Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik: systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik 3787315071, 9783787315079

Einleitung Erstes Kapitel. Die Ansatze zu einer Uberwindung der endlichen Subjektivitat in Hegels Jugendschriften. A. He

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Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik: systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik
 3787315071, 9783787315079

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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erstes Kapitel: Die Ansätze zu einer Überwindung der endlichen Subjektivität in Hegels Jugendschriften
A. Hegels Kritik an Kants Ethik und die Frage der Einheit des sittlichen Subjekts
B. Die Logik der endlichen Reflexion in ihrem Verhältnis zur Ontologie des reinen Seins
a) Antinomie und Vereinigung. Zur Vorgeschichte der Hegelschen Dialektik
b) Die Reflexion des Bewußtseins und die Voraussetzung des reinen Seins
c) Probleme der Genesis der spekulativen Erkenntnis
Zweites Kapitel: Die Logik der endlichen Reflexion als Einleitung in die Metaphysik
A. Hegels Konzeption der Logik in der frühen Jenaer Zeit
a) Grundriß der frühen Logik
b) Die frühe Form der Dialektik Hegels als Methode der einleitenden Logik
B. Das Verhältnis von Logik und Metaphysik in Hegels Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie
a) Hegels Rezeption und Kritik von Kants transzendentaler Deduktion der Kategorien
b) Das Verhältnis von Logik und Idealismus in Hegels Fichtekritik
c) Inhalt und Methode der absoluten Metaphysik bei Hegel und Schelling
Drittes Kapitel: Die Logik als Begründung des metaphysischen Erkennens
A. Hegels Neubestimmung der Aufgaben der Logik in den späteren Jenaer Systementwürfen
a) Die Logik und Metaphysik von 1804/05
b) Hegels erster Entwurf einer spekulativen Logik (1805/06)
B. Denken und Erkennen in der Logik
a) Die Umgestaltung der formalen Logik und das Problem des logischen Inhalts
1. Begriff
2. Urteil
3. Schluß
4. Die Methode des Erkennens
b) Dialektik und bestimmte Negation
C. Der metaphysische Begriff der absoluten Subjektivität
a) Subjektivität und absoluter Geist in Hegels „Metaphysik” von 1804/05
b) Die logisch-metaphysische Struktur der Subjektivität in Hegels Entwurf einer „spekulativen Philosophie”
1. Spekulativer Satz, Dialektik und Syllogistik
2. Die absolute Subjektivität am Ende der „Phänomenologie" und die Seinskategorien
Viertes Kapitel: Die Subjektivität als Begriff in Hegels spekulativer Logik
Vorbemerkung über die verschiedenen Nürnberger Entwürfe zur propädeutischen Logik
A. Die Dialektik der Reflexionsbestimmungen in Hegels „Wissenschaft der Logik”
B. Der sich selbst denkende Begriff
a) Substanz und Subjekt. Hegels Spinoza-Kritik innerhalb der Logik
b) Hegels Umdeutung des Kantischen Prinzips der reinen Apperzeption zum spekulativen Begriff
C. Der Begriff und seine Bestimmungen als spekulativer Inhalt der subjektiven Logik
a) Die Subjektivität als Einheit der verschiedenen Begriffsmomente
b) Das Urteil als Selbsteinteilung des Begriffs
1. Bestimmung des Urteils im allgemeinen
2. Die einzelnen Urteile
c) Der Schluß als Sich-selbst-Begreifen des Begriffs
1. Bestimmung des Schlusses im allgemeinen
2. Die einzelnen Schlüsse
Fünftes Kapitel: Die absolute Subjektivität als spekulative Idee und Prinzip der Logik
A. Idee und Idealismus in Hegels spekulativer Logik
B. Die subjektive Struktur der Idee des Erkennens
a) Analytische Methode
b) Synthetische Methode
C. Die absolute Idee als Sich-Denken und als Methode der Dialektik
a) Hegels Interpretation von Aristoteles’ Noesis Noeseos
b) Die Dialektik als absolute Subjektivität
c) Die Grundformen der Dialektik in der spekulativen Logik
D. Endliche und absolute Subjektivität als Prinzip der Philosophie
Siglenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Namenregister
Sachregister
Nachwort zur 2. Auflage

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HEGEL-STUDIEN Herausgegeben von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler Beiheft 15

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DAS PROBLEM DER SUBJEKTIVITÄT IN HEGELS LOGIK Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik von Klaus Düsing

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der 3., um ein Nachwort erweiterten Auflage von 1995, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1507-9 ISBN eBook: 978-3-7873-2958-8 ISSN 0440-5927

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE

Der Text der ersten Auflage bleibt unverändert. Das Nachwort zur zweiten Auflage wird ebenfalls unverändert wiederabgedruckt. Hinzugefügt wird ein Nachwort zur dritten Auflage mit Literaturhinweisen und einer Skizze weiterer Bemühungen des Autors unter Hervorhebung systematischer Probleme der Subjektivität bei Hegel. Köln, im November 1994

Klaus Düsing

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Der Text der ersten Auflage wird unverändert wiederabgedruckt. Hinzugefügt wird ein Nachwort, in dem der Autor zum Problem der Subjektivität in Hegels Logik noch einmal Stellung rümmt und die weitere Entwicklung seiner Bemühungen umreißt. Köln, im Juli 1984

Klaus Düsing

VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

Diese Abhandlung wurde von der Abteilung für Philosophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum im Wintersemester 1974/75 als Habilitationsschrift unter dem Titel: „Das Problem der Subjektivität in Hegels Konzeptionen der Logik” angenommen. Ich habe sie seither überarbeitet und insgesamt leicht gekürzt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglichte mir durch ein Habilitandenstipendium ein gründliches Studium der Quellentexte, der Interpretationsliteratur sowie die Ausarbeitung meiner Schrift. Daher möchte ich an dieser Stelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihre Unterstützung aufrichtig danken. Zusammenfassungen der ersten Hälfte dieser Untersuchung habe ich im Hegel-Kolloquium an der Ruhr-Universität im Sommersemester 1973 vortragen und mit dem Leiter und den Mitarbeitern des Hegel-Archivs besprechen können. Ferner hatte ich Gelegenheit, Thesen meiner Schrift mit Teilnehmern der Hegel-Tagung der Internationalen Hegel-Vereinigung in Santa Margherita im Mai 1973 zu diskutieren. Allen, die mir im Laufe der Entstehung meiner Abhandlung und auch nach Abschluß ihrer ersten Fassung wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben, möchte ich herzlich danken. Bcxhum, im April 1976

Klaus Düsing

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INHALT

Einleitung

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Erstes Kapitel Die Ansätze zu einer Überwindung der endlichen Subjektivität in Hegels Jugendschriften 38 A. Hegels Kritik an Kants Ethik und die Frage der Einheit des sittlidien Subjekts 39 B. Die Logik der endlichen Reflexion in ihrem Verhältnis zur Ontologie des reinen Seins 50 a) Antinomie und Vereinigung. Zur Vorgeschichte der Hegelschen Dialektik 50 b) Die Reflexion des Bewußtseins und die Voraussetzung des reinen Seins 64 c) Probleme der Genesis der spekulativen Erkenntnis .... 70 Zweites Kapitel Die Logik der endlidien Reflexion als Einleitung in die Metaphysik .

75

A. Hegels Konzeption der Logik in der frühen Jenaer Zeit.... 76 a) Grundriß der frühen Logik 76 b) Die frühe Form der Dialektik Hegels als Methode der einleitenden Logik 93 B. Das Verhältnis von Logik imd Metaphysik in Hegels Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie 109 a) Hegels Rezeption und Kritik von Kants transzendentaler Deduktion der Kategorien 109 b) Das Verhältnis von Logik und Idealismus in Hegels Fichtekritik 120

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c) Inhalt und Methode der absoluten Metaphysik bei Hegel und Sdielling 134 Drittes Kapitel Die Logik als Begründung des metaphysisdien Erkennens ....

150

A. Hegels Neubestimmung der Aufgaben der Logik in den späteren Jenaer Systementwürfen 150 a) Die Logik und Metaphysik von 1804/05 150 b) Hegels erster Entwurf einer spekulativen Logik (1805/06) . . 156 B. Denken und Erkennen in der Logik 160 a) Die Umgestaltung der formalen Logik und das Problem des logischen Inhalts 160 1. Begriff 160 2. Urteil 165 3. Schluß 172 4. Die Methode des Erkennens 176 b) Dialektik und bestimmte Negation 179 C. Der metaphysische Begriff der absoluten Subjektivität .... 189 a) Subjektivität und absoluter Geist in Hegels „Metaphysik” von 1804/05 189 b) Die logisch-metaphysische Struktur der Subjektivität in Hegels Entwurf einer „spekulativen Philosophie” 198 1. Spekulativer Satz, Dialektik und Syllogistik 198 2. Die absolute Subjektivität am Ende der „Phänomenologie” und die Seinskategorien 205 Viertes Kapitel Die Subjektivität als Begriff in Hegels spekulativer Logik .... 209 Vorbemerkung über die verschiedenen Nürnberger Entwürfe zur propädeutischen Logik 209 A. Die Dialektik der Reflexionsbestimmungen in Hegels „Wissenschaft der Logik” 213 B. Der sich selbst denkende Begriff

228

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a) Substanz und Subjekt. Hegels Spinoza-Kritik innerhalb der Logik 228 b) Hegels Umdeutung des Kantisdien Prinzips der reinen Apperzeption zum spekulativen Begriff 233 C. Der Begriff und seine Bestimmungen als spekulativer Inhalt der subjektiven Logik 244 a) Die Subjektivität als Einheit der verschiedenen Begriffsmomente 244 b) Das Urteil als Selbsteinteilung des Begriffs 251 1. Bestimmung des Urteils im allgemeinen 251 2. Die einzelnen Urteile 254 c) Der Schluß als Sich-selbst-Begreifen des Begriffs 266 1. Bestimmung des Schlusses im allgemeinen 266 2. Die einzelnen Schlüsse 273 Fünftes Kapitel Die absolute Subjektivität als spekulative Idee und Prinzip der Logik

289

A. Idee und Idealismus in Hegels spekulativer Logik

289

B. Die subjektive Struktur der Idee des Erkennens a) Analytische Methode b) Synthetische Methode

295 295 299

C. Die absolute Idee als Sich-Denken und als Methode der Dialektik 305 a) Hegels Interpretation von Aristoteles’ Noesis Noeseos . . . 305 b) Die Dialektik als absolute Subjektivität 313 c) Die Grundformen der Dialektik in der spekulativen Logik . . 327 D. Endliche und absolute Subjektivität als Prinzip der Philosophie .

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Siglenverzeichnis

347

Literaturverzeichnis

349

Namenregister

364

Sachregister

...

Nachwort zur 2. Auflage

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367

.

372

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EINLEITUNG

I. Soll eine Untersudiung versdiiedener früherer Theorien der Subjektivität und damit audi des philosophischen Problems der Subjektivität mehr als nur historische Bedeutung haben, so bedarf dies heute wohl einer eigenen Begründung. Denn bis auf einige Ausnahmen gelten in den gegenwärtigen Strömungen der Philosophie die Lehren von der Subjektivität ebenso wie das Thema: Subjektivität im Grunde als überholt bzw. sogar als Erörterung eines Scheinproblems. Die Einwände gegen eine Theorie der Subjektivität gehen allerdings nicht nur von ganz verschiedenen Prämissen aus, sondern betreffen auch unterschiedliche systematische Fragen. Für die Beurteilung, ob mit dem Titel „Subjektivität” ein sachlich berechtigtes Problem bezeichnet wird oder nicht, ist daher die Bestimmung des systematischen Orts dieses Problems und der entsprechenden Betrachtungsweise zentral. Um eine solche Beurteilung vorzubereiten, seien hier einige einführende Überlegungen angestellt, die dazu dienen, das Problem der Subjektivität überhaupt erst zu formulieren. In einer Hinsidit ist Subjektivität als empirisches oder reales Selbstbewußtsein im Kontext der Erfahrung zu denken, wobei das Verhältnis dieses Selbstbewußtseins zum Bewußtsein bestimmt werden muß. Unter Bewußtsein kann dabei — ohne daß hier auf die vielfältige Diskussion dieses Begriffs eingegangen werden soll — die Möglichkeit verstanden werden, im Zustand des Wachseins Vorstellungen in ihrer Unterschiedenheit voneinander zu gewahren und auf sie aufmerksam zu werden. Selbstbewußtsein heißt dann die Fähigkeit, in den bewußten Vorstellungen einen inhaltlich bestimmten Zusammenhang hervorzubringen und seiner eigenen Vorstellungsleistungen in den bewußten Vorstellungen und in deren Synthesis gewiß zu sein. Selbstbewußtsein ist insofern nur auf der Grundlage des Bewußtseins von Vorstellimgen möglich so wie Bewußtsein etwa auf der Grundlage des zentralen Nervensystems, physiologischer und biochemischer Vorgänge usw., was zu erforschen nicht Aufgabe der Philosophie sein kann. Ein philosophisches Problem ergibt sich erst, wenn das Selbstbewußtsein, wie es vielfach in der Philosophie der Neuzeit geschah, als

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Einleitung

nähere Kennzeichnung des logischen Denkens aufgefaßt und wenn gefragt wird, wie dieses Selbstbewußtsein strukturiert und wie es selbst möglich ist. Bei der Beantwortung dieser Fragen treten erhebliche Schwierigkeiten auf, die zumindest Zweifel an der Berechtigung dieses Konzepts von Selbstbewußtsein als verständlich erscheinen lassen. Die Berücksichtigung verschiedener Intensitätsstufen des Bewußtseins und Selbstbewußtseins sowie gewisser Ausfallerscheinungen z. B. bei Krankheiten, bei denen das mit Selbstbewußtsein Bezeichnete zum Teil, aber doch nicht insgesamt betroffen ist, kann es nahelegen, das Selbstbewußtsein als einheitliches, homogenes Vermögen zu bestreiten; es könnte dann als eine Kollektion von Fähigkeiten mit speziellen Funktionen aufgefaßt werden, deren Ausübung einen bestimmten Wirkungsgrad erreichen muß. Allerdings ist aufgrund dieser Annahme kaum zu erklären, wie die ursprüngliche Einheit eines Gedankens und des entsprechenden gedachten Sachverhalts, durch die beide erst möglich sind, überhaupt zustande kommt. Akzeptiert man aber einmal das Selbstbewußtsein als homogenes Vermögen, so erhebt sich die Frage, wie es sich selbst im Strom der bewußten Vorstellungen zu erfassen vermag. Denn unter den mannigfaltigen gegebenen Vorstellungen des äußeren Sinnes begegnet keine, die den Namen: Ich verdient; diese Feststellung bedeutet allerdings nur, daß die Vorstellung: Ich, mit der hier dasselbe wie mit der des Selbstbewußtseins bezeichnet wird, nicht ebenso gegeben ist wie die Vorstellung: Baum oder Tisch. So könnte man annehmen, daß das Ich sich in einer eigenen inneren Wahrnehmung, einer Introspektion, adäquat gegeben sei. Gegen die von Locke ausgehende Theorie der inneren Wahrnehmung wurde jedoch z. B. eingewendet, daß das Ich sich über seine Erlebnisse und damit über sich selbst auch täuschen kann; ferner ist die Erinnerung an eigene frühere Erlebnisse oft lückenhaft oder weist Verschiebungen auf, so daß die personale Identität fraglich wird; schließlich dürfte die Möglichkeit der Erfahrung von Intersubjektivität durch diese Theorie nur auf Umwegen erklärbar sein. Von der Lehre von der inneren Wahrnehmung ist die Reflexionstheorie zu unterscheiden, die behauptet, daß das Ich sich in seinen bewußten Vorstellungen selbst durch den in der Zeit geschehenden Denkakt der Reflexion auf sich selbst erfasse; demnach richtet es sich in einer eigenen mentalen Handlung etwa auf sein Sehen oder Hören von etwas und weiß damit, daß es sieht oder hört; es stellt sich selbst vor. Hierbei ergibt sich nun das entscheidende Problem der unendlichen Iteration, wie es genannt werden soll, das eine Theorie der Subjektivität lösen muß, wenn sie nicht scheitern will. Da das Ich nicht nur sieht oder hört, sondern weiß, daß es sieht oder hört, muß es gerade zur Ermöglichung dieses Wissens bereits voraus-

Einleitung

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gesetzt werden; denn es bringt sich in diesem Wissen seiner selbst nicht erst hervor, sondern geht ihm als Bedingung der Möglichkeit voran. Wird dieses bedingende Ich aber durch einen erneuten Akt der Reflexion sein Vorstellimgsinhalt, so muß das Ich wieder vorausgesetzt werden usw. ins Unendliche. Dieses Problem ist auch sonst in anderen Spielarten, z. B. als Problem des Zirkels in der Selbstvorstellung, dargestellt worden. In der Sprache des deutschen Idealismus läßt sich die unendliche Iteration so formulieren, daß das Ich als Subjekt sich durch Reflexion zwar zum Objekt machen kann, daß es sich dabei aber gerade als subjektive Spontaneität wieder voraussetzen muß, deren Vergegenständlichung daher nie gelingt. — Diese unendliche Iteration stellt sich beim empirischen Akt der Reflexion zur Gewinnung einer empirischen Selbstvorstellung ein. Sie dürfte, was hier nur angedeutet werden kann, als Gegenargument gegen eine Theorie der empirischen Subjektivität jedoch dann unschädlich sein, wenn man erstens bedenkt, daß zur adäquaten Selbsterfassung eines wirklichen empirischen Selbstbewußtseins durch Leistungen der Reflexion nur die Struktur eines möglichen, nicht des wirklichen, vollständig entfalteten Ich vorauszusetzen ist, und wenn man zweitens die Reflexion als Denkakt, unabhängig vom jeweiligen empirischen Material, im Kontext des reinen Denkens und Selbstbewußtseins erst begründet. Dabei wird freilich angenommen, worauf in der Abhandlung selbst näher einzugehen ist, daß sich in der Entwicklung eines solchen reinen Denkens und Selbstbewußtseins die unendliche Iteration vermeiden läßt und daher auch dem Begriff des empirischen Selbstbewußtseins qua Selbstbewußtsein nicht notwendig zukommt. Die Bestimmung des systematischen Orts, an dem das Thema: Selbstbewußtsein untersucht wird, und der entsprechenden Methode ist damit von besonderer Bedeutung für das Gelingen einer Subjektivitätstheorie. Das Selbstbewußtsein soll, nach einer vielfach in der Neuzeit vertretenen Hypothese, zuerst der genaueren Charakterisierung des reinen Denkens dienen, das nicht als psychischer Akt, sondern als allgemeiner Grund der logischen Regeln und Gesetze zu verstehen ist. Nur in dieser Bedeutung ist es als Prinzip der Philosophie in Anspruch zu nehmen. Die zweite grundlegende Hinsidjt, in der Subjektivität oder Selbstbewußtsein aufgefaßt werden kann, ist daher nicht empirisch, sondern a priori, und zwar prinzipientheoretisch; das reine Selbstbewußtsein soll in einer noch näher zu bestimmenden Weise Prinzip der logischen Regeln sein. In dieser Überlegung wird vorausgesetzt, daß eine psychologische Begründung der reinen Logik unmöglich ist, was vor allem Husserl in den Logischen Untersuchungen gezeigt hat. Dieses reine Selbstbewußtsein ist keine Individualität und über-

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Einleitung

haupt keine reale Entität, sondern nur der Gedanke einer allgemeinen Struktur reiner mentaler Handlungen. Diese Struktur muß jedodi audi im Begriff des empirischen Selbstbewußtseins, sofern seine psychischen Akte als empirisches Denken bestimmt werden sollen, mit spezifischen Modifikationen enthalten sein. Damit die Annahme solcher reinen mentalen Handlungen nicht von vornherein als unbegründet bestritten wird, seien hier dazu noch einige Hinweise angeführt. Das Denken, auch wenn es sich mit empirischen Gegenständen befaßt, kann als Verknüpfung der Vorstellungen nach den Regeln der formalen Logik angesehen werden. Nun sind diese Regeln nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern a priori gültig; sie ermöglichen erst die Wissenschaftlichkeit einer jeden Untersuchung. Also kann auch der Vollzug dieser Regeln, sofern es sich dabei nur um die Vorstellungsverknüpfung nach gültigen logischen Gesetzen handelt, nicht ein bloßes Erfahrungsdatum, irgendein psychisches Ereignis sein; denn durch psychische Geschehnisse, die sich in ihrem faktischen Verlauf beobachten lassen, kann kein logischer, apodiktisch gültiger Regelzusammenhang hergestellt werden. Es müssen dafür vielmehr reine mentale Handlungen angenommen werden, die a priori zu vollziehen sind. Ihnen kommt keine von der Existenz empirischer psychischer Akte gesonderte eigene Existenz zu; sie stellen nur Konstitutionsprinzipien für diejenigen psychischen Vorkommnisse dar, die man — im Unterschied etwa zu Wahrnehmungen oder Erinnerungen — mit einigem Recht als Denkakte bezeichnen kann. Ob jemand im Verfahren z. B. nach einer bestimmten Schlußregel oder sogar bei der Betrachtung der Schlußformen in der Logik selbst Denkhandlungen tatsächlich ausübt, läßt sich wohl nur mit Graden der Wahrscheinlichkeit aussagen; aber daß er denken, d. h. reine mentale Handlungen vornehmen muß, wenn er gesetzmäßig gültige Vorstellungsverknüpfungen zustande bringen und deren Notwendigkeit auch einsehen will, ist offenkundig. — Der Psychologismus dürfte daher nur unvollständig widerlegt sein, wenn man allein die logischen Regeln und Gesetze für nicht psychisch begründet und damit für a priori hält, das Gedachtwerden dieser Regeln und die Erkenntnis ihrer Gültigkeit dagegen lediglich für psychische, faktische Erlebnisse, die man vom Wahrnehmen oder Empfinden nur durch empirische Kriterien unterscheiden kann. Da durch solche Erlebnisse kein logischer Kontext mit Anspruch auf Gültigkeit hervorzubringen ist, muß man reine, regelhafte Verhältnisse konstituierende Handlungen konzipieren, die gewissen psychischen Akten, sofern diese als Denkvollzüge bestimmt werden sollen, als ideale Bedingungen der Möglichkeit zugrunde liegen.

Einleitung

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Die reinen konstituierenden Handlungen aber sollen in ihrem Zusammenhänge zur Einheit des reinen Selbstbewußtseins gehören. Da jene Handlungen logisdie Vorstellungsverbindungen sind, kann man in einem nodi näher zu bestimmenden Sinne das reine Selbstbewußtsein als Grund oder Prinzip der Logik ansehen, wie es z. B. von Kant oder aber von Hegel, z. T. auch von Husserl verstanden wurde. — Die reine Logik begründet durch ihre allgemeinen Gesetze das wissenschaftliche Argumentieren in allen Wissenschaften. Sie ist systematisch insofern die erste Wissenschaft. In ihr müssen die logischen Formen und Regeln daher nicht nur angewendet, sondern selbst einsichtig und mit Erkenntnis ihrer Gültigkeit entwickelt werden. Ferner darf man bei einer solchen methodischen Explikation, da die Logik erste Wissenschaft sein soll, Grundbegriffe oder -bedeutungen, die in ihr gebraucht werden, nicht einfach aus anderen Gebieten übernehmen wie z. B. logische Wahrheit und Falschheit, den Begriff der Aussage und eines logischen Sachverhalts, den Begriff der Gültigkeit und möglicherweise ihrer Stufen oder auch etwa den Unterschied von Objekt- und Metasprache, in dem unschwer das Reflexionsmodell wiederzuerkennen ist. Als Begründung der Logik als selbständiger Wissenschaft, deren Bestand von Formen und Regeln durch diese Überlegung gar nicht tangiert wird, und als Lösimg der genannten Probleme bietet sich das reine Selbstbewußtsein als strukturierte Einheit der gesetzmäßigen und gültigen Zusammenhang stiftenden Handlungen an. Bei einer Ausführung dieses Gedankens müßte zugleich mit der Konstitution logischer Zusammenhänge und der Reflexion darüber in der Logik die Möglichkeit der denkenden Selbstbeziehung geklärt werden. Nun läßt sich auch das Problem der Subjektivität nach den erwähnten beiden Hinsichten genauer formulieren. Das Problem der empirischen Subjektivität besteht darin, auf welche Weise und durch welche mentalen Akte das erfahrende und erfahrbare Ich eine Selbstbeziehung gewinnen kann, ohne in die unendliche Iteration oder einen Zirkel zu geraten. Beides muß auch bei der Entwicklung der rein denkenden Selbstbeziehung vermieden werden. Das Problem der reinen Subjektivität, auf das dasjenige des empirischen Selbstbewußtseins verweist, läßt sich als die Frage angeben, wie die Struktur der Einheit der reinen mentalen Handlungen selbst und in ihrem Zusammenhang untereinander bestimmt und schließlich als denkende Selbstbeziehung, d. h. als Selbstvergegenständlichung und Sich-Denken expliziert werden kann. Damit wird systematisch zugleich das Problem einer Begründung oder eines Prinzips der Logik angeschnitten. Gegen eine Untersuchung solcher Probleme, wie sie im folgenden anhand der von Hegel vorgezeichneten Möglichkeiten einer Subjektivitäts-

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Einleitung

theorie in der Logik vorgenommen werden soll, kann der Verdacht aufkommen, daß sie die von verschiedenen Seiten im zwanzigsten Jahrhundert geäußerte Kritik an gewissen Theorien und am Problem der Subjektivität nicht beachtet. Auf die Gründe dieser Kritiken ist hier nicht im einzelnen einzugehen; einige der wesentlichen Ein wände aber sollen wenigstens typologisdi skizziert werden. Der erste Einwand kann als empiristisch-positivistisch bezeichnet werden. Durch ihn wird einmal bestritten, daß der Begriff einer reinen, allgemeinen oder transzendentalen Subjektivität überhaupt eine sinnvolle Bedeutung habe, da dergleichen ja nicht vorkomme; zum andern wird — allerdings ohne klare Unterscheidung von der reinen Subjektivität — auch der Begriff eines empirischen, in der Zeitfolge identischen Selbstbewußtseins zurückgewiesen; denn auch dieses kann nicht eindeutig festgestellt werden, die vermeinte Identität beruht auf einer Assoziationskette. Als behavioristische Variante dieses Arguments könnte man die Kritik an der Introspektion oder an der besonderen Gewißheit der inneren Wahrnehmung hinzufügen, woraus dann verschiedentlich die Zurückweisung des Begriffs einer beständigen personalen Identität gefolgert wird *. Die älteren Kritiker, auf die diese Kritiken sich z. T. berufen, nämlich W. James und E. Mach lehnen aus ähnlichen Gründen die Annahme eines empirischen, identischen Selbstbewußtseins ab. Bei ihnen tritt das prinzipielle Fundament, das diesen Kritiken insgesamt zugrunde liegen dürfte, stärker hervor; es wurde zuerst in der Lehre Humes formuliert, die besagt, daß die Einheit des Ich oder die personale Identität lediglich eine Sammlung oder ein Bündel von Vorstellungen sei. Die zweite, der ersten verwandte Argumentationsweise gegen die Einheit des Subjekts ist deskriptiv-psychologisch. Ihr gilt ein über den Erlebnissen schwebendes, synthetisierendes Ich als deskriptiv nicht ausweisbar und als überflüssig. Sie läßt jedoch ein empirisches Ich bzw. Bewußtsein als Inbegriff von Erlebnissen, auch dauerhaften Stimmungen und von noematischen Inhalten zu *. ‘ Vgl. 2. B. L. Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. 6. Aufl. Frankfurt a. M. 1969. Nr. 5.631 ff und dazu W. Sdmlz; Wittgenstein. Die Negation der Philosophie. Pfullingen 1967. 29—39. B. Russell: An Outline of Philosophy. 8. Aufl. London 1961. 218—225, auch 169—183; ders.: The Analysis of Mind. 10. Aufl. London 1971. 9—40. G. Ryle: The Concept of Mind. (1. Aufl. 1949) London 1969. 154—198. * Vgl. IV. James: The Principles of Psydsology. London o. J. Bd 1. 329 ff; ders.: Does Consciousness existi In: Essays in Radical Empiricism. 2. Aufl. New York 1922. 1—38. E. Mach: Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. 6. Aufl. Jena 1911. 18 ff. * Diese Kritik findet sich beim frühen Husserl und — mit Modifikationen — auch bei Sartre. Vgl. E. Husserl: Logische Untersuchungen. Halle 1900/01, bes. Bd II. 325—342;

Einleitung

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Grundsätzlich versdiieden von diesen Einwänden ist der dritte, nämlich der ontologische Einwand. In ihm wird prinzipiell bestritten, daß die apriorische Subjektivität Fundament der Philosophie sein könne. Der Erkenntnis eines erkennenden Subjekts, die nicht für unmöglich gehalten wird, soll vielmehr die allgemeine Erkenntnis des Seienden in einer Ontologie vorausgehen *. Eine solche Kritik und ein solches Programm erhalten beim frühen Heidegger eine besondere Wendung; er schickt der Erfassung des Seienden als solchen eine Fundamentalontologie voran, die selbst wieder Theorie der Subjektivität ist, allerdings nicht der allgemeinen oder sogar rein logischen, sondern der existierenden Subjektivität und ihrer spezifischen Seinsweise. Später begründet er freilich auch die existierende Subjektivität oder das Dasein im Gedanken der Seinsgeschichte, die jedoch nicht mehr wissenschaftlich, d. h. in einer systematisch angelegten Ontologie zu explizieren ist ®. Den vierten Einwand kann man den gesellschaftstheoretisch-marxistischen nennen; er wird freilich nur von einigen Vertretern dieser Richtung ausdrücklich erhoben. In ihm wird vor allem der apriorische Begriff eines reinen, transzendentalen und als frei beanspruchten Subjekts abgelehnt. Dieser Begriff gilt als vom bürgerlichen Subjekt erschaffener Gedanke, der an den Widersprüchen des Wirklichen bzw. am materiellen und geschichtlichen Prozeß vorbeigeht ®. Die bisher erwähnten Einwände gegen einen Begriff bzw. eine Theorie der Subjektivität sind, wie leicht ersichtlich, nur unter Voraussetzung bedazu vgl. K. Cramer: „Erlebnis”. In: Hegel-Studien. Beiheft 11 (1974), 537—548, 569 ff. ].P. Sartre: Die Transzendenz des Ego. Versuch einer phänomenologischen Beschreibung. Übeps, V. H. Schmitt. In: Die Transzendenz des Ego. Drei Essays. Reinbek 1964. 5—43. * Vgl. z. B. N. Hartmann: Der Aufbau der realen Welt. Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre. 2, Aufl. Meisenheim a. G. 1949, bes. 1—17, auch 512—516; ders.: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis. 4. Aufl. Berlin 1949, bes. 44 ff, 182 ff, 316—335. ® Vgl. außer Sein und Zeit vor allem Heideggers Untersuchung: Kant und das Problem der Metaphysik. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1951; vgl. zu Heideggers späterer Auseinandersetzung mit Hegel auf der Grundlage der Seinsgeschichte: Die onto-theo-logisd>e Verfassitng der Metaphysik. In: Identität und Differenz. 4. Aufl. Pfullingen 1957. 31— 67. Zur Interpretation vgl. O. Pöggeler: Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 1963, bps. 67—87, auch 135 ff. * Bei Th- W'- Adorno, der u. a. diesen Einwand vertritt, bemerkt man zugleich ein Residuum ontologischer Kritik. Vgl. vor allem: Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien. Stuttgart 1956, bes. 196—242; ders.: Hßiütive Dialektik. Frankfurt a. M. 1966. 8, 182 ff. Vgl. ferner z. B. E. Bloch: Subjekt-Öhjekt. Erläuterungen zu Hegel. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1962. 99 ff, 196 ff; ders.: Naturretht und menschlidse Würde. Frankfurt a. M. 1961, etwa 76—92. Vgl. zu Bloch H. Kimmerle: Die Zukunftsbedeutung der Hoffnung. Auseinandersetzung mit dem Hauptwerk Ernst Blochs. 2. Aufl. Bonn 1974, bes. 95, 110 ff. Vgl. außerdem L. Althusser, E. Balibar: Das Kapital lesen I. Übers, v. K. D. Thieme. Reinbek 1972. 28 ff, 52 ff.

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stimmter philosophischer Positionen verständlich; die verschiedenartigen darin angenommenen Prämissen sind aber untereinander wiederum nicht vereinbar. Durch solche Kritiken, die nicht auf die immanenten Probleme einer Philosophie der Subjektivität selbst eingehen, dürfte das Programm einer Theorie der Subjektivität jedenfalls nicht von vornherein schon als widerlegt gelten können. — Von anderer Art ist der fünfte Einwand, der als der definitorische bezeichnet werden kann. In ihm wird bezweifelt, daß die Selbstbeziehung des Ich überhaupt theoretisch faßbar bzw. ohne Zirkel definierbar ist. Denn das Ich muß für eine solche Beziehung auf sich selbst und für jede erneute Selbstvergegenständlichung als Bedingung der Möglichkeit immer schon vorausgesetzt werden; dieser Gedanke wurde oben bereits als das Problem der unendlichen Iteration dargestellt. Er ist offenbar nicht an bestimmte philosophische Prämissen gebunden, sondern betrifft den Begriff der Subjektivität und seine theoretische Explikation selbst. Daher konnte dieser Einwand sowohl im deutschen Idealismus als auch z. B. von Ryle erhoben werden; als grundsätzliches, definitorisches Problem der Subjektivität, mit dessen Lösung eine Subjektivitätstheorie steht und fällt, hat ihn erst Henrich formuliert’. Dieser Einwand ist in der Untersuchung selbst zu berücksichtigen. Eine Theorie der Subjektivität muß sich also bemühen, diesen Einwänden zu entgehen; sie muß zugleich die Hinsichten, unter denen die Subjektivität betrachtet werden kann, vor allem den empirischen und den apriorischen Begriff der Subjektivität, grundsätzlich voneinander unterscheiden und den jeweiligen systematischen Ort für jene Begriffe bestimmen; daraus ergibt sich dann auch die Methode der Entwicklung des entsprechenden Teils der Subjektivitätstheorie. — Das Problem der reinen, apriorischen Subjektivität im Zusammenhang mit der Frage einer Begründung der Logik ist nun schon von Kant und dem deutschen Idealismus, insbesondere aber von Hegel gestellt und von ihm in mehrfacher Weise gelöst worden. Hegel hat sich hierbei mit den abweichenden Theorien Kants, Fichtes und auch Schellings auseinandergesetzt und Schwierigkeiten, die er darin sah, zu vermeiden versucht. Will man also die Struktur der Selbstbeziehung der reinen Subjektivität als Begründung oder Prinzip der Logik untersuchen, so erfordert dies vernünftigerweise eine Erörterung der Fragestellungen und Lösungen Hegels. Es soll im folgenden in historischer, aber ’’ Vgl. G. Ryle; The Concept of Mind. London 1969. 195 ff. D. Henridj; Fühtes ursprüngliche Einsicht. Frankfurt a. M. 1967; ders.: Selbstbewußtsein. In: Hermeneutik und Dialektik. H.-G. Gadamer zum 70. Geburtstag. Bd 1. TüÜngen 1970. 257—284. Vgl. ferner: U. Pothast: Über einige Fragen der Selbstbeziehung. Frankfurt a. M. 1971. St. Rosen: Self-Consciousness and Self-Knowledge in Plato and Hegel. In: Hegel-Studien. 9 (1974), 109—129.

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zugleich kritischer Argumentation gezeigt werden, wie und mit welchen Gründen Hegel über verschiedene systematische Entwürfe zu seiner endgültigen Lösung gelangte. Wenn die vorherigen Überlegungen zutreffend sind, handelt es sich dabei nicht lediglich um die Wiederaufnahme einer vergangenen Frage, sondern um die Diskussion exemplarischer Möglichkeiten zur Lösung des Problems der reinen Subjektivität.

II. Hegels verschiedene Konzeptionen der Logik und ihre Begründungen bilden, wie aufgewiesen werden soll, verschiedene Antworten auf die idealistische Prinzipienfrage. Ein einheitliches, für alle Teile der Philosophie zureichendes Prinzip sollte nach den Vorstellungen der deutschen Idealisten durch die Bestimmimg eines spezifischen Verhältnisses der Subjektivität zum Absoluten gewonnen werden. Die Kennzeichnung dieses Verhältnisses fiel bei ihnen jeweils ganz unterschiedlich aus. Diese inhaltlichen Lösungen der Prinzipienproblematik sind jedoch nur im Rahmen bestimmter systematischer Ansätze und Zuordnungen von Logik und Metaphysik zueinander theoretisch durchführbar, wobei innerhalb der Metaphysik noch einmal das Verhältnis von Ontologie und philosophischer Theologie anzugeben ist. Nur durch solche Zuordnungen vermag im Idealismus die Lehre von der Subjektivität den Charakter einer Prinzipientheorie zu erhalten, und nur dadurch kann auch ihre Methode genauer festgelegt werden. — Hegels endgültiger Lösung, nämlich der Theorie der absoluten Subjektivität in der Logik, die zugleich Metaphysik ist, gingen abweichende eigene Theorien voran, in denen die Logik als Explikation der endlichen, reinen Subjektivität noch von der Metaphysik als der Darstellung des Absoluten getrennt war; ferner impliziert Hegels spekulative Logik Argumente aus seiner Rezeption und Kritik der andersgearteten transzendentalphilosophischen und idealistischen Lösungen in der damaligen Zeit. Seine Theorie der Subjektivität als spekulative Logik ist also nur im Zusammenhang mit jenen vorhergehenden Lösungen zu interpretieren. Hegel setzt voraus, daß Kants Widerlegung der Lehre Humes vom Ich als „bündle of ideas” gültig ist. Kant weist nach, daß durch die logischen Funktionen zu urteilen der Gedanke einer Notwendigkeit in die Synthesis von Vorstellungen gebracht wird und daß dadurch der Begriff eines Objekts überhaupt zustande kommt. Hume gestand lediglich die assoziative Synthesis und die relative Einheit eines Erfahrungsgegenstandes zu. Die einen notwendigen Zusammenhang konstituierende Synthesis aber ist nicht

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durch eine Sammlung von Vorstellungen, sondern nur durch die ursprüngliche, apriorische Einheit der Apperzeption möglidi. Diese ist, worauf später noch eingegangen werden soll, das Prinzip der logischen Einheit in Urteilen und in Anknüpfung daran der formalen Logik überhaupt. In seiner Struktur denkt Kant dieses reine Selbstbewußtsein nicht nur als Grund notwendiger Synthesis; er deutet es zumindest auch als denkende Selbstbeziehung an, ohne freilich für das Problem der unendlichen Iteration, das er erkennt, eine eindeutige Lösung argumentativ auszuführen. Systematisch bedeutsam ist, daß in seiner Lehre der apriorische Begriff der reinen Subjektivität und ihrer Handlungen als Prinzip der Logik vom Begriff der daseienden Subjektivität grundsätzlich unterschieden ist, die sich im zeitlichen Strom der Vorstellungen selbst erfahren kann. Diese Kantische Konzeption der reinen Subjektivität, in der die wesentlichen strukturellen und systematischen Probleme der Subjektivität bereits angeschnitten sind, versuchten erst die deutschen Idealisten in ihren verschiedenen Entwürfen zu einer vollständigen Theorie auszubilden. Schon der frühe Fichte veränderte dabei aber Kants Konzeption sowohl in der systematischen wie in der strukturellen Bestimmung der reinen Subjektivität. Nach seiner Auffassung ist die Theorie der reinen Subjektivität Wissenschaftslehre, in der die Bedingungen der Möglichkeit des endlichen, freien Selbstbewußtseins aufgestellt werden. Die Wissenschaftslehre aber geht als eine selbständige Theorie der Logik voran und soll sie erst begründen; daraus ergeben sich, wie zu zeigen ist, kaum zu bewältigende methodologische Schwierigkeiten. Inhaltlich denkt er — ebenfalls anders als Kant — das erste Prinzip, das absolute Ich, mit den Begriffen, die er ihm zuschreibt, im Horizont des Absoluten, wenn er es auch noch nicht selbst als das seiende Absolute bestimmt. Das reine Ich ist für Fichte ferner unmittelbare, anschauliche, nicht vermittelte oder denkende Selbstbeziehung; mit seiner Theorie der intellektuellen Anschauung, in der das Ich seiner selbst nicht erst durch einen Akt nachträglicher Reflexion, sondern unmittelbar und mit einem Mal inne wird, vermeidet er die unendliche Iteration. Zur Entfaltung der vollständigen Struktur des endlichen Selbstbewußtseins dient Fichte ein zusätzliches systematisches Programm, das er in diese Konzeption der Wissenschaftslehre einfügt, das Programm einer Geschichte des Selbstbewußtseins. In ihr sollen die verschiedenen Vermögen und Leistungen des Ich systematisch aus einem einheitlichen Grunde expliziert werden. — Zur Subjektivitätstheorie insgesamt erhob die Geschichte des Selbstbewußtseins aber erst der junge Schelling. In dieser systematischen Funktion gewann sie auch für Hegel besondere Bedeutung. Sie hat die Aufgabe, in der zusammenhängenden Entwicklung der Leistungen des Ich darzu-

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legen, wie die adäquate Selbstvorstellung der Subjektivität überhaupt zustande kommt. Das entsdieidende Problem besteht bei der Durdiführung einer solchen Geschichte des Selbstbewußtseins darin zu zeigen, wie — auf andere Weise als bei Kant — das Objekt konstituiert wird und wie über verschiedene Stufen der Sinngehalt dieses Objekts schließlich notwendig zum Subjekt selbst werden kann. Schelling entgeht mit seiner Lösung, der ästhetischen Anschauung des Genies als der objektiv gewordenen intellektuellen Anschauung, ebenso wie Fichte und auch aus ähnlichen Gründen der unendlichen Iteration. Am Ende dieser Theorie der Genesis der selbstbezüglichen Subjektivität tritt das Absolute hervor; es ist in dieser Konzeption Schellings der metaphysische Grund der Subjektivität, der jedoch selbst für die Philosophie unerkennbar bleibt. — Ähnlich wie Fichtes Wissenschaftslehre soll diese Subjektivitätstheorie als Geschichte des Selbstbewußtseins systematisch der Logik vorangehen und sie begründen; dabei ergeben sich dieselben methodologischen Schwierigkeiten wie bei Fichte. Ein weiteres Problem besteht bei einer solchen systematischen Geschichte des Selbstbewußtseins darin, daß für die stufenartige Entwicklung der Subjekt-Objekt-Beziehung bis hin zur adäquaten Selbstbeziehung die vollständige Struktur der Subjektivität als Telos hypothetisch angesetzt werden muß, um den methodischen Fortgang zu leiten. Flegel sucht in seiner früheren Jenaer Zeit, wie nachgewiesen werden soll, diese Probleme dadurch zu lösen, daß er die Geschichte des Selbstbewußtseins oder den transzendentalen Idealismus selbst als Logik konzipiert. Die Subjektivitätstheorie ist also als solche Logik und geht ihr nicht voraus; damit ist äuch die Methode der Subjektivitätstheorie als Methode der Logik bestimmt. Diese Logik entwickelt mit den einzelnen Kategorien und deren Zusammenhang über verschiedene Stufen die Struktur der Subjektivität als endlicher Reflexion. Das hierbei angenommene Ziel, das erreicht werden soll, besteht in nichts anderem als im vollständigen Begriff der logischen Methode oder der Reflexion. Zugleich wird diese Methode notwendigerweise schon in den vorherigen Entwicklungen der Logik operativ angewandt. — Vorzüge besitzt diese Konzeption Hegels vor allem in systematischer und methodologischer Hinsicht; doch ist die Logik für ihn hier noch nicht Metaphysik, sondern nur Einleitung in eine Metaphysik des Absoluten, die Hegel als Wissenschaft für möglich hält. Die Gründe für eine solche Logik als Einleitung reichen z. T. bis in seine Frankfurter Entwürfe zurück. Der Gedanke der Möglichkeit einer Metaphysik des Absoluten beeinflußt jedoch bereits die Argumentation dieser Logik, und zwar vor allem an ihrem Ende bei der Ausführung der Struktur der endlichen Reflexion.

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Diese Überlegung und andere Erwägungen zur Metaphysik und zu deren wissensdiaftlidier Methode dürften Hegel schließlich dazu veranlaßt haben, die Logik selbst bereits als Metaphysik des Absoluten zu konzipieren, die Funktion der Einleitung aber einer anderen Wissenschaft, der „Phänomenologie des Geistes”, zu übertragen, die zugleich die Aufgaben einer Geschichte des Selbstbewußtseins übernimmt. Die Logik als Metaphysik oder die spekulative Logik wird damit zur Theorie der unendlichen Subjektivität, die das Absolute selbst, nämlich die absolute, sich denkende Idee ist. Die überlieferte Substanzmetaphysik und auch Schellings Identitätssystem müssen daher nach Hegel verändert werden zu einer Metaphysik, genauer zu einer Ontotheologie der absoluten Subjektivität. Da diese Lehre aber, was auch aus Hegels Anknüpfung und Kritik an Kants, Fichtes und Schellings Theorien hervorgeht, die Explikation des einheitlichen Prinzips der Philosophie sein soll, kann sie nur in der Grundlegungswissenschaft der Philosophie, in der Logik ausgeführt werden. Die Theorie der absoluten Subjektivität als spekulative Logik ist damit, wie in dieser Untersuchung näher dargestellt werden soll, Hegels endgültige Lösung der idealistischen Prinzipienproblematik. Auch die Spätphilosophien Fichtes und Schellings bewegen sich noch im Horizont der idealistischen Prinzipienfrage. Sie bieten jedcxh andere Lösungen an, die sich sowohl von ihren eigenen früheren Theorien unterscheiden, deren Schwierigkeiten sie teilweise zu vermeiden suchen, als auch von Hegels spekulativer Logik. Nach der Konzeption des späten Fichte und des späten Schelling soll die Subjektivität noch einmal in einem unvordenklichen Absoluten fundiert sein; systematisch wird dabei die Logik in einer Subjektivitätstheorie begründet, diese selbst aber in einer ihr vorausgehenden und sie erst ermöglichenden Metaphysik des Absoluten. Gegen diese Entwürfe einer Grundlegung der Philosophie sind, worauf im Laufe der Abhandlung zumindest hingewiesen werden soll, manche Einwände systematischer und methodologischer Art von Hegels spekulativer Logik aus möglich. In Hegels Subjektivitätstheorie als spekulativer Logik wird die Entwicklung der Bestimmungen der Subjektivität — ähnlich wie schon in dem früheren Jenaer Logik-Entwurf — durch die logische Methode ermöglicht. Sie gewährleistet damit zugleich die systematische Deduktion der Kategorien und Formen. Die logische Methode selbst legt Hegel am Ende der Logik dar, und zwar nun nicht mehr als Begriff der endlichen Reflexion, sondern als Begriff der Selbstbezüglichkeit des unendlichen Denkens. Diese Methodenlehre und diese Anwendung der Methode in der Logik ist wohl

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der konsequenteste Versuch, innerhalb des Idealismus die systematischen und methodischen Probleme der Grundlegungswissenschaft zu lösen. In der spekulativen Logik stellt Hegel jedoch nur einen bestimmten, wenn aucii den fundamentalen Begriff der Subjektivität dar. Er verwendet im übrigen den Terminus „Subjektivität” je nach Zusammenhang in verschiedenen Bedeutungen. „Subjektivität” hat bei ihm z. T. einen kritischen, negativen Sinn; Hegel bezeichnet damit sowohl das zufällige, unwesentliche Einzelne, und zwar vor allem in seiner Kritik romantischer Vorstellungen, als auch die endliche, „fixierende”, verständige Reflexion wie etwa in seiner Kritik der Verstandes- oder Reflexionsphilosophie. — In der Phänomenologie des Geistes kommt dem Begriff des Subjekts oder des Selbst im wesentlichen eine positive Bedeutung zu. Zwar werden die Endlichkeiten des Bewußtseins, Selbstbewußtseins oder Geistes von Hegel kritisiert und nach seiner Theorie stufenweise aufgehoben; das in den verschiedenen Stufen noch verbleibende Substantielle aber soll schließlich zum reinen Subjekt oder Selbst werden. Dieses reine Subjekt bestimmt er als Begriff. Eine ähnliche, positive Bedeutung erhält bei Hegel in der „Philosophie des subjektiven Geistes” die endliche Subjektivität, die er dort in ihrer Realität und Wirklichkeit ausführt. Auch sie vollendet sich, wie man aus seiner Theorie entnehmen kann, in einer maßgeblichen Hinsicht im Denken oder im Begriff, was für ihn gleichbedeutend ist. Der „absolute Geist”, den Hegel am Ende des Systems behandelt, ist ebendiese reale Subjektivität, von aller Endlichkeit und Vorläufigkeit befreit. — Die Grundlage für diese positiven Bedeutungen der Subjektivität bildet aber die spekulative Logik. In ihr wird die reine Subjektivität zunächst als reiner Begriff und dann in ihrer Vollendung als sich denkende Idee oder als logische Methode gedacht ®. Wenn Hegels spekulative Logik nun dem Problem der Subjektivität gerecht werden soll, so muß sie in der Entwicklung der Kategorien und Formen zeigen können, daß diese nicht ohne notwendige Synthesis möglich sind und daß der Grund dieser Synthesis das sie zustandebringende Denken ist, das sich hierbei schließlich auf sich selbst bezieht. Hegel sucht diese Aufgabe dadurch zu bewältigen, daß er nicht grundsätzlich die methodischen Überlegungen von der Bedeutung der Kategorien trennt, sondern * Der Terminus „Subjektivität” wurde, wie Homann in seiner begriffsgescbicbtlidien Untersudiung feststellt, zum ersten Mal gegen Ende des 18. Jahrhunderts gebraucht. In diese Zeit fiel auch die erste philosophische Diskussion über diesen Begriff. Vgl. K. Homann: Zum Begriff „Subjektivität" bis 1802. In: Archiv für Begriffsgeschicfate. 11 (1967), 184—205. — Zu den verschiedenen systematischen Bedeutungen des Begriffs der Subjektivität bei Hegel vgl. vom Verf.: Hegels Begriff der Subjektivität in der Logik und in der Philosophie des subjektiven Geistes. Ersheint in Hegel-Studien. Beiheft.

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die Kategorien und deren Zusammenhänge selbst als Momente bzw. Stadien der Methode konzipiert. Von einfachen Bestimmungen ausgehend, bemüht er sidi, immer kompliziertere Verhältnisbegriffe aufzustellen, deren Einheitsstruktur zuletzt selbstbezüglich wird. In der Darlegung dieser Selbstbezüglidikeit der Einheit gilt es dann, die Konstitution eines Gegenstandes, die Idistruktur dieses Gegenstandes, so daß die Subjektivität sich darin selbst erkennen kann, und das Wissen von sich , als dem Hervorbringen des Gegenstandes und der Selbsterkenntnis zu erklären; dabei muß sowohl die unendliche Iteration als auch ein logischer Zirkel im Erklären vermieden werden. Dies unternimmt Hegel insbesondere in der Logik des Begriffs und der Idee. In der spekulativen Logik sucht Hegel aber die Bestimmung der Subjektivität mit Hilfe zweier Theorien durchzuführen, die sich im folgenden wohl als zweifelhaft erweisen werden. Einmal denkt er die Subjektivität, die der Begriff ist, als konkrete Allgemeinheit. In dieser Bedeutung setzte er sie schon bei seiner Kritik an Kants Ethik in den Frankfurter Entwürfen voraus; in der spekulativen Logik soll die Lehre von den Begriffsbestimmungen, vom Urteil und vor allem vom Schluß die logische Möglichkeit und Erkennbarkeit dieser konkreten Allgemeinheit beweisen. Dabei müßte die Lehre vom diskursiven, abstrakten Begriff widerlegt oder mit allgemein überzeugenden Gründen überwunden werden. Hegels Konzeption der konkreten Allgemeinheit beruht jedoch, wie zu zeigen ist, auf unbewiesenen metaphysischen Voraussetzungen. Zum andern stellt er — in methodologischer Weiterentwicklung des Problems der konkreten Allgemeinheit — die Theorie von der dialektischen Methode als dem erfüllten Begriff der Subjektivität in der Logik auf. Nach Hegel führt der Begriff einer ursprünglichen Identität notwendigerweise zum Widerspruch, der einen positiven Sinn oder ein affirmatives Resultat haben soll. Dieser Gedanke, der gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch verstößt, beruht ebenfalls, wie darzulegen ist, auf metaphysischen Annahmen. Der heute viel verwandte Terminus „Dialektik” bezeichnet keinen einheitlichen Methodenbegriff mehr. Diese Situation wurde vorbereitet durch die nachhegelschen Filiationen der Dialektik, in denen jeweils verschiedene Momente beibehalten, andere aber ausgeschlossen wurden, die bei Hegel noch insgesamt wesentlich für die dialektische Methode waren, wie z. B. der logische Widerspruch oder die metaphysische Begründung des positiven Resultats. Hegel bemühte sich noch, in Auseinandersetzung mit der traditionellen Logik und Metaphysik in seiner spekulativen Logik die Gründe vollständig anzugeben, durch die die dialektische Methode zu konstituieren und zu rechtfertigen war. Nicht nur zur Klärung des Begriffs der Dia-

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lektik, sondern auch als Beitrag zur Klärung der Frage, inwiefern die Dialektik als logische Methode legitimierbar ist und inwiefern nicht, soll die Argumentation Hegels hier im einzelnen kritisch untersucht werden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß für Hegel die dialektische Methode die vollständige logische Bestimmung der absoluten Subjektivität ist. Hegels metaphysische und methodologische Motive und Hintergründe für die Ausbildung der Dialektik in der spekulativen Logik lassen sich jedoch erst angemessen erfassen, wenn man die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Dialektik betrachtet. In der Darstellung dieser Entwicklungsgeschichte soll gezeigt werden, daß es bei Hegel — aus Frankfurter Entwürfen zum Verhältnis von Antinomie und Vereinigung erwachsend — in der frühen Jenaer Zeit ein bisher weithin unbekanntes Konzept einer negativ bleibenden Dialektik ohne positives Resultat des Widerspruchs gibt. Diese Dialektik war für Hegel damals offensichtlich nur die zureichende Methode der in die Metaphysik einleitenden Logik, nicht aber der Metaphysik und des Systems selbst. Die Gründe, die Hegel dazu veranlaßt haben, diesen Dialektik-Entwurf zu ändern und die Dialektik auch auf die Metaphysik und das System als deren zureichende Methode auszudehnen, dürften, wie zu erörtern ist, in Überlegungen zur Methode der Metaphysik und der Realphilosophien sowie in seiner Wandlung der Logik-Konzeption liegen. Als Methode der spekulativen Logik entwickelt Hegel die Dialektik ausführlich erst in der Wissenschaft der Logik, die Differenzierung dieser Methode in ihren verschiedenen Stadien endgültig sogar erst in der Enzyklopädie.

III.

In der bisherigen umfangreichen und vielfältigen Hegel-Literatur wurde Hegels Logik, von gelegentlichen Hinweisen abgesehen, nicht als Lösung der idealistischen Prinzipienproblematik, d. h. als Subjektivitätstheorie mit ganz bestimmten Aufgaben untersucht; es wurden auch nicht die verschiedenen Konzeptionen der Logik bei Hegel anhand dieser Prinzipienfrage in ihrer Abfolge dargestellt. Man erläuterte bzw. kritisierte Hegels Logik unter anderen, und zwar sehr verschiedenartigen Gesichtspunkten. Da auf Einzelheiten später noch einzugehen ist, sollen hier zur Standortbestimmung der folgenden Hegel-Interpretation nur die wesentlichen Tendenzen und Hinsichten aufgestellt werden, die die Behandlung der Hegelschen Logik bisher leiteten.

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Einlätung

1. Im älteren und neueren Hegelianismus sowie in der neuesten Literatur, die in der Hegel-Nadifolge steht, wird Hegels Identifikation von Logik und Metaphysik in der spekulativen Logik akzeptiert. In der HegelSdiule im 19. Jahrhundert wurden mehrere Logiken verfaßt, die zugleich Metaphysik sein sollten; Hegels Logik suchte man dabei in Einzelheiten zu verbessern und manche Argumentationen stringenter durchzuführen. Erwähnt sei wegen des Inhaltsreiditums und einer gewissen Selbständigkeit Rosenkranz' zweibändiges Werk: Wissensd/aft der logisdsen Idee, das relativ spät erschien 1858/59). Rosenkranz nimmt Hegels Logik gegenüber auch größere Umstellungen und Veränderungen vor. Er versteht sein Unternehmen als „Reform” der Hegelschen Logik bei gleichzeitiger stärkerer Berücksichtigung der Aristotelischen Logik. Dabei setzt er sich mit bereits vorangegangenen Versuchen der Hegel-Schule, z. B. mit Hinridjs, Werder, Erdmann, K. Ph. Fischer, Kuno Fischer, Weißenborn, aber auch mit Gegnern aus verschiedenen Lagern wie z. B. den Spätidealisten I. H. Fichte und C. H. Weiße, die die Logik von der Metaphysik wieder trennten, oder mit Trendelenburg bzw. mit Proudhon auseinander ®. Ausführlichere Kommentare zur ganzen Logik Hegels entstanden in der Hegel-Nachfolge erst später. Die Richtung des englischen Hegelianismus vertritt hierbei vor allem Mc Taggart in seinem Werk: A Commentary on Hegel's Logic (1910). Er stimmt zwar grundsätzlich der Vereinigung von Logik und Metaphysik wie auch der dialektischen Methode zu; er kritisiert jedoch Hegels durchgängige Beziehung aller Kategorien und seiner Methode auf existierende Dinge. Ferner sucht er — z. T. auf Kosten genauerer Hegel-Interpretation — in Hegels Darstellung sein eigenes Problem der relationalen Eigenschaften, die den Dingen zukommen, sofern diese in Beziehung zueinander stehen, und der absoluten oder letzten, nichtrelationalen Eigenschaften wiederzufinden. Er vermißt in Hegels dialektischer Methode hinreichende Kriterien für diese, wie er glaubt, bei Hegel wie bei Leibniz vorgebildete Unterscheidung — Ohne die Fragestellung » K. Rosenkranz: Wissensdiaft der logischen Idee. 2 Teile. Königsberg 1858—59. Vgl. bes. Bd 1. V—XL, 10 ff, 18 ff, Bd 2. V—XII, u. a. Vgl. ferner die Darstellungen aus der Hegel-Sdiule: H. IV. F. Hinrichs; Grundlinien der Philosophie der Logik. Halle 1826. K. Werder; Logik. Als Kommentar und Ergänzung zu Hegels Wissenschaft der Logik. Berlin 1841. /. E. Erdmann: Grursdriß der Logik und Metaphysik. Halle 1841. K. Ph. Fischer: Grundzüge des Systems der Philosophie. Bd 1. Erlangen 1848. Kuno Fischer: System der Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre. 2. Aufl. Heidelberg 1865 (1. Aufl. 1852). G. Weißenbom: Logik und Metaphysik für Vorlesungen und zum Selbststudium. Abt. I—III. Halle 1850/51. *• Vgl. Mc Taggart: A Commentary on Hegel’s Logic. New York 1964 (zuerst 1910). Z. B. 1—7, 111 f, auch 191 ff. — Er bezieht sich auf einen teils kritischen, teils zustimmenden Kommentar zur Wissenschaft der Logik von G. Noel: La logique de Hegel

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Mc Taggarts, aber in Anknüpfung an den Hegelianismus kommentiert Mure Hegels Logik. Er hebt besonders die nidit-formallogisdie, sondern spekulative Konzeption der Hegelschen Logik und ihre Dialektik zustimmend hervor Von der Überlegenheit der Logik Hegels gegenüber der traditionellen Logik sind auch die Verfasser von drei weiteren kommentarartigen Darstellungen überzeugt. Lakebrink interpretiert zwar nicht die ganze Wissensdiaft der Logik, aber doch weite Passagen aus diesem Werk, und zwar unter dem Aspekt der Logik als gültiger philosophischer Theologie. Fleischmann sieht in Hegels Logik, die er im ganzen kommentiert, die zureichenden Grundlagen der einzelnen Wissenschaften und Wissensgebiete und sucht insbesondere ihre Vorzüge im Vergleich zur Kantischen Logik aufzuzeigen. Leonard kommentiert ausführlich die Logik der Enzyklopädie von 1830; er sucht die Klarheit und Einsehbarkeit von Hegels Gedankengängen darzulegen **. Da diese Kommentare zur gesamten Logik Hegels in der Regel trotz verdienstvoller Hinweise für das Verständnis wegen des Umfangs der Wissensdjaft der Logik im ganzen summarisch blieben, ist man — nach einer Bemerkung von D. Henridt — dazu übergegangen, bestimmte Teile der Hegelschen Logik genauer zu kommentieren (P. Rohs, M. Wetzel, W. Krohn, z. T. auch B. Puntel) Die Intention bestand bei diesen Versuchen nicht nur darin, immanent die Stringenz der Argumentation He(Paris 1897) und auf einen einführenden. Hegelianischen Kommentar zur Logik der Enzyklopädie von /. G. Hibben; Hegel’s Logic. An essay in interpretation. New York 1902. — Vgl. Mc Taggart; Studies in the Hegelian Dialectic. 2. Aufl. Cambridge 1922. “ G. R. G. Mure; A Study of Hegel’s Logic. (1. Aufl. 1950) Oxford 1967. Vgl. B. Lakebrink; Die europäische Idee der Freiheit. T. 1: Hegels Logik und die Tradition der Selbstbestimmung. Leiden 1968. ** Vgl. E. Fleischmann; La Science universelle ou la logique de Hegel. Paris 1968. Ders.; Hegels Umgestaltung der Kantischen Logik. In: Hegel-Studien. 3 (1965), 181—207. — A. Lionard; Commentaire littiral de la logique de Hegel. Paris/Louvain 1974. ** P. Rohs; Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der Hegelsdien Wissenschaft der Logik. Hegel-Studien. Beiheft 6. Bonn 1969. M. Wetzel; Reflexion und Bestimmtheit in Hegels Wissenschaft der Logik. Hamburg 1971. W. Krohn; Die formale Logik in Hegels „Wissenschaft der Logik”. Untersuchungen zur Schlußlehre. München 1972 (vgl. ausführlichere Äußerungen zu diesem Buch in meiner Besprechung in HegelStudien. 10 (1975), 326 ff). B. Puntel; Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G. W. F. Hegels. Hegel-Studien. Beiheft 10. Bonn 1973. — D. Henrich hatte schon früher darauf hingewiesen, daß abgesehen vom Anfang kein Teil der Wissenschaft der Logik gründlich kommentiert sei. Er selbst liefert kommentarartige Studien zum Anfang und zur Logik der Reflexion. Vgl. Anfang und Methode der Logik. (Zuerst 1964) In: Hegel im Kontext. Frankfurt a. M. 1971. 73—94. Hegels Logik der Reflexion. A.a.O. 95—156. Dabei verfolgt er jedoch andere Intentionen als die oben genannten Autoren, vgl. dazu im folgenden S. 35.

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gels nadizuweisen, sondern außerdem auch darin, die metaphysikgesdiichtlidie bzw. methodologische Auszeichnung der spekulativen Logik vor anderen Logik-Konzeptionen exemplarisch zu demonstrieren. Am prononciertesten vertrat im Hegelianismus in Deutschland die Einheit von Logik und Metaphysik R. Kroner. Er sucht in seinem zweibändigen Werk: Von Kant bis Hegel (1921/24), das auch kommentierende Ausführungen zu Hegels Logik enthält, die Berechtigung und sogar die Notwendigkeit der metaphysischen Logik-Konzeption Hegels durch eine Auseinandersetzung mit Kant, Fichte und Schelling zu beweisen, bei der er sich allerdings vielfach bereits Hegelscher Argumente bedient. Für ihn ist das spekulativ-logische Denken jedoch nur ein Moment des Geistes, dessen Tätigkeit daher auch andere, z. B. religiöse Dimensionen hat, die seiner Auffassung nach durch die Logik nicht eingeholt werden können 2. Eine dieser ersten Interpretationstendenz verwandte, aber bei weitem nicht so variantenreich entwickelte Richtung verfolgt das Konzept, aufgrund der spekulativen Logik Hegels eine ganz neue Logik auszubilden, die auch in ihrem formalen Bestand über die moderne formale Logik hinausgehen soll. Diesen Versuch unternimmt G. Günther. Schon in seinem Buch: Grundzüge einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik, in dem die an sich berechtigte Frage nach einer Begründung der reinen Logik gestellt wird, bemüht Günther sich zu zeigen, daß die traditionelle, zweiwertige Logik von der Subjekt-Objekt-Spaltung ausgehe. Kant habe zwar bereits die Einheit der Apperzeption als Prinzip der Logik angegeben, sie aber nur objektiv gedacht. Erst Hegel überwinde mit dem Prinzip der Subjekt-Objekt-Identität die traditionelle Dualität, damit aber auch die Zweiwertigkeit und den Satz vom ausgeschlossenen Dritten und gewinne auf diese Weise eine zweite, höhere Konzeption der Form des Denkens, dessen Selbstbezüglichkeit von Günther angedeutet wird. Auf dieser Grundlage sucht Günther dann seine neue, mehr als zweiwertige Logik in dem Buch: Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik zu errichten, in dem er natürlich auch über Hegels Logik, die die überkommenen Kategorien und Formen vielfach beibehält, noch hinausgehen muß ^®. Dieser R. Kroner; Von Kant bis Hegel. 2 Bde. 2. Aufl. Tübingen 1961. Bes. Bd 1. IX ff, Bd 2. 297—361, 434—502. ** Vgl. G. Günther; Grundzüge einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik. Leipzig 1933. Ders.; Idee und Grundriß eirter ni(ht-Aristoteliser Bedeutung genommen werden. Die Vereinigung bezieht sich einmal auf bereits vorliegende Glieder oder Teile eines Verhältnisses, deren Widerstreit bzw. Antinomie „gefühlt oder erkannt”*® wird. Insofern ist die Vereinigung Synthesis von vorhandenen Entgegengesetzten. Die Alternative: „gefühlt oder erkannt” deutet darauf hin, daß es sich hierbei nicht um eine rein logische Überlegung handelt. Die Glieder des Verhältnisses sind nach Hegel nicht nur verschiedene, sondern einander entgegengesetzte und widerstreitende. Diese Entgegensetzung kann gefühlt werden z. B. als Zustand der „Zerrissenheit”. Das Gefühl ist eigentlich für Hegel in diesen Jahren das unmittelbare Sich-Vernehmen des Lebens als des Ganzen in allen Teilen. Wo aber diese Einheit des Ganzen oder die „Macht der Vereinigung” ** verlorengeht, da fallen nach Hegel die Teile nicht nur disparat auseinander, sondern geraten in einen realen Widerstreit, in Realrepugnanz gegeneinander. Diese reale Trennung und Entzweiung kann nun selbst gefühlt werden; ein solches Gefühl ist aber schließlich nur wieder aufgrund eines unmittelbaren Bewußtseins von Vereinigung möglich. — ” Vgl. G. Schüler: Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften. In: Hegel-Studien. 2 (1963), 131, 147. “ N 382. *• N 383. " N 382. “ Hegel: Gesammelte Werke. 4. 14.

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Erstes Kapitel

Die Entgegensetzung wird als Antinomie „erkannt” durch die Reflexion. Sie fixiert die Bestimmungen in ihrer Endlidikeit und stellt sie als Gegensätze gegeneinander auf. Auch bei der Erkenntnis einer Antinomie aber muß ein Bewußtsein der Vereinigung vorausgesetzt werden. Daraus ergibt sich die zweite Bedeutung der Vereinigung: „Das Widerstreitende kann als Widerstreitendes nur dadurch erkannt werden, daß schon vereinigt worden ist; die Vereinigung ist der Maßstab, an welchem die Vergleichung geschieht, an welchem die Entgegengesetzten, als solche, als Unbefriedigte erscheinen.” “ Die Antinomie als das Verhältnis des Widerstreits der Glieder könnte also nicht einmal bewußt werden, wenn die Glieder nicht aufeinander bezogen und hinsichtlich einer Einheit zusammengehalten würden. Die Vereinigung ist der „Maßstab”, aufgrund dessen die Glieder als beschränkte Bestimmtheiten, als einander entgegengesetzte Endlichkeiten erkannt werden können. Sie ist vorauszusetzender Grund der Erkenntnis der Endlichkeit der Glieder und ihres antinomisdien Verhältnisses. Die „entgegengesetzten Beschränkten” aber müssen um ihrer Entgegensetzung willen einander aufheben und vernichten; sie können nicht gleichermaßen Gültigkeit und Bestehen beanspruchen. Damit die entgegengesetzten Glieder überhaupt möglich sind und „bestehen” können, muß daher schließlich die Vereinigung nicht nur als Erkenntnisgrund, sondern auch als Seinsgrund der Antinomie der endlichen Glieder vorausgesetzt werden. — Hegel hat diese verschiedenen Weisen der Vereinigung, die sich ergeben, wenn das Sein im Bewußtsein als Vereinigung einer Antinomie vorgestellt wird, im Fragment „Glauben und Sein” angedeutet, ohne allerdings die Unterschiede ausdrücklich hervorzuheben. Erst von der Jenaer Zeit an widmet Hegel den verschiedenen Aufgaben der Vereinigung und ihrem Verhältnis zueinander eigene methodische Überlegungen und stellt darüber Sätze auf wie: das Dritte, die Synthesis, ist in Wahrheit das Erste, die ursprüngliche Einheit; oder: der Anfang ist das Resultat. Gerade bei der zuletzt erörterten Bedeutung der Vereinigung als Grund des „Bestehens” der Entgegengesetzten sieht Hegel jedoch in „Glauben und Sein” eine Einschränkung vor. Schließt man von den bestehenden entgegengesetzten Gliedern auf die Vereinigung als deren Grund, so wird damit nur bewiesen, daß Vereinigung „sein soll”, nicht aber, „daß sie ist”. Denn Beweisen heißt nach Hegels damaliger Auffassung, „die Abhängigkeit [aufzeigen]” Dieser Aufweis der Abhängigkeit aber ist ein Werk der Re" N 382. « Vgl. N 382 f. ^ N 383. Die ec^gen Klammem bedeuten Ergänzung des Herausgebers.

B. Endlidie Reflexion und Sein

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flexion. Sie stellt die Verhältnisse von Grund und Folge, Bedingung und Bedingtem auf, kann allerdings immer nur die Folge, das Bedingte, d. h. das Abhängige erkennen; den Grund, die Bedingung, d. h. das Unabhängige als soldies kann sie für ihre Ableitungen nur voraussetzen, deren Sein also nur fordern und damit vorstellen, daß Vereinigung sein soll. Doch muß auch vorgestellt werden können, daß das Unabhängige, in diesem Falle die Vereinigung ist. Der Unterschied der Vorstellung des bloßen SeinSollens und des Seins der Vereinigung wird von Hegel als Unterschied von Beweisen und Glauben bestimmt. Die Vorstellung, daß Vereinigung ist, kann nach Hegel nur ein Glauben sein. Diese Bestimmung des Verhältnisses von Glauben und Beweisen und die Behauptung eines Vorzugs der Glaubensgewißheit erinnert an Jacobis Theorie, dessen Briefe Über die Lehre des Spinoza schon von den Tübinger Stiftlern studiert wurden Hegel verwandte diese Konzeption des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung zur Klärung seines Problems der Positivität. Aus dem zweiten Teil des Fragments „Glauben und Sein” geht hervor, daß für ihn z. B. Bestimmen und Bestimmtwerden sowie Tätigkeit und Leiden Antinomien sind, deren Vereinigung notwendig ist^®. Die Verwendung Fiditesdier Kategorien hierbei impliziert wohl eine Fichtekritik; die Inhalte der Antinomien sind nämlich immer nur endliche Bestimmungen der Reflexion, auch Fichtes Synthesis durch Teilbarkeit vermag die von Hegel geforderte vollständige Vereinigung nicht zu leisten. — Andere Beispiele für Antinomien, die der junge Hegel behandelt, sind das Verhältnis von Sittlichkeit und Glückseligkeit, von Natur und Freiheit, von Allgemeinem und Besonderem oder Endlichem und Unendlichem Hegels Überlegungen zur prinzipiellen und systematischen Bedeutung von Antinomie und Vereinigung und ihrer Korrelation zueinander sind jedoch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit den Diskussionen des damaligen Freundeskreises zu betrachten. Ähnliche Gedanken zum Thema: Trennung und Vereinigung finden sich nämlich auch bei Sinclair und Zwilling. Bei Hölderlin sind sie im Fragment: „Urteil und Sein” angedeutet. Nach Sinclair, dessen Ansatz durch Hölderlins Fichtekritik und die dazugehörigen Prämissen beeinflußt ist, kann die Reflexion nicht in sich selbst gegründlet sein; ihrem Setzen, das Fichte analysierte, muß das Eine Sein « Vgl. 2. B. F. H. Jacobi: Werke. Bd 4/1. Leipzig 1819. 210 ff, 223. Vgl. audi R 40. Vgl. ferner F. H. Jacobi: Werke. Bd 2. Leipzig 1815. 163 ff, audi 152 ff. — An den Kantischen Vernunftglauben als historischen lüntergrund kann man hier wohl kaum denken, da dieser am Ende des Fragments „Glauben und Sein” als positiver Glaube kritisiert wird (N 385). Vgl. auch WdL T. 2. 476. «• Vgl. N 384. Vgl. zur Anwendung des Terminus „Antinomie” audi N 349.

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vorausgesetzt werden in einer „Athesis”. Das Höchste aber ist gegenwärtig in einer Ästhetik*®. Tritt es in die Entgegensetzungen des Bewußtseins und der Reflexion ein, so stellt sich das Problem des Verhältnisses von Trennung und Vereinigung. So sagt Sinclair über sein allgemeines Problem: „Daß das Ith über sein Setzen reflectirt, daß es wissen will was unabhängig von seinem Setzen sei, beweist, daß es ein Streben hat die Trennung der Reflection aufzuheben, und für das Ith sein in ein absolutes Sein zu verwandeln.” ** Wird das Sein aber in irgendeiner Weise im Bewußtsein vorgestellt, so muß es als Vereinigung den Trennungen der Reflexion zugrunde liegen: „Nur dadurch, daß man sich der Trennung der einseitigen Gesichtspunkte bewust ist, lernt man die Vereinigung als Vereinigung kennen: aber ohne Vereinigung wären die getrennten für einander nicht da.” Sinclair weist hier schon auf verschiedene Bedeutungen der Vereinigung hin, etwa auf die Vereinigung als Synthesis und als Seinsgrund von Getrennten. Die Getrennten selbst aber werden als Bestimmungen der Reflexion einander entgegengesetzt und in ihrer Entgegensetzung „der Foderung der Einigkeit unterworfen” ®*. Sinclair vergleicht dieses Verfahren mit dem der Skeptiker, die getrennte endliche Bestimmungen aufstellen und zeigen, daß eine der anderen widerspricht, die diesen Widerspruch aber als unauflöslich bestehen lassen. Er dagegen fordert das Aufweisen der Vereinigung von Entgegengesetzten Auch bei Zwilling gibt es ähnliche Überlegungen zum Thema: Trennung und Vereinigung. Die höchste Kategorie ist für ihn die Beziehung als eine Weise von Einheit, die als „Beziehung mit der Nichtbeziehung” die Unendlichkeit selbst ist ®*. Diese Aussage erinnert an Hegels Bestimmung des Lebens als „Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung” ®* im ** Vgl. dazu D. Henridj; Hölderlin über Urteil und Sein. 87 ff. — Zu den verschiedenen Entwürfen Sinclairs aus den Jahren 1795/96 im einzelnen und ihren Unterschieden vgl. Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair. 133 ff. Zur Anwendung auf Hegel, speziell auf das Fragment „Glauben und Sein” vgl. 85 f, 63. Vgl. ferner Hannelore Hegel: Reflexion und Einheit. In: Hegel-Studien. Beiheft 9, bes. 95—102. In: Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair. 254. *• A.a.O. 251. Später ersetzt Sinclair die „Vereinigung” durch den „Vermittelnden”, die „getrennten” durch die „einseitigen”. “ A.a.O. 266. “ Vgl. a.a.O. 267, 277 u. a. Aus den Texten Sinclairs läßt sich kein Anhaltspunkt dafür gewinnen, daß für sein Verfahren der Trennung und Vereinigung Platos CTwavcovfi und öialpeaig im Hintergrund steht. •* L. Strauß: Jacob Zwilling und sein Nadslaß. In: Euphorion. 29 (1928), 392. •* N 348. Der Titel „Systemfragment” ist irreführend. Es handelt sich um zwei Fragmente aus einem umfangreichen Manuskript über die Religion. — Offensichtlich hat Hegel hier die Idee der Einheit mit Rücksicht auf ihre Gegenwärtigkeit in der Reflexion präziser bestimmt als in „Glauben imd Sein”.

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sog. „Systemfragment” von 1800. Derartige Gedanken finden sich auch bei Sinclair. Hinsiditlidi der Vereinigung unterscheidet Zwilling verschiedene Stadien: „So liegt in der immerwährenden Trennung aus der Vereinigung die Wiedervereinigung aus der Trennung, da explizite immer wieder die erste Idee darinnen liegt und die Vereinigung als etwas Notwendiges, jedoch aber immer Korrelatives mit der Trennung betrachtet werden muß ...” Audi Hegel spricht von der „unentwidcelten Einigkeit”, die bei ihrer Entwicklung aber in die Trennungen und Entgegensetzungen der Reflexion eintreten muß, bis die Entgegensetzung schließlich ganz aufgehoben werden kann ®*. Damit dürfte wohl schon deutlich geworden sein, daß Hegels Überlegungen zum grundsätzlichen Problem des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung in die Diskussionssituation des Frankfurter Freundeskreises gehören. Aufgrund solcher Beziehungen kann man offenbar Hegels nicht gerade ausführlicke Bemerkungen zur Reflexion und ihren logischen Gesetzen während der Frankfurter Zeit in den weiteren Zusammenhang der Problematik der logischen Reflexion und der endlichen Subjektivität stellen, die im Freundeskreis mit Hilfe der Aufnahme und Kritik der Fichteschen Philosophie und wohl auch des Skeptizismus erörtert wurde. Unter Berücksichtigung dieses Kontextes lassen sich dann wohl Umrisse der Konzeption einer Logik der endlichen Reflexion erkennen, wie sie Hegels Frankfurter Entwürfen zugrunde lag. Damit wird nicht behauptet, sondern lediglich als nicht unmöglich angesehen, daß Hegel in dieser Zeit bereits eine Logik als eigenständige Theorie aufgestellt oder geplant hat; es sollen hier nur, die Ansätze Hegels zu einer solchen Logik hervorgehoben werden, die sich vielfach im Zusanunenhang mit konkreteren Ausführungen als gelegentliche Bemerkungen finden. Die Reflexion stellt endliche Bestimmungen im Verhältnis der Antinomie, d. h. des Widerspruchs auf, ohne die zugrundeliegende Einheit selbst erfassen zu können. Hegel schränkt nun die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch auf Sätze des Verstandes oder der Reflexion ein. „Was im Reich des Toten Widerspruch ist, ist es nicht im Reich des Lebens.” Das „Tote”, nämlich das fixierte, bewegungslose Endliche, ist Gegenstand des Verstandes. „Jedes über Göttliches in Form der Reflexion Ausgedrückte” ist „widersinnig” und zerrüttet „den Verstand, der es aufnimmt, und dem es Widerspruch ist” ®®. Im Reich des Lebens gibt es somit Seiendes, das “ L. Strauß: J. Zwilling. 390 f. Vgl. z. B. N 379. ” N 308 f. “ N 306.

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vom Verstand nur als Widersprudi aufgefaßt werden kann. Der logisdie Satz vom Widerspruch hat also ontologisch keineswegs universale Bedeutung; er gilt vielmehr nur für Gegenstände der Reflexion. — Von daher scheint sich für die damaligen Freunde auch die Aufgabe und das begrenzte Recht eines philosophischen Skeptizismus zu ergeben. Hölderlin erwähnt im Hyperion den „philosophischen Zweifler”, der „darum nur in allem, was gedacht wird, Widerspruch und Mangel” findet, „weil er die Harmonie der mangellosen Schönheit kennt” ®®, d. h. in der Sprache der philosophischen Prinzipienlehre, weil ihm das Eine, das Sein, bekannt ist. Bei der skeptischen Aufstellung dieser Widersprüche darf man allerdings nicht stehenbleiben; man muß vielmehr zur Vorstellung der zugrundeliegenden Einheit oder Vereinigung fortschreiten. Im Frankfurter Kreis dürfte diese Skeptizismus-Problematik behandelt worden sein; man kann annehmen, daß auch Hegel sich damit befaßt hat als Hintergrund für die Bestimmung des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung und für die Erwägungen zur endlichen Reflexion und zu einer in der Reflexion zu begründenden Logik. Der wenig später entstandene, Anfang 1802 erschienene SkeptizMWJws-Aufsatz sowie eine Bemerkung des Hegel-Biographen Rosenkranz deuten ebenfalls darauf hin, daß sich Hegel schon in Frankfurt mit diesem Thema, und zwar vor allem mit dem antiken Skeptizismus, beschäftigt hat *®. Besondere Bedeutung für Hegels Restriktion der Leistungen der endlichen Reflexion hatte aber die Kritik des Frankfurter Kreises an Fichtes Philosophie als Reflexionsphilosophie ®^. Die von Fichte in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre deduzierten Kategorien sind für Hegel nur endliche Reflexionsbestimmungen, die er z. B. in „Glauben und Sein” zur Aufstellung von Antinomien verwendet. Ebenso gelangt der methodische Fortschritt in Fichtes Grundlage durch den Wechsel von Synthesis und Antithesis solcher Bestimmungen nach Hegel nicht zur wahren Vereinigung, wie er im sog. „Systemfragment” von 1800 betont; beide Verfahren bleiben getrennt, sind einander entgegengesetzt und gehören daher Hölderlin: Sämtlidie Werke. Bd 3. Hrsg. v. F. Beißner. Stuttgart 1957. 81. Schon in seinem Brief an Schiller vom 4.9.1795, in dem Hölderlin vom Programm der Vereinigung des Subjekts und Objekts und dem unendlichen Progreß spricht, schreibt er: „Ich glaube, dadurch beweisen zu können, in wie ferne die Skeptiker recht haben, und in wie ferne nicht.” Hölderlin: Sämtlidie Werke. Bd 6. Hrsg. v. A. Beck. Stuttgart 1954. 181. •® Vgl. R 100. Da Rosenkranz erwähnt, Hegel habe damals auch Plato studiert, ist es möglich, daß Hegel sich bei dem Verhältnis von Antinomie und Vereinigung auch an Plato, evtl, an dem Dialog Parmenides, orientiert hat. •* Zur Fichtekritik Hölderlins vgl. D. Henrich: Hölderlin Uber Urteil und Sein. 79 f, 87 ff. Zur Fichtekritik Sinclairs vgl. Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair. 133 ff, auch 25 ff.

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audi nur der Reflexion an Fidites Philosophie kann deshalb für Hegel und die Frankfurter Freunde ein Beweis dafür sein, daß die Philosophie überhaupt immer an die Reflexion gebunden bleibt. Audi ihre prinzipiellen Begriffe wie Denken und Nichtdenken, Denkendes und Gedachtes, Subjekt und Objekt sind Gegensätze, d. h. Produkte der trennenden Reflexion. Die Aufgabe und Leistung der Philosophie kann also immer nur begrenzt sein. Hegel bestimmt diese Aufgabe im Gegensatz zu Fichte vom Innehaben der reinen Einheit und des Lebens her im sog. „Systemfragment” von 1800 folgendermaßen: Die Philosophie „hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, und durch Vernunft die Vervollständigung desselben [zu] fordern, besonders die Täuschungen durch ihr eigenes Unendliche [zu] erkennen, und so das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises [zu] setzen.” Alle Inhalte der Reflexion sind von dieser „gesetzt”, d. h. in Hegels Interpretation, sie sind Bestimmtheiten und Endlichkeiten. Das Endliche ist ein Bestimmtes und Beschränktes, indem es sidi von Anderem unterscheidet, das es nicht ist. Es ist insofern dem Anderen entgegengesetzt. Das Andere aber ist damit ebenfalls ein Bestimmtes und Endliches. Hegel legt hierbei offenbar den spinozistischen Satz zugrunde: omnis determinatio est negatio ®^. Nicht nur in logiscfiem, auch in ontologischem Sinne haben die endlichen Bestimmtheiten Negation an sidi; ihnen kommt folglich kein wahres Sein zu. Die Vernunft fordert nun nach Hegel die „Vervollständigung” des Beschränkten, d. h. die Hinzusetzung des jeweils entgegengesetzten Endlichen in einer „Antinomie”. Vermutlich soll hier schon die Vernunft vom bloßen Verstand unterschieden werden, da der Verstand nur die fixierten Endlidien vorstellt, die Vernunft aber in der Forderung der Vervollständigung über die Begrenztheit des jeweiligen Endlichen bereits hinausgeht und dabei zumindest voraussetzen muß, daß die Einheit oder Ganzheit sein solle. “ Vgl. N 348. •* A.a.O. — Pöggeler weist bereits darauf hin, daß dieses Programm der Philosophie dann in Hegels früher Jenaer Zeit zum Programm der Logik als Einleitung in die Metaphysik wird. Vgl. O. Pöggeler: Hegels Jenaer Systemkonzeption. In: Philosophisdies Jahrbuch. 71 (1963/64), 302. — Möglicherweise enthielt das umfangreiche Manuskript, aus dem uns nur Texte des sog. „Systemfragments” überliefert sind, weitere Ausführungen zu dieser Bestimmung der Philosophie und evtl, zur Logik. “ Diesen Satz konnte Hegel aus Jacobis Briefen Über die Lehre des Spinoza entnehmen (vgl. Jacobi: Werke. IV/1. 182). Jacob! gibt dazu folgende Erläuterung: „Die einzelnen Dinge also, in so fern sie nur auf eine gewisse bestimmte Weise da sind, sind die nonentia; und das unbestimmte unendliche Wesen ist das einzige wahrhafte ens reale, hoc est, est omne esse, et praeter quod nullum datur esse” (der letzte Satz ist ein Spinoza-Zitat; vgl. a.a.O. 182 f). — Gueroult hält die Hegelsche Auffassung dieses Satzes, den Spinoza nur in ganz bestimmten Zusammenhängen gebrauchte, für eine unzulässige Vereinfachung (vgl. M. Gueroult: Spinoza. I. Dieu (Ethique, I). Paris 1968. 466 f Anm. 10).

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Durch den Gedanken der Vervollständigung wird das Verhältnis der entgegengesetzten Endlichen zur Einheit spezifiziert zum Verhältnis der Teile zum Ganzen. In der Notwendigkeit, dieses Ganze vorauszusetzen, zeigt sich jedoch zugleich die Ohnmacht der Vernunft. In ähnlicher Weise hat Hegel in „Glauben und Sein” dargelegt, daß der Beweis nur zu der Vorstellung gelangt, daß Vereinigung sein soll, nicht daß sie ist. Die Synthesen, die in der Philosophie zustande gebracht werden, sind nur unvollständige Vereinigungen, deren Inhalt selbst etwas Endliches ist, das wiederum durch das entgegengesetzte Endliche vervollständigt werden muß, wie es z. B. bei Fichtes Synthesis durch Teilbarkeit der Fall’ist. Die Aufgabe der Vernunft besteht also darin, den ganzen Bereich des Endlichen durchzugehen und jedes „Gesetzte” durch das „Entgegengesetzte” zu vervollständigen und dadurch skeptisch in seinem Geltungsanspruch aufzuheben. Die Vernunft wird damit nach Hegel in den unendlichen Progreß getrieben, der nicht mit der wahren Unendlichkeit verwechselt werden darf ®®. Diese Tätigkeit der Vernunft aber hebt sich schließlich in der Religion als dem Innehaben des wahren Unendlichen und des Lebens auf ®®. Die Vernunft ist also nicht in der Lage, das Sein des Ganzen oder der Vereinigung selbst zu erkennen. Die Entgegensetzung der endlichen Bestimmtheiten und d. h. die Vervollständigung fordert zwar die Restitution des Ganzen und Einen. Aber bei der Erkenntnis des Endlichen führt die Anwendung des Satzes, daß alle Determination Negation sei, noch nicht zur Negation solcher Negation, die sich am Endlichen findet, als Affirmation. Dieses Verfahren, das die Erkennbarkeit des Ganzen voraussetzt und das später unverlierbarer Bestandteil der Dialektik wird, konzipiert Hegel erst in der Jenaer Zeit ®^.

•* Hölderlin hatte schon 1795 in seinem Brief an Schiller für die Philosophie die Idee eines unendlichen Progressus entworfen, da die Vereinigung von Subjekt und Objekt theoretisch— mit den Mitteln der Reflexion — nur annäherungsweise erreichbar ist; sie wird nach Hölderlin aber ästhetisch erreicht. Hegel hält ihre Erreichung in der Religion für möglich. Vgl. Hölderlin: SämtUAe Werke. Bd 6. 181. — Die Aufhebung der Gültigkeit eines Endlichen durch das entgegengesetzte erinnert in etwa an die pyrrhonisch-skeptische Isosthenie. Vielleicht beruht auch Hegels Unterscheidung des unendlichen Progressus von der wahren Unendlichkeit wenigstens z. T. auf Argumenten des antiken Skeptizismus, z. B. auf dem Tropus des Verfallens in das Unendliche, wie Sextus Empiricus ihn definiert (vgl. dazu Hegel: Werke. 4. 218 f). “ Vgl. eine ähnliche Argumentation unter anderen systematischen Vorzeichen in der Differenz-Sduih (Werke. 4. 17). ” Nur unter dieser Voraussetzung kann Hegel dann in der WissensAaft der Logik den notwendigen Zusammenhang zwischen dem Satz, daß alle Determination Negation sei, und der doppelten oder bestimmten Negation entwickeln. Vgl. WdL T. 1. 100 f; T. 2. 164.

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Damit sind wohl die Grundzüge der Methode der endlichen Reflexion sichtbar geworden, wie Hegel sie in seinen Frankfurter Fragmenten entwarf. Systematisch müßte die Erörterung dieser Methode sowie der reinen Bestimmungen, die der Reflexion immanent sind, in eine Logik fallen. Da für Hegel aber Bestimmung und Negation zugleich einen ontologischen Sinn haben, ist eine solche Logik als Ontologie des Endlidien anzusehen, die schließlich in der Voraussetzung des reinen Seins und Lebens begründet ist. Diese Überlegungen, die sich vor allem im sog. „Systemfragment” von 1800 finden, stellen sicherlich Weiterentwicklungen von philosophischen Problemen und Anregungen der Frankfurter Freunde dar. Hegel unterscheidet sich jedoch, wie deutlicher aus dem früheren Fragment „Glauben und Sein” zu entnehmen ist, in zwei Fragen von der Philosophie seiner Freunde. Einmal wird nach Hegel das Sein oder Leben nicht etwa intellektuell angeschaut, sondern vorgestellt im Glauben. Dies ist sein Ausgangspunkt für das Begreifen der Positivität von Religionen. Zum andern bestimmt Hegel die Trennung der endlichen Reflexionsinhalte als „Antinomie”. Er legt damit ein zentrales Problem der Frankfurter Freunde offenbar kantisch aus. Über den vierfachen Widerstreit der kosmologischen Ideen in der Kritik der reinen Vernunft machte sich Hegel schon in den sog. „Materialien zu einer Philosophie des subjektiven Geistes” Notizen ®®. Da Kant diesen Widerstreit in „skeptischer Methode” ®* aufstellt, könnte sich für Hegel auch von dieser Seite ein Bezug zur Problematik des Skeptizismus ergeben haben. Es ist zumindest sehr wahrscheinlich, daß Hegel für seinen Begriff der Antinomie auf Kants Antinomienlehre zurückgreift, da für ihn als den früheren Kantianer andere Anregungen kaum in Frage kommen ^®. — Für die zentrale Stellung der Antinomie in „Glauben und Sein”, mit der er ein Problem der Grundlegung der Philosophie bezeichnet, findet sich allerdings in den Jugendschriften eigentlich keine Parallele. Zwar kommt der Ausdruck „Antinomie” im sog. „Systemfragment” von 1800 wieder vor, um das Verhältnis von ünendlichkeit und Punktualität des Raumes und der Zeit zu charakterisieren; aber dieser Ausdruck wird dort auf ein religiöses Problem angewandt, das für die Reflexion eine Paradoxie dar•* Vgl. Dokumente zu Hegels Entwidelung. 215 ff. •• Kritik der reinen Vernunft. B 451. Hölderlin erwähnt einmal in einem Brief an Hegel,.Fichte habe einen interessanten Gedanken über die Antinomien geäußert, den er ihm aber ein andermal mitteilen wolle (vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 20). In Fichtes frühen Schriften hat jedoch das Problem der Antinomie auch dort, wo er den Terminus von Kant aufgreift, keine besondere Bedeutung.

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stellt Die grundsätzlidie Frage der Antinomie wird dabei als schon gelöst vorausgesetzt. Erst in der Di//erenz-Sdirift räumt Hegel der Antinomie in einer veränderten systematischen Konzeption eine ähnliche Funktion ein wie in „Glauben und Sein”. Das in „Glauben und Sein” explizierte Verhältnis von Antinomie und Vereinigung ist oft als erste Formulierung oder Ankündigung des Prinzips der Dialektik angesehen worden Zwar fällt der Name „Dialektik” hier nicht, aber die Struktur der Dialektik scheint doch schon vorgezeidinet zu sein. Man könnte noch hinzufügen, daß sich bereits in Kants Antinomienlehre, an der Hegel sich ja orientiert, die Dialektik der reinen Vernunft am deutlichsten zeige. — Trotz solcher scheinbar guten Gründe kann diese These nicht aufrechterhalten werden. Denn es läßt sich zeigen, daß einmal Hegels Begriff der Antinomie in „Glauben und Sein” nicht unwesentlich vom Kantischen Begriff abweicht; zum andern sind systematische und entwicklungsgeschichtliche Umstände aufzuweisen, die eine Bestimmung des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung beim jungen Hegel als Dialektik offenbar unmöglich machen. Kant gebraucht den Ausdruck „Antinomie” meistens im Singular, manchmal aber auch im Plural Mit Antinomie ist der Widerstreit von Gesetzen und allgemeiner von Sätzen gemeint; in der Kritik der reinen Vernunft betrifft die Antinomie den Widerstreit solcher Sätze, die kosmologische Ideen ausdrücken, einen Widerstreit, dem die metaphysisch behauptende, reine Vernunft nicht entgehen kann und der die ihr innewohnende Dialektik offenkundig macht. Dialektik und Antinomie sind dabei nicht gleichbedeutend. Die Dialektik ist für Kant eine Logik des Scheins, die Fehlschlüsse als wahre Erkenntnisse ausgibt. Da nun die einander entgegengesetzten Sätze als Formulierungen der kosmologischen Ideen und ihre jeweiligen Beweise nicht beide wahr sein können, deckt die Antinomie ” Vgl. N 349. — Eine Anspielung auf Kants skeptisdie Vorstellung der kosmologischen Ideen findet sidi N 333; Hegel bezieht sich wohl auf Kr. d. r. V. B 514 ff. — Unabhängig von religiösen Zusanunenhängen erwähnt Hegel die Antinomie des Raumes und der 2^it auch in der Differenz-Sdxnh, vgl. 'Werke. 4. 29, 46 f. Th. Haering findet hier den Gedanken der „dialektischen Einheit” von Gegensätzen ausgesprochen {Hegel. Bd 1. 391, 399, 406). — Lukics sieht in der ganzen Frankfurter Periode und daher auch in „Glauben und Sein” Anfänge der dialektischen Methode, die im Begriff des Seins, der Vereinigung, des Lebens enthalten sei; sie werde im „Systemfragment” von 1800 bereits weiterentwickelt (vgl. Der junge Hegel. 141, 176 f, 198, 275 ff). Von der Dialektik in „Glauben und Sein” spricht auch M. Rossi: Drei Momente der Hegelsthen Dialektik. 13 f, 16 f. — Vgl. ferner oben Anm. 18. " Vgl. zum Sprachgebrauch und zur Bedeutung H. Heimsoeth; Transzendentale Dialektik. T. 2. Berlin 1967. 199 ff. Heimsoeth weist mit Recht darauf hin, daß Hegel später den Terminus häufig im Plural gebraucht.

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also die Dialektik, die Fehlschlüsse der reinen Vernunft, von selbst auf, die sich die dogmatische Vernunft sonst zu verbergen sucht. Der dialektische Schein ist zwar nach Kant für die objektive Erkenntnis beanspruchende Vernunft unvermeidlich; dennoch ist eine Auflösung des Widerstreits der kosmologischen Ideen oder der verschiedenen Antinomien möglich durch den transzendentalen Idealismus, also durch die Untersuchung der Erkenntnisvermögen und Erkenntnisleistungen des Subjekts sowie die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich. Nach Hegel dagegen ist die Antinomie für die endliche Reflexion überhaupt notwendig, ob sie nun objektive Erkenntnis anstrebt oder sich auf sich selbst zurückwendet. Die Antinomie kann in der Philosophie nicht aufgelöst werden. Auch die endliche Vernunft, die die Überwindung der Begrenzung des jeweils gesetzten Endlichen durch Vervollständigung anstrebt, gerät nur in einen unendlichen Progreß die Vereinigung oder Ganzheit bleibt für sie unerreichbare Voraussetzung. — Die in diesen Überlegungen zugrunde gelegte formallogische Struktur der Antinomie wird von Hegel zwar nicht näher diskutiert. Aber man kann wohl, wenn man seine Beispiele mitberücksichtigt, feststellen, daß er kaum wie Kant an konträr bzw. kontradiktorisch einander entgegengesetzte Urteile denkt, sondern offenbar an konträre Begriffe. Diese allerdings können nur dann im Verhältnis des „Widerstreits” zueinander stehen, wenn sie wieder in Urteilen als Prädikate auf dasselbe Subjekt bezogen werden. — Hegels Konzeption der Antinomie, das darin enthaltene Problem des Verhältnisses von Sein und Reflexion und die Auffassung der Unauflösbarkeit der Antinomie für die Reflexion weichen also deutlich von der Theorie Kants ab. Mit der Erörterung der methodischen und logischen Frage des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung in Hegels Frankfurter Entwürfen stellt sich zugleich das Problem der Genese der Hegelschen Dialektik. Es ist hier zu klären, ob die methodische Bedeutung des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung schon als Dialektik bzw. als Vorstufe zur Dialektik angesehen werden darf oder nicht. Bei der Beantwortung dieser Frage muß man berücksichtigen, was später noch genauer behandelt werden soll, daß sich der Begriff der Dialektik selbst bei Hegel entwickelt und daß er in verschiedenen Stadien seines Denkens einen ganz verschiedenen systematischen Sinn hat. Die Begriffe „Antinomie” und „Vereinigung”, wie Hegel sie zum ersten Mal in dem Fragment „Glauben und Sein” expliziert, sind konstitutiv für seine Dialektik von der Jenaer Zeit an. Die Vereinigung hat in Beziehung ” Vgl. oben S. 58. « Vgl. oben S. 53.

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auf die Antinomie offenbar verschiedene Funktionen, die Hegel in „Glauben und Sein” zwar andeutet, aber nicht ausdrücklich unterscheidet. Hegel setzt die unterschiedenen Vereinigungsweisen dann von der Jenaer Zeit an zueinander in methodische Beziehung und entwickelt sie in der Wissenschaft der Logik als wesentliche Bestandteile des methodischen Fortschreitens der Dialektik — Die Konstellation von Antinomie und Vereinigung beim jungen Hegel ist jedoch nicht einfachhin als methodische Unzulänglichkeit und Vorläufigkeit anzusehen, so daß sich durch Verbesserungen im einzelnen daraus schon die Dialektik ergeben könnte, sei es die Dialektik, die Hegel in der frühen Jenaer Zeit entwickelt, sei es die spätere Dialektik im System. Vielmehr beruht dieses Verhältnis von Antinomie und Vereinigung auf der Konzeption Hegels in der Frankfurter Zeit, daß die Vereinigung oder das Sein im Bewußtsein bzw. der Reflexion nur gegenwärtig sein kann als Grundlage oder auch als Wiederaufhebung der Entgegensetzungen. Die Vereinigung selbst vermag jedoch nicht so in die Entgegensetzungen einzugehen, daß sie deren methodischer Zusammenhang ist und daß durch sie erst eine Bestimmung aus der anderen hervorgeht. Denn Vereinigung und Sein sind an sich absolut dem Bewußtsein und der Reflexion überlegen und damit auch für die Philosophie unerkennbar, die der Reflexion verhaftet bleibt. Ferner stellt sich bei einem Vergleich des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung mit Hegels späterer Dialektik das Problem des positiven Sinns des Widerspruchs. Hegel beschränkt, wie erwähnt wurde, in seinen Frankfurter Entwürfen die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch auf die Reflexion und ihre Bestimmungen. Was der Verstand als Widerspruch auffaßt, so daß es für ihn nichtig ist, kann durchaus positiv etwas sein im Reich des Lebens. Hierin ist zumindest eine Vorbedingung für den in der Dialektik geltenden positiven Sinn des Widerspruchs enthalten. Doch hat der Widerspruch selbst damit noch keine positive Bedeutung. Denn der junge Hegel trennt die Sphäre des Verstandes von der des Lebens; es ist für die Einheit des Lebens an sich nicht notwendig, in Widersprüchen ausgedrückt zu werden, sondern nur, sofern sie vom Verstände vorgestellt wird. Die Einheit ist also an sich weder methodischer Grund des Widerspruchs der betreffenden Bestimmtheiten noch etwa das positive Resultat des Widerspruchs. — So wenig Hegel ein methodisches Prinzip der Einheit einer Antinomie angibt, so wenig entwickelt er die verschiedenen Antinomien auseinander. Er fordert zwar im Einklang mit den Frankfurter Freunden im sog. „Systemfragment” von 1800, die Reflexionsbestimmun” Vgl. z. B. Werke. 4. 399, WdL T. 2. 490 ff. ” Vgl. N 383.

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gen jeweils zu vervollständigen und das ganze Reidi des Endlichen durchzugehen. Aber die Herkunft des Inhalts der endlichen Gegensatzbestimmungen bleibt zumindest ungeklärt; der Inhalt wird nicht hergeleitet. Es findet sich in Hegels Frankfurter Entwürfen auch sonst keine allgemeine Regel, die eine systematische Ordnung unter den verschiedenen Antinomien gewährleistete. Hegel konzipiert das Ergebnis des Widerspruchs offenbar bloß skeptisch. Sollte die Reflexion eine Synthesis zustande bringen — etwa nach dem Vorbild der Methode Fichtes — so ist diese jedenfalls keine Vereinigung der Widersprechenden. Daher gerät die Vernunft, die zu immer neuen Antinomien übergeht, in den unendlichen Progreß. — Einen systematischen Zusammenhang der Reflexionsbestimmungen ermöglicht aber schon die Dialektik in Hegels frühen Jenaer Jahren; eine solche Ordnung bringt erst recht die spätere Dialektik im System hervor durch die Negation der Negation, deren positives Resultat zugleich Ausgangspunkt weiterer Entwicklung ist. Man kann also wohl das Verhältnis von Antinomie und Vereinigung, wie es Hegel in seiner Frankfurter Zeit bestimmte, nicht als Dialektik ansehen, weder als Dialektik in der Bedeutung, die Hegel ihr in seiner frühen Jenaer Zeit gab, noch als Dialektik, wie sie im späteren System auftrat. Die Unterschiede sind offensichtlich prinzipieller Art. Es fehlt vor allem das Prinzip für die methodische Entwicklung einer Antinomie und der methodische Zusammenhang unter den verschiedenen Antinomien. Denn die Vereinigung oder das Sein ist für den jungen Hegel grundsätzlich absolut und d. h. an sich den Bestimmungen von Reflexion und Bewußtsein transzendent Diese nicht-dialektische Beziehung von Antinomie und Vereinigung findet sich auch noch in der Differenz-Schrift. Zwar gilt in ihr bereits das Absolute als erkennbar durch die Spekulation oder die Vernunft. Da aber das Absolute oder die absolute Identität in einem System des Wissens expliziert werden soll, muß die spekulative Erkenntnis sich der Bestimmungen und Entgegensetzungen der Reflexion bedienen. Die absolute Identität erscheint für die Reflexion nun „in Synthesen Entgegengesetzter, also in Antinomieen” „Die Synthese der Zwey von der Reflexion gesetzten Entgegengesetzten, foderte als Werk der Reflexion, ihre Vervollständigung; als Antinomie, die sich aufhebt, ihr Bestehen in der Anschauung.” Das Verhältnis von Antinomie und Einheit wird hier ähnlich wie in HeZu den unterscfaiedlidien Begriffen von Dialektik in Hegels versdiiedenen systematisdien Entwürfen vgl. unten S. 93 ff und S. 179 ff sowie 198 ff und 313 ff. ” Vgl. Hegel: Gesammelte 'Werke. 4. 27. “ A.a.O. 29.

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gels Frankfurter Zeit bestimmt. So ist etwa die „Vervollständigung” sdion in Frankfurt Hegels Programm. Vor allem aber geht aus der Antinomie nicht schon die Einheit selbst als das positive Resultat hervor, sondern nur die Forderung der Anschauung der Einheit. Allein in einer solchen Anschauung vermag die Antinomie zu „bestehen”. Dieses Verhältnis von Reflexion und intellektueller Anschauung gehört zur Methode der frühen Jenaer Metaphysik Hegels. — In „Glauben und Sein” konnte mit den Mitteln der Reflexion lediglich bewiesen werden, daß Vereinigung sein solle, nicht daß sie sei. Ihr Sein konnte nur geglaubt werden. Auch in der Dt//ere»z-Schrift ergibt sich aus der Antinomie der Reflexionsbestimmungen nur ein „Postulat”, nämlich das einer intellektuellen Anschauung der absoluten Identität. Diese ist in ihren Vorstellungen freilich eines höheren Gewißheitsgrades fähig als der Glaube. In ihr ist, wenn sie vollzogen wird, das Sein der absoluten Identität selbst unmittelbar gegenwärtig. Sie wird allerdings nur dann zur Erkenntnis und zum spekulativen Wissen, wenn sie mit der Reflexion synthetisiert wird. — Es dürfte also wohl nicht nur eine terminologische Frage sein, wenn Hegel in der Differenz-S6it\ix. nicht von Dialektik spricht. Seine grundsätzliche Bestimmung des Verhältnisses von absoluter Identität und Antinomie in dieser Schrift kann jedenfalls ebenso wie die in ihr verwendete Methode kaum als dialektisch angesehen werden. b) Die Reflexion des Bewußtseins und die Voraussetzung des reinen Seins Die Bestimmung des Verhältnisses von Antinomie und Vereinigung in Hegels Frankfurter Zeit ist nur unter der Voraussetzung des absoluten, reinen Seins möglich. Die Vorstellungsart, in der das unabhängige Sein im Bewußtsein und dessen Entgegensetzungen überhaupt gegenwärtig werden kann, nennt Hegel Glauben. „Sein kann nur geglaubt werden; Glauben setzt ein Sein voraus.” Dieser Glaubensbegriff, für den — wie erwähnt wurde — Jacobi anregend gewesen sein konnte und der erheblich von dem Kantischen Begriff des praktischen Vernunftglaubens abweicht, enthält vor allem zwei Momente. Einmal wird der Glaube im Kontext der Evangelienauslegung bestimmt Glaube ist dann — nach Hegels philo« N 383. Bei Jacobis Glaubensbegriff ist wohl zuerst an die theologisdi-religionsphilosophisdie Bedeutung zu denken. Seine Interpretation von Humes „belief” kommt hier als un> mittelbare Anregung weniger in Betradit. — Harris vermutet an dieser Stelle eine Beeinrflussung durch Hamann, die aber m. E. nicht sehr wahrscheinlich ist. Vgl. Hegel’s Devtlop^ ment. 312 f Anm. “ Vgl. z. B. N 313, 325, 289.

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sophischer Interpretation dieses Begriffs — das Sich-Eins-Finden des menschlichen Lebens mit dem göttlichen Leben. Zum andern wird der Glaube als die Gegenwärtigkeit des Seins und Lebens im Bewußtsein vom Problem des Selbstbewußtseins und der Reflexion her definiert In jedem Fall aber steht die Bewußtseinsimmanenz des Seins unter der Bedingung der Absolutheit des Seins. Die Entgegensetzungen der Reflexion oder des Bewußtseins verlangen von sich aus die Begründung in der Vereinigung als dem Sein, das geglaubt wird. Der Begriff des Glaubens soll also das Problem des Verhältnisses der endlichen Subjektivität zum Absoluten lösen. Dieses Problem liegt nach Hegel der Struktur jedes Satzes zugrunde. Hegel umreißt damit das Prinzip einer nicht formallogischen, sondern metaphysischen Urteilslehre, deren Ansätze sich schon in „Glauben und Sein” finden. Im „Bindewort ,ist’ ” wird „die Vereinigung des Subjekts und Prädikats” ausgedrückt, „ein Sein” ®®. In einem Satz oder Urteil werden Subjekt und Prädikat unterschieden; Hegel versteht diese Unterschiedenen offenbar als entgegengesetzte Glieder, so dfiß sie im Urteil eine Antinomie ausmachen. Aus den späteren Ausgestaltyngen der Logik läßt sich wohl entnehmen, daß er mit Subjekt und Prädikat nicht nur das Verhältnis des kategorischen Urteils meint, sondern alle Verhältnisse des Urteils. Die Copula aber ist die Vereinigung dieser entgegengesetzten Urteilsbestandteile. Die Vereinigung hat, wie es scheint, auch hier die schon charakterisierte mehrfache Bedeutung. Sie ist einmal Synthesis der vorliegenden Glieder des Urteils, ferner Erkenntnisgrund ihrer Entgegensetzung als Subjekt und Prädikat und schließlidi Grund des Bestehens dieser entgegengesetzten Glieder. Das Urteil repräsentiert also für Hegel als solches den Zusammenhang von Antinoniie und Vereinigung. — Das in der vereinigenden Copula ausgedrückte Sein bedeutet nun nach Hegel nicht etwa wie bei Kant die objektive Einheit der in eiuepi Urteil verbundenen Vorstellungen oder den Begriff vont Objekt, der durch eine solche Verbindung als Bestimmung des Mannigfaltigen erst hervorgebrsuht wird. Das Sein wird Hegels Konzeption entsprechend nicht gedacht oder begrifflich erkannt, sondern geglaubt. Die Modalität des Fürwahrhaltens ist also auch beim Urteil über Seiendes der Glaube. Die Vereinigung im Urteil aber wird von Hegel als „Gedanke” gekennzeichnet; denn „der Gedanke ist eine Vereinigung, und Vgl. vor allem N 382 ff, aydi N 303: „So wie es [sc. reines Sein und Leben] ins Bewußtsein kommt, so wenn er [sc. der Mensdi] daran glaubt, so ist es zwar nodi lebendig im Mensdien, abef außer dem Menschen zum Teil gesetzt ...” — Zum Glaubensbegriff in Hegels Frankfurter Zeit vgl. L. Landgrebe: Das Problem der Dialektik. 95 ff und H. S. Harris: Hegel’s Development. 312 ff, 300 ff. “ H 383. Ob Hegel darin in Frankfurt bereits ein Problem sah, das in eine als selbständige Wissenschaff pu entwickelnde Logik gehört, muß offenbleiben.

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wird geglaubt; aber das Gedachte noch nicht” ®®. Damit ist wohl die Präsenz des Seins im Bewußtsein gemeint, der die Absolutheit des Seins noch vorauszusetzen ist. Das Urteil und seine Struktur erhalten also bei Hegel eine metaphysische Begründung. Diese Auffassung des Urteils ist bereits in Hölderlins Fragment über „Urteil und Sein” vorgebildet; Hölderlins Entwurf und evtl. Diskussionen im Freundeskreis dürften der Hintergrund für Hegels Überlegungen sein. Für Hölderlin ist das Urteil die „Ur-Theilung” und Trennung, durch die „erst Object und Subject möglich” werden. Schon Hölderlin erklärt, daß im Begriff der Teilung der Begriff der „gegenseitigen Beziehung” sowie die „nothwendige Voraussezung eines Ganzen” liege Er deutet damit das Verhältnis von Trennung und Vereinigung und auch verschiedene Bedeutungen der Vereinigung an. Das „passendste Beispiel” in theoretischer Hinsicht ist für ihn das Urteil: Ich bin Ich. Diese Identität des endlichen Selbstbewußtseins, über die nach Hölderlin Fichte nicht hinausgelangte, ist von der reinen unteilbaren Einheit des Seins zu unterscheiden. Das Selbstbewußtsein und seine Identität in der Trennung seiner von sich selbst im Sich-Vorstellen setzen das reine absolute Sein voraus, das zunächst spinozistisch verstanden wird und das Hölderlin dann als „seelige Einigkeit”, als „unendlichen Frieden” oder als „Leben” ®* begreift. — Hegel nimmt diesen Ansatz und diese Kritik am Ich-Begriff offensichtlich auf. Aber er spricht hier noch nicht wie Hölderlin — und wie Schelling in seinen Frühschriften — von einer intellektuellen Anschauung des reinen Seins, sondern nur vom Glauben des endlichen Selbstbewußtseins an das vorauszusetzende Sein und Leben. Die Aussagemöglichkeit und Gültigkeit des Urteils ist nun nach Hegel begrenzt, wie er bei seiner Erläuterung des Anfangs des Johannes-Evangeliums aufzeigt. Die Aussagen über das Verhältnis von Gott und Logos haben eigentlich „nur den täuschenden Schein von Urteilen, denn die Prädikate sind nicht Begriffe, Allgemeines, wie der Ausdruck einer Reflexion in Urteilen notwendig enthält; sondern die Prädikate sind selbst wieder Seiendes, Lebendiges” *®. Die Entgegensetzung von Prädikat und Subjekt im Urteil bedeutet für Hegel also zugleich eine Antinomie zwischen dem 8» N 383. ^ Hölderlin; Sämtlidie Werke. Bd 4. 216. — Zum Problem der UrteUung bei Sinclair vgl. in Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair. 246 f, 249, 269 u. a. 88 Die Rezeption Spinozas erfolgte über Jacobis Briefe Über die Lehre des Spinoza. Breslau 1785, aus denen Hölderlin widitige Stellen exzerpierte. Vgl. Hölderlin: Sämtliche Werke. Bd 4. 207 ff. 88 Hölderlin: Sämtliche Werke. Bd 3. 236, 160 u. a. 8® N 306. Vgl. zum folgenden audi N 306—310.

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Allgemeinen, das an der Prädikatstelle steht, und — wie man leicht ergänzen kann — dem Besonderei) bzw. Einzelnen als Subjekt. Die Entgegensetzung solcher Bestimmungen, die Bestimmungen des Begriffs sind, sowie deren Beziehung durch die Copula im Urteil wird in den folgenden Jahren zum Inhalt von Hegels Urteilslogik. — Das Urteil stellt für ihn in seiner Frankfurter Zeit aber auch die Beziehung eines ontologischen Gegensatzpaares dar. Das Prädikat ist als Allgemeines im Urteil kein Seiendes, sondern hat offenbar die Modalbestimmung der Möglichkeit; das Subjekt aber, d. h. das Besondere oder Einzelne ist als seiend und wirklich anzusehen. — Wenn nun jedoch der Inhalt solcher Urteile das Einssein und die Verschiedenheit von Gott und Logos oder die Menschwerdung Gottes ist, so daß Gott als menschliches Individuum und als allgemeiner Gott aufgefaßt werden muß, dann erweist sich das Urteil als unfähig, das Göttliche adäquat auszudrücken. Die Prädikate dürften nicht „Begriffe, Allgemeines”, bloß Mögliches, sondern müßten selbst Seiendes und Lebendiges sein; der Gegensatz von Subjekt und Prädikat und damit auch die logische und die ontologische Antinomie von Einzelnem bzw. Besonderem und Allgemeinem sowie von Möglichkeit und Wirklichkeit müßten entfallen. Johannes bedient sich nach Hegel zwar bereits der „einfachsten Reflexionssprache”, nämlich „thetischer Sätze” ®‘. Hegel bezieht sich hierbei auf Fichtes Bestimmung thetischer Urteile, die im Unterschied zu antithetischen und synthetischen Urteilen ohne Unterscheidungs- und Beziehungsgrund sind und deren Prädikate daher nach Fichte keine bestimmte, begrenzte Bedeutung haben®®. Für Hegel gehören jedoch — wie für die Frankfurter Freunde — die thetischen Urteile als Urteile der Reflexion an, da auch sie Trennungen, Antinomien sind. Sollte nun das Göttliche adäquat ausgedrückt werden, so wäre gerade die Auflösung der Antinomie notwendig; dazu aber ist die Reflexion prinzipiell nicht in der Lage. Das Göttliche kann also, wie Hegel in Analogie zu Hölderlins Metaphysik der Dichtung glaubt, nur „mystisch” ®* ausgesprochen werden. — Diese Erörterungen des Urteils und der Grenzen seiner Leistungen bilden eine Voraussetzung für Hegels spätere Theorie des spekulativen Satzes, der ebenfalls die UrN 306. ** Vgl. Fichte: GesamtaHSgahe. Abt. I, Bd 2. Hrsg. v. R. Lauth und H. Jacob unter Mitarirkung v. M. Zahn. Stuttgart-Bad Cannstatt 1965. 273 ff. ** N 308, ygl. 305. Diesen Gedanken macht Dilthey zum Zentrum seiner Interpretation der Frankfurter Entwürfe Hegels, aus denen er einen „mystischen Pantheismus” hervorhebt (vgl. Dilthey: Gesammelte Schriften. Bd 4. 138—157 und 180 ff). Er unterschätzt dabei nicht nur die gesellschaftlich-politische Thematik, wie ihm Lukäcs vorwirft (vgl. Der junge Hegel. 156), sondern wohl auch die methodologischen Probleme, cUe sich besonders bei der Untersuchung der Prinzipienfragen ergeben.

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teilsstruktur zugunsten einer rein innerlichen Bewegung des Inhalts zerbricht, der allerdings nur unter dem Prinzip der Spekulation als Erkenntnis des Absoluten möglich ist. Die Behauptung eines „mystischen” Aussprechens des reinen Seins und Lebens stellt nun wohl bereits eine gewisse Veränderung der Theorie des Glaubens dar, die Hegel noch im Fragment „Glauben und Sein” vertrat. Hegel erklärt dort, daß Glauben Sein voraussetzt, daß das Sein aber nicht darin aufgeht, geglaubt zu werden. Daher ist das Sein an sich als unabhängig und absolut anzusehen. In der Erörterung dieser These von der Absolutheit des Seins, die er wohl gegen idealistische Einwände Fichtescher Prägung verteidigt, bestimmt Hegel nun das Verhältnis von Glauben und Denken genauer ®^. — Hegel weist einmal die Behauptung zurück, die Absolutheit des Seins bestehe darin, daß es als bewußtseinsunabhängig gedacht werden könne. Zwar ist es für das Sein selbst nicht notwendig, daß es im Bewußtsein gegenwärtig ist. Wenn man aber diese Unabhängigkeit des Seins vom Bewußtsein oder diese Absolutheit als etwas Denkbares ansieht und die Denkbarkeit ontologisch als Möglichkeit bestimmt, die dem Sein selbst zukommen soll, dann bewegt man sich in den Entgegensetzungen der Reflexion. Denn das Denkbare, das gedacht werden kann, ist getrennt vom Denkenden; die Möglichkeit ist getrennt von der Wirklichkeit. Die Unabhängigkeit des Seins vom Bewußtsein kann also nicht gedacht werden. Die einzige Weise, in der das Sein in der Reflexion überhaupt vorgestellt werden kann, ist vielmehr der Glaube. Hegel gibt damit freilich der Fichteschen Bestreitung der These, das Sein könne als bewußtseinsunabhängig gedacht werden, in gewisser Weise, wenn auch mit ganz anderen Argumenten recht. — Zum andern kann die Unabhängigkeit des Seins nicht als Gleichgültigkeit der verschiedenen unvollständigen Vereinigungen und der ihnen entsprechenden Arten des Glaubens gegeneinander verstanden werden ®®. Hegel bezieht sich damit auf sein ihn eigentlich interessierendes Thema, auf den geschichtlichen, positiv werdenden Glauben. Absolutheit des Seins bedeutet für Hegel also auch nicht Unabhängigkeit der verschiedenen geschichtlichen Glaubensarten und des in ihnen geglaubten Seins voneinander. Gegenüber diesen von Hegel kritisierten Auffassungen von der Absolutheit des Seins besagt seine eigene These im Fragment „Glauben und Sein”, “ Vgl. N 383. Hegels Argumentation ist hier nicht ganz eindeutig. Er scheint zunächst nur die subjektiv-idealistische Kritik an der These von der Absolutheit des Seins wiederzugeben, geht dann jedoch zu seinem eigenen Problem über, wie die Beziehung von Denkbarkeit und Geglaubtsein unter Voraussetzung der Absolutheit des Seins aufzufassen ist. »» Vgl. N 383 und 384 f.

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daß die Absolutheit des Seins nur vom Sein selbst her verstanden werden kann. Da Glauben „nicht Sein, sondern ein reflektiertes Sein” ist, muß das Sein nicht notwendig in der Reflexion vorgestellt werden, d. h. „zum Bewußtsein kommen”. Es steht bei dem bewußtseinsüberlegenen Sein, sich dem endlichen Subjekt zu zeigen oder nicht. „Das was ist, muß nicht geglaubt werden, aber was geglaubt wird, muß sein.” Deutlicher tritt das logische Verhältnis dieser beiden Sätze durch folgende Formulierung hervor: Alles, was geglaubt wird, das ist; aber nicht alles, was ist, wird geglaubt. Der Bereich des Seins ist größer als der des Geglaubten, aber der des Geglaubten ist ein echter Teil der Sphäre des Seins. Die Absolutheit des Seins liegt in jener das Bewußtsein und den Glauben transzendierenden Sphäre; sie wird weder vom Denken noch vom Glauben her begründet, sondern ist allein im Sein selbst fundiert. Mit dieser These überschreitet Hegel also die Bewußtseinsimmanenz des Seins im Glauben. Wie eine solche Annahme mit dem Satz übereinstimmt, daß unsere Beziehung zum Sein nur der Glaube sein könne, bleibt in „Glauben und Sein” allerdings ungeklärt. Hegel trifft hier eine Aussage über das bewußtseinsunabhängige Sein, die mit der Theorie des Glaubens als der einzigen Art, wie unser Bewußtsein sich auf das Sein beziehen kann, wohl nicht vereinbar ist. — In seinen späteren Frankfurter Entwürfen geht er gerade dieser Frage weiter nach, ob nicht noch eine andere Beziehung zum Sein möglich ist als die des Glaubens, in dem das Sein „reflektiert” wird. Er sucht zu zeigen, daß durch die Erhebung des endlichen Lebens zum unendlichen Leben das reine Sein und Leben mitvollzogen werden kann; hierzu ist aber eine Synthesis von göttlichem Gefühl und Reflexion erforderlich ®^. In ihr muß die Endlichkeit der selbständigen Reflexion bedeutungslos geworden sein. Dann kann auch das göttliche Sein in „mystischer” Weise ausgesprochen werden. Die Religion ist für Hegel die über die Endlichkeit des Denkens und Selbstbewußtseins hinausgehende Wirklichkeit des Göttlichen im Menschen. Die Religion übersteigt daher auch die Philosophie, deren Organ die Reflexion mit ihren Gesetzen ist ®®. »• N 383. ” Vgl. N 347 ff. Vgl. zu diesen Ausführungen im sog. „Systemfragment” von 1800 O. Pöggeler: Hegels Jugendsdsriften. 217—226. Auf die Parallelität der systematischen Grundzüge dieser Position mit anderen idealistischen Theorien, nämlich einerseits mit Schellings System des transzendentalen Idealismus und andererseits mit Fichtes und z. T. Schellings Spätphilosophie sei hier nur hingewiesen. Die Parallelität betrifft das Verhältnis des endlichen Subjekts zum Absoluten. Schelling geht im System des transzendentalen Idealismus über die Philosophie zugunsten der Kunst und der Produktion des Genies hinaus, da nur Kunst und Genie, nicht dagegen die an die trennende Reflexion gebundene Philosophie die höchste, absolute Einheit des Bewußten und Bewußtlosen zu erreichen vermögen. Wie für den Frankfurter Hegel die

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In diesen Entwürfen der späteren Frankfurter Zeit hat Hegel die Struktur der Einheit und der Vereinigung weiterentwickelt und differenzierter entfaltet. Das Leben und Sein ist an sich nicht als einfache Indifferenz, sondern — nach der bekannten Formulierung — als „Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung” zu verstehen. Diese Definition, die die spätere Bestimmung des Absoluten vorwegnimmt, wird von Hegel damit begründet, daß die Entgegensetzungen der Reflexion berücksichtigt und als Teile in das Ganze des Lebens aufgenommen werden müssen. Die Reflexion und das endliche Selbstbewußtsein werden also dem Leben nicht einfach gegenübergestellt, sondern vom Leben her als endliches Leben aufgefaßt; ihre Entgegensetzungen sind Gestaltungen des Lebens selbst, das darüber zugleich hinausgeht. c) Probleme der Genesis der spekulativen Erkenntnis Bei dieser anscheinend konsistenten Theorie des Verhältnisses von Selbstbewußtsein bzw. Reflexion und absolutem Sein oder göttlichem Leben stellt sich nun die systematisch und entwicklungsgeschichtlich bedeutsame Frage, durch welche Überlegungen Hegel veranlaßt wurde, diesen Ansatz aufzugeben und von der Differenz-Sditih an eine absolute Metaphysik zu entwerfen, in der das Absolute durch Spekulation und Vernunft erkennbar und in der Philosophie systematisch darstellbar sein sollte. Denn erst seit der Differenz-Sdirih vertritt Hegel — später mit einigen systematischen Veränderungen — die Position der absoluten metaphysischen Erkenntnis. In dieser Frage nach den sachlichen Motiven der neuen metaphysischen Konzeption ist vor allem das methodische Problem enthalten, wie denn begründete Aussagen über Gott und über das Verhältnis des endlichen zum unendlichen Leben möglich sind, wenn sie sich insgesamt der Gesetze der Reflexion bedienen müssen. Die oben angegebene Bestimmung des Lebens z. B. ist sicherlich nicht „mystisch” bzw. ein reines Produkt der Religion, so ermöglidit für Scfaelling die Kunst die Oberwindung der Philosophie und ihrer Endlichkeiten. Ziel ist hier für Schelling noch die Vollendung der Subjektivität als Genie im Horizont des vorausgesetzten Absoluten. Erst in der Identitätsphilosophie (seit 1801) ist dann das über das endliche Subjekt hinausgehende Absolute für Schelling durch die Vernunft zu erkennen und philosophisch zu entwiiheln. — Nach der Konzeption des späten Fichte ist das Absolute nicht durch Trennung und Vereinigung zu erfassen, sondern es leuchtet nur als reines' Licht ohne Beteiligung der Reflexion ein. Er versucht, das endliche Selbstbewufitsein als Bild in diesem Absoluten zu begründen und die früher von ihm erörterten Probleme der Subjektivität dadurch aufzulösen. — In ähnlicher Weise bietet für den späten Schelling die logische Erkenntnis durch Vernunft nur negative Einsicht. Die Vernunft und die Subjektivität verlangen von sich aus ihre Begründung im reinen Sein. — Wegen solcher systematischen Analogien sind Hegeh Überlegungen, die ihn dann zum Verlassen seines in Frankfurt aufgestellten Ansatzes bestimmen, von besonderer Bedeutung.

B. Endliche Reflexion und Sein

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„Begeisterung” ®®, sondern ein Ganzes von Reflexionsausdrüdten. — Hegel hat seine Gründe, den Entwurf der Selbstaufhebung der Philosophie in der Religion zu verlassen, nicht eigens dargelegt. Da äußere Einflüsse wohl kaum in Frage kommen ^®®, muß man versuchen, diese Gründe aus den systematischen Problemen zu rekonstruieren, vor die Hegel gerade durch seine Theorie des Verhältnisses von Philosophie und Religion in den Frankfurter Fragmenten gestellt wurde. Es waren vermutlich metaphysisch-theologisdje und methodologische Überlegungen, die Hegel zu einer Veränderung seines Standpunktes bestimmten. Hegel denkt in Anknüpfung an das Neue Testament Gott als Geist. Diese Bestimmung ist insbesondere bei den Interpretationen des sog. „Systemfragments” von 1800 wohl wegen des dort entwickelten Lebensbegriffs zu sehr in den Hintergrund geraten. Man kann jedoch, wie Hegel dort sagt, „das unendliche Leben ... einen Geist nennen”; Hegel begreift das „unendliche Leben als Geist des Ganzen”. Der Geist aber ist für ihn „die lebendige Einigkeit des Mannigfaltigen” oder das „belebende Gesetz in Vereinigung mit dem Mannigfaltigen” Dem Geist als unendlicher Vereinigung ist die Beziehung auf das Mannigfaltige und d. h. auch auf seine Entgegensetzungen immanent. Diese werden in das Ganze des Geistes als Teile aufgenommen. Allerdings fehlt noch die spätere Theorie der Aufhebung. Der göttliche Geist ist also in dem endlichen Geist und dessen Vorstellungen von Mannigfaltigkeiten gegenwärtig. Nur wenn der endliche Geist des Menschen von dieser Beziehung zu Gott abstrahiert, wird er zum bloßen Vermögen der fixierenden Entgegensetzung des Mannigfaltigen und Beschränkten gegeneinander. Durch die Verbindung aber mit Gefühl und Liebe als der Macht der'Vereinigung im Menschen geht die Reflexion in das Verhältnis des menschlichen Geistes zum göttlichen Geist ein. Die Reflexion verleiht sogar erst der Liebe Beständigkeit, indem sie diese als Gott und Geist vorstellbar macht Sofern also das reine Sein und Leben unendlicher Geist ist, wird es auch im endlichen Geist und dessen Mannigfaltigkeiten präsent. Auf welche Weise der göttliche Geist sich jedoch auf die endliche Reflexion bezieht und wie im endlichen Geist dann die Synthesis von Gefühl und Reflexion methodisch zu entwickeln ist, hat Hegel in den Frankfurter Entwürfen nicht gezeigt. Es sei noch erwähnt, daß He“ N 308, 305. *** Aus dem späteren Verhältnis Hegels zu Sdielling zwischen 1801 und 1803 (vgl. dazu unten 134 ff) kann man u. a. rfickschließend entnehmen, daß Hegel diese Gründe unabhängig von Scfaelling konzipiert hat. N 347. Vgl. z. B. 338, 322. Vgl. für den Zusammenhang von Leben und Geist im „Geist des Christentums” die Hinweise von Peperzak; Le jeune Hegel. 176 f. »“ Vgl. N 302, 349, 321 f, 332 ff, 389,

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gel gegen Ende der Frankfurter Zeit nicht nur von Gefühl, sondern audi von Anschauung des Göttlichen spricht Diese Erkenntnisart hatte Hegel in seinen früheren Frankfurter Ausführungen nicht zugestanden. Sie gewinnt als intellektuelle Anschauung dann für Hegel in den unmittelbar folgenden Jahren in Jena an Bedeutung, da die Erkenntnis des Göttlichen durch Anschauung und Begriff zustande kommen soll. Entscheidend ist hierbei, daß diese Erkenntnis für die Philosophie beansprucht wird. Die Beziehung des menschlichen Geistes auf den göttlichen Geist war für Hegel in der Frankfurter Zeit noch rein religiös und wurde von ihm auch fraglos als bestehend angenommen. Aber Hegel dachte diese Beziehung nicht offenbarungstheologisch. Er löste sich schon früh von der seiner Ansicht nach orthodoxen Theologie der Tübinger Schule und vom Begriff der Offenbarungsreligion. Hegel sah sich also vor das Problem gestellt, die Beziehung des göttlichen Geistes auf das endliche Subjekt unabhängig von dieser theologischen Tradition darzustellen. Obwohl er, wie erwähnt wurde, die Möglichkeit des begeisterten oder mystischen Aussprechens des Göttlichen andeutete, war seine eigene Darstellungsweise die theoretische Explikation des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Geist sowie des Positivwerdens der religiösen Beziehung. Für diese Darstellungsweise entwickelte er — z. T. angeregt durch die Frankfurter Freunde — eigene philosophische Grundlagen. Damit drängte sich ihm jedoch die Frage auf, welche Bedeutung und Gültigkeit einmal die philosophischen Grundbegriffe wie Sein, Leben, Einheit und Mannigfaltigkeit, Vereinigung und Antinomie und zum andern die logischen und methodischen Verknüpfungen solcher Begriffe nach den Gesetzen der Reflexion in seinen theoretischen Ausführungen haben sollten. Wenn diese Ausführungen in ihrer theoretischen Form nämlich Anspruch auf Wahrheit erheben, dann muß den philosophischen Fundamenten und der Logik der Reflexion eine konstitutive Funktion für das Evidentmachen des religiösen Inhalts zugestanden werden. Diese Bedeutung der philosophischen Begriffe und der Reflexion braucht lediglich notwendige, keineswegs schon hinreichende Bedingung zur Erkenntnis des Göttlichen zu sein. — Eine solche Behauptung der Gültigkeit von Aussagen über Göttliches, die philosophisch sind und d. h. die Reflexionsform haben, würde zugleich in Einklang stehen mit Hegels Bestimmung des göttlichen Geistes, der sich von sich her auf den endlichen 10* ygi_ N 3i6j auch 315. — Schon Dilthey sah in dem Verhältnis von Gefühl und Reflexion eine Aufnahme und Kritik an Schleiermachers Reden über die Religion (1799). Ein solcher Bezug ist möglich, aber nach den bisher bekannten Texten nicht beweisbar. Hegel erwähnt die Reden ausdrücklich erst in der Differenz-Sdirih und in Glauben und Wissen (vgl. Werke. 4. 8, 385, 505). Vgl. Dilthey: Gesammelte Sdiriften. 4. 150 f.

B. Endlidie Reflexion und Sein

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Geist und damit auch auf die Reflexion bezieht. Der Zusammenhang metaphysisdi-theologisdier und methodologischer Überlegungen dürfte Hegel also wohl dazu geführt haben, eine philosophische Erkenntnis des Absoluten für möglich zu halten Diese neue Konzeption bahnt sich offenbar bereits ganz am Ende der Frankfurter Zeit an. Hegel weist in der Überarbeitung der Positivitätsschrift darauf hin, daß das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen, womit das wahre Unendliche oder das Göttliche gemeint ist, in der Metaphysik zu erörtern sei In der Jenaer Zeit ist für Hegel dann der Gegenstand der Metaphysik als des ersten und grundlegenden Teils der eigentlichen Philosophie das wahre Unendliche, aus dessen inneren Bestimmungen sich das Verhältnis zum Endlichen notwendigerweise ergibt. Ebenso erwähnt er in dem bekannten Brief an Schelling vom 2. 11. 1800, daß sich das „Ideal des Jünglingsalters” zur „Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln” i®* mußte. Die erste genauere Kennzeichnung dieses neuen metaphysischen Entwurfs, die jedoch auch nur Programm ist, enthält die Di//erenz-Schrift. Dieser veränderte systematische Ansatz Hegels bedeutet nun eine grundsätzliche Neubestimmung der Leistungen der Philosophie. Sie hat nicht mehr nur die endlichen Reflexionsinhalte und deren „Vervollständigung” zum Thema, die zwar von der Vernunft gefordert wird, die aber für die Reflexion unabschließbar ist; die Philosophie setzt auch nicht mehr „das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises” *®^, sondern sie hat gerade dieses Unendliche durch die vollständige Synthesis von Reflexion und intellektueller Anschauung zu erkennen. Diese Synthesis aber wird nach Hegel möglich durch die Spekulation. Hegel erkannte, daß das grundlegende Problem dieses neuen Entwurfs die Entwicklung einer Methode der spekulativen Erkenntnis war. Er hat die Methode in den kritischen Schriften der frühen Jenaer Zeit nur skizziert und später noch bedeutende Veränderun-

Audi Hegels Bestimmung der Positivität und der Gesdiichtlidikeit der Religion in der späteren Frankfurter Zeit beruht auf dem prinzipiellen Ansatz des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Geist. Nicht die Darstellung der Positivität als solche führt auf den Begriff der philosophischen Spekulation, sondern die in dieser Darstellung vorausgesetzten Prämissen, die selbst in einer Theorie entwickelt und gerechtfertigt werden müssen. Vgl. N 146. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 59. Mit dem „System” und der kurz vorher erwähnten „Wissenschaft” ist hier wohl weniger seine Schrift über die Religion gemeint, von der wir nur das sog. „Systemfragment” von 1800 besitzen, sondern eher ein neuer, systematischer Entwurf. N 348.

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Erstes Kapitel

gen vorgenommen, die dann zur Dialektik im System führten. An der Spekulation selbst als der philosophisdien Erkenntnis des Göttlichen und Absoluten und damit an der absoluten Metaphysik hielt Hegel jedoch seither fest.

Zweites Kapitel DIE LOGIK DER ENDLICHEN REFLEXION ALS EINLEITUNG IN DIE METAPHYSIK Hegel gibt vom Beginn seiner Jenaer Zeit an (seit Anfang 1801) eine neue Definition der Aufgaben der Philosophie, um die in den späteren Frankfurter Fragmenten sich stellenden Probleme zu lösen. Die Philosophie ist nach Hegel nun die spekulative Erkenntnis des Göttlichen und Absoluten selbst. Aus dem Erkenntnis- und Wissenscharakter der Beziehung des menschlichen Geistes auf den göttlichen Geist bzw. auf das Absolute folgt die Notwendigkeit einer systematischen und methodischen Entfaltung dieser Beziehung. So arbeitet Hegel in der Jenaer Zeit verschiedene, voneinander abweichende Entwürfe eines Systems der Philosophie aus, das er bereits in der Dt//erenz-Schrift als „System der Wissenschaft” bezeichnet — Hegel erkennt aber von Anfang an auch das Problem, wie denn eine solche spekulative Erkenntnis des Absoluten als möglich erwiesen und gerechtfertigt werden kann. Seine Auffassung der Philosophie wurde z. B. weder von der kritisch-idealistischen noch von der empiristischen noch von der skeptischen Philosophie seiner Zeit geteilt. Daher bemüht er sich, durch die Auseinandersetzung mit der damaligen Philosophie in den Jenaer kritischen Schriften die Hindernisse zu beseitigen, die der Evidenz der spekulativen Erkenntnis und ihrer Methode im Wege stehen. Sie beruhen nach Hegel insgesamt auf der endlichen Reflexion, die sich isoliert, und auf ihrem Erkenntnisanspruch. Das Problem der Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis hatte sich für Hegel schon in seiner Frankfurter Zeit gegenüber Kant auf das Problem der endlichen Reflexion als solcher verschoben. — Die der endlichen Reflexion immanenten reinen Bestimmungen und Gesetze sowie deren Erkenntnisleistungen lassen sich nun nach Hegel auch für sich in systematischer Entwicklung darstellen. Eine solche Darstellung ist die Logik, wie Hegel sie in der frühen Jenaer Zeit konzipiert. Sie hat für ihn die Aufgabe, im systematischen Durchgang durch die reinen Bestimmungen und Formen der Reflexion prinzipiell über die endliche Erkenntnis hinaus- und zur spekulativen Erkenntnis des Absoluten hinzu> Werke. 4. 30.

Zweites Kapitel

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führen. Die Erkenntnis des Absoluten als Idee aber, die dann der Naturund Geistesphilosophie zugrunde liegt, gehört für Hegel in die Metaphysik als ersten Teil des Systems der Philosophie. Die Logik dient damit als wissenschaftliche Einleitung in die Metaphysik. Dieser bisher wenig bekannte Ansatz der Logik und der Metaphysik in Hegels früher Jenaer Zeit soll hier ausführlicher behandelt werden, zumal da noch manche Inhalte zu rekonstruieren sind Dabei müssen auch Hegels Beziehungen zur zeitgenössischen Philosophie berücksichtigt werden; denn sein systematischer Entwurf steht vielfach im Kontext seiner Auseinandersetzung gerade mit diesen philosophischen Theorien. — In seiner Bestimmung des Verhältnisses von Logik und Metaphysik ist die frühere Charakterisierung des Verhältnisses von Philosophie und Religion in verwandelter Form noch erhalten. Das Gebiet der endlichen Erkenntnisse und ihr Prinzip, die endliche Reflexion oder die endliche Subjektivität, müssen für sich untersucht, aber ebenso durch ihre Beziehung auf das Göttliche und Absolute in ihrer Selbständigkeit aufgehoben werden, so daß das Göttliche darzustellen ist. Wird dieses grundsätzliche Programm beibehalten, so ergibt sich aus der Neukonzeption der Philosophie folgerichtig die Zweiteilung in die Logik als wissenschaftliche Einleitung und die Metaphysik als ersten Systemteil *.

A. Hegels Konzeption der Logik in der frühen Jenaer Zeit a) Grundriß der frühen Logik Nach den uns erhaltenen Zeugnissen arbeitete Hegel zum ersten Mal zu Anfang seiner Jenaer Zeit die Logik im ganzen aus. Er konnte sich dabei allerdings wohl auf frühere Überlegungen stützen. Von dieser Logik wissen wir durch Rosenkranz’ Darstellung und ein längeres, von ihm eingefügtes Hegel-Zitat, zu dem kürzlich Hegels eigene Manuskripte aufgetaucht sind Darin wird die Konzeption und der allgemeine Aufbau der * Die erste Darstellung dazu gibt H. Kimmerle: Das Problem der Abgesdslossenheit des Denkens. 39—73, 99—112. ' In der späteren systematischen Einteilung in Phänomenologie und System der Philosophie des Absoluten, das allerdings jetzt mit der spekulativen Logik beginnt, kann man ebenfalls noch die Abwandlung jenes früheren Modells einer Philosophie der endlichen Subjektivität und einer religiösen bzw. philosophischen Darstellung des Absoluten wiedererkennen. * Vgl. R 190 f und Hegel: Werke. Bd 5. Erscheint ncxh. Im folgenden wird nach dem Fahnensatz zitiert, den mir die Herausgeber M. Baum und K. Meist freundlicherweise zur

A. Frühe Jenaer Logik

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Logik angegeben. Ferner wissen wir von dieser Logik durdi die Vorlesungsankündigungen Hegels im Wintersemester 1801/02 bis zum Wintersemester 1802/03, die insgesamt dreimal das Thema: Logik und Metaphysik anzeigen ®. Aus dem Vorlesungsverzeichnis geht auch hervor, daß Hegel in diesen Jahren ein Buch über Logik und Metaphysik veröffentlichen wollte ®. Der Inhalt dieser Logik ist nur schwer rekonstruierbar. Er ist keinesfalls identisch mit dem Inhalt der Logik in dem Reinschriftfragment: Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 Daher kann man wohl nur einen allgemeinen Grundriß dieser früheren Logik Hegels aufstellen und einige Hinweise zu ihrer weiteren Ausführung geben. Man muß dabei von den erwähnten Manuskripten Hegels zu dieser frühen Logik ausgehen, aber auch die Schriften der ersten Jenaer Zeit zusammen mit einigen Habilitationsthesen berücksichtigen. Die Logik, Metaphysik, Naturphilosophie ist unter Beachtung der systematischen Verschiebungen ebenfalls heranzuziehen; aber sie kann nicht als inhaltliche Quelle dienen, sondern nur als Bestätigung dafür, daß Hegel anderweitig erschlossene Themen der Logik wenige Jahre später tatsächlich erörtert hat, so daß deren Behandlung in der früheren Logik wahrscheinlich ist ®. Verfügung stellten. Es wird dabei die Paginierung von Hegels Manuskript angegeben, die in Bd 5 am Rande abgedrudtt ist. * Vgl. Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801—1807). Hrsg, von H. Kimmerle. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 53. Zur Frage, weldie Vorlesungen Hegel wirklidi gehalten hat, vgl. 76 ff. * Vgl. a.a.O. 53, 85. Ein Prospekt des Cotta-Verlages enthielt, worauf Kimmerle hinweist, im Juni 1802 die Buch-Ankündigung: „Hegel, Logik und Metaphysik”. ^ Die fehlerhafte Datierung dieses Manuskripts auf 1801/02 hat seit Ehrenberg/Link (Hegels erstes System. Heidelberg 1915) die Unterschiede zu Hegels früherer Logik verwischt. Sie konnten erst wieder zum Gegenstand von Untersuchungen werden, seitdem Kimmerle dieses Manuskript aufgrund der Buchstabenstatistik auf 1804/05 datiert hat. Vgl. H. Kimmerle: Zur Chronologie von Hegels Jenaer SAriften. (1967) 144, 164 ff. * Die bisherigen Versuche einer Rekonstruktion dieser frühen Logik unter Berücksichtigung ihres Unterschiedes zur Logik von 1804/05 haben zwar bereits wichtige Ergebnisse erzielt, sie sind aber m. E. noch nicht als endgültig anzusehen. — /. B. Baillie (The Origin and Significance of Hegel’s Logic. London 1901. 82 ff) erkennt bereits die Eigenständigkeit dieses Logik-Entwurfs. Er glaubt hierin jedoch Fortschritte insbesondere bezüglich der metaphysischen Konzeption gegenüber der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie feststellen zu können, da er diese mit Rosenkranz (vgl. R 104 ff) fälschlich in cUe Frankfurter Zeit verlegt. — In den frühen Jenaer Schriften sucht N. Merker mit Recht Andeutungen einer damaligen Logik-Konzeption Hegels auf. Er stellt freilich keine Beziehungen zur frühen Logik her, soweit sie Rosenkranz zitiert (R190f); die Logik, Metaphysik, Naturphilosophie muß er — mit der älteren Datierung — auf den Anfang der Jenaer Zeit legen (vgl. N. Merker: Le origini della logica hegeliana. Milano 1961, bes. HO ff, 301 ff, auch 162, 311 ff). — Vgl. ferner die Hinweise auf die frühe Logik bei O. Pöggeler: Hegels Jenaer Systemkonzeption. 301 f. — Den ersten Versuch einer Rekonstruktion nach der neuen Chronologie unternimmt H. Kimmerle (Das Problem der AbgesAlossenheit des Denkens.

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Zweites Kapitel

Rosenkranz berichtet, daß Hegel es „sonderbar” gefunden habe, „daß die neuere Philosophie die Logik veradote und daß niditsdestoweniger dieselbe von ihr allgemein gefordert werde, während freilich diejenigen, welche noch den alten Formen der Logik huldigten, sid> ebensowenig befriedigten, mithin beide Teile keine neue Logik nachgeschafft hätten”®. Ob Hegel diese Äußerung in dieser Form getan hat und wann sie genau innerhalb der Jenaer Zeit anzusetzen ist, läßt sich aus Rosenkranz’ Referat nicht entnehmen. Hegel selbst plant nicht die Restitution der traditionellen formalen Logik, sondern die Aufstellung einer neuen Logik. Aus Hegels Manuskripten zur frühen Logik geht hervor, daß Hegel in seine Logik die Grundzüge der formalen Logik aufgenommen, sie aber neu begründet und in andere Zusammenhänge gebracht hat.

48—73). Er legt als Sdiema die Logik von 1804/05 zugrunde und eliminiert die Partien und Grundgedanken, die mit dem Rosenkranz-Zitat nicht übereinstimmen. Auf diese Weise entsteht zwar ein plausibles Ganzes, dessen Einzelheiten aber problematisch bleiben müssen, da Hegel Änderungen vorgenommen haben kann, die nicht unmittelbar den Wandel der Grundkonzeption betreffen. — Zu diesem Verfahren nehmen R. P. Horstmann (Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption. Philosophische Rundschau. 19 (1972), 87—118) und /. H. Trede (Hegels frühe Logik (1801—1803104). In: Hegel-Studien. 7 (1972), 123—168) kritisch Stellung. Beide weisen darauf hin, daß eine Abbildung der Dreiteilung der Logik von 1804/05, nämlich: „einfache Beziehung’*, „Verhältniß” (des Seins und des Denkens), „Proponion”, auf die frühere, ebenfalls dreigeteilte Logik nicht gelingen könne. Denn einmal müsse der zweite Teil der Logik von 1804/05, das „Verhältniß”, selbst wieder geteilt und der Inhalt des „Verhältnisses des Seyns” innerhalb der früheren Logik mit zum ersten TeU gerechnet werden; zum andern enthalte der Rest des zweiten Teils, das ,,Verhältniß des Denkens”, nicht nur die „subjektiven Formen” des Verstandes, die in der früheren Logik den ganzen zweiten Teil ausmachen, sondern auch schon „die spekulative Bedeutung der Schlüsse”, die in der früheren Logik den dritten Teil bilden, so daß die „Proportion”, der dritte Teil der späteren Logik, auf die frühere Logik nicht mehr beziehbar sei. Diese Argumente sollen in der folgenden Darstellung berücksichtigt werden. — Trede zieht ferner die einleitenden Ausführungen der Differenz-Sdinh heran und interpretiert eingehend deren Bedeutung für Hegels damalige Logik; dies ist eine zutreffende Ergänzung zu Kimmerles Rekonstruktionsversuch. Ebenso bemüht er sich, durch Untersuchungen zur Methode des Systems der Sittlichkeit (1802/03) Hegels methodisch-logische Grundlagen aufzudecken. Er beachtet dabei m. E. aber die für Hegel damals noch geltende Eigenständigkeit der Methode der Erkenntnis des Absoluten in der Metaphysik als erstem SystemteU und in der Natur- und Geistesphilosophie gegenüber der Methode der einleitenden Logik zu wenig. Vgl. dazu unten 139 ff. — Auch L. Lugarini (Hegel dal mondo storico alla filosofia. Roma 1973. 89 ff) unterscheidet — gemäß der neuen Chronologie — überzeugend zwischen der frühen Jenaer Logik und der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05; er rekonstruiert den Inhalt der frühen Logik nach Rosenkranz und zieht dazu auch die Differenz-Sdtaih heran. — Aus den unlängst aufgefundenen Manuskripten Hegels gehen die Konzeption dieser Logik als Idealismus, die Gliederung der Logik und die Leistungen der Reflexion deutlicher als aus dem Rosenkranz-Zitat hervor, das verkürzend, wenn auch im ganzen nicht sinnentstellend ist. * Vgl. R 188. Die Orthographie wurde bei Rosenkranz-Zitaten normalisiert.

A. Frühe Jenaer Logik

79

Hegel gibt in dieser Vorlesungseinleitung einen kurzen Überblick über Idee und Aufbau seiner Vorlesung über Logik und Metaphysik, die er in einem Wintersemester gehalten hat. In Frage kommen nur die Wintersemester 1801/02 und 1802/03. Verschiedene Parallelen zur DifferenzSdirift sowie die Unterscheidung und systematische Zuordnung von Reflexion und Spekulation, die für Hegel hier die Disjunktion von Logik und Metaphysik begründet, die aber später in dieser Formulierung — z. B. schon im Naturrechtsaufsatz — zurücktritt, machen den früheren Termin wahrscheinlicher. — Hegel nimmt nun in seiner Vorlesung die überlieferten Disziplinen: Logik und Metaphysik auf Er orientiert sich an der Tradition, weil er sie in dieser Frage für „tauglich” hält Zugleich liefert er neue spezifische Bestimmungen ihrer Inhalte und Erkenntnisweisen. Gegenstand der Logik ist nach Hegel die Darstellung des Endlichen und dessen Vernichtung. Aus dieser Vernichtung des Endlichen aber geht die Erkenntnis des Unendlichen hervor, das für ihn das Thema der Metaphysik ist. In ihr soll die Erkenntnis der absoluten Identität expliziert werden — Die zugrunde liegenden Erkenntnisweisen, die selbst ebenfalls in Logik und Metaphysik thematisch werden, sind die Reflexion als Erkenntnis des Endlichen und die Spekulation als Erkenntnis des Unendlichen oder Absoluten. Die Erkenntnis des Endlichen, mit der Hegel beginnt, und die Vernichtung der Endlichkeiten dienen als Einleitung in die Metaphysik, die für ihn die eigentliche Philosophie ist ^*. In der Logik soll also durch die Darstellung und Aufhebung der Erkenntnis des Endlichen die Möglichkeit und Evidenz der Erkenntnis des Unendlichen zumindest negativ erwiesen werden. Zugleich ist die Logik als systematische Entwicklung der immanenten Bestimmungen der endlichen Reflexion oder der endlichen Sub** Logik und Metaphysik lasen in diesen Semestern und vorher in Jena auch Hennings, Ulrich und Schmid. Außer ihnen hielten Fichte und sein Schüler Schad Vorlesungen darüber. Insofern ist kaum möglich, was Schelling 1830 in einer Vorlesung offenbar behauptet hat, daß sich nämlich Hegel erst mit Logik beschäftigt habe, weil Universitätsfreunde ihm rieten, dieses Thema in seinen Vorlesungen zu behandeln, da es damals in Jena vernachlässigt worden sei. Vgl. Der Briefwedjsel K. Chr. F. Krauses. Hrsg. v. P. Hohlfeld und A. Wünsche. Bd 2. Leipzig 1907. 157. — Vgl. auch K. Fischer: Hegels Leben, Werke und Lehre. T. 2. 2. Aufl. Heidelberg 1911. 1201 f. “ Werke. 5. Ms. 17 a. Vgl. R 190. « Vgl. Werke. 5. Ms. 19 b—20 a; R 191 f. Vgl. a.a.O. Dies ist wohl auch mit der „propädeutischen Rüksicht" gemeint, die Hegel auf „diesen Charakter des PhUosophirens” nelunen will, der darin besteht, „daß es im allgemeinen von endlichen Anfängen ausgeht” (Werke. 5. Ms. 17 a; vgl. z. T. R 190). An anderen Stellen sieht Hegel in einer Einleitung nur eine Verständigung über den subjektiven Standpunkt: er hält sie dort für systematisch überflüssig (vgl. Werke. 5. Ms. 5 a—6 b). In „spekulativer” Hinsicht aber ist die Logik eine notwendige Einleitung in das unendUche Erkennen.

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Zweites Kapitel

jektivität die Explikation der inneren Struktur und die Überwindung des Geltungsansprudis dieser endlichen Subjektivität als eines logischen Prinzips. Das systematische Verhältnis von Logik und Metaphysik hängt nun nach diesem Entwurf von dem Verhältnis von Reflexion und Spekulation ab. Die Reflexion ist dabei für Hegel Erkenntnis des Endlichen und selbst endlidies, trennendes und fixierendes Erkennen des Verstandes. In dieser Bedeutung hat Hegel schon in seiner Frankfurter Zeit den Begriff der Reflexion gebraucht Die Frankfurter Freunde und auch Hegel verwandten diesen Sinn von Reflexion zur Kritik an Ficiites systematischer Philosophie. Für Fichte selbst sind Reflexion und Abstraktion zwar Akte der Spontaneität; aber durch sie werden aus den ursprünglichen Handlungen des menschlichen Geistes, die die Wissenschaftslehre entwickelt, nur die reinen Formen ausgesondert und in der Logik für sich dargestellt Dieses Vorgehen des Trennens und Fixierens durch die Reflexion, für das Fichte — und auch Schelling — eine bestimmte, und zwar untergeordnete Stelle in der Geschichte des Selbstbewußtseins angeben, werfen die Frankfurter Freunde Fichtes Wissenschaftslehre nun selbst vor. Hegels Begriff der Reflexion in der frühen Jenaer Zeit entstammt diesen subjektivitätstheoretischen Zusammenhängen. Erst später wird er von Hegel weiterentwickelt und erhält dann eine zentrale Stellung in der Logik des Wesens ^*. — Der Reflexion steht in dieser Logik- und Metaphysik-Vorlesung die Spekulation als „das unendliche Erkennen, oder das Erkennen des Absoluten” gegenüber. Diese Bedeutung von Spekulation ist eine Neufassung Hegels seit der Differenz-Sluß des Daseins

SMuß der Reflexion

(Qualität)

(Quantität)

Grundschema: E — B — A

Grundschema: B — E — A

1. Figur: E — B — A

Schluß der Allheit: E — B — A

2. Figur: B — E — A [A — E — B]

Schluß der Induktion: A— e — B

3. Figur: E — A — B [B — A — E]

Schluß der Analogie: E — A — B

e

4. Figur: A — A — A (mathematisdier Schluß) Schluß der Notwendigkeit (Relation) Grundschema: E — A — B kategorischer Schluß: E — B — A hypothetischer Schluß: A — E — B disjunktiver Schluß: E — A — B Aus dem Fragment über die Schlüsse von 1809/10 in dem technische Überlegungen noch vorwiegen, läßt sich leicht ersehen, daß Hegel beim Wechsel der Figuren periodisch jeweils die letzte Begriffsbestimmung, die des Oberbegriffs, vom Ende an den Anfang, an die Stelle des Unterbegriffs, versetzte und die beiden anderen Begriffsbestimmungen nachrücken ließ. Dies kann man auch wieder aus der Abfolge der Begriffsbestimmungen in der Schlußlehre der Enzyklopädie erkennen: E — B — A, A — E — B, B — A — E. Vermutlich soll dort diese Abfolge nicht nur für die drei im obigen Schema angegebenen Figuren gelten, sondern für die aufgeführten Schlüsse und deren Gattungen insgesamt In der Wissenm Vgl. Dokumente zu Hegels Entwicklung. 325—335. Zur Datierung vgl. Anm. 13 zum 4. Kapitel. iM Die Abfolge der Enzyklopädie enthält auch die Nürnberger Begriffslehre für die Oberklasse von 1809/10 (vgl. Nürnberger Schriften. 221 ff). — In der Wissenschaft der Logik findet sich beim Schluß der Induktion und beim hypothetischen Schluß die Anordnung der zweiten Figur, wie sie in der Enzyklopädie angegeben ist (vgl. WdL T. 2. 337, 349). Hegel selbst mißt diesen Variationen offenbar keine besondere Bedeutung zu. Vgl. auch unten Anm. 208.

C. Spekulativer Inhalt der subjektiven Logik

275

der Logik tausdit Hegel die Außenbegriffe aus; der Mittelbegriff dagegen, der den Sdiluß erst ermöglidit, ist in der „großen Logik” und der Enzyklopädie in den Figuren und Schemata nicht verschieden. Mittelbegriff ist nun in den einzelnen Schlüssen einer Gattung ebenso wie in den drei Gattungen der Schlüsse jeweils einmal das Besondere, einmal das Einzelne und einmal das Allgemeine. Auf diese Weise soll sich der Mittelbegriff seinem Inhalt nach zur konkreten Allgemeinheit, die das Besondere und Einzelne in sich hat, entwickeln. — Hegel formuliert bei der Erläuterung seiner syllogistischen Schemata in der Regel keine vollständigen Schlüsse, sondern gibt — ähnlich wie Aristoteles — nur die Terme an. Das bedeutet jedoch nicht, daß man Hegels Schlüsse nicht nach den Regeln der traditionellen Logik ausführen könnte Im folgenden sollen einige Schlüsse wieder genauer erörtert werden, die für Hegels Versuch, den Mittelbegriff als konkrete Allgemeinheit und als „Objektivität” des Sich-Denkens nachzuweisen, besonders signifikant sind, nämlich die erste Figur aus dem Schluß des Daseins, der Sdiluß der Induktion sowie der kategorische und der disjunktive Schluß ^®®. Die anderen Schlüsse seien mitbehandelt, um die jeweilige Deduktionsstufe und den systematischen Zusammenhang anzugeben. Der Schluß des Daseins knüpft nun nicht an den im apodiktischen Urteil erreichten Stand der Bedeutung des Begriffs als konkreter Identität seiner Bestimmungen an, sondern ist wieder ein Rückfall in die Unmittelbarkeit; Hegel gibt hierfür keine zwingenden Gründe an ^®’. Erst im Schluß der Notwendigkeit werden jene Überlegungen zum konkreten Begriff fortgeführt. Im Schluß des Daseins dagegen haben alle Begriffsbestimmungen ähnlich wie schon im Urteil des Daseins einen unmittelbaren, qualitativen Sinn. Die „abstrakte Einzelheit" ist das „unmittelbare Konkrete”, das eine unbestimmbare Menge von Eigenschaften in sich enthält, die „abstrakte Besonderheit" ist eine einzelne unter diesen vielen Eigenschaften oder Qualitäten, das „abstrakte Allgemeine" eine höhere, allgemeinere Qualität ^®®. Im Schluß des Daseins ist die Mitte eine solche abstrakte, von den Extremen unterschiedene, fixierte Besonderheit; daher ist für Hegel dessen Grundschema: E — B — A. Dies Schema soll zwar für alle Schlußfiguren Schaft

Dies zeigt "W. Krohn in seinem Buch auf: Die formale Logik in Hegels „Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zur Schlußlehre. München 1972, vgl. zur Beziehung Hegelscher Schlußfiguren auf Aristotelische bes. 48 f. A. Trendelenburg (Logische Untersuchungen. Bd 2. 360—380) erörtert kritisch vor allem Hegels Versuch einer systematischen Entwicklung der Schlüsse. Die Einwände von Mc Taggart gehen in eine ähnliche Richtung; vgl. A Commentary on Hegel’s Logic. 222. “8 WdL T. 2. 317.

276

Viertes Kapitel

des qualitativen Sdilusses gelten; es wird in allen Einzelheiten aber nur von der ersten Figur erfüllt. An ihr läßt sich die spezifische Bedeutung des Daseinsschlusses daher am besten erläutern. In der ersten Figur mit dem Schema: E — B — A wird das Einzelne über das Besondere mit dem Allgemeinen zusammengesdilossen. Hegel selbst weist auf die Formulierung dieser Figur in drei Urteilen hin. Er unterscheidet dabei die propositio major von der propositio minor. Der Obersatz muß lauten: „Das Besondere ist Allgemeines”, der Untersatz: „Das Einzelne ist Besonderes”; daraus ergibt sich die Konklusion: „Das Einzelne ist Allgemeines” Dieser Schluß entspricht in der Stellung des Mittelbegriffs der traditionellen ersten Figur Hegel befaßt sich nur mit dem Modus Barbara; die Probleme der verschiedenen Modi werden von ihm weder bei der ersten Figur noch bei den anderen Schlußfiguren erörtert. Daraus resultieren aber ungelöste Fragen. So ist z. B. bei der ersten Figur Hegels nicht einzusehen, warum keine partikulär-positiven oder universal-negativen Prämissen zugelassen werden, aufgrund deren der Schlußsatz dann entweder — je nach Modus — partikulär-positiv oder -negativ bzw. universal-negativ ausfiele Solche Schlußsätze kennt Hegel offenbar nur in der zweiten und dritten Figur, wobei er insbesondere den partikulären Schlußsätzen „keinen großen Wert” beimißt Den Inhalt des Schlusses nach der ersten Figur bilden nun die Begriffsbestimmungen in unmittelbarer, qualitativer Bedeutung Daher bleibt es zufällig, welche besondere Eigenschaft aus der Menge der Qualitäten eines Einzelnen ausgewählt und zum Mittelbegriff designiert wird; ebenso willkürlich ist, welches Allgemeine als abstrakte Qualität wieder von diesem Mittelbegriff ausgesagt wird, der als Besonderes ebenfalls viele allgemeinere Qualitäten enthält. So lassen sich von einem und demselben Einzelnen die verschiedensten Eigenschaften aussagen und erschließen. Nach iM Vgl. WdL T. 2. 317 f, audi 314. Hegel hat hier die traditionelle, damals übliche Formulierung des Schlusses in drei Sätzen vor Augen. Bereits Trendelenhurg {Logisd/e Untersudiungen. Bd 2. 365 f) bemerkt zur ersten Figur mit Recht, daß der Obersatz (beim Modus Barbara auch der Untersatz) allgemein sein muß; „das Besondere” bedeutet demnach: „alles Besondere”. Der Unterschied zum Schluß der Allheit wird damit problematisch. joo Ygj_ auch W. Krohn: Die formale Logik in Hegels „Wissensdjaft der Logik”. 48 Anm., 23 ff. Zur ersten Figur vgl. E. Fleischmann: La Science universelle. 268 ff. Dies geschieht bekanntlich bei den anderen Modi der ersten Figur in der traditionellen Logik: Celarent, Darii, Ferio. WdL T. 2. 322. E. Roeder von Diersburg geht in seinem Aufsatz: Hegels Methode gemessen an der Methode des Aristoteles (in: Archiv für Philosophie. 10. Heft 1/2 (1960), 3—23) auf den begrifflichen Inhalt der spekulativen Schlüsse nicht näher ein. Er zeigt aber bei den Schlußfiguren formale Unterschiede zwischen Hegel und Aristoteles auf.

C. Spekulativer Inhalt der subjektiven Logik

277

Hegels eigener Logik der Reflexionsbestimmungen geht aber, was er freilidi nicht hinreichend bewiesen hat, aus der „Verschiedenheit” der „Gegensatz” und „Widerspruch” hervor. Somit bietet der Schluß des Daseins über dasselbe Einzelne für Hegel entgegengesetzte Konklusionen und wird dadurch selbst widersprüchlich — Solche Überlegungen zum Inhalt des Schlusses nach der ersten Figur führen auch zu einer Reflexion über die Gültigkeit des Schlußsatzes. Formal mag die Konsequenz im Schluß richtig gezogen werden, aber inhaltlich kann der Schlußsatz dennoch falsch sein. Hegel geht es dabei nicht um die logische Notwendigkeit der Konklusion, sondern um die Erkenntniswahrheit des Schlusses Da die Begriffsbestimmungen als dessen Inhalt noch einen abstrakten Sinn haben und als fixierte Bestimmungen gelten, muß deren Beziehung aufeinander durch eine ihnen äußere, „subjektive” Reflexion zustande kommen Die durch sie vorgenommene willkürliche Auswahl von besonderen und allgemeinen Eigenschaften, die dem Einzelnen zugeschrieben werden, ist daher nicht in der Sache selbst begründet, d. h. nicht „objektiv” und nicht notwendig wahr. Die Weiterentwicklung des Schlusses des Daseins knüpft nun nicht an den von Hegel behaupteten Widerspruch dieses Schlusses an, sondern an die vom Schluß zu leistende Vermittlung als Aufhebung der Unmittelbarkeit der Begriffsbestimmungen. Die Prämissen sind in der ersten Figur nicht vermittelt. Sie sollen bewiesen und vermittelt werden; dabei dürfen nicht neue unbewiesene Prämissen vorausgesetzt werden, die wieder bewiesen werden müssen usw. ins Unendliche. Da dieser Progreß in die „schlechte” Unendlichkeit vermieden werden soll, müssen die syllogistischen Figuren nach Hegel untereinander einen „Kreis” bilden, in dem jeder Schlußsatz wieder zur Prämisse wird und jede Prämisse Konklusion eines anderen Schlusses und damit vermittelt und bewiesen ist. Auf diese Weise ergeben sich die zweite und die dritte Figur bei Hegel. Durch Analyse des Schlußsatzes der ersten Figur: „Das Einzelne ist Allgemeines” oder E — A sucht Hegel zu zeigen, daß in der zweiten Figur das Einzelne als Substrat der inhärierenden Bestimmungen zur Mitte werden müsse. Das Schema dieser zweiten Figur wird daher mit B — E — A (A — E — B) bezeichnet. Eine ihrer Prämissen ist die Konklusion der ersten Figur: E — A. Die andere, noch unmittelbare Prämisse enthält eine Ygi_ wdL T. 2. 315 ff. Genau genommen handelt es sich um mehrere qualitative Schlüsse über dasselbe Subjekt, die insgesamt den Schluß des Daseins repräsentieren. — In der Verwendung der Individualbegriffe weicht Hegel von Aristoteles ab, der diese in seiner Syllogistik zu vermeiden sucht (vgl. G. Patzig: Die Aristotelisdje Syllogistik. 15). Vgl. WdL T. 2. 316. »»• Vgl. WdL T. 2. 313 f. Vgl. WdL T. 2. 327, auch 319, 324.

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Viertes Kapitel

Beziehung von E auf B. Hegel bemüht sich nun, in seinen Ausführungen Entsprechungen seiner zweiten Figur zur traditionellen dritten Schlußfigur aufzuzeigen In der formal logischen dritten Figur steht der Mittelbegriff in beiden Prämissen an der Subjektstelle. Die Prämissen müssen mit Hegels Begriffsinhalten also heißen: E — A und E — B, wobei naichte der Philosophie einen ganz spezifischen, mit Aristoteles’ Text kaum noch zu vereinbarenden Begriff der Möglichkeit des Nous. Hegel sieht zwar, daß „Dynamis” für Aristoteles vielfach den Ausgangspunkt organischer Entwicilung bezeichnet; zu der Aussage in De anima, daß — wie Hegel übersetzt — „der Nus der Möglichkeit (Potenz) nach das denkbare Object ist”, notiert er sich: „Möglichkeit zu wenig; öwapi? wie Ey Saamen Möglichkeit des Thiers”. Aber in den folgenden Randbemerkungen wird ein anderes Verständnis der Möglichkeit des Nous von Hegel zumindest angedeutet. Aristoteles antwortet auf die Frage, wie der Nous materielle Dinge denken könne, da er doch leidensunfähig und nicht vermischt mit Anderem sein solle, daß der Nous die materiellen Dinge denke, nicht weil ihnen selbst Nous zukomme, sondern weil in ihnen der Möglichkeit nach das Denkbare enthalten sei; „denn der Nus ist die Möglichkeit derselben, aber ohne Materie.” Dazu gibt Hegel zwei Bemerkungen: „insofern sie (sc. die materiellen Dinge) nur der von? der Möglichkeit nach sind,” und: „sie sind wohl voTiTo, diß ist wohl das voeiv Swapei, der voug aber als solcher ist die öwapig aber ohne sie aber sind voeioüai mit *® Zwar ließen sich diese Bemerkungen Hegels noch aristotelisch in dem Sinne auslegen, daß das Denkbare als X6vog oder el6og der Möglichkeit nach in den materiellen Dingen enthalten ist und deshalb vom Nous gedacht werden kann, daß der Nous selbst aber die Fähigkeit ist, alles Denkbare überhaupt erst als solches vorzustellen, ohne dadurch in irgendeiner Weise materiell zu werden ®®. Aber wahrscheinlicher ist, daß Hegel schon hier die •* Hegel: Gesammelte Werke. Bd 5. Hrsg. v. M. Baum und K. Meist. Zitiert nadi korrigiertem Fahnenabzug, den die Herausgeber mir freundlicherweise zur Verfügung stellten. Hegels De anima-Übersetzung mit seinen Bemerkungen wurde früher ediert von W. Kern: Eine Übersetzung Hegels zu De anima HI, 4—S. Mitgeteilt und erläutert von W. Kern. In: Hegel-Studien. 1 (1961), 49—88, zur vorliegenden Stelle vgl. 50, 53. Kern gibt zugleich eine eigene Analyse des phUosophisch und philologisch sehr umstrittenen Textes von Aristoteles: De anima III, 4—5 und verfolgt auch Grundzüge von Hegels Interpretation in den Vorlesungen über die Gesdhidhte der Philosophie anhand verschiedener Nachschriften. Vgl. dazu ferner W. Kern: Die Aristotelesdeutung Hegels. In: Philosophisches Jahrbuch. 78 (1971), 237—259. — Erwähnt sei noch, daß zum vorhergehenden Ausdruck „denkbares Object” Hegels Randbemerkung gehört: „votiTOV, ein Denkbares, oder Gedachtes (gleichgültig, hier Object...”. Das Zitat ist Hegels Übersetzung. Gesammelte Werke. 5 (nach Fahnenabzug). Vgl. Eine Übersetzung Hegels. A.a.O. 51. — Vgl. zum Zusammenhang Aristoteles: De anima. III, 4. 429 b—430 a. •s Gesammelte Werke. 5. A.a.O. Vgl. Eine Übersetzung Hegels. A.a.O. 54. — Vgl. dazu auch cUe Randbemerkung, in der Hegel die „Passivität des Nus” offenbar als dessen „Andersseyn” denkt (Werke. 5. A.a.O.; Eine Übersetzung. 52). *• Diese Interpretation identifiziert den voCg als ö6va|ug TMV TOCOüTCOV nicht mit dem im folgenden von Aristoteles explizierten voüg jiadT|Tixö;, der leidensfähig und vergänglich ist. Diese Identifikation nahm Hegel — zumindest später — vor, ähnlich wie

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Fünftes Kapitel

später ausdrücklidi ausgesprochene Theorie vor Augen hat, daß der Nous als möglidier ontologisch das Wesen der Natur oder der materiellen Dinge bedeutet. In den Vorlesungen über die Gesdoidote der Philosophie erklärt Hegel: „Der von? ist alle voT|Ta, aber so ist er es nur an sich. Die Natur enthält die Idee, ist Verstand nur an sich ...” Die Möglidikeit des Nous, das Denkbare als solches zu denken, wird damit zum Ansichsein des Geistes in der Natur, das Hegels und auch Schellings Konzeption der Natur entspricht. Diese Möglichkeit des Nous setzt Hegel mit der Aufnahmefähigkeit des voüg naÜT)Tix6g (des passiven Nous) gleich, die Aristoteles in De anima (III, 5) von der Aktivität und Wirklichkeit des wirkenden Nous in der menschlichen Seele unterscheidet. Den passiven Nous, der alles der Möglichkeit nach ist, denkt Hegel damit seinem Ansatz gemäß als Natur im allgemeinen sowie als empfindende und vorstellende Seele im besonderen *®. Hegel kann nun die so von ihm interpretierte Möglichkeit des Nous oder den passiven Nous für die Übertragung auf die Aristotelische Noesis Noeseos und fernerhin für seine eigene Subjektivitätstheorie fruchtbar machen, weil er diese Möglichkeit oder den passiven Nous selbst als Gegenstand des Denkens betrachtet. In einer Vorlesungsnachschrift vom Sommersemester 1820 heißt es z. B.: „Das Denkbare ist der passive voüg; und das, was ihn zum gedachten macht, das ist der tätige voüg ... Das Objektive ist der voüg, Gedanke, aber nur Gedanke an sich.” Der passive z. B. schon der von ihm selbst erwähnte Kommentator Simplikios, der den voüg na^tix6g als stofflich (ükix6g) bezeidinete (vgl. Simplicii in lihros Aristotelis De anima commentaria. Ed. M. Hayduck. Berlin 1882. 219. Z. 11. — Zum Verständnis dieser Stelle von De anima vgl. auch H. Seidl: Der Begriff des Intellekts (voüg^ bei Aristoteles im philosophischen Zusammenhang seiner Hauptschriften. Meisenheim a. G. 1971. 113, 118, 123 f. — Zum Begriff der „Dynamis” vgl. Aristoteles; Metaphysik. IX, 1—8. 1045 b— 1051 a. ” Werke. XIV, 387 (belegt bei Griesheim). •* Vgl. a.a.O.; vgl. auch Enz § 389. Zu Hegels Umdeutung des passiven Nous vgl. ferner tüe von W. Kern angegebenen Stellen aus Vorlesungsnachschriften: Eine Übersetzung Hegels. A.a.O. 82 f und Die Aristotelesdeutung Hegels. A.a.O. 252—254. Hinweise auf die Umdeutung gibt auch E. Oeser: Begriff und Systematik der Abstraktion. Wien und München 1969. 250—258. — Aristoteles’ Lehre vom aktiven und passiven Nous hat wegen der undurchsichtigen Textlage und der inhaltlichen Komprimierung erkenntnistheoretischer, ontologischer und metaphysischer Probleme eine lange Interpretationsgeschichte, worauf hier nicht einzugehen ist. Vgl. vor allem D. Ross: Aristotle. 146—153;

H. Cassirer; Aristoteles’ Schrift „Von der Seele” und ihre Stellung innerhalb der aristotelischen Philosophie. Tübingen 1932. 140—198; H. Seidl: Der Begriff des Intellekts. 94—136; H. Chemiss: Aristotle’s Criticism of Plato and the Academy. 2. Aufl. New York 1962. 345 ff, 350 f; /. M. Rist; Notes on Aristotle De anima 3.S. In: Classical PhUolo^. 61 (1966), 8—20. •• Zitiert nach W. Kern: Die Aristotelesdeutung Hegels. A.a.O. 253. Vgl. Werke. XIV, 385. In der Philosophie des subjektiven Geistes ist der passive Nous cüe empfinden-

C. Absolute Idee als Dialektik

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Nous, die Objektivität der Natur, ist dabei nidit einfadi als Gegenstand des Denkens vorhanden, sondern wird nach Hegel vom tätigen Nous gesetzt. Das Denken bringt in sich selbst sein Anderssein, seinen Gegenstand, erst hervor. Die beiden Funktionen, die Aristoteles dem Nous in der menschlichen Seele zuschreibt, nämlich Erleiden als Aufnehmen aller etSri und X6YOI und Tätigkeit als wirkliches, mit keinem Materiellen vermischtes, reines Denken, bestimmt Hegel also im Horizont der Einheit der sich selbst und die Gegenständlichkeit setzenden Subjektivität. Er konnte das Problem des Sich-Gegenstandseins des Denkens freilich in De anima selbst bereits angedeutet finden. Denn Aristoteles fragt nicht nur, wie das Denken materieller Dinge möglich sei, sondern auch, wie es selbst denkbar sein könne. Als Antwort darauf erklärt Aristoteles hier jedoch lediglich, daß bei Dingen ohne Materie Denkendes und Gedachtes dasselbe sei und nur bei materiellen Dingen verschieden; daraus folgt, daß das unvermischte Denken schließlich sich selbst denkt. Wie aber etwa die Struktur des Selbstverhältnisses, die Unterschiedenheit des Gegenstandes des Denkens vom Denken selbst und die Einheit beider im Denken möglich sein soll, wird von Aristoteles nicht gezeigt. — Hegel unterlegt seiner Interpretation des Nous in De. anima also Grundzüge seiner eigenen Konzeption der Subjektivität. Diese Auffassung von der Möglichkeit des Denkens und vom Verhältnis des aktiven zum passiven Nous verwendet Hegel bei seiner Charakterisierung der Noesis Noeseos ^®. Für Hegel stellt die Einheit des aktiven und passiven Nous als Einheit von Subjekt und Objekt das göttliche Denken seiner selbst dar. Da das Wirkliche nach Aristoteles Vorrang vor dem Möglichen hat oder da — nach Hegels Theorie — das reine Denken als Aktivität Hervorbringung seines Gegenstandes ist, sieht Hegel vornehmlich den tätigen Nous als göttlich an; dieser ist für ihn die absolute Freiheit des Sich-Denkens. Ob eine solche absolute Freiheit dem menschlichen Denken ebenso zukommt wie dem göttlichen, wird von Hegel als Problem nicht diskutiert — Für Aristoteles ist nun in der Metaphysik das kosde oder vorstellende Seele, die die denkende Subjektivität sich als an sich vernünftigen Inhalt zum Gegenstand macht (vgl. Enz §§ 389, 445, 465 ff). Auf die Diskussion über Ansätze zu einer Philosophie der Subjektivität in der Antike, speziell bei Aristoteles, die Oehler, Tugendhat, H.-J. Krämer und Gadamer führen, sei hier nur hingewiesen. Vgl. zuletzt K. Oehler: Der hödjste Punkt der antiken Philosophie. In: Einheit und Vielheit. Festschrift für C. F.vWeizsäcker. Göttingen 1973. 45—59. Ober die Frage, ob der rein tätige Nous, da er Aristoteles als unvermischt und ewig gilt, der göttliche Nous sei, wird seit Alexander von Aphrodisias, der diese These aufgestellt hat, viel gestritten. Es handelt sich nach Aristoteles um eine Funktion der denkenden Seele; die Antwort auf die Frage nach der Göttlichkeit des tätigen Nous hängt wohl einmal davon ab, ob der sich denkende Gott als welttranszendent oder wenigstens teilweise

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Fünftes Kapitel

mologisdie erste Prinzip aller geschehenden Bewegungen der notwendig existierende, erste Beweger, dessen innere Bestimmung Denken ist. Während Wahrnehmen, Meinen oder Überlegen nach Aristoteles etwas anderes zum Gegenstand haben, sich selbst aber nur nebenher, hat dieses Denken als höchste Wirklichkeit und als erstes Prinzip allein das Höchste und Vortrefflichste zum Gegenstand: sich selbst. In welchem Verhältnis dieses SichDenken etwa zum Denken reiner, stoffloser Ideen (EI8TI) steht, wird von Aristoteles freilich nicht genauer expliziert. Bei der Erklärung der Vollkommenheit und Göttlichkeit dieses Denkens, das erstes Prinzip sein soll, geht er vom Gegenstand des Denkens aus. Wäre der Gegenstand mangelhaft, schlecht oder würde er beständig wechseln, so wäre auch das Denken, das sich mit Schlechtem befaßt bzw. sich verändert, nicht das Beste im aktuellen Vollzug. Erst durch die höchste Vortrefflichkeit des unveränderlichen Gegenstandes als des Gedachten also wird die Vollkommenheit des Denkens ermöglicht — Diese für eine Subjektivitätstheorie unbefriedigende Erklärung wird von Hegel umgekehrt: „Nicht das Gedachte ist das Vortrefflichere, sondern die Energie selbst des Denkens.” Der von Hegel zugrunde gelegte Aristoteles-Text, die Erasmus-Ausgabe, enthält jedoch an der entscheidenden Stelle, auf die Hegel sich hier bezieht, eine andere Lesart als die heutigen Aristoteles-Ausgaben; Hegel übersetzt den ihm vorliegenden Text ganz richtig: „ ,so daß jenes’ (das Wirken, die Tätigkeit) ,mehr göttlich ist als dasjenige, was die denkende Vernunft (voüg) Göttliches zu haben meint’ (das VOT]T6V)” Da Hegel diese Stelle offenbar zum Angelpunkt seiner Bestimmung des Verhältnisses von Denken und auch als weltimmanent aufgefaßt wird (vgl. dazu Met. XII, 10; 1075 a), zum andern davon, ob der Inhalt seines Denkens der Inbegriff und wohlgeordnete Zusammenhang der EIöT; — und zwar als identisdi mit dem Nous — sein kann, und schließlich auch davon, ob und in welchen Relationsbestimmungen damit ein allgemeiner Nous zugestanden werden muß, an dem die einzelnen denkenden Seelen nur teilhaben. Die Frage, die bei Aristoteles offen blieb, wurde z. B. von den Neuplatonikern weitererörtert. — Viele heutige Interpreten (Ross, H. Cassirer, Rist u. a. — vgl. Anm. 68) entscheiden sich allerdings gegen die Göttlichkeit des tätigen Nous. ” Vgl. Metaphysik. XII. 7 und 9. 1072 a—1072 b und 1074 b. Werke. XIV, 331. Gadamer hat auf diese für Hegels Auffassung bedeutsame Veränderung der Argumentation des Aristoteles bereits aufmerksam gemacht. Vgl. Hegel und die antike Dialektik. In: Hegels Dialektik. 26 f. Werke. XIV, 331. Diese Stelle findet sich im Aristoteles-Zitat am Ende der Enzyklopädie-, dort heißt es — wie in der ersten Ausgabe von Erasmus (Basel 1531. 1072 b, 23): ÖOTE ixEivo pölkXov TOüTOU, 8 6OXEI 6 voCg dEiov IXEIV. Statt dessen liest man heute (in den Editionen von Jaeger und Ross): öOT’ 4XEWOV pükkov TOUTO 8 SOXEI 6 voO; ÄEiov IXEiv (so daß in vollerem Sinne göttlich als jenes, das Denken, dieses, das Gedachte, ist usw.). Vgl. dazu auch die Anmerkung der Herausgeber F. Nicolin und O. Pöggeler in ihrer Edition der Enzyklopädie. 496.

C. Absolute Idee als Dialektik

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Gedachtem im göttlichen Nous macht, wird nach heutiger Auffassung die Aristotelische Argumentation geraclezu ins Gegenteil verkehrt. Der Nous denkt nach Aristoteles sich selbst, indem er als das Denkbare das Vortrefflichste aufnimmt. Die Aufnahme des Denkbaren deutet Hegel zur Produktion des Gegenstandes durch die Aktivität des Denkens um; das Aufnehmen ist selbst Tätigkeit, und das Aufgenommene ist ihr Produkt Der Gegenstand wird jedoch nach Hegel vom Denken nicht nur als Korrelat hervorgebracht; er muß als die vom Nous gesetzte Möglichkeit und Kraft seiner selbst das Wesen des Nous enthalten. So „schlägt” die reine Gegenständlichkeit „um in Aktivität, Energie” ^®; im Sich-Denken des göttlichen Nous ist auch das Gedachte reine Tätigkeit und Subjektivität. Hegel sieht also in der Aristotelischen Noesis Noeseos die SubjektObjekt-Identität der spekulativen Idee. „Nur im Denken ist wahrhafte Übereinstimmung des Objektiven und Subjektiven vorhanden; das bin Id>. Aristoteles findet sich also auf dem höchsten Standpunkt ...” Das sich selbst denkende Denken des göttlichen Nous ist für Hegel damit das Ich, nicht als endliche, sondern als absolute Subjektivität. Obwohl Hegel nun in Aristoteles’ Noesis Noeseos die spekulative Idee als Subjekt-Objekt-Identität, die selbst absolute Subjektivität ist, ausgesprochen findet, kritisiert er an Aristoteles’ Lehre, daß in ihr dieses Denken nur als das Vortrefflichste und Höchste konzipiert wird, nicht aber als die Wahrheit alles Seienden überhaupt. Nach Hegel soll dagegen alles Seiende in Wahrheit Denken und Gedanke sein Er selbst faßt ja bereits den Aristotelischen passiven Nous als Natur sowie als empfindende und vorstellende Seele auf und sieht darin den Gedanken des Ansichseins des Geistes angelegt. — In der Skizzierung der Entwicklung der griechischen Philosophie, die für Hegel insgesamt ein Fortschreiten sein muß, betont er, daß das Denken des Denkens bei Aristoteles nur für den Gott, noch nicht für die Welt gelte, daß Stoizismus und Skeptizismus beim Versuch der Durchführung dieses Prinzips in den Endlichkeiten und der Bestreitung seiner objektiven Bedeutung einander widersprechen, daß der Neuplatonismus dagegen das Absolute als konkrete Totalität begreife Hegel hebt bei seiner Behandlung der Neuplatoniker besonders hervor, daß sie die Aristotelische Noesis Noeseos wiederaufgenommen und weitergeführt haben. Plotins Bestimmung des sich denkenden Denkens ist nach ™ Vgl. Werke. XIV, 390 (belegt bei Griesheim, ähnlidi Finder). 7» Werke. XIV, 330. Werke. XIV, 333. Hegel bezeichnet Aristoteles’ Theorie auch als Idealismus; vgl. 326, 386. An der zuletzt genannten Stelle spricht Hegel vom „selbstbewußten voüg”. ™ Vgl. Werke. XIV, 332. T» Vgl. z. B. Werke. XV, 94 f.

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Hegel „ganz aristotelisdi” Hegel bemerkt freilich, daß Plotin die Lehre vom sich denkenden Denken mit Platos Ideenlehre verbindet. Während Plotin jedodi — wie Aristoteles — am Vorrang des Gedachten festhält, glaubt Hegel auch bei Plotin die These wiederzufinden, das Gedachte werde vom Nous erzeugt — Hegel sieht ferner, daß Plotin die Möglichkeit von Doppelung und Einheit im Sich-Denken, die Aristoteles nur voraussetzte, eigens zum Problem macht. Die Frage des Verhältnisses von Denken, Gegenstand und deren Einheit behandelt auch die Subjektivitätstheorie; Plotins Lösung ist jedoch keine Konstitutions- oder Strukturanalyse, sondern eine metaphysische Begründung der Zweiheit und Einheit des Nous, der in dem von ihm unterschiedenen Denkgegenstand sich selbst denkt, im höchsten Prinzip des Einen, von dem alles ausgeht, das für den Nous selbst aber unerkennbar bleibt Hegel kritisiert an dieser Lösung Plotins die Hypostasenlehre, daß nämlich der göttliche Nous nur aus dem überfließenden Einen hervorgehe, ein Schwächeres sei und nicht zurückkehre; dieses Verhältnis von Einheit und Entzweiung sei nicht dialektisch ®®. Deshalb zieht Hegel die Theorie des Proklos vor, der zwar, wie Hegel darlegt, auch vom unerkennbaren Einen ausgeht, der aber zum Hervorgehen aus dem Einen die Rückkehr in sich hinzufügt und so das Verhältnis von Denken, Gedachtem und ihrer Einheit als konkrete Totalität zu begreifen sucht ®*. — Hegels Bestimmungen der Noesis Noeseos bei den Neuplatonikern enthalten aber keine grundsätzlich neuen Überlegungen über seine Interpretation der Aristotelischen Noesis Noeseos hinaus; er sieht hier zwar Grundzüge der Subjektivität vorgezeichnet; aber die Neuplatoniker sind nach Hegel in ihrer eigenen Theorie ‘nicht von der „unendlichen Subjektivität” ausgegangen und kennen die „absolute ... Freiheit” des Ich nicht ®®. —

Vgl. Werke. XV, 53, 67. “ Vgl. Werke. XV, 54. Zur Nous-Lehre Plotins vgl. K.-H. Volkmann-Schluck: Plotin als Interpret der Ontologie Platos. 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1966, bes. 37—59, 85—92, 119—130. Vgl. Werke. XV, 50, 67. Die These von Beierwaltes in seiner instruktiven und perspektivenreidien Studie: Plotin im deutschen Idealismus, daß Hegel das Eine immer zugleich als Denken bzw. Einheit von Denken und Sein aufgefaßt habe, ist daher wohl nicht aufrechtzuerhalten (vgl. z. B. Werke. XV, 48 f, 53). Zutreffend ist jedoch Beierwaltes’ Hinweis auf die Zusammenhänge mit Hegels Interpretation der Aristotelischen Noesis Noeseos. Vgl. W. Beierwaltes: Platonismus und Idealismus. Frankfurt a. M. 1972. 144— 153. “ Vgl. Werke. XV, 71—92, bes. 75—78, auch Phän 57. Vgl. hierzu die Abhandlung von Beierwaltes: Hegel und Proklos, die Hegels Proklos-Interpretation zu Recht vor dem Hintergrund der spekulativen Logik sieht; s. Platonismus und Idealismus. 154—187. s» Werke. XV, 95.

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Hegel erkennt in der Aristotelisdien Noesis Noeseos also die SubjektObjekt-Identität der spekulativen Idee wieder. Über diese kann in der philosophisdien Theorie nicht zu einem undenkbaren Einen hin noch einmal hinausgegangen werden. Auch Hegels Lehre von der absoluten Idee als dem sich denkenden Denken ist wie die des Aristoteles und der Neuplatoniker metaphysisch-theologisch. Aber dieser Idee kommt als absoluter Subjektivität zugleich unendliche Freiheit und Spontaneität zu, aufgrund deren erst eine Konstitutionsanalyse durchgeführt, d. h. gezeigt werden kann, wie die Subjektivität als denkende ihren Gegenstand hervorbringt, in diesem Anderen die Identifikation mit sich selbst vollzieht und diese Selbsterkenntnis als ihre Leistung weiß. b) Die Dialektik als absolute Subjektivität Die logische Struktur der reinen, sich denkenden Subjektivität ist nach Hegel die Methode. In dieser logischen Bedeutung ist die Subjektivität aber das Prinzip der Logik; dieses Prinzip ermöglicht erst die vollständige, systematische Entwicklung der Kategorien. Es tritt als Grund der Entwicklung am Ende der Logik selbst hervor, und zwar nicht nur als gegenständlich gedachte Struktur des Kategorienzusammenhangs, sondern als Tätigkeit und Selbstbewegung des Begriffs. Die Methode der Logik bestimmt Hegel nun als Dialektik in spekulativem Sinne. So steht am Ende der Kategorienentwicklung nach Hegel das „Reichste”, das „Konkreteste und Subjektivste’’, „Die höchste ... Spitze ist die reine Persönlidskeit, die allein durch die absolute Dialektik, die ihre Natur ist, ... alles in sich befaßt” ®®. Die Subjektivität als Prinzip der Logik ist also nach Hegel die Dialektik. Hegel entwickelt die absolute Idee als Methode in zwei Teilen, nämlich einmal als Form und zum anderen als Inhalt Die Methode als Form bringt die Bestimmtheit der Kategorien, deren jeweilige Beziehungen aufeinander und den Fortgang erst hervor; dadurch ist sie nach Hegel aber dem Inhalt nicht äußerlich, sondern als „absolute Form” dessen innere Bestimmung und Wesen. Der Inhalt des Erkennens ist überhaupt erst logisch erfaßbar und hat begriffliche Bedeutung durch diese Konzeption der Form als Methode; er ist dadurch das „System des Logischen” oder die „systematische Totalität” ®® der Kategorien. Die viel zitierte Einheit von Form und Inhalt in der Methode Hegels, die dieser prinzipiell sogar schon «• WdL T. 2. 502. " Vgl. WdL T. 2. 485—500, 500—505. “ Vgl. WdL T. 2. 485 f, 501. *• Enz § 237, § 243, vgl. WdL T. 2. 500. Die absolute Idee ist zugleich das System der einzelnen Ideen (vgl. Enz § 213 Anm.).

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in der Logik des Grundes bzw. der Erscheinung®* aufgezeigt zu haben scheint, wird somit erst verständlich, wenn man die Methode als Subjektivität denkt, die ihre eigenen inhaltlichen Bestimmungen und deren Beziehungen erzeugt und in ihnen sich selbst begreift. Da in der Jenaer Logik von 1804/05 diese absolute Subjektivität noch nicht erreicht wurde, konnte auch in der dortigen Methodenlehre der Logik keine Einheit der Form des Erkennens mit dem kategorialen Inhalt dargelegt werden. Die absolute Methode ®^ enthält nun nach Hegel die analytisdoe und synthetische Methode des Erkennens als Momente in sich. Wie erörtert, geht die analytische Methode von etwas Unmittelbarem, Gegebenem als Inhalt aus und hebt Begriffsbestimmungen daraus hervor. Die absolute Methode verfährt insofern analytisch, als auch sie beim Unmittelbaren anfängt, es als objektive Allgemeinheit denkt und im Fortgang weitere Bestimmungen nicht von etwas Anderem hernimmt, sondern nur aus diesem Inhalt, dem Begriff selbst, entwickelt. Sie ist damit das reine „Zusehen”, das ohne willkürliche Zutaten, wie Hegel postuliert, allein der Selbstentwicklung des Begriffes folgt. — Die synthetische Methode verbindet die verschiedenen Begriffsbestimmungen als Bestimmungen der Sache in Definitionen, Einteilungen, Theoremen und dgl. Die absolute Methode ist insofern auch synthetisch, als sie die in einer Allgemeinheit zu setzenden Bestimmungen aufeinander bezieht, sie allerdings nicht nur zur Einheit eines notwendigen Zusammenhangs, sondern zur Einheit des sich denkenden Begriffs bringt. Nur die absolute Methode erkennt die Objektivität als den reinen Begriff, der sich selbst denkt. Auch diese Einheit der verschiedenen Methoden des Erkennens beruht also auf dem Begriff der absoluten, sich im Gegenstand nur auf sich selbst beziehenden Subjektivität ®®. Hegel sucht diese Einheit in der Ausführung der verschiedenen Schritte der Dialektik zu explizieren. Dadurch soll zugleich die logische Möglichkeit und der Bewegungs- oder Tätigkeitscharakter der Idee als Methode aufgewiesen werden. Das erste Moment der Methode ist der Anfang. Am Anfang wird etwas in einfacher Unmittelbarkeit und zugleich in Allgemeinheit gesetzt. Hegel kommt damit innerhalb seiner Methodenlehre auf das Problem des Anfangs der spekulativen Logik zurück; dieses Problem kann endgültig nur vom entwickelten Begriff der Methode aus gelöst werden ®*. *® Vgl. WdL T. 2. 66—76; in der Enzyklopädie wird dieses Problem erst im Kapitel: „Erscheinung” abgehandelt; vgl. Enz §§ 133 f. •* Ausführliche Berichte über die umfangreiche Literatur zu Hegels Dialektik enthalten die Darstellungen von A. Dürr: Zum Problem der Hegelschen Dialektik und ihrer Formen. Berlin 1938. 1—40 und A. Sarlemijn: Hegehdie Dialektik. Berlin 1971. 3—14 u. ö. •* Vgl. WdL T. 2. 491, 499 f, Enz § 238 Anm. und Zusatz, § 239 Anm. — Solche Beziehungen der Theorie der absoluten Methode auf die vorangehende Methodenlehre

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Zugleich denkt Hegel aber auch an Anfänge einzelner Kategoriengruppen in der Logik selbst wie z. B. Sein, Wesen oder Begriff. Hier soll nun nur das spezifische Verhältnis von Anfang und Fortgang als Bestandteil der dialektischen Methode erörtert werden. Der Anfang, insbesondere der Anfang der Wissenschaft überhaupt, stellt für Hegel deshalb ein Problem dar, weil die weitere wissenschaftliche Ausführung nicht auf Voraussetzungen zurückgreifen darf, die außerhalb dieses Anfangs und seiner Entwicklung liegen. Der Anfang ist für Hegel zwar etwas „Niditanalysierbares” ein als Anfang gesetzter Begriff kann spekulativ nicht als hingenommene Gegebenheit etwa in verschiedene abstrakte Bestimmungen zerlegt werden. Aber das Unmittelbare, das den Anfang ausmacht, soll immanent betrachtet werden; ebenso soll der Fortgang zu weiteren Bestimmungen immanent geschehen; ein solches Vorgehen gehört zur absoluten Methode, und zwar zu deren analytischer Komponente. Diese immanente Betrachtung ist aber nur möglich, wenn der Anfang als Allgemeinheit verstanden wird, die sich selbst entwickelt ®®. Hierbei liegt bereits die Konzeption der konkreten Allgemeinheit und die Annahme ihrer logischen Explizierbarkeit zugrunde. Die Erfassung eines anfänglichen Begriffs ebenso wie seiner Entwicklung bedeutet zugleich das Begreifen seiner besonderen Bestimmungen im Zusammenhang; dieses kann als die synthetische Komponente der absoluten Methode angesehen werden. In jedem Anfang und Fortgang ist aber nach Hegel eigentlich die Selbstentfaltung des Allgemeinen, der „zugesehen” und die in dem von ihr gestifteten Kontext dargestellt wird, die Methode des Erkennens selbst. — Von der spekulativen Idee her wird deutlich, daß auch der Anfang der Logik schon eine Leistung der Subjektivität ist. Hewurden bisher kaum untersucht; sie sind wenigstens berücksiditigt bei U. Guzzoni: Werden zu sich. Freiburg und München 1963. 66 ff, Wolfgang Marx: Hegels Theorie logischer Vermittlung. 79 f und B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur. 232 ff. ’* Derartige Zusammenhänge hat D. Henrich mit klaren Argumenten in seiner Untersuchung Anfang und Methode der Logik aufgezeigt. Vgl. Hegel im Kontext. Ti—94. »* WdL T. 1. 60. H. F. Fulda sucht in einem eigenständigen Ansatz Hegels dialektische Methodenlehre mit sprachanalytischen Mitteln zu verbessern. Er versteht dabei den Anfang, der immanent weiterbestimmt wird, als das „Vage”, das durch verschiedene „Bedeutungsmodifikationen” einen genaueren Sinn erhält. Dabei muß natürlich einmal Hegels Konzeption der Selbstbewegung des Begriffs als des konkreten Allgemeinen, zum andern die Notwendigkeit des sich im dialektischen Fortgang ergebenden logischen Widerspruchs und seines positiven Resultats unberücksichtigt bleiben. Fuldas interessanter Vorschlag zur Methode knüpft daher nur locker an Hegels Dialektik an. Vgl. H. F. Fulda: Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik. In: Hegel-Bilanz. Hrsg. v. R. Heede und J. Ritter. Frankfurt a. M. 1973. 231—262. — Die Dialektik als Fortschritt der Bestimmung und begrifflichen Determination hatten von anderen Positionen aus bereits W. Sesemann: Zum Problem der Dialektik. In: Blätter für deutsche Philosophie. 9 (1935), 28—61 und W. Flach: Hegels dialektische Methode. In: Hegel-Studien. Beiheft 1 (1964), 55—64 darzulegen versucht.

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gel erklärt ihn als das „Selbstbestimmen” der Idee, die in ihrer „absoluten Negativität” sich selbst als ein Anderes, als Sein, setzt Das auf diese Weise als Anfang gesetzte Allgemeine des Begriffs und der Idee ist nur einfaches Bestehen, noch nicht Subjektivität; durch die Methode als das „Bewußtsein” des Begriffs erweist es sich „an ihm selbst” als das „Mangelhafte” das sich in weiteren Bestimmungen zu erfüllen strebt, bis die Struktur des Sich-Wissens, d. h. schließlich der Methode selbst erreicht wird. Die anfängliche Bedeutung des Begriffs als Unmittelbarkeit und Allgemeinheit wird durch den notwendigen Fortgang, in Beziehung auf den der Anfang allein Anfang ist, zu einem Anderen, für Hegel: zum konträren Gegenteil. Das Sein z. B. ist überhaupt nur deshalb eine Kategorie unter anderen, weil es in methodischem Sinn als Anfang gesetzt wird. Das Unmittelbare, Allgemeine des Anfangs muß, da es Begriff ist, gedacht und bestimmt werden; durch den Fortgang erweist sich dabei der anfängliche Sinn des Begriffs lediglich als Moment ebenso wie das im Fortgang zu denkende und vom ursprünglichen Begriff zu unterscheidende Andere. So wird die erste Allgemeinheit zum Moment, deren Anderes bzw. deren konträres Gegenteil nach Hegel das Moment des Besonderen ist. Die Aufstellung solcher konträr entgegengesetzten Bestimmungen, die aus einem ursprünglichen Allgemeinen und Unmittelbaren hervorgehen, bildet innerhalb der Methode „das erste Negative” und das „Vermittelte” Dieser Schritt ist für Hegels Dialektik konstitutiv. — Aus der ersten Einheit, die zu bestimmen ist, geht also für Hegel nicht nur eine kontradiktorische, sondern eine konträre Entgegensetzung hervor, weil er in das dem gesetzten jeweils entgegengesetzte Moment den Inhalt der anfänglichen Einheit als der allgemeinen Sphäre aufnimmt und diese dadurch zugleich als eine bestimmte denkt. Hegel befolgt diese Regel; aber er begründet sie nicht eigens. Voraussetzung für sie ist im wesentlichen das Ausgehen von einem Allgemeinen, das ein konkret einteilbares Ganzes ist, oder von einem konkreten Allgemeinen. Die „erste Negation” oder — wie Hegel auch sagt — das „Urteil der Idee” die sich entzweit, ist aber nicht nur das im Verhältnis zum Anfang als dem Unmittelbaren Vermittelte; sie ist zugleich, da jedes der einander entgegengesetzten Momente durch das andere vermittelt ist, selbst das Vermittelnde Dieses Verhältnis negativer Vermittlung kann auch »• Enz § 238. •7 WdL T. 2. 489. •« WdL T. 2. 494 f. •» Enz § 239. ‘o® Vgl. WdL T. 2. 495.

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als Antinomie bezeichnet werden, wie Hegel sie in seiner Frankfurter und Jenaer Zeit verstand. Aber das Aufstellen einer Antinomie und ihre Begründung in einer höheren Einheit, von der Hegel früher annahm, daß sie geglaubt bzw. intellektuell angeschaut, nicht aber rein gedacht werden könne, bildet nun selbst nur einen Bestandteil der gesamten dialektischen Methode. Die einander entgegengesetzten Momente machen für Hegel nun nicht nur den Widerspruch der ursprünglichen Einheit oder Allgemeinheit aus, die in solchen entgegengesetzten Bestimmungen ausgedrückt wird; sie sind auch in sich selbst jeweils widersprüchlich. Hegel setzt hierbei seine — wie sich an früherer Stelle wohl gezeigt hatte — nicht stringente Entwicklung der Reflexionsbestimmungen vom Gegensatz zum Widerspruch voraus. Die einander entgegengesetzten Momente verhalten sich wie das „Positive” und das „Negative” zueinander, die nach Hegel jeweils ihr Gegenteil in ihrer eigenen Bedeutung enthalten. Damit schließt jedes das „eigene Andre”, das konträr Entgegengesetzte, in sich; die Momente sind jeweils „d/s der Widerspruch die gesetzte Dialektik ihrer selbst”. Das dialektische Denken muß daher gegen den obersten Grundsatz der klassischen Logik, den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, verstoßen; denn nach Hegel „ist das Denken des Widerspruchs das wesentliche Moment des Begriffes” Hegel scheint hier wie auch in der Wesenslogik anzunehmen, daß es die Bestimmung eines Moments in Abhebung von seinem Gegenteil mit sich bringe, das Gegenteil auch als Inhalt des zu bestimmenden Moments selbst zu denken, wodurch dieses in sich widersprüchlich werde. Bei der Bestimmung eines Moments muß jedoch nur, wie gezeigt wurde, das Gegenteil in der WdL T. 2. 496. Vgl. auch Werke. 4. 208 u. a. — Diesen Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch kritisiert z. B. Popper vor allem in seinen Einwänden gegen die Hegelsche und die materialistische Dialektik. Er hebt auch die metaphysische Bedeutung der Dialektik Hegels hervor, entwidtelt aber weder die methodischen Schritte der Dialektik Hegels noch die Logik der Reflexionsbestimmungen noch Hegels Theorie des Begriffs und der Subjektivität als Grund für die von Hegel beanspruchte Ungültigkeit des Satzes vom Widerspruch für das spekulative Denken. So sind Poppers Argumente unzureichend, auch wenn er sich gegen den entscheidenden wunden Punkt der Dialektik wendet. Vgl. K. R. Popper: Was ist Dialektik? A.a.O. 262—290. — Gegen eine ähnliche, schon im 19. Jahrhundert (von A. Trendelenburg und E. v. Hartmann) geäußerte Kritik der Hegelschen Dialektik, die formallogisch begründet war, wurde vielfach die These aufgestellt, Hegels dialektische Logik begreife die Widersprüche der Dinge, leugne aber nicht einfach das formallogische Widerspruchsprinzip. Dies erklärt schon K. Rosenkranz in Abwehr der formailogischen Kritik (vgl. Wissenschaft der logischen Idee. T. 1: Metaphysik. XXII ff, auch 300 ff). Später wurde diese Theorie von Mc Taggart, N. Hartmann, J. Schwarz u. a. vertreten (vgl. auch die Zusammenstellungen von A. Sarlemijn: Hegelsche Dialektik. 81 ff, seine eigene These, die sich dieser Richtung anschließt: 95 ff, 183). Dieser Versuch, die Hegelsche Dialektik vor der formallogischen Kritik zu retten, ist nicht mit Hegels eigenen Ausführungen zu vereinbaren.

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Einheit des Bewußtseins oder des Gedankens hinzugesetzt werden, nidit dagegen in der spezifisdieh Bedeutung des Bestimmten selbst Dieser im Fortgang erreichte Widerspruch, der in den einzelnen Momenten, nämlidi im Allgemeinen und Besonderen, zugleich aber auch im ursprünglichen Allgemeinen enthalten ist, bildet für Hegel den „Wendungspunkt der Bewegung des Begriffes” und d. h. der Methode Der erste Schritt des Fortgangs oder das „erste Negative” ist die Herabsetzung des anfänglichen Allgemeinen zu einem Moment und die Aufstellung einer Antinomie von Momenten. Ein weiterer Schritt ist nun nach der Aufstellung des Widerspruchs in den einzelnen Momenten und im Ganzen dessen Aufhebung. Hegel nennt dies das „zweite Negative” oder „das Negative des Negativen” Der Ausdruck wird von ihm nicht näher erläutert; damit dürfte gemeint sein, daß die Negation der Negation hier die Negation der gesamten vorhergehenden Stufe, also der Momente in ihrer Antinomie bedeutet. Die Negation des selbständigen Bestehens und der Gültigkeit der Momente, die füreinander und in sich selbst gegensätzlich sind, führt jedoch nach Hegel nicht zu Nichts, sondern zu einem positiven Resultat; sie ist Negation eines bestimmten Inhalts oder bestimmte Negation Denn für Hegel liegt die ursprüngliche Einheit und Allgemeinheit inhaltlich der Selbstentzweiung in besondere Bestimmtheiten zugrunde, die selbst als Determinationen zunächst nur einfache Negationen sind. Durch diese Einheit sollen die Bestimmtheiten negativ oder antinomisch aufeinander bezogen sein; sie bildet daher auch die Basis für den inneren Widerspruch der jeweiligen Bestimmtheiten, die ihr Gegenteil in sich selbst haben, und restituiert sich als das Eine und Allgemeine durch die Aufhebung der selbständigen Gültigkeit jener Bestimmtheiten Da dem EiVgl. oben S. 219, 222 ff. WdL T. 2. 496, vgl. 497. WdL T. 2. 496. los Ygi_ \7dL T. 1. 35 f, vgl. aucii Phän 68 f. B. Lakebrink untersudit zwar den methodischen Sinn des zweiten Negativen nidit; er bestimmt es aber zu Redit als Subjektivität, wobei er besonders auf deren theologische Bedeutung eingeht. Vgl. Die Europäische Idee der Freiheit. T. 1. 506 ff. — B. Puntel sucht die bestimmte Negation in der Totalität des Denkprozesses und diesen — nicht rein logisch — in der Entsprechungseinheit von Logik, Phänomenologie und Ncxilogie zu begründen. Damit tritt die rein logische Problematik der bestimmten Negation in den Hintergrund. Vgl. Darstellung, Methode und Struktur. 236—238, 252 ff, auch 293—296. — Eine Analyse der Struktur der Negation der Negation am Anfang der Wesenslogik liefert D. Henrich: Hegels Logik der Reflexion. In: Hegel im Kontext. 145 ff, in der Logik des Daseins ders.: Formen der Negation. A.a.O. 245—256. In vereinfachender Darstellung erweckt Hegel manchmal den Eindruck, die bestimmte Negation, die selbst einen positiven Inhalt habe, sei Limitation. So wird z. B. im negativen Urteil nach Hegel nur ein bestimmter Inhalt negiert und ein anderer bestimmter

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nen und Allgemeinen dieser ganze Fortgang notwendig sein soll, sind die verschiedenen Negationen als seine eigene „absolute Negativität” in ihm selbst enthalten. Dieses Resultat des Fortgangs, der mit dem Widersprudi als negativer Beziehung der Einheit auf sich seinen „Wendungspunkt” erreicht, um zum Anfang auf höherer Ebene zurückzukehren, ist nach Ffegel das Einzelne und Konkrete oder die sich im Fortgang negativ mit sich selbst vermittelnde, absolute Subjektivität — Voraussetzung für die Behauptung, das Resultat des Widerspruchs sei positiv und nicht Nichts, ist die Gültigkeit des Gedankens, daß das Sich-Widersprechende nur durch eine zugrunde liegende Einheit möglich sei und daß diese Einheit auch den Inhalt des Widerspruchs ausmache, was Hegel in der Entwicklung der Reflexionsbestimmungen des Widerspruchs und Grundes endgültig zu beweisen versucht hat Die nicht immer stringente Logik der Reflexionsbestimmungen des Wesens dient Hegel offenbar als Beweisgrundlage für die verschiedenen Schritte der dialektischen* Methode. Das Prinzip der Entwicklung war dort nur die negative Vermittlung der Reflexion als Scheinen des Wesens in sich selbst; hier ist es der Begriff als entfaltete Subjektivität, die auch jene Vermittlung in sich enthält. Die Phasen der absoluten Methode entsprechen somit der Folge der Reflexionsbestimmungen, nämlich der Anfang der absoluten Identität, das erste Negative mit der Aufstellung der Antinomie dem Unterschied, der Übergang zum zweiten Negativen dem Widerspruch und schließlich das im zweiten Negativen implizierte positive Resultat der Einheit des Grundes. Diese Viergliedrigkeit kann nach Hegel auch als Triplizität — allerdings nicht einfach als These, Antithese und Synthese — verstanden werden, wenn man etwa erste und zweite Negation als Vermittlung zusammennimmt, dabei aber das positive Resultat noch vom zweiten Negativen absondert. Da es in der Methode jedoch Inhalt gesetzt (vgl. WdL T. 2. 278 ff, vgl. auch die inhaltlichen, qualitativen Negationen wie Kälte, Finsternis als bestimmte Negationen: T. 1. 89). Aber die bestimmte Negation als wesentlicher Bestandteil der dialektischen Methode ist nur durch das angegebene methodische Verhältnis von Einheit und Widerspruch möglich. »07 Vgl. WdL T. 2. 497, 499. — Das Verfahren der rückläufigen Begründung, der Rückkehr des Endes in den Anfang, interpretiert U. Guzzoni (Werden zu sich. 48 ff, 52— 100) im Horizont der Heideggerschen Seinsfrage. Sie gibt zutreffende Beschreibungen der Paradoxien von Grund und Begründetem, geht aber auf Hegels logische Fundierung dieser Argumentation in der konkreten Allgemeinheit des Begriffs und auf die von ihr immerhin erwähnte Subjektivitätsproblematik nicht näher ein. — H. F. Fulda hält die rückläufige Begründung mit Recht für einen wesentlichen Bestandteil der Dialektik; er glaubt jedoch, sie lasse noch alternative Konklusionen zu (Unzulänglidse Bemerkungen zur Dialektik. A.a.O. 240 ff). 108 Vgl. oben S. 225 f, auch S. 98 ff.

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allein auf die Selbstentwicklung des Begriffs ankommt, gilt das zahlenmäßige Einteilen des Weges Hegel als unangemessen Die Negation der Negation ist nicht nur ein weiterer Schritt im methodischen Fortgang; mit ihr wird vielmehr das Prinzip dieses Fortgangs erreicht. Hier zeigt sich, daß Determinationen erst aus einer ihnen substanziell zugrunde liegenden Einheit und Allgemeinheit hervorgehen, die sie als einfache, ihr immanente Negationen setzt, sie negativ aufeinander bezieht und sich zugleich in diesem Anderssein negativ auf sich selbst bezieht, Subjektivität ist. Aufgrund dieser Einheit, die die Setzung von ganz bestimmten konträr entgegengesetzten Inhalten ermöglicht, führt der Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch nicht zu völlig unbestimmten Sätzen Sie ist die sich auf sich selbst beziehende, konkrete Allgemeinheit. Das zweite Negative im Gang der Methode ist also nach Hegel „der innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat ...; denn auf dieser Subjektivität allein ruht das Aufheben des Gegensatzes zwischen Begriff und Realität” Die Methode als die Struktur des Inhalts, des Begriffs, ist daher zugleich Tätigkeit und reine Denkhandlung, nämlich die Bewegung des Begriffs, sich ein Anderes zu werden, d. h. sich zu vergegenständlichen, diese Gegenständlichkeit als die eigene Negativität zu begreifen, um sich darin zu erkennen und sich schließlich als Tätigkeit dieses ganzen Fortgangs zu wissen. Der sich wissende Begriff aber ist das Einzelne als konkrete Allgemeinheit; „wie das Anfangende das Allgemeine, so ist das Resultat das Einzelne, Konkrete, Subjekt"’ Dieses Resultat ist nach Hegel als Rückkehr zum Anfang auf höherer Stufe eine erneute Unmittelbarkeit. Wenn die Vorstellung des Unmittelbaren als Anschauung bezeichnet werden kann, so ist die Selbstbeziehung der absoluten Idee oder der dialektischen Methode insofern eine Anschau« Vgl. WdL T. 2. 497 f. — Auf ähnlidie Entsprechungen weist D. Henrid) hin. Vgl.

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Hegels Logik der Reflexion. A.a.O. 104 f, 100 ff. Vgl. oben S. 227. WdL T. 2. 496. 11* WdL T. 2. 499. Auch H. Marcuse macht darauf aufmerksam, daß Hegel in der absoluten Idee das Sein als absolute Subjektivität denkt. In seiner ontologischen Interpretation verzichtet er jedoch auf eine genauere Analyse der Methode Hegels. Vgl. Hegels Ontologie und die Grundlegung einer Theorie der Geschichtlidikeit. 194—211; vgl. ebenso ders.: Vernunft und Revolution. 150 ff. — Ferner vertritt auch K. Harlander {Absolute Subjektivität und kategoriale Anschauung. Eine Untersuchung der Systemstruktur bei Hegel. Meisenheim a. G. 1969) die Auffassung, die Methode sei die absolute Subjektivität, ohne allerdings die Struktur der Subjektivität dabei zu untersuchen. Er zeichnet jedoch die einzelnen Schritte der Methode nach (vgl. 56—75). Ähnlich U. Guzzoni: Werden zu sich. 30—51.

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ung In ihr ist das Angeschaute, nämlich sie selbst, evident gegenwärtig. Aber diese neue Unmittelbarkeit kommt nur durch Vermittlung, durch die „sich mit sich selbst vermittelnde Bewegung und Tätigkeit” zustande. Nun ist die Vorstellung von etwas durch Vermittlung Denken. Da für die Selbstbeziehung des Begriffs und der Idee die Vermittlung, nämlich die aufgezeigte dialektische Bewegung, erforderlich ist, muß die Subjektivität also als Sich-Denken bestimmt werden. Die reine Anschauung der Idee bedeutet — wie etwa Schellings Gedanke der intellektuellen Anschauung — für Hegel im Grunde schon die einseitige Unmittelbarkeit, die dann für die reale Idee als Natur gilt Das Denken, seiner selbst aber, die Noesis Noeseos, soll nach Hegels Konzeption den Reichtum an vermittelten Bestimmungen, d. h. das Konkrete bewahren; es enthält als evident gegenwärtige Vorstellung seiner selbst die Anschauung in sich und ist insofern anschauender, göttlicher Verstand, der den Begriff seiner selbst erfaßt. Die methodische Vereinigung von Unmittelbarkeit und Vermittlung, die die Dialektik mit der bestimmten Negation und ihrem positiven Resultat leisten soll, ist allein einem absoluten Denken möglich, das im Gedanken die Sache, nämlich sich selbst als Denken hervorbringt Nur dieses Denken, das zugleich anschaut, ist nach Hegel Erkennen des Wahren. Es hatte sich freilich mehrfach gezeigt, daß die Herstellung neuer Unmittelbarkeiten innerhalb der spekulativen Logik die Vermittlungsstruktur oder die Konkretion vorheriger Stufen nicht bewahrte, so daß der Inhalt der neuen Stufe und dessen weitere Entwicklung nicht zureichend begründet war. Dies ist in Hegels Logik zumindest ein Indiz dafür, daß der endliche, auf gegebene, unmittelbare Inhalte angewiesene Verstand das absolute Denken nicht vollziehen kann. Hegel sucht zwar vom intuitiven, göttlichen Verstand nicht nur — wie z. B. Kant — eine negative Idee durch die Aufhebung der Grenzen unserer Erkenntnis, sondern durch die dialektische Methode eine positive Einsicht in dessen Tätigkeits- und Bewegungscharakter sowie in dessen Inhalte zu geben. Aber die Hegelsche Dialektik, von der diese metaphysische Bedeutung nicht getrennt werden kann, ist, wie sich gezeigt hat, in mehrfacher Hinsicht nicht fundiert. Vor allem erhält der durch sie gebotene Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch nur Berechtigung, wenn man die Einsehbarkeit der zugrundelieVgl. WdL T. 2. 488, auch 244, Enz § 237, § 214 Anm. WdL T. 2. 499. Vgl. Enz § 244. Eine ähnliche Kritik äußert bereits A. Trendelenburg: Logisdre Untersuchungen. Bd 1. 98 f. Gegen die Vereinigung von Unmittelbarkeit und Vermittlung durch reines Denken wendet sich auch Wolfgang Marx: Hegels Theorie logischer Vermittlung. Vgl. z, B. 9—28, 65—71.

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genden Einheit als absoluter Identität und Allgemeinheit annimmt, die Hegel zuletzt lediglich voraussetzen kann; ferner beruht der dialektische Fortgang auf der konkreten Allgemeinheit, deren logische Möglichkeit und Erkennbarkeit schließlich trotz aller Beweisversuche nur postuliert wird. Diese „absolute Dialektik” als „Natur” der Subjektivität ist spekulativ. „In diesem Dialektischen ... besteht das Spekulative” Hegel behält jedoch auch noch einen an seine frühe Logik-Konzeption erinnernden Begriff der lediglich negativen Dialektik bei So unterscheidet Hegel verschiedentlich noch die negative und dialektische Vernunft von der spekulativen, positiven Vernunfterkenntnis Hierbei besteht die Dialektik nur im Gegeneinandersetzen der endlichen Bestimmtheiten und der Aufstellung von Widersprüchen; so wird nach Hegel das Denken des endlichen Verstandes überwunden. Aber erst das positive Resultat ist das „Spekulative” — In der frühen Jenaer Logik (von 1801/02) hatte Hegel die Dialektik, die damals nur negative Bedeutung besaß, von der Spekulation unterschieden, weil für ihn die Erkenntnisarten der endlichen Reflexion und der intellektuellen Anschauung noch prinzipiell different waren. Seit der Konzeption des einen Denkens der Vernunft, das die Anschauung in sich enthält, kann die Dialektik selbst aber die zureichende Methode der Spekulation bilden. Zwei Gründe dürften Hegel bewogen haben, neben dem Begriff der spekulativen Dialektik den Begriff der negativen Dialektik dennoch beizubehalten: einmal die propädeutische Erleichterung des Verständnisses durch die Dreiteilung der Methode in die Momente des Verständigen, des Dialektischen und des Spekulativen und zum andern die Ausbildung eines selbständigen Skeptizismus, der in der Geschichte der Philosophie seine Vorbilder hat und den Hegel selbst früher als negative Seite der Vernunfterkenntnis durchführte. Die vormaligen Theorien entwickelten, wie Hegel vielfach betont, in der Regel nur den negativen Charakter der Dialektik. Der historische Hintergrund für seinen eigenen Begriff der Dialektik ist dabei in der WissenVgl. WdL T. 2. 502. \^(JL T. 1. 38; vgl. auch Phän 53 und zur „höheren Dialektik des Begriffes” Grundlinien der Philosophie des Rechts. § 31. o* Hegel selbst gebraucht diesen Terminus. Vgl. Nürnberger Schriften. 32. 120 Ygj_ T. 1. 6; Nürnberger Schriften. 238, 444, 446. — Auch innerhalb der Logik verwendet Hegel mehrfach die Dialektik in bloß negativem Sinn; vgl. z. B. WdL T. 2. 256, 330, auch 499. Enz §§ 81 f mit Anmerkungen. Auf einen Unterschied zwischen „dialektisch” und „spekulativ” weist auch Gadamer im Anschluß an die Betrachtung der Theorie des spekulativen Satzes hin. Vgl. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 3. Aufl. Tübingen 1972. 443. — Vgl. auch A. Sarlemijn: Hegelsche Dialektik. 46 ff. 08

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Schaft der Logik gegenüber den Erläuterungen zu dieser Frage in der frühen Jenaer Zeit differenzierter geworden. — Nadi wie vor erinnert Hegel an Kants transzendentale Dialektik, speziell an die Antinomienlehre; aus der Neuzeit ist für ihn nur Kant riditungweisend für seine Dialektik. Dialektik bedeutet für Hegel aber nidit die Logik des Sdieins und der Fehlschlüsse wie für Kant, sondern die Aufstellung einander entgegengesetzter Bestimmungen bzw. Sätze, die der reinen Vernunft angehören. Da Hegel in der Wissenschaft der Logik wie auch früher schon Kants transzendentalidealistische Auflösung nicht akzeptiert, die er für einseitig subjektiv hält, übernimmt er selbst die Aufgabe, die Kantischen Antinomien, die er zu Kategorienpaaren umdeutet, und den ihnen zugrunde liegenden Gegensatz des Endlichen und Unendlichen spekulativ aufzuheben. Seine Anknüpfung an Kant betrifft also lediglich den Aufweis des Widerstreits von Sätzen und Kategorien in der Vernunft selbst, den Kant zudem nicht universal durchgeführt habe Auch den Bezug auf Plato behält Hegel bei; er zitiert Diogenes Laertius, der Plato als den Begründer der Dialektik bezeichnet Aber Hegel denkt hierbei nicht an die Dialektik der Ideen, sondern an die „dialektische Übung” im Dialog Parmenides. Er kritisiert, daß diese Dialektik z. T. die äußere Reflexion zu Hilfe nehme, und vor allem, daß sie nur ein negatives Resultat habe In der frühen Jenaer Zeit, in der Hegel selbst nur einen Begriff der negativen Dialektik konzipierte, war für ihn der Platonische Parmenides noch das Vorbild des wahren Skeptizismus, der notwendig die negative Seite der philosophischen Erkenntnis darstellte Doch schon in der Phänomenologie, in der er Platos Parmenides „wohl das größte Kunstwerk der alten Dialektik” nennt, hebt er die neuplatonische Interpretation hervor, der diese Dialektik als „positiver Ausdruck des göttlichen Lebens” galt Er hat dabei Proklos’ theologische Vgl. WdL T. 2. 492 f, T. 1. 38, au* 183 ff, 231 ff, T. 2. 387 f. — Vgl. ferner Nürnberger Schriften. 86—91, 33—44. — Vgl. auch G. Maluschke: Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik. 126—145. WdL T. 2. 491. Vgl. Werke. XIV, 221. Vgl. Diogenes Laertius: De vitis, dogmatibus et apophthegmatibus clarorum virorum libri X. Graece et latine. Ed. Is. Casaubonus etc. Amsterdam 1692. III, 56. 124 Yg|_ T. 1. 37, vgl. auch 87, 163. In den Vorlesungen über Geschichte der Philosophie glaubt Hegel allerdings, der Parmenides enthalte Platos reine Ideenlehre (vgl. Werke. XIV, 243). 126 Vgl. Werke. 4. 207 f. Zum Verhältnis Hegels zur Platonischen Dialektik vgl. H.-G. Gadamer; Hegel und die antike Dialektik. In: Hegels Dialektik. 7—30. Phän 57; vgl. auch Werke. XIV, 244; XV, 76 f. Für Hegel ist jedoch auch die Dialektik der Neuplatoniker nur vorläufig. — Nicht nur negative Dialektik findet Hegel schon bei Heraklit. Vgl. Werke. XIII, 328, 332 ff. Vgl. auch WdL T. 1. 68, 192.

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Plato-Deutung vor Augen. Diese Hervorhebung eines positiven, theologischen Verständnisses der Dialektik des Einen und Vielen, das Hegel hier von Platos Parmenides selbst noch unterscheidet, setzt seine Konzeption der spekulativen Dialektik bereits voraus. In der Wissenschaft der Logik bezieht sicäi Hegel ferner auf die negative Dialektik des antiken Skeptizismus, der er ebenso wie der Dialektik in Platos Parmenides ein begrenztes Recht zugesteht. Insbesondere führte der antike Skeptizismus dem Programm nach die negative Dialektik bei allen Begriffen durch. Im Skeptizismus-KahdXz war für ihn nur Platos Parmenides wahrer Skeptizismus, der eins war mit der Philosophie; der akademische und der pyrrhonische Skeptizismus lösten sich nach seiner Auffassung bereits von der Philosophie ab Hegel weist aber nicht nur auf die metaphysische und die skeptische Fortführung der Dialektik des Platonischen Parmenides, sondern auch auf dessen Vorgänger, die Eleaten, hin. Vor allem Zeno gilt ihm als „Anfänger der Dialektik” — Hegel berücksichtigt also vor allem Begriffe von Dialektik in der Antike; in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie wird die Dialektik bei den Griechen noch genauer auf ihre verschiedenen Typen hin untersucht. Konstitutiv für alle diese Formen früherer Dialektik ist in Hegels Interpretation der Widerspruch von gesetzten endlichen Bestimmungen und die Aufhebung ihrer Gültigkeit. Den positiven, spekulativen Sinn, den er selbst der Dialektik zuschreibt, findet er dagegen allenfalls vereinzelt in der Antike angedeutet, nicht aber begründet und durchgeführt. Für die Verweise auf solche Anfänge verfügt Hegel schon über eine entwickelte Theorie der spekulativen Dialektik; sie wird dadurch nicht erst vorbereitet. In den nachhegelschen Theorien der Dialektik gehen offenbar diese geschichtlichen Zusammenhänge der Hegelschen Dialektik verloren und damit audi das klare Bewußtsein, daß die Dialektik einen rein logischen Widerspruch impliziert. Infolgedessen verschwindet zugleich der bei Hegel noch vorhandene Gedanke von der Notwendigkeit, den Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch, also gegen das oberste Prinzip der formalen Logik, inhaltlich zu begründen. Die Rechtshegelianer und der Hegelianismus im zwanzigsten Jahrhundert behielten die metaphysische Bedeutung der Dialektik bei; sie waren entweder der Ansicht, der Widerspruch und sein positives Resultat seien notwendig, ohne zureichende eigene Argumente dafür anzuführen, oder sie hielten die ontologische Dialektik mit Vgl. WdL T. 2. 492; T. 1. 184; vgl. Werke. 4. 213, 222. J \tCerke. XIII, 302. Vgl. WdL T. 2. 492, audi ‘Nürnberger Schriften. 446, wo er die Dialektik der Eleaten der Kantisdien Antinomienlehre vorzieht; vgl. ferner WdL T. 1. 191 f, Jenaer Realphilosophie. 15. 1 8

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dem formallogisdien Widersprudisprinzip für vereinbar. Die Linkshegelianer kritisierten den metaphysischen Sinn der Dialektik und glaubten, sie zu einer realen Dialektik umkehren zu können, ohne daß dabei der Nerv der dialektisdien Methode, der Widerspruch und sein positives Ergebnis, getroffen sein sollte. — So kritisiert Marx z. B. die ontologischmetaphysische Bedeutung und damit den Universalitätsanspruch der Dialektik Hegels, speziell auch den logisdi-ontologisdien Sinn der Negation der Negation, und sucht diese „mystifizierte” Dialektik zu einer realen Dialektik der Gesellschaft in ihren geschichtlichen Stadien umzukehren. Unter Berufung auf diesen Gedanken erklären z. B. noch Marcuse oder Bloch die Umkehrung der Hegelschen Dialektik für legitim ***. Adorno sucht ebenfalls mit seiner Konzeption der negativen Dialektik den ontologischen Sinn der Negation der Negation und der daraus folgenden positiven Einheit zu eliminieren, ohne sich aber mit dem reinen Nichts, der Aporie oder der skeptischen Epoche als Resultat des Widerspruchs abzufinden Zuvor hatte im neunzehnten Jahrhundert schon Kierkegaard das affirmative Resultat des Widerspruchs in Hegels spekulativer Dialektik abgelehnt und am realen Widerspruch selbst als Paradoxie festzuhalten versucht. — Zahlreiche logische und methodische Schwierigkeiten in diesen Theorien ließen sich wohl vermeiden, wenn man nicht als logischen Widerspruch ansähe, was eigentlich nur realer Widerstreit und Antagonismus ist, und wenn man daher auch keine geschichtliche Realität als positives Resultat eines Widerspruchs erwartete, sondern die von der Metaphysik untrennbare dialektische Methode Hegels und die vermeintlichen Korrekturen an ihr etwa in der Methodologie einer modernen Wissenschaft gesellschaftlicher Entwicklungen verabschiedete. Denn die Bestimmung von realem Widerstreit oder von Realrepugnanz ist ohne jede Dialektik möglich — Die hermeneutische Philosophie dagegen, die sich auf die Hegelsche Dialektik beruft, gibt sowohl die metaphysische Begründung als auch den Verstoß gegen das Widerspruchsprinzip preis. Die Anknüpfung an Hegel betrifft in diesem Fall vielmehr dessen Deskriptionen der Wege des Sinnverstehens und der Erkenntnisprozesse als Hinweise auf die Struk12» Vgl. etwa H. Marcuse: Vernunft und Revolution. 274—282, audi 145 f. E. Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie 2. Frankfurt a. M. 1964. 53—67. 120 Vgl_ Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt a. M. 1966. L. Eley weist in seiner Besprediung dieses Buches einige logische Prämissen dieser Theorie Adornos auf; vgl. Zum Problem des Anfangs in Hegels Logik und Phänomenologie. In: Hegel-Studien. 6 (1971), 283—291. ‘*1 N. Hartmann, der eine sachbezogene Aporetik ausbildet und das Widerspruchsprinzip akzeptiert, will doch an der Realdialektik festhalten. Vgl. Hegel und das Problem der Realdialektik. In: Kleinere Schriften II. Berlin 1957. 323—346.

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tur hermeneutisdier Erfahrung. Die rein logisdie Bedeutung der Dialektik Hegels ist für diese daher nicht konstitutiv — In diesen verschiedenartigen Auffassungen von Dialektik, die von Hegels Dialektik ausgehen, aber ganz unterschiedliche Momente seiner Methode beibehalten und andere abändern, wird jedoch das Konzept der konkreten Allgemeinheit ohne nähere Überprüfung ihrer Erkennbarkeit und ihrer metaphysischen Begründung übernommen. — Der hier durchgeführte Aufweis solcher unbewiesenen logischen und metaphysischen Voraussetzungen von Hegels dialektischer Methode, das Aufzeigen der Genesis dieser Methode und der historischen Hintergründe sollten es erlauben, die methodologischen Probleme auch der nachhegelschen Dialektik-Theorien präziser zu formulieren. In jenen an Hegel anknüpfenden methodologischen Entwürfen wird aber die subjektivitätstheoretische Bedeutung der Dialektik Hegels nicht rezipiert; sie beruht auf einem für Hegels Prinzipienlehre zentralen, idealistischen Theorem. Der entwickelte Mittelbegriff im Schluß als konkrete Allgemeinheit hatte sich als Restitution der Identität des Begriffs mit sich in der eigenen Selbstunterscheidung und Selbstvergegenständlichung erwiesen. Dadurch kann der Begriff sich in den von ihm gesetzten, ihm immanenten Negationen, die selbst Beziehungen von Begriffsstruktur sind, mit sich selbst identifizieren oder im Anderssein, im Gegenstand, sich selbst erkennen. Durch die Explikation der Idee weiß sich der Begriff, der sich zunächst noch auf die Objektivität als gegebene bezieht, als das Aneignen und schließlich als das Hervorbringen dieser Objektivität, die selbst das Beziehungsgefüge des entwickelten Begriffs an sich hat; er erkennt den gesamten logischen Vorgang der Ausfaltung der ihm immanenten Beziehungen und seiner daraus hervorgehenden vermittelten Selbstbeziehung sowie die Konstituierung der Objektivität als der erkannten Subjektivität als seine eigene Handlung und Leistung. Wegen der Bedeutung des konkreten Mittelbegriffs für die Selbsterfassung der Subjektivität gilt Hegel die dialektische Methode als weiterentwickelte spekulative Syllogistik. Dem formalen Schluß fehlt „das wesentliche, dialektische Moment” die Vereinigung einander widersprechender Bestimmungen. Die syllogistische Einheit der Terme des Begriffs in der spekulativen Mitte aber, die am Ende der Schlußlehre bereits erreicht wurde, wird nach Hegel eigens dialektisch expliziert in den Schritten der Meis* Vgl. vor allem H.-G. Gadamer; Wahrheit und Methode. Bes. 441 ff, 351 ff u. ö. — Eine Verbindung des dialektischen Sinnverstehens mit der von Aristoteles ausgehenden Topik und Dialektik schlägt O. Pöggeler vor: Dialektik und Topik. In: Hermeneutik und Dialektik. II. Tübingen 1970. 273—310. WdL T. 2. 498.

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thode, nämlich dem anfänglichen Unmittelbaren und der negativen Vermittlung als den Prämissen, die das Anderssein, den inneren Widerspruch und die absolute Identität als Selbstbeziehung des Begriffs enthalten, und schließlich in dem positiven Resultat als der Konklusion Es handelt sich dabei nicht um drei Sätze, sondern um die Verhältnisse der Terme des Begriffs, die selbst jeweils der ganze sich bestimmende Begriff sind. Die dialektische Methode ist also die logische Entwicklung der Selbstbeziehung des spekulativen Mittelbegriffs; sie ist in Hegels Theorie der methodische Zusammenhang und die konstituierende Tätigkeit des Begriffs, die in seiner Selbstsetzung, seiner Selbstvergegenständlichung im Urteil, seiner syllogistischen Selbsterkenntnis im Anderssein und in seinem Wissen, diese Gegenständlichkeit und Erkenntnis erst hervorgebracht zu haben, besteht. Sie ist damit Idee, vollständige, sich wissende Einheit von Subjekt und Objekt. Der „reine Begriff, der sich zum Gegenstände hat, ... indem er sich als Gegenstand die Totalität seiner Bestimmungen durchläuft”, „schließt” damit, „dies Begreifen seiner selbst zu erfassen ... und den Begriff der Wissenschaft zu erkennen” Die absolute Selbsterkenntnis der Subjektivität ist damit nach Hegel dasselbe wie die Erkenntnis des Begriffs der philosophischen Wissenschaft. c) Die Grundformen der Dialektik in der spekulativen Logik Die dialektische Methode hat sich als die logische Bestimmung der Subjektivität erwiesen; diese aber ist das Prinzip der spekulativen Logik. Hier stellt sich nun die Frage, wie sie die systematische Explikation der Kategorien und deren jeweilige Bewegung gewährleisten kann, obwohl doch die Kategorien des Seins und des Wesens keineswegs das Sich-Wissen zum Inhalt haben. Dieses Problem ergibt sich insbesondere in Hegels Spätzeit, in der er offenbar an der „Phänomenologie” als einer notwendigen Einleitung, die zugleich erster Systemteil ist, und somit an ihr als Begründung der absoluten Geltung der Kategorien der Logik nicht mehr festhält. Denn solange die „Phänomenologie” eine solche begründende Einleitung ist, gelten schon die Seinskategorien als Momente des Selbstverhältnisses des absoluten Wissens, dessen Möglichkeit die „Phänomenologie” erwiesen hatte. Daß Sein oder Werden oder Dasein solche Momente des Selbstverhältnisses der Subjektivität sind, muß freilich zu diesen Kategorien jeweils hinzugedacht werden. Wenn die „Phänomenologie” aber nicht mehr als not>»* Vgl. WdL T. 2. 497—499. *»« WdL T. 2. 505.

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wendige, fundierende Einleitung in die Logik in Ansprudi genommen wird, muß der Prinzipdiarakter der Subjektivität als dialektischer Methode für die Seins- und Wesenskategorien eigens nachgewiesen werden. Dies sucht Hegel in seiner Theorie der drei Grundformen der Dialektik als Dialektik des Seins, des Wesens und des Begriffs zu leisten. Diese drei Grundformen gebraudit Hegel bei der Entwicklung der Kategorien in der Wissenschaft der Logik aber er gibt in der dortigen Methodenlehre noch keine Theorie der grundlegenden Differenzierungen seines eigenen methodischen Vorgehens. Doch in der Enzyklopädie skizziert Hegel die Grundformen der Dialektik als Bestandteil seiner Methodenlehre Den dialektischen Fortgang von einer Kategorie zur andern in der Sphäre des Seins nennt Hegel das „Übergehen”', dies ist die erste Grundform der Dialektik. Es handelt sich hierbei nach Hegel nicht um die Anwendung der dialektischen Methode auf einen ihr ganz fremden Inhalt. Vielmehr ist für ihn das Sein „der Begriff nur an sich” oder der Begriff, wie er einfach besteht, ohne daß die Strukturmannigfaltigkeit seiner Selbstbeziehung schon expliziert wäre. Die Kategorie des Seins hat die methodische Bedeutung, der Begriff oder die Allgemeinheit als reiner, einfacher Anfang zu sein. Als Anfang aber ist sie schon auf den methodischen Fortgang bezogen. In der Sphäre des Seins bildet nun jede Kategorie, für sich genommen, eine einfache, in sich selbst beziehungslose Bestimmtheit. Diese Bestimmtheiten sind jedoch „in ihrem Unterschiede Andre gegeneinander, und ihre weitere Bestimmung (die Form des Dialektischen) ist ein Ühergehen in Anderes” Auch beim Sein, sofern es überhaupt als Kategorie gedacht werden soll, ist die Bedeutung: „unbestimmte Unmittelbarkeit” seine eigene Bestimmtheit Jeder einfachen Bestimmtheit wird durch Anwendung des Satzes: „omnis determinatio est negatio” eine „andere”, bei Hegel eine konträr entgegengesetzte, gegenübergestellt, also etwa dem „Sein” das „Nichts”, dem „Etwas” das „Andere” — oder wie in der Jenaer Logik von 1804/05 der „Realität” die „Negation” Diese Entgegensetzung soll nicht einfach die Leistung einer äußeren Reflexion, sondern der Methode des Denkens der Kategorien selbst sein. In den ersten Vgl. z. B. WdL T. 2. 269, 241 f. IST Ygj_ § 240. Vgl. auch schon in der ersten Auflage der Enzyklopädie (Heidelberg 1817) § 187. In der ersten Auflage wird in der Seins- und Wesenslogik diese Konzeption noch nicht ausdrücklich durchgeführt. Enz § 84, vgl. § 83, WdL T. 1. 43. In der ersten Auflage der Wissensdiaft der Logik fehlt an der entsprechenden Stelle dieser Gedanke. Enz § 84. '*» Vgl. WdL T. 2. 501, 489. Vgl. WdL T. 1. 67 f, 104 ff, Werke. 7. 3 ff.

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Seinskategorien, die nur in ihrer methodisdien Stellung zu anderen Kategorien Bestimmtheit haben, in ihrer eigenen Bedeutung aber noch Unbestimmtheit sind, ist dieser dialektische Fortgang des „Übergehens” noch ein unmittelbares Ineinandersein der Kategorien oder ein „Übergegangensein” Hier lassen sich noch keine Phasen des „Übergehens” unterscheiden. Dies ist aber z. B. bei „Etwas” und „Anderes” möglich. Wird das „Etwas” bestimmt, d. h. von dem unterschieden, was es nicht ist, so wird ihm dies, was es nicht ist, zugleich in der Bestimmung des „Etwas” entgegengesetzt, nämlich das „Andere”. In Beziehung aufeinander sind aber beide „Andere”; es bleibt nicht ein einfaches „Etwas” zurück. So geht „Etwas” in „Anderes”, in sein Gegenteil über. — Eine einfache, in sich beziehungslose Bestimmtheit erhält sich also im Gang der Determination oder in der methodischen Bewegung nicht, sondern geht in das, worauf sie bezogen wird, in ihr Gegenteil über, das zugleich solche Beziehung an sich hat. Im Verlauf des Bestimmens von Seinskategorien wird auf höherer Stufe die jeweils vorhergegangene Bewegung der Kategorien in den Inhalt einer Kategorie aufgenommen; auf diese Weise müssen Momente der Methode den spezifischen Bedeutungsgehalt von Seinskategorien konstituieren. Die erste Kategorie z. B., die methodische Bewegung zum Inhalt hat, ist das Werden. Der spezifische Inhalt und die dialektische Bewegung der Seinskategorien sind also nur durch die Methode der Logik und deren Gültigkeit möglich Den Seinskategorien ist nur, sofern sie einfache, in sich beziehungslose Bestimmtheiten sind, die dialektische Methode als synthetische äußerlich. Da sie jedoch allein im methodischen Zusammenhang gedacht und bestimmt werden können, gelten sie selbst nur als Momente der dialektischen Methode; ihre ganze Bedeutung besteht darin, daß sie Punkte bzw. Vgl. WdL T. 1. 67, 92 f. Auf diese Besonderheit des Obergegangenseins der Bewegung des Übergehens gegenüber weist H.-G. Gadamer hin: Die Idee der Hegelschen Logik. In: Hegels Dialektik. 59—63. *** Henrids zeigt in seinem Aufsatz: Anfang und Methode der Logik, daß Hegel sich zur Explikation der ersten Seinskategorien speziell der Begriffe aus der Logik der Reflexion bedient. Vgl. Hegel im Kontext. 85—94. — Der dialektisdse Fortgang von Sein und Nichts zu Werden und Dasein ist sogar letzten Endes erst durch die Methodenlehre am Schluß der Logik verständlich. — Nach W. Wieland ist diese Voraussetzung freilich nur pragmatisch und im Sprachgebrauch erlaubt, nicht aber semantisch. Allerdings hat auch diese „pragmatische” Voraussetzung konstitutiven Einfluß auf die dialektische Kategorienentwicklung. So wird der Unterschied von Objekt- und Metasprache nach Hegels Konzeption jeweils im positiven Resultat der Dialektik aufgehoben. Vgl. Bemerkungen 2um Anfang von Hegels Logik. In: Wirklithkeit und Reflexion. Pfullingen 1973. 395—414, bes. 400 ff.

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Phasen des „Übergehens” bilden. Nach Hegels Programm wird zugleich aus ihnen selbst der Fortgang entwickelt; dies ist dann der analytische, den Kategorien immanente Charakter der Methode. Die Beziehung der einfachen Bestimmtheiten aufeinander, ihr „Übergehen” und die über diese Bestimmtheiten hinausgehende Einheit aber ist eigentlich die Einheit des Begriffs und der Idee. „In der Sphäre des Seins ist das Sichbestimmen des Begriffs selbst nur erst an sich, — so heißt es ein Übergehen” Die Dialektik der Seinskategorien bedeutet also für Hegel schließlich einen subjektivitätstheoretisch motivierten Vorgang; dieser kann nur von der Selbstbewegung des sich denkenden Begriffs her verständlich gemacht und gerechtfertigt werden. Das „Übergehen” ist die einfach sich vollziehende dialektische Bewegung und die Herstellung eines wissenschaftlichen Zusammenhangs noch ohne den Gedanken einer in der Bewegung bleibenden oder gar sich darin selbst erfassenden Einheit. Das Sein ist nach Hegel der „Begriff an sich” und das „Übergehen” daher ebenso das bloße Geschehen der Bewegung des Begriffs. Die zweite Grundform der dialektischen Methode, nämlich die Dialektik der Wesenskategorien, nennt Hegel das „Schemen in dem Entgegengesetzten” Die Wesenskategorien gehen nicht mehr in Anderes über; kennzeichnend für ihre Bewegung ist vielmehr „die Relativität derselben oder das Scheinen der einen an oder in dem Sein der andern” Denn sie sind nicht mehr einfache Bestimmtheiten, sondern Relationskategorien. Jede Bestimmtheit des Wesens enthält für Hegel das jeweilige Andere, auf das sie sich negativ bezieht, dessen Sein sie negiert und zum „Schein” macht, zugleich in sich; das Positive z. B. verhält sich negativ seinem Gegenteil gegenüber und ist nach Hegel auf diese Weise selbst das Negative. Eine Bestimmung des Wesens bezieht sich daher durch die Negation des Anderen negativ auf sich selbst, oder sie „scheint” in sich. Dasselbe trifft auf ihr konträres Gegenteil zu. So ergibt sich als positives Resultat eine Einheit beider, die als der Grund ihrer jeweiligen negativen Beziehung aufeinander angesehen werden kann. In der Dialektik der Wesenskategorien als diesem Scheinen im Anderen „offenbart” sich nach Hegel „die notwendige Beziehung” Die Bewegung der Wesenskategorien und die Herstellung ihres methodischen Zusammenhangs ist zwar noch ein Anderswerden dieser Kategorien; doch ICC WdL T. 1. 109. Diese Stelle findet sidi in einem neu verfaßten Passus der zweiten Auflage. ‘cc Enz § 240. ‘cc Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. 76. »c7 WdL T. 2. 269.

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wird nur die jeweilige Bestimmtheit einer Wesenskategorie ein Anderes oder „geht” in der dialektischen Bewegung „unter”. Dagegen erhält sich die in ihr implizierte Beziehung; sie wird durch die Fortentwiddung in ihrer Struktur nach Hegel immer differenzierter und inhaltsreicher bestimmt. Zunächst wird sie nur als Einheit der methodischen Bewegung gedacht; im weiteren Verlauf aber zeigt sie sich als existierendes Verhältnis, dessen Glieder z. B. Ganzes und Teile oder Ursache und Wirkung sind. — Den Wesenskategorien und ihrer Dialektik entsprechen in der Jenaer Logik von 1804/05 die Kategorien des Seinsverhältnisses, denen die Unendlichkeit als Beziehung des Widerspruchs und damit als die sie weitertreibende Dialektik immanent ist Das Wesen ist nicht mehr wie das Sein der „Begriff an sich”, sondern — wie Hegel sich ausdrückt — der „gesetzte Begriff” Es ist nicht mehr der Begriff als Anfang in seiner einfachen Unmittelbarkeit, sondern als Negation des unmittelbaren Bestehens, als „Gesetztsein”. „Gesetztsein” bedeutet hier vermitteltes Sein, nämlich das Bestehen von etwas durch Negation des Gegenteils und damit nach Hegels Argumentation zugleich durch negative Beziehung auf sich selbst. Das Wesen ist aber nicht nur ein solches „Gesetztsein”, sondern selbst „Setzen” und Vermittlung, wodurch das einfache Sein auseinandertritt in Beziehung oder Verhältnis. So ist das Wesen der Begriff als Vollzug der Vermittlung und hat damit bereits explizit methodischen Sinn; das „Scheinen im Andern” als Dialektik der Wesenskategorien kennzeichnet die geschehende, aber zugleich Unterscheidungen und Vermittlungen in sich selbst setzende Bewegung des Begriffs. Der Begriff gelangt hierin jedoch noch nicht zum Denken seiner selbst. In den Kategorien des Seins und des Wesens zeigt Hegel das ontologische Fundament des Begriffs auf. Der dialektische Fortgang hat dabei selbst ontologische Bedeutung. In der Logik des Begriffs aber wird der Begriff bestimmt, wie er für sich selbst ist. Den spezifischen Fortschritt von Bestimmung zu Bestimmung in der Logik des Begriffs bezeichnet Hegel als „Entwicklung” sie bildet die dritte Grundform der dialektischen Methode. In ihr findet die Selbstbewegung des Begriffs ihren adäquaten Ausdruck. Denn sie ist nicht nur die Konstitution eines methodischen Zusammenhangs von Relationsbestimmungen durch Unterscheidung und Vermittlung, sondern zugleich eine solche Einheit, die als Grund von Unter»» Vgl. Werke. 7. 29 ff, 36 ff, 53 ff. Enz § 112. Enz § 161, vgl. auch § 161 Zusatz, § 387 Anm., § 442 und WdL T. 2. 272. — Mc Taggart weist in seinen Studies in the Hegelian Dialectic (2. Aufl. Cambridge 1922. Vgl. 119 ff, 133 ff) auf die drei Grundformen der Dialektik hin.

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sdieidung und Vermittlung aus sich ihre eigenen Unterschiede erst hervorbringt, sie aufeinander bezieht und sich darin selbst erfaßt. Das Verhältnis, in das die Bestimmungen der Begriffslogik durch die „Entwichlung” gebracht werden, bedeutet daher nicht lediglich notwendige Beziehung und Vermittlung, sondern spontane, sich in sich unterscheidende und darin mit sich identisch bleibende Selbstbeziehung und Selbstvermittlung. „Die dritte Weise ... ist die des Begriffs oder der Idee, daß die Bestimmung in ihrer andern so sich erhält, daß diese ihre Einheit, die selbst an sich das ursprüngliche Wesen beider ist, auch als die subjektive Einheit derselben gesetzt ist.” Die „Entwicklung” als methodische Abfolge der Bestimmungen des Begriffs durch dessen Selbstbestimmung wurde anhand der systematischen Darstellung der Begriffsmomente, der Urteile und Schlüsse schon untersucht. Sie findet ihre Erfüllung in der absoluten Idee als der dialektischen Methode selbst, die ihren eigenen Begriff erfaßt. Durch die drei Grundformen der Dialektik hat Hegel also zumindest skizziert, wie die absolute Subjektivität als Methode Prinzip der ganzen Logik sein kann. Das „Übergehen” und das „Scheinen in Anderes” bilden Stufen der Selbstbewegung des Begriffs; sie sind dessen Bewegung, aber noch ohne die denkende Selbstbeziehung Die Kategorien der Logik überhaupt und damit auch die Seins- und Wesenskategorien sind nach Hegels Konzeption aber nicht nur in ihrem methodischen Zusammenhang, sondern auch in ihrem jeweiligen Inhalt spezielle Bestimmungen und Momente der dialektischen Methode in ihren verschiedenen Stadien. Hegel hat damit, wenn man seine Theorie auf die Aristotelische oder auf die neuplatonische Lehre von der Noesis Noeseos bezieht, das Denken der Ideen in ontologischer Bedeutung oder der Kategorien als zum Vollzug des Denkens seiner selbst gehörig erwiesen. Die Ideen oder Kategorien als das Gedachte haben bei Hegel jedoch keinen Vorrang vor dem Denken; sie werden nur deshalb gedacht, d. h. sind Bestandteile oder Momente der Methode, weil die subjektive Spontaneität sie erst im Verlaufe des Denkens, das sich zum Denken seiner selbst bestimmt, hervorbringt — Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. 76. Die Überlegungen zu den drei Grundweisen der Dialektik stehen hier im Kontext der Problematik des Gottesbeweises; das Verhältnis von Begriff Gottes und Sein Gottes muß nach Hegel durch dialektische „Entwicklung” bestimmt werden. Vgl. auch WdL T. 2. 353 ff. — Sein und in höherer Bedeutung „Objektivität” gehört als sachhaltiges Moment zum Sich-Begreifen der Idee oder Gottes als des Geistes; es ist insofern in Hegels eigenem ontotheologischem Argument „reale” Bestimmung. Vgl. zu Hegels Ontotheologie vor allem D. Henrids: Der ontologische Gottesbeweis. 189—219. 1S2 Vgl. z. B. Enz § 162 Anm. K. Harlander {Absolute Subjektivität und kategoriale Anschauung. Vgl. 93 ff, 106 ff) vertritt die Ansicht, in der absoluten Idee müsse die Entwicklung aller einzelnen

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So ist also auch Hegels systematische Explikation der ontologischen Kategorien in der objektiven Logik schließlich nur durch das Prinzip der absoluten Subjektivität zu verstehen und zu rechtfertigen. Aufgrund dieser Differenzierung der dialektischen Methode als des Prinzips der Subjektivität in der Seins-, Wesens- und Begriffslogik ist nun erklärlich, daß noch in der Wissenschaft der Logik zwischen einer Position dessen, was dargestellt oder „gesetzt” ist, und einer Position dessen, was nur „an sich” oder „für uns” ist, unterschieden wird Diese Unterscheidung ist nicht als Indiz dafür zu werten, daß die Wissenschaft der Logik etwa der Phänomenologie noch nahe stünde; die Kennzeichnung dieser beiden Positionen findet sich zwar schon in der ersten Auflage der Wissenschaft der Logik, wird aber gerade in der zweiten Auflage deutlicher hervorgehoben. — Die Unterscheidung des „Gesetzten” von dem, was „für uns” ist, betrifft verschiedene Stadien der Methode. Eine Kategorie, die etwa durch „Übergehen” oder „Scheinen im Andern” erreicht und dargestellt wird, kann in ihrer Struktur auf eine Einheit von Bestimmungen verweisen, die erst an späterer Stelle explizierbar ist und daher zunächst nur „für uns” gilt. Solche proleptisch gebrauchten höherstufigen Begriffe werden in der Regel zur sprachlichen Verdeutlichung, nicht zur Definition der betreffenden Kategorie verwandt. Entscheidend ist aber, daß der die Kategorien und auch den Begriff selbst „betrachtende Begriff ... in unser Wissen” fällt; „die Methode ist dies Wissen selbst ...” Die Position des „Für uns” vertritt also die jeweils schon weiter entwickelte und am Schluß in ihrer Vollständigkeit dargestellte Methode, zu der die vorhergehenden Kategorien und deren dialektische Bewegung sich erst erheben sollen. Dies geschieht nach Hegel durch eine ständige „Bereicherung” des Inhalts und der methodischen Bedeutung der Kategorien und Bestimmungen, so daß „größere Ausdehnung” zugleich „höhere Intensität” bewirkt. Die Position des „Für uns” wird schließlich erreicht und eigens erörtert in der entfalteten Methode, die das „Reichste” und „Konkreteste” ist, oder in der Subjektivität als nicht-diskursiver, konkreter Allgemeinheit ^®®. — Kategorien wiederholt werden; da Hegel in der "Wissenschaft der Logik aber nur drei bzw. vier Schritte der Methode im allgemeinen darstelle, müsse die reichere Kategorienentwicklung in einem anderen Prinzip, der intellektuellen Anschauung, gründen. — Durch die drei Grundformen der Dialektik hat Hegel jedoch selbst das Problem des Verhältnisses der Kategorien und Kategoriengruppen zur dialektischen Methode gelöst. 154 Ygj_ TYdL T. 1. 96, 120, 238, 397. Diese Stellen finden sich erst in Neufassungen der zweiten Auflage. Vgl. ferner WdL T. 2. 18, 63, 270, 477. — Auf diesen Unterschied weist auch M. Wetzel in seiner Untersuchung: Reflexion und Bestimmtheit hin (vgl. 39 f). WdL T. 2. 487. >'• Vgl. WdL T. 2. 502.

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Fünftes Kapitel

Eine ähnliche Verwendung des „Gesetztseins” und des „Für-uns-Seins” findet sich auch, wie dargelegt wurde, in der Logik und Metaphysik von 1804/05; doch blieb dort der logische Inhalt noch vom Erkennen getrennt, so daß die Subjektivität in der Logik noch nicht als spontane Hervorbringung ihrer Kategorien gedacht werden konnte Die Unterscheidung der erwähnten Positionen geht in diesem früheren Entwurf Hegels wie auch in der Phänomenologie offensichtlich auf die Ausführung des transzendentalen Idealismus als Geschichte des Selbstbewußtseins zurück, wie sie der frühe Fichte und der junge Schelling unternahmen. In diesen Theorien bestand ein zentrales subjektivitätstheoretisches Problem darin, in Korrelation zu den Bewußtseins- und Erkenntnisleistungen als spezifischen Inhalt und Gegenstand des Erkennens das reine Subjekt selbst in Konstitutionsstufen aufzuweisen. In Hegels spekulativer Logik dagegen, in der der Inhalt schon der Begriff oder die Methode als Subjektivität selbst in absoluter Gültigkeit und ohne Korrelation zu einem vorausgesetzten Erkennenden ist, liegt das entsprechende Problem in der genetischen Darlegung des gesamten Beziehungsgefüges der Subjektivität, das Hegel durch die Differenzierung der Methode, nämlich durch die Architektonik der Stufen von Relationen und Einheiten löst, aus denen der Begriff der denkenden Selbstbeziehung hervorgeht. Die dialektische Methode begründet in ihren verschiedenen Formen den wissenschaftlichen Gehalt und Zusammenhang der Kategorien und erkennt sich nach Hegel selbst am Ende der Logik als den Begriff der Wissenschaft Wissenschaft ist danach die Selbsterkenntnis der Subjektivität in den verschiedenen Phasen ihrer Selbstexplikation. Die dialektische Methode, die sich als das Prinzip der Logik erwiesen hatte, ist nun für Hegel zugleich notwendige und hinreichende Erkenntnisgrundlage der realen philosophischen Wissenschaften. Der Wissenschaftscharakter der Natur- und Geistesphilosophie beruht auf der Kategorien- und Methodenlehre der Logik. Auch für die systematische Ausführung der Realphilosophien und für die Entwicklung besonderer Theorien in ihnen sind daher die Stufen des Begriffs bzw. der Idee etwa als Idee an sich, gesetzte Idee und an und für sich seiende Idee mit den jeweiligen Grundformen der Dialektik konstitutiv 1®*. So werden in den Realphilosophien die Kategorien der Logik und die Formen der Dialektik mit den durch die Vorläufigkeit des Wirklichen bedingten Modifikationen als die tatsächlichen, natürlichen und geistig-

Vgl. etwa Werke. 7. 75 f, 79, 111 und 126, 158, 172, 176. Vgl. WdL T. 2. 504 f. Vgl. z. B. Enz § 384.

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gesdiiditlidien Gestaltungen des Begriffs und der Idee dargestellt — Die Betrachtung der Dialektik z. B. in der Geistesphilosophie unterliegt deshalb denselben allgemeinen Kriterien wie die Betrachtung der Dialektik in der spekulativen Logik. Hegel hat seine Dialektik nicht etwa aus bestimmten geistig-geschichtlichen Phänomenen gewonnen; sie entstand vielmehr in der Logik, und zwar zuerst in seinem frühen Jenaer Logik-Entwurf, und sie bildet in seinem späteren System Fundament und Prinzip der Wissenschaft. Eine kritische Analyse der logischen Möglichkeit, der Tragweite und der verschiedenen Formen der dialektischen Methode kann daher nur, wie hier geschehen ist, an Hegels Logik durchgeführt werden.

D. Endliche und absolute Subjektivität als Prinzip der Philosophie Hegel hat mit der spekulativen Logik seine Lösung der idealistischen Grundlegungsproblematik ausgeführt. Die idealistischen Versuche einer neuen Grundlegung der Philosophie entzündeten sich an der Auseinandersetzung mit Kants Prinzipienpluralismus, der verschiedene, in ihrem Verhältnis zueinander freilich genau bestimmte Prinzipien für die theoretische Erkenntnis, das moralische Handeln und das ästhetische Betrachten angenommen hatte. Die einzelnen idealistischen Theorien stellten dagegen ein einziges, für alle Teile der Philosophie zureichendes, höchstes Prinzip auf, indem sie — in jeweils verschiedener Weise — ein bestimmtes Verhältnis der Subjektivität zum Absoluten entwidcelten. Diese inhaltlichen Lösungen der Prinzipienfrage sind jedoch nicht ohne systematische Lokalisierung möglich; sie können vielmehr nur im Kontext bestimmter systematischer Zuordnungen von Logik und Metaphysik sowie innerhalb der Metaphysik von Ontologie und philosophischer Theologie zueinander zustande kommen. Die Besonderheit der Lösung des späten Hegel besteht darin, daß er die Subjektivität selbst als das Absolute expliziert, und zwar als methodisches Prinzip der Grundlegungswissenschaft, nämlich der Logik, die zu1*0 Die Realphilosophien haben ihre zureichende Grundlage bei Hegel in der spekulativen Logik. Es kann wohl — auch nach Hegels Auffassung — nicht Aufgabe der Logik sein, etwa die realphilosophischen Ideen der Sittlichkeit, der Schönheit und Kunst oder der Religion zu entwickeln. Diese gehören dem objektiven Geist als einer bestimmten Stufe der realen Idee bzw. dem absoluten Geist als der realen absoluten Idee an, die aber noch in vorläufiger Anschauung und Vorstellung aufgefaßt wird. Die Logik zeichnet jedoch den methodischen Stellenwert einer solchen realen Idee im Sich-Denken der Subjektivität vor, und nur darin besteht nach Hegel der konkrete Gedankeninhalt einer realen Idee. VgL hierzu bereits Rosenkranz’ Kritik an Chalybäus (Wissensdjaft der logisdien Idee. Bd 1. 30 f, Bd 2. 220).

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Fünftes Kapitel

gleidi als Metaphysik konzipiert wird. Die anderen idealistischen Theorien unterscheiden in der .Regel die Subjektivität vom Absoluten und stellen nur einen Begriff der endlichen Subjektivität auf, und zwar entweder als erstes Prinzip oder als Folge bzw. „Phänomen” des Absoluten; in ihnen soll die reine Logik durch eine vorangehende Subjektivitätstheorie oder eine Metaphysik erst begründet werden. Diese anderen Theorien, an denen Hegel z. T. Kritik geübt hat als Vorbedingung für seine eigene Lehre, sollen hier von seiner spekulativen Logik abgegrenzt werden als differierende Lösungsmöglichkeiten derselben idealistischen Grundlegungsproblematik. Für den frühen Fid>te z. B. ist das endliche Selbstbewußtsein in seiner Strukturmannigfaltigkeit das einheitliche Prinzip der theoretischen und praktischen Philosophie. In der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95 wird der Begriff des endlichen Selbstbewußtseins allerdings erst in einer langen Deduktionsreihe hergeleitet, da es keineswegs etwas Einfaches ist; es soll damit gezeigt werden, wie die Selbstvorstellung oder das Sich-als-Subjekt-Setzen, das nur durch Selbstunterscheidung vom ebenfalls im Selbstbewußtsein zu setzenden Objekt zustande kommt, überhaupt möglich wird. Erst dann liefert Fichte als Geschichte des Selbstbewußtseins eine systematische Explikation der Fähigkeiten und Leistungen des Subjekts; diese verschiedenen Fähigkeiten und Leistungen sind in der Struktur des Selbstbewußtseins synthetisch vereinigt. — Auf dem Wege der Deduktion des Selbstbewußtseins ergibt sich für Fichte die Ableitung der Logik. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß sich bei dieser Konzeption der Ableitung der Logik aus der reinen Wissenschaftslehre als Subjektivitätstheorie Schwierigkeiten einstellen, die durch Fichtes Theorie wohl kaum zu beheben sind Wenn man einmal von seiner uneinheitlichen Methode der Ableitung und der Unvollständigkeit der Deduktion der klassischen logischen Formen und Gesetze absieht, liegt das entscheidende Problem in dem logischen Zirkel, den Fichte, wie er selbst erkennt, begehen muß. Die Wissenschaftslehre, die der Logik vorangehen und sie begründen soll, setzt für ihre Argumentationen den Sinn und die Gültigkeit der logischen Formen und Gesetze bereits voraus. Eine wissenschaftliche Ableitung der Logik aus einer ihr systematisch vorausgehenden selbständigen Theorie ist damit aber überhaupt unmöglich — Diese Lehre von der endlichen Vgl. oben S. 127—130. 1** Der logische Zirkel, wie ihn Fichte, aber auch der frühe Schelling oder Hegel in der Phänomenologie — in jeweils verschiedener Weise — begingen, ist nicht ein einfacher, rein logischer Denkfehler. Kant bemerkt zum Zirkel: „Der Zirkel im Beweisen ist oft schwer zu entdecken, und dieser Fehler wird gerade da gemeiniglich am häufigsten begangen, wo die Beweise schwer sind.” {Logik. § 92 Anm.; Gesammelte Sdiriften. IX, 135.)

D. Endlidie und absolute Subjektivität

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Subjektivität beim frühen Fichte steht zumindest dem Ansatz nach im Horizont des Gedankens des Absoluten. Das absolute Ich des ersten Grundsatzes, das in reiner Tathandlung sich selbst und sein Sein setzt, ist zwar nicht das Absolute, wie es Hegel in der Differenz-S