Das Pflege-Stärkungsgesetz 1: Was ist zu tun? - Chancen und Risiken 9783748601449

Das Pflege-Stärkungsgesetz 1 ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten. Was bedeutet das für die ambulante Pflege? Welche

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Das Pflege-Stärkungsgesetz 1: Was ist zu tun? - Chancen und Risiken
 9783748601449

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. § 8 Gemeinsame Verantwortung
3. § 18 Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit
4. § 30 Dynamisierung der Leistungen
5. § 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften
6. § 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson
7. § 40 Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen
8. § 41 Tages- und Nachtpflege
9. § 42 Kurzzeitpflege
10. § 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung
11. § 45c Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen, Verordnungsermächtigung
12. § 45e Anschubfinanzierung zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen
13. § 89
14. § 114 Qualitätsprüfungen und §115 Ergebnis von Qualitätsprüfungen
15. § 120 Pflegevertrag
16. § 122 Übergangsregelung
17. § 123 Übergangsregelung: Verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz
Literatur
Kurzübersicht der Leistungsbeträge
Vita

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Andreas Heiber

Pflege-Stärkungsgesetz 1 Was ist zu tun? – Chancen und Risiken

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet. Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2015 1. Auflage Besuchen Sie uns im Internet: www.haeusliche-pflege.vincentz.net Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Foto Titelseite: Fotolia ISBN 978-3-74860-144-9

Andreas Heiber

Pflege-Stärkungsgesetz 1 Was ist zu tun? – Chancen und Risiken

VINCENTZ NETWORK

Inhalt 1 Einleitung

4

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2  § 8 Gemeinsame Verantwortung 2.1 Was ist neu und Begründung 2.2 Kritik/Praxis 2.3 Gesetzestext

15 15 15 15

3 § 18 Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit 3.1 Was ist neu? 3.2 Begründung und Kritik 3.3 Gesetzestext

17 17 17 17

4  § 30 Dynamisierung der Leistungen 4.1 Was ist neu? 4.2 Begründung 4.3 Kritik 4.4 Gesetzestext

19 19 19 20 20

5 § 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften 5.1 Was ist neu? 5.2 Begründung 5.3 V Kritik/Praxis 5.4 Gesetzestext

25 25 26 27 36

6 § 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson 6.1 Was ist neu? 6.1 Begründung 6.3 Praxis/Kritik 6.4 Gesetzestext

39 39 39 40 43

7 § 40 Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen 7.1 Was ist neu? 7.2 Begründung 7.3 Praxis/Kritik 7.4 Gesetzestext

45 45 45 45 47

8  § 41 Tages- und Nachtpflege 8.1 Was ist neu? 8.2 Begründung 

49 49 49

Gliederung

Inhalt 8.3 Kritik/Praxis 8.4 Gesetzestext

50 55

9  § 42 Kurzzeitpflege 9.1 Was ist neu? 9.2 Kritik und Praxis 9.3 Gesetzestext

57 57 57 58

10 § 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung 10.1 Was ist neu? 10.2 Begründung 10.3 Kritik/Praxis 10.4 Gesetzestext

59 59 60 67 83

11 § 45c Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen, Verordnungsermächtigung 11.1 Was ist neu? 11.2 Begründung 11.3 Kritik und Praxis 11.4 Gesetzestext

87 87 87 90 95

12 § 45e Anschubfinanzierung zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen 12.1 Was ist neu? 12.2 Begründung 12.3 Kritik/Praxis 12.4 Gesetzestext

99 99 99 99 100

13  § 89 13.1 Was ist neu? 13.2 Begründung 13.3 Kritik/Praxis 13.4  Gesetzestext

101 101 101 102 106

14 § 114 Qualitätsprüfungen und § 115 Ergebnis von Qualitätsprüfungen 14.1 Was ist neu? 14.2 Begründung 14.3 Kritik/Praxis 14.4 Gesetzestext

109 109 109 109 110

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Inhalt

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15  § 120 Pflegevertrag 15.1 Was ist neu und Begründung 15.2 Kritik/Praxis Gesetzestext

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16  § 122 Übergangsregelung 16.1 Was ist neu? 16.2 Begründung 16.3 Kritik/Praxis 16.4 Gesetzestext

115 115 115 115 116

17 § 123 Übergangsregelung: Verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz 17.1 Was ist neu? 17.2 Begründung 17.3 Kritik/Praxis 17.4 Gesetzestext

117 117 117 118 118

Literatur

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Kurzübersicht der Leistungsbeträge

120

Autorenvita

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Kapitel 1

1  Einleitung Die Änderungen, die durch das Pflege-Stärkungsgesetz 1 (PSG 1) in die Pflegeversicherung eingeführt werden, versteht der Gesetzgeber als weiteren Zwischenschritt auf dem Weg zu einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der dann mit dem PSG 2 in 2017 eingeführt werden soll. So zumindest begründet und plant der Gesetzgeber das weitere Vorgehen. Es reiht sich ein in die schon ziemlich lange Reihe von Veränderungsgesetzen, die das Ziel haben, den anfangs allein somatisch ausgerichteten Pflegebedürftigkeitsbegriff für die weitere Betreuung von vor allem dementen Menschen zu öffnen. Zur Erinnerung hier die bisherigen wesentlichen letzten Änderungsschritte auf diesem Weg: −− 2002: Pflege-Leistungsergänzungsgesetz (PfleG): Einführung der § 45a/b mit zusätzlicher Betreuung im Umfang von bis zu 460 N pro Jahr. −− 2008: Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (PfWG): Erhöhung der Leistungen nach § 45b auf monatlich 100/200 N. −− 2012: Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG): eigenständige (erhöhte) Sachleistungsansprüche für Versicherte, die nach § 45a eingestuft sind. −− 2014: Pflege-Stärkungsgesetz 1 (PSG 1): Weiterentwicklung: Betreuungs- und Entlastungsleistungen, mehr Leistungsansprüche für Versicherte, die nach § 45a eingestuft sind. Auch wenn man über die Namensgebung streiten kann, zeigt sich doch ein Weg, den der Gesetzgeber gehen will: weg vom somatisch orientierten Leistungsbegriff hin zu einer stärkeren strukturellen Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs. Die Grundproblematik, die sich seit einigen Jahren durch die Änderungsgesetze zieht, bleibt die Gleiche: Es werden systematische Änderungen in Richtung „Betreuung“ vorgenommen, aber vor dem Hintergrund des weiterhin geltenden alten Einstufungs- und Leistungsbegriffs. Das führt unweigerlich zu Abgrenzungsproblemen und Leistungskonflikten, gerade wenn es um die praktische Abgrenzung der Grundpflege (nach § 14 im Gesetz definiert) zur Betreuung geht. In § 124 Häusliche Betreuung ist dieser „Konflikt“ auf die Spitze getrieben worden: Während der Gesetzgeber 2012 in den Gesetzestext schreibt, dass die Leistung der Häuslichen Betreuung keine Grundpflege enthalten darf, zählt er in der Gesetzesbegründung beispielsweise Spaziergänge als mögliche Leistungsvariante auf. Dabei gehört zur Grundpflege ausweislich des Gesetzestextes auch die Hilfen bei der Mobilität. Um es beispielhaft zu beschreiben: Im Rahmen der Häuslichen Betreuung darf kein Pflegedienst mit einem Rollstuhlfahrer spazieren gehen, es sei denn, der Rollstuhlfahrer fährt selbständig ohne fremde Hilfe und Beaufsichtigung. Diese Konflikte werden auch weiterhin durch das PSG 1 nicht gelöst: weder wird beispielsweise die Häusliche Betreuung (§ 124) dahin gehend verändert, dass Leistungen

7 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

Einleitung

der Hilfen zur Mobilität möglich sind; auch bei der Ausweitung der Betreuungsleistungen nach § 45b mit Entlastungsleistungen wird dieser Konflikt nicht entschärft: es darf weiterhin keine Grundpflege und damit keinerlei Hilfen bei der Mobilität erbracht werden, auch nicht im Rahmen von Entlastungsleistungen. Dazu kommen potenzielle Konflikte, die mit der Ausweitung der niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen zu tun haben: Diese können auch das Budget der Sachleistungen dann zum Teil nutzen, wenn die Grundpflege und Hauswirtschaft im Einzelfall sichergestellt ist. Wie dies tatsächlich gewährleistet und geprüft werden soll, ist offen. Zwar sollen hier die Beratungsbesuche nach § 37,3 die Qualitätssicherung übernehmen, wie die Feststellung erfolgen soll und wer konkret dazu geeignet ist, das festzustellen, bleibt weitgehend offen. Zwar verweist der Gesetzgeber insbesondere auf die Pflegeberater der Pflegekassen, die hier tätig werden können und sollen, ob diese aber praktisch in ausreichender Menge vorhanden sind und zur Verfügung stehen, dürfte für Praxiskenner fraglich sein.

Das PSG 1 hat folgende Geschichte: −− Der erste Referentenentwurf stammt vom 08.04.2014: damals hieß das Gesetz noch „Fünftes SGB XI-Änderungsgesetz“. −− Der Gesetzentwurf (BT 18/1798) vom 23.06.2014 wurde dann im Bundestag eingebracht. −− Der Bundesrat hat seine Stellungnahme in der 924. Sitzung vom 11.07.2014 abgegeben, die Bundesregierung hat mit Dokument vom 20.08.2014 (BT 18/2379) darauf geantwortet. −− Der zuständige Gesundheitsausschuss (14. Ausschuss) hat mit Dokument BT 18/2909 die wesentlichen Änderungen am 15.10.2014 veröffentlicht, −− das Gesetz wurde am 17.10.2014 im Bundestag beschlossen, −− der Bundesrat hat am 7.11.2014 festgestellt, dass der Vermittlungsausschuss nicht angerufen wird. Nach Unterschrift des Bundespräsidenten und Veröffentlichung im Bundesanzeiger kann das Gesetz zum 01.01.2015 in Kraft treten.

Erste Kommentierung Wie schon mit dem Buch „Das Pflege-Neuausrichtungsgesetz, Was ist zu tun? – Chancen und Risiken“, das ich direkt nach Verabschiedung des Gesetzes 2012 veröffentlicht habe, soll auch dieses Buch eine erste Einschätzung und Orientierung der gesetzlichen Änderungen geben. Es ist für die Praxis geschrieben, konzentriert sich also auf die Umsetzung für die Pflegedienste. Um möglichen weiteren Änderungen gerecht zu werden, wird (wie schon beim PNG-Buch) auch hier wieder ein Updateservice eingerichtet: Sollten sich noch Fakten oder Punkte kurzfristig ändern (siehe z.B: § 38a, hier ist die Änderung schon

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Kapitel 1

bekannt), werden wir sie unter folgendem Link www.pflege-staerkungsgesetz1.net ergänzen. Hier finden Sie auch die aktuelle Leistungsübersicht sowie die Kombileistungstabellen zum Ausdrucken. Das dieses Buch so schnell fertig werden konnte, liegt auch an meiner Frau und meinen Kindern, denen ich die letzten Wochenenden geklaut habe und denen ich hier danken möchte! Wie immer hat mein Freund und Kollege Gerd Nett von System & Praxis aus Wershofen Korrektur gelesen, und meine Lektoren bei Vincentz, Bettina Schäfer und Klaus Mencke, haben für den superschnellen Druck gesorgt. Auch ihnen allen sei hiermit ausdrücklich gedankt! Andreas Heiber Bielefeld, der 30.11.2014

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Einleitung

PSG 1: Die wichtigsten Änderungen für die Ambulante Pflege Hinweis. lediglich redationelle Änderungen (Titel, prozenuale Erhöhung, etc.) werden hier nicht erwähnt Betroffene Paragrafen

Geänderte Inhalte

In Kraft ab

Titel

Geändert von: Fünfte SGB XI-Änderungsgesetz in „Erstes Pflegestärkungsgesetz - PSG 1“ Die Fördermöglichkeit durch die Pflegekassen wird ausgeweitet auf Modellvorhaben, Studien, wissenschaftliche Expertisen, Fachtagungen sowie regionale Modellvorhaben

01.01.2015

§ 18 Verfahren zur Nach vier Wochen sind keine externen Gutachter Feststellung der einzuschalten, wenn die Verzögerung der BegutachPflegebedürftigkeit tung nicht der Pflegekasse zuzurechnen ist.

01.01.2015

§ 30 Dynamisierung, Verordnungsermächtigung

Der nächste Prüfzeitpunkt zur Dynamisierung der Leistungen wird auf 2017 festgelegt

01.01.2015

§ 36 Sachleistung § 37 Pflegegeld

Die Sachleistungsbeträge werden um 4 % erhöht. Die Pflegegeldbeträge sowie die Vergütungsobergrenze für Beratungsbesuche nach § 37.3 werden um 4 % erhöht

01.01.2015 01.01.2015

§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen

Der Leistungsbetrag wird um 2,67 % erhöht auf 205 F; die Definition der förderfähigen Wohngemeinschaften und Leistungen wird völlig neu gefasst: Wohngmeinschaften mit maximal 10 (12) Bewohnern, definierten ambulanten Leistungen, klare vertragliche Regelung bezüglich der Unterstützungsleistung, Abgrenzung zu einer stationären Versorgungsform sowie Prüfungsrechte der Pflegekassen und datenschutzrechtliche Klärung

01.01.2015

§ 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson

Die Leistungsbeträge werden um 4 % auf 1.612 F 01.01.2015 erhöht, der Zeitraum bei tageweiser Verhinderung wird auf 42 Tage erhöht. Bei erwerbsmäßiger Pflege (Pflegedienst und andere) können auch bis zu 50 % der Kurzzeitpflege als Verhinderungspflege abgerufen werden. Bei Verhinderungspflege durch Pflegepersonen gelten ebenfalls die 42 Tage als Berechnungsmaßstab für die Leistung. Die Kosten für die zu erstattenden Leistungen müssen nachgewiesen werden.

§ 8 Gemeinsame Verantwortung

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01.01.2015

Kapitel 1 PSG 1: Die wichtigsten Änderungen für die Ambulante Pflege Hinweis. lediglich redationelle Änderungen (Titel, prozenuale Erhöhung, etc.) werden hier nicht erwähnt § 40 Pflegehilfsmit- Die Leistungen werden überproportional auf 40 F tel und wohnum- (Pflegeverbrauchsmittel) sowie 4.000 F bei wohnfeldverbessernde umfeldverbessernden Maßnahmen angehoben. Maßnahmen § 41 Tagespflege

01.01.2015

Eigenständiger Leistungsanspruch in Höhe der am01.01.2015 bulanten Leistungen, losgelöst von anderen Leistungen

§ 42 Kurzzeitpflege Klarstellung, dass Leistung auch über Verhinderungs- 01.01.2015 pflege genutzt werden kann; Pflegebedürftige können nun unabhängig vom Alter auch Kurzzeitpflegeleistungen in Behinderteneinrichtungen nutzen § 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen

Ausweitung auf zusätzliche Betreuungs- und Entlas- 01.01.2015 tungsleistungen; alle Pflegebedürftigen erhalten Entlastung bis 104 F; dazu Versicherte ohne Stufe aber mit eingeschränkter Alltagskompetenz; den erhöhten Betrag erhalten Versicherte/Pflegebedürftige nur bei erhöhter eingeschränkter Alltagskompetenz; Pflegedienste können neben Betreuungs- auch hauswirtschaftliche Leistungen anbieten; zu den niedrigschwelligen Betreuungsleistungen kommen niedrigschwellige Entlastungsleistungen; für diese kann bis zu 40 % der Pflegesachleistung genutzt werden

§ 45c Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen, Verordnungsermächtigung

ausführliche Beschreibung der neuen Entlastungsleistung

§ 45e: Anschubfinanzierung zur Gründugn von ambulant betreuten Wohngruppen

Anschubfinanzierung für neue Wohngemeinschaften 01.01.2015 entfristet, die Mittel (ehemals 30 Mill.) können verbraucht werden; Zuschüsse können auch für Umgestaltungsmaßnahmen vor Gründung und Einzug genutzt werden

§ 55 Beitragssatz

Beitragssatz wird auf 2,35 Prozent angehoben (bisher 2,05 %)

01.01.2015

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Einleitung

PSG 1: Die wichtigsten Änderungen für die Ambulante Pflege Hinweis. lediglich redationelle Änderungen (Titel, prozenuale Erhöhung, etc.) werden hier nicht erwähnt § 89 in Verbindung die Zahlung von tariflich (auch kirchenrechlich) vermit § 84 einbarten Gehältern ist immer wirtschaftlich; wird dies in der Vergütungsvereinbarung vereinbart, sind die Pflegedienste zur Zahlung in dieser Höhe an die Mitarbeiter verpflichtet, ansonsten ist dies ein Vertragsverstoß nach § 115 und kann zu Rückforderungen führen

01.01.2015

Die verpflichtende Zeitabrechnung ist gestrichen, sie kann weiterhin frei vereinbart werden

01.01.2015

01.01.2015 § 114 Qualitätsprü- Bei Verdacht auf eine nicht fachgerechte Pflege soll fungen die Stichprobe um die betroffenen Pflegebedürftigen ausgeweitet werden; es wird dann als Anlassprüfung durchgeführt § 115 Ergebnisse von Qualitätsprüfungen

Bei Anlassprüfungen bildet die gesamte Prüfgrupppe 01.01.2015 die Grundlage für die Bewertung und Darstellung; es ist darzustellen, ob es sich um eine Anlass-, Regeloder Wiederholungsprüfung handelt.

§ 120 Pflegevertrag Im Pflegevertrag sind die gewählten Leistungen und Kosten darzustellen; vor Vertragsabschluss ist ein Kostenvoranschlag zu erstellen, allerdings entfällt der durch das PNG eingeführte Vergleich zwischen Zeitabrechnung und Leistungskomplexen

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01.01.2015

§ 122 Übergangsregelung

Bisherige Leistungsbezieher erhalten Zuschläge nach 38a weiter (Bestandsschutz)

§ 123 Verbesserte Leistungen für Personen mit eingeschränkter Alltagskomeptenz

Die Leistungen für Versicherte mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz werden (unabhängig von der Pflegestufe) ausgeweitet auf die Tages- und Kurzzeitpflege sowie die Förderung in Wohngruppen nach § 38a und 45e

01.01.2015

§§ 131 bis 139

Einführung eines Pflegevorsorgefonds, in dem 0,1 % der Beiträge eingestellt werden

01.01.2015

Kapitel 1

In diesem Buch werden alle hier aufgeführten ambulanten Änderungen in mehreren Schritten dargestellt: −− Was ist neu? Zunächst werden die Änderungen zur bisher gültigen Gesetzestextfassung zusammengefasst. −− Begründung: Die Begründung und Motive für die Änderungen aus Sicht des Gesetzgebers werden im nächsten Punkt erläutert. −− Kritik/Praxis: Die Bewertung, was die Änderungen für die ambulante Pflege bedeuten und wie man sie umsetzen kann, erfolgt im dritten Punkt. Je nach Thema/Änderung nimmt dieser Punkt den meisten Raum ein. Nicht weiter kommentiert wird die Neuschaffung eines Pflegevorsorgefonds sowie die Erweiterungen im Bereich der stationären Alltagshilfen nach § 87b sowie die Änderung durch das Pflegezeitgesetz in § 44a, das Anfang Dezember verabschiedet wurde. Soweit nicht anders angegeben, sind die angegebenen Paragrafen immer im SGB XI zu finden.

Was hat sich geändert, was nicht? Das Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG) sollte die Pflege neu ausrichten in ‚Richtung‘ des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Deshalb wurden Leistungen erweitert, der Leistungsbezug in der Grundpflege durch die Zeitabrechnung flexibilisiert und die neue Leistung „Häusliche Betreuung“ eingeführt. Zunächst sollte, wie im Referentenentwurf des PNG vorgeschlagen, die Häusliche Betreuung durch sogenannte Betreuungsdienste erbracht werden. Diese sollten eine niedrigere Qualifikation etc. als ein Pflegedienst benötigen und nur Betreuung erbringen. Um die Abgrenzung zur Pflege zu gewährleisten, wurde die „Häusliche Betreuung“ an die Bedingung geknüpft, dass die Grundpflege und Hauswirtschaft im Einzelfall sichergestellt ist. Aufgrund vieler Einwände und Widerstände hat der Gesetzgeber dann die Einführung reiner Betreuungsdienste aufgegeben und allein deren Erprobung über § 125 als Modellversuch mit dem PNG ins Gesetz aufgenommen. Die „Häusliche Betreuung“ als Leistung blieb jedoch so erhalten und ist nun als Sachleistung Bestandteil des Leistungsangebots der Pflegedienste. Die Zeitabrechnung, die je nach Bundesland (und Leistungskatalog) tatsächlich zu einer Flexibilisierung führen kann, wurde zwar durch das PNG eingeführt, in der Praxis der meisten Bundesländer aber bis heute nicht umgesetzt. Lediglich Bremen hat von Januar 2013 an die gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt und eine Zeitabrechnung eingeführt. In Niedersachsen wurde die Zeitabrechnung mit hohem politischen Druck des Sozialministeriums auf der Basis einer umstrittenen Punktwertumrechnung Mitte 2013 eingeführt, Hamburg folgte dann nach einer Schiedsstellensitzung und Vergleichsverhandlung im November 2013. Auch in Bayern wurde erst nach einer Vergleichsverhandlung unter

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Einleitung

Mitwirkung der Schiedsstelle ein Kompromiss für die Wohlfahrtseinrichtungen gefunden, der im Juli 2014 umgesetzt wurde. Alle anderen Länder haben keine Grundpflege nach Zeit eingeführt, so dass das Negieren von gesetzlichen Vorgaben und das Abwarten letztlich „belohnt“ wurde (siehe auch § 89). Aber als eine wesentliche Änderung des PNG bleibt die „Häusliche Betreuung“ nach § 124 weiterhin als Leistung erhalten und muss nun auch in den Ländern umgesetzt werden, die bisher keine Vereinbarung getroffen haben. Dabei ist die Leistung in ihrer Widersprüchlichkeit kaum zu erbringen (siehe auch Heiber 2012). Denn obwohl der Gesetzgeber in der Begründung als Leistungsvarianten auch den Spaziergang oder die Begleitung von Veranstaltungen benannt hat, hat er genau dies im Gesetzestext fast immer ausgeschlossen: denn wenn der Pflegebedürftige/Versicherte Hilfen beim Gehen, Stehen oder Treppensteigen benötigt, und sei es auch nur die Anleitung oder Beaufsichtigung, ist diese Leistung nicht zulässig, denn diese Hilfen gehören nach § 14 SGB XI zur Grundpflege. Leider hat es der Gesetzgeber auch versäumt, im PSG 1 hier redaktionelle Änderungen vorzunehmen. Allein wenn er schon das Verbot der Grundpflege auf die Körperpflege beschränkt hätte, wäre der Praxis geholfen. So kann man diese Leistung gesetzeskonform kaum umsetzen. Denn formal sind selbst Hilfen beim Aufstehen vom Sessel verboten. Aber vielleicht gibt es ja auch hier noch kurzfristig eine Anpassung der gesetzlichen Norm.

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Kapitel 2

2  § 8 Gemeinsame Verantwortung 2.1 Was ist neu und Begründung Als förderfähige Maßnahmen im Rahmen der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung sind nun neben Modellvorhaben auch die Finanzierung von Studien, Expertisen sowie Fachtagungen möglich. Zudem sollen zusätzlich regionale Modellvorhaben, die sich nur auf einzelne Länder beschränken, berücksichtigt werden.

2.2 Kritik/Praxis Im Rahmen der Modellförderung wurden in der Vergangenheit die verschiedensten Projekte gefördert und weiterentwickelt, sei es das „Persönliche Budget“ oder auch die „Pflegebegleiter“. Einige Abschlussberichte von Modellprojekten findet man auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes, der als Spitzenverband Bund der Pflegekassen fungiert. Die Ausweitung über Modellvorhaben hinaus ermöglicht auch die bessere und gezieltere Förderung von einzelnen Projekten. Deshalb kann es durchaus interessant sein, eigene Projekte zur Förderung vorzuschlagen, selbst wenn sie nur einzelne Aspekte zur Weiterentwicklung untersuchen wollen oder nur regional angelegt sind.

2.3 Gesetzestext 3) Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen kann aus Mitteln des Ausgleichs§ (fonds der Pflegeversicherung mit 5 Millionen Euro im Kalenderjahr Maßnahmen wie Modellvorhaben, Studien, wissenschaftliche Expertisen und Fachtagungen zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, insbesondere zur Entwicklung neuer qualitätsgesicherter Versorgungsformen für Pflegebedürftige, durchführen und mit Leistungserbringern vereinbaren. Dabei sind vorrangig modellhaft in einer Region Möglichkeiten eines personenbezogenen Budgets sowie neue Wohnkonzepte für Pflegebedürftige zu erproben. Bei der Vereinbarung und Durchführung von Modellvorhaben kann im Einzelfall von den Regelungen des Siebten Kapitels sowie von § 36 und zur Entwicklung besonders pauschalierter Pflegesätze von § 84 Abs. 2 Satz 2 abgewi-

15 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 8 Gemeinsame Verantwortung

chen werden. Mehrbelastungen der Pflegeversicherung, die dadurch entstehen, dass Pflegebedürftige, die Pflegegeld beziehen, durch Einbeziehung in ein Modellvorhaben höhere Leistungen als das Pflegegeld erhalten, sind in das nach Satz 1 vorgesehene Fördervolumen einzubeziehen. Soweit die in Satz 1 genannten Mittel im jeweiligen Haushaltsjahr nicht verbraucht wurden, können sie in das Folgejahr übertragen werden. Die Modellvorhaben sind auf längstens fünf Jahre zu befristen. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen bestimmt Ziele, Dauer, Inhalte und Durchführung der Maßnahmen; dabei sind auch regionale Modellvorhaben einzelner Länder zu berücksichtigen. Die Maßnahmen sind mit dem Bundesministerium für Gesundheit abzustimmen. Soweit finanzielle Interessen einzelner Länder berührt werden, sind diese zu beteiligen. Näheres über das Verfahren zur Auszahlung der aus dem Ausgleichsfonds zu finanzierenden Fördermittel regeln der Spitzenverband Bund der Pflegekassen und das Bundesversicherungsamt durch Vereinbarung. Für die Modellvorhaben ist eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung vorzusehen. § 45c Abs. 4 Satz 6 gilt entsprechend.

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Kapitel 3

3  § 18 Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit

3.1 Was ist neu? Analog der Regelung in § 18, Abs. 3b wurde nun auch in die Regelung nach Abs. 3a eingeführt, dass die Pflegekassen nur dann nach Ablauf von 4 Wochen handeln müssen (andere Gutachter vorschlagen), wenn die Verzögerung von den Pflegekassen zu vertreten ist. Dabei dürften Verzögerungen, die durch Verschulden des (im ersten Schritt beauftragten) MDK verursacht sind, im Regelfall der Pflegekasse zuzurechnen sein.

3.2 Begründung und Kritik Bisher war die Pflegekasse in jedem Fall verpflichtet, nach vier Wochen andere Gutachter als den MDK zu beauftragen, wenn die Begutachtung nicht innerhalb der vier Wochen ab Antragsstellung durchgeführt wurde. Und zwar auch dann, wenn die Pflegekasse die Gründe nicht zu vertreten hatte. Formal also in den Fällen, in denen ein Termin mit dem MDK nicht zustande kam, weil der Kunde den Termin nicht wahrnehmen konnte oder kurzfristig abgesagt hat. Die Zahlungspflicht von 10 N pro Woche verzögerter Begutachtung, die in § 18 Abs. 3b geregelt ist, sieht diese Ausnahme (die Pflegekasse muss nur dann zahlen, wenn sie die Verzögerung zu vertreten hat) seit ihrer Einführung durch das PNG vor. Daher ist die Änderung auch für die Beauftragung anderer Gutachter nach dem Fristablauf nachvollziehbar.

3.3 Gesetzestext 3a) Die Pflegekasse ist verpflichtet, dem Antragsteller mindestens drei unabhängige § (Gutachter zur Auswahl zu benennen, 1. soweit nach Absatz 1 unabhängige Gutachter mit der Prüfung beauftragt werden sollen oder

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§ 18 Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit

2. wenn innerhalb von vier Wochen ab Antragstellung keine Begutachtung erfolgt ist. Auf die Qualifikation und Unabhängigkeit des Gutachters ist der Versicherte hinzuweisen. Hat sich der Antragsteller für einen benannten Gutachter entschieden, wird dem Wunsch Rechnung getragen. Der Antragsteller hat der Pflegekasse seine Entscheidung innerhalb einer Woche ab Kenntnis der Namen der Gutachter mitzuteilen, ansonsten kann die Pflegekasse einen Gutachter aus der übersandten Liste beauftragen. Die Gutachter sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nur ihrem Gewissen unterworfen. Satz 1 Nummer 2 gilt nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat.

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Kapitel 4

4  § 30 Dynamisierung der Leistungen 4.1 Was ist neu? Es werden alle Leistungsbeträge um 4 % erhöht, weil der Gesetzgeber die Erhöhung an der Inflationsentwicklung ausrichtet, die in den letzten Jahren entsprechend niedrig war. Deshalb spricht er auch von einer Erhöhung am aktuellen oberen Rand. Leistungen, die erst im Oktober 2012 eingeführt wurden (das sind der Wohngruppenzuschlag nach § 38a sowie Leistungen für Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 123) werden entsprechend der kürzeren Existenz nur um 2,67 % erhöht. Die Beträge wurden entsprechend kaufmännisch gerundet. In der Übersicht (Seite 22) werden alle Leistungsbeträge alt und neu ausgewiesen. In folgenden Einzelvorschriften wurden die Leistungsbeträge geändert: −− § 36 Sachleistungen −− § 37 Pflegegeld −− § 37.3 Vergütungsobergrenzen für Beratungseinsätze −− § 39 Verhinderungspflege −− § 40 Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen (hier erfolgte eine höhere Steigerung, Begründung siehe § 40) −− § 41 Tages- und Nachtpflege −− § 42 Kurzzeitpflege −− § 43 Vollstationäre Pflege −− § 43a Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen −− § 123 Übergangsregelung: Verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz

4.2 Begründung Die mit dem PSG 1 eingeführten Leistungsverbesserungen für alle Sach- und Geldleistungen der Pflegeversicherung basieren auf der 2008 konkretisierten Regelung zur Anpassung und Dynamisierung der Leistungen nach diesem Paragrafen: damals wurden die Leistungen bis auf die Beträge bei Beratungsbesuchen nach § 37.3 und die Leistungen der Pflegehilfsmittel nach § 40 in drei Stufen (2008, 2010, 2012) angepasst sowie festgelegt,

19 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 30 Dynamisierung der Leistungen

dass spätestens 2014 die nächste Anpassung zu prüfen ist. Daher ist die Leistungserhöhung 2015 eine logische und festgelegte Folge der Regelungen aus 2008.

4.3 Kritik Die Leistungsanpassungen, die nun zum 1.1.2015 mit dem PSG 1 umgesetzt werden, sind 2008 fest gelegt worden, damit führt die aktuelle Regierung hier nur den Gesetzesauftrag durch. Ob die Anpassung allein über die Inflationsrate die tatsächlichen Kostensteigerungen der letzten 3 Jahre auffängt, darf bezweifelt werden. Denn vor allem die Personalkosten sind teilweise höher gestiegen als die Inflationsrate. Der Gesetzgeber begründet die deutlich höhere Steigerung der Leistungen im Bereich der Pflegehilfsmittel nach § 40 mit der bisher fehlenden Anpassung in den letzten Jahren. Diese Beträge wurden 2008 nicht angepasst, sondern nun erstmalig 2015. Bei der Vergütung für Beratungseinsätze nach § 37.3 wurden die Beträge zwar einmalig im Jahre 2008 angepasst (von damals 16 N auf 21 N bzw. von 26 N auf 31 N), danach aber nicht mehr. Trotzdem erfolgt nun aktuell nur eine Anpassung um 4 %, obwohl hier nicht der Zeitraum von 2012 bis 2014 als Maßstab dienen müsste, sondern der Zeitraum von 2008 bis 2014. Außerdem hat sich der Beratungsumfang deutlich ausgeweitet, allein schon wegen der neuen Leistungsmöglichkeiten (seit 2008 bzw. 2012), aber auch wegen der Beratungsaufgaben in Bezug auf Demenz etc. Gerade wenn man die Begründung des Gesetzgebers zur Leistungsausweitung im Bereich § 45b/c liest, insbesondere zum Ansatz, auch die Pflegepersonen stärker ins Blickfeld von Leistungen zu nehmen, ist die nur vierprozentige Erhöhung dieser Leistung weder nachvollziehbar noch verständlich noch ist die Höhe der Maximalbeträge leistungsgerecht. Anders als andere Vergütungen sind diese Beträge als Höchstgrenzen ausgestaltet, bis zu deren Grenze der Pflegedienst die Vergütung frei festlegen kann (siehe BSG vom 17.12.2009, B 3 P 3/08 R). Sie sind nicht Bestandteil der Vergütungsvereinbarungen nach § 89, auch das hat das BSG in seinem Urteil festgestellt.

4.4 Gesetzestext Verordnungsermächtigung § 3(1)0 Dynamisierung, Die Bundesregierung prüft alle drei Jahre, erneut im Jahre 2017, Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung. Als ein Orientierungswert für die Anpassungsnotwendigkeit dient die kumulierte

20

Kapitel 4

Preisentwicklung in den letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahren; dabei ist sicherzustellen, dass der Anstieg der Leistungsbeträge nicht höher ausfällt als die Bruttolohnentwicklung im gleichen Zeitraum. Bei der Prüfung können die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit berücksichtigt werden. Die Bundesregierung legt den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einen Bericht über das Ergebnis der Prüfung und die tragenden Gründe vor. (2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Vorlage des Berichts unter Berücksichtigung etwaiger Stellungnahmen der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes die Höhe der Leistungen der Pflegeversicherung sowie die in § 37 Abs. 3 festgelegten Vergütungen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zum 1. Januar des Folgejahres anzupassen. Die Rechtsverordnung soll frühestens zwei Monate nach Vorlage des Berichts erlassen werden, um den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

21

§ 30 Dynamisierung der Leistungen

Leistungsansprüche 2014 und 2015 im Vergleich Leistung

Ohne PflegePflegestufe stufe 1

Pflegestufe 2

Pflegestufe 3

Härtefall

Sachleistung § 36 bis 2014

-

450 F

1.100 F

1.550 F

1.918 F

ab2015

-

468 w

1.144 w

1.612 w

1.995 w

bis 2014

225 F

665 F

1.250 F

1.550 F

1.918 F

ab 2015

231 F

689 w

1.298 w

1.612 w

1.995 w

bis 2014

-

235 F

440 F

700 F

ab 2015

-

244 w

458 w

728 w

bis 2014

120 F

305 F

525 F

700 F

ab 2015

123 F

316 F

545 F

728 F

bei Einstufung nach § 45a

Pflegegeld § 37

bei Einstufung nach § 45a

Verhinderungspflege § 39 bis 2014 bis 2014

keine

bis 1.550 F, kein Zugriff auf Kurzzeitpflege

keine

bis 1.612 w

bis 1.550 F, kein Zugriff auf Kurzzeitpflege

bei Einstufung nach § 45a

bis 1.612 w Zusätzlich bis 50 % der Kurzzeitpflege (806 w) nutzbar, max. 2.418 F

Pflegehilftsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen § 40 Pflegeverbrauchsmittel bis zu Wohmumfeldverbessernde Maßnahmen bis zu bis zu

31 F

40 w

2.557 F

4.000 w

-

104 w

Zusätzliche Betreuungsleistungen § 45b Ohne Einstufung

22

Grundbetrag

bis zu

100 F

104 w

Erhöhter Betrag

bis zu

200 F

208 w

Kapitel 4 Leistungsansprüche 2014 und 2015 im Vergleich Tagespflege § 41

Ohne PflegePflegestufe stufe 1

bis 2014 max. 150 % bis 2014 max. 150 % bei Einstufung nach § 45a

231 w

Pflegestufe 2

Pflegestufe 3

Härtefall

450 F

1.100 F

1.550 F

1.550 F

468 w

1.144 w

1.612 w

-

450 F

1.100 F

1.550 F

1.550 F

689 w

1.298 w

1.612 w

-

Hinweis: keine Anrechnung beim ambulanten Leistungen mehr Kurzzeitpflege § 42 bis 2014 bis 2014

keine

bis 1.550 F

keine

bis 1.612 w

keine

bis 1.550 F

bei Einstufung nach § 45a

bis 1.612 w

Vollstationäre Pflege § 43 bis 2014

-

1.023 F

1.279 F

1.550 F

1.918 F

keine

1.064 w

1.330 w

1.612 w

1.995 w

23

24

Kapitel 5

5  § 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

5.1 Was ist neu? Der Zugang zu Leistungen zum Wohngruppenzuschlag des § 38a ist völlig neu geregelt worden: Kriterien für den Leistungsbezug des einzelnen Bewohners/Mieters sind nun (Abs. 1): 1. Gemeinsames Wohnen von mindestens drei, höchstens 10 Personen (Hinweis: wird vermutlich bis Jahresende 2014 auf 12 Personen korrigiert), die zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung zusammen leben, davon müssen mindestens zwei weitere Personen Leistungen der Pflegeversicherung (Pflegestufe 1 bis 3 oder wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, aber ohne Pflegestufe) beziehen, 2. Leistungsbezug von ambulanten Sach-, Geld-, oder Kombinationsleistungen, von zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45b oder von Leistungen nach § 123 (wegen eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a), 3. Die gemeinschaftliche Beauftragung (von den Mitgliedern der Wohngemeinschaft) einer Person für allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten oder für hauswirtschaftliche Unterstützung. 4. Prüf- und evtl. Ausschlusskriterium für den Leistungsbezug ist die Frage, ob ein Anbieter oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen im Umfang einer vollstationären Versorgung anbietet und deshalb die aktive Einbindung des eigenen Umfeldes (Pflegepersonen) oder anderer Ressourcen nicht nötig ist. Um die tatsächlichen Verhältnisse prüfen zu können, sind die Pflegekassen berechtigt, eine Reihe von weitergehenden Unterlagen zu prüfen (Abs. 2): dazu gehören neben der formlosen Bestätigung, dass es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen handelt (vom Versicherten) auch Adresse/Gründungsdatum der Wohngemeinschaft sowie deren Grundriss einschließlich Mietvertrag und Pflegevertrag nach § 120 sowie die Vereinbarung bezüglich der gemeinsam beauftragten Person nach Punkt 3 Darüber hinaus wird die Leistung von 200 auf 205 Euro erhöht, nun erhalten alle Leistungsbezieher den Zuschlag, auch Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (siehe § 123).

25 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

5.2 Begründung Die wesentlichen Änderungen dieses Paragrafen beruhen auf der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf des PSG 1 vom 20.08.2014 (BT Drucksache 18/2379). Der Bundesrat hat richtigerweise festgestellt, dass die bisherige Fassung des § 38a nicht einheitlich und konfliktfrei ausgelegt wird, also selbst die identische Wohngemeinschaft von unterschiedlichen Pflegekassen unterschiedlich bewertet wird. Gerade der bisherige Begriff (siehe auch Grafik Seite 28 Gegenüberstellung der Regelungen) der „freien Wählbarkeit“, also der tatsächlichen Selbstbestimmung der Bewohner, hat zu vielen Konflikten geführt. Streng ausgelegt würde dieses Kriterium bedeuten, nur eine Wohngemeinschaft, die wirklich von den Bewohnern selbst gegründet und organisiert worden ist, ist tatsächlich selbstbestimmt. Aber wenn beispielsweise ein Pflegedienst eine entsprechend große Wohnung organisiert oder verschiedene Interessenten zusammenführt, dann wäre die Wohngemeinschaft nicht mehr selbstbestimmt und damit nicht mehr förderfähig im Sinne § 38a. Auch die Frage, ob demente Pflegebedürftige überhaupt selbstbestimmt entscheiden können, entzweit schon die Rechtsprechung. Zumal in immer mehr Landespflegegesetzen sinnvollerweise mehrere Modelle von ambulanten Wohngemeinschaften zugelassen sind/werden: selbst organisierte genauso wie trägerorganisierte. Die Länder haben auch richtig angemerkt, dass es weniger darum gehen kann, nur „selbstorganisierte“ Wohngemeinschaften zu fördern. Vielmehr sollten mit dem Wohngruppenzuschlag Alternativen zur vollstationären Versorgung entwickelt und durch diese Zuschüsse gefördert werden und nicht nur eine ganz bestimmte Art von Wohngemeinschaften. Ziel des Wohngruppenzuschlags soll die Förderung von alternativen Wohnformen außerhalb der stationären Versorgung sein, dazu ist das Merkmal der freien Wählbarkeit weder hilfreich noch wichtig. Auch stellen die Länder in ihrem Bundesratsantrag selbst fest, dass der Rückgriff auf entsprechende heimrechtliche Regelungen auch deshalb nicht hilfreich ist, weil sie je nach Bundesland völlig unterschiedlich die Wohngemeinschaften regeln. Daher schlagen die Länder den neuen Weg vor, den der Bundesgesetzgeber auch fast wörtlich aus der Bundestagsdrucksache übernommen hat. Allerdings ist der Gesetzestext bei der Anzahl der Pflegebedürftigen pro Wohngruppe unerklärlicherweise (auch ohne weitere Begründung) vom Bundesratsentwurf abgewichen und hat statt 12 10 Bewohner als Grenze festgeschrieben. Dabei nennen fast alle Landesheimgesetze 12 Bewohner als Grenze zur Definition einer Wohngemeinschaft. Der Bundesrat hat in seinem Zustimmungsbeschluss vom 7.11.2014 dies in einem Änderungsantrag dokumentiert: hier fordern die Länder Niedersachen und Nordrhein-Westfalen eine Begründung oder Änderung wieder auf 12 Plätze. Würde man bei 10 Plätzen bleiben, könnte es weiterhin größere Wohngemeinschaften geben, die Bewohner müssten nur auf den Zuschlag nach § 38a verzichten. Vorhandene Wohngemeinschaften beispielsweise mit

26

Kapitel 5

12 Plätzen müssten dann nicht nur zwei Zimmer leer stehen lassen, die entsprechenden Kosten der Miete/Nebenkosten sowie der gemeinschaftlich vereinbarten Betreuung würden dann nicht mehr durch 12, sondern nur noch durch 10 zu teilen sein, entsprechend würden die Kosten für alle steigen. Nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag und neben der Eingabe des Bundesrates gab es mittlerweile sehr viele Proteste und Hinweise an das Ministerium, so dass noch bis zum Inkrafttreten des PSG 1 zum 01.01.2015 eine Änderung an dieser Stelle erfolgen soll, wie man inzwischen auch aus dem zuständigen Bundesministerium hört. Die Änderung soll über das Pflegezeitgesetz erfolgen, das auch noch in diesem Jahr verabschiedet wird. Deshalb werden wir mögliche weitere Konsequenzen der Reduzierung auf 10 Plätze hier nicht mehr kommentieren. Um die Wohngemeinschaften von stationären oder quasi stationären Einrichtungen abzugrenzen, ist es konzeptionell nach der neuen Vorschrift vorauszusetzen, dass eine aktive Mitarbeit des persönlichen Umfeldes, wie Pflegepersonen oder andere, weiterhin nötig ist. Ist eine solche Mitarbeit nicht vorgesehen, handelt es sich nicht um eine ambulante Wohngemeinschaft im Sinne des § 38a und ein Zuschuss ist nicht möglich (das schließt nicht aus, dass die Wohngemeinschaft weiterhin nach Landesrecht anerkannt ist). Wichtig war den Ländern auch, dass die Beauftragung einer Kraft für organisatorische, pflegerische oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten gemeinsam erfolgen soll, also im Sinne einer Auftraggebergemeinschaft. Auch soll durch die Nachweispflicht der Kontaktdaten der Person sowie deren Beauftragung/Vertrag für die Pflegekassen überprüfbar werden, wie der Zuschlag tatsächlich genutzt wird. In der Vergangenheit, so stellen die Länder fest, wurde oft der Zuschlag ohne konkrete Benennung von zusätzlichen Leistungen an den Pflegedienst abgetreten.

5.3 Kritik/Praxis Vergleicht man die alten und neuen Förderkriterien, wird die geänderte Ausrichtung der Definition deutlich. Die Kernänderung betrifft die Frage der Ausrichtung der Wohngemeinschaft: dabei ist nicht mehr die „freie Wählbarkeit“ das Abgrenzungsmerkmal, sondern die aktive Mitarbeit der eigenen Ressourcen.

27 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

Kriterien für den Bezug des Zuschlags in ambulant betreuten Wohngruppen nach § 38a im Vergleich

Definition PNG, 2012

Definition PSG 1, 2015

Anzahl Bewohner

Mindestens 3 Pflegebedürftige, keine Höchstmenge

Mindestens 3, höchstens 10 (12, wird korrigiert)

Pflegeeinstufung

Nur ab Pflegestufe 1

Pflegestufe 1 sowie Versicherte mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz aber ohne Pflegestufe

Ambulante Wohnform

gemeinsam Wohnen

gemeinsam Wohnen

Ambulante Leistungen

Leistungsbezug § 36, § 37, § 38

§ 36, § 37, § 38, § 45b oder § 123

Weitere Kraft

Pflegekraft tätig für organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeit

gemeinsam von dem Mitglieder der WG beauftragte Person, die organisatorische, verwaltende, betreuuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten verrichtet oder hauswirtschaftliche Unterstützung leistet

Freie Wählbarkeit

keine Wohnform, wenn freie Wählbarkeit rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt ist

Heimrecht der Länder

Wohngemeinschaft nach Landesheimgesetzen

Stationär vergleichbare Versorgungsform

liegt eine Versorgungsform vor, in der ein Anbieter den Versorgungsumfang analog einer stationären Einrichtung anbietet oder gewährleistet; keine vollständige Versorgung durch Anbieter, sondern aktive Mitarbeit des Umfeldes oder eigener Ressourcen konzeptionell notwendig

Prüfunterlagen für die Pflegekassen

28

formlose Bestätigung, das man in einer Wohngemeinschaft lebt; Adresse und Gründungsdatum; Mietvertrag einschließlich Grundriss sowie Pflegevertrag nach § 120; Name und Anschrift der beauftragten Person; vereinbarte Aufgaben der beauftragten Person

Kapitel 5 Gemeinsames Wohnen Das erste Kriterium, das gemeinsame Wohnen, wird textlich nicht zu bisherigen Fassung verändert, vielmehr wird auf die in der Praxis bewährte Definition der Spitzenverbände der Pflegekassen verwiesen: dazu der Auszug:

Gemeinsame Wohnung ➠➠2.1 Die Zahlung des pauschalen Wohngruppenzuschlags setzt voraus, dass mindestens drei Pflegebedürftige in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben. Von einer gemeinsamen Wohnung kann ausgegangen werden, wenn der Sanitärbereich, die Küche und, wenn vorhanden, der Aufenthaltsraum einer abgeschlossenen Wohneinheit von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden. Die Wohnung muss von einem eigenen, abschließbaren Zugang vom Freien, von einem Treppenhaus oder von einem Vorraum zugänglich sein. Es handelt sich nicht um eine gemeinsame Wohnung, wenn die Bewohner jeweils in einem Apartment einer Wohnanlage oder eines Wohnhauses leben. Hinweise darüber können sich z. B. aus dem abgeschlossenen Mietvertrag, der Teilungserklärung (notarielle Differenzierung zwischen Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum) oder dem Wohnungsgrundriss ergeben. (Gemeinsames Wohnen, Auszug aus Rundschreiben Pflegekassen zu § 38a, Stand 17.04.2013)

Die Abgrenzung stellt klar, dass beispielsweise eine Reihe von Appartements, die zusätzlich einen gemeinsamen Aufenthaltsraum haben, keine Wohngemeinschaft in diesem Sinne darstellen. Ohne eine gemeinsame Küche und eine gemeinsame Wohnungstür ist es keine Wohngemeinschaft, sondern nur eine Ansammlung von eigenen Wohnungen (z.B. wie Betreutes Wohnen).

Größe der Wohngemeinschaft Auch wenn wir davon ausgehen, dass die im Gesetz aktuell genannte Zahl von 10 Pflegebedürftigen kurzfristig bis zum Inkrafttreten am 01.01.2015 auf 12 angehoben wird, kann es in einigen Bundesländern ohne Größenbeschränkung (z.B. Schleswig-Holstein) auch größere Wohngemeinschaften geben, deren Bewohner/Mieter dauerhaft keine Zuschüsse im Sinne § 38a erhalten. Denn durch die Vorlage des Grundrisses ist objektiv prüfbar, wie viele Zimmer diese Wohngemeinschaft umfasst. Auch die Idee, beispielsweise ein Zusatzzimmer als Gästezimmer zu deklarieren, in dem dann dauerhaft andere Pflegebedürftige im Rahmen der Verhinderungspflege betreut werden, stellt das Konzept der ambulanten

29

§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

Wohngemeinschaft und damit die Finanzierung des Zuschlages infrage: Eine Belegung eines solches Gästezimmers kann nur über den Betreiber der WG erfolgen, allerdings im Regelfall nicht im Interesse der Bewohner sein. Denn wer will schon jeden Tag völlig fremde Mitbewohner an seinem Esstisch haben, die nach einiger Zeit wieder wechseln. Wenn der Betreiber das Belegungsrecht über solch ein Gästezimmer ausüben darf, stellt sich auch die Frage, ob dies dann noch eine ambulante Wohngemeinschaft ist oder nicht doch ein Kleinheim, im dem der Betreiber eigenständig (und in diesem Sinne eigensinnig) die Zimmer belegen kann. Auch müsste die Betreuungspauschale (siehe unten) jeweils neu angepasst werden, denn deren Berechnungsgrundlage sind die maximal 12 ständigen Pflegebedürftigen/Bewohner. Es kommt bei der Gesetzesformulierung zur Anzahl der Bewohner nicht darauf an, dass die zusammenlebenden Menschen alle leistungsberechtigt im Sinne der Pflegeversicherung sind, sondern nur, ob sie zur „gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung“ zusammen leben. Es wäre also auch vorstellbar, dass hier schon einige Bewohner/Mieter einziehen, die noch keinen Anspruch auf Pflegeversicherungsleistungen haben (weder Pflegestufe oder erhebliche eingeschränkte Alltagskompetenz), aber trotzdem schon hier wohnen. Zu denken ist an Pflegebedürftige, die allein somatisch eingeschränkt sind, aber noch nicht den Umfang an Hilfe der Pflegestufe 1 erreicht haben. Auch diese können mit anderen Pflegebedürftigen (auch Pflegestufe „0“) im Rahmen der Wohngemeinschaft zusammen leben, sie erhalten nur keine Leistungen der Pflegeversicherung (und damit auch keinen Wohngruppenzuschlag nach § 38a).

Gemeinschaftlich beauftragte Person für weitere Leistungen In Punkt 3 (Abs. 1 § 38a) ist geregelt, wie konkret die Aufgaben des Wohngruppenzuschlags zu definieren sind: zunächst ist neu, dass die Bewohner/Mieter gemeinsam jemanden beauftragen müssen: nicht jeder kann selbst mit seiner Pauschale jemand eigenständig beauftragen, sondern nur die Bewohner/Mieter gemeinsam im Sinne einer Auftraggebergemeinschaft. Das ist durchaus sinnvoll, denn mit der Pauschale soll das gemeinsame Leben gefördert werden, nicht nur die individuelle Versorgung. Warum der Gesetzgeber hier von „einer Person“ spricht, ist nicht nachvollziehbar. Denn oftmals kann die Aufgabe dieser Präsenzkraft eben nicht nur von einer, sondern nur von mehreren Personen übernommen werden. Da gegenüber der Pflegekasse eine konkrete Person zu benennen ist, dürfte bei einem Pflegedienst die zuständige Mitarbeiterin benannt werden, die hauptsächlich hier arbeitet und gegebenenfalls auch die Arbeit der Kollegen koordiniert. Wird tatsächlich eine (von anderen Strukturen losgelöst arbeitende) einzelne Person benannt, ist auch sie mit vollständiger Adresse und Telefonnummer zu benennen. Zusätzlich ist die vertragliche Vereinbarung mit dieser Person/Institution den Pflegekassen vorzulegen. Für die Praxis ist diese Regelung zu begrüßen. Denn damit ist deutlich darzulegen, wer

30

Kapitel 5

und wofür wer bezahlt wird. Eine Mischfinanzierung anderer Leistungen (beispielsweise der Grundpflege) oder eine pauschale Abtretung ohne Mehrleistungen sind so genauso wenig möglich wie prekäre Beschäftigungen (Stichworte: „Schwarzarbeit“, osteuropäische Mitarbeiter ohne vertraglichen Rahmen). Sollte es sich bei der Person um eine selbständige Einzelpersonen handeln, sollte man davon ausgehen, dass die Pflegekasse im Rahmen ihrer Beratungsverpflichtung nachfragt bzw. die Versicherten darauf hinweist, ob und wie ausreichend die Einzelperson versichert ist (vor allem in Hinblick auf Berufshaftpflicht und Berufsgenossenschaft). Die im Gesetzestext aufgezählten Tätigkeiten sind inhaltlich dahin gehend konkretisiert worden, dass bei der Hauswirtschaft nicht allein eine Dienstleistung ohne Einbindung in den Wohngemeinschaftsalltag finanziert werden darf: Die Putzfrau, die beispielsweise nur nachts kommt, um die Bäder und Küche zu putzen, kann so nicht finanziert werden. Die Ausweitung des Begriffs „hauswirtschaftliche Unterstützung“ setzt eine aktive Einbeziehung/Mitarbeit der Bewohner/Mieter voraus: beispielsweise das gemeinsame Zubereiten von Mahlzeiten oder das gemeinsame Einkaufen, was aber der auch der normalen Praxis entspricht.

Abgrenzung zur stationären Versorgungsform Zunächst einmal ist der Gesetzestext sowie die Gesetzesbegründung nicht ganz frei von sprachlichen Widersprüchen: Es liegt nach dem Gesetzestext keine ambulante Versorgungsform vor, wenn ein Anbieter (Organisator der Wohngemeinschaft oder ein Dritter) den Versorgungsumfang einer vollstationären Einrichtung anbietet oder gewährleistet. Lt. Gesetzesbegründung ist das Merkmal dann erfüllt, wenn durch die Leistungen des Anbieters keinerlei eigene Beiträge des Bewohners, seiner Pflegepersonen oder seines Umfeldes zur Versorgung notwendig sind. Dazu schreibt der Gesetzgeber in seiner Begründung: „Das zentrale Merkmal einer ambulanten Versorgung ist, dass regelhaft Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner selbst, ihres persönlichen sozialen Umfelds oder von bürgerschaftlich Tätigen zur Versorgung notwendig bleiben. Ist nicht vorgesehen, dass sich das soziale Umfeld der in der Wohngruppe lebenden Menschen in die Leistungserbringung und in den Alltag einbringen kann – etwa durch die Sicherstellung der Arztbesuche, die Gestaltung und kleine Reparaturen in der Wohnung, Entscheidungen über neue Bewohnerinnen und Bewohner, die Neuanschaffung von Geräten, den Einkauf von Lebensmitteln oder die Verwaltung der Gruppenkasse – besteht keine mit der häuslichen Pflege vergleichbare Situation. Die Pflicht des Anbieters, soweit es im Einzelfall einen Anbieter gibt und es sich nicht um eine von den Bewohnerinnen und Bewohnern bzw. ihren Angehörigen selbst organisierte Wohngruppe handelt, auf diese Notwendigkeit hinzuweisen, schafft hierbei die nötige Transparenz.

31

§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

Der Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag hängt aber nicht davon ab, dass die Bewohnerin oder der Bewohner auch in jedem Einzelfall Angehörige oder ein soziales Umfeld hat, die ihr oder ihm helfen können; entscheidend ist vielmehr, ob nach der Konstruktion der Wohngruppe Möglichkeiten vorhanden sind, dass sich das soziale Umfeld engagiert.“ (BT 18/2909; S. 41) (Hervorhebungen vom Autor) Die Gesetzesformulierung „anbietet oder gewährleistet“ bedeutet deshalb nicht, dass der Anbieter im Einzelfall dies nicht erbringen kann, beispielsweise wenn der Bewohner keine Angehörigen/Pflegepersonen mehr hat, sondern er sich diese Leistungen selbst dazukaufen will/muss. Vielmehr muss konzeptionell die Mitarbeit vorgesehen und nicht systematisch ausgeschlossen sein. „Anbieten“ ist deshalb so zu interpretieren, dass eine (dem Pflegeheim vergleichbare) Vollversorgung angeboten wird, ohne dass die ‚Mitarbeit‘ des sozialen Umfeldes vorgesehen ist und/oder ohne dass die ‚Mitarbeit‘ etwa zu einer Kostensenkung führen kann. Auch im Pflegeheim sind Angehörige willkommen: aber auch wenn sie während der Mahlzeiten die notwendige Hilfe für ihren Pflegebedürftigen übernehmen (und so das Pflegepersonal/das Heim entlasten), bleibt der Pflegesatz für diesen Tag unverändert hoch. Ambulant organisiert bzw. in der eigenen Wohnung sieht das anders aus: Wenn heute Angehörige eine Versorgung übernehmen, so ist der Pflegedienstmitarbeiter nicht notwendig, damit wird keine Leistung erbracht und keine Leistung in Rechnung gestellt.

Vertragsstruktur einer ambulanten Wohngemeinschaft Klassische ambulante Wohngemeinschaften bzw. deren Mieter/Bewohner organisieren ihre Versorgung in der Regel mit verschiedenen vertraglichen Vereinbarungen (in dieser Darstellung werden evtl. divergierende Vorschriften in den einzelnen Landesheimgesetzen nicht berücksichtigt): −− Mietvertrag: Er umfasst das gemietete Zimmer sowie die anteiligen Gemeinschaftsflächen wie Küche, Wohnzimmer etc.; einschließlich Mietnebenkosten wie Heizung, aber auch Treppenhausreinigung oder Straßenreinigung/Winterdienst. Der Vertrag wird mit jedem Mieter einzeln geschlossen; das schließt einen Generalmieter sowie entsprechende Untermietverträge nicht unbedingt aus. −− Individuelle Pflegeverträge: Diese umfassen die notwendige und gewünschte Versorgung mit individueller Grundpflege (Körperpflege, Mobilität, evtl. Ernährung), die individuelle hauswirtschaftliche Versorgung bei Bedarf (Reinigung des ‚privaten‘ Zimmers/Räume; persönliche Wäsche, persönlicher Einkauf), gewünschte Einzelbetreuung sowie ärztlich verordnete Behandlungspflege. Die Kosten werden individuell berechnet und ohne Deckelung in Rechnung gestellt bzw. bei der Behandlungspflege durch die Krankenkasse übernommen. −− Gemeinsamer Vertrag für Betreuung/Hauswirtschaft/Präsenz (Betreuungspauschale): Die Gemeinschaft der Mieter/Bewohner beauftragt als Auftraggebergemein-

32

Kapitel 5

schaft Dritte (Einzelpersonen oder Dienstleister wie Pflegedienste), für sie die gemeinschaftliche Hauswirtschaft (Mahlzeiten einschließlich dafür notwendigem Einkauf; Reinigung der Gemeinschaftsräume; gemeinsame Betreuung; Präsenz in der Wohngemeinschaft (wenn keine anderen Personen da sind) einschließlich Nachtpräsenz; −− Weitere Aufgaben /Pflichten der Bewohner/Auftraggebergemeinschaft: Diese bestimmen sowohl die Einzahlungen für die Haushaltskasse (aus der dann die Lebensmittel etc. gekauft werden) als auch den Speiseplan (in Abstimmung), die weitere Ausgestaltung ihrer Räume etc. Im Regelfall bestimmen sie auch über die Neuaufnahme von Mietern; meist verbunden mit den gleichen Rechten/Pflichten wie in jeder normalen Wohngemeinschaft: Steht ein Zimmer länger leer, müssen die anderen Mieter dann die Kosten übernehmen, auch andere Kosten müssten dann anders umgelegt/ berechnet werden. Im Regelfall organisiert sich die Auftraggebergemeinschaft selbst und gibt sich einen Rahmen in Form einer Geschäftsordnung oder Satzung. Oft sind hier gar nicht die Bewohner/Mieter selbst aktiv (bei Dementen oft auch nicht mehr so möglich), sondern sie werden durch ihre Angehörigen oder Betreuer vertreten, die für sie ihre Rechte und Aufgaben wahrnehmen. In Wohngemeinschaften mit dieser Vertrags- und Organisationsstruktur ist es normal und fester Bestandteil der Versorgung, wenn beispielsweise Angehörige oder andere Pflegepersonen bei ihren Besuchen auch ein Teil der individuellen Grundpflege oder der Hauswirtschaft (Zimmer putzen, Wäsche) übernehmen und deshalb der einzelne individuell weniger bezahlt: Bringt die Tochter den Vater mittwochabends immer auch ins Bett, muss dies keine Pflegekraft übernehmen, die Kosten sind gespart. Anders sieht es bei den gemeinschaftlich vereinbarten Kosten aus: Ist ein Bewohner am Wochenende nicht in der Wohngemeinschaft, reduzieren sich zwar seine Kosten aus dem individuellen Pflegevertrag, aber weder seine Mietkosten noch die gemeinschaftlichen Betreuungskosten. Nur wenn die Auftraggebergemeinschaft dies vereinbart hat, könnten evtl. die Kosten für die Haushaltskasse reduziert werden (erspartes Essensgeld).

Praxis in Deutschland Es gibt in Deutschland 16 Bundesländer: Vor allem durch die Föderalisierung des Heimrechtes ab dem Jahr 2006 sind in allen Bundesländern teilweise völlig unterschiedliche Strukturen entstanden. Wie im einzelnen Bundesland Wohngemeinschaften definiert und organisiert sind, hängt von den zum Teil neuen Definitionen im Länderheimrecht, aber auch von Traditionen oder von Vergütungsvereinbarungen ab, die geschlossen wurden. In vielen Ländern wuchs in den letzten Jahren die Erkenntnis, dass eine echte selbstbestimmte Wohngemeinschaft im Alter schwierig von den Betroffenen/Bewohnern zu organisieren ist. Schon deren biologisches Alter spricht oft dagegen. In vielen Bundesländern gingen

33

§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

und gehen die Initiativen zur Gründung und zum Betrieb von Wohngemeinschaften oft nicht von den zukünftigen Bewohnern/Mietern aus, sondern von Pflegediensten und Wohnungsanbietern. Diese haben zunächst den möglichen Wohnraum organisiert und dann versucht, Mieter/Bewohner für die Wohngemeinschaft zu finden. Auch die organisatorischen Fragen wie die Organisation der Betreuung und Pflege wurden oft durch die Pflegedienste gelöst oder vorstrukturiert. Diese haben ein Konzept und ein Angebot entwickelt, dass viele Menschen gern angenommen haben. Eine wesentliche Gruppe hat die Strukturen der Wohngemeinschaften stärker beeinflusst als die jeweilige Heimgesetzgebung: die Sozialhilfeträger als nachrangige Kostenträger. Im Rahmen der Prüfung des Vorrangs der ambulanten Versorgung nach § 13 Abs. 1 SGB XII haben die Sozialhilfeträger zu prüfen, ob die ambulante Versorgung in der Wohngemeinschaft vorrangig zu bewilligen ist. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn die ambulante Versorgung unverhältnismäßige Mehrkosten verursachen und eine vergleichbare stationäre Versorgung zumutbar wäre. Um den Kostenvergleich zu erstellen, bedarf es vergleichbarer (und kalkulierbarer) Kosten. Eine echte ambulante Versorgung kann aufgrund der individuellen Pflegekosten je nach Pflegebedürftigen jedoch enorm schwanken: In einer tatsächlich ambulanten Beispieleinrichtung ist es normal, dass bei den individuellen Pflegeleistungen verschiedene Bewohner verschieden hohe Eigenanteile haben:

Beispielwohngemeinschaft Mieter Pflege- Grundpfle- Pflegestufe ge/HW kasse

34

Eigenanteil

Betreuungsp.

Miete/ Neben

WGKasse

Gesamt

1

1

758 F

450 F

308 F

985 F

450 F

250 F

1.993 w

2

1

485 F

450 F

35 F

985 F

450 F

250 F

1.720 w

3

1

325 F

450 F

0F

985 F

450 F

250 F

1.685 w

4

2

1.787 F

1.100 F

687 F

985 F

450 F

250 F

2.372 w

5

2

1.254 F

1.100 F

154 F

985 F

450 F

250 F

1.839 w

6

2

985 F

1.100 F

0F

985 F

450 F

250 F

1.685 w

7

2

1.358 F

1.100 F

258 F

985 F

450 F

250 F

1.943 w

8

2

1.568 F

1.100 F

468 F

985 F

450 F

250 F

2.153 w

9

3

2.456 F

1.550 F

906 F

985 F

450 F

250 F

2.591 w

10

3

1.540 F

1.550 F

0F

985 F

450 F

250 F

1.685 w

11

3

1.954 F

1.550 F

404 F

985 F

450 F

250 F

2.089 w

12

3

1.780 F

1.550 F

230 F

985 F

450 F

250 F

1.915 w

Kapitel 5

Das liegt vor allem daran, wie hoch die individuellen Pflegeleistungen pro Bewohner/Mieter sind. Diese sind wie im Beispiel dargestellt jedoch völlig individuell am persönlichen Bedarf ausgerichtet und vereinbart: Dabei deuten niedrige oder keine Eigenanteile nicht darauf hin, dass hier der Bedarf nicht vorhanden wäre, sondern nur, dass hier Angehörige oder andere Pflegepersonen die sonst durch den Pflegedienst geleisteten Aufgaben übernehmen können und der Pflegebedürftige deshalb weniger Leistungen einkaufen muss. Damit hängt es aber vom Einzelfall und von der individuellen Situation ab, wie teuer eine ambulante Wohngemeinschaft ist (und ob ein Heimplatz nicht deutlich günstiger wäre). Diese Art der vertraglichen Regelung ist ambulant, bedeutet aber auch einen höheren (einzelnen) Dokumentationsaufwand. Um den Aufwand zu reduzieren, aber auch um für alle Bewohner gleich hohe Kosten zu schaffen, gibt es Modelle von Anbietern/Betreibern, die die Kosten für die individuellen Pflegeleistungen auf die Höhe der Pflegekassenzuschüsse begrenzen und alle anderen anfallenden Kosten (auch der individuellen Leistungen für einzelne Pflegebedürftige) über die Betreuungspauschale umverteilen. Viele Sozialhilfeträger favorisieren solche Modelle. Dann steht immer fest, was ein Wohngemeinschaftsplatz je nach Pflegestufe kostet. Das heißt: auch wenn die Angehörigen regelmäßig individuelle Pflegeleistungen übernehmen, wird immer in Höhe der verfügbaren Sachleistungen abgerechnet. Damit jedoch stellt ein solches Vertrags- und Finanzierungsmodell keine ambulante Versorgung im Sinne des § 38a in der neuen Fassung dar, weil der Anbieter unabhängig vom tatsächlichen Bedarf die Versorgung sicherstellt, eine Mitarbeit des eigenen sozialen Umfeldes weder notwendig noch konzeptionell vorgesehen (und auch nicht kostensenkend) ist. Das Bundesland Berlin ist schon frühzeitig bei der Finanzierung und Organisation ambulanter Wohngemeinschaften einen auch bundesweit eigenständigen Weg gegangen: Hier haben die Pflegekassen/Vertragsparteien/Sozialhilfeträger Tagespauschalen zur Finanzierung der Grundpflege- und hauswirtschaftlichen Leistungen in Wohngemeinschaften eingeführt: Für demente Bewohner (im Sinne § 45a) der Pflegestufen 2 und 3 ist eine einheitliche Tagespauschale vereinbart worden, die alle Leistungen der Grundpflege und Hauswirtschaft pro Tag finanziert (LK 19). Für die weiteren Leistungen im Sinne der Tagesstrukturierung und Präsenz (andere Verrichtungen nach § 61 SGB XII) gibt es über die Sozialhilfe eine weitere Pauschale (LK 38), so dass mit den zwei Tagespauschalen die Versorgung von Pflegebedürftigen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz der Pflegestufen 2 und 3 finanziert ist. Allein schon die Struktur der Finanzierung und die Tatsache, dass ungeachtet des tatsächlichen Aufwandes für die Pflegestufen 2 und 3 die gleich hohe Pauschale festgelegt ist, wird deutlich, dass diese Angebote keine Anerkennung im Sinne des neuen § 38a SGB XI erhalten können. In Berlin bedeutet dies für die ca. 480 Wohngemeinschaften vermutlich eine größere strukturelle und praktische Umwälzung. Zur Erinnerung: Der Vorschlag der Einführung des Kriteriums 4 (kein strukturell

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§ 38a Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngemeinschaften

stationäres Angebot) stammt vom Bundesrat, im dem Berlin auch vertreten ist. Daher sollten die Berliner Wohngemeinschaften gemeinsam mit den Kostenträgern klären, wie ein neues Konzept aussehen kann, das den bundesweit gleich gültigen Kriterien des § 38a entsprechen kann.

Übergangsfrist für Bewohner, nicht für Wohngemeinschaft Über § 122, Abs. 3 ist eine Übergangsfrist aufgenommen worden: Bewohner, die bis zum 31.12.2014 Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag hatten, erhalten diesen auch weiterhin, wenn sich an den tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert hat. Wird also die Wohngemeinschaft beispielsweise nach dem Berliner Modell weiter betrieben, erhalten alle ‚Altbewohner‘ weiterhin den Zuschlag, ‚Neubewohner‘ mutmaßlich nicht mehr. Denn der Bestandsschutz bezieht sich nicht auf die Wohngemeinschaft, diese ist nicht ‚anerkannt‘, sondern gilt nur für den dort wohnenden Pflegeleistungsbezieher.

Prüfmöglichkeit und Prüfpflicht der Pflegekassen Als der Gesetzgeber mit dem PNG 2012 den Wohngruppenzuschlag nach § 38 zum ersten Mal eingeführt hat, hat er schlicht ‚vergessen‘, die Prüfmöglichkeiten der Pflegekassen zu definieren und datenschutzrechtlich abzusichern. Die Pflegekassen mussten zwar prüfen, ob mehr als zwei Pflegebedürftige in einer Wohngemeinschaften lebten, allerdings war die Frage des Datenschutzes nicht geklärt. So sollten den Pflegekassen die Namen der pflegebedürftigen Mitbewohner gemeldet werden, auch wenn diese bei anderen Kassen versichert waren. Das führte immer wieder zu Problemen und Ärger. Die neue Regelung (Abs. 2) verzichtet auf die weiteren Namen, es reicht die Aussage, dass man mit anderen zusammen wohnt. Denn über die weiteren Angaben (Anschrift/Gründungsdatum der WG; Grundriss) wird sicher prüfbar, dass es sich um eine Wohngemeinschaft handelt.

5.4 Gesetzestext Zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen § 3(1)8aPflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 F monatlich, wenn 1. sie mit mindestens zwei und höchstens neun weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind

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Kapitel 5

oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz nach § 45a bei ihnen festgestellt wurde, 2. sie Leistungen nach §§ 36, 37, 38, 45b oder § 123 beziehen, 3. eine Person von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten, und 4. keine Versorgungsform vorliegt, in der der Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Absatz 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten in der Wohngruppe nicht erbracht wird, sondern die Versorgung auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfeldes sichergestellt werden kann. (2) Die Pflegekassen sind berechtigt, zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen bei dem Antragsteller folgende Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen und folgende Unterlagen anzufordern: 1. eine formlose Bestätigung des Antragstellers, dass die Voraussetzungen von Absatz 1 Nummer 1 erfüllt sind, 2. die Adresse und das Gründungsdatum der Wohngruppe, 3. den Mietvertrag einschließlich eines Grundrisses der Wohnung und den Pflegevertrag nach § 120, 4. Vorname, Nachname, Anschrift und Telefonnummer sowie Unterschrift der Person nach Absatz 1 Nummer 3 und 5. die vereinbarten Aufgaben der Person nach Absatz 1 Nummer 3. § 122 Übergangsregelung (3) Für Personen, die am 31. Dezember 2014 einen Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a in der bis zum 31. Dezember 2014 geltenden Fassung haben, wird diese Leistung weiter erbracht, wenn sich an den tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert hat.

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Kapitel 6

6  § 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson

6.1 Was ist neu? Grundsätzlich hat der Gesetzgeber diesen Gesetzestext redaktionell neu gegliedert: Was vorher in einem Absatz stand, ist jetzt übersichtlicher in drei Absätzen gegliedert. Folgende substantiellen Punkte wurden geändert: −− Der Leistungsbetrag wird um 4 % erhöht von 1.550 F auf bis zu 1.612 F. −− Nur die nachgewiesenen Kosten können von den Pflegekassen übernommen werden. −− Die Frist von bisher vier Wochen (28 Tage) bei tageweiser Abwesenheit der Pflegeperson wird nun immer erhöht auf 6 Wochen oder 42 Tage. −− Bei Ersatzpflege durch ehrenamtlich tätige Pflegepersonen (also nicht erwerbsmäßige Ersatzpflege) dürfen die Aufwendungen den Betrag des jeweiligen Pflegegeldes (nach Pflegeeinstufung, § 37, Abs. 1 Satz 3) nicht überschreiten. Zusätzlich können weiterhin Kosten wie Verdienstausfall und Fahrtkosten geltend gemacht werden. −− Neu ist, dass bis zu 50 % des Budgets der Kurzzeitpflege nach § 42 auch für Leistungen der Verhinderungspflege genutzt werden kann, so das dann die Verhinderungspflege bis zu einem Wert von 2.418 F in Anspruch genommen werden kann. Das gilt allerdings nicht, wenn die Verhinderungspflege durch andere (ehrenamtliche) Pflegepersonen (nach Absatz 2) erbracht wird. Dann gilt als Höchstbetrag 1.612 F.

6.2 Begründung Der Gesetzgeber begründet die Ausweitung der möglichen Leistungszeit bei tageweiser Verhinderung auf generell 6 Wochen damit, dass die Leistung so flexibler genutzt werden kann. Auch die gemeinsame Nutzung der beiden Leistungen Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege war schon länger in der Diskussion. Denn bisher konnte zwar die stationäre Kurzzeitpflege auf das gesamte ambulante Budget nach § 39 zugreifen, nicht aber umgekehrt. Der Gesetzgeber begründet die Ausweitung vor allem mit Hinblick auf den Personenkreis, für die als Alternative die teilstationäre Kurzzeitpflege nicht in Betracht kommt und die deshalb diesen Leistungsanspruch nie nutzen können. Allerdings können andere

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§ 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson

Pflegepersonen, die die Verhinderungspflege übernehmen, nicht auf das erhöhte Budget zugreifen, diese Regelung gilt nur für erwerbstätig Pflegende. Die Ergänzung, dass nur „nachgewiesene“ Kosten übernommen werden können, ist eine Änderung durch den Gesundheitsausschuss.

6.3 Praxis/Kritik Die Nutzung der Verhinderungspflegeleistung durch erwerbsmäßig tätige Anbieter, also auch in erster Line die Pflegedienste, wird nun etwas einfacher. Denn die 28-Tagefrist führte öfter zu Abgrenzungen und Diskussionen, die bei nunmehr 42 Tagen deutlich zurückgehen dürften. Dabei, daran sei hier erinnert, bezieht sich die Frist nur auf den Zeitumfang der Verhinderung der Pflegeperson, nicht aber auf den Umfang, den ein Pflegedienst erbringt (siehe auch Rundschreiben Pflegekasse, Literaturhinweise). Ist die Pflegeperson am Tag weniger als 8 Stunden verhindert, dann zählt dies nicht als Tag, es bleibt allein der Eurobetrag als Grenze. Insbesondere bei Urlaub dürfte man von einer tageweisen Anrechnung ausgehen können. Bei Krankheit muss man den Einzelfall differenzierter betrachten: Es kann sein, dass die Pflegeperson aufgrund einer Erkältung nicht in der Lage ist, den Angehörigen im Rahmen der Körperpflege zu versorgen, aber weiterhin die Überwachung/ Anleitung bei der Nahrungsaufnahme übernimmt. Pflegekassen neigen auch bei Krankheit automatisch dazu, diese Zeiten dann als vollständige Tage zu werten, obwohl dies im Einzelfall „wie im Beispiel dargestellt“ anders sein kann. Das muss man dann evtl. klären oder auf der Rechnung einen Hinweis einbauen. Weiterhin darf die Kurzzeitpflege wie bisher auf bis zu 100 % der Verhinderungspflegeleistung zugreifen, das wird im Rahmen des PSG 1 (nochmals) im Gesetzestext klar gestellt (siehe § 42). Der Zugriff auf 50 % des Budgets der Kurzzeitpflege gilt nur für die erwerbstätige Ersatzpflege, also durch Pflegedienste oder andere professionelle Dienstleister. Warum nicht auch Pflegepersonen auf diesen Anteil der Kurzzeitpflege zurückgreifen können, hat der Gesetzgeber nicht besonders begründet.

Leistungserbringung durch Pflegepersonen Eine weitere Problematik ergibt sich aus der Tatsache, dass zwar bei Verhinderungspflege durch (ehrenamtliche) Pflegepersonen auch die Tagesgrenze auf 42 Tage erhöht wurde, nicht aber bei der Verrechnung mit anteiligem Pflegegeld, das in § 37.2 auf einen Monat (30 Tage) beschränkt ist. Ganz praktisch kann das Folgendes bedeuten:

40 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

Kapitel 6

−− Der Pflegegeldanspruch im Rahmen der Verhinderungspflege beträgt pro Tag 1/42 des jeweiligen Pflegegeldes. −− Das anteilige weiter gezahlte Pflegegeld für die verhinderte Pflegeperson berechnet sich jedoch nicht auf der Basis von 42 Tagen, sondern allein von 28 Tagen (so in § 37, Abs. 2 geregelt, der nicht verändert wurde). Faktisch wird dann der Pflegegeldanspruch (im Rahmen der Verhinderungspflege) gekürzt, wenn eine Pflegeperson als Vertretung weniger als 42 Tage die Ersatzpflege übernimmt. Bisher bekam sie pro Tag 1/28 bis maximal 28 Tage, nun pro Tag nur noch 1/42 für bis zu 42 Tage. Leider hat der Gesetzgeber nicht bemerkt, dass er durch zwei verschiedene Zeiträume erhebliche Erklärungsprobleme geschaffen hat. Wie kann man der Pflegeperson erklären, dass sie das gesamte Pflegegeld nur ausgezahlt bekommt, wenn sie 42 Tage ‚arbeitet‘, während das verbleibende fünfzigprozentige Pflegegeld für die Hauptpflegeperson schon nach 28 Tagen ausgezahlt ist. Für die Pflegekassen bleibt der Verrechnungsaufwand und der Rechenweg gleich, da auch nach altem Recht schon zwei Verrechnungsgrenzen (28 Tage für Ersatzpflege, 28 Tage für anteiliges Pflegegeld) vorgesehen waren. Insgesamt bleibt als Jahresgrenze der (einfache) neue Höchstbetrag der Verhinderungspflege von 1.612 F für Verhinderungspflegeleistungen durch anderer Pflegepersonen bestehen.

Nachgewiesene Kosten Die vom Gesundheitsausschuss vorgenommene Ergänzung, dass nur nachgewiesene Kosten von den Pflegekassen zu erstatten sind, dürfte in erster Linie auf die Abrechnung von Leistungen anderer erwerbsmäßig Tätiger zielen. Denn Pflegedienste rechnen ihre Leistungen nicht nur mit einer formalen Rechnung ab, sondern ergänzen diese im Regelfall mit einem vom Kunden unterzeichneten Leistungsnachweis. Anders sieht es oft bei anderen erwerbsmäßig Pflegenden aus: Das könnte genauso gut die Nachbarin wie Pflegekräfte aus dem Ausland oder andere Personen sein. Hier wurden in der Vergangenheit von den Pflegekassen auch einfache Quittungen über den Gesamtbetrag akzeptiert, wie aus der Praxis bekannt ist. Auch Anträge der Pflegekassen auf Verhinderungspflege sehen hier oft keine weiteren Angaben vor. Da auch hier nun die konkreten Kosten nachgewiesen werden müssten, dürften auch hier formale Rechnungen einschließlich konkreter Leistungsnachweise die Pflicht werden. Auf eine Rechnung gehört beispielsweise auch eine fortlaufende Rechnungsnummer, die Steuernummer des Unternehmers, Rechnungspositionen wie Leistung, Einzelpreis und Gesamtpreis. Denn nur erwerbstätig Pflegende oder Dienstleister können die Verhinderungspflege mit vollem Satz abrechnen. Damit können so auch zumindest indirekt besser Verstöße gegen Versicherungspflichten, sogenannte „Schwarzarbeit“ sowie Verstöße gegen das Mindestlohngesetz (der Pflegemindestlohn gilt ab 2015), verfolgt werden.

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§ 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson

AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen Beleg zur Kostenerstattung bei einer Verhinderungspflege durch Privatperson(en) Bitte diese Seite nach Beendigung der Maßnahme einreichen

Vorname Name des / der pflegebedürftigen Versicherten

Geburtsdatum

KV-Nummer

Anschrift

Verhinderungspflege in der Zeit

von

bis

Nachweis der entstandenen Aufwendungen: Ich bestätige hiermit, von Frau/Herrn

für geleistete Verhinderungspflege

einen Gesamtbetrag in Höhe von

EUR erhalten zu haben.

Ort, Datum

Unterschrift der Ersatzpflegekraft

Nur bei Verwandten/Verschwägerten bis zum 2. Grad oder bei häuslicher Gemeinschaft auszufüllen: Fahrtkosten sind entstanden mit einem öffentlichen Verkehrsmittel (Nachweis der Höhe erforderlich) mit dem Privat-PKW (wirtschaftlichste Route) Fahrt(en) von

nach

km/insgesamt:

Anzahl der Fahrten: ein Netto-Verdienstausfall entstanden ist (Bescheinigung des Arbeitgebers erforderlich)

Innerhalb der letzten 12 Monate habe ich in der Zeit von

bis

eine weitere Ersatzpflege durchgeführt Name des/der Pflegebedürftigen

Ort, Datum

ggf. KV-Nummer/Geburtsdatum

Zuständige Pflegekasse

Unterschrift der Ersatzpflegekraft

Der Erstattungsbetrag soll auf das Konto des / der Versicherten überwiesen werden. Eine Überweisung wird auf folgende Bankverbindung erbeten:

IBAN Kontoinhaber

Ort, Datum

BIC Anschrift

Unterschrift des Versicherten bzw. gesetzlichen Betreuers oder Bevollmächtigten

Die Richtigkeit vorstehender Angaben wird hiermit bestätigt. Ort, Datum

42

Unterschrift des Versicherten bzw. gesetzlichen Betreuers oder Bevollmächtigten

Kapitel 6

Seltsamerweise „fördern“ bisher manche Pflegekassen den Missbrauch der Verhinderungspflege durch Privatpersonen, wenn sie Formulare wie das der AOK Hessen anbieten (www.aok-hessen.de, im Bereich Pflegeversicherung): Hier müssen die „Privatpersonen“, die die Verhinderungspflege übernehmen, nur ihre Gesamtkosten sowie ihren Namen und Adresse/Geburtsdatum angeben, um an die Verhinderungspflegeleistungen zu kommen. Dabei ist die Verhinderungspflege durch „Privatpersonen“ gar nicht vorgesehen, sondern nur von erwerbsmäßig tätigen Personen. Es muss in diesem Formular weder nachgewiesen werden, an welchen Tagen die Leistungen erbracht wurden, noch werden die „Privatpersonen“ aufgeklärt, dass sie nur deshalb diese erhöhten Leistungen beziehen (dürfen), weil sie die Leistung der Verhinderungspflege erwerbstätig erbringen. Sie müssen sich also selbst versichern (Berufshaftpflicht sowie Berufsgenossenschaft) und die Erträge evtl. auch versteuern bzw. Sozialabgaben bezahlen. Übrigens, die gleiche Pflegekasse (AOK Hessen) hat gerade (20.10.2014) eine Pressemeldung veröffentlicht, in der sie über zunehmende Betrugsfälle bei der Verhinderungspflege berichten. Es würden Pflegebedürftige eine Verhinderung angeben, obwohl sie nicht verhindert sind und über reale oder fiktive private Pflegekräfte das Budget der Verhinderungspflege abrufen. Mit solchen Formularen, wie es sie zurzeit auch von anderen Pflegekassen gibt, wird dem Missbrauch eher Vorschub geleistet. Die nun neue Formulierung des Gesetzgebers, dass die Kosten tatsächlich nachgewiesen werden müssen, dürfte auch dazu führen, dass die Pflegekassen solche doch fragwürden Formulare nicht mehr verwenden. Auch sollten die Pflegekassen zumindest ihre Versicherten aufklären, was passieren kann, wenn sie die Verhinderungspflege durch „Schwarzarbeiter“ (das sind diese Privatpersonen mutmaßlich sehr häufig) erbringen lassen. Im Falle von Unfällen etc. fehlt dann vermutlich ein Versicherungsschutz!

6.4 Gesetzestext 1) Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus ande§ (ren Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die nachgewiesenen Kosten einer notwendigen Ersatzpflege für längstens sechs Wochen je Kalenderjahr; § 34 Absatz 2 Satz 1 gilt nicht. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Die Aufwendungen der Pflegekassen können sich im Kalenderjahr auf bis zu 1.470 Euro ab 1. Juli 2008, auf bis zu 1.510 Euro ab 1. Januar 2010, auf bis zu

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§ 39 Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson

1 550 Euro ab 1. Januar 2012 und auf bis zu 1 612 Euro ab 1. Januar 2015 belaufen, wenn die Ersatzpflege durch Pflegepersonen sichergestellt wird, die mit dem Pflegebedürftigen nicht bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind und nicht mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben. (2) Bei einer Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse regelmäßig den Betrag des Pflegegeldes nach § 37 Absatz 1 Satz 3 für bis zu sechs Wochen nicht überschreiten, es sei denn, die Ersatzpflege wird erwerbsmäßig ausgeübt; in diesen Fällen findet der Leistungsbetrag nach Absatz 1 Satz 3 Anwendung. Bei Bezug der Leistung in Höhe des Pflegegeldes für eine Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft legen, können von der Pflegekasse auf Nachweis notwendige Aufwendungen, die der Pflegeperson im Zusammenhang mit der Ersatzpflege entstanden sind, übernommen werden. Die Aufwendungen der Pflegekasse nach den Sätzen 1 und 2 dürfen zusammen den in Absatz 1 Satz 3 genannten Betrag nicht übersteigen. (3) Bei einer Ersatzpflege nach Absatz 1 kann der Leistungsbetrag um bis zu 806 Euro aus noch nicht in Anspruch genommenen Mittel der Kurzzeitpflege nach § 42 Absatz 2 Satz 2 auf insgesamt bis zu 2.418 Euro im Kalenderjahr erhöht werden. Der für die Verhinderungspflege in Anspruch genommene Erhöhungsbetrag wird auf den Leistungsbetrag für eine Kurzzeitpflege nach § 42 Absatz 2 Satz 2 angerechnet. Ergänzend § 37, Abs. 2 (durch PSG 1 unverändert) (2) Besteht der Anspruch nach Absatz 1 nicht für den vollen Kalendermonat, ist der Geldbetrag entsprechend zu kürzen; dabei ist der Kalendermonat mit 30 Tagen anzusetzen. Die Hälfte des bisher bezogenen Pflegegeldes wird während einer Kurzzeitpflege nach § 42 und einer Verhinderungspflege nach § 39 jeweils für bis zu vier Wochen je Kalenderjahr fortgewährt. Das Pflegegeld wird bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem der Pflegebedürftige gestorben ist. § 118 Abs. 3 und 4 des Sechsten Buches gilt entsprechend, wenn für die Zeit nach dem Monat, in dem der Pflegebedürftige verstorben ist, Pflegegeld überwiesen wurde.

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Kapitel 7

7  § 40 Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen

7.1 Was ist neu? Im Rahmen der Dynamisierung sind auch die Leistungen nach § 40 erhöht worden: −− Zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel von bisher 31 F auf 40 F. −− Maßnahmen der Wohnraumanpassung von bisher 2.557 F auf 4.000 F je Maßnahme −− Bei Maßnahmen für mehrere Pflegebedürftige bis zum Gesamtbetrag von 16.000 F je Maßnahme. −− Anspruchsberechtigt sind nun auch Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a.

7.2 Begründung Der Gesetzgeber begründet die deutliche Erhöhung der Leistungen damit, dass diese Leistungen bisher nicht erhöht wurden, auch nicht mit der Dynamisierung der Leistungen seit 2008 (siehe § 30). Da eine angepasste Wohnsituation ein wesentlicher Faktor für die Frage ist, ob weiterhin ambulante Pflege möglich ist, fördern höhere Zuschüsse zur Wohnraumanpassung das Ziel „ambulant vor stationär“.

7.3 Kritik/Praxis Die Leistungserhöhungen sind hilfreich und zu begrüßen. Dabei hat gerade die Leistung der Wohnraumanpassung durch das PNG wesentlich gewonnen: Durch den Verzicht auf einen pflichtmäßigen Eigenanteil können die Zuschüsse für die Wohnraumanpassung viel einfacher in Anspruch genommen werden. Dabei sei nochmals auf einige Punkte hingewiesen, auch wenn sie schon durch das PNG neu geregelt wurden oder vorher galten (hilfreich auch für die Diskussion mit Pflegekassenvertretern ist die Kenntnis des entsprechenden Paragrafen im Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen, siehe Literatur):

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§ 40 Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen

−− Der Zuschuss bezieht sich auf jeweils eine konkrete Maßnahme; das heißt: verändert sich die Pflegesituation und wird dadurch eine neue Wohnraumanpassungsmaßnahme notwendig, kann ein weiterer Zuschuss beantragt werden. Es gibt keine Deckelung in Bezug auf Pflegestufe oder Jahr. −− Wohnen mehrere Pflegebedürftige/Anspruchsberechtigte in einer Wohnung und trifft die Maßnahme für mehrere Pflegebedürftige zu, kann der Zuschuss auch entsprechend mehrfach abgerufen werden, die Grenze ist bei vier Pflegebedürftigen. −− Auch ein Umzug kommt als wohnumfeldverbessernde Maßnahme infrage, wenn dadurch die selbständige Lebensführung erleichtert wird (z.B. barrierefreier Zugang zur Wohnung). −− Die Leistung sollte im Voraus mit einem Kostenvoranschlag beantragt werden, es müssen aber nicht mehrere Kostenvoranschläge sein (siehe Rundschreiben). −− Bei der Prüfung, welcher Kostenträger vorrangig zu leisten hat, ist in Absatz 5 geregelt: bei jeder Beantragung eines Hilfsmittels ist gemeinsam von den Pflegekassen bzw. den Krankenkassen zu prüfen, ob die Krankenversicherung vorrangig zu leisten hat (Gründe nach § 33, Abs. 1 SGB V: den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen) oder allein die Pflegeversicherung (Gründe nach § 40 Abs. 1: Erleichterung der Pflege, Linderung der Beschwerden oder Ermöglichung einer selbständigeren Lebensführung). −− Die Prüfung eines Leistungsanspruchs über die Pflegeversicherung erfolgt (allein) durch eine Pflegefachkraft (z.B. des Pflegedienstes) oder den MDK. Der Hausarzt oder Arzt ist nicht vorgesehen, damit auch keine Verordnung. Deshalb sollten Pflegedienste, die einen Bedarf nach § 40 erkennen, den entsprechenden Antrag kurz schriftlich ergänzen um eine kurze Begründung, warum die Maßnahme oder das Hilfsmittel im Sinne der Pflegeversicherung einzusetzen ist. Die Begründung sollte so unterzeichnet werden, dass die Profession (Pflegefachkraft) erkennbar ist. Das heißt: Die Pflegefachkräfte dürfen Hilfsmittel im Sinne und in der Zuständigkeit der Pflegeversicherung quasi eigenständig verordnen/begründen. Das gilt seit 1995. Eine ärztliche Verordnung ist in der Pflegeversicherung nicht vorgesehen. Ob auch die Anhebung der Pflegeverbrauchsmittel im gleichen Maße notwendig war/ist, kann man durchaus kritisch hinterfragen. Da lt. Hilfsmittelverzeichnis hier lediglich Saugende Bettschutzeinlagen, Fingerlinge, Einmalhandschuhe, Mundschutz, Schutzschürzen sowie Desinfektionsmittel dazu zählen, stellt sich die Frage, wie viel man davon beispielsweise in der Pflegestufe 1 für die Versorgung eines Pflegebedürftigen tatsächlich benötigt. In der Pflegestufe 3 könnte die Erhöhung sicherlich sinnvoll sein. Was vermutlich weniger mit dem Bedarf denn mit der Abrechenbarkeit zu tun haben dürfte, sind Angebote von Sanitätshändlern, die Komplettpakete zum jeweiligen Monatspreis packen. Mit dem Effekt,

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Kapitel 7

dass dann ein Kunde der Pflegestufe 1 nicht mehr weiß, was er mit dem ganzen Desinfektionsmittel machen soll. Hier sollte man auch in der Beratung darauf achten, dass der Kunde nicht deshalb Pauschalpakete ordert, weil die Kosten übernommen werden, sondern weil der Bedarf tatsächlich vorhanden ist.

7.4 Gesetzestext und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen § 40(1) Pflegehilfsmittel Pflegebedürftige haben Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind. Die Pflegekasse überprüft die Notwendigkeit der Versorgung mit den beantragten Pflegehilfsmitteln unter Beteiligung einer Pflegefachkraft oder des Medizinischen Dienstes. Entscheiden sich Versicherte für eine Ausstattung des Pflegehilfsmittels, die über das Maß des Notwendigen hinausgeht, haben sie die Mehrkosten und die dadurch bedingten Folgekosten selbst zu tragen. § 33 Abs. 6 und 7 des Fünften Buches gilt entsprechend. (2) Die Aufwendungen der Pflegekassen für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel dürfen monatlich den Betrag von 40 Euro nicht übersteigen. Die Leistung kann auch in Form einer Kostenerstattung erbracht werden. (3) Die Pflegekassen sollen technische Pflegehilfsmittel in allen geeigneten Fällen vorrangig leihweise überlassen. Sie können die Bewilligung davon abhängig machen, daß die Pflegebedürftigen sich das Pflegehilfsmittel anpassen oder sich selbst oder die Pflegeperson in seinem Gebrauch ausbilden lassen. Der Anspruch umfaßt auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Pflegehilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch. Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, haben zu den Kosten der Pflegehilfsmittel mit Ausnahme der Pflegehilfsmittel nach Absatz 2 eine Zuzahlung von zehn vom Hundert, höchstens jedoch 25 Euro je Pflegehilfsmittel an die abgebende Stelle zu leisten. Zur Vermeidung von Härten kann die Pflegekasse den Versicherten in entsprechender Anwendung des § 62 Abs. 1 Satz 1, 2 und 6 sowie Abs. 2 und 3 des Fünften Buches ganz oder teilweise von der Zuzahlung befreien. Versicherte, die die für sie geltende Belastungsgrenze nach § 62 des Fünften Buches erreicht haben oder unter Berücksichtigung der Zuzahlung nach Satz 4 erreichen, sind hinsichtlich des die Belastungsgrenze überschreitenden Betrags von der Zuzahlung nach diesem Buch befreit. Lehnen Versicherte die leihweise Über-

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§ 40 Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen

lassung eines Pflegehilfsmittels ohne zwingenden Grund ab, haben sie die Kosten des Pflegehilfsmittels in vollem Umfang selbst zu tragen. (4) Die Pflegekassen können subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird. Die Zuschüsse dürfen einen Betrag in Höhe von 4.000 Euro je Maßnahme nicht übersteigen. Leben mehrere Pflegebedürftige in einer gemeinsamen Wohnung, dürfen die Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des gemeinsamen Wohnumfeldes einen Betrag in Höhe von 4.000 Euro je Pflegebedürftigem nicht übersteigen. Der Gesamtbetrag je Maßnahme nach Satz 3 ist auf 16.000 Euro begrenzt und wird bei mehr als vier Anspruchsberechtigten anteilig auf die Versicherungsträger der Anspruchsberechtigten aufgeteilt. (5) Für Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel, die sowohl den in § 23 und § 33 des Fünften Buches als auch den in Absatz 1 genannten Zwecken dienen können, prüft der Leistungsträger, bei dem die Leistung beantragt wird, ob ein Anspruch gegenüber der Krankenkasse oder der Pflegekasse besteht und entscheidet über die Bewilligung der Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel. Zur Gewährleistung einer Absatz 1 Satz 1 entsprechenden Abgrenzung der Leistungsverpflichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung werden die Ausgaben für Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel zwischen der jeweiligen Krankenkasse und der bei ihr errichteten Pflegekasse in einem bestimmten Verhältnis pauschal aufgeteilt. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimmt in Richtlinien, die erstmals bis zum 30. April 2012 zu beschließen sind, die Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel nach Satz 1, das Verhältnis, in dem die Ausgaben aufzuteilen sind, sowie die Einzelheiten zur Umsetzung der Pauschalierung. Er berücksichtigt dabei die bisherigen Ausgaben der Kranken- und Pflegekassen und stellt sicher, dass bei der Aufteilung die Zielsetzung der Vorschriften des Fünften Buches und dieses Buches zur Hilfsmittelversorgung sowie die Belange der Versicherten gewahrt bleiben. Die Richtlinien bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit und treten am ersten Tag des auf die Genehmigung folgenden Monats in Kraft; die Genehmigung kann mit Auflagen verbunden werden. Die Richtlinien sind für die Kranken- und Pflegekassen verbindlich. Für die nach Satz 3 bestimmten Hilfsmittel und Pflegehilfsmittel richtet sich die Zuzahlung nach den §§ 33, 61 und 62 des Fünften Buches; für die Prüfung des Leistungsanspruchs gilt § 275 Absatz 3 des Fünften Buches. Die Regelungen dieses Absatzes gelten nicht für Ansprüche auf Hilfsmittel oder Pflegehilfsmittel von Pflegebedürftigen, die sich in vollstationärer Pflege befinden, sowie von Pflegebedürftigen nach § 28 Absatz 2.

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Kapitel 8

8  § 41 Tages- und Nachtpflege 8.1 Was ist neu? Die Leistungen der Tages- und Nachtpflege sind nun völlig unabhängig von anderen ambulanten Leistungen zu betrachten. Es gibt keinerlei Verrechnung oder Abhängigkeit mehr. Die Tagespflegeleistung steht immer ungeschmälert neben allen anderen ambulanten Leistungen. Damit stehen für die kombinierte ambulante Versorgung einschließlich der Tagespflege insgesamt 200 % der verfügbaren ambulanten Sachleistung zur Verfügung. Darüber hinaus erhalten Pflegebedürftige mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz den Sachleistungszuschlag für Leistungen nach §§ 36 und 37 (nach § 123). Neu ist auch, dass Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ebenfalls einen Sachleistungsanspruch in der Tagespflege haben. Der verfügbare Sachleistungsbetrag der Tagespflege beträgt dann 231 F pro Monat. Nicht im Monat in Anspruch genommene Leistungen der Tagespflege verfallen, sie werden nicht mit anderen Leistungen verrechnet oder können auf andere Zeiträume übertragen werden. Das war auch bisher schon geltende Rechtslage.

8.2 Begründung In der Kombination der Tages/Nachtpflege sowie der Ambulanten Leistungen gab es von Beginn an gemeinsame Grenzen für den Bezug der Leistungen: Bis 2008 waren die gemeinsamen Leistungen auf den Höchstbetrag der einfachen Sachleistungen beschränkt, seit Juli 2008 durften dann gemeinsam bis zu 150 % der Leistung in Anspruch genommen werden, allerdings dabei in jedem Teilbereich nur jeweils maximal 100 %. Durch die Einführung einer erhöhten Sachleistung für Pflegebedürftige mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz 2013 standen diesen für die ambulante Pflege erhöhte Sachleistungen zur Verfügung, die aber im Bereich der Tagespflege nicht gelten sollten, bzw. hatte sich hier der Gesetzgeber nicht klar geäußert. Daher wurde die Definition der jeweiligen Höchstgrenze deutlich komplizierter, denn in Bezug auf ambulante Sachleistungen galt der erhöhte Sachleistungsbetrag, in Bezug auf die Tagespflege war die Grenze nicht immer klar und wurde auch von Pflegekassen unterschiedlich ausgelegt. Selbst kommentierende Klarstellungen in der Gesetzesbegründung konnten nicht verhindern, dass diese Definitionen zu Auslegungsproblemen und viel Ärger geführt haben.

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§ 41 Tages- und Nachtpflege

Interessant ist, wie der Gesetzgeber seine Selbsterkenntnis in der Gesetzesbegründung formuliert: „Die bisherigen, sehr komplexen Regelungen zur Kombination der Leistungen werden aufgehoben. Mit dieser Maßnahme wird nicht nur den Betroffenen geholfen, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung pflegender Angehöriger und zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf geleistet. Durch die Neufassung von § 41 Absatz 3 wird diese Neuregelung im Gesetz eindeutig geregelt und damit für die Betroffenen unmittelbar verständlich. Die bisherigen Kombinationsregelungen hatten bei Pflegekassen und Leistungserbringern zudem zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand im Rahmen der Abrechnung der Leistungen geführt. Dieser Aufwand wird nun vollständig eingespart. Damit leistet die Aufhebung der Kombinationsregelungen auch einen deutlichen Beitrag zum Bürokratieabbau.“ (Begründung zu Nr. 11, § 41, BT 18/1798).

8.3 Kritik/Praxis Der Gesetzgeber hat selbst erkannt, dass die zuletzt gültigen Anrechnungsregelungen so kompliziert und unklar geworden sind, dass die Berechnung kaum jemand nachvollziehen oder verstehen konnte. Deshalb ist der Verzicht auf die Anrechnung der gegenseitigen Ansprüche ein großer Fortschritt. Dass es zu einem Bürokratieabbau kommt, wie der Gesetzgeber positiv hervorhebt, liegt auch daran, dass diese Regelungen und die damit verbundene Bürokratie vorher, vor allem seit 2008 und 2012 erst noch verschärft und damit eingeführt wurden. Erstmals steht nun die Tagespflege als eigene solitäre Leistung da, deren Budgets nicht mehr durch andere Leistungen geschmälert werden können. Zwar gehören die teilstationären Einrichtungen und damit auch die Tages- und Nachtpflege zu den ambulanten Leistungen und sind daher unter dem Vorrang „ambulant vor stationär“ zu betrachten, aber seit Einführung der Pflegeversicherung bis zum PSG 1 hatte allein die Tagespflege kein eigenes Budget bzw. nur ein sehr geringes (50 % der ambulanten Leistungen). Denn die insgesamt verfügbaren Leistungsbeträge bewegten sich immer in Abhängigkeit von der genutzten ambulanten Sachleistung. Selbst die Kurzzeitpflege nach § 42 hatte immer schon ein eigenständiges Budget, das auch neben den ambulanten Sachleistungen abgerufen werden konnte (so kann ein Versicherter in einem Monat neben den vollen Sachleistungen auch noch beispielsweise 14 Tage Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen; das liegt daran, dass die Sachleistungen Monatsbeträge sind, die anders als das Pflegegeld nicht pro Tag berechnet werden, sondern immer pro Monat).

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Die Tagespflege ist damit einer der echten „Gewinner“ dieses Reformschrittes. Um einmal aufzuzeigen, welche Versorgungsketten mit dem neuen Budget an Versorgungsleistungen möglich sind, sollen folgende Beispiele dienen.

Versorgungsbeispiele in der Tagespflege Als Beispiel dienen ambulante Leistungen und Kosten einer Tagespflege aus NordrheinWestfalen (Stand Oktober 2014):

Versorgungsbeispiel Pflegestufe 1 Der demente Pflegebedürftige wohnt zu Hause, am Wochenende übernehmen die Angehörigen die Pflege. Der Pflegebedürftige wird vom Pflegedienst morgens versorgt mit einer Großen Grundpflege (Transfer, Ganzwaschen, Zahnpflege, Rasieren/Kämmen, Ankleiden, Toilettengang). Einschließlich Hausbesuchspauschale belaufen sich die Kosten für 21 Tage Versorgung auf 541,80 F, es bleiben daher umgerechnet 67,51 F an Pflegegeld. Die Tagespflege berechnet pro Tag an Pflegebedingten Aufwendungen 41,54 F, bei 21 Tagen sind das 872,34 F. Zur Finanzierung wird die Tagespflegeleistung von 689 F sowie 183,34 F über die Verhinderungspflege finanziert (bei der Verhinderungspflege bleiben dann pro Monat noch 18,16 F übrig). Privat zu finanzieren sind Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten in Höhe von 27,23 F pro Tag, also insgesamt 571,83 F. Dazu wird die Entlastungsleistung nach § 45b in Höhe von 104 F eingesetzt, so dass privat 467,83 F zu finanzieren sind. Da noch Pflegegeld in Höhe von 67,51 F übrig sind, werden insgesamt privat nur 400,32 F für 21 Tagespflege bezahlt, Dagegen rechnen könnte man die Einsparungen zu Hause für die Verpflegung tagsüber.

Versorgungsbeispiel Pflegestufe 2 Der demente Pflegebedürftige wohnt zu Hause, am Wochenende übernehmen die Angehörigen die Pflege. Der Pflegebedürftige wird vom Pflegedienst morgens versorgt mit einer Großen Grundpflege (Transfer, Ganzwaschen, Zahnpflege, Rasieren/Kämmen, Ankleiden, Toilettengang). Abends erfolgt die Versorgung mit einer Kleinen Grundpflege (Transfer, Teilwaschen, Zahnpflege, Kämmen, Auskleiden, Toilettengang). Einschließlich der Hausbesuchspauschalen belaufen sich die Kosten für 21 Tage Versorgung auf 890,40 F, es bleiben daher umgerechnet 171,14 F an Pflegegeld. Die Tagespflege berechnet pro Tag an Pflegebedingten Aufwendungen 43,62 F, bei 21 Tagen sind das 916,02 F. Zur Finanzierung reicht die Tagespflegeleistung der Pflegestufe 2 in Höhe von 1.298 F, es verbleiben vom Tagespflegebudget sogar noch 381,98 F Werden sie nicht in der Tagespflege genutzt, verfällt der Anspruch.

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§ 41 Tages- und Nachtpflege

Finanzierungsmöglichkeiten der Tagespflege im Vergleich Darstellung pro Monat Für die Finanzierung der Tagespflege stehen folgende Budgets zur Verfügung 1.Pflegebedingte Aufwendungen (inkl. Fahrtkosten Ohne PflegePflegestufe stufe 1

Pflegestufe 2

Pflegestufe 3

Härtefall

0,00

468,00

1.144,00

1.612,00

1.612,00

bei Einstufung nach § 45a 231,00

689,00

1.298,00

1.612,00

1.612,00

Verhinderungspflege § 39 201,50

201,50

201,50

201,50

201,50

104,00

104,00

104,00

104,00

Tagespflege § 42

2. Unterkunft, Verpflegung, Investkosten Entlastungsleistung § 45b 104,00

3. Gesamt verfügbar Tagespflege (ohne einsetzbares Pflegegeld) bis zu

0,00

bei Einstufung nach § 45a 536,50

773,50

1.449,50

1.917,50

1.917,50

994,50

1.603,50

1.917,50

1.917,50

Darüber hinaus stehen folgende Leistungen für die Häusliche Pflege zur Verfügung Versorgung zu Hause Pflegesachleistung

468,00

1.144,00

1.612,00

1.995,00

bei Einstufung nach § 45a 231,00

0,00

689,00

1.298,00

1.612,00

1.995,00

einsetzbares Pflegegeld

244,00

458,00

728,00

728,00

316,00

545,00

728,00

728,00

0,00

bei Einstufung nach § 45a 123,00

Gesamtbudget für die Versorgung in der Tagespflege und zu Hause Tagespflege und Pflegesachleistung ambulant für Versorgung zu Hause 0,00 bei Einstufung nach § 45a 767,50

1.241,50 2.593,50

3.529,50

3.912,50

1.683,50 2.901,50

3.529,50

3.912,50

1.064,00 1.330,00

1.612,00

1.995,00

16,7%

95,0%

119,0%

96,1%

58,2%

118,2%

119,0%

96,1%

Für vollstationäre Pflege verfügbares Budget 0,00 Unterschied zu ambulant in Prozent 0,0% bei Einstufung nach § 45a 100,0%

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Kapitel 8

Privat zu finanzieren sind Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten in Höhe von 27,23 F pro Tag, also insgesamt 571,83 F. Dazu wird die Entlastungsleistung nach § 45b in Höhe von 104 F eingesetzt, so dass privat 467,83 F zu finanzieren sind. Da noch Pflegegeld in Höhe von 171,14 F übrig sind, werden insgesamt privat nur 296,69 F für 21 Tagespflege bezahlt, Dagegen rechnen könnte man die Einsparungen zuhause für die Verpflegung tagsüber. Darüber hinaus steht für die weitere Versorgung zuhause noch das ungekürzte Budget der Verhinderungspflege von bis zu 201,50 F zur Verfügung. Die Beispiele zeigen, dass die Tagespflege nun eine echte Ergänzung der ambulanten Versorgung mit eigenständiger Finanzierung wird. Vergleicht man die verfügbaren Budgets in der Gesamtversorgung ambulant und vollstationär (siehe Tabelle), so stehen in diesem Leistungsmix durchweg mehr Mittel zur Verfügung als für die vollstationäre Pflege. Das gilt selbst bei Pflegebedürftigen ohne erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz (also mit geringeren ambulanten/teilstationären Sachleistungsbeträgen). Gerade bei Pflegebedürftigen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (§ 45a) ist der Unterschied der Finanzierungsbeiträge der Pflegeversicherung sehr deutlich. Zwar gibt es auch im vollstationären Bereich eine entsprechende Personalausweitung über § 87 b, dadurch verbessert sich die Versorgung, aber die Kosten für den Versicherten/ Bewohner bleiben gleich. Konzeptionell ergeben sich dann in Verbindung der Tagespflege mit ambulanten Angeboten vielfältige Versorgungsmöglichkeiten, davon seien einige aufgezählt: −− Wohnen in der eigenen Wohnung: Versorgung morgens durch den Pflegedienst, tagsüber Aufenthalt in der Tagespflege, abends und am Wochenende durch Pflegedienst und/oder Angehörige/Pflegepersonen. −− Wohnen im Betreuten Wohnen: Versorgung morgens und abends durch Pflegedienst, tagsüber Aufenthalt in der Tagespflege. −− Wohnen in einer Wohngemeinschaft: Versorgung tagsüber in der Tagespflege, außerhalb in der Wohngemeinschaft. Die Tagespflege ist nun auch keine Konkurrenz mehr zum Pflegedienst, mit dem man sich um das gleiche Budget streitet, im Gegenteil: Kunden, die die Tagespflege nicht in Anspruch nehmen, ‚verschenken‘ deren Budget. In der Kombination der beiden Angebote entsteht eine echte teilstationäre Alternative zur vollstationären Versorgung. Wenn Angehörige morgens und tagsüber keine Versorgung übernehmen müssen, sondern nur abends und am Wochenende, wird dies zu einer Stabilisierung und damit stärkeren Nutzung der ambulanten Versorgung führen und damit die Alternative Pflegeheim weniger, später oder

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§ 41 Tages- und Nachtpflege

gar nicht benötigt werden. Damit kann diese Stärkung der Tagespflege für das eine oder andere Pflegeheim zu einer deutlichen Konkurrenz werden, denn wer gut in der Tagespflege versorgt ist, benötigt erst viel später oder gar keinen Heimplatz. Für die bestehenden oder neuen Tagespflegeeinrichtungen kann das auch bedeuten, dass sie über die Ausweitung ihres Angebotes nachdenken sollten, ansonsten könnten die vorhandenen Leistungsansprüche gar nicht ausgenutzt werden. Die im Regelfall anzutreffenden Versorgungszeiten von 8.00 bis 16.00 Uhr von Montag bis Freitag entsprechen nicht unbedingt dem realen Bedarf, vor allem nicht, wenn es um eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf geht, wie der Gesetzgeber in seiner Begründung schreibt. Ähnlich wie im Bereich der Elementarerziehung (Kindergarten) wird sich auch hier das Betreuungsangebot stärker am tatsächlichen Bedarf orientieren bzw. orientieren müssen. Vorstellbar sind längere Öffnungszeiten oder Früh/Spätöffnungen, Betreuung auch am Samstag (damit die Familie einkaufen gehen kann), sogar Kooperationen mit Arbeitgebern (wie vergleichbar im Kindergartenbereich schon üblich) sind nicht nur denkbar, sondern sinnvoll. Gerade im weiteren Zusammenhang des geplanten „Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ (am 15.10.2014 vom Bundeskabinett als Gesetzentwurf beschlossen, soll noch zum 01.01.2015 in Kraft treten) mit dem Anspruch auf bis zu 10 Tagen bezahlte Auszeit zur Organisation der Pflege dürften Arbeitgeber interessiert sein, auch für die Versorgung von Pflegebedürftigen analog der Versorgung von Kindern Angebote zu schaffen, die solche Auszeiten vermeiden oder zumindest reduzieren können. Eine Spezialisierung der Tagespflegen kann auch in Großstädten mit alternativen Angeboten interessant werden: Hauptzielgruppe der Tagespflege sind bisher vor allem Pflegebedürftige mit demenziellen Erkrankungen/Beeinträchtigungen. Gerade deshalb meiden oft „normale“ Pflegebedürftige diese Angebote mit dem Hinweis, die dortigen Anwesenden wären ja alle „nicht mehr klar im Kopf“, mit denen „könnte man sich ja gar nicht unterhalten“. Warum sollte es nicht auch Angebote geben, die für die somatisch Pflegebedürftigen da sind und ihnen ein Angebot machen. Das kann bei Tagespflegen mit zwei Gruppen auch innerhalb einer Einrichtung geschehen. So wird sich ein neues und spannendes Angebotsfeld entwickeln, dass zunehmend attraktiv werden kann. Vereinzelt gibt es jetzt schon Beispiele von Tagespflegen, die beispielsweise einen „Herrentag“ anbieten. Der einzige „Pflegefuß“ der Tagespflege ist weiterhin die Tatsache, dass es sich hier um eine von der Finanzierung her stationäre Einrichtung handelt, bei der die sogenannten Hotel- und Investitionskosten vom Pflegebedürftigen privat getragen werden müssen. Geht es bei den Hotelkosten im Wesentlichen um die Verpflegung, die dann zu Hause eingespart wird (und deshalb einfach zu argumentieren ist), müssen die Investitionskosten „zusätzlich“ und damit privat getragen werden. Dabei hängt es von den jeweiligen Bundesländern ab, ob Investitionskosten der Tagespflegeeinrichtungen vom Land gefördert werden oder nicht. Für die Refinanzierung können allerdings (auch weiterhin) die Mittel

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Kapitel 8

der zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b eingesetzt werden. Das sind in jedem Fall (da nun alle Pflegebedürftigen Anspruch auf die Leistung haben) mindestens 104 F bei einer erhöhten Einstufung im Sinne der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a auch 208 F pro Monat.

Übernachten in der Tagespflege? Die Nachtpflege, auch wenn die Politik sie auch bei der Verabschiedung des PSG 1 im Bundestag immer wieder erwähnt, spielt weiterhin keine nennenswerte Rolle, lt. Pflegestatistik 2011 (eine neuere ist noch nicht verfügbar) gab es neben 33.549 Tagespflegeplätzen gerade einmal 420 Nachtpflegeplätze. Ein alternatives Angebot könnte man aus bestehenden Tagespflegen entwickeln, die für eine oder mehrere Nächte im Monat für einige Interessenten eine Übernachtung anbieten (in den Ruheräumen verfügen die Tagespflegen in der Regel über einige Betten, die dann genutzt werden könnten). Vergleichbar wie dem „Übernachten im Kindergarten“ könnte man beispielsweise an einem Samstag im Monat ein Übernachtungsangebot anbieten. Dann würden die Gäste zwei Tage und eine Nacht in der Tages- und Nachtpflege bleiben, die Angehörigen hätten ein freies Wochenende. Natürlich bedarf es hier einer zusätzlichen Erweiterung der Vergütungs- und Rahmenvereinbarungen, die aber kein Hinderungsgrund sein dürften.

8.4 Gesetzestext und Nachtpflege § 41(1) Tagespflege Pflegebedürftige haben Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege, wenn häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung oder Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist. Die teilstationäre Pflege umfaßt auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück. (2) Die Pflegekasse übernimmt im Rahmen der Leistungsbeträge nach Satz 2 die pflegebedingten Aufwendungen der teilstationären Pflege, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für die in der Einrichtung notwendigen Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Anspruch auf teilstationäre Pflege umfasst je Kalendermonat 1. für Pflegebedürftige der Pflegestufe I einen Gesamtwert bis zu a) 420 Euro ab 1. Juli 2008, b) 440 Euro ab 1. Januar 2010,

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§ 41 Tages- und Nachtpflege

c) 450 Euro ab 1. Januar 2012, d) 468 Euro ab 1. Januar 2015, 2. für Pflegebedürftige der Pflegestufe II einen Gesamtwert bis zu a) 980 Euro ab 1. Juli 2008, b) 1.040 Euro ab 1. Januar 2010, c) 1.100 Euro ab 1. Januar 2012, d) 1.144 Euro ab 1. Januar 2015 3. für Pflegebedürftige der Pflegestufe III einen Gesamtwert bis zu a) 1.470 Euro ab 1. Juli 2008, b) 1.510 Euro ab 1. Januar 2010, c) 1.550 Euro ab 1. Januar 2012 d) 1 612 Euro ab 1. Januar 2015. (3) Pflegebedürftige können teilstationäre Tages- und Nachtpflege zusätzlich zu ambulanten Pflegesachleistungen, Pflegegeld oder der Kombinationsleistung nach § 38 in Anspruch nehmen, ohne dass eine Anrechnung auf diese Ansprüche erfolgt.

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9  § 42 Kurzzeitpflege 9.1 Was ist neu? Die Kurzzeitpflegeleistung wird ebenfalls um 4 % auf bis zu 1.612 F angehoben. Sie kann nun auch von Versicherten mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz aber ohne Pflegestufe in vollem Umfang genutzt werden (siehe § 123). Es können (wie bisher schon üblich) auch die Leistungen der Verhinderungspflege in der Kurzzeitpflege eingesetzt werden, dann erhöht sich die Tagesgrenze auf 56 Tage. Versicherte und Pflegebedürftige können im Einzelfall Kurzzeitpflege auch in nicht zugelassenen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder anderen geeigneten Einrichtungen erhalten, wenn die Versorgung in einer (normalen) Kurzzeitpflege nicht möglich oder zumutbar ist. Die bisherige Altersgrenze von bisher 25 Jahren ist aufgehoben worden.

9.2 Kritik und Praxis Im Kern hat sich bei der Kurzzeitpflege nur ein Punkt geändert: dass Leistungsbezieher ohne Altersbeschränkung im Einzelfall in anderen Einrichtungen versorgt und dort auch über das Budget der Kurzzeitpflege abgerechnet werden dürfen. Bisher war diese Regelung auf Kinder und (seit 2012) auf junge Erwachsene bis 25 Jahre begrenzt. Aber auch behinderte Menschen genauso wie Pflegebedürftige, die nicht schon im Rentenalter sind, sind in normalen, für ältere pflegebedürftige Menschen konzipierten Einrichtungen oft deplatziert. Sie haben keine Kontakte zu Personen in ihrem Alter und/oder mit ihren Problemen. Das gilt beispielsweise auch für Menschen mit Krankheiten wie MS, die in jüngeren Jahren erkranken. Sie werden schon deshalb nicht in die (Alten-)Kurzzeitpflege gehen, weil sie hier völlig „allein“ sind. Sie können nun auch in anderen geeigneten Einrichtungen, beispielsweise in einer Rehabilitationseinrichtung versorgt werden. Diese kann nun nicht nur wie bisher über Verhinderungspflege, sondern nun auch ausnahmsweise über Kurzzeitpflege abrechnen.

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§ 42 Kurzzeitpflege

9.3 Gesetzestext 1) Kann die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderli§ (chen Umfang erbracht werden und reicht auch teilstationäre Pflege nicht aus, besteht Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung. Dies gilt: 1. für eine Übergangszeit im Anschluß an eine stationäre Behandlung des Pflegebedürftigen oder 2. in sonstigen Krisensituationen, in denen vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht ausreichend ist. (2) Der Anspruch auf Kurzzeitpflege ist auf vier Wochen pro Kalenderjahr beschränkt. Die Pflegekasse übernimmt die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege bis zu dem Gesamtbetrag von 1 470 Euro ab 1. Juli 2008, 1 510 Euro ab 1. Januar 2010, 1 550 Euro ab 1. Januar 2012 und 1 612 Euro ab 1. Januar 2015 im Kalenderjahr. Der Leistungsbetrag nach Satz 2 kann um bis zu 1 612 Euro aus noch nicht in Anspruch genommenen Mitteln der Verhinderungspflege nach § 39 Absatz 1 Satz 3 auf insgesamt bis zu 3 224 Euro im Kalenderjahr erhöht werden. Abweichend von Satz 1 ist der Anspruch auf Kurzzeitpflege in diesem Fall auf längstens acht Wochen pro Kalenderjahr beschränkt. Der für die Kurzzeitpflege in Anspruch genommene Erhöhungsbetrag wird auf den Leistungsbetrag für eine Verhinderungspflege nach § 39 Absatz 1 Satz 3 angerechnet. (3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 besteht der Anspruch auf Kurzzeitpflege in begründeten Einzelfällen bei zu Hause gepflegten Pflegebedürftigen auch in geeigneten Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen und anderen geeigneten Einrichtungen, wenn die Pflege in einer von den Pflegekassen zur Kurzzeitpflege zugelassenen Pflegeeinrichtung nicht möglich ist oder nicht zumutbar erscheint. § 34 Abs. 2 Satz 1 findet keine Anwendung. Sind in dem Entgelt für die Einrichtung Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Aufwendungen für Investitionen enthalten, ohne gesondert ausgewiesen zu sein, so sind 60 vom Hundert des Entgelts zuschussfähig. In begründeten Einzelfällen kann die Pflegekasse in Ansehung der Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie der Aufwendungen für Investitionen davon abweichende pauschale Abschläge vornehmen.

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10  § 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

Aufgrund der Komplexität der Regelungen werden hier zunächst die einzelnen Regelungsschritte detailliert erläutert, bevor sie später zusammenfassend bewertet werden. Ein Teil der inhaltlichen Begründung für bestimmte Leistungen nach § 45b hat der Gesetzgeber unter § 45c dargestellt. Wir werden sie hier, soweit es inhaltlich sinnvoll ist, mit einbeziehen. Vom Gesetzgeber werden die neu eingeführten Entlastungsleistungen über § 45c, 3a beschreiben.

10.1 Was ist neu? 1. Die Leistung wird umfassender als „Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistung“ bezeichnet und entsprechend inhaltlich ausgeweitet. 2. Die Leistungsbeträge werden um 4 % auf jeweils 104 bzw. 208 F pro Monat angehoben. 3. Der Leistungsinhalt für Pflegedienste wird ausgeweitet, nun gehören neben den zusätzlichen Betreuungsleistungen auch Angebote der zusätzlichen hauswirtschaftlichen Versorgung zum abrechenbaren Angebot, soweit es sich nicht um Leistungen der Grundpflege handelt. 4. Auch die nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Angebote sind inhaltlich erweitert auf Betreuungs- und Entlastungsangebote. 5. Die Erstattung für Betreuungs- und Entlastungsleistungen kann nicht nur über die Leistung nach § 45b erfolgen, sondern auch über nicht genutzte Leistungen der Verhinderungspflege nach § 39. 6. Betreuungs- und Entlastungsleistungen um Umfang von 104 F monatlich erhalten alle Pflegebedürftigen, auch wenn sie nicht nach § 45a eingestuft sind. Auch hier gelten die bisherigen Übertragungsregelungen in das Folgehalbjahr. 7. Soweit die Sachleistungen nach §§ 36 und 123 im jeweiligen Monat nicht ausgeschöpft wurden, können maximal 40 % des Pflegesachleistungsbetrags für die Pflegestufe für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen verwendet werden. −− Dabei ist die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Einzelfall sicherzustellen.

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

−− Die durch Pflegedienste erbrachten ambulanten Sachleistungen sind vorrangig abzurechnen. −− Der Anspruch gilt für alle verfügbaren Sachleistungen, also auch, wenn bereits Kombinationsleistungen nach § 38 genutzt werden. Dabei werden die für niedrigschwellige Leistungen verbrauchten Anteile den Sachleistungen zugeordnet, somit wird das Pflegegeld entsprechend der verbrauchten Sachleistungen (durch Pflegedienst oder als niedrigschwellige Leistungen verbracht) berechnet. −− Zur Qualitätssicherung und Beratung sind Beratungseinsätze nach § 37 Abs. 3 bis 5, 7 vorgeschrieben, ansonsten sind keine anteiligen Sachleistungen mehr nutzbar. −− Der Anteil der niedrigschwelligen Betreuungs-und Entlastungsleistungen, die über den Sachleistungsanteil finanziert werden, werden bei Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII angerechnet, nicht jedoch im Rahmen der Leistungsbeträge nach § 45b. 8. Die anteilige Nutzung der Sachleistungen für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote soll innerhalb von vier Jahren evaluiert werden. 9. Die Landesregierungen müssen über Rechtsverordnungen neben der Anerkennung als förderungsfähige Angebote auch die Vorgaben zur Qualitätssicherung der Angebote bestimmen. 10. Angebote der niedrigschwelligen Betreuung und Entlastung können sowohl im Sinne des 45c Abs. 3 (Niedrigschwellige Betreuungsangebote) als auch im Sinne des (neuen) 45c, Abs. 3a (Niedrigschwellige Entlastungsangebote) nach Landesrecht anerkannt werden.

10.2 Begründung Ein genereller Hinweis vorweg: Der Gesetzgeber lässt sich bei der neuen Ausgestaltung der Leistungen nach §§ 45b/c vor allem von der geplanten Umsetzung eines neuen Einstufungsverfahrens leiten und will sozusagen schon im Vorgriff (wie im PNG begonnen) erste Schritte in diese Richtung gehen. Er argumentiert und bezieht sich hier insbesondere auf den „Bericht des Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs“. Dieser wurde 2012 vom damaligen Gesundheitsminister in Auftrag gegeben, um noch offene Fragen der ersten Expertenrunde, die den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein Umsetzungskonzept entwickelt hatte, zu klären. Dieser Bericht wurde am 27. Juni 2013 veröffentlicht. Im Expertenbeitrat waren neben Kostenträgern, Politikern und Fachleuten auch die Pflegeverbände und Leistungsanbieterverbände vertreten. 1. Die Leistung wird umfassender als „Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistung“ bezeichnet und entsprechend inhaltlich ausgeweitet.

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Kapitel 10

Bisher waren die Leistungen nach § 45b begrifflich auf die „Zusätzliche Betreuung“ beschränkt, vor allem für die Betreuung insbesondere demenzkranker Versicherter bzw. Pflegebedürftiger gedacht. Denn die Leistungsvoraussetzung war eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a. Nun wird der Leistungsinhalt über den weiteren Begriff „Entlastungsleistungen“ erweitert. Der Gesetzgeber versteht unter Entlastungsleistungen Folgendes: „Zusätzliche Entlastungsleistungen dienen der Deckung des Bedarfs der Versicherten an Unterstützung im Haushalt, insbesondere bei der hauswirtschaftlichen Versorgung, an Unterstützung bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags oder an Unterstützung bei der eigenverantwortlichen Organisation individuell benötigter Hilfeleistungen oder sie tragen dazu bei, Angehörige und vergleichbar Nahestehende in ihrer Eigenschaft als Pflegende zu entlasten.“ (Begründung zu § 45b, Gesetzentwurf, Hervorhebungen vom Autor) Hintergrund dieses neuen und weit gefassten Entlastungsbegriffes ist die Vorwegnahme von Leistungsinhalten und Empfehlungen in Hinblick auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff. Die Entlastungsleistungen ergänzen die bisherigen zusätzlichen Betreuungsleistungen, bei denen es vor allem (allein) um die Betreuung des Pflegebedürftigen/Versicherten ging, nicht jedoch um den Haushalt, die sonstige Organisation des Alltags oder um andere Entlastungsangebote für die Pflegepersonen. Diese wurden allerdings durch die temporäre Übernahme der Betreuung entlastet. 2. Die Leistungsbeträge werden um 4 % auf jeweils 104 bzw. 208 F pro Monat angehoben. Die Leistungserhöhung mit 4 % entspricht der allgemeinen Steigerung nach § 30 (siehe dort). 3. Der Leistungsinhalt für Pflegedienste wird ausgeweitet, nun gehören neben den zusätzlichen Betreuungsleistungen auch Angebote der zusätzlichen hauswirtschaftlichen Versorgung zum abrechenbaren Angebot, soweit es sich nicht um Leistungen der Grundpflege handelt. Bisher waren die Leistungen der Pflegedienste nach Satz 6, Punkt 3 darauf beschränkt, dass keine Grundpflege oder hauswirtschaftliche Versorgung erbracht werden durfte. Durch die Ausweitung des Leistungsbegriffs in „Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen“ wird nur noch die Erbringung von Grundpflegeleistungen ausgeschlossen. Hauswirtschaftliche Leitungen können nun von den Pflegediensten neben der Abrechnung über Sachleistungen auch als zusätzliche Entlastungsleistung im Rahmen der Kostenerstattung erbracht werden. Andere Entlastungsleistungen wie Alltagshilfen oder Pflegebegleiter darf der Pflegedienst jedoch nur im Rahmen der Zulassung nach § 45b Satz 4, Nr. 4 als niedrigschwellige Entlastungsleistung erbringen. Es bleiben die bisherigen besonderen Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung bestehen, dabei ist jedoch die Zielgruppe

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

ausgeweitet, denn alle Pflegebedürftigen haben nun Leistungsansprüche nach § 45b (Punkt 6). Nun kann jeder Pflegebedürftige Betreuungsleistungen abrufen, alternativ zur Sachleistung „Häusliche Betreuung“ nach § 124. 4. Die nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Angebote sind inhaltlich erweitert auf Betreuungs- und Entlastungsangebote. Auch die nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote (§ 45b Absatz 1, Satz 6, Nr. 4) werden inhaltlich auf Betreuungs- und Entlastungsangebote erweitert (und damit wird beispielsweise auch die Erbringung von hauswirtschaftlichen Leistungen ermöglicht, siehe Erläuterung Punkt 1). 5. Die Erstattung für Betreuungs- und Entlastungsleistungen kann nicht nur über die Leistung nach § 45b erfolgen, sondern auch über nicht genutzte Leistungen der Verhinderungspflege nach § 39. Hier erfolgt eine Klarstellung, dass Betreuungs- und Entlastungsleistungen auch im Rahmen der Verhinderungspflege nach § 39 abrechenbar sind und trotzdem das volle Budget nach § 45b ungeschmälert zur Verfügung steht. Das war bisher in der Praxis auch so möglich, der Gesetzgeber begründet diese Feststellung aber damit, dass nicht alle Kostenträger dies einheitlich gehandhabt haben. 6. Betreuungs- und Entlastungsleistungen um Umfang von 104 F monatlich erhalten alle Pflegebedürftigen, auch wenn sie nicht nach § 45a eingestuft sind. Auch hier gelten die Übertragungsregelungen in das Folgehalbjahr. Die Empfehlungen zur Umsetzung eines neuen Pflegedürftigkeitsbegriffs (der im PSG 2 2017 kommen soll) sehen vor, dass jeder Leistungsberechtigte einen unbürokratischen Beitrag (also über Kostenerstattung) für Entlastungsleistungen bekommen soll. Dies hat der Gesetzgeber schon vorzeitig im PSG 1 umgesetzt, indem nun jeder Pflegebedürftige unabhängig von seiner Einstufung nach § 45a den Betrag von 104 F im Monat für zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen erhält. Für den erhöhten Betrag bedarf es weiterhin einer entsprechend höheren Einstufung nach § 45a. Für diese Kostenerstattungsleistung nach § 45b gilt weiterhin die Regel, dass sie Monatsbeträge sind: kein Vorgriff auf zukünftige Monate, aber das nicht ausgegebene Geld vergangener Monate kann bis ins Folgehalbjahr übertragen werden. Zur Klarstellung: die bisherigen Leistungsbezieher (erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz) erhalten weiterhin nur so viel Geld wie bisher (+ 4 %), nur alle anderen ambulanten Leistungsbezieher (mit Pflegestufe) erhalten nun auch Betreuungs- und Entlastungsleistungen im Umfang von 104 F. Die Einstufung nach § 45 a (erheblich oder erhöhte eingeschränkte Alltagskompetenz) ist praktisch nur noch für Versicherte ‚nötig‘, die die Pflegestufe 1 nicht erreichen (Pflegestufe „0“) oder die eine erhöhte eingeschränkte Alltagskompetenz haben und deshalb doppelt so viel Leistungen beziehen können (208 F)

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Kapitel 10

7. Soweit die Sachleistungen nach §§ 36 und 123 im jeweiligen Monat nicht ausgeschöpft wurden, können maximal 40 % des Pflegesachleistungsbetrags für die Pflegestufe für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen verwendet werden. −− Dabei ist die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Einzelfall sicherzustellen. −− Die durch Pflegedienste erbrachten ambulanten Sachleistungen sind vorrangig abzurechnen. −− Der Anspruch gilt für alle verfügbaren Sachleistungen, also auch, wenn bereits Kombinationsleistungen nach § 38 genutzt werden. Dabei werden die für niedrigschwellige Leistungen verbrauchten Anteile den Sachleistungen zugeordnet, somit wird das Pflegegeld entsprechend der verbrauchten Sachleistungen (durch Pflegedienst oder als niedrigschwellige Leistungen verbraucht) berechnet. −− Zur Qualitätssicherung und Beratung sind Beratungseinsätze nach § 37 Abs. 3 bis 5, 7 vorgeschrieben, ansonsten sind keine anteiligen Sachleistungen mehr nutzbar. −− Der Anteil der niedrigschwelligen Betreuungs-und Entlastungsleistungen, die über den Sachleistungsanteil finanziert werden, werden bei Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII angerechnet, nicht jedoch im Rahmen der Leistungsbeträge nach § 45b. Nur die niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen können auch unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich teilweise über das Sachleistungsbudget der §§ 36 bzw. 123 abgerechnet werden, beispielsweise, wenn einem Leistungsbezieher der Leistungsumfang nach § 45b sowie der Verhinderungspflege nach § 39 zusammen genommen nicht ausreicht: Folgende Beträge sind theoretisch maximal nutzbar:

Leistungsansprüche 2015 Zusätzlich verfügbares maximales Budget für niedrigschwellige Betreuungs-und Entlastungsleistungen 40% des Sachleistungsbetrags Ohne PflegePflegestufe stufe 1

Pflegestufe 2

Pflegestufe 3

Härtefall

Umgewandelte Sachleistung

-

187 F

458 F

645 F

798 F

Dadurch reduziertes Pflegegeld

-

97 F

183 F

291 F

291 F

Umgewandelte Sachleistung

92 F

276 F

519 F

645 F

798 F

Dadurch reduziertes Pflegegeld

49 F

126 F

218 F

291 F

291 F

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

Im gleichen Umfang (bis zu 40 %), in dem die Sachleistungen genutzt werden, wird auch ein entsprechendes Pflegegeld gekürzt. Die Nutzung der anteiligen Sachleistung ist nur möglich, wenn: −− Die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Einzelfall sichergestellt ist. Unklar ist, ob die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung einschließlich der zusätzlichen Leistungsnutzung sichergestellt werden soll oder ohne sie. Auch stellt sich die Frage, wie die Pflegebedürftigen bzw. der Leistungserbringer der niedrigschwelligen Leistungen dies zu prüfen bzw. zu garantieren hat. −− Zur Prüfung/Qualitätssicherung sollen die Beratungseinsätze nach § 37.3 dienen. Nicht wirklich durch den Gesetzestext geklärt ist die Frage, ob bei bisherigen Pflegegeldempfängern dann ein weiterer Beratungsbesuch notwendig ist (einerseits zur Beratung im Rahmen des Pflegegeldbezuges, andererseits zur Qualitätssicherung und Beratung wegen der Nutzung niedrigschwelliger Leistungen) oder ob diese zusätzliche Qualitätssicherung innerhalb eines Beratungsbesuches erfolgen kann. Lt. Gesetzesbegründung sind für die Beratungsbesuche insbesondere die Pflegeberater nach § 7a (der Pflegekassen) geeignet, für die Versicherten den richtigen Leistungsmix zu finden und ihn zu beraten. Es können aber im Prinzip alle nach § 37 zugelassenen Einrichtungen oder Personen diese (besonderen) Besuche durchführen, also auch die Pflegedienste. −− Werden auch Sachleistungen über den Pflegedienst erbracht, sind diese zunächst vorrangig von der Pflegekasse abzurechnen, bevor der Restbetrag (bis maximal 40 % der jeweiligen Sachleistung) für die Kostenerstattung der zusätzlichen Betreuungsund Entlastungsleistungen zur Verfügung steht. Damit kann die Pflegekasse erst dann über eine Kostenerstattung aus der Sachleistung entscheiden, wenn die erbrachten Sachleistungen des Pflegedienstes abgerechnet wurden. Nicht abgerufene Sachleistungen des Monats werden ansonsten (wie bisher) als Pflegegeld im Rahmen der Kombinationsleistung (nach § 38) ausgezahlt. Für die Berechnung des anteiligen Pflegegeldes zählen die über (umgewandelte) Sachleistungen abgerechneten zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen als Sachleistungen und kürzen entsprechend ebenfalls den Pflegegeldbezug. −− Werden vom Pflegebedürftigen/Versicherten in diesem Sinne Sachleistungen in zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen umgewidmet, so werden sie auf evtl. vorhandene Leistungen der Sozialhilfe nach SGB XII angerechnet. Denn der Versicherte/Pflegebedürftige finanziert hier Betreuungs- und Entlastungsleistungen aus dem zusätzlichen Budget der Sachleistungen, so dass die Sozialhilfe sich dann entsprechend „‚entlasten“ kann. Zumal als Voraussetzung für diesen Leistungsbezug (Zugriff auf Sachleistungen) die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Einzelfall sichergestellt ist.

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Kapitel 10

8. Die anteilige Nutzung der Sachleistungen für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote soll innerhalb von vier Jahren evaluiert werden. Die Möglichkeit zur anteiligen Nutzung der Sachleistungen durch andere soll innerhalb von vier Jahren evaluiert werden. Im Gesetzentwurf war dies nur in der Kommentierung vorgesehen, der Gesundheitsausschuss hat dies in den Gesetzestext aufgenommen. Allerdings soll noch in dieser Legislaturperiode, die bis 2017 geht, der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff im Rahmen eines Zweiten Pflegestärkungsgesetzes umgesetzt werden, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. 9. Die Landesregierungen müssen über Rechtsverordnungen neben der Anerkennung als förderfähige Angebote auch die Vorgaben zur Qualitätssicherung der Angebote bestimmen. Wie schon bisher sind die Landesregierungen über Rechtsverordnungen dafür zuständig, die Anerkennung solcher niedrigschwelliger Betreuungs- und Entlastungsangebote in eigener Hoheit zu regeln, dabei sind die ergänzenden Fördervorschriften/ Empfehlungen der Pflegekassen nach § 45c, Abs. 6 zu beachten. Voraussetzung ist, dass diese Angebote nach der inhaltlichen Beschreibung in § 45c gefördert oder förderungsfähig sind. Bisher gelten die jeweiligen Landesverordnungen nur für die niedrigschwelligen Betreuungsangebote, da Entlastungsangebote noch nicht zum Leistungsrahmen gehörten. Der Gesetzgeber hat hier nun ergänzt, dass nun auch Regelungen zur Qualitätssicherung der Angebote in die Landesverordnungen aufgenommen werden müssen, das gilt dann auch für bereits bestehende Verordnungen (für die niedrigschwellige Betreuung). 10. Angebote der niedrigschwelligen Betreuung und Entlastung können sowohl im Sinne des 45c Abs. 3 (niedrigschwellige Betreuungsangebote) als auch im Sinne des (neuen) 45c, Abs. 3a (Niedrigschwellige Entlastungsangebote) nach Landesrecht anerkannt werden. Die von den Ländern zu erlassenden Rechtsversordnungen sollen auch eine getrennte oder/und gemeinsame Anerkennung von Angeboten der Betreuung und Entlastung vorsehen. Anbieter müssen daher nicht beide Bereiche anbieten, sondern können beispielsweise nur reine Entlastungsangebote oder nur Betreuungsangebote (wie bisher) erbringen. Übersicht Zur Verdeutlichung, wer welche Leistungen nutzen kann, zunächst nochmal eine zusammenfassende Grafik. Die Tages/Nachtpflege, die Kurzzeitpflege und die Pflegedienste dürfen die Leistungen ab dem 01.01.2015 erbringen/abrechnen, denn diese Einrichtungen können aus eige-

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

§ 45b Betreuungs- und Entlastungsleistungen Verfügbare Leistungshöhe pro Monat Erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz

Ohne Pflegestufe

keine Einschränk. Grundstufe Erhöhte Stufe 104 F 208F

mit Pflegestufe

104 F

104 F

208 F

Folgende Aufwendungen/Eigenbelastungen werden erstattet 1. Tages- und Nachtpflege: Pflegesatz, (auch Hotel/Investkosten) 2. Kurzzeitpflege: Pflegesatz (auch Hotel/Investkosten) 3. Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen Voraussetzung: Versorgungsvertrag als Pflegedienst Inhalte: Zusätzliche Betreuung, Zusätzliche hauswirtschaftliche Versorgung 4. Niedrigschwellige Betreuungs- und/oder Entlastungsleistungen Voraussetzung:

Landesrichtlinien nach § 45 b, Abs. 4

Anerkennung

nach Landesrecht durch Landesbehörde

Anbieter:

Pflegedienste, andere Anbieter

Sonderregelung für niedrigschwellige Leistungen Mitnutzung von max. 40 % des ambul. Sachleistungsbudgets möglich

nem Recht (weil sie als Pflegeeinrichtungen einen Versorgungsvertrag haben) diese Leistungen nutzen. Wie weit die Pflegedienste dazu ihr vorgelegtes Konzept zu den zusätzlichen Betreuungsleistungen (nach § 45b) erweitern und ergänzen müssen, ist bisher noch unklar. Die niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen (Punkt 4) können nur die Einrichtungen (z.B. Pflegedienste), oder Dienstleister anbieten, deren Angebote von den Bundesländern entsprechend der erlassenen Landesverordnungen zu niedrigschwelligen Betreuungsangeboten (i.d.R. bereits vorhanden) und/oder zu niedrigschwelligen Entlastungsleistungen (noch neu zu erstellen) als förderfähig anerkannt sind. Das heißt auch, dass weder die Tages/Nachtpflege, die Kurzzeitpflege oder der Pflegedienst die anteilige Sachleistung im Sinne § 45b nutzen kann. Nur dann, wenn sie entsprechend den Bedingungen des Punktes 4 für die niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen anerkannt sind.

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Kapitel 10 10.3 Kritik/Praxis Wie schon bei der „Häuslichen Betreuung“ nach § 124 (PNG 2013) werden hier nun Versorgungsstrukturen und Elemente eingeführt, die im Rahmen der Umsetzung des neuen Pflegedürftigkeitsbegriffs entwickelt wurden. Auch der Vorschlag, einen Teil der Sachleistungen für niedrigschwellige Leistungen zu nutzen, entstammt dem Abschlussbericht des Expertenbeirats. Gleichzeitig gelten jedoch die formalen Regelungen der bisherigen Einstufung und Systematik weiter, daher gibt es nun Probleme und Inkompatibilitäten. Eine Ungereimtheit vorweg: Warum soll eine Evaluation der Nutzung der anteiligen Sachleistungen innerhalb von vier Jahren erfolgen, wenn ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff mit dann völlig anderen Voraussetzungen schon in zwei Jahren eingeführt werden soll, wie es in der Gesetzesbegründung heißt? Zur besseren Übersicht werden wir die Kritikpunkte unter verschiedenen Aspekten zusammenfassend diskutieren.

Begriffliche Klarstellung In der Praxis kann man jetzt (November 2014) schon erkennen, dass auch Pflegedienste oder andere Fachleute die Leistungsansprüche/-strukturen der Leistungen nach § 45b durcheinanderbringen. Hauptsächlich wird der Unterschied der beiden Leistungsstrukturen nach § 45b, Satz 6 Nr. 3 und 4 verwechselt: die zusätzlichen Betreuungs- und Hauswirtschaftsleistungen (Nr. 3) und die niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen (Nr. 4). Denn die Adjektive „zusätzliche“ bzw. „niedrigschwellige“ kennzeichnen hier nicht etwa die Art der Leistung, sondern die rechtliche Zuordnung zu unterschiedlichen Leistungszweigen. Natürlich sind es im Wortsinn „niedrigschwellige Leistungen“, wenn eine Pflegekraft am Nachmittag mit einer dementen Pflegebedürftigen Karten spielt, aber nicht die Art der Leistungserbringung wird hierdurch gekennzeichnet, sondern die rechtliche Einordnung der Leistungen. Daher ist zu empfehlen, auch in der Praxis die Leistungen sprachlich genau aufgrund ihrer Rechtsfolgen zu definieren: −− Zusätzliche Betreuung und (zusätzliche) hauswirtschaftliche Versorgung (§ 45b, Satz 6, Nr. 3) Zugelassene Pflegedienste dürften Leistungen erbringen, keine weitere Erlaubnis nötig, Pflegekassen prüfen nur, ob konzeptionell die besonderen Betreuungs- und hauswirtschaftlichen Leistungen von der Grundpflege abgegrenzt sind. −− Niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen (§ 45b, Satz 6, Nr. 4) Nur Leistungsanbieter (Pflegedienste und/oder andere), deren Konzept zur Erbringung dieser niedrigschwelligen Leistungen durch das jeweilige Bundesland als förderfähig anerkannt ist, dürfen mit den Pflegekassen abrechnen. Für die niedrigschwelligen Betreuungsleistungen gibt es vorhandene Richtlinien und Anerkennungen, für die

67 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

niedrigschwelligen Entlastungsleistungen müssen diese Richtlinien erst erstellt werden, bevor man darüber anerkannt werden kann.

Abgrenzung der Leistungen zur Grundpflege Die inhaltliche Ausweitung dieser neu definierten Leistung geht sehr weit, wie man aus der Beschreibung der neuen Entlastungsleistungen sehen kann. Damit wird es praktisch zu vielen Überschneidungen und Abgrenzungsproblemen in Bezug auf die Grundpflege kommen, die weiterhin nicht darüber erbracht werden darf. Denn egal ob Betreuungs- oder Entlastungsleistungen, die momentan formal notwendige Abgrenzung zur Grundpflege ist in der ambulanten Praxis kaum möglich. Wer für zwei Stunden in die Wohnung eines Pflegebedürftigen kommt und beispielsweise nur hauswirtschaftliche Leistungen erbringen soll, wird Grundpflegeleistungen nicht vermeiden können. Seien es Hilfen beim Aufstehen, Unterstützung beim Toilettengang (wie Kleidung richten) oder beim Anziehen einer Strickjacke; alles das sind Tätigkeiten, die lt. Gesetz Grundpflege nach § 14 sind und damit nicht erbracht werden dürfen. Das gilt dann auch bei Betreuungs- und Entlastungsleistungen wie Spaziergänge und gemeinsames Einkaufen (Hilfe bei der Mobilität), Besuch von Veranstaltungen (Mobilität, evtl. Hilfe bei Darm- und Blasenentleerung, Hilfe bei der Nahrungsaufnahme). Würde man tatsächlich die formale Trennung einhalten, könnten viele der vom Gesetzgeber gewollten Leistungen gar nicht erbracht werden. Zumindest bei den Qualitätsanforderungen sollten die Landesregierungen diese „Untrennbarkeit“ berücksichtigen und in den Richtlinien zur Anerkennung einen entsprechenden Ausbildungsumfang definieren. Auch wer nur im Haushalt eines Pflegebedürftigen putzt, muss deshalb Grundwissen im Bereich Bewegung/Mobilität, Hygiene sowie Hilfeleistung im Notfall haben. Basiskenntnisse zum Umgang mit Pflegebedürftigen und/oder Dementen sollten dazugehören. Evtl. vergleichbare Aufgaben im Rahmen der stationären Betreuung haben die sogenannten „Betreuungskräfte“ nach § 87b in der stationären Pflege. Lt. Richtlinie haben diese Kräfte eine Mindestausbildung von 160 Std. sowie ein zweiwöchiges Praktikum zu absolvieren (Betreuungskräfte-RI in der Fassung vom 06.05.2013). Es wird interessant werden, wie die Empfehlung des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen zur Förderung der niedrigschwelligen Angebote in Bezug auf die Qualifikation der einzusetzenden Mitarbeiter aussehen wird und was die Länder über die Personalanforderungen in ihre Richtlinien schreiben werden.

Konzept zur Erbringung der zusätzlichen Betreuungsund hauswirtschaftlichen Leistungen erweitern Damit die Pflegekassen die Kostenerstattung der zusätzlichen Betreuungsleistungen bisher übernehmen konnten, musste der Pflegedienst ein entsprechendes Konzept zur Erbringung dieser Leistungen vorlegen. Aus diesem musste die Abgrenzung zur Grund-

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Kapitel 10

pflege und Hauswirtschaft deutlich werden, auch Aussagen zur Qualität und Durchführung. Die Pflegekassen konnten nicht im formalen Sinne eine Zulassung aussprechen, das hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Sie konnten im Einzelfall nur die Kostenerstattung der Leistung verweigern. Durch die Leistungsausweitung mit dem PSG 1 muss das Konzept um einige Aspekte erweitert werden: −− Die besonderen Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung können nun nicht mehr nur Versicherte/Pflegebedürftige mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a nutzen, sondern darüber hinaus auch alle anderen Pflegebedürftigen. Damit muss und kann hier eine entsprechende konzeptionelle Erweiterung erfolgen: auch ein nur somatisch beeinträchtigter Pflegebedürftiger kann sich über diese Leistung betreuen lassen. −− Zusätzliche hauswirtschaftliche Leistungen: Durch die Erweiterung können neben der zusätzlichen Betreuung auch hauswirtschaftliche Leistungen erbracht werden. Konzeptionell muss hier nur dargestellt werden, dass die hauswirtschaftliche Leistung keine Grundpflege umfassen kann. −− Für beide Leistungsarten gilt: keine Grundpflege Nach dem Wortlaut des Gesetzes darf in keiner Leistungsart (weder bei der zusätzlichen Betreuung noch der Hauswirtschaft) Grundpflege erfolgen. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass nach § 14 SGB XI zur Grundpflege die Teilbereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität gehören, auch der Hilfebegriff ist hier ausführlich und abschließend definiert: Jede Anleitung und Beaufsichtigung bei einer Leistung ist im Sinne des SGB XI „Hilfe“. Deshalb dürften formal auch keinerlei Mobilitätshilfen im Rahmen der Leistungen vorkommen. Formal schließt das in den meisten Fällen auch Spaziergänge oder Begleitung zu Veranstaltungen aus. Das ist faktisch zwar ‚weltfremd‘, aber nicht anders geregelt als für die „Häusliche Betreuung“ nach § 124. Im Gegensatz zur Sachleistung § 124 handelt es sich hier um eine Kostenerstattungsleistung (Unterschiede siehe unten). Zu klären ist, ob die Kostenträger zunächst auf ein neues Konzept zur Umsetzung der Leistungserweiterungen bestehen, bevor sie die erweiterten Leistungen erstatten. Dem Willen des Gesetzgebers folgend sollte hier ein einfacher und schneller Weg gefunden werden, denn diese Leistungen sollten einfach und unkompliziert zur Verfügung gestellt werden, nicht erst beispielsweise in einem halben Jahr nach Einführung der Regelung.

Hauswirtschaft in unterschiedlichen Varianten Nun wird der Leistungsbezieher von Pflegeversicherungsleistungen die Wahl haben, auf welche Weise er hauswirtschaftliche Leistungen erhalten möchte. Er kann wählen zwischen der Hauswirtschaft als:

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

−− Sachleistung: Hauswirtschaft durch den Pflegedienst einschließlich umfassender Pflegeplanung und Risikoberatung, überwacht durch den MDK im Rahmen der jährlichen Qualitätsprüfungen. Die Leistung kann je nach Bundesland und Leistungskatalog nur als Pauschalleistung (Leistungskomplexe) oder als Zeitleistung oder wahlweise als Pauschale/Zeitleistung (in Bundesländern, die im Rahmen des PNG die Zeitabrechnung auch für Hauswirtschaft eingeführt haben) abgerufen werden. −− Kostenerstattungsleistung nach § 45b, Satz 6, Nr. 3 durch den Pflegedienst: gleicher Dienstleister wie bei Sachleistungen, aber keine formalen Anforderungen in Bezug auf Vergütungsvereinbarungen, Qualitätssicherung oder Qualitätsprüfungen. Pflegedienste haben lediglich konzeptionell darzustellen, wie sie die Leistungen qualitätsgesichert erbringen wollen. Formale Vorgaben durch die Landesverbände der Pflegekassen oder eine Landesbehörde sind nicht vorgesehen, ebenso gibt es keine formale Erlaubnis zur Erbringung dieser Leistungen; nur eine konzeptionelle Prüfung insbesondere in Bezug auf die Abgrenzung zur Grundpflege. −− Niedrigschwellige Entlastungsleistung durch nach Landesrecht anerkannte entsprechende Dienste nach § 45b, Satz 6, Nr. 4 wie Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen (siehe § 45c, Abs. 3a). Hier wird mit der Rechtsverordnung auf Landesebene das formale Qualifikationsniveau festgelegt. Auch über diesen Weg können Pflegedienste (bei einer entsprechenden Zulassung), vor allem aber andere Dienstleister hauswirtschaftliche Leistungen erbringen und im Rahmen der Kostenerstattung refinanzieren.

Unterschiedlichste Leistungszugänge Im Vertragsgespräch, aber auch schon vorher in der allgemeinen Beratung oder/und der Aufklärung und Beratung durch die Pflegekassen, muss man den Versicherten/Pflegebedürftigen darüber aufklären, welche Leistungen er auf welchen Wegen erhalten kann. Dabei sind die Zugänge durchaus vielfältig:

Leistungen der Grundpflege (insbesondere Körperpflege) −− Sachleistungen über Pflegedienst nach § 36 −− Über Verhinderungspflege nach § 39 durch Pflegedienst oder andere Dienstleister.

Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung −− −− −− −−

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Sachleistung über Pflegedienst nach § 36 Verhinderungspflege nach § 39 durch Pflegedienst oder andere Dienstleister Als Entlastungsleistung nach § 45b (3) über Pflegedienst Als anerkannte niedrigschwellige Entlastungsleistung nach § 45b (4) durch Pflegedienst oder andere Dienstleister

Kapitel 10

−− B ei anerkanntem niedrigschwelligen Angebot: mit teilweiser Nutzung des Sachleistungsbudgets (bis 40 %).

Betreuungsleistungen −− −− −− −−

Sachleistung nach § 124 durch Pflegedienst Über Verhinderungspflege nach § 39 durch Pflegedienst oder andere Dienstleister Als Betreuungsleistung durch Pflegedienst nach § 45b (3) Als niedrigschwellige Betreuungsleistung durch Pflegedienst oder andere Dienstleister nach § 45b (4) −− Bei anerkanntem niedrigschwelligen Angebot: mit teilweiser Nutzung des Sachleistungsbudgets (bis 40 %).

Entlastungsleistungen −− Über Verhinderungspflege durch Pflegedienst oder andere Dienstleister nach § 39 −− Als Entlastungsleistung durch Pflegedienst nach § 45b (3) −− Als niedrigschwellige Entlastungsleistung durch Pflegedienst oder andere Dienstleister nach § 45b (4) −− Bei anerkanntem niedrigschwelligen Angebot: mit teilweiser Nutzung des Sachleistungsbudgets (bis 40 %).

Praktische Folgen für die hauswirtschaftliche Versorgung durch den Pflegedienst Dadurch, dass nun alle Pflegebedürftigen ein Entlastungsleistungsbudget von mindestens 104 F erhalten, dass sie auch für hauswirtschaftliche Leistungen einsetzen können, müssen Pflegedienste ihre Strategie zur Beratung und zum Anbieten von Leistungen ändern: Denn der Kunde hat beispielsweise in Pflegestufe 1 nicht nur verfügbare 468 F für Grundpflege und Hauswirtschaft, sondern eben auch weitere 104 F für Entlastungsleistungen, also auch für Hauswirtschaft. Da die Entlastungsleistungen nicht ausgezahlt werden, sondern nur bei konkret erbrachten Dienstleistungen abgerechnet werden können, sollte die Beratung durch den Pflegedienst dahin gehen, dass man hauswirtschaftlichen Leistungen, die sonst über Leistungskomplexe/Sachleistungen erbracht wurden, zunächst als Kostenerstattungsleistung erbringt und abrechnet. Folgende praktischen Umsetzungsschritte sollten Pflegedienste zum 01.01.2015 einleiten und dann später auch bei jedem Neukunden anwenden: 1. Hauswirtschaft als Kostenerstattungsleistung nach § 45b definieren und anbieten (zur Preishöhe siehe unten); das Konzept zur Erbringung dieser Leistungen erweitern. 2. Die Pflegeverträge aller Sachleistungskunden überprüfen, ob hauswirtschaftliche Leistungen abgerechnet oder erbracht werden (sollen). Falls dies der Fall ist, sollte man zwei Gruppen unterscheiden:

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

a. Hauswirtschaftliche Leistungen in unmittelbaren Zusammenhang mit der (meist) morgendlichen Grundpflege: Hier geht es oft nur um das „Zubereiten einer sonstigen Mahlzeit“ (Frühstück) oder um kurze hauswirtschaftliche Tätigkeiten (nach Zeit) wie Reinigung, Müll: Im Regelfall wird es schwierig sein, diese Leistungen getrennt darzustellen. Die Leistungen werden im gleichen Einsatz mit Grundpflege erbracht, daher dürfte hier meist auch höherqualifiziertes Personal zum Einsatz kommen, was eine formale Trennung erschweren dürfte. Diese Leistungen sollten weiterhin wie bisher über das Sachleistungsbudget abgerechnet werden. b. Alleinige hauswirtschaftliche Leistungen (insbesondere Reinigung der Wohnung, Einkauf, Wäscheversorgung) zunächst bis zur Leistungsgrenze (i.d.R. 104 F) als zusätzliche Entlastungsleistung anbieten, den Rest im Rahmen der Sachleistung. Dadurch spart der Leistungsbezieher bisherige Eigenanteile, verbleibende Sachleistungen im Bereich der Grundpflege lassen sich ausweiten oder/und ein anteiliges Pflegegeld wird ausgezahlt bzw. der Pflegegeldbetrag ist höher. Das bedeutet für die Praxis auch, dass man für die Darstellung der angebotenen Versorgung zwei Kostenvoranschläge benötigt: 1. Kostenvoranschlag für Sachleistungen (wie bisher) 2. Kostenvoranschlag Privat/Kostenerstattung für das Budget bis 104 F sowie für weitere Leistungen Zwar kann man formal und praktisch auch das Verhinderungspflegebudget für Entlastungsleistungen wie Hauswirtschaft einsetzen. Aber die dauer- und regelhafte Einplanung der Verhinderungspflege steht im Gegensatz zur Definition der Leistung: im Regelfall ist die Pflegeperson da, nur für einen bestimmten Zeitraum (also temporär) verhindert. Wenn die Pflegeperson das ganze Jahr zu diesem Zeitpunkt nicht kann, ist sie nicht verhindert, sondern gar nicht in der Lage, diese Versorgung zu erbringen. Nur eine temporäre Verhinderung kann über die Leistung nach § 39 vertreten werden.

Das Personalproblem! Ein ganz anderer Aspekt sollte kein Pflegedienst dabei außer Acht lassen: wie groß das Potenzial und damit die zu erbringenden Arbeitsstunden sind, die allein die Leistungsausweitung der Betreuungs- und Entlastungsleistung auf alle Pflegebedürftigen mit sich bringt: Dazu ein Beispiel: Der Beispielpflegedienst hat 100 Sachleistungskunden, von denen bisher nur 35 nach § 45a eingestuft und deshalb Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen konnten. Diese bleiben hier zunächst einmal unberücksichtigt (weil sie beispielsweise schon genutzt werden für Gruppenangebote etc.). Es verbleiben 65 Sachleistungskunden, die nun neuerdings 104 F Entlastungsleistungen erhalten. Das sind im Monat umgerechnet 6.760 F.

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Kapitel 10 Potenzial § 45b „Hauswirtschaft“ Stundensatz § 45b Hauswirtschaft

24,85 F

Anzahl Sachleistungskunden

100

Anzahl Sachleistungskunden § 45b eingestuft

35

Differenz

65

Std. pro Monat

neues Potential

6.760 5

272

Anzahl Pflegegeldkunden

200

Anzahl Pflegegeldbezieher mit § 45b

55

Differenz

145

Std. pro Monat

neues Potenzial

15.080 5

607

Gesamtpotenzial

21.840 5

879

Aber die wichtigere und problematischere Betrachtung ist die Anzahl der zusätzlich zu erbringenden Stunden und damit der Personalbedarf, der sich dahinter verbirgt. Bei einem angenommenen Stundensatz von 24,85 F für hauswirtschaftliche Leistungen sind das allein schon 272 Stunden, das entspricht bei 160 Stunden pro Vollzeitstelle ca. 1,7 Vollzeitstellen, die ab 01.01.2015 benötigt würden, wenn alle Kunden entsprechend der Beratung handeln. Darüber hinaus sind durch freiwerdende Sachleistungen evtl. auch weitere Grundpflegeleistungen möglich, was die Arbeitsmenge in der Grundpflege verändert/erhöht. Im Bereich der Pflegegeldempfänger ergeben sich im Regelfall noch höhere Potenziale, wobei bei dieser Gruppe die Umsetzung deutlich weniger einfach ist als bei Sachleistungskunden. Das Hauptproblem für die Umsetzung bleibt mutmaßlich die Frage, ob man auch entsprechend viel neues Personal dafür verfügbar hat, sei es durch Ausweitung von Arbeitsverträgen oder durch Neueinstellungen.

10.3.1  Die Kostenerstattungsleistung: Definition Angesichts des Potenzials sollte/muss jeder Pflegedienst die hauswirtschaftliche Leistung als zusätzliche Entlastungsleistung selbst anbieten. Zwar gibt es auch im Bereich der Sachleistungen die Möglichkeit, die hauswirtschaftlichen Leistungen über einen Kooperationspartner zu erbringen. Gerade gemeinnützige Pflegedienste sowie solche in Regionen mit einem hohen Preisniveau bieten hauswirtschaftliche Leistungen (als Einzelleistungen)

73 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

scheinbar ungern als Sachleistung erbracht. Weil beispielsweise die Vergütung in Hessen für hauswirtschaftliche Leistungen oftmals sehr niedrig abgeschlossen wurde (bei Beispielspflegediensten für umgerechnet ca. 16,00 F die Zeitstunde (Oktober 2014)), werden diese Leistungen dann nicht mehr (aktiv) oder nur in Kooperation angeboten.

Dabei gibt es zwei Probleme: Vorab: Die Vergütung für die Sachleistung Hauswirtschaft hätte schon lange leistungsgerecht und damit mutmaßlich deutlich höher vereinbart werden können, die Regelungen des § 89 (Grundsätze für die Vergütungsregelungen) mit dem Recht auf eine leistungsgerechte Vergütung gilt auch hierfür. 1. Der erste Bedarf an Entlastungs- und Unterstützungsleistungen bei demnächst pflegebedürftigen Menschen, die benötigt und auch angenommen werden, entsteht oftmals in der hauswirtschaftlichen Entlastung. Insofern dürften die Annahmen und Modelle der Expertenkommission zutreffen. Wenn jedoch andere Dienstleister die hauswirtschaftliche Versorgung frühzeitig übernehmen, können diese auch auf die neuen Budgets zurückgreifen und mehr Leistungen als bisher (oftmals privat finanziert) abrechnen. Die Möglichkeiten für die Pflegedienste nehmen dadurch ab. 2. Das Prinzip der Kostenerstattung heißt: Die Leistungen werden dem Versicherten von der Pflegekasse erstattet. Der Versicherte beauftragt zunächst einen Dienstleister (Pflegedienst oder andere) mit der Leistung, er vereinbart also (ohne die Pflegekasse dazwischen) mit dem Dienstleister/Pflegedienst direkt den Preis, die Qualität (Ausnahme niedrigschwellige Leistungen: hier sind die Landesverordnungen zu beachten), etc. Der Dienstleister/Pflegedienst erbringt die Leistung, er erhält die Bezahlung (formal) vom Versicherten, der die Rechnung zur Erstattung dann an die Pflegekasse weiterreicht. Das Prinzip gilt auch dann, wenn beispielsweise der Pflegedienst über eine Abtretungsvollmacht (scheinbar) direkt mit der Pflegekasse abrechnet. Der Dienstleister/Pflegedienst kann nur abrechnen im Namen des Versicherten und seiner abgetretenen Ansprüche. Am Beispiel der Häuslichen Betreuung bzw. der Zusätzlichen Betreuung werden in der Grafik die Unterschiede aufgezeigt: Das bedeutet praktisch auch: der Pflegedienst/Dienstleister hat keine direkte Vertragsbeziehung mit den Pflegekassen, also weder eine Vergütungsvereinbarung noch einen Versorgungsvertrag oder Qualitätsmaßstäbe mit den Pflegekassen vereinbart (siehe Grafik). Nur im Rahmen der niedrigschwelligen Leistungen müssen die Qualitätsvorgaben der jeweiligen Landesverordnungen eingehalten werden. Da der Pflegedienst den Preis für die Kostenerstattungsleistungen nicht mit den Landesverbänden der Pflegekassen, sondern allein mit den Versicherten/Leistungsberechtig-

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Kapitel 10

Systemunterschiede: Sachleistung und Kostenerstattung Pflegedienst Kostenerstattung

Sachleistung

„Häusliche Betreuunng“ = Sachleistung > Definition über Rahmenvertrag nch § 75, > Qualitätssicherung nach §§ 112 ff. > Vergütungsvereinbarung nach § 89, > Pflegevertrag nach § 120,

Versicherter

Pflegekasse „Zusätzliche Betreuunng/Entlastung“ (§ 45b) sowie „Verhinderungspflege nach § 39 = Kostenerstattungsleistung > Vertrag und Preisabsprache nit dem Kunden > Kostenerstattung durch die Pflegekadde an den Kunden > keine besonderen Qualitätsmaßstäbe ten verhandelt und abschließt, gibt es hier einen entsprechenden Gestaltungsspielraum. Natürlich kann ein Pflegedienst theoretisch für eine Stunde Zusätzliche Betreuung/Entlastung oder/und Verhinderungspflege auch 100,00 F in Rechnung stellen. Die Pflegekasse wäre wohl zur Erstattung verpflichtet, es sei denn, es ließe sich ein „Ausweg“ über die Frage einer möglichen Sittenwidrigkeit etc. im Bürgerlichen Gesetzbuch finden. Der Pflegedienst könnte aber auch 12,00 F die Stunde für hauswirtschaftliche Leistungen verlangen.

10.3.2 Angemessene Preise für zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen Die Preishöhe dieser zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen sollten sich immer am sonstigen Leistungsangebot und Preisniveau des Pflegedienstes orientieren und es müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden, die generell gelten: hier insbesondere der Mindestlohn bzw. der Pflegemindestlohn!

Hinweis Pflegemindestlohn Neben dem ab 01.01.2015 allgemein verbindlichen Mindestlohn in Deutschland gibt es für bestimmte Branchen darüber hinaus spezielle Branchenmindestlöhne. Neben anderen Branchen wie dem Reinigungsgewerbe gibt es auch für die Pflege einen eigenen Mindestlohn. Die dafür zuständige Pflegekommission hat in ihrer Sitzung vom 4. September 2014 den Mindestlohn Pflege für die nächsten drei Jahre festgelegt: für den Westen steigt er

75 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

2015 auf 9,40 F, im Osten auf 8,65 F. In den nächsten Jahren dann weiter 9,75 F 2016 und 10,20 F 2017 im Westen sowie 9,00 F 2016 und 9,50 F 2017 im Osten. Im Protokoll zur Festlegung, das dann in einen entsprechenden Verordnungstext umgesetzt wird, ist außerdem definiert, welche Berufsgruppen unter den Pflegemindestlohn fallen: „(2) Sie soll nicht gelten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Pflegebetriebe in folgenden Bereichen: −− In der Verwaltung −− In der Haustechnik −− In der Küche −− In der hauswirtschaftlichen Versorgung −− In der Gebäudereinigung −− Im Bereich des Empfangs- und des Sicherheitsdienstes −− In der Garten- und Geländepflege −− In der Wäscherei −− In der Logistik. (3) Abweichend von Absatz 2 soll die Verordnung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 2 gelten, soweit sie im Rahmen der von ihnen auszuübenden Tätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern tagesstrukturierend, aktivierend, betreuend oder pflegend tätig werden, insbesondere als: −− Alltagsbegleiterinnen und –betreuer −− Betreuerinnen und Betreuer von Menschen mit demenziellen Erkrankungen −− Assistenzkraft. (4) Für Betreuerinnen und Betreuer von Menschen mit demenziellen Erkrankungen (§ 87b SGB XI) und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 3 soll die Verordnung ab dem 1. Oktober 2015 gelten.“ (Pflegekommission Mindestlohn, Protokoll vom 04.09.2014). Das heißt übersetzt: Da die hauswirtschaftliche Versorgung im eigenen Haushalt immer in Anwesenheit des Leistungsbeziehers stattfindet, kann keine klare Abgrenzung zu betreuerischen, aktivierenden oder pflegenden Tätigkeiten gezogen werden (siehe oben). Aus diesem Grund dürfte hier auch der Pflegemindestlohn gelten. Nach dem Wortlaut des Protokolls muss dieser zwar formal erst im Oktober 2015 umgesetzt werden, dann müsste man allerdings ab 1. Januar 2015 den allgemeinen Mindestlohn einhalten, ab Oktober dann die Preise mutmaßlich wieder erhöhen. Daher sollte man von Beginn an den Pflegemindestlohn als unterste Grenze für die Kalkulation der Personalkosten beachten. Betrachtet man den für 2015 geltenden Mindestlohn sowie die Branchenmindestlöhne der Pflege auch im Vergleich zur Gebäudereinigung, dann fällt auf, dass zumindest im

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Kapitel 10 Mindestlohn und Branchenmindestlöhne Allgemeiner Mindestlohn West

Ost

8,50 F

8,50 F

ab 01.01.2015

9,40 F

8,65 F

ab 01.01.2016

9,75 F

9,00 F

ab 01.01.2017

10,20 F

9,50 F

ab 01.01.2015 Pflegemindestlohn

Gebäudereinigung Lohngruppe 1 (Innen- und Unterhaltsreinigungsarbeiten) ab 01.01.2015

9,55 F

8,50 F

Westen der Branchenmindestlohn Pflege niedriger ist als der entsprechende Mindestlohn der Gebäudereiniger. Nachvollziehbar ist das nicht. Die hauswirtschaftliche Versorgung eines Pflegebedürftigen ist sicherlich deutlich anspruchsvoller als die Flächenreinigung beispielsweise in einer Grundschule. Trotzdem wird sie, zumindest vom Mindestlohn her, schlechter eingestuft.

Preishöhe der Leistungen durch den Pflegedienst Bei den zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen des Pflegedienstes im Sinne § 45b, Satz 6, Nr. 3 handelt es sich um konkrete Dienstleistungen des Pflegedienstes, die er als solche eigenständig kalkulieren sollte. Für die Preishöhe ergibt sich eine logische Untergrenze aus den geltenden Verträgen zu den Sachleistungen nach §§ 36 bzw. 124. Die Preise für zusätzliche hauswirtschaftliche Leistungen durch den Pflegedienst sollten nicht niedriger sein als die entsprechenden Sachleistungen (umgerechnet in Zeit), die Preise für zusätzliche Betreuungsleistungen nicht niedriger als die „Häusliche Betreuung“ nach § 124. Denn einerseits wird das gleiche Personal eingesetzt werden und die Preise sind (mindestens) leistungsgerecht (siehe § 89 Abs. 1) vereinbart worden. Und wie kann andererseits im Rahmen von Vergütungsverhandlungen mit den Pflegekassen für die entsprechende Sachleistungen ein höherer Betrag verlangt werden als was der Pflegedienst im Rahmen der Kostenerstattung dem Kunden „freiwillig“ berechnet. Wer beispielsweise im Rahmen der Sachleistung für hauswirtschaftliche Leistungen einen Preis von 22 F pro Stunde als leistungsgerecht vereinbart

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

hat (z.B. in Niedersachsen), macht sich unglaubwürdig, wenn er die gleiche Leistung mit dem gleichen Personal als Kostenerstattungsleistung für 16 F anbietet. Die Pflegekassen müssten bei der nächsten Verhandlungsrunde auch die Sachleistung entsprechend im Preis reduzieren. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die investiven Sachkosten nach § 82 Abs. 2 bei der Kostenerstattung mit zu berechnen sind, denn die investiven Sachkosten sind in den vergleichbaren Sachleistungen nicht enthalten. Sie werden nach § 82, Abs. 3 gefördert (gilt nur noch für die Länder NRW, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie teilweise Bayern), ansonsten müssen sie privat weiter berechnet werden. Die Investitionskosten sollten bei der Kostenerstattung nicht separat (als Zuschlag: z.B. Preis 22 F und Investitionskosten von 1,50 F) ausgewiesen und weiter berechnet werden, wie in den nicht geförderten Ländern. Vielmehr sollte der Leistungspreis entsprechend um diesen Betrag erhöht werden (ohne einen Zuschlag getrennt auszuweisen, in unserem Beispiel wären das dann 23,50 F). Die Preishöhe der hauswirtschaftlichen Entlastungsleistung durch den Pflegedienst sollte sich nicht mit den Preisen beispielsweise zur klassischen hauswirtschaftlichen Putzhilfe vergleichen, die teilweise schwarz (also unversichert und ohne Sozialabgaben) arbeitet. Da auch andere (und auch neue kommerzielle) Anbieter die geltenden Mindestlohnbestimmungen einhalten müssen, liegen auch deren kalkulatorische Untergrenzen fest.

Ehrenamtliche Tätigkeiten und deren Abgrenzung Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung haben gerade bei gemeinnützigen Pflegediensten eine lange Tradition. Oft unter dem Namen wie „Mobile Soziale Hilfsdienste (MSHD oder MSD) bezeichnete Leistungen waren lange Zeit das Einsatzgebiet von Zivildienstleistenden, in jüngster Zeit auch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Freiwilligen Sozialen Jahr. Da aufgrund der politischen Veränderungen der Zivildienst abgeschafft wurde, der Bundesfreiwilligendienst aber nicht mehr den Status und Umfang des Zivildienstes erreicht, nutzen gemeinnützige Einrichtungen den Vorteil, den das Einkommenssteuergesetz im Rahmen der Übungsleiterpauschale § 26 EStG bietet. Gemeinnützige Einrichtungen können im Rahmen der sogenannten „Übungsleiterpauschale“ auch nebenberuflich tätige Mitarbeiter beschäftigen. Bis zu 2.400 F im Jahr können über diese nebenberufliche Tätigkeit ohne Abzüge von Sozialabgaben oder Steuern ausgezahlt werden. Voraussetzung ist eine pädagogische Ausrichtung der Arbeit (was bei der Pflege so auch von der Finanzverwaltung unterstellt wird) und die Arbeit muss über einen Träger erfolgen, der gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgt (§ 3, NR. 26 EStG). Allerdings stellt sich die Frage, ob man dieses Potenzial an Mitarbeitern besser nur allein im Bereich der niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nutzen sollte, nicht jedoch im Bereich der (direkten) Pflegedienstleistungen. Zwar

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Kapitel 10

könnte man über diesen Weg evtl. die Kosten beispielsweise für hauswirtschaftliche Tätigkeiten reduzieren, allerdings immer nur so lange, wie man auch entsprechende „Ehrenamtliche“ in ausreichender Anzahl verfügbar hat. Der wesentliche Unterschied zwischen angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeitern ist neben dem Preis auch die Verlässlichkeit und Konstanz (beispielsweise Ausfall bei Krankheit, Urlaub). Da in diesem Bereich ein Preiswettbewerb sicherlich der falsche Ansatz ist, sollte man empfehlen, die vorhandenen ehrenamtlich arbeitenden Kapazitäten dort einzusetzen, wo eine sinnvolle Refinanzierung schwierig ist. Bei der Kostenerstattungsleistung „Hauswirtschaft“, die nun jeder Kunde (ob vermögend oder arm) im Rahmen der Entlastungsleistung abrufen kann, macht ehrenamtliche Tätigkeit wenig Sinn.

Dazu kommt ein weiterer Punkt: In der Praxis kommt es vor, dass Mitarbeiter, die geringfügig beschäftigt sind, darüber hinaus noch im Rahmen der Übungsleiterpauschale von 200 F monatlich beschäftigt werden. Nach Ansicht des Gesetzgebers kann man bei der Fragestellung, ob ein Mindestlohn zu zahlen ist oder nicht, dann nicht mehr von einer ehrenamtlichen Beschäftigung ausgehen, so dass für diese dann zumindest der Mindestlohn gilt: ein Mindestlohn wäre dann nicht zu zahlen, wenn diese Tätigkeit nicht von der Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern von dem Willen geprägt ist, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Liegt diese Voraussetzung vor, sind auch Aufwandsentschädigungen für mehrere ehrenamtliche Tätigkeiten, unabhängig von ihrer Höhe, unschädlich.“ (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucksache 18/2010 v. 2. Juli 2014). Ähnlich beurteilt das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob eine Tätigkeit ehrenamtlich ist oder nicht: Sie muss „Ausdruck einer inneren Haltung gegenüber Belangen des Gemeinwohls ist und nicht der Sicherung oder Besserung der wirtschaftlichen Existenz dient“ (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. August 2012 – 10 AZR 499/11). Aus der Kombination einer geringfügigen Beschäftigung (Minijob) sowie der Übungsleiterpauschale ergibt sich auch für den Umfang der Übungsleiterpauschale eine Beschäftigung, so dass dies formale und evtl. auch steuerrechtliche Konsequenzen hat: Der Mindestlohn bzw. Pflegemindestlohn gilt für die gesamte Beschäftigung, auch könnte es sich dann nicht mehr nur um eine geringfügige Beschäftigung handeln. Das Mindestlohngesetz regelt über § 17 eine besondere Aufzeichnungspflicht bei geringfügig Beschäftigten. Hier sind die Arbeitsleistungen spätestens nach 7 Tagen aufzuzeichnen und zwei Jahre aufzubewahren. Die Einhaltung des Branchenmindestlohnes wird über den Zoll bundesweit überwacht, so dass hier eine neue Prüfinstanz Pflegedienste prüfen kann. Auch wenn die Kombination aus Minijob und Übungsleiterpauschale steuerrechtlich zulässig ist, kommt durch die Bestimmungen des Mindestlohns hier evtl. eine neue Beurteilung infrage, auch

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

aus Sicht der Sozialversicherungsträger. Und nicht unberücksichtigt sollte das Arbeitszeitgesetz bleiben: denn auch nebenberufliche Tätigkeiten sind Arbeitszeiten; die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten dürfen auch in der Kombination einer haupt- und einer nebenberuflichen Tätigkeit nicht überschritten werden. Die Überlegung, mit dem Einsatz von Ehrenamtlichen den Leistungspreis der zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen niedrig zu halten, führt zwar evtl. zu einer besseren Wettbewerbssituation gegenüber den möglichen neuen Anbieten von haushaltsnahen Dienstleistungen (als niedrigschwellige Entlastungsleistungen). Allerdings dürfte der Preiswettbewerb hier unnötig sein, denn es geht neben vertretbaren Preisen vor allem um Kontinuität und Vertrauen. Auch dürfte es dauerhaft unwahrscheinlich sein, dass ein Pflegebedürftiger zwei professionelle Dienste nebeneinander beschäftigen wird: den Pflegedienst und den Putzdienst. Wer alles aus einer Hand anbieten kann, wird auch bei höheren Preisen die bessere Chance haben. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte sollte man den Einsatz von Ehrenamtlichen im normalen Leistungsspektrum des Pflegedienstes überprüfen und vor allem in Hinblick auf tatsächliche Ehrenamtsprojekte wie „Alltagsbegleiter“ und „Pflegebegleiter“ (siehe § 45c) konzentrieren.

Nutzung anteiliger Sachleistungen für niedrigschwellige Leistungen Nur für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen (Punkt 4) dürfen anteilige Sachleistungen genutzt werden (nicht für zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach Punkt 3). Es stellt sich die Frage, für wen der Leistungsbezieher die zusätzliche Umwandlung von Sachleistungen in niedrigschwellige Betreuungs- und/ oder Entlastungsleistungen interessant sein kann? Immerhin nutzen bundesweit 67,2 % der Pflegebedürftigen allein das Pflegegeld, nur 32,8 % die Pflegesachleistung oder eine Kombinationsleistung aus Geld- und Sachleistung (Bundespflegestatistik 2011). Folgt man der Idee des Gesetzgebers/der Expertenkommission, sollen durch den einfachen Zugang von Betreuungs- und Entlastungsleistungen der Pflegebedürftige und sein pflegerisches Umfeld schon frühzeitig externe Hilfen in Anspruch nehmen: Wer frühzeitig jemand zur Unterstützung im Haushalt oder im Umfeld kennenlernt und beauftragt, wird später auch eher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn er diese beispielsweise bei der Grundpflege benötigt. Nachvollziehbar ist dieser Gedankengang schon, allerdings konnte auch schon bisher jeder Pflegebedürftige sein Pflegegeld frei einsetzen und sich haushaltsnahe Dienstleistungen dazukaufen, ohne dass dies in irgendeiner Form reglementiert war. Ab 01.01.2015 bekommen nun alle Pflegebedürftigen neue und damit erleichterte Zugänge zu diesen Leistungen: −− Jeder Pflegebedürftige erhält nun 104 F (mindestens) zusätzlich, die bisher nicht vorhanden waren.

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Kapitel 10

−− Darüber hinaus kann auch die erweiterte Verhinderungspflege für die Finanzierung niedrigschwelliger Leistungen genutzt werden (wie bisher schon in der Praxis möglich). Durch die Leistungsausweitung (Nutzung von bis zu 50 % der Kurzzeitpflege) stehen umgerechnet bis zu 201,50 F pro Monat zur Verfügung Faktisch stehen damit auf den Monat bezogen 305,50 F an Betreuungs-, Entlastungs- und Verhinderungspflegeleistungen zur Verfügung, die vorrangig eingesetzt werden sollten. Denn diese Leistungen haben keine Auswirkungen auf den sonstigen Sach- und/oder Pflegegeldbezug. Da bei vielen Pflegegeldbeziehern das Pflegegeld im familiären Entlastungsverbund „vergeben“ ist, stellt sich die Frage, ob man eine Kürzung des Pflegegeldes von bis zu 40 % eintauscht gegen entsprechende weitere niedrigschwellige Dienstleistungen. Man kann eher davon ausgehen, dass alle Pflegebedürftigen dauerhaft erst einmal eine „Verwendung“ für den Entlastungsbetrag sowie die Verhinderungspflege suchen werden. Die anteilige Nutzung der Sachleistungen ist übrigens für den Bereich der vorhandenen und anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote schon ab 01.01.2015 möglich. Denn hier bestehen bereits seit langem entsprechende Landesverordnungen und damit nach Landesrecht anerkannte Angebote. Der nach § 45a eingestufte Pflegegeldempfänger, der bisher den Besuch des Demenzcafés/der -gruppe allein über die 100 F (§ 45b) sowie über Leistungen der Verhinderungspflege (§ 39), ansonsten aber privat zu finanzieren hatte, kann nun bis zu 40 % des zustehenden Sachleistungsbetrages (bei Wegfall des Pflegegeldes) ebenfalls hierfür nutzen.

Die Nutzung der neuen Entlastungsleistungen nach Einschätzung des Gesetzgebers Der Gesetzgeber hat zwar ein sehr ambitioniertes Projekt mit der Erweiterung der Zusätzlichen Betreuungsleistungen gestartet und durchaus valide erläutert, warum die bessere Begleitung durch niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote die pflegerische Versorgung der Bevölkerung insgesamt verbessern wird. Er weist auch immer wieder darauf hin, dass die Pflegekassen über ihre Beratungsverpflichtungen nach § 7 sowie den Pflegeberatern nach § 7a die Versicherten gezielt beraten sollen einschließlich der Erstellung individueller Versorgungspläne, um die angebotenen Leistungen optimal für den Einzelfall zu nutzen und damit langfristig die ambulante Versorgung zu sichern. Nur: er glaubt scheinbar selbst nicht an den Erfolg seines Konzeptes. Wie ist es sonst zu erklären, dass er bei der Finanzierung nur davon ausgeht, dass ca. 20 % der anspruchsberechtigten Pflegekunden nun auch die neuen Möglichkeiten der Förderung nach § 45b (mindestens 104 F Entlastungsleistung pro Monat) in Anspruch nehmen werden. Denn die im Gesetz benannte Summe von 290 Mill. Euro reicht gerade einmal für die Finanzierung von ca. 232.000 Pflegebedürftigen. Der Gesetzgeber geht (ohne besondere Begründung im Gesetzentwurf) davon aus, dass die neue Leistung von Pflegebedürftigen nur halb so

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häufig in Anspruch genommen wird wie von bisher nach § 45a eingestuften Versicherten mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (hier wird die Leistung nur zu ca. 40 % in Anspruch genommen. Das allein ist schon ein Hinweis auf die offensichtlichen Beratungsprobleme, die die Pflegeversicherung mit bestimmten Leistungen hat). Diese Größenordnung dürfte nicht realistisch sein, gerade angesichts der Tatsache, dass nun der möglicherweise wählbare Leistungsrahmen (plus Hauswirtschaft) viel größer und damit attraktiver ist. Warum sollen Sachleistungskunden denn nicht alle Hauswirtschaft in die Kostenerstattung auslagern, bis der Leistungsbetrag von 104 F dafür ausgegeben worden ist. Es wäre auch eine schlechte Beratung durch die Pflegedienste und Pflegekassen, wenn die Kunden/Versicherten nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Bei der anteiligen Nutzung der Sachleistungen durch niedrigschwellige Angebote, die insbesondere für Pflegegeldempfänger interessant sein dürfte, geht der Gesetzgeber nur von einer sehr geringen Nutzung aus, er spricht von 2 % der ambulant Pflegebedürftigen und einer Summe von ca. 90. Mill. Euro, hier noch berechnet auf der Grundlage von 50 % Nutzungsmöglichkeit (bereinigt nach diesem Muster dürften es dann nur 72 Mill. Euro sein). Auch wenn dieser Bezugsrahmen unsinnig ist (denn bei reinen Sachleistungskunden ist das Budget vermutlich schon mit der Grundpflege verbraucht), bedeutet dies Folgendes in konkreten Zahlen: Zum Jahresende 2013 waren 1.739.337 Pflegebedürftige ambulant eingestuft (Quelle: Statistiken BMG). Davon haben ca. 68 % nur Pflegegeld bezogen, das sind 1.185.927 Pflegebedürftige. Umgerechnet heißt das dann, der Gesetzgeber geht davon aus, dass nur 2,93 % dieser Pflegebedürftigen (Pflegegeldbezieher) überhaupt die neuen (umgewandelten) Leistungen beanspruchen werden, nur ca. 34.787 Pflegebedürftige. Entweder macht dann der ganze gesetzliche und praktische Aufwand keinen Sinn oder der Gesetzgeber hat hier aus politischen Gründen die Zahlen zu niedrig angesetzt. Dass die Grundlage der vom Gesetzgeber genannten Finanzierung mehr als fragwürdig ist, hat auch ein Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln im Auftrag des bpa dargestellt (siehe Literatur). Betrachtet man andererseits die Tatsache, dass alle Pflegebedürftigen schon mal mit 104 F zusätzlich entlastet werden, ist es in der Tat fraglich, wie viele darüber hinaus ihr bisheriges Pflegegeld gegen weitere niedrigschwellige Entlastungsleistungen eintauschen werden. Mutmaßlich ist die Schätzung des Gesetzesgebers für die umgewandelten Leistungen realistischer, als es auf den ersten Blick scheint. Der Gesetzgeber spricht selbst in der Gesetzesbegründung zu § 45c davon, dass gerade niedrigschwellige Angebote „ggf. relativ schnell bedarfsgerecht flächendeckend aufwachsen“ werden. Warum er trotzdem die finanzielle Belastung der Pflegeversicherung so niedrig einschätzt, ist umso fragwürdiger.

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Kapitel 10 10.3.3  Klare Kommunikation! Da die verschiedenen Leistungen gern auch sprachlich durcheinander gebracht werden (siehe oben), muss man in den Darstellungen, in allen Flyern, bei Schulungen der Mitarbeiter usw. genau zwischen diesen beiden Leistungszugängen und den verschiedenen Leistungen unterschieden: −− Zusätzliche Betreuung und zusätzliche Hauswirtschaft −− Darf nur der Pflegedienst erbringen −− Budget auf § 45b beschränkt (und zusätzlich bei Vorliegen der Voraussetzungen Verhinderungspflege möglich) −− Niedrigschwellige Betreuung −− Dürfen nur nach Landesrecht vom Land zugelassene Anbieter erbringen (das können Pflegedienste oder andere sein); da die Verordnungen im Regelfall bestehen, sind die entsprechenden Anbieter zugelassen −− Budget: § 45b; bei Vorliegen der Voraussetzungen Verhinderungspflege möglich; ab 1.1.2015 auch Nutzung von verfügbaren Sachleistungen (bis max. 40 %) unter bestimmten Bedingungen möglich −− Niedrigschwellige Entlastung/Hauswirtschaft −− Dürfen nur nach Landesrecht vom Land zugelassene Anbieter erbringen (das können Pflegedienste oder andere sein); Rechtsverordnungen existieren noch nicht; vermutlich frühestens im Frühjahr/Sommer 2015; bis dahin keine Abrechnungsmöglichkeit! −− Nach Anerkennung durch Land: Abrechnungsmöglichkeit wie Niedrigschwellige Betreuung Neue Anbieter, aber auch Pflegedienste könnten über den Tatbestand der niedrigschwelligen Entlastung/Hauswirtschaft erst abrechnen, wenn sie dafür zugelassen sind (dazu bedarf es der entsprechenden Rechtsverordnung, des Antrags und der Zulassung)!

10.4 Gesetzestext 5b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungser§ 4mächtigung (1) Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, können je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Kosten hierfür werden ersetzt, höchstens jedoch 104 Euro monatlich (Grundbetrag) oder 208 Euro monatlich (erhöhter Betrag).

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§ 45b Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen, Verordnungsermächtigung

Die Höhe des jeweiligen Anspruchs nach Satz 2 wird von der Pflegekasse auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Einzelfall festgelegt und dem Versicherten mitgeteilt. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen beschließt unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V., der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene und der maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinderten Menschen auf Bundesebene Richtlinien über einheitliche Maßstäbe zur Bewertung des Hilfebedarfs auf Grund der Schädigungen und Fähigkeitsstörungen in den in § 45a Abs. 2 Nr. 1 bis 13 aufgeführten Bereichen für die Empfehlung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur Bemessung der jeweiligen Höhe des Betreuungs- und Entlastungsbetrages; § 17 Abs. 2 gilt entsprechend. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen der Betreuung oder Entlastung. Er dient der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen 1. der Tages- oder Nachtpflege, 2. der Kurzzeitpflege, 3. der zugelassenen Pflegedienste, sofern es sich um besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung oder Angebote der hauswirtschaftlichen Versorgung und nicht um Leistungen der Grundpflege handelt, oder 4. der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote, die nach § 45c gefördert oder förderungsfähig sind. Die Erstattung der Aufwendungen erfolgt auch, wenn für die Finanzierung der in Satz 6 genannten Betreuungs- und Entlastungsleistungen Mittel der Verhinderungspflege gemäß § 39 eingesetzt werden. 1a) Pflegebedürftige, die nicht die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, können ebenfalls zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach Absatz 1 in Anspruch nehmen. Die Kosten hierfür werden bis zu einem Betrag in Höhe von 104 Euro monatlich ersetzt. (2) Die Anspruchsberechtigten erhalten die zusätzlichen finanziellen Mittel auf Antrag von der zuständigen Pflegekasse oder dem zuständigen privaten Versicherungsunternehmen sowie im Fall der Beihilfeberechtigung anteilig von der Beihilfefestsetzungsstelle gegen Vorlage entsprechender Belege über entstandene Eigenbelastungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der in Absatz 1 genannten Leistungen. Die Leistung nach Absatz 1 sowie Absatz 1a kann innerhalb des jeweiligen Kalenderjahres in Anspruch genommen werden; wird die Leistung in einem Kalenderjahr nicht ausgeschöpft, kann der nicht verbrauchte Betrag in das folgende Kalenderhalb-

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Kapitel 10

jahr übertragen werden. Ist der Betrag für zusätzliche Betreuungsleistungen nach dem bis zum 30. Juni 2008 geltenden Recht nicht ausgeschöpft worden, kann der nicht verbrauchte kalenderjährliche Betrag in das zweite Halbjahr 2008 und in das Jahr 2009 übertragen werden. (3) Soweit für die entsprechenden Leistungsbeträge nach den §§ 36 und 123 in dem jeweiligen Kalendermonat keine ambulanten Pflegesachleistungen bezogen wurden, können die nach Absatz 1 oder Absatz 1a anspruchsberechtigten Versicherten unter Anrechnung auf ihren Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen Leistungen niedrigschwelliger Betreuungs- und Entlastungsangebote zusätzlich zu den in den Absätzen 1 und 1a genannten Beträgen in Anspruch nehmen. Der nach Satz 1 für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen verwendete Betrag darf je Kalendermonat 40 Prozent des für die jeweilige Pflegestufe vorgesehenen Höchstbetrags für ambulante Pflegesachleistungen nicht überschreiten. Die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung im Einzelfall sind sicherzustellen. Die Aufwendungen, die den Anspruchsberechtigten im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach Satz 1 entstehen, werden erstattet; Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Die Vergütungen für ambulante Pflegesachleistungen sind vorrangig abzurechnen. Im Rahmen der Kombinationsleistung nach § 38 gilt die Erstattung der Aufwendungen als Inanspruchnahme der dem Anspruchsberechtigten nach § 36 Absatz 3 und 4 sowie § 123 zustehenden Sachleistung. Beziehen Anspruchsberechtigte die Leistung nach Satz 1, findet § 37 Absatz 3 bis 5, 7 und 8 Anwendung; § 37 Absatz 6 findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass eine Kürzung oder Entziehung in Bezug auf die Kostenerstattung nach Satz 4 erfolgt. § 13 Absatz 3a findet auf die Inanspruchnahme der Leistung nach Satz 1 keine Anwendung. Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert die Möglichkeit zur anteiligen Verwendung der in den §§ 36 und 123 für den Bezug ambulanter Pflegesachleistungen vorgesehenen Leistungsbeträge auch für Leistungen niedrigschwelliger Betreuungs- und Entlastungsangebote nach den Sätzen 1 bis 8 spätestens innerhalb von vier Jahren nach Inkrafttreten. „(4) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere über die Anerkennung der niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote einschließlich der Vorgaben zur regelmäßigen Qualitätssicherung der Angebote zu bestimmen. Niedrigschwellige Angebote, die sowohl die Voraussetzungen des § 45c Absatz 3 als auch des § 45c Absatz 3a erfüllen, können unter Beachtung der jeweiligen Anerkennungsbedingungen eine gemeinsame Anerkennung als Betreuungs- und Entlastungsangebot erhalten.

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Kapitel 11

11 § 45c Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen, Verordnungsermächtigung

11.1 Was ist neu? 1. Neben der Förderung von Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepten insbesondere für Demenzkranke werden nun auch Angebote für niedrigschwellige Entlastungsangebote für Pflegebedürftige bzw. Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a gefördert. 2. Der anteilige Förderrahmen der Pflegeversicherung von 25 Mill. jährlich wird nicht verändert, die Fördermittel sind weiterhin von einem gleich hohen Zuschuss auf Landesebene bzw. durch kommunale Gebietskörperschaften abhängig. 3. Förderfähige niedrigschwellige Betreuungsangebote können sowohl für Pflegebedürftige als auch für Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz angeboten werden. 4. Neu definiert Abs. 3a den Inhalt von niedrigschwelligen Entlastungsleistungen als Unterstützungsleistungen im Haushalt, in der Bewältigung des Alltags oder in der Unterstützung der Pflegepersonen. 5. Explizit werden die Pflegenden als neue Zielgruppe von Leistungen benannt: als Angehörige oder vergleichbar Nahestehende in ihrer Eigenschaft als Pflegende. 6. Auf Bundesebene wird es von den Spitzenverbänden der Pflegekassen eine Empfehlung zu Voraussetzungen, Zielen, Dauer, Inhalten und Durchführung geben, nun erweitert auf niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen.

11.2 Begründung Das Grundprinzip zum Zugang für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen bleibt wie bisher auch schon für die niedrigschwelligen Betreuungsleistungen gleich: Erst nach einer Anerkennung der Förderfähigkeit des gestellten Antrags kann der Anbieter/Dienstleister niedrigschwelliger Angebote mit den Pflegekassen abrechnen. Die Regelungen zur Anerkennung einer grundsätzlichen Förderfähigkeit bzw. zu einer tatsächlichen Projektförderung hat der Gesetzgeber in § 45c dargestellt.

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§ 45c Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen, Verordnungsermächtigung

Sie bilden die Grundlage und damit die Mindestbedingungen für die nach Landesrecht zu erlassende Rechtsverordnung zur Anerkennungen der niedrigschwelligen Betreuungsund Entlastungsangebote nach § 45b, Abs. 4. Die hier dargestellten Mindestanforderungen müssen die jeweiligen Rechtsverordnungen der Länder genauso beachten wie die Bundesempfehlung des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen (gemeinsam mit dem Verband der privaten Pflegekassen). Diese Bundesempfehlung bedarf der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit sowie der Länder. Was der Gesetzgeber mit dem PSG 1 will und wie er auch die Ausgestaltung der neuen Entlastungsleistungen in den Ländern verstanden haben will, hat er deutlich in der Gesetzesbegründung formuliert: „Da es sich hierbei um Leistungen handelt, die über das bisherige Leistungsspektrum der sozialen Pflegeversicherung hinausgehen und der Intention des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (der Förderung des Erhalts der Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit der Anspruchsberechtigten) in besonderem Maße Rechnung tragen, sollen die neuen Leistungsinhalte im Folgenden ausführlich dargestellt und erläutert werden. Damit werden die Inhalte der neuen Entlastungsleistungen für alle Beteiligten – einschließlich der Länder, die nach § 45b Absatz 4 (neu) das Nähere auch über die Anerkennung niedrigschwelliger Entlastungsangebote nunmehr durch Rechtsverordnung zu bestimmen haben werden – veranschaulicht und näher konkretisiert.“ (aus: BT Drucksache 18/1798, Begründung zu § 45c)

11.2.1  Definition der unterschiedlichen niedrigschwelligen Entlastungsangebote Über § 45c, Abs. 3a hat der Gesetzgeber wie schon bei den niedrigschwelligen Betreuungsleistungen (hier in § 45c, Abs. 3) ausführlicher definiert, was er sich unter dem Begriff „niedrigschwellige Entlastungsangebote“ vorstellt. Neben der allgemeinen und offenen Definition nennt er als „grundsätzlich förderungsfähig“ drei Angebote beim Namen und hat sie in der Gesetzesbegründung weiter erläutert. Allerdings hat er auch angemerkt, dass oftmals eine trennscharfe Abgrenzung gar nicht möglich ist.

Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen Sie sollen vor allem der Unterstützung bei der hauswirtschaftlichen Versorgung und bei der Bewältigung des normalen Alltags dienen. Der Gesetzgeber nennt neben der Hauswirtschaft im Haushalt beispielweise Wäsche- und Blumenpflege, Einkauf, Fahrdienste zu Arzt- und anderen Terminen, auch periodische Arbeiten wie Wartung der Waschmaschine, Frühjahrsputz etc. Weiterhin führt er auch Botengänge (Post, Apotheke), Unter-

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Kapitel 11

stützung bei Schriftwechsel/alltägliche Korrespondenz, auch Beratung bei weiterer Nutzung von Leistungen. Da der Gesetzgeber darauf hinweist, dass die Organisatoren/Anbieter dieser Leistung für eine einwandfreie legale und sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung sorgen müssen, kann man davon ausgehen, dass hier keine ehrenamtlichen Angebote gemeint sind, sondern (in Abgrenzung) kommerzielle Angebote. Die Anbieter haben auch für eine qualifizierte Ausbildung und für die Urlaubs- und Krankheitsvertretung zu sorgen. Über dieses Segment dürften neue Anbieter Zugang zum Pflegemarkt erhalten, die bisher nur als Privatleistungen abrechnen konnten. Hierüber können nicht nur Dienstleister mit eigenem Personal, sondern auch „Servicestellen qualifizierter Einzelhelfer“ gefasst werden. Ob hier selbständige Kräfte gemeint und möglich sind, lässt der Gesetzgeber offen.

Alltagsbegleiter Das sind nach der Definition des Gesetzgebers „zielgruppen- und aufgabengerecht geschulte Personen“, die Versicherte/Pflegebedürftige bei allgemeinen wie auch spezifisch pflegebedingten Alltagsanforderungen unterstützen. Alltagsbegleiter „begleiten“ damit den Menschen in seinem Alltag, helfen durch eine verlässliche Begleitung und schützen so vor Überforderung. Sie stärken den Anspruchsberechtigen in seinen Selbstversorgungsfähigkeiten. Keine Aussagen trifft der Gesetzgeber, wie die Alltagsbegleiter strukturell einzuordnen sind: Ist das eine professionelle Dienstleistung gegen Gebühr oder eine ehrenamtliche Tätigkeit? Es kann sowohl über eine ehrenamtliche Struktur mit hauptamtlicher Anleitung als auch als professionelles Angebot dargestellt werden. Vom Inhalt lässt sich der Alltagsbegleiter nicht von den Serviceangeboten für haushaltsnahe Dienstleistungen sauber abgrenzen. Während die haushaltsnahen Dienstleistungen eher konkrete Dienste und Tätigkeiten in den Vordergrund stellen, steht bei den Alltagsbegleitern die persönliche Begleitung im Vordergrund. Von der Ausbildung her sollte man die Alltagsbegleiter nicht mit den Betreuungskräften nach § 87 b gleichsetzen (zur Ausbildung siehe Betreuungskräfte-Richtlinie vom 06.05.2013). Denn anders als im stationären Bereich arbeiten die Alltagsbegleiter ambulant allein: Sie können nicht bei Bedarf (z.B. für eine Toilettengang) einfach die anderen Pflegekräfte/Fachkräfte im Heim/Wohnbereich holen, sondern müssen das Problem meist allein lösen. Daher benötigen sie eine andere, weitergehende Ausbildung als die stationär arbeitenden Betreuungskräfte.

Pflegebegleiter Die Aufgabe der Pflegebegleiter ist die Begleitung der Pflegepersonen, also aller Pflegenden, die den Versicherten/Pflegebedürftigen in seinem häuslichen Umfeld unterstützen. Dabei geht es vor allem darum, die Pflegepersonen zu stärken und durch die Organisa-

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tion und Vernetzung zu anderen Angeboten zu entlasten. Der Begriff der „Pflegebegleiter“ entstammt einem Modellversuch der Pflegekasse-Spitzenverbände mit dem Institut für Geragogik, Forschungs- und Entwicklungszentrum Witten von 2003 bis 2008 (siehe auch www.pflegebegleiter.de). Im Rahmen dieses Modellprojektes wurde das Konzept der Pflegebegleiter entwickelt und in der Praxis erprobt. Die Pflegebegleiter in diesem Projekt arbeiteten ehrenamtlich mit einer hauptamtlichen Anleitung.

Empfehlung des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen Wie schon für die bisherigen niedrigschwelligen Betreuungsleistungen wird der Spitzenverband Bund der Pflegekassen eine Empfehlung zum Verfahren zur Vergabe der Fördermittel für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote beschließen, dabei bedarf die Richtlinie der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit und der Länder. Daher ist damit zu rechnen, dass zunächst erst die neue Bundesempfehlung erarbeitet wird, bevor in den Ländern die konkrete Ausgestaltung auf Landesebene erfolgen wird. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese neuen Empfehlungen (bzw. Erweiterung der bestehenden) zeitnah erstellt werden. Der inhaltliche Rahmen ist aber durch die ausführliche Darstellung im Gesetz und in der Gesetzesbegründung weitgehend beschrieben worden.

11.3 Kritik und Praxis Anträge vor Abrechnung Wer niedrigschwellige Entlastungsleistungen nach der neuen erweiterten inhaltlichen Beschreibung nach § 45c, 3a erbringen will (beispielsweise ein hauswirtschaftliches Angebot), muss zunächst die Verabschiedung der entsprechenden oder erweiterten Landesverordnung abwarten. Denn erst dann stehen die Rahmenbedingungen bis hin zu Personalanforderungen und Qualitätssicherungsmaßnahmen fest und es ist erst dann möglich, ein entsprechendes (Geschäfts-)Konzept zu erstellen. Und erst nach der Genehmigung durch die entsprechende Landesbehörde ist eine Kostenerstattung (damit eine Abrechnung) dieser Leistungen durch die Pflegekassen möglich. Aus Sicht der Pflegedienste formuliert heißt das: neue Anbieter in diesem Bereich können erst mit deutlicher Verzögerung ihre Versorgung anbieten.

Hauswirtschaftliche Serviceangebote und ihre Grenzen Der Gesetzgeber hat in seiner Begründung der Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen sehr Vieles und teilweise Problematisches aufgeführt, was als mögliche Dienstleistungen anzubieten wäre, einige der aufgeführten Leistungen sind kritisch zu bewerten:

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−− Übliche Reinigungsarbeiten, Wäschepflege, Blumenpflege (sicherlich nur die typischen Topfpflanzen, nicht eigenständige Gartenpflege), −− Erledigung des Wocheneinkaufs (hier ist wohl eher von einer reinen Übernahme auszugehen, denn der gemeinsame Einkauf setzt in der Regel auch Hilfen im Bereich der Grundpflege voraus (Ankleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen); die Begleitleistung gehört dann eher in das Spektrum der Alltagsbegleiter (s.u.), −− Fahrdienste zu Arzt- oder anderen Terminen: hier stellen sich dann sofort eine Reihe von Fragen: welche Kosten werden im Rahmen der Kostenerstattung übernommen? Nur die Begleit-/Fahrperson oder auch die Fahrzeugkosten? Könnten dann Taxidienste hierüber abrechnen? Das dürfte sicherlich nicht gemeint sein. Dazu kommt: Wer Fahrdienste anbietet, wird schnell mit dem Personenbeförderungsgesetz in Konflikt kommen.

Personenbeförderungsgesetz, § 1 Sachlicher Geltungsbereich (1) Den Vorschriften dieses Gesetzes unterliegt die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsomnibussen (Obussen) und mit Kraftfahrzeugen. Als Entgelt sind auch wirtschaftliche Vorteile anzusehen, die mittelbar für die Wirtschaftlichkeit einer auf diese Weise geförderten Erwerbstätigkeit erstrebt werden. (2) Diesem Gesetz unterliegen nicht Beförderungen 1. mit Personenkraftwagen, wenn diese unentgeltlich sind oder das Gesamtentgelt die Betriebskosten der Fahrt nicht übersteigt; Wer also zwar nicht die Betriebskosten in Rechnung stellt, wohl aber die Personalkosten des Fahrers/Begleiters damit abrechnet, wird unter diese Vorschrift fallen und entsprechend die Bedingungen, insbesondere die besondere Erlaubnis (Personenbeförderungsschein) benötigen. Dazu kommen weitere Fragen wie die richtige Versicherung des Fahrzeuges, wenn es regelhaft zum Transport eingesetzt wird bis hin zu der Frage, ob es sich beim Transport um eine gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit handelt. −− Hilfen bei nicht jeden Tag auftretenden Anforderungen des Haushaltes wie dem wartungsgerechten Reinigen einer Waschmaschine oder der notwendigen Durchführung eines „Frühjahrsputzes“ im Haus: Problematisch wird die Abgrenzung dann, wenn andere Gewerke wie Elektriker etc. dazu kommen. Ob also auch ein Hausmeisterservice als haushaltsnahe Dienstleistung zählen kann, bleibt abzuwarten. −− Botengänge: Reine Botengänge wie Besorgungen etc. gehören zum klassischen Spektrum der Hauswirtschaft. −− Unterstützung bei der alltäglichen Korrespondenz mit öffentlichen Stellen, Versicherungen, Banken u.a.: Erstaunlicherweise sollen auch solche Tätigkeiten zu den

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haushaltsnahen Dienstleistungen gehören, obwohl sie sicherlich eine ganz andere Qualifikation verlangen. Denn im Regelfall geht es nicht darum, dass der Kunde aufgrund zittriger Hände (nur) nicht schreiben kann, er aber ansonsten sehr genau weiß, was auszufüllen oder zu schreiben ist. Vielmehr ist hier die Grenze fließend zur fachlichen Beratung, daher hätte man hier eher die dafür ausgebildete Qualifikation eines Sozialarbeiters oder Casemanagers vorzusehen; eine Haushaltskraft dürfte hier oft überfordert sein.

Formale Voraussetzungen für Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen Eben weil hier ein auch kommerziell interessantes neues Marktsegment eröffnet wird, dass mit Mitteln der Pflegeversicherung finanziert werden kann, hat der Gesetzgeber hier explizite Vorgaben zur Beschäftigung und Ausbildung gemacht: Er spricht davon, dass die Anbieter für eine „legale und sozialversicherungsrechtlich einwandfreie Beschäftigung des von ihnen eingesetzten Personals oder der von ihnen eingesetzten ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer gewährleisten, Sorge für eine bedarfsgerechte Urlaubs- und Krankheitsvertretung tragen und auch im Übrigen eigenständig für die Einhaltung aller geltenden Vorschriften sorgen“. Der Gesetzgeber nennt auch sogenannte Servicestellen qualifizierter Einzelhelfer als weitere Angebotsform. Aber auch für die Servicestellen bzw. die Einzelhelfer dürften die oben gemachten Ausführungen gelten. An gesetzlichen Bedingungen sind hier insbesondere auch das Arbeitszeitgesetz, das Mindestlohngesetz sowie die Anwendung des Branchenmindestlohnes Pflege, aber auch die entsprechenden Berufshaft- sowie berufsgenossenschaftlichen Versicherungen zu nennen, ebenfalls die mit einer evtl. Selbständigkeit verbundenen Fragen bei Einzelhelfern (mehrere Auftraggeber, Versicherungspflicht, Sozialversicherungsfragen). Auch für eine zielgruppengerechte Qualifikation des eingesetzten Personals bzw. der Helfer haben die Anbieter zu sorgen. Wie bereits bei der zusätzlichen hauswirtschaftlichen Versorgung ausgeführt, reicht zur Erbringung dieser Leistungen nicht allein die Kompetenz im Bereich der Hauswirtschaft, denn die Kunden (Pflegebedürftige oder/und Versicherte mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz) sind in der Wohnung. Eine Betreuung und evtl. Hilfestellungen bei der Grundpflege, insbesondere im Bereich der Mobilität sind nicht zu vermeiden. Auch das muss bei der Qualifikation der Mitarbeiter berücksichtigt werden, was sicherlich auch im Rahmen der Landesrichtlinien erfolgen wird. Darüber hinaus müssen die Länder, das ist in § 45b Abs. 4 zur Rechtsverordnung geregelt, auch Vorgaben zur regelmäßigen Qualitätssicherung dieser Dienstleistungen machen. Spannend wird die Frage sein, wie dies erfolgen soll und ob auch hier Prüforganisationen mit regelmäßigen Prüfungen beauftragt werden (analog Sachleistungen) oder ob es allein bei einer Selbstverpflichtung der Anbieter bleiben wird.

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Zusätzlich zu klären bleibt für kommerzielle Anbieter, die ansonsten keine Pflege anbieten, die Frage, ob für ihre haushaltsnahen Dienstleistungen eine Umsatz- und/oder Gewerbesteuerpflicht gelten könnte. Für nach Landesrecht anerkannte niedrigschwellige Betreuungsangebote gilt die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Umsatzsteuergesetz, formal bisher jedoch nicht für niedrigschwellige Entlastungsleistungen.

Alltagsbegleiter und Pflegebegleiter Nach der Beschreibung/Vorstellung des Gesetzgebers sind dies im Regelfall Personen, die den Pflegebedürftigen im Rahmen ihrer Begleitung das Leben mit Einschränkungen/Pflegebedürftigkeit erleichtern und mit organisieren. Umgangssprachlich würde man sagen, diese Aufgaben übernehmen bisher/ansonsten gute Freunde oder eben die Kinder oder andere enge Angehörige. Sind diese nicht vorhanden und/oder überfordert, könnten Alltagsbegleiter diese Rolle übernehmen. Es geht dabei nicht um die Erbringung von medizinisch-pflegerischen Leistungen, sondern im Kern um die Begleitung und die dabei anfallende praktische einfache Hilfe. Bei den Pflegebegleitern liegt der Fokus dazu vor allem bei der Begleitung der anderen Pflegepersonen, insbesondere der Ehe- und Lebenspartner. Hier stehen auch die weitere Beratung, die emotionale Unterstützung und die praktische Organisation von Entlastungsphasen im Vordergrund. Während die Inhalte und Konzeption der Pflegebegleitung bereits in einem Modellversuch der Spitzenverbände der Pflegekassen aus dem Jahre 2003 bis 2008 erprobt worden sind („Schriftenreihe Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, Band 6: Pflegebegleiter“; über www. Gkvspitzenverband.de zu finden), gibt es für den „Alltagsbegleiter“ kaum praktische Erfahrungswerte oder ein definiertes Profil. Teilweise werden über Bildungsträger Ausbildungen zum „Alltagsbegleiter“ angeboten, oftmals ist hier aber die stationäre Qualifikation nach § 87b SGB XI gemeint. Das ambulante Profil müsste sich viel mehr auch noch auf die praktischen ambulanten Probleme konzentrieren, einschließlich Basiswissen zur Grundpflege (insbesondere Mobilität), zum leistungsrechtlichen Angebot und den Abgrenzungen der verschiedenen Kostenträger. Denn wie die Pflegebegleiter werden auch die Alltagsbegleiter zumindest in der Praxis teilweise Aufgaben im Sinne eines Casemanagement übernehmen. Auch wenn der Gesetzgeber in seinen Ausführungen zu den Pflegebegleitern feststellt, dass diese die bestehenden Angebote der Pflegeberater der Pflegekassen nach § 7a nicht ersetzen sollen, werden sie doch als ‚Anwalt‘ der von ihnen Betreuten diese über ihre Rechte aufklären. Von der Beschreibung des Gesetzgebers kann man schließen, dass diese beiden Aufgaben vor allem durch Ehrenamtliche übernommen werden sollten/könnten. Wie im Modellversuchsbericht zu den Pflegebegleitern dokumentiert, funktioniert ein gutes ehrenamtliches Begleitungsangebot vor allem dann, wenn es eine kompetente und verlässliche Begleitung durch hauptamtliche Mitarbeiter gibt. Hier kann es auch für die Pflegedienste als Anbieter

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interessant sein, zukünftig in diesen Feldern tätig zu werden. Allerdings werden dazu die Rahmenbedingungen erst noch definiert und sicherlich auch vor Verabschiedung der entsprechenden Rechtsverordnungen in den Ländern mit den Anbietern diskutiert. In diesem Sinne möglich wäre auch eine Pflegebegleitung durch hauptamtliche Mitarbeiter im Sinne eines Casemanagements. Denn die hier beschriebenen Aufgaben gerade auch in der Betreuung der Angehörigen, aber auch in der Unterstützung beim Aufbau und bei der Koordination des weiteren Hilfesystems bedürfen vielfältiger Fähigkeiten und eines breiten Fachwissens. Vorstellbar wäre auch, wenn beispielsweise Wohlfahrtsverbände außerhalb des eigenen Pflegedienstes solche Begleitungsangebote organisieren. Denn nur dann können diese Mitarbeiter tatsächlich unabhängig für die Pflegepersonen/Pflegesituation tätig sein und beispielsweise auch gegenüber den Mitarbeitern des trägereigenen Pflegedienstes glaubwürdig auftreten und für ihren Klienten ‚sprechen‘.

Stärkung der Angehörigen und anderen Pflegenden Der Gesetzgeber erweitert hier (3a) den Begriff der Pflegenden, obwohl dies nicht wirklich nötig gewesen wäre: „Angehörige oder vergleichbar Nahestehende in ihrer Eigenschaft als Pflegende“. Denn der Begriff der Pflegepersonen des § 19 umfasst alle diese Pflegepersonen, unabhängig davon, wie viel Zeit sie pflegen oder hauswirtschaftlich versorgen. Allerdings fehlt (schon seit der Erweiterung der Pflegeleistungen um die „Häusliche Betreuung“ nach § 124) eine Erweiterung der Definition der Pflegepersonen und ihrer Tätigkeiten. Nach § 19 sind hier vom Pflegebegriff (nach § 14) nur Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung erfasst. Es gibt nun Betreuungsleistungen durch Pflegedienste (als Sachleistung) oder schon länger über die Kostenerstattungsleistungen nach § 45b bzw. Verhinderungspflege nach § 39, die vergleichbare ehrenamtliche Tätigkeit der Pflegepersonen wird jedoch bisher nicht definiert und wird damit für weitere Sozialleistungen wie Leistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung oder der Rentenversicherung nicht anerkannt. Allerdings hat zumindest die Gesetzliche Unfallversicherung im Rahmen des SGB VII eine Öffnungsklausel: über § 1, Abs. 1, Nr. 17 sind die Pflegepersonen im Sinne des SGB XI im Rahmen der Grundpflege und Hauswirtschaft versichert. Abs. 2, Satz 1 bestimmt darüber hinaus: „Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden.“ Über diese Öffnungsklausel kann die Gesetzliche Unfallversicherung im Einzelfall auch den Versicherungsschutz bei betreuerischen Tätigkeiten übernehmen. Nur liegt das im Ermessensspielraum der Unfallversicherung und ist bisher nicht gesetzlich abgesichert.

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Kapitel 11 11.4 Gesetzestext der Versorgungsstrukturen, Verordnungsermächtigung § 4(1)5cZurWeiterentwicklung Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte insbesondere für demenzkranke Pflegebedürftige fördert der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Wege der Anteilsfinanzierung aus Mitteln des Ausgleichsfonds mit 25 Millionen Euro je Kalenderjahr den Auf- und Ausbau von niedrigschwelligen Betreuungsangeboten sowie Modellvorhaben zur Erprobung neuer Versorgungskonzepte und Versorgungsstrukturen insbesondere für demenzkranke Pflegebedürftige. Ebenso gefördert werden können aus den in Satz 1 genannten Mitteln niedrigschwellige Entlastungsangebote für Pflegebedürftige mit mindestens Pflegestufe 1 sowie für Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a erfüllen. Die privaten Versicherungsunternehmen, die die private Pflegepflichtversicherung durchführen, beteiligen sich an dieser Förderung mit insgesamt 10 vom Hundert des in Satz 1 genannten Fördervolumens. (2) Der Zuschuss aus Mitteln der sozialen und privaten Pflegeversicherung ergänzt eine Förderung der niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote und der Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen für Pflegebedürftige mit mindestens Pflegestufe 1 sowie für Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, durch das jeweilige Land oder die jeweilige kommunale Gebietskörperschaft. Der Zuschuss wird jeweils in gleicher Höhe gewährt wie der Zuschuss, der vom Land oder von der kommunalen Gebietskörperschaft für die einzelne Fördermaßnahme geleistet wird, so dass insgesamt ein Fördervolumen von 50 Millionen Euro im Kalenderjahr erreicht wird. Soweit Mittel der Arbeitsförderung bei einem Projekt eingesetzt werden, sind diese einem vom Land oder von der Kommune geleisteten Zuschuss gleichgestellt. (3) Niedrigschwellige Betreuungsangebote im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sind Betreuungsangebote, in denen Helfer und Helferinnen unter pflegefachlicher Anleitung die Betreuung von Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegestufe 1 sowie für Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, in Gruppen oder im häuslichen Bereich übernehmen sowie pflegende Angehörige und vergleichbar nahestehende Pflegepersonen entlasten und beratend unterstützen. Die Förderung dieser niedrigschwelligen Betreuungsangebote erfolgt als Projektförderung und dient insbesondere dazu, Aufwandsentschädigungen für die ehrenamtlichen Betreuungspersonen zu finanzieren, sowie notwendige Personal- und Sachkosten, die mit der Koordination und Orga-

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nisation der Hilfen und der fachlichen Anleitung und Schulung der Betreuenden durch Fachkräfte verbunden sind. Dem Antrag auf Förderung ist ein Konzept zur Qualitätssicherung des Betreuungsangebotes beizufügen. Aus dem Konzept muss sich ergeben, dass eine angemessene Schulung und Fortbildung der Helfenden sowie eine kontinuierliche fachliche Begleitung und Unterstützung der ehrenamtlich Helfenden in ihrer Arbeit gesichert ist. Als grundsätzlich förderungsfähige niedrigschwellige Betreuungsangebote kommen insbesondere in Betracht Betreuungsgruppen für Demenzkranke, Helferinnenkreise zur stundenweisen Entlastung pflegender Angehöriger im häuslichen Bereich, die Tagesbetreuung in Kleingruppen oder Einzelbetreuung durch anerkannte Helfer, Agenturen zur Vermittlung von Betreuungsleistungen für Pflegebedürftige mit mindestens Pflegestufe 1 sowie für Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, sowie Familienentlastende Dienste. (3a) Niedrigschwellige Entlastungsangebote im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 sind Angebote für Pflegebedürftige mit mindestens Pflegestufe 1 sowie für Versicherte ohne Pflegestufe, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a erfüllen, die der Deckung des Bedarfs der Anspruchsberechtigten an Unterstützung im Haushalt, insbesondere bei der hauswirtschaftlichen Versorgung, bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags oder bei der eigenverantwortlichen Organisation individuell benötigter Hilfeleistungen dienen oder die dazu beitragen, Angehörige oder vergleichbar Nahestehende in ihrer Eigenschaft als Pflegende zu entlasten. Niedrigschwellige Entlastungsangebote beinhalten die Erbringung von Dienstleistungen, eine die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten stärkende oder stabilisierende Alltagsbegleitung, organisatorische Hilfestellungen, Unterstützungsleistungen für Angehörige und vergleichbar Nahestehende in ihrer Eigenschaft als Pflegende zur Bewältigung des Pflegealltags oder andere geeignete Maßnahmen. Absatz 3 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. Als grundsätzlich förderungsfähige niedrigschwellige Entlastungsangebote kommen insbesondere in Betracht Serviceangebote für haushaltsnahe Dienstleistungen Alltagsbegleiter sowie Pflegebegleiter. (4) Im Rahmen der Modellförderung nach Absatz 1 Satz 1 sollen insbesondere modellhaft Möglichkeiten einer wirksamen Vernetzung der erforderlichen Hilfen für demenzkranke Pflegebedürftige und die Voraussetzungen des § 45a erfüllende Versicherte ohne Pflegestufe in einzelnen Regionen erprobt werden. Dabei können auch stationäre Versorgungsangebote berücksichtigt werden. Die Modellvorhaben sind auf längstens fünf Jahre zu befristen. Bei der Vereinbarung und Durchführung von Modellvorhaben kann im Einzelfall von den Regelungen des Siebten Kapitels abgewichen werden. Für

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die Modellvorhaben ist eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung vorzusehen. Soweit im Rahmen der Modellvorhaben personenbezogene Daten benötigt werden, können diese nur mit Einwilligung des Pflegebedürftigen oder die Voraussetzungen nach § 45a erfüllenden Versicherten ohne Pflegestufe erhoben, verarbeitet und genutzt werden. (5) Um eine gerechte Verteilung der Fördermittel der Pflegeversicherung auf die Länder zu gewährleisten, werden die Fördermittel der sozialen und privaten Pflegeversicherung nach dem Königsteiner Schlüssel aufgeteilt. Mittel, die in einem Land im jeweiligen Haushaltsjahr nicht in Anspruch genommen werden, können in das Folgejahr übertragen werden. (6) Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen beschließt mit dem Verband der privaten Krankenversicherung e. V. nach Anhörung der Verbände der Behinderten und Pflegebedürftigen auf Bundesebene Empfehlungen über die Voraussetzungen, Ziele, Dauer, Inhalte und Durchführung der Förderung sowie zu dem Verfahren zur Vergabe der Fördermittel für die niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote und die Modellprojekte. In den Empfehlungen ist unter anderem auch festzulegen, dass jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob im Rahmen der neuen Betreuungs- und Entlastungsangebote und Versorgungskonzepte Mittel und Möglichkeiten der Arbeitsförderung genutzt werden können. Die Empfehlungen bedürfen der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit und der Länder. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere über die Umsetzung der Empfehlungen zu bestimmen. (7) Der Finanzierungsanteil, der auf die privaten Versicherungsunternehmen entfällt, kann von dem Verband der privaten Krankenversicherung e. V. unmittelbar an das Bundesversicherungsamt zugunsten des Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung (§ 65) überwiesen werden. Näheres über das Verfahren der Auszahlung der Fördermittel, die aus dem Ausgleichsfonds zu finanzieren sind, sowie über die Zahlung und Abrechnung des Finanzierungsanteils der privaten Versicherungsunternehmen regeln das Bundesversicherungsamt, der Spitzenverband Bund der Pflegekassen und der Verband der privaten Krankenversicherung e. V. durch Vereinbarung.

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12 § 45e Anschubfinanzierung zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen

12.1 Was ist neu? Die Förderung zur Anschubfinanzierung wird erst dann eingestellt, wenn das im Gesetz (genauer: im PNG 2012) vorgesehene Budget von 30 Millionen Euro verbraucht ist. Auch Kosten, die aus Umgestaltungsmaßnahmen vor der Gründung und dem Einzug erfolgen, können später bei Vorliegen der Antragsvoraussetzungen gefördert werden.

12.2 Begründung Im Rahmen des PNG wurde neben dem Wohngruppenzuschlag nach § 38a die Anschubfinanzierung für Wohngemeinschaften eingeführt. Dass der Gesetzgeber hier hohe Erwartungen hatte und meinte, diese würden in höherem Maße in Anspruch genommen, zeigt die Begründung zur jetzigen Änderung. Der Gesetzgeber hatte offensichtlich eine viel stärkere Nutzung dieser Leistung erwartet. Deshalb war die Förderung bis Ende 2015 zeitlich begrenzt. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 02.09.2014 (BT 18/2461) hat die Bundesregierung festgestellt, dass bis 30.06.2014 insgesamt nur 312.000 F an Fördermitteln abgerufen wurden. In der Gesetzesbegründung wird nun darauf verwiesen, dass es um die Förderung der Neugründung von Wohngemeinschaften geht und nicht darum, dies nur für einen gewissen Zeitraum zu fördern. Daher wird das Budget entfristet. Auch soll durch die Einbeziehung von Umbaumaßnahmen, die schon vor dem Umzug/ Gründung der Wohngemeinschaft in Vorbereitung durchgeführt wurden, mehr Fördermöglichkeiten geschaffen werden.

12.3 Kritik/Praxis Es war in der Tat schon sehr ambitioniert davon auszugehen, dass innerhalb von 3 Jahren 30 Millionen Euro Fördermittel abgerufen werden würden. Das entspräche bei der Höchstförderung je Wohngemeinschaft insgesamt 3.000 neuen Wohngemeinschaften innerhalb von

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§ 45e Anschubfinanzierung zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen

3 Jahren. Auch die Gesetzesänderungen zu § 38a („selbstbestimmt“) zeigen, dass die Realität viel zäher und langsamer ist als die Wunschvorstellung der Gründung von vielen Alternativen zur stationären Versorgung. Oftmals sind es Pflegedienste oder auch Wohnungseigentümer, die den Anstoß zur Gründung von Wohngemeinschaften geben und diese vorantreiben, nicht jedoch die direkt betroffenen Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Es ist sinnvoll, die Fördermöglichkeit auch auf bereits vollendete Umbaumaßnahmen auszuweiten. So kann zunächst ein Gebäude umgebaut werden, und ein Teil dieser Maßnahmen über die Anschubfinanzierung refinanziert werden, wenn später eine Wohngemeinschaft hier einzieht und deshalb einzelne Bewohner anspruchsberechtigt sind. Indirekt ist auch der Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet worden, da nun nicht nur Pflegebedürftige, sondern auch Versicherte ohne Pflegestufe aber mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz den Zuschuss bekommen können (Ausweitung über § 38a). Damit stehen, wenn man die Zuschüsse nach § 40 in der maximalen Höhe von 16.000 F dazu nimmt, bis zu 26.000 F für eine altersgerechten Umgestaltung einer gemeinsamen Wohnung zur Verfügung. Ausgeschlossen aus der Förderung sind weiterhin Neubauten, die gezielt für diese Zielgruppe errichtet wurden (z.B. Betreutes Wohnen etc.).

12.4 Gesetzestext zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen § 4(1)5eZurAnschubfinanzierung Förderung der Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen wird Pflegebedürftigen, die Anspruch auf Leistungen nach § 38a haben und die an der gemeinsamen Gründung beteiligt sind, für die altersgerechte oder barrierearme Umgestaltung der gemeinsamen Wohnung zusätzlich zu dem Betrag nach § 40 Absatz 4 einmalig ein Betrag von bis zu 2 500 Euro gewährt. Der Gesamtbetrag ist je Wohngruppe auf 10 000 Euro begrenzt und wird bei mehr als vier Anspruchsberechtigten anteilig auf die Versicherungsträger der Anspruchsberechtigten aufgeteilt. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres nach Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu stellen. Dabei kann die Umgestaltungsmaßnahme auch vor der Gründung und dem Einzug erfolgen. Die Sätze 1 bis 4 gelten für die Versicherten der privaten Pflege-Pflichtversicherung entsprechend. (2) Die Pflegekassen zahlen den Förderbetrag aus, wenn die Gründung einer ambulant betreuten Wohngruppe nachgewiesen wird. Der Anspruch endet mit Ablauf des Monats, in dem das Bundesversicherungsamt den Pflegekassen und dem Verband der privaten Krankenversicherung e. V. mitteilt, dass mit der Förderung eine Gesamthöhe von 30 Millionen Euro erreicht worden ist. Einzelheiten zu den Voraussetzungen und dem Verfahren der Förderung regelt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Einvernehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung e. V.

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13 § 89 13.1 Was ist neu? Zwei Punkte sind hier neu geregelt: 1. Neu aufgenommen wurde die Formulierung, dass Tariflöhne in jedem Fall wirtschaftlich sind und deshalb nicht von den Kostenträgern als unwirtschaftlich abgelehnt werden können. Damit einher geht (hier wird auf die Formulierung in § 84 Abs. 7 verwiesen, die auch ambulant gilt) die Verpflichtung, den Kostenträgern auf deren Verlangen die Einhaltung der Bezahlung nach Tarif auch (in anonymisierter Form) nachzuweisen. Die Art des Nachweises sowie die Durchführung soll über die Rahmenverträge nach § 75 auf Landesebene geregelt werden. 2. Die mit dem PNG eingeführte Regelung, dass es zumindest für den Teilbereich Grundpflege sowohl eine Vergütung nach Zeit als auch eine Vergütung nach Pauschalen geben muss, ist aufgegeben worden. Es müssen nun keine parallelen Leistungen mehr angeboten werden, allerdings können sie weiterhin vereinbart werden.

13.2 Begründung Tariflöhne sind wirtschaftlich Die Änderung, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme (BR 18/2379) angeregt und die der Gesundheitsausschuss in seine Änderungsvorschläge aufgenommen hat, soll letztlich nur die geltende Rechtslage wiedergeben. Denn mit den BSG-Urteilen aus dem Jahre 2009 zu Marktpreisen ist rechtlich klargestellt, dass tariflich bedingte Personalkosten als wirtschaftlich anzuerkennen sind, auch wenn dadurch die Einrichtung im externen Vergleich teurer ist. Der Gesetzgeber hat versucht, schon durch Änderungen im PNG dies weiter klarzustellen, indem er hier eingefügt hatte, dass „die Aufwendungen zu finanzieren“ seien. Er hatte hier insbesondere die Personalaufwendungen gemeint. Das BSG hat das dann nochmals und in aller Deutlichkeit im Urteil vom 16.05.2013 wiederholt. Trotz dieser klaren Rechtslage konnte man in Vergütungsverhandlungen immer erleben, dass die Kostenträger zwar die tarifliche Bezahlung im Detail überprüft, sie auch für plausibel gehalten haben, dann aber trotzdem mit dem externen Vergleich argumentierten und die plausiblen Kosten nicht anerkennen wollten. Zur Klarstellung und (wie der Bundesrat zu Recht angemerkt hat) zur Vermeidung von Sozialgerichtsverfahren erfolgt nochmals diese Klarstellung. Dabei werden

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§ 89

die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen (die über den sogenannten Dritten Weg vereinbart wurden) den tarifvertraglich vereinbarten Regelungen gleichgestellt. Die Anerkennung wird zwar im Gesetzestext festgeschrieben, allerdings auch das Recht der Kostenträger, diese Bezahlung in der Praxis zu prüfen (§ 84 Abs. 7 gilt auch ambulant). Wer tarifvertragliche Personalkosten im Rahmen der Vergütungsvereinbarungen als Kostenposition vorträgt (und damit vereinbart), muss diese auch für die gesamte Laufzeit der Vergütungsvereinbarung an seine Mitarbeiter zahlen. Die Kostenträger haben ein Prüfungsrecht, das über die Rahmenverträge nach § 75 auf Landesebene praktisch konkretisiert werden muss. Die Prüfung soll so weit gehen, dass es bei Abweichungen zu einer Kürzung der Vergütung wegen Pflichtverletzung (nach § 115 Abs. 3) kommen kann, wie der Gesundheitsausschuss begründet.

Verpflichtende Zeitvergütung Problematisch bei der Zeitvergütung war von Beginn an nicht die Frage, ob man diese parallel zu den Pauschalsystemen wie Leistungskomplexen anzubieten hätte. Erst durch die Verpflichtung des Pflegedienstes, diese direkt im Rahmen von parallelen Angeboten (Kostenvoranschlägen) zu vergleichen (Regelungen des § 120 Abs. 3), hat die Zeitabrechnung zu einem Problem werden lassen. In sehr vielen Ländern wurde deshalb diese gesetzliche Vorschrift bisher nicht umgesetzt, lediglich in Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Bayern gibt es inzwischen Vergütungsvereinbarungen (Stand Oktober 2014). Wie in der Presse berichtet wird, soll der für die Pflege zuständige Staatssekretär Karl-Josef Laumann dies begründet haben mit dem Hinweis, eine Regelung, die von den Betroffenen nicht angenommen werde, gehöre schlicht abgeschafft. Allerdings sind die Betroffenen in ganz vielen Bundesländern noch gar nicht in den Genuss der Leistung gekommen.

13.3 Kritik/Praxis Anerkennung der Tariflöhne Der Bundesrat und der Gesundheitsausschuss haben es beide richtig festgestellt: Es hätte dieser Klarstellung/Änderung nicht bedurft, denn schon die Entscheidungen des BSG 2009 (Stationär: 29.1.2009, B 3 P 7/08 R; Ambulant: 17.12.2009, B 3 P 3/08 R) haben klar geregelt, dass tariflich vereinbarte Personalkosten wirtschaftlich sind. Das BSG hat das noch einmal sehr klar und eindeutig in seinem Urteil vom 16.05.2013 (RZ 16/17) wiederholt/konkretisiert: „Tarifvertragsfestsetzungen kommt deshalb bei der Bemessung der Pflegevergütung per se hohes Gewicht zu; insoweit ist dem Vorbringen der Klägerin zu folgen.

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Der Sinn dessen besteht - wie vom Senat bereits ausgeführt - vor allem darin, den in der Pflege (§ 37 SGB V, §§ 36, 43 SGB XI) tätigen Arbeitnehmern ein ihren Leistungen und ihrem Einsatz für kranke und behinderte Mitmenschen angemessenes Arbeitsentgelt zu gewährleisten und zu verhindern, dass der „Preiskampf“ zwischen den verschiedenen Trägern von Pflegediensten und Pflegeheimen letztlich zu einer nicht vertretbaren Absenkung der Entgelte der Pflegekräfte und der Qualität der Leistungen führt, sodass sich das Entgeltniveau auf Dauer dem geltenden Mindestlohn-Niveau nähert. Zudem soll der Anreiz verringert werden, kollektive Tarifverträge zu verlassen (Tarifflucht) und auf Leiharbeit, die Auslagerung von Aufgaben (Outsourcing) oder ähnliche Kosten senkende - aber die Stammbelegschaft benachteiligende - Maßnahmen auszuweichen (vgl. BSGE 107, 123 = SozR 4-2500 § 132a Nr. 5, RdNr 40); dies müssen Schiedsstellen und Vertragspartner - nicht zuletzt nach der Ergänzung des § 84 Abs. 2 S 4 SGB XI durch das PNG - weiter beachten.“ In der Praxis der letzten Jahre haben sich Kostenträger öfter darüber hinweggesetzt, indem sie einerseits die Personalkosten bis ins Detail geprüft und für plausibel befunden, dann über den externen Vergleich sie trotzdem als unwirtschaftlich erklärt haben. Wenn aber nur der Externe Vergleich zählt, hätte man auf die vorherige Plausibilitätsprüfung auch verzichten können. Immerhin war der Externe Vergleich nach der inzwischen überholten Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2000 (14.12.2000, B 3 P 19/00 R 1) einmal der richtige Prüfansatz. Allerdings hat der Gesetzgeber auf diese rein marktwirtschaftlich orientierte Auslegung des BSG schon damals reagiert und auch die gesetzlichen Grundlagen mehrfach geändert. Vermutlich wird nun diese gesetzgeberische Klarstellung endgültig helfen, die gültige Rechtslage besser durchsetzen zu können. Damit verbunden hat der Gesetzgeber andererseits die Verpflichtung, den Nachweis zu erbringen, dass die ausgehandelte tarifvertragliche Vergütung auch tatsächlich bei den Mitarbeitern ankommt. Das bedeutet ganz praktisch: Wer in der Vergütungsverhandlung Tariflöhne in Ansatz bringt, muss diese auch ausbezahlen. Darüber „wachen“ die Kostenträger, die Nachweise in anonymisierter Form verlangen können, was spätestens bei der folgenden Vergütungsverhandlung der Fall sein wird. Wer die bisherigen Vergütungsvereinbarungsvorschriften genauer kennt, wird feststellen, dass dieses „Recht“ nicht wirklich neu ist. Schon § 85 Abs. 3 regelt, dass im Einzelfall auch „pflegesatzerhebliche Angaben zum Jahresabschluss entsprechend den Grundsätzen ordnungsgemäßer Pflegebuchführung, zur personellen und sachlichen Ausstattung des Pflegeheims einschließlich der Kosten sowie zur tatsächlichen Stellenbesetzung und Eingruppierung“. Dieser Paragraf gilt auch ambulant entsprechend seit 1995! Faktisch hätten auch schon jetzt Kostenträger in (nach dem Gesetzestext richtigen Einzel-) Vergütungsverhandlungen prüfen können, ob beispielsweise die vereinbarten durchschnittlichen Fachkraftkosten tatsächlich entstanden sind, indem sie hier den Jahresabschluss (logischerweise des Vorjahres/Vorzeitraumes) heranziehen.

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§ 89

Aus Arbeitnehmersicht (gemeint sind hier auch alle Formen der Mitarbeitervertretungen (MAV)) hat diese nochmalige Klärung den praktischen Vorteil, dass es in der laufenden Vergütungsvereinbarungsperiode nicht zu Kürzungen der Personallöhne kommen kann. Klassische Notlagenregelungen, die kurzzeitig eine Abweichung vom Lohnniveau erlauben, laufen nun als Steuerungsinstrument in die Leere: Wer beispielsweise vom 1.1. bis 31.12. eine Vergütungsvereinbarung nach Tarifklassen vereinbart hat, kann nicht mehr im Laufe des Jahres mit der MAV eine Notlagenregelung zur Reduzierung der Personalkosten vereinbaren. Denn die dann reduzierten Personalkosten müssten entweder zu neuen und dann (sofort) zu abgesenkten Preisen/Pflegevergütungen führen oder würden von den Kostenträgern als Vertragsverstoß nach § 115 Abs. 3 qualifiziert und müssten zu Rückzahlungen führen. Das heißt, der Unternehmer (sei es der Wohlfahrtsverband, der kommunale oder private Betreiber einer Pflegeeinrichtung) hat bei der Höhe der Personallöhne im laufenden Vergütungszeitraum keine Eingriffsmöglichkeiten mehr. Selbst wenn Mitarbeiter wegen einer betrieblichen Notlage freiwillig auf den Lohn verzichten würden, hätte dies keine positiven Auswirkungen, sondern müsste von den Kostenträgern „abgezogen“ bzw. negativ sanktioniert werden. Einige Verbände, unter anderem der bpa, haben diesen Eingriff in die Unternehmerische Freiheit auch entsprechend negativ kommentiert. Natürlich ist es in der Verhandlung auch freigestellt, sich nicht auf eine tarifvertraglich vereinbarte und damit festgelegte Vergütung zu beziehen. Und solange man in vielen Ländern keine ambulanten Einzelverhandlungen durchführt, sondern den Vorschlägen der Landesverbände folgt, ist diese Neuregelung irrelevant. Denn dann wird nicht die konkrete einzelne Einrichtung verhandelt und entsprechend deren prüfbare Nachweise vorgelegt, sondern es werden nur pauschal prozentuale Steigerungen vereinbart. Wer die konkreten Personalkosten als Argument nutzen will, muss tatsächliche Einzelverhandlungen führen, wie der Gesetzgeber sie schon immer auch für die Pflegedienste vorgesehen hat (siehe § 82 Abs. 2, letzter Satz).

Abschaffung der verpflichtenden Zeitabrechnung Sollte das oben dargestellte Zitat des Pflege-Staatssekretärs richtig sein, dass der Gesetzgeber deshalb eine Regelung abschafft, weil sie von den Betroffenen nicht angenommen wird, dann stellt sich die Frage, ob man so nicht auch weitere Regelungen im Gesetz kippen könnte wie beispielsweise die Neuregelungen zu § 45b. Zumal ein Großteil der Betroffenen (seien es Versicherte, Pflegedienste oder Kostenträger) die Regelung zum Angebot der Zeitabrechnung gar nicht ausprobieren konnten. Es war und ist auf jeden Fall gut und richtig, die Regelungen des PNG zu überarbeiten. Denn das parallele Angebot war von Anfang an umstritten (siehe z.B. Heiber 2012; Sießegger in seinem Gutachten 2013). Allerdings war nicht die Einführung der Zeitabrechnung als Variante ein Problem, sondern allein die Regelung im § 120 Abs. 3, der die Pflege-

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dienste zwang, zwei nicht vergleichbare Abrechnungsvarianten miteinander zu vergleichen. Während der Versicherte bei der Zeitabrechnung eine festgelegte Zeit einkauft, aber nicht die Garantie hat, dass eine bestimmte Versorgung erbracht wurde, ist es bei Leistungskomplexen/Pauschalen genau umgekehrt: Hier kauft der Versicherte eine festgelegte Leistung ein, unabhängig vom benötigten Zeitaufwand. Diese beiden Leistungen allein über den Preis zu vergleichen wäre genauso, als wenn man am Gemüsestand Tomaten und Äpfel allein über den Preis vergleichen würde. Wenn der Gesetzgeber nur die Regelungen im § 120 Abs. 3 geändert hätte (was er auch noch gemacht hat, siehe auch § 120), dann wären die meisten Probleme mit der Zeitabrechnung geklärt gewesen. Viele Pflegedienste und Verbände, aber auch Kostenträger atmen nun sicherlich auf, dass sie die Zeitabrechnung nicht mehr umsetzen müssen. Allerdings werden damit die durchaus positiven Aspekte der Zeitabrechnung verdrängt: der Gesetzgeber wollte damit auch die Leistungen flexibilisieren. Wer sich einmal Leistungskataloge der verschiedenen Bundesländer ansieht, wird feststellen, dass man beispielsweise nur in Bayern (Katalog Wohlfahrt) die Leistung „Rasieren“ als alleinige Leistung wählen kann. In vielen anderen Ländern und Katalogen (es gibt aktuell 19 verschiedene) gibt es die Leistung Rasieren nur in Verbindung mit der kompletten Grundpflegeleistung, in Baden-Württemberg zum Beispiel nur in Verbindung mit der Großen Pflege zum Preis von ca. 26 F. Gerade in Bundesländern mit sehr pauschalen Katalogen wäre die Zeitabrechnung eine Alternative, um einzelne Leistungen bedarfsorientiert und auch entsprechend der benötigten Leistung kostengünstig anzubieten. Da der Gesetzgeber aber auch weiterhin den Vertragsparteien alle Möglichkeiten der Vereinbarung lässt, könnten trotz oder wegen der Gesetzesänderung auch weitere Bundesländer die Zeitabrechnung als Alternative mit vereinbaren. Es soll auch schon jetzt Versicherte/Angehörige gegeben haben, die sich bewusst für die Zeitabrechnung entschieden, weil sie einfach mehr Zeit haben wollten. Auch diese Kunden gibt es weiterhin neben der anderen Gruppe der Kostenoptimierer und erbenden Angehörigen, die sich je nach System das billigste raussuchen wollen und werden. Die Bundesländer, die bisher die Zeitabrechnung vereinbart haben, sollten diese nicht einfach wieder abschaffen. Denn im Bereich der Hauswirtschaft ist die Zeitabrechnung die beste Abrechnungsform. Bundesländer wie Niedersachsen, Hessen oder auch das Saarland haben für die Hauswirtschaft schon lange die Zeitabrechnung eingeführt. Die Größe der Wohnung ist dem individuellen Lebensstil des Versicherten zuzuordnen. Diese trotzdem mit einer Pauschale zu reinigen heißt dann auch, dass Pflegebedürftige mit kleiner Wohnung Pflegebedürftigen mit einer großen Wohnung die Reinigung mit bezahlen. Was in der Grundpflege sinnvoll ist (das Solidarprinzip), ist in der Hauswirtschaft unsinnig. Daher sollten die Bundesländer Bremen, Hamburg und Bayern (Wohlfahrt) zumindest die Hauswirtschaft nach Zeit beibehalten, alle anderen Länder darüber nachdenken, zumindest hier die Zeitabrechnung einzuführen.

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§ 89

Wer sich schon näher mit dem vielleicht demnächst kommenden neuen Einstufungssystem auseinander gesetzt hat, wird dauerhaft auch die Frage beantworten müssen, ob das veränderte System, das nicht mehr die einzelnen Defizite ‚addiert‘, sondern nach den vorhandenen Kompetenzen fragt, nicht auch andere Leistungssysteme bedingt. Wird dann in (wie bisher geplant) zwei Jahren auch wieder eine Zeitabrechnung kommen, die vor zwei Jahren eingeführt (PNG), dann wieder abgeschafft (PSG 1) und dann wieder eingeführt (PSG 2) wird!? Es wird Zeit, dass die gesamte ambulante „Pflegelandschaft“ (Anbieter, Kostenträger und Politik) eine konstantere Umsetzung ansteuert. Wie soll man das sonst noch den Bürgern klar machen? Denn das, was man beispielsweise in Niedersachsen gestern noch erklären musste, ist ab morgen (1.1.2015) wieder falsch und vielleicht ab übermorgen wieder richtig? Schon ohne Demenz ist man als Bürger langsam überfordert.

13.4  Gesetzestext Grundsätze für die Vergütungsregelung § 8(1)9 Die Vergütung der ambulanten Pflegeleistungen und der hauswirtschaftlichen Versorgung wird, soweit nicht die Gebührenordnung nach § 90 Anwendung findet, zwischen dem Träger des Pflegedienstes und den Leistungsträgern nach Absatz 2 für alle Pflegebedürftigen nach einheitlichen Grundsätzen vereinbart. Die Vergütung muss einem Pflegedienst bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Die Bezahlung tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Eine Differenzierung in der Vergütung nach Kostenträgern ist unzulässig. (2) Vertragsparteien der Vergütungsvereinbarung sind die Träger des Pflegedienstes sowie 1. die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger, 2. die Träger der Sozialhilfe, die für die durch den Pflegedienst versorgten Pflegebedürftigen zuständig sind, sowie 3. die Arbeitsgemeinschaften der unter Nummer 1 und 2 genannten Träger, soweit auf den jeweiligen Kostenträger oder die Arbeitsgemeinschaft im Jahr vor Beginn der Vergütungsverhandlungen jeweils mehr als 5 vom Hundert der vom Pflegedienst betreuten Pflegebedürftigen entfallen. Die Vergütungsvereinbarung ist für jeden Pflegedienst gesondert abzuschließen und gilt für den nach § 72 Abs. 3 Satz 3 vereinbarten Einzugsbereich, soweit nicht ausdrücklich etwas Abweichendes vereinbart wird.

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(3) Die Vergütungen können, je nach Art und Umfang der Pflegeleistung, nach dem dafür erforderlichen Zeitaufwand oder unabhängig vom Zeitaufwand nach dem Leistungsinhalt des jeweiligen Pflegeeinsatzes, nach Komplexleistungen oder in Ausnahmefällen auch nach Einzelleistungen bemessen werden; sonstige Leistungen wie hauswirtschaftliche Versorgung, Behördengänge oder Fahrkosten können auch mit Pauschalen vergütet werden. Die Vergütungen haben zu berücksichtigen, dass Leistungen von mehreren Pflegebedürftigen gemeinsam abgerufen und in Anspruch genommen werden können; die sich aus einer gemeinsamen Leistungsinanspruchnahme ergebenden Zeit- und Kostenersparnisse kommen den Pflegebedürftigen zugute. Darüber hinaus sind auch Vergütungen für Betreuungsleistungen nach § 36 Abs. 1 zu vereinbaren. § 84 Absatz 4 Satz 2 und Absatz 7, § 85 Absatz 3 bis 7 und § 86 gelten entsprechend.“ § 84 Bemessungsmaßstäbe, Abs. 7 (gilt auch ambulant, siehe Verweis in Abs. 3) (7) Der Träger der Einrichtung ist verpflichtet, im Falle einer Vereinbarung der Pflegesätze auf Grundlage der Bezahlung der Beschäftigten nach tarifvertraglich vereinbarten Vergütungen sowie entsprechenden Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, die entsprechende Bezahlung der Beschäftigten jederzeit einzuhalten. Auf Verlangen einer Vertragspartei hat der Träger der Einrichtung dieses nachzuweisen. Personenbezogene Daten sind zu anonymisieren. Das Nähere zur Durchführung des Nachweises wird in den Verträgen nach § 75 Absatz 1 und 2 geregelt.

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Kapitel 14

14 § 114 Qualitätsprüfungen und §115 Ergebnis von Qualitätsprüfungen

14.1 Was ist neu? § 114 Qualitätsprüfungen Gibt es im Rahmen einer Qualitätsprüfung Hinweise darauf, dass bei anderen Pflegebedürftigen Pflegeprobleme oder Pflegefehler aufgetreten, dann ist die Prüfung in jedem Fall um diese einzelnen Pflegebedürftigen zu erweitern. Die Prüfung wird dann immer als Anlassprüfung weiter geführt. § 115 Ergebnisse der Qualitätsprüfungen Bei Anlassprüfungen erfolgt die Bewertung (vor allem in Hinblick auf die PTVS/PTVA) dann immer unter Einbeziehung aller geprüften Pflegebedürftigen; auch wenn neben der Stichprobe zusätzlich weitere Pflegebedürftige nach § 114 einbezogen wurden.

14.2 Begründung Qualitätsprüfungen können als Regel-, Anlass-, oder Wiederholungsprüfungen durchgeführt werden. Dabei sind die Prüfgruppe und der Prüfumfang durch die Prüfrichtlinie immer festgelegt und konnte nicht mehr erweitert werden. Das konnte dazu führen, dass man bei einer Wiederholungsprüfung beispielsweise in einem Pflegeheim Hinweise auf evtl. fehlerhafte Pflege bei einem anderen Pflegebedürftigen bekam, diese aber formal nicht in die Bewertung einfließen konnten, weil sie nicht Bestandteil der vorher festgelegten Stichprobe waren. Das ist durch diese zwei Gesetzesänderung verändert worden.

14.3 Kritik/Praxis Die Ausweitung ist verständlich und nachvollziehbar. Allerdings geht es hier immer nur um die Darstellung in den sogenannten Pflegenoten, nicht jedoch um die Möglichkeit, erkennbare Mängel während einer Qualitätsprüfung zu erkennen und in den Prüfbericht

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§ 114 Qualitätsprüfungen und § 115 Ergebnis von Qualitätsprüfungen

aufzunehmen. Denn diese Möglichkeit bestand bisher schon. Auch konnten schon jetzt die Pflegekassen entsprechende Auflagenbescheide erlassen und Mängel abstellen etc. Nur die Dokumentation in den „Schulnoten“ war formal nicht möglich.

14.4 Gesetzestext

§ ((5)3) §Bei114Anlassprüfungen geht der Prüfauftrag in der Regel über den jeweiligen Prüfanlass hinaus; er umfasst eine vollständige Prüfung mit dem Schwerpunkt der Ergebnisqualität. Gibt es im Rahmen einer Anlass-, Regel- oder Wiederholungsprüfung sachlich begründete Hinweise auf eine nicht fachgerechte Pflege bei Pflegebedürftigen, auf die sich die Prüfung nicht erstreckt, sind die betroffenen Pflegebedürftigen unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in die Prüfung einzubeziehen. Die Prüfung ist insgesamt als Anlassprüfung durchzuführen. Im Zusammenhang mit einer zuvor durchgeführten Regel- oder Anlassprüfung kann von den Landesverbänden der Pflegekassen auf Kosten der Pflegeeinrichtung eine Wiederholungsprüfung veranlasst werden, um zu überprüfen, ob die festgestellten Qualitätsmängel durch die nach § 115 Abs. 2 angeordneten Maßnahmen beseitigt worden sind. Auf Antrag und auf Kosten der Pflegeeinrichtung ist eine Wiederholungsprüfung von den Landesverbänden der Pflegekassen zu veranlassen, wenn wesentliche Aspekte der Pflegequalität betroffen sind und ohne zeitnahe Nachprüfung der Pflegeeinrichtung unzumutbare Nachteile drohen. Kosten im Sinne der Sätze 4 und 5 sind nur zusätzliche, tatsächlich bei der Wiederholungsprüfung angefallene Aufwendungen, nicht aber Verwaltungs- oder Vorhaltekosten, die auch ohne Wiederholungsprüfung angefallen wären. Pauschalen oder Durchschnittswerte können nicht angesetzt werden. § 115 Ergebnisse von Qualitätsprüfungen (1a) Die Landesverbände der Pflegekassen stellen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Bei Anlassprüfungen nach § 114 Abs. 5 bilden die Prüfergebnisse aller in die Prüfung einbezogener Pflegebedürftigen die Grundlage für die Bewertung und Darstellung der Qualität. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und

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Kapitel 14

des Prüfdienstes des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V. sowie gleichwertige Prüfergebnisse nach § 114 Abs. 3 und 4 zugrunde zu legen; sie können durch in anderen Prüfverfahren gewonnene Informationen, die die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, darstellen, ergänzt werden. Personenbezogene und personenbeziehbare Daten sind zu anonymisieren. Ergebnisse von Wiederholungsprüfungen sind zeitnah zu berücksichtigen. Bei der Darstellung der Qualität ist auf die Art der Prüfung als Anlass-, Regel- oder Wiederholungsprüfung hinzuweisen. Das Datum der letzten Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder durch den Prüfdienst des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V., eine Einordnung des Prüfergebnisses nach einer Bewertungssystematik sowie eine Zusammenfassung der Prüfergebnisse sind an gut sichtbarer Stelle in jeder Pflegeeinrichtung auszuhängen. Die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik sind durch den Spitzenverband Bund der Pflegekassen, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände bis zum 30. September 2008 unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zu vereinbaren. Die maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinderten Menschen, unabhängige Verbraucherorganisationen auf Bundesebene sowie der Verband der privaten Krankenversicherung e. V. und die Verbände der Pflegeberufe auf Bundesebene sind frühzeitig zu beteiligen. Ihnen ist unter Übermittlung der hierfür erforderlichen Informationen innerhalb einer angemessenen Frist vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. Die Vereinbarungen über die Kriterien der Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik sind an den medizinisch-pflegefachlichen Fortschritt anzupassen. Kommt innerhalb von sechs Monaten ab schriftlicher Aufforderung eines Vereinbarungspartners zu Verhandlungen eine einvernehmliche Einigung nicht zustande, kann jeder Vereinbarungspartner die Schiedsstelle nach § 113b anrufen. Die Frist entfällt, wenn der Spitzenverband Bund der Pflegekassen und die Mehrheit der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene nach einer Beratung aller Vereinbarungspartner die Schiedsstelle einvernehmlich anrufen. Die Schiedsstelle soll eine Entscheidung innerhalb von drei Monaten treffen. Bestehende Vereinbarungen gelten bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung fort.

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Kapitel 15

15  § 120 Pflegevertrag 15.1 Was ist neu und Begründung Die Verpflichtung zum vergleichenden Kostenvoranschlag, der im Rahmen des PNG und der Einführung der alternativen Zeitabrechnung verpflichtend dem Kunden auszuhändigen war, ist ersatzlos gestrichen (siehe auch § 89). Der Gesetzestext in Absatz 3, Satz 1 übernimmt wieder die Fassung vor Einführung des PNG 2012. Lediglich die Verpflichtung, den Versicherten bei Vertragsabschluss sowie bei jeder wesentlichen Änderung im Regelfall schriftlich über die voraussichtlichen Kosten zu unterrichten, bleibt erhalten. Auch stellt der Gesundheitsausschuss in seiner Begründung ausdrücklich fest, dass durch diese Änderung alle bisher vorhandenen Vergütungsmodelle weiter Bestand haben können. Wesentlich an der Änderung ist vor allem die Streichung der bisher verpflichtenden Gegenüberstellung verschiedener Vergütungsvarianten.

15.2 Kritik/Praxis Allein schon diese Gesetzesänderung hätte gereicht, um die theoretischen und/oder praktischen Umsetzungsprobleme bei der Zeitabrechnung zu lösen. Denn erst durch die vergleichenden Kostenvoranschläge wurde der Anschein erweckt und provoziert, die scheinbar gleichen Leistungen könnten allein über den Preis ausgewählt werden (siehe auch § 89, zu 2.). Der Gesetzgeber hat in seiner Begründung auch noch mal klargestellt, dass es weiterhin alternative Vergütungsmodelle geben kann, nicht nur in den Ländern, die das PNG hier schon umgesetzt haben. Bisher sind nur in vier Bundesländern (Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Bayern (Wohlfahrt) Zeitvergütungen für die Grundpflege parallel zu Pauschalvergütungen vereinbart worden. In diesen Ländern müsste nach der Änderung des § 120 kein doppelter Kostenvoranschlag mehr erstellt werden. Allerdings gibt es in einigen Ländern (zumindest in Niedersachsen, Bayern, nicht in Bremen)Vereinbarungen nach § 89 zwischen den Kostenträgern und Pflegediensten, die einen doppelten Voranschlag vorsehen. Nach Meinung einiger Juristen gelten diese vertraglichen vereinbarten Pflichten auch dann, wenn die Rechtsgrundlage dazu verändert worden ist. In diesen Ländern sind dann die Verträge

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§ 120 Pflegevertrag

entsprechend anzupassen, beispielsweise über eine redaktionelle Anpassung im Sinne der vorhandenen salvatorischen Klauseln oder durch neue Verträge. Ansonsten gelten die vertraglich vereinbarten Regelungen bis zum Abschluss neuer Verträge weiter.

Gesetzestext Pflegevertrag bei häuslicher Pflege § 1(1)20Bei häuslicher Pflege übernimmt der zugelassene Pflegedienst spätestens mit Beginn des ersten Pflegeeinsatzes auch gegenüber dem Pflegebedürftigen die Verpflichtung, diesen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit, entsprechend den von ihm in Anspruch genommenen Leistungen, zu pflegen und hauswirtschaftlich zu versorgen (Pflegevertrag). Bei jeder wesentlichen Veränderung des Zustandes des Pflegebedürftigen hat der Pflegedienst dies der zuständigen Pflegekasse unverzüglich mitzuteilen. (2) Der Pflegedienst hat nach Aufforderung der zuständigen Pflegekasse unverzüglich eine Ausfertigung des Pflegevertrages auszuhändigen. Der Pflegevertrag kann von dem Pflegebedürftigen jederzeit ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden. (3) In dem Pflegevertrag sind mindestens Art, Inhalt und Umfang der Leistungen einschließlich der dafür mit den Kostenträgern nach § 89 vereinbarten Vergütungen für jede Leistung oder jeden Leistungskomplex gesondert zu beschreiben. Der Pflegedienst hat den Pflegebedürftigen vor Vertragsschluss und bei jeder wesentlichen Veränderung in der Regel schriftlich über die voraussichtlichen Kosten zu unterrichten. (4) Der Anspruch des Pflegedienstes auf Vergütung seiner pflegerischen und hauswirtschaftlichen Leistungen ist unmittelbar gegen die zuständige Pflegekasse zu richten. Soweit die von dem Pflegebedürftigen abgerufenen Leistungen nach Satz 1 den von der Pflegekasse mit Bescheid festgelegten und von ihr zu zahlenden leistungsrechtlichen Höchstbetrag überschreiten, darf der Pflegedienst dem Pflegebedürftigen für die zusätzlich abgerufenen Leistungen keine höhere als die nach § 89 vereinbarte Vergütung berechnen.

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Kapitel 16

16  § 122 Übergangsregelung 16.1 Was ist neu? Die Übergangsregelung zum Wohngruppenzuschlag nach § 38a regelt, dass alle Pflegebedürftigen, die nach bisher geltendem Recht (vor 2015) einen Wohngruppenzuschlag erhalten haben, diesen auch weiterhin erhalten, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht geändert haben.

16.2 Begründung Da der Wohngruppenzuschlag nach § 38a völlig neu strukturiert und geregelt worden ist, würden nun auch bestehende Wohngruppen diesen Zuschlag nicht mehr erhalten können, wenn sie nicht der neuen Rechtslage angepasst strukturiert sind. Um den Bestandsschutz für die bisherigen Bewohner zu sichern, ist diese Regelung eingeführt worden.

16.3 Kritik/Praxis Diese Übergangsvorschrift sichert den Bestandsschutz nur unter bestimmten Bedingungen zu: −− Nur die Pflegebedürftigen erhalten den Bestandsschutz, nicht jedoch die Wohngruppe: Für neue Bewohner gilt die Prüfung nach der neuen Norm. Das kann dazu führen, dass „Altbewohner“ zwar weiterhin den Zuschlag erhalten, neue aber nicht mehr, wenn die Wohngemeinschaft nicht den Anforderungen des neu formulierten § 38a genügt. −− Die Übergangsregelung gilt auch nur dann, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht geändert haben. Wurde beispielsweise die Wohngruppe baulich verändert, kann es sein, dass auch die Übergangsregelung nicht mehr greift. Das gilt vor allem, wenn sich vertragliche Strukturen verändert haben oder die Leistungsinhalte, die über die Wohngruppenpauschale finanziert werden, geändert haben. Die Bestandsschutzregelung gibt den bestehenden Wohngemeinschaften etwas mehr Zeit, strukturelle Veränderungen umzusetzen. Aber spätestens, wenn der erste Bewohner/Mie-

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§ 122 Übergangsregelung

ter neu einzieht, entsteht dann eine „Zweiklassengesellschaft“, wenn die Wohngemeinschaft nicht den neuen Anforderungen nach § 38a entspricht.

16.4 Gesetzestext 1) § 45b ist mit Ausnahme des Absatzes 2 Satz 3 erst ab 1. April 2002 anzuwenden; § (Absatz 2 Satz 3 ist ab 1. Januar 2003 anzuwenden. (2) Die Spitzenverbände der Pflegekassen haben die nach § 45b Abs. 1 Satz 4 in der ab dem 1. Juli 2008 geltenden Fassung vorgesehenen Richtlinien unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes der privaten Krankenversicherung e. V., der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene und der maßgeblichen Organisationen für die Wahrnehmung der Interessen und der Selbsthilfe der pflegebedürftigen und behinderten Menschen auf Bundesebene zu beschließen und dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 31. Mai 2008 zur Genehmigung vorzulegen. § 17 Abs. 2 gilt entsprechend. (3) Für Personen, die am 31. Dezember 2014 einen Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a in der bis zum 31. Dezember 2014 geltenden Fassung haben, wird diese Leistung weiter erbracht, wenn sich an den tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert hat.

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Kapitel 17

17 § 123 Übergangsregelung: Verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz

17.1 Was ist neu? Versicherte mit einer Einstufung nach § 45a (mindestens erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz) erhalten ab 2015 folgende Leistungsansprüche: −− Ohne Pflegestufe: −− erhöhte Leistungsbeträge (um 2,67 %) auf 231 F Sachleistung bzw. Pflegegeld auf 123 F −− Leistungen der Verhinderungspflege (§ 39) sowie Pflegehilfsmittel (§ 40) wie seit dem PNG −− Neue Leistungen der Tagespflege in Höhe von 231 F pro Monat −− Leistungsanspruch auf Kurzzeitpflege −− Leistungsanspruch auf Wohngruppenzuschlag nach § 38a −− Anspruch auf Anschubfinanzierung zur Gründung von ambulant betreuten Wohngruppen nach § 45e −− Mit Pflegestufe 1 −− Erhöhte Sachleistungen auf 689 F; Pflegegeld auf 316 F −− Mit Pflegestufe 2 −− Erhöhte Sachleistungen auf 1298 F, erhöhtes Pflegegeld auf 545 F

17.2 Begründung Über diese Übergangsregelung wurden erstmals mit dem PNG 2012 weitergehende oder erhöhte Sachleistungen für Versicherte/Pflegebedürftige im Sinne § 45a eingeführt. Bis zum PNG hatte diese Gruppe zwar das Recht auf die Leistung nach § 45b, mehr jedoch nicht. Nun werden alle Leistungsberechtigten nach § 45a, also auch Versicherte ohne Pflegestufe den Pflegebedürftigen bei den anderen Leistungen, insbesondere Tagespflege und Kurzzeitpflege gleichgestellt.

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§ 123 Übergangsregelung: Verbesserte Pflegeleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz

17.3 Kritik/Praxis Mit der Angleichung der Leistungen erhalten nun alle Leistungsbezieher (ob ohne oder mit Pflegestufe) die gleichen Leistungsrechte auf alle Leistungsbereiche, auch auf die ergänzenden Leistungsbereiche der Tages- und Kurzzeitpflege oder der Wohngruppenförderung. Damit wird das Leistungsrecht auf dem Weg zu einem neuen Pflegebedürftigkeitsrecht mit dann 5 Pflegestufen weitgehend angeglichen; faktisch haben wir nun auch schon 5 Pflegestufen; denn die sogenannte Pflegestufe „0“ hat nun die gleichen Leistungsrechte bei entsprechend dem Aufwand niedrigen Sachleistungen wie die Pflegestufe 3, Härtefall.

17.4 Gesetzestext 1) Versicherte, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Vorausset§ (zungen des § 45a erfüllen, haben neben den Leistungen nach § 45b bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, Ansprüche auf Pflegeleistungen nach Maßgabe der folgenden Absätze. (2) Versicherte ohne Pflegestufe haben je Kalendermonat Anspruch auf 1. Pflegegeld nach § 37 in Höhe von 123 Euro oder 2. Pflegesachleistungen nach § 36 in Höhe von bis zu 231 Euro oder 3. Kombinationsleistungen aus den Nummern 1 und 2 (§ 38) sowie Ansprüche nach den §§ 38a, 39, 40, 41, 42 und 45e. Der Anspruch auf teilstationäre Pflege für Versicherte ohne Pflegestufe umfasst einen Gesamtwert von bis zu 231 Euro je Kalendermonat. (3) Für Pflegebedürftige der Pflegestufe I erhöhen sich das Pflegegeld nach § 37 um 72 Euro auf 316 Euro und die Pflegesachleistungen nach § 36 sowie § 41 um 221 Euro auf bis zu 689 Euro. (4) Für Pflegebedürftige der Pflegestufe II erhöhen sich das Pflegegeld nach § 37 um 87 Euro auf 545 Euro und die Pflegesachleistungen nach § 36 sowie § 41 um 154 Euro auf bis zu 1 298 Euro.

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Anhang

Literatur Heiber 2012: Das Pflege-Neuausrichtungsgesetz, Vincentz Network, Hannover Sießegger: Gutachten zur Wechselwirkungen Zeitvergütung vs. Leistungskomplexe: www.siessegger.de Rundschreiben der Spitzenverbände der Pflegekassen: gkv-spitzenverband.de Betreuungskräfte-RI in der Fassung vom 06.05.2013: gkv-spitzenverband.de Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln im Auftrag des bpa www.dpa.de „Schriftenreihe Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, Band 6: Pflegebegleiter“; über www. Gkv-spitzenverband.de zu finden Aktuelle Gesetzestexte Der veränderte Gesetzestextstand zum 01.01.2015 wird ab diesem Zeitpunkt beispielsweise unter www.gesetze-im-Internet.de zu finden sein (eine Seite des Bundesministeriums für Justiz und für Verbraucherschutz mit der Juris GmbH).

119 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

Kurzübersicht der Leistungsbeträge

Kurzübersicht der Leistungsbeträge Leistungsansprüche 2015 Leistung

Ohne Pfle- Pflegegestufe stufe 1

Pflegestufe 2

Pflegestufe 3

Härtefall

Sachleistung § 36 ab 2015 bei Einstufung nach § 45a ab 2015

-

468 F

1.144 F

1.612 F

1.995 F

231 F

689 F

1.298 F 1.612 F

1.995 F

0F

244 F

458 F

728 F

123 F

316 F

545 F

728 F

Pflegegeld § 37 ab 2015 bei Einstufung nach § 45a ab 2015

Wohngruppenzuschlag § 38a keine bei Einstufung nach § 45a

250 F 250 F

Verhinderungspflege § 39 keine

bis 1.612 F bei Einstufung nach § 45a bis 1.612 F Zusätzlich bis 50 % der Kurzzeitpflege (806 F) nutzbar, max. 2.418 F Pflegehilftsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen § 40 Pflegeverbrauchsmittel bis zu Wohmumfeldverbessernde Maßnahmen bis zu Zusätzliche Betreuungsleistungen § 45b Ohne Einstufung Grundbetrag Erhöhter Betrag

40 F 4.000 F 104 F 104 F 208 F

bis zu bis zu

Tagespflege § 41

Ohne Pfle- Pflege- Pflege- Pflege- Härtefall gestufe stufe 1 stufe 2 stufe 3 468 F 1.144 F 1.612 F bei Einstufung nach § 45a 231 F 689 F 1.298 F 1.612 F Hinweis: keine Anrechnung beim ambulanten Leistungen mehr Kurzzeitpflege § 42 keine bei Einstufung nach § 45a Vollstationäre Pflege § 43

bis 1.612 F bis 1.612 F

keine 1.064 F 1.330 F 1.612 F Erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz

1.995 F

120 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

Anhang

Leistungsansprüche 2015 Zusätzlich verfügbares maximales Budget für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen 40% des Sachleistungsbetrags Ohne Pfle- Pflegegestufe stufe 1 Umgewandelte Sachleistung Dadurch reduziertes Pflegegeld Umgewandelte Sachleistung Dadurch reduziertes Pflegegeld

92 F 49 F

187 F 97 F 276 F 126 F

Pflegestufe 2

Pflegestufe 3

Härtefall

458 F 183 F 519 F 218 F

645 F 291 F 645 F 291 F

798 F 291 F 798 F 291 F

121

Autorenvita

Vita Andreas Heiber, Jahrgang 1963; langjährige Tätigkeit bei einem Bundesverband der freien Jugendhilfe, mehrere Jahre angestellt im Software­vertrieb für den sozialen Bereich; seit 1993 selbstständig als Unternehmensberater und Fachbuchautor, Geschäfts­führer der Unternehmensberatung System & Praxis Andreas Heiber, Bielefeld.

122 Pflege-Stärkungsgesetz 1 • Andreas Heiber © Vincentz Network GmbH & Co.KG, Hannover 2015 ISBN 978-3-86630-382-9

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Haftungsrecht

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Ralf Kaminski

Haftungsrecht Dem Verfahren vorbeugen oder sicher begegnen Reihe Recht Haftungsrecht

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Dem Verfahren vorbeugen oder sicher begegnen Ralf Kaminski Rechtsanwalt Ralf Kaminski vermittelt praxisnah, wie Leiter ambulanter Pflegedienste im Schadensfall strategisch klug vorgehen. Mit Praxistipps, Formulierungshilfen und anonymisierten Schriftsätzen zum Schadensersatzverfahren.

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2014, 108 Seiten, kart., Format. 17 x 24 cm ISBN 978-3-86630-369-0, Best.-Nr. 758

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Reihe Recht Bd.4 Ronald Richter

Behandlungspflege Kommentar und 50 Praxisfälle zu §37 SGB V und den Richtlinien zur Verordnung Häuslicher Krankenpflege Reihe Recht Behandlungspflege

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Kommentar und 50 Praxisfälle zu § 37 SGB V und den Richtlinien zur Verordnung Häuslicher Krankenpflege Ronald Richter Wer hat wann Anspruch auf Behandlungspflege? Auf welche gesetzlichen Vorgaben sich Ansprüche gründen und wie Gerichte sie auslegen, dies vermittelt dieser Ratgeber. 2014, 4. überarb. Auflage, 192 Seiten, kart., Format 17 x 24 cm ISBN 978-3-86630-377-5, Best.-Nr. 623

Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII Leistungen der Sozialhilfe bei Pflegebedarf Utz Kramer (Hrsg.) Nur wer sich auskennt, kann Hilfen auch nutzen. Welche es gibt, wie die Voraussetzungen sind und wie das Verhältnis zu den Leistungen der Pflegeversicherung ist, das vermittelt dieser Rechtsratgeber – in fünfter Auflage auf dem aktuellen Gesetzesstand. Mit Fallbeispielen, Schaubildern, Musterberechnungen und erweitertem Anhang. 2013, 5. überarb. Auflage, 220 Seiten, kart., Format 17 x 24 cm ISBN 978-3-86630-302-7, Best.-Nr. 687 Alle Bücher sind auch als eBook (ePub oder PDF-Format) erhältlich.

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Das Pflegestärkungsgesetz 1 tritt am 01. Januar 2015 in Kraft. Was Sie im Management der ambulanten Pflege zur Umsetzung schon heute tun können und müssen, zeigt dieses Buch. Andreas Heiber beschreibt Chancen und Risiken des neuen Gesetzes und kommentiert es praxisnah. Es geht darum, welche Änderungen greifen, wie der Gesetzgeber sie begründet hat, wie sie einzuordnen und zu kritisieren sind, und wie man das im Pflegedienst umsetzen kann. Kernpunkte des Gesetzes sind: -  Die neuen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b, -  die Tagespflege als eigenständiger Partner, -  veränderte Bestimmungen für ambulante Wohngemeinschaften, - gestärkte Verhinderungspflege, gestrichene Zeitabrechnung: Chancen und Nutzen. Für alle, die ihren Pflegedienst zeitnah an den neuen Bestimmungen orientiert steuern wollen, ein unverzichtbarer Ratgeber!

Andreas Heiber Jahrgang 1963; langjährige Tätigkeit bei einem ­Bundesverband der freien Jugendhilfe, mehrere Jahre ­angestellt im Softwarevertrieb für den sozialen Bereich; seit 1993 selbständig als Unternehmensberater und Fachbuchautor, Geschäftsführer der Unternehmens­ beratung System & Praxis Andreas Heiber, Bielefeld.

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ISBN 978-3-74860-144-9