur Prüfung vorzulegen496 . Unter Betriebsordnung versteht man im allgemeinen die Summe der Regelungen, die konkret und in Einzelheiten die Arbeitsbedingungen und die Gehorsamspflichten der Stammbelegschaft festlegen 497 . In Abs. 1 sind die in einer Betriebsordnung notwendigerweise zu regelnden Gegenstände in 10 Ziffern aufgezählt; Die Aufzählung ist recht umfassend und beinhaltet die wichtigsten Arbeitsbedingungen. Gemäß § 106 I muß die Betriebsordnung vom Arbeitgeber veröffentlicht werden. Verstöße gegen die genannten Vorschriften werden gemäß § 120 ASG mit einer Geldbuße belegt.

Die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit von Betriebsordnungen ist häufig Streitgegenstand vor Gericht, denn etwa 60 % der der Verwaltung vorgelegten Betriebsordnungen verstoßen inhaltlich gegen das ASG498, häufig werden sie auch nicht befolgt499 . Streitig ist vor allem die Wirksamkeit von Betriebsordnungen, bei deren Erlaß die Anhörungsrechte der Arbeitnehmer (§ 90 ASG) verletzt wurden, darüber hinaus die Bindungskraft der Betriebsordnungen im allgemeinen und die von einseitig geänderten im besonderen.

493 Einzelheiten hierzu z.B. bei Nakajima u.a., S. 185 ff.; Shimoi, AR, S. 259 ff.; Sugeno, AR, S. 256 ff. Das System wird aber nur in beschränktem Umfang in Anspruch genommen, vgl. ebd. S. 260 sowie CooklHayashi, S. 18 f. Im Zuge der Gleichberechtigung ist dieses System für weibliche Staatsbeamte bereits wieder abgeschaffi worden. 4~ Insoweit ist er zu 60 % bezahlt, §§ 50 II, 69 q Krankenversicherungsgesetz. 495 § 28 CGG richtet einen Appell an den Albeitgeber, während dieser Pausen das Gehalt weiter zu bezahlen; eine Rechtspflicht besteht nicht. 496 Bei etwa 6 % der Betriebsordnungen wird gegen diese Vorlageptlicht verstoßen (Shimoi, AR, S. 271) 497 GLK ASGlMizuno § 89 Anm. 3; Shimoi, AR, S. 272. 498 Shimoi, AR, FN 2 auf S. 272; vgl. auch Nozawa in Muköyama u.a., S. 167 (173) mit Beispielen, insbesondere der Praxis des Ankaufs von bezahltem Jahresurlaub im voraus oder Diskriminierung von Frauen. 499 Shimoi, AR, S. 272, Nozawa in Muköyama u.a., S. 167 (173).

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

Die Frage nach der Rechtsnatur von Betriebsordnungen ist außerordentlich umstrittenSIlO. Die Rechtsprechung vertritt seit etwa 20 Jahren eine eigenständige Ansicht. Danach besteht eine Gewohnheit (§ 92 BGB), wonach in Betriebsordnungen die Arbeitsbedingungen in vernünftiger Weise zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geregelt werden. Eine Betriebsordnung ist danach wirksam, solange sie vernünftige Arbeitsbedingungen bestimmt und mit dieser Gewohnheit in Einklang steht. Die Betriebsordnung entfaltet also Bindungskraft, auch ohne daß sie der Arbeitnehmer kennt oder sich mit ihrer Geltung einverstanden erklärtSOl. § 92 ASG regelt zwar, daß eine Betriebsordnung nicht gegen gesetztes Recht oder Tarifverträge verstoßen darf, doch entfalten Betriebsordnungen ihre enorme (zumindest faktisch normative) Wirkung ohnehin vor allem in den Bereichen, wo keine höherrangigen Bestimmungen existieren (wie z.B. idR bei der Festlegung von KündigungsgrÜDden oder bei Versetzung und Delegation). Zwar kann man noch einwenden, daß in anderen Ländern ganz ähnliche, dem Arbeitnehmer potentiell gefährliche Effekte durch die Verwendung von formularmäßigen, umfangreichen Arbeitsverträgen erzielt werden können, doch lassen sich auch diese - erst einmal geschlossen - nicht mehr einseitig durch den Arbeitgeber ändern, während dies bei Betriebsordnungen grundsätzlich innerhalb gewisser Grenzen möglich istS02.

hh) Disziplinarmaßnahmen Die Betriebsordnungen fast aller japanischer Betriebe weisen ein abgestuftes Disziplinarsystem auf, das idR Verweis, Gehaltskürzung, Degradierung, Suspendierung und disziplinarische Kündigung als Maßnahmen kenntSOJ • Die Anwendung dieses Maßnahmenkatalogs ist sehr selten, dafür ist der Einsatz disziplinarischer Mittel häufig sehr umstritten, so daß arbeitsrechtliche Streitigkeiten nicht selten disziplinarische Maßnahmen zum Gegenstand haben, vor allem KündigungenS04 • Im japanischen Recht gibt es eine Reihe von Normen, die von der Existenz eines Disziplinarrechts des Arbeitgebers ausgehen und dieses regulieren (stark tritt dieser Charakter bei § 91 ASG hinsichtlich des zulässigen Umfanges von Gehaltskürzungen hervor; vgl. im übrigen § 98 I Nr. 5 ASG, §§ 82 ff. Staatsbeamtengesetz, § 29 Körperschaftsbeamtengesetz uvam). Es gibt jedoch keine Norm, die dieses Recht konstituiert. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Betriebsordnungen die Disziplinarrechte SIlO In der Lehre unterscheidet man drei Hauptrichtungen: Die Vertragstheorie, die Rechtsnormtheorie (mit drei Spielarten: Betriebsführungsrechttheorie, SelbstvelWaltungstheorie und die mehr vermittelnde Schutzrechttheorie) und die Zweielementetheorie (vgl. hierru Shimoi, AR, S.274 ff.; Sugeno, AR, S. 91 ff.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 171 ff. SOl Ständige Rechtsprechung seit OGH vom 25. 12. 43, Minshu 22, 13, 3459 mit teilweiser scharfer Kritik aus der Literatur. Vermittelnd, aber dennoch kritisch Shimoi, AR, S. 281; Sugeno, AR, S. 93. Weitere Nw bei Nishitsni in Eubel, S. 345 (363 ff.). S02 Vgl. Shimoi, AR, S. 291 ff.; Sugeno, AR, S. 95 ff.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 178. Bsp. für unzulässige Änderungen: OGH vom 25.11. 58, Hanreijihö 1101,114; OGH vom 15. 7.58, Röhan 425,75. SOJ Yasueda/Nishimura, AR, S. 187 f.; Shimoi, AR, S. 298; Sugeno, AR, S. 299 ff. S04 Shimoi, AR, S. 298.

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des Arbeitgebers konstituieren oder nur deklaratorischen Charakter haben - im ersteren Falle wäre eine disziplinarische Maßnahme auch dann möglich, wenn sie nicht ausdrücklich in der Betriebsordnung vorgesehen ist, im zweiten Fall verböte sie sich. Die rechtliche Wurzel des Disziplinarrechts ist dieselbe, aus der das Recht zum Erlaß einer Betriebsordnung folgtsos . Die h.L. geht, vor allem konkretisiert hinsichtlich der disziplinarischen Kündigung, von der zweiten Alternative aus. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich, neigt aber zur ersten Alternative506. Im übrigen sind der Disziplinargewalt des Arbeitgebers Grenzen gesetzt durch das Angemessenheits- (Verhältnismäßigkeits-) prinzip, den Gleichbehandlungsgrundsatz, den Grundsatz der Verfahrensgerechtigkeit, das Rückwirkungsverbot (diese Aspekte werden von der Rechtsprechung im allgemeinen einheitlich unter dem Aspekt des Rechtsmißbrauchs erfaßtS07) und § 7

GwGsos.

2. KoUektivarbeitsrecht a) Geschichte und System

aa) Geschichte Die modeme Arbeiterbewegung, die sich auch in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit fortschreitender Industrialisierung allmählich zu formieren begann, wurde spätestens mit Beginn des verstärkten Militarismus mit Beginn der Shöwa-Periode unterdrückt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich in Japan Gewerkschaften unter besonderer Förderung der USA entwickeln. Bereits 1946 wurde ein Gewerkschaftsgesetz geschaffen, das allen Arbeitnehmern einschräokungslos Koalitions- und Arbeitskampfrechte einräumte. 1949 wurde es bereits umfassend geändert. Schon damals begann die Gesetzgebung, später begleitet von der Rechtsprechung, vor allem das Arbeitskampfrecht, ganz besonders im öffentlichen Dienst509 , einzuschräokenslO •

sos Vgl. GLK ASG/Yamamoto vor § 13 Arun. vm I; Shimoi, AR, S. 299; Sugeno, AR, S. 298 f., Yasueda/Nishimura, AR, S. 181 - vgl. auch die Ausführungen oben ee. Überzeugender aber die Herleitung bei Shimoi, AR, S. 301 f. aus dem Arbeitsvertrag: Das zivilrechtliche Vertragsrecht sehe de lege lata als Sanktion bei mangelhafter Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag nur Vertragskündigung und Schadensersatz vor (einen Zwang zur Erfüllung der Arbeitspflicht gibt es nicht). Bei einem leichteren Verstoß des Arbeitnehmers gegen vertragliche Pflichten wäre eine Kündigung Rechtsmißbrauch, so daß ein abgestuftes System von Sanktionen im höchsten Maße vernünftig ist (a maiore ad minus). S06 s. hierzu zuletzt OGH vom 8. 9. 58, Hanreijihö 1094, 121. S07 OGH vom 20. 12.52, Minshil31, 7,1225; Shimoi, AR, S. 311. Ausführlich: Sugeno, AR, S. 311 f. sos Shimoi, AR, S. 311 f. 509 s. zu diesem wohl bedeutendsten Problem im japanischen Kollektivarbeitsrecht auch Gould, S. 152 ff. (sehr ausführlich) sowie allgemein M. Scheer in Eubel, S. 85 (85 ff.). 10 Nenninger

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Insgesamt lassen sich sowohl starke amerikanischrechtliche Einflüsse (vor allem im System der unfairen Arbeitgebermaßnahmen) als auch starke deutschrechtliche Einflüsse (vor allem im Tarifvertragsrecht) erkennenslI . bb) System Mittelpunkt des kollektiven Arbeitsrechts Japans ist das Gewerkschaftsgesetz (GwG), das aber wie fast alle Gesetze des japanischen Kollektivarbeitsrechts unvollständig ist. Deshalb kommen der Auslegung durch die Rechtsprechung und namentlich durch die ArbeitsausschüsseS 12 ganz besondere Bedeutung zu. Von erheblicher Relevanz sind noch das Schlichtungsgesetz sowie eine Vielzahl von Bestimmungen in den verschiedenen Gesetzen für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, in denen die Anwendbarkeit des kollektiven Arbeitsrechts auf diese Bedienstete eingehend geregelt istS13. cc) Begriff der Gewerkschaft In § 2 GwG fmdet sich eine Legaldefinition des Begriffs "Gewerkschaft"sI4. Danach ist eine Gewerkschaft ein Verband unabhängig organisierter Arbeitnehmer mit dem Hauptzweck, die wirtschaftlichen Bedingungen der Arbeitnehmer zu verbessern. Dabei ist entscheidende Statusvoraussetzung die Unabhängigkeit der Gewerkschaft (es dürfen keine Arbeitgebervertreter Mitglied sein und die Gewerkschaft darf keine finanziellen Zuwendungen vom Arbeitgeber erhaltenSlS ). Weitere Voraussetzung für den Gewerkschaftsstatus ist eine demokratische Binnenstruktucs l6 • Die Entscheidung, ob eine Vereinigung diese Voraussetzungen erfüllt, trifft der Arbeitsausschuß (§ 20 GwG) und zwar immer dann, wenn eine Gewerkschaft Abhilfe wegen einer unfairen Arbeitgebermaßnahme begehrt. Das heißt also, daß das Ergebnis einer solchen Statusüberprüfung nicht für längere Zeit den Status einer Gewerkschaft sichert, sondern dieser jedesmal neu überprüft werden mußS!7. Allerdings erhält die Gewerkschaft, die die Statusüberprüfung erfolgreich durchlaufen hat, den Charakter einer juristischen Person 510 Zur Geschichte des Kollektivarbeitsrechts s. Sugeno, AR, S. 7 ff., Gould, S. 17 ff. Vgl. auch Yasueda/Nishimura, AR, S. 219 ff.; Röhl (Einflüsse), S. 48 f.; Ono, S. 4 ff.; Nishitani in Eubel, S. 345 (346 ff.). 511 Kataoka, AR (2), S. 272; Nishitani in Eubel, S. 345 (347). 512 Zu deren Doppelfunktion s. unten 2 c a.E. und ausführlich Sugeno, AR, S. 531 ff. sn Hierzu kurz und genau Shimoi, AR, S. 9 f. S14 Das japanische Kollektivarbeitsrecht geht wie selbstverständlich von der Existenz eines Betriebsgewerkschaftensystems aus und schneidet seine Regelungen darauf zu, ohne ein solches verbindlich vorzuschreiben. So auch Sugeno, AR, S. 360; N. Kataoka in ROdohogakkaishi 47, 12. 515 Für beide Grundsätze werden allerdings von der Rechtsprechung und auch in der Praxis zahlreiche Ausnahmen eingeräumt (vgl. GLK GwG/Honda § 7 Anm. V 3). 516 Hergeleitet aus § 5 ß, bes. Nr.3 und 9 GwG, vgl. z.B. K. Kubo, Arbeitsrecht, Kyoto 198715, S. 57 (zit. im folgenden: Kubo, AR); Ono, S. 25. 517 Yasueda/Nishimura, AR, S. 225; Kubo, AR, S. 58; Sugeno, AR, S. 370; GLK GwGI Alruzawa § 5 Anm. 3.1.

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(Rechtsfolge: § 12 GwG), der Wegfall der Statusvoraussetzungen führt nicht automatisch zur Auflösung dieser RechtspefSÖnlichkeit518 . Eine Gewerkschaft, bei der die Statusvoraussetzungen nicht vorliegen, ist weiterhin nicht tarifvertragsfähig (§ 14 GwG) und die §§ 1 11, 8 GwG finden auf ihre Streikhandlungen keine Anwendung)519. Das GwG enthält darüber hinaus praktisch keine Bestimmungen über die innere Struktur der Gewerkschaften520 . b) Spezielle Vereinigungsfreiheit

aa) Koalitionsfreiheit Wie bereits dargelegt schützt Art 28 IV zwar die positive Koalitionsfreiheit als qualifizierte Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer, nicht aber als Pendant die negative KoalitionsfreiheitS21. bb) Unfaire Arbeitgebermaßnahmen Kernstück des japanischen Kollektivarbeitsrechts ist § 7 GwG, der in Konkretisierung des Art 28 IV fünf Typen der Verletzung des Koalitionsrechts der Arbeitnehmer verbietet. Dabei stehen die einzelnen Verbote in Anspruchskonkurrenz zueinander522 • Man unterscheidet entsprechend der gesetzlichen Gliederung (1) Nachteilige Behandlungen (§ 7 Nr. 1 GwG)523; (2) Gelber-Rund-Vertrag (Nr. 1)524; (3) Ungerechtfertigte Ablehnung von Kollektivverhandlungen (Nr. 2)525; (4) Beherrschende Einmischung in gewerkschaftliche Angelegenheiten, finanzielle Unterstützung (Nr. 3)526; (5) Nachteilige Behandlungen in Zusammenhang mit Verfahren vor dem Arbeitsausschuß (Nr. 4). Am häufigsten sind unfaire Maßnahmen nach § 7 Nr. 1 GwG, am seltensten solche nach Nr. 4527. Die Voraussetzungen des § 7 Nr. 1 S. 1 GwG sind durchaus exemplarisch für die anderen Fallgruppen. Im einzelnen ist notwendig: (1) Nachteilige Be-

518 Kubo, AR, S. 61; GLK GwG/Akuzawa § 5 Anm. 3.2. 519 GLK GwG/Akuzawa ebd.; Kubo, AR, S. 59; Yasueda/Nishimura, AR, S. 225. 520 s. hierzu die Darstellungen bei Sugeno, AR, S. 371 ff., 381 ff.; Kubo, AR, S. 62 ff.;

Yasueda/Nishimura, AR, S. 226 ff.; T. Shirai, Die japanische Betriebsgewerkschaft, Bochum 1982, S. 23 ff. 521 s. hierzu oben A D 2 e. 522 LG Tökyö vom 27.05.60, Rörninshii 36, 3, 386; Sugeno, AR, S. 571 f.; Kubo, AR, S. 97; Yasueda/Nishimura, AR, S.305 f. 523 Zu den Voraussetzungen im einzelnen s. im folgenden. 524 Dies ist eine Beschäftigungsbedingung für Arbeitnehmer, die ihnen verbietet, übemaupt einer Gewerkschaft anzugehören oder ihre gewerkschaftlichen Aktivitäten einschrinkt. Vgl. hierzu Kubo, AR, S. 109; Yasueda/Nishimura, AR, S.307; Kataoka, AR (2), S. 332. 52S s. hierzu unten c. 526 Vgl. hierzu K. KonishilK. Sugeno, Arbeitsrechtskurs, Tökyö 58, S. 73 f.; GLK GwG/Nshitsni § 7 Arun. 5.3; Kubo, AR, S. 111 ff. mwNw zur Rspr. 527 Kubo, AR, S. 97, 102.

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handlung (im weitesten Sinne, auch Nachteile ideeller Art werden erfaßt)528; (2) Tatbestandliches Vorliegen eines der vier aufgezählten Fälle (Diskriminierung wegen Mitgliedschaft in oder Beitritt zu einer Gewerkschaft, Gründung einer Gewerkschaft oder Teilnahme an einer rechtmäßigen gewerkschaftlichen Aktivität); (3) Kausalität zwischen (1) und (2); (4) Strittig ist zwar, ob zusätzlich Vorsatz des Arbeitgebers oder Benachteiligungsabsicht Tatbestandsvoraussetzungen sind, doch ist dieser Streit in der Praxis gegenstandslos, weil auch nach den bejahenden Ansichten vom äußeren Erscheinungsbild der Handlung des Arbeitgebers auf den Vorsatz geschlossen werden kann529 ; (5) Die gewerkschaftliche Aktivität, die der Arbeitgeber sanktioniert, muß ihrerseits rechtmäßig gewesen sein53O , was vor allem bei politischen Aktivitäten sehr problematisch istm ; (6) Antragsgegner muß der Arbeitgeber sein532 (nicht ein Dritter, wobei der Arbeitgeberbegriff hier allerdings weit gefaßt istS33). Das System hat mehrere Schutzrichtungen. Zum einen ergibt sich bei einer Verletzung des § 7 GwG ein Abhilfeanspruch, der vor Gerichten oder besonderen Verwaltungsorganen durchgesetzt werden kann, wobei gegen deren Entscheidungen wiederum eine Verwaltungsklage vor den Gerichten möglich ist534. Insoweit besteht ein erheblicher öffentlichrechtlicher Einschlag535 • 528 Vgl. die vielfältigen Fallkonstellationen der Entscheidungen OGH vom 23. 04. 24, Keishfi 3, 5, 592; OLG Tökyö vom 28. 04. 34, Röminshfi 10, 2, 257; Arbeitsausschuß Kyöto vom 30. 10.47, Meireishfi 48, 62; Kubo, AR, S. 104 f.; GLK GwG/Nshitani § 7 Anm. 3.1, 2, 4, 6, 9 f.; Kataoka, AR (2), S. 327 ff.; Konishi/Sugeno, S. 72 f. 529 Hierzu Yasueda/Nishimura, AR, S. 305; Kubo, AR, S. 107; Sugeno, AR, S. 569 f.; GLK GwG/Nshitani § 7 Anm. 3.5; Konishi/Sugeno, S. 76 f. 530 Kataoka, AR (2), S. 325 f.; Kubo, AR, S. 98; Sugeno, AR, S. 568; GLK GwG/Nshitani § 7 Anm. 3.4. 531 Vgl. hierzu das Parallelproblern beim politischen Streik unten d bb. 532 Str.; vgl. z.B. GLK GwG/Honda § 5 Anm. 3.4 ro; Kubo, AR, S. 98; Sugeno, AR, S. 561 f. A.A. z.B. LG Tökyö vom 24. 12.33, Röminshß 9,6,984. 533 LG Tokushima vom 23. 07. 50, Röminshß 26, 4, 580; LG Tökyö vom 18. 12. 43, Röminshß 19, 6, 1544; Kubo, AR, S. 99. Tw kritisch OLG Tökyö vom 10. 08. 57, Röminshß 33, 4,737. 534 Zum System des Rechtsschutzes vor dem Arbeitsausschuß: Das Abhilfeverfahren ist in § 27 GwG geregelt. Es beginnt mit einem fristgebundenen Antrag, wobei das Verfahren nicht besonders formenstreng geregelt, sondern auf maximale EffIZienz und Verfahrensbeschleunigung (z.B. mündliche Vernandlung innernalb von 30 Tagen) zugeschnitten ist. In erster Instanz ist grundsätzlich der (präfekturale) Arbeitsausschuß zuständig, der im Interesse des effektiven Rechtsschutzes weitgehende Ermessens- und Gestaltungsbefugnisse hat (OGH vom 23. 04. 60 und vom 23. 02. 52; Kubo, AR, S. 126; Sugeno, AR, S. 593 ff., bes. 603); Konishi/Sugeno, S. 87 ff.; K. Hagizawa in Muköyama u.a., S. 233 (240 f.). Gegen seine Entscheidung kann Verwaltungsldage (gegen den Arbeitsausschuß) ernoben werden oder Antrag auf Entscheidung durch den zentralen Arbeitsausschuß (in diesem Falle wird eine etwaige vorner ernobene Verwaltungsldage unzulässig; OLG Nagoya, Zweigstelle Kanazawa vom 16.01. 51, RöminahQ 27, I, 1; Sugeno, AR, S. 613; Kubo, AR, S. 120; GLK GwG/Yamamoto § 27 Anm. 10; Kataoka, AR (2), S. 354. Der Abhilfebefehl des Arbeitsausschusses zielt auf Wiedernerstellung des urspriinglichen Zustands angemessener Arbeitsbeziehungen (also keine Verpflichtung zu Schadensersatz o.ä. möglich); er hat im übrigen keine privatrechtsgestaltende Wirkung, so daß er den Arbeitgeber nur verpflichtet, ihn auszuführen - verstößt der Arbeitgeber gegen diese Verpflichtung, macht er

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Daneben kann sich der Arbeitgeber, der gegen § 7 GwG verstößt, u. U. auch nach den Regeln der unerlaubten Handlung (§ 709 BGB) schadensersatzpflichtig machens36 • Diese Rechtsfolge kann allerdings nur von Gerichten ausgesprochen werdens3? c) Verhandlungen ~hen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aa) Verhandlungen Grundkonzept des Art 28 JV und des GwG ist die Auffassung, daß Verhandlungen das geeignetste Mittel sind, um Konflikte im Rahmen der Arbeitsbeziehungen zu beseitigen und gleichzeitig im Rahmen dieses Prozesses die Gewerkschaften zu stärkens3S • Dabei versteht man unter Verhandlungen in diesem Sinne gegenseitige Konsultationen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit dem Ziel, einen Tarifvertrag abzuschließen oder zu änderns39 •

In der Praxis treten hierbei große Probleme auf. In Japan sind firmeninterne Beschwerde- und Konsultationssysteme sehr verbreitetS40 ; diese werden dann häufig mit den eigentlichen Kollektivverhandlungen vermischt, .. sei es auf Grund personeller Identität der Beteiligten oder !uf Grund der Ubung, daß grundsätzlich Konsens angestrebt wird und der Ubergang zum Verhandeln häufig fließend ist541. Eine genaue Abgrenzung ist gerade auch deshalb so schwierig, weil die japanische Gesellschaft eine Statusgesellschaft und keine sich gemäß §§ 28, 32 GwG stratbar (GLK GwG/Yarnamoto § 27 Anm. 7; Sugeno, AR, S. 558; Gould, S. 66). § 27 vm GwG sieht auch ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor. Vgl. hierzu Sugeno, AR, S. 614 ff.; GLK GwG/Yamamoto § 27 Anm. 11; Gould, S. 86 ff.; Hagizawa in Muköyama u.a., S. 233 (251 ff.) Daneben ist jederzeit Zivillclage möglich (Konishi/Sugeno, S. 91; GLK GwG/Yarnamoto § 27 Anm. 12; Kubo, AR, S. 115; Sugeno, AR, S. 622 f.; Nishitani in Eubel, S. 345 (354); Hagizawa in Muköyama u.a., S. 233 (240». Vgl. im einzelnen die Darstellungen bei Konishi/Sugeno, S. 87 ff.; Kubo, AR, S. 115 ff.; Gould, S. 49 ff. (mit Statistiken); Nishitani in Eubel, S. 345 (354); Hagizawa in Muköyarna u.a., S. 233 (236 ff.). S3S Kubo, AR, S. 94; Hagizawa in Muköyarna u.a., S. 233 (241). S36 Wobei allerdings die Voraussetzungen beider Nonnen unterschiedlich sind, so daß bei Einschlägigkeit der einen Vorschrift die andere nicht zwangsläufig anwendbar sein muß (Kubo, AR, S. 96). S3? Kubo/Shimoi, S. 296; Kubo, AR, S. 126; Hagizawa in Muköyarna u.a., S. 233 (241). S3S Kubo, AR, S. 133; S. Momiyarna, Das Streikrecht in Muköyarna u.a., S. 93 (93). S39 Kubo, AR, S. 135; Sugeno, AR, S. 408. Etwas weitergehend Yasueda/Nishimura, AR, S.238. S40 s. hierzu K. Kubo, Betriebsausschuß, in T. IshiilK. Asai, Arbeitsrecht (4), Tökyö 34, S. 123 (123 ff.); ders., Das Verfahren bei Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Tökyö 41; M. Mitsuoka, Forschungen über das Mitbestinunungsrecht, Tokyo 1988, S. 67 ff.; S. 1. Park, Mitbestinunung in Iapan, Frankfurt aM usw. 1982, S. 12 f., 72 ff. 541 Yasueda/Nishimura, AR, S. 244; Kubo, AR, S. 134, 158 ff. Ein Arbeitgeber kann jedenfalls eine Gewerkschaft, die Kollektivverhandlungen fordert, nicht zuerst auf Durchlauf des firmeninternen BeschwerdelKonsultationsverfahrens verweisen (OLG Tokyö vom 07. 10. 57, Rödöhanrci 406, 69; Kubo, AR, S. 160).

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Vertragsgesellschaft ist542 und daher Arbeitsverhältnisse nicht als Vertragsbeziehungen über den Ankauf von Arbeitskraft, sondern als statushedingte Abhängigkeitsverhältnisse immer noch im Bewußtsein der Japaner verankert sind543. Kollektivverhandlungen im Rahmen von japanischen Betriebsgemeinschaften entsprechen deshalb nicht dem Konzept westlicher Gegenstücke, sondern werden eher als nur zeitweilig auftretende Konflikte zwischen den Gliedern einer miteinander verbundenen Gemeinschaft verstanden. Demgegenüber setzen Verhandlungen Konfliktbereitschaft voraus, die in japanischen Betrieben nicht häufig gegeben sein dürfte, so daß Verhandlungen (im westlichen Sinne) erst ganz allmählich von japanischen Arbeitnehmern als Konfliktlösungsstrategie eingesetzt werdenS44 • Es überrascht deshalb nicht, wenn Klagen nach § 7 Nr. 2 GwG meistens durch Vergleich erledigt werden545 .

In Japan finden die Verhandlungen grundsätzlich auf Betriebsebene statt. Allerdings haben sich seit Beginn der 30er Jahre Parallelverhandlungen innerhalb einer Branche zur jeweils gleichen Zeit ("Shuntö" - "Frühjahrsoffensive") durchgesetzt und die Schlagkraft der Gewerkschaften auch erheblich erhöht. Allerdings hat diese Taktik seit einigen Jahren allmählich wieder an Kraft einzubüßen begonnen546 • § 7 Nr. 2 GwG vetpflichtet nun den Arbeitgeber, (1) mit den Gewerkschaften547 (2) ernsthaft (3) zu verhandeln, wenn diese es (4) in rechtmäßiger Weise fordern und (5) der Arbeitgeber keinen vernünftigen Grund hat, die Verhandlungen abzulehnen548. Kommt der Arbeitgeber dieser Vctpflichtung nicht nach, dann kann die Gewerkschaft Schadensersatz bzw. eine Ausgleichssumme fordern549 . Die h.M. lehnt es dagegen ab, aus Art 28 JV oder § 7 Nr. 2 GwG ein einklagbares Recht des Arbeitnehmers auf Durchführung von Verhandlungen abzuleiten5so .

542 s. hielZU unten § 6 All und B m. 543 Shirai, S. 117. S44

Shirai, S. 118 f.; Kubo in Ishii/Asai, S. 123 (127 f.).

546

Kubo, AR, S. 135.

545 Kubo, AR, S. 133.

547 Wichtiges Rechtsproblem ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob auch mit Vertretern

der Gewerkschaftszusammenschlüsse verhandelt werden muß. Vgl. hielZU Sugeno, AR, S. 415 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 309; Gould, S. 117 ff. 548 Zu den Voraussetzungen des § 7 Nr. 2 GwG vgl. GLK GwG/Honda § 6 Anm. 4; Kubo (Verfahren), S. 142 ff.; Ono, S. 18 ff. 549 LG Fulrui vom 26.06. 40, Röminshil 16,3, 555; LG Ksnazawa vom 18. 10.51, Hanreijihö 845, 121; Kubo, AR, S. 142; GLK GwGlKubo § 6 Anm. 3.2; Sugeno, AR, S. 432; Yasueda/Nishimura, AR, S. 249. 5SO OLG Tökyö vom 25. 09. 50, Röminshil 26, 5, 723; LG Nagoya vom 02. 07. 42, Röminshil 19, 4, 811; Kubo, AR, S. 143; Sugeno, AR, S. 431; GLK GwGlKubo § 6 Anm. 3.2. A.A. LG Tökyö vom 29.08. 43, Röminshil 19, 4, 1082; LG Nagano, vom 12. 02. 45, Hanrcijihö 589,77.

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bb) Tarifvertrag Imjapanischen Tarifvertragsrecht (§§ 14 ff. GwG) ist der deutschrechtliche Einfluß besonders ausgeprägt551 , so daß nur kurz auf die wichtigsten Unterschiede zum deutschen System eingegangen werden soll. Diese Unterschiede beruhen meist darauf, daß in Japan Tarifverträge grundsätzlich auf Betriebsebene abgeschlossen werden552 . Ihr Schwerpunkt liegt ganz auf dem schuldrechtlichen Teil, meist wird dabei die Gewerkschaftsaktivität in den Mittelpunkt der Regelungen gestelltm. Wenn es überhaupt normative Bestimmungen gibt, die die Arbeitsbedingungen regeln, dann sind diese meist reichlich abstrakt, weil nicht nach einzelnen Berufsgruppen differenziert wird, sondern der Vertrag für alle Gewerkschaftsmitglieder des Unternehmens mit ihrer Zugehörigkeit zu häufig sehr unterschiedlichen Berufsgruppen gelten muß5S4,m. Im übrigen gilt das GÜßstigkeitsprinzip nicht: Wenn eine normative Bestimmung eines Tarifvertrags hinreichend konkretisiert ist, ist sie auch in jedem Fall zwingend5S6 . Auf Grund des Betriebsgewerkschaftssystems sind auch die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten für Erweiterungen des Anwendungsbereichs der Tarifverträge (§§ 17 f GwG) in der Praxis so gut wie bedeutungslosm . d) Arbeitskampf

aa) Begriff

Nach der Legaldefinition in § 7 Schlichtungsgesetz (SchG) sind Arbeitskampfmaßnahmen alle Kampfmaßnahmen zwischen Beteiligten von Arbeitsbeziehungen, die darauf abzielen, daß das Direktionsrecht des Arbeitgebers planmäßig aufgehoben und sein Geschäftsbetrieb behindert wird. Nach ganz h.M. ist darüber hinaus noch ein kollektives Element erforderlich, d.h. die Arbeitsverweigerung einer Einzelperson allein stellt keine Arbeitskampfmaßnahme dar, vielmehr ist ein gemeinsamer Willensentschluß und eine gemeinsame Durchführung durch Mehrere erforderlich5S8. SS1 Kubo in Ishii/Asai, S. 123 (125, 129); ders. (Verfahren), S. III ff.; Mitsuoka, S. 65 f.; Park, S. 39, 81 f. 552 Kataoka, AR (2), S. 270; Kubo, AR, S. 165; Sugeno, AR, S. 437; Yasueda/Nishimura, AR, S. 245; Momiyama in Muköyama u.a., S. 93 (95, mit Statistik S. 100 f.); Nishitani in Bubel, S. 345 (353). 553 Yasueda/Nishimura ebd.; Kubo, AR, S. 165; Sugeno, AR, S. 438. 5S4 Kubo ebd.; Sugeno ebd. 555 Deshalb handeln Betriebsgewerkschaften idR auch nur einen Gesamtbetrag aus, den das Unternehmen für alle Arbeitnehmer des Betriebs (insgesamt) für eine Gehaltserhöhung verwenden muß, vgl. hierzu genauer unten § 5 A IV 2, 3. 5S6 Sugeno, AR, S. 448; Yasueda/Nishimura, AR, S. 253; Nishitani in Bubei, S. 345 (353). 557 Ausführlich Kubo, AR, S. 190 ff. mit Zahlen zur Häufigkeit der Anwendung dieser Vorschriften auf S. 191. Zustimmend Sugeno, AR, S. 463; Ono, S. 48, 93. 5S8 OGH vom 22. 10. 27, Minshu 6, 9, 857 und vom 28. 05. 33, Keishtl 12, 8, 1694; OLG Fukuoka vom 18. 12. 49, Rodöhanrei 216, 40; Kubo, AR, S. 200; GLK GwG/Akuzawa, § 7 SchG Arun. 2.

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bb) Streik Wichtigste Konkretisierung des Art 28 JV im Bereich des Streikrechts sind die §§ 111, 8 GwG, die bestimmen, daß wegen der aus rechtmäßigen Streikhandlungen entstandenen Schäden keine zivil- oder strafrechtliche Haftung entsteht; ergänzend kommt der bereits erwähnte § 7 Nr. 1 GwG hinzu. Die beiden Vorschriften des GwG haben dabei tatbestandsausschließende Wirkung559 • Problematisch ist hierbei vor allem die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Streikhandlungen. Gewalt indiziert die Rechtswidrigkeit5fJO • Politische Streiks sind nur dann rechtswidrig, wenn die dabei erhobenen Forderungen keinen Zusammenhang mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen haben561 • Bummelstreiks sind grundsätzlich rechtmäßig562• Allerdings gilt der Streik nicht wie in Deutschland als ultima rati0563. In der Praxis wird das Problem des Rechtswidrigkeitsurteils dadurch entschärft, daß die Rechtmäßigkeit von Streiks in weitem Umfang eingeräumt wirdS64 und auch bei einem rechtswidrigen Streik Schadensersatzforderungen sehr selten geltend gemacht werden565 • cc) Aussperrung Nach h.M. ist die Aussperrung in Japan grundsätzlich zulässig566 , allerdings nicht in Art 28 JV verfassungsrechtlich abgesichert567, ihre dogmatische Herleitung ist äußerst umstritten568 • Zugelassen ist die Aussperrung nur als suspendierende569, wenn sie für die Arbeitgeber unentbehrlich ist, um das

559 LG Yokohama vom 17. 12. 45, Reigetsu 2, 12, 1340, Kubo, AR, S. 209; Yasueda/Nishimura, AR, S. 264 (h.M.). A.A. (Rechtswidrigkeit ausgeschlossen) wohl Sugeno, AR, S. 475. 5fJO OGH vom 11. 12.31, Keishil 10, 12, 1605. Yasueda/Nishimura, AR, S. 270; Kubo, AR, S. 209; Sugeno, AR, S. 490. Die Beurteilung sei abhängig von der Definition des Begriffs "Gewalt" (die nicht zu weit gehen dürfe): GLK GwGlTakeshita § 1 Anm. 3.5. 561 OLG Nagoya vom 10.04.46, Röminshil 22, 2, 453; LG Niigata vom 26. 10.39, Keishil 6, 9/10, 1048. Kubo, AR, S. 214 f.; OGH vom 25. 04. 48, Keishil 27,4,547; Sugeno, AR, S. 464 C.; GLK GwGIT. SalO § 1 Anm. 3.2.1; YasuedalNishimura, AR, S. 267. Weitgehende Zulässigkeit befürwortet offenbar Ono, S. 53. 562 LG Yamaguchi vom 13. 10. 30, Röminshil 6, 6, 916. Kubo, AR, S. 216; GLK GwGIT. SalO § 1 Anm. 3.1.; Sugeno, AR, S. 489. 563 Yasueda/Nishimura, AR, S. 271. S64 Kubo, AR, S. 213. 565 Kubo, AR, S. 211; Ono, S. 87. 566 OGH vom 25. 04. 50, Minshil 29, 4, 48; OLG Tökyö vom 30. 01. 36, Röminshil 19, 2, 351. Yasueda/Nishimura, AR, S. 279; Kubo, AR, S. 239 f.; Konishi/Sugeno, S. 261 Cf.; Sugeno, AR, S. 523; Ono, S. 58. 567 Yasueda/Nishimura ebd.; Nishitani in Eubel, S. 345 (357); Ono, S. 58; wohl auch OGH ebd. 568 Problemdarstellungen bei Kubo, AR, S. 240 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 279 C. 569 Kubo, AR, S. 239; Sugeno, AR, S. 522; Ono, S. 58 - auch hier sieht man wieder die Rückkoppelung mit dem System der lebenslangen Beschäftigung; eine lösende Aussperrung hätte zu schwerwiegende Nachteile für die Arbeitnehmer.

§ 4 Rechtswissenschaftlicl.er Ansatz

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Gleichgewicht der Arbeitnehmer im Arbeitskampf zu erhaltenS~.S71. Eine unzulässige Aussperrung wird häufig den Tatbestand des § 7 Nr. 3 GwG erfüllens72 • Da in Japan die Streikenden und auch die Arbeitnehmer, die wegen der Streikfolgen nicht arbeiten können, obwohl sie arbeiten wollen, keinen Lohnanspruch haben, hat die Aussperrung neben dem psychologischen Druck hauptsächlich die Funktion, streikende Arbeitnehmer vom Betrieb fernzuhaltenS73 • Die Befreiung des Arbeitgebers vom Annahmeverzug wegen Verweigerung der Annahme der Arbeitsleistung hat meist nur geringe praktische Bedeutung. dd) Schlichtung Das SchlichtungsgesetzS74 enthält ein abgestuftes System von vier Arten der Schlichtung bei Arbeitskämpfen. Insofern hat der Arbeitsausschuß Schlichtungsbefugnisse, die einen gewissen Eingriff in das System der Tarifautonomie bedeuten57S • Man unterscheidet: (1) Vermittlung (§§ 10 ff. SchG): Der Arbeitsausschuß unterbreitet auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen einen unverbindlichen Vorschlag zur Kompromißbindung, doch ist die Einigungsrate auf der Basis eines solchen Vorschlags so hoch, daß de facto kein Unterschied mehr zur Schlichtung besteht576.

(2) AusgleichS77 (§§ 17 ff. SchG): Ein Ausgleich beruht auf dem nichtbindenden Vorschlag einer Schlichtungskommission. (3) Schlichtung im eigentlichen Sinne (§§ 29 ff. SchG): Im Rahmen der Schlichtung entscheiden auf Antrag der Parteien die neutralen Mitglieder des

5~ OGH vom 25.04.50, Hanreijihö 777, 15 und vom 28.02.52, Hanreijihö 850, 97. Sugeno, AR, S. 525; Konishi/Sugeno, S. 262 f.; vgl. auch LG Köbe vom 26. 12. 34, Röminshil 10,6, 1152. I 571 Es entscheiden also Vemältnismäßigkeitserwägungen, so daß eine Angriffsaussperrung jedenfalls nicht grundsätzlich rechtswidrig sein muß, str.: OGH vom 25. 04. 50, Minshil 29, 4, 48. Kubo, AR, S. 241 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 281. A.A. LG Saga vom 30. 05. 25, Röminshii 1,3,341; Ono, S. 60; wohl auch Sugeno ebd. 572 GLK GwGlHonda § 7 Anm. 5.2; Nishitani in Eubel, S. 345 (357). 573 Kubo/Shimoi, S. 265; Kubo, AR, S. 240. Vgl. Sugeno, AR, S. 525 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 282, 285 ff.; Ono, S. 58. 574 Zusanunenfassende Ausführungen z.B. bei Sugeno, AR, S. 541 ff.; Kubo, AR, S. 250 ff.; Nishitani in Eubel, S. 345 (357); Ono, S. 71 ff.; Hagizawa in Muköyama u.a., S. 233 (238); Gould, S. 45 ff. mit Statistiken. 575 Allerdings ist gemäß § 19 I GwG in Fällen der Schlichtung der Ausschuß mit Vertretern von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Vertretern der Verwaltung besetzt, während bei Wahrnehmung der rechtsprechenden Funktionen die Interessenvertreter nur Teilnahmerechte, aber keine Entscheidungsrechte haben (§ 24 GwG). 576 Kubo, AR, S. 253. 577 Nishitani übersetzt mit "Schlichtung im engeren Sinne"; wiederum anders Hagizawa in Muköyama u.a., S. 233 (238).

128

Teil 2: Rechts- und kulturvergleichende Dimension: Japan

Arbeitsausschusses durch Schiedsspruch, der die Parteien als Tarifvertrag bindet. (4) Notschlichtung (§ 35 SchG): Notschlichtung ist eine Schlichtung von Amts wegen durch bindende Entscheidung des Ministerpräsidenten; sie ist bisher erst einmal erfolgt578 • 3. Sonstige Rechtsgebiete des Arbeitsrechts

Im übrigen können dem Arbeitsrecht in Japan noch das Recht des öffentlichen DienstesS79 , das Recht der Arbeitsverwaltung im weitesten Sinne (einschließlich Arbeitslosenversicherung, Berufsausbildung und Beschäftigungsförderung im weiteren Sinne) zugerechnet werden; die Abgrenzung zu einigen Gebieten des Sozialrechts ist nicht immer scharfSIlO.

11. Ausstrahlungswirkung

d~

Art 27 I JV

Die konkrete Anwendung des Art 27 I JV in der japanischen Rechtswirklichkeit ist im wesentlichen auf eine öffentlichrechtlich-politische Seite beschränkt581. Im Arbeitsrecht finden sich mit Ausnahme des Kündigungsschutzes nur Spuren von Rechtswirkungen. 1. Einstellung

In Japan erfolgt die Einstellung eines Arbeitnehmers gewöhnlich in drei Stufen: Naitei (Anwerbung und Rekrutierung des Kandidaten, während sich dieser noch in Ausbildung befindet), Aufnahme in das Probearbeitsverhältnis und Übernahme in ein festes AnstellungsverhältniSS82. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber bei der Entscheidung, ob er Arbeitnehmer einstellt, keinerlei Bindungen unterworfenS83 • Dies gilt auch für die Entscheidung, wen er unter den Bewerbern für eine von ihm zur Verfügung gestellte Stelle auswähltS84.S8S. Kubo, AR, S. 254. Wichtigstes Problem ist in diesem Zusammenhang das Streikrecht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes. S. hierzu die Nw bei Gould, S. 152 ff. SIlO s. hierzu die Hinweise unten n 7. 581 s. hierzu oben A m 2 c bb. S82 s. zu der tatsächlichen Ausprägung und zu den Gründen dieses Systems § 5 A n 3 a, zu den rechtlichen Problemen der Probezeit und der endgültigen Übernahme oben I I b aa. 583 OGH vom 12. 12. 48, Minshu 27, 11, 1536; Yasueda/Nishimura, AR, S. 67; Sugeno, AR, S. 99 f.; Nishimura u.a., S. 63. S84 Yasueda/Nishimura ebd.; Sugeno, AR, S. 100 f. VgJ. insbesondere die Argumentation bei Nishimura u.a., S. 74: Die Kandidatenauswahl muß wegen des Systems der lebenslangen Beschäftigung und der daraus resultierenden Bedeutung einer Einstellungsentscheidung frei sein, sonst setze sich Art 27 I N ZU sich selbst in Widerspruch. 585 Aus dem Verbot der Diskriminierung von Frauen, wie es das eGG regelt, lassen sich ebenfalls keine einklagbaren Verpflichtungen auf Einstellung herleiten; s. hierzu oben B I I a dd. 578

579

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

129

Nach h.M. wird bereits mit der Naiteivereinbarung ein Arbeitsvertrag abgeschlossen586 • Strittig ist, inwieweit bereits zu diesem Zeitpunkt die Regeln des Arbeitsrechts und insbesondere die Betriebsordnung auf diesen Arbeitsvertrag Anwendung finden587 . Einigkeit besteht dagegen weitgehend über den Widerruf der Naitei-Vereinbarung. Der Bewerber kann die Vereinbarung jederzeit widerrufen (§ 627 BGB), solange dies nicht einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Treuepflichten darstellt (dann kann der Tatbestand einer Unerlaubten Handlung erfüllt sein).588. Der Arbeitgeber kann sich von der Naiteivereinbarung grundsätzlich nur unter denselben Voraussetzungen lösen, unter denen die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses zulässig wäre589, allerdings gilt auch hier - ganz ähnlich wie während der Probezeit - ein besonderer Vertragsauflösungsvorbehalt als vereinbart, dessen Ausübung aber nur auf Grund eines nach der allgemeinen Verkehrsauffassung objektiv angemessenen Grundes erfolgen darf590 , wobei dieser Grund dem Arbeitgeber nicht schon zum Zeitpunkt des Schlusses der Naiteivereinbarung bekannt gewesen sein darf591. Insgesamt ist der Ermessensspielraum des Arbeitgebers größer als bei der Kündigung eines Mitglieds der Stammbelegschaft. Es ist wohl eine Art besonderer Kündigungsgrund der mangelnden Eignung zur Zugehörigkeit zur Stammbelegschaft anzuerkennen592 , vor allen Dingen, wenn der Kandidat nicht planmäßig die Ausbildung beenden kann oder die erzielten Ergebnisse weit unter den erwarteten liegen. Der Widerruf kann aber auch auf Grund zwischenzeitlich eingetretener wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Arbeitgebers erfolgen593 • Im Falle eines ungerechtfertigten Widerrufs des Naitei muß nach ganz h. M. der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufnehmen, es besteht also nicht nur ein Schadensersatzanspruch594 . Die dogmatische Begründung für diese Rechts586 OGH vom 20. 07.54, Minshil 33, 5, 582; so auch die Mehrzahl der untergerichtlichen Entscheidungen (z.B. LG Tökyö vom 30. 11. 45, Röminshil 21,6, 1550) und auch Shimoi, AR, S. 86; Hagizawa, S. 13; Nishimura u.a., S. 70 f. 587 Der OGH im Mitsubishijushi-Fall (12. 12. 48, Minshil 27, 11, 1536) bejaht die Anwendung verschiedener Einzelregelungen, während die Gegenansicht davon ausgeht, daß der Bewem er zwar den Status eines Mitglieds der Stammbelegschaft erwimt, aber Pflichten und Rechte aus dem Arbeitsvertrag noch nicht entstehen und auch das Arbeitsrecht mit Ausnahme des Kündigungsrechts nicht zur Anwendung kommt (Shimoi, AR, S. 90 f.; Asai, gegenwärtige Aufgaben, S. 54 ff.; Nishimura u.a., S. 72 ff.). Übersicht bei Sugeno, AR, S. 107 ff. .588 Shimoi, AR, S. 91. 589 LG Osaka vom 10.07.51, Röminshil27, 3/4, 313 und vom 16. 08. 48, Hanreijihö 643, 9; LG Tökyö vom 30.11. 45, Röminshil21, 6,1550; Shimoi, AR, S. 89 ff.; Nishimura u.a., S. 74; Asai, gegenwärtige Aufgaben, S. 57 f.Kritisch Hagizawa, S. 14. S90 LG Yokoharna vom 19. 06. 49, Hanreijihö 744, 29; Shimoi, AR, S. 85; Sugeno, AR, S. 110 f.; Nishimura u.a. ebd.; Asai, gegenwärtige Aufgaben, S. 64 ff.; Shimizu, S. 53; ganz h.M. 591 OGH vom 20. 07. 54, Minshil 33, 5, 582. Shimoi, AR, S. 85 f., FN 1; Shimizu ebd.; Nishimura u.a., S. 79; Asai, gegenwärtige Aufgaben, S. 65 mit Beispielen "legitimer Grunde". 592 LG Osaka vom 10. 07. 51, RöminshU 27, 3/4, 313. Shimoi, AR, S. 89. Vgl. auch Yasueda/Nishimura, AR, S. 68 f.; Nishimura u.a., S. 72 f. 593 Shimoi, AR, S. 89; Nishimura u.a., S. 76 f.; Yasueda/Nishimura, AR, S. 69; sehr str. 594 Ständige Rechtsprechung und h.L., z.B. OLG Tökyö vom 31. 03. 47, Röminshil 23, 2, 149; LG Tökyö vom 30. 11. 45, Röminshil 21, 6, 1550. Hagizawa, S. 13 ff.; Shimoi, AR, S.

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folge ist meistens sehr unbefriedigend. Es liegt aber auf der Hand, daß sich auch hier ein Anwendungsbereich des Rechts auf Arbeit über eine mittelbare Drittwirkung entfaltet. Soweit ersichtlich wurde dies aber bisher noch nicht herausgearbeitet. Die Freiheit des Arbeitgebers bei der Kandidatenauswahl wird durch das japanische Arbeitsrecht grundsätzlich nicht eingeschränkt. Entscheidend ist hier besonders, daß nach h. M. § 3 ASG keine Anwendung auf die Einstellung findet595. Auch § 11 CGG hat nur Appellcharakter. Mittelbare Zwangswirkung haben §§ 14 1,26 des Gesetzes zur Förderung der Beschäftigung von Körperbehinderten, die Mindestquoten von Körperbehinderten, die ein Arbeitgeber beschäftigen muß (1,5 % der Arbeitnehmer), festlegen und die Mißachtung der Quoten mit Geldbuße belegen. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 10 11 des Gesetzes zur Förderung der Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern. Diese Vorschriften kann man als Beispiel für eine einfachgesetzliche Konkretisierung des Art 27 I JV anführen. Daneben verbietet § 56 I ASG die Beschäftigung von Arbeitnehmern unter einem gewissen Mindestalter. Es gibt auch einzelne Stimmen, die eine gewisse Rechtswirkung des Rechts auf Arbeit bei der Kandidatenauswahl selbst zu begründen versuchens96 • 2. Kündigung a) Überblick

Gesetzliche Bestimmungen, die die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers einschränken, gibt es in Japan kaum. Die Grundregeln ergeben sich aus §§ 627 f. BGB (bei Arbeitsverhältnissen von unbegrenzter Dauer ist die Kündigung jederzeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen möglich, bei Arbeitsverträgen von bestimmter Dauer nur aus wichtigem GrundS97). Daneben sind noch folgende gesetzliche Bestimmungen zu nennen (die sämtlich dem Arbeitnehmer nur einen recht geringen Schutz vor Kündigung geben): §§ 19, 21, 104 ASG (indirekt auch das Diskriminierungsverbot des § 3 ASG), § 7 Nr. 1,4 GwG, § 11 CGG und entsprechende Regelungen (z.B. abschließende Aufzählungen von Kündigungsgründen598 oder Verfahrensvorschriften599) in Tarifverträgen (mit der Folge, daß eine gegen diese Regelung verstoßende

87. Nach OGH vom 04. 06. 56, Röhan 367,57 und vom 27.05.57, MinshQ 36,5,777 besteht der Übemahmeanspruch aber nicht im öffentlichen Dienst, ebenso Sotoo, S. 140. 595 s. hierzu I 1 a dd. 596 Am offensivsten Numata in Rödöhöritsujunpö 905, 9. Angedeutet auch bei Kinoshita/Ogawa, S. 55 und Sotoo, S. 30 ff. Ausdrücklich ablehnend z.B. Ono, S. 9; Taguchi in Hanreijihö 724, 11. 597 s. sogleich unten b. 598 Shimoi (ASG), FN I auf S. 130; Gould, S. 106. S. sogleich unten bei "diaziplinarischer Kündigung". 599 Nozawa, S. 209; Kubo in Ishii/Asai, S. 123 (139); GLK ASG/Yamamolo vor § 13, Anm.

7,4.

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

131

Kündigung gegen § 16 GwG verstößt); § 21 Beschäftigungspolitikgesetz sieht eine Anzeigepflicht bei Massenentlassungen vor. Die h.L., nach der eine Kündigung nur wirksam ist, wenn ein angemessener Grund für sie besteht und die Rechtsprechung, die unter Berufung auf § 1 III BGB die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers mit dem Institut des Rechtsmißbrauchs einschränkt, sind reine Rechtsfortbildung. Diese Theorie des Rechtsmißbrauchs hatte sich bei den Untergerichten bis zu den vierziger Jahren durchgesetzt und wurde vom OGH im Urteil vom 25. 04. 50 bestätigt600 • Nur für Beamte ist wegen ihrer besonderen Statusgarantien ausdrücklich gesetzlich geregelt, daß sie diesen Status nur auf Grund ausdrücklich gesetzlich bestimmter Gründe verlieren dürfen (§§ 57 I, 90 I Staatsbeamtengesetz, §§ 27 11, 4911 Gebietskörperschaftsbeamtengesetz usw.). b) Rechtsmißbrauch und vernünftiger Grund Im japanischen Recht kann man im Grunde genommen zwischen drei Arten der Kündigung unterscheiden: Kündigung aus disziplinarischen Gründen, Kündigung aus wichtigem Grund und ordentliche Kündigung. Hierbei ist mit Kündigung aus disziplinarischen Gründen eine solche gemeint, bei der einer der Kündigungstatbestände der Betriebsordnung601 oder eines Tarifvertrags erfüllt ist (diese Regelungen können den Umfang der gewöhnlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Gründe durchaus erweitern). Die Kündigung aus wichtigem Grund (vgl. §§ 628 BGB, 19 I 2 Alt. 2, 20 I 3 ASG) ist möglich, wenn ein wichtiger Grund im Sinne des Gesetzes vorliegt, wobei keine Deckungsgleichheit mit den Gründen für disziplinarische Kündigungen besteht602 • Eine Kündigung aus disziplinarischen Gründen ist unter folgenden Voraussetzungen möglich: (1) In der Arbeitsordnung/im Tarifvertrag müssen die Gründe für eine disziplinarische Entlassung im einzelnen aufgeführt und die Voraussetzungen dieser Klausel im konkreten Fall erfüllt sein. Nach h.M. ist dabei der Katalog der Betriebsordnung/des Tarifvertrags abschließend603. Strittig ist aber, ob dieses Enumerationsprinzip umgangen werden kann, indem man eine Generalklausei (z.B. "und ähnliche Gründe") in den Text aufnimmt. Die Rechtsprechung bejaht dies wohl, solange in der Betriebsordnung die Maßstäbe und Entstehungsvoraussetzungen dieser "vergleichbaren Gründe" deutlich offengelegt sind, ist aber insgesamt uneinheitlich604 • (2) Wenn ein bestimmtes Verfahren vorgeschrieben ist, muß es ordnungsge-

600 Das Urteil des OGH vom 31. 01. 52, Minshl1 29, 4, 456 stellt auch Regelungen in den Betriebsordnungen unter diese Beschränkung. 601 Beispiele bei Shimoi, AR, S. 304 und FN I auf S. 305 (dort konkretes Beispiel einer Klausel in einer Betriebsordnung). S. auch GLK ASG/Yamamoto vor § 13, Anm. 8,3. 602 Shimoi, ASG, S. 59; Kubo/Shimoi, S. 84; Sugeno, AR, S. 302. 603 Sugeno, AR, S. 299, 302; Nozawa, S. 210; GLK ASG/Yamamoto ebd. 604 So OGH vom 08.09. 58, Hanreijihö 1094, 121. Strenger z.B. die vom OLG Tökyö am 29.05. 61, Röminshl1 37, 2/3, 257. angelegten Maßstäbe (zustimmend: GLK ASG/Yamamoto ebd.). Es gibt jedenfalls keine gerichtliche Entscheidung, die ausdrücklich feststellt, daß die Aufzählung der Gründe für eine disziplinarische Kündigung nicht enumerativ ist (Shimoi, AR,

S.3OO).

132

Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

mäß durchlaufen werden60.5. (3) Die Kündigung muß verhältnismäßig sein, es muß also eine ausgewogene Balance zwischen dem Ausmaß des Verstoßes gegen die Betriebsdisziplin und der Härte der Kündigung als Disziplinarmaßnahme bestehen606 , und im übrigen müssen weitere rechtsstaatliche Prinzipien wie bei jeder Disziplinarmaßnahme beachtet werden607 • Beispiele für disziplinarische Gründe, die eine sofortige Kündigung rechtfertigen, sind z.B. schwerwiegende falsche Angaben im Lebenslauf608, Straftaten im privaten Bereich609 , unerlaubte Nebentätigkeiten610 usw. Eines der umstrittensten Probleme im japanischen Arbeitsrecht war lange Zeit die Frage, wie die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers (die sich aus dem Prinzip der Vertragsautonomie und besonders aus § 627 BGB nach japanischer Auffassung ohne weiteres ergibt)611 im Fall der ordentlichen Kündigung eingeschränkt werden kann. Während sich nur ganz vereinzelte Stimmen (und diese auch nur direkt nach dem Zweiten Weltkrieg) gegen jegliche Einschränkung dieser Kündigungsfreiheit wandten, war jedenfalls die Notwendigkeit von Beschränkungen weitgehend unbestritten. Im Laufe der Jahre bildeten sich zwei Richtungen heraus. Eine versuchte über § 1 III BGB die Unwirksamkeit von Kündigungen herbeizuführen, indem als Wirksamkeitsvoraussetzung verlangt wurde, daß sich die Kündigung nicht als Mißbrauch des Arbeitgeberrechts zur Kündigung darstellen durfte612. Besonders die Rechtsprechung machte sich diese Argumentation zu eigen und versuchte den Begriff des "Rechtsmißbrauchs" durch umfangreiche Kasuistik zu konkretisieren. Unproblematisch sind in diesem Zusammenhang ordentliche Kündigungen wegen personenbedingter Grunde wie z.B. häufigem Fehlen, schlechter Arbeitsleistungen oder Verstosses gegen Gehorsamspflichten613 • Sehr strenge Maßstäbe legt die Rechtsprechung allerdings an, wenn eine Kündigung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Unternehmens zum Abbau des Personal überschusses erfolgt. Danach sind Kündigungen rechtsmißbräuchlich und daher unwirksam, wenn nicht die folgenden vier VorausSugeno, AR, S. 312; Nozawa, S. 210. OLG Nagoya vom 23. 12. 51, Röhan 269, 58; Sugeno, AR, S. 311; Nozawa, S. 210; Shimoi, AR, S. 306; GLK ASG/Yamamoto vor § 13, Anm. 8, 3. 607 s. die Aufzählung vorne I I b hh. 608 OLG Nagoya vom 23. 12.51, Röhan 269,58; LG Tökyö vom 25. 11. 46, Rökeisolruhö 777,3; Sugeno, AR, S. 303. 609 OGH vom 18. 12.56, Hanreijihö 1045, 129 und vom 28.02.49, Minshu 28, 1,66; Nozawa, S. 213; Sugeno, AR, S. 308 f. 610 LG Matsuyama vom 25. 08. 42, Hanreijihö 494, 63; Nozawa, S. 213 f.; Hagizawa, S. 126. 611 S. Inoue, Forschung zur Rechtsprechung und Theorie des Arbeitsrechts, Tökyö 32; Aoki, S. 130; YasuedalNishimura, AR, S. 190; Nishimura u.a., S. 361; Kubo/Shimoi, S. 79 f. Kritisch Ariizumi, Arbeitsstandardgesetz, Tökyö 59, S. 144 f. 612 Grundlegend OGH vom 31. 01. 52, Röhan 268, 17; Ariizumi, S. 146; Nishimura u.a., S. 365. 613 OGH vom 25. 04.50, Minshu 29,4,456 und vom 31. 01. 52, Röhan 268, 17; Shimoi, AR, S. 134; Gould, S. 106. 60.5

606

§ 4 Rechtswissenschaftlicher Ansatz

133

setzungen erfüllt wurden: (1) Die wirtschaftliche Lage der Firma muß Kündigungen notwendig machen614 . Dabei haben die Gerichte durchaus die Befugnis zu überprüfen, ob die vom Unternehmen behauptete wirtschaftliche Notwendigkeit überhaupt bestand. Der anzulegende Maßstab ist sehr streng: Die Notwendigkeit ist nur zu bejahen, wenn das Unternehmen ohne die Kündigung in Konkursnähe gerät, wobei ein gewisser Ermessensspielraum des Arbeitgebers, der nicht allzu weit ist, besteht; jedenfalls genügen rote Zahlen, die zur Rationalisierung drängen, grundsätzlich noch nicht zur Begründung einer Notwendigkeit zur Kündigung61S. (2) Der Arbeitgeber hat nach Möglichkeit versucht, Kündigungen zu vermeiden, d.h. weniger einschneidende beschäftigungspolitische Maßnahmen wie zeitweise Beurlaubung, Kündigung von Subunternehmerverträgen, Kündigung von Gelegenheitsarbeitnehmern, Einstellungsstops, Haiten/Shukkö, Werbung für freiwillige Pensionierungen usw. sind vorrangig durchzuführen616 . (3) Gerechte und vernünftige Auswahl der Gekündigten unter Abwägung der Bedürfnisse der Betriebsleitung und der Situation der Arbeitnehmerseite im Einzelfa1l617 . (4) Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet es weiterhin, daß mit der Gewerkschaft bzw. den betroffenen Arbeitnehmern Abstimmung, Zusammenarbeit und der Versuch einer Überzeugung von der Notwendigkeit der Maßnahmen erfolgen muß618,619. Die Gegenansicht stellt darauf ab, daß eine Kündigung, die ohne vernünftigen Grund erfolgt, gegen die allgemein herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen verstoße und deshalb gemäß § 90 BGB sittenwidrig und damit unwirksam sei63l. Innerhalb dieser Theorie erfolgt die Begründung, warum eine Kündigung, die sich nicht vernünftig begründen läßt, sittenwidrig ist, auf unterschiedlichen Grundlagen. Häufig wird überhaupt keine Begründung gegeben, sondern die Sittenwidrigkeit einfach behauptet. Vereinzelt wird ver614 K. KonishilK. Sugeno, Praktische Übungen zum Arbeitsrecht, Tökyö 58, S. 165; Gould, S. 107; T. Shimoi in Hörsaal der Rechtswissenschaft 61, 104; ders. (63), S. 135 ff.; Kataoka in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. 22; Sugeno, AR, S. 349; Nishimura u.a., S. 367. 61S OLG Osaka vom 30.09.57, RöminshO 33, 5, 851; Nozawa, S. 214; Shimoi ebd.; ders. (63), S. 135; Nishimun u.a., S. 367 f. 616 OLG Tökyö vom 29. 10. 54, RöminshO 30, 5, 1002; OLG Osaka vom 30. 09. 57, RöminshO 33,5,851. R. Takashima, Arbeitsrecht, Tökyö 57/4, S. 121; Sugeno, AR, S. 349, 350; Nozawa, S. 214; T. Shimoi in Rödöhö 55,21; ders. (63), S. 136; ders. ebd.; Kataoka in Kurs des Arbeitsrechts der Gegenwart, Bd. 13, S. 22; Nishimura u.a., S. 368; Konishi/Sugeno, S. 165; Gould, S. 107; Yasueda/Nishimura, AR, S. 192; Ono, S. 132. 617 OLG Osaka vom 30. 09. 57, RöminshU 33, 5, 851; Nozawa, S. 215 f.; Shimoi ebd.; ders. (63), S. 137; Sugeno, AR, S. 350; Gould ebd.; Kataoka ebd.; Yasueda/Nishimura ebd.; Takashima, S. 121 f.; Konishi/Sugeno, S. 166; Nishimura u.a., S. 368 f. 618 OGH vom 27. 10. 58, Röhan 427, 63; OLG Osaka vom 30. 09. 57, RöminshU 33, 5, 851; Shimoi ebd.; ders. (63), S. 137 f.; Sugeno, AR, S. 351; Gould, S. 108; Yasueda/Nishimura ebd.; Konishi/Sugeno ebd.; Kataoka ebd.; Nozawa, S. 214 f.; Nishimura u.a., S. 369. Ferner Numata, Sicherung, S. 24, der diese Beschränkung ausdrücklich aus Art 27 IN ableitet. 619 Ausführlich zum Ganzen M. Kinoshita, Entwicklung und Dogmatik der Kündigung zu Rationalisierungszwecken, Tökyö 62, S. 32 ff.; Konishi/Sugeno, S. 165 ff. Vgl. auch Yasueda/Nishimun, AR, S. 192: Im System der lebenslangen Beschäftigung seien strenge Maßstäbe anzulegen. 6211 Übersichten zu dieser Ansicht bei ChUshaku, S. 625 f.

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Teil 2: Rechts- und lrulturvergleichende Dimension: Japan

sucht, die Verankerung des Bewußtseins, daß Kündigungen nach Möglichkeit zu vermeiden sind, als so tief im sozialen Bewußtsein der Iapaner verankert darzustellen, daß dieses Bewußtsein per se eine "gute Sitte" mit diesem Inhalt konstituiert. Eine wichtige Strömung sowohl im Arbeits- als auch im Verfassungsrecht füllt den Begriff der Sittenwidrigkeit mit den Wertungen der sozialen Grundrechte der IV, insbesondere mit dem Recht auf Arbeit gemäß Art 27 I IV auf und benutzt ganz im dürigschen Sinne die Gene~auseln als Einbruchstellen des Verfassungsrechts in das einfache Recht621. Ubrigens gibt es auch eine Auffassung, nach der Art 25, 27 IV als Grundlagen des Arbeitsrechts das Bürgerliche Recht grundsätzlich verändern und direkl eine Kündigung aus wichtigem Grund nur zulassen, wenn ein angemessener Grund vorhanden ist622. Auch die extreme Gegenposition, daß Art 27 IV wegen seines angeblichen Abwehrcharakters oder seiner fehlenden Drittwirkung (als sozialem Grundrecht käme dem Recht auf Arbeit keine Drittwirkung zu) keinerlei Einfluß auf die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen ausübt, wird vertreten623 . Nachdem im Laufe der Jahrzehnte die beiden Hauptströmungen ihre recht abstrakten Formeln immer mehr durch die Lösung von Einzelfällen konkretisiert haben, stellte sich heraus, daß sich im Ergebnis beide Ansichten praktisch nicht unterscheiden62A • Deshalb ließ die Heftigkeit des Theorienstreits auch allmählich nach. Heute ist es häufig, daß beide Theorien miteinander vermengt werden und die Formel, daß eine Kündigung rechtsmißbräuchlich sei, weil fiir sie kein vernünftiger Grund bestehe, findet immer mehr Verwen-

621 Allgemein die mittelbare Drinwirlrung des Art 271 N bejahend: Aolei, Lehnnaterial, S. 109; Yasueda/Nishimura, AR, S. 17; Kataoka/Yokoi, S. 56. Konkret eine mittelbare Drittwirlrung des Rechts auf Arbeit bei der Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitsgebers bejahend: OLG Tökyö vom 24. 04. 43, RöminshO 19, 2, 571; LG Tökyö vom 22. 03. 25, RöminshU 1, 2, 230; Numata, Sicherung, S. 23 f.; ders., Grundstruktur, S. 46 f.; ders., Sozialrechtstheorie, S. 32; Abe, Schule, S. 182; Kataoka, Entfaltung, S. 204; ders., AR, S. 30; ders., AR (1), S. 85; Inoue, S. 28; Kataoka/Yokoi, S. 56; Yasueda, S. 17; Sugeno, AR, S. 345 (wichtiges Element des Systems der lebenslangen Beschäftigung); Funabashi, S. 40; Ishii, S. 117 ff.; Araki in Streitpunkte, S. 9; ders., Subjektive Rechte, S. 130 ff.; Yamanaka, S. 165 ff.; Azuma, Beispiele, S. 41; Gould, S. 106. Allgemein einen Zusammenhang zwischen Kündigung und Art 27 I N herstellend: Miyashima, S. 81; M. Itö, S. 370; auch schon Numata, Koalitionsrecht, S. 110. Nur eine direkte Drinwirlrung des Art 27 I N ablehnend: OGH vom 08. 04. 28, KeishO 7, 4,775; OLG Nagoya vom 17. 03. 26, RöminshU 2, 1,55; Aolei, Subjektive Rechte, S. 130 f.; T. Ariizumi, Grundriß des Arbeitsrechts, Tökyö 63/3, S. 209; ders., Arbeitskampfrecht, S. 34; Funabashi, S. 124. 622 Vgl. hierzu Chilshalru, s. 626; Numata, Koalitionsrecht, S. 109 f.; wohl auch T. Satö, S. 429; Aralei in Streitpunkte, S. 9; Kinoshita/Ozawa, S. 36. Vor allem bejahend Yamanaka, S. 3l. Im Ergebnis differieren mittelbare und unmittelbare Drinwirlrung nicht, sogar die Argumente beider Lehrmeinungen sind weitgehend austauschbar, vgl. Chilshalru ebd. 623 Ishii, S. 108; ders., Lehrgespräch, S. 156; ders., AR, S. 65; IshiilHagizawa, S. 103; Chilkai, S. 520; wohl auch Ono, S. 9. 62A s. z.B. GLK ASGlYamamolo vor § 13 vrr 2; Aralei, Subjektive Rechte, S. 131; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 155; Noda, S. 203. Vgl. auch Aralei, Streitpunktc, S. 9.

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dung 625 . Der dogmatische Gegensatz bleibt aber grundsätzlich immer noch bestehen626 . Im übrigen gibt es noch die sogenannte "Druck-" Kündigung: Der Arbeitnehmer empfiehlt dem Beschäftigten, seinerseits den Arbeitsvertrag innerhalb einer bestimmten Frist zu kündigen, andernfalls erfolge eine disziplinarische Kündigung ohne Auszahlung der vollen Abfindungs. Formell liegt zwar eine einvernehmliche Vertragsauflösung, inhaltlich aber eine Kündigung vor, so daß nach allgemeiner Meinung auch die Regeln über eine Kündigung anwendbar sind627. c) Gründe für diese Gestalt des Kündigungsschutzes

Die Gründe für Kündigungsschutzbestimmungen sind in vielen Punkten in Japan und Deutschland identisch. Wegen der wirtschaftlichen und sozialen Macht der Unternehmer benachteiligt die Vertrags freiheit die Arbeitnehmerseite, die Kündigungsschutzbestimmungen sind ein Element der Kräftebalance628. Darüber hinaus muß eine bestimmte rechtliche Regelung im Kontext der gesamten Rechts- und Sozial ordnung gesehen werden. Wie angedeutet gebieten bereits wichtige Grundsätze des Kollektivarbeitsrechts629 , allgemeine Zivilrechtsgrundsätze und die Dogmatik der sozialen Grundrechte Einschränkungen der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers. Daneben aber entspricht es allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen in Japan, daß Kündigungen nach Möglichkeit zu vermeiden sind. Auch diese "Rechts"überzeugung hat Rechtsprechung und Lehre sowie gerade die soziale Praxis geprägt630 • Nicht in allen Ländern zwingen nämlich die rechtlichen Bestimmungen den Arbeitgeber dazu, bei unwirksamer Kündigung das Beschäftigungsverhältnis aufrecht zu erhalten. In Japan gebieten aber das System der lebenslangen Beschäftigung631 und insbesondere die starke Betonung der Seniorität632 sowie die Geschlossenheit des Arbeitsmarktes633 und das Betriebsgewerkschaftssystem634 , daß im Falle der Unwirksamkeit einer Kündigung das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird. Der Verlust des Status eines Stammbelegschaftsmitglieds in einem bestimmten Unternehmen ist nämlich idR nicht mehr gutzuma-

625 OGH vom 25.04. 50, Minshu 29, 4, 458; Nakamura in Yamauchi, S. 214. 626 Vgl. aber Numata, Allgemeine Sozialrechtstheorie, S. 32 und Araki, Streitpunke, S 9:

Auch der Rechtsmißbrauchstheorie liegt unbewußt Art 27 I IV zu Grunde. Ähnlich (der Geist des Art 27 I IV diene als Interpretationshilfe bei der Anwendung der Mißbrauchsthorie) Shimizu, S. 16; Ishii, AR, S. 65; S. Asai, Subjektive Rechte im Arbeitsrecht, Tökyö 35, S. 130 f. 627 Hagizawa, Rechtsprechung, S. 122; Shimoi, AR, S. 304; Sugeno, AR, S. 303. 628 Numata, Sicherung, S. 210. 629 §§ 7, 16 GwG. 630 Numata, Sicherung, S. 212; deutlicher Shimoi, AR, S. 132. 631 s. hierzu unten § 5 A ill. 632 s. hierzu unten § 5 B I. 633 s. hierzu unten § 5 A ill 3 d. 634 s. hierzu unten § 5 A IV. I1 Nenninger

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chen635 • Gerade deswegen sind die Beschränkungen der KÜDdigungsfreiheit des Arbeitgebers in Japan recht rigide, obwohl die enorme Bedeutung dieser Rechtsprechung in letzter Zeit etwas durch die neueren Entwicklungen auf dem japanischen Arbeitsmarkt, der sich mit der Zunahme von Teilzeitarbeit, ArbeitnehmefÜberlassung, Abschwächung der senioritätsbedingten Entlohnungsunterschiede, Zunahme von Berufswechseln und Verbesserung der Sozialversicherung aus seiner Erstarrung zu lösen beginnt, relativiert wurde636. d) Ausgesulltung des Kündigungschutzes im übrigen

Die §§ 19 f. ASG enthalten die einzigen eigenständigen gesetzlich geregelten KÜDdigungsbeschränkungen im japanischen Recht. Die Beschränkungen sind schon ihrem Wortlaut nach gering. Weiterhin findet § 20 gemäß § 21 auf bestimmte Arbeitnehmer keine Anwendung. Außerdem legt die Rechtsprechung diese Normen sehr restriktiv aus. § 19 ASG lautet: »Kündigungsbeschränkungen « "(1) Der Arbeilgeber darf folgenden Personen nicht kündigen: Einem Arbeitnehmer, der wegen Berufsunfall oder Krankheit zum Zwecke der Heilung krankgeschrieben ist, während dieser Zeit und in den folgenden 30 Tagen; Frauen, die während bzw. nach der Geburt gemäß § 65 ASG Urlaub haben, während dieser Zeil und in den folgenden 30 Tagen. Eine Kündigung ist allerdings zulässig, wenn der Arbeitgeber eine Abfindung gemäß § 81 ASG zahlt oder wegen unabänderlicher Gründe wie höherer Gewalt eine Fortsetzung der Arbeit unmöglich ist. (2) Im Falle des Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ist hinsichtlich des Grundes die Bestätigung der Verwaltungsbehörde einzuholen. "

§ 20 ASG lautet: »Kündigungserklärung « "(I) Wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigen will, muß er die Kündigung mindestens 30 Tage vorher erklären. Tut er dies nicht, muß er mindestens einen Satz von 30 Tagen des durchschniltlichen Gehalts zahlen. Diese Beschränkung gilt allerdings nicht, wenn wegen unabänderlicher Gründe wie höherer Gewalt eine Fortsetzung der Arbeit unmöglich ist oder die Kündigung auf einem Grund beruht, /Ur den der Arbeitnehmer verantwortlich ist.

635 Shimoi, AR, S. 132. Vgl. hierzu LG Tökyö vom 22. 03. 25, RöminshQ I, 2, 230. Konishi/Sugeno, S. 162 f.; Kubo/Shimoi, S. 78 f. Deutlich Gould, S. 109: Dieser sozio-lrulturelle Hintergrund übt deutlichen Einfluß auf die Rechtsprechung aus. 636 Shimoi, AR, S. 132.

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(2) Die Frist des Abs. 1 kann um jeweils so viele Tage abgekant werden, wie der Arbeitgeber an Tagessätzen des durchschnittlichen Gehalts zahlt.

(3) Abs. 2jindet auf Abs. 1 S. 3 entsprechende Anwendung.

W

Darüber hinaus ist eine Kündigung gemäß § 19 I 2 ASG auch ohne die Bestätigung der Verwaltungsbehörde wirksam637 . Während des Laufs der Fristen des § 19 I ASG ist auch eine Vorankündigung gemäß § 20 ASG möglich638 • Auch die Kündigung ohne Vorankündigung ist nach der Theorie der relativen Unwirksamkeit zwar unwirksam, wird aber, sofern nicht der Arbeitgeber eindeutig auf einer sofortigen (fristlosen) Kündigung besteht, in eine Kündigung umgedeutet, die entweder nach Ablauf von 30 Tagen oder mit Leistung der Zahlung nach § 20 I 2, 11 ASG wirksam wird639. Weiterhin kann eine Kündigung aus disziplinarischen Gründen in eine solche aus wichtigem Grund640 umgedeutet werden. Interessant ist der Ansatz von Kataoka, der der Ansicht ist, daß die Verlängerung der Fristen des BGB durch Art 27 I JV geboten sei641. Bisher ist ihm niemand gefolgt. 3. Recht aur Beschärtigung

Unter "Recht auf Beschäftigung" versteht man auch in Japan einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, an seinem Arbeitsplatz arbeiten zu dürfen, so lange das Arbeitsverhältnis (noch) nicht durch wirksame Kündigung beendet ist. IdR wird dieses Problem aktuell, wenn (meist in der Form der einstweiligen Verfügung, § 760 ZPO) vor Gericht um die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten wird642. Die Rechtsprechung seit etwa dem Jahr 25 steht auf dem Standpunkt der Sondervertragstheorie: Grundsätzlich sei eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers abzulehnen643 . Ausnahmsweise müsse jedoch eine Beschäftigungspflicht zugestanden werden, wenn ein Sondervertrag besteht, d.h. wenn die ständige Ausübung der Arbeit für den Erhalt besonderer Fertigkeiten des Arbeitnehmers so wichtig ist, daß man sagen kann, daß die Beschäftigung an sich einen vernünftig begründbaren, be637 Ganz h.M., vgl. fiir viele: OLG Tökyö vom 22. 08. 26, MinshQ 2, 4, 455 und vom 29. 06.47, Hanreijihö 285,311. Shimoi, AR, S. 139; ders., ASG, S. 59; Konishi/Sugeno, S. 161 f. A.A.: Nishimura u.a., S. 375. 638 Shimoi, AR, S. 138; Kubo/Shimoi, S. 81. 639 OGH vom 11. 03. 35, Minshii 14, 3, 403; Hagizawa, S. 121; Sugeno, AR, S. 340 mwNw. Sehr str., a.A. z.B. Kataoka, AR (2), S. 415. Vennittelnd (Kündigung wirksam, aber es ist zusätzlich noch ein Zuschlag nach § 114 ASG zu leisten) Shimoi ebd.; Kubo/Shimoi ebd. 640 LG Tökyö vom 23. 06. 45, RominshU 21, 3, 980; Nishimura u.a., S. 373. Kritisch Kubo/Shimoi, S. 84. A.A. Sugeno, AR, S. 348. 641 Kataoka, AR (2), S. 418. 642 S. Kurokawa, Probleme des Arbeitsrechts, Tokyo 28, S. 20; Shimoi, AR, S. 156; ShimoilKubo, S. 66. Vgl. GLK ASGlKIshii, vor § 13 II I. 643 OLG Hiroshima vom 25. 01. 60, Hanreijihö 557, 179; LG Sendai vom 05. 02. 60, Röminshii 36, 1,32; LG Nagoya vom 11. 07. 48, Röhan 183, 35. Eine Entscheidung des OGH gibt es allerdings - soweit ersichtlich - noch nicht.

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sonderen Nutzen für ihn darstellt644. Die vorherrschende Meinung in der Literatur und die Rechtsprechung bis zum Jahr 25 gehen dagegen davon aus, daß grundsätzlich eine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers zu bejahen und nur ausnahmsweise zu verneinen ist. Die Begründungen hierfür sind recht unterschiedlich645 • Die ältere Rechtsprechung argumentiert mit der besonderen Bedeutung der Mitwirlrungshandlungen des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis, die die Annahme des Arbeitsangebots zu einem Anspruch des Berechtigten erstarken lassen. Außerdem werden auch das Vertrauensprinzip, das in Dauerschuldverhältnissen besondere Geltung beansprucht646 , und die Argumente der Sondervertragstheorie herangezogen. Die Begründungen der h.L. sind unterschiedlich. Teilweise wird für das gesamte Schuldrecht eine grundsätzliche Abnahmepflicht postuliert, die dann auch für den Arbeitsvertrag gilt647 • Oft wird auch die menschliche Seite des Arbeitsverhältnisses stark betont. Arbeit, das konkrete • Arbeitenkönnen ., sei mitkonstituierend für Würde und Selbstwertgefiihl eines erwachsenen Menschen und diene in ganz besonders wichtiger Weise der Entfaltung seiner Persönlichkeit. Deshalb könne auch eine Verletzung des Rechts auf Beschäftigung nicht ohne weiteres durch eine Schadensersatzzahlung ausgeglichen werden, da der eingetretene Schaden teilweise auch nicht vermögensrechtlicher Natur und daher nur schwer wiedergutzumachen sei. Dies sei ein ausreichend rationaler Grund, um von vorneherein ein Recht auf Beschäftigung einzuräumen648 • Teilweise wird auch das Recht auf Arbeit als Argumentationshilfe herangezogen, allerdings nur selten in dogmatisch-juristischer Weise. Shimoi z.B. zieht Art 27 I JV als Beleg für die Bedeutung der Arbeit für die Persönlichkeit des Menschen heran und schließt daraus, daß dem Interesse des Arbeitnehmers an der Beschäftigung bei der Abwägung mit dem Interesse des Arbeitgebers an der Suspendierung des Beschäftigten regelmäßig die höhere Gewichtigkeit zukommt649. Teilweise wird aber auch - allerdings selten dogmatisch genau hergeleitet das Recht auf Arbeit als Rechtsprinzip und nicht nur als Hilfsargument in die Diskussion eingebracht6.S0. Dieser Ansatz ist besonders umstritten. Asai will 644 LG Nagoya vom 11. 07. 48, Rohan 183,35 - dieses Urteil ist auch das einzige veröffentlichte, das die Voraussetzungen eines Sondervertrags bejaht; bei diesem Fan handelte es sich um einen Koch. Zustimmend Sugeno, AR, S. 62. 64S Übersicht über die verschiedenen Begründungen und Argumente bei GLK ASG/Ishii, vor § 13 Arun. n 2, 3; K. Asai, Grundprobleme des Arl>eitsrechts, Kyoto 42/2, S. 141 ff.; Konishi, S. 126 ff. 646 Magots, S. 219; Konishi in Kikanrödohö 85, 127. 647 Asai, S. 138 f. 648 Asai, S. 141 ff., bes. S. 145; T. Shimoi, Theorie des Arl>eitsvertragsrechts, Kobe 60, S. 114 f. (zitiert im folgenden Shimoi, Theorie); ders. (63), S. 158; Kubo/Shimoi, S. 68, 70; Konishi, S. 126 f. 649 Shimoi, Theorie, S. 115 f. und S. 120 (FN 48). Der Zusammenhang ist auch angedeutet bei Kubo/Shimoi, S. 67 und bejaht bei Talcigawa, S. 22. Vgl. auch Miyashime, S. 81. Ausdrücldich einen Zusammenhang ablehnend: Magots, S. 219; Numats, S. 138; Kurogawa, S. 22 f. 6.SO Katsoka, AR (2), S. 373 (Arl>eit sei fiir ein menschenwürdiges Leben, fiir Gestsltung und Entwicldung der Persönlichkeit von entscheidender Wichtigkeit); Konishi, S. 128 (Durch Art 25,27 I N sei ein neuer Begriff der "öffentlichen Sitten" geschaffen worden, so daß die Würde des Menschen durch die Arl>eit rnitkonstituiert werde - dies spräche fiir ein Recht auf Beschäftigung).

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zwar grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers anerkennen, schreibt aber ausdrücklich, daß er nicht aus dem Recht auf Arbeit hergeleitet werden könne. Dieses wirke nämlich grundsätzlich nicht zwischen Privaten und sei im übrigen bereits gewährleistet, wenn ein Arbeitsplatz angeboten werde; es gehe nicht so weit, daß auch die entprechende Beschäftigung im Sinne der konkreten Arbeit ermöglicht werden muß651. Gegen diese Argumentation sind allerdings schwerwiegende Bedenken anzubringen. Zum einen differenziert sie nicht zwischen unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte und setzt sich nicht mit der letzteren auseinander. Zum anderen besteht ein so enger Bezug, ja sogar Interdependenz zwischen Arbeit, Freiheit und auch Menschenwürde652 , daß es mehr als nur zweifelhaft erscheint, das Recht auf Arbeit auf das bloße Innehaben eines Arbeitsplatzes beschränken zu wollen, denn der Aspekt der Arbeit umfaßt eben - was Asai selbst vorbringt - gerade nicht nur die Funktion der Existenzsicherung, sondern gerade auch den Aspekt der Selbstverwirklichung. Dieser aber }cann nur durch die Sicherung des Arbeitens an sich konkretisiert werden. Uberhaupt vergibt die Arbeitsrechtswissenschaft Japans eine wichtige Argumentationsmöglichkeit, weil sie den Einfluß des Art 27 I JV auf das Recht auf Beschäftigung bis jetzt nur recht kursorisch untersucht hat653. 4. Pensionierung und Altersgrenzen a) Ausgestaltung des Systems

Im System der lebenslangen Beschäftigung ist die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze einer der wichtigsten Beendigungstatbestände des Arbeitsvertrags ("Teinensei")6S4. Das japanische Arbeitsrecht kennt keine Norm, die verbindliche Regeln über das Altersgrenzensystem trifft65S , obwohl dieses System in p~tisch allen japanischen Unternehmen außer den allerkleinsten besteht6.56. Uber Jahrzehnte hin-

651 Asai, S. 136 f. 652 Hierzu unten § 7 E VII ausfiihrlich. 653 An anderer Stelle (Grundprinzipien,

S. (98) leitet Asai übrigens das Recht auf Beschäftigung aus Art 13 N iVm § I a BGB ab. 6S4 Präzise Begriffsbestimmungen bei Kimura in Rödöhö 56, 21 f.; Kinoshita in FS Honda, S. 256; Nishimura u.a., S. 392. 65S Im Iahr 61 wurde allerdings mit § 4 des Gesetzes zur Sicherung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer eine Appellnorm mit dem Inhalt, 60 Iahre als Pensionsalter nicht zu unterschreiten, verabschiedet; bei einer Unterschreitung sollen die Namen der entsprechenden Unternehmen veröffentlicht werden. § 62 Beschäftigungssicherungsgesetz und §§ 104 f. seines Ausfiihrungsgesetzes sehen auch vor, daß Unternehmen Subventionen erhalten können, wenn sie die Altersgrenzen erhöhen. Im Recht des öffentlichen Dienstes entspricht das gesetzliche Pensionsalter dem Alter, in dem die Leistungen der Altersversicherung einsetzen. S. ferner zur Rechtspolitik auf diesem Gebiet Shimoi, AR, S. 147 ff.; ders. in Hörsaal 86, 89 f.; Kinoshita in FS Honda, S. 257. 6.56 Shimoi, AR, S. 142 = ders. in Hörsaal 87, 87: In 87, 4 % aller japanischen Betriebe, in 99,6 % der Betriebe mit mehr als 5000 Arbeitnehmern.

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weg hatte sich ein Pensionsalter von 50 Jahren fest eingebürgert6S7 , seit Beginn der 50er Jahre läßt sich eine allmähliche Erhöhung dieser Altersgrenze beobachten, die Tendenz geht gegen 60 Jahre, Hand in Hand mit dem wachsenden Durchschnittsalter der japanischen Arbeitsbevölkerung6S8 • 93 % der japanischen Beschäftigten werden gegen ihren Willen in den Ruhestand versetzt6S9,6eO . Gewöhnlich ist die Altersgrenze in der Arbeitsordnung oder in Tarifverträgen niedergelegt661 . Rechtlich lassen sich zwei Formen unterscheiden: Teilweise wird ein Arbeitsvertrag mit der auflösenden Bedingung (§ 135 II BGB) des Erreichens einer bestimmten Altersgrenze geschlossen. Teilweise wird auch vereinbart, daß das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze ein vernünftiger Kündigungsgrund sein soll. Der Unterschied zwischen beiden Systemen liegt im Grunde genommen nur darin, daß nur im zweiten Falle noch eine Willenserklärung des Arbeitgebers für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, im ersten Falle bedarf es nicht einmal einer Ankündigung, so daß auch nur in der zweiten Alternative die §§ 19 f. ASG anwendbar sind662. Im Falle der Auflösung des Arbeitsverhältnisses wird eine hohe Abfindungszahlung fällig. Als Faustregel gilt, daß sie etwa einem Monatsgehalt pro Dienstjahr entspricht663 • Die Abfmdungssumme ist idR nicht so hoch, daß der pensionierte Arbeitnehmer die Zeit bis zum Einsetzen der staatlichen Rentenversicherung ohne Arbeitstätigkeit überbrücken kann, zumal die Rente ihrerseits meist nicht ausreichend hoch ist, so daß fast 30 % der japanischen Männer über 65 Jahre auf Arbeit angewiesen sind664. b) Zu lässigkeit des Systems an sich

Eine Mindermeinung in der Literatur vertritt die Ansicht, daß das Altersgrenzensystem an sich rechtswidrig ist, weil es nur auf Grund der Tatsache, daß ein Beschäftigter eine bestimmte Altersgrenze erreicht hat, diesem Arbeitsplatz und Beruf wegnimmt, was gegen die Art 25, 27 I JV verstoße665.

DambmalUl, S. 247; Shimoi, AR, S. 142. Shomoi, ASG, S. 143; im Iahr 50 waren 15,2 % arbeitenden Bevölkerung älter als 55 Jahre, 59 waren es 17,6 %,75 werden es 23 % sein (Shimoi, AR, S. 147). 6.'19 Rebischung, S. 82. 6eO Weitere Zahlen bei Shimoi, AR, S. 145; Nozawa, S. 229 ff. 661 GLK ASG/Yasueda vor § 13 Anm. VI2 ro; Kimura, S. 21; Kinoshita in FS Honda, S. 256; Nishimura u.a., S. 392. Ein typisches Beispiel bei Taylor, S. 167 f. 662 Nm.awa, S. 219; Shimoi in Hörsaal 86, 86; ders. (63), S. 143; Kinoshita in FS Honda, S. 268; Sugeno, AR, S. 332; GLK ASG/Yasueda ebd.; Nishimura u.a., S. 393 ff. Vgl. auch Yasueda/Nishimura, AR, S. 199 f.; Kubo/Shimoi, S. 84 f. Offenbar ganz gegen die Anwendung der §§ 19 f. ASG Kimura, S. 25. 663 DambmalUl, S. 247. Zahlenbeispiele für das Jahr 60 bei Shimoi (63), FN 2 auf S. 187; danach erhält z.B. ein Universitätsabsolvent, der 33 Jahre lang im betreffenden Betrieb beschäftigt war, durchschnittlich 38,7 Monatsgehälter, also ca. 22 Mio. Yen, etwa 300.000,-DM. 664 DambmalUl, S. 248. 6.'17

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Nach einer anderen Meinung sei ein solches System eine Diskriminierung wegen des Alters, also eine Ungleichbehandlung ohne vernünftigen Grund und deshalb als Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 90 BGB unwirksam666. In der Rechtsprechung gibt es aber bis jetzt noch keine einzige Entscheidung, die eine (gleichmäßige) Altersgrenze für rechtswidrig hält. Im allgemeinen wird der Argumentation der Arbeitgeber gefolgt, daß ein solches System betriebswirtschaftlich gesehen vernünftig ist, da gerade erst dieses Pensionsaltersgrenzensystem das System der lebenslangen Beschäftigung und das strenge Senioritätsprinzip ermöglicht, weil es die hieraus entstehenden Kosten begrenzt667 • Das LG Osaka hat zwar in einer Entscheidung angedeutet, daß eine zu niedrige Altersgrenze, die für bestimmte Berufe ohne vernünftigen Grund angesetzt worden ist, als Rechtsmißbrauch unwirksam sein könne, doch hat es in dem entschiedenen Fall für bestimmte Tätigkeiten in der Zeitungsbranche sogar Altersgrenzen von 20 bzw. 25 Jahren für vernünftig und rechtmäßig gehalten668 • Auch die h.L. hält ein Altersgrenzensystem jedenfalls grundsätzlich für rechtmäßig669 • Dem halten vereinzelte Wissenschaftler entgegen, daß zumindest ein System besonders niedriger Altersgrenzen nicht mit der Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit eines Unternehmens gerechtfertigt werden könne, und es deswegen für ein solches System keinen vernünftigen Grund gäbe. Die Entlassung eines Arbeitnehmers auf Grund einer unangemessen niedrigen Altersgrenze verstoße deshalb gegen Art 25 I, 27 I JV, damit gegen die guten Sitten (§ 90 BGB) und sei deshalb rechtswidrig und unwirksam670 • c) Rechtliche Grenzen bei der Ausgestaltung des Systems

Immer mehr haben sich in den letzten Jahren - vor allem in großen Unternehmen - Altersgrenzensysteme durchgesetzt, die den Arbeitnehmern einen 66S Kimura, S. 29 f.; Ishii, S. 151; N. Shimada in Kikanrödöhö 86, 69 f. Für eine Altersgrenze von 55 Jahren: Numata, Einführung, S. 128 f. Für die Anwendung des Art 27 I N bei einer unangemessen niedrigen Altersgrenze: Ishii, S. 124; Honda in Kikanrödöhö 42, 50 ff. Ausdrücklich a.A. LG Tökyö vom 24. 07. 27, Gyösaireishu 3, 6, 1328 (in diesem Fall wurde einem Notar, dem das Amt auf Grund des Erreichens der Altersgrenze von 70 Jahren, entzogen wurde, die Berufung auf Art 27 I IV verwehrt. 666 Kimura, S. 9. Als Problem angedeutet bei Kubo/Shimoi, S. 85. A.A. LG Tökyö ebd. 667 OGH vom 25. 12. 43, Minshu 22, 13, 3459; GLK ASGlKIshii, vor § 13, Anm. VU 3 i; Shimoi, AR, S. 146; ders., Hörsaal 86, 88; Kubo/Shimoi, S. 85; Gotö, S. 42; Nozawa, S. 218. Vgl. hierzu auch Kimura, S. 23; Ernst, S. 63. Dieser Befund wird dadurch gestützt, daß in kleinen Unternehmen, in denen die Seniorität für die Höhe der Bezahlung eine geringere Rolle spielt, auch die Altersgrenzen nur wenig verbreitet sind, Kinoshita in FS Honda, S. 256. 668 LG Osaka vom 19. 07. 36, Röminshu 12,4,617. 669 OGH vom 25. 12.43, Minshu 22, 13,3459; Shimoi, AR, S. 143 f.; ders. in Hörsaal 86, 88; Kubo/Shimoi, S. 85; Gotö, S. 42; GLK ASGlKIshii, vor § 13, Anm. VI 3 i; Sugeno, AR, S. 332 f.; Araki, Recht der Einzelarbeitsverhältnisse, S. 229 f.; Sotoo, S. 240. 670 Araki, Recht der Einzelarbeitsverhältnisse, S. 230; Asai, Prinzipien, S. 210; Kimura, S. 27; Ishii, S. 124; Honda in Kikanrödöhö 42, 50 ff. Angedeutet auch bei Yasueda/Nishimura, AR, S. 199. Eine Verletzung des Art 27 I N wird von Gotö, S. 42 ausdrücklich abgelehnt, da es sich bei diesem System um jahrzehntelange Traditionen handle, die deshalb nicht gegen die guten Sitten verstießen.

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stufenweisen Übergang in den Ruhestand ermöglichen. In 69,6 % der Unternehmen, die eine Altersgrenze eingeführt haben, gibt es nunmehr ein System der WiedereinsteIlung oder Beschäftigungsverlängerung der betroffenen Beschäftigten. Von diesen Unternehmen versucht etwa 1/3, alle Arbeitnehmer wiedereinzustellen, die es wünschen und weitere 50 % zumindest die für die Firma besonders nützlichen Kräfte~i71. Im ersteren Fall wird der neue Arbeitsvertrag mit der Erklärung des Arbeitnehmers, daß er Wiederbeschäftigung wünscht, geschlossen, im letzteren ist diese Willenserklärung nur ein Vertragsangebot672 . Hat sich aber in dem betreffenden Betrieb eine Übung herausgebildet, daß trotz der restriktiven Regelung alle Arbeitnehmer wiedereingestellt werden, kommt auch durch die Willenserklärung des Arbeitnehmers der neue Vertrag zustande673 . Bei Weiterbeschäftigung ergibt sich folgende Situation: Wenn bestimmt ist, daß alle Personen, die die Altersgrenze erreichen, weiterbeschäftigt werden, stellt die Verweigerung der vom Beschäftigten beanspruchten Weiterbeschäftigung eine Kündigung dar und ist nur unter deren Voraussetzungen zulässig, im übrigen gelten dieselben Grundsätze wie bei der ersten Wiedereinstellung674 . Bei der WiedereinsteIlung ist es auch häufig, daß sie für ein Jahr erfolgt und dann jeweils verlängert wird, wobei diese Verlängerungen idR zeitlich begrenzt sind (meist auf drei Jahre)675. Dieser Übergang in den Ruhestand in zwei Schritten ermöglicht es den Firmen, die älteren (und sehr "teuren") Arbeitnehmer länger zu beschäftigen, ohne von den dabei entstehenden Kosten zu sehr beeinträchtigt zu werden, denn mit dem Erreichen der Altersgrenze scheidet der Arbeitnehmer aus dem System der lebenslangen Beschäftigung und aus der Bezahlung nach Seniorität aus und muß sogar bei der Weiterbeschäftigung in vielen Fällen deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen676 . Das LG Tökyö hat in diesem Zusammenhang entschieden, daß auch nach mehrmaliger Verlängerung des Arbeitsvertrags nach der WiedereinsteIlung jedenfalls nach dem 64. Lebensjahr kein Rechtsanspruch auf fortdauernde Weiterbeschäftigung besteht (es sei kein Rechtsmißbrauch, wenn sich der Arbeitgeber weigere, die geforderte Verlängerung vorzunehmen)6n. Gegen diese Entscheidung und die in ihr zum Ausdruck kommende Tendenz der meisten Urteile im Zusammenhang mit der Altersgrenze, die auftretende Rechtsprobleme mit den Mitteln ökonomischer Rationalität zu lösen, wendet sich Nozawa. Er fordert, daß auch auf die individuellen Verhältnisse des einzelnen Arbeitnehmers Rücksicht genommen werden müsse, dies verlange das Recht auf Arbeit als Menschenrecht678 .

671 Shimoi, AR, S. 150 f. (Stand: 61). 672 Imano, S. 196 f.; Shimoi, AR, S. 150; ders. in Hörsaal 86, 90; Nishimura u.a., S. 399. 673 OGH vom 08.03.51, Röhan 245,24; OLG Tölcyö vom 24.07.50, Hanreijihö 798,89.

Nishimura ebd.; Imano, S. 197; Sugeno, AR, S. 332; Shimoi ebd. (heide Nw); Nozawa, S. 221. A.A. LG Tölcyö vom 29.03.59, Röhan 429,39. 674 Shimoi, AR, S. 150. Nach den persönlichen Verhältnissen differenzierend Kimura, S. 40. 675 Shimoi, AR, S. 151. 676 Dambmann, S. 248; Nozawa, S. 219, Tabelle 5 auf S. 231; Rebischung, S. 82 mit Zahlenbeispiel; CoolcIHByashi, S. 24; Ernst, S. 63. 677 LG Tölcyö vom 21. 12. 52.

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Verbreitet ist übrigens auch ein System der freiwilligen Pensionierung, d.h. daß ein Mitglied der Stammbelegschaft, das zu einem bestimmten Zeitpunkt (oft im Alter von 45 Jahren) vor Erreichen der Altersgrenze freiwillig in den Ruhestand geht, eine bevorzugte Behandlung bei der Zahlung von Abstandszahlungen erhält679. Wenn das Arbeitsverhältnis vor Erreichen der Altersgrenze beendet wird, werden dem Arbeitnehmer die bisher angesammelten Anteile an der Pensionszahlung als Abfindung ausgezahlt. Sehr strittig ist in diesem Zusammenhang, ob im Falle einer Kündigung aus disziplinarischen Gründen diese Abfindung gekürzt werden darf. Die wohl h.M. bejaht dies, solange die Kürzung sich in vernünftigem Rahmen hält68O • 5. Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer

Im Zusammenhang mit der Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer ergeben sich in zwei Fallgestaltungen Berührungspunkte zum Recht auf Arbeit. a) Entlassung bei Heirat

Bis vor etwa 10 bis 15 Jahren war es in japanischen Betrieben allgemein üblich, daß durch Arbeitsvertrag oder Arbeitsordnung (in unterschiedlichen rechtstechnischen Ausgestaltungen) bestimmt wurde, daß das Arbeitsverhältnis beschäftigter Frauen mit ihrer Heirat beendet wird. Nachdem sich die Rechtsprechung der h. L. angeschlossen und in ständiger Rechtsprechung Klauseln dieser Art für rechtswidrig erklärt hat681 , werden Entlassungen aus Anlaß einer Heirat oder Geburt nicht mehr vorgenommen682 • Allerdings ist durch andere, informelle Maßnahmen und Behinderungen des Fortkommens683 der Druck auf einen weiblichen Arbeitnehmer, nach der Heirat oder spätestens mit der Geburt des ersten Kindes zu kündigen, weiterhin sehr stark684.

678 Nozawa, S. 222. Vgl. Kimura, S. 40; lmano, S. 197: Allgemeine Kündigungsregeln geiten, es sei denn, eine zweite Altersgrenze ist bestimmt. 679 Shimoi, AR, S. 151. 680 LG Osaka vom 25. 07. 59, RöminshO 35, 3/4, 451; Shimoi, AR, S. 184. A.A. (keine Kürzung möglich) z.B. LG Nagoya vom 16. 07. 50, Hanreijihö 792, 87 (die Entscheidung wurde trotz beachtenswerter Begründung aufgehoben). 681 s. hierzu Nw in den folgenden Fußnoten. 682 Shimoi, AR, S. 39. 683 s. hierzu unten § 5 AI 4 a. 684 Der Verfasser selbst hat miterlebt, wie eine Sekretärin an der Universität am Tag der Hochzeit mit einem Studenten des Graduierteninstituts ihren Arbeitsplatz kündigte und als Begründung angab, eine solche Verbindung "am Arbeitsplatz" werde nicht gerne gesehen, obwohl sie zwar räumlich in der Nähe ihres Mannes arbeitete, aber aus beruflichen Gründen praktisch nie mit ihm zusammentraf.

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Die Begründungen für die Unwirksamkeit einer Entlassung wegen Heirat sind unterschiedliche. Nicht durchsetzen konnte sich eine analoge Anwendung der §§ 3 f. ASG, da diese bußgeldbewehrt und deshalb nicht analogiefähig sind685. Auch die direkte Anwendung des Art 14 JV wird meist abgelehnt686 • Teilweise wird § 1 II BGB herangezogen687 • Am häufigsten findet sich jedoch die Begründung, daß Art 14 JV über § 90 BGB mittelbare Drittwirkung entfaltet, da die geschilderten Klauseln gegen die Gleichheit von Mann und Frau und deshalb auch gegen die guten Sitten bzw. Treu und Glauben verstoßen und deshalb unwirksam sind688. Erstaunlich ist, daß mit dem Gleichheitssatz der JV ein Menschenrecht regelmäßig eine zentrale Funktion bei der Lösung dieser Fälle bildet, daß aber Art 27 I JV in diesem Zusammenhang selten zur Begründung herangezogen wird689 , obwohl die "Technik der Anwendung", nämlich die mittelbare Drittwirkung, mit der des Art 14 JV identisch ist und die Anwendung zumindest aus der Sicht eines Deutschen naheliegt. Dies beruht sicherlich auch darauf, daß die Dogmatik zu Art 14 JV wesentlich gesicherter und besser erforscht ist als die zu Art 27 I JV. Dennoch läge dann zumindest eine Hilfsbt:gründung, die mit dem Recht auf Arbeit argumentiert, nahe. Dieses glatte "Ubersehen " der Norm in diesem Zusammenhang läßt Rückschlüsse auf das Rechtsbewußtsein, insbesondere das Menschenrechtsbewußtsein der Japaner zu. Während der allgemeine Gleichheitssatz zu den klassischen Menschenrechten gezählt werden kann und auch - fest verankert im Bewußtsein der Japaner - oft Gegenstand öffentlicher Diskussionen z.B. in den Massenmedien ist, steht das Recht auf Arbeit als ein relativ neues, soziales Grundrecht noch nicht so sehr im Mittelpunkt des Interesses. Überspitzt gesagt kann man im japanischen Rechtsalltag mit dem Recht auf Arbeit "noch nichts Rechtes anfangen" . Die vorliegende Fallgruppe ist hierfür ein besonders krasses Beispiel. Später wird noch genau zu untersuchen sein, warum das Recht auf Arbeit eine solche "Randexistenz" in Japan führt. b) Unterschiedliches Pensionierungsalter

Eine typische Form der Diskriminierung von Frauen in der japanischen Arbeitswelt ist die Festlegung unterschiedlicher Pensionierungsalter für Männer und Frauen durch die Arbeitgeber, wobei die Frauen zu einem früheren Ruhestand gezwungen werden als die Männer. Solche Diskriminierungen sind 685 Zutreffend OGH vom 25. 08. 50, Röminshfi 17,6, 1407; GLK ASG/Hokao § 4, Anm. 2.4; Kubo/Shimoi, S. 32; Nozawa, S. 206. Differenzierend Kataoka, AR (2), S. 387 f. 686 Vgl. Nozawa ebd.; Kubo/Shimoi ebd. 687 Nozawa ebd. 688 OGH vom 25.08.50, Röminshfi 17,6, 1407; LG Tökyö vom 01. 07. 44, Röminshfi 20, 4, 715 und vom 20. 12. 44, Hanreijihö 467, 26 sowie vom 20. 12. 41, Minshfi 17, 6, 1407 (zahlreiche Urteile geben aber keine dogmatisch saubere Begriindung). Shimoi, AR, S. 39; ders., ASG, S. 18; Kubo/Shimoi, S. 33; Sugeno, AR, S. 121; I. Satö, S. 156 f.; Hagizawa, S. 26 ff. mwNw. 689 Beachtenswert vor allem Ishii, S. 119 (eine Kündigung wegen Hochzeit ist kein angemessener Grund - Ishii deutet aber den Verstoß gegen Art 27 I GG ebenfalls nur an). Der Verstoß gegen Art 25, 27 I IV durch die genannten Praktiken wird explizit erwähnt bei OLG Tökyö vom 24. 04. 43, RöminshQ 19, 2, 571; LG Tökyö vom 20. 12.41, RöminshQ 17,6, 1418; T. Kobayashi, Verfassungsrecht, S. 155; Kubo/Shimoi, S. 33.

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allerdings seltener geworden. Gab es früher sogar Regelungen, daß Frauen nur bis zum Alter von 30 Jahren arbeiten durften, so gibt es heute immerhin noch in einem Siebtel der japanischen Unternehmen unterschiedliche Altersgrenzen690 • Häufig sind Regelungen, bei denen die männlichen Arbeitnehmer fünf Jahre länger arbeiten dürfen als die weiblichen. Die Rechtsprechung hat solche Unterschiede für zulässig gehalten mit der Begründung, daß sie auf Grund des unterschiedlichen Niveaus der männlichen und weiblichen Physiologie vernünftig sind691. Die h. L. wendet sich gegen diese Rechtsprechung und steht auf dem Standpunkt, daß eine solche unterschiedliche Behandlung nur auf dem Geschlechtsunterschied und nicht auf rational begründbaren physiologischen Unterschieden beruht und deshalb gemäß § 1 11 BGB bzw. § 90 BGB auf Grund der Verletzung des Gleichheitsgebots des Art 14 JV rechtswidrig ist692 • Auch hier tritt genauso wie bei der Entlassung von Frauen wegen Heirat das Recht auf Arbeit völlig hinter Art 14 JV zurück693. Beachtenswert ist die Ansicht von Numata, daß alle geschlechtsbedingten Diskriminierungen von Frauen im Arbeitsleben einen Verstoß gegen die Art 25, 27 JV bedeuten694 • 6. Union-shop-System Unter einem Shop-System versteht man in Japan eine Form der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen, die es einem Nichtgewerkschaftsmitglied unmöglich macht, in einem bestimmten Unternehmen (union-shop) oder auf dem gesamten (relevanten) Arbeitsmarkt (closed shop) einen Arbeitsplatz zu erhalten695 . In Japan gibt es fast keine closed-shop-Vereinbarungen, union-shop-Systeme sind allerdings sehr weit verbreitet696 • Die Gewerkschaften versuchen 690

Kinoshita in FS Honda, S. 257; Shimoi, AR, S. 39.

691 OLG Tökyö vom 12. 03. 48, RöminshO 24, 1/2,84 und LG Tökyö vom 08.04.46, Rö-

minshO 22, 2, 441 rur Altersgrenzen von 55 (Männer) bzw. 50 Jahren (Frauen). Nach der OGH-Rechtsprechung (wobei die Vorinstanzen jeweils auf Rechtswidrigkeit erkannt hatten) sind auch folgende Altersgrenzen zulässig: 57 bzw. 47 Jahre (vom 29. 08. 50, Rökeisokuhö 233, 45),60 bzw. 55 Jahre (24. 03. 56, MinshO 35, 2, 3(0). Vgl. aber auch OGH vom 24.03.56 in MinshO 35,2,300. 692 LG Morioka vom 18. 03. 46, RöminshO 22, 2, 291; LG Tökyö vom 01. 07. 44, RöminshO 20, 4, 715; Shimoi, AR, S. 40; GLK ASGlHokao § 4, Anm. 2.4 ha. 693 Vgl. insbesondere Kimura, S. 34 ff., bes. 38, der zwar bei einer um runf Jahre differierenden Altersgrenze eine Verletzung von Art 14 N, § 90 BGB bejaht, aber eine Verletzung von Art 27 I N verneint, da diese Vorschrift in diesem Fall völlig hinter Art 14 N zurücktrete. 694 Numata, Arbeitsrechtslehre, S. 33. 695 Kubo, S. 77; Sugeno, AR, S. 376; Yasueda/Nishimura, AR, S. 231; GLK GwGlMizuno § 16, Anm. 6.4. Vgl. auch die anders strukturierten Definitionen bei Shirai, S. 95. 696 GLK GwG/Nishitani § 16, Anm. 3.10 i; Yasueda/Nishimura ebd.; NomuralSatö, S. 3; Kataoka, AR (2), S. 295; Kubo, S. 77; Ono, S. 91. Zwar hatten 1977 "nur" etwa 50 % der japanischen Unternehmen solche Vereinbarungen, doch sind sie um so häufiger, je größer die Firma ist, in Großbetrieben sind sie die Regel (Shirai, S. 96). Allerdings wirkt diese Zahl dann nicht so eindrucksvoll, wenn man berücksichtigt, daß (wie im folgenden erläutert) meist nur unvollkommene union-shop-Systeme vereinbart sind.

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idR ZU ihrer Stabilisierung und zur Bewahrung ihrer Einheit, solche Systeme einzuführen. Aber auch die Arbeitgeber wehren sich idR kaum gegen die Einführung solcher Regelungen, weil sie ihrerseits hoffen können, dieses System als Hebel für ihnen günstige Gewerkschaftsspaltungen benutzen zu können697 • Gesetzliche Regelungen über Shop-Systeme finden sich nur in Art 7 Nr. 1 S. 2 GwG698 • Meist ist in Japan der Umfang einer union-shop-Vereinbarung beschränkt. Oft erstreckt sich die Kündigungsverpflichtung des Arbeitgebers nicht auf alle Nichtmitglieder der Gewerkschaft, sondern nur auf von dieser ausgeschlossene699. Oft finden sich nur unverbindlich-deklaratorische Erklärungen in Tarifverträgen, oft gibt es Ausnahmen von der Kündigungspflicht ("sogenannter unvollständiger union-shop")'lOO. Eine weitere Einschränkung liegt darin, daß beim Vorhandensein zweier Gewerkschaften in einem Betrieb und Abschluß eines union-shop-Abkommens nur mit einer Gewerkschaft sich die Kündigungspflicht des Arbeitgebers nicht auf die Mitglieder der anderen Gewerkschaft erstreckt, diesen kann also nicht unter Berufung auf das Shop-Abkommen gekündigt werden701 • Problematisch sind Veränderungen nach Abschluß der Vereinbarung. Bei einer nachträglichen Spaltung der Gewerkschaft verliert das Abkommen seine Wirksamkeit702. Die Kündigungspflicht des Arbeitgebers erstreckt sich wohl auch nicht auf Arbeitnehmer, die nach Schluß der Vereinbarung von der vertragsschließenden Gewerkschaft in die konkurrierende oder als neu eingestellte Arbeitnehmer direkt in diese andere eintreten7OJ • Dennoch ist nach h.M. auch ein vollständiges union-shop-System grundsätzlich rechtmäßig104 , obwohl dies im Ergebnis einen Koalitionszwang beKubo, S. 78; Keiya, S. 11. Vgl. NomuralSatö, S. 38 ff. Die Bedeutung dieser Vorschrift ist begrenzt. Sie stellt lediglich klar, daß ein union-shopAbkommen mit einer Mehrheitsgewerkschaft keine beherrschende Einflußnahme darstellt. Eine solche Vereinbarung kann aber gegen andere Ziffern des § 7 GwG verstoßen, wenn durch sie die Aktivitäten einer mißliebigen kleineren Gewerkschaft behindert werden sollen (Zentraler Arbeitsausschuß vom 17. 05. 36, Meireishil 24/25,389; Kubo, S. 110). Außerdem ergibt sich aus der Vorschrift, daß der Abschluß eines union-shop-Abkommens mit einer Minderheitsgewerkschaft immer einen Fall des § 7 GwG darstellt (Arbeitsausschuß Osaka vom 21. 05. 29, Meireishil 10,68; Kubo, S. 110; Hayashi, S. 269; Kataoka, AR (2), S. 296). 699 Kubo, S. 78. 700 Beispiel bei Sugeno, AR, S. 376, Shirai, S. 112 FN 1: Eine Kündigung muß nicht erfolgen, wenn das Unternehmen "auch weiterhin auf die betreffende Person angewiesen ist". Vgl. auch Nishimura/Yasueda, AR, S. 232: Wenn der Unternehmer nicht kündigen kann, trägt er auch keine entsprechende Verpflichtung aus dem union-shop. Differenzierend NomuralSatö, S. 46 ff. mwNw. 701 Unstr., vgl. für viele LG Takarnatsu vom 14. 03. 30, Röminshu 6, 2, 129. Kubo, S. 79; Kataoka, AR (2), S. 296; NomuralSatö, S. 17 ff. mwNw; Keiya, S. 12; Ono, S. 92. 702 LG Tökyö vom 04. 06. 24 Rösaishu 4, 178; LG Maebashi vom 04. 12. 28, Röminshil 20,3,498. Kubo, S. 80. 70J LG Yokoharna vom 10. 08. 40, Röminshfi 16,415,97. Sugeno, S. 378. A.A. LG Takamatsu vom 14.03. 30 Röminshfi 6, 2, 129. Vgl. auch LG Tökyo vom 13.05. 50, HanreijibO 801,98; LG Fulruoka, Zweigstelle Kolrura vom 28. 12.23, RöminshQ 3, 125; Hayashi, S. 268; Ono, S. 317. 704 Kubo, S. 78 f. 697

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deutet. Man argumentiert meist, daß das Recht der Gewerkschaft, ihre Organisation durch den Abschluß von union-shop-Abkommen zu stärken, aus deren Koalitionsfreiheit abzuleiten ist und sich gegenüber der Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer (Art 21 JV)1OS bzw. deren Berufswahlfreiheit (Art 22 JV) durch