Das Ostfränkisch-Deutsche Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen [Reprint 2021 ed.] 9783112535844, 9783112535837

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German Pages 386 [389] Year 1974

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Das Ostfränkisch-Deutsche Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen [Reprint 2021 ed.]
 9783112535844, 9783112535837

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WOLFGANG EGGERT

DAS OSTFRÄNKISCH-DEUTSCHE REICH IN DER AUFFASSUNG SEINER ZEITGENOSSEN

FORSCHUNGEN ZUR MITTELALTERLICHEN GESCHICHTE Begründet durch Heinrich Sproemberg + Herausgegeben von G. Heitz, £. Müller-Mertens, B. Töpfer und E. Werner

BAND 2 1

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N 1973

WOLFGANG EGGERT

DAS OSTFRÄNKISCH-DEUTSCHE REICH IN DER AUFFASSUNG SEINER ZEITGENOSSEN

A K A D E M I E - V E R L A G 1973

-

B E R L I N

Erschienen im Akademie-Verlag G m b H , 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1973 b y Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/80/73 Umschlaggestaltung: K a r l Salzbrunn Herstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 3935 Bestellnummer: 2090/21 • E S 14 E • 14 D EDV-Nr. 752 075 9 72,-

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

VII

Abkürzungs- und Sigelverzeichnis Einleitende Bemerkungen I. Teil: Reichsbegriffe und Reichsauffassung in wichtigen erzählenden Quellen des ostfränkisch-deutschen Reiches und Lothringens in der zweiten Hälfte des 9. und dem Beginn des 10. Jahrhunderts Kapitel

I: „regnum orientalium Francorum" — Rudolf von Fulda . . .

Kapitel II: „regnum Hludowici" — Meginhard von Fulda

IX 1

15 15 49

Kapitel III: „regnum Baiowaricum" — Die bairischen Fortsetzungen der Fuldaer Annalen

95

Kapitel IV: „regnum Francorum" — Die sogenannten Xantener Annalen

130

Kapitel V: „regnum Lotharii" — Regino von Prüm

155

II. Teil: Reichsbegriffe und Reichsauffassung in Urkunden und ihnen verwandten Quellen des Ost- und des nördlichen Mittelreiches von etwa 830 bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts

219

Schlußbetrachtung

329

Literaturverzeichnis

343

Belegstellennachweis

355

Namenregister

362

VORWORT

Mit den folgenden Studien lege ich eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, welche unter dem Titel „Das ostfränkische Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen" im September 1968 von der damaligen Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen wurde, einer breiteren Öffentlichkeit vor. Sie ordnen sich ein in den Rahmen eines zentralen Forschungsvorhabens, das es den Mitarbeitern des Bereichs Mittelalterliche Geschichte der genannten Universität zur Aufgabe stellt, die Probleme der Entstehung und Entwicklung des deutschen Feudalstaates einer Lösung näherzuführen. Herr Prof. Dr. phil. habil. Eckhard Müller-Mertens, Leiter dieses Bereiches, hat meine Arbeit betreut und in jeder Weise gefördert; für zahlreiche durch Teilnahme an seinem Seminaren empfangene Anregungen sowie für ständig gewährte Unterstützung — unter anderem stellte er mir das Manuskript seines eigenen Werkes „Regnum Teutonicum" sofort nach der Fertigstellung zur Verfügung — sei ihm als meinem Lehrer hiermit wärmstens Dank gesagt. Ich danke weiterhin den übrigen Herausgebern der „Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte" und nicht zuletzt dem Akademie-Verlag Berlin für die Möglichkeit, vorliegenden Band publizieren zu können. WOLFGANG E G G E R T

Berlin, im Mai 1972

ABKÜRZUNGS- UND SIGELVERZEICHNIS

Abh. Ak. Berlin AfD. AKG. ALMA. AnnHVNiederrh. AUF. BECh. BM 2

Abhandlungen der (Königlich) Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin Archiv für Diplomatik Archiv für Kulturgeschichte Archivum latinitatis medii aevi Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein Archiv für Urkundenforschung Bibliothèque de l'Ecole des Chartes Regesta imperii I : Die Regesten des Kaiserreichs 751—918, nach

BO

nach

ByzZ. D. DA. DArii. DH. I. DK. D K . III. DKm. D K r d . I. DLdD. DLdJ. DLdK. DLo. I. DLo. II. DLZ. DO. I. DZ. FDG. HJb. HZ. Jb. Jbb. MIÖG.

BÖHMER,

J . F.,

neu

b e a r b . v . MÜHLBACHER,

E.,

2. Aufl., Innsbruck 1908 (in Klammern die nrn. der 1. Aufl., Innsbruck 1889). Regesta imperii I I : Die Regesten des Kaiserreichs unter den Herrschern aus dem sächsischen Hause 919—1024, BÖHMER, J . F . , n e u b e a r b . v . OTTENTHAL, E . v . ,

1. Lieferung, Innsbruck 1893. Byzantinische Zeitschrift Diplom Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Diplom Arnulfs Diplom Heinrichs I. Diplom der (frühen) Karolinger (Pippin, Karlmann, Karl der Große) Diplom Karls des Dicken Diplom Karlmanns von Baiern Diplom Konrads I. Diplom Ludwigs des Deutschen Diplom Ludwigs des Jüngeren Diplom Ludwigs des Kindes Diplom Lothars I. Diplom Lothars II. Deutsche Literaturzeitung Diplom Ottos I. Diplom Zwentibolds Forschungen zur deutschen Geschichte Historisches Jahrbuch Historische Zeitschrift Jahrbuch Jahrbücher der deutschen Geschichte Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung

MG. Cap. Const. DD. DD. Karol. DD. reg. Germ. Karol.

Epp.

Form. Poet. lat. SS. S S . in us. schol. S S . rer. Germ., nova series S S . rer. Lang. NA. Or. RhVjbll. S B . Ak. Wien SuA. UB. WaG. WZ. Halle ZbayrLG. ZfG. ZGORh. ZKG. ZRG. GA. KA. ZSchwG. ZVHessG.

Monumenta Germaniae histórica Capitularla regum Francorum, 2 Bde., Hannover 1883ff. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 1 - 6 und 8, Hannover 1893 ff. Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Bd. 1—6 und 8, Hannover (später Weimar und Berlin) 1879 ff. Diplomata Karolinorum, Bd. 1 und 3, Hannover (später Berlin/Zürich) 190611. Diplomata regum Germaniae ex Stirpe Karolinorum, 4 Bde., Berlin 1934 ff. Epistolae, 8 Bd., Berlin 1887ff. Formulae Merovingici et Karolini aevi, Hannover 1886. Poetae latini medii aevi, 6 Bde., Berlin (später Leipzig und Weimar) 188011. Scriptores rerum Germanicarum, 32 Bde., Hannover 1826 ff. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi. Einzelausgaben. Scriptores rerum Germanicarum nova series. Einzelausgaben. Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum, Hannover 1878. Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Original Rheinische Vierteljahresblätter Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Wien Sachsen und Anhalt Urkundenbuch Welt als Geschichte Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung Kanonistische Abteilung Zeitschrift für schweizerische Geschichte Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde.

EINLEITENDE BEMERKUNGEN

Die Entstehung des mittelalterlichen deutschen Reiches ist noch heute einer der umstrittensten Prozesse, welche die Geschichtsforschung kennt. Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten hat es viele Historiker immer wieder gereizt, sich mit ihr auseinanderzusetzen, den Verlauf der für sie entscheidenden Dezennien darzustellen sowie nach dem Wann und dem Warum ihres Vollzugs zu fragen. Ein ausführlicher Überblick über den verschlungenen Weg von Erkenntnissen, Hypothesen und Kontroversen, wie ihn die deutsche Geschichtsschreibung von etwa 1800 bis in unsere Gegenwart hinein genommen hat, ist jüngst von marxistischer Seite erfolgt; da auf ihn verwiesen werden kann 1 , belassen wir es im folgenden bei einigen skizzenhaften Andeutungen. Was die Entstehungszeit anbetrifft, so hat man im Verlauf der Erörterungen verschiedene politische Ereignisse als „Gründungsakte" namhaft machen wollen: den Vertrag von Verdun 843, durch welchen die Enkel Karls des Großen nach heftigen gegeneinander geführten Kämpfen das fränkische Großreich teilten 2 ; dann die Absetzung von des ersten Frankenkaisers ungleich schwächerem gleichnamigen Nachfahren, Karls des Dicken, der jenes riesige Imperium in fast seinem gesamten früher'en Umfange noch einmal unter seiner Herrschaft vereinigte, durch das gemeinsame Handeln des ostrheinischen Stammesadels, der sich im Jahre 887 in Arnulf von Kärnten einen eigenen König setzte 3 ; ferner die Erhebung des Nichtkarolingers Konrads I. auf den Thron dieses gesonderten Ostreiches 9 1 1 4 ; schließlich die „Übertragung des Reiches der Franken auf die Sachsen", wie die Quellen später sagten: die Königswahl Heinrichs I. im Jahre 1

BARTMUSS, H . - J . , Die Geburt des ersten deutschen Staates. Ein Beitrag zur Diskussion der deutschen Geschichtswissenschaft um den Übergang vom ostfränkischen zum mittelalterlichen deutschen Reich, Berlin 1966, S. 23—93 (Schriftenreihe des Instituts für deutsche Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hrsg. v. STERN, L., Bd. 2). Vgl. auch MÜLLER-MERTENS, E., Regnum Teutonicum. Aufkommen und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter, Berlin 1970, S. 25ff. (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, hrsg. v. HEITZ, G., U. a., Bd. 15), sowie zuletzt HERRMANN, J . , in seinem unten in Anm. 23 genannten Aufsatz, S. 616 f., Anm. 2.

2

So zum Beispiel WAITZ; siehe im I I . Teil, S. 257f., Anm. 266. So zum Beispiel LINTZEL, M., Die Anfänge des deutschen Reiches. Über den Vertrag von Verdun und die Erhebung Arnulfs von Kärnten, München und Berlin 1942, S. 88ff. So zum Beispiel BRESSLAU, H., Das tausendjährige Jubiläum der deutschen Selbständigkeit, Straßburg 1912, S. 1 (Schriften der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg, 14. Heft), und HOLTZMANN, R., Geschichte der sächsischen Kaiserzeit 900 bis 1024, Berlin o. J . , S. 15.

3

4

1

9 1 9 5 . Keines dieser Daten h a t sich durchsetzen können; m a n ist heute geneigt, von einem „ g e s t r e c k t e n " Entstehungsprozeß zu sprechen, in dem sie und andere als Marksteine der Entwicklung ihren Platz haben. 6 Ihre Wertigkeit wird dabei verschieden beurteilt — j e nachdem, wie man glaubte, die F r a g e nach den Gründen, die jene Entwicklung bewirkten, und nach den Triebkräften, die sie als wesentliche F a k t o r e n bestimmten, beantworten zu müssen. Hier aber liegt der Angelpunkt unseres ganzen Problemkomplexes, an dem sich naturgemäß die Geister noch weit mehr scheiden als an der Festlegung oder Nichtfestlegung auf ein E n t s t e h u n g s d a t u m . Besonders anhand umfassender und stets subtiler werdender Untersuchungen des Ablaufs der politischen Ereignisse — wobei die Anwendung der von Leopold von R a n k e und seinen Schülern entwickelten philologisch-kritischen Methode eine unschätzbare Hilfe war —, daneben aber auch unter Heranziehung von vorwiegend rechts- und verfassungsgeschichtlichen Aussagen und Erkenntnissen h a t die nichtmarxistische Historiographie bisher versucht, akzeptable Lösungswege für die genannte F r a g e zu entwickeln. Zwei große Konzeptionen sind es vor allem, welche, im Verlaufe ihrer Bemühungen während des vorigen J a h r h u n d e r t s entwickelt, seither selbstverständlich in vielem durch neue Ergebnisse und Einsichten gewandelt, ihre Anschauungen bis in unsere T a g e hinein g e p r ä g t h a b e n : einmal die romantische, v o m Vorrang des Volkstums, der S p r a c h e usw. ausgehende, welche die B i l d u n g des Reiches auf a u s diesem Bereich heraus wirkende K r ä f t e wie „ V o l k s g e i s t " , „Nationalbewußtsein" oder ähnliches zurückf ü h r t e ; zum anderen die politisch-dynastische, die den S t a a t als primär hinstellte und aus dem staatlichen Zusammenschluß d a s Werden von Volk und N a t i o n ableitete. 7 Ahnlich wie es bei dem berühmt-berüchtigten, während der'sechziger J a h r e des 19. J h . ausgetragenen Sybel-Fickerschen Streit um die E i n s c h ä t z u n g der mitlel5

6

7

2;

So zum Beispiel HUGELMANN, K. G., Stämme, Nation und Nationalstaat im deutschen Mittelalter, Würzburg 1955, S. 411f. Auch BARTMTTSS entscheidet sich, allerdings mit wesentlich anderer Begründung als HUGELMANN, der allein die „ K r a f t des Nationalbewußtseins" für die Gründung des von ihm als „deutscher Nationalstaat" apostrophierten Reiches verantwortlich macht, für diesen Termin; siehe dazu S. 5f. Gegen die von einem übersteigerten Nationalismus durchdrungenen Thesen HITGELMANNS wandte sich SPROEMBERG, H., Die Anfänge eines „Deutschen Staates" im Mittelalter, deutsch in: Mittelalter und demokratische Geschichtsschreibung. Ausgewählte Abhandlungen, hrsg. v. UNGER, M., Berlin 1971, S. 3ff. (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, hrsg. v. HEITZ, G., U. a., Bd. 18), sowie DERSELBE, Die Alleinherrschaft im mittelalterlichen Imperium, zuletzt in: ebenda, S. 4511. MITTEIS, H., Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., Weimar 1958, S. 209; TELLENBACH, G., Wann ist das deutsche Reich entstanden?, in: [DA. 6/1943; leicht überarbeiteter Wiederabdruck in:] Die Entstehung des deutschen Reiches, Wege der Forschung 1, Darmstadt 1956, besonders S. 172ff. und 211f.; DERSELBE, Die Entstehung des deutschen Reiches. Von der Entwicklung des fränkischen und deutschen Staates im neunten und zehnten Jahrhundert, 3. Aufl., München o. J . (1947), S. 13ff. — Die gleiche Auffassung liegt den in den Anm. 1 und 13 angeführten Arbeiten von MÜLLER-MERTENS zugrunde. Vgl. hierzu die Ausführungen von MÜLLER-MERTENS, Regnum Teutonicum, a. a. 0., S. 8ff.

alterlichen Kaiserpolitik der Fall war, in dem sich, resultierend a u s dem bezüglich der d a m a l s auf der Tagesordnung stehenden nationalen Einigung „ k l e i n d e u t s c h e n " beziehungsweise „großdeutschen" S t a n d p u n k t der beiden K o n t r a h e n t e n , Verurteilung und Glorifizierung dieser Politik unversöhnlich und in aller S c h ä r f e gegenübers t a n d e n 8 , ist a u c h hier der Zusammenhang zwischen Politik und Ideologie, d a s Erwachsen der jeweils gängigen Vorstellungen über unser Problem a u s einer jeweils gegebenen historischen Situation.' nicht zu übersehen. „ E n t s t a n d die romantische Konzeption auf der politischen Szene der bürgerlichen Bewegung und der R e s t a u r a tion nach 1815, so bildete sich die politisch-dynastische auf dem Hintergrund der niedergeschlagenen und aufgegebenen Revolution von 1848/49 sowie der 1870/71 vollzogenen Reichseinigung von oben", schrieb j ü n g s t E . Müller-Mertens 9 , der weiterhin auf die in diesem Z u s a m m e n h a n g interessante, weil bezeichnende T a t s a c h e a u f m e r k s a m machte, daß „in der Zeit des F a s c h i s m u s der romantische A n s a t z zur Apologie des Rassenprinzips, der politisch-dynastische zu der des Führerprinzips profaschistisch eingesetzt", gleichzeitig aber „ u m g e k e h r t die politisch-dynastische Fragestellung gegen d a s Rassenprinzip, die romantische gegen die Führeridee im antifaschistischen Sinne a n g e w a n d t " w u r d e 1 0 . Hier wird die Zeitbezogenheit zum bestimmenden Kriterium von Positionen; die Geschichte erweist sich wie stets als eminent politische Wissenschaft, die für fortschrittsfeindliche Zwecke mißbraucht, aber auch für progressive Absichten und Ziele entscheidend ins Treffen geführt werden kann. B e t r a c h t e t m a n beide genannten Konzeptionen nun vom S t a n d p u n k t des historischen Materialismus aus, so erkennt m a n , daß sowohl die vom „völkischen" P r i m a t als auch jene, die die S t a a t s b i l d u n g als vorrangig begreift, zu fundamentaler K r i t i k insofern herausfordern, als die wirtschaftlich-sozialen Realitäten, die sich vollziehenden Prozesse in jenen Bereichen der gesellschaftlichen Entwicklung v o n ihren Verfechtern nicht oder nur sehr a m R a n d e der Aufmerksamkeit für würdig erachtet wurden. Das von K a r l Marx und Friedrich Engels bereits 1845/1846 in ihrer Schrift „ D i e deutsche Ideologie" herausgearbeitete und umfassend dargelegte Verhältnis von B a s i s und Ü b e r b a u 1 1 , die (im dialektischen Sinne zu sehende) Abhängigkeit des letzteren, d a s heißt der Politik, des S t a a t e s , des Rechts, der Ideologie in all ihren Äußerungen usw., von der ökonomischen S t r u k t u r der Gesellschaft — der „ P r o d u k tionsweise des materiellen L e b e n s " , wie Marx an anderer Stelle sich ausdrück8

Hierzu ausführlich KOCH, G., Der Streit zwischen Sybel und Ficker und die Einschätzung der mittelalterlichen Kaiserpolitik in der modernen Historiographie, in: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft, Bd. 1: Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. J h . bis zur Reichseinigung von oben, 2. Aufl., Berlin 1969, S. 311ff. (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I, Bd. 20), der auch auf die Klassengrundlage beider Richtungen eingeht.

9

MÜLLER-MERTENS,

10

11

R e g n u m Teutonicum, a. a. O., S. 8. Vgl. auch BARTMTJSS, G e b u r t ,

a. a. 0., S. 33. MÜLLER-MERTENS, Regnum Teutonicum, a. a. 0., S. 9. Vgl. als ein Beispiel etwa die Ausführungen TELLENBACHS zur Königswahl Arnulfs von Kärnten im Jahre 887; dazu Kap. II, S. 85ff. MARX, K./ENGELS, F., Die deutsche Ideologie, i n : DIESELBEN, Werke, B d . 3, Berlin 1958,

S. 20 ff.

3

te 1 2 — blieb außerhalb jeder Erörterung. Hierin einen grundlegenden Wandel vollzogen zu haben, ist das Verdienst marxistischer Forscher, welches sie sich besonders mit Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt erwarben. Zwangsläufig geriet dabei die Beziehung zwischen der während der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends in großem Umfange ablaufenden Überführung der materiellen Produzenten in die feudale Abhängigkeit und den frühmittelalterlichen Reichsbildungen besonders ins Blickfeld. In einer umfassenden Abhandlung über Werden und Wandlungen des deutschen Staates bis etwa zum Beginn der Neuzeit hat MüllerMertens für dessen erste Phase die ihm wie dem frühen Karolingerreich innewohnenden Tendenzen zu starker Königsherrschaft, Expansion und Großreichbildung deutlich herausgestellt und sie als Ausdruck des in den jeweiligen Kerngebieten beider Gebilde noch nicht abgeschlossenen Feudalisierungsprozesses gewertet. Der Widerstand, der sich gegen diesen erhob, sowie die ökonomischen Interessen der feudalisierenden Kräfte erforderten dringend eine im Inneren die „Ordnung", nach außenhin den Erwerb neuer Länder und Menschen zur Fortsetzung des Prozesses garantierende zentrale Spitze, die mit der Kirche zusammenging. 13 Aus der Dynamik des ökonomisch-sozialen Prozesses heraus erwuchs so, wie Müller-Mertens in einem weiteren Aufsatz ausführte, eine politische Formung, welche, von bestimmten Kraftzentren ausgehend, die Interessen der in diesen existierenden Schichten der herrschenden Klasse zu realisieren suchte. 14 Sie vollzog sich in mehreren, durch Destruktion und Desintegration getrennten Integrationsphasen, von denen für das spätere deutsch Reich die fränkisch-merowingische im 6. Jh., die fränkisch-karolingische im 8. Jh., die ostfränkisch-baierisch-karolingische im 9. J h . und die sächsisch-ottonische im 10. J h . Bedeutung erlangten. 15 Zu Beginn der letztgenannten übernahmen die sächsischen Herzöge „919 im Reich die Krone und die Macht. Sie zwangen die Gegner starker Königsherrschaft in die Knie und bestimmten die Reichsordnung von Sachsen her." 1 6 Sie konnten dies, wie der Autor ausführt, allein deshalb, weil sie ihre Basis in einem Gebiet hatten, das gegenüber seinen westlichen und südlichen Nachbarbereichen „rückständig" war, da der Feudalisierungsprozeß hier relativ spät einsetzte und nicht vor dem 10. J h . 12

13

MARX, K., Zur Kritik der politischen Ökonomie. Vorwort, in: ebenda, Bd. 13, Berlin 1961, S. 8f. (hier die wohl komprimierteste und prägnanteste Darlegung des geschilderten Verhältnisses). MÜLLER-MERTENS, E., Vom Regnum Teutonicum zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Reflexionen über die Entwicklung des deutschen Staates im Mittelalter, in: Z f G . 1 1 / 1 9 6 3 , S . 3 2 5 ff.

14

15 16

4

DERSELBE, Die Deutschen. Zur Rolle der politischen Formung bei ihrer Volkwerdung, in: Germanen — Slawen — Deutsche. Forschungen zu ihrer Ethnogenese, Berlin 1968, S. 36; vgl. die Kennzeichnung des generellen Zusammenhangs ebenda: „Politische Formung gründet sich nicht auf ein von den wirtschaftlich-gesellschaftlichen Voraussetzungen und Grundlagen unabhängiges und losgelöstes Ermessen und Bestimmen des Monarchen, der weltlichen und geistlichen Großen. Sie wurzelt in der materiellen Interessensphäre . . . In der politischen Formung versuchen sich die durch die materiellen Existenzbedingungen gesetzten Interessen in der Auseinandersetzung und im Kampf politisch zu realisieren." Ebenda. DERSELBE, Vom Regnum Teutonicum, a. a. 0 . , S. 327.

zum Abschluß geführt wurde. 17 Über diese Frage jedoch herrscht innerhalb der marxistischen Mediaevistik keine Einigkeit. Während Siegfried Epperlein in Auswertung eigener wirtschafts-, sozial- und ideologiegeschichtlicher Untersuchungen dieser These von Müller-Mertens zustimmte 18 , neigt Hans-Joachim Bartmuß dazu, die Feudalisierung auf dem Boden des späteren Deutschlands als erheblich weiter fortgeschritten einzuschätzen. Gerade im 9. J h . wurde sie, wie er schreibt, hier stark intensiviert 19 , und wollte man ihm glauben, so müßte man annehmen, es hätte bereits um das J a h r 840 in Sachsen fast keine freien Bauern mehr gegeben, denn der Steilingaaufstand erscheint allein als Aktion von Feudalabhängigen. 20 Für die Bildung des „ersten deutschen Staates" macht Bartmuß jedoch nicht in erster Linie den Kampf zwischen ihnen und der Klasse der Feudalherren verantwortlich; wichtiger erscheinen ihm die Widersprüche innerhalb der Feudalherrenklasse selbst. Im Verlaufe des 9. J h . habe rechts des Rheins die Macht des Königtums stetig ab- und die des Adels ebenso stetig zugenommen, was zu Beginn des 10. J h . schließlich zu einer Krisensituation führte, ökonomisch und damit auch politisch bedeutungslos, sei die Zentralgewalt damals als organisierender Faktor ausgefallen, und die übrigen Angehörigen der herrschenden Klasse seien somit gezwungen gewesen, sich gegen die von ihr Unterdrückten im Innern wie auch gegen die äußeren Feinde selbst zu helfen. Ergebnis dessen war die Bildung der sogenannten „jüngeren Stammesherzogtümer", denen Bartmuß — hierin mit Mitteis, Schlesinger, Reindel konform gehend — alle Anzeichen eigener Staatlichkeit zuspricht. 21 In ihnen wären dann jedoch die besagten Widersprüche innerhalb der Feudalität derart offen und heftig zum Austrag gekommen, daß diese schließlich ihre Herrschaft, j a sich selbst bis an die Grenze ihrer Existenz gefährdete. Die Wiederherstellung der Handlungseinheit aller Angehörigken der herrschenden Klasse sei deshalb, sollte nicht die Feudalordnung auf ostrheinischem Gebiet in ihrem Bestand gefährdet werden, eine unabdingbare historische Notwendigkeit gewesen; sie hätte sich aber, da die Stammesherzogtümer j a als Austragungsorte der horrenden Streitigkeiten fungierten, nur in einem über diese hinausgreifenden Rahmen vollziehen können, und zwar so, daß der mächtigste innerhalb dieses „Rahmens" ansässige Feudalherr erneut ein starkes Königtum errichtete. Nur ein einziger hätte im zweiten Jahrzehnt des 10. J h . hierzu alle Voraussetzungen gehabt: Herzog Heinrich von Sachsen; an seiner Wahl seien die geistlichen sowie die mittleren und kleinen weltlichen Feudalherren objektiv interessiert gewesen, da sie in latentem oder offenem Gegensatz zu ihren W Ebenda; vgl. auch DENSELBEN, Das Zeitalter der Ottonen. Kurzer Abriß der politischen Geschichte Deutschlands im 10. J h . , Berlin 1955, S. 32ff. Vgl. besonders EPFERLEIN, S., Sachsen im frühen Mittelalter, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1966, Teil I, S. 205 f. und 212. « BARTMUSS, Geburt, a. a. O., S. 143ff. 18

20

DERSELBE, Zur Frage der Bedeutung des Steilingaaufstandes, in: WZ. Halle, ges.sprachw. Reihe 7 / 1 9 5 7 , S. 113F.; DERSELBE, Die Genesis der Feudalgesellschaft in Deutschland, in: ZfG. 13/1965, S. 1007f.; DERSELBE, Geburt, a. a. O., S. 140f., und öfter; ihm folgt jetzt HERRMANN, J . , in seinem in Anm. 23 genannten Aufsatz, S. 636 mit Anm. 28. Den Quellenaussagen nach dürfte dies kaum zutreffen; vgl. die gegenteilige Meinung in der übrigen in Kap. IV, Anm. 108, zitierten Literatur.

21

BARTMTTSS, Geburt, a. a. O., S. 129f.; vgl. die Literatur in den Anm. 133 und 136.

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jeweiligen Herzögen oder Herzogsprätendenten gestanden hätten und befürchten mußten, von diesen mediatisiert zu werden. Sie wären denn auch, wie Bartmuß resümierend feststellt, die „Haupttriebkräfte im Entstehungsprozeß des ersten deutschen Staates" gewesen, als dessen Geburtsakt man Heinrichs Erhebung im Jahre 919 deshalb ansehen müsse, weil dieser König ebenso wie später sein Sohn und Nachfolger Otto I. ihre Politik stets im Sinne des genannten Prinzips der „Handlungseinheit" geführt hätten. 22 Diese letzte Behauptung wurde jüngst von Joachim Herrmann strikt abgelehnt: „Eine 'Geburt' oder gar ein 'Geburtsjahr' des deutschen Staates hat es nicht gegeben. Der feudale Staat auf deutschem Territorium entstand in der Übergangsperiode zum Feudalismus schrittweise mit der Durchsetzung der Herrschaft des Feudaladels und als Machtinstrument des Feudaladels." 23 Schon das Reich der frühen Merowinger sei in diesem Prozeß, „der Bestandteil einer die Gesellschaft von Grund auf umgestaltenden sozialen Revolution war und der den Verlauf dieser sozialen Revolution in hohem Grade bestimmte" 24 , von Bedeutung gewesen; wurde ihm doch bereits im 5. J h . mit den Alamannen, wenig später mit den Thüringern, schließlich mit den Baiern die Masse der später deutschen Stämme eingegliedert. Hierdurch nun sei es in der Folge zu einer unterschiedlichen sozialökononischen Entwicklung der Franken und dieser Stämme einerseits sowie der Sachsen und Friesen andererseits gekommen. Während dort — zunächst bei den Franken, dann auch bei den übrigen genannten Stämmen — das Allod nach römischem Vorbild zu Privateigentum und damit zum Angelpunkt des Klassenkampfes wurde 25 , sich auf der Grundlage seiner zunehmenden Überführung in feudales Grundeigentum die Klasse der Feudalherren bildete und sich im Prozeß ihrer Konsolidierung auch neue Organisationsformen, wie etwa das Lehnswesen, schuf, habe die sächsische Adelsschicht bis in das 8. J h . hinein sich alter stammesgesellschaftlicher Organisationen und des Patriarchalismus bei der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft bedient. Erst mit den Sachsenkriegen Karls des Großen sei hier ein Wandel eingetreten; jetzt holte dieses Gebiet in wenigen Jahrzehnten eine Entwicklung nach, die sich bei den übrigen Stämmen in Jahrhunderten vollzogen habe. Gerade auf sächsischem Gebiet seien im 22

Ebenda, besonders S. 158—187 und 232 ff.; vgl. auch schon DENSELBEN, Ursachen und Triebkräfte im Entstehungsprozeß des „frühfeudalen deutschen Staates", in: ZfG. 10/1962, S. 1591—1625, und: Die Entstehung des ersten selbständigen Staates auf deutschem Boden, in: ebenda, Sonderheft 1962, S. 359—374. Daß die von BAETMUSS herausgestellten „Haupttriebkräfte" in bezug auf Heinrichs Königswahl durchaus keine einheitliche Position vertraten und daß Heinrich selbst während seiner Regierung oft mehr gegen sie auf- als für sie eintrat, habe ich in meinem Aufsatz: 919 — Gründungs- oder Krisenjahr des mittelalterlichen deutschen Reiches?, in: ZfG. 18/1970, S. 46—65, zu zeigen versucht.

HEERMANN, J . , Sozialökonomische Grundlagen und gesellschaftliche Triebkräfte für die Herausbildung des deutschen Feudalstaates, in: ebenda 19/1971, S. 752—789; das Zitat auf S. 787. 24 Ebenda. 2 5 Ebenda, S. 7 6 4 : „Die Bauern verteidigten es erbittert als Grundlage ihrer Wirtschaften und ihrer gesellschaftlichen Positionen, während der Feudaladel mit allen Mitteln versuchte, sich das bäuerliche Allod anzueignen und in feudales Grundeigentum umzuwandeln." 23

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Stellingaaufstand die beiden Grundklassen der feudalen Gesellschaft sich zum ersten Male unverhüllt und bewaffnet gegenübergetreten, was auch ein Zeichen d a f ü r sei, daß ihre Konstituierung in der ersten Hälfte des 9. J h . einen relativen Abschluß erreicht hätte. Eben aus diesem Grunde sei aber auch „eine neue Bestimmung der Position der Adelsfraktionen bei der unmittelbaren Ausübung der politischen Herrschaft und im Verhältnis zum Großreich" vonnöten gewesen 26 , und so sei es „über dynastische Interessenkonflikte und feudale Fehden . . . zur Konstituierung gesonderter Feudalstaaten, darunter des ostfränkischen Reiches" gekommen 27 . Seine rechtliche Fixierung fand dieser Prozeß im Vertrag von Verdun des Jahres 843. Da die sächsischen Feudalherren aufgrund des raschen Aufschwungs der Wirtschaft in ihrem Gebiet nach und nach einen bedeutenden Machtzuwachs erreichten, konnten sie zu Beginn des 10. J h . die Führungsrolle der Königsmacht zurückweisen — bis es ihrem Herzog schließlich 919 selbst gelang, die Krone an sich zu bringen. „Hinsichtlich des deutschen Feudalstaates, seines Klasseninhalts, seiner Zielstellung und seiner Organisation wurde damit jedoch keineswegs eine neue Qualität geschaffen, sondern vielmehr eine Umverteilung politischer Führung innerhalb der herrschenden Klasse unter Anpassung an die reale sozialökonomische Lage vollzogen." 28 Obige Ausführungen machen deutlich, daß trotz grundsätzlicher Einigkeit über das Verhältnis zwischen ökonomisch-sozialem Prozeß und politischer Struktur in dem, was die konkrete Gestaltung dieses Verhältnisses betrifft, teilweise die Meinungen noch erheblich voneinander abweichen. Um hier die strittigen Punkte befriedigend zu klären, wird es der weiteren Diskussion theoretischer und methodischer Fragen ebenso bedürfen wie der intensiven Detailforschung. Letztere wird sich jedoch auch damit zu beschäftigen haben, welche ganz spezifischen Umstände es bewirkten, daß sich der frühfeudale deutsche Staat im 9. J h . 29 gerade auf dem Gebiet der rechtsrheinischen Germania herausbildete, daß wohl die (Ost-)Franken, Baiern, Alamannen und Sachsen, nicht aber beispielsweise die Langobarden oder die Dänen zu seinen Bewohnern zählten, daß er in der Krise zu Beginn des 10. J h . nicht auseinanderbrach, sondern sich bereits als gefestigt genug erwies, um diese Krise durchzustehen usw. Diese Umstände aber waren nicht wirtschaftlicher Natur 26 Ebenda, S. 782f. ™ Ebenda, S. 783. 28 Ebenda, S. 788; damit wird die Meinung von BARTMFSS, Geburt, a. a. 0 . , S. 263ff., im Jahre 919 sei es zu einem Wechsel der Staatsform gekommen, zurückgewiesen. Für eine Ablehnung dieser Behauptung hatte ich mich bereits früher ausgesprochen; vgl. EGGERT, 919 — Geburts- oder Krisenjahr?, a. a. 0., S. 64. 29 Von einem „frühfeudalen deutschen Staat" sprach zuerst BARTMTTSS für die Zeit ab 919. Er gab dafür folgende Begründung: „Es war ein frühfeudaler Staat, weil sich in seinem Rahmen die Entstehung des Feudalismus in Deutschland erst noch vollenden mußte, und es war ein deutscher Staat, weil sich die Bewohner seines Gebiets in seinem Rahmen zum deutschen Volke entwickelten": Geburt, a. a. 0., S. 267; vgl. auch DENSELBEN, Die Entstehung des ersten selbständigen Staates, a. a. 0 . , S. 374. MÜLLER-MERTENS bemerkte hierzu sehr richtig: „Das hier vorgetragene Argument für die deutsche Ansprache des Reiches seit 919 läßt sich indes bereits für die Zeit von 833 bzw. 843 bis 918 ins Feld führen": Regnum Teutonicum, a. a. 0., S. 34. Für die „frühfeudale Ansprache" gilt selbstverständlich das gleiche. 2

Eggert, Ostfränkis ch-deutsches Reich

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— muß man sich doch immer vor Augen halten, daß die Basis-Vorgänge nur die letzte, das heißt die im W e s e n entscheidende Ursache für die Staatsbildungen abgeben. Bernhard Töpfer schrieb in diesem Zusammenhang: „Gesetzmäßig war, daß in Mitteleuropa im Rahmen des Feudalisierungsprozesses Feudalstaaten entstanden, die größer und innerlich gefestigter waren als die Stämme der vorhergehenden Zeit. Aber darüber, wieviele derartiger staatlicher Gebilde entstehen, welchen Raum sie einmal einnehmen und wann sie eine einigermaßen endgültige Gestalt gewinnen würden, entschied eine schwer überblickbare Reihe politisch-historischer, ethnischer und geographischer Faktoren." Und er leitete daraus folgende Forderung für eine fruchtbare Weiterarbeit a b : „Einmal müssen die allgemeinen sozialökonomischen Prozesse klargelegt werden, die bei der Ablösung vorfeudaler Stammesverbände durch umfassende Feudalstaaten wirksam waren. . . . Zum anderen müssen wir sehr sorgfältig all jene zahlreichen politisch-historischen, ethnischen und geographischen Momente zusammentragen, die dazu beitrugen, daß sich jeder Feudalstaat gerade in jenem Raum mit jenem Umfang entwickelte. Schwieriger und im einzelnen Fall wichtiger ist im Grunde die zweite Aufgabe, die daher künftig mehr im Mittelpunkt der Diskussion stehen sollte." 3 0 Zu diesen Momenten aber zählt nicht zuletzt auch das Zeitbewußtsein, genauer gesagt: die politisch-ideologische Vorstellungswelt, welche, wie unsere bisherigen Ausführungen verdeutlichten, natürlich stets in ihrer Wechselwirkung zu den konkret-historischen Ereignissen, Abläufen und Prozessen gesehen werden muß. 31 Zu ihrer Aufhellung einen bescheidenen Beitrag zu leisten — das ist das Anliegen, dem die hier vorgelegten Studien dienen sollen. Sie haben zum Ziel, den Auffassungen nachzugehen, welche in den Quellen, die uns das ostfränkische beziehungsweise das „werdende deutsche" Reich 3 2 von seinem Beginn an bis etwa zum Jahre 921 hinterließ, über dasselbe zum Ausdruck kommen. Es soll weiter zu klären versucht werden, inwieweit in und welcher Weise sich das Gemeinschaftsgefühl der Stämme östlich des Rheins, das Bewußtsein von ihrer Zusammengehörigkeit konkret äußerte, welche Faktoren diese Äußerungen beeinflußt haben und ob sie einen wesentlichen oder einen geringen Platz im politischstaatlichen Denken der damaligen Zeit, soweit wir dieses heute noch erkennen können, einnahmen. Daß eine solche Untersuchung beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, ist gewiß nicht zu leugnen. Schon von den für eine Auswertung zur Verfügung stehenden Quellengattungen her nämlich wird ihr eine Beschränkung auferlegt. Staatstheoretische Schriften zur ideologischen Rechtfertigung der Existenz eines Teilreiches 30

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TÖPFER, B . , R e z e n s i o n z u : STERN, L./BARTMUSS, H . - J . , STERN, L./GEBICKE, H . , STERN,

L./VOIGT, E., Deutschland i n ' d e r Feudalepoche, Berlin 1963-64, in: ZfG. 13/1965, S. 1089. Vgl. hierzu MÜLLEB-MEBTENS, RegnumTeutonicum, a. a. 0 . , S. 13F.:„Bestimmteökonomische, soziale und politische Probleme, die für die Frage nach der Entstehung des deutschen Reiches und nach der Volkwerdung der Deutschen, für eine Geschichte des Ursprungs der deutschen Nationalität und der deutschen Nation von wesentlicher Bedeutung sind, werden sich nur rückschließend von ihrem Ausdruck in den politischen und religiösen Anschauungen her lösen lassen." Zu dieser Benennung siehe S. 342.

h a t es, wie Julius Ficker bereits vor über h u n d e r t J a h r e n m i t einer etwas anderen Blickrichtung feststellte, in jenen J a h r h u n d e r t e n nicht gegeben 3 3 — es h a t sie nicht geben können; zu sehr h ä t t e n sie gegen die herrschende Lehre von den vier Weltreichen, „das alttestamentliche Traumbild des Propheten Daniel" 34 , verstoßen. Das römische Reich h a t t e hiernach Endreichscharakter; nach seinem Vergehen k a m der Antichrist, das Weltende 3 5 — an dieser Vorstellung h a t damals selten jemand zu r ü t t e l n gewagt. Selbst der in seiner Zeit berühmte Gelehrte Notker Balbulus von St. Gallen, der es t a t , der gegen die Idee von der „translatio imperii", der F o r t setzung des römischen Reiches im Kaisertum Karls des Großen und seiner Nachfolger, anging mit der These, durch den „erhabenen K a r l " sei von den Franken ein neues Reich errichtet worden, das, wenn m a n so will, den Anfang einer neuen K e t t e bilde 3 6 — selbst Notker h a t doch nur das umfassende regnum Francorum der alten Vierheit 3 7 an die Seite stellen wollen. Im Mittelpunkt der theoretischen Erörterungen stand stets, um m i t Ficker zu sprechen, „jene große Idee des christlichen Weltreiches, der Einheit der Kirche und des Staates" 3 8 . So m u ß im folgenden auf Zeugnisse zurückgegriffen werden, welche es sich nicht speziell zur Aufgabe gestellt h a t t e n , Staats-, Reichs-'und Königsvorstellungen zu entwickeln, sondern diese nur „nebenher" bieten: auf historiographische Werke und auf Protokollzeilen von Urkunden und anderen Dokumenten „offiziellen" Charakters. Die Geschichtsdarstellungen der damaligen Zeit scheinen auf den ersten Blick über die einfache Beschreibung tatsächlichen Geschehens nicht hinauszugehen; bei genauerem Hinsehen aber ist doch zu erkennen, wie neben Sympathie und Antipathie, Parteinahme und Ressentiment auch ein Komplex teilweise recht festgeF I C K E R , J., Das deutsche Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen, [Innsbruck 1861; Wiederabdruck] in: Universalstaat oder Nationalstaat. Macht und Ende des ersten deutschen Reiches. Die Streitschriften von H. v. S Y B E L und J. F I C K E R zur deutschen Kaiserpolitik des Mittelalters, hrsg. u. eingeleitet von S C H N E I D E R , F . , Innsbruck 1941, S. 45. 34 STENGEL, E. E., Regnum und Imperium. Engeres und weiteres Staatsgebiet im alten Reich, [Marburg 1 9 3 0 ; leicht veränderte Fassung] in: D E R S E L B E , Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, Köln/Graz 1965,

33

S. 205. 35

Vgl. hierzu GRUNDMANN, H., Die Grundzüge der mittelalterlichen Geschichtsanschauungen, in: [AfK. 24/1934; Wiederabdruck in:] Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter, Wege der Forschung 21, Darmstadt 1961, S. 423ff. 36 Notkeri Balbuli gesta Karoli Magna imperatoris lib. I, c. 1, ed. H. F. H A E F E L E , MG. SS. rer. Germ, nova series 12, Berlin 1962, S. 1: „Omnipotens verum dispositor ordinatorque regnorum et temporum, cum illius admirandq statuQ pedes ferreos vel testaceos comminuisset in Romanis, alterius non minus admirabilis statuq caput aureum per illustrem Karolum erexit in Francis"-, vgl. Dan. 2, 31ff. Dazu LÖWE, H., Von Theoderich dem Großen zu Karl dem Großen. Das Werden des Abendlandes im Geschichtsbild des frühen Mittelalters, in: DA. 9/1952, S. 400f. [auch gesondert erschienen: Libelli, Bd. 29, Darmstadt o. J., S. 71f.]; SLEGRIST, TH., Herrscherbild und Weltsicht bei Notker Balbulus. Untersuchungen zu den Gesta Karoli, phil. Diss. Zürich 1963, S. 109 ff. 37 Zu ihr gehörten das babylonische, das medich-persische, das griechisch-makedonische und schließlich das römische Reich. 58 F I C K E R , a . a . 0 . , S . 4 5 .

2*

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f ü g t e r A n s c h a u u n g e n auf i h r e n I n h a l t , Stil u n d S p r a c h g e b r a u c h E i n f l u ß g e n o m m e n h a t . U n d bei d e n Kaiser- u n d K ö n i g s u r k u n d e n ist es in gewisser Weise ä h n l i c h : bieten doch a u c h sie — t r o t z m a n c h e r V o r b e h a l t e , die hier zu m a c h e n sind — ein Spiegelbild d e r A u f f a s s u n g e n , die m a ß g e b e n d e Kreise u m den jeweils regierenden H e r r s c h e r v o n dessen H e r r s c h a f t h e g t e n . Das Material, w a s d a m i t zur V e r f ü g u n g s t e h t , ist i m g a n z e n gesehen r e c h t spärlich, u n d m a n blickt m i t einem gewissen Neid auf diejenigen H i s t o r i k e r , welche unbelastet von Quellenarmut Forschungen über spätere J a h r h u n d e r t e betreiben. H i e r nämlich gilt es i m m e r a u f s neue, Aussage f ü r Aussage, B r u c h s t ü c k u m B r u c h s t ü c k z u s a m m e n z u t r a g e n u n d d a r a u s ein Mosaik e n t s t e h e n zu lassen, bei dessen schließlicher B e t r a c h t u n g die politische Begriffs- u n d Vorstellungswelt des z u r D e b a t t e s t e h e n d e n Quellenschriftstellers in e t w a d e u t l i c h zu w e r d e n v e r s p r i c h t . D e n n es w u r d e d a f ü r e n t s c h i e d e n , die einzelnen A n n a l e n - u n d Chronikschreiber gesondert a b z u h a n d e l n u n d d a m i t ein m e t h o d i s c h e s P r i n z i p zu befolgen, d a s W o l f g a n g Hessler in einer v o r r u n d dreißig J a h r e n erschienenen A r b e i t m i t ähnlich gelag e r t e r T h e m a t i k 3 9 bereits e i n m a l a n g e w a n d t h a t t e . E s ist, wie er d a m a l s a u s f ü h r t e , d a s erfolgversprechendste, d e n n d a s H e r a u s a r b e i t e n allgemeiner begriffsgeschichtlicher Entwicklungslinien, f ü r welche die Belege a u s allen z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e n Quellen a n e i n a n d e r g e r e i h t u n d u n t e r einem g a n z b e s t i m m t e n Blickwinkel b e t r a c h t e t w e r d e n w ü r d e n , d e m des W a n d e l s o d e r der K o n s t a n z eines geographisch-politischen T e r m i n u s e t w a , d ü r f t e die o h n e h i n i m m a n e n t e G e f a h r d e r F e h l d e u t u n g noch steig e r n : wäre d a n n doch eine solche K e t t e v o n Belegen isoliert u n d s o m i t n i c h t zu e r k e n n e n , o b der jeweils u n t e r s u c h t e Begriff, Titel, V o r s t e l l u n g s k o m p l e x usw. im D e n k e n d e r einzelnen A u t o r e n einen h e r v o r r a g e n d e n oder einen geringen P l a t z e i n n a h m . 4 0 W e i ß m a n dies a b e r , so sichert m a n d a m i t a u c h m a n c h e I n t e r p r e t a t i o n n a c h der positiven Seite h i n ; m a n g e w i n n t beispielsweise bei so g e a r t e t e r E i n o r d n u n g b e s t i m m t e r T e r m i n i in d a s individuelle B e z u g s s y s t e m eines Q u e l l e n a u t o r s f ü r sie doch r e c h t o f t s c h a r f u m r i s s e n e B e d e u t u n g s i n h a l t e , die einem sonst verschlossen bleiben w ü r d e n . D e r h i e r n a c h erst v o r g e n o m m e n e Vergleich v e r s c h i e d e n e r solcher I n h a l t e k a n n zu gesicherteren E r g e b n i s s e n f ü h r e n , welche in d e r Z u k u n f t , wie zu hoffen ist, die M e i n u n g v e r s c h w i n d e n lassen w e r d e n , d a ß in j e d e r Zeit die V e r w e n d u n g politischer Begriffe weitgehend v o m Zufall b e s t i m m t w o r d e n sei 4 1 . Die B e z u g s s y s t e m e , v o n d e n e n eben die R e d e w a r , w e r d e n d a h e r wesentlich a u c h f ü r die B e a n t w o r t u n g der F r a g e n a c h den Vorstellungen ü b e r d a s o s t f r ä n k i s c h d e u t s c h e Reich — Vorstellungen, die bei j e d e m einzelnen A u t o r einer e r z ä h l e n d e n Quelle stets m i t vielen a n d e r e n z u s a m m e n h ä n g e n u n d zu diesen m e i s t in d e r a r t fester B e z i e h u n g stehen, d a ß der Kreis f ü r die folgende U n t e r s u c h u n g weiter ges t e c k t w e r d e n m u ß . W a s wird jeweils u n t e r „regnum" v e r s t a n d e n ; ist der Begriff n u r in der B e d e u t u n g „ H e r r s c h a f t " , also p e r s o n a l - f u n k t i o n e l l , v e r w e n d e t oder a u c h 39

HESSLER, W., Die Anfänge des deutschen Nationalgefühls in der ostfränkischen Geschichtsschreibung des neunten Jahrhunderts, Berlin 1943 (Historische Studien, Heft 376). « Ebenda, S. 9. 41 W. M Ö H R führt zum Beispiel in seinen unten in den Anm. 48 bis 52 genannten Arbeiten die Verwendung bestimmter Termini weitgehend auf Unsicherheit der Quellenschriftsteller zurück; dagegen MÜLLER-MERTENS, Regnum Teutonicum, a. a. 0., S. 27ff.

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territorial bezogen? Wenn das letztere der Fall ist: welche Bereiche werden als regna aufgefaßt, welche nicht? Wer gilt einem Autor als rex, wer nicht? Was umgreift im einzelnen die Francia, wer sind die Franci; kommt die Bezeichnung „regnum Francorum" vor und was beinhaltet sie? Wie werden die Stammesgebiete angesehen; wie steht es überhaupt mit der geographisch-politischen Terminologie? — dies und anderes ist zu berücksichtigen, wenn die unser spezielles Problem betreffenden Belege im rechten Licht erscheinen sollen. Daß neben dem eigenen Reich die anderen Reiche stehen, daß außerdem mit der Weiterwirkung der Idee vom fränkischen Großreich wie mit dem Vorhandensein von Stammesgefühl und Stammesstolz zu rechnen ist, darf nicht vergessen werden. Auch auf diesen Punkt hat Hessler in seinem 1943 erschienenen Buch über „Die Anfänge des deutschen Nationalgefühls in der ostfränkischen Geschichtschreibung des neunten Jahrhunderts" aufmerksam gemacht 4 2 , welches überhaupt bei der Klärung so mancher Frage, die im folgenden ersten Teil auftritt, mit Gewinn benutzt werden konnte. Es wurde bereits erwähnt, daß für diesen ersten Teil, der mit den Annalen von Fulda und Xanten sowie der Chronik des Regino von Prüm die bedeutendsten Werke der Historiographie des rechtsrheinischen Bereiches und Lotharingiens aus der damaligen Zeit behandelt, auf das Gliederungsprinzip der genannten Arbeit zurückgegriffen wurde; die sich daraus ergebende gewisse Ähnlichkeit ist jedoch rein äußerlich. Schon in der Akzentuierung des Themas nämlich gibt es eine beträchtliche Abweichung: hier soll allein die Reichs- und Herrscherauffassung, wie sie den Quellen entnommen werden kann, einer gründlichen Prüfung unterzogen werden; das „Kontrastbewußtsein" gegenüber anderen ethnischen Gruppen 43 aber, dem als Bestandteil des von Hessler „werdendes deutsches Nationalgefühl" genannten Gemeinschaftsgefühls 44 seine Untersuchung weitgehend Aufmerksamkeit schenkte, ist bewußt ausgeklammert. Weiterhin offenbaren sich bei der Beurteilung der einzelnen Autoren Differenzen, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann hier infolge der umfassenden Verwertung möglichst aller ihrer in Frage kommenden Belege und Termini das Bild, welches Hessler von ihren Vorstellungen zeichnete, in vielem ergänzt, in manchem auch, wie ich glaube, korrigiert werden. Zum anderen aber ist gegen die Behauptung des genannten Forschers, diese Vorstellungen seien nur den sie jeweils äußernden Quellenschriftstellern allein eigen gewesen und man könne sie deshalb nicht anders ansehen denn als ein „Spiegelbild der Persönlichkeit ihres Autors" 45 , entschieden Widerspruch zu erheben. Es wurde oben bereits auf den engen Zusammenhang aufmerksam gemacht, der zwischen der ökonomischen Basis einerseits und den politischen und ideologischen Erscheinungen andererseits besteht. E r läßt deutlich werden, daß jede Ideologie gesellschaftlich 42

HESSLER, Nationalgefühl, a. a. O., S. 9.

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Ihm wird eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der deutschen Volkseinheit beigemessen von SCHLESINGER, W., Die Grundlegung der deutschen Einheit im frühen Mittelalter, in: [Die deutsche Einheit als Problem der europäischen Geschichte, hrsg. v. HINBICHS, C., u n d B E R G E S , W . ,

S t u t t g a r t o. J . ( 1 9 6 0 ) ; W i e d e r a b d r u c k i n : ]

DERSELBE,

Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Bd. 1: Germanen, Franken, Deutsche, Göttingen 1963, S. 274ff., besonders S. 283. 44

H E S S L E R , N a t i o n a l g e f ü h l , a. a . 0 . , S. 8 .

« Ebenda, S. 10.

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gebunden ist: sie ist Ideologie einer Klasse beziehungsweise bestimmter Fraktionen innerhalb einer Klasse. Sie ist — und dies gilt heute wie vor tausend Jahren — Widerspiegelung der Realität in einer Form, die sich ergibt sowohl aus dem Grad der Erkenntnismöglichkeit dieser Realität auf der jeweilig erreichten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung als auch aus der Auswahl, Verarbeitung und Systematisierung gewonnener Erkenntnisse in „gezieltem" Sinne: zur Verfechtung von Klassenund Gruppeninteressen. Alles, was uns das Frühmittelalter an schriftlichen Zeugnissen hinterließ, floß aus den Federn von Angehörigen der herrschenden Klasse — insofern ist die Geisteshaltung sämtlicher auf den folgenden Seiten ausgewerteten Quellenstellen letztlich eine einheitliche. Sie zeigt sich besonders augenfällig, wenn es den Schreibern darum ging, die göttliche Weltordnung zu verteidigen, welche der höchste Lenker aller Dinge im Himmel und auf Erden, wie man meinte, unverrückbar gesetzt hatte und in der somit jedem Menschen ein- für allemal sein Platz „oben" oder „unten", als Herrschender oder als Beherrschter, zugewiesen war. Sie ist erkennbar auch in den Ansichten über die Probleme, mit denen wir es hier zu tun haben; jedoch wird sie dabei oftmals durch unterschiedliche Parteistandpunkte überlagert. Diese aber — und damit sind wir wieder direkt bei Hesslers Aufstellung — resultieren mit Sicherheit daraus, daß ein Autor, wenn er schrieb, mit und in seinem Werk eine Linie verfocht, welche den Bestrebungrn derjenigen Gruppierung, der er zugehörte, mit der er sympathisierte oder von der er seinen Auftrag zum Schreiben erhalten hatte, möglichst umfassend entsprach. Es ist daher gar nicht anders denkbar, als daß die halboffiziösen oder gar offiziösen Annalisten wie Rudolf und Meginhard von Fulda ihre Auffassungen mit den Hofkreisen, zu denen ihre Auftraggeber zählten, ja wohl darüber hinaus mit einer noch größeren Gruppe des Adels teilten, und daß auch die übrigen von uns behandelten Historiographen mit dem, was sie dachten und verkündeten, nicht allein gestanden haben, wird sich im Laufe unserer Ausführungen herausstellen. In noch stärkerem Maße gilt diese Bezogenheit für die Urkunden der Zeit, mit denen sich Hessler nicht beschäftigte und die überhaupt erst in den letzten Jahren stärker ins Blickfeld der ideengeschichtlichen Forschung gerückt sind. Über Ansätze jedoch ist man bisher bei ihrer Betrachtung nicht hinausgekommen; eine umfassende Darlegung und Systematisierung der besonders in ihren Protokollen zum Ausdruck kommenden Reichs- und Herrschaftsauffassungen, Ansprüche, Ambitionen usw. steht noch aus. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit soll daher einen ersten Versuch in dieser Richtung bieten. Als Grundlage dienten ihm die Kaiser- und Königsdiplome des Ostreiches sowie des lotharischen Mittelreiches und Lotharingiens, die in den neuen und vorzüglichen Ausgaben Paul Kehrs und Theodor Schieffers ediert und durch subtile diplomatische Untersuchungen beider Gelehrter formal erschlossen worden sind46, sowie einige größere Bestände von Privaturkunden ostrheinischer Provenienz. An dieser Stelle sei noch auf eine Auswahl von Arbeiten jüngeren Datums hingewiesen, welche in bezug auf die hier zur Behandlung stehende Thematik Wesentliches bieten. In ihrem Buch „Gallia und Francia im Mittelalter" verfolgte Margret Lugge die Entwicklung jener beiden Termini für die Zeit vom 6. bis zum 15. Jh., wobei sie auch den Zusammenhang zwischen ihnen und der politischen Vorstellungs« Aufgeführt im II. Teil S. 220, Anm. 7 und 8.

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weit der einzelnen Perioden herzustellen bestrebt w a r . 4 7 Speziell auf unseren Zeitabschnitt beziehen sich die Untersuchungen v o n W a l t e r M o h r : „Die begriffliche Absonderung des ostfränkischen Gebietes in westfränkischen Quellen des 9. und 10. Jh." 4 8 , „Von der Francia orientalis zum Regnum Teutonicum" is und „Entwicklung und Bedeutung des lothringischen Namens" 5 0 . Sie behandeln in erster Linie terminologische Fragen, wobei das A u f k o m m e n solcher Begriffe wie „transrhenenses", „regnum Lotharii", „teutonicus" sowie der W a n d e l v o n „Francia", „Francia orientalis" usw. im Vordergrund stehen. Auch Möhrs Monographie „Die karolingische Reichsidee" 5 i sowie sein jüngst erschienener A u f s a t z „Die Rolle Lothringens im zerfallenden Karolingerreich" 5 2 sind in dieser Hinsicht zu beachten. Eugen Ewig schließlich beschäftigte sich in seinen „Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. J h . " noch einmal grundlegend mit der inneren Gliederung des Frankenreiches und der Namengebung f ü r die karolingischen Teilreiche, wobei er hauptsächlich, aber nicht ausschließlich auf die Trias „ G a l l i a — Germania — Italia" eingegangen ist. 5 3 Drei Dissertationen aus den J a h r e n 1 9 5 8 und 1 9 6 8 befassen sich ebenfalls mit f ü r unsere Problematik wichtigen Teilaspekten. Sigurd Graf v o n Pfeil und Klein-Ellguth h a t aus Urkunden, Briefen und erzählenden Quellen umfangreiches Material über „Die Titel der fränkischen Könige und Kaiser bis 9 1 1 " zusammengestellt; seine Ausführungen sind jedoch infolge mangelhafter Kenntnis grundlegender und spezieller Literatur vielfach unrichtig beziehungsweise unannehmbar. 5 4 Ulrich H o f f m a n n , der 47

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LUGGE, M., „Gallia" und „ F r a n c i a " im Mittelalter. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen geographisch-historischer Terminologie und politischem Denken vom 6.—15. J a h r h u n d e r t , Bonn 1960 (Bonner historische Forschungen, hrsg. v. BRAUBAOH, M„ Bd. 15). MOHB, W., Die begriffliche Absonderung des ostfränkischen Gebietes in westfränkischen Quellen des 9. und 10. J h . , i n : ALMA. 24/1954, S. 1 9 - 4 1 . DERSELBE, Von der „Francia orientalis" zum „ R e g n u m Teutonicum", i n : ebenda 27/1957, S. 2 7 - 4 9 .

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DERSELBE, Entwicklung und Bedeutung des lothringischen Namens, i n : ebenda, S. 313 bis 336. DERSELBE, Die karolingische Reichsidee, Münster 1962 (Aevum christianum. Salzburger Beiträge zur Religions- und Geistesgeschichte des Abendlandes, hrsg. v. MICHELS, TH., Bd. 5). DERSELBE, Die Rolle Lothringens im zerfallenden Karolingerreich, i n : Revue beige de Philologie et d'histoire 47/1969, S. 3 6 1 - 3 9 8 . EWIG, E., Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. J h . , i n : Spiegel der Geschichte, Festgabe für BBAUBAOH, M . , h r s g . v . REPGEN, K . , u n d SKALWEIT, S T . , M ü n s t e r 1 9 6 4 , S . 9 9 — 1 4 0 .

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PFEIL TJND KLEIN-ELLGUTH, S . GRAT VON, Der T i t e l der f r ä n k i s c h e n K ö n i g e u n d K a i s e r

bis 911, phil. Diss., Göttingen 1958 (Maschinenschrift). Zum Beweis des oben Gesagten genüge eine kleine Blütenlese. Der Text der Dissertation beginnt auf S. 1: „Die erste von einem fränkischen König erhaltene Urkunde s t a m m t von 510. Ihr Titel l a u t e t : Chlodoveus rex Francorum vir Muster"; i m Anschluß d a r a n wird festgestellt, daß sich diese Titelform über zweieinhalb Jahrhunderte erhalten h a t . W a s HAVET und KEUSCH über diesen Titel gesagt haben (siehe im II. Teil, S. 223f. mit den Anm. 21 und 27), ist dem Verf., wie sein Literaturverzeichnis beweist, niemals zur Kenntnis gekommen! I m Kapitel über Ludwig den Deutschen begegnen solche erhebenden Aussagen w i e : „Bis zum Sommer 833 sind

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in seiner Arbeit „König, Adel und Reich im Urteil fränkischer und deutscher Historiker des 9. bis 11. Jh." unter anderem auf die Annales Fuldenses und Regino eingeht, stellt bei der Behandlung dieser Quellen jedoch mehr ihre Aussagen über reges und primores heraus als ihre Reflexionen über Reich und Herrschaft. 55 Beachtenswert ist schließlich die Arbeit von Peter Dusek: „Die Intitulatio der fränkischen Könige im 9. und 10. Jh.", welche im Zusammenhang mit den grundlegenden Forschungen Herwig Wolframs über diesen wichtigen Teil des Urkundenprotokolls entstand. 56 Sie behandelt und interpretiert erschöpfend die Königsintitulationes im spätkarolingischen Gesamtreich und seinen Nachfolgestaaten, spart allerdings die Kaisertitel aus und konzentriert sich mitunter zu stark auf das eigentliche Thema, so daß die übrigen Protokollteile, selbst wenn sie wichtige Aufschlüsse für den Gehalt der Intitulationes geben, ganz in den Hintergrund geraten. Manche Details der nachfolgenden Untersuchungen bedürfen noch der Klärung; manche Folgerungen werden bei erneutem Durchdenken richtiggestellt oder auch ganz verworfen werden müssen. Das kann nicht anders sein, denn der Gang der Forschung geht weiter, ständig angeregt durch neue Blickrichtungen und Fragestellungen. Was hier hauptsächlich erreicht werden sollte, ist, ein Problem in die Diskussion zu bringen, das bei einer alle Aspekte berücksichtigenden Beantwortung der Frage nach den Anfängen der deutschen Geschichte nicht übergangen werden darf. 6 Diplome (dieses Königs, W. E.) in Regensburg und keines in Frankfurt ausgestellt" — wie der rex Baiouuariorum hier, wo er nichts zu sagen hatte, hätte urkunden sollen, wird leider nicht verraten (S. 222). — Daß die Tradition Cod. dipl. Fuld., hrsg. v. E. F. J . DRONKE, Cassel 1850, nr. 531, S . 236, nicht zu 841, sondern zu 834 gehört, ist PFEIL unbekannt (siehe den Nachweis von STENGEL: dazu im II. Teil, S. 319 mit Anm. 680); so zieht er fast vierzig Jahre nach diesem Nachweis noch immer falsche Schlußfolgerungen über den „Wechsel" des Klosters „von Lothar zu Ludwig" (S. 146f.). Die Nichtberücksichtigung von KEHRS Spezialarbeit über die Kanzlei Karls III. führt zu falschen Behauptungen über die Urkunden dieses Herrschers (Einführung von Signumzeilen durch den Kanzlisten Amalbert, die in Wahrheit von den Empfängern stammen: S. 328; auf S. 320 wird dem Erzkanzler Liutward unterschoben, er habe die in seinem Namen rekognoszierten Diplome selbst „ausgestellt" — was heißt hier „ausgestellt", Aussteller ist doch wohl der Herrscher!). — Meginhard, der in den Fuldaer Annalen Karl III. ein- um das andere Mal herabsetzte (vgl. Kap. II, S. 81ff.), verrät nach PFEIL (S. 345f.) „weder Ab- noch Zuneigung" zu diesem — wir wollen es genug sein lassen; die Beispiele ließen sich enorm vermehren. Was der Verf. von wissenschaftlichem Anstand hält, verrät sich übrigens daran, daß er auf S. 228 ein Forschungsergebnis KEHRS übernimmt, dies aber nicht kenntlich macht. 55 HOFFMANN, U., König, Adel und Reich im Urteil fränkischer und deutscher Historiker des 9. bis 11. Jahrhunderts, phil. Diss. Freiburg i. Br., gedruckt: Bamberg 1968. Während der Autor über die Annales Fuldenses nur größtenteils unbewiesene Pauschalurteile abgibt, sind die Wertvorstellungen Reginos recht umfassend und gründlich behandelt. 56 DUSEK, P., Die Intitulatio der fränkischen Könige im 9. und 10. Jh., phil. Diss. Wien 1968 (Maschinenschrift). Wie der Autor bekanntgibt, ist seine Studie als Teilbeitrag des Bandes „Intitulatio II" vorgesehen, der unter Federführung von WoLFBAM demnächst erscheinen wird. Bisher wurde vorgelegt: WOLFRAM, H., Intitulatio I. Lateinische Königsund Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jh., Wien/Köln/Graz 1967 (MIÖG., Erg.-bd. 21). 14

ERSTER TEIL

Reichsbegriffe und Reichsauffassung in wichtigen erzählenden Quellen des ostfränkisch-deutschen Reiches und Lothringens in der zweiten Hälfte des 9. und dem Beginn des 10. Jahrhunderts KAPITEL I

„regnum orientalium Francorum" — Rudolf von Fulda Der Fuldaer Mönch Rudolf wird wohl mit Recht als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des geistigen Lebens angesehen, die um die Mitte des 9. J h . östlich des Rheins lebten. „Apud totius pene Germaniae partes doctor egregius et insignis. .. historiographus et poeta atque omnium artium nobilissimus auctor" nannte ihn sein Schüler und Fortsetzer Meginhard in einem Nachruf 1 ; „in omni arte ex eius (sc. Hrabani) doctrina peritissimus" hieß er an anderer Stelle 2 . „Im karlingischen Fulda einer der hellsten Sterne" ist er auch für Edmund E. Stengel, dem wir wertvolle Aufschlüsse über Rudolfs Lebensweg verdanken. 3 Geboren wurde dieser wohl im letzten Jahrzehnt des 8. J h . Daß der berühmte Hrabanus Maurus im Kloster Fulda sein Lehrer war, hat er selbst mehrmals erwähnt. 4 Nachdem er 812 eine Tätigkeit in der Kanzlei des Klosters aufgenommen hatte —rund vierzig Urkunden nennen ihn als Schreiber 5 —, bestellte man ihn, wahrscheinlich kurz nach der Erhebung des Hraban zum Abt, zum Leiter der Klosterschule. Die große Entfaltung der Schreibtätigkeit ist wohl auf ihn zurückzuführen. Auch in der Klosterverwaltung wirkte er maßgeblich mit; die Anlage der nach geographischen Gesichtspunkten geordneten Fuldaer Chartulare wurde, wahrscheinlich auf eine Anregung Hrabans zurückgehend, um 830 unter seiner Leitung vorgenommen. Im Auftrag des berühmten Fuldaer Abtes unternahm Rudolf in den Jahren 836 und 838 Reisen, die dem Erwerb von Reliquien dienten. Als Hraban schließlich 847 Erzbischof von Mainz wurde, ist ihm unser Autor, wie allgemein angenommen wird, für mehrere Jahre an diesen Ort gefolgt. Um 854 finden wir ihn* 1 2

3

4

5

Annales Fuldenses ad a. 865, ed. F. KTJRZE, MG. SS. in us. schol., Hannover 1891, S. 63, Ermanrici sermo de vita s. Sualonis dicti soli, ed. 0 . HOLDER-EGGER, MG. SS. XV. Hannover 1887, S. 154. STENGEL, E. E., Die Urkundenfälschungen des Rudolf von Fulda (Fuldensia I), in: [AUF. 5/1914; Wiederabdruck in:] DERSELBE, Abhandlungen und Untersuchungen zur Hessischen Geschichte, Marburg 1960, S. 29ff., mit umfangreichen Belegen.

Vita Leobae (siehe Anm. 12) c. 1, S. 122: „. . . venerandi patris ac praeceptoris

mei Hraba-

ni'"; Miracula sanctorum (siehe Anm. 13) c. 1, S. 330; STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. O., S . 29, Anm. 8. Vgl. die Zusammenstellung bei STENGEL, ebenda, S. 50, Anm. 65.

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jedoch in Fulda, wo er auch seinen Lebensabend verbrachte; ein weiterer Aufenthalt um 857/859 in Mainz kann nur angenommen, nicht bewiesen werden. Der als Geschichtsschreiber und Dichter wie als Maler gleich gerühmte Mann starb am 8. März 865, hochgeachtet und beklagt von seinen Schülern. Zu ihnen gehörte neben dem schon erwähnten Meginhard auch der spätere Bischof von Passau, Ermenrich (867? bis 874)6 Hessler hat für Rudolf fränkische Herkunft wahrscheinlich gemacht 7 und mit guten Gründen zu stützen versucht. Exakt zu beweisen ist diese seine These jedoch nicht. Rudolf betätigte sich für sein Kloster nicht nur erfolgreich als Urkundenschreiber, sondern auch als Urkundenfälscher. Die von Stengel ausführlich behandelten Falsifikate des Zacharias-Privilegs für Fulda 8 und dessen Bestätigung durch König Pippin 9 sind sein Werk. Der genannte Forscher vermutete in unserem Mönch auch den Verfasser der sogenannten „Chartula s. Bonifatii"i0, einer Umschreibung des Gebietes, das der Heilige vom Hausmeier Karlmann als Grundstock für seine Fuldaer Klostergründung erhielt; dies ist jedoch nicht unwidersprochen geblieben 11 . Drei hagiographische Werke bilden einen Teil der literarischen Tätigkeit Rudolfs. Ungefähr um 836 schrieb er eine Yita der heiligen Lioba, einer Verwandten des Bonifatius, die von diesem zur Äbtissin des Klosters Tauberbischofsheim bestimmt wurde. 12 Als Quelle hierfür dienten ihm nicht zuletzt die zahlreichen Briefe des genannten Heiligen. Die Reliquienerwerbungen des Hrabanus Maurus behandelte Rudolf in einer zweiten Schrift 1 3 ; er ließ sie, nachdem er zu Anfang eine Kette von Wundern aneinandergereiht hatte, in eine Aufzählung der zahlreichen, meist theologischen Werke des berühmten Fuldaer Abtes ausmünden. Von ihrem Herausgeber Georg Waitz und der älteren quellenkundlichen Literatur wurden diese „Miracula" Das in Anm. 2 genannte Werk, von Ermenrich als Ellwanger Mönch geschrieben, sollte Rudolf zur Durchsicht übersandt werden. 7 HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 14 f. 8 Urkundenbuch des Klosters Fulda, bearb. v. E. E . STENGEL, Bd. 1, Marburg 1958, nr. 16, S. 25ff. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck X , 1); dazu STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. 0 . , S. 64—81. 9 UB. Fulda, Bd. 1, a. a. 0., nr. 20, S. 39ff.; dazu STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. 0 . , S. 81-121. 10 UB. Fulda, Bd. 1, a. a. 0 . , nr. 6, S. 7ff. 11 Gegen STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. 0 . , S. 40—63, unter anderem: BENDEL, ' F. J . , Studien zur ältesten Geschichte der Abtei Fulda, in: H J b . 38/1917, S. 767£f.; TANGL, M., Bonifatiusfragen, [Berlin 1919 (Abh. Ak. Berlin, phil.-hist. Klasse, nr. 2); Wiederabdruck] in: DERSELBE, Das Mittelalter in Quellenkunde und Diplomatik, Bd. 1, Berlin 1966, S. 270, die den um die Mitte des 12. J h . arbeitenden Eberhard von Fulda für den Fälscher hielten. STENGEL hielt jedoch an seiner Ansicht fest; vgl. UB. Fulda, a. a. 0., S. 514, ferner DERSELBE, Zur Frühgeschichte der Reichsabtei Fulda, in: [DA. 9/1952; Wiederabdruck in:] DERSELBE, Abhandlungen z. hess. Geschichte, a. a. O., S . 286 ff. 12 Vita Leobae abbatissae Biscofesheimensis auct. Rudolfo Fuldensi, ed. G. WAITZ in: MG, S S . X V , pars 1, S. 118-131. 13 Miracula sanctorum in Fuldenses ecclesias translatorum auct. Rudolfo, ed. G. WAITZ in: ebenda, S. 328-341. 6

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der Zeit von 842 bis 847 zugewiesen14; jedoch hat Stengel mit guten Gründen eine Abfassung erst um das Jahr 856 wahrscheinlich gemacht 15 . Etwa 863 begann Rudolf schließlich, im Auftrage des Waltbraht, eines Enkels des Sachsenführers Widukind, die Übertragung der Gebeine des heiligen Alexander von Rom nach Wildeshausen zu beschreiben 16 ; jedoch konnte er nur die ersten drei Kapitel vollenden, dann nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Teilweise in wörtlicher Anlehnung an die „Germania" des Tacitus und Einhards „Vita Karoli" wurde hier ein Abriß der Geschichte des sächsischen Stammesverbandes gegeben: unser Autor schrieb über dessen Sitten und Gebräuche, über den Glauben der Sachsen und ihren erbitterten Krieg gegen den großen Frankenkönig Karl. Des religiösen Gegensatzes und daraus entspringender Ressentiments ungeachtet zeigte er hier im ganzen doch eine sachsenfreundliche Einstellung.17 Stengel schreibt unserem Autor darüber hinaus noch eine inhaltlich und stilistisch überarbeitete Fassung der Vita Sturmi des Eigil zu, die, wie er meint, ungefähr in das Jahr 859 zu setzen ist. 18 Von weit größerer Bedeutung für die Geschichtsforschung ist jedoch Rudolfs Wirken als Historiograph, seine Arbeit an den Fuldaer Annalen. Zu Ende des 19. J h . begründete deren Editor Friedrich Kurze 19 ausführlich seine These, nach der der erste Teil dieser Quelle, welcher die Zeit von 714 bis 838 behandelt, ein Werk Einhards, des Biographen Karls des Großen, sei und in dessen Kloster Seligenstadt am Main abgefaßt worden wäre; den zweiten, von 838 bis 863 reichenden Part schrieb er — hierbei in größerer Übereinstimmung mit der älteren quellenkundlichen Forschung sich befindend als bei seiner Einhard-These — unserem Rudolf zu. Dieser soll Kurzes Meinung nach außerdem auch den ersten Annalenteil gründlich überarbeitet haben. Für die Zeit nach 863 wurde Rudolfs Schüler Meginhard als Autor namhaft gemacht, der, wie Kurze ausführte, den dritten Teil 869 in Mainz zu verfassen begann und von diesem Jahre an gleichzeitig mit den Ereignissen weiterschrieb.20

WAITZ, G., Vorrede zur Ausgabe, ebenda, S. 3 2 8 ; WATTENBAOH, W., Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur Mitte des 13. Jh., 7. Aufl., umgearb. v. DÜMMLER, E., Stuttgart und Berlin 1904, S. 2 6 0 f . ; auch HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 13. 15 STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. O., S. 37 mit Anm. 3 6 ; zustimmend LÜBECK, K., Fuldaer Studien, Bd. 2, Fulda 1950, S. 115. STENGEL gewinnt seine Ansicht hauptsächlich aus stilistischen Kriterien. 16 Translatio sancti Alexandri, ed. G. H. PERTZ in: MG. SS. II, S. 6 7 3 - 6 8 1 ; Neuausgabe von B. KRTTSCH in: Die Übertragung des H. Alexander von Rom nach Wildeshausen durch den Enkel Widukinds 851. Das älteste niedersächsische Geschichtsdenkmal, in: Nachrichten der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Klasse, Fachgruppe 2, nr. 13, S. 4 2 3 - 4 3 6 . 14

17 18 19 20

HESSLEK, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 19f. STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. 0 . , S. 37 und 136—142. Annales Fuldenses, rec. F. KURZE, MG. SS. in us. schol., Hannover 1891. KURZE, F . , Über die Annales Fuldenses, in: NA. 17/1892, S. 83ff.; zur Verfasserschaft Rudolfs besonders S. 138—146, zu der Meginhards S. 151—158. Vgl. schon RETKFELD, A., Über den Ursprung des zweiten, dritten und vierten Teiles der sog. Fuldischen Annalen, phil. Diss. Halle a. S. 1886.

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Heftigen Widerspruch gegen diese Verfassertrias erhob einige J a h r e darauf Siegmund Hellmann. 2 1 E r behauptete, die Annalen seien in ihrer Gesamtheit einem einzigen, uns heute unbekannten Verfasser zuzuschreiben; dieser habe in den siebziger J a h r e n in Mainz gewirkt, wobei ihm als schriftliche Vorlagen zwei auf die N a m e n „Enhardl" und „Ruodolf" lautende Kompilationen gedient hätten. Beide N a m e n , die m a n zu 838 beziehungsweise 863 auf dem R a n d e einer heute noch erhaltenen H a n d schrift vermerkt findet, sind also Hellmann zufolge nichts weiter als mittelalterliche Konjekturen. E t w a von der Mitte der siebziger J a h r e des 9. J h . an bis zum J a h r e s bericht von 887 nahm Hellmann gleichzeitige A b f a s s u n g der Annalen an. Diese hauptsächlich auf stilkritischen Argumenten a u f g e b a u t e These fand jedoch keine Z u s t i m m u n g . 2 2 Sie wurde nicht nur von K u r z e scharf zurückgewiesen, sondern auch von J a n s e n 2 3 , S t e n g e l 2 4 und Finsterwalder 2 5 , die neues Material beibrachten, verworfen. Bis heute hat sich die Ansicht K u r z e s weitgehend b e h a u p t e t 2 6 ; sie wird daher den folgenden Ausführungen zugrundegelegt. Der von 838 bis 863 reichende Annalenabschnitt behandelt eine bewegte Zeit. Als Rudolf zu schreiben begann, existierte — zumindest der F o r m nach — noch d a s alte Gesamtreich, das regnum Francorum, welches von Kaiser Ludwig dem F r o m m e n regiert wurde und in den Bruderkriegen nach dessen Tode zerfiel; als er den Kiel a u s der H a n d legen mußte, waren zwanzig J a h r e seit dem Verduner Teilungsvertrag verstrichen. Die Anschauungen und Vorstellungen unseres Autors über die zwischen HELLMANN, S., Die Entstehung und Überlieferung der Annales Fuldenses, I. Teil in: NA. 33/1908, S. 69511., II. Teil in: ebenda 34/1909, S. 15fl. Die weitere Literatur zu dieser Kontroverse: KUBZE, F., Die Annales Fuldenses (Entgegnung), in: ebenda 36/1911, S. 3430., der an seiner Ansicht festhielt; dagegen IÍELLMANN, S., Die Annales Fuldenses, in: ebenda 37/1912, S. 53if.; dagegen wieder KURZE, F., Die Annales Fuldenses (Duplik), in: ebenda, S. 778ff.; schließlich noch HELLMANN, S., Einhard, Rudolf, Meginhard. Ein Beitrag zur Frage der Annales Fuldenses, in: H J b . 34/1913, S. 40ff. 2 2 Aufgenommen wurde sie in: MANITITJS, M., Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 1, München 1911 (Neudruck 1959), S. 673f. Vgl. jedoch den Nachtrag in Bd. 2, München 1923, S. 814. 23 JANSEN. M., ZU den Annales Fuldenses, in: H J b . 33/1912, S. lOlff. 2« STENGEL, E. E . , i n : ZVhessG. 45/1911, S. 372f., und ebenda 46/1912, S. 236f.; DERSELBE, Urkundenfälschungen, a. a. O., S. 131 ff. (Exkurs 2: Rudolfs Anteil an den Fuldaer Annalen). 26 FINSTERWALDER, W., Beiträge zu Rudolf von Fulda mit besonderer Berücksichtigung der Vita s. Leobae, phil. Diss. Königsberg 1922 (war mir nur im Auszug in: Jahrbuch der phil. Fakultät der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. 1921, S. 57f., zugänglich). 26 Vgl. HESSLER, Nationalgefühl, a. a. O., S. 13F.; FATJCK, S., Das Bild Ludwigs des Deutschen in der Geschichtsschreibung des Mittelalters, phil. Diss. Halle 1953 (Maschinenschrift), S. 15F.; WEBER, H., Die Reichsversammlungen im ostfränkischen Reich 840 bis 918. Eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung vom karolingischen Großreich zum deutschen Reich, phil. Diss. Würzburg 1962, S. 31 f.; anders HOFFMANN, a. a. O., S. 13 mit Anm. 3. LÖWE, H., läßt in seinem jüngst erschienenen Aufsatz: Geschichtschreibung der ausgehenden Karolingerzeit, in: DA. 23/1967, S. 5f., die Verfasserfrage in der Schwebe; er spricht nur von zwei Mainzer Klerikern als Autoren, welche wohl nicht der Hofkapelle angehörten. 21

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diesen beiden Punkten liegende Entwicklung, besonders seine Stellung zum Reichsund Herrscherproblem, bilden das Thema der folgenden Seiten. Hessler hatte bemerkt, daß in den Fuldaer Annalen von 838 bis 843 unter „regnurn" beziehungsweise „regnum Francorum" stets das Gesamtreich verstanden wird; er wies dabei darauf hin, daß Ludwig der Deutsche 840 „den Teil des Reiches östlich des Rheins" beanspruchte und daß das Reich 843 in drei Teile zerlegt wurde. 27 Diese Beobachtung ist grundsätzlich richtig; ihr widerspricht nur der erste Satz, der sich zum Jahre 838 im Rudolfinischen Teil der Annalen findet. Hier heißt es nämlich, daß Kaiser Ludwig der Fromme im Juni auf einem Reichstag zu Nymwegen schriftlich fixieren ließ, sein Sohn Ludwig der Deutsche hätte auf das „regnum orientalium Francorum, quod prius cum favore eius tenuit" zu verzichten. 28 Da uns diese Aufzeichnung heute nicht mehr erhalten ist, muß offenbleiben, ob der Begriff „regnum orientalium Francorum" aus ihr entlehnt oder von Rudolf eigenschöpferisch geprägt worden ist. Fest steht jedenfalls, daß er uns hier zum ersten Male in einer erzählenden Quelle entgegentritt. Er scheint sich eng mit der in den Urkunden Ludwigs des Deutschen seit 833 zu findenden Datierung nach Königsjahren „in orientali Francia" zu berühren. Ein mit einem solchen Eschatokoll versehenes Diplom vom 5. Februar 834 bestätigte dem Kloster Fulda die Immunität 2 9 und wurde schon kurz nach seinem Erhalt für die Datierung mindestens einer Fuldaer Privaturkunde verwendet. 30 Vielleicht lag im Archiv des Klosters auch schon jenes heute verlorene Diplom Ludwigs des Deutschen für A b t Hraban, die Lehen des Grafen Poppo betreffend, das Ludwig der Fromme am 27. Februar 839 wieder rückgängig machte, indem er es — infolge der von Rudolf an unserer Stelle geschilderten Vorgänge 3 1 — für einen eigenmächtigen Übergriff seines Sohnes erklärte 32 . Von hier könnte also die Anregung zum Gebrauch jenes Begriffes ausgegangen sein. Gleich ob man ihn territorial oder auf die Herrschaft bezieht: es dürfte feststehen, daß Rudolf mit ihm die gesamte ostrheinische und noch darüber hinaus reichende Gemeinschaft, die Ludwig der Deutsche seit 833 beherrschte, kennzeichnen wollte. 33 Ein Bezug nur auf die

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HESSLEB, Nationalgefühl, a. a. O., S. 24; so auch NEUSS, E., Fränkische Reichsbegriffe vom Vertrag von Verdun bis zur Wiedervereinigung des Frankenreiches unter Karl III., Staatsexamensarbeit Berlin 1957 (Maschinenschrift), S. 31. — Ann. Fuld. ad a. 840 und 843, e d . K U R Z E , a. a. O., S. 30 u n d 34.

28 Ebenda ad a. 838, S. 29. DÜMMLER, E., Geschichte des ostfränkischen Reiches (Jbb.), B d . 1, 2. A u f l . , L e i p z i g

1887,

S. 82, A n m . 1, u n d S. 206, A n m . 4 ; P F E I L UND

KLEIN-

E L L G U T H , a. a. O . , S . 247 m i t A n m . 2 ; v g l . a u c h M E Y E R VON K N O N A U , G . , U e b e r N i t h a r d s

vier Bücher Geschichten, Leipzig 1866, S. 69. M DLdD. 15, MG. DD. reg. Germ. Karol. I, ed. P. KEHR, Berlin 1934, S. 17ff. 30 Vgl. im II. Teil, S. 319. 31 SIMSON, B., Jahrbücher des Fränkischen Reichs unter Ludwig dem Frommen, Bd. 2, 831-840, Leipzig 1876, S. 178, Anm. 7; EITEN, G., Das Unterkönigtum im Reiche der Merovinger und Karolinger, Heidelberg 1907, S. 132 mit Anm. 2 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, hrsg. v. HAMPE, K., U. a., 18. Heft). 32 Vgl. im II. Teil, S. 248. 33 Das geht aus den Worten der Annales Bertiniani hervor: „. . . quicquid ultra citraque Renum paterni iuris usurpaverat, recipiente patre, (Hlodowicus) amisit, Helisatiam videlicet, Saxoniam, Toringiam, Austriam atque Alamanniam": Ann. Bert, ad a. 838, ed. G. WAITZ,

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östlichen Stammesfranken ist so gut wie ausgeschlossen 3 4 ; gegen ihn spricht zum Beispiel das Auftreten von „rex orientalium Francorum" in zwei weiteren J a h r e s berichten der Annalen aus der Zeit nach 843, wovon zumindest einmal eine Verwendung im obengenannten weiteren Sinne als sicher angenommen werden k a n n 3 5 . Die Verwendung von „regnum orientalium Francorum" an der besprochenen Stelle bleibt jedoch Episode. Zum J a h r e 840 findet m a n f ü r Ludwigs Bereich den Ausdruck „pars regni trans Rhenum" gebraucht; bemerkenswerterweise aber ebenfalls in Verbindung mit den O s t f r a n k e n : „Hludowicus filius imperatoris partem regni trans Rhenum quasi iure sibi debitam affectans per Alamanniam facto itinere venit ad Franconofurt, multorum ad, se orientalium Francorum animis prudenti consilio concersis."36 Auffallend ist hier das „jenseits des Rheins" (trans Rhenum) im Sprachgebrauch einer ostrheinischen Quelle. 37 Die Untersuchungen, die Walter Mohr zu den Benennungen des später deutschen Gebietes in westfränkischen Quellen v o r n a h m , lassen darauf schließen, daß diese Bezeichnung zu jener Zeit geläufig wurde. 3 8 Man findet sie in der um die Mitte des 9. J h . vom sogenannten Astronomus verfaßten Vita Ludwigs des Frommen 3 9 , besonders aber an mehreren Stellen bei N i t h a r d 4 0 . Auch der A b t Lupus von Ferrières verwendete sie in der F o r m „transrhenani partes" beziehungsweise „transrhenana regio" in seinen Briefen 4 1 ; und Mohr vermutet, d a ß dieser dadurch „in stärkerem Sinne als seine Vorgänger das politische Gebilde bezeichnen will, das Ludwig der Deutsche zu entwickeln bestrebt ist." 4 2 In gleicher Weise muß der Terminus mit Sicherheit auch bei Rudolf verstanden werden. Unser MG. SS. in us. schol., Hannover 1883, S. 15. Von Prudentius, dem Verfasser dieses Teiles der Annalen, wird der Begriff „regnum" nicht auf diese Gemeinschaft, sondern bezeichnenderweise auf Baiern angewendet: ebenda ad a. 839, S. 17: „(Hlodowicus) . . . concitus aufugit; Noreiamque, quae nunc Baioaria dicitur, regnum videlicet sibi olim a patre traditum, revertitur." Die verschiedene Blickrichtung des west- und des ostfränkischen Hauptannalenwerkes tritt hier deutlich zutage. 3* Vgl. M E Y E B VON KNONATJ, Nithard, a. a. 0 . , S. 70; ZATSCHEK, H., Die Reichsteilungen unter Kaiser Ludwig dem Frommen, in : MIÖG. 49/1935, S. 206; TELXENBACH, Wann ist?, a. a. 0., S. 181 mit Anm. 28. Derselbe hält in: Entstehung, 3. Aufl., a. a. 0., S. 129, „regnum orientalium Francorum" für die offizielle Reichsbezeichnung. 35 Vgl. die Tabelle S. 33, und zur Stelle selbst S. 31. So auch WAITZ, G., Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5,2. Aufl., bearb. v. ZEUMEB, K., Berlin 1893, S. 129 mit Anm. 1. 3« Ann. Fuld. ad a. 840, ed. KUBZE, a. a. 0 . , S. 30. M E Y E B VON K N O N A U , Nithard, a. a. 0., S. 118, Anm. 415. MOHR, Begriffliche Absonderung, a. a. 0., S. 25£f. und 28ff. 39 Vita Hludowici imperatoris c. 61, ed. G. H. P E R T Z in: MG. SS. II, S. 645: „Ideoque (sc. Hludowicus) quicquid regni trans Renum fuit, sibi vindicandum statuit" ; vgl. auch c. 35, S. 626. 40 Nithardi historiarum libri IUI, ed. E. MÜLLEB, lib. I, c. 6, MG. SS. in us. schol., Hannover und Leipzig 1907, S. 10: „. . .nuntiatur, quod Lodhuwicus a patre suo descivisset et quicquid trans Renum regni continebatur sibi vindicare vellet" ; lib. I, c. 8, S. 12: „Cumque . . . Lodharius in Italia, Lodhuwicus trans Renum, et Karolus in Aquitania esset.. ." Vgl. auch ebenda, c. 5, S. 8; dazu M E Y E B VON K N O N A U , Nithard, a. a. O., S. 3. 41 Loup de Ferrières, Correspondance, ed. et trad. par L. LEVILLAIN, Bd. 1, 829—847, Paris 1927 (Les classiques de l'histoire de France au moyen âge, Bd. 10), nr. 1 von 829/830, S. 6; nr. 8 von 837, S. 62; nr. 11 von 837, S. 82. 42 MOHB, Begriffliche Absonderung, a. a. 0., S. 29.

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Mönch kann ihn sich selbst gebildet haben, indem er das ostrheinische Gebiet von den Schwerpunkten des alten „regnum Francorum" her sah 43 , denn noch war dieses regnum eine sehr relevante Größe und beherrschte deshalb auch das Denken vieler damaliger Zeitgenossen in wesentlichem Maße. Nicht ausgeschlossen ist aber auch, daß er sich hier an einen allgemein verbreiteten Sprachgebrauch hielt. Daneben muß eine dritte Möglichkeit, nämlich die Entlehnung aus der „Germania" des Tacitus, in die Erwägung einbezogen werden. 44 Sei dem nun wie ihm sei — trotz der von jetzt an bis 843 streng durchgeführten terminologischen Beschränkung des regnumBegriffes auf das Gesamtreich wird deutlich, daß für Rudolf das sich abzeichnende Herrschaftsgebiet Ludwigs des Deutschen zentrale Bedeutung besitzt. Vom Gesamtregnum spricht er nämlich fast nur in Verbindung mit einer durchgeführten oder angestrebten Teilung zwischen den Herrschern. 839 etwa teilte Ludwig der Fromme das „regnum Francorum" zwischen Lothar und Karl dem Kahlen, wobei für Ludwig den Sohn nur die „Baioariorum provincia" übrigblieb 45 , dieser jedoch weiterhin Anspruch auf die gesamte „pars regni trans Rhenum" erhob 46 . 840 verteidigte Ludwig der Deutsche „cum manu valida orientalium Francorum" den Teil des Reiches östlich des Rheins (partem regni ab Oriente Rheni).47 In den Jahren 841 und 842 schließlich wird das Reich nur noch im Zusammenhang mit seiner künftigen Teilung erwähnt 48 , die843 dann, wie wir wissen, endgültig Gestalt annahm. Nur zwei Stellen dagegen erwähnen das Gesamtreich ohne die genannten Auflösungstendenzen; eine davon ist die Designation Lothars durch den alten Kaiser, und auch sie wird nur in Verbindung mit dem Protest seiner Brüder genannt: „Hlutharium vero de Italia sero venientem Franci loco patris eius super se regnaturum accipiunt. Hunc enim ferunt imperatorem morientem designasse, ut post se regni gubernacula susciperet, missis ei insigniis regalibus, hoc est sceptro imperii et Corona. Quod fratres eius non consentientes contra eum insurgere parant."i9 Die Begründung für die Bruderkriege ist gegeben und damit wieder die Abkehr vom Gesamtreich. Von Anfang an steht also für Rudolf nicht die Einheit des „regnum Francorum", sondern dessen Auflösung im Blick seiner Geschichtsschreibung. Das „regnum" beziehungsweise die „pars regni" Ludwigs des Deutschen werden schon vor der Verduner Teilung ausdrücklich dreimal erwähnt. 50 Es ist von besonderem Interesse,

43 44

MÜLLER-MERTENS, V o m R e g n u m Teutonicum, a. a. 0 . , S. 321 und 326. Tacitus, Germania c. 29, ed. E . KOESTERMANN i n : P . Cornelii Taciti libri qui supersunt, t o m . 2, fasc. 2 : Germania, Agricola, Dialogus de oratoribus, Leipzig 1957, S. 22: „ N o n numeraverim

inter Germaniae populos, quamquam trans Rhenum Danuviumque

consederint";

ähnlich auch c. 1, S. 6. V g l . MOHR, Begriffliche Absonderung, a. a. 0 . , S. 38, A n m . 1. «

Ann. Fuld. ad a. 839, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 30.

«

Ann. Fuld. ad a. 840, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 31.

«

Ebenda ad a. 841, S. 32; ad a. 842, S. 34: „de partitione wicus et Karlus)

putantes

autern eum (sc. Hlutharium)

quam eatenus habuit, inter se dispertiunt. lorum 49

50

«

XL

ex primoribus

(Hludowicum)

electi in unurn convenientes

redire

conpellit."

. . . exclusumque

r e g n i " ; ad a. 842, S. 33: . . . Italiam

. .", „. . . ea tarnen conditione,

Ebenda ad a. 840, S. 31. Die zweite Erwähnung filium

V g l . A n m . 36.

regnum ebenda,

„(Hludo-

petere, partem

regni,

ut e partibus

singu-

aequaliter

describerent

S. 3 0 f . : „ . . . imperator

a finibus regni per Sclavorum

terram . . .

.. ." . . .

Baioariam

Ein Vergleich mit den v o n Prudentius v o n Troyes, während der Bruderkriege Anhänger

21

d a ß dies s t e t s in einer V e r b i n d u n g m i t d e n „orientales Franci" geschieht. W e n n eine Linie z u r offiziellen R e i c h s a u f f a s s u n g a u c h n u r f ü r d e n Beleg a u s d e m J a h r e s b e r i c h t zu 838 nachgewiesen w e r d e n k a n n , j a selbst w e n n a n einer Stelle m i t „orientales Franci" aller W a h r s c h e i n l i c h k e i t n a c h allein die östlich des R h e i n s ansässigen S t a m m e s f r a n k e n begriffen s i n d 5 1 —eine auffällige B e z i e h u n g ist n i c h t zu ü b e r sehen. Rudolf o r i e n t i e r t j e n e pars regni auf die F r a n k e n , w e n n a u c h , d e r t a t s ä c h l i chen Lage e n t s p r e c h e n d , n u r auf einen Teil v o n i h n e n , w o d u r c h die K o n t i n u i t ä t z u m G e s a m t r e i c h a u c h v o n d e r Seite des Reichsvolkes her a u f g e z e i g t 5 2 u n d die E x i s t e n z b e r e c h t i g u n g des sich bildenden H e r r s c h a f t s g e b i e t e s d u r c h die T r a d i t i o n g e s t ü t z t w e r d e n soll. D e m scheinen auf den e r s t e n Blick die B e n e n n u n g e n der karolingischen H e r r s c h e r , wie sie u n s in d e n F u l d a e r A n n a l e n bis 843 begegnen, zu w i d e r s p r e c h e n . D a ß L u d w i g der F r o m m e bis zu seinem T o d e 840 s t e t s als „imperator" erscheint, o h n e d a ß zu diesem Titel sein N a m e h i n z u g e s e t z t wird, h a t schon Hessler b e t o n t 5 3 ; die Möglichkeit einer Verwechslung m i t L o t h a r k a n n also von Rudolf g a r n i c h t in B e t r a c h t gezogen w o r d e n sein. D e m ist noch eine s y n t a k t i s c h e B e o b a c h t u n g h i n z u z u f ü g e n : d a ß der alte Kaiser, solange er lebt, stets im N o m i n a t i v g e n a n n t wird, d a ß er g r a m m a t i s c h als S u b j e k t , v o m I n h a l t h e r gesehen s t e t s als a k t i v H a n d e l n d e r erscheint, weist i h m , der d a s G e s a m t - „ r e g n u m Francorum" r e p r ä s e n t i e r t , s e l b s t v e r s t ä n d l i c h ebenfalls einen n i c h t zu ü b e r s e h e n d e n P l a t z zu. 5 4 Ist d a s n i c h t zu leugnen, so ist jedoch sofort auf zweierlei a u f m e r k s a m zu m a c h e n . S c h o n in dieser Zeit v e r z e i c h n e t Rudolf n ä m l i c h — a u c h i m H i n b l i c k auf das W i r k e n Ludwigs des F r o m m e n — f a s t n u r Ereignisse, die m i t L u d w i g d e m D e u t s c h e n z u s a m m e n h ä n g e n beziehungsweise sich i m G e b i e t östlich des R h e i n s abspielen. 5 5 Dieses s t e h t f ü r i h n v o n A n f a n g a n i m Z e n t r u m der B e t r a c h t u n g ; der W e s t e n t r i t t auffällig z u r ü c k . W e i t e r h i n ist b e m e r kenswert, daß — auch nach 8 4 3 5 6 — d a s Kaisertum Lothars fast konsequent übergangen wird. N u r zweimal findet m a n diesen w ä h r e n d seiner R e g i e r u n g s z e i t als

Karls des Kahlen, abgefaßten Jahresberichten der Annales Bertiniani zu 838 bis 843, ed. WAITZ, a. a. O., S. 15—29, zeigt, daß eine solche Betonung der Reichsteile durchaus nicht selbstverständlich ist. 51 In den Ann. Fuld. ad a. 840, ed. KURZE, a. a. O., S. 31, heißt es kurz hinter der bei Anm. 47 angezogenen Stelle: „Hludowicus vero orientales Francos, Alamannos, Saxones et Thuringios sibi fidelitatis iure confirmât." P F E I L U N D KLEIN-ELLGTTTH, a. a. O . , S. 249 mit Anm. 3. 62 Vgl. dazu unter anderem MÜHLBACHER, E., Deutsche Geschichte unter den Karolingern, Stuttgart 1896, S. 461; WAITZ, Dt. Verf.-gesch., Bd. 5, 2. Aufl., bearb. v. ZEUMER, K., a. a. O., S. 10 und 128f. ; STENGEL, E. E., Der Stamm der Hessen und das „Herzogtum" Franken, in: [Festschrift für H E Y M A N N , E., Weimar 1940; Wiederabdruck in:] D E R S E L B E , Abhdlgen. z. hess. Gesch., a. a. O., S. 365. 53 H E S S L E R , Nationalgefühl, a. a. O., S. 24. Vgl. auch P F E I L TJND K L E I N - E L L G U T H , a. a. 0 . , S. 126. 54 Ann. Fuld. ad a. 838: zweimal „imperator"; ad a. 839: dreimal „imperator" \ ad a. 840: dreimal „imperator": ed. K U R Z E , a. a. O . , S . 29F. 55 Vgl. HESSLER, Nationalgefühl, a. a. O., S. 22, der die einzige Ausnahme ebenda, Anm. 45, anführt. 56 Dazu siehe S. 23f. und 30.

22

„Hlutharius Imperator" bezeichnet 57 ; einmal heißt er „Hlutharius princeps Ebenda c. 1, S. 330. 197 Der in vita Leobae c. 15, ed. WAITZ, a. a. 0 . , S. 128, genannte „Hludowicus rex Francorum," kann der Chronologie nach nur Ludwig der Fromme sein. Auch die Datierungszeilen der von Rudolf geschriebenen Privaturkunden des Klosters Fulda (ein Verzeichnis bei STENGEL, Urkundenfälschungen, a. a. 0., S. 50, Anm. 65) lauten bis 822: „anno N. imperii Hludowici gloriosissimi regis Francorum." Da die frühesten nach Ludwig datierenden Urkunden: Cod. dipl. Fuldensis, hrsg. v. DRONKE, a. a. 0., nr. 297—304, S. 146 bis 149 (von 814 Febr. 17 bis Nov. 23) sämtlich von ihm stammen, ist er mit Sicherheit der Schöpfer dieser Formel. Er folgte hierin einer Tradition, denn auch Karl der Große wurde während seiner Regierungszeit als Kaiser von den Fuldaer Urkundenschreibern oft als rex Francorum bezeichnet. Vgl. PIETSCHMANN, S., Reichs- und Herrscherbezeichnungen in frühmittelalterlichen Privaturkunden bis 1122, Staatsexamensarbeit Berlin 1965 (Maschinenschrift), Katalog nr. 129-182 und S. 47 f. 198 Miracula sanctorum, praefatio, ed. WAITZ, a. a. O., S. 329: „ Temporibus igitur Hludowici imperatoris, qui post genitorem suum Karolum Magnum imperatorem per annos 27 Francorum tenuit imperium." 195

199

200

Ebenda c. 1, siehe Anm. 180; praefatio, S. 329: „iuxta Moenum Germaniae fluvium"; auch Translatio Alexandri c. 1, ed. KRUSCH, a. a. 0 . , S. 423. Vita Leobae c. 23, ed. WAITZ, a. a. 0 . , S. 131; Translatio Alexandri c. 3, ed. KEUSCH, a . a . 0 . , S . 4 2 6 ( a u s E i n h a r d ) . V g l . LUGGE, a . a . 0 . , S . 12 ff. u n d 3 7 ff.

201

202

Ann. Fuld. ad a. 850, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 40: „Eodem anno gravissima fames Germaniae populos oppressit, maxime circa Rhenum habitantes; nam unus modius de frumento Mogontiaci eendebatur decem siclis argenti." Vgl. EWIG, Beobachtungen, a. a. O., S. 113 mit Anm. 80; MOHR, Die Rolle Lothringens, a. a. O., S. 369 mit Anm. 3. Siehe S. 28. Sicher ist auch das Auftreten von „Mogontiacae civitatis, metropolis Germaniae, archiepiscopus" für Bonifatius in den Ann. Fuld. ad a. 719, ed. KURZE, a. a. 0 . , S . 2 ( v g l . LTTGGE, a . a . 0 . , S . 5 0 , A n m . 2 3 1 ; E W I G , B e o b a c h t u n g e n , a . a . 0 . , S . 1 0 6 m i t

Anm. 35) auf Rudolfs Überarbeitung zurückzuführen. Ich sehe nichts, was für LTJGGES Äußerung: „Die Zeit des Bonifatius hat dem linksrheinischen Mainz den Namen einer Metropole von Germanien hinterlassen" (a. a. 0 . , S. 50) sprechen würde. Nur die Hs. B t der Annales Mettenses posteriores bringt ad a. 719 den gleichen Text wie die Fuldaer Annalen, hängt jedoch an dieser Stelle von ihnen ab: Annales Mettenses priores, ed. B. v. SLMSON, MG. SS. in us. schol., Hannover und Leipzig 1905, S. 26, Anm. *. Da ihr Inhalt frühestens Anfang des 10.-Jh. zusammengesetllt wurde (vgl. ebenda, praefatio, S. X), ist er ohnehin für unsere Frage belanglos. 45

Hier spielt jedoch auch der kirchliche Germania-Begriff hinein. 203 Die allmähliche Wandlung von „Gallia" kommt in den Annalen deutlich zum Ausdruck: zu 841 wird das Land links des Rheins darunter verstanden 2 0 4 , 858 aber bricht Ludwig der Deutsche von Worms auf und marschiert „per Alisatiam in Galliam"205, bewegt sich also nur auf linksrheinischem Gebiet. Nach Worms kehrt er auch bei Beendigung des mißglückten Zuges „de Galliis 1' wieder zurück. 206 So ist „Gallia" hier eindeutig als Synonym für das Reich Karls zu verstehen. 207 Dafür spricht auch, daß sich die von Ludwig dem Deutschen 861 im Zusammenhang mit der Amtsenthebung des Grafen Ernst, des Schwiegervaters Karlmanns, ebenfalls abgesetzten Grafen Uto und Berengar sowie Abt Waldo von Schwarzach am Oberrhein „nach Gallien zu König Karl" begaben, Graf Ernst selbst jedoch im Lande (patria) blieb. 208 Bei Meginhard wird man diesen Sprachgebrauch noch pointierter verwendet finden. Neben der politisch-geographischen beziehungsweise politisch-ethnographischen Terminologie neigt Rudolf auch dazu, die neuen Reiche nach ihren Königen zu benennen. Schon 845 spricht er vom „regnum Karli"209, wenig später vom „regnum Hlutharii". Diese Bezeichnung wird sowohl auf das Reich Lothars I. wie auch auf das Lothars II. angewendet. 210 So ist Mohr gezwungen, den Standpunkt der neueren Forschung, welche „regnum Lotharii" allein von Lothar II. herleitet, zu modifi203 Dazu LUGGE, a. a. 0 . , S. 43ff. Vgl. auch Miracula sanctorum c. 1, ed. WAITZ, a. a. 0 . , S. 330, und Vita Leobae c. 9, ed. WAITZ, a. a. O., S. 125, die vom Wirken des Bonifatius berichten. Auf die in der Vita genannten populi Germaniae bezog sich BARTMUSS, Geburt, a. a. 0 . , S. 99 mit Anm. 28, als er feststellte, es gäbe in den Quellen des 9. J h . kein Volk der „Germanorum". Mit der in Anm. 201 zitierten Stelle hätte er einen Beleg für seine ohnehin falsche These (vgl. Kap. II, S. 70 mit Anm. 151) verwendet können, in welchem Rudolf diesen Begriff auf seine Zeitgenossen anwendet. 204 Ann. Fuld. ad a. 841, ed. KURZE, a. a. O., S. 32: „ Hludowicus . . . Rhenum transiens . . . in Gallias pergit"; vgl. LUGGE, a. a. O., S. 39 mit Anm. 172. Jedoch schon am Schluß des Jahresberichtes scheint Rudolf „ Gallia " zu Aachen in Gegensatz zu setzen: ebenda, S. 33. 205 Vgl. S. 35. Das Elsaß gehörte 858 zum Reiche Lothars II.: BM2 1293 (1258)a. 20« Vgl. Anm. 138. 207 EWIG, Beobachtungen, a. a. O., S. 121 f. mit Anm. 129; zu „ Gallia Belgica" bei Rudolf ebenda, S. 131. Vgl. auch MOHR, Die Rolle Lothringens, a. a. O., S. 365 mit Anm. 5. 208 „. . , in Gallias ad Karlum regem . . .": Ann. Fuld. ad a. 861, ed. KURZE, a. a. O., S. 55. Zum Sachlichen BM 2 1445 (1404)a; DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 2, 2. Aufl., a. a. O., S. 21f. 209 Ann. Fuld. ad a. 845, ed. KURZE, a . a . O . , S. 35; ebenso ad a. 850, S. 40; ad a. 858, S. 50. Vgl. LTJGGE, a. a. O., S. 104 mit Anm. 72; MOHR, Lothringischer Name, a. a. O., S. 320 mit Anm. 16; DERSELBE, Die Rolle Lothringens, a. a..O., S. 366 mit Anm. 4. 210 Lothar I.: Ann. Fuld. ad a. 850, ed. KURZE, a. a. 0., S. 39 (von MOHR, Lothringischer Name, a. a. 0., S. 328 mit Anm. 59, übersehen); ad a. 851, S. 41. Die Behauptung von MAYER, TH., Der Vertrag von Verdun, in: [Der Vertrag von Verdun 843, hrsg. v. M A Y E R , TH., Leipzig 1943; Wiederabdruck in:] DERSELBE, Mittelalterliche Studien. Gesammelte Aufsätze, Lindau und Konstanz 1959, S. 18, das Mittelreich als Ganzes habe es nie zu einem eigenen Namen gebracht, ist somit überspitzt. — Lothar II.: Ann. Fuld. ad a. 863, e d . KURZE, a . a . 0 . , S . 5 7 .

46

zieren. Von der Untersuchung der Verwendung dieses Terminus her kommt er zu einem Ergebnis, das sich mit dem hier vorgetragenen deckt: im Osten stand das Moment der Trennung bei weitem im Vordergrund, da hier die fränkische Tradition nicht so sehr verwurzelt war. 211 Das „regnum Hludowici" finden wir bei Rudolf noch nicht; erst die zweite, von Meginhard stammende Rezension der Annales Fuldenses brachte es in den Jahresbericht zu 848 hinein.212 So deutet sich schon hier, kurz nach dem Vertrag von Verdun, in der ostfränkischen Annalistik „die beträchtliche Rolle, die das im Königtum personifizierte staatliche Element bei der langsamen Reife des Selbstbewußtseins der Völker . . . gespielt hat" 213 , an. Verschiedentlich ist hervorgehoben worden, daß bei Rudolf von Fulda das fränkische Einheitsgefühl noch lebendig sei214, daß in seinem Denken die einzelnen Teilreiche und -herrscher sich durchaus noch als gleichberechtigte Partner darstellten 215 . Was hierfür an Belegen gebracht wird, kann nicht überzeugen. Hessler weist auf die Schutzpflicht der karolingischen Herrscher gegeneinander hin, die Rudolf bei der Schilderung der Ereignisse von 858 auffällig hervorhebt, und folgert daraus, „daß sich Rudolf der engen Zusammengehörigkeit der Teilreiche durchaus bewußt ist". 216 Aber mit welchem Argument hätte dieser wohl das Vorgehen Ludwigs des Deutschen besser bemänteln können? Ewig geht vom Gebrauch des Frankennamens aus: daß Rudolf von Franci spreche, wenn er den Blick auf die fränkischen Grenzen gegen die Barbaren richte, bezeuge sein „Bewußtsein von einer großfränkischen Gemeinschaft".217 Doch versteht Rudolf unter „Franci" die Ostfranken, wie Ewig selbst wenig später sagt; er richtet seinen Blick auf ostfränkische Grenzen218, und nach 854 verschwindet der Frankenname völlig aus seinen Annalen, obwohl die Schilderungen von Zügen gegen die Barbaren nicht abnehmen219. Kurz: Rudolf ist nicht nur Widersacher einer Einheitspolitik220, sondern in seinem ganzen Denken und Fühlen ein Verfechter der Trennung, ein Befürworter der Eigenständigkeit der 211 MOHR, Lothringischer Name, a. a. 0 . , S. 328f. 2 1 2 Ann. Fuld. ad a. 848, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 38, Anm. *. Zur Frage der Redaktionen in Hinsicht auf diese Stelle KURZE in: NA. 17/1892, S. 9 0 f . (vgl. Anm. 20); DERSELBE, Zur Überlieferung der karolingischen Reichsannalen und ihrer Überarbeitung, Anhang: Zur Überlieferung der Annales Fuldenses, in: ebenda 28/1903 (gegen WIBEL, H., Beiträge zur Kritik der Annales regni Francorum und der Annales q. d. Einhardi, Straßburg 1902, S. 256II.); DERSELBE in: NA. 36/1911, S. 348ff. (gegen HELLMANN in: ebenda 33/1908, S. 707ff.; vgl. Anm. 21). 2 1 3 HÜBINGER, P. E., Der Vertrag von Verdun und sein Rang in der abendländischen Geschichte, Düsseldorf 1947, S. 11 (Düsseldorfer Jahrbücher, Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, Bd. 44). Vgl. LUGGE, a. a. 0., S. 103f. 214

HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. 0 . , S . 2 7 f.

215

EWIG, Beobachtungen, a. a. O., S. 117.

2 16

HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. 0 . , S . 2 5 f.

EWIG, Beobachtungen, a. a. 0 . , S. 117. 218 Vgl. die Belege ebenda, Anm. 45. 219 Zum Beispiel Ann. Fuld. ad a. 855, 856, 858, 862, 863, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 45f., 47, 49, 56. 217

220 HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. O., S . 2 6 .

47

nun politisch selbständigen Germania. Nur das regnum orientalium Francorum sieht man in den Annalen von Fulda systematisch aus dem alten Frankenreich sich heraussondern; nur der ostfränkische König wird durchgängig als rex bezeichnet; nur für ihn, nicht für andere Karolinger nimmt Rudolf offen Partei. Schon an seinem Beginn hat das Ostfrankenreich in ihm seinen Historiographen gefunden.

KAPITEL II „regnum Hludowici"

— Meginhard

von

Fulda

Rudolfs Nachfolger als Leiter der Fuldaer Klosterschule wurde sein Schüler Meginhard. Nach dem Tode des Erstgenannten vollendete dieser die „Translatio sancti Alexandri", in der neben den obligaten Wundererzählungen auch wertvolle historische Notizen enthalten sind.1 Mit großer Sicherheit schreibt ihm die Forschung auch den dritten, die Zeit von 864 bis 887 beschreibenden Teil der Annales Fuldenses zu2, obwohl hier ein so eindeutiges Zeugnis seiner Autorschaft wie in der Translatio nicht vorliegt. 3 Das wenige, was über sein Leben bekannt ist, haben Rethfeld und Kurze zuzusammengestellt. Wenn man unseren Meginhard mit einem Fuldaer Urkundenschreiber gleichen Namens identifizieren darf, so ist er 845 Diakon, 857 Presbyter; als solcher begegnet er noch 867.4 Ungefähr in diese Zeit fällt seine Arbeit an der Translatio5, die er dem Priester Sundrolt, dem späteren Erzbischof von Mainz (889—891) widmete, welcher im Kampf gegen die Normannen sein Leben ließ. Ein Mainzer Erzbischof war es auch, der den Ruf an ihn ergehen ließ, die Annales Fuldenses fortzusetzen: im Jahre 869 begegnet Meginhards Name zum letzten Mal in einer Fuldaer Urkunde6; im selben Jahr begann er nach allgemeiner Annahme seine 1 2

3

4

5

6

Die Ausgaben vgl. Kap. I, Anm. 16. Zuerst ausführlich begründet von RETHEFLD, a. a. 0 . , S. 2 5 f f . ; erhärtet von KURZE in: NA. 17/1892, S. 1 4 6 - 1 5 0 , und ebenda 36/1911, S. 379f. Die Verfasserschaft ist heute allgemein anerkannt; stellvertretend für viele andere seien nur genannt HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 2 8 ; WEBER, a. a. 0 . , S. 3 4 ; EWIG, Beobachtungen, a. a. 0 . , S. 99—140 passim. Skeptisch sind TELLENBACH, Entstehung, 3. Aufl., a. a. 0 . , S. 245 in seinem kurzen Abriß über die Quellen des 9. Jh. (er zweifelt auch ohne Begründung die Autorschaft Rudolfs an) und KELLER, H. (siehe Anm. 213). Auf die abweichenden Meinungen von HELLMANN und LÖWE sei noch einmal verwiesen (siehe Kap. I, S. 18 mit den Anm. 2 1 und 26). Translatio s. Alexandri, ed. KRTJSOH, a. a. 0 . , S. 436: „. . . semiperfectumopus . . . finetenus perduxi." Eine Randnotiz „Hucusque Ruodolf(us)" findet sich sowohl am Ende von c. 3 der Translatio als auch in der Hs. 1 (aus Schlettstadt) ad a. 863 in den Annales Fuldenses. Nachweise bei RETHTELD, a. a. O., S. 29; dazu Cod. dipl. Fuldensis, hrsg. v. DRONKE, a. a. 0 . , nr. 595, S. 267 von 867 Mai 20. Vgl. auch die Urkundennachweise bei MANITIUS, Geschichte der lateinischen Literatur, Bd. 1, a. a. O., S. 672. Ebenda, S. 6 7 1 : die Fortsetzung geschah „. . . wohl bald nach dem Tode seines Lehrers." Cod. dipl. Fuldensis, hrsg. v. DRONKE, a. a. 0 . , nr. 606, S. 272, unter den Zeugen.

49

h i s t o r i o g r a p h i s c h e A r b e i t 7 . Sein A u f t r a g g e b e r L i u t b e r t w a r a b 870 der E r z k a p e l l a n Ludwigs des D e u t s c h e n u n d s p ä t e r Ludwigs des J ü n g e r e n ; wohl h a u p t s ä c h l i c h d u r c h seine V e r m i t t l u n g zeigt sich Meginhard g u t u n t e r r i c h t e t . Der Tod L u d w i g s d e s J ü n g e r e n 882 b r a c h t e einen j ä h e n E i n s c h n i t t ; Kaiser K a r l der Dicke, d e r dessen Reich ü b e r n a h m , h a t t e seinen eigenen E r z k a n z l e r , d e n Bischof L i u t w a r d v o n Vercelli, u n d L i u t b e r t w u r d e in d e n H i n t e r g r u n d g e d r ä n g t . Mehr gegen L i u t w a r d als gegen den willensschwachen u n d u n f ä h i g e n Kaiser r i c h t e t e sich d e s h a l b die d e u t l i c h e Opposition M e g i n h a r d s in den J a h r e s b e r i c h t e n der A n n a l e n zu 882 bis 8 8 7 : er, d e r ganz auf Seiten des Mainzer E r z b i s c h o f s s t a n d 8 , wird dessen g e m i n d e r t e S t e l l u n g n u r schwer h a b e n v e r w i n d e n k ö n n e n . W a r u m dieser A n n a l e n t e i l einer n e u e n A b schrift m i t a n einigen Stellen w e i t g r e i f e n d e n Ä n d e r u n g e n a n g e h ä n g t w u r d e , ist u n g e k l ä r t . 9 Ü b e r d a s J a h r 887, d a s i m N o v e m b e r d e n S t u r z des K a i s e r s u n d die E r h e b u n g A r n u l f s v o n K ä r n t e n z u m o s t f r ä n k i s c h e n König b r a c h t e , h a t Meginhard seine A n n a l e n n i c h t h i n a u s g e f ü h r t . W a h r s c h e i n l i c h resignierte m a n in Mainz endgültig, als — n a c h einer k u r z e n e r n e u t e n K a n z l e r s c h a f t L i u t b e r t s v o n J u n i bis N o v e m b e r 887 — a u c h der n e u e K ö n i g n i c h t auf i h n zurückgriff, s o n d e r n d e n Salzburger M e t r o p o l i t e n T h e o t m a r , wahrscheinlich a u s politischen R ü c k s i c h t e n , a n die Spitze der K a n z l e i stellte. 1 0 D a s J a h r 888 s e t z t e d e m L e b e n unseres A n n a l i s t e n 1 1 , d a s d a r a u f f o l g e n d e d e m seines G ö n n e r s ein E n d e 1 2 . Meginhard gilt a u c h als der Verfasser einer P r e d i g t ü b e r die translatio des heiligen F e r r u c i u s v o n Castel n a c h B l e i d e n s t a d t d u r c h d e n Erzbischof Lul v o n Mainz. 1 3 Der T r a k t a t „De fide" ist dagegen n i c h t sein W e r k , sondern m u ß d e m D o m s c h o l a s t e r

7

R E T H F E L D , a. a. 0 . , S . 32; K U R Z E in: NA. 17/1892, S . 148; W A T T E N B A C H , Geschichtsquellen, 7. Aufl., a. a. 0., S. 250. In den Jahresberichten zu 864 bis 869 begegnen mehrfach Verschiebungen in der Chronologie und Auslassungen, die auf spätere Abfassung deuten.

8 W E B E R , a . a . O . , S . 3 4 ; v g l . S . 86FF.

9 KURZE, hält in: NA. 17/1892, S. 147, die ebenda S. 91 ff. und 96 zusammengestellten Änderungen für so wesentlich, daß er die Abschrift als zweite Rezension bezeichnete. Er nimmt S. 150 an, Meginhard habe nach Ludwigs des Jüngeren Tode die Annalen Karl dem Dicken als dessen Nachfolger widmen wollen, deshalb Abschrift genommen, geändert und das verbesserte Exemplar behalten. Dagegen glaubt WATTENBACH, Geschichtsquellen, 7. Aufl., a. a. O., S. 250, sogar, unser Autor habe beim Thron- und Kanzlerwechsel sein Exemplar abgeben müssen. 10 KEHR, P., Die Kanzlei Karls III., Berlin 1936, S. 8f. (Abh. Ak. Berlin, phil.-hist. Klasse, nr. 8); DERSELBE, Einleitung zu: MG. DD. reg. Germ. Karol. II: Die Urkunden Karls III., Berlin 1937, S. X X I X ; DERSELBE, Einleitung zu: ebenda III: Die Urkunden Arnolfs, Berlin 1940, S. XV. » Annales necrologici Fuldenses ad a. 8 8 8 , ed. G . W A I T Z in: M G . SS. X I I I , S. 1 8 6 ; vgl. RETHFELD, a. a. O., S. 2 9 u n d 4 5 .

12 Annales Fuldenses, continuatio Ratisbonensis, ad a. 889, ed. KURZE, a. a. O., S. 117; Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe 7 4 2 ? — 1 5 1 4 , mit Benutzung des Nachlasses von BOEHMER, C. F., bearb. u. hrsg. v. W I L L , C . , Bd. 1, Innsbruck 1 8 7 7 , nr. 6 7 , S. 8 2 f. 13 WATTENBACH, Geschichtsquellen, 7. Aufl., a. a. O., S. 262 mit Anm. 1. Diese Schrift kann hier außer Betracht bleiben.

50

und späteren Würzburger Bischof Meinhard von Bamberg (1085—1088) zugesprochen werden. 14 Vergleicht man Meginhards Annalenteil mit dem Rudolfs, so ergeben sich neben vielen Übereinstimmungen beachtliche Unterschiede. Nicht nur aus verschiedenartigen stilistischen Wendungen und der Andersartigkeit in der Schreibweise besonders der Eigennamen 15 ist die Wirksamkeit zweier Verfasser zu ersehen. Auch in Fragen der Terminologie und der Auffassung zeigt Meginhard beachtenswerte neue Aspekte. In der Titulatur für Ludwig den Deutschen ist er jedoch fast so konsequent wie Rudolf. 1 6 Auch er nennt den Ostfrankenherrscher bis zum Jahre 876 fast durchgängig „Hludowicus rex" oder nur „rex", wobei letztere Version überwiegt. 17 Beide Bezeichnungen begegnen insgesamt über siebzigmal, so daß die wenigen Ausnahmen nicht allzu schwer ins Gewicht fallen dürften. 1 8 Auch für Meginhard ist Ludwig also schlechthin „der" König. 1 9 Es sei hier darauf hingewiesen, daß dieser Sprachgebrauch damals keine Selbstverständlichkeit war. Hinkmar von Reims nannte in den Annales Bertiniani Karl den Kahlen während seiner Königszeit fast durchgängig „ Karolus " 2 0 , und auch die Xnnales Vedastini wandten das bloße „rex" recht selten an 2 1 . So bildete sich in den Fuldaer Annalen eine Terminologie heraus, die die relativ starke Stellung der Zentralgewalt unter dem ersten ostfränkischen Karolinger 22 eindrucksvoll widerspiegelt. 14

15

16

17

FlCKERMANN, N., Eine bisher verkannte Schrift Meinhards von Bamberg, i n : NA. 49/1932, S. 452-455. So schreibt Rudolf durchgängig Hlutharius und Karlus, Meginhard dagegen Hlotharius und Karolus. Weitere Beispiele hat KIJBZE i n : NA. 36/1911, S. 362 f., zusammengestellt. Dieser bildet allerdings in der Korrektheit seiner Terminologie eine rühmliche Ausnahme den übrigen ostfränkischen Quellen gegenüber, die hier behandelt werden — eine Feststellung, welche in Hinsicht auf sein Thema auch WEBEB, a. a. O., S. 32 und 35, getroffen hat. Wie sehr auch noch so vereinzelte Schwankungen im Sprachgebrauch (die man auch bei Meginhard findet) die Gültigkeit einer Aussage erschweren, ist allgemein bekannt. In den Jahresberichten von 864 bis 875 steht 42mal rex gegen 30mal Hludowicus rex beziehungsweise rex Hludowicus.

18 A n n . F u l d . a d a . 8 6 4 , e d . KIJBZE, a . a . O., S . 6 2 : „Hludowicus et Karolus reges et fratres apud Dusiacum, villam ( = T u s e y ; W . E . ) mense Septembrio convenientes foedus ineunt et . . . testes et admonitores idonei. . . statuuntur. Narn Hludowicus ex parte Karoli Hincmarurn Remensem episcopum et Engilrammum comitem, Karolus vero ex parte Hludowiói Liutbertum archiepiscopum et Altfridum antistitem elegit . . . " Ä h n l i c h e b e n d a a d a . 8 6 9 , 19

870, 875, S. 69 f. und 85. FATTOK, a. a. O., S. 100; über die sehr positive Behandlung des Ostfrankenherrschers im Rahmen der Darstellung unseres Fuldaer Annalisten ausführlich ebenda, S. 19ff. — Ludwigs Gemahlin erwähnt Meginhard zweimal als Hemma regina: Ann. Fuld. ad a. 874 und 8 7 6 , e d . KURZE, a . a . O . , S . 8 3 u n d 8 5 ; e i n m a l a l s regina:

a d a. 875, S. 83.

20 V g l . A n n . B e r t , a d a . 8 6 1 - 8 7 5 , e d . WAITZ, a . a . O., S . 5 5 - 1 2 7 . N a c h d e r K a i s e r k r ö n u n g 21

22

tritt das bloße imperator stark in den Vordergrund: ebenda ad a. 876 und 877, S. 128—137. Vgl. Annales Vedastini ad a. 881—899, in: Annales Xantenses et Annales Vedastini, rec. B. v. SlMSON, MG. SS. in us. schol., Hannover und Leipzig 1909, S. 50—82. STERN, L./BAETMFSS, H.-J., Deutschland in der Feudalepoche von der Wende des 5./ 6. Jh. bis zur Mitte des 11. Jh., 2. Aufl., Berlin 1970, S. 155 (Lehrbuch der deutschen 51

Nach dem Tode Ludwigs des Deutschen teilten seine Söhne Karlmann, Ludwig der Jüngere und Karl, der spätere Kaiser, das väterliche Reich. Dieser Vorgang wird in den Annalen wie folgt beschrieben: „Sequenti autem mense23 Karlmannus et Hludowicus atque Karolus Hludowici regis filii in pago Retiense convenientes paternum inter se regnum diviserunt et sibi invicem fidelitatem servaturos esse sacramento firmaverunt. Cuius sacramenti textus theutonica lingua conscriptus in nonnullis locis habetur."2* Hier fällt zuerst auf, daß die Anteile der einzelnen Brüder nicht genannt werden; es wird auf den Text des Eides verwiesen, der in deutscher Sprache 2 5 „in nonnullis locis" aufbewahrt werde. Man erkennt die Parallele zu dem lapidaren „Scripturam autem utriusque partis quisquis curiosus scire eoluerit, in nonnullis Germaniae locis poterit invenire", mit dem Meginhard die den lotharischen Ehestreit betreffenden Briefe ersetzte, welche Rudolf seinem Jahresbericht zu 863 eingefügt hatte. 2 6 Es ist anzunehmen, daß unser Autor diese Briefe eliminieren zu können glaubte, weil ihm die voranstehende Schilderung Rudolfs die Vorgänge um Lothar genügend deutlich zu machen schien. Die Auslassung zum Jahre 876 muß jedoch anders erklärt werden. Bei der Stellung Liutberts als Erzkanzler des verstorbenen Königs und eines seiner Söhne ist es unwahrscheinlich, daß Meginhard den Text des Eides nicht hätte ebenso erhalten und verwerten können wie beispielsweise Rudolf den des Friedensschlusses zu Koblenz. 27 Er hat also sicher kein Interesse daran gehabt, ihn zu überliefern. Einiges spricht dafür, daß politische Gründe seine Haltung bestimmten: wie schon bemerkt, verliert er kein W o r t darüber, welche Gebiete des „paternum regnum" den einzelnen Brüdern denn eigentlich zufielen 28 , und darüber hinaus deutet die Verwendung des Begriffes „theutonica lingua" gerade Geschichte, Beiträge); LÖWE, H., in: GEBHARDT, B., Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 1: Frühzeit und Mittelalter, 9. Aufl., hrsg. v. GRUNDMANN, H., Stuttgart 1970, S. 19 ff. 23 I. e. November 876. 24

25

26

27

28

A n n . F u l d . a d a . 8 7 6 , e d . KURZE, a . a . O . , S . 8 9 . SCHNEIDER, a . a . O . , S . 2 9 m i t

Anm.

153, S. 48f. mit Anm. 292 sowie S. 166. Zur Entwicklung des Begriffes „deutsch" im Frühmittelalter vgl. WEISGERBER, L., Deutsch als Volksname. Ursprung und Bedeutung, Stuttgart 1953. In unserem Zusammenhang ist besonders wichtig S. 17ff., wo die Entwicklung von teutonicus und seine schließliche Gleichsetzung mit theotiscus, dem „vereinheitlichenden Namen deutscher Sprache", untersucht wird. Der S. 24 und S. 26 mit Anm. 53 geäußerten Ansicht über die Verfasser der Fuldaer Annalen darf man allerdings nicht folgen. Ann. Fuld. ad a. 863, ed. KURZE, a. a. O., S. 58, Anm. *. Siehe Kap. I, S. 42 und KURZE, Ausgabe, S. VII, Anm. 1; auch HELLMANN in: NA. 33/1908, S. 727 mit Anm. 1. Auch HELLMANN meint ebenda, S. 734, der Text des Eides hätte dem Annalisten vorgelegen. Zu 876 berichtet uns darüber keine Quelle etwas Genaues. Man ist daher gezwungen, sich anhand der Ausführungen, die die continuatio des Ado von Vienne und Notkers continuatio Erchanberti zum Jahre 865 bringen, ein Bild zu machen: BM 2 1459 (1416)a. Regino wirft ad a. 876, ed. KURZE, a. a. O., S. 112, die Teilung im Ries mit der 877 erfolgten Teilung Ostlotharingiens zusammen und verlegt sie darüber hinaus in den benachbarten Gau Sualifelt, ist also ungenügend unterrichtet: BM 2 1520 (1478)a; vgl. DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 3, 2. Aufl., Leipzig 1888, S. 61 mit Anm. 1; WAITZ, Dt. Verf.gesch., Bd. 5, 2. Aufl., a. a. O., S. 20ff.

52

an dieser Stelle darauf hin, daß Einheitstendenzen hier deutlich betont werden sollten 29 . Meginhard h a t jener Teilung, die er an unserer Stelle beschrieb, offensichtlich ablehnend gegenübergestanden. Hier schimmert ein wichtiger P u n k t seiner Reichsauffassung auf, welche wir an späterer Stelle näher kennzeichnen werden. Ludwig der Jüngere, der die Herrschaft im östlichen Stammesfranken sowie in Sachsen und Thüringen übernahm — dessen Anteil also auch Mainz umfaßte, wo Meginhard schrieb —, wird als einziger der drei Brüder nach 876 „rex" genannt. 3 0 Dem Baiernkönig Karlmann wird dieser Titel nicht ein einziges Mal gegeben, obwohl er oftmals erwähnt wird 3 1 ; der jüngste Bruder Karl, dem Alamannien zugefallen war, verschwindet in dieser Zeit fast ganz aus Meginhards Darstellung 3 2 und t a u c h t erst 882 unvermittelt als „Karolus imperator" wieder auf 3 3 . Nur einer der Könige wird also von Meginhard in gleicher Form wie einst Ludwig der Deutsche tituliert: so wie dieser ist Ludwig der Jüngere nunmehr „der" oder „unser" König. 34 E r und sein Reich treten ins Zentrum der Darstellung, was sicher zu einem guten Teil auf Meginhards politische Haltung beziehungsweise die Erzbischof Liutberts zurückzuführen ist. 3 5 Beachtung verdient in diesem Zusammenhang, daß die „rea;"-Benennung für Ludwig den Deutschen kurz vor dessen Tod abbricht und dem einfachen „Hludowicus" Platz macht. 3 6 Auch dem sterbenden Ludwig gibt Meginhard nur den Namen, keinen Titel; ebenso verfährt er beim Tode Ludwigs des Jüngeren. Beide Belege gleichen sich auch in der Diktion auffällig:

29

Für TELLENBACH, Entstehung, 3. Aufl., a. a. O., S. 110, bezeichnen theodiscus und teutonicus im 9. Jh. „die Deutschen als Sprachvolk". Weisgerber, a. a. 0., S. 12 und öfter, sieht hier einen vereinheitlichenden Namen deutscher Sprache. Am überstammlichen Gehalt der Begriffe ist also nicht zu zweifeln. Meginhard spricht auch einmal von der Sprache eines einzelnen Stammes: Ann. Fuld. ad a. 882, ed. KURZE, a . a . O . , S. 99: ,,(portus), qui Frisiaca lingua Taventeri nominatur."

30

HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. O . , S. 3 4 .

31

Fünfmal zum Jahre 877, viermal zum Jahre 878, siebenmal zum Jahre 879. Bei seinem Tode zu 880: „Carlmannus frater Hludowici et Karoli XI. Kai. April, obiit": Ann. Fuld., e d . KURZE, a. a. 0 . , S . 9 5 . V g l . PFEIL UND KLEIN-ELLGUTH, a . a. 0 . , S . 2 6 6 f .

32

HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0., S. 33f. Selbst die Kaiserkrönung Karls 881 erwähnt unser Annalist nicht.

33

A n n . F u l d . a d a. 8 8 2 , e d . KURZE, a. a. 0 . , S . 9 8 ; P F E I L UND KLEIN-ELLGUTH, a . a . 0 . ,

34

35

30

S. 345. Ann. Fuld. ad a. 881, ed. KURZE, a. a. 0., S. 96: „regis nostri"; NEUSS, a. a. 0 . , S. 34 mit Anm. I. Ann. Fuld. ad a. 880, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 94, erscheint seine Gattin Liutgard als „regina". Dazu HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0., S. 34f., mit Beispielen; WEBER, a. a. O., S. 34. Ann. Fuld. ad a. 876, ed. KURZE, a. a. 0., S. 86: „Plurima etiam incredibilia (i. e. Karl der Kahle; W. E.) contra Hludowicum regemet regnum illius facturum esse minatus est; dixisse fertur se tantam multitudinem . . . congregaturum, ut. . . ipse . . . esset. . . totum Hludowici regnum vastaturus. . . . Hludo wico exercitum suum congregante ille . . . pacem petiit."

53

Ann. Fuld. ad a. 876, ed. KUBZE, S. 86

Ann. Fuld. ad a. 882, ed. KURZE, S. 97

„Hludowicus (der Deutsche; W . E.) aegrotare coepit et crescente cotidie infirmitate V. Kal. Septemb. in palatio Franconofurt diem ultimum clausit; cuius corpus transtulit aequivocus illiuset inmonasterio sancti Nazarii, quoddiciturLauresham, honorifice sepelivit."

„. . . Hludowicus (der Jüngere) invalescente morbo X I I I . Kai. Febr. diem ultimum clausit; cuius corpus translatum et in monasterio sancti Nazarii, quod dicitur Lauresham, iuxta patris sui tumulum sepultum est."

Eine Erklärung hierfür ist schwer zu geben. Zu 876 könnte man vermuten, daß Meginhard den ganzen Jahresbericht zusammenhängend nachträglich abgefaßt habe. Er hätte dann den einfachen Namen „Hludowicus", mit dem er Ludwig den Jüngeren dieses ganze Jahr hindurch zu bezeichnen pflegte, schematisch auch auf die letzten Tage Ludwigs des Deutschen übertragen. Dies überzeugt nicht hundertprozentig und besagt für 882 gar nichts; somit begnüge ich mich damit, eine auffällige Abweichung von einer sonst ziemlich streng durchgeführten Terminologie zu vermerken. 37 Wenden wir uns den Herrschern zu, die über die Reiche westlich des Rheins und südlich der Alpen geboten. Lothar I I . erscheint — in auffälligem Gegensatz zu früher — ab 867 als „Hlotharius rex"; verhältnismäßig ausführlich geht Meginhard auf dessen Bestrebungen ein, seine Eheafläre mit dem Papst zu regeln. 38 Ein Zusammenhang dieser Benennung mit den guten Beziehungen, die in den letzten Jahren des jungen Regenten zwischen ihm und seinem Oheim Ludwig dem Deutschen herrschten, ist unverkennbar. Mitte des Jahres 867 kam es bekanntlich nach langer Verfeindung zur Aussöhnung beider Könige: Lothar hatte seinem und Walderadas Sohn Hugo das Elsaß mit Ludwigs Zustimmung verliehen und Ludwig sich, wenn auch ohne Erfolg, bei Papst Nikolaus brieflich für Lothar verwandt. 868 sagte Ludwig zu, bei einer eventuellen Heirat Lothars mit Walderada nichts gegen ihn zu unternehmen; 869 versprach er Lothar, während dessen Reise nach R o m sein Reich nicht zu behelligen. 39 Hier liegt ein deutliches Zeugnis dafür vor, wie sehr politische Konstellationen die Terminologie und Berichterstattung unseres Annalisten beeinflußten. Überdeutlich kommt das in seiner Stellung zu Karl dem Kahlen zum Ausdruck. W i e einst sein Lehrer Rudolf, so verweigerte jetzt Meginhard diesem bis auf verschwindend geringe Ausnahmen die Titulierung. Während seiner Königszeit wird der westfränkische Herrscher in dem hier zu behandelnden Annalenteil achtzehnmal erwähnt, aber nur dreimal erscheint er als „Karolus rex".40 Von 869 an verschwindet der Königstitel für ihn völlig; dafür findet man ihn in den Jahresberichten zu 873, Vgl. jedoch schon Ann. Fuld. ad a. 880, ed. KTTBZE, a . A . O . , S. 95: „ H l u d o w i c u s mediante mense August'o apud Wormatiam cum suis colloquium habuit", wo man eigentlich Hludowicus rex für Ludwig den Jüngeren vermuten sollte. 38 Ebenda ad a. 8 6 7 - 8 6 9 , S. 6 6 - 6 8 . 39BM2 1315(1280)d, 1318(1283)a, 1 3 2 2 ( 1 2 8 6 ) a ; MÜHLBACHEB, Dt. Gesch. unt. d. Karolingern, a. a. 0., S. 530; ZATSCHEK, Reich der Deutschen, a. a. 0., S. 122—127. «> Ann. Fuld. ad a. 864, ed. KURZE, a. a. 0., S. 62; siehe Anm. 18. E b e n d a ad a. 867, S. 66, und a. 869, S. 69. 37

54

875 und 877 je einmal als „Karolus Galliae tyrannus" bezeichnet. 41 Hessler ist unbedingt zuzustimmen, wenn er schreibt: „Der zweite Teil dieser Titulierung (Gallia; W. E.) kann dabei nicht abschätzig gemeint sein, da er auch bei Karls Enkel Karlmann angewandt wird, gegen den eine feindselige Stimmung weder sonst hervortritt noch irgendwie gerechtfertigt erscheinen könnte" und hierfür auf den Jahresbericht zu 884 verweist. 42 Jedoch hat Meginhard aber ungeachtet dessen das „tyrannus Galliae" nicht ohne Grund an ganz bestimmten Stellen verwendet. Wenn er über die Blendung, die Karl der Kahle an seinem Sohn Karlmann vornehmen ließ, mit den Worten „Karolus Galliae tyrannus paterna miseratione deposita Karlmannum filium suum . . . excaecare praecepit" berichtet, so klingen hier vornehmlich menschliche Regungen a n : Empörung über die harte Strafe, die der eigene Vater über seinem dem geistlichen Stande entlaufenen, aufrührerischen Sohn verhängen ließ; Mitleid mit diesem, mochte er es vielleicht auch noch so wenig verdient haben. 4 3 In seiner Darstellung des Jahres 875 aber schreibt Meginhard dann: „Hludowicus Italiae imperator (Lücke für moritur oder ähnlich). Quod cum Karolus Galliae tyrannus comperisset, ilico regnum Italiae invasit et omnes thesauros, quos invenire potuit, unca manu collegit." Und ähnlich heißt es zu 877: „Karolus Galliae tyrannus aestivo tempore cum exercitu Italiam petiit et Ticini44 residens magnopere nisus est, qualiter Carlmanno illuc adventanti aditum in illam denegaret provinciam." Beide Male wird die Invektive mit einem Einmarsch Karls in Italien verbunden: 875, als sich dieser, begünstigt durch Papst Johann VIII., des italienischen Reiches durch raschen Zugriff versichert und die Kaiserkrone erwirbt 4 5 ; 877 schließlich, als er gegen den Willen seiner Großen, wie die Annalen von St. Vaast berichten 46 , den immer dringlicher werdenden Hilferufen des Papstes, seiner Schutzpflicht der Kirche gegen die Sarrazenen nachzukommen, Genüge leisten wollte 4 7 . Die Verwendung unseres abwertenden Begriffes ist nur allzu verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß

« Ebenda, S. 78, 84, 90. HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0., S. 37 mit Anm. 130, in welcher „875 (zweimal)" zu berichtigen ist in „875 und 8 7 7 " ; MOHR, Lothringischer Name, a. a. O., S . 320, Anm. 16; P F E I L UND K L E I N - E L L G U T H , a. a. O . , S . 315 f., dem allerdings zu widersprechen ist, wenn er behauptet, daß durch den tyrannus-Begriff „mittelbar . . . der Gedanke an die Reichseinheit aufgegriffen" wird; EWIG, Beobachtungen, a. a. 0 . , S. 118 m i t A n m . 1 0 3 u n d S . 122, A n m . 1 3 1 ; HOFFMANN, a . a. 0 . , S . 13 m i t A n m . 8. 42

HESSLER,

Nationalgefühl,

a. a. 0 . ,

S. 37. A n n . F u l d . a d a. 884, ed. KURZE, a. a. O.,

S. 101: „Karolus (sie!) iuvenis rex Galliae . . . occisus."

43

44 45

46

Karlmann hatte 870 die Gebiete um Reims und Toul verwüstet und war einer Bannung durch die westfränkischen Bischöfe nur durch das Eingreifen Papst Hadrians II. zu seinen Gunsten entgangen. Zu strenger Haft verurteilt und seiner geistlichen Würde entkleidet, wurde er von einem weltlichen Gericht zur Blendung verurteilt. MÜHLBAOHER, Dt. Gesch. unt. d. Karolingern, a. a. 0., S. 554f. und 560f.; DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 2, 2. Aufl., a. a. O., S. 320-323 und 356-359. I. e. Pavia. MÜHLBACHER, D t . G e s c h .

u n t . d. K a r o l i n g e r n ,

a. a. 0 . ,

S. 562—566;

HARDT, Handbuch d. dt. Gesch., Bd. 1, 9. Aufl., a. a. O., S. 202. Annales Vedastini ad a. 877, ed. v. S I M S O N , a . a . O . , S . 42:

suorum". 4

LÖWE

„contra

in:

GEB-

voluntatem

? M Ü H L B A C H E R , D t . G e s c h . u n t . d . K a r o l i n g e r n , a . a . O . , S . 5 7 4 ff. 5 Eggert, OstfränJdsch-deutsches Reich

55

die ostfränkischen Karolinger selbst auf Italien reflektierten. 48 Karlmann, dem Sohne Ludwigs des Deutschen, war von Ludwig II. die Nachfolger in diesem Reiche 49 , vielleicht auch die Anwartschaft auf das Kaisertum zugesichert worden 50 , und alles, was nur möglich erschien, wurde ins Werk gesetzt, um diese Ansprüche zu sichern. Wenn Meginhard Karl den Kahlen also gerade hier als Tyrannen von Gallien abqualifiziert, so will er damit kaum anderes ausdrücken, als daß dieser sich seiner Meinung nach eben auf „Gallien" zu beschränken habe, das italienische Reich dagegen Interessensphäre derjenigen karolingischen Linie sei, für die seine Annalen Partei ergriffen — der ostfränkischen. Als die italienische Nachfolgefrage in ihr akutes Stadium trat, verschärfte sich somit auch sein Ton gegen Karl merklich. Allzu freundlich hatte er nie über ihn berichtet: war die Schilderung der Begegnung Ludwigs des Deutschen mit seinem jüngeren Bruder in Tusey noch durchdrungen von „gebührender Zurückhaltung" 51 , so änderte sich das schon 869. Nach dem Erhalt der Nachricht vom Tode Lothars II., so zeigt seine Darstellung, nahm Karl in schnellem Zugriff dessen Reich in Besitz und beraubte diejenigen Großen, welche ihm die Huldigung verweigerten, ihrer Lehen. E r ließ sich — „auf den Rat schlechter Menschen hin", wie unser Annalist sagt —, nachdem ihm der Bischof von Metz eine Krone aufgesetzt hatte, Kaiser und Augustus nennen „quasi duo regna possessurus".52 Schon hier befürchteten gewisse Kreise offensichtlich ein zu starkes Übergewicht des westfränkischen Königs gegenüber dem ostfränkischen, dessen Interessen und Rechte durch Karls Vorgehen beeinträchtigt worden waren. 53 Ludwig konnte diesen zur vereinbarten Teilung des SoHULZE, Kaiserpolitik und Einheitsgedanke, a. a. 0., S. 17 und 26f. — Eine Andeutung der folgenden These schon bei ScHULTHEISS, F. G., Geschichte des deutschen Nationalgefühles. Eine historisch-psychologische Darstellung, Bd. 1, München und Leipzig 1893, S. 121 mit Anm. 2. In einer Urkunde Karlmanns von 877 Okt. 16, der ersten bekannten Regierungshandlung nach der Huldigung der italienischen Großen in Pavia, heißt es: „. . . pro remedio . . . Ludouuici prefati imperatoris ac consobrini, qui nobis regnum istud disposuerat": DKm. 4, MG. DD. reg. Germ. Karol. I, ed. KEHR, a. a. 0., S. 290. Vgl. im II. Teil, S. 272, sowie auch MOHB, Die Rolle Lothringens, a. a. 0., S. 367. De imperatoria potestate in urbe Roma libellus, ed. G. H. PERTZ in: MG. SS. I I I , S. 721.; SCHULZE, Kaiserpolitik, a. a. 0., S. 26f. Gegen dessen aus der älteren Literatur übernommene Meinung, Ludwig dem Deutschen beziehungsweise Karlmann sei die Kaiserwürde zugesprochen worden, wies MOHB, Reichsidee, a. a. 0., S. 153, darauf hin, daß Karlmann selbst von einer Nachfolge im Kaisertum nicht spricht.

48

49

50

S o HESSLER. N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. 0 . , S . 3 7 ; A n n . F u l d . ad a. 8 6 4 , ed. KURZE, a. a. 0 . ,

61

52 63

S. 62 f. — Zu dieser Zusammenkunft ist Ludwig der Deutsche wohl wesentlich durch einen Brief Liutberts veranlaßt worden: Epistolae variorum inde a saeculo nono medio usque ad mortem Karoli II. (Calvi) imperatoris collectae nr. 18, ed. E. DÜMMLER, in: MG. Epp. VI, Berlin 1925, S. 165f.; vgl. SCHUR, J . , Königtum und Kirche im ostfränkischen Reiche vom Tode Ludwigs des Deutschen bis Konrad I., Paderborn 1931, S. 11 (GörresGesellschaft, Veröffentlichungen der Sektion für Staats- und Rechtswissenschaft, 57. Heft). Das Wissen hierum könnte Meginhards Haltung mitbestimmt haben. Siehe Anm. 63. Zu dieser Stelle vgl. P F E I L UND K L E I N - E L L G U T H , a. a. 0., S. 314f. Im Jahre 867 hatten sich Ludwig und Karl im Metzer Vertrag geeinigt, daß eine ehrliche und gleichberechtigte Teilung der Länder Ludwigs II. und Lothars II. vorgenom-

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„regnum Lotharii" zwingen: nachdem Meginhard ihn schon zum Beginn des Jahresberichtes 870 als langersehnten Prätendenten gegen Karl herausgestellt hatte 5 4 , vermerkte er die Tatsache, daß Ludwig trotz schwerer Krankheit den Meersener Vertrag hatte abschließen können, mit Genugtuung 5 5 . Trotzdem: die Abneigung gegen Karl den Kahlen blieb und schlug 875 in offenen Haß um. Unser Autor stellt nun dessen schlechte Charaktereigenschaften gebührend heraus und erwähnt seine Gier, Hinterlist und Feigheit. 5 6 Die Kaiserkrönung habe er von den Römern „more Iugurthino" erkauft, so daß sie Papst J o h a n n schließlich vollziehen m u ß t e 5 7 ; diese neue Würde bot ihm Gelegenheit, griechischen Prunk zu entfalten und die Sitten seiner Väter zu verachten 5 8 . Er ist der neue Sanherib, der noch zu Lebzeiten seines Bruders Ludwig dessen Reich erobern will; er führt diesen Plan aus, als er glaubt, nach Ludwigs Tod keinen Widerstand zu finden. Seine Niederlage bei Andernach durch Ludwig den Jüngeren zeigte dann aber, daß Gott sich gegen ihn stellte; sie geschah, so führt Meginhard aus, „ut, qui prius propter mentis elationem Deurn cognoscere noluit, modo victus et confusus intellegat, quia non in multitudine exercitus victoria belli, sed de caelo fortitudo, est, et aliquando avariciae et superbiae suae modurn inponat."59 Folgerichtig wurde dann zu 877 Karls schimpfliche Flucht

men werden sollte, falls ihnen solche in Zukunft zufallen würden: MG. Cap. II, ed. BORETIUS/KRAUSE, a . a . 0 . , n r . 2 4 5 , S . 1 6 8 ; B M 2 1 4 6 3 ( 1 4 2 0 ) . Z u d e n i d e e l l e n G r u n d l a g e n

dieses Vertrages vgl. MOHR, Reichsidee, a. a. 0., S. 135 f. — Daß Karl bereits zu dieser Zeit an den Erwerb des ostfränkischen Reiches gedacht habe, ist eine ganz unbeweisbare Vermutung ZATSOHEKS: Ludwig der Deutsche, a. a. 0., S. 52. 54 Ann. Fuld. ad a. 870, ed. KURZE, a. a. 0., S. 70: „(Hludowicus rex) plurimos de optimatibus Hlotharii diu illum opperientes in suurn suscepit dominium et beneficium Ulis a Karolo sublatum restituit. Nonnulli etiam, qui prius cum Karolo fuerant, eum deserentes ad Hludowicurn venerunt" (vgl. WEBER, a. a. 0., S. 141 mit Anm. 289). Anschließend bringt Meginhard die Weihe Williberts zum Erzbischof von Köln, die sein Gönner Liutbert von Mainz auf Befehl Ludwigs und gegen den Willen Karls vornahm. Einer der Gründe für die Antipathie unseres Autors gegen Karl könnte auch sein, daß dieser Abmachungen verletzt hatte, bei deren Abschluß Liutbert Zeuge war und für deren Einhaltung er sich verbürgt hatte: Tusey 864 und Metz 867. ® Ebenda, S. 71. Vgl. hierzu FAUCK, a. a. 0., S. 25 mit Anm. 71. 66 Die Belege sind zusammengestellt bei HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0., S. 36 mit Anm. 125; dazu „propter Karoli stulticiam": Ann. Fuld. ad a. 876, ed. KURZE, a. a. 0., S. 85. V g l . a u c h M E Y E R VON KNONAU, N i t h a r d , a . a . 0 . , S . 8 4 ; P F E I L UND K L E I N - E L L G U T H ,

a. a. 0., S. 314. 5? Ann. Fuld. ad a. 875, ed. KURZE, a . a . O . , S. 85; DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 2, 2. Aufl., a .a. O., S. 398 mit Anm. 1. 68 Ann. Fuld. ad a. 876, ed. KURZE, a. a. 0., S. 86. MOHR, Reichsidee, a. a. 0., S. 156f., sieht hierin und in ähnlichen Handlungen Karls den Versuch einer Erneuerung des weströmischen Kaisertums. 59 Ann. Fuld. ad a. 876, ed. KURZE, a . a . O . , S. 86-89; das Zitat auf S. 89. Vgl. hierzu DÖRRIES, H., Die geistigen Voraussetzungen und Folgen der karolingischen Reichsteilung 843, in: Der Vertrag von Verdun 843, hrsg. v. MAYER, TH., Leipzig 1943, S. 152; SCHLESINGER, W., Die Anfänge der deutschen Königswahl, in: [ZRG. GA. 66/1948; Wiederabdruck, vermehrt um Nachträge, in: Die Entstehung des deutschen Reiches, Wege der Forschung 1, Darmstadt 1956, und in:] DERSELBE, Beitr. z. dt. Verf. gesch. d. Mittel5*

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vor dem Baiernkönig Karlmann in Italien gebührend herausgestellt; den effektvollen Schluß dieser Kette bildeten sein jämmerlicher Tod an Durchfall, seine stinkende Leiche und — in Gegensatz dazu gestellt — die Regierungshandlungen Karlmanns in Italien. 60 Mögen viele dieser Tiraden auch ein Körnchen Wahrheit enthalten 6 1 , so spricht ihre Häufung doch für sich. In jener Zeit politischer Spannungen war Meginhard jedes Mittel recht, um den westfränkischen Herrscher in den Augen seiner Leser zu diskreditieren. Nicht zuletzt wird dies wieder durch die von ihm verwendete Titulatur bestätigt: nach der Kaiserkrönung nannte er Karl, wenn er ihm überhaupt einen Titel zugestand, nur „rea;". 62 Als Parallele hierzu kann man bereits eine Stelle des Jahresberichtes zu 869 heranziehen, an der der Genannte, als über seine angebliche Kaiserkrönung in Metz berichtet wurde, ebenfalls allein als „Karolus rex" erschien. 63 Auch Ludwig der Stammler begegnet folgerichtig in unseren Annalen als „Hludowicus Karoli regis filius", was besonders deshalb auffällt, weil die Tatsache, daß Ludwigs des Deutschen Sohn Karl zu dieser Zeit ebenfalls König war, von ihrem Verfasser offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen wurde. 64 Hierher gehört auch, daß analog zu dieser Entwicklung im Laufe des Jahres 876 erneut in einigen Privaturkunden von S t . Gallen, jetzt aber auch in solchen aus Fulda der imperator-Titel für Ludwig den Deutschen auftaucht. 6 5 Meginhard hat also mit alters, Bd. 1, Göttingen 1963, S. 185 mit Anm. 189; HOFFMAUN, a. a. 0., S. 13 mit Anm. 7. — Gegen die Deutung der Schlacht als nationales Ereignis (so DijMMLEB, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 3, 2. Aufl., a. a. O., S. 38, und SCHULZE, Kaiserpolitik, a. a. O., S. 23f.; vgl. auch KERN, F., Die Anfänge der französischen Ausdehnungspolitik bis zum Jahr 1308, Tübingen 1910, S. 6, und ZATSOHEK, Reich der Deutschen, a. a. 0., S. 190ff.) wandte sich bereits HESSLER, Nationalgefühl, a. a. O., S. 36f. 60 Ann. Fuld. ad a. 877, ed. KURZE, a. a. 0., S. 90. Vgl. zum Ganzen TELLENBAOH, Entstehung, 3. Aufl., a. a. O., S. l l l f f . 61 Daß Karl der Kahle die Besitzergreifung des Reiches Ludwigs des Deutschen wirklich anstrebte, zeigt die Datierungszeile einer von ihm in Köln ausgestellten Urkunde von ca. 876 Sept.: „[ann]o XXXVII regni domni Karoli imperatoris in Franciam, et in successione fflotharii VII, et imperii II, et successionis Hludowici regis / " : vgl. im II. Teil S. 267. Auch westfränkische Quellen nehmen in bezug auf die Schlacht bei Andernach gegen Karl den Kahlen Stellung; vgl. DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 3, 2. Aufl., a. a. 0., S. 37. 62 Ann. Fuld. ad a. 876, ed. KURZE, a. a. 0., S. 86: „Karolus rex de Italia in Galliam rediens" (erste Erwähnung nach der Kaiserkrönung!). Vgl. auch Anm. 64. 63 Ebenda ad a. 869, S. 69f.: „Karolus vero rex . . . regnum fflotharii invasit. .. atque ad se de eodem regno venire nolentes publicis privatisque rebus privavit; qui etiam pravorum usus consilio in urbe Mettensi diadema capiti suo ab illius civitatis episcopo imponi et se imperatorern et augustum quasi duo regna possessurus appellare praecepit." M Ebenda ad a. 877 und 879, S. 90 und 92; ad a. 878, S. 92: „aequivoco suo (sc. Hludowici iunioris; gemeint ist Ludwig der Stammler; W. E.), Karoli regis füio." ES UB. St. Gallen, bearb. v. WARTMANN, Bd. 2, a. a. O., nr. 578, S. 191: „anno XXXVI. regnante domno Ludowico imperatore" (Datierung unsicher; von STENGEL, Kaisertitel, a. a. 0., S. 285 mit Anm. 18, dem Jahr 876 zugewiesen); Cod. dipl. Fuldensis, hrsg. v. DRONKE, a. a. O., nr. 612 und 613, S. 276f.: „anno dominicae incarnationis DCCCLXXVI, . . . anno XXXVI. Hludouf u)ici imperatoris". Vgl. STENGEL, Kaisertitel, a. a. 0., S. 28211.; dazu auch Kap. I, Anm. 108. STENGEL, bringt S. 285 auch den Hinweis auf ein Bruch-

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seiner Betonung der Unrechtmäßigkeit v o n Karls des Kahlen Kaisertitel im Ostreich nicht allein gestanden: zumindest in diesen beiden Klöstern wurde die Nachricht v o n dessen Krönung in Rom „. . . mit der Vorstellung eines ostfränkischen Imperators b e a n t w o r t e t . . . , eines hegemonialen Kaisertums, das mit dem römischen, wie es K a r l der Kahle soeben aus der Hand des Papstes empfangen habe, sich wohl messen dürfe." 6 6 Ebenso wie 856 geht diese Auffassung über die der offiziösen Quelle hinaus. Hatte unser A u t o r K a r l den Kahlen zum „rex" degradiert, so erhöhen die erwähnten Urkunden Ludwig den Deutschen zum „Imperator", um die Gleichrangigkeit beider Herrscher aufzuzeigen. 6 7 Dümmler stellte besonders in Hinblick auf die Stellung unseres Annalisten zu K a r l dem Kahlen fest, er steigere sich fast zu nationaler Gesinnung. 6 8 W e n n diese Äußerung auch aus der Sicht des 19. J h . heraus getroffen wurde — einer Zeit, da die deutsche Forschung das W i r k e n nationaler K r ä f t e in der mittelalterlichen Geschichte oft überbetonte und sogar überschätzte 6 9 —, so wohnt ihr doch ein gewisser W a h r heitsgehalt inne. Nichts wäre nämlich verfehlter, als hier ausschließlich Abneigung gegen den fremden Herrscher erblicken zu wollen. 7 0 Eben dadurch, daß Meginhard den König des Ost- und den des Westreiches auf gleicher S t u f e stehend sehen will, wird deutlich, wie sehr sich für ihn diese beiden Reiche gegeneinander abgesetzt haben, wie stark er deren Anderssein empfindet. 7 1 Ludwig II. wird v o n ihm als „imperator

Italiae"72

beziehungsweise „imperator de

stück einer in Fulda entstandenen Fortsetzung von Rudolfs Annalenteil, in dem sich folgende, wohl zu 875 gehörige Notiz befindet: „ Haganus monachus Fuldensis a Ludowico secundo imperatore Romam ad Iohannem oclavum papam dirigitur et in suo reditu in predio Fuldensis monasterii, quod Monticellum dicitur, iuxta Veronam moritur et ibidem tumulatur": F A S S B I N D E R , J . , Der Catalogus sanctorum ordinis sancti Benedicti des Abtes Andreas

von Michelsberg, phil. Diss. Bonn 1910, S. 57. 66 STENGEL, Kaisertitel, a. a. 0 . , S. 286; vgl. auch S. 267. 6?

S i e h e K a p . I, S . 3 0 f. Ä h n l i c h a u c h PFEIL UND KLEIN-ELLGTTTH, a . a . 0 . , S . 2 5 9 f.

68 DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 3, 2. Aufl., a. a. 0 . , S. 169f. 6 9 SYBEL, H. v., Die deutsche Nation und das Kaiserreich, i n : Universalstaat oder Nationals t a a t . D i e S t r e i t s c h r i f t e n v o n H . v . SYBEL u n d J . FICKER z u r d e u t s c h e n

Kaiserpolitik

des Mittelalters, hrsg. u. eingeleitet von SCHNEIDER, F., Innsbruck 1941, S. 186f.: „Das Wesentliche ist, daß unsere gesamte Geschichte vom 9. zum 10. J h . eine Bewegung vom Weltreiche zum Nationalstaate, daß sie nicht allein das Werk dynastischer und kirchlicher Interessen, sondern durch und durch erfüllt mit dem Wirken und Wachsen nationaler Regungen ist", bringt in extremer Zuspitzung einen Standpunkt zum Ausdruck, der in vielen Werken, oft mehr oder weniger abgeschwächt, zu finden ist. Eines der unrühmlichsten Beispiele aus neuerer Zeit ist ZATSCHEK, H., Das Volksbewußtsein. Sein Werden i m Spiegel der Geschichtsschreibung, Brünn/Wien/Leipzig 1936, der S. 42 die feindseligen Äußerungen Karls des Kahlen gegen seinen Bruder, die Meginhard unter dem J a h r e 876 bringt, als Zeichen dafür wertet, „daß die Franzosen schon sehr früh den Mund vollzunehmen pflegten." 70 71

HESSLEE, N a t i o n a l g e f ü h l , a . a . 0 . , S . 3 7 . LINTZEL, A n f ä n g e , a . a . O., S . 6 6 ; TELLENBACH,

Entstehung,

3. Aufl.,

a. a.

0.,

S. 103. n A n n . F u l d . a d a . 8 6 5 , 8 7 1 , 8 7 5 , e d . KÜRZE, a. a . 0 . , S . 6 3 , 7 4 , 8 4 .

59

Italia"73 bezeichnet, nie als „imperator"7i. Wie Rudolf schwächt also auch sein Fortsetzer den Kaisertitel des Lotharsohnes durch Hinzusetzen einer geographischen Bezeichnung ab. 75 Obwohl Ludwig sich bemühte, die Pflichten zu erfüllen und die Rechte zu wahren, die das Kaisertum ihm auferlegte 76 , sah man diesseits der Alpen nicht mehr als einen Kleinkaiser in ihm 77 . Sein Herrschaftsgebiet erscheint 875 und später als „regnum Italiae" oder „regnum Italicum"78, einmal auch als „regnum Langobardorum"79; allerdings finden wir es auch als „regio" oder „provincia" bezeichnet. 80 Ein differenzierter Gebrauch ist hier nicht zu erkennen, wahrscheinlich weil Italien doch außerhalb des eigentlichen Blickfeldes unseres Annalisten lag. Maginhard verwendete somit, wie wir sehen, den antiken Landesnamen Italia, der sich zur Benennung des damaligen Unterkönigreiches schon unter Karl dem Großen eingebürgert hatte. 8 1 Daß dieses Land stets eine gewisse Sonderstellung einnahm, kam unserem Autor dabei zustatten. 82 Nördlich der Alpen dagegen mußte er den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen. Die durch den Vertrag von Verdun und danach durch die Teilung des Mittelreiches 855 entstandenen Herrschaftsgebiete waren teilweise schon von Rudolf personal benannt worden. Hatte dieser doch, worauf bereits eingegangen wurde, von einem „regnum Hlutharii" Ebenda ad. a. 870 und 878, S. 72 und 91. Ferner erscheint er ad a. 868 als Bruder Lothars II., ad a. 874 als Nefie Ludwigs des Deutschen: ebenda, S. 67 und 82. 74 Insofern ist EWIG, Beobachtungen, a. a. 0 . , S. 128, Anm. 168, zu berichtigen. '5 PFEIL, E., Die fränkische und deutsche Romidee des frühen Mittelalters, München 1929, S. 169 (Forschungen zur mittelalterlichen und neueren Geschichte, hrsg. v. BBAOKMANN, A., u. a.,); DOPSOH, A., Der Reichsgedanke zur Zeit der Karolinger, in: Das Reich, Idee und Gestalt, Festschrift für HALLEE, J., zu seinem 75. Geburtstag, Stuttgart 1940, 73

S . 1 4 3 ; HESSLEB, N a t i o n a l g e f ü h l , a . a . 0 . , S . 4 1 m i t A n m . 1 5 7 . SCHULZE, K a i s e r p o l i t i k ,

a. a. 0., S. 16 mit Anm. 5, weist auf Parallelen in den Annales Bertiniani hin. 76 Als Zeugnis hierfür dient die bekannte Ludowici II. imperatoris epistola ad Basilium I. imperatorem Constantinopolitanum missa (871), rec. W. HENZE in: MG. Epp. VII, Berlin 1928, S. 385ff. Vgl. DöLGEB, F., Europas Gestaltung im Spiegel der fränkisch-byzantinischen Auseinandersetzung des 9. Jahrhunderts, in: Der Vertrag von Verdun 843, hrsg. v. MAYEB, TH., Leipzig 1943, S. 229ff.; MOHB, Reichsidee, a. a. 0 . , S. 14811.; HALPHEN, L., Charlemagne et l'empire carolingien, Paris 1947, S. 417; FISCHER, J., Oriens — Occidens — Europa. Begriff und Gedanke „Europa" in der späten Antike und im frühen Mittelalter, Wiesbaden 1957, S. 95 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Bd. 15, Abt. Universalgeschichte, hrsg. v. GÖHBING, M.). 7 7 ERDMANN, Forschungen, a. a. O., S. 28f.; PFEIL UND KLEIN-ELLGUTH, a. a. 0., S. 198. EBDMANN nennt S. 29 als Erscheinungsformen des spätkarolingischen Kaisertums „das nurrömische oder italienische Kleinkaisertum einerseits, das gesamtfränkische und dabei ebenfalls römische Suprematiekaisertum andererseits." A n n . F u l d . a d a . 8 7 5 , e d . KUBZE, a . a . O . ,

78

S . 8 4 f . ; a d a . 8 7 8 , S . 9 1 f . NEUSS,

a.a.O.,

S. 87. 7®

A n n . F u l d . a d a . 8 7 9 , e d . KUBZE, a . a . 0 . , S . 9 3 . EWIG, B e o b a c h t u n g e n , a . a . 0 . , S . 1 2 8 ,

80

vermutet, Meginhard wolle hier das einstige Langobardenreich vom fränkischen Italien, das mit dem Kirchenstaat verbunden war, unterscheiden. provincia: Ann. Fuld. ad a. 877, ed. KURZE, a. a. 0 . , S. 90; regio: ebenda und ad a. 883,

81

Die Belege sind im Register der Ausgabe angeführt. EWIG, Beobachtungen, a. a. 0 . , S. 128.

82

STENGEL, R e g n u m u n d I m p e r i u m , a . a . 0 . , S . 1 7 6 ff.

S . 100.

60

gesprochen und darunter sowohl das Reich Lothars I. als auch später das Lothars I I . verstanden. 83 Meginhard nun verwendete diesen Begriff ebenfalls und leitete ihn, wie die meisten Quellen seiner Zeit, von Lothar I I . ab. Das wird deutlich, wenn er zu 883 verzeichnet, daß damals Hugo, der Sohn Lothars und der Walderada, sich das Reich seines Vaters unterwerfen wollte. 84 Hier findet sich expressis verbis, was Mohr aus dem Sprachgebrauch der Annales Bertiniani und der Annales Xantenses abgeleitet hat. 8 5 Unser Autor begann erst 869, bei Beschreibung des Todes Lothars II., von einem „regnum Hlotharii" zu sprechen. Wie er schreibt, wollte der genannte Herrscher nämlich nach seiner erfolglosen Romreise „in regnum suurn" zurückkehren, starb jedoch unterwegs in Piacenza. 8 6 Direkt wird der Begriff dann wenig später angeführt, als Karls des Kahlen Einfall in das „regnum Hlotharii" erzählt wird. Meginhard mußte ihn hier verwenden: er war gezwungen, in diesem Zusammenhang von einem regnum zu sprechen, um Karls angebliches Kaisertum mit der Wendung „quasi duo regna possessurus" hegemonial begründen zu können. 87 Während auch bei der kurz darauf erfolgenden Meersener Teilung das „regnum Hlotharii" deren Objekt ist, verschwindet es danach für längere Zeit völlig. Als Ludwig der Deutsche im J u n i 871 das ihm zugefallene Ostlotharingien durchzieht, heißt es in unseren Ann^len: „ad occidentem profectus locaad se pertinentia peragravit Vgl. auch im II. Teil, S. 241.

57

Ann. X a n t . ad a. 833, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S. 8 : „. . . imperator vero . . . coniuge simul et regno privatus . . . in dominium filiorum advenit. Qui miserunt eum in custodiam puplicam in Suessionis civitate similiterque coniugem illius. Collatione autern eorum peracta, tripertitum est regnum Francorum . . 6 1 Siehe S. 142. «o Siehe S. 135 mit Anm. 53. 62 Ann. X a n t . ad a. 840, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S. 11: „Ludowicus imperator obiit in insula quadam parva Hereni fluminis contra villam regiam, que vocatur Ingulunheim, . . . et ad Sanctum Arnvlfum conditus est. Postea vero Lotharius imperator profectus est de Italia in Franciam concessum sibi a patre possidere regnum." Francia ist das Gebiet nördlich der Alpen, regnum das Gesamtreich; dazu S. 149. 63 Ann. X a n t . ad a. 840, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S. 11: „Cui (sc. Lothario) contra veniens predictus Ludewicus, frater illius, iterum intercapere regnum Orientale-, sed superveniente Lothario ultra Renum flumen, vix sine hello discesserunl a se." Gewiß verstand also Gerward unter „regnum Orientale" die Lande rechts des Rheins. 6« Siehe Kap. I, S. 20ff.; besonders S. 24f. mit Anm. 70. 59

136

S i c h t her a b s o l u t t a d e l n s w e r t e n B e s t r e b u n g e n des Baiernkönigs einen Anflug v o n L e g i t i m i t ä t verleihen. Als fränkisch f a ß t er n o c h i m m e r allein das Gesamtreich. E s i s t i h m daher b e s t i m m t nicht l e i c h t gefallen, über dessen Dreiteilung 8 4 2 und erneut 8 4 3 zu berichten. 6 5 Der Vertrag v o n Verdun h a t t e das Schicksal dieses „Frankenreiches" besiegelt, und so v e r s c h w i n d e t der „regnum"-Begriü für längere Zeit aus d e n X a n t e n e r Annalen. Gerward wird die schnell einsetzende A u s e i n a n d e r e n t w i c k l u n g der Teilstaaten deprimiert verfolgt h a b e n . Seine K o n s t r u k t i o n einer weiter b e s t e h e n d e n E i n h e i t m u ß t e bald in die B r ü c h e gehen. Zu 8 4 4 k o n n t e er i m m e r h i n erwähnen, daß die drei B r ü d e r in D i e d e n h o f e n ihren ersten „ F r a n k e n t a g " a b h i e l t e n 6 6 , z u 850, daß Kaiser L o t h a r und König L u d w i g in d e n Ardennen der J a g d h u l d i g t e n . S c h o n hier findet sich aber das resignierte B e m e r k e n , daß viele über dieses friedliche B e i s a m m e n s e i n e r s t a u n t waren. 6 7 Ein J a h r darauf fand Gerwards W o r t e n zufolge eine „ Z u s a m m e n k u n f t unserer Könige" (conventus regum nostrorum) an der Maas s t a t t . 6 8 E s ist sicher kein Zufall, daß der Annalist an dieser Stelle ein bei i h m selten anzutreffendes Wir-Gefühl z u m Ausdruck b r i n g t 6 9 : die Zusammengehörigkeit der drei regierenden Herrscher u n d 65

Ann. Xant. ad a. 842, ed. v. SmsoN, a. a. 0 . , S. 13: „iterurn tripertito regrw Frarworum"; ad a. 843, ebenda: „Prefati III reges miserunt legatos suos proceres, unusquisque ex parte Sita, ut iterum per descriptas mansas aeque tripertirent regnum Francorum"; erstgenannte Stelle bezogen auf die Zusammenkunft von Magon (15. Juni 842): BM 2 1091 (1057)1 + m. „Iterum" kann hier nur auf die Teilung des Jahres 833 zurückweisen (vgl. das Zitat in Anm. 59), da andere nicht erwähnt werden: SrMSON, Ausg., S. 13, Anm. 3. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit aber bezieht sich das „iterum" in der in Anm. 63 angeführten Stelle über die Absichten Ludwigs des Deutschen auf das gleiche Ereignis, denn 833 ist das Epochenjahr in den Urkunden dieses Herrschers. Vgl. im II. Teil, S. 240.

66

Ann. Xant. ad a. 844, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S. 14: „ . . . Lotharius, Ludewicus atque Karolus convenerunt ad Thiedenhofe et post conlationem eorum in pace discesserunt a se." Über Rudolfs grundsätzlich andere Haltung diesen Zusammenkünften gegenüber siehe Kap. I, S . 27 ff. Ann. Xant. ad a. 850, ed. v. SlMSON, a. a. 0 . , S. 17: „Eodem anno inier duos fratres, Lotharium imperatorem et Ludewicum regem, tanta pax erat, ut in Hosninge simul plurimos dies cum paueis venationi operam dederunt, ita ut multi hoc facto mirarentur, et in pace discesserunt a se." Vgl. auch LÖWE, Studien, a. a. O., S. 93 mit Anm. 5; SCHNEIDER, a. a. O., S. 149 mit Anm. 99. — Daß unter „Hosninge" hier nicht der westfälische Osning

67

[ s o PERTZ i n : M G . S S . I I , S. 2 2 9 , A n m . 2 5 ; STEFFEN, a. a. O . , S . 1 0 3 ; B M 2 1 1 4 3 ( 1 1 0 9 ) a ;

SIMSON, Ausg., S. 17, Anm. 11], sondern ein Teil des Ardennengaus zu verstehen ist, in dem sich Besitz des Klosters Lorsch befand [HÜLSEN, F., Die Besitzungen des Klosters Lorsch in der Karolingerzeit, Berlin 1913, S. 136 mit Anm. 9 (Historische Studien, veröff., v. EBERING, E., Heft 105); Codex Laureshamensis, bearb. u. neu hrsg. v. K. GLÖCKNER, Bd. 3, Darmstadt 1936, nr. 3795, S. 258], zeigt LÖWE, Studien, a. a. 0 . , S. 85. 68

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Nämlich das zweite Treffen Lothars, Ludwigs und Karls zu Meersen im Sommer 851: BM 2 1145 ( l l l l ) a / 1 1 4 6 (1112). Ann. Xant. ad a. 851, ed. V. SLMSON, a. a. 0 . , S. 18. Dieses sonst nur noch ebenda ad a. 846, S. 15: „Boemmanos, quos nos Beuwiniiha vocamus"; Bescheidenheitsfloskel ist dagegen ad a. 847, S. 16: „ad aures nostras". Vor 831 wird Karl der Große dem „rex (!) Grecorum" als imperator noster" gegenübergestellt: ebenda ad a. 811 und 812, S. 4. — „Barcinona civitas Hispaniae, quae iam pridem a nobis desciverat" ad a. 797, S. 2, ist entlehnt aus Annales regni Francorum ad a. 797, ed. KURZE, a. a. O . , S . 1 0 0 .

10'

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damit auch \hrer Herrschaftsgebiete wird hierdurch noch einmal stark betont, denn in die Wir-Gruppe sind alle Bewohner des ehemaligen Einheitsreiches eingeschlossen. Diesem fühlte sich Gerward zugehörig, nicht einem der neuen Reiche; für sie brachte er keine S y m p a t h i e a u f . In der Folgezeit ist die einmalige Erwähnung des weit abgelegenen Aquitanien als „regnum"70 von geringerem Gewicht als zwei andere Notizen in den äußerst k n a p p gefaßten letzten Jahresberichten Gerwards. Wenn er zu 858 bemerkt, L u d w i g der Deutsche habe einen „conventus populi sortis suae" in Worms abgehalten 7 1 , so kennzeichnet er dessen Machtbereich deutlich als Teil eines größeren G a n z e n 7 2 . Und wenn es weiter im Jahresbericht zu 860 heißt: „. . . rex rever sus est de Gallia, depravato omni regno et in nihilo emendato"73, dann ist an dieser kurzen und — wie nicht anders zu erwarten — betont negativen Einschätzung von Ludwigs des Deutschen westfränkischem Unternehmen auffällig, daß sie nicht von der Wirkung auf die Gallia allein ausgeht. Das ganze Reich — anders kann der Ausdruck „omne regnum" nicht verstanden werden 7 4 —ist nach A u f f a s s u n g des Annalisten durch Verschulden des ostfränkischen Königs zugrunde gerichtet worden. Ludwig wird hier mit dem bloßen rex bezeichnet, was von der bisherigen Gewohnheit, die karo70

Ann. Xant. ad a. 855, ed. v. SIMSON, a . a . O . , S. 18: „Ludewicus rex orientalis fUium suurn et convocum in Aquitaniam accipere sibi regnum patruelis sui Pippini."

71

Ann. Xant. ad a. 858, ed. v. SIMSON, a. a. O., S. 18: „Ludewicus rex orientalis conventum populi sortis suae apud Wangionam habuit." Dieselbe Formulierung noch einmal im zweiten Teil: ebenda ad a. 866, S. 23: „Et Ludewicus rex orientalis aestivo tempore conventum populi sortis suae habuit ad Franconoford." Vgl. HESSLEB, Nationalgefühl, a. a. O., S. 50 mit Anm. 37. — Im Gegensatz zu sors sind provincia und regio sehr unbestimmt gebraucht. Mit jenem Terminus belegt der continuator die Kölner Kirchenprovinz (Ann. Xant. ad a. 865, ed. v. SLMSON, a. a. 0 . , S. 22; vgl. DüMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 2, 2. Aufl., a. a. O., S. 77 mit Anm. 1; Regesten der Kölner Ebfe., bearb. v. OEDIGER, Bd. 1, a. a. 0 . , nr. 197, S. 66); aber auch Sachsen (Ann. Xant. ad a. 867, ed. v. SLMSON, a. a. 0 . , S. 24), Burgund und Gallien (ebenda ad a. 869, S. 26). Die britannischen Küsten sind „transmarinas regiones" (ebenda ad a. 873, S. 32); im gleichen Satz erscheint Friesland als „regio". Ähnlich wie hier war schon ad a. 842, S. 13, von der „regio Ripuariorum" gesprochen worden; daß dieser Ausdruck auf den Überarbeiter zurückgeht, nehmen STEFFEN, a . a . O . , S. 98; HESSLER, Nationalgefühl, a . a . O . , S. 46, Anm. 14; LÖWE, Studien, a . a . O . , S. 81, Anm. 3, an. „e regione" = gegenüber: Ann. Xant. ad a. 871, ed. v. SIMSON, a. a. O., S. 29. — Wenn ebenda ad a. 868, S. 26, geschrieben wird: „Liudbertus episcopus Saxoniae. . . parrochiam Guntarii ab orientali parte procuravit", so ist unter orientalis pars der im Reiche Ludwigs des Deutschen gelegene Teil der Kirchenprovinz Köln begriffen: SIMSON, Ausg., S. 26, Anm. 6; LÖWE, Studien, a. a. O., S. 82; Regesten der Kölner Ebfe., bearb. v. OEDIGER, Bd. 1, a. a. 0 . , nr. 215, S. 72.

misit Vgl.

N E U S S , a . a . O . , S . 1 1 9 m i t A n m . 1.

72

73 74

Ann. Xant. ad a. 860, ed. v. S L M S O N , a. a. O., S. 19. Da MOHR, Die Krise, a. a. O., S. 199f., unsere Stelle übersetzt: „Der König kehrte aus Gallien zurück, des ganzen Reiches beraubt und in nichts gebessert", ist er wohl einer Verwechslung von depravare und privare zum Opfer gefallen. Daß hier aber nicht allein vom Westreich die Rede ist, was sich aus genannter Übersetzung zwangsläufig ergeben würde, zeigt der bisherige Gebrauch des Terminus „regnum" und vor allem der Zusatz „omne" sehr deutlich.

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lingischen Könige stets mit Namen anzuführen 75 , abweicht 76 . Deshalb will Löwe die Fassung unserer Stelle auf einen Eingriff des Kölner Fortsetzers zurückführen, der jGerwards vom westfränkischen und lotharingischen Standpunkt aus geübte Kritik an Ludwigs Politik weitgehend gemildert habe 7 7 . Aber sie ist noch immer stark genug, und gegen Löwe muß auf die Anwendung des Königstitels durch den continuator Gerwards verwiesen werden. Auch er spricht nämlich von Ludwig dem Deutschen — abgesehen von kollektiven Zusammenfassungen mehrerer Herrscher als reges, die gleich zu erörtern sind — erst im letzten uns erhaltenen Jahresbericht (873) als dem „rea;".78 Daher kommt man dem Sinngehalt der Stelle zu 860 wohl eher näher, wenn man, die eben skizzierte Reichsauffassung Gerwards zugrunde legend, die Frage stellt: Wurde hier der bloße Königstitel verwendet, weil sich dieser von Ludwigs Gewaltmaßnahme gegen Westfranken noch einmal eine Gesamtzusammenfassung des alten Reiches erhofft hatte? Sollte das die emendatio sein, und lag soviel Enttäuschung in dem kurzen Satz, weil sie mißlang? Eine solche Annahme gewinnt ihre Berechtigung nicht zuletzt daraus, daß nunmehr, mit dem Einsetzen des zweiten Teiles, regnum als Bezeichnung für das Gesamtreich aus den Annalen verschwindet, beim Kölner Annalisten mithin Gerwards Sprachgebrauch nicht mehr zu finden ist 79 . In seinen ersten acht Jahresberichten wird der Reichsbegriff überhaupt nur zweimal verwendet, jedoch in überaus bezeichnender Weise. Zu 862 heißt es: „Iam enim dissensio regum nostrorum et desolatio paganorum per regna nostra fastidiosum est enarrare", während unter dem Jahre 868 notiert wird: „Deinde autumnali tempore exiit edictum a regibus, ut ieiunium triduanum generaliter obsercaretur, inminente terrore famis, pestilentiae, et terrae motus magnus per regna, ita ut desperatio humanae vitae plurimis accidit."80 Hier wie dort werden, gewiß nicht zufällig, reges und regna zusammen genannt. Aber es wird eben nicht mehr von d e m regnum, sondern von regna im Plural gesprochen. Somit zeigt sich der Konflikt zwischen dem auch vom continuator zäh festgehaltenen Ein-

heitsideal 8 1 und der politischen Realität, der immer stärkeren Auseinanderentwicklung der einzelnen Reiche: dieser trug unser Verfasser Rechnung, indem er, anders als Gerward, ihr Bestehen in seiner Terminologie berücksichtigte; daß jenes ihn Außer an einigen Stellen, wo mehrere Herrscher zusammengefaßt werden, zum Beispiel Ann. X a n t . ad a. 8 4 3 ; „prefati III reges" (das Zitat in Anm. 65). '6 Siehe S. 1 4 1 und 144. 7 7 LÖWE, Studien, a. a. O., S. 9 4 f . , Anm. 5. Vgl. auch FATJCK, a. a. 0 . , S. 44 mit Anm. 134. 7 8 Ann. X a n t . ad a. 873, ed. v . SIMSON, a. a. 0 . , S. 3 2 : dreimal. — W e n n LÖWE, Studien, a. a. 0 . , S. 62f., A n m . 7, gerade in der Verwendung des bloßen „rex" ein Indiz f ü r einen Eingriff des Kölner Fortsetzers sieht und darauf hinweist, daß Ludwig „vorher immer (?) als rex orientalis erscheint", so ist dies „allerdings unsicher" — schon deshalb, weil der Ostfrankenherrscher noch zu 866, 870, 8 7 1 und 873 als rex orientalis, erst hiernach aber als rex begegnet; siehe dazu S. 146. Auf diese Weise kann die singulare Verwendung des bloßen Titels zu 8 6 0 nicht erklärt werden. 7 9 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß er „regnum" auch nie f ü r das Westreich gebraucht, obwohl das von der Reichsauffassung, wie sie in seinen letzten Jahresberichten zum Ausdruck kommt, her möglich wäre. 8 0 Ann. X a n t . ad a. 862 und 868, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S. 20 und 26. HESSLEB, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 50 mit Anm. 3 7 ; NEUSS, a. a. 0 . , S. 43. 8 1 HESSLEK, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 5 0 ; LÖWE, Studien, a. a. 0 . , S. 63, Anm. 2.

75

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nicht weniger als seinen Vorgänger beseelte, macht die kollektive Zusammenfassung deutlich: keines der Teilreiche erscheint als gesondertes regnum. Darüber hinaus begegnet zu 862 ein Wir-Gefühl, das sich in nichts von dem Gerwards unterscheidet. Es umspannt immer noch den Rahmen des ehemaligen Gesamtreiches. Wenn der Annalist nicht nur die Könige, sondern auch die Reiche als „unsere" bezeichnet 82 , so zeigt dies nachdrücklich, wie sehr er sich — trotz aller terminologischen Modifikationen, zu denen er gezwungen wurde — dem Einheitsideal verhaftet fühlte. Erst seitdem er im Jahresbericht zu 869 ausführlich über die damaligen staatlichen Zustände in fränkischen Landen gehandelt hatte, gab er es weitgehend auf. Mit einer Motivierung echt im Geiste unserer Annalen ist dieser Rundblick eingeleitet: der Prophet hat einst verkündet: „propter peccata terrae multi principes eius"83, und so herrschen „in regno quondam Karoli Magni" jetzt vier Könige — Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle, beide Söhne Kaiser Ludwigs, daneben Ludwig I I . und Lothar I I . , die Nachkommen des Kaisers Lothar. Alle vier Herrscher werden in knappen Worten charakterisiert, wobei sie, von Ludwig dem Deutschen abgesehen, nicht sehr gut wegkommen; weiter werden die ihnen Untertanen Gebiete bzw. Völkerschaften aufgezählt. 84 Und von j e t z t ab läßt unser Autor endlich die einzelnen Herrschaftsgebiete aus dem kollektiven Verband heraustreten, erkennt sie voll als selbständige Reiche an. Zum J a h r e 871 spricht er vom regnum quondam, Lotharii85, 8 6 im übernächsten Jahresbericht vom regnum Ludwigs des Deutschen . E r hat sich mit den Tatsachen abgefunden, die in einem historiographischen Werk nun einmal vordringlich zu berücksichtigen waren. Es ging auf die Dauer nicht an, ständig Wunschvorstellungen zu huldigen und ihnen zuliebe sich auf resignierte Bemerkungen zu beschränken wie die oben zitierte: er sei es überdrüssig, von der Zwietracht der karolingischen Könige zu erzählen. So wird die Darstellung des Kölner Annalisten gegen den Schluß hin umfassender und detaillierter, und es kommt in ihr eine Reichsauffassung zum Tragen, die sich in vielem mit der anderer Autoren, zum Beispiel Meginhards von Fulda, deckt. 82

Vgl. auch die in Anm. 41 zitierte Stelle zu 873: „per terras nostras". — Ann. Xant. ad a. 868, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S. 25: „Iesus Christus dominus noster" dokumentiert christliches Gemeinschaftsbewußtsein.

83 Vgl. HESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 5 0 ; LÖWE, Studien, a.a. 0 . , S. 63, Anm. 2.

Das vollständige Zitat siehe S. 145. Ann. Xant. ad a. 871, ed. v. SIMSON, a. a. 0., S. 29: „Karolus rex Galliae regnum quondam Lotharii cum elatione magna invasit, Aquisgrani palatium consedit, affirmans se totum regnum absque ullius gratia in proprietatem usurpare velle .. ." Zu Lebzeiten Lothars II. wurde sein Reich als „Ripuaria" bezeichnet; vgl. S. 148. Mit seinem Tode und der danach eintretenden Neuregelung der Verhältnisse wird nach MOHB, Lothringischer Name, a. a. 0., S. 328 (vgl. jetzt auch DEMSELBEN, Die Rolle Lothringens, a. a. 0., S. 371) die in diesem Begriff liegende Selbständigkeit verwischt. Die Bezeichnung „regnum Lotharii" ist daher seiner Auffassung nach als eine Art Reminiszenz aufzufassen. 86 Ann Xant. ad a. 873, ed. v. SIMSON, a. a. 0 . , S . 31: „Ludewicus rex orientalis placitum publicum. . .ad Vadum-Francorum celebravit. Ibique venerunt contra eum duo filii eius,. . . convocus et Karolus,. . . patrem regno privare et in custodiam mittere." Zu „regnum Francorurn" im gleichen Jahresbericht siehe unten in Anm. 165. — Ad a. 872, S. 30: „regnum Margorum".

84

85

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In den vorstehenden Ausführungen ist verschiedentlich die Herrschertitulatur gestreift worden. Sie soll jetzt im Zusammenhang behandelt werden. Gerward nennt Ludwig den Frommen einige Male „imperator", an anderen Stellen aber „Ludewicus imperator"®1. Gewiß fügt er den Namen des alten Kaisers hier nicht deshalb bei, um ihn von seinem Sohn und Mitkaiser Lothar zu unterscheiden; denn dieser wird erst nach dem Tode seines Erzeugers als Kaiser angesehen. Eher möglich wäre es, daß der imperator-Titel Ludwig den Vater von seinem gleichnamigen dritten Sohn absetzen soll, der ihm zu 833 als „Lodewicus rex Beguariae" entgegentritt. 8 8 Aber auch diese Erklärung trifft längst nicht immer zu. 89 Ludwig der F r o m m e erscheint auch im zweiten Teil als Kaiser, wenn unter dem J a h r e 869 Ludwig der Deutsche als „filius imperatoris Ludevcici" vorgestellt wird. 9 0 Aber in einer Notiz zu 866 heißt es: „Liudolfus comes a septentrione et in Italia Everwinus, gener Ludewici regis, rrfagnifici viri, de hac luce subtracti sunt."9i Da der hier Everwin genannte Markgraf Eberhard von Friaul mit Gisla, einer Tochter Ludwigs des Frommen, vermählt und demzufolge dessen Schwiegersohn war, glaubte m a n bisher, an dieser Stelle sei der alte Kaiser irrtümlich als König bezeichnet worden. 9 2 Obwohl seine Gemahlin J u d i t h im selben Jahresbericht als regina begegnet 9 3 , halte ich dies nicht f ü r richtig. Unter „Ludewicus rex" versteht unsere Quelle zu Anfang der sechziger J a h r e stets Ludwig den Deutschen 9 4 , und hier liegt sicher keine Ausnahme von dieser Regel vor. Da „gener" im Mittellatein nicht n u r „Schwiegersohn", sondern auch „Schwager" heißen kann, der Ostfrankenherrscher aber der Schwager Eberhards war — wenn auch Gisla und er nicht dieselbe Mutter h a t t e n —, trifft das hier gegebene Verwandtschaftsverhältnis auch auf ihn zu. Wie vage im übrigen manche Verwandtschaftsbezeichnungen erzählender Quellen sind, zeigt die Tatsache, daß der bairische Fortsetzer der Fuldaer Annalen Karl den Einfältigen wie den bairischen Grafen Luitpold als nepos Arnulfs von Kärnten bezeichnete. 9 5 In welchem 87

imperator: ebenda ad a. 831 (zweimal), 832, 833, S. 7f.; Ludewicus imperator: ad a. 832, 834 (zweimal), 835 und 840, S. 8f. und 11. P f e i l und K l e i n - E l l g u t h , a. a. 0., S. 126. 88 Ann. Xant. ad a. 832, ed. v. Simson, a. a. 0., S. 8: „. . . aestivo tempore, Ludemco imperatore morante apud Magontiam civitatem, obviam venit ei filius eius Lodewicus rex Beguariae, rebellare paratus contra patrem, et non potuit"; vgl. auch ad a. 834 (Zitat in Anm. 99) und ad a. 835, S. 9: „Ludewicus imperator cum convoco suo". 89 Vgl. ebenda ad a. 840 (Zitat in Anm. 62); auch zum Beispiel ad a. 819-823, 826, 829, S. 6 f. 90 Das Zitat siehe S. 145. 91 Ann. Xant. ad a. 866, ed. v. Simson, a. a. 0., S. 23. 92 Simson, Ausg., S. 23, Anm. 2; Rah, R., in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, Bd. 2, Berlin o. J., S. 357, Anm. 3 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, hrsg. v. Bttohner, R., Bd. 6). Vgl. Simson, Jbb. Ludw. d. Fr., Bd. 2, a. a. 0., S. 154; Hofmeisteb, Markgrafen und Markgrafschaften, a. a. O., S. 319. 93 Jedoch mit dem Zusatz „quondam": Ann. Xant. ad a. 866, ed. V. SlMSON, a. a. 0., S. 23. Gerward nennt sie ebenda ad a. 843, S. 13: „Iudhit imperatrix, mater Karoli"; vgl. auch die Jahresberichte zu 833 und 834. 94 Vgl. S. 146 mit Anm. 128. 95 „nepos regis": Ann. Fuld., cont. Rat., ad a. 894, ed. KraZE, a. a. O., S. 125 (Karl der Einfältige); ad a. 895, ebenda (Luitpold).

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Grade Luitpold mit seinem König verwandt war, wissen wir nicht genau 96 ; Karl aber war weder Arnulfs Neffe noch sein Enkel. Bei der Interpretation von nepos, gener u. ä. ist daher oft Vorsicht geboten. Pippin I. wird zu 833, Pippin I I . zu 844 als „rex A(e)quitaniae" in unser Werk eingeführt 9 7 ; spätere Erwähnungen beider weisen den Königstitel nicht auf 9 8 . Für Lothar I. nehmen die Xantener Annalen in ihrem Beginn deutlich Partei, so wenn 834 berichtet wird, sein Bruder Ludwig habe einen „arglistigen" Anschlag auf ihn, dem er im verflossenen Jahr alle Treue gelobt hatte, ausgeübt. 99 Dessenungeachtet begegnet er, solange Ludwig der Fromme am Leben ist, nur als „Lotharius"i0°; der Kaisertitel wird ihm noch vorenthalten. „Lotharius imperator" ist er erst, als er nach dem Tode des Vaters 840 das ihm überlassene Reich in Besitz zu nehmen gedenkt. 101 Schon im nächsten Jahresbericht spricht Gerward dann im Zusammenhang mit den Zwistigkeiten zwischen den Brüdern einmal von ihm als dem imperator; der Name ist hier fortgefallen. Sicher sieht unser Annalist zu dieser Zeit in Ludwigs des Frommen ältestem Sohn den Exponenten der Reichseinheit und in dessen Kampf mit Ludwig und Karl einen erlaubten Weg, sie durchzusetzen 102 . Jedoch währt das nicht lange. Bald darauf wendet er sich von Lothar ab. Gewiß hat hierzu der Stellingaaufstand in Sachsen, den er scharf tadelt 103 , entscheidend beigetragen. Da sich Gerward, wie schon bemerkt, über sächsische Angelegenheiten gut unterrichtet zeigt 104 , wird ihm nicht verborgen geblieben sein, daß Lothar die Bewegung der dortigen Freien und Liten schürte. Noch verschwieg er dies, vielleicht aus alter Anhänglichkeit an den Kaiser. Indes ist — und das hat Hessler nachdrücklich betont — die Niederwerfung der Stellinga durch Ludwig 842 die erste Maßnahme dieses Herrschers, die in den Annalen lobend hervorgehoben wird. 105 Ich kann Löwe nicht beistimmen, wenn er behauptet, in der offenen Befriedigung, die aus den Worten „Ludewicus . . . servos Saxonum süperbe elatos nobiliier afflixit et ad propriam naturam restituit"106 hervorleuchtet, liege kein Zeichen eines ParteiREINDEL, Luitpoldinger, a. a. 0., nr. 2, S. 3; DERSELBE, Herzog Arnulf, a. a. 0., S. 234 f. Ann. Xant. ad a. 831 und 844, ed. v. SlMSON, a. a. 0., S. 7 und 13. 38 Ebenda ad a. 832, 833, 835, 855, S. 8 f. und 18. 99 Ebenda ad a. 834, S. 9: „Morante Ludewico imperatore in custodia, füius Ludewicus astute cogitans contra fratrem suum Lotharium, cui priori anno omnem fidem promiserat, insidias molitus est"; vgl. ebenda: „Ludewicus vero imperator et coniunx eius persecuti sunt 96

97

Lotharium".

M E Y E R VON

KNONATT, N i t h a r d ,

a.a.O.,

S. 9 1 m i t

A N M . 524;

STEFFEN,

a. a. 0 . , S. 103F.; HESSLEB, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. O . , S. 4 8 f . ; OEDIGER, A n a l e c t a , a. a. 0 . , S. 33 m i t A n m . 5 ; L Ö W E , S t u d i e n , a. a. 0 . , S. 94 m i t A n m . 5 ; FAUCK, a. a. 0 . , S. 42F. K » A n n . X a n t . a d a. 833 u n d 834, e d . v . SIMSON, a. a. 0 . , S. 8 f . 101

Ebenda ad a. 840; das Zitat in Anm. 62. Gegen STEFFEN, a. a. 0., S. 104f., der an dieser Stelle keine Parteinahme für Lothar ausgedrückt sieht, wandten sich mit Recht FAULHABER, R., Der Reichseinheitsgedanke in der Literatur der Karolingerzeit bis zum Vertrag von Verdun, phil. Diss. Berlin 1931, S. 83, Anm. 28, und LÖWE, Studien, a. a. 0., S. 66 mit Anm. 1.

102

A n n . X a n t . a d a. 841, e d . v . SIMSON, a. a. 0 . , S. 11. HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. 0 . ,

S. 48. «>3 Ebenda, S. 49. 105

W4 siehe S. 133 mit Anm. 33.

HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. 0 . , S. 4 9 ; F A U C K , a. a. O., S. 43.

106 A n n . X a n t . ad a. 842, e d . v . SIMSON, a. a. 0 . , S. 13.

142

w e c h s e i s ; hier s p r ä c h e n u r der V e r t r e t e r des A d e l s , d e r sich m i t seinen sächsischen S t a m m e s g e n o s s e n solidarisch f ü h l t e u n d d a h e r die E r h e b u n g d e r u n t e r e n S c h i c h t e n v e r u r t e i l t e , d a n e b e n a u c h d e r Geistliche, d e r die G e f a h r eines R ü c k f a l l s d e r S a c h s e n ins H e i d e n t u m b e f ü r c h t e t e . 1 0 7 Das l e t z t e ist b l o ß e V e r m u t u n g . S o b e s o r g t G e r w a r d sonst u m die c h r i s t l i c h e K i r c h e w a r — d a ß die S t e l l i n g a eine B e d r o h u n g f ü r sie bed e u t e t e n , sagte er n i c h t . 1 0 8 E r s c h ä t z t e i h r e A k t i o n ganz r i c h t i g als das ein, w a s sie w a r : als eine g e f ä h r l i c h e E r h e b u n g , w e l c h e z u m Ziel h a t t e , die in S a c h s e n seit d e r f r ä n k i s c h e n E r o b e r u n g b e s t e h e n d e n gesellschaftlichen V e r h ä l t n i s s e m i t G e w a l t z u g u n s t e n d e r U n t e r d r ü c k t e n zu v e r ä n d e r n . G e r a d e d a r u m m u ß t e er, d e r A p o l o g e t d e r h e r r s c h e n d e n K l a s s e , L u d w i g s E i n g r e i f e n als h ö c h s t v e r d i e n s t v o l l e m p f i n d e n , d e n n es sicherte diese V e r h ä l t n i s s e u n d stellte sie, w o es nötig w a r , w i e d e r her. S e i n e S y m p a t h i e f ü r die h a r t e n M a ß n a h m e n , die L u d w i g z u r A n w e n d u n g b r a c h t e , b e w e i s t er d u r c h des W o r t „ n o b i l i t e r " . E r r ü h m t U n t e r d r ü c k u n g u n d d r a k o n i s c h e S t r a f g e w a l t und o f f e n b a r t d a m i t ein G e f ü h l , d a s uns v e r s t ä n d l i c h , a b e r h a s s e n s w e r t e r s c h e i n t . Die P a l m e , die er L u d w i g reicht, h a t w e l k e B l ä t t e r . G e r w a r d zeigt sich d e m o s t f r ä n k i s c h e n K ö n i g auch in der Folgezeit g e w o g e n e r als d e n ü b r i g e n karolingischen H e r r s c h e r n . E r n t e t e n L u d w i g s H a n d l u n g e n v o r 8 4 2 o f t Mißbilligung o d e r strenge K r i t i k 1 0 9 , so w i r d j e t z t v o n m e h r e r e n seiner g ü n s t i g v e r l a u f e n d e n F e l d z ü g e gegen die O b o d r i t e n (Winidi, Winodi) N a c h r i c h t g e g e b e n 1 1 0 ; f e r n e r eine Niederlage, die sein H e e r d u r c h die B ö h m e n e r l i t t , m i t seiner K r a n k h e i t e n t s c h u l d i g t 1 1 1 . Dies w ü r d e w e n i g besagen, zeigte sich die d ü s t e r e B e t r a c h t u n g s 107 LÖWB, S t u d i e n , a. a . 0 . , S. 95. 1 0 8 A n n . X a n t . a d a. 841, ed. v . SIMSON, a. a. 0 . , S. 12, h e i ß t es n u r : „Eodern anno per totam Saxoniam potestas servorum vahle exereverat super dominos suos, et nomen sibi usurpaverunt Stellingas et multa inrationabilia conmiserunt. Et nobiles illius patriae valde afflicti et humiliati sunt." V g l . d a g e g e n N i t h a r d lib. IV, c. 2, ed. MÜLLER, a . a . 0 . , S. 4 2 ; A n n a l e s B e r t i n i a n i ad a. 8 4 1 u n d 842, ed. WAITZ, a. a. 0 . , S. 26 u n d 28. — Ü b e r die a m S t e l l i n g a auf s t a n d b e t e i l i g t e n K l a s s e n u n d S c h i c h t e n , ü b e r seinen V e r l a u f , seine A u s w i r k u n g e n auf die R e i c h s g e s c h i c h t e u n d seine E i n s c h ä t z u n g e x i s t i e r t eine r e c h t u m f a n g r e i c h e m a r x i s t i s c h e L i t e r a t u r a u s j ü n g s t e r Zeit. Es seien als A u s w a h l g e n a n n t : SCHULZE, H. J . , Der A u f s t a n d der S t e l l i n g a in S a c h s e n u n d sein E i n f l u ß auf den V e r t r a g v o n V e r d u n , p h i l . Diss. B e r l i n 1955 ( M s . ) ; BARTMTJSS, Zur F r a g e der B e d e u t u n g des S t e l l i n g a a u f s t a n d e s , a . a. 0 . , S. 113—124; DERSELBE, Die Genesis der F e u d a l g e s e l l s c h a f t in D e u t s c h l a n d , a . a . 0 . , S. 1 0 0 6 f f . ; EPPERLEIN, S a c h s e n i m f r ü h e n M i t t e l a l t e r , a . a. O., S. 189 ff.; DERSELBE, H e r r s c h a f t u n d V o l k i m k a r o l i n g i s c h e n I m p e r i u m , B e r l i n 1969, S. 5 0 f f . ( F o r s c h u n g e n zur m i t t e l a l t e r l i c h e n Geschichte, h r s g . v . HEITZ, G., u. a., B d . 14); v g l . z u m l e t z t e n W e r k m e i n e B e m e r k u n g e n : F o r m e n der sozialen A u s e i n a n d e r s e t z u n g i m f r ü h m i t t e l a l t e r l i c h e n F r a n k e n r e i c h , i n : J a h r b u c h f ü r W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e 1971, Teil I V , S. 273 ff. F ü r eine n e u e S i c h t p l ä d i e r t j e t z t HERRMANN, a . a. 0 . , S. 7 7 1 f . Das l e t z t e W o r t ist hier noch n i c h t g e s p r o c h e n ; bei einer n o c h m a l i g e n Q u e l l e n a n a l y s e , w e l c h e den g e i s t i gen u n d politischen S t a n d o r t der einzelnen A u t o r e n s t ä r k e r b e r ü c k s i c h t i g t , sind w e i t e r e E r k e n n t n i s s e d u r c h a u s zu e r w a r t e n . 109 Vgl. z u m Beispiel den oben in A n m . 99 z i t i e r t e n B e l e g zu 834 u n d die dort a n g e g e b e n e L i t e r a t u r ; ferner S. 136f. über L u d w i g s B e s t r e b u n g e n i m J a h r e 840. " 0 A n n . X a n t . ad a. 845 u n d 846, ed. v . SIMSON, a . a. 0 . , S. 1 4 f . ; BM2 1386 ( 1 3 4 6 ) a u n d 1387 a. Z u m O b o d r i t e n f e l d z u g von 844 v g l . LÖWE, S t u d i e n , a. a . 0 . , S. 94, A n m . 5. 1 1 1 A n n . X a n t . ad a. 8 4 9 ; d a s Zitat in A n m . 185. HESSLER, N a t i o n a l g e f ü h l , a. a. 0 . , S. 48, A n m . 2 5 ; FAUCK, a . a . 0 . , S . 4 4 .

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weise unserer Annalen nicht auch darin, daß ganz überwiegend unglücklich ausgehende Heerfahrten in ihnen Beachtung finden. Gerward, auf den es hier ankommt, berichtet zum Beispiel 8 4 6 über Karls des Kahlen vergeblichen Zug gegen die Bretonen, 855 über die fruchtlose Invasion Ludwigs des J ü n g e r e n in Aquitanien, 8 6 0 über das Fiasko, das Ludwig der Deutsche in W e s t f r a n k e n erlitt. 1 1 2 Dazu sei erinnert an die ständigen Einfälle der Heiden. J e d e r Lichtblick in dieser Reihe beklagenswerter Vorgänge — und andere als Ludwigs Wendenfeldzüge findet man bei Gerward n i c h t 1 1 3 — ist daher hoch zu bewerten. Und wird die veränderte Haltung unseres Autors, seine Wendung von Lothar zu Ludwig nicht auch durch die Titulatur bestätigt? Dem Namen des Ostfrankenherrschers wird schon 8 4 4 und 845, ständig dann ab 8 4 8 der Königstitel hinzugefügt. 1 1 4 Zwar erscheint sein älterer Bruder weiter als „Lotharius

Imperator"115;

indes man

verspürt den versteckten Vorwurf gegen ihn, wenn Gerward erzählt, im J a h r e 8 4 6 hätten die Normannen das friesische Dorestat und zwei Dörfer v e r b r a n n t „vidente Loihario

imperatore,

cum esset in Noviomago

Hier sah er aus nächster

Nähe 1 1 7 ,

Castro,

sed scelus

ulcisci

nequiverat". 116

daß der Kaiser den Schutz der Kirche gegen die

Heiden zu leisten nicht imstande war. Die folgenden Erwähnungen Lothars als

imperator haben keinen solchen Nebensinn: 8 5 0 wird die wie ein W u n d e r anmutende Eintracht zwischen ihm und König Ludwig herausgestellt 1 1 8 , 8 5 1 der Tod seiner Gattin Irmingard berichtet 1 1 9 . Daß Gerward jedoch Lothar bei kollektiver Erwähl t Vgl. darüber S. 138 f. 113 I m P a r t des Kölner Annalisten sind ostfränkische Heere 870 bis 872 gegen die Mährer siegreich; 864 kämpfen die Sachsen, 873 die Friesen „ a g i l i t e r " gegen die Normannen. Demgegenüber stehen 863 ein mißglückter Zug Ludwigs des Deutschen und angeblich Lothars II. gegen die Wenden [letzterer n a h m entgegen unserem Bericht nicht teil, obwohl er es versprochen h a t t e : BM 2 1296 (1261)b; zum Text KESSLER, Nationalgefühl, a. a. 0 . , S. 50] und 872 eine Niederlage Karlmanns gegen die Mährer. 114

115

A n n . X a n t . a d a . 8 4 4 , e d . v . SIMSON, a . a . O., S . 1 3 : „Ludewicus rex"; e b e n d a , S . 1 4 : „Lotharius, Ludetvicus atque Karolus" ( Z u s a m m e n k u n f t i n D i e d e n h o f e n ; v g l . A n m . 6 6 ) ; a d a . 8 4 5 , e b e n d a : „Ludewicus rex" a d a . 8 4 6 , S . 1 5 : „Ludewicus"; ad a. 848, 849, 850, S . 1 6 f . : „Ludewicus rex". PFEIL UND KLEIN-ELLGTTTH, a . a . O., S . 2 5 1 . D i e E n t w i c k l u n g

der Titulatur Ludwigs ist der, die sich zu gleicher Zeit bei Rudolf vollzieht, recht ähnlich; siehe Kap. I, S. 33, Tabelle. MOHR, Francia orientalis, a. a. 0 . , S. 30, meint, mit dem Ausdruck „Ludewicus rex" sei die Kompliziertheit der Reichsverhältnisse nach 843 umgangen. — Vgl. auch S. 141 mit Anm. 88: „Lodewicus rex Beguariae" (832). Jedoch nicht durchgängig; vgl. neben den im folgenden angezogenen Belegen Ann. X a n t . a d a . 8 4 4 u n d 8 5 0 , e d . v . SIMSON, a . a . O., S . 14 u n d 17.

116

Ebenda ad a. 846, S. 15; DÜMMLER, Gesch. d. ostfr. Reiches, Bd. 1, 2. Aufl., a. a. O., S. 296; BM 2 1123 (1089)a.

117

LÖWE, S t u d i e n , a . a . O., S . 9 3 f .

"8 Siehe S. 137 mit Anm. 67. 419

A n n . X a n t . a d a . 8 5 1 , e d . v . SIMSON, a . a . 0 . , S . 1 7 : „ . . . nobilissima imperatrix nomine Irmingard, coniunx Lotharii imperatoris, de hac luce migravit." — D a ß L o t h a r s T o d ( 8 5 5 )

nicht erwähnt wird, geführt werden; wie der Autor zu dieser Stil weiterzuführen:

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kann nicht auf eine Aversion Gerwards gegen den Kaiser zurückdie äußerst knappen Berichte über die fünfziger J a h r e zeigen, w a r Zeit nicht mehr in der Lage, die Berichterstattung im bisherigen LÖWE, Studien, a. a. 0 . , S. 94.

nung der Brüder dreimal unbedenklich unter die Könige einreiht 1 2 0 , ihn also dreimal durch nichts von Ludwig und Karl unterscheidet, dürfte kein Zeicheil der Parteinahme für ihn sein und auch kaum die Äußerung Möhrs beglaubigen, für die Annalen von X a n t e n sei Lothar vornehmlich der imperator.i2i Ludwig der Deutsche ist einer der vier Herrscher, über welche zu 869 ausgeführt wird: „Eo tempore, ut propheta ait: ,propter peccata terrae multi principes eius