Das Ornament als Denkfigur: Ornamentale Strukturen im künstlerischen Werk von Parastou Forouhar 9783839458198

Das Ornament ist in der gegenwärtigen Kunst weltweit vermehrt präsent, doch klassische Begriffe der westlichen Bildtradi

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Das Ornament als Denkfigur: Ornamentale Strukturen im künstlerischen Werk von Parastou Forouhar
 9783839458198

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Susanne Winder Das Ornament als Denkfigur

Image  | Band 199

Susanne Winder (Dr. phil.) ist Assistenzprofessorin für Kunstwissenschaft am Institut für Geschichte und Theorie der Kunst an der Katholischen Privat-Universität Linz, Österreich.

Susanne Winder

Das Ornament als Denkfigur Ornamentale Strukturen im künstlerischen Werk von Parastou Forouhar

Diese Publikation wurde gefördert mit freundlicher Unterstützung von: Bischöflicher Fonds zur Förderung der Katholischen Privat-Universität Linz Günter Rombold Privatstiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagcredit: Parastou Forouhar, Digitale Zeichnung aus der Serie »Schwarz ist mein Name, Weiß ist mein Name I / Black is my Name, White is my Name I«, 2010 Korrektorat: Elena Höbarth Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5819-4 PDF-ISBN 978-3-8394-5819-8 https://doi.org/10.14361/9783839458198 Buchreihen-ISSN: 2365-1806 Buchreihen-eISSN: 2702-9557 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Entstehungsprozess des Buches und Danksagung.................................. 7 Bemerkungen zur Transkription .................................................... 9 Die Studie im Überblick............................................................. 11 1. 1.1 1.2 1.3

Einleitung.....................................................................13 Einführung, Standortbestimmung und Problemlagen ............................13 Fragestellungen und Kapitelübersicht .......................................... 21 Forschungslage zum Œuvre Parastou Forouhars. Kompaktübersicht ........... 25

2.

Ornament. Ausgangspunkt, Forschungslage und vorläufige Begriffsbestimmung ......................................................... 29 2.1 Das Ornament in der »westlichen« Tradition. Einführung ...................... 30 2.2 Das Ornament. Vorläufiger Arbeitsbegriff...................................... 37 2.2.1 Ornament – Muster. Versuch einer Abgrenzung ......................... 38 2.3 Das Ornament vor dem Hintergrund einer »Global Art History«. Forschungslage 39 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre ...... 47 Werkgruppe der digitalen Zeichnungen. Beschreibung und erste Analysen...... 48 3.1.1 Die Rolle des Ornaments in Forouhars restlichem Œuvre ................ 72 Digitale Zeichnung. Qualitäten und Mythen der Medien ......................... 75 Bezüge zur Tradition der persischen Malerei................................... 85 3.3.1 Behandlung von Raum und Still-Legung von Zeit. Ein Vergleich .......... 97 Zusammenführung der analysierten Darstellungsmodi ......................... 101 Forouhars Bezugnahmen auf das traditionelle Bilderbe im Spiegel der jüngeren und jüngsten Entwicklungen iranischer Kunst ................... 104 Imran Qureshi und Parastou Forouhar. Ein Vergleich ........................... 115

4.

Das Ornament im Spiegel aktueller Kunstpraxen. Theoretische Annäherungen .............................................................. 123 4.1 Ornament und Ordnung ...................................................... 124 4.1.1 Der Kosmos-Begriff. Ordnung und das historische Ornament .......... 124 4.1.2 Ornament und Ordnung heute. Philosophische und kunsttheoretische Auseinandersetzungen ............................. 133 4.2 Ordnung und Macht. Das Ornament als Denkfigur .............................. 141 4.2.1 Das Denken von Macht bei Michel Foucault ............................ 142 4.2.2 Ordnung und Macht in Forouhars Werken ............................... 151 4.2.3 Die Darstellung von Gewalt und Folter in Forouhars Zeichnungen ....... 153 4.2.4 Der Faktor Zeit in Forouhars Bildfindungen, der Faktor Zeit in der Folterpraxis. Eine Parallele ........................................ 155 5. 5.1

Zusammenführende Betrachtungen......................................... 159 Vorschläge zu einem neuen Ornamentbegriff .................................. 172

6.

Literaturverzeichnis .........................................................175

7. 7.1 7.2 7.3

Anhang ...................................................................... 191 Kurzbiografie Parastou Forouhar .............................................. 191 Kurzbiografie Imran Qureshi ................................................. 194 Auszüge aus den Interviews mit Parastou Forouhar aus den Jahren 2013 und 2017................................................................ 196

8.

Bildteil inkl. Abbildungsnachweis ........................................... 205

Entstehungsprozess des Buches und Danksagung

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete und aktualisierte Version meiner Dissertationsschrift, die ich Ende 2017 im Fachbereich Kunstwissenschaft an der Katholischen Privat-Universität Linz (KU-Linz) eingereicht habe. Die Defensio erfolgte im Juni 2018, nachdem die Arbeit mit den Gutachten meiner Betreuerin Univ.Prof.in DDr.in Monika Leisch-Kiesl (Institut für Geschichte und Theorie der Kunst, Fakultät für Philosophie und für Kunstwissenschaft an der KU-Linz) sowie der Zweitgutachterin Univ.Prof.in Dr.in Silvia Naef (Unité d‘arabe, Universität Genf) approbiert war. Mein größter Dank gilt Monika Leisch-Kiesl, die nicht nur meine Dissertation betreut und mir in allen Phasen dieses Projektes wertvolle Ratschläge zu verschiedenen Herangehensweisen gegeben hat, sondern die ich vor allem auch dankend als Mentorin auf meinem wissenschaftlichen Weg ansehe. Danken möchte ich weiters Parastou Forouhar, die mir viel ihrer Zeit in Form von Gesprächen, Interviews und Bereitstellung von Bildmaterial gewidmet hat. Silvia Naef möchte ich für ihr differenziertes Zweitgutachten danken, dessen Anmerkungen ich bedacht und in der vorliegenden Publikation berücksichtigt habe. Meiner Kollegin Julia Allerstorfer-Hertel danke ich sehr für den produktiven und frischen wissenschaftlichen Austausch und ihre wertvollen Literaturhinweise v.a. zum Thema Transkulturalität. Univ.Prof. Dr. Markus Ritter (Professor für Islamische Kunstgeschichte an der Universität Wien) danke ich für die Aufnahme in sein Seminar über die persische Malerei im Sommersemester 2013, durch das ich wichtige Spezialliteratur zur persischen Miniaturmalerei kennengelernt habe. Vielen Personen und Institutionen, die mir bei der Beschaffung von Bildmaterial behilflich waren, ist zu danken, besonders der Galerie Martin Janda, Wien, sowie Frau Hanna Schoenhof von der Galerie Thaddaeus Ropac Salzburg.

Bemerkungen zur Transkription

Die Umschrift von Eigennamen und feststehenden Begriffen entspricht der in der deutschen sowie englischen Forschungsliteratur vorgefundenen Schreibweise. Auf eine wissenschaftliche Transkription, die diakritische Zeichen verwendet, wurde zugunsten der einfacheren Lesbarkeit des Textes verzichtet.

Die Studie im Überblick

In der gegenwärtigen Kunst ist das Ornament weltweit wieder vermehrt präsent. Diesem Phänomen haben in den letzten Jahren einige Ausstellungen, vereinzelt auch Tagungen, Forschungsnetzwerke und Publikationen Rechnung getragen. Angesichts der aktuellen künstlerischen Äußerungen versagen klassische, der »westlichen« Bildtradition verpflichtete Ornamentbegriffe, denn sie können die künstlerischen Praxen im Umgang mit dem Ornament nicht erschließen. Die vorliegende Studie fragt nach dem strategischen Einsatz des Ornaments in der Gegenwartskunst und geht diesem exemplarisch am Werk der iranisch-deutschen Künstlerin Parastou Forouhar nach. Es wird gezeigt, dass Forouhar, wie auch weitere KünstlerInnen, mit dem Ordnungsprinzip des Ornaments arbeitet. Somit wird eine Verquickung von Ornament und Ordnung relevant, die sich bei Forouhar zusätzlich als Machtanordnung zeigt. Dass sich der Einsatz des Ornamentalen dabei nicht in einer dekorativen, geografisch-kulturellen Verortung erschöpft, sondern Relevanz als Denkfigur bekommt, wird durch detaillierte Analysen der digitalen Zeichnungen Forouhars sowie der ortsspezifischen Installationen Imran Qureshis herausgearbeitet und theoretisch fundiert. Mit dieser Studie wird auch gefragt, wie sich die Kunstwissenschaft angesichts der Globalisierung des Faches positionieren kann und ein Weg vorgeschlagen, der den Veränderungen Rechnung trägt. In der Analyse des strategischen Einsatzes ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre werden Bezüge zur Tradition der persischen Malerei aufgewiesen und im Spiegel der jüngeren und aktuellsten iranischen Kunst thematisiert. Dabei wird die Rolle des Digitalen in Forouhars Bildfindungen beleuchtet sowie spezifische Qualitäten der Zeichnung besprochen. Eine theoretische Annäherung an den Ornamentbegriff vor dem Hintergrund aktueller Kunstpraxen wird mithilfe kunsttheoretischer und philosophischer Ansätze

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Das Ornament als Denkfigur

vorangetrieben und nimmt sowohl das historische sowie das heutige Ornament in den Blick. Durch Michel Foucaults Schriften wird einer Verbindung des Ornaments mit Ordnung und Macht nachgegangen. Dieser Beitrag zu einem neuen Ornamentbegriff stellt zugleich einen Ansatz zum Vergleich des Ornaments im globalen Kunstkontext vor.

1. Einleitung

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Einführung, Standortbestimmung und Problemlagen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint das Ornament wieder Konjunktur zu haben. Es ist zu beobachten, dass Alltagsgegenstände, Luxusgüter, Stoffe, ja sogar Menschen wieder ornamental geschmückt sein dürfen, ohne dass der Vorwurf des Verbrechens laut wird, wie vor über hundert Jahren bei Adolf Loos, oder sogleich von Kitsch die Rede ist. Aber auch in der gegenwärtigen Kunst – weltweit – wird das Ornamentale vielfach eingesetzt,1 wobei ihm verschiedene, so scheint es, neue Funktionen zugesprochen werden. So wird das Ornament unter anderem als kritisches Reflexionsmittel der Gegenwartskunst beschrieben und als subversives Element,2 das von KünstlerInnen für politische Stellungnahmen benutzt wird,3 aber auch als Möglichkeit zum Aufbrechen alter Hierarchien und Ordnungen.4 Die Hoffnung, dass das Orna-

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Vgl. Ausstellungskatalog [im Folgenden abgekürzt d. AK] Die Macht des Ornaments (Belvedere, Wien, 20.01.-17.05.2009), hg. v. Agnes Husslein-Arco u. Sabine B. Vogel, Wien 2009, sowie AK Political Patterns. Ornament im Wandel (ifa-Galerie, Berlin, 08.07.-03.10.2011, ifa-Galerie, Stuttgart, 21.10.-18.12.2011), hg. v. Sabine B. Vogel u.a., Berlin/Stuttgart 2011, AK Ornamental Structures (Stadtgalerie Saarbrücken, 20.08.30.10.2010), hg v. Lida v. Mengden u. Ernest W. Uthemann, Saarbrücken 2011 sowie Tietenberg, Annette (Hg.), Muster im Transfer. Ein Modell transkultureller Verflechtung?, Köln/Weimar/Wien 2015. Vgl. Vogel, Sabine B., Schönheit und Schrecken, Konflikte und Kontroversen. Ornament heute, in: AK Political Patterns, 8-16, hier 12. Judith Bihr hat diesen Aspekt detailliert für die ägyptische Gegenwartskunst herausgearbeitet, s. Bihr, Judith, Muster der Ambivalenz. Subversive Praktiken in der ägyptischen Kunst der Gegenwart (Image 96), Bielefeld 2017. Vgl. Vogel, Schönheit und Schrecken, 12. Vgl. Tietenberg, Annette, Vom Zirkulieren der Muster. Ein Modell transkultureller Verflechtung, in: dies. (Hg.), Muster im Transfer, 7-20.

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Das Ornament als Denkfigur

ment als nonverbales Kommunikationsmittel global verstanden werden und somit als Brücke zwischen Kulturen fungieren könne, wird ebenfalls an verschiedenen Stellen einmal mehr, einmal weniger laut geäußert,5 wobei auch die Kritik daran nicht auf sich warten lässt.6 Diese Studie untersucht das Ornamentale in der gegenwärtigen Kunst entlang der Werke einer iranisch-deutschen Künstlerin. Parastou Forouhar hat eine spezifische Ausdrucksform entwickelt, die sich das Ornamentieren von Flächen zunutze macht. Der Frage, wie das Ornament in der heutigen Kunst eingesetzt wird, wird exemplarisch an den digitalen Zeichnungen Forouhars, aber auch im Vergleich zu weiteren künstlerischen Positionen der Gegenwart, nachgegangen. Diese Untersuchung zeigt, dass der Ornamentbegriff, um Gegenwartskunst charakterisieren zu können, neu gedacht werden muss und leistet einen Beitrag zu einem neuen Ornamentverständnis. Parastou Forouhar wurde 1962 in Teheran geboren, gehörte zu den ersten (Kunst-)StudentInnen der Teheraner Universität nach der Islamischen Revolution, ging 1991 für ein Aufbaustudium nach Deutschland und lebt seitdem in Deutschland. Immer wieder bricht sie zu Reisen in den Iran auf, was vor allem mit dem Tod ihrer Eltern zu tun hat: Die Eltern von Parastou, Parwaneh und Dariush Forouhar, beide oppositionelle Politiker, die sich für demokratische Strukturen und die Trennung von Staat und Religion im Iran aussprachen, wurden 1998 ermordet.7 Es handelte sich um politisch motivierte Morde, die in Serie verübt wurden.8 Parastou Forouhar kehrte bislang jedes Jahr in ihr Heimatland zurück, um zunächst einen fairen Prozess zur Aufklärung der Morde anzustrengen. Dieser Prozess wurde später von internationalen Men-

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Vgl. Brüderlin, Markus, Einführung. Ornament und Abstraktion, in: AK Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog (Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 10.06.-07.10.2001), hg. v. Ernst Beyeler u. Markus Brüderlin, Köln 2001, 16-27, sowie Vogel, Schönheit und Schrecken, 10 und 12. Annette Tietenberg hat diese Tendenzen ebenfalls festgestellt, s. Tietenberg, Vom Zirkulieren der Muster, 720. Vgl. Schade, Sigrid, Das Ornament als Schnittstelle. Künstlerischer Transfer zwischen den Kulturen, in: dies.u.a. (Hg.), SchnittStellen, Basel 2005, 169-195. S. dazu folgende Pressemeldung: Iranian killers spared death penalty, in: BBC News online 29 Jan, 2003, http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/2704023.stm [Stand: 03.08.2020]. S. dazu z.B. den Wikipedia-Artikel: Chain murders of Iran, https://en.wikipedia.org/wik i/Chain_murders_of_Iran[Stand: 03.08.2020].

1. Einleitung

schenrechtsbewegungen als Farce bezeichnet,9 da die Aufklärung vertuscht und die eigentlichen Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Die jährliche Reise in ihr Heimatland führt Forouhar bis heute fort, um eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an ihre Eltern und an die Ereignisse von 1998 abzuhalten, wobei sie immer wieder Druck und Drohung, Schikanen und Repressalien des iranischen Staates ausgesetzt ist.10 Im Dezember 2016 wurde Forouhar offiziell der »Propaganda gegen das System« und der »Beleidigung von Sakrosanktem« beschuldigt; sie musste zu einer Anhörung vor Ermittlungsrichtern des Teheraner Revolutionsgerichts erscheinen, wo sich zeigte, dass sich die vagen Blasphemievorwürfe auf ihre Kunstwerke (s. dazu auch Kap. 3.1.1) beziehen.11 Diese Anklage führte 2018 zu einer sechsjährigen Haftstrafe auf Bewährung aufgrund angeblicher Blasphemie und Propaganda.12 Forouhars Kunst wurde stets in enger Verbindung mit dem Tod ihrer Eltern sowie ihren eigenen politischen Aktivitäten thematisiert.13 Wie auch 9 10

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Vgl. Iranian killers, in: BBC News online 29 Jan, 2003. S. dazu auch: Forouhar, Parastou, Interview mit Bamdad Esmaili, 01.12.2011, in: Iran Journal, Online-Magazin, http://iranjournal.org/politik/gedenken-in-einem-verbarrika dierten-haus [Stand: 03.08.2020] sowie Forouhar, Parastou, Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden. Liebeserklärung an den Iran, Freiburg/Basel/Wien 2011. Informationen aus der E-mail-Aussendung eines Freundes Parastou Forouhars an ihren Emailverteiler zur Zeit der Geschehnisse sowie Forouhar, Parastou, Interview mit der Verfasserin, 21.04.2017 (Audio-aufzeichnung des Skype-Interviews), beides im Archiv der Verf., ein Auszug des Interviews befindet sich im Anhang. Das Gerichtsverfahren wurde von der deutschen Tagespresse verfolgt, s. dazu z.B. Magel, Eva-Maria, Iranische Künstlerin Parastou Forouhar muss vor Gericht im Iran, in: Online Ausgabe der FAZ vom 20.11.2017, www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/iranische-kuenstlerin-parastou-forouhar-muss-vor-gericht-im-iran-15300704.html [Stand: 03.08.2020]. S. dazu die betreffende Meldung im Iran Journal, Online-Magazin vom 15.02.2018: htt ps://iranjournal.org/news/iran-haftstrafe-parastou-forouhar [Stand: 03.08.2020] sowie Bloch, Werner, Blasphemie im Iran. Die Mullahs und der Zorn Gottes, auf der Website von Deutschlandradio: https://www.deutschlandfunk.de/blasphemie-im-iran-die-mull ahs-und-der-zorn-gottes.886.de.html?dram:article_id=407980 [Stand: 03.08.2020]. S. dazu: AK Tausendundein Tag. WerkRaum.14: Parastou Forouhar (Hamburger Bahnhof Museum für Gegenwart, Berlin, 10.05.-29.06.2003), hg. v. Staatliche Museen zu Berlin, Köln 2003, AK Parastou Forouhar. Art, Life and Death in Iran (Leighton House Museum, London, 01.10-05.11.2010), hg. v. Rose Issa, London 2010 sowie nahezu sämtliche Beiträge der Kunstkritik, eine Auswahl findet sich auf Forouhars Website, http:// parastou-forouhar.de/texte/[Stand: 03.08.2020].

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Das Ornament als Denkfigur

nicht – sie selbst macht auf ihrer Website immer wieder auf die Ermordung der Eltern aufmerksam. In der Vergangenheit stellte sie oftmals eine künstlerische Arbeit mit dem Titel Dokumentation aus, eine Installation mit Dokumenten zur Aufklärung der Morde. Zudem lassen sich ihre künstlerischen Werke auch als Kritik an gesellschaftspolitischen Zuständen, speziell auch im Iran, auslegen. Es ist weder möglich noch sinnvoll, die furchtbare Zäsur in Forouhars Leben bei der Thematisierung ihrer Kunst auszuklammern, jedoch überlagerte dieser Aspekt bislang in vielen Fällen eine eingehende kunstwissenschaftliche Analyse (s. dazu Kap. 1.3). Parastou Forouhars digitale Zeichnungen verwickeln in ein lustvolles Betrachten (s. Abb. 1-6). Die geschwungenen ornamenthaften Bilder bereiten ein besonderes sinnliches Vergnügen, das in dem Verfolgen eines rhythmischen Formengewirrs besteht. In seiner Kleinteiligkeit zwingt es die RezipientInnen geradezu, die Arbeiten sozusagen mit dem Auge abzutasten, um die gesamten Bildinhalte erfassen zu können. Die spielerisch anmutenden Zeichnungen, die die Künstlerin als Tafelbilder an die Wand hängt oder aber weiterverarbeitet zu Daumenkinos, Tapeten, Stoffmustern, Brettspielen, Kurzanimationen, die wiederum Bestandteile von Installationen sein können, sind aber nicht nur liebreizend. Erst nach einiger Zeit erkennt man in dem Gewirr der Oberflächen Folterszenen, Momente der Brutalität und menschlichen Leids – schematisierte Figuren, Täter und Opfer, ohne individuelle Züge. Die Involvierung durch scheinbar harmlose Ornamentgebilde und das Konfrontieren der BetrachterInnen mit Leid und Tod, mithin das Thematisieren von Menschenrechtsverletzungen und gesellschaftspolitischen Missständen, kann als Konstante in Forouhars Arbeit bezeichnet werden, die den Ausgangs- und Angelpunkt meiner Untersuchung bildet. Der strategische Einsatz des Ornaments bildet das Zentrum der Fragestellungen, deshalb gilt das Hauptinteresse den digitalen Zeichnungen sowie Objekten und Installationen, die auf digitalen Zeichnungen basieren. Nicht im Fokus stehen somit Forouhars Fotoarbeiten, Objektarbeiten und installative, mit Schrift gestaltete Räume, die nicht aus den digitalen Zeichnungen entwickelt wurden. Um den Bezug auf das gesamte Œuvre im Blick zu halten, werden die weitgehend ausgeklammerten Arbeiten in einem eigenen Kapitel thematisiert (s. Kap. 3.1.1). Die besondere, aber für unsere Zeit symptomatische Herausforderung der Studie besteht in dem Umstand, dass Forouhar – wie so viele KünstlerInnen heute – nicht eindeutig einem kulturellen Kontext zugeordnet werden kann.

1. Einleitung

Kunstgeschichtliche Orientierungspunkte wie geografisch-kulturelle Einordnungen und Begrenzungen sind zwar hilfreich, bieten jedoch keine ausreichenden Untersuchungsmodelle. Natürlich lässt sich fragen, ob es überhaupt berechtigt oder sinnvoll ist, diesen biografischen Aspekt in Forouhars künstlerischen Äußerungen so stark zu gewichten. In Beantwortung dieser Frage konzentriert sich diese Untersuchung nicht auf Künstler-Biografien, sondern rückt die Analyse der künstlerischen Arbeiten in den Mittelpunkt: Wenn Bezüge zu verschiedenen Kultur- und Bildtraditionen relevant für die Thematisierung der Werke werden, wie es in der (gegenwärtigen) Kunst oftmals der Fall ist, sind diese und die dafür nötigen kunstgeschichtlichen sowie gesellschaftlichen Hintergründe selbstverständlich zu analysieren. Problematiken, die aktuell mit geografisch-kulturellen Zuschreibungen verbunden sind, werden in Kap. 3.5 beleuchtet. Mit der genannten Vorgangsweise wird ein Weg eingeschlagen, der Bedacht nimmt auf die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen des Fachs Kunstgeschichte/Kunstwissenschaft, das sich der Thematik der Globalisierung nicht verschließen kann. In der Debatte rund um den Begriff einer »Global Art History«14 wird versucht, aktuellen Entwicklungen wie transkulturellen15 Transferprozessen, globalisierten Kunstmärkten, der Frage nach Machtbestrebungen und Vormachtstellungen innerhalb der Wissensproduktion, der Kanonbildung, schlicht allen mit der Kunst in Verbindung stehenden institutionalisierten Handlungsweisen, die sich mit den wichtigen, doch

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Ein nicht unumstrittener Begriff, der verschiedene Ansätze kennt, doch hat er den Vorteil, die aktuellen Herausforderungen rund um die Globalisierungsprozesse und deren Auswirkungen mit einem Wort zu umreißen. Wie Monica Juneja und andere AutorInnen ausführen, wurde der Begriff Transkulturalität bzw. Transkulturation erstmals 1970 von dem Anthropologen Fernando Ortiz verwendet und in den 1990er Jahren v.a. durch den deutschen Philosophen Wolfgang Welsch geprägt, s. Juneja, Monica, Interview mit Mariachiara Gasparini, veröffentlicht am 16.12.2013 auf der Homepage des Cluster of Excellence Asia and Europe in a Global Context der Universität Heidelberg, www.asia-europe.uni-heidelberg.de/de/aktuelles/nachrichten/detail/m/interview-with-prof-monica-juneja.html [Stand: 03.08.2020] sowie Reichardt, Dagmar, Zur Theorie einer transkulturellen Frankophonie. Standortbestimmung und didaktische Relevanz, in: Gévaudan, Paul u.a. (Hg.), PhiN, Philologie im Netz, 38/2016, 32-51, http://web.fu-berlin.de/phin/phin3 8/p38t2.htm#fn2 [Stand: 03.08.2020].

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Das Ornament als Denkfigur

unbequemen Fragen und Forderungen der Postcolonial Studies konfrontiert sehen, Rechnung zu tragen.16 Der Begriff Transkulturalität erscheint im Rahmen der vielfältigen Globalisierungsprozesse für die aktuelle Forschung besonders relevant. Transkulturalität in der Prägung von Wolfgang Welsch betont vor allem den Aspekt gegenseitiger Durchdringung und Durchmischung gegenwärtiger Kulturen.17 Diesem Forschungsfeld wurde in rezenten kunstwissenschaftlichen Untersuchungen durch Fragestellungen nach dem Konstrukt »Orient«, Fragen nach visuellen Strategien von KünstlerInnen aus dem Nahen und Mittleren Osten18 , deren Kunst sich als »orientalisch«, »fremd« und »exotisch« am europäischen Kunstmarkt erweist, und Fragen nach Identitätskonzepten nachgegangen, die u.a. mithilfe postkolonialer Theorien und genderspezifischer Analysen zu beantworten versucht werden.19 Die genannten Fragerichtungen nach den Dichotomien »West/Ost« bzw. »Orient/Okzident«, denen in Hinblick auf Forouhars künstlerische Arbeiten vermutlich auch in zwei laufenden Dissertationsprojekten nachgegangen wird (s. Kap. 1.3) und die in ersten wichtigen Teilanalysen für einzelne Kunstwerke Forouhars bereits vor-

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Vgl. dazu die Ausführungen in folgendem Sammelband: Allerstorfer, Julia/LeischKiesl, Monika (Hg.), »Global Art History«. Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft (Linzer Beiträge zur Kunstwissenschaft und Philosophie 8), Bielefeld 2017, besonders: Allerstorfer, Julia, The West and the Rest? De- und postkoloniale Perspektiven auf Kunst und Kunstgeschichte(n), a.a.O., 29-46. Vgl. Welsch, Wolfgang, Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Kimmich, Dorothee/Schahadat, Schamma (Hg.), Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität, Bielefeld 2012, 25-40. Die Bezeichnungen Naher und Mittlerer Osten sind nicht einheitlich verwendete geografische Begriffe. Im Rahmen dieser Arbeit wird deshalb Naher und Mittlerer Osten gemeinsam gebraucht. Die Länder Iran und angrenzende Regionen, die verschiedentlich zum Nahen und Mittleren Osten gezählt werden, stehen im Fokus der Studie. S. dazu z.B. Göckede, Regina/Karentzos, Alexandra (Hg.), Der Orient, die Fremde. Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur, Bielefeld 2006 sowie Allerstorfer, Julia, Representing the Unrepresentable, Strategien der De/Konstruktion von »Identität« in der zeitgenössischen iranischen Videokunst am Beispiel von Simin Keramati und Shahram Entekhabi (Dissertation aus der Studienrichtung Kunstwissenschaft an der Katholischen Privat-Universität Linz), Linz 2014, überarbeitete Fassung von 2018: Dies., Visuelle Identitäten. Künstlerische Selbstinzenzierungen in der zeitgenössischen iranischen Videokunst, Bielefeld 2018.

1. Einleitung

liegen20 , stellen nicht das Hauptinteresse dieser Studie dar und finden dort Berücksichtigung, wo Überschneidungen mit der Frage nach dem Ornament vorliegen (wie in Kap. 3.3 und 3.5).

Standortbestimmung und Problemlagen: Die Untersuchungen im Bereich des Transkulturellen, wie die Analyse möglicher Bezüge zur traditionellen persischen Malerei, die bei Forouhar durch die zeitgenössische Technik des Digitalen konterkariert werden, resultieren weniger aus dem Vorsatz, »Global Art History« zu betreiben, sondern aus der genuin kunstwissenschaftlichen Notwendigkeit heraus, die kunstgeschichtlichen, kulturellen sowie gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und Verflechtungen für die thematisierten Kunstwerke zu untersuchen und zu erarbeiten. Mit dieser Vorgehensweise wird ein Weg eingeschlagen, der die Forderungen einer im Aufbruch befindlichen wissenschaftlichen Disziplin ernst nimmt und transkulturelle Fragestellungen nicht ignoriert, sondern als selbstverständliche Perspektive der Kunstwissenschaft ansieht. In der Beschäftigung mit transnationalen und transkulturellen Phänomenen begegnet freilich das Problem, dass nur die wenigsten WissenschaftlerInnen in allen Kulturkontexten, die zur Untersuchung stehen, fach- und sprachkundig sind. Die vorliegende Untersuchung wurde von einer österreichischen mit der Kunst des euro-amerikanischen Raumes wohlvertrauten Kunstwissenschaftlerin mit kunstwissenschaftlich-philosophischem Studium ausgeführt, welche kein Farsi spricht, die iranische und islamisch geprägte Kunst(geschichte) überblicksmäßig kennt und vorbereitende Studien in diesem Feld unternahm. Diese gezielt so ausdrücklich ausgewiesene Standortbestimmung lässt die Rahmenbedingungen und Grenzen der Studie erkennen, die darin liegen, eventuell vorhandene persisch-sprachige Literatur nicht recherchieren zu können bzw. den öffentlichen theoretischen Diskurs im Iran zu bestimmten Themen zu verfolgen, was für ein Kapitel der Studie sehr interessant gewesen wäre (s. Kap. 2.3). Eine weitere Grenze besteht in dem Umstand, soweit es die islamisch geprägte Kunst anbelangt (Kap. 3.3), nicht mit dem Hintergrundwissen einer Spezialistin auf dem Gebiet dienen zu können, sondern Fragen aus der ausgewiesenen Perspektive heraus zu stellen – selbstverständlich auch jene, die auf unbekanntes Terrain führen. 20

Vgl. Karentzos, Alexandra, Unterscheiden des Unterscheidens. Ironische Techniken in der Kunst Parastou Forouhars, in: Göckede/Karentzos, Der Orient, die Fremde, 127-138 sowie die Beiträge in: AK Tausendundein Tag.

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Das Ornament als Denkfigur

Klar gesagt werden muss an dieser Stelle auch, dass es die zeitgenössische Kunst ist, die im Fokus dieser Studie steht, und die Kunst der Tradition in erster Linie als Hintergrundfolie interessiert. Die Standortbestimmung lässt jedoch darauf hoffen, frische und ungewöhnliche Erkenntnisse in der Beschäftigung mit einer iranisch-deutschen Gegenwartskünstlerin zu Tage zu befördern, die sich das Ornamentieren von Flächen auf ganz spezielle Weise zu eigen gemacht hat, indem sie auf die Bildtradition ihres ursprünglichen Heimatlandes nicht in direkter Weise rekurriert, sondern mit spezifischen Kompositionsprinzipien arbeitet, wie sie auch in der Tradition der persischen Malerei zu finden sind, und diese in ihrer Bearbeitung gleichsam kommentiert. Die benannte Forschungsperspektive auf Forouhars Arbeiten bietet neben einer genauen formalen Analyse die Möglichkeit zu einer tiefen theoretischen Durchdringung ihres Werkes und einen fundierten Rahmen, innerhalb dessen das Ornament als Macht(-anordnung) analysiert und mit philosophischen sowie kunstwissenschaftlichen Theorien konfrontiert werden kann. Ansporn für die vorliegende Unternehmung waren, neben der Eindrücklichkeit von Forouhars Zeichnungen, zwei Ausstellungen21 , die das Ornament in der Gegenwartskunst thematisierten und vorstellten, »[…] wie Künstlerinnen und Künstler aus dem arabischen, dem südasiatischen und dem europäischen Raum, aber auch aus Nordamerika heute das Ornament als künstlerisches Stilmittel benutzen.«22 In den Katalogbeiträgen ist davon die Rede, dass das Ornament im Wandel begriffen ist und heute vermehrt dazu eingesetzt wird, politische Inhalte in einem zunächst harmlos anmutenden »Kleid« zu transportieren, womit die brisanten politischen Inhalte umso schärfer vorgetragen werden.23 Die Kuratorin der beiden Ausstellungen, Sabine Vogel, sieht das Ornament in der aktuellen Kunst als Gradmesser unserer Zeit: »Gewalt und Hoffnung, Schönheit und Schrecken – in der aktuellen Sprache des Ornaments gehören diese Pole genauso eng zusammen wie Tradition und Jetztzeit. […] Das Ornament ist heute nicht mehr harmlos, sondern voller Widersprüche. […] Im Ornament, so legen es die Werke der Kunst nahe, spiegelt sich unsere angespannte Weltsituation wider.«24 21 22 23 24

S. dazu AK Die Macht des Ornaments sowie AK Political Patterns. Als Kuratorin beider Ausstellungen fungierte Sabine B. Vogel. Husslein-Arco, Agnes, Vorwort, in: AK Die Macht des Ornaments, 7-8, hier 7. Vgl. Barsch, Barbara/Fischer, Ev, Vorwort, in: AK Political Patterns, 6-7, hier 7. Vogel, Schönheit und Schrecken, 8-16, hier 9-10.

1. Einleitung

Vogel kommt zu dem Schluss, dass Ornamente heute immer häufiger eingesetzt werden, um Kritik zu üben: »[…] an einengenden, weiblichen Rollenmustern, an totalitären, politischen Systemen; an vereinheitlichenden Verhaltensmustern, Erwartungen und Konventionen.«25 Diese aktuellen Pulsmessungen zum Ornament in der Gegenwartskunst aufnehmend, werden im folgenden Kapitel die Fragestellungen und das methodische Vorgehen vorgestellt.

1.2

Fragestellungen und Kapitelübersicht

Die vorliegende Studie fragt nach dem strategischen Einsatz des Ornaments in der Gegenwartskunst. Mittels verschiedener kunsttheoretischer sowie philosophischer Ansätze wird versucht, das Ornamentale exemplarisch am Werk einer iranisch-deutschen Künstlerin, Parastou Forouhar, und im Vergleich zu anderen gegenwärtigen Positionen, wie v.a. des pakistanischen Künstlers Imran Qureshi, zu analysieren. Die Frage nach dem Ornament stellt sich angesichts Forouhars Arbeiten auf verschiedenen Ebenen: Zum einen benutzt die Künstlerin es als formales Mittel bildnerischer Gestaltung, in das sie narrative Elemente durch die Darstellung von schematisierten menschlichen Figuren einflicht. So gelingt es ihr mithilfe des mimetischen Prinzips von Folter, Mord und Tod zu erzählen und diese Inhalte gleichzeitig in dem Liniengewirr des Ornaments zu präsentieren und zu verbergen. Wie in den Analysen von Alexandra Karentzos festgehalten, zeigt Forouhar mithilfe des Ornaments den »westlichen Blick« auf das »Orientalische« auf, mit dem sie in ihren Bildfindungen zu spielen und den sie zu durchkreuzen weiß.26 Das Ornament in Forouhars Werk kann zum anderen aber auch zeichenhaft gelesen werden, womit das Thema Macht und Gewalt auf andere Weise als in mimetischer Darstellung virulent wird, denn es lässt sich die Frage stellen, ob zwischen dem formalen Aufbau des Ornaments und der Struktur von Machtverhältnissen und/oder Gewalt27 Parallelen gezogen werden können. 25 26

27

Ebd., 12. Vgl. Karentzos, Alexandra, Im Geflecht der Differenzen, in: Feministische Studien Nr. 2 (2003), 254-264 sowie dies., Tausend Tode Sterben. Erwachen aus dem Märchentraum, in: AK Tausendundein Tag, 35-40. Vgl. dazu auch Kleinschmidt, Monique, Der reflektierte Blick. Zeitgenössische Positionen iranischer Künstlerinnen und Künstler zwischen Orient und Okzident, Saarbrücken 2007 (zugl. Magister-arbeit 2006 an der HS für bildende Künste, Braunschweig), 74-75. Auf die Unterscheidung von Macht und Gewalt wird in Kap. 4.2.3 eingegangen.

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Das Ornament als Denkfigur

Das Ornament, so die Ausgangsthese, ist in Forouhars Werk Methode. Es wird als künstlerische Strategie eingesetzt und ist in diesem Sinne bedeutungsgenerierende Struktur der Werke, das auf formaler sowie auf inhaltlicher Ebene imstande ist, Beziehungsgefüge zu etablieren und Spannungen in sich aufzunehmen. Das Ornament in ihrem Werk scheint der für eine lange Zeit in der (abendländischen) Kunstgeschichte tradierten Theorie als »keineswegs […] wesensnotwendige Qualität am jeweils geschmückten Gegenstand«28 eine Abfuhr zu erteilen. In dieser Studie geht es mir darum, aufzuzeigen, welche Strategien Forouhar in Verwendung des Ornaments einsetzt, festzustellen, welches Ornamentverständnis ihrer künstlerischen Praxis zugrunde gelegt werden kann und weiter zu fragen, ob die Ergebnisse dieser Analysen zu einem neuen Ornamentbegriff führen und durch welche Theorien dieser gestützt werden kann. Dazu braucht es zum einen eine Untersuchung zum Begriff des Ornaments, zum anderen eine Analyse der künstlerischen Praxis Forouhars in ihrem Umgang mit ornamentalen Strukturen. Kapitel 2 widmet sich der Klärung des Ausgangspunktes und der Forschungslage hinsichtlich des Ornaments. Der Ornamentbegriff, sowohl der »westlichen« Tradition als auch vor dem Hintergrund einer »Global Art History«, wird diskutiert und ein vorläufiger Arbeitsbegriff zum Ornament vorgelegt, der auch die Kunst islamisch geprägter Länder im Blick haben soll. Diese Unternehmung erscheint wesentlich, da Parastou Forouhar in ihren Werken auf die persische Maltradition anzuspielen scheint, die in ihren Bildfindungen jedoch keine Tradierung erfährt, sondern durch den Einsatz der digitalen Technik konterkariert wird. Im nächsten Schritt, den das 3. Kapitel umfasst, wird der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Werk analysiert, um herauszuarbeiten, welches Ornamentverständnis zeitgenössischen künstlerischen Praxen zugrunde gelegt werden kann. Das Herzstück dieses Kapitels besteht darin, zu analysieren, ob und in welcher Weise von Bezugnahmen Forouhars auf die persische Miniaturmalerei gesprochen werden kann und wie sie mit dem Ornament zusammenhängen (Kap. 3.3). In diesem Kapitel wird herausgearbeitet, dass die Bezugnahmen weniger in direkten Übernahmen des traditionellen Formvokabulars bestehen, sondern im Arbeiten mit bestimmten

28

Kroll setzt »den Topos vom Ornament als ›bloßer‹ Zutat« mit Leon Battista Alberti an, Kroll, Frank-Lothar, Das Ornament in der Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts (Studien zur Kunstgeschichte 42), Hildes-heim/Zürich/New York 1987, 6-8, hier 7.

1. Einleitung

Darstellungsmodi, wie etwa einem Kompositionsprizip, das eine »dialektischen Seh-Erfahrung«29 evoziert, wie der Kunsthistoriker David Roxburgh es für die persisch geprägte Miniaturmalerei beschrieben hat, oder in einer spezifischen Darstellungsweise von Handlungen, die in der persischen Kunst zu finden ist und die Forouhar einsetzt, um Überzeitlichkeit im Sinne des Immerwährenden, sich ewig Wiederholenden zu suggerieren (Kap.3.3.1). Eine Zusammenschau der eingesetzten Darstellungsmodi in Kap. 3.4 zeigt, dass die Künstlerin ein stringentes Konzept verfolgt, bei dem die Wahl der Technik, Bezüge zur Tradition sowie die Art der Darstellung fest ineinander verzahnt sind und sich gegenseitig verstärken, besonders was die beschriebenen Aspekte von »Generalisierung und Anonymisierung«, »Wiederholung und Wiederholbarkeit« sowie »Zeit« angeht. Das übergeordnete Konzept, das Forouhar die Möglichkeit bietet, ihre Strategien zu verbinden, stellt das ornamentale Prinzip dar. In Kap. 3.5 wird nach möglichen Bezügen oder Verbindungen zur jüngeren und jüngsten iranischen Kunst gefragt, die ebenfalls mit dem Bilderbe ihrer Kultur arbeiten. Mit dieser Untersuchung soll eine im Rahmen dieser Studie nicht zu erhebende Theoriebildung zum Ornament aus dem iranischen Wissenschaftsbereich zumindest teilweise kompensiert und die Vor- und Rahmenbedingungen für Forouhars künstlerische Arbeitsweise erarbeitet werden. Die Technik des Digitalen, die zum einen auf die Gegenwart verweist, zum anderen als Errungenschaft des euro-amerikanischen Raumes gilt, bildet einen Kontrapunkt in Forouhars Werken, der in Kap. 3.2 beleuchtet wird. In dieser Analyse und Kontextualisierung von Forouhars Œuvre werden Fragen nach den Qualitäten und dem Ort des Digitalen genauso gestellt, wie die Zuordenbarkeit von Forouhars Werken zur Digitalen Kunst oder eher einem zeitgenössischen Verständnis der Zeichnung diskutiert wird. Um die Frage nach dem Ornament in der gegenwärtigen künstlerischen Praxis auszuweiten, erfolgt in Kap. 3.6 ein Vergleich der Arbeitsweise Forouhars mit Imran Qureshis Einsatz des Ornamentalen, einem in Pakistan ansässigen Künstler. Im letzten Schritt steht eine theoretische Annäherung an den Ornamentbegriff im Spiegel der aktuellen Kunstpraxen im Zentrum, die sich in Kapitel 4 findet. Auch in dieser Analyse erscheint es wesentlich, »westliche« und Kontexte der islamisch geprägten Kultur zu befragen, denn aktuelle künstlerische Positionen nehmen Bezug auf das historische Ornament ihrer jewei29

Roxburgh, David J., Micrographia. Toward a Visual Logic of Persianate Painting, in: RES: Anthropology and Aesthetics 43 (2003), 12-30, hier 30.

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Das Ornament als Denkfigur

ligen Kulturen, agieren aber gleichzeitig in und mit ihren zeitgenössischen Rahmenbedingungen. In diesem Kapitel wird zum einen der Verbindung von Ornament und Ordnung auf einer theoretischen Ebene nachgespürt – diese besteht nicht nur in rein formaler Hinsicht, wie es exemplarisch an den Werken Forouhars und Qureshis zu sehen ist. Der Begriff Ornament geht auf die antike Wortbedeutung von Kosmos als einem wohlgeordneten Ganzen zurück, die die Vorstellung von einer Verbindung des Geordneten mit dem des Geschmückten/Schönen in sich trägt30 (s. dazu auch Kap. 2). Ausgehend von einer Beschreibung der Kosmos-Vorstellung, soll die Bedeutung der Verbindung von Ornament und Ordnung mithilfe verschiedener kunsttheoretischer Ansätze untersucht werden, von denen jene der Kunsthistorikerin Gülru Necipoglu sowie des Künstlers und Kunstheoretikers Jürgen Claus zum Ornament als wesentlichste Bezugspunkte für die benannte Fragestellung ausgewiesen werden. Zum anderen wird in Kap. 4.2 einer Verknüpfung von Ornament und Macht nachgegangen, denn der konzeptive Ansatz Forouhars weist die Ordnung und Einheitlichkeit des ornamentalen Systems als eine erzwungene und somit als eine gemachte auf. Damit wird die Frage nach den Voraussetzungen von Ordnung gestellt – eine starke Parallele zu Michel Foucaults Machtanalysen, die es herauszuarbeiten gilt. Foucaults Schriften werden dabei mit Forouhars konzeptiven Ansätzen gelesen und umgekehrt wird Forouhars strategischer Einsatz des Ornaments mit Foucault analysiert. Warum Foucaults Denkansätze darüber hinaus so reizvoll für die Untersuchung der künstlerischen Strategien Forouhars erscheinen, liegt auch in dem Umstand, dass beide in ihren Werken das Politische stets im Blick haben. Darüber hinaus wird in Kap. 4.2.4 nach einer Differenzierung der Begrifflichkeiten Macht und Gewalt, der Faktor Zeit in Forouhars Folter- bzw. Gewaltdarstellungen nochmals aufgegriffen und mit der Bedeutung von Zeit in der Folterpraxis, wie sie der Sozialforscher und Anthropologe Jörg Zirfas hervorgehoben hat, abgeglichen. Mit dieser Untersuchung kann gezeigt werden, dass Forouhar mittels ihrer künstlerischen Strategien den rituellen Charakter von Gewaltanwendung aufspürt und ihre visuelle Analyse von Ornament, Ordnung, Macht und Gewalt auf eine äußerst konsequente und tiefschürfende Weise vornimmt und zu sehen gibt. In Kapitel 5 werden die erarbeiteten Einzelergebnisse aufeinander bezogen und abschließende Überlegungen zu einem neuen Ornamentbegriff angestellt. 30

Vgl. Frisk, Art. κóσμος, 929 sowie Irmscher, Kleine Kunstgeschichte sowie Janke/Siegmann, Makrokosmos/Mikrokosmos II, 748-754.

1. Einleitung

1.3

Forschungslage zum Œuvre Parastou Forouhars. Kompaktübersicht

Bislang liegen keine kunstwissenschaftlichen Dissertationen vor, die Parastou Forouhars Werke schwerpunktmäßig untersuchen.31 Bisherige für die Kunstwissenschaft relevante Qualifikationsarbeiten zum Œuvre der Künstlerin sind rar und stellen v.a. die Frage nach kultureller Repräsentation in den Konstruktionen von »Ost« und »West«.32 Forouhars Kunst wird darüber hinaus stets eng in Zusammenhang mit ihrer Biografie und den politischen Geschehnissen im Iran untersucht und der politische Aspekt ihrer Arbeiten hervorgehoben. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit wurde den konkreten einzelnen Werken in ihrer Komposition, Auswahl der künstlerischen Techniken und Materialien geschenkt; die Rolle der digitalen Zeichnung innerhalb ihrer Arbeit wurde nur am Rande thematisiert. Dass sich die Funktion des Ornaments in Forouhars Bildfindungen nicht allein in ihrem geografisch-kulturellen Assoziationsangebot erschöpft, soll mit der vorliegenden Arbeit gezeigt werden.

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32

In der Dissertation von Julia Allerstorfer über künstlerische Selbstinszenierungen in der zeitgenössischen iranischen v.a. Videokunst wird eine fotografische Arbeit Forouhars in der Frage nach Repräsentationskonzepten (künstlerischer) Identität analysiert: Allerstorfer, Representing the Unrepresentable, 209-10. In der Dissertation von Amor Marsé Taltavull über zeitgenössische iranische Kunst werden die von Forouhar mit kalligraphischer Schrift gestalteten Räume in einem Unterkapitel behandelt: Marsé Taltavull, Amor, El discurso del arte iraní desde la perspectiva de los exilios. (19792012) Síntesis entre tradición y contemporaneidad, Dissertation eingereicht am Institut für Kunstgeschichte der Universitat Barcelona, Barcelona 2012. Des Weiteren werden in der Forschungsdatenbank für Kunstgeschichte Arttheses zwei laufende Dissertationen gelistet (begonnen 2008 und 2013), die bislang nicht abgeschlossen wurden und Parastou Forouhar als eine unter vielen Künstlerinnen in ihren Arbeitstiteln nennen. S. dazu auch nachfolgende Fußnote. Eine detaillierte Übersicht über die Forschungslage mit Stand 2017, an der sich bis dato nichts verändert hat, liegt mit der an der KU-Linz eingereichten Dissertation vor: Winder, Susanne, Das Ornament als Denkfigur. Beitrag zu einem neuen Ornamentbegriff in der gegenwärtigen Kunst entlang von Parastou Forouhars digitalen Zeichnungen, Dissertation eingereicht an der Fakultät für Philosophie und für Kunstwissenschaft der Katholischen Privat-Universität Linz im Dezember 2017, 15-19.

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Das Ornament als Denkfigur

Weitere Literatur über und von Forouhar: Ausstellungskataloge, Beiträge in Sammelwerken und Monografien Es gibt bisher wenige Ausstellungskataloge zu Einzelausstellungen der Künstlerin, zwei mit etwas ausführlicheren Textbeiträgen33 sowie ein Künstlerbuch34 (Bildband mit 20 doppelseitigen digitalen Zeichnungen) mit kurzer Texteinleitung. Kurzbeiträge über Forouhar in Katalogen zu Gruppenausstellungen sind zahlreich. Eine Publikation bein-haltet eine philosophische Auseinandersetzung mit künstlerischer Arbeit.35 Für diese Studie wurden fünf GegenwartskünstlerInnen, unter ihnen Forouhar, zu ihrem Kunstschaffen und Kunstverständnis befragt. Einen wichtigen Beitrag zu Parastou Forouhars künstlerischen Strategien in der Frage nach dem »Eigenen« und dem »Fremden« enthält der Sammelband Der Orient, die Fremde.36 In dieser Publikation anlässlich einer kunstund kulturwissenschaftlichen Tagung finden sich Beiträge mit interkulturellen, postkolonialen und genderspezifischen Fragestellungen zum Thema »Orient«, speziell auch der visuellen Repräsentation des »orientalisch Anderen« in zeitgenössischen Kunstwerken. In einem von insgesamt zehn Beiträgen werden Forouhars Kunstwerke explizit behandelt, hier geht es v.a. um die Frage nach kultureller Repräsentation und die Anspielungen in Bezug auf die Rolle der Frau in ihrem Werk. In diesem Beitrag verbindet Alexandra Karentzos Theorien der Postcolonial Studies und der Geschlechterforschung mit der Systemtheorie Luhmanns und macht sie für kunstgeschichtliche Untersuchungen und speziell für Forouhars Arbeiten fruchtbar. Die von den Postcolonial Studies aufgezeigten subversiven Strategien wie Ironie, Parodie und Mimikry, die als Widerstandsstrategien zur kritischen Hinterfragung von Dichotomien wie »männlich-weiblich« oder »heimisch-fremd« gekennzeichnet werden, verknüpft Karentzos mit dem, was Luhmann »Beobachtung zweiter Ordnung« nennt, was ihr ermöglicht, Forouhars Kunst wie folgt zu charakterisieren:

33

34 35 36

Vgl. AK Tausendundein Tag sowie AK Parastou Forouhar. Im Zeichen des Ornaments (Kunsthalle Göppingen, 13.05.-08.07.2018), hg. v. Werner Meyer und Melanie Ardjah, Kunsthalle Göppingen, Göppingen 2018. Vgl. Parastou, Forouhar (Drawings), Blankevoort, Eefje (Text), Iranian Fall, [Iran 1998], Amsterdam 2008. Vgl. Mühleis, Volkmar, Ein Kind lässt einen Stein übers Wasser springen. Zu Entstehungsweisen von Kunst, Paderborn 2011. Vgl. Göckede/Karentzos, Der Orient, die Fremde.

1. Einleitung

»In der Kunst Parastou Forouhars werden Schematismen der alltäglichen Beobachtung des Fremden spielerisch, reflexiv und ironisch aufgegriffen und hinterfragt. Die Technik, mit der das geschieht, ist eine Beobachtung zweiter Ordnung: Diese legt die Demarkationslinien offen, mit denen der Orient konstruiert wird.«37 Forouhar tritt in diesem Band auch als Autorin auf und schildert ihre Zeit an der Kunstuniversität in Teheran und die bildungs- wie gesellschaftspolitischen Veränderungen nach Ausrufung der Islamischen Republik Iran.38 In Kunstmagazinen und Kunstzeitschriften finden sich überraschend wenige Artikel über die Künstlerin, ihr Name scheint eher in Ausstellungsbesprechungen (Gruppenausstellungen) auf, nur wenige Artikel beschäftigen sich gezielt und eingehend mit ihrem Werk. Von der Presse (v.a. Tages- und Wochenpresse) wird Forouhar vorwiegend in Verbindung mit ihren politischen Aktivitäten thematisiert. Forouhar hat 2011 selbst ein Buch veröffentlicht, in dem sie über die politisch motivierte Ermordung ihrer Eltern, ihre Versuche, diese aufzuklären, ihre zahllosen Reisen in den Iran und die dortigen gesellschaftlichen und politischen Zustände schreibt.39

Thematisierung von Forouhars ornamentalen Gestaltungen in der vorliegenden Literatur Auch das Ornament in Forouhars Werk wird in der bestehenden Literatur besprochen und vornehmlich als Formelement zur geografisch-kulturellen Verortung charakterisiert,40 das einer »westlichen« Stereotypisierung scheinbar entgegenkommt, um diese zu durchkreuzen (explizit bei Kleinschmidt, implizit bei Karentzos). Immer wieder werden in diesem Zusammenhang auch Forouhars eigene Aussagen in Bezug auf das Ornament zitiert41 : »In den altpersischen Miniaturen ist die Präsenz des Menschen, wie in einer von Fundamentalismus befallenen Gesellschaft, als Teil einer ›ornamenta37 38 39 40 41

Karentzos, Unterscheiden des Unterscheidens, 127-138, hier 138. Vgl. Forouhar, Parastou, Andersdenkende, in: Göckede/Karentzos, Der Orient, die Fremde, 121-126. Forouhar, Das Land. Vgl. Kleinschmidt, Der reflektierte Blick, 74-75 sowie Becker, Lutz, Art, Death and Language, in: AK Parastou Forouhar, 16-19, hier 16. S. z.B. Kleinschmidt, Der reflektierte Blick, 58 sowie Becker, Art, Death and Language, 16.

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28

Das Ornament als Denkfigur

len‹ Ordnung zu begreifen. Eine individuelle Auffassung existiert nicht. Es wird der Versuch unternommen, eine trügerische Oberfläche aus wiederholten, miteinander harmonierenden Mustern zu schaffen. […] Eine harmonische Weltdarstellung, Zeichen der göttlichen Allmacht und ihrer Schönheit. Alles soll einer einzigen Aussage, einem einzigen Inhalt dienen: Gott ist groß und vollkommen. Diese unantastbare Harmonie ist nur mit Distanz zu genießen. Sie verbirgt ein großes Potential an Brutalität in sich.«42 Forouhar interpretiert die ornamentale Ordnung in einem späteren Interview auch politisch, da sie Parallelen zwischen dem Ornament und einem politisch totalitären System sieht. »[…] beides mal [sic] wird jede Abweichung, wird Individualität zur Störung, zerstört die Ausgewogenheit und damit das System wie eine Laufmasche.«43 In diesem Sinne wird das Ornamentale in ihrer Arbeit auch durchgängig als Kritik am repressiven iranischen Staatssystem gesehen. Im folgenden Kapitel soll durch eine Analyse von Ausgangspunkt und der für die vorliegenden Fragen relevanten Forschungslage hinsichtlich des Ornaments eine vorläufige Begriffsbestimmung erarbeitet werden, die im Laufe der Studie immer wieder hinterfragt, ergänzt und, v.a. im 4. Kapitel vor dem Hintergrund aktueller Kunstpraxen, erweitert wird.

42

43

Forouhar, Parastou, Mit Schleier, ohne Schleier, Vortrag anl. des Symposiums »Fundamentalismus und Kunst«, Düsseldorf 17. März 2002, veröffentlicht auf der Website der Künstlerin, https://www.parastou-forouhar.de/veiled-unveiled-parastou-forouhar2004/[Stand: 03.08.2020]. Forouhar, Parastou, Interview mit Sabine Vogel, in: AK Political Patterns, 34-36, hier 34.

2. Ornament. Ausgangspunkt, Forschungslage und vorläufige Begriffsbestimmung

Ausgangs- und Angelpunkt der vorliegenden Untersuchungen bildet die Frage nach Forouhars künstlerischen Strategien hinsichtlich der Verwendung des Ornaments. Die erste für diese Unternehmung zu klärende Frage lautet: Ist es überhaupt legitim, den Begriff »Ornament« in Zusammenhang mit Forouhars Zeichnungen zu verwenden? Um zu zeigen, in welcher Weise es gerechtfertigt scheint, Forouhars Bildgestaltungen als Ornament zu bezeichnen, wird in diesem Kapitel eine Besprechung verschiedener Ornamentverständnisse und -definitionen unternommen.1 Durch diese einleitende Annäherung wird gleichzeitig sichtbar, wie vielschichtig sich dieses Feld gestaltet. Das Ziel der Beschäftigung mit dem Terminus Ornament besteht darin, ein tieferes Verständnis für Forouhars Umgang mit ornamentalen Strukturen zu erzielen. Aus ihrer künstlerischen Praxis heraus soll eine Beschreibung entwickelt werden, die mit traditionellen zeitgenössischen Ornament-Theorien abzugleichen ist. So soll eine Basis geschaffen werden, die für die Beschreibung des Umgangs zeitgenössischer KünstlerInnen mit dem Ornament anwendbar ist.

1

Dabei wird weder eine allgemeingültige noch endgültige Begriffsbestimmung angestrebt. Beispielsweise zeigen auch Gülru Necipoglu und Alina Payne bereits mit dem Titel ihrer 2016 herausgegebenen Publikation zum Ornament an, dass es nicht darum gehen kann, eine allgemeingültige universelle Begriffsbestimmung vorzulegen. Die Autorinnen thematisieren das Ornament in seinen Kontexten, Medien und Transformationsprozessen, was in der Einleitung zu diesem Band ausgeführt wird, vgl. Necipoglu, Gülru/Payne, Alina, Introduction, in: dies. (Hg.), Histories of Ornament. From Global to Local, Princeton/Oxford 2016, 1-6, hier 4 und 6.

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Das Ornament als Denkfigur

2.1

Das Ornament in der »westlichen« Tradition. Einführung

Die begriffliche Bestimmung des Ornaments gestaltet sich deshalb äußerst komplex, da sie in ihrer Geschichte viele Bedeutungswandlungen durchlaufen hat und von verschiedensten Quellen gespeist wird. Wirkmächtige Theorien der »westlichen« Tradition, vor allem kunsttheoretischer und philosophischer Art, nehmen verschiedene Kunstformen, wie z.B. das Architekturornament in den Blick, oder aber betrachten es gattungsübergreifend unter spezifischen Bezugspunkten wie stilistischen Merkmalen. Dieser Umstand macht es unmöglich, zu allgemeingültigen Aussagen über »das Ornament« zu gelangen.2 Eine erste Annäherung an den Begriff findet deshalb zunächst in so allgemein gehaltenen Charakterisierungen statt, wie sie unser Alltagsverständnis prägen. Im Folgenden wird ein weiter gefasstes Bedeutungsspektrum aufgezeigt, das durch eine etymologische Befragung erschlossen wird. Die Anwendbarkeit kunstwissenschaftlicher Charakterisierungen, die die Kunst der Gegenwart nicht im Blick haben, wird anschließend thematisiert bzw. problematisiert. Ziel dieser Analyse ist es, die Basis für einen vorläufigen Arbeitsbegriff zu erarbeiten.

Ornamentdefinitionen in verschiedenen Lexika Allgemeine Charakterisierungen, die unser Alltagsverständnis vom Ornament wiedergeben, finden sich in diversen Lexika und beschreiben das Ornament als Verzierung bzw. schmückendes Beiwerk, das an Bauwerken und Gegenständen zu finden ist. »[Das Ornament ist eine, Anm. S.W.] sich wiederholende Verzierung an Bauwerken und Gegenständen aller Art. Das Ornament kann die Form des Gegenstands, dessen Schmuck es bildet, gliedern und betonen, sich aber auch neutral zu ihr verhalten oder sie überwuchern […]« 3 »[…] Das Ornament ist kein selbständiges Gebilde, sondern bedarf eines Trägers, dem es entweder als plastische Form aufgelegt, aufgemalt oder eingelegt sein kann. Das Ornament ist nicht nur eine Verzierung schlechthin, sondern eine Grundform des künstlerischen Ausdrucks des Menschen.«4 2 3 4

Vgl. ebd. Art. Ornament, in: Brockhaus, Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, 16 (19 1991), 277-279, hier 277. Art. Ornament, in: Seemanns Lexikon der Ornamente. Herkunft, Entwicklung, Bedeutung, Leipzig 2004, 375.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

»Decorative devices applied or incorporated as embellishment. Ornament and pattern are not generally essential to the structure of an object, but they can serve a number of other purposes […]« 5 Definitionen wie diese sind, worauf Günter Irmscher zurecht hinweist,6 geprägt von Ornamenttheorien des 19. Jahrhunderts und entsprechen keineswegs älteren historischen Ornamentvorstellungen. Sie beziehen sich auf das Ornament der bildenden Künste7 und spiegeln die Bedeutungsvielfalt des Wortes nicht wider, wie sie seit der griechischen Antike greifbar ist.

Wortherkunft Der griechische Begriff κóσμος wurde verwendet, um Ordnung, Anstand und Schmuck zu bezeichnen, später auch Weltordnung bzw. Welt.8 In dieser Wortverwendung zeigt sich die antike Vorstellung vom Kosmos als wohlgeordnetes Ganzes, ebenso wie die Verbindung des Geordneten mit dem Geschmückten, dem Schönen.9 Mit dem Begriff des Geschmückten war auch, wie man an der Verwendung des Begriffs in der Rhetorik als Redeschmuck sieht, die Dimension des Angemessenen/Schicklichen verbunden.10 Das lateinische »ornamentum« sowie die stammverwandten Wörter »ornate«, »ornatio«, »ornator« und »ornatus« führen die Bedeutung des Geschmückten weiter und differenzieren diese aus; darüber hinaus bleibt die Dimension des Schicklichen, des Geziemenden in dem Begriff bestehen.11 Die Vielfalt der Bedeutungen (z.B. steht »ornatus« u.a. für Ausrüstung, Waffen, Kostüm, Arrangement eines Festes, das Ausschmücken eines Gegenstandes, einer

5 6

7 8 9 10

11

Collon, Dominique, Art. Ornament and Pattern, in: The Dictionary of Art in thirty-four Volumes, 23 (1996), 531-565, hier 531. Vgl. Irmscher, Günter, Kleine Kunstgeschichte des europäischen Ornaments seit der Frühen Neuzeit (1400-1900), Darmstadt 1984, 1; vgl. auch Kroll, Ornament in der Kunsttheorie, 7-9. Vgl. Irmscher, Kleine Kunstgeschichte, 2. Vgl. Frisk, Hjalmar, Art. κóσμος, in: Griechisches etymologisches Wörterbuch, 1 (2 1973), 929. Vgl. ebd. sowie Irmscher, Kleine Kunstgeschichte, 1-5. Vgl. Kroll, Frank-Lothar, Art. Ornament (Kap. I-III), in: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, 7 (2002), 656-678, bes. 656-657. Eine ausführliche Begriffsgeschichte findet sich bei Irmscher, Kleine Kunstgeschichte, 1-5.

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Das Ornament als Denkfigur

Rede, eines Schreibens; auch für Distinktion und Ehre) hat sich bis in die Neuzeit erhalten.12 Angesichts der etymologischen Wurzeln des Ornaments drängt sich folgende Frage auf: Ist es legitim, auf eine Begriffsgeschichte, die lediglich abendländische Traditionen fokussiert, zurückzugreifen angesichts der Tatsache, dass die Künstlerin, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht, iranische Wurzeln hat und mit Bildtraditionen dieser Kultur arbeitet? Zum einen wird in diesem einleitenden Kapitel zunächst ein Ausgangspunkt erarbeitet, der danach fragt, was ganz allgemein mit dem Wort Ornament bezeichnet wird. Zum anderen hat der antike, weit gefasste κóσμοςBegriff insofern Relevanz für diese Arbeit, da die dem Begriff und somit dieser Weltsicht zugrundeliegende Vorstellung als wesentlich älter als die abendländische Philosophie bestimmt wird13 und in Denkweisen und Religionen verschiedenster kultureller Kontexte – wohl auch speziell der persischen Kultur – präsent war.14 Detailliert wird auf dieses Thema in Kapitel 4.1 eingegangen. Neben einer etymologischen Annäherung könnten zahlreiche detaillierte Untersuchungen befragt werden, die aus kunsthistorischer oder philosophischer Perspektive versuchen, den Ornament-Begriff zu ergründen. Eine Zusammenschau von Frank-Lothar Kroll ordnet und systematisiert beispielsweise die Ornamentliteratur des 19. Jahrhunderts15 nach unterschiedlichen Fragestellungen: a) Schriften, die unter anderem den Ursprung bzw. die Entstehung des Ornaments zu ergründen versuchen (er nennt und bespricht Gottfried Semper, Alois Riegl und Wilhelm Worringer); b) Schriften die sich formalen und materialen Kennzeichen widmen (Carl Boetticher, Friedrich Theodor Vischer, Theodor Lipps, Gottfried Semper, Alois Riegl); c) Versuche einer ontologischen Bestimmung (Kant, Hegel, Schelling); d) Schriften die der Frage nach dem Sinn und der kunstgeschichtlichen Bedeutung des Ornaments nachgehen.16 Krolls Zusammenfassung dieses Themenbereiches soll 12 13

14

15 16

Vgl. ebd., 1-2. Vgl. Janke, Wolfgang/Siegmann, Georg, Makrokosmos/Mikrokosmos II. Philosophisch, in: Theologische Realenzyklopädie 21 (1991), 748-754 sowie Lanczkowski, Günter, Art. Makrokosmos/Mikrokosmos I, in: Theologische Realenzyklopädie 21 (1991), 745-748. Vgl. ebd.; zur Bedeutung in der persischen Kultur vgl. Gignoux, Philippe, Man and Cosmos in acient Iran (Serie Orientale Roma, XCI), Rom 2001, Kap. 3, 49-63 sowie ders., Microcosm and Macrocosm, in: Encyclopaedia Iranica, online edition, 2015 (publ. 2004), www.iranicaonline.org/articles/microcosm-and-macrocosm [Stand: 03.08.2020]. Kroll dehnt diesen Rahmen vom späten 18. Jh. bis ins frühe 20. Jh. Vgl. Kroll, Ornament in der Kunsttheorie.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

hier wiedergegeben werden, da sie zeigt, wie vielfältig die Antworten der verschiedenen Autoren ausfielen: »Das Ornament erschien als rein formales Mittel zur Verlebendigung von Kunstwerken (Vischer), als symbolischer Ausdruck einer Zweckfunktion (Semper), als Schutz und Abwehr gegen chaotisch andrängende Mächte der Lebenswirklichkeit (Worringer), als Wertbezeichnung (Schmarsow), als Manifestation leiblicher Dispositionen (Wölfflin, Schmitz), als Zeichen gesellschaftlichen Ansehens (Lukács), als Mittel zur Vergegenwärtigung von Wunschwelten (Bandmann), als metaphorischer Hinweis auf Gottes Allmacht (Lützeler).«17 Einen Überblick über diese Fülle an unterschiedlichen Annäherungen zu leisten, würde ein eigenes wissenschaftliches Projekt darstellen, auch liegen bereits Publikationen vor, die diese Unternehmung in Teilen abdecken18 . Weiters stellt sich die Frage der Anwendbarkeit der überwiegend der »westlichen Tradition« verpflichteten Theorien für diese Studie erneut. Aus diesem Grund wird auf einzelne Ornamenttheorien dann Bezug genommen, wenn es im Zusammenhang wesentlich erscheint, konzentriert jedoch in diesem Kapitel sowie im vierten Teil der Untersuchung. Von welchem Ornamentverständnis kann diese Studie ihren Ausgang nehmen und inwiefern ist die Rede vom Gebrauch des Ornaments für die Bildfindungen Parastou Forouhars zutreffend? Um dies darzulegen, muss zunächst eine Begriffsabgrenzung erfolgen, denn in Anbetracht der Weise, wie das Ornament von Forouhar und anderen GegenwartskünstlerInnen eingesetzt wird, kann die Charakterisierung des Ornaments als Kunstgattung – die ihren Weg wie beschrieben auch in ein allgemeines Ornamentverständnis gefunden hat – nicht veranschlagt werden.  

17 18

Ebd., 155. S. z.B. Irmscher, Kleine Kunstgeschichte, Frank, Isabelle/Hartung, Freia (Hg.), Die Rhetorik des Ornaments, München 2001; Raulet, Gerard/Schmidt, Burghart (Hg.), Kritische Theorie des Ornaments, Wien/Köln/Weimar 1993; Kroll, Ornament in der Kunsttheorie, Gombrich, Ernst H., Ornament und Kunst, Schmucktrieb und Ordnungssinn in der Psychologie, übers. v. Albrecht Joseph, Stuttgart 1982; Grabar, Oleg, The Mediation of Ornament, Princeton, N.J 1992; Necipoglu, Gülru, The Topkapi Scroll. Geometry and Ornament in Islamic Architecture, Santa Monica 1995.

33

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Das Ornament als Denkfigur

Das Ornament als Kunstgattung   »Neben Architektur und Bild ist das Ornament eine eigenständige Gattung in der bildenden Kunst. Die Schmuckfunktion bedeutet eine Auszeichnung nach Ordnungsregeln, wobei die Begriffe von Schmuck und Ordnung zwei nahe beieinanderliegende Begriffe zu sein scheinen. Nach Alois Riegel ist Ornament ›Muster auf Grund‹. Es gibt einen Ornamentträger und Muster in verschiedenster Art auf diesem Ornamentträger, wobei Ornamentgrund ein Bauwerk genauso wie eine Buchseite sein kann. Wesentlich ist, dass das Ornament vom Grund abhängt. Mit der Definition von Ornament hängt der Begriff des Musters zusammen […]. Im Muster bzw. in der Wiederholung eines gleichbleibenden Rhythmus liegt ein wesentliches Prinzip des Ornaments. […] Das Ornament ist nicht zu verwechseln mit dem Ornamentalen. Das ›Ornamentale‹ ist ein Prinzip, das vom Ornament her an andere Gattungen abgegeben werden kann, etwa in der Dekoration genauso wie in Bildstrukturen. […]« 19 Dem Ornament als Kunstgattung kommt überwiegend eine Schmuckfunktion zu, was bedeutet, dass die visuelle Form den Inhalt20 oder »narrativen Wert«21 überlagert. Der Kunsthistoriker James Trilling beschreibt diesen Umstand wie folgt: »Ornament is decoration in which the visual pleasure of form significantly overweighs the communicative value of content.«22 Günter Irmscher weist darauf hin, dass diese Bestimmung die Abgrenzung zu den Kunstarten der Malerei oder Bildhauerei darstellt, bei denen die narrative Funktion überwiegt. Aus diesem Grund kommt, so Irmscher, dem Ornament auch nicht der Status eines klassischen Bildes zu.23 Die Bezeichnung des Ornaments als Kunstgattung kann vor allem deshalb nicht für Tendenzen der Gegenwartskunst veranschlagt werden, da zunächst die Kunstgattungen und deren Definitionen für die Kunst der Gegenwart nicht mehr anwendbar sind. Vera Beyer und Christian Spies, beide dem

19 20 21 22 23

Art. Ornament, in: Die große Enzyklopädie der Malerei. Maler Grafiker, Epochen, Stile, Museen der Welt, 6 (1978), 2078. Vgl. Trilling, James, Ornament. A Modern Perspective, Seattle 2003, 23. Irmscher, Kleine Kunstgeschichte, 5. Trilling, Ornament, 23. Vgl. Irmscher, Kleine Kunstgeschichte, 5-6.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

Forschungsnetzwerk »Ornament. Motiv-Modus-Bild« zugehörig, eine Gruppe von KunsthistorikerInnen, die sich über vier Jahre dem Thema der Relation zwischen Ornament und Bild (im Sinne der klassischen flächigen Bildmedien) widmete, kennzeichnen die Kunstgattungen und deren Voraussetzungen als begrenzte historische und funktionale Bestimmung, bei der »Bilder im Wesentlichen als Illusion, Figuration und Narration verstanden werden« und stellen fest: »Je stärker das Bild zum autonomen Medium der Darstellung wurde, umso mehr galt das Ornament als dekoratives Beiwerk«.24 Vera Beyer hat herausgearbeitet, dass diese Opposition zwischen Bild und Ornament nicht aufrechtzuerhalten ist, sobald man das Bild jenseits des klassischen Verständnisses als »visuelle Anordnungen sichtbarer Elemente« versteht.25 Sie schlägt vor, das Ornament ebenso wie das Bild als Anordnung visueller Formen zu begreifen und beide in ihrer Beziehung zu untersuchen. Beyer nennt als Gewährsmann für den Ansatz, das Ornament nicht nur als Motiv zu sehen, sondern auch in seiner das Bild strukturierenden Eigenschaft, Jean-Claude Bonne.26 Eben dieser Ansatz, das Ornament als visuelle Anordnung zu begreifen, ist auch das Ansinnen dieser Studie, die sich allerdings von den Studien des Forschungsnetzwerks »Ornament. Motiv-Modus-Bild« insofern unterscheidet, als sie den Fokus nicht auf die Relation von Ornament und Bild bzw. Bildlichkeit legt.27 Der Fokus dieser Untersuchung liegt auf der Analyse der formalen Eigenschaften des ornamentalen Prinzips, das sich in der künstlerischen Praxis als Sinn generierendes Element herausstellt und sich besonders dazu zu eignen scheint, inhaltliche Spannungen aufzubauen und inhaltliche Aussagen allein durch das (An-)Ordnungsprinzip des Ornamentalen zu treffen. Das Ornament scheint somit als Denkfigur in den Werken der Gegenwartskunst zu fungieren, wobei noch zu erarbeiten sein wird, was genau unter Denkfigur in diesem Zusammenhang verstanden werden kann. Ein anderer Grund, warum traditionelle Ornamentbegriffe für den Fokus dieser Studie nicht greifen, besteht in dem Umstand, dass die ornamentalen Gestaltungen von GegenwartskünstlerInnen den »klassischen Bildstatus« schlichtweg voraussetzen, wie an den thematisierten Werken noch zu sehen

24 25 26 27

Beyer, Vera/Spies, Christian, Einleitung. Ornamente und ornamentale Modi des Bildes, in: dies. (Hg.), Ornament. Motiv – Modus – Bild, München 2012, 12-23, hier 12. Beyer, Vera, Unding Ornament? Abgebildete Vorhänge zwischen Ornament und Figur in der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts, in: dies., ebd., 27-56, hier 27-30. Vgl. ebd., 26. Dieser Unterschied wird detaillierter in Kap. 4.1.2 ausgeführt.

35

36

Das Ornament als Denkfigur

sein wird. Von der traditionellen Kunsttheorie wird dem Ornament der Status des klassischen Bildes wie bereits beschrieben jedoch nicht zuerkannt, da die Schmuckfunktion narrative Werte überlagere. Mit den historischen Zuschreibungen gesprochen, haben die aktuellen Kunstwerke, die oft ausschließlich in einer Ornamentierung der Bildfläche bestehen, auch wesentlich narrativen Charakter, der sich aber in der »Schmuckfunktion« verbirgt bzw. durch die »Schmuckfunktion« ausgedrückt wird. Auch weitere Charakteristika, die dem Ornament im Allgemeinen zugesprochen werden und auf traditionellen Kunsttheorien beruhen, treffen für die aktuelle Kunstpraxis nicht uneingeschränkt zu. Der Kunsthistoriker James Trilling nennt folgende Merkmale als Kennzeichen für das Ornament in den »westlichen« sowie großteils auch anderen Traditionen: »Symmetrie, Wiederholung, Flachheit, drastische Vereinfachung oder Verkomplizierung der Umrisslinie und die Fragmentierung, Transformation und Rekombination von organischen Formen unter Missachtung der Natur.«28 So gibt es zum Beispiel ornamentale Formen, die sich in der gegenwärtigen künstlerischen Praxis räumlich ausbreiten. Dies ist jedoch kein ausschließliches Phänomen der Gegenwart (Abb. 15, 16), sondern eine Charakteristik, die sich in der Kunsttheorie nur durch die Ausblendung islamisch geprägter Kunst aufrechterhalten ließ (Abb. 17).29 Ein Ornamentverständnis, das als Arbeitsbegriff der vorliegenden Untersuchung dienen kann, muss die gegenwärtigen künstlerischen Praxen adäquat beschreiben können. Ausgangsthese der vorliegenden Arbeit bildet die Annahme, dass GegenwartskünstlerInnen sich nicht nur mit den schier unbegrenzten formalen Möglichkeiten des Ornaments auseinandersetzen, sondern dass dem Ornament in ihren Bearbeitungen Relevanz als Denkfigur zukommt. Als Anhaltspunkt wird im Folgenden ein Ornamentverständnis bereitgestellt, mit dem angesichts der Werke von Forouhar und anderen GegenwartskünstlerInnen gearbeitet werden kann.

28 29

Trilling, Ornament, 23 [Übers. S.W.]. Gülru Necipoglu zeigt anhand der Muqarnas auf, dass das Ornament auch in der Geschichte nicht nur als Flächenphänomen, sondern auch in dreidimensionaler Ausdehnung gedacht und ausgeführt wurde, was von der »westlichen« Ornamentliteratur v.a. des 19. Jahrhunderts aus ideologischen Gründen ausgeblendet wurde, s. dazu: Necipoglu, Gülru, The Discourse on the geometric »Arabesque«, in: dies., The Topkapi Scroll, 61-87.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

2.2

Das Ornament. Vorläufiger Arbeitsbegriff

Ein vorläufiges Ornamentverständnis muss sehr allgemein gehalten werden, um auf verschiedene künstlerische Praxen von GegenwartskünsterInnen anwendbar zu sein, und das, was als Ornament bezeichnet wird, dennoch ausreichend charakterisieren. Ein Verständnis des Ornaments, mit dem es möglich erscheint, im Rahmen der vorliegenden Studie zu verfahren, ist, das Ornament als Methode zu kennzeichnen. Diese Charakterisierung hat Oleg Grabar für die Beschreibung des Ornaments der frühislamischen Kunst benutzt.30 Er sieht im frühislamischen Ornament eher eine Methode oder Idee als einen Stil. Als Methode beschreibt er die Tendenz, alles zu ornamentalisieren, jedes Thema in jeder Technik, und er kennzeichnet die Einzigartigkeit des frühislamischen Ornaments nicht durch eine Neuentwicklung von Formen, sondern durch das Ornamentalisieren von Flächen, das den Werken in dieser Hinsicht ein einheitliches Erscheinungsbild gab.31 Grabars Charakterisierung des Ornaments als Methode oder Idee,32 die darin besteht, alles, d.h. jegliche Bildelemente, zu ornamentalisieren, bedeutet, sie einem gewissen Regelsystem zu unterwerfen und ist vergleichbar mit der Beschreibung, die Vera Beyer und Martina Dobbe für das Ornament finden.33 Bei Beyer wie bei Dobbe wird das Ornamentale als »Gestaltungsmodus« verstanden; Dobbe präzisiert dies wie folgt: »Seiner Sprachform nach – als substantiviertes Adjektiv – wird man unter dem Ornamentalen so etwas wie das Prinzip des Ornaments, sein Struktur- oder Entwicklungsgesetz verste-

30 31 32

33

Vgl. Grabar, Oleg, Frühislamischer Dekor: Die Idee einer Arabeske, in: ders., Die Entstehung der islamischen Kunst, übers. v. Frank R. Scheck, Köln 1977, 260-276. Vgl. ebd., 275. In einer eigenen Abhandlung über das Ornament verleiht Grabar dieser Charakterisierung keine Gewichtung, dort beschreibt er das Ornament als Schmuckelement, das eine Mittlerfunktion zwischen dem Kunstwerk und RezipientInnen übernimmt, die den Zugang und die Weise der Betrachtung emotional lenkt. Vgl. Grabar, Oleg, The Mediation of Ornament (Bollingen Series, XXXV), Princeton, N.J. 1992, bes. 226-237. Dass er aber das Ornament als Prinzip im Sinne eines Regelwerks denkt, lässt sich z.B. an folgender Formulierung ablesen: »Das Ornament verwandelt alles, was von ihm erfasst wird, unabhängig vom Inhalt, in ein visuelles Vergnügen.« Grabar, Oleg, Islamische Ornamentik und westliche Abstraktion – kritische Anmerkungen zu einer Wahlverwandtschaft, in: AK Ornament und Abstraktion, 70-72, hier 70. Vgl. Beyer, Unding Ornament?, 26-57 sowie Dobbe, Martina, Das Ornamentale als bildtheoretisches Konzept?, in: Beyer/Spies, Motiv – Modus – Bild, 317-347.

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38

Das Ornament als Denkfigur

hen wollen, einen Gestaltungsmodus, kein gestaltetes Motiv«.34 Beyer und Dobbe legen in ihren Studien den Fokus auf die Entstehung von Bildlichkeit und interessieren sich für die Rolle des Ornaments in diesem Zusammenhang. Aus diesem Grund möchte ich von der sehr offenen, wenn auch nicht weiter fundierten Beschreibung Grabars ausgehen, die das Ornament als Methode charakterisiert. Meine Entscheidung beruht nicht zuletzt auf der Tatsache, dass Grabar bei seinen Betrachtungen das Ornament islamisch geprägter Kunst im Blick hat. Diese Methode, man könnte es auch Prinzip nennen, ist in der Definition des Ornaments als Kunstgattung, wie zuvor aufgeführt, explizit als das »Ornamentale« abgegrenzt worden. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Wort »Ornament« analog zu und im Sinne der Bezeichnung »ornamentales Prinzip« verwendet, da dieses Prinzip dem Ornament innewohnt und als Charakterisierung eine gute Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung eines aktualisierten Ornamentverständnisses darstellt. Diese Kennzeichnung scheint offen genug, um auf aktuelle Kunsttendenzen anwendbar zu sein und charakterisiert ein wesentliches Merkmal von dem, was das Ornament in seiner Anwendung ausmacht. Die Bezeichnungen Ornament, das Ornamentale und ornamentales Prinzip werden somit im Rahmen dieser Arbeit analog und in dem genannten Verständnis verwendet. Dieser Wortgebrauch markiert auch, dass nicht das »gestaltete Motiv«35 , sondern das Ornamentale als Prinzip, in den Werken Forouhars wie auch anderer GegenwartskünstlerInnen, Gegenstand der Untersuchung ist.

2.2.1

Ornament – Muster. Versuch einer Abgrenzung

Wer sich mit dem Begriff Ornament auseinandersetzt, stößt automatisch auf die Bezeichnung Muster. Auch dieser Terminus wird nicht einheitlich verwendet. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird Muster, so wie der Kunsthistoriker James Trilling es vorschlägt, als Motiv verstanden, das wiederholt, kombiniert oder auf andere Weise in ein mehr oder weniger geordnetes Arrangement gebracht wird.36 Trilling räumt bei seiner Charakterisierung ein, dass

34 35 36

Dobbe, Das Ornamentale als bildtheoretisches Konzept?, 317-347, hier 317. Ebd., 317. » When motifs are repeated, combined, or otherwise arranged in a more or less orderly way, the result is a pattern.« Trilling, James, How Ornament works, in: ders., Ornament, 21-46, hier 29.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

nicht jedes Muster gleichzeitig auch Ornament sei, aber der größte Teil der Ornamente im Laufe der Geschichte aus Motiven bestünde, die in Mustern arrangiert würden.37 Für Forouhars Bildfindungen kann diese Charakterisierung jedenfalls in Anschlag gebracht werden. In einer Enzyklopädie der Malerei wird mit ähnlicher Stoßrichtung das Muster als das wiederholende, rhythmisierende Prinzip des Ornaments charakterisiert.38 Eine andere Unterscheidung zwischen Ornament und Muster wird z.B. von der Kunstwissenschaftlerin Annette Tietenberg betont, indem sie das Ornament als nachträglich Hinzugefügtes charakterisiert, das eines Trägers bedarf, während das Muster als »integraler Bestandteil der Trägerkonstruktion« beschrieben wird.39 Diese Charakterisierung erfolgt – wie bei Trilling auch – mit dem Hinweis, dass sie nicht in jedem Fall in Anwendung gebracht werden kann.40 Innerhalb dieser Studie ist eine mögliche Abgrenzung zwischen Ornament und Muster nicht vordergründig, da das Ornament im Sinne des ornamentalen Prinzips gedacht wird. Der Begriff Muster findet nur dann Anwendung, wenn es um Detailuntersuchungen zu dem sich wiederholenden Motiv geht. Aus diesem Grund wird mit der Definition des Musters nach Trilling gearbeitet, da sie eine anwendbare Unterscheidung für den Fokus der Untersuchung bietet.

2.3

Das Ornament vor dem Hintergrund einer »Global Art History«. Forschungslage

Eine für die vorliegende Arbeit relevante Studie in Bezug auf die Thematisierung des Ornaments in der Gegenwartskunst stellt die Dissertation Muster der Ambivalenz. Subversive Praktiken in der ägyptischen Kunst der Gegenwart, die 2017 publiziert wurde, dar.41 Judith Bihr untersucht darin den Einsatz des Ornaments in der ägyptischen Gegenwartskunst und stellt fest, dass ornamentale Strukturen als kritisches Reflexionsmittel eingesetzt werden. Bihr kon37 38 39

40 41

Vgl. ebd. Vgl. Art. Ornament, in: Die große Enzyklopädie der Malerei. Maler Grafiker, Epochen, Stile, Museen der Welt, 6 (1978), 2078-2080. Vgl. Tietenberg, Annette, Das Muster, das verbindet, in: Schmidt, Petra u.a. (Hg.), Patterns. Muster in Design, Kunst und Architektur, Basel/Boston/Berlin 2007, 6-11, hier 7 und 12. Vgl. ebd., 7. Bihr, Judith, Muster der Ambivalenz. Subversive Praktiken in der ägyptischen Kunst der Gegenwart (Image 96), Bielefeld 2017.

39

40

Das Ornament als Denkfigur

statiert, dass Ornamente, die Bezug auf die (ägyptische) Kunsttradition nehmen, in einem zeitgenössischen globalen Kontext künstlerisch transformiert werden, dadurch als kritisches Reflexionsmittel zur Verfügung stehen42 und somit auch »binäre Modelle, die auf dichotomen Setzungen wie Orient versus Okzident beruhen […]«43 , unterlaufen können. Ornamente stellen, so die Einschätzung Bihrs, auch ein wesentliches Element innerhalb des postkolonialen Kunstdiskurses dar, da sie als »künstlerische Strategie der kritischen Unterwanderung vorgefasster Kategorien«44 eingesetzt werden. Die Autorin bewegt sich auf dem schwierigen Weg zwischen der Forderung nach einer Notwendigkeit der Kontextualisierung von (ägyptischer) Gegenwartskunst in ihren historischen und gesellschaftspolitischen Dimensionen einerseits und der Suche nach einer geeigneten (universal einsetzbaren) Methode bzw. geeigneten Maßstäben zur Untersuchung von Kunst in globaler Perspektive andererseits. In diesem von ihr auch so charakterisierten Spannungsfeld versucht Bihr beides einzulösen. Sie analysiert fünf Positionen ägyptischer Gegenwartskunst (die mit ornamentalen Bildelementen arbeiten) vor dem Hintergrund der kunsthistorischen Entwicklung der ägyptischen modernen Kunst. Sie konstatiert, dass der Rückgriff der Gegenwartskunst auf die ältere Kunsttradition nur im Spiegel der Entwicklungen der modernen ägyptischen Kunst verstanden werden kann, die sich stets »[…] in einem transkulturellen Verflechtungskontext manifestierten«.45 Um ihrer zweiten Forderung gerecht zu werden, stellt die Autorin das Ornament als möglichen »Vergleichsrahmen« für ein »analytisches Zugangsmodell« zur kunstwissenschaftlichen Untersuchung in globaler Perspektive vor.46 Bihr stellt fest: »Die Beschäftigung mit ornamentalen Strukturen in Kunstwerken der Gegenwart und das Ausloten der Möglichkeiten postkolonialer, kulturvergleichender Fragestellungen, die der Umgang mit ornamentalen Bildstrukturen in der Gegenwartskunst bietet, können somit erste Ansätze einer transkulturellen Methodik andeuten. Ornamente sind ein globales Phänomen.«47

42 43 44 45 46 47

Vgl. ebd., 14-16. Ebd., 15. Ebd. Ebd., 45. Vgl. ebd., 44-46. Ebd., 45.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

Wie die Autorin aber selbst einwirft, haben die Ornamente in den verschiedenen kulturellen Verflechtungen verschiedene Bedeutungsdimensionen. Bihrs Argument, dass sie deshalb einen idealen Ausgangspunkt für die methodische Untersuchung transkultureller Kunst darstellen, weil sie die Schwelle zum figürlichen Bild bzw. zur monochromen Reduktion der modernen »westlichen« Kunsttradition unterlaufen, teile ich nicht, da zu befürchten ist, dass durch diese Argumentation die Dichotomie »Orient versus Okzident« ungewollt weitergeführt wird.48 Bihrs Analysen sind in dem Punkt zu bestärken, dass eine mögliche Charakterisierung des Ornaments in der Kunst der Gegenwart, besonders islamisch geprägter Länder, in der transkulturell/postkolonialen Kennzeichnung des Ornaments als Mittel der kritischen Unterwanderung dichotomer Setzungen besteht. Wie Bihr es für die gegenwärtige ägyptische Kunstszene beschreibt und es auch für KünstlerInnen des Nahen und Mittleren Ostens und der Diaspora zutrifft,49 greifen KünstlerInnen auf Formelemente der eigenen Kultur- und Bildtradition – darunter das Ornament – zurück.50 Wie Bihr es in ihrer Untersuchung herausstreicht, werden kulturell zuordenbare Darstellungselemente wie etwa Tschador, Hijab, Burka51 sowie kalligraphische Ele-

48

49 50 51

So wichtig und berechtigt transkulturelle und postkoloniale Fragestellungen für die gegenwärtigen Kunsttendenzen auch sind, habe ich den Eindruck gewonnen, dass es gegenwärtig auch geschieht, dass unter dem Überbegriff von inter- bzw. transkultureller Kunst oder auch Globalkunst alle »nicht-westliche« Kunst verstanden wird, die in einen Gegensatz zur »westlichen« Kunst gebracht wird. Das bedeutet wiederum eine Polarisierung im Sinne von Ein- und Ausschließung und kann nicht im Sinne transkultureller Fragestellungen sein. Zu bedenken ist, ob transkulturelle und postkoloniale Fragestellungen nicht als selbstverständliche Methode der Kunstwissenschaft angewendet werden sollten, damit die Dichotomien Orient/Okzident und Eigenes/Fremdes nicht dauerhaft im Vordergrund der Analysen »nicht-westlicher« Kunst stehen und den Blick auf andere Aspekte verstellen. »Westliche« wie »nicht-westliche« Kunst könnte mit spezifischen transkulturellen, postkolonialen und traditionellen kunstwissenschaftlichen Fragestellungen untersucht werden, somit wäre die Behandlung »nichtwestlicher« Kunst als Sonderfall von Kunst unterbunden und auch »westlicher« Kunst käme das Recht zu, unter transkulturellen Aspekten thematisiert zu werden, wie es ja auch gehandhabt wird. Vgl. z.B. einzelne Beiträge in: Tietenberg, Muster im Transfer. Vgl. die in der vorliegenden Arbeit thematisierten KünstlerInnen sowie beispielsweise folgende Ausstellungskataloge: AK Die Macht des Ornaments, AK Political Patterns. Vgl. Bihr, Muster der Ambivalenz, 15. Vgl. dazu auch Allerstorfer, Representing the Unrepresentable.

41

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Das Ornament als Denkfigur

mente verwendet, nicht zuletzt, um am Kunstmarkt reüssieren zu können.52 Die KünstlerInnen nutzen diese Thematisierung als Unterlaufen der scheinbar von ihnen selbst bedienten Stereotypen.53 Im Unterschied zu Bihrs Thesen wird in dieser Studie davon ausgegangen, dass das Ornament in der Gegenwartskunst vor allem aufgrund der dem Ornament inhärenten Ordnungsfunktion Verwendung findet, die es erlaubt, zeichenhaft Stellung zu in den Kunstwerken zur Disposition gestellten Themen zu nehmen, natürlich auch kritische. Mit dem Wort »zeichenhaft« soll markiert werden, dass durch das Ordnungsprinzip des Ornaments eine Möglichkeit der Darstellung genutzt wird, Ordnung und Anordnung an sich zu thematisieren, womit das Ornament zu einer sinnstiftenden Form, zu einer Denkfigur wird. Bihrs Ergebnisse zum Ornament hinsichtlich des transkulturellen und postkolonialen Diskurses sollen durch diese Studie keinesfalls negiert werden. Wenn man so will, werden erweiternde Ansätze für die Analyse des Ornaments erarbeitet, die sich aus einer anderen Blickrichtung ergeben.54 Dezidiert mit dem Ornament in Fragestellungen des Globalen setzt sich die 2016 von Gülru Necipoglu und Alina Payne herausgegebene Schrift Histories of Ornament auseinander.55 Für die vorliegende Studie jedoch werden keine Anknüpfungspunkte geboten, da im Zentrum von Histories of Ornament das Architekturornament steht und gegenwärtige Entwicklungen ausschließlich der Architektur beleuchtet. Der Sammelband umfasst umfangreiche Auseinandersetzungen mit dem Ornament vom Mittelalter bis heute aus vielen Regionen der Welt. Durch Einzelstudien verschiedener Zeiten und Länder, 52

53 54

55

Ob dies der Hauptgrund ist, warum sich KünstlerInnen mit dem Ornament bzw. ihrem eigenen Kulturerbe und der eigenen Bildtradition beschäftigen, soll hier nicht beantwortet werden. Diese Vermutung wird jedoch für die iranische Gegenwartskunst in Kapitel 3.4 durch den Blick auf die jüngeren und aktuellsten Entwicklungen relativiert werden. Siehe zu diesem Thema auch: Naef, Silvia, »Moderne islamische Kunst« – Überlegungen zu einem problematischen Begriff, in: AK Taswir. Islamische Bildwelten und Moderne (Martin-Gropius-Bau, Berlin, 05.11.2009-18.01.2010), hg. v. Almut Sh. Bruckstein Coruth u. Hendrik Budde, Berlin 2009, 26-30, bes. 30. S. dazu Göckede/Karentzos, Der Orient, die Fremde sowie in spezifischen Fragestellungen Allerstorfer, Representing the Unrepresentable. Eine weiterführende Besprechung von Bihrs Untersuchung findet sich in der 2017 als Dissertationsschrift eingereichten Version dieser Studie: Winder, Ornament als Denkfigur, 32-33. Vgl. Necipoglu, Gülru/Payne, Alina (Hg.), Histories of Ornament. From Global to Local, Princeton/Oxford 2016.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

mit Blick auf das »Transmediale« sowie »transkulturelle Hybridität«, wird das Ornament als vielschichtiges Phänomen untersucht, das es nicht zu vereinheitlichen gilt.56 Einen weiteren aktuellen Beitrag zum Ornament im transkulturellen Kontext leistet die Publikation Muster im Transfer, die 2015 erschienen ist.57 Die Beobachtung, dass Muster58 von GegenwartskünstlerInnen transferiert und transformiert werden, »um das eigene Tun zu verorten, identitätsstiftend zu wirken und kulturelle Festschreibungen zu subvertieren«59 , wird in diesem Sammelband u.a. von KunstwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen unter verschiedenen Perspektiven und anhand verschiedener Kunstwerke thematisiert. Die Kunstwissenschaftlerin Annette Tietenberg fasst in ihrem einführenden Beitrag Gedanken und Theorien des Kunstdiskurses zu diesem Thema zusammen. Diese bewegen sich zwischen den Polen eines vorsichtigen Hoffens, dass das Ornament als Brücke zu einer neuen Globalkunst fungieren könne, somit zwischen Zeiten, Traditionen und Kulturen als globale Sprache vermitteln könne, wie dies bei Markus Brüderlin zum Ausdruck kommt,60 und einem Bewusstsein, dass dieser »Wunsch nach non-verbaler transkultureller Verständigung«61 die Gefahr einer »Enthistorisierung des Ornaments« berge, eine Position die Sigrid Schade vertritt.62 Schade schlägt für die Analyse des Ornaments ein semiologisches Konzept vor, das medientheoretische und medienhistorische Überlegungen mit einflicht, und kennzeichnet Ornamente als Schnittstellen, »innerhalb und an denen sich Übersetzungen inter56 57 58

59 60

61 62

Vgl. ebd., 4-5. Tietenberg, Muster im Transfer. Muster wird in dieser Publikation im Sinne von Tietenbergs Definition verwendet, s. dazu Kap. 2.2.1. Muster kann in diesem Zusammenhang mit der Bezeichnung Ornament, wie sie in vorliegender Arbeit verwendet wird, gleichgesetzt werden. Tietenberg, Muster im Transfer, Klappentext. Vgl. Brüderlin, Ornament und Abstraktion, 16-27. Diese breit rezipierte Ausstellung stellte das Ornament und vor allem die Arabeske als wesentlichen Einflussfaktor für die abstrakt werdende Kunst dar, die den Weg von der Romantik (Runge), den Symbolismus und den Jugendstil (Van de Velde, Hoffmann) nahm. Mit dem Ornament, präziser der »Konkretisierung des ornamentalen Prinzips der Arabeske« schlägt Brüderlin einen alternativen Zugang zur Abstraktion vor. Vgl. ebd., 23. Der Grund, warum diese Theorie nicht weiter kommentiert und verfolgt wird, besteht in der von der vorliegenden Arbeit abweichenden Fragerichtung. Tietenberg, Vom Zirkulieren der Muster, 10. Vgl. Tietenberg, Vom Zirkulieren der Muster, 7-20 sowie Schade, Das Ornament als Schnittstelle, 169-195.

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Das Ornament als Denkfigur

kultureller, medialer und technischer Art ereignen«.63 Tietenberg positioniert sich selbst, indem sie am Beispiel der Kufiya, die sowohl in ihrer materiellen Form – als gemustertes Kopftuch aus dem arabischen Raum – als auch als medial erzeugtes und verbreitetes Bild transkulturell kursiert, die Bedeutungsänderungen aufzeigt, die diesem Tuch zukamen.64 Sie schlägt resümierend vor, »[…] dass tradierte Muster als ein dem Text ebenbürtiges Aufzeichnungssystem wahrgenommen werden können, das im Hinblick auf die mit ihm verbundenen Haltungen, medialen Erscheinungsweisen, Riten, Mythen und Gemeinschaftswerte umsichtig zu erforschen wäre.«65 Tietenberg charakterisiert das Ornament mit diesem Vorschlag als Mnemotechnik, die es nicht nur »innerkulturell« zu analysieren gilt, sondern auch »im Spiegel der ›Selbstbilder‹ als auch ›Fremdbilder‹ verschiedener Kulturen«.66 Die beiden letztgenannten Beiträge zum Ornament weisen einmal mehr darauf hin, dass die verschiedenen Kontexte, auf die sich das Ornament bezieht, mitberücksichtigt werden müssen. Weiters, dass verschiedene Bedeutungshorizonte im Ornament enthalten sind, die von GegenwartskünstlerInnen aufgenommen und transformiert werden und dass dem Ornament eine subversive Kraft zu eigen ist. Die vorliegende Studie fragt nach den Bedeutungsdimensionen, die eröffnet werden, wenn eine iranischdeutsche Künstlerin mit dem Ornament Bezüge zur persischen Bildtradition herstellt, diese aber in einer anderen Form und in einer völlig anderen Technik umsetzt. Sie fragt aber auch, ob das Ornament als Form nicht eine besondere Möglichkeit bietet, machtanalytische Fragen zu stellen und warum. Im Zuge dieser Studie konnten keine Ornament-Theorien (speziell zur Gegenwartskunst) von WissenschaftlerInnen islamisch geprägter Länder erhoben werden. Neben dem schwierigen Zugang zu iranischer Literatur und der mangelnden Sprachkenntnis der Autorin, mangelt es auch an einer Theoretisierung gegenwärtiger iranischer Kunst vor Ort in Form von Forschungslite-

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Schade, Das Ornament als Schnittstelle, 170. Vgl. dazu auch Tietenberg, Vom Zirkulieren der Muster, 7-20. Vgl. ebd., 11-12. Ebd., 12. Ebd.

2. Ornament. Vorläufige Begriffsbestimmung

ratur67 zum Thema, bzw. werden die raren Thematisierungen von iranischen Institutionen auch teils in einer ideologisierenden Perspektive betrieben.68 Ein Kenner der modernen und gegenwärtigen Kunst und Forschungslandschaft Irans, Hamid Keshmirshekan,69 der sich zwar bislang nicht gezielt mit dem Ornament in der iranischen Gegenwartskunst auseinandergesetzt hat, schätzt dieses Thema in der Forschung als noch wenig bearbeitet ein.70 Die Lücke an lokaler Theoretisierung soll deshalb auf einem anderen Wege kompensiert werden: Forouhars Werk wird vor dem Hintergrund der Entwicklungen der iranischen Kunst vom 19. Jh. bis in die jüngste Zeit thematisiert. An der iranischen Kunst interessieren dabei schwerpunktmäßig Bezugnahmen auf das traditionelle Bilderbe (von dem das Ornamentale ein wichtiger Teil ist). Mit dieser Befragung lässt sich auch gleichzeitig Judith Bihrs berechtigte

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70

Danke an Prof. Silvia Naef für den berechtigten Hinweis, dass die existierende öffentliche intellektuelle Debatte und Theoretisierung zur zeitgenössischen Kunst im Iran zu diesem Thema befragt werden hätte können – eine Unternehmung, die jedoch die Rahmenbedingungen dieser Studie gesprengt hätte. Die Frage nach Theoretisierung/kunstwissenschaftlicher Bearbeitung von Gegenwartskunst speziell im Iran aber auch in anderen Ländern, die auf eine islamisch geprägte Bildtradition blicken, wurde im Rahmen der Ringvorlesung Global Art History im WS 2015/16 an der KU Linz u.a. den Vortragenden Hamid Keshmirshekan, Monica Juneja sowie Silvia Naef gestellt, nach deren Einschätzung es kaum institutionelle Forschung in diesem Feld gibt, bzw., so Naef, die moderne Kunstgeschichte oft nicht, zumindest nicht systematisch, gelehrt wird. Die Vorträge (ohne anschl. Diskussionen) stehen als Videodateien auf dem Wissenschaftsportal der GerdaHenkel-Stiftung zur Verfügung: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/search?searc h_ str= global+art+history&page_id=13&date_from=01.10.2015&date_to=01.03.2016 [Stand: 03.08.2020], s. dazu auch die Publikation zur Ringvorlesung: Allerstorfer, Leisch-Kiesl (Hg.), »Global Art History« sowie Severi, Hamid, Mapping Iranian Contemporary Art Publications and Knowledge-Production, in: Keshmirshekan, Hamid (Hg.), Contemporary Art from the Middle East. Regional Interactions with Global Discourses, London 2015, 69-87. Vgl. Severi, Mapping Iranian Contemporary Art, 70 und 72. Der Kunsthistoriker studierte zunächst in Teheran (BA), anschließend in London und lehrte an verschiedenen teheraner und englischen Universitäten. Er ist dzt. Senior Teaching Fellow und Research Associate am Department of History of Art and Archaeology, School of Arts der SOAS University of London. Obwohl Keshmirshekan iranische Wurzeln hat, können seine Forschungen aufgrund seiner Biografie nicht zu den lokalen Theorien gezählt werden. E-Mail-Korrespondenz d. Verfasserin mit Dr. Keshmirshekan vom 02.12.2015, im Archiv der Verf.

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Das Ornament als Denkfigur

Forderung, dass Gegenwartskunst, die sich mit dem traditionellen Bilderbe auseinandersetzt, im Spiegel ihrer Entwicklungen, d.h. auch der jeweiligen modernen Entwicklungen, untersucht werden müsse, einlösen. Mit einer vorläufigen Ornamentdefinition und Ergebnissen aus der aktuellen Literatur-und Forschungslage soll im nun folgenden dritten Teil dieser Arbeit der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre beleuchtet werden.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Dieser Teil der Studie fragt nach der künstlerischen Praxis Forouhars mit einem Fokus auf ihre Arbeitsweise mit ornamentalen Strukturen. Ziel dieser Untersuchung ist es, die künstlerischen Strategien Forouhars auszuweisen, um beschreiben zu können, welches Ornamentverständnis ihrer künstlerischen Praxis zugrunde liegt. In einem ersten Schritt wird die Werkgruppe der digitalen Zeichnungen vorgestellt und analysiert sowie in eine Beziehung zu anderen Werkgruppen Forouhars gesetzt (Kap. 3.1). Wichtig erscheint für diese Untersuchung eine Befragung des Mediums und somit der Rolle des Digitalen in Forouhars künstlerischer Praxis (Kap. 3.2), was in dem Versuch einer Zuordnung ihrer Kunst zu einem zeitgenössischen Verständnis der Gattung Zeichnung resultiert. Als zentral wird die Frage nach den Bezügen zur Tradition der persischen Malerei angesehen (Kap. 3.3), die zeigen soll, in welcher Weise von Bezügen in Forouhars Arbeiten gesprochen werden kann. Genauso wesentlich erscheint die Thematisierung von Forouhars Werk vor dem Spiegel der Entwicklungen der jüngeren und jüngsten iranischen Kunst, insbesondere in der Frage nach den Bezugnahmen auf das traditionelle Bilderbe, innerhalb dessen das Ornament als wichtiger Teil angesehen werden kann. Um die Frage nach dem Ornament in gegenwärtigen Kunsttendenzen auszuweiten, soll am Ende des dritten Abschnitts ein Vergleich von Forouhars Arbeitsweisen mit den künstlerischen Strategien von Imran Qureshi stehen (Kap. 3.6). Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen soll es gelingen, in einem nächsten Schritt, im vierten Teil dieser Studie, der Frage nach dem Ornament vor dem Hintergrund aktueller Kunstpraxen mithilfe kunsttheoretischer und philosophischer Annäherungen zu begegnen und zu einem aktualisierten Ornamentverständnis zu kommen.

48

Das Ornament als Denkfigur

3.1

Werkgruppe der digitalen Zeichnungen. Beschreibung und erste Analysen

Forouhar realisiert Fotoarbeiten, Rauminstallationen und kalligraphisch gestaltete Räume; die digitalen Zeichnungen bilden jedoch die kontinuierlichste Werkgruppe in Forouhars Schaffen. Sie legt die digitalen Zeichnungen in Serien an, mit denen sie sich über Jahre hinweg beschäftigt und die sie immer wieder aufgreift und erweitert. Diese Bilder entstehen am PC, die Künstlerin fertigt kaum Handzeichnungen oder analoge Ideenskizzen an.1 Forouhar ist keine Programmiererin, sie arbeitet mit der nunmehr schon in die Jahre gekommenen Grafik- und Zeichensoftware »Freehand« sowie mit »Illustrator«, beides vektorbasierte Anwenderprogramme.2 Im Rahmen dieser Untersuchung wird nicht beabsichtigt, ein lückenloses Verzeichnis aller Serien und Einzelwerke Forouhars vorzulegen, sondern der Versuch unternommen, einzelne digitale Zeichnungen exemplarisch herauszugreifen, um die Spezifika zu analysieren und zu charakterisieren. Wie bereits erwähnt, arbeitet die Künstlerin bei der Werkgruppe der digitalen Zeichnungen in fortlaufenden Serien. Innerhalb der Serien ist das Medium, in dem die digitale Zeichnung präsentiert wird, nicht immer einheitlich. Besteht die Serie Farbe meines Namens ausschließlich aus Drucken auf Papier oder einen anderen Träger, der an die Wand gehängt werden kann, kennt die Serie Tausendundein Tag verschiedene Ausgabemedien, beispielsweise Tapeten, Luftballons, Daumenkinos, oder die Zeichnungen werden nicht gedruckt, sondern als Computeranimationen präsentiert. Die unterschiedlichen Medien scheinen sehr genau gewählt zu sein und sind als solche als wichtiges Element der Werkkonzeption zu werten (s. dazu Kap. 3.2). Parastou Forouhars digitale Zeichnungen zeigen im Bildaufbau trotz verschiedener Kompositionsprinzipien folgende Ähnlichkeiten: eine Bildkomposition besteht aus sehr wenigen Einzelformen, also Motiven, die vervielfältigt, gedreht, gespiegelt, neben-, unter- und übereinander in einen ornamentalen Bildaufbau gebracht werden. Die Einzelmotive, durch die das ornamentale Gefüge entsteht, sind einerseits menschliche Figuren in einer stilisierten,

1 2

Vgl. Forouhar, Parastou, Interview mit der Verfasserin, 05.09.2013 (Audioaufzeichnung im Archiv der Verf., ein Auszug befindet sich im Anhang). Vgl. ebd. sowie Forouhar, Parastou, Interview mit der Verfasserin, 21.04.2017 (Audioaufzeichnung im Archiv der Verf., ein Auszug befindet sich im Anhang).

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

präziser umschrieben, vereinfachenden, schematisierenden und somit zugleich anonymisierenden Darstellungsweise. Weitere Bildelemente sind Objekte wie spitze Gegenstände, Waffen oder aber menschliche Geschlechtsteile, die durch die stilisierte Darstellungsweise nicht bedrohlich, sondern durch ihre Ähnlichkeit mit Kinder-Cartoons eher harmlos anmuten. So sind z.B. dargestellte Peitschen (Abb. 6a, Detail oben mittig), die deutlich als Folterinstrumente in der Darstellung zu erkennen sind, elegant gelängt und so stilisiert, dass sie von den BetrachterInnen eher dem ornamentalen Schmuck zugeordnet werden, trotz des Wissens um die Tatsache, dass es sich inhaltlich um Folterwerkzeuge handelt. Die Auswahl der zu analysierenden Werke erfolgte mit dem Hauptaugenmerk auf die verschiedenen Strategien in der Verwendung ornamentaler Gestaltung. Weiters wurde die Wahl auf Werke gelegt, die als exemplarisch für Forouhars künstlerisches Schaffen gelten können und es wurde versucht, innerhalb der Werkgruppe verschiedene Präsentationsformen zu thematisieren. Aus diesem Grund werden die Arbeiten nicht in chronologischer Reihenfolge vorgestellt, sondern ausgehend von einer Serie, in der die ornamentale Gestaltung sehr elaboriert eingesetzt ist, Vergleiche zu früheren und späteren Arbeiten gezogen. Die Jahresangaben der Startpunkte der jeweiligen Serien sind teils nicht so einfach zu bestimmen, da diese oft nachträglich festgelegt und die Namensgebung der Serie zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt ist. Die angegebenen Jahreszahlen wurden mit der Künstlerin abgeglichen.3 Serie Farbe meines Namens, seit 2007 Die Serie Farbe meines Namens umfasst digitale Zeichnungen im Quadratformat, die an die Wand gehängt werden – gerahmt, nicht gerahmt, hinter Glas oder ungeschützt. Es handelt sich um Digitaldrucke auf Alu-Dibond (Druck auf Aluminiumplatte, womit eine sehr hohe Farbintensität erreicht wird) oder Digitaldruck auf Photo Rag (ein Papier mit einer weichen Oberflächenstruktur und hoher Farbtiefe). Die Formate variieren meist zwischen 40 x 40 und 80 x 80 cm. Forouhar unterteilt die Serie in weitere Abteilungen, bei denen die zum Einsatz kommenden Farben namensgebend sind. So gibt es neben Rot ist mein Name, Grün ist mein Name beispielsweise auch die Arbeiten Schwarz ist mein Name, Weiß ist mein Name. Die ornamenthaften Bilder dieser Serie verwickeln in ein lustvolles Schauen. Eines, das Genuss und Freude durch die Kleinteiligkeit und das rhythmi3

Vgl. ebd.

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sche Formengewirr bereitet. Die spielerisch anmutenden Zeichnungen wirken reizvoll und anziehend: Dadurch, dass die detailreiche Ausführung von der Ferne nicht in den Blick zu bekommen ist, sind die AusstellungsbesucherInnen beinahe gezwungen, sich diesen Bildern zu nähern. Erst nach und nach erkennt man in dem Gewirr der Oberflächen Beine, Hände und Köpfe, zu denen man die Körper nur schwer ausmachen kann, da sie sich in dem Muster4 der Oberflächen verlieren. Die auf den ersten Blick harmlosen Zeichnungen bergen Folterszenen, Momente der Brutalität und menschlichen Leids, schematisierte Figuren, Täter und Opfer ohne individuelle Züge, die in fast comicartiger Manier nur aus der Konturlineatur bestehen. Diese irritierende Seh-Erfahrung rüttelt auf: Hat man sich eben noch an scheinbar harmlosen Formen erfreut, realisiert man im nächsten Moment, dass diese Bilder von Gewalttaten – von Folter, Mord und sexuellem Missbrauch – erzählen. Die Zusammenführung von Ästhetik, im Sinne einer formschönen Gestaltung, und dem Darstellen von Gewalt in ein und demselben Bild verfehlt seine Wirkung nicht. Die in dem Werk angelegte Seh-Erfahrung, die von den BetrachterInnen vollzogen wird, gibt Anstoß zum Nachdenken – über menschliche Abgründe, (aktuelle) gesellschaftspolitische Missstände und Forouhars Verwendung der ornamentalen Gestaltung, die sich auf immer wieder neue Weise mit dem Unsichtbar- und Sichtbarmachen von Gewalt, Folter und Mord beschäftigt. Rot ist mein Name, Grün ist mein Name, Karree, 2008, Digitaldruck auf Alu-Dibond, je 80 x 80 cm, ausgestellt z.B. in der Ausstellung »Die Macht des Ornaments«, Belvedere Wien, 2009 (Abb. 1, 1a) Von der Ferne schon stechen die intensiv roten und grünen Farbflächen ins Auge. Die vier Bilder aus der Serie Farbe meines Namens, die in dieser Zusammenstellung für eine Ausstellung in Wien mit dem Zusatztitel Karree zu sehen waren, wirken zunächst wie freundlich verspielte Oberflächengestaltungen, ähnlich Musterdekoren. Es können keine Bildzentren ausgemacht werden. Alles was zu sehen ist, wirkt flächig. Aus der Distanz lässt sich gerade noch erkennen, dass es sich um stilisierte Formen handelt, die zu einer regelmäßigen Bildgestaltung arrangiert wurden, gleichzeitig sieht man auch leich-

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In der vorliegenden Arbeit wird Muster, wie von James Trilling vorgeschlagen, als Motiv verstanden, das wiederholt, kombiniert oder in einer anderen Weise in eine Ordnung gebracht wird, vgl. Trilling, How Ornament works, 21-46, hier 29, s. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 2.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

te Unregelmäßigkeiten in dieser Ordnung, die aber nicht näher bestimmbar sind und dazu einladen, sich näher mit den Bildern auseinanderzusetzen. Tritt der/die BetrachterIn näher, wird er/sie in ein lustvolles Schauen verwickelt: Das Auge findet durch die Kleinteiligkeit des rhythmischen Formengewirrs keinen Halt und folgt genussvoll dem detailreich ausgeführten Linienund Formenarrangement. Aus der Nähe wirken die Bilder dieser Serie wie Druckgrafiken (s. dazu auch Kap. 3.2). Alle Linien sind exakt, fast zu exakt, um von Spontanität oder plötzlichem Impuls, wie dies bei einer Handzeichnung der Fall wäre, Zeugnis zu geben. Der Farbauftrag ist gleichmäßig, satt und scheint ebenfalls auf ein mechanisches Druckverfahren zu verweisen. Dennoch muten diese Bilder nicht unterkühlt oder steril an, was vor allem an dem ornamentalen Bildaufbau liegt, dessen Rhythmus leicht gebrochen ist, sowie an den vielfach verwendeten geschwungenen Linien und Formen, deren Dynamik die Bildflächen belebt. Forouhar arbeitet mit einem Minimum an Bildzeichen, die durch oftmalige Wiederholung einprägsam werden. Die Anzahl der verwendeten Einzelmotive ist gering, man sieht einfache, schematische Darstellungen, die jedoch immer und immer wiederholt und durch Spiegelungen, Drehungen und Verschiebungen variiert und arrangiert werden und die Bildfläche vollständig ausfüllen: Forouhar nutzt das ornamentale Prinzip. Aus der Nähe können nun die einzelnen Formen ausgemacht werden: Bei den beiden grünen Bildern setzt sich das Muster aus stilisierten Waffen zusammen. Bei den in Rot gehaltenen werden angedeutete männliche Geschlechtsteile als Einzelmotive für das Muster benutzt. Im Bild links unten wird das Muster aus der Wiederholung einer stilisierten Messerform gewonnen, die vervielfacht, neben- und übereinander gereiht auf einem schwarz gestreiften Hintergrund, dessen Kontrastfarbe sich als schmutziges Weiß beschreiben lässt, so arrangiert wurde, dass die Oberfläche zu flirren beginnt und das Auge Mühe hat, überhaupt etwas in diesem Gewirr zu erkennen und sich langsam – von einer Linie zur nächsten sozusagen – vortasten muss. Das regelmäßige Arrangement, dieser Rhythmus, wird aber, was aus der Nähe leichter zu erkennen ist, durchbrochen. Vor allem fallen zunächst schmutzig weiße Leerstellen auf, die sich bei näherem Hinsehen als Beine, Hände und Köpfe entpuppen, die nur durch die Umrisslinien angedeutet sind. Was am schwersten zu erkennen ist, sind die zu den Gliedmaßen gehörigen Körper. Diese sind als lange Gewänder ausgeführt, die ebenfalls das Muster der jeweiligen Bildflächen tragen, nur sind sie nicht so gereiht

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wie der übrige Bildteil, der in seiner regelmäßigen Ordnung als Hintergrund erscheint. Die Musterung der Gewänder bricht den Rhythmus des Hintergrundes. Durch diese Art der Darstellung ist zwar relativ leicht zu erkennen, dass es im Gesamtarrangement Abweichungen zu einer rhythmischen Ordnung gibt, aber der Inhalt lässt sich nur schwer ausmachen. Die menschlichen Darstellungen werden im ornamentalen Gefüge verborgen, jedoch nicht ohne den Hinweis, dass sie im Bild präsent sind. Die Körper der menschlichen Darstellungen weisen verschiedene Posen auf – im Falle des Bildes rechts unten, werden alle Figuren stehend, jedoch in gekrümmter Haltung gezeigt. Die Hände sind gefesselt dargestellt, was durch breite bandähnliche schwarze Linien angedeutet wird. Die Augen sind ebenfalls verbunden, die Köpfe gesenkt und teilweise vergraben in den Händen. Die menschlichen Darstellungen weisen – wie in einer ornamentalten Gestaltung üblich – keine Plastizität auf und doch scheinen sie sich, durch die unterschiedliche Musterung und die Figur-Grund-Differenzierung, die unserem Wahrnehmungsapparat geschuldet ist, vor dem »Hintergrund« ein wenig abzuheben. Sie sind elegant gelängt ausgeführt und wirken trotz der brisanten Andeutungen, die durch die Posen und die Einzelmotive der Muster ihren Ausdruck finden, formschön. Die Figuren werden in gleicher Größe, in reizvoller Anordnung in Kreisen bzw. Kreissegmenten über die Bildfläche verteilt gezeigt. Sie scheinen vor den Hintergründen zu schweben. Bei der rechten oberen Zeichnung wird der Akt der Gewalt nicht nur angedeutet, sondern die Handlung auch dargestellt. Je eine Figur wird von je zwei weiteren Figuren gestreckt. Das Opfer wird mit verbundenen Augen gezeigt und an den Fuß- und Handgelenken gefesselt, wobei die Täter die Enden der Fesseln in Händen halten und so daran ziehen, dass der Körper gestreckt wird. Auch diese Darstellung kann als elegante und dynamische Komposition bezeichnet werden. Die Hand- und Fußfesseln muten an wie breite schwarze Bänder, deren Enden kunstvoll geschwungen auslaufen. Die Täter werden in dynamischer Haltung gezeigt. Wie in allen Zeichnungen Forouhars werden die Körper durch lange kaftanartige Gewänder angedeutet, aus denen Beine, Hände, Hälse und Köpfe herausragen. Die Gliedmaßen sind wiederum nur durch die Konturen bezeichnet, die Farbe der Gliedmaßen ist die der Hintergrundfarbe, ein schmutziges Weiß. Die Gewänder sind in dem Muster des Hintergrundes gestaltet, dessen regelmäßiger Rhythmus dadurch unterbrochen wird. Alle Figuren ähneln einander, sie tragen keine individuellen Merkmale, werden ohne Augen dargestellt und unterscheiden sich nur durch die

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verschiedenen Körperhaltungen. Durch diese Darstellungsweise werden die Figuren anonymisiert. Die linke obere Zeichnung ist in Rottönen ausgeführt, die durch ein schwarzes unregelmäßiges Gitternetz strukturiert scheint. Das Muster dieser Zeichnung besteht in einer kaleidoskopartigen Aneinanderreihung von stark stilisierten männlichen und vielleicht auch weiblichen Geschlechtsteilen in schwarzer Linienbegrenzung. Die in einem kräftigen Rotton gehaltenen männlichen Geschlechtsteile sind Pique-förmig dargestellt; halbkreisförmige, dicke, zueinander geneigte Linienpaare, gleich Lippen, könnte man als Vulven in diesem Arrangement interpretieren. Der Hintergrund, d.h. die Leerflächen erscheinen in einem hellen Rosaton. Diesem Arrangement sind wiederum zusammengekauerte, gefesselte menschliche Figuren mit verbundenen Augen eingeschrieben. Das Motiv des stilisierten männlichen Geschlechts findet sich auch in der rechten unteren Zeichnung, nur dort nicht in einer kaleidoskopartigen Komposition, sondern in Unterund Übereinanderreihung sowie einem geschickten Spiel aus Negativ- und Positivformen. Auffällig bei diesen Zeichnungen ist, dass sich die figürlichen Darstellungen stets einer Gesamtkomposition unterordnen: die Körperhaltungen werden in Spiral-, Wellen- oder Kreisformen gebogen und gedreht, was auch in der persischen Maltradition als Charakteristikum gilt5 und wodurch ein eleganter und artifizieller Ausdruck erreicht wird. Was in den von persischen Miniaturen so verschiedenen digitalen Zeichnungen Forouhars trotzdem an die persische Maltradition erinnert, ist z.B. die meisterhafte Anwendung des sogenannten Gegenwechsels, für den, was Ernst Gombrich betont, besonders die islamischen Meister bekannt waren6 : Durch die genaue Planung der Aneinander- und Übereinander-Reihung einzelner Motive gelingt es Forouhar, die sich ergebenden Negativformen wiederum zu Positivformen zu gestalten, wie in der rechten oberen Zeichnung der Serie Rot ist mein Name, Grün ist mein Name, Karree (Abb. 1a). Hier ist es die schematische Darstellung einer Blume, die oftmals wiederholt auf der detailreichen Oberfläche ins Auge sticht. Betrachtet man die Komposition genauer, zeigt sich, dass sich dieses

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6

Vgl. Grabar, Oleg, Mostly Miniatures. An Introduction to Persian Painting, Princeton, N.J. 2000, 131 sowie Ettinghausen, Richard, Arabische Malerei, Die Kunstschätze Asiens, Stuttgart 1979, 111. Vgl. Gombrich, Ornament und Kunst, 101.

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Blumenmuster nur aufgrund von aneinandergrenzenden Negativformen ergibt – Negativformen, die als Untergrund der Stichwaffen dienen. Von den meisten AutorInnen, die Forouhars Arbeiten thematisierten, wurden Ähnlichkeiten mit der persischen Miniaturmalerei festgestellt, ohne jedoch genau darauf einzugehen, worin diese bestehen. Diese Untersuchung bildet ein Desiderat und soll im Rahmen dieser Studie ausgeführt werden (s. Kap. 3.3). Forouhar lässt den RezipientInnen viel Freiraum. Es ist an ihnen, Schlüsse aus den in den Zeichnungen angelegten Andeutungen zu ziehen. Sie entscheidet sich für eine unverfänglich anmutende künstlich-elegante Formensprache, um Gewalttaten ebenso zu zeigen, wie zu verbergen. Dazu nutzt sie das ornamentale Gefüge, in das sie ihre Bildgegenstände einlässt. Die Titel ihrer Werke klingen oftmals poetisch. Der Titel der Serie Farbe meines Namens nimmt Bezug auf Orhan Pamuks Roman Rot ist mein Name7 . In diesem Buch, das vom Istanbul des 16. Jhs. erzählt, thematisiert ein Erzählstrang die Problematik der Buchmalerei jener Zeit, die, angezogen vom Reiz »westlicher«, perspektivischer und naturgetreuer Malweise der Renaissance, in einen Konflikt mit der eigenen Tradition gerät, da diese einerseits durch das Anwenden der »fremden« Darstellungsweise an Bedeutung verlieren könnte, andererseits – und darin besteht das schwerwiegendere Argument – als unvereinbar mit den islamischen Glaubensgrundsätzen gilt. Ein Roman, der genau wie die persischen Miniaturen in polyperspektivischer Erzähl-/bzw. Darstellungsweise angelegt ist (s. dazu Kap. 3.3) und offensichtlich bewusst »orientalische« Klischees in blumiger, mitunter aber auch in unverhohlen schlüpfrig-frivoler Sprache, wenn es um sexuelle Aufladungen geht, vorbringt. Pamuk liefert mit seinem Roman aber auch eine Beschreibung vom gesellschaftlichen Leben zu jener Zeit, das gleichermaßen auf die aktuellen Problematiken in der Türkei umgemünzt werden kann, wenn es um die Pole Tradition/Zeitgenossenschaft bzw. »Orient/Okzident« geht.8 BetrachterInnen von Forouhars Zeichnungen, die seinen Roman gelesen haben, eröffnen sich durch diesen Bezug mehrere weitere Sinnschichten. Der Titel Rot ist mein Name, Grün ist mein Name kann aber andererseits auch als Verweis auf den Iran interpretiert werden, da er die zwei Hauptfarben der Landesflagge benennt und darüber hinaus Assoziationen zur sogenannten Grünen Revolution hergestellt werden.

7 8

Pamuk, Orhan, Rot ist mein Name, übers. v. Ingrid Iren, München 2001. Vgl. dazu z.B. die Rezensionsnotizen zu Pamuk, Rot ist mein Name, in: Perlentaucher Online Kulturmagazin, https://www.perlentaucher.de/buch/orhan-pamuk/rot-ist-mein -name.html [Stand: 03.08.2020].

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Forouhars digitale Zeichnungen erinnern durch die reduzierten schematisierenden Formen einerseits an Cartoons, lassen aber auch durch ihre Flachheit, die intensiven Farben sowie das serielle Verfahren an die Pop-Art denken. Im Unterschied zu Cartoons scheint es für die RezipientInnen sehr schnell klar, dass es sich bei dem dargestellten Inhalt um keine lustigkomische Geschichte handelt, sondern, dass das Dargestellte auf grausame reale Geschehnisse aufmerksam macht. Trotz der Gemeinsamkeit, dass in der Pop-Art wie in Forouhars Kunst (mit unterschiedlicher Akzentuierung) Kritik an gesellschaftlichen Zuständen geübt wird, sowie einer gewissen visuellen Vergleichbarkeit, besteht der wesentliche Unterschied zu dieser Kunstrichtung darin, dass die Pop-Art ihre Sujets nicht in diesem Maße stilisiert: Die Pop-Art interessiert unter anderem, wie nah das Kunstwerk seiner Quelle sein kann,9 bedient sich der Ikonografie der Massenmedien, insbesondere der Werbewelt, und arbeitet so mit Menschen und Objekten v.a. in ihrer medialisierten Form, also den filmischen oder gedruckten Repräsentationen von Menschen und Dingen, während es Forouhar um reale Geschehnisse, reale Menschen geht. Die Gewalttaten stellt sie aber nicht in ihrer realistischen Prägnanz dar, sondern sie wählt eine andere Strategie, um diese zu thematisieren: Forouhar verfremdet, stilisiert, abstrahiert und reduziert, sodass der brisante Inhalt in einer ästhetisch ansprechenden Form präsentiert wird. Forouhar übt Kritik nicht mit der Brechstange, sondern auf eine subtile Art und Weise, die aber, sobald man sie erkennt, umso nachdrücklicher erscheint, da die Spannung zwischen ansprechender Form und grausamem Inhalt besonders nachhallt. Ein wesentliches Mittel dieser Strategie besteht in der spezifischen Weise, wie sie das Ornament dabei einsetzt. Forouhar bedient sich der ornamentalen Gestaltung, die es ihr erlaubt, viele Assoziationen gleichzeitig bei den RezipientInnen abzurufen. Wie von Alexandra Karentzos gezeigt wurde,10 kann man Forouhars Arbeitsweise als Beobachtung zweiter Ordnung im Luhmannschen Sinne beschreiben, die es der Künstlerin erlaubt, Stereotypen aufzugreifen, zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Karentzos führt dazu aus:

9 10

Vgl. Thomas, Karin, Pop Art und Post-Pop Art, in: dies., Bis heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert, Köln 12 2004, 288-298, hier 288. S. dazu die Ausführungen in Kap. 1.2.

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»Sie [Forouhar, Anm. S.W.] zeigt dem westlichen Blick nicht das >OrientalischeOrientalische< – die Schemata, die bei der Konstruktion des Orients zum Tragen kommen. Die Künstlerin beobachtet gleichsam, wie beobachtet wird.«11 Ein solches Stereotyp, mit dem Forouhar arbeitet, sehe ich in ihrem Einsatz des Ornaments – denn ist die »westliche« Sicht auf »den Orient« nicht unweigerlich mit Vorstellungen von farbenprächtigen Ornamenten verbunden? Die Künstlerin nutzt dieses Klischee, um die Darstellungen in ihren Zeichnungen zu verorten – nicht in allen Zeichnungen, aber in der Serie Farbe meines Namens ist dies offensichtlich. Rot und Grün als Farben der Landesflagge des Iran bieten eine zusätzliche Möglichkeit, das Dargestellte als Verweise auf reale Geschehnisse zu interpretieren. Gemeinsam mit dem Wissen um die Herkunft der Künstlerin scheint es klar, dass die dargestellten Gewalttaten Hinweise auf aktuelle gesellschaftspolitische Missstände sein können. Die Wahl einer zeitgenössischen Technik, dem digitalen Herstellungsverfahren, verstärkt diese Interpretation, indem sie die Geschehnisse in der Gegenwart ansiedelt. Die Stereotype, die Forouhar vorführt, erfüllt sie aber nicht. Ihre ornamentalen Gestaltungen sind nicht von Harmonie getragen, sondern von Dissonanz. Die Einheit, die Forouhar im Ornament zeigt, ist keine harmonische, sondern eine gebrochene, die Ordnung keine schöne,12 sondern eine erzwungene. Ihre Ornamentmotive werden, was die digitalen Zeichnungen betrifft, nicht aus dem Formrepertoire der Tradition gespeist, sie setzen sich aus stilisierten Waffen, spitzen Gegenständen oder auch Geschlechtsteilen zusammen. Einzige Ausnahme, bei der Forouhar sich offensichtlich an traditionellen Mustern orientiert, bildet die Arbeit Taghvim/Domestic Suicide for all Seasons13

11 12 13

Karentzos, Unterscheiden des Unterscheidens, 132. Vgl. dazu antiker Kosmos-Begriff, Kap. 2.1 sowie 4.1.1. Dieser Kalender von 2016 war als Multiple für die Veröffentlichung im Iran projektiert. Neben der Thematisierung von Suizid bei Frauen war dieser Kalender als Statement der Künstlerin zum iranischen Kunstmarkt gedacht, der zunehmend die Bedienung der reichen Oberschicht anvisiere. Noch während des Produktionsprozesses (Produktionsland: Iran) wurde die Herausgabe des Kalenders von Staatsseite verboten. Nicht, weil das Thematisieren des Suizids von Frauen, was offensichtlich auf ein gesellschaftliches Problem hinweist, unterbunden werden sollte, sondern weil der englische Titel, insbesondere das Wort »Domestic« politisch interpretiert und in Verbindung mit den unter Hausarrest gestellten führenden oppositionellen PolitikerInnen gebracht

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von 2016 (Abb. 4 und 4a). Auch diese Motive werden wiederum mithilfe der digitalen Technik persifliert. Der Suizidkalender stellt eine Weiterentwicklung von Zeichnungen aus dem Jahr 1997 dar14 – dieser zeitliche Unterschied in der Entstehung erklärt vielleicht die Andersartigkeit der ornamentalen Gestaltung und direkte Anlehnung an persische Miniaturen. Vergleicht man die Zeichnungen der Serie Farbe meines Namens, fällt auf, dass die Musterungen und Bildoberflächen im Laufe der Jahre zunehmend komplexer gestaltet werden. Weisen die Zeichnungen von 2007 (Abb. 2) ein vergleichsweise überschaubares Muster- und Figurenkonzept auf, bei dem die einzelnen figürlichen Darstellungen nach genauerer Betrachtung auszumachen sind, zeigt sich das Kompositionsschema in den Zeichnungen von 2008 (Abb. 1) bereits detailreicher und komplexer. Rot ist mein Name, Grün ist mein Name III von 2016 (Abb. 3) weist demgegenüber eine nochmalige Steigerung des Muster- und Figurengeflechts auf, wobei durch die Erhöhung der Anzahl der Figuren sowie ihre vielfachen Überschneidungen ein klares Erkennen der Details verhindert wird. Die beschriebene kompositionelle Entscheidung legt auch eine inhaltliche Auslegung nahe, die auf einer allgemeinen Ebene darzustellen scheint, dass die verschiedenen Richtungen und Kräfte, die in diesen komplexen Systemen am Werk sind, nicht so einfach zu unterscheiden und zu kategorisieren sind. Es scheint sich um ein verselbstständigtes System zu handeln, das das Rad der Gewalt weiter und weiter dreht, ohne Richtung und ohne Grund. Abb. 3a zeigt die wohl erzählfreudigste und detailreichste Zeichnung der vierteiligen Serie von 2016. Serie Tausendundein Tag, seit 2003 Die Serie Tausendundein Tag lässt sich als multimedialer Werkkomplex beschreiben, dessen Ausgangspunkt digitale Zeichnungen sind. Diese werden als Wandbilder ausgedruckt, zu Tapeten, Luftballons oder Daumenkinos verarbeitet oder als Computeranimationen im Museumsraum installiert. Die Wahl der Ausgabemittel, so verschieden sie sind, folgt derselben Strategie: Die Träger der digitalen Zeichnungen muten harmlos, verspielt und freundlich an und laden die BetrachterInnen ein, sich mit ihnen näher zu beschäftigen. Die heliumgefüllten Luftballons hängen an schwarzen Fäden

14

wurde, die sich an der Grünen Bewegung beteiligten. Hintergrundinformationen zum Werk, s. Forouhar, Interview Verf. 2017 (Auszug s. Anhang). S. Forouhar, Interview Verf. 2017 (Auszug s. Anhang).

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hoch im Museumsraum und fordern den Spieltrieb der BesucherInnen insofern heraus, als die Schnüre in unmittelbarer Griffweite positioniert sind, ja sogar im Weg sind beim Gang durch die Ausstellung. Die Daumenkinos werden griffbereit präsentiert und laden zur Benutzung ein, wobei die Erwartung einer heiteren Kurzfilmepisode nicht erfüllt wird. Die Tapeten verwandeln die Museumswand scheinbar in ein Kinderzimmer. I surrender/Ich ergebe mich, Rauminstallationen mit bedruckten Folienballons, seit 2006 (Abb. 5, 5a, 5b), in verschiedenen Galerien und Museen realisiert, unter anderem auch in der Azad-Galerie in Teheran von 27.11.-02.12.2009 Die Galerieräume sind gefüllt mit Ballons – Folienballons, die an der Decke schweben. Jeder Ballon ist mit einer schwarzen dünnen Schnur zugeknotet, die den Fußboden der Galerie beinahe berührt. Die Ballons, in der Azad-Galerie in Teheran waren es dreihundert Stück,15 sind bedruckt; aus der Betrachterperspektive lassen sich nicht mehr als rosafarbene Muster auf weißem Grund erkennen. Fast entsteht der Eindruck, als befände man sich in einem Haus, in dem gerade noch Kinder gespielt hatten, bis sie es leid waren, sich mit den Ballons zu beschäftigen und sie dort achtlos zurückließen. Beim Betrachten der Installation werden unweigerlich Erinnerungen an die eigene Kindheit, das Kind-Sein bzw. die Lust am Spielen hervorgerufen. Auch der Titel Ich ergebe mich ist ein Satz, den man von Spielen her kennt. Dieser Satz markiert das Ende des Spiels, wenn Sieger und Verlierer ermittelt werden sollen. Nicht selten drohen den VerliererInnen Sanktionen, wenn sie ihre Position nicht eingestehen, ein heikler Moment im Spiel, bei dem die heitere Spielsituation mitunter in ihr Gegenteil kippen kann. Auffallend sind die unüblich langen Fäden an den Ballons. Diese sind zwar leicht und fein, doch stellen sie ein Hindernis beim Durchschreiten der Räume dar. Sie laden dazu ein, die Ballons von der Decke herunter zu ziehen. Erst wenn dies gemacht wird, zeigt sich der gesamte Bildinhalt der Ballons. Die freundlich verspielt anmutenden Muster erweisen sich als stilisierte Szenen der Gewalt, als Folterszenen. Die schematisierten Figuren bestehen aus in feinlinigen Konturen ausgeführten Beinen, Händen, Hälsen und Köpfen, die aus der kaftanartigen Kleidung hervorragen. Die figürlichen Darstellungen sind vollständig und gleichmäßig in rosaroter Farbe ausgeführt. Der Kopf wird durch ein Oval beschrieben, ohne individualisierende Gesichtszüge wie 15

Vgl. Forouhar, Das Land, 184.

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Augen und Mund, die Emotionen preisgeben könnten. In zusammengekauerter Haltung werden die Opfer gefesselt – alleine oder gemeinsam mit den Tätern – dargestellt, die diesen auf verschiedene Weise Gewalt antun. Ob es sich um Männer oder Frauen handelt, ist nicht feststellbar, Forouhar geht es um Menschen, um menschliche Abgründe. Zu sehen gegeben werden verschiedene Szenen, die sich wiederholen und ornamentartig über die Ballons verteilt sind. Sie geben keinerlei Ortsangaben, sondern stehen vor weißem Hintergrund. Obwohl es sich um bildliche Narrationen handelt, scheint die Erzählfreudigkeit bis aufs Äußerste reduziert. Dies beginnt bei der anonymisierten Darstellung menschlicher Figuren, die nicht viel mehr zeigen als Konturen und jedweder Individualisierung entbehren, zieht sich über die reduzierten, weil stilisierten Folterinstrumente bis hin zu den andeutungsreichen Posen der gezeigten Opfer, bei denen man nur vermuten kann, was ihnen widerfahren sein mag. Die Sujets sind durch ihre Isolierung und auch Stilisierung gleichsam aus der Zeit genommen und durch die ornamentartige kreisförmige Verteilung erhalten sie etwas von unendlicher Wiederholbarkeit. Forouhar bedient sich auch bei dieser Installation der Technik des Verund Entbergens. Die angedeuteten bzw. dargestellten Gewalttaten werden nicht, wie bei Rot ist mein Name, Grün ist mein Name, mittels vollständiger Oberflächenfüllungen verschlungener Muster verborgen, um zeitverzögert entdeckt werden zu können, sondern mittels räumlicher Distanz, von der aus die Bildinhalte der Ballons als harmlose Muster und aufgrund der rosa Farbe wie Kindercartoons anmuten. Diese Bilder schockieren nicht aufgrund ihrer realistischen Darstellungen. Sie rütteln auf, weil sie zunächst als harmlos erscheinen und ihren vollen Inhalt erst dann preisgeben, wenn die BetrachterInnen schon längst in die Bildgefüge involviert wurden, ohne dass sie wussten, welcher Inhalt sich in den scheinbar freundlichen Oberflächen zu erkennen geben würde. Die Zeichnungen lassen keine geografische Verortung zu, durch den Titel der Serie Tausendundein Tag in Verbindung mit dem Titel des Ballonprojekts Ich ergebe mich ruft Forouhar verschiedene Assoziationen bei den RezipientInnen ab. Zum einen lässt der Serientitel an »den Orient« denken, wobei die Nacht in den Tag verlegt, sozusagen »ans Licht gebracht« wurde. Der Titel Ich ergebe mich, der zunächst als Teil eines Kinderspiels verstanden werden könnte, legt in Verbindung mit den Folterszenen einen Bezug zu realen Geschehnissen – zu Gewalttaten – nahe. Die Künstlerin legt ihre Werke nicht darauf an, sie auf eine einzige Bildaussage zu reduzieren, sondern bettet sie in ein komplexes Sinngefüge ein.

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Forouhar stellt ihre Kunst überwiegend in »westlichen« Ländern aus. Dass sie diese Serie auch in Teheran zeigen konnte, lässt sich auf die mutige Zusammenarbeit der Kunst- und Galerieszene zurückführen, die einen kreativen Umgang mit staatlichen Repressalien pflegt16 . Aktuell wäre eine Ausstellung dieser Werke undenkbar, da Forouhar derzeit unter verschärfter Beobachtung und Kritik des iranischen Staates steht, was mit ihren politischen Aktivitäten aufgrund der Ermordung ihrer Eltern zusammenhängt (s. dazu Kap. 1.1). Tapeten der Serie Tausendundein Tag, seit 2003, digitale Zeichnungen auf Blueback Papier Die Tapete I (Abb. 6, 6a, 6b) der Serie Tausendundein Tag zeigt, ebenso wie die Luftballons dieser Serie, verschiedene Folter- und Hinrichtungsmethoden. Ein Unterschied besteht darin, dass die Tapete eine Differenzierung von männlichen und weiblichen Darstellungen kennt. Eine Szene zeigt die Steinigung einer weiblichen Figur, als solche durch die langen Haare gekennzeichnet; eine andere zeigt vier gehängte Frauen, weitere Opfer stehen gefesselt auf schmalen zylinderförmigen Gebilden, die Pfähle andeuten könnten; andere werden gefesselt, in gekrümmten Posen dargestellt, ein paar verbundene Säcke ergänzen die Szenen, die durch ihre Form auf menschlichen Inhalt schließen lassen. Alle Opfer tragen Augenbinden. Der Hintergrund der schrecklichen Szenen in eleganter Formensprache ist wiederum weiß. Sie spielen sich sozusagen in einem irrealen Raum ab, der keinen Hinweis auf Zeit oder Ort der Geschehen preisgibt. Allein durch den Titel der Serie wird eine Verortung im »Orient« nahegelegt. Steinigungen, Hängungen, Auspeitschungen oder die Zufügung von Verbrennungen sind u.a. die Themen der Zeichnungen. Sie wirken durch die Darstellungsart irreal und durch die brutalen Sujets wie aus einer anderen Zeit, doch gibt es durch die zeitgenössische Technik einen Bezug zur Gegenwart. Alexandra Karentzos charakterisiert treffend, dass in dieser Serie die Ambivalenz von Archaischem und Modernem in der Folterpraxis vor Augen geführt wird17 : »Die Tapete wirkt auf der einen Seite durch die Anspielung auf persische Miniaturen traditionell, auf der anderen Seite wirkt sie durch die Computergenerierung modern«.18 Das Archaische

16 17 18

Vgl. dazu Forouhar, Interview Verf. 2013 (Auszug s. Anhang). Karentzos, Alexandra, Tausend Tode sterben. Erwachen aus dem Märchentraum, in: AK Tausendundein Tag, 35-40, hier 37. Ebd.

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wird lt. Karentzos weiters durch »die alte Form der Strafausführung«19 ausgedrückt und dadurch assoziiert, da »westliche« BetrachterInnen eher dazu neigen, in der Folter ein überwundenes Relikt aus einer anderen Zeit zu sehen. Was Karentzos in ihrem Katalogbeitrag nicht bietet, ist eine Darlegung, worin genau die Anspielungen auf persische Miniaturen bestehen. Konkrete Einzelbezüge lassen sich tatsächlich in der Darstellungsweise von Gewalttaten feststellen. Das Sujet des Auffangens von Blut in Gefäßen bei Hinrichtungen stellt z.B. einen solchen Bezug dar. Eine Szene der Tapete von Forouhar zeigt ein Opfer, dem von einem Täter die Kehle mit einer säbelartigen Waffe durchschnitten wird (Abb. 6b). Das Blut gleitet in Form eines dekorativen roten Bandes in ein Gefäß, welches von einer weiteren Figur aufgefangen wird. In illustrierten Handschriften des Schahname20 beispielweise findet sich ebenfalls dieses Sujet, etwa in Darstellungen, die die Hinrichtung Siyavashs, eines iranischen Prinzen, durch die Handlanger eines befeindeten Königs zeigt (Abb. 7). In Schalen wird das Blut aufgefangen, laut Karentzos, da das Blut von schuldig Gesprochenen nach der altpersischen Vorstellungswelt den Boden nicht berühren dürfe, damit sich das Böse nicht vermehre.21 Im Falle des genannten Beispiels aus dem Schahname trifft dieser von Karentzos beschriebene Umstand nicht zu, da Siyavash als redliche Figur des Epos gilt, doch es kann festgestellt werden, dass der Ritus des Blutauffangens in Schalen sowohl in der literarischen Vorlage beschrieben wird22 , als auch zum ikonografischen Repertoire des Bilderkanons zählt. Ein damit in Zusammenhang stehender Bezug zur bildlichen Tradition kann überhaupt in der Darstellungsweise menschlichen Blutes gesehen werden. Wie Stuart Cary Welch

19 20

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Ebd. Das epische Werk Schahname (im Dt. bekannt als das Buch der Könige) des Dichters Firdausi aus dem späten 10./frühen 11. Jh. ist das hochberühmte persische Nationalepos. Es wird die Geschichte Persiens und seiner Könige und BewohnerInnen von der Erschaffung der Welt bis zur islamischen Eroberung im 7. Jh. erzählt und vereint Legendäres mit Historischem. Zahlreiche illustrierte Handschriften aus verschiedenen Jahrhunderten – nicht wenige davon luxuriös ausgestattet – zeugen von der großen Bedeutung für die persische Sprache und Kultur, vgl. Davis, Dick, Introduction, in: Ferdowsi, Abolqasem, Shahnameh. The Persian Book of Kings, translated by Dick Davis, London 2006, XIII. Karentzos, Tausend Tode sterben, 36. Vgl. Ferdowsi, Abolqasem, Shahnameh. The Persian Book of Kings, übers. v. Dick Davis, London 2006, 273.

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in seiner Publikation über das Schahname festhält, wurden an besonders feinen Höfen, wie z.B. dem des Schah Tahmasp, möglicherweise anstößig oder drastisch wirkende Bildelemente kaschiert.23 In diesem Sinne wird Blut, so beschreibt es Welch, als dekoratives Muster dargestellt und gleiche eher einer Sektfontäne.24 Den Hinweis auf ein konkretes Beispiel einer solchen Darstellung bleibt Welch schuldig. In seiner Publikation findet sich allerdings die Abbildung einer Miniatur, bei der ein Blutstrom in Form von nuanciertem Rot in fleckigem Auftrag auf Welchs Beschreibung zu passen scheint (Abb. 8). Noch deutlicher veranschaulichen kann eine später entstandene Miniatur, wie artifiziell die Darstellung von Blut, und damit natürlich der gesamten geschilderten Handlung, mitunter vorangetrieben wurde. Abb. 9 zeigt eine Miniatur wohl aus dem 18. Jh., die sich in einem Schahname-Manuskript von ca. 1600 befindet. Dargestellt wird die Tötung von Nowzar durch Afrasiab, dem König von Turan. Das Blut, das aus dem geköpften Rumpf entweicht, wird in Form von roten gekräuselten Bändern in lasierendem Farbauftrag dargestellt, die in volutenähnlichen Endungen auslaufen. Auch wenn man nicht von direkten Formübernahmen in Forouhars Arbeiten sprechen kann, lässt sich doch feststellen, dass die reduzierten roten Blutbänder (Abb. 6b) in ihrer artifiziellen Darstellung von der persischen Miniaturmalerei inspiriert sein könnten. Auch lässt sich eine Ähnlichkeit in der Gesamtkomposition der mehrfigurigen Szene sowie der silhouettenhaften Körperbehandlung ausmachen, wobei der größte Unterschied in den individualisierten Darstellungen der Figuren der persischen Miniaturen im Vergleich zu den anonymisierten Figuren der digitalen Zeichnungen liegt. Aber nicht nur eine Referenz zur persischen Tradition, durch den Bezug auf die Miniaturmalerei, ist in Forouhars Zeichnungen angelegt. Die Künstlerin verweist mit der Ausführung der Zeichnungen in digitaler Technik und der Pop-Art-ähnlichen Ästhetik ihrer Darstellungen gleichzeitig auf die Gegenwart. Ein möglicher Bezug zu gegenwärtigen Geschehnissen ist offenkundig: Qualvolle Folterungen und Hinrichtungen, zum Beispiel durch Steinigung25 , 23

24 25

Vgl. Welch, Stuart Cary (Hg.), Das Buch der Könige. Das Schahname des Schah Tahmasp, Miniaturen im Besitz des Metropolitan Museums in New York, übers. von Ingeborg Beyer, München 1976, 28. Vgl. ebd. Steinigung ist im Strafenkatalog der Scharia, der islamischen Rechtsordnung gelistet; in einigen Staaten ist die Steinigung auch Teil des Strafrechts, vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Steinigungen, Website der IGFM, https://www. igfm.de/steinigung/[Stand: 03.08.2020].

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

sind im Strafkodex u.a. des iranischen Staates verankert26 und werden bis heute als Strafe verhängt, wobei die Vollstreckung von Steinigungsurteilen heute wohl nicht mehr vollzogen wird. Steinigungen wurden nachweislich bis jedenfalls 2008 im Iran als Hinrichtungsmethode praktiziert.27 Forouhar startete die Serie Tausendundein Tag im Jahr 2003. Statistiken über weltweite Todesstrafen, die 2016 wieder dramatisch im Steigen begriffen waren, zeigen, dass der Hauptanteil an diesem Anstieg Hinrichtungen in Iran, Pakistan und Saudi-Arabien ausmachen, so der Generalsekretär von Amnesty International Österreich, Heinz Patzelt, der in einem Bericht ausführt: »Dort werden viele Menschen nach oftmals unfairen Prozessen als politisches Unterdrückungsmittel zum Tode verurteilt.«28 Forouhar lässt es durch die reduzierten und abstrahierten, somit sehr allgemeinen Darstellungen offen und in der Verantwortung der RezipientInnen, Schlüsse aus den in den Werken angelegten Bezügen zu ziehen. In dieser Serie verquickt sie Tradition und Gegenwart, die durch den Bildtitel ir26

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28

Vgl. Amnesty International, Jahresbericht Iran 2017, https://www.amnesty.de/jahre sbericht/2017/iran?destination=node%20%2F2936%20%3Fcountry%20%3D52%20% 26topic%20%3D233%20%26node_type%20%3D%20%26from_month%20%3D1%2 0%26from_year%20%3D2010%20%26to_month%20%3D12%20%26to_year%20%3 D2017%20%26submit_x%20%3D46%20%26submit_y%20%3D3%20%26result_limit %20%3D10%20%26form_id%20%3Dai_core_search_form [Stand: 03.08.2020] sowie Amnesty International, Jahresbericht Iran 2019, https://www.amnesty.de/jahresberich t/2019/iran [Stand: 03.08.2020]. Steinigung als Hinrichtungsmethode ist im Strafgesetzbuch noch immer vorgesehen, Urteilssprüche werden nach wie vor ausgesprochen, zuletzt 2018. Die letzten Berichte über die Vollstreckung von Steinigungen stammen aus dem Jahr 2008, wie dem Amnesty Report von 2009 zu entnehmen ist. 2008 wurde weiters von der obersten Justizautorität angeordnet, dass in den meisten Fällen Hinrichtungen nicht mehr öffentlich vollzogen werden sollen. Vgl. Amnesty International, Todesstrafe, in: Jahresbericht Iran 2009, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2009/iran?destinati on=node %2F2936 %3Fcountry %3D52 %26topic %3D %26node_type %3Dai_annual_ report %26from_month %3D1 %26from_year %3D2000 %26to_month %3D12 %26to _year %3D2017 %26submit_x %3D114 %26submit_y %3D5 %26result_limit %3D10 % 26form_id %3Dai_core_search_form#todesstrafe [Stand: 03.08.2020] sowie https:// www.amnesty.de/informieren/aktuell/amnesty-bericht-zur-todesstrafe-2018 [Stand: 03.08.2020]. Patzelt, Heinz, in: Amnesty International, Todesstrafenstatistik, https://www.amnesty. at/de/todesstrafe-2016/[Stand: 21.11.2017], im Archiv d. Verf., aktuell nicht mehr abrufbar, vgl. mit den aktuellen Statistiken: https://www.amnesty.at/media/7009/amnesty_ todesstrafenbericht-2019_zahlen-fakten_at.pdf [Stand: 03.08.2020].

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gendwo im »Orient« verortet zu sein scheinen, was durch einzelne formale Ähnlichkeiten mit persischen Miniaturen verstärkt wird. Für »westliche« RezipientInnen scheinen mögliche Bezugnahmen auf reale Geschehen, wenn nicht auch in einer zeitlichen, so zumindest in einer räumlichen bzw. gesellschaftlichen Distanz zu liegen. Dieser vermeintliche Abstand ist jedoch zu jenem Zeitpunkt nivelliert worden, als die Folterskandale von Abu Ghraib bzw. Guantanamo bekannt wurden.29 Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 setzte die USA Maßnahmen, die die Bush-Administration als »Krieg gegen den Terror« bezeichnete. Diese bestanden unter anderem in der Eröffnung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba, das für Häftlinge vorgesehen war, die als Taliban- oder Al-Qaida-Mitglieder verdächtigt und dort schändlichst behandelt wurden30 , sowie in der Militärinvasion in den Irak im Jahr 2003, im Zuge derer auch das Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad von den Invasoren übernommen wurde, in dem irakische Inhaftierte gedemütigt, vergewaltigt, gefoltert und hingerichtet wurden31 . Diese zunächst geheim gehaltenen und dann heruntergespielten Tatsachen32 zeigen klar, dass die vermeintlich so weit entfernte archaische Brutalität und Unmenschlichkeit auch Teil der »westlichen« Gesellschaften sind. Der Bildtitel Tausendundein Tag bekommt durch Bewusstmachung der genannten Tatsachen eine andere Wendung. Durch ihren Abstraktionsgrad treffen Forouhars Zeichnungen allgemeine Aussagen über Folter und Mord, sodass sie auch auf die Misshandlungen von 29

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Im April 2004 wurden erstmals Fotos von Gedemütigten und Gefolterten in Abu Ghraib (2004) und Guantanamo (Folterungen seit 2002) veröffentlicht, vgl. Vorsamer, Barbara, Chronologie des Folterskandals. Rumsfeld, Guantanamo und Abu Ghraib, in: sueddeutsche.de, Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, 17.05.2010, www.sueddeutsche.de/politik/chronologie-des-folterskandals-rumsfeld-guantanamo-und-abughraib-1.361176 [Stand: 03.08.2020]. Vgl. USA: Guantanamo. A Decade of Damage to Human Rights and 10 Antihuman Rights Messages Guantánamo still sends, Amnesty International Report AMR 51/103/2011, https://www.amnesty.org/en/documents/AMR51/103/2011/en/[Stand: 03.08.2020]. Vgl. Iraq. A decade of Abuses, Amnesty International Report MDE 14/001/2013, ht tps://www.amnesty.org/en/documents/MDE14/001/2013/en/[Stand: 03.08.2020] sowie Svensson, Birgit, Abu Ghraib und kein Ende, in: Amnesty Journal Juni 2009, https://ww w.amnesty.de/journal/2009/juni/abu-ghraib-und-kein-ende?p [Stand: 03.08.2020]. Vgl. Muggenthaler, Ferdinand, Kultur der Demütigung, in: Amnesty Journal Juni 2009, https://www.amnesty.de/journal/2009/juni/kultur-der-demuetigung? [Stand: 03.08.2020].

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Guantanamo und Abu Ghraib verweisen können, deren schockierende Fotos durch die Medienlandschaften gingen. Spätestens mit Tapete II ließen sich ganz direkte Verweise zu den dort angewandten Foltermethoden herstellen, wobei dieser Aspekt vernachlässigbar ist, im Vergleich zu Forouhars künstlerischer Strategie, mit der sie menschliche Vergehen mithilfe von ornamentaler Gestaltung kommentiert und kritisiert. Nicht nur durch die Darstellung gleichartiger menschlicher Figuren ohne individuelle Züge wird eine anonymisierende und verallgemeinernde Wirkung erzielt, die Forouhar nutzt, um Aussagen über Gewalt, Folter und Leid zu generalisieren. Durch die Qualitäten der (digitalen) Zeichnung, die vor allem auf die Linie als zeichnerisches Element zurückgreift33 , können Sujets in besonderem Maße vereinfacht, schematisiert, abstrahiert und dadurch auch verdichtet zur Darstellung gebracht werden. Es sind die abstrahierendschematisierenden Qualitäten der Zeichnung selbst, durch die der allgemeine Charakter ihrer Arbeiten verstärkt wird. Mit dem Einsatz der digitalen Technik wird zusätzlich eine anonymisierende Wirkung erzielt, da sie eine der Menschenhand versagten Präzision und Perfektion aufweist. Forouhar verstärkt diesen Effekt zusätzlich, indem sie eine Massenwirkung durch exakt vervielfachte Einzelmotive erzeugt (s. dazu auch Kap. 3.2). Verschiedene AutorInnen34 nahmen Forouhars künstlerische Entscheidung zur Darstellung anonymisierter menschlicher Figuren zum Anlass, Siegfried Kracauers Schrift Das Ornament der Masse für ihre Untersuchungen heranzuziehen bzw. zu zitieren. Vor allem wird die Parallele zu Kracauers Essay betont, da er die Auflösung des Individuums im Massenornament beschreibt.35 Den AutorInnen ist in dem Punkt Recht zu geben, da Kracauer in seiner Analyse von Massenphänomenen (wie den Auftritten der Tiller Girls oder organisierten Sport-Aufführungen in Stadien) feststellt, dass die Massen Träger des Ornaments sind, dass aber die Individualität der einzelnen Menschen in diesen Formierungen aufgelöst wurde. Ich vertrete den Standpunkt, dass Kracauers Theorie trotz der benannten Parallele nicht dazu geeignet ist, um mit Forouhars Bildkonzeption konfrontiert zu werden. Obwohl der

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35

Vgl. Koschatzky, Walter, Die Linie, in: ders., Die Kunst der Zeichnung. Technik, Geschichte, Meisterwerke, Salzburg 7 1991, 194-231. Vgl. Mostafawy, Schoole, ornament-al(l), in: AK Zan-e Irani. Die iranische Frau (Frauenmuseum Bonn, 27.06.-31.08.2003), hg. v. Marianne Pitzen, Bonn 2003, 4-9 sowie Kleinschmidt, Der reflektierte Blick, 57f. sowie Becker, Art, Death and Language,16. Vgl. u.a. Mostafawy, ornament-al(l), 7.

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Aspekt der Anonymisierung in Kracauers Theorie mitangezeigt wird, steht im Vordergrund seiner Schrift ein anderes Thema. In seinem Essay geht Kracauer von der Analyse von Oberflächen-Erscheinungen aus, bei denen menschliche Körper in Formationen gebracht werden, wie den Aufführungen der Revuetänzerinnen, bei denen aus vielen menschlichen Körpern Muster entstehen – Kracauer bezeichnet diese als Massenornamente. Ausgehend von der Analyse ebendieser Ornamente, bei denen Kracauer jede Zwecksetzung des menschlichen Körpers zugunsten anonymisierter Menschenmengen verloren sieht, beschreibt er vor allem einen Wandel der Gesellschaft bzw. der gesellschaftlichen Organisationsform: Diese sieht er in einem Umbruch begriffen durch das Prinzip des kapitalistischen Produktionsprozesses, der nicht auf die Natur zurückzuführen ist und so »[…] natürliche Organismen sprengen [muss, Anm. S.W.], die ihm Mittel oder Widerstände sind.«36 . Kracauer beschreibt das Massenornament also als Ausdruck einer gewandelten Gesellschaft, da, so Axel Honneth, »[…] die kapitalistische Produktion mittlerweile die lebensweltlich gewachsenen Zwecksetzungen und Sozialformen ebenso zerstört wie die neue Körperkultur die traditionellen Bewegungsvollzüge«37 . Die Übereinstimmung des Massenornaments als Oberflächenerscheinung und der gesellschaftlichen Organisationsform beschreibt Honneth in der »Tendenz zur quantitativen Zerlegung der Gesamtpersönlichkeit in die berechenbaren Elemente eines ›Masseteilchens‹«38 . Er stellt weiters fest, dass Kracauer mit dem Massenornament einen neuen Zustand der menschlichen Vernunft beschreibt, die er als gespalten ansieht.39 Forouhars Entscheidung zu anonymisierten menschlichen Darstellungen möchte ich nicht mit Kracauers Text in Verbindung bringen, da das Grundanliegen seines Essays mit Forouhars strategischem Einsatz des Ornaments nichts gemein hat, sondern lediglich visuelle Ähnlichkeiten mit den von Kracauer beschriebenen Oberflächenphänomenen bestehen. Seit 2013 stellt Forouhar auch eine andere Variante der Tapete innerhalb der Serie Tausendundein Tag aus. Tapete II nennt sie Schwarzweiß (Abb. 10, 10a).

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Kracauer, Siegfried, Das Ornament der Masse, in: ders., Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt a.M. 1977, 50-62, hier 53. Honneth, Axel, Das Ornament der Masse, in: ders. (Hg.), Schlüsseltexte der kritischen Theorie, Wiesbaden 2006, 286-288, hier 287. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 288.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Das Figurenkonzept von Schwarzweiß differiert insofern, als diese eine dritte Kategorie von figürlichen Darstellungen kennt. Neben Opfern und Tätern, die in verschiedenen Folterhandlungen dargestellt sind, zeigt Forouhar auch nicht handelnde Figuren, die sich stilistisch von den Opfer-Täter-Figuren absetzen. Aus der Distanz sieht man nicht mehr als viele kleine schablonenhafte Figuren, die eine Szenerie dominieren, da sie komplett in schwarzer Farbe ausgeführt sind. Es handelt sich dabei um die Täterfiguren, die in aktiven Posen dargestellt sind. Die misshandelten Opfer wirken fast wie Leerstellen der Szene, da sie lediglich in schwarzen Umrisslinien vor weißem Hintergrund ausgeführt sind und sich ihre Körper dadurch vom Hintergrund nicht abheben. Stärker als die Körper sind die breiten schwarzen Bänder betont, mit denen die Augen verbunden oder mit denen sie gefesselt sind. Die Opfer bilden einen visuellen Gegensatz zu den Täterfiguren, deren Körper durch die Ausführung in schwarzer Farbe in maximalem Hell-Dunkel-Kontrast zum Hintergrund stehen und mit ihren Körperflächen die Bildfläche dominieren. Forouhar stellt die Folterer so dar, dass sie von der Ferne eher wie Eishockeyspieler anmuten, mit einem Hockeyschläger in der Hand, oder wie sich anderweitig aktiv betätigende Menschen. Aus der Nähe erkennt man schließlich die aktive Figur als Täterfigur, die ein Opfer wie einen Hund an der Leine hält. Nach den US-Folterskandalen muss man unweigerlich an die Fotos der Soldatin denken, die einen Gefangenen wie einen Hund an der Leine umherzerrt (auf eine neuerliche Abbildung des Fotos wird bewusst verzichtet). Neu an der Bildfindung von Schwarzweiß sind die mengenmäßig überwiegenden Figuren, die durch extrem feine graue Umrisslinien von der Ferne kaum oder nur als Hintergrundmuster wahrgenommen werden können. Aus kürzerer Distanz lässt sich erkennen, dass diese vielen angedeuteten Körper gleich einer polizeilichen Tatortmarkierung, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, aus nur einer Linie bestehen: der Umrissmarkierung eines liegenden Körpers. Die vielen angedeuteten Körper scheinen im luftleeren Raum, dem weißen Hintergrund, zu schweben – mit einer klaren Richtungstendenz nach unten, d.h., präziser müsste es heißen, sie scheinen zu fallen. Weist die Art dieser Darstellung darauf hin, dass sie tot sind? Wiederum scheint das Werk offen für mehrere Deutungsmöglichkeiten zu sein. Wenn die Bilder und Verfehlungen von Guantanamo oder Abu Ghraib in Vergessenheit geraten, gibt es vermutlich neue Geschehnisse, mit denen Forouhars Tapete in Verbindung zu bringen ist. Die Künstlerin charakterisiert ihre Darstellung als sich wiederholendes, zeitloses, als unendliches Geschehen, indem sie anonymisierte Figuren und Szenen multipliziert, diese

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in eine ornamentale Ordnung bringt, die theoretisch unendlich fortsetzbar ist. In diesem unendlichen Rapport des Grauens scheint es weder Sinn noch Hoffnung zu geben, denn, wie auch Alexandra Karentzos beschrieben hat, bleiben die RezipientInnen über vermeintliche Gründe der Bestrafungen unaufgeklärt.40 Die Tapete Schwarzweiß zeigt keine Bezüge zur persischen Miniaturmalerei und doch ist eine Spannung zu bemerken zwischen der aktuellen Darstellungsweise als digitale Zeichnung und der Brutalität der Foltersujets, die sich trotz des Wissens um schreckliche Tatsachen unserer Zeit, nicht in unsere gegenwärtige Lebenswelt einzufügen scheint. Durch die abstrahierende Darstellung formschöner Figuren und Ornamente wird diese Spannung noch erhöht. Zum einen, weil die ansprechende Ästhetik dieser Arbeiten das erste ist, das man wahrnehmen kann, noch bevor klar wird, welcher Inhalt dargestellt wird. Zum anderen, weil es sich bei Forouhars Darstellungen um keine direkten Abbildungen der Wirklichkeit, um keine Fotografien handelt, es aber klar ist, dass sie mit ihren Darstellungen auf reale Geschehnisse referiert und dies in einem Stil, der es erlaubt, eine unmittelbare Schock- und Abwehrreaktion, die sich in der Regel bei Fotografien von Gewaltszenen einstellt, zu umgehen, um andere Aspekte dieser Grausamkeiten sichtbar zu machen. Hier zeigt sich das ornamentale System stets mit Gewalt und Ordnungsfragen verknüpft, ein Aspekt, dem im vierten Teil dieser Arbeit weiter nachgegangen wird. Ebenfalls zur Serie Tausendundein Tag zählen Daumenkinos sowie FlashAnimationen, die in Rauminstallationen präsentiert werden. Diese ebenfalls auf digitalen Zeichnungen basierenden Werke zeigen auf unterschiedliche Weise bewegte Bilder von Folterungen und Hinrichtungen. Bei den FlashAnimationen wie Spielmannszüge (Abb. 11) oder Just a Minute stehen die Aspekte von endloser Wiederholung und Wiederholbarkeit im Vordergrund, die durch die Präsentation im Loop und die kreisrunden und/oder kaleidoskopartigen Anordnungen von Folterszenen bedingt sind. Bei den Daumenkinos ist es hingegen die Involvierung der BetrachterInnen, durch welche die Gewalttat als ablaufendes bewegtes Bild in Gang gebracht wird. Während bei den Luftballons oder den Tapeten das Wiederkehrende durch die vielfache Wiederholung der Darstellung betont wird, wie-

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Vgl. Karentzos, Alexandra, Stille Wasser gründen tief. Parastou Forouhars Installationen, in: AK Spielmannszüge. Parastou Forouhar (Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken, 08.12.2005-15.01.2006), hg. v. Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken, Saarbrücken 2005, n.p.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

derholen sich die Szenen der Computeranimationen vor den Augen der RezipientInnen automatisch und bei den Daumenkinos durch die bewusste Entscheidung, »den Film« noch einmal ablaufen zu lassen. Serie He kills me, He kills me not, seit 2010 Die Serie He kills me, He kills me not umfasst bislang vorwiegend digitale Zeichnungen, die als Druck auf unterschiedliche Trägermedien realisiert und an die Wand gehängt werden. Ausnahme bildet ein überdimensionales Brettspiel, dessen Basis ebenfalls digitale Zeichnungen sind und das als Objekt im Museumsraum ausgestellt wird. Den größten Unterschied zur Serie Farbe meines Namens wie auch zur Serie Tausendundein Tag stellt die Art der ornamentalen Gestaltung dar. Die Bildflächen sind nicht vollständig mit dem ornamentalen Geflecht überzogen, hier gibt es ausgewiesene Leerflächen, die als Hintergrund für ein gestaltetes Motiv erscheinen. Dieses wird durch viele Einzelformen zustande gebracht, die aus der Ferne nicht zu erkennen sind. Revolver, 2010 (Abb. 12, 12a), 2-teilige Arbeit digitaler Zeichnungen, Digitaldruck auf Photo Rag, jeweils 20 x 30 cm Bei dieser zweiteiligen Serie, die Teil von He kills me, He kills me not ist, gibt es einen von einem Einzelmotiv klar unterschiedenen Hintergrund, der als schwarze bzw. weiße Leerfläche ein gestaltetes Motiv präsentiert, das im Falle dieser Arbeit namensgebend ist. Die Form eines Revolvers wird durch die Zusammensetzung vieler kleiner Einzelformen organisiert, wobei die vielfachen Überschneidungen ein Erkennen aller Details verhindert, auch wenn aus nächster Nähe betrachtet wird. Wie bei Rot ist mein Name, Grün ist mein Name, Karree von 2008 (Abb. 1) erweisen sich die Einzelformen als stilisierte Darstellungen menschlicher Figuren in kaftanartiger Bekleidung, aus der schablonenhafte Gliedmaßen und Köpfe ragen. Dem Umstand geschuldet, dass die Bekleidung wiederum ein Muster von neben- und übereinander gereihten kleinen Revolvern aufweist und die Figuren nach verschiedenen Seiten und Richtungen gedreht und überschnitten werden, entsteht kein regelmäßiges Muster, sondern ein chaotisches, das trotz einer offensichtlich gleichen Musterung einzelner Teile zu keinem einheitlichen Rhythmus gebracht wird. Die übergreifende Einheit wird dadurch erreicht, dass dieses Formen-Wirrwarr, das sich als flächig beschreiben lässt, beschnitten bzw. begrenzt wird. Die Schnittline bildet zugleich die Kontur der Gesamtform, die sich als Revolver gebart. Aus diesem Grund muss offen bleiben, ob es sich bei den zunächst

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als Hintergründe wahrgenommenen weißen und schwarzen Leerflächen vielleicht doch um Schablonen handelt, die eine möglicherweise vollständig mit dem chaotischen Muster ausgefüllte Bildfläche abdecken und nur diesen Bildteil preisgeben. Die Art der Beschreibung behält ihre Gültigkeit auch mit Blick auf den digitalen Herstellungsprozess, da auch in Computerprogrammen mit verschiedenen Ebenen gearbeitet wird, die virtuell und flach, als ob es nur eine Bildfläche wäre, übereinander gelegt werden können. Durch die vielfache Überlagerung menschlicher Figuren lässt sich nicht viel mehr erkennen als viele Menschen in kauernder, stehender und liegender Haltung, teils mit gespreizten Händen auf engstem Raum zusammengepfercht. Das ornamentale System in Forouhars Darstellungen wird zu einer Übermacht, die die Menschenmassen regelrecht in Form quetscht. Es ist auch letztendlich nicht zu erkennen, ob es sich bei den dargestellten Figuren um Opfer handelt oder sich in diesem Chaos auch Täterfiguren befinden. In der Hängung in Ausstellungsräumen stehen sich schwarzer und weißer Revolverlauf gegenüber (Abb. 12a). Die invertierten Schwarz-Weiß-Kontraste unterstreichen die Gegensätzlichkeit der sich scheinbar Duellierenden und zeigen gleichzeitig auf, dass die Gegensätze doch eigentlich aus dem gleichen Grundaufbau, den gleichen Elementen bestehen. Forouhar deutet an: mit dem Titel, der Komposition und ihrem strategischen Einsatz ornamentaler Gestaltung. Composition in Blue, 2010 (Abb. 13, 13a), Granate, digitale Zeichnung, Digitaldruck auf Photo Rag, 100 x 100 cm Diese dreiteilige Serie gleicht dem Bildaufbau der Arbeit Revolver. Auch bei Composition in Blue werden gestaltete Motive – Messer, Granaten und Revolver – vor einheitlich blauen Hintergründen gezeigt. Die zusammengequetschten menschlichen Figuren tragen das Motiv, zu dem sie alle werden, in vervielfachter Form als Musterung auf ihrer Kleidung. Bei diesen Arbeiten sind als besonderes Moment die unterschiedlichen Strichstärken der Konturlinien hervorzuheben. Durch die variierenden geschwungenen Linien, die so aussehen, als ob einmal mit stärkerem, dann wieder mit sanfterem Druck aufgetragen wurde, lässt sich ohne weitere Informationen schwer entscheiden, ob man vor einer Druckgrafik oder einer äußerst exakt ausgeführten Tuschezeichnung steht. Dass die wiederholten Motive vielleicht zu ähnlich und zu perfekt für eine analoge Entstehungsweise sind, fällt erst nach langer Betrachtungszeit auf.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Zusammenfassung Zentrales Bildthema der digitalen Zeichnungen bilden Gräueltaten wie Folterungen, Hinrichtungen und sexueller Missbrauch, die in eine ornamentale Anordnung verwoben nicht auf den ersten Blick erkannt werden können. Die Werke muten zunächst harmlos-verspielt an, so werden die BetrachterInnen in ein Bildgeschehen involviert, ohne um den ernsten Bildinhalt zu wissen. Forouhars Ver- und Entbergungstaktik ist ein genaues Arbeiten mit Größenverhältnissen, so wird mit kleinteiligen ornamentierten Flächen operiert, bei denen zunächst nur eine dekorative ornamentale Anordnung erkannt werden kann. Mit dem Erkennen der brisanten Bildinhalte bei näherer Betrachtung geht eine in dem Werk angelegten Seh-Erfahrung einher: das harmlose Bild, an dem man sich zunächst noch aufgrund des reizvollen Formenspiels erfreut hat, zeigt Darstellungen von schrecklichen Gewalttaten. Die beschriebene Seh-Erfahrung kommt einer Aufrüttelung gleich, mit der die Aufmerksamkeit der RezipientInnen gewonnen wird. Brisante Bildinhalte werden so mit Nachdruck betont und die formschöne Darstellungsweise schwindet auch mit Erkennen des zunächst verborgenen Bildinhalts nicht. Diese Spannung wird in Forouhars Arbeiten nicht aufgelöst und hat eine irritierende Wirkung. Die Künstlerin verwendet eine reduzierte abstrahierte Bildsprache und arbeitet mit einem Minimum an Bildzeichen, die sie multipliziert, dreht und spiegelt und in eine rhythmische ornamentale Anordnung bringt, die in ihren Brüchen auf die Präsenz der schrecklichen Bildinhalte hinweist. Das Multiplizieren der einzelnen Formen kann als inhaltliche Aussage genommen werden: Es geht nicht um singuläre Episoden, sondern um sich wiederholende, nicht endende Geschehnisse, die durch die abstrahierende und somit verallgemeinernde Darstellungsweise angezeigt werden. Eine spezifische Eigenschaft der Zeichnung, die durch den Einsatz der Linie in hohem Ausmaß schematisieren, abstrahieren und verdichten kann, wird von Forouhar genutzt, um das Allgemeine ihrer Analysen von Gewalt, Folter und Leid zu unterstreichen. Die Möglichkeit des Digitalen, Sujets in höchster Präzision zu vervielfachen, nutzt die Künstlerin, um zusätzlich eine anonymisierende Wirkung zu erzielen. Das ornamentale Arrangement dient nicht nur zum Verschleiern der Folterund Mordszenen, sondern erhält auch Relevanz als bedeutungsgenerierende Form, was in Kap. 4.2 näher ausgeführt wird.

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Das Ornament als Denkfigur

3.1.1

Die Rolle des Ornaments in Forouhars restlichem Œuvre

Das Ornament setzt Forouhar nicht nur in ihren digitalen Zeichnungen, sondern auch in anderen Werkgruppen wie Fotografien, Objekt- sowie Schriftinstallationen ein. Für ihre Fotoarbeiten verwendet die Künstlerin mehrfach schwarzen Seidendamast41 mit eingewebtem floralem Muster, den sie meist als Tschador einsetzt. Die Themen der Fotoarbeiten reflektieren sehr oft die Rolle der Frau, die durch die Bekleidung mit einem Tschador als muslimische bzw. »orientalische« gekennzeichnet wird. Die Wahl des Stoffes unterstreicht die althergebrachten Konnotationen des Textilen und des Floralen mit dem Weiblichen, die Forouhar auf ironische Weise zu unterlaufen und kritisch zu reflektieren weiß, wie z.B. bei ihrer Arbeit Blind Spot (Abb. 14). Ein verhüllter Körper wird zu sehen gegeben, auf den ersten Blick scheint es sich um eine sitzende Muslimin zu handeln. Bei genauem Betrachten der Fotografie erkennt man einen männlichen verhüllten Körper, von dem nur Hände und rasierter Hinterkopf aus dem Tschador ragen. Die Ausweisung des ornamentalen Systems als repressives, das in Forouhars digitalen Zeichnungen evident ist, könnte durch das Wissen um diese Werke auch für die Fotografien geltend gemacht werden, da das florale Muster den Körper der dargestellten Person gänzlich umgibt, doch für sich alleine genommen kommt dieser Aspekt in Anbetracht der Fotografien kaum zur Geltung. Eine Künstlerin, die den Körper der Frau mit einem einengenden und umschlingenden Ornament sprichwörtlich überzieht, ist die in Bulgarien geborene und in Österreich lebende Adriana Czernin, die diesen Aspekt in mehreren ihrer Werke, wie zum Beispiel in den Arbeiten oT, 2005 und oT, 2006 (Abb. 18 und 19) stark macht. Im Vergleich mit dieser künstlerischen Position muss festgehalten werden, dass der repressive Aspekt des Ornaments in Forouhars Fotoarbeiten – wenn überhaupt – nur äußerst subtil zum Ausdruck kommt. In Forouhars Installationen kommt ein besonderer Stoff ebenfalls mehrfach zum Einsatz: Es handelt sich um Ashura-Tücher, die in oppulenter Weise mit geschwungenen Schriftzügen und Ornamenten bedruckt sind. Forouhar verwendet diese Stoffe, die für den Gebrauch bei schiitischen Trauerzeremonien zum Gedenken an den Märtyrer Imam Hossein bestimmt sind, für verschiedene Installationen. Diese in Teheran erstandenen Stoffe sind, wie

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Für Informationen zur Bestimmung der Art des Stoffes danke ich Dr. Thekla Weissengruber, Schlossmuseum Linz.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Karentzos es treffend beschreibt, »grellbunte Massenware«42 mit persischen Schriftzeichen sowie ornamentalen Ausschmückungen, die keine Scheu vor Kitsch kennen. Bei der Installation Trauerfeier (Abb. 20) wurden Bürostühle mit diesen Stoffen überzogen. Durch die vom »westlichen« Publikum zwar nicht lesbare, aber als »orientalisch« identifizierbare Schrift in Verbindung mit der reichen Ornamentik und den Abbildungen von Moscheen auf den Stoffen, erfolgt automatisch eine Zuordnung als muslimisch bzw. »orientalisch«. Die Stoffe stehen in einem merkwürdigen Verhältnis zu den BüroDrehstühlen, zusätzlich gibt die Art des Überzugs, die die Funktion des Stuhls als Sitzgelegenheit unterbindet, zu denken. Mit dem konzeptiven Einsatz der Stoffe, die eine Verschiebung aus ihrem alltäglichen Kontext in den eines Museums erfahren, werden diese zur Disposition gestellt und damit eine Reflexion in Gang gesetzt. Massenware wird zu sehen gegeben, im Falle des AshuraStoffes ein Produkt einer Kultur, die aus »westlicher« Perspektive im Allgemeinen nicht vordergründig für Massenwaren bzw. als Konsumgesellschaft bekannt ist. Mit dem Wissen um den originären Einsatz der Stoffe weitet sich diese Reflexion auf die Bräuche bzw. Hervorbringungen einer im Jetzt gelebten Religion aus. Das Religiöse in Verbindung mit Massenerzeugnissen wie den Drehstühlen und Stoffen, die von den RezipientInnen in Verbindung mit dem Werktitel erfasst werden, eröffnet Fragen um die Pole des Profanen und Sakralen. Die Arbeit mit den Bürostühlen, die ihrer Funktion beraubt sind und religiöse Banner aufweisen, kann und wurde unter anderem auch als ironisch-kritischer Seitenhieb auf die Auswirkungen der bürokratischen Verhältnisse des iranischen Verwaltungsapparates43 ausgelegt. Forouhar erhielt aufgrund dieser und anderer Installationen, wie z.B. Count-Down aus dem Jahr 2008, bei der Sitzsäcke mit den Ashura-Tüchern überzogen wurden, eine Anklage vom Geheimdienst des iranischen Staates u.a. wegen »Beleidigung des Sakrosankten« und wurde zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, da der Richter ihre Werke als Blasphemie wertete (vgl. dazu auch Kap. 1.1).44

42 43

44

Karentzos, Stille Wasser, n.p. Vgl. dazu: Bloch, Werner, Blasphemie im Iran. Die Mullahs und der Zorn Gottes, auf der Website von Deutschlandradio: https://www.deutschlandfunk.de/blasphemieim-iran-die-mullahs-und-der-zorn-gottes.886.de.html?dram:article_id=407980 [Stand: 03.08.2020]. In diesem Bericht wurden die Namen der Installationen Trauerfeier und Count-Down verwechselt, die beide mit Ashura-Tüchern arbeiten. Vgl. Ebd.

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Das Ornament als Denkfigur

Der Hauptunterschied hinsichtlich der Arbeit mit dem Ornament bei den Fotografien und Objektinstallationen liegt darin, dass Forouhar bei diesen Werkgruppen ausgewähltes Material wie gemusterte Stoffe konzeptiv verwendet. Das vorgefundene Ornament wird vor allem dazu genutzt, eine geografisch-kulturelle, im Weiteren auch zeitliche Verortung ihrer Werke zu evozieren. Im Vergleich dazu werden bei den digitalen Zeichnungen die spezifischen Eigenschaften des Ornaments zusätzlich als Beziehungen aufbauendes und ordnendes Gebilde, das die gesamte Bildfläche und den gesamten Bildinhalt zu umgreifen vermag, genutzt, womit das Ornamentale selbst zur Sinn generierenden Form wird. Am ehesten vergleichbar mit den digitalen Zeichnungen sind in dieser Hinsicht Forouhars sogenannte Schrifträume Schriftraum (Abb. 21 und 22), bei denen sich vermeintliche Schrift ornamental über den gesamten Museumsraum ausbreitet. Menschen, die nicht Farsi sprechen, können die ornamentalen Schriftzeichen als »orientalische« erkennen, der Sinn der Worte bleibt ihnen verschlossen. Sprachkundige BetrachterInnen werden in der vermeintlichen Nastaliq-Schrift aber nur Wort- bzw. Satzfragmente in einem ornamentalen Geflecht ausmachen können. Die Installation ist nicht darauf angelegt, den Sinn geschriebener Worte zu erfassen, spielt aber mit den Erwartungshaltungen der RezipientInnen gegenüber Schriftzeichen. Hubert Salden bemerkt zu diesen von Forouhar gestalteten Räumen: »Die von ihr ornamental aufgefasste persische Schönschrift strebt den Leerräumen als Felder der Freiheit zu und webt diese in die Schrift hinein.«45 Der englische Titel Written Room beschreibt Forouhars Ansatz in diesen Arbeiten präziser, da in diesem anklingt, dass es sich um einen geschriebenen Raum handelt: Die Schrift, die keinen Sinn ergibt, breitet sich über Böden und Raumecken bis zur Decke hin aus, in Verfolgung ihrer eigenen ornamentalen Ordnung. In dem Moment, da das Ornament sich wider die Raumgrenzen auszudehnen scheint, wird versucht, sein Ordnungsprinzip über die Gesetze des Raums zu stülpen und einen eigenen Raum zu generieren. Mit dieser künstlerischen Strategie gewinnen die spezifischen Eigenschaften des Ornaments wiederum Eigensinn, ähnlich den digitalen Zeichnungen, die in einem Gefüge von Assoziationsangeboten eingebettet werden. Sobald Forouhar das Ornament selbst gestaltet, wird es zu einer sinnstiftenden An-Ordnung, in der Fragen von Ord45

Salden, Hubert, Parastou Forouhar, in: AK 2. Berlin Biennale (Berlin, 20.04.20.06.2001), hg. v. berlin biennale für zeitgenössische kunst e.v., Berlin 2001, 82-83, hier 82.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

nung, damit auch Über- und Unterordnung verhandelt werden, womit das Thema Macht virulent wird. Dieser Aspekt verlangt nach weiterer Untersuchung, welche im vierten Teil dieser Arbeit ausgeführt wird.

3.2

Digitale Zeichnung. Qualitäten und Mythen der Medien

Im Folgenden geht es um den Stellenwert des Digitalen in Forouhars Kunst, um die Frage nach den spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Mediums und wie sie diese einsetzt. Weiters soll zur Disposition gestellt werden, ob Forouhars Zeichnungen der Digitalen Kunst zuzurechnen sind oder sie nicht eher einem zeitgenössischen Verständnis der Gattung Zeichnung entsprechen. Wie bereits erwähnt kam Forouhar nach einem Kunststudium in Teheran für ein Aufbaustudium an die Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main46 in Deutschland und lebt und arbeitet seit 1991 in Deutschland. Digitale Kunst wird von verschiedenen ExpertInnen unterschiedlich charakterisiert. Die allgemeinste Definition findet sich bei Wolf Lieser47 : »Per Definition jedoch muss das Kunstwerk in digitaler Form entstehen und kann also elektronisch als eine Folge von Nullen und Einsen beschrieben werden. Der Gegensatz dazu ist analog.«48 In dieser wie auch in anderen Publikationen zum Digitalen wird festgehalten, dass es in erster Linie nicht darum gehe, ob ein Kunstwerk analog oder digital entstanden ist, sondern um ein kohärentes Konzept inhaltlicher und/oder ästhetischer Art.49 Es wird aber auch betont, dass dem Umstand des Herstellungsverfahrens in einer genaueren Analyse in jedem Fall Rechnung zu tragen ist.50 Diesem Gedanken folgend, schlägt Lieser auch eine enger gefasste Definition von digitaler Kunst vor:

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Eine Beleuchtung der Inhalte ihrer Studien in Deutschland wäre sicherlich interessant im Sinne weiterführender Untersuchungen, wurde hier jedoch nicht unternommen, da diese Analyse darauf abzielt, Forouhars Werke in einen breiteren kunstwissenschaftlichen Kontext zu bringen. Gründer des Digital Art Museum (1998 online, 2003 in Berlin). Lieser, Wolf, Digital Art. Neue Wege in der Kunst, Potsdam 2010, 12. Vgl. ebd. sowie Pratschke, Margarete, Editorial, in: dies. (Hg.), Digitale Form (Bildwelten des Wissens 3,2), Berlin 2005, 7-8, hier 7. Vgl. ebd.

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Das Ornament als Denkfigur

»Im engeren Sinne können wir Kunst als Digitale Kunst definieren, wenn sie konzeptionell die Möglichkeiten des Computers oder des Internets nutzt mit einem Resultat, das mit einem anderen Medium nicht erreichbar wäre.«51 Ruth Schnell52 fasst den Begriff enger und verknüpft damit die künstlerische Praxis als künstlerische Forschung, welche die Grundlagen und Auswirkungen des Digitalen reflektiert: »Digitale Kunst ist künstlerische und gesellschaftliche Grundlagenforschung. Es geht dabei um die Entwicklung ästhetischer und gesellschaftlich relevanter Handlungsformen in Auseinandersetzung mit den Auswirkungen technologisch bedingter Veränderungen auf unsere Wahrnehmung und auf unser Wirklichkeitsverständnis. Damit verbunden ist die Fragestellung, wie sich technologischer und kultureller Wandel, wissenschaftlicher Fortschritt und Ökonomie zueinander verhalten.«53 Christiane Paul54 zögert mit einer abschließenden Definition des sich (noch immer) bewegenden Komplexes Digitale Kunst, schlägt aber eine hilfreiche Grundunterscheidung vor: »Kunst, die digitale Technologien als Werkzeug zur Erstellung traditioneller Kunstobjekte […] nutzt und Kunst, die diese Technologien als ihr spezifisches Medium einsetzt, d.h. im digitalen Format produziert, speichert und präsentiert sowie Gebrauch von den interaktiven oder partizipativen Funktionen macht.«55 Die zitierten Charakterisierungen zeigen an, dass digitale Kunst einerseits einen Komplex von Kunstwerken umfasst, die verschiedenste digitale Technologien einsetzen (Lieser, Paul: digitale Technologien als Werkzeug für traditionelle Kunstobjekte). Andererseits existiert eine spezifischere Vorstellung von digitaler Kunst, die darauf abzielt, das Medium, seine Voraussetzungen

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Lieser, Digital Art, 12. Leiterin der Abteilung Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Schnell, Ruth, Y/OUR/SPACE – The Making of Digital Art (Einleitung), in: AK Y/OUR/SPACE. Neue Positionen digitaler Kunst (Universität für angewandte Kunst, Wien, 11.05.-22.05.2011), hg. v. der Universität für angewandte Kunst Wien, Wien 2011, n.p. Kuratorin für New Media Arts am Whitney Museum in New York sowie Lehrbeauftragte an der New School in New York City. Paul, Christiane, Digital Art, 2., veränd. und erw. Aufl., London 2008, 7-8 [Übers. S.W.].

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

sowie seine Auswirkungen auf die Kultur und Gesellschaft zu untersuchen (Schnell, in abgeschwächter Form auch Pauls zweite Grundunterscheidung). Letztere Strömung möchte ich als »digitale Avantgarde« bezeichnen – ohne eine Wertung der verschiedenen Ausprägungen digitaler Kunst vornehmen zu wollen – da sie einerseits betont medienreflexiv arbeitet und andererseits neue Gesichtspunkte in der Frage nach den Auswirkungen und Verflechtungen des analogen mit dem digitalen Raum sowie in der Auslegung unserer Wirklichkeit aufzuzeigen sucht. Entlang dieser verschiedenen Einstufungen des Digitalen sollen im Folgenden Forouhars digitale Zeichnungen thematisiert und näher bestimmt werden. Forouhar verwendet die Grafik- und Zeichensoftware »Freehand« sowie »Illustrator«.56 Dabei handelt es sich um Anwenderprogramme, d.h., die Künstlerin benutzt den PC um ihre Zeichnungen mit dieser Technik zu realisieren. Somit fallen ihre Arbeiten zunächst unter die sehr allgemein und weit gefasste Definition von digitaler Kunst im Sinne Liesers. Es ist offensichtlich, dass die technischen Voraussetzungen, wie z.B. Binärcode oder aber die Tatsache, dass ihre Werke im digitalen Raum entstehen und in den analogen überführt werden, in Forouhars Kunstschaffen nicht direkt befragt werden. Es wäre somit nicht richtig, ihre Werke der »digitalen Avantgarde« im Verständnis von Schnell zuzurechnen. Vielmehr dient der Künstlerin die digitale Technologie als Werkzeug, als spezifische Technik, die sie nutzt, um ihre Kunstwerke zu produzieren, die somit in die erste Grundkategorie von digitaler Kunst im Sinne Pauls fallen. Man könnte Forouhar somit auch als typische Künstlerin der postdigitalen Ära charakterisieren,57 welche die digitale Technik als selbstverständliches Werkzeug ihrer Zeit anwendet. Forouhar verzichtet auf ein Zeichenpad, mit dem sie wie mit einem Stift auf Papier zeichnen könnte, sondern bedient die PC-Maus, um Formen zu generieren, wobei viele Parameter, wie zum Beispiel Strichstärke, Spiegelungen oder Drehungen, durch Auswahl im Programm gesetzt werden.58 Der Prozess des Zeichnens wird somit vielfach durch die Eingabe von Parametern

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Vgl. Forouhar, Interview Verf. 2013 und 2017 (Auszüge s. Anhang). Ein interessanter Diskurs zum Thema Postdigital findet sich in: Kunstforum International, 242 und 243 (2016). Für Informationen zur Technik s. Forouhar, Interview Verf. 2013 sowie das Galeriegespräch mit der Künstlerin anl. einer Exkursion mit Studierenden der KU-Linz in die Galerie Hinterland Wien zur Ausstellung Parastou Forouhar. Das belastete Papier, am 22.05.2015 (Gedächtnisprotokoll im Archiv der Verf.).

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Das Ornament als Denkfigur

ersetzt und ist nicht vergleichbar mit dem (analogen) Zeichnen mit Stift auf Papier. Gerade das Vervielfältigen, Drehen, Spiegeln der Muster und figürlichen Darstellungen, das sie in ihren Werken immer wieder einsetzt, ist ein Herstellungsprozess, der am PC nicht mehr als ein paar Mausklicks erfordert und mit einer unglaublichen Präzision automatisch ausgeführt wird, während derselbe Prozess als Handzeichnung ein ungleich zeitraubendes Unterfangen wäre. Das klassische59 Verständnis der (analogen) Zeichnung als »subjektive Entäußerung des Künstlers«60 , besonders der Aspekt des »Expressiven der Zeichnung«, der im Allgemeinen auch als »eine Art spontane, seismografische Aufzeichnung der künstlerischen Seele gedeutet wird«61 , verliert seine Geltung angesichts der digitalen Zeichnungen Forouhars. Handwerkliche Fertigkeit und der Genius eines Künstlers paaren sich nicht mehr im spontanen Gestus der Zeichnung. Das Bild des Künstlers62 als Genie und Virtuose wird angesichts des Entstehungsprozesses sowie der Ästhetik der digitalen Zeichnungen unterlaufen – nicht selten entscheiden sich KünstlerInnen für Produktionsprozesse elektronischer oder auch maschineller Art, um dem teilweise bis heute zelebrierten Geniekult des Künstlertums mit einem ironischen Kommentar zu begegnen.63 Die Linien in Forouhars Zeichnungen sind präzise, ja perfekt ausgeführt – zu perfekt, als dass sie von einem händischen Entstehungsprozess oder von einem spontanen Gestus der Künstlerin zeugen würden. Befragt man Forouhar selbst zur Wahl der digitalen Methode, spricht sie darüber, dass ihr der Produktionsprozess deshalb zusagt, da sie »diesen einen Moment« in der Zeichnung, auf den es ankommt – gemeint ist die nahezu unmögliche Verbesserungs- oder Korrekturmöglichkeit von Handzeichnungen – in der digitalen Zeichnung unterwandern kann, was, wie Forouhar feststellt, auch

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gilt seit den 1960er Jahren nicht mehr als alleingültiges Verständnis von Zeichnung, wie u.a. Markus Heinzelmann darlegt, vgl. Heinzelmann, Markus, Vernähte Perspektiven. Erzählung und Konzeptualität in der aktuellen Zeichnung, in: AK Gegen den Strich. Neue Formen der Zeichnung (Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 17.07.26.09.2004), hg. v. Markus Heinzelmann und Matthias Winzen, Nürnberg 2004, 10-17. Ebd., 11. Ebd. An dieser Stelle wird bewusst nur die männliche Form verwendet, da die Kunstgeschichte zeigt, dass die Mythenbildung um das Künstlergenie überwiegend männlich dominiert war bzw. so rezipiert wurde. Vgl. z.B. die Arbeiten von Parastou Forouhar, Esther Stocker oder auch Werner Feiersinger.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

ein ironisches Moment birgt.64 Auch ein anderer Wert, der mit einem traditionellen Kunstverständnis in Verbindung steht, wird fragwürdig: der Wert des Originals. Statt Einmaligkeit bekommen bei Forouhars digitalen Zeichnungen Serialität, Kontinuität und Wiederholung eine starke Gewichtung. Hier lässt sich eine Linie zur Druckgrafik ziehen. Die Frage nach dem Original, somit die »wertende Trennung zwischen dem Original bzw. dem Unikat und der Kopie […]«65 , spielte bei der Druckgrafik lange Zeit keine Rolle und wurde erst im 19. Jh. »durch die inflationäre Entwertung des Mediums der Druckgrafik innerhalb der sogenannten Reproduktionsgrafik provoziert«66 , worauf u.a. Jannette Stoschek hinweist. Mit der digitalen Zeichnung wird die Frage nach dem wertvollen Original einerseits obsolet, andererseits wird das »Wo?« des Kunstwerks fragwürdig, denn der Ort der eigentlichen Zeichnung, die Ergebnis von Übersetzungsleistungen einer Maschine ist, ist der virtuelle Raum, der nicht anders als über und in technische(r) Infrastruktur realisiert wird. Der Produktionsprozess von Forouhars Zeichnungen ist wenig vergleichbar mit dem Entstehungsprozess von Handzeichnungen. Ungeachtet dessen wirken ihre Werke aber auch nicht technoid, steril oder unterkühlt, was vor allem an den geschwungenen Formen und Linien liegt, den teilweise variierenden Strichstärken, die so aussehen, als ob zunächst mit starkem Druck gezeichnet würde, der dann in einen sanfteren übergeht (z.B. bei Composition in Blue, Abb. 13a). Jedoch sind sie ein wenig zu präzise, zu perfekt, die Wiederholung einzelner Bildelemente zu gleichartig, um von Hand gezeichnet zu sein. Vom Erscheinungsbild her sind sie am ehesten mit (analogen) Druckgrafiken zu vergleichen, bei denen zwischen dem Prozess des Zeichnens und der fertigen Grafik Transferverfahren liegen, welche die Linien einheitlicher, geglättet und Farbflächen homogener werden lassen. Während das Wissen um den Entstehungsprozess der digitalen Zeichnung einige Qualitäten und Werte der analogen Zeichnung wie Expressivität und Spontanität, aber auch der Wert des Originals konzeptionelle, ja sogar ideologische Unterschiede offenlegt, lässt sich für die BetrachterInnen der

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Vgl. Forouhar, Interview Verf. 2013 (Auszug s. Anhang). Stoscheck, Jeannette, Anfänge der vervielfältigten Kunst und die leidige Frage nach dem Original, in: Weibel, Peter (Hg.), Kunst ohne Unikat. Multiple und Sampling als Medium: Techno-Transformationen der Kunst, Köln 1999, 12-25, hier 24. Ebd.

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Das Ornament als Denkfigur

digitale Herstellungsprozess nicht ohne Weiteres erkennen. Bei Forouhars digitalen Zeichnungen könnte es sich um Druckgrafiken handeln, die auf analogem Wege hergestellt wurden. Ähnlichkeiten im Erscheinungsbild lassen sich z.B. bei den von Carl Otto Czeschka ausgestatteten Büchern feststellen, konkret seinen Illustrationen zur Nibelungensage67 (Abb. 23). Die Illustrationen68 dieser Bücher, die in verschiedenen, teils sehr aufwändigen Drucktechniken und Auflagen publiziert wurden, zeigen satte, intensive, glatt aufgetragene Farbflächen. Die Umrisslinien der figürlichen und nicht figürlichen Darstellungen weisen eine akkurat gesetzte homogene Strichführung auf, die in dieser Einheitlichkeit nicht durch direkten händischen Auftrag zu erreichen ist, sondern die genannten visuellen Qualitäten durch die Transferverfahren der Drucktechnik erhält.69 Von den (analogen) Druckgrafiken sind Forouhars Arbeiten insofern zu unterscheiden, als die Transferverfahren beim analogen Herstellungsprozess Zwischenschritte in der Produktion erfordern, die das Erscheinungsbild der fertigen Arbeit verändern, d.h., dass in diesem Prozess künstlerische Entscheidungen getroffen werden können, was im digitalen Arbeitsprozess nicht bzw. nur in äußerst geringem Maße vorkommt. Eventuell wäre es angemessener bzw. korrekter, Forouhars digitalen Zeichnungen, die ausgedruckt werden, als Computergrafiken zu bezeichnen, doch passt diese Benennung nicht zum Erscheinungsbild dieser Werke. Mit dem Wort Computergrafik war – zumindest bislang – die Vorstellung von einer wie auch immer gearteten sterilen, technoiden, sichtbar durch einen Computer erzeugten Grafik verbunden. Die Benennung als digitale Zeichnung scheint daher die geeignetere zu sein, auch insofern, als sich die Linie als wesentliches Element von Forouhars Arbeiten erweist; ein Charakteristikum, das, wie z.B. Walter Koschatzky es beschreibt, »das eigentliche

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Keim, Franz, Die Nibelungen. Dem Deutschen Volke wiedererzählt. Bilder und Ausstattung von C. O. Czeschka, Wien/Leipzig 1908, in verschiedenen Auflagen erschienen. Technik der Illustrationen des Künstlerbuchs von 1908 (Bestand im Museum für Angewandte Kunst Wien, Inv.Nr. BI 17990-1): Strichätzung, bronziert. Die Abbildung zeigt eine illustrierte Doppelseite der Ausgabe von 1924. Aufmerksam auf diese Illustrationen wurde ich durch die Ausstellung Macht des Ornaments, welche diese präsentierte, s. Husslein-Arco/Vogel, AK Macht des Ornaments. Dem Umstand, dass sich Czeschkas Illustrationen von »orientalischen«, möglicherweise persischen Miniaturen inspiriert zeigen, kann in der vorliegenden Arbeit nicht nachgegangen werden.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Gestaltungselement des Zeichnens schlechthin ist […]« und als »Inbegriff des ›Zeichnerischen‹«70 gesehen wird. In jüngsten Versuchen, Zeichnungen adäquat zu charakterisieren und alles das abzudecken, was heute Zeichnung sein kann, bietet der Kunsthistoriker Markus Heinzelmann71 einen Gewinn bringenden Ansatz: Er unterscheidet nicht zwischen analogen und digitalen Verfahrensweisen, da er die Zeichnung als gattungsübergreifend charakterisiert. Für die Zeichnung seit den 1990er Jahren präzisiert er, dass die »[…] Verschränkung mit den anderen Gattungen […] selbstverständlich vor dem Hintergrund eines weitgehend hierarchiefreien Medienpluralismus in der aktuellen Kunst [geschieht, Anm. S.W.].«72 Heinzelmann stellt fest: »Zeichnung korrespondiert ohne Berührungsängste mit allen zur Verfügung stehenden Medien«.73 Den Ausgangspunkt dieser Entwicklungen sieht Heinzelmann mit der Kunst der 1960 und 70er gegeben,74 die sich sowohl mit der Skulptur und Malerei verband, aber auch neue Richtungen, unter anderem die Performance, später auch die digitalen Medien, aufzunehmen und zu prägen vermochte.75 Aus den kurzen Ausführungen zur Zeichnung, zur digitalen Kunst sowie zur Druckgrafik soll festgehalten werden, dass Forouhars digitale Zeichnungen zwar einem digitalen Herstellungsprozess entstammen, dieser aber nicht im Vordergrund ihrer künstlerischen Fragestellungen steht, sondern ihr als Mittel dient, um ihre Kunstwerke zu produzieren. Eine visuelle Ähnlichkeit ihrer Arbeiten gibt es mit analogen Druckgrafiken, bei denen eine Glättung und Homogenisierung des Erscheinungsbildes durch die Transferverfahren des Kunstdruckes geleistet werden. Für Forouhars Werke auf Papier oder anderen Trägermedien scheint die Bezeichnung Computergrafik bzw. digitale Druckgrafik jedoch nicht treffend, da diese Beschreibungen bislang eher mit einem technoiden, sterilen Erscheinungsbild konnotiert waren. Eine Ausweitung des Begriffs der Zeichnung, wie sie u.a. Markus Heinzelmann

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Koschatzky, Walter, Die Linie, 194. Heinzelmann, Vernähte Perspektiven, 15. Ebd. Ebd.,16. Darin stimmt er mit anderen führenden ExpertInnen der Zeichnung überein. Eine ausführlichere Übersicht über diese Entwicklungen findet sich in: Leisch-Kiesl, Monika, Zeichnung. Kunstgeschichtliche Situierung, in: dies., ZeichenSetzung | BildWahrnehmung. Toba Khedoori: Gezeichnete Malerei, Wien 2016, 77-85. Vgl. Heinzelmann, Vernähte Perspektiven, 12.

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Das Ornament als Denkfigur

vornimmt, scheint die Charakteristika Forouhars digitaler Zeichnungen am besten zu treffen. Wenn die künstlerische Praxis es nahelegt, Forouhars digitale Zeichnungen mehr als Zeichnungen zu charakterisieren und weniger der digitalen Kunst zuzurechnen, scheint ein Versuch der vorläufigen Einordnung in die jüngste Geschichte der Zeichnung reizvoll, der nun unternommen werden soll und der in Kap. 3.5 um den Aspekt ihrer Sozialisierung und künstlerischen Ausbildung im Iran erweitert und ergänzt wird.76 In ihrer Publikation ZeichenSetzung | BildWahrnehmung hebt die Kunstwissenschaftlerin Monika Leisch-Kiesl die Relevanz der Minimal- und Concept Art für die Zeichnung ab den 1990er Jahren hervor, beruft sich dabei auf eine Reihe von SpezialistInnen auf diesem Gebiet, wie z.B. Catherine de Zegher und Bernice Rose, und charakterisiert die ab den 1990er Jahren neue Tendenz der Zeichnung als »Narrative Konzeptkunst«.77 Diese zeigt einen freien Umgang mit den Errungenschaften der Konzeptkunst der 1960er und 70er, der sich mit dem Subjektiven und Intimen paart und dem Narrativen Raum gibt.78 Die digitalen Zeichnungen Parastou Forouhars möchte ich ebenfalls der Narrativen Konzeptkunst zuordnen, da sie von einem stringenten konzeptiven Ansatz zeugen, der das Ornament methodisch einsetzt und mit reduzierten narrativen Aspekten auflädt. Mit dem Versuch der Einordnung von Forouhars Bildwerken in aktuelle Diskurse über Begrifflichkeiten und künstlerische Strömungen ist jedoch noch nicht die Frage geklärt, ob und wie die Wahl der digitalen Zeichnung etwas Spezifisches hervorbringt, das nur mit dieser Technik zu erreichen ist. Kann die oftmalige und präzise Wiederholung von gleichartigen Einzelmotiven, wie in Kap. 3.1 angenommen, als nur in dieser Technik herstellbares Charakteristikum herausgestellt werden? Mithilfe des Computers, der ein Digitalrechner ist, lassen sich Bildelemente beliebig oft vervielfältigen, drehen,

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Forouhar lebte bis 1991 in Teheran, absolvierte ein Kunststudium direkt nach der kulturellen Revolution und nahm in der Zeit davor privaten Zeichenunterricht. In Deutschland schloss sie 1992-94 ein Aufbaustudium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach an. Vgl. Leisch-Kiesl, Zeichnung, 81-82. Narrative Konzeptkunst ist eine Bezeichnung, auf die Leisch-Kiesl im Vorwort des AK The Art of Tomorrow gestoßen ist, die dort nicht weiter thematisiert wird, s. dazu AK The Art of Tomorrow, hg. v. Hoptman Laura/Dziewior, Yilmaz/Grosenick, Uta, Berlin 2010. Vgl. Leisch-Kiesl, Zeichnung, 81-82.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

spiegeln, überlagern und das in einer unglaublichen Exaktheit, in Sekundenschnelle und ohne Qualitätsverluste. Forouhar nutzt diese Eigenschaften. Das Kopieren einzelner Bildelemente wäre theoretisch aber auch mit anderen Verfahren zu erreichen, als mit den in der Grafiksoftware so leicht anzuwendenden Kopieren-und-Einfügen-Befehle79 . Seit dem Einsatz einfacher technischer Geräte wie Zirkel und Lineal, Schablonen und Modeln,80 später mittels Maschinen zur (Massen-)Produktion bis hin zum Computer, gelingt es, dasselbe Sujet wieder und wieder ohne Abweichungen und meist ohne Qualitätsverluste zu vervielfältigen. Dass die Mathematik ebenfalls eine Voraussetzung für die Entstehung der technischen Verfahren, der Entwicklung und Funktionsmöglichkeiten maschineller Prozesse und in einem ungleich höheren Maß für Digitalrechner bildet, soll an dieser Stelle ebenso Erwähnung finden. Die mathematische Berechnung ist für RezipientInnen in der Regel nicht wahrnehmbar, der Umstand, dass die dargestellten Formen nicht alleine Resultat der händischen Ausführung sein können, hingegen schon. Daher möchte ich die präzise und gleichförmige Wiederholung und Abwandlung von Bildelementen als Eigenheit des Maschinellen ausweisen. Mit diesen Überlegungen kann festgehalten werden, dass eine Besonderheit des Digitalen in der besonders einfachen Handhabung der Multiplizierung von Bildelementen wie Einzelfiguren, die in Forouhars Werken zusätzlich gedreht, gespiegelt und geringfügig abgewandelt werden, zu suchen ist, die zu bislang unerreicht exakten Ergebnissen führt. Die gleichwertige Wiederholung von einzelnen Bildmotiven in großer Zahl ist jedoch kein Spezifikum des Digitalen, sondern des Maschinellen. Offensichtlich haftet Forouhars Zeichnungen etwas an, das als maschinenhaft bezeichnet werden kann. Diese Anmutung lässt sich jedoch nur unzureichend mit der Wahl der digitalen Technik erklären. Vielmehr ist es das Prinzip der Wiederholung, der Drehung, Spiegelung und leichten Abwandlung von gleichartigen Einzelmotiven selbst, das ein maschinenhaftes Regelwerk enstehen lässt, welches bei Forouhar mit dem ornamentalen Prinzip in Eins fällt. Die Künstlerin zeigt ein Regelwerk, das scheinbar endlos

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Dies müsste mit einem anders gelagerten Zeitaufwand betrieben werden und brächte mitunter nicht dasselbe präzise Ergebnis. Auch diese einfachen technischen Hilfsmittel sollen hier unter den Begriff des Maschinellen gefasst werden, in dem Sinne, als sie als einfachste »Maschinen« die von Menschenhand nicht alleine bewältigbare Exaktheit und Wiederholung herstellen können, gerade was den Bereich bildlicher Formen anbelangt.

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Das Ornament als Denkfigur

in Gang gehalten wird, indem sie Handlungen (der Folter oder Hinrichtung) zwar darstellt, die Bewegtheit der Figuren jedoch bis aufs Äußerste reduziert, sodass sie, und somit die Zeit, stillzustehen scheinen (s. dazu Kap. 3.3.1, Still-Legung von Zeit), was einen überzeitlichen Eindruck suggeriert.81 Dass die maschinenhafte Anmutung vordergründig durch die Bildkomposition erreicht wird und weniger auf die Wahl der digitalen Technik zurückzuführen ist, lässt sich durch einen Vergleich mit einer Zeichnung des kanadischen Künstlers Marcel Dzama verdeutlichen (Abb. 24). Auch bei vielen von Dzamas Werken ist der Eindruck des Maschinenhaften gegeben. Seine Zeichnungen aber entstammen einem manuellen Produktionsprozess. Die oftmalige Wiederholung selbstähnlicher Figuren arrangiert in einer zahnradähnlichen Komposition, die sich in endlosem Gang zu befinden scheint, erweckt dieselbe Anmutung wie Forouhars Tapeten, Luftballons und digitale Zeichnungen auf Papier. Auch bei Dzama scheint es sich um ein aus der Zeit genommenes oder anders ausgedrückt überzeitliches Geschehen zu handeln, was er durch das Schweben seiner Figuren vor planem Hintergrund und der beschriebenen Kompositionsweise erreicht. Durch das Maschinenhafte in Forouhars und Dzamas Zeichnungen wird eine Atmosphäre der Unheimlichkeit suggeriert. Beide KünstlerInnen stellen ein Geschehen ohne Schilderung der näheren Umstände dar, ohne Schilderung eines tieferen Grundes für die Betreibung dieser schaurig-grausamen Regelwerke, die unaufhörlich, unausweichlich sich bewegen. Bislang unbeantwortet geblieben ist die Frage, warum Forouhar Referenzen auf historisches Bilderbe anzustreben scheint, diese aber in der neuesten Technik umsetzt – ein Thema, dem in den folgenden Kapiteln nachgegangen wird.

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Die Feststellung dieser Bildqualitäten ist ein Ergebnis aus den in Kap. 3.3.1 ausgeführten Untersuchungen der Bezüge zur Tradition der persischen Malerei und basiert auf Erkenntnissen von Richard Ettinghausen, s. ebd.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

3.3

Bezüge zur Tradition der persischen Malerei

Ein formaler Bezug zur Tradition der persischen Malerei, wie sie in der Buchmalerei greifbar ist, wurde bereits von verschiedenen AutorInnen82 konstatiert, ohne im Detail darauf einzugehen, worin diese bestehen. Auf einzelne formale und inhaltliche Parallelen konnte in Kap. 3.1 bereits eingegangen werden. Eine vertiefte Untersuchung erscheint insofern notwendig, als sich durch diese Referenz einerseits ein genauerer Blick auf Kompositionsstrategien der Zeichnungen eröffnen lässt, andererseits zusätzliche Sinnebenen in Forouhars Arbeiten erschlossen werden können. Zunächst ist zu prüfen, ob und an welchen Qualitäten diese Referenz festzumachen ist. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, warum Forouhar für die Ausführung eine Technik unserer Zeit die digitale Zeichnung wählt, die in größtmöglichem Gegensatz zur persischen Maltradition steht. Die Untersuchungen in diesem Kapitel werden nicht sosehr deshalb durchgeführt, um Forouhars Œuvre aus einer persischen Tradition heraus zu verstehen, sondern vielmehr um zu zeigen, wie sie als Konzeptkünstlerin agiert, welche Elemente der Tradition sie in welcher Form aufgreift – denn das tut sie – und wie sie diese mit ihren Inhalten füllt. Anhand einer vergleichenden Analyse soll zunächst nach Bezügen zur persischen Miniaturmalerei83 gefragt werden. Zugegebenermaßen ist ein Bildvergleich insofern problematisch, da es sich bei der Buchmalerei um ein in Ausführung und Handhabung gänzlich anderes Medium handelt – Schrift und Bild, beide detailreich und mit enormem Aufwand von Hand ausgeführt, sind im Buch aufs engste miteinander verknüpft. Das Lesen und das Betrachten der Miniaturen, ein privater, intimer Vorgang, der durch das Blättern die zeitliche Abfolge und Reihenfolge des Rezipierens steuert, soll hier verglichen werden mit Zeichnungen, die an der Wand betrachtet werden, öffentlich – in

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Vgl. Karentzos, Tausend Tode Sterben, 37 sowie Mostafawy, Schoole, Links of Violence. Parastou Forouhar: Neue Positionen, https://www.parastou-forouhar.de/links-of-viole nce/[Stand: 03.08.2020]. Im Deutschen gibt es den Ausdruck »persianate« nicht, der im Englischen eine Problemanzeige markiert, da es so etwas wie eine einheitliche persische Malerei weder in zeitlicher noch in örtlicher Hinsicht je gegeben hat. Dennoch lässt sich von einer persisch geprägten Malerei sprechen, auch insofern, als formale Charakteristika über mehrere Jahrhunderte tradiert wurden. Im Rahmen dieser Arbeit wird »persisch« im Sinne von »persianate« gebraucht, s. dazu auch folgende Fußnote.

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Das Ornament als Denkfigur

Museen – ohne exklusiven Zugang. Es geht um Zeichnungen, die am Computer entstanden sind, was ein, im Vergleich zur Buchkunst vergangener Jahrhunderte, schnelles, menschliche Kräfte sparendes Verfahren darstellt, das dennoch komplizierteste und detailreiche Bilder von unglaublicher Präzision und (Hyper-)Perfektion herzustellen vermag. Trotz dieser Differenzen in Medium, Material und Technik, sind es die bildimmanenten Kommunikationsweisen, die einen Vergleich zu rechtfertigen scheinen und die zeigen sollen, in welcher Weise Forouhars Zeichnungen auf eine persische Tradition Bezug nehmen und welche Bedeutungsebenen dadurch eröffnet werden können. Miniaturen der persischen Buchmalerei werden von KennerInnen dieses Feldes im Allgemeinen folgendermaßen charakterisiert84 : •

• •

Bei der persischen Malerei handelt es sich um eine in den meisten Fällen zweidimensionale eigengesetzliche Bildwelt, die auf kompositorische Harmonie und Rhythmisierung setzt.85 Farben werden ohne Schattierungen aufgebracht, Figuren, Objekte und Räume werden kaum moduliert.86 Persische Miniaturen können in einer bestimmten Zeitspanne als artifiziell im Ausdruck bezeichnet werden, wobei auch offensichtliche Naturbeobachtung fast nie zu einer naturalistischen Darstellungsweise geführt hat.87

Alleine durch die allgemeine Charakterisierung wird offensichtlich, dass die digitalen Zeichnungen Forouhars insofern an die persische Tradition erin84

85 86 87

Es handelt sich um Charakteristika für eine spezifische persische Buchmalerei, die sich über einen längeren Zeitraum unter Abwandlungen und auch mit Ausnahmen von den Regeln gehalten haben. Die zeitlichen Grenzen für die folgenden Zuschreibungen werden in der Literatur unterschiedlich gesteckt; der grobe Rahmen vom 15. Jh. bis weit in das 16. Jh. hinein, um den es bei diesem Vergleich geht, wird in diesen Zuschreibungen jedenfalls abgedeckt. Von Oleg Grabar wird dieser Zeitrahmen z.B. mit ca. 1370 bis 1620 bestimmt, vgl. Grabar, Oleg, Toward an Aesthetic of Persian Painting, in: ders., Islamic Visual Culture, 1100-1800 (Constructing the Study of Islamic Art 2), Hampshire/Burlington 2006, 213-251, hier 214-216 sowie ders., Mostly Miniatures, 122146; Blair, Sheila S./Bloom, Jonathan M., The Art and Architecture of Islam 1250-1800, New Haven/London 1995 (repr. with corr., first publ. 1994), Kap. 5 u. 12; Canby, Sheila R., Persian Painting, London 1993 (repr. 1997); Welch, Buch der Könige, 24-29. Vgl. z.B. Canby, Persian Painting, 7 sowie Welch, Buch der Könige, 24. Vgl. Grabar, Mostly Miniatures, 130 sowie Welch, Buch der Könige, 24. Vgl. ebd.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

nern, als sie ähnliche Charakteristika aufweisen: Ihre Zeichnungen sind ebenfalls als eigengesetzliche Bildwelten zu beschreiben, die von einer Rhythmisierung der Fläche bestimmt sind und Figuren und Formen flach und in einem künstlichen dynamischen Stil in weitem Abstand zur Realität zeigen. Für einen konkreten Bildvergleich muss die Aussage, dass es Bezüge zur Tradition der persischen Buchmalerei gibt, sinnvollerweise spezifiziert werden: Forouhars digitale Zeichnungen erinnern in ihrer artifiziellen Darstellungsweise besonders an die Miniaturen früher safawidischer Kunst88 , die ihrerseits die Tradition der Herater Schule im Stile Behzads und die turkmenische Tradition in Täbris synthetisiert hat89 . Miniaturen dieser Zeit gelten als Höhepunkte persischer Malerei.90 Für die Bildanalyse fiel die Entscheidung auf Miniaturen aus dem Schahname des Schah Tahmasp, eine luxuriöse Handschrift mit 759 großen Folios die 258 Illustrationen enthält.91 Nur eine Illustration des früher auch Houghton-Schahname genannten Manuskripts ist datiert mit 935 (1527-1528 n. Chr.). Die Entstehungszeit wird mit ca. 1525-1535 bzw. einem noch etwas späteren Fertigstellungsdatum angenommen.92 Exemplarisch aus dieser Handschrift soll Folio 28v, Zahhaks Alptraum (Abb. 25) vorgestellt und analysiert werden. Anknüpfungspunkte zu Forouhars Zeichnungen lassen sich ganz allgemein attestieren, konkret soll der persischen Miniatur die Arbeit

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Somit die Kunst unter der Regierung Schah Isma´il I. und vor allem seines Sohnes und Thronfolgers Schah Tahmasp, s. dazu: Blair, Sheila S./Bloom, Jonathan M., Chapter 12: The Arts in Iran unter the Safavids and Zands, in: dies., The Art and Architecture of Islam, 165-182, hier 165-176 sowie Canby, Sheila, Chapter 4: A glorious Synthesis: 15001576, in: dies., Persian Painting, 76-89. Vgl. Blair, Sheila S./Bloom, Jonathan M., Chapter 12: The Arts in Iran unter the Safavids and Zands, in: dies., The Art and Architecture of Islam, 165-182 hier 165-176 sowie Canby, Chapter 4: A gloroious Synthesis, 76-89 sowie Hillenbrand, Robert, Kunst und Architektur des Islam, übers. v. Christian Rochow, Tübingen u.a. 2005, 237. Vgl. Grabar, Oleg, Toward an Aesthetic of Persian Painting, in: ders., Islamic Visual Culture, 213-251 hier 214 sowie Canby, Sheila, Chapter 3: Classicism and Exuberance: The 15th Century, in: dies., Persian Painting, 49-75 sowie Hillenbrand, Kunst des Islam, 37 sowie Sims, Eleanor, The Sixteenth and Seventeeth Centuries, in: Peerless Images. Persian Painting and its Sources, in: dies.u.a., New Haven/London 2002, 61-77, hier 63. Das Manuskript wurde in den 1970er Jahren zerteilt. Manuskriptseiten und Miniaturen finden sich heute in unterschiedlichen Sammlungen und Museen über die ganze Welt verteilt. Vgl. Blair/Bloom, Art and Architecture of Islam, 168 sowie Welch, Buch der Könige, 9.

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Das Ornament als Denkfigur

Rot ist mein Name, Grün ist mein Name, Karree von 2008 gegenübergestellt werden (Abb. 1). Mir Musavvir zugeschr., Zahhaks Alptraum, Schahname des Schah Tahmasp, Täbris, ca. 1525 – 1535, 34,2 x 27,6 cm, fol. 28v (Abb. 25) Diese Miniatur bietet den BetrachterInnen Einblick in eine in sich geschlossene Szene, die sie im Gesamten überblicken können. Teils durch Rahmen begrenzt, teils in den gold gesprenkelten Grund auslaufend, bietet sich den RezipientInnen eine besondere Sicht auf ein prächtig geschmücktes und detailreich ausgeführtes Gebäude samt Bewohner. Diese Darstellung bezieht sich auf eine Erzählung über den Dämonenkönig Zahhak aus Ferdausis Epos. Besagter König erwacht mit einem Schreckensschrei aus einem Alptraum, der den Palast zum Beben bringt und seinen Hofstaat aufweckt.93 Interessant an dieser Miniatur ist der Umstand, dass es dem Maler offensichtlich eher darum ging, das höfische Leben in all seiner Pracht bzw. speziell den safawidischen Hof zu schildern (kenntlich an der Mode, besonders an dem neuen »Taj Turban« der Safawiden, ein Hut von dem sich ein Stab erhebt und der mit dem Turbantuch zwölf Mal umwickelt wird94 ), als Ferdausis Epos zu illustrieren: Zahhak, der mythische Dämonenkönig – hier dargestellt in zeitgenössischem Umfeld! – befindet sich im oberen Stockwerk des linken Gebäudeflügels. Zu erkennen ist er an den Schlangenköpfen, die aus seinen Schultern ragen. Das Gesamtarrangement weist ihm eher die Rolle einer Nebenfigur einer belebten Palastszene zu.95 Dieser Beobachtung soll jedoch nicht weiter nachgegangen werden. Vielmehr widmet sich diese Analyse der näheren Untersuchung der visuellen Strategien des Bildes, ausgehend von einer Studie von David J. Roxburgh96 . Zahhaks Alptraum wurde ausgewählt, da diese Miniatur beispielhaft für die persische Maltradition in einem explizit höfischen Stil ist. Den Betrach93 94

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Vgl. Ferdowsi, Abolqasem, Shahnameh. The Persian Book of Kings, translated by Dick Davis, London 2006, 10. Vgl. Sims, Eleanor, Sixteenth and Seventeeth Centuries, 61 sowie Upton, Joseph M., Notes on Persian Costumes of the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Metropolitan Museum Studies 2, No. 2 (1930), 206-220, hier 212f. Vgl. Welch, Buch der Könige, 100. Vgl. Roxburgh, David J., Micrographia. Toward a Visual Logic of Persianate Painting, in: RES: Anthropology and Aesthetics 43 (2003), 12-30. Auf diese Studie wurde ich im Rahmen eines Seminars über persische Malerei bei Prof. Markus Ritter, Universität Wien aufmerksam.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

terInnen wird ein privilegierter Einblick in ein Geschehen gewährt. Privilegiert deshalb, da – so scheint es zumindest auf den ersten Blick – ihnen ein Standpunkt zugewiesen wird, den jeder Mensch einnimmt, wenn er/sie auf ein Architekturmodell oder auch ein Puppenhaus97 blickt, das vor ihm/ihr steht: ein erhöhter Standpunkt, von dem aus die gesamte Miniatur überblickt werden kann. Man sieht den Vorhof, den Garten genauso wie das Dach des Gebäudes, sogar das Geschehen im Inneren des Palastes wird augenscheinlich erblickt. Nur die Rückseite der Architektur bleibt dem Auge verborgen, wobei sich dort angesichts der Opulenz des Gezeigten nichts Wesentliches mehr erwartet lässt. Der beschriebene Einblick ist nicht nur ein privilegierter, sondern auch ein ungewohnter, der in Diskrepanz zu unserer Seh-Erfahrung steht. Bei genauerem Betrachten wird klar, dass den RezipientInnen kein fixer Standpunkt zugewiesen wird, sondern das Bild sich aus verschiedenen Ansichten auf das Geschehen zusammensetzt, was unter anderen von David Roxburgh für diese und andere persische Miniaturen herausgearbeitet wurde98 . Weder die Logik der geometrischen noch die der Erfahrungsperspektive finden in dieser Komposition Anwendung. Zu der für unsere Wahrnehmung ungewöhnlichen Bildfindung kommt noch hinzu, dass auf eine tiefenräumliche Darstellung weitgehend verzichtet wird. Der Umstand, dass es sich um Malerei handelt, wird somit explizit zur Schau gestellt und die Künstlichkeit des Dargestellten unterstrichen. Alles, was gezeigt wird, gestaltet sich flächenhaft. Raum wird nur in einzelnen Fällen durch Schrägen angedeutet, wie z.B. beim erhöhten Verbindungsgang der beiden Gebäudeflügel oder auch bei den Raumgrenzen im Inneren der Architektur, die Fußböden und Wände trennen. Eine Herausforderung für die menschliche Wahrnehmung stellt auch die minutiöse Darstellung von winzigen Details dar, wie die sorgfältige Ausführung des ornamentalen Schmuckes, den der Palast erfährt, oder die genaue Schilderung der Kleidung der PalastbewohnerInnen in einer reichen, doch stets harmonischen Farbkomposition. Roxburgh macht in der bereits erwähnten Studie auf die visuelle Logik aufmerksam, die in dieser und anderen persischen Miniaturen99 wirksam ist

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Dieser Vergleich wird von mehreren AutorInnen herangezogen u.a. auch von David Roxburgh, vgl. Roxburgh, Micrographia, 25. Vgl. ebd. Roxburgh definiert den zeitlichen Rahmen für seine Ausführungen nicht explizit. Durch die Einleitung zum Thema und die Auswahl der Bildbeispiele wird klar, dass

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Das Ornament als Denkfigur

und die ich im Folgenden zusammenfassend darstellen möchte100 , um einen Vergleich mit Forouhars digitalen Zeichnungen zu eröffnen. Durch das Prinzip, dem/der BetrachterIn keinen fixen Standpunkt zuzuweisen, sondern eine Szene in verschiedenen Ansichten zu zeigen, wird, so Roxburgh, eine bestimmte Strategie verfolgt: Es entsteht unweigerlich der Eindruck, dass dem Betrachterauge nichts verborgen bleibt. Alles, d.h. die gesamte Szene, kann vollkommen erfasst werden. Dieser Eindruck wird durch die feine und präzise Maltechnik verstärkt, die Spuren des Pinselstrichs vermeidet und jedes Ding klar und präzise schildert. Dazu kommt der Umstand, dass es sich offensichtlich um eine monoszenische Darstellung handelt, die einen bestimmten Moment der Erzählung für die BetrachterInnen festhält. Durch diese Kompositionsstrategien wird eine Illusion der Klarheit suggeriert. Es entsteht das Gefühl, man könne alles auf einmal klar erkennen. Roxburgh weist jedoch darauf hin, dass in persischen Miniaturen zwei gegensätzliche Kräfte wirken, was, wie er es nennt, zu einer »Dialektik der Seherfahrung«101 führt: Der eben beschriebenen anfänglichen Illusion der Klarheit steht schlichtweg die Seherfahrung beim Betrachten des Bildes entgegen. Durch die immense Dichte und Überfülle an Bildelementen, auch wenn sie noch so präzise dargestellt sind, werden die Sinne überwältigt. Der Blick schweift umher, da das Auge die Miniatur in ihrer exakten Schilderung von winzigen Details nicht im Gesamten fassen kann. So wird Zeit, besser gesagt Zeitdauer, in diese monoszenische Darstellung eingeführt – eine Leistung der BetrachterInnen –, die aber im Bild angelegt ist. Die kleine Größe des Dargestellten verstärkt den Effekt von vergehender Zeit (je kleiner die Darstellung, desto länger dauert der Wahrnehmungsprozess). Diese Kompositionsstrategie widersetzt sich dem sofortigen und kompletten Sehen- und Verstehen-Können des Gezeigten. Roxburgh setzt diese von ihm herausgearbeitete »Dialektik der Seherfahrung« mit dem von historischen Zeitgenossen oft beschriebenen »Realitätseffekt« der Bilder gleich, der, wie er bedauernd konstatiert, in unserer Zeit vielfach missverstanden werde.102 Die von Roxburgh beschriebenen Kompositionsstrategien bieten einen Anknüpfungspunkt zu Forouhars Zeichnungen, der nun nicht nur an forma-

von ihm in diesem Aufsatz vor allem persisch geprägte Miniaturen des späteren 15. und des 16. Jh. fokussiert werden. 100 Vgl. Roxburgh, Micrographia, 23-30. 101 »Dialectic of the Experience of Seeing«, in: ebd., 30. 102 Vgl. ebd., 30.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

len Ähnlichkeiten festgemacht werden kann, sondern an einer strukturellen, den gesamten Bildaufbau betreffenden visuellen Strategie. Zuvor möchte ich allerdings noch einige Ergänzungen, Abweichungen und zusätzliche Beobachtungen zu Roxburghs Studie vornehmen. Roxburgh hat versucht, die divergierenden Kräfte, die in dieser und anderen persischen Miniaturen wirken, so deutlich wie möglich herauszuarbeiten und somit in größtmöglichem Gegensatz darzustellen. Was bei dieser erhellenden Unternehmung ausgeblendet wird, ist der Umstand, dass nicht alles in dieser und auch anderen persischen Miniaturen gänzlich klar dargestellt wird. Vor allem ist die Positionierung und Ausführung der Figuren zu erwähnen, die eher vor den verschiedenen Hintergründen zu schweben scheinen, so als ob sie nachträglich in die Szenerie eingesetzt worden wären. Diese Unklarheit resultiert einerseits aus der generell flächigen Darstellung und Vermeidung von Tiefenraumillusion, andererseits aus den unterschiedlichen Ansichten, aus der sich das Bildgefüge zusammensetzt. Besonders deutlich wird diese Unklarheit und auch der schwebende Eindruck der Figuren bei Zahhaks Alptraum im Bild links unten, im Vorhof des Palastes, oder aber direkt darüber in der unteren Etage des linken Palastflügels. Die Unklarheit der Position der Figuren ergibt sich in der erstgenannten Szene aus dem in verschiedenen Ansichten dargestellten Brunnen in Verbindung mit dem gekachelten Vorhof. Während das beschnittene Brunnenbecken in Aufsicht dargestellt ist, suggerieren der verzierte Brunnenaufsatz sowie die Darstellung der Enten aber eine Ansicht von der Seite. Der nicht perspektivisch gekachelte Vorhof des Palastes, besser gesagt die ornamentale Ausführung dieses Unter- bzw. Hintergrundes, trägt nicht zur Klärung des Blickwinkels bei, scheint den schwebenden Figuren jedoch Halt zu geben. Es scheint, als ob die ornamentale Ausführung des Vorhofes die Figuren und die unterschiedlichen Ansichten miteinander verknüpft und dadurch eine harmonische Einheit hervorbringt. Das Verbinden der unterschiedlichen Ansichten zu einem einheitlichen Bildganzen sieht Roxburgh v.a. durch die ausgeklügelte Farbverteilung realisiert103 . Er weist indes nicht darauf hin, dass diese Bildwirkung auch der kleinteiligen ornamentalen Gestaltung geschuldet ist, da durch sie Figur und Grund nicht so klar unterschieden werden können, als dies bei einem einheitlichen Hintergrund der Fall wäre. Die Ausschmückung mit winzigen, präzise ausgeführten Ornamentmotiven ist, was von Roxburgh nicht explizit erwähnt wird, nicht nur für die Verknüpfung des Bildes zu einer Einheit wichtig, sondern auch für 103 Vgl. ebd.

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die Einführung des Faktors Zeit verantwortlich. Da die Ornamente nicht nur sehr klein ausgeführt sind, sondern auch durch ihre verschlungenen Linien oder aber durch den Umschlag-Effekt bei geometrischen Formen nicht sofort, sondern erst nach und nach zu erkennen sind und zudem das Identifizieren von Figur und Grund erschweren, wird Zeitdauer durch diese Bildkonzeption eingeführt. Ein zusätzlicher Aspekt des kompositorischen Aufbaus, das Figurenschema betreffend, soll an dieser Stelle ebenfalls Erwähnung finden: Diese Miniatur ist daraufhin konzipiert, dass der/die BetrachterIn das Dargestellte nach und nach wahrnimmt. Das Auge wird dabei geleitet von Blickachsen und Gesten der dargestellten Figuren. Betrachtet man die Figuren genauer, so wird deutlich, dass diese nicht einem naturalistischen Ausdruck verpflichtet sind, obwohl viele Posen einer offensichtlichen Naturbeobachtung entspringen. Die Körperhaltungen und Blickrichtungen gehorchen einem zentralen übergeordneten Kompositionsschema. Dieses Bild, wie viele andere persische Miniaturen auch, enthält Blickanleitungen, die den BetrachterInnen Wege durch das Bild vorschlagen, die vor allem durch das Figurenschema realisiert werden104 . Aus dem Schahname des Schah Tahmasp sollen Folio 28v, 36v, 183v sowie 404v als Beispiele dafür angeführt werden. Forouhars Zeichnungen sind in ihrer visuellen Logik in hohem Maße mit der von Roxburgh für die persische Maltradition beschriebene »Dialektik der Seherfahrung« vergleichbar. Auch sie operiert mit einer anfänglichen »Illusion der Klarheit«, denn auf den ersten Blick begegnen ihre Zeichnungen als sofort verständlich – als dekorative ornamental gestaltete Bildflächen, die das Auge durch ihren Reichtum an Details erfreuen. Verstärkt wird dieser anfängliche Eindruck der Klarheit durch die mittels digitaler Technik bis auf die Spitze getriebene Feinheit und Exaktheit der Ausführung der Bilddetails. Jede Linie, jeder Strich ist exakt gesetzt und klar definiert. Unterstützend wirkt dabei aber auch die Entscheidung zu einer flächigen Darstellungsweise, die im Vergleich zu Tiefenraum suggerierenden Bildern weniger komplex anmutet. Wie bei den persischen Miniaturen wirken auch in Forouhars Zeichnungen die Überfülle an Informationen und die Kleinteiligkeit des Bildaufbaus gegenläufig. Auch Forouhars Zeichnungen sind nicht daraufhin konzipiert, mit einem Mal erfasst werden zu können. Der Blick schweift umher und versucht sich im Linien- und Formengewirr zu orientieren, mehr noch: Die digitalen Zeichnungen muten zunächst harmlos und verspielt an, als ob 104 Vgl. dazu auch Grabar, Mostly Miniatures, 133.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

ihre einzige Bestimmung darin bestünde, dem Betrachterauge die dekorative Kleinteiligkeit vorzuführen. Durch dieses Sehangebot involviert, folgt bei näherer Betrachtung der Zeichnungen das Moment der Aufrüttelung und des Erkennens. Die Zeichnungen, an denen man sich gerade noch erfreut hat, geben ihren brisanten Inhalt preis: Folterszenen, Darstellungen von Mord und sexuellem Missbrauch. In dieser von Forouhar verfolgten Strategie sehe ich deutliche Parallelen zum Prinzip der »Dialektik der Seherfahrung«, wie es von Roxburgh für die persischen Miniaturen beschrieben wurde. Das Konzept, nicht alles auf den ersten Blick erkennen zu können, nutzt Forouhar, um Gewaltszenen zu verbergen, die erst bei näherem Betrachten entdeckt werden können. Durch den Umschlageffekt vom anfänglichen Erfreuen an unverfänglichen Formen zum Erkennen der Folter- und Mordszenen, wird ein Moment der Aufrüttelung generiert. Die Brisanz der Bildinhalte wird dadurch mit Nachdruck betont105 , so wie bei einer filmischen Szene, deren Dramatik durch spannungsreiche Musik gesteigert wird. Mit anderer inhaltlicher Gewichtung lässt sich diese Strategie, die auf der visuellen Logik der persischen Maltradition aufbaut und die Forouhar dazu nutzt, brisante Inhalte zu verbergen und zu zeigen, auch als Mimikry beschreiben. Für die postkoloniale Theorie wurde der Begriff Mimikry von Homi Bhaba geprägt und wird im Handbuch Post-Colonial Studies, The Key Concepts als das ambivalente Verhältnis zwischen kolonisiertem Subjekt und der kolonisierenden Macht beschrieben: »When colonial discourse encourages the colonized subject to ›mimic‹ the colonizer, by adopting the colonizer’s cultural habits, assumptions, institutions and values, the result is never a simple reproduction of those traits. Rather, the result is a ›blurred copy‹ of the colonizer that can be quite threatening. This is because mimicry is never very far from mockery, since it can appear to parody whatever it mimics.«106 Daher kann verfehlte Wiederholung als subversive Technik angewandt werden, wie u.a. Alexandra Karentzos sie in direktem Bezug zur Kunst Forouhars (nicht jedoch in Bezug auf ihre digitalen Zeichnungen und auch nicht auf das Ornament in ihrem Œuvre) feststellt.107 Julia Allerstorfer legt in ihrer Dis-

105 Vgl. dazu auch: Barsch/Fischer, Vorwort, 7. 106 Ashcroft, Bill/Griffiths, Gareth/Tiffin, Helen, Art. Mimicry, in: dies., Post-Colonial Studies.The Key Concepts, New York 2 2007, 124-127, hier 124-125. 107 Vgl. Karentzos, Unterscheiden des Unterscheidens, 129.

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sertationsschrift eine detaillierte Beschreibung dieser Strategie vor und zeigt auf, dass Mimikry von (iranischen) KünsterInnen als subversive Strategie angewandt wird, um Stereotypen von Identitätskonstruktionen aufzugreifen und zu unterlaufen.108 Die Mimikry-Taktik setzt Forouhar auch in ihren digitalen Zeichnungen ein. Doch tut sie dies nicht im Sinne der üblichen Definition, wie sie aktuell in den Geisteswissenschaften verwendet wird, welche kulturelle Praktiken des »Westens« meint, die von »nicht-westlichen« ProtagonistInnen/den Unterdrückten übernommen und gleichzeitig unterlaufen werden – denn die seit vielen Jahren in Deutschland lebende Künstlerin Forouhar kehrt die Tradition ihres »nicht-westlichen« Heimatlandes um.109 Somit kann in diesem Sinne von einer umgekehrten Mimikry gesprochen werden, die Forouhar durch die Strategie der »Dialektik der Seherfahrung« ergänzt. Bei der Ausweisung von Forouhars Taktik als Mimikry geht es mir allerdings vordergründig um das Betonen der gezielt verfehlten Wiederholung, mit anderen Worten, um jenen Aspekt, der auch für die Begriffsverwendung in der Biologie zentral ist, denn im Tierreich bezeichnet Mimikry Täuschungs- bzw. Nachahmungstaktiken, die den NachahmerInnen Vorteile verschaffen110 und deren Ähnlichkeitsphänomene gleichsam »Überschüsse und Möglichkeitsräume« hervorbringen111 – ein Umstand, der gleichermaßen für das Reich der Tiere wie der Künste in Anschlag zu bringen ist. Das Moment der Mimikry bei Forouhar ist meines Erachtens in der Übernahme des Bildaufbaus, wie er in der persischen Miniaturmalerei üblich ist, zu sehen. Diesen nutzt die Künstlerin für ihre Zwecke und stellt ihn gleichzeitig zur Disposition. In Forouhars Arbeiten wird eine traditionelle Kompositionsstrategie aufgegriffen. Die verfehlte Wiederholung der Tradition gibt Forouhar den Freiraum, Kritik zu üben; sie

108 Vgl. Allerstorfer, Representing the Unrepresentable, 139. Alexandra Karentzos und Julia Allerstorfers Untersuchungen verdanke ich den Verweis zum Begriff der Mimikry in der postkolonialen Theorie, den die beiden Autorinnen eng an eine Theoriebildung hinsichtlich Identitätskonzeptionen knüpfen. 109 Danke an Prof. Silvia Naef für diesen wichtigen Hinweis zum Begriff Mimikry. 110 Vgl. dazu die Begriffsverwendung, die Klaus Lunau in seiner Publikation Warnen, Tarnen, Täuschen vorlegt: Lunau, Klaus, Täuschung in der Natur, in: ders., Warnen, Tarnen, Täuschen. Mimikry und Nachahmung bei Pflanze, Tier und Mensch, völlig überarb. Neuausgabe, Darmstadt 2011, 11-21. 111 Vgl. dazu Becker, Andreas u.a., Einleitung, in: ders./Doll, Martin/Wiemer, Serjoscha/Zechner, Anke (Hg.), Mimikry. Gefährlicher Luxus zwischen Natur und Kultur (Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung, 4), Schliengen 2008, 7-26, bes. 11.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

zeigt sich in der spezifischen Art und Weise, wie in den Werken das Ornamentale dargestellt wird: Während die ornamentale Gestaltungsweise in der persischen Tradition dazu dient, ein einheitliches Bildgefüge auf moderate Art und Weise zu etablieren (s. dieses Kapitel), wird sie in Forouhars Zeichnungen als Übermacht dargestellt, die alle Bildelemente, selbst menschliche Figuren unter ihren zentralen Ordnungswillen zwingt. Dieser Aspekt soll im Folgenden detaillierter ausgeführt werden. Die verfehlte Wiederholung kann bei Forouhar in der Komposition der figürlichen Darstellungen als Teil des Ornamentalen Prinzips gezeigt werden, die eine Parallele zur persischen Maltradition aufweist, hier jedoch eine Zuspitzung erfährt. Die digitalen Zeichnungen wirken artifiziell, was nicht zuletzt der Ausführung der menschlichen Figuren geschuldet ist. Diese werden durchwegs in schwungvollen Linien umrissen, die bei aller Reduziertheit als elegant gelängte, dynamische Körper zu beschreiben sind. Menschliche Körper, die künstlich gedreht wirken, da sie nicht nach den ihnen zu eigenen physischen Gesetzen abgebildet werden, folgen einem übergeordneten Kompositionsschema jenseits eines naturalistischen Darstellungswillens. Dieser Darstellungsmodus lässt sich konkret mit der höfischen Kunst der Safawiden vergleichen, wie sie im Schahname des Schahs Tahmasp zu finden ist (Zahhaks Alptraum fol. 28v (Abb. 25), Faridun streckt Zahhak nieder fol. 36v, Die Hochzeit von Siyavush und Jarira, fol. 183v, Gushtasp stellt seine Künste im Bogenschießen vor Caesar unter Beweis, 404r). Die Miniaturen zeigen menschliche Figuren, die durch Schilderungen von Gestik und Mimik zwar individualisiert scheinen, aber unmöglich als naturalistische Darstellung gelten können. Alle Körper und Objekte sind flächig bzw. silhouettenhaft ausgeführt, es werden keine Körpervolumina angestrebt und die Figuren sind teilweise elegant gelängt dargestellt. Die Figuren ordnen sich einer Gesamtkomposition unter, indem Arme, Hände, Beine und Köpfe so gedreht sind, dass sie die Blickführung der RezipientInnen durch das Bild regeln112 . Natürlich gibt es große Unterschiede in der Ausführung: Während Forouhars Darstellungen bis aufs Äußerste reduziert sind, werden die Figuren in der persischen Tradition detailreich geschildert und mit individuellen Merkmalen, wie unterschiedlichem Bartwuchs, unterschiedlicher Gewan-

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Vgl. dazu auch Grabar, Mostly Miniatures, 133.

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Das Ornament als Denkfigur

dung, versehen.113 Der Überschwang der Tradition wird bei Forouhar mit Reduktion und Entindividualisierung beantwortet. Ihre Figuren bestehen nur aus Umrisslinien. Es gibt keine Augen oder Münder, meist gibt es auch keine Unterscheidungsmöglichkeit des Geschlechtes der Figuren. Mit dieser Reduktion im Sinne einer Anonymisierung kommt es auch zu einer Generalisierung der Bildinhalte: Es wird nicht (nur) auf ein bestimmtes historisches Geschehen Bezug genommen, nicht (nur) auf das Schicksal von bestimmten Personen verwiesen, sondern generell das Leid und die Missstände in repressiven Systemen aufgezeigt. Das jeweilige repressive System zeigt sich in Forouhars Zeichnungen als ornamentales Prinzip (s. dazu auch Kap. 4.2). Dieses Prinzip besteht in der Unterwerfung figürlicher Darstellungen unter ein übergeordnetes Kompositionsschema. Das Wort Unterwerfung soll in diesem Zusammenhang mit Nachdruck betonen, dass die Künstlerin das »Was« der Darstellung mit dem »Wie« der Darstellung gezielt verknüpft. Menschliche Figuren werden in ihren Zeichnungen nicht nach ihrer Eigengesetzlichkeit dargestellt, sondern haben anderen Zwecken zu dienen, werden sozusagen instrumentalisiert: Sie haben sich einem zentralen Ordnungswillen zu unterwerfen. Der Ordnungswille, der in persischen Miniaturen in moderater Weise als formales Kompositionsprinzip die Einheit und Harmonisierung der Bildfläche mithervorbringt114 , wird von Forouhar gesellschaftspolitisch und machtanalytisch interpretiert und kritisiert. Sie schreibt in einem Aufsatz: »In den altpersischen Miniaturen ist die Präsenz des Menschen wie in einer von Fundamentalismus befallenen Gesellschaft als Teil einer ornamentalen Ordnung zu begreifen. Eine individuelle Auffassung existiert nicht. Es wird der Versuch unternommen, eine trügerische Oberfläche aus wiederholten, miteinander harmonisierenden Mustern zu schaffen, um Brüche zu kaschieren. […] Diese unantastbare Harmonie jedoch verbirgt in sich ein großes Potential an Brutalität.«115 Dieser kritische Gedanke Forouhars wird in ihren Zeichnungen zur Schau gestellt. Alle figürlichen Darstellungen beugen sich einem ornamentalen Ord-

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Die Frage, ob es sich dabei um das Bemühen der Darstellung von identifizierbaren Individuen oder eher um eine Typisierung durch spezifische Merkmale handelt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden. Vgl. dazu auch Roxburgh, Micrographia, 30. Forouhar, Andersdenkende, 125.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

nungsprinzip. Entweder produzieren sie das übergeordnete Kompositionsschema, indem die Körper regelrecht »in Form« gequetscht werden (z.B. Arbeiten der Serie He kills me, He kills me not, Abb. 12 und 13), oder sie produzieren das Ordnungssystem durch eine regelmäßige Wiederholung von Bildmotiven (z.B. Tapete aus Tausendundein Tag, Abb. 6) oder aber die figürlichen Darstellungen stören ein regelmäßiges Kompositionsschema (z.B. Serie Farbe meines Namens, Abb. 1, 2 und 3). Allen Darstellungen ist ein Aspekt gemein: Das ornamentale Geflecht ihrer Zeichnungen, das eine »schöne« Ordnung zeigt, unterwirft auch die menschliche Figur, übt Macht und Gewalt über sie aus und versteckt und zeigt sie zugleich als Opfer dieser Gewaltausübung. Ihre Kritik (formal und inhaltlich) wird auch in der Wahl der Technik augenscheinlich. Sie benutzt den Computer, um ihre Zeichnungen hervorzubringen. Die digitale Zeichnung fungiert als Gegenpol und ironisch-subversive Antwort auf die Meisterleistungen der höchste Konzentration und malerisches Können abverlangenden Miniaturmalerei, die in zeitraubender Kleinstarbeit in unzähligen Arbeitsstunden entstanden ist.

3.3.1

Behandlung von Raum und Still-Legung von Zeit. Ein Vergleich

Die Behandlung des Raumes auf der Bildfläche wird von Forouhar anders gelöst, als die persische Maltradition es vorschlägt, dennoch zeigt sich eine bereits angesprochene Parallele in der Wirkung der Bilder. Diese besteht in dem Eindruck, dass die dargestellten Figuren zu schweben, zugleich aber auch fest am Grund zu haften scheinen. Im Folgenden werden die Kompositionsprinzipien der beschriebenen Darstellungsweise analysiert und nach den Bildwirkungen gefragt, die sie evoziert. Für die persische Tradition wurde die Behandlung des Raumes bereits ganz allgemein als Darstellung eines zweidimensionalen eigengesetzlichen Bildraumes beschrieben, der sich durch Rhythmisierung auszeichnet und sich kaum an die Gesetze der perspektivischen Darstellung anlehnt, d.h. weitgehend ohne proportionale Größendarstellungen, die sich von einem Vordergrund zu einem Hintergrund hin erstrecken würden, oder andere raumillusorische Elemente, wie Schattenwürfe und Überschneidungen, auskommt. Konkret an Zahhaks Alptraum wurde offensichtlich, dass sich das Gezeigte aus verschiedenen Ansichten auf das Geschehen zusammensetzt, die mithilfe ornamentaler Gestaltung sowie Farbverteilung zu einer Einheit verknüpft werden. Architekturdarstellungen operieren in reduzierter Form auch mit Andeutungen von Tiefenraum durch Raumschrägen, obgleich das

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Das Ornament als Denkfigur

Bildarrangement keinen perspektivischen Darstellungsprinzipien wie auf Fluchtpunkte konzipierten Bildelementen folgt. Forouhars digitale Zeichnungen lehnen sich, was die Behandlung des Raums betrifft, nicht an die Miniaturen an, sondern bedienen sich anderer Vorlagen. Sie arrangiert ihre Bildelemente nach dem flächigen Darstellungsprinzip von Tapeten oder Stoffen, was einem ornamentalen Gestaltungsprinzip entspricht. Es wird mit einer Musterung operiert, d.h. mit dem Wiederholen, Kombinieren und/oder Abwandeln, Spiegeln und Drehen von Motiven, wobei ein Gleichmaß der Wiederholung vermieden wird und leichte Abwandlungen und Brüche in die Rhythmisierung der Fläche eingebaut werden. Einige Bildkonzeptionen (z.B. Rot ist mein Name, Grün ist mein Name, Abb. 1 und 2) operieren mit an- und übereinander gereihten, sich wiederholenden Mustern, von denen sich dann bei näherer Betrachtung figürliche Darstellungen kaum merklich abheben. Die Figuren sind ebenfalls nicht plastisch angelegt und kommen ohne Schattenwürfe, ohne Überschneidungen und ohne Farbschattierungen aus. Ganz leicht setzen sie sich von der gemusterten Fläche, die als Hintergrund wahrgenommen wird, ab, jedoch in einem so geringen Maße, da die Musterungen des Hintergrundes sich in einem abweichenden Rhythmus in der Kleidung der Figuren wiederholen. Einzig der gestörte Rhythmus der Musterung durch die abweichenden figürlichen Darstellungen zeigt an, dass es außer dem einheitlichen Muster noch etwas in den Zeichnungen zu sehen gibt. Andere Bildkonzeptionen sehen aber auch unbehandelte bzw. durch eine Farbe definierte Grundflächen vor, die somit einen unbestimmten Hintergrund für das ornamenthafte Arrangement figürlicher Darstellungen bilden, wie dies beispielsweise bei den Tapeten und Luftballons von Tausendundein Tag der Fall ist (Abb. 5,6 und 10). Forouhars Bildkonzeptionen sowie die persische Tradition haben denselben optischen Effekt: Die Figuren scheinen auf bzw. vor dem Malgrund zu schweben, aber dennoch fest verankert zu sein. Die Kunsthistorikerin Martina Pippal beschreibt diesen schwebenden Eindruck von Figuren und deren gleichzeitige scheinbare Verankerung auf der Bildfläche für die ottonische Buchmalerei und nennt diesen Effekt »›Magnetismus‹ der Grundfläche«.116 Dieser wird bei der ottonischen Malerei durch ein Schichtenprinzip realisiert, bei dem die dargestellten Objekte und Personen in verschiedenen Schichten 116

Pippal, Martina, Der Meister des Registrum Gregorii und Trier, in: dies., Kunst des Mittelalters – Eine Einführung. Von den Anfängen der christlichen »Kunst« bis zum Ende des Hochmittelalters, Wien/Köln/Weimar 2002, 200-202, hier 202.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

»collageartig in Richtung Betrachter übereinander gelegt sind […]«.117 Als konkretes Beispiel nennt Pippal das Einzelblatt Kaiser Otto II. als Thronender, umstanden von den huldigenden Provinzen vom sogenannten Meister des Registrum Gregorii, das kurz nach 983 in Trier entstanden ist (Abb. 26), das sich bei der Raumbehandlung an spätantiken Vorbildern orientiert.118 Auch wenn die ottonische und die persische Malerei in vielen Punkten nicht vergleichbar sind, so lässt sich ein schwebender Eindruck, der durch eine nichtperspektivische Darstellung der Szene entsteht, in beiden Bildtypen feststellen. Die scheinbar schwebenden Figuren, die den Eindruck einer stillgelegten Zeit verstärken, möchte ich als höfisches Stilelement kennzeichnen. Als Gewährsmann für den Vergleich persischer und europäischer Kunst soll Oleg Grabar angeführt werden, der die persische Kunst als höfische charakterisiert und in ihrem artifiziellen und theatralischen Ausdruck als vergleichbar mit der europäischen Hofkunst beschreibt.119 Dieser Vergleich soll nicht dazu dienen, um auf einer ahistorischen Theorie zu beharren, sondern er soll vor allem zeigen, dass sich Forouhar eines bestimmten Darstellungsmodus bedient; einer, der in der persischen Tradition als höfischer Ausdruck beschrieben wird120 . Die Suggestion des Schwebenden und Überzeitlichen in den Darstellungen wird nicht alleine durch eine nicht perspektivische Raumkonzeption erzeugt, sondern vor allem auch durch eine spezifische Weise, Handlungen darzustellen. Richard Ettinghausen liefert eine Erklärung,121 warum höfische Kunst aus der Zeit genommen zu sein scheint. Ettinghausen bezieht sich auf eine Rekonstruktion einer Wandmalerei persischer Prägung im Kuppelraum des Harems im Jawsaq-Palast in Samarra (Irak), gleichzeitig auf Wandmalereien gleichen Stils im östlichen Iran: Es geht dabei um ein Bild mit zwei Tänzerinnen, das 836-839 entstanden ist (Abb. 27). Die weiblichen Figuren halten je eine Trinkschale und eine Flasche, aus der sie Wein in Schalen gießen. Ettinghausen beschreibt, dass diesen Figuren eine starre Unbeweglichkeit eig117 118 119

Ebd. Vgl. ebd. Oleg Grabar spricht sich dafür aus, die Hauptströmungen persischer Malkunst am besten als höfische Kunst zu charakterisieren (er untersucht in der genannten Publikation die persische Malerei von ca. 1300-1700), die in der Theatralik und im artifizellen Ausdruck vergleichbar mit der höfischen europäischen Kunst sei, vgl. Grabar, Mostly Miniatures, 144. 120 Vgl. ebd. sowie Canby, Persian Painting, 7 sowie Welch, Buch der Könige, 24. 121 Vgl. Ettinghausen, Richard, Arabische Malerei. Die Kunstschätze Asiens, Stuttgart 1979, 42-44.

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ne und dass die Gewandfalten nicht auf natürliche Weise fielen, sondern zu rhythmischen Formen transformiert worden seien.122 Er stellt resümierend fest: »Obgleich ein Vorgang dargestellt wird, ist die Bewegung der Gestalten so gering, dass sie stillzustehen scheinen. Überhaupt gibt die Szene weder das Flüchtige des Ausdrucks noch individuelle Züge wieder […].«123 Diese »symbolische Starrheit« sowie den Eindruck einer »zeitlosen Zeremonie« sieht Ettinghausen auch für die nachfolgenden Jahrhunderte höfischer Kunst übernommen.124 Ich möchte den beschriebenen Darstellungsmodus als »Still-Legung von Zeit« bezeichnen, der seine Kraft hauptsächlich aus dem Umstand bezieht, dass es sich um die Verbildlichung eines Vorgangs handelt, bei dem jedoch die Bewegtheit der Figuren so gering gehalten wird, dass die Zeit stillzustehen scheint. Mit Ettinghausen lässt er sich für die historischen Artefakte als Aspekt eines höfischen Stils beschreiben. Das Konzept einer »Still-Legung von Zeit« findet sich auch in Forouhars digitalen Zeichnungen, womit wiederum dargelegt werden kann, dass die Künstlerin weniger auf ein bestimmtes Formvokabular persischer Tradition zugreift, sondern sich einen bestimmten Darstellungsmodus aneignet. Betrachtet man ihre digitalen Zeichnungen, bekommt man den Eindruck, als wären die Figurendarstellungen aus der Zeit genommen, obwohl eine Handlung in den meisten Fällen zu erkennen ist. Der Aspekt der »Still-Legung von Zeit« zeigt an, dass die Künstlerin nicht auf ein bestimmtes historisches Geschehen aufmerksam machen will, sondern allgemeine Aussagen trifft. Gewaltvergehen gegen Menschen werden thematisiert und kritisiert, wobei es eventuell auch einen historischen Auslöser für die Entstehung einer Zeichnung gegeben haben mag, auf den das Werk jedoch nicht zu reduzieren ist. Dem beschriebenen Darstellungsmodus in Forouhars Bildfindungen sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da er nicht nur Handlungsdarstellungen und somit Zeit stillzulegen vermag, sondern zusätzlich auf inhaltlicher Ebene virulent wird. Es ist zu zeigen, dass es eine Parallele zwischen diesem, von der Künstlerin angewandten Darstellungsmodus und der Bedeutung von Zeit in den von ihr dargestellten Inhalten – den Folterpraktiken – gibt. Dieser Punkt wird in Kap. 4.2.4 weiterverfolgt. 122 Vgl. ebd., 43-44. 123 Ebd., 43. 124 Vgl. ebd., 44.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

3.4

Zusammenführung der analysierten Darstellungsmodi

Alle bislang beschriebenen Darstellungsmodi sind auch in ihrem Zusammenspiel zu thematisieren, da sie sich gegenseitig verstärken und wechselseitig beeinflussen. Im Folgenden sollen sie unter den Gesichtspunkten »Generalisierung und Anonymisierung«, »Wiederholung und Wiederholbarkeit« und »Zeit« zusammenfassend aufeinander bezogen werden.

Generalisierung und Anonymisierung Eine Generalisierung von Bildthemen läuft bei Forouhars Werken v.a. über die anonymisierte Darstellung menschlicher Figuren, die von allem Individuellen und Konkreten, das auf bestimmte Orte oder Geschehnisse schließen lässt, abstrahiert. Das Ortlose und das Anonyme wird somit ins Bild gesetzt und führt zur Generalisierung der gezeigten Inhalte. Aber auch bestimmte Qualitäten der Zeichnung, die in einer spezifischen Verwendung der Linie liegen, werden von der Künstlerin genutzt, um den Darstellungen einen allgemeinen Charakter zu verleihen. Die Linie kann Figuren und Objekte in besonderem Maße reduziert, schematisiert und abstrahiert zur Darstellung bringen; mit wenigen Strichen können Dinge erkannt werden. Durch die Abstraktion vom Konkreten erlangen Forouhars Bildinhalte den Charakter des Allgemeinen. Der Aspekt einer Anonymisierung wird auch durch den Einsatz der digitalen Technik verstärkt, indem das Anonyme durch eine Vervielfachung menschlicher Figuren in äußerster Präzision evoziert wird. Einer Präzision, die von Menschenhand nicht bewerkstelligt werden kann und somit als Ergebnis eines technischen Vorgangs erachtet werden muss, womit den Zeichnungen auch etwas Maschinenhaftes verliehen wird. Eine andere Taktik, um den Bildinhalten allgemeinen Charakter zu geben, besteht im Einsatz des Seriellen. Dieses zeigt sich sowohl in der Einzelzeichnung, durch die Darstellung weniger aber vervielfachter Einzelmotive, als auch in der Konzeption der Zeichnungen in fortlaufenden Serien, die ein und dasselbe Grundthema zu haben scheinen und den Blick auf verschiedene Aspekte des selbigen lenken. In das serielle Verfahren spielt das Thema Wiederholung/Wiederholbarkeit hinein, das im Folgenden behandelt wird.

Wiederholung und Wiederholbarkeit Mit dem Einsatz des ornamentalen Prinzips ist das Wiederholen von gleichen oder gleichartigen Bildmotiven bereits vorausgesetzt. Zum einen er-

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Das Ornament als Denkfigur

reicht Forouhar mit der vervielfachten Darstellung von Einzelmotiven eine anonymisierende Massenwirkung, zum anderen wird dadurch Wiederholbarkeit und Austauschbarkeit der dargestellten Szenen angedeutet und letztendlich werden in Verbindung mit den kreis- und halbkreisförmigen Arrangements, den Spiegelungen, Drehungen und Reihungen, sich stets wiederholende Szenen suggeriert, ein Regelwerk an Geschehnissen, das sich endlos zu drehen scheint. So trägt die wiederholte Darstellung zur Einführung von Zeit bei. Aber auch der Charakter des Maschinenhaften wird durch diese Arrangements verstärkt und evoziert eine Atmosphäre von Unausweichlichkeit. Das Arbeiten in Serien ist für die Kategorie Wiederholung ebenfalls relevant und trägt dazu bei, das Dargestellte nicht als Einzelgeschehnis wahrzunehmen, sondern in seiner Allgemeinheit zu reflektieren. Nicht nur die Wiederholung, sondern auch die verfehlte Wiederholung gehört zu Forouhars künstlerischen Strategien. Das ornamentale Prinzip wurde in der persischen Maltradition als formales Gestaltungsmittel eingesetzt, um die Bildkomposition zu vereinheitlichen und ein harmonisches Bildgefüge hervorzubringen. In Forouhars Werken wird das benannte Gestaltungsprinzip nicht einfach übernommen, sondern überzeichnet, was als Mimikry-Taktik bzw. umgekehrte Mimikry beschrieben wurde, da es zu einer gezielt verfehlten Wiederholung der Tradition kommt. Bei Forouhar wird das Ornament zu einer Übermacht. Die ornamentale Gestaltung wird von Forouhar gesellschaftspolitisch und machtanalytisch interpretiert und kritisiert: Ein zentraler Ordnungswille, der alles unterwirft, wird gleichgesetzt mit einem repressiven (politischen) System, das keine Freiheit des Einzelnen zulässt, sondern alles kontrolliert und ordnet, wenn es sein muss, mit Gewalt. Die verfehlte Wiederholung wird dazu genutzt, um Kritik an der Tradition zu üben. Gleichzeitig wird das Geschehen durch den Einsatz der digitalen Technik aber zeitlich in der Gegenwart angesiedelt, womit eine neue Sinndimension eingeführt wird, die mit der Kategorie Zeit in Verbindung steht. Der Einsatz der digitalen Technik in Verbindung mit einer Referenz zur Bildtradition kann aber auch als ironischer Kommentar zur zeitaufwändigen Miniaturmalerei gelesen werden.

Zeit Zeit ist ein wichtiges Thema in Forouhars Arbeiten, mit dem sie auf mehreren Ebenen arbeitet. Zum einen geht es um die Einführung von Zeitdauer durch ein spezielles Kompositionsprinzip, das David Roxburgh für die per-

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

sische Tradition als »Dialektik der Seherfahrung« beschrieben hat. Auf einen ersten Eindruck der Klarheit des Dargestellten folgt eine Überwältigung des Betrachterauges durch die Dichte und Kleinteiligkeit der Bildelemente. Diese Kompositionsstrategie widersetzt sich einem sofortigen und kompletten Sehen- und Verstehen-Können des Gezeigten. Der Faktor Zeit wird insofern ins Bild eingeführt, als sich die BetrachterInnen in der Komposition verfangen, d.h., dass das Bild nicht darauf angelegt ist, den gesamten Bildinhalt auf einmal preiszugeben. Forouhar entwickelt diese Bildstrategie weiter, indem sie sie als Verzögerungstaktik der brisanten Inhalte ihrer Zeichnungen nutzt und ihnen dadurch zusätzlichen Nachdruck verleiht. Zum anderen wird Zeit im Sinne von zeitlichen Bezügen relevant. Durch verschiedene benannte Rückgriffe auf die persische Maltradition wird auf Vergangenes, auf die Tradition Persiens angespielt. Gleichzeitig werden zeitliche Bezugnahmen mit Anwendung der Technik des Digitalen ausgeführt, die das Dargestellte in der Gegenwart situieren. Tradition ist ein ambivalentes Thema im Iran, da es vonseiten der Regierung nicht erst seit der Islamischen Revolution zur Instrumentalisierung selbiger kommt (s. Kap. 3.5). Die Künstlerin arbeitet mit verschiedenen zeitlichen Referenzen, die sie gezielt einsetzt, um ein komplexes Sinngefüge zu etablieren, das mehrere Deutungsansätze zulässt. Die spezifische Weise, wie Forouhar Handlungen darstellt, wurde als StillLegung von Zeit benannt und ist in der persischen Tradition ebenfalls zu finden, wie Richard Ettinghausens Studien zeigen. Obgleich es sich um die Illustration eines Vorgangs handelt, wird die Bewegtheit der Figuren so gering gehalten, dass die Zeit stillzustehen scheint. Inhaltlich wird so eine allgemeine überzeitliche Aussage möglich – nicht ein singuläres historisches Geschehen wird in Forouhars digitalen Zeichnungen erzählt, sondern die sich stetig wiederholenden Gewaltverbrechen gegen Menschen. Die Zusammenschau der eingesetzten Darstellungsmodi zeigt, dass die Künstlerin ein stringentes Konzept verfolgt, bei dem die Wahl der Technik, Bezüge zur Tradition sowie die Art der Darstellung fest ineinander verzahnt sind und sich gegenseitig verstärken, besonders was die Aspekte »Generalisierung und Anonymisierung«, »Wiederholung und Wiederholbarkeit« sowie »Zeit« angeht. Das übergeordnete Konzept, das Forouhar die Möglichkeit bietet, ihre Strategien zu verbinden, stellt das ornamentale Prinzip dar. Dieses hat, wie beschrieben, sowohl etwas mit Ordnungsstiftung zu tun als auch mit Machtverhältnissen und Gewaltausübung, ein Umstand, der in Kapitel 4 weiter ausgeführt wird.

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Es bleibt zu fragen, ob Forouhar mit ihren Werken nicht auch Bezug auf die jüngere Bildtradition ihres Landes nimmt bzw. wie ihre künstlerische Praxis in Bezug zu den Entwicklungen der iranischen Kunst einzustufen ist, was im folgenden Kapitel untersucht wird. Danach wird ein Vergleich ihrer künstlerischen Praxis mit der eines pakistanischen Künstlers angestellt, um einen weiteren Einblick in gegenwärtige Strategien in Verwendung des Ornaments zu erhalten.

3.5

Forouhars Bezugnahmen auf das traditionelle Bilderbe im Spiegel der jüngeren und jüngsten Entwicklungen iranischer Kunst

Dass die Verwendung ornamentaler Gestaltungselemente nicht nur als Reminiszenz an die klassische persische Malerei125 zu werten, sondern ebenso in Beziehung zu dem Umgang der jüngeren Kunstgeschichte Irans mit dem traditionellen Erbe – im Fokus hier mit dem Ornament – zu untersuchen ist, erscheint als wichtige kunstwissenschaftliche Arbeitsleistung, die sich den Herausforderungen einer sich wandelnden Disziplin stellt (s. Kap. 1.1). Wiederum steht hier weniger der Versuch im Vordergrund, Forouhars Kunst aus einer iranischen Tradition heraus verstehen zu wollen, doch erscheint es wichtig, die Vor- und Rahmenbedingungen iranischer Kunst zu beleuchten, um Forouhars künstlerisches Schaffen in Absetzung dazu besprechen zu können. Weiters wird mit dieser Analyse gefragt, unter welchen Bedingungen und in welcher Weise KünstlerInnen in der jüngeren und jüngsten Zeit mit dem traditionellen Bilderbe umgehen, von dem das Ornament ein wichtiger Teil ist. Damit soll auch die in dieser Untersuchung nicht zu erhebende lokale (iranische) Theoriebildung zum Ornament in der Gegenwartskunst kompensiert werden. Als Grundlage für die folgende Befragung wird die Studie Contemporary Iranian Art – New Perspectives von Hamid Keshmirshekan herangezogen, die einen differenzierten Überblick über die Entwicklungen iranischer Kunst vom späten 19./frühen 20. Jh. bis in die heutige Zeit bietet und iranische Gegenwartskunst im Spiegel dieser Entwicklungen thematisiert.126

125 126

Vgl. dazu FN 84 in diesem Kapitel. Vgl. Keshmirshekan, Hamid, Contemporary Iranian Art. New Perspectives, London 2013.

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Seit dem 19. Jh., einer Zeit, die neben politischen und sozialen Veränderungen einen Bruch mit traditionellen Materialien und Techniken in der Kunst brachte,127 setzten sich iranische KünstlerInnen, wie Hamid Keshmirshekan herausgearbeitet hat, immer wieder mit ihrem künstlerischen Erbe auseinander. Dabei – ging es nun um die vorislamische oder islamisch geprägte Tradition – wurde vor dem Hintergrund europäischer Kunsteinflüsse vornehmlich die Frage nach kultureller und künstlerischer Eigenständigkeit behandelt und ob und wie die eigene Bildtradition mit modernen und zeitgenössischen Ideen zu vereinbaren sei. In den unterschiedlichen Zeitabschnitten des 20. Jhs. bis in die jüngste Zeit wurde diese Frage verschiedentlich beantwortet. Forouhars Einsatz und Befragung ornamentaler Strukturen scheinen vor dem Hintergrund dieser jüngeren und jüngsten iranischen Entwicklungen in der Kunst nicht als abgekapseltes Phänomen,128 sondern in einer Linie der Neubefragungen des kulturellen Erbes zu stehen. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die iranischen Kunstentwicklungen seit dem späten 19./frühen 20. Jhs. präsentiert, der kein vollständiger sein kann und sich v.a. auf die Bezüge der jeweiligen Kunstströmungen zu traditionellen Bildelementen konzentriert. Ziel dieser Unternehmung ist es, einen Standpunkt darüber zu gewinnen, wie Forouhars künstlerische Strategien vor diesem Hintergrund einzuschätzen sind.

Das späte 19. und frühe 20. Jh. – Euopäische Einflüsse und traditionelles Erbe129 Im 19. Jh. verortet Keshmirshekan eine Krise des kulturellen Selbstbewusstseins, bedingt durch die Auswirkungen der Industriellen Revolution in Europa, durch die ein internationales politisches und kommerzielles System errichtet wurde, das, wie es Stephen Vernoit beschreibt, zum Vorteil der Europäer arbeitete und soziale und kulturelle Veränderungen in den kolonisierten wie unabhängigen Ländern der »muslimischen Welt« mit sich brachte.130 Die Kunst während der Zeit der Kadscharen-Dynastie (1794-1925) wurde aus europäischer Sicht abgewertet, da die gängigen europäischen Standards wie

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Vgl. ebd., 21 sowie im Zuge der Besprechung des Begriffs »moderner islamischer Kunst«: Naef, »Moderne islamische Kunst«, 26. 128 Forouhars Sozialisation und künstlerische Ausbildung fand im Iran statt. In Deutschland absolvierte sie zusätzlich ein Aufbaustudium, s. dazu Kap. 1.1. 129 Vgl. Keshmirshekan, Contemporary Iranian Art, 21-45. 130 Vgl. ebd., 21.

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Zentralperspektive, Chiaroscuro und Naturalismus vermisst wurden. Bis ins 19. Jh. waren die Einflüsse europäischer Kunst beschränkt auf Aspekte, die es erlaubten, das eigene ästhetische System aufrecht zu erhalten, so wie es auch in der frühen Kadscharen-Zeit, die einen eklektischen Stil hervorbrachte, praktiziert wurde. Das änderte sich in der 2. Hälfte des 19. Jhs., so Keshmirshekan. Grund war der vermehrte Import europäischer Kunst, die in Mode kam, sowie die Einführung eines Systems der Kunstausbildung nach europäischem Vorbild, was mit der Gründung der ersten Hochschuleinrichtung (Dar al-Funun, Haus der Wissenschaften) in Teheran 1851 forciert wurde. Als Schlüsselfigur in der Kunstausbildung kann der einflussreiche Maler und Absolvent des Dar al-Funun, Mirza Mohammad Ghaffari alias Kamal al-Mulk bezeichnet werden, der 1911 die erste iranische Akademie der bildenden Künste gründete. Einen wichtigen historischen Hintergrund für die Entwicklung der Künste in dieser Zeit bildete die Iranische Konstitutionelle Revolution131 , die den Boden für eine Kunstentwicklung nach »westlichem« Vorbild bereitete und den Austausch mit »westlichen« KünstlerInnen und Ausbildungssystemen vorsah; durch die sogenannte Schule von Kamal al-Mulk, welche die ersten Jahrzehnte der Kunst des 20. Jhs. prägte, wurde die akademische Malerei des »Westens« wesentlich gefördert. Gleichzeitig entwickelte sich während der späten Kadscharen-Zeit und der frühen Pahlavi-Regentschaft (in den 1920er Jahren) eine Erneuerung der traditionellen Miniaturmalerei. Eine Schule der Traditionellen Künste wurde 1929 gegründet, die sich an der Miniaturmalerei der Timuriden und späten Safawiden orientierte. Diese Schule kann, wie Keshmirshekan herausstreicht, als künstlerischer Gegenpart zum Programm der Akademie der Bildenden Künste unter Kamal al-Mulk gesehen werden, zumindest in den Anfängen, auch wenn sie nie den Einfluss und die Popularität der Kamal al-Mulk Schule hatte. Dieser Erneuerungsversuch der persischen Malerei wurde in der Regierungszeit von Reza Schah Pahlavi (reg. 1925-1941) gefördert. Ein Ziel der Schule war es, die »wahrhafte traditionelle und nationale iranische Kunst«132 wieder aufleben zu lassen. Diese gegensätzlichen aber koexistierenden Richtungen wurden bis in die 1940er Jahre weitergetragen.

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Der Beginn dieser Revolution wird mit 1905 angesetzt, die 1906 in der Konstitution eines Parlaments, einer Verfassung mit bürgerlichen Grundrechten, die eine konstitutionelle Monarchie etablierte, gipfelte. Ebd., 45 [Übers. S.W.].

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

Die 1940er und 50er Jahre: Modernität und Identität133 Den Beginn der modernen Kunst (nach »westlichen« Begriffen) verzeichnet Keshmirshekan in den 1940er Jahren. Die Entwicklung der Moderne im Iran kann als Konsequenz des raschen Modernisierungsprozesses gesehen werden, der in anderen Bereichen der iranischen Gesellschaft unter Reza Schah vorangetrieben wurde, wobei die Bildungspolitik eine Schlüsselrolle spielte. Die wichtigste Einrichtung zur Auseinandersetzung und Förderung der modernen Kunst war die Hochschule der Bildenden Künste in Teheran, die 1940 gegründet und 1948/49 als Institution der Teheraner Universität zur Fakultät erhoben wurde. Neue Lehr- und Ausstellungsstrategien waren ein wesentlicher Faktor für die Adaptierung »westlicher« Kunstkonzepte im Iran. Die neue Künstlergeneration strebte nach den zeitgenössischen Tendenzen der europäischen Avantgarde und lehnte die offizielle Kunst nach dem Vorbild Kamal al-Mulks, die als akademische naturalistische Malerei (die ihre Inspirationsquelle also in den vergangenen europäischen Kunstepochen hatte, v.a. dem Akademismus des 19. Jh.) charakterisiert werden kann, ab. In den Nachkriegsjahren wurden stilistische Experimente gewagt, die vom Impressionismus über den Kubismus und Expressionismus zur Abstraktion reichten, wovon die erste Biennale von Teheran 1958 Zeugnis ablegte. Durch die offizielle Unterstützung des Staates, besonders nach dem Staatsstreich von 1953134 , gewann die moderne Kunst, die zunächst Skeptiker hatte, auch in der Öffentlichkeit an Popularität. In der Beschäftigung mit dem »fremden« Einfluss »westlicher« Kunst besannen sich KünstlerInnen aber ferner auf ihre eigenen künstlerischen Wurzeln, die mit den neuen Techniken erkundet wurden. Keshmirshekan stellt fest, dass die Besinnung auf die nationale Kultur auch mit weitreichenderen sozialen Veränderungen zu tun hat, die auf einem erstarkenden nationalistischen Gedankengut beruhen. Als Konsequenz suchten viele der jungen modernen KünstlerInnen nach einem Weg, ihre Kunst als spezifisch iranisch auszuweisen. Sie versuchten einen sichtbar iranischen Stil mit »westlichen« Techniken zu entwickeln, indem sie sich z.B. auf Elemente traditioneller persischer Malerei stützten oder Sujets wie Wüsten- und Dorfleben, iranische Rituale oder Frauen mit Tschador wählten – und sie in modernen (»westlichen«) Techniken umsetzten. Diese Versuche wurden bereits

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Vgl. Keshmirshekan, Contemporary Iranian Art, 51-59. 1953 wurde Ministerpräsident Mossadegh mittels eines Staatsstreichs abgesetzt, es folgte die sogenannte 2. Periode der Pahlavi-Monarchie unter Mohammad Reza Schah Pahlavi (reg. 1941-1979), vgl. ebd., 55.

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in den 1950ern kritisiert, da sie keine identifizierbare nationale Schule hervorbrachten und die Kombination von »westlichen« Stilen mit Bildelementen der iranischen traditionellen Kunst kritisch gesehen wurde.135 Die Situation in den 1960ern beschreibt Keshmirshekan folgendermaßen: »During the 1940s and 1950s, artists attempted to adapt to modernism; artists working in the 1960s, on the other hand, together with other intellectuals of the avant-garde, found themselves caught between two polarities: traditionalism and modernism.«136 Die Diskrepanz zwischen Traditionalismus und Modernismus führte in den 1960er Jahren zu neotraditionalistischen Strömungen, von denen die Saqqakhaneh Bewegung die wirkmächtigste war, wie Keshmirshekan ausführt. Diese Bewegung hielt einen neuen Ansatz im Umgang mit der Tradition bereit. In dem Versuch, eine Synthese zwischen der Bildtradition der Vergangenheit und den neuen Ausdrucksformen zeitgenössischer (»westlicher«) Kunst herzustellen, wurde das ursprüngliche Hauptaugenmerk nicht auf einen Rekurs auf klassische Traditionen gelegt. Vielmehr wurden Elemente der Volkskultur, der schiitischen Votivkunst oder auch Rituale und die Kalligraphie zur Inspirationsquelle dieser Strömung. Mit einer modernen Formensprache, die durch die Beschäftigung mit moderner »westlicher« Kunst entstand, wurden die genannten Sujets umgesetzt.137 Keshmirshekan sieht die Saqqa-khaneh Bewegung eher als formalistische Annäherung an die Bildtradition, nicht so sehr als einen theoretischen oder inhaltlichen Diskurs. Er hebt auch hervor, dass KünstlerInnen spezifische Elemente iranischer Kunst auszumachen und zu zeigen versuchten, ein Anliegen das von späteren Kunstbewegungen weitergeführt wurde. Eine Strömung der nachfolgenden Künstlergenerationen kann in der Neo-Kalligraphie gesehen werden, welche einem freien Umgang mit kalligraphischen Elementen nachging, der bereits in der Saqqa-khaneh Bewegung angelegt war.138 Der Neo-Traditionalismus lebte auch in den 1970er Jahren weiter und entwickelte dabei neue Ansätze, wie den Gebrauch von traditionellen Materialen. Gleichzeitig kam die moderne Kunst in den 1970er Jahren zu einem neuen Höhepunkt. Durch internationale Kunstmessen im Iran gab es regen künstlerischen Austausch

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Vgl. ebd., 124-25. Ebd., 93. Vgl. ebd., 94, 96 u. 98. Vgl. ebd., 128-152.

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und auch die aktuellsten »westlichen« Kunstströmungen wie Minimalismus, Konzeptkunst oder auch Ansätze postmoderner Kunst wurden von den iranischen KünstlerInnen aufgegriffen.139

Die Revolution und die Auswirkungen140 Die Revolution von 1979 bedeutet einen Bruch mit den genannten künstlerischen Entwicklungen und einen abrupten Umbau des gesamten Kulturbereichs, wobei die erste unmittelbare Auswirkung die Abschottung von der internationalen Kunstszene bedeutete. Es wurde eine Kunst propagiert, die im Dienste der Revolution stand und von Islamismus und Nationalismus gespeist war. Es handelte sich um einen realistischen, manchmal expressionistischen Stil nach Vorbild v.a. sowjetischer und mexikanischer Revolutionskunst – ein Stil und eine Form der sozialen Kritik – die sich bereits vor 1979 formiert hatte und in den Dienst der Revolution trat. 1980 bis 1983 kam es zur sogenannten kulturellen Revolution, deren Hauptziel die Reinigung des Bildungssystems von »westlichen« Einflüssen und nicht islamischen Lehrkörpern vorsah. Alle Universitäten wurden 1980 geschlossen und 1983, als alle Institutionen (v.a. auch kulturelle Einrichtungen) unter Kontrolle der ideologischen Revolutionsagenden gebracht waren, wieder eröffnet.141 Was die Frage nach der Bezugnahme auf die iranische Bildtradition betrifft, lässt sich zusammenfassen, dass in postrevolutionärer Zeit islamische Bildtraditionen beansprucht wurden, mit dem Ziel, eine irano-islamische Identität zu kreieren. Somit sind, folgt man Keshmirshekan, zwar gewisse visuelle Ähnlichkeiten zwischen der von der Revolution abgelehnten Saqqakhaneh Bewegung und der Revolutionskunst evident, da wiederum auf Kalligraphie, religiöse Elemente und Märtyrertum Bezug genommen wurde, freilich aber mit gänzlich anderen Absichten und unter nicht vergleichbaren Voraussetzungen. Nach dem Iran-Irak-Krieg (1980-1988) nahm die Propagandakunst, die sich in den ersten Jahren der Revolution in Form von Wandmalereien an den Häusern der Städte und Postern bis hin zur Gestaltung von Banknoten schnell ausbreitete, ab. Vonseiten des Staates wurde die Förderung tra-

139 Vgl. ebd., 153. 140 Vgl. ebd., 181-210. 141 Keshmirshekan verweist an diesem Punkt auf die weiterführenden Ausführungen Nikki Keddies: Keddie, Nikki R. (Hg.), Modern Iran. Roots and Results of the Revolution, New Haven 2006.

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ditioneller Kunst wie Miniaturmalerei (die nun Nigar-garan genannt wurde), Kaffeehaus-Malerei (Qahveh-khaneh) und Kalligraphie vorangetrieben; iranisch-islamische Vorbilder bildeten weiterhin die Inspiration der Arbeiten. Diese Entwicklungen werden von Keshmirshekan als Traditionalismus gelistet, während er als Konsequenz dieser Förderung eine neuerliche neotraditionalistische Strömung in den 1990er Jahren ausmacht. Diese wiederum machte einen Versuch der Synthese aus Tradition (nunmehr der islamischen) und modernen und zeitgenössischen (euro-amerikanischen) Strömungen, auf der Suche nach künstlerischer Identität. Keshmirshekan stellt fest, dass es den Neo-Traditionalisten der 1990er Jahre dabei nicht um eine formalistische Annäherung ging (im Gegensatz zu den Künstlern der Saqqakhaneh Bewegung). Sie suchten vielmehr nach zugrundeliegenden Strukturen und Inhalten, die sie aus der Tradition sowie der »westlichen« Kunst in ihren Werken rekonzeptualisierten. Forouhars künstlerischer Ansatz in Hinsicht auf die Verwendung des Ornaments weist Parallelen zu den Konzepten der Neo-Traditionalisten auf, worauf am Ende des Kapitels näher eingegangen wird. Eine weitere künstlerische Tendenz während der späten 1980er und 1990er Jahre kann mit den Modernisten benannt werden, die bereits in den vorrevolutionären Jahren präsent waren, wobei die Neo-Traditionalisten die Hauptströmung bildeten.

Reformperiode und jüngste Entwicklungen: New Art142 Die sogenannte Reformperiode (1997-2005, Regierungszeit des moderaten Präsidenten Seyyed Mohammad Khatami) charakterisiert Khesmirshekan wie folgt: »[…] a cultural and intellectual explosion gave voice to many new ideas in art, just as in social and political discourses.«143 In dieser liberaleren Phase wurde der Kontakt mit der internationalen Kunstszene forciert. Als Schlagwort für die neue Künstlergeneration führt Keshmirshekan die Idee der Zeitgenossenschaft an – neue visuelle Ausdrucksmöglichkeiten durch Video, Performance, Installation oder Fotografie wurden unter dem Begriff »New Art« erprobt. Gleichzeitig erfolgte durch die Gründung der Kunstakademie 1998 aber auch eine weitere Propagierung »islamischer Kunst« im Sinne der Förderung einer irano-islamischen Kunst. Dass letztere Strömung nach 2005 (Regierungszeit Mahmoud Ahmadinejads) wieder stark

142 Vgl. Keshmirshekan, Contemporary Iranian Art, 233-243. 143 Ebd., 243.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

forciert wurde,144 ist für den Fokus der vorliegenden Arbeit erwähnenswert, da es durch die Öffnung der Kunstszene in der Reformperiode zu einem steil ansteigenden Interesse iranischer Kunst (sowie generell der am globalen Kunstmarkt in Mode gekommenen »Kunst des Nahen und Mittleren Ostens«) kam.145 Die Öffnung brachte neue Herausforderungen für die KünstlerInnen, die vor allem in einer bestimmten Erwartungshaltung seitens des globalen Kunstmarktes besteht. Dieser fordert, so Keshmirshekan, die Produktion ethnischer oder politischer Kunst, die als iranische oder Kunst der Region des Mittleren Ostens146 identifizierbar sein soll. VertreterInnen der »New Art« weigern sich, diese Erwartungshaltungen zu erfüllen und beantworten sie mitunter auch durch eine kritische, satirisch-ironische Bildsprache. Diese neue KünstlerInnengeneration, so beschreibt es Keshmirshekan, lässt sich nicht auf die Zuordnung von Nationalitäten ein, sondern geht eigenen Themen der Zeitgenossenschaft nach, die im Spannungsfeld der offiziellen (ideologischen) Identitätspraktiken des Staates, den Möglichkeiten und Fallgruben am globalen Kunstmarkt, einer zunehmend globalisierten iranischen Gegenwart und eigenen künstlerischen Fragestellungen steht.147 In der Zusammenschau der Entwicklungen der Kunst im Iran wird offensichtlich, dass seit dem 20. Jh. eine Beschäftigung mit »dem« traditionellen Kunsterbe im Spannungsfeld großer sozialer und politischer Umbrüche vor sich ging. In der Frage nach künstlerischer Eigenständigkeit, Identität oder auch Zugehörigkeit wurde und wird die traditionelle Kunst unter unterschiedlichen Vorzeichen und auf unterschiedliche Weise verhandelt, dabei sollte der politische Kontext und nationalistische Gesinnungen nicht unterschätzt werden. Was als künstlerisches Erbe verehrt und geschätzt wurde, differierte während des 20. Jhs. und war nicht selten von politischen Strategien und nationalistischen Gesinnungen getragen. War es einmal die vorislamische persische Kunst, die im Zuge traditionalistischer Strömungen v.a. in 144 Auch in der Regierungszeit Hassan Rohanis (ab 2013) setzt sich dieser Kurs im Wesentlichen fort. 145 Vgl. dazu auch Allerstorfer, Representing the Unrepresentable, bes. 16-20. 146 Der englische Begriff Middle East deckt sich nicht mit dem im deutschen Sprachraum verwendeten Mittleren Osten, s. dazu auch FN 18 des ersten Kapitels. 147 Vgl. Keshmirshekan, Contemporary Iranian Art, 197-308, bes. 270-295. S. dazu auch Kheshmirshekan, Hamid, The Crisis of Belonging: On the Politics of Art Practice in Contemporary Iran, in: ders. (Hg.), Contemporary Art from the Middle East. Regional Interactions with Global Art Discourses, 109-133 sowie Allerstorfer, Representing the Unpresentable, 45-47.

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Das Ornament als Denkfigur

der ersten Hälfte des 20. Jhs. revitalisert werden sollte, bezog sich der NeoTraditionalismus der Saqqa-khaneh Bewegung in seinem Versuch einer Synthese von Modernismus und Traditionalismus besonders auf die Volks- und Votivkunst der Zeit in einer weniger inhaltlichen als formalistischen Annäherung, und die Kulturpolitik der Islamischen Revolution nahm eine Instrumentalisierung des Kunsterbes islamischer Prägung148 vor und verband dies mit ihren eigenen Interessen. Die Frage nach künstlerischer Eigenständigkeit bzw. Identität wurde vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Umbrüche sowie politischer Vereinnahmungen virulent, genauso aber auch in Auseinandersetzung mit unbekannten, »fremden« künstlerischen Ausdrucksweisen euro-amerikanischer Herkunft. Die Frage nach künstlerischer Eigenständigkeit machte die Beschäftigung mit dem eigenen kulturellen Erbe notwendig und schien es aus einer anderen Perspektive erfahrbar zu machen, wofür z.B. die Moderne-Bewegung in den 1950er und 60er Jahren stehen kann, unter anderen Vorzeichen die iranische Kunst der Gegenwart. Wie Keshmirshekan zu zeigen versucht, wird die Frage nach einer nationalen Identität Ende des 20./Anfang des 21. Jhs. von der jüngeren Künstlergeneration abgelehnt.149 Diese wird wiederum mit Erwartungshaltungen eines global gewordenen Kunstmarktes konfrontiert, der auf Sichtbarkeit und Zuordenbarkeit regionaler/kultureller Herkunft abzielt, was mit verschiedenen visuellen Strategien beantwortet wird. Im Spiegel der künstlerischen Entwicklungen kann jedoch festgehalten werden, dass Erwartungshaltungen am Kunstmarkt weder der hauptsächliche noch der alleinige Faktor sind, warum sich KünstlerInnen mit der Bildtradition ihres Landes beschäftigen. Die Werke Parastou Forouhars, besonders ihre Bezugnahme auf traditionelle Bildelemente wie ornamentale Formen, sind vor dem Hintergrund der Entwicklungen iranischer Kunst im 20. und 21. Jahrhundert nicht als Einzelphänomen zu sehen, sondern sie stehen in einer Linie der Neubefragungen des künstlerischen Erbes, die auf verschiedene Weise vorangetrieben wurden. Vergleichbar mit KünstlerInnen der neotraditionalistischen Strömungen in den 1990er Jahren besteht Forouhars Auseinandersetzung mit dem traditionellen Bilderbe in der Analyse von Konzepten und Bedeutungen, man könn-

148 Hiermit sind Bildelemente gemeint, die als typisch islamische befunden wurden. 149 Dies wird auch in allgemeinerer Thematisierung vom Islamwissenschaftler Faisal Devji konstatiert, vgl. Devji, Faisal, Miniaturmalerei im Spiegel zeitgenössischer Künste, in: AK Taswir, 45-47.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

te auch sagen Strukturen abseits formalistischer Annäherungen.150 Für die Herangehensweisen der Neo-Traditionalisten nennt Keshmirshekan Beispiele wie die Interpretation natürlicher Phänomene durch die persische Malerei in ihrer spezifischen Verwendung von Farbe, was die Ausgewogenheit und Verteilung betrifft, oder die Vereinheitlichung verschiedener Bereiche durch die flächige Behandlung des Bildraums.151 Forouhars künstlerischer Ansatz weist Parallelen mit dem der Neo-Traditionalisten auf, denn sie beschäftigt sich mit den spezifischen Eigenschaften des Ornaments, die bereits von der Tradition bewusst eingesetzt wurden und in ihren Bildfindungen eine neue Ausprägung erfahren, wie in Kapitel 3.3 dargelegt wurde. Doch neben dem nicht unwesentlichen Aspekt, dass Forouhars Werke, was ihre visuelle Ästhetik anbelangt, von der iranischen neotraditionalistischen Strömung der 1990er Jahre entschieden abweichen152 , geht es Forouhar nicht darum, Tradition und Zeitgenossenschaft zu versöhnen. In ihren Werken steht die konzeptuelle Vor- und Umgangsweise mit der Bildtradition im Vordergrund. Wenn Forouhar Elemente der persischen Tradition aufgreift, geht es dabei nicht um eine Analyse und Beschäftigung der persischen Malerei der Malerei wegen. Vielmehr stellt Forouhar Bezüge her, um Tradition, traditionelle Ordnungen und Systeme auf einer allgemeinen Ebene kritisch zu hinterfragen und stets verortet Forouhar ihre Darstellungen gezielt in der Gegenwart. Die Frage, ob Forouhars Werke nicht nur einen Bezug zur klassischen Bildtradition eröffnen, sondern auch als Kommentar zu der die Bildtradition verarbeitenden neueren Kunst lesbar sind, lässt sich folgendermaßen beantworten: Die Künstlerin legt eine formale Ästhetik vor, bei der nicht entscheidbar ist, ob sich visuelle Referenzen allein auf die klassische Tradition oder auf diese rekurrierende neuere Kunst beziehen. Daher erscheint eine Bezugnahme auf die jüngere Kunst wenig plausibel. Zudem zeigen die Ergebnisse der in diesem Kapitel angestellten Analysen, dass die Bezüge vor allem in einer Übernahme und Weiterentwicklung bzw. Rekonzeptualisierung visueller Taktiken bestehen, die in der persischen Tradition wurzeln. Forouhar, aufgewachsen und sozialisiert im Iran, Absolventin eines Kunststudiums an der Universität Teheran nach der kulturellen Revoluti-

150 Diesen Aspekt beschreibt Keshmirshekan auch für die iranische neotraditionalistische Kunst der 1990er Jahre, vgl. Keshmirshekan, Contemporary Iranian Art, 212. 151 Vgl. ebd., 212-213. 152 Vgl. die Arbeiten der von Keshmirshekan genannten KünstlerInnen, wie z.B. Hannibal Alkhas, Gizilla Varga Sinai oder Alireza Espahbod, in: ebd., 206-226.

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Das Ornament als Denkfigur

on,153 ist im Alter von 29 Jahren für ein Aufbaustudium an die Hochschule für Gestaltung in Offenbach nach Deutschland gekommen und lebt seitdem in Deutschland. Ihre künstlerische Beschäftigung mit ornamentalen Strukturen ist somit auch in diesem Kontext zu thematisieren. Hamid Keshmirshekan nennt wesentliche gemeinsame Themen, die sich in den Kunstwerken von Diaspora-KünstlerInnen ausmachen lassen: »Questions of geographical context, the notion of identity, critical interpretation of the ›self‹ and ›other‹ and cultural memory all emerge in the work of these artists«.154 Er schließt seine Untersuchung mit der Bemerkung, dass es diese KünstlerInnen vereint, sich in einem Schwellenzustand zu befinden, der es ihnen ermöglicht, »westliche« Ansätze aufzunehmen und in ihren Arbeiten Fragen von Nostalgie, Entfremdung, Erinnerung und Verlust zu kommentieren.155 Weiters konstatiert Keshmirshekan, dass die Erfahrung von Marginalität oder »das Leben zwischen Grenzen« einen wichtigen und produktiven Kontext für KünstlerInnen bereithält, in dem sie aktive BeobachterInnen einer anderen Kultur sein können, währenddessen sie ihre Wurzeln und Vergangenheiten erforschen.156 Im Spiegel dieses allgemeinen Vergleiches der Themen, die sich KünstlerInnen aufdrängen, die auf die eine oder andere Weise Heimat verloren haben und sich in einem anderen kulturellen Kontexten ein neues Leben aufbauen, kann auch Forouhars künstlerische Praxis zurecht behandelt werden, insbesondere als sie mit der Ermordung ihrer Eltern schmerzliche Verlusterfahrungen erleben musste. Da ihre Kunst bislang vorwiegend im Licht ihrer bewegten Biografie thematisiert wurde, soll hier der Hinweis auf diesen Aspekt genügen, der zu ihrer künstlerischen Beschäftigung mit

153

154 155 156

Für Informationen zur kulturellen Revolution vgl. ebd., 187-193. Forouhars eigene Schilderungen des Universitätslebens, der Unterrichtsfächer und des Curriculums decken sich mit den Ausführungen Keshmirshekans über die Universitätspolitik nach der kulturellen Revolution und können auch durch einen Bericht universitärer Lehre späteren Datums an der Teheraner Universität von Mehri Honarbin-Hollidays nachvollzogen werden, vgl. Forouhar, Andersdenkende, 121-126 sowie Forouhar, Parastou, Interview mit Jochanan Shelliem für das deutsche Exilarchiv, 19.07.2013, Offenbach, http: //d-nb.info/1059549395 [Stand: 03.08.2020] sowie Honarbin-Holliday, Mehri, Locating the Journey of Institutional Art Training in the Processes of Transition and Coninuity, in: Keshmirshekan, Hamid (Hg.), Amidst Shadow and Light, Contemporary Iranian Art and Artists, Hong Kong 2011, 110-123. Keshmirshekan, Contemporary Iranian Art, 309. Vgl. ebd., 309. Vgl. ebd., 330.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

dem traditionellen Bilderbe geführt haben mag. Die vorliegende Arbeit fragt jedoch schwerpunktmäßig danach, warum sich das Ornament in Forouhars Werk als besonders geeignet für ihre künstlerischen Strategien erweist. In ihrer künstlerischen Praxis, so die These, wird das Ornament als visuelles Gebilde in seiner Struktur untersucht und reflektiert, was die Künstlerin nutzt, um inhaltliche Aussagen zu treffen. Vor dieser vertieften Befragung, die im vierten Teil der Arbeit vorgenommen wird, soll ein Vergleich zwischen der künstlerischen Praxis von Parastou Forouhar und Imran Qureshi erfolgen, in der Absicht, dass sich dadurch die Fragestellung verallgemeinern bzw. eine größere Breite in der Aussage über die strategische Verwendung des Ornaments machen lässt. Der Umstand, dass Forouhar auch ein Kunststudium in Deutschland absolviert hat und seit 1991 in Deutschland lebt, wurde aus kunstwissenschaftlicher Sicht in Kap. 3.2 berücksichtigt.

3.6

Imran Qureshi und Parastou Forouhar. Ein Vergleich

Parastou Forouhar knüpft auf verschiedene Weise an die persische Maltradition an, interpretiert diese gesellschaftspolitisch und übt Kritik daran, wobei dem Ornament eine zentrale sinnstiftende Rolle zukommt. Sie ist nicht die einzige Künstlerin, die sich mit der (Bild-)Geschichte ihres Heimatlandes auseinandersetzt. In der »westlichen«157 sowie der »nicht-westlichen«158 zeitgenössischen Kunst ist dieses Phänomen in unterschiedlichsten Ausprägungen anzutreffen. Im Folgenden soll ein Künstler thematisiert werden, der für den Fokus der Arbeit von besonderem Interesse ist. Es handelt sich um Imran Qureshi, der sich wie Forouhar auf Bildtraditionen seines kulturellen Kontextes bezieht. In den Werken Forouhars und Qureshis lassen sich zwei unterschiedliche Strategien ausmachen, welche die Spannweite künstlerischer Arbeit mit dem Ornament anzeigen. Die beiden Positionen können exemplarisch als Gegenpole gelten, was ihr Ornamentverständnis betrifft, auch wenn Parallelen in ihrer künsterischen Praxis bestehen. Imran Qureshi wurde 1972 in Hyderabad, Pakistan geboren und lebt und arbeitet in Lahore. Sein Kunststudium absolvierte er am National College

157 158

Um nur wenige Beispiele zu nennen: Dorothee Golz, Timotheus Tomicek, auf ganz andere Weise Esther Stocker. Gemeint ist hier vor allem die zeitgenössische Kunst des Nahen und Mittleren Ostens.

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Das Ornament als Denkfigur

of Arts (NCA) in Lahore, wo er derzeit auch unterrichtet. Das NCA ist bekannt für die Ausbildung in den Techniken der traditionellen Miniaturmalerei, die auch Qureshi absolvierte, wichtiger Bezugspunkt dabei ist die Kunst des Mogulreiches.159 Diese Institution brachte eine ganze Reihe von zeitgenössischen KünstlerInnen mit innovativen Ansätzen im Umgang mit der Miniaturmalerei hervor, wie etwa Shahzia Sikander oder Aisha Khalid. Ebenso bekannt ist das NCA inzwischen für den experimentellen Zweig der Institution, somit einer innovativen Lehre, welche die Miniaturmalerei insofern in die Gegenwart führt, als aktuelle (auch politische) Themen aufgegriffen werden und mit traditionellen Techniken experimentiert wird.160 Die Auswahl eines pakistanischen Künstlers für den Vergleich mit einer Künstlerin mit iranischen Wurzeln scheint kunsthistorisch insofern zulässig und interessant, als die Miniaturmalerei in Mogul-India von der timuridischen und safawidischen Tradition gespeist wurde161 . Das Mogulreich wurde von Babur (reg. 1526-1530) gegründet, der, wie schon zuvor sein Vorfahre Timur, die Herrscher des Sultanats von Delhi besiegte und Agra zu seiner Hauptstadt machte.162 Baburs Sohn und Thronfolger Humayun (reg. 1530-1556 mit Unterbrechung) musste 15 Jahre ins Exil. Er fand Aufnahme am Hof von Schah Tahmasp I.

159

Vgl. Qureshi, Imran, Das Hier und Jetzt, Gespräch mit Amna Tirmizi Naqvi, in: AK Imran Qureshi. Artist of the Year 2013 (Deutsche Bank Kunsthalle, Berlin, 18.04.-04.08.2013), hg. v. Stefan Krause u.a., Ostfildern 2013, 22-47, hier 24-25. Die Dynastie der Moguln (1526-1858) herrschte über den größten Teil des indischen Subkontinents und konnte neben den Safawiden und den Osmanen zu den drei »muslimischen Supermächten der Neuzeit« gezählt werden. S. dazu: Koch, Ebba, Die Dynastie der Großmoguln in Indien 1526-1858, in: AK Das Indien der Maharadschas (Schallaburg, 23.03.-10.11.2013), hg. v. der Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H, Schallaburg 2013, 24-34, hier 24. 160 Für detaillierte Informationen zum NCA, siehe: Whiles, Virginia, Art and Polemic in Pakistan. Cultural Politics and Tradition in Contemporary Miniature Painting, London/New York 2011. 161 Vgl. Blair/Bloom, Art and Architecture of Islam, Kapitel 5, 12 und 19 sowie Wieninger, Johannes, »Gott schuf auch die Malerei«, Zu Malerei und Ornament in der islamischen Kunst, in: AK Global:Lab, Kunst als Botschaft. Asien und Europa 1500-1700 (MAK Wien, 03.06.-27.09.2009), hg. v. Peter Noever, Ostfildern 2009, 268-69; zur Verbindung mit der timuridischen Kunst vgl. auch Koch, Ebba, The Hierarchical Principals of Shah-Jahani Painting, in: dies., Mughal Art and Imperial Ideology. Collected Essays, New Dehli/New York 2001, 130-162 sowie Koch, Ebba, The Delhi of the Mughals prior to Shahjahanabad as reflected in the Patterns of Imperial Visits, in: dies., Mughal Art and Imperial Ideology. Collected Essays, New Dehli/New York 2001, 163-182. 162 Vgl. Koch, The Delhi of the Mughals, 163-182.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

und so wurden auch – nicht zuletzt durch die Mitnahme von Künstlern bei Humayuns Rückkehr – safawidische Traditionen, die selbst von der timuridischen Kunst beerbt wurden, von der sich neu entwickelnden Mogulkunst aufgenommen.163 Wie Ebba Koch herausgearbeitet hat, wurden Bezugnahmen der Kunst im Mogulreich unter anderem auf die timuridische Kunst aus ideologischen Gründen bewusst vorgenommen und mit lokalen Traditionen synthetisiert.164 Als Vergleich heranziehen möchte ich ausgewählte Werke von Imran Qureshi aus zweierlei Gründen: Zum einen knüpft dieser Künstler direkt an die traditionelle Technik der Miniaturmalerei an – er wurde, im Gegensatz zu Forouhar, in den traditionellen Techniken ausgebildet – doch arbeitet er in Format, Wahl des Bildgrundes sowie der Bildinhalte durch und durch gegenwartsbezogen. Von daher erscheint ein Vergleich des verschiedenen Umgangs mit der Tradition sehr reizvoll, denn Forouhar greift auf gänzlich andere Weise auf die Bildtradition ihres Landes zu. Zum anderen sind Qureshis Strategien in seiner Anwendung des ornamentalen Prinzips ausschlaggebend für einen Vergleich mit Forouhars Bildfindungen, da sie sowohl Parallelen als auch große Unterschiede aufweisen. Im Rahmen der vorliegenden Studie sollen Qureshis ortsspezifische Installationen und exemplarisch die Arbeit Blessings upon the Land of my Love (Abb. 28, 28a, 28b) untersucht werden. Diese Installation war Qureshis Beitrag zur 10. Sharjah Biennale 2011 (VAE), ein Bildkonzept, das an verschiedenen Orten in vergleichbarer Art und Weise165 realisiert wurde.

163

Vgl. Blair/Bloom, Art and Architecture of Islam, Kapitel 5, 12 und 19 sowie Dadi, Iftikhar, Miniature Painting as Muslim Cosmopolitanism, in: Flint, Lucy (Hg.), Translocal. Contemporary Miniaturist Practice out of Pakistan, Cincinnati 2012, 105-107, hier 105 sowie Wieninger, »Gott schuf die Malerei«, 268-69. 164 Vgl. Koch, Mughal Art, 163-166. 165 Vgl. z.B. die Installation »And How Many Rains Must Fall before the Stains Are Washed Clean« am Dach des Metropolitan Museum of Art, New York 2013 sowie die Installation »Two Loves« am Quai d’Austerlitz, 2014 im Zuge der Nuit Blanche.

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Das Ornament als Denkfigur

Blessings upon the Land of my Love, 2011, Acrylfarbe und Dispersion, Innenhof des Bait al-Serkal166 , Sharjah, Vereinigte Arabische Emirate, Abb. 28, 28a, 28b Qureshis Malerei nahm den gesamten Innenhof des Bait al-Serkal, eines Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert, ein. Die Besucher der Biennale sollten den vom Gebäude umgrenzten Innenhof, der ca. 20 x 20 Meter misst, sowohl in seiner Gesamtheit von der Ferne aus (dem Dachgeschoss des Gebäudes) betrachten als auch im Detail in Augenschein nehmen, indem sie über den Hof – sozusagen auf dem Bild – spazierten.167 Von der Ferne aus mutet die Installation Qureshis wie ein verlassenes Schlachtfeld oder der Ort eines Massakers an. Überall Spritzer und Rinnsale von roter Farbe, wie Blut, auf dem Boden, auf den Stiegen und an den Hauswänden. In der Mitte des Hofes befindet sich ein Abfluss, um den sich das Rot verdichtet und abzurinnen scheint. Blutrote Farbe, wie eine Spur von Gewalttaten, zieht die BetrachterInnen in eine Atmosphäre voller Gewalt, Angst und Tod hinein. Durch den Ausstellungskontext ist von Vornherein klar, dass es sich um eine künstlerische Arbeit handelt und an diesem Ort kein Mensch zu Tode gekommen ist. Allein der Verweis der Ähnlichkeit der Farbe mit Blutspritzern lässt diesen Innenhof jedoch zu einem Ort der Konfrontation mit Gewaltgeschehen werden. Die Ausdruckskraft dieser Arbeit lässt sich vielleicht damit erklären, dass die rote Farbe in ihrer Zeichenhaftigkeit sowohl als Ikon als auch als Index funktioniert. Die Ikonizität ist auf die Spitze getrieben, da die Materialität und der Auftrag (die Verschüttung) der Farbe Blut zum Verwechseln ähnlich sieht und zusätzlich insofern als Index funktioniert, als sie durch diese Ähnlichkeit zur Spur von etwas Abwesendem – verletzten oder getöteten Körpern – wird. Bei einer Betrachtung von der Nähe aus ist zu erkennen, dass sich aus dem unheilvollen Rot etwas herausbildet: Blüten- bzw. Blattformen in roten und weißen Umrisslinien, die die roten unregelmäßig gefärbten Flecken zum Untergrund nehmen. Blattwerk, das in aufwändiger Detailarbeit mit dem Pinsel aus dem Chaos der Spritzer und Lachen herausgearbeitet wurde. Qureshi gibt

166 Ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, das erst als Wohnhaus des britischen Kommissars für den Arabischen Golf, seit den 1960er Jahren als Krankenhaus diente und heute von der Biennale Foundation als Ausstellungs- und Veranstaltungsraum genutzt wird, s. dazu Bait al Serkal, in: Universes in Universe. Welten der Kunst, https://universes.art /en/art-destinations/sharjah/art-spaces/bait-al-serkal [Stand: 03.08.2020]. 167 Vgl. Nasar, Hammad, Imran Qureshi, in: Garrett, Craig (Hg.), Vitamin D2, New Perspectives in Drawing, London 2013, 226-229, hier 226.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

den blutroten Flecken mit seiner sorgfältig konzentrierten, man möchte fast sagen, hingebungsvollen Bearbeitung168 formal sowie inhaltlich eine andere Wendung. Die Erschütterung durch den Eindruck von Blut wird zurückgenommen durch das sich ornamental ausbreitende Blattwerk, das als Zeichen von Hoffnung gelesen werden könnte169 . Die Blutflecke werden nicht vollends überdeckt, doch aus ihnen wird etwas Anderes geformt, etwas Versöhnliches, Friedvolles. – Oder verhält es sich umgekehrt? Wird der Rhythmus des Blattwerks durch das Chaos des Blutes zunichte gemacht? Zerstören die Blutspritzer die Harmonie der ornamentalen Blatt-Triebe? Ordnung und Chaos, Lebendigkeit und Zerstörung – Qureshi zeigt beide Pole in seiner Installation auf und lässt beide zugleich wirken. Blessings upon the Land of my Love kommt ohne figürliche Darstellungen aus, obgleich der menschliche Körper präsent ist, da der Verweis auf die Spuren dieser Körper – dieser verletzten Menschen – offensichtlich ist. Ausschlaggebendes Ereignis zu dieser und anderen Arbeiten Qureshis waren Gewalttaten in Pakistan.170 In Anbetracht dieser Installation wird nicht ersichtlich, ob auf ein konkretes Geschehen Bezug genommen wird und wenn ja, auf welches. Dadurch werden bei den BetrachterInnen unweigerlich Assoziationen mit aktuellen oder besonders im Gedächtnis gebliebenen Unruheherden abgerufen. So konnte diese Arbeit auf der Sharjah Biennale auch zu einem Ausdruck für den Arabischen Frühling, besonders die blutigen Unruhen auf dem TahrirPlatz in Kairo, werden.171 Gleichzeitig werden aber auch Tod und Gewalt ganz allgemein thematisiert. In diesem Punkt sind Qureshis und Forouhars Arbeiten vergleichbar. Forouhars digitale Zeichnungen sind ebenfalls nicht auf eine Bezugnahme zu konkreten Geschehnissen zu reduzieren. Macht und Gewalt wird in ihren Werken ganz allgemein thematisiert, was durch die Vervielfachung, Drehung und Spiegelung anonymisierter Figuren gelingt, die durch kreisartige Dynamiken den Eindruck eines immerwährenden Zustands vermitteln. Der Aspekt des Seriellen sowie das Bearbeiten eines Themas über

168 Vgl. Whiles, Virginia, Imran Qureshi. Performer-Passeur, in: AK Imran Qureshi. Artist oft the Year, 60-69, hier 69. 169 Vgl. Qureshi, Interview mit Sabine B. Vogel, 66 sowie Whiles, Performer-Passeur, 69. 170 Vgl. Qureshi, Imran, Keeping Control of the Line, Gespräch mit Ian Alteveer und Navina Hajat Haidar, in: AK Imran Qureshi (Metropolitan Museum of Art New York [The Roof Garden Commission], 14.05.-03.11.2013), hg. v. Metropolitan Museum of Art, New York 2013, 14-48, hier 31, sowie Whiles, Performer-Passeur, 61. 171 Vgl. Whiles, Performer-Passeur, 61.

119

120

Das Ornament als Denkfigur

Jahre hinweg weist zusätzlich darauf hin, dass es Forouhar um allgemeine Aussagen über Leid, Macht und Gewalt geht (vgl. dazu auch Kap. 3.3.1). Die raumgreifende, eine riesige Fläche gleichsam einen gesamten Innenhof in Anspruch nehmende Arbeit Blessings upon the Land of my Love ist in enger Beziehung mit Qureshis Beschäftigung mit der Miniaturmalerei zu sehen. Das Formvokabular des Blattwerks sowie die Tendenz zur ornamentalen Gestaltung entwickelte sich aus der Miniaturmalerei, wie sie Qureshi am National College of Arts in Lahore erlernt hat. Die Form des Blattwerks findet sich schon in früheren Arbeiten auf Papier, wird transformiert, inhaltlich in seinen Installationen neu bestimmt, und findet mit dieser neuen Aufladung wieder zurück auf das Papier (s. die Arbeit Leakage von 2006 (Abb. 29), Blessings upon the Land of my Love (Abb. 28) sowie Seperated von 2014 (Abb. 30)). In seinen Installationen überschreitet Qureshi die traditionelle Technik der Miniaturmalerei, indem Größe, Bildträger als auch Bildinhalt zeitgenössische Ausmaße annehmen. Das Blattwerk verselbstständigt sich in Blessings upon the Land of my Love, indem es sich ornamental ausbreitet. Zwei völlig verschiedene Techniken prallen in dieser Arbeit aufeinander: Eine Malweise, die alte Techniken der Miniaturmalerei tradiert und sich durch Sorgfalt und Präzision auszeichnet sowie eine Schütt- und Spritz-Technik, wie sie in der Kunst erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts im euro-amerikanischen Raum benutzt wird und deren aggressive Ausdruckskraft auf ihren Entstehungsprozess zurückzuführen ist. Die gezielte Wahl dieser beiden gegensätzlichen Techniken, die man mit den Schlagwörtern »Tradition« und »Moderne« kennzeichnen kann, eröffnet weitere Sinnebenen in diesem Werk, auf die im Rahmen dieser Arbeit aber nicht weiter eingegangen werden soll, da der Fokus auf der Verwendung des Ornaments liegt.172 Das Blattwerk kann als ornamentale Gestaltung insofern beschrieben werden, als es das Chaos der roten Flecken durch die Wiederholung von Umrisslinien, die Formen bilden, ordnet, auch wenn beide Eindrücke – die wilde Gestik und das ordnende Blattwerk – beim Betrachten bestehen bleiben. Verglichen mit Forouhars Ornamenten besteht ein wesentlicher Unterschied: Qureshis Ornament zeigt sich nicht als repressives System, auch wenn es sozusagen einer Gewalttat entwachsen zu sein scheint. Sein Ornament kann als Versuch des Ordnens verstanden werden, als Versuch, Ordnung in ein Chaos zu bringen. Die ordnungsstiftende Ornamentalisierung scheint

172

Vgl. dazu auch Parallelen in der iranischen Kunst, s. Kap. 3.5.

3. Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre

als Ermächtigungshandlung nach einem ungeheuren Ohnmachtsgefühl zu fungieren. Wie aus diesem Vergleich offensichtlich geworden ist, arbeiten Forouhar und Qureshi mit dem Ordnungsprinzip des Ornaments und bei beiden zeigt es sich als Sinn generierende Form. Dieser Vergleich wird in Kapitel 4.1 mithilfe philosophischer wie kunsttheoretischer Annäherungen weiter ausgeführt.

121

4. Das Ornament im Spiegel aktueller Kunstpraxen. Theoretische Annäherungen

Wie im dritten Teil dieser Untersuchung herausgearbeitet wurde, setzen Parastou Forouhar und Imran Qureshi, die in diesem Belang auch exemplarisch für viele GegenwartskünstlerInnen stehen, das Ornament nicht als bloße Dekoration ein, auch nicht nur, um eine Referenz zur (Bild-)Tradition ihres Landes zu schaffen (s. Kapitel 3.3 bis 3.5), sondern sie benutzen es als Sinn generierende Form. Das Ornamentale fungiert bei beiden KünstlerInnen, wenn auch auf ganz verschiedene Weise, als Ordnungsprinzip. Der Verbindung von Ornament und Ordnung, die bereits mit der Wortherkunft des Wortes Ornament angezeigt wurde (s. Kap. 2), soll nun vertieft nachgegangen werden, um gegenwärtige künstlerischen Praxen, die damit arbeiten, besser verstehen zu können. Mithilfe philosophischer wie kunstwissenschaftlicher Theorien wird in Kap. 4.1 der Zusammenhang von Ornament und Ordnung analysiert, wobei zunächst noch einmal der antike Kosmos-Begriff im Fokus steht, nicht zuletzt, da sich Forouhar und Qureshi in ihren Bildwerken auch zu den Bildwelten der Tradition verhalten. Dass Ordnung immer auch mit Machtverhältnissen zu tun hat, das zeigen Forouhars ornamentale Gestaltungen. Mithilfe von Michel Foucaults Machtanalysen erfolgt in Kap. 4.2 eine theoretische Untersuchung des Verhältnisses von Ordnung und Macht. In der Vermutung, dass sich Foucaults und Forouhars Arbeiten wechselseitig erhellen können, sollen Parallelen in Forouhars künstlerischer Praxis und Foucaults theoretischer Beschäftigung hinsichtlich der Verbindung von Ordnung und Macht aufgezeigt werden. Weiters wird dargelegt, dass sich die Verwendung des Ornaments in der Gegenwartskunst, gerade durch KünstlerInnen aus dem Nahen und Mittleren Osten, nicht darin erschöpft, als Marker für das »orientalisch« Fremde zu dienen. Mit dem Ornament wird eine Sinn generierende Form zu sehen gegeben, die vor allem durch das inhärent ordnende Prinzip realisiert wird. Darüber hinaus scheint es unumgänglich, eine Differenzierung der Bezeich-

124

Das Ornament als Denkfigur

nungen Macht und Gewalt einzuführen, um in dieser Annäherung auch explizit die Darstellung von Gewalt in Forouhars Werk thematisieren zu können. Die Ergebnisse dieses Abschnitts sollen zu einem tieferen Verständnis der künstlerischen Strategien für die Verwendung des Ornaments führen und einen Beitrag zu einem neuen Ornamentbegriff leisten. Die zusammenfassenden Überlegungen sind Teil der Conclusio im 5. Abschnitt der Studie.

4.1

Ornament und Ordnung

In diesem Kapitel geht es um eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Ornament als Ordnungsprinzip. Ornament und Ordnung weisen nicht nur in rein formaler Hinsicht eine Verbindung auf, wie exemplarisch an den Werken Forouhars und Qureshis gezeigt wurde. Bereits durch die etymologische Untersuchung (Kap. 2) wurde evident, dass der Begriff Ornament auf die antike Wortbedeutung von Kosmos als einem wohlgeordneten Ganzen zurückgeht, die die Vorstellung von einer Verbindung des Geordneten mit dem des Geschmückten/Schönen in sich trägt.1 Ausgehend von einer Beschreibung der Kosmos-Vorstellung, wird die Bedeutung der Verbindung von Ornament und Ordnung mithilfe verschiedener kunsttheoretischer Ansätze untersucht. Dabei erscheint es als notwendig, zwischen dem historischen Ornament, auf das sich GegenwartskünstlerInnen beziehen, und dem aktuellen zu unterscheiden. Die Tradition, wie in dieser Untersuchung nahegelegt wird, hat eine andere Zugriffsebene auf das Ornament als die Kunst der Gegenwart, wobei eine Parallele in der künstlerischen Arbeit mit dem Ordnungsprinzip benannt werden kann.

4.1.1

Der Kosmos-Begriff. Ordnung und das historische Ornament

Es erscheint notwendig, die Idee des κóσμος näher auszuführen, da, auch wenn Forouhar und Qureshi das Ordnungsgefüge nicht in einem antik metaphysischen Sinn verstehen, sie sich einerseits in Bezug auf die Bildtraditionen dazu verhalten und andererseits ihre ornamentalen Gestaltungen sich auf je verschiedene Weise als Ordnungssystem zeigen.

1

Vgl. Frisk, Art. κóσμος, 929 sowie Irmscher, Kleine Kunstgeschichte sowie Janke/Siegmann, Makrokosmos/Mikrokosmos II, 748-754.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Der Theologe und Religionsphilosoph Wolfgang Trillhaas umreißt die antike Vorstellung des Weltganzen in einem Aufsatz sehr prägnant und wie zugeschnitten für die Zwecke dieser Studie, da er in seiner Charakterisierung den Fokus auf die Ordnungsthematik legt. Er beschreibt die antike Vorstellung des Weltganzen als Ordnung des Seins: »Die ›Welt‹ wird als ›Kosmos‹ erfahren und der Mensch hat seinen Ort in diesem Kosmos. Die Übereinstimmung des Menschen mit dem Kosmos ermöglicht es, Wesenseigentümlichkeiten und Wesensbeziehungen an sich seiender Dinge zu erkennen, die ›Sprache der Dinge‹ zu vernehmen. Wie das ›Sein‹ Gott und Welt, Natur und Übernatur umschließt, so besteht auch kraft der alles durchwaltenden gleichen Seinsstruktur zwischen Welt und Mensch eine die Erkenntnis ermöglichende Analogie. Ordnung des Seins bedeutet im rohesten Umriß, dass alles Ursprung und Ziel und insofern einen strukturellen Zusammenhang hat.«2 In seiner Charakterisierung unterstreicht Trillhaas den Ordnungsgedanken als Idee der Metaphysik seit Platon und Aristoteles. Er fasst in knappen Worten die wichtigsten Elemente dieser Weltsicht zusammen, die in einem wohlgeordneten Ganzen besteht, wo jeder Mensch und jedes Ding seinen Platz hat. Als Ordnung stellt sie ein einheitliches alles umgreifendes System dar, in dem es keine Brüche gibt – alles gehört zu dieser geordneten Einheit, aufgrund derer das Weltganze und jedes seiner Teile (auch der Mensch) in einer Beziehung stehen.3 Dieser Umstand erlaubt es auch, Analogieschlüsse vom Teil auf das Ganze, und auch umgekehrt, zu ziehen (z.B. vom Universum als Ganzem auf den Menschen als Teil davon). Auch bekannt als Makrokosmos-Mikrokosmos-Theorie bzw. MakrokosmosMikrokosmos-Verhältnis, manifestierte sich diese Idee auf unterschiedliche Weise im Denken der Menschen und ist sowohl in vorchristlichen und vorislamischen Religionen4 sowie dem Christentum und in Teilen des

2

3 4

Trillhaas, Wolfgang, Zum Problem ›Metaphysische‹ und religiöse ›Ordnung‹, in: Kuhn, Helmut/Wied-mann, Franz (Hg.), Das Problem der Ordnung (anl. des 6. deutschen Kongresses für Philosophie, München 1960), Meisenheim am Glan 1962, 245-261, hier 246. S. dazu auch Gatzmeier, M., Art. Makrokosmos/Mikrokosmos, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 5 (1980), Sp.640-642. Für diese Arbeit relevant, die Religionen des Neupersischen Reiches, Zoroastrismus bzw. Mazdaismus, Manichäismus und die Nestorianische Kirche, vgl. dazu Gignoux,

125

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Das Ornament als Denkfigur

muslimischen Glaubens präsent5 als auch in der Philosophie bzw. an deren Schnittpunkt.6 Folgende Auslegungen sollen die ungeheure Breite des Makrokosmos-Mikrokosmos-Gedankens veranschaulichen: »Für PLATON sind Makrokosmus und Mikrokosmos von derselben Vernunft beherrscht und aus denselben geometrischen Elementarkörpern aufgebaut. ARISTOTELES argumentiert für die Möglichkeit der Selbstbewegung des Kosmos mit einem Analogieschluß von den Lebewesen auf die Welt als ganze […] Die in ihrem Kern vermutlich auf POSEIDONIOS zurückgehende Annahme, dass der Mensch ein Mikrokosmos sei, der mit den Steinen das Dasein, mit den Pflanzen das Leben, mit den Tieren die Wahrnehmung und mit den Engeln die Vernunft gemein habe, begegnet in fast wörtlicher, formelhafter Wiederholung bei IOHANNES DAMASCENUS, NEMESIUS, GREGOR DEM GROSSEN, ISIDOR VON SEVILLA, JOHANNES SCOTTUS ERIUGENA […], und anderen Kirchenvätern ebenso wie bei JOSEPH IBN ZADDIK.«7 Wichtig für den Kontext der vorliegenden Arbeit ist, dass die MakrokosmosMikrokosmos-Theorie nur aufgrund einer geordneten, alles umgreifenden Einheit funktioniert, anders gesagt, als geordnetes System – im antiken Denken stellte dieses eine alles umgreifende Ordnung des Seins dar. Dass die Vorstellung einer prinzipiellen Übereinstimmung der Teile mit dem Ganzen der Welt aber nicht bzw. nicht nur eine genuin griechischphilosophische ist, sondern eine der großen Theorien der antiken Welt überhaupt, diesen Standpunkt vertritt z.B. der Orientwissenschaftler Philippe Gignoux.8 Religionsgeschichtliche Studien führen zu diesem Thema aus,

5

6 7 8

Microcosm and Macrocosm sowie Lanczkowski, Makrokosmos/Mikrokosmos I, 746, Z 8-20. Für das Christentum vgl. Gatzmeier, Art. Makrokosmos/Mikrokosmos, Sp. 640-642, für den Islam, vgl. Hutter, Manfred, Art. Makrokosmos und Mikrokosmos, I. Religionswissenschaftlich, in: LThK, 6 (2006), Sp. 1231, vgl. dazu auch Bürgel, Johann Christoph, Ordnung und Ekstase. Überlegungen zum Wesen islamischer Kunst, in: kunst und kirche. Ökumenische Zeitschrift für zeitgenössische Kunst und Architektur (4/2004): Kunst und Islam, 220-227. Vgl. Lanczkowski, Makrokosmos/Mikrokosmos I sowie Janke/Siegmann, Makrokosmos/Mikrokosmos II, 748-754. Gatzmeier, Art. Makrokosmos/Mikrokosmos, Sp. 641 (Hervorhebungen im Original). Vgl. Gignoux, Microcosm and Macrocosm sowie ders., Man and Cosmos, 49-63.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

dass die Anschauung, die der (aristotelischen) Makrokosmos-MikrokosmosTheorie zugrunde liegt, wesentlich älter und in der Religionsgeschichte öfter nachweisbar ist, beispielsweise auch in kosmogonischen Mythen oder Weltschöpfungsepen.9 Gignoux stellt fest, dass diese Theorie speziell im System des vedischen, klassisch-griechischen sowie dem gnostischen Denken eine Rolle spielte und nicht nur im Nahen und Mittleren Osten und Indien präsent war, sondern auch beispielsweise in China.10 Er bemerkt, dass sich die Mikrokosmos-Makrokosmos-Theorie und das Analogiedenken im »Westen« bis in das Mittelalter und darüber hinaus gehalten haben.11 Die Literaturwissenschaftlerin Julie Scott Meisami zeigt in einer Abhandlung über allegorische Gärten in der persischen Dichtkunst,12 dass das Denken in Analogien sich auch in der Literatur (in dieser Studie der persischen Dichtkunst des Mittelalters) manifestiert hat und weist darauf hin, dass die Makrokosmos-Mikrokosmos-Theorie sowohl in den (christlichen) Ländern des »Westens« als auch den islamisch geprägten Kulturen präsent war.13 Gignouxs und Scott Meisamis Hinweise auf die Makrokosmos-Mikrokosmos-Theorie in islamisch geprägten Kontexten, die sich auf unterschiedliche Weise manifestiert hat, sind für diese Arbeit insofern interessant, als sich Forouhar und Qureshi auf die Bildtraditionen ihrer Kulturen beziehen (als deren wichtiges Element das Ornament gelten kann) und darauf mit unterschiedlichen ornamentalen Bildgestaltungen antworten. Dass in der Tradition der persischen Kunst bzw. der Kunst des Mogulreiches das Analogiedenken und die Vorstellung des Weltganzen als wohlgefügter Ordnung ihren Niederschlag 9 10

11 12

13

Vgl. Lanczkowski, Makrokosmos/Mikrokosmos I, 745-748 sowie Mörschel, U., Art. Makrokosmos/Mikrokosmos, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), Sp.157-159. Vgl. dazu auch Lanczkowski, Makrokosmos/Mikrokosmos I, 745-748 sowie Gatzmeier, Makro-kosmos/Mikrokosmos, Sp.640-642 sowie Mörschel, Makrokosmos/Mikrokosmos, Sp.157-159. Gignouxs genannte Standpunkte werden auch von anderen WissenschaftlerInnen geteilt, vgl. ebd. Den Hinweis auf diese Publikation verdanke ich Prof. Markus Ritter, Universität Wien, der in einem Seminar über Persische Malerei seine StudentInnen ermutigt hat, diesen von Scott Meisami hervorgehobenen Aspekt für die Malerei zu bedenken. Vgl. Scott Meisami, Julie, Allegorical Gardens in the Persian Poetic Tradition: Nezami, Rumi, Hafez, in: International Journal of Middle East Studies 17, No. 2 (1985), 229-260, bes. 229-231, vgl. dazu auch Lanczkowski, Makrokosmos/Mikrokosmos I, 745-748 sowie Janke/Siegmann, Makrokosmos/Mikro-kosmos II, 748-754 sowie Gatzmeier, Makrokosmos/Mikrokosmos, Sp.640-642 sowie Mörschel, Makro-kosmos/Mikrokosmos, Sp.157-159.

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Das Ornament als Denkfigur

gefunden haben könnte und sich dies vielleicht besonders im Ornament ausdrückt, das sich ja schon durch seinen Namen mit dieser Vorstellung verbunden zeigt14 , scheint ein naheliegender Schluss zu sein. Auch scheint es plausibel, dass die Idee vom wohlgeordneten alles umgreifenden Ganzen besonders in den Religionen – für diese Arbeit besonders im Islam in der Zeit des Mittelalters – präsent ist15 und sich über diese, von der Religion absorbierten Idee auch in der bildenden Kunst manifestiert hat. So hat sich der Islamwissenschaftler Johann Christoph Bürgel in einem Aufsatz über das Wesen »islamischer Kunst« für eine geistesgeschichtlich-religiöse Interpretation entschieden.16 An dieser Stelle erscheint es wichtig, hervorzuheben, dass »islamische Kunst« von ExpertInnen dieses Forschungsfeldes als Hilfsbegriff verstanden wird, der eine Kunst meint, die von der islamischen Kultur geprägt ist. Das Wort »islamisch« in Zusammenhang mit Kunst fokussiert nicht den Umstand einer von der Religion hervorgebrachten Kunst, sondern bezieht sich auf Kunstwerke, die in islamisch geprägten Kulturen entstanden sind.17 Das genannte Verständnis deckt sich nicht mit dem, wie Bürgel – zumindest in dem genannten Aufsatz – islamische Kunst interpretiert. Bürgel beschreibt die islamische Kunst – und somit auch das Ornament als einen wichtigen Teil des islamisch geprägten Kunstschaffens – mithilfe der Begriffspaare »Ordnung und Ekstase« sowie »Allmacht und Mächtigkeit«.18 Ordnung und Ekstase ordnet er den zwei großen Erscheinungsformen islamischer Frömmigkeit zu, dem gesetzestreuen Sharia-Islam und der nach Gottesnähe strebenden Mystik, dem Sufismus,19 deren beider Anliegen sich in seinen Überlegungen in der islamischen Kunst zeigen. Ordnung verbindet

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S. dazu Kap. 2. Für die Religionen der alten Welt vgl. Gignoux, Microcosm and Macrocosm und Lanczkowski, Mikro-kosmos/Makrokosmos I, 746, Z.8-20; für das Christentum vgl. Gatzmeier, Makrokosmos/Mikrokosmos, Sp.640-642 sowie Reudenbach, Bruno, Ein Weltbild im Diagramm – ein Diagramm als Weltbild. Das Mikrokosmos-Makrokosmos-Schema des Isidor von Sevilla, in: Markschies, Christoph u.a. (Hg.), Atlas der Weltbilder, Berlin 2011, 33-40, hier 38-39. Bürgel, Johann Ch., Ordnung und Ekstase. Überlegungen zum Wesen islamischer Kunst, in: kunst und kirche. Ökumenische Zeitschrift für zeitgenössische Kunst und Architektur (4/2004): Kunst und Islam, 220-227. Vgl. Koch, Ebba, Kunst als Sprache des Islam? Kalligraphie, Ornament Malerei, Kunsthandwerk und Architektur, in: ebd., 209-214. Vgl. Bürgel, Ordnung und Ekstase, 220-227. Vgl. ebd, 220.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

er allgemein mit der religiösen Haltung des Islam, die sich noch heute selbst als nizâm (Ordnung) bezeichnet, genauer als »umfassende von Gott den Menschen geschenkte und damit allein und allgemein verbindliche Ordnung«20 . Bürgel führt aus, dass den orthodoxen Kreisen des Islam alles Unkontrollierte und Ekstatische, mit dem er die Kraft charakterisiert, die den Künsten innewohnt, mit ablehnender Haltung begegnen mussten, daher sind im Hadith21 ablehnende Aussagen über die Künste zu finden. Der Mystik gelang es, so Bürgel, den Gegensatz von Ekstase und islamischer Ordnung zu überwinden. Der Autor führt dazu das Sendschreiben der philosophischen Gruppe der lauteren Brüder von Basra (10. Jh.) an, die darin jede Magie (Mächtigkeit, somit auch die den Künsten innewohnenden Kräfte) legitimierten, solang sie den Zielen des Islam diene. Die Denkansätze, die diesen Wandel bewirkt haben sollen, sieht Bürgel in antiken, genauer neuplatonischen Lehren u.a. in der Idee, dass der Mikrokosmos dem Makrokosmos entspricht, die Welt der Menschen also das Universum spiegelt und irdische Liebe als Vorstufe der himmlischen sowie irdische Schönheit als Widerschein göttlicher Schönheit gedeutet werden.22 Bürgel versucht das Wesen islamisch geprägter Kunst unter anderem mithilfe einer von der Religion absorbierten grundsätzlichen Idee eines wohlgeordneten Ganzen, besser gesagt der neuplatonisch gefärbten Idee des Kosmos, zu charakterisieren. Bei Ansätzen wie von Bürgel23 , die im Übrigen als nicht mehr zeitgemäß gelten, ist jedoch u.a. mit Gülru Necipoglu24 und Ebba Koch25 kritisch zu fragen, ob es zulässig ist, islamische Kunst vorwiegend als 20 21

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24 25

Ebd. Im Hadith (Überlieferung) wurden die von den Gefährten Mohammeds mündlich überlieferten Worte und Taten des Propheten schriftlich festgehalten. Nach dem Koran bildet der Hadith die zweite Quelle der Scharia, der göttlichen Gebote, vgl. dazu Thoraval, Yves, Art. Hadith, in: ders., Lexikon der islamischen Kultur, hg. und übers. von Ludwig Hagemann und Oliver Lellek, Darmstadt 1999, 128. Vgl. Bürgel, Ordnung und Ekstase, 220. Bürgel folgt mit seinem Ansatz einer Reihe von Autoren vornehmlich des späten 19. Jhs., die das Ornament mit dem Sufismus in Verbindung bringen und es als mystischen Ausdruck transzendenter Schönheit interpretierten, die die Seele zu Kontemplation und Ekstase einlädt. Albert Jean Gayets Schrift L’art arabe von 1893 dürfte ein sehr frühes Zeugnis dieser Interpretation sein, vgl. dazu die Ausführungen von Gülru Necipoglu: Necipoglu, The Discourse on the geometric »Arabesque«, 76. Necipoglu, Gülru, The Topkapi Scroll. Geometry and Ornament in Islamic Architecture, Santa Monica 1995. Vgl. Koch, Ebba, Kunst als Sprache des Islam?, 209-214.

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Das Ornament als Denkfigur

Ausdruck einer geistig-religiösen Haltung zu interpretieren. Gülru Necipoglus Forschungen zum Ornament26 haben deutlich gemacht, dass Interpretationen, wie sie Bürgel vornimmt, aus mehreren Gründen problembehaftet sind.27 Zum einen zeigt die Kunsthistorikerin, dass die Ästhetik der islamischen Welt zwar zweifelsfrei religiös gefärbt war,28 aber kulturelle Entwicklungen in der Mathematik und Philosophie einen ebenso großen Anteil daran hatten, visuelle Idiome hervorzubringen.29 Zum anderen spricht sich Necipoglu gegen ahistorische Auslegungen des Ornaments in der islamischen Kunst aus, wie sie seit dem 19. Jh. in der Ornamentliteratur (v.a. in Abhandlungen über die sogenannte Arabeske) bekannt sind. Sie weist darauf hin, dass der ahistorische Diskurs, der das Ornament als zeitlose Komponente der islamischen visuellen Kultur ausweist, von der Orientalismusdebatte geprägt war, in einer Zeit, in der künstlerische Stile sehr oft als Ausdruck rassischer und religiöser Mentalitäten interpretiert wurden.30 Einer Zeit, die dem Ornament eine rein dekorative Funktion zuerkannte, es als Essenz der islamischen Kunst bezeichnete und somit den auch wertenden Gegensatz zur »westlichen« ikonografischen Kunst gezielt konstruierte.31 Necipoglu lehnt in ihrer Studie somit auch dezidiert religiöse Interpretationen des Ornaments ab, die es, wie Bürgel, als Ausdruck einer sufistischen

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27 28 29 30 31

Necipoglu untersuchte das Ornament ausgehend von der sogenannten Topkapi-Rolle, einer 1986 wiederentdeckten Schrift-Rolle, die in der Safawidenzeit im späten 15. Jh/frühen 16. Jh. im Iran zusammengestellt wurde und geometrische Musterzeichnungen enthält, die für die Verwendung von zwei- wie dreidimensionalen Architekturornamenten (den Muqarnas) gedacht waren. In dieser umfassenden Studie werden nicht nur Fragen hinsichtlich des Architekturornaments aufgeworfen, sondern einige allgemeine und grundlegende Fragen, das Ornament und die islamische Kunstgeschichte betreffend, gestellt, s. Necipoglu, The Topkapi Scroll. Auch Oleg Grabar bezweifelt, dass die ornamentale Bildsprache als rein religiöser Ausdruck gelten kann, vgl. dazu: Grabar, Frühislamischer Dekor, 274. Sie differenziert diese religiöse Färbung aus und zeigt, dass viele religiöse Haltungen auf antike Ideen zurückgehen, die in die islamische Kultur eingepasst wurden. Vgl. Necipoglu, The Topkapi Scroll, 194. Vgl. Necipoglu, Gülru, Ornamentalism and Orientalism. The Nineteenth and Early Twentieth-Century European Literature, in: ebd., 61-72, hier bes. 61-63. Vgl. dies., The Discourse on the geometric »Arabesque«, 61-87. Zum Thema der Darstellung des »Orients« als zeitloses Phänomen s. auch: Nochlin, Linda, The Imaginary Orient, in: AK Exotische Welten, Europäische Phantasien (Kunstgebäude am Schlossplatz, Stuttgart, 02.09.-29.10.1987), hg. v. Institut für Auslandsbeziehungen und Württembergischer Kunstverein, Stuttgart/Bad Cannstatt 1987, 172-179, hier 172.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Haltung verstehen, und liefert den Nachweis, dass in der Entstehungszeit des spezifischen geometrischen »islamischen« Ornaments, dem girih (diese geometrische Ornamentvariante wurde in »westlichen« Ländern als Untergruppe der sogenannten Arabeske gehandelt)32 , die Haltung des Sufismus unter den Mäzenen der Kunst, den tonangebenden Eliten sowie Künstlern noch eine sehr untergeordnete Rolle spielte.33 Sie kritisiert an derartigen Ornamentauslegungen nicht nur, dass sie den zeitlichen und räumlichen Kontext unbeachtet lassen, sondern auch, dass sie letztlich das Ornament sowie in weiterer Folge die islamische Kunst insgesamt als zeitlose, einheitliche und statische Unternehmung charakterisieren.34 Necipoglu zeichnet ein komplexes Bild einer alles andere als einheitlichen islamischen Welt, in der verschiedene religiöse, mathematische und philosophische Kräfte zu verschiedenen visuellen Modi geführt haben, die Entwicklungen und Transformationen unterlagen – nicht selten politischer Prägung.35 Die Autorin kennzeichnet das girih-Muster als kontextuelles Zeichensystem, das vielschichtige u.a. religiöse, metaphysische oder mystische Assoziationen auszulösen vermag, gerade weil es keiner fixen Bedeutung zugeordnet war.36 Das girih-Muster konnte in verschiedene Richtungen gedeutet werden und wurde in der Geschichte auch mit spezifischer Bedeutung durch Inskriptionen oder andere Verweise ausgestattet. Es war aber zu keiner Zeit ikonisches oder symbolisches Zeichen für einen bestimmten Inhalt, sondern bezog seine Bedeutungsdimensionen aus seinen Kontexten.37 Diese von Necipoglu erstellte Charakterisierung scheint geeignet, als Kennzeichnung für Ornamente ganz allgemein zu dienen. Den Mikrokosmos-Makrokosmos-Gedanken und das analogische Denken sieht Necipoglu als feste Bestandteile mittelalterlichen Denkens (des lateinischen Westens wie auch der islamischen Welt) an, welche die Kunst der verschiedenen Kulturen mitgeprägt haben.38 In ihren Ausführungen wird aber 32 33 34

35 36 37 38

Vgl. Necipoglu, Ornamentalism and Orientalism, hier 61. Vgl. dies., The Topkapi Scroll, 91-126. Vgl. dies., Ornamentalism and Orientalism, 61-72. Auch z.B. Oleg Grabar lehnt es ab, die Entstehung des Ornaments in einer religiösen Grundhaltung zu finden, obgleich er gewisse gemeinsame Voraussetzungen zu nennen weiß, vgl. Grabar, Frühislamischer Dekor, 274. Vgl. Necipoglu, The Topkapi Scroll, 108. Vgl. ebd., 122. Vgl. ebd. Vgl. ebd., 196.

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Das Ornament als Denkfigur

klar, dass die genannten Denkweisen nicht die einzigen Einflussgeber der sich entwickelnden visuellen Ästhetiken gewesen sein können. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass durch die fundierte Studie Necipoglus rein religiöse und ansonsten einseitige Interpretationen des Ornaments, die den geschichtlichen Entstehungsrahmen außer Acht lassen, zu relativieren sind. Die Hypothese, dass die antike Kosmos-Vorstellung mit der Makrokosmos-Mikrokosmos-Theorie, die das Denken der Menschen bis ins Mittelalter geprägt hat, auch einen Ausdruck in der bildenden Kunst – vielleicht sogar besonders im Ornament – gefunden haben könnte, wird durch Necipoglus Studie somit ebenfalls stark relativiert. Obwohl in der vorliegenden Untersuchung nicht das historische Ornament, sondern das Ornament in der aktuellen Kunst im Zentrum steht, stellt der Exkurs eine wichtige Grundlage dar, weil sich GegenwartskünstlerInnen wie Forouhar oder Qureshi auf die Bild- und Ornamenttradition beziehen und sich dazu verhalten. Als Ergebnis der Untersuchungen dieses Kapitels wird mit Necipoglu ein weiterführender Arbeitsbegriff vom Ornament vorgelegt, der es als offenes, kontextuelles Zeichensystem beschreibt, das keiner fixen Bedeutungszuweisung unterliegt. Diese Beschreibung ist sowohl für das historische als auch für das Ornament der Gegenwart anwendbar. Die Stärke liegt darin, dass diese Charakterisierung des Ornaments eine Flexibilität an Bedeutungszuweisungen markiert, wie sie in der künstlerischen Praxis offensichtlich zutage tritt. Dabei wird es nicht als beliebig ausgewiesen, da das Ornament in seinen jeweiligen Kontexten zu befragen ist, um die vielschichtigen Sinngefüge, in die es eingebettet ist, zu beleuchten. Für die Frage nach dem Ornament in der Gegenwartskunst scheint es ertragreich, die Ordnungsidee aus der antiken und mittelalterlichen KosmosVorstellung ohne metaphysische Implikationen zu extrahieren und mit dieser weiterzuarbeiten. Denn die Untersuchungen zum antiken und mittelalterlichen Denken haben ergeben, dass der Ornament- und der (antike) KosmosBegriff dieselben Wurzeln haben und der Gedanke von Ordnung im Begriff des Ornaments selbst, als einer wohlgefügten Einheit, präsent ist. Dieser Zusammenhang wurde bereits von anderen Autoren betont, zuletzt von Michael Dürfeld39 , der in seiner Studie festhält, dass dieser Aspekt bereits von Gottfried Semper (Über die formelle Gesetzmäßigkeit des Schmuckes und dessen Bedeutung als Kunstsymbol, Aufsatz 1865), Ernst Gombrich (The Sense of Order, A 39

Dürfeld, Michael, Das Ornamentale und die architektonische Form. Systemtheoretische Irritationen, Bielefeld 2008.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Study in the Psychology of Decorative Art, 1979) sowie Niklas Luhmann (Die Kunst der Gesellschaft, 1995) mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf die Kunst und Architektur festgehalten worden ist.40 Im folgenden Kapitel steht eine Untersuchung der Verbindung von Ornament und Ordnung in philosophischen und kunsttheoretischen Auseinandersetzungen an.

4.1.2

Ornament und Ordnung heute. Philosophische und kunsttheoretische Auseinandersetzungen

Das Ornament lässt sich als Ordnung bzw. Ordnungsgefüge bezeichnen. Es ist dafür nicht notwendig, die problembehaftete Annahme zu strapazieren, dass sich der Kosmos-Gedanke über die Zeiten hinweg in der bildenden Kunst und speziell im Ornament manifestiert hat, denn es lässt sich nicht leugnen, dass eine ornamentale Gestaltung, wenn man ihr visuelles Erscheinungsbild betrachtet, ein Ordnungsgefüge ist, näherhin ein »[…] Gefüge einzelner Bestandteile, die zueinander in irgendeiner geregelten Anordnung stehen«.41 Dies ist eine Beschreibung, die der Politikwissenschaftler Andreas Anter für die heute gängige Auffassung des Begriffes »Ordnung« im allgemeinen Sprachgebrauch zusammengefasst hat.42 Diese allgemeine Bestimmung von Ordnung trifft auch auf eine ornamentale (künstlerische) Gestaltung als visuelles Gebilde zu. Die Überlegung, dass Ordnung ein Beziehungsbegriff ist, der sich auf viele Bereiche bezieht, drückt der Philosoph Helmut Kuhn folgendermaßen aus: »Ordnung ist eine Weise des ›Zusammen‹. Ordnung ordnet zusammen. Wie nun die Grundweise des Zusammen im Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen besteht, so ist Ordnung eine Beziehung, kraft derer sich Vieles zu Einem ergänzt. Und alle diese Bestimmungen gelten gleichermaßen für Körperliches, wie für Seelisches oder Geistiges, für Begriffe und Gedanken wie für Dinge und Wesen; […]« 43

40 41 42 43

Vgl. ebd., 76. Anter, Andreas, Die Macht der Ordnung. Aspekte einer Grundkategorie des Politischen, Tübingen 2004, 35. Ebd. Kuhn, Helmut, Ordnung im Werden und Zerfall, in: ders./Wiedmann, Franz (Hg.), Das Problem der Ordnung (anl. des 6. deutschen Kongresses für Philosophie, München 1960), Meisenheim am Glan 1962, 11-25, hier 14.

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Das Ornament als Denkfigur

Auch von anderen AutorInnen44 wird das Ordnungsprinzip innerhalb des Ornamentalen thematisiert, deren Ansätze mit dem Fokus der vorliegenden Arbeit jedoch nicht verknüpft werden können, wie exemplarisch an zwei Beiträgen jüngeren Datums gezeigt wird. Der Architekturwissenschaftler Michael Dürfeld beruft sich auf den Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der »[…] dem Ornamentalen seine grundlegende Funktion als einem spezifisch künstlerischen Ordnungsprinzip wieder [gibt, Anm. S.W.]«45 . Dürfeld untersucht das Ornamentale als Formbildungsprozess und als spezifisch künstlerische Qualität des architektonischen Entwurfsprozesses, was er unter Einbeziehung der Systemtheorie Luhmanns bewerkstelligt. Luhmanns Theoreme werden für diese Arbeit nicht herangezogen, da Dürfeld mit Luhmann nach einem Ornamentbegriff sucht, »der […] nicht darauf abzielt, Strukturen zu beschreiben, sondern Prozesse der Transformation, also Prozesse der Strukturveränderungen […]«46 . Die vorliegende Arbeit fragt jedoch nicht nach dem Formbildungsprozess bzw. nach der Formentstehung, sondern untersucht das Ornamentale als im Kunstwerk Gegebenes, weswegen ein Modell der Strukturbeschreibung als geeigneter erscheint. Das dynamische Konzept Luhmanns zieht auch Martina Dobbe in ihrer Studie heran, was nicht verwundert, da auch sie nach einem Instrumentarium für die Beschreibung eines dynamischen Prozesses sucht, der in den Blick nimmt, wie Bildlichkeit entsteht und wie das Ornamentale als Prinzip dabei gedacht werden kann.47 Dobbes Ziel ist es, das Ornamentale als bildtheoretisches Konzept zu fassen. Sie untersucht Erkenntnisse Alois Riegls, Theodor Hetzers und Otto Pächts auf ihre bildtheoretischen Implikationen hin

44

45 46 47

Der Philosoph Jacques Soulillou betont die Verbindung von Ornament und Ordnung in einem Essay, indem er zu zeigen versucht, dass das Ordnungssystem, das durch das Ornament erfahrbar wird, Macht und Geschlechterverhältnisse sichtbar macht, vgl. Soulillou, Jacques, Ornament and Order, in: Miller, Bernie/Ward, Melony (Hg.), Crime and Ornament. The Arts and Popular Culture in the Shadow of Adolf Loos, übers. v. Mark Heffernan, Toronto 2002, 87-99. Auch Ingeborg M. Rocker stellt das Ordnen und Strukturieren in einem Aufsatz als wichtige Qualität des (digital erstellten) Ornaments heraus und bringt diese Qualitäten mit dem digitalen und somit mathematischen Prozess seiner Herstellung in eine Verbindung, vgl. dazu: Rocker, Ingeborg M., Calculated: The formal Excesses of Digital Ornament, in: Gleiter, Jörg H. (Hg.), Ornament today. Digital, Material, Structural, Bozen 2012, 140-160, bes. 145-153. Dürfeld, Das Ornamentale, 75. Ebd., 107. Vgl. Dobbe, Das Ornamentale als bildtheoretisches Konzept?, 317-347.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

und stellt das Ornamentale mit Luhmann als bildlichen Gestaltungsmodus heraus, der sich »autopoietisch prozessualisiert«48 . Dürfeld wie Dobbe arbeiten mit Luhmanns dynamischer Konzeption des Ornamentalen, um Formgenerierungsprozesse zu beschreiben (Dürfeld) bzw. Prozesse der Entstehung von Bildlichkeit zu untersuchen (Dobbe). Für beide Untersuchungen scheint Luhmanns Theorie geeignet. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit unterscheidet sich jedoch von den genannten Studien, weil hier, wie bereits ausgeführt, nicht nach Entstehungsprozessen gefragt, sondern nach einer Charakterisierung des ornamentalen Prinzips in der Gegenwartskunst gesucht wird. Eine wenig beachtete Ideenskizze über das Ornamentale findet sich bei dem Künstler und Kunsttheoretiker Jürgen Claus, mit der er im Jahr 1970 versucht hat, zeitgenössische Kunsttendenzen adäquat zu charakterisieren.49 Interessant für die vorliegende Arbeit ist, dass auch er die ordnende Qualität als Proprium des Ornamentalen herausstellt, nebenbei verweist er ebenfalls auf die ursprüngliche Verwobenheit der Begriffe Kosmos und Ordnung: »Die Welt, ob als Mikrokosmos oder als Makrokosmos, erstaunt uns durch ihre visuellen Kategorien. Deren Gesetzlichkeiten leiteten zum Ornament. Von hierher gesehen, war das frühe Ornament von Beginn seines Auftretens an nicht der ›Aufsatz‹, nicht die auch entbehrliche ›Zutat‹, sondern Teil in dem menschlichen Vorgehen, die Welt in ihrer Gesetzmäßigkeit, in ihrer Totalität wie in ihren Details, zu erkennen und darzustellen. Dies, meine ich, sollte der Ansatz sein, die Grundlage, auf der man die Diskussion um das Ornament […] führt.«50 Claus schreibt – künstlerische Positionen der Minimal-Art sowie konzeptuelle Ansätze der 1960er Jahre im Blick habend, aber auch die kinetische Kunst und Op-Art – über das »strukturelle Ornament«. Bei ihm wird es durch »visuelle, sichtbar gemachte Ordnungskategorien, die das Erlebnis des Menschen bestimmen, indem sie ihm Struktur geben«51 charakterisiert.

48 49

50 51

Ebd., 340. Vgl. Claus, Jürgen, Strukturelles Ornament oder 4D-Ornament, in: ders., Expansion der Kunst. Beiträge zu Theorie und Praxis öffentlicher Kunst, Reinbeck bei Hamburg 1970, 42-50 (die aktualisierte und erweiterte Neuausgabe von 1982 enthält das betreffende Kapitel unverändert). Vgl. dazu auch Dürfeld, Das Ornamentale, 120. Claus, Strukturelles Ornament, 43. Ebd., 45.

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Das Ornament als Denkfigur

Strukturelle Ornamentik sieht Claus als »Gestaltqualität in der Struktur«52 , er präzisiert dies insofern, als er schreibt, dass sich im Ornament »eine ordnende, gesetzmäßige Gestaltqualität«53 ausdrücke, die sich zwar mathematisch analysieren lasse, die aber klarerweise nicht erschöpfend über ihre symmetrischen Gesetzmäßigkeiten beschreibbar sei, da sie ein künstlerisches Konzept – mehr oder weniger sichtbar – verkörpere, bzw. Produkt eines systematischen künstlerischen (Such-)Prozesses sei. Als strukturelle Ornamentik in der zeitgenössischen Kunst stellt Claus das Arbeiten mit Reihe und Gruppe vor und zitiert die amerikanischen KunstkitikerInnen Lucy R. Lippert und John Chandler, welche die Serie als adäquate Methode der (ultra-)konzeptuellen Kunst sehen, mit der Begründung: »[…] since thinking is ratiocination, or discovering the fixed relations, ratios and proportions between the things, in time, as well as in space.«54 Angedeutet wird in dieser Aussage, dass ein wesentliches Kriterium der Werke in den Denk- und Erkenntnisprozessen zu suchen ist, durch die sie hervorgebracht werden. Auch Claus betont diesen Umstand in seiner Publikation an mehreren Stellen, indem er schreibt, dass Ordnung, somit auch das Geordnete, in seinem Fall eine serielle Ordnung in den Kunstwerken, zum ästhetischen Kriterium wird: Dem Geordneten gehe dabei ein Denkprozess oder, wenn man so will, ein Erkenntnisprozess (das Entdecken von Zusammenhängen und Verhältnissen zwischen den Dingen) voraus, wobei dieser Prozess zunächst auf der Produktionsseite (also der künstlerischen Konzeption und Produktion) zu suchen sei und dann noch einmal auf der RezipientInnen-Seite, die die Gestaltqualität als Geordnetes, das mit etwaigen intendierten Abweichungen, Doppelungen und Widersprüchen ausgestattet wurde, erfahre.55 Claus liefert somit einen Ansatz zu einem Modell der Strukturbeschreibung des Ornamentalen, da er es als ein in den Kunstwerken Gegebenes untersucht. Er weist aber auch auf den Umstand hin, dass mit dem Ornament ein Formbildungs- und Denkprozess angezeigt wird. Jürgen Clausʼ theoretischer Beitrag zum Ornament ist kein ausgereiftes Modell und er setzt es auch nicht kohärent ein.56 Es handelt sich mehr um 52 53 54 55 56

Ebd., 47. Ebd., 49. Lippard, Lucy R./Chandler, John, The Dematerialisation of Art, in: Art International, 12 No. 2 (Feb. 1968), 31-36, hier 31. Vgl. Claus, Expansion der Kunst, 21-23. Claus möchte seine Ideenskizze des strukturellen Ornaments auch für die kinetische Kunst und andere prozessuale Kunstkonzepte geltend machen, wofür Dürfeld ihn kri-

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

einen Appell, um zu einem neuen Verständnis von Ornamentik zu kommen. Durch seinen Ansatz gelingt es ihm jedoch, zu verdeutlichen, dass sich das ornamentale Prinzip nicht auf dekorative Formentscheidungen reduzieren lässt, sondern etwas zeigen und erfahrbar machen will, das als (Infra-)Struktur der Werke gelten kann. Dieses Etwas, von dem Claus spricht, ist in den Verbindungen, Weisen des Zueinander, (Abhängigkeits-)Verhältnissen und Ordnungen, die in den Kunstwerken zum Hauptthema werden, zu sehen. Clausʼ Charakterisierung des Ornamentalen wurde für konzeptuelle, reduzierte künstlerische Ansätze der 1960er Jahre entwickelt. Kann sie einen Anknüpfungspunkt zu Forouhars ornamentalen Bildfindungen bieten? Diese Frage soll wie folgt bejaht und begründet werden: Den Anknüpfungspunkt bilden die Weisen des Zueinander, die Ordnungen und Verhältnisbeziehungen der Minimal- und Concept Art der späten 1960er/frühen 1970er Jahre, die in den genannten Kunstformen ganz buchstäblich zu verstehen waren (wie Werke von Donald Judd oder Carl Andre zeigen). Vorrangiges Ziel war es, die Wahrnehmung der BetrachterInnen zu aktivieren und auf die innerbildlichen Gesetzlichkeiten sowie auch auf das Verhältnis der Bildelemente zum Hintergrund bzw. Umraum hin zu schärfen.57 In Forouhars Bildfindungen zeigt sich, dass sie mit den Errungenschaften der Minimalund Concept Art frei umzugehen weiß.58 Ihre ornamentalen Anordnungen sind jedoch nicht nur in ihrer Buchstäblichkeit als Zueinander von Formen zu verstehen, sondern enthalten auch narrative Elemente. Forouhar operiert mit reduzierten Bildmitteln, die sich auf die Anordnung der Form konzentrieren, die sie aber erzählerisch einsetzt – sie erzählt die »Geschichte« von

57

58

tisiert, da Claus keine Beschreibungsmöglichkeit für dynamische Prozesse oder Formveränderungen mit seiner Charakterisierung liefert, vgl. dazu Dürfeld, Das Ornamentale, 120. Dürfeld ist in diesem Punkt zuzustimmen, da Claus eine Strukturbeschreibung des Ornamentalen vorlegt. Allerdings – und dieser Aspekt ist für die vorliegende Arbeit wesentlich – markiert Claus, dass mit dem Ornament auf Formbildungs- und Denkprozesse verwiesen wird. Klaus Hoffmann, der 1970 ausführliche Definitionsversuche für die OrnamentTendenzen im 20. Jahrhundert vorgelegt hat, beschreibt denn auch die Konzentration auf innerbildliche Gesetzlichkeiten als ein Charakteristikum der »Neuen Ornamentik« besonders ab 1945, vgl. dazu Hoffmann, Klaus, Alte und neue Ornamentik, in: ders., Neue Ornamentik. Die ornamentale Kunst im 20. Jahrhundert, Köln 1970, 150-155, hier 152. Die Frage, ob Forouhar dies bewusst tut oder indirekt im Findungsprozess ihrer eigenen Ausdrucksweise, kann und soll hier nicht beantwortet werden.

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Das Ornament als Denkfigur

Folter, Mord, sexuellem Missbrauch –, allerdings nicht in der Darstellung eines Handlungsablaufes, sondern in einer scheinbaren Still-Legung von Zeit (s. Kap. 3.3.1). Somit kann festgehalten werden, dass in der gegenwärtigen Kunst mit Errungenschaften der Minimal- und Concept Art operiert wird. Eine Errungenschaft mit der derzeit gearbeitet wird, liegt in der Sichtbarmachung von Strukturen und Ordnungsgefügen, die uns umgeben. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die Relationen der Bildelemente und den umgebenden Raum sowie auf die Wahrnehmung der BetrachterInnen selbst gelenkt. Mit dieser Sensibilisierung für Anordnungen, Strukturen und Verbindungen gehen GegenwartskünstlerInnen verschiedentlich um und wollen diese – im Unterschied zur Minimal- und Concept Art – nicht nur in ihrer Buchstäblichkeit verstanden wissen. Durch erzählerische Elemente werden die Ordnungsgefüge erweitert und können, gemeinsam mit der Sichtbarmachung des Ornaments als System der Anordnung, als Kritik bzw. Kommentar zu konkreten (gesellschaftspolitischen) Themen verstanden werden. Wie schon in Kapitel 3.2 festgehalten, wird für das Genre der Zeichnung ab den 1990er Jahren die Relevanz der Minimal- und Concept Art von ExpertInnen dieses Feldes hervorgehoben und eine Mischung mit dem Narrativen beschrieben. Wenn das Ornament in seiner Funktion als Ordnungsgefüge thematisiert werden soll, so sind die verschiedenen Haltungen, die man einem solchen entgegenbringen kann, für die Untersuchung der künstlerischen Praxen von Relevanz. Die beiden gegensätzlichsten davon sind folgende: a) Das Ordnungsgefüge wird positiv interpretiert, es wird als wohlgefügtes Ganzes gesehen, insofern es ordnet und formt. b) Das Ordnungsgefüge wird kritisch gesehen, da es alles ordnet und regelt, wohl zugunsten einer Einheit, aber zum Preis der Unterordnung unter dieses Regelwerk, das über alle Elemente herrscht. Das Formgefüge wird als Machtgefüge ausgewiesen.

Ad a) Die ornamentale Gestaltung, die Imran Qureshi in den genannten Installationen vornimmt, rechne ich zu Haltung a), die das Ornamentale als ordnendes und formendes Gefüge in einem positiven Sinn begreift. Qureshi entwickelt die Gestaltung des wie Blütenblätter anmutenden Blattwerks aus der Bildtradition seiner Kultur, die nicht kritisiert, sondern tradiert, transfor-

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

miert und neu interpretiert wird.59 Durch die Verwendung der malerischen Technik, die sich ebenso wie das Blattwerk aus der Tradition ableitet – auch wenn sie die Dimensionen und Vorgaben der Miniaturmalerei überschreitet –, gelingt Qureshi zum einen die Bezugnahme auf die Bildtradition seines Landes, in der implizit auch die Idee des wohlgeordneten Kosmos mitschwingt. Qureshi verwendet das sich ausbreitende Blattwerk, das sich als ornamentale Gestaltung beschreiben lässt, zum anderen dazu, um aus etwas Ungeordnetem, einem Chaos, den Spuren einer Gewalttat, etwas zu formen, Ordnung zu erwirken und etwas Negativem eine positive Wendung zu geben bzw. in umgekehrter Leserichtung wird eine schöne, wohlgeformte Ordnung durch das Durcheinander der Spritzer und Lachen gestört. In beiden Lesarten bleiben sowohl das Chaotische wie die Ordnung bestehen. Die künstlerische Strategie, aus der Unordnung etwas zu formen, habe ich als Ermächtigungshandlung bezeichnet und möchte sie nun in die Nähe zu Wilhelm Worringers Theorie, die er in seinem Werk Abstraktion und Einfühlung entwickelt, bringen. Diese Schrift, die er 1907 als Promotionsschrift vorlegte, enthält seine Theorie zur Entstehung der Kunst, in der er den menschlichen Abstraktionsdrang als ursprünglichen und zeitlich frühesten Willen zur Kunst60 darstellt.61 Nach Worringer ist der ursprüngliche Kunsttrieb von einem Abstraktionsdrang beherrscht – und nur dieser Gedanke soll von seiner Theorie aufgegriffen werden, ohne den generationsbedingten Ballast, der ihn von primitiven und höher entwickelten Kulturen schreiben lässt. Den Drang zur Abstraktion sieht Worringer als Reaktion auf den Wunsch der Menschen, die Welt von der Willkür und Unbeherrschbarkeit, die ihr anhaften, zu befreien.62 Durch Abstrak59

60 61

62

Diese Kunstpraxis, die sich als experimentelles Unternehmen gegenüber einer Tradierung historischer Stile absetzt, erntete mitunter auch Kritik vonseiten konservativ eingestellter KünstlerInnen und KritikerInnen in Pakistan, siehe dazu: Whiles, Virginia, Art and Polemic in Pakistan. Cultural Politics and Tradition in Contemporary Miniature Painting, London/New York 2011. In diesem Zugang bezieht er sich auf Alois Riegls »Kunstwollen«, s. dazu auch Kroll, Das Ornament in der Kunsttheorie, 69-74. Die Ansicht, Kunst in ihrem Verhältnis zur Naturnachahmung zu bewerten, wird bei ihm als sekundäres und falsch interpretiertes Verständnis eines Kunstwollens markiert, das in seinen Formen nach dem Organisch-Lebendigen strebte, was er als spätes Phänomen in der Kunstentwicklung beschreibt. Worringer spricht in diesem Zusammenhang von Einfühlung und setzt den Willen zur Naturnachahmung von einem naturalistischen Stil in der Kunst ab. Vgl. dazu: Worringer, Wilhelm, Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie [1907], München 1976 (NA 1959), bes. 61-70. Vgl. ebd., 50.

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Das Ornament als Denkfigur

tion, durch die Darstellung der Dinge in Gesetzmäßigkeiten, in ornamentaler und geometrischer Form, gelingt es ihm, Ruhepunkte zu schaffen und der Welt ihre Fremdheit, Feindseligkeit zu nehmen.63 Frank-Lothar Kroll beschreibt Worringers Ornamentverständnis unter Zuziehung weiterer Schriften dezidiert als Mittel der »Seinsvergewisserung und Selbsterhaltung des frühzeitlichen Menschen«64 , das das Grauen der Welt erträglich macht, Sinn gibt und der Lebensbewältigung dient.65 Ich möchte Qureshis künstlerische Strategie in Bezug auf das Ornament als einen solchen Versuch der Ermächtigung beschreiben. Qureshi betont in seinen Arbeiten die ornamentale Form in ihren Gesetzmäßigkeiten. Das Geformte, Geordnete stellt er einer Unordnung gegenüber, die sich als Chaos von Blutspritzern zeigt. Qureshi weist in seinen Werken somit Ordnen als Ermächtigungshandlung aus und das Ornament als dessen Prinzip. Ad b) Parastou Forouhar gestaltet ihre Bildflächen ebenfalls ornamental, was einen formalen Bezug zur persischen Bildtradition darstellt.66 Sie arbeitet jedoch weder in der traditionellen Maltechnik, noch greift sie auf das historische Ornamentrepertoire zurück. Stilistisch lassen sich ihre Zeichnungen mit Designentwürfen vergleichen, die das Ziel haben, Oberflächen (Waren, Tapeten, Stoffe) dekorativ zu gestalten. Was sich in Forouhars Ornamenten zeigt, ist ein Regelwerk das als Ordnungssystem bzw. Anordnung bezeichnet werden kann, in dem verschiedene Kräfte am Werk sind. In ihren digitalen Zeichnungen lassen sich formale Ordnungen ausmachen, die durch die Wiederholung von Bildelementen in rhythmischer Anordnung entstehen, die durch diese Aneinanderreihung ein regelmäßiges Muster ergeben. Darin sind Formen auszumachen, die zunächst als Abwandlung der Reihungen erscheinen, bei näherem Hinsehen aber als Abweichungen zu der regelmäßigen Ordnung zu beschreiben sind. Insgesamt bleiben die Zeichnungen einheitlich, also eine Ordnung, d.h., das Bildgefüge zeigt sich einheitlich, jedoch bergen sie widerstrebende Kräfte, die sich bei näherem Hinsehen als der brisante Inhalt erweisen: Folter, sexueller Missbrauch und Mord wird zwischen bzw. in den rhythmisierten Oberflächen in Form von stilisierten Darstellungen von Figuren – gefolterten, missbrauchten, sich krümmenden – sichtbar.

63 64 65 66

Vgl. ebd., 49-52. Kroll, Das Ornament in der Kunsttheorie, 73-74. Vgl. ebd., 74. Vgl. dazu Kap. 3.3.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Forouhar zeigt ihre ornamentalisierten Bildflächen durch diese spezifische Darstellung als Machtanordnungen. Diese Verbindung von Ornament, Ordnung und Macht soll im Folgenden mithilfe von Michel Foucaults Ansätzen, dem wohl einflussreichsten Denker der Macht, befragt werden.

4.2

Ordnung und Macht. Das Ornament als Denkfigur

Warum Forouhars Zeichnungen mit den Theorien Michel Foucaults konfrontiert werden sollen, hat mehrere Gründe. Forouhars Zeichnungen beinhalten nicht nur einen narrativen Aspekt, der in mimetischer Darstellung (wenn auch stark stilisiert) von Folter, Mord und sexuellem Missbrauch erzählt, sondern stellen den Bildaufbau selbst, der sich als ornamentale Gestaltung gebart und somit als spezifische Ordnung verstanden werden kann, zur Disposition. Ihre Arbeit mit dem Ornament möchte ich als strategisch eingesetzte kennzeichnen und die ornamentalen Gestaltungen in ihren Bildfindungen als Denkfiguren bezeichnen. Denkfigur scheint deshalb eine geeignete Bezeichnung zu sein, da durch die spezifische Formgebung der Bildaufbau selbst in besonderem Maße zur Bedeutungsgenerierung beiträgt. Mit anderen Worten wird durch die Sichtbarmachung eines Ordnungsgefüges, wie den ornamentalen Gestaltungen Forouhars, ein Denkprozess über Ordnung bzw. Anordnung in Gang gesetzt. Mit der Bezeichnung Denkfigur soll zusätzlich markiert werden, dass das Ornament auch auf einen Formbildungs- und Denkprozess verweist (vgl. Claus, Kap. 4.1.2), der im konkreten Kunstwerk durch die ornamentale Struktur figurativ festgehalten wird.67 Somit lässt sich konturieren, dass das Ornament sowohl für die KünstlerInnen als auch für die RezipientInnen die Rolle einer Denkfigur innehat. Der konzeptive Ansatz Forouhars weist die Ordnung und Einheitlichkeit des ornamentalen Systems als eine erzwungene und somit als eine gemachte 67

Eine interessante Annäherung an den Begriff Denkfigur wurde in einem Workshop, veranstaltet vom Graduiertenkolleg »Schriftbildlichkeit« in Kooperation mit dem International Graduate Centre for the Study of Culture, Freie Universität Berlin, 25.-26. Februar 2011 erarbeitet, s. dazu: Friedrich, Alexander, Bericht zur Tagung »Was sind Denkfiguren? Figurationen unbegrifflichen Denkens in Metaphern, Diagrammen und Kritzeleien«, http://kult-online.uni-giessen.de/archiv/veranstaltungsberichte/bericht-z ur-tagung-was-sind-denkfiguren-figurationen-unbegrifflichen-denkens-in-metaphern -diagrammen-und-kritzeleien [Stand: 21.11.2017].

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Das Ornament als Denkfigur

auf. Damit wird die Frage nach den Voraussetzungen von Ordnung gestellt – eine offensichtliche Parallele zu Michel Foucaults Machtanalysen, die im folgenden Kapitel herausgearbeitet wird. Diese Unternehmung scheint lohnend, da ich stark vermute, dass sich die philosophischen und künstlerischen Ansätze gegenseitig zu erhellen vermögen. Foucaults Schriften werden im folgenden Kapitel mit Forouhars konzeptiven Ansätzen gelesen und umgekehrt wird Forouhars strategischer Einsatz des Ornaments mit Foucault analysiert. Warum Foucaults Denkansätze darüber hinaus so reizvoll für die Untersuchung der künstlerischen Strategien Forouhars erscheinen, liegt zum anderen in dem Umstand, dass beide in ihren Werken das Politische stets im Blick haben.

4.2.1

Das Denken von Macht bei Michel Foucault

In den Schriften Foucaults ist nicht vordergründig die Rede von Ordnung, wenn die Frage nach Macht gestellt wird – und dennoch taucht der Begriff Ordnung immer wieder in Verbindung mit seinen Machtanalysen auf. Der Titel der Schrift Die Ordnung der Dinge sowie seine Antrittsvorlesung am Collège de France, die später unter dem Titel Die Ordnung des Diskurses publiziert wurde, können als Hinweis für dieses Denken des Zusammenhangs von Ordnung und Macht genommen werden. Dieser in der Foucault-Rezeption nicht besonders groß hervorgehobene Aspekt68 ist für die Analyse der Bildwelt von Forouhar wesentlich. Durch die vorgenommene Fokussierung müssen andere Aspekte von Foucaults Denken im Rahmen dieser Arbeit ausgeklammert werden. Für die folgende Annäherung an die Foucault’schen Analysen von Macht dienten als Grundlage seine Hauptwerke und vor allem die Schriften Die Ordnung der Dinge (OD)69 , Die Ordnung des Diskurses (ODis)70 , Der Wille zum Wissen,

68

69 70

Nur Petra Gehring verweist explizit auf den Zusammenhang von Ordnung und Macht im Werk Foucaults, s. dazu: Gehring, Petra, Foucault. Die Philosophie im Archiv, Frankfurt a.M./New York 2004. Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, übers. v. Ulrich Köppen, Frankfurt a.M. 1971. Ders., Die Ordnung des Diskurses, übers. v. Walter Seitter, erw. Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1991 (dt. EA 1974).

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Bd.1 (WW)71 und die in den Bänden Mikrophysik der Macht 72 und Analytik der Macht 73 vereinten Aufsätze und Interviews. Die genannte Auswahl mag zum einen verwundern, da, wenn man den gängigen Phasen-Einteilungen folgt, das Werk Die Ordnung der Dinge nicht wie Die Ordnung des Diskurses und Der Wille zum Wissen, Bd. 1, zur machttheoretischen genealogischen Phase zählt, sondern zur wissenshistorischen, archäologischen.74 Zum anderen scheint auf den ersten Blick sicherlich Foucaults Beschäftigung mit Strafsystemen und Foltermethoden, wie dies in seiner Schrift Überwachen und Strafen der Fall ist, ertragreicher für die Analyse von Forouhars Werk zu sein. Die Phasierung von Foucaults Werk wurde für diese Untersuchung ausgeklammert, da seine Schriften mit einem bestimmten Filter gelesen wurden, der durchlaufende Aspekte seines Denkens sichtbar machen soll. Dieser Filter fragt nach einer Verbindung von Ordnung und Macht. Die Entscheidung geht mit der neueren Foucault-Forschung konform, die bei seinem Denken eine Einteilung in Phasen problematisiert, insbesondere dann, wenn sie als Ablösung von Phasen bzw. Brüche in seinem Denken dargestellt wird.75 In der jüngeren Forschungsliteratur wird eher von Akzentverschiebungen oder Verlagerung von Gegenstandsfeldern gesprochen. Die Entscheidung, Foucaults Thematisierungen von Folter und Gewaltausübung nicht als Vergleichspunkt heranzuziehen, hängt ebenfalls mit der speziellen Frage nach Ordnung und Macht zusammen, womit seine Machtanalysen relevant werden, bei denen es um die Untersuchung verschiedener Ordnungen geht. 71 72 73

74

75

Ders., Der Wille zum Wissen (Bd. 1: Sexualität und Wahrheit), übers. v. Ulrich Raulff und Walter Seitter, Frankfurt a.M. 1977. Ders., Mikrophysik der Macht, Berlin 1976. Defert, Daniel/Ewald, Francois, Michel Foucault. Analytik der Macht, Frankfurt a.M. 2005 (Textzusammenstellung aus Dits et Ecrits. Schriften. 4 Bde., Frankfurt a.M. 20012005). Die übliche Einteilung von Foucaults Werk wird, wie Frieder Vogelmann darlegt, in 34 Phasen gegliedert, die, nach wenigen frühen Schriften mit der wissenshistorischen archäolgischen Phase beginnen, welche von »Wahnsinn und Gesellschaft« eingeleitet wird, und mit »Die Archäologie des Wissens« enden. Darauf folgt die machttheoretische genealogische Phase, wobei »Überwachen und Strafen« sowie »Der Wille zum Wissen« zentral sind und von der dritten, sog. ethischen Phase gefolgt wird, die die letzten zwei Bände von Foucaults Geschichte der Sexualität bildet, vgl. Vogelmann, Frieder, Foucault lesen, Wiesbaden 2017, 3-4. Etwas genauer auf die unterschiedlichen Modelle geht Clemens Kammler ein, s. Kammler, Foucault-Handbuch, 10-11. Vgl. Kammler, Foucault-Handbuch, 10-11; Gehring, Philosophie im Archiv, 11; Vogelmann, Frieder, Foucault lesen, Wiesbaden 2017, 3-4.

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Das Ornament als Denkfigur

Obwohl Foucaults Analysen in oben genannten Schriften so unterschiedliche Themenfelder wie Wissensordnungen und deren »Archäologie« (OD), die Analyse des Diskurses und der Wissensordnungen (ODis) und die Analyse, wie es zu Diskursen des Sexuellen und Sexualität als Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis kommen konnte und welche Techniken dabei eingesetzt wurden (WW), behandeln, ist diesen Werken folgende Grundannahme gemein, die in den jeweiligen Schriften mehr oder weniger deutlich ausformuliert ist: Jede Ordnung hat eine Geschichte, und diese Geschichte hat mit Machtausübung zu tun (ODis sowie WW). Jede Ordnung ist somit eine gemachte, ihr ist ein Ringen verschiedenartiger Kräfte vorausgegangen und diese sind immer am Werk.76 Dieser Grundgedanke findet sich auch in Überwachen und Strafen. Stärker in Foucaults Vokabular beschreibt Hannelore Bublitz sein spezifisches Machtverständnis: »Foucaults Machtkonzept fügt den Machtbegriff als Analysekategorie dort ein, wo die Ordnung der Dinge natürlich erscheint und der Blick auf ihr historisches Gewordensein verstellt ist. Dass sich weder Ordnung noch die Bedeutung der Dinge aus ihrer materiellen Präsenz ergeben […], zeigt, dass sie eingebunden sind in eine Machtgeschichte.«77 Foucaults Unternehmung besteht darin, diverse Ordnungen zu analysieren, um ihre Geschichte, die eine Geschichte von divergierenden Kräften/Mächten ist, zu zeigen – und um darzulegen, dass diese Ordnungen keine natürlichen sondern hergestellte sind, wie und mit welchen Strategien diverse Kräfte darin wirkten und wirken und in welchen Institutionen sich die Kräftelinien schließlich manifestieren.78 Jegliche Ordnungen, mit denen wir es zu tun haben, werden mit dieser Analyse kritisch hinterfragt.79 Die Philosophin Petra Gehring beschreibt daher auch folgerichtig Ordnungen als »eigentliche Zugriffsebene von Foucaults Arbeiten«80 . 76 77 78 79 80

Vgl. Foucault, Michel, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, übers. v. Walter Seitter, Frankfurt a.M. 15 2015 (dt. EA 1976). Bublitz, Hannelore, Macht, in: Kammler, Clemens u.a. (Hg.), in: Foucault-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Sonderausgabe, Stuttgart/Weimar 2014, 273-277, hier 273. Vgl. Foucault, Der Wille zum Wissen, 113f, oder auch Foucault, Ordnung des Diskurses, 11. Vgl. dazu auch Gehring, Petra, Ordnungen, in: dies., Foucault. Die Philosophie im Archiv, 45-75, hier bes. 71f. Ebd., 45.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Foucault hat stets unterschiedliche Ordnungen untersucht, wobei Gehring in ihrer Untersuchung zwischen den frühen Schriften, in denen Erfahrungsordnungen analysiert werden (Wahnsinn und Gesellschaft, Die Geburt der Klinik), unterscheidet und einen entscheidenden Schritt mit Die Ordnung der Dinge in Richtung Präzision des Gegenstandsfeldes sieht, da er nicht mehr nur Erfahrungsordnungen, sondern sogenannte »epistemische Formationen« vergleicht.81 Er wendet in dieser Analyse die Methode der »Archäologie« an, um das Entstehen der Humanwissenschaften zu untersuchen, wie schon der Untertitel des Buches anzeigt. Foucault fragt damit nicht nach einer Ideengeschichte der Humanwissenschaften, ihn interessiert an den Wissenschaften vielmehr: »Welche Modalitäten der Ordnung sind erkannt, festgesetzt, mit Raum und Zeit verknüpft worden, um das positive Fundament der Erkenntnisse zu bilden, die sich in der Grammatik und in der Philologie ebenso wie in der Naturgeschichte und in der Biologie, in der Untersuchung der Reichtümer und der Politischen Ökonomie entfalten? […] Es handelt sich eher um eine Untersuchung, in der man sich bemüht festzustellen, von wo aus Erkenntnisse und Theorien möglich gewesen sind, nach welchem Ordnungsraum das Wissen sich konstituiert hat, auf welchem historischen Apriori und im Element welcher Positivität Ideen haben erscheinen, Wissenschaften sich bilden, Erfahrungen sich in Philosophien reflektieren, Rationalitäten sich bilden können, […].«82 Im Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt Foucault, dass er mit der Unternehmung der Archäologie ein positives Unbewusstes des Wissens enthüllen wolle: eine Ebene, die dem Bewusstsein des Wissenschaftlers entgleitet und dennoch Teil des wissenschaftlichen Diskurses sei83 . Diese Ebene beschreibt er als Regeln zur Definition der Untersuchungsgegenstände, zur begrifflichen Ausformung und zu ihrem Theoriebau.84 Durch seine Analysen wird offensichtlich, und er bemerkt dies in seinen Schriften auch, dass das Ordnen bzw. Ordnung und Macht in einem Zusam-

81 82 83 84

Vgl. ebd., 46. Foucault, Ordnung der Dinge, 24. Vgl. ebd., 11-12. Vgl. ebd., 12.

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Das Ornament als Denkfigur

menhang stehen85 , hier am Beispiel der Analyse der Ordnung des Diskurses: »Der Diskurs mag dem Anschein nach fast ein Nichts sein – die Verbote, die ihn treffen, offenbaren nur allzubald seine Verbindungen mit dem Begehren und der Macht.«86 Foucault geht davon aus, dass die Ordnung des Diskurses eine hergestellte ist. Er geht davon aus, »[…] dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.«87 Wichtiges Thema in seinen Schriften bis in die 1970er Jahre sind die Ausschließungsmechanismen, die durch die archäologische Methode aufgezeigt werden. Einen zentralen Ausschließungsmechanismus sieht Foucault in einem »Willen zur Wahrheit«, der den Diskurs des Willens zum Wissen bestimmt88 und weitreichende Folgen auf allen Ebenen der Gesellschaft hat. Den Willen zur Wahrheit beschreibt er als geschichtlichen Prozess und gemachte Wahrheit, bei dem nicht unbedingt die »zwingende Wahrheit« zum Zug kommt.89 Foucault führt aus, dass bei der Ordnung des Diskurses und somit der Ordnung des Wissens Grenzziehungen am Werk sind, die definieren, was innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses als wahr gelten kann, sei es durch die Grenzziehung der anerkannten Methoden innerhalb einer Disziplin, sei es durch gewisse »(disziplinentypische) Redeordnungen«90 oder andere Verknappungs- und Ausschließungsmechanismen, die gar nicht anders können, als zu verschleiern, dass diese Wahrheit eine gemachte ist.91 Ab den 1970er Jahren führt Foucault eine weitere Analysemethode ein, die er »Genealogie« nennt, mit der er den produktiven und positiven Aspekten von Machtverhältnissen auf der Spur ist, wie sie bereits in der Schrift Die Ordnung des Diskurses formuliert wurden. Sein Methodenvokabular wird als

85 86 87 88 89 90 91

Die Verbindung von Ordnung und Macht wird auch von dem Politikwissenschaftler Andreas Anter hervorgehoben, vgl. Anter, Die Macht der Ordnung, 35. Foucault, Ordnung des Diskurses, 11. Ebd., 10-11. Vgl. ebd., 14. Vgl. ebd., 15. Gehring, Philosophie im Archiv, 47. Vgl. Foucault, Ordnung des Diskurses, 17.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

»nur schwach systematisiert« beschrieben,92 deshalb soll in der vorliegenden Arbeit das Hauptaugenmerk nicht auf Unterschieden der Methoden liegen, obgleich diese als Orientierungsfaden durch das Foucault’sche Denken dienen. Das Anliegen dieser Studie konzentriert sich mehr auf die grundlegende Perspektive, die sich durch seine Werke hindurchzieht und die seit seinen frühen Schriften, wenn auch nicht immer explizit, nach Machtverhältnissen fragt, durch die diverse Ordnungen unserer Welt entstehen konnten. In einem im Jahr 2014 erschienen Handbuch, das eine reichhaltige Übersicht über das Foucault’sche Denken bietet, wird ausgeführt, dass die Genealogie jene Machtmechnismen zu fassen vermag, »die an der Entstehung von Wissensordnungen, Wissenssubjekten und insbesondere der Humanwissenschaften beteiligt sind«93 . Foucault lehnt die Vorstellung ab, Macht als Substanz zu fassen, als etwas, das man besitzen könnte.94 In seiner Schrift Der Wille zum Wissen, die in der aktuellen Forschung als »klassische Fassung seiner Machttheorie«95 bezeichnet wird, charakterisiert er sehr präzise sein Verständnis von Macht; zwar untersucht er in dieser Arbeit speziell »das Werden eines Wissens« über sexuelle Verhaltensweisen und fragt danach, wie es zur Ausbildung des Erkenntnisbereichs dessen, was man mit »Sexualität« benennt, kam, doch in seinem Vorwort96 weist er darauf hin, dass die Sexualität nur ein Beispiel für ein allgemeines Problem darstelle, das ihn umtreibe und das er mit folgender Frage formuliert: »wie ist in den abendländischen Gesellschaften die Produktion von Diskursen, die (zumindest für eine bestimmte Zeit) mit einem Wahrheitswert geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden?«97 In Der Wille zum Wissen untersucht er den Diskurs über Sexualität in der Beziehung zwischen Macht und Wissen und kommt zu einer sehr präzisen Beschreibung seines Machtverständnisses: 92 93 94 95 96 97

Vgl. Sellhoff, Michael, Die Ordnung des Diskurses, in: Kammler, Foucault-Handbuch, 62-67, hier 66. Vogl, Joseph, Genealogie, in: Kammler, Foucault-Handbuch, 255-258, hier 255. Vgl. dazu auch Foucault, Überwachen und Strafen, 38. Gehring, Petra, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, in: Kammler, Foucault-Handbuch, 85-93, hier 86. Foucault, Der Wille zum Wissen, 7-8. Ebd., 8.

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Das Ornament als Denkfigur

»Die Möglichkeitsbedingung der Macht, oder zumindest der Gesichtspunkt, der ihr Wirken bis in die ›periphersten‹ Verzweigungen erkennbar macht, liegt nicht in der ursprünglichen Existenz eines Mittelpunktes […]; sondern in dem bebenden Sockel der Kraftverhältnisse, die durch ihre Ungleichheit unablässig Machtzustände erzeugen, die immer lokal und instabil sind. Allgegenwart der Macht: nicht weil sie das Privileg hat, unter ihrer unerschütterlichen Einheit alles zu versammeln, sondern weil sie sich in jedem Augenblick und an jedem Punkt – oder vielmehr in jeder Beziehung zwischen Punkt und Punkt erzeugt. Nicht weil sie alles umfasst, sondern weil sie von überall kommt, ist die Macht überall. Und ›die‹ Macht mit ihrer Beständigkeit, Wiederholung, Trägheit und Selbsterzeugung ist nur der Gesamteffekt all dieser Beweglichkeiten, die Verkettung, die sich auf die Beweglichkeiten stützt und sie wiederum festzumachen versucht. Zweifellos muss man Nominalist sein: die Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt.«98 Joseph Vogl beschreibt die Fokusverschiebung auf die Analytik der Macht als »Erweiterung seiner Studien um die Frage nach dem Status und die Wirksamkeit nicht-diskursiver Praktiken«99 , die in Der Wille zum Wissen besonders zum Ausdruck kommt, und stellt weiters fest, dass sich dabei Verschiebungen ergeben, »die vom Archiv der Aussagen zu Dispositiven, von der Betrachtung von Institutionen zur Beobachtung von Strategien bzw. Taktiken und von der Analyse von Vorstellungen zu einer Mikrophysik der Kräfte hinüberführen.«100 Auch wenn Foucault das Machtverständnis im Laufe seiner Untersuchungen transformiert und immer wieder neue Aspekte davon stark macht, so bildet die Annahme, dass Macht kein Zentrum besitzt und vielmehr relational ist, eine Konstante in seinem Œuvre. Während in den Schriften Die Ordnung der Dinge sowie Die Ordnung des Diskurses das Hauptaugenmerk auf die repressiven Kräfte als Möglichkeitsbedingungen von Ordnungen untersucht werden – auch hier gehe ich davon aus, dass Foucault von Machtbeziehungen spricht,

98 Ebd., 114. 99 Vogl, Joseph, Genealogie, in: Kammler, Foucault-Handbuch, 255-258, hier 256. 100 Ebd.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

wenn vielleicht auch weniger deutlich – erfolgt in Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit die Beschreibung von Macht explizit und wird als produktiv und wissensgenerierend gekennzeichnet. Inhaltlich geht es auch darum, zu zeigen, aus welchem Grund sich seit dem 17. Jh. ein Wille zum Wissen über das, was man seit dem 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Disziplin der Sexualität nennt, entwickelt hat. Sexualität hat sich, so seine Analyse, als Diskurs bzw. in und als mehrere Diskurse entfaltet (Demographie, Biologie, Medizin, Psychiatrie, Pädagogik u.a.). Anders formuliert, wurde ein Wissen um diesen Themenbereich generiert – selbstverständlich im Namen der Wissenschaft und Wahrheitsfindung – nicht zuletzt um ein politisches Ziel zu verfolgen: Eine Gesellschaft war im Entstehen begriffen, in der die politische Macht die »Verwaltung des Lebens« für sich entdeckte.101 Die Verwaltung des Lebens wurde in zwei Hauptformen gebildet, die miteinander in Beziehung stehen. Bei der ersten Form geht es um den individuellen Körper, der dressiert und diszipliniert werden kann, dessen Kräfte gesteigert und ausgenutzt werden können und der in wirksame ökonomische Kontrollsysteme integriert wird. Foucault nennt dies die »politische Anatomie des Körpers«. Die zweite Form nennt er »Bio-Politik der Bevölkerung«, wobei es um eine Regulierung der Bevölkerung durch eingreifende Maßnahmen und regulierende Kontrollen auf den Gebieten der Fortpflanzung, Geburten- und Sterblichkeitsrate, Gesundheitsniveau u.ä. geht. Er fasst die Entstehung der Disziplin der Sexualität wie folgt zusammen: »Allgemein wird also der Sex am Kreuzungspunkt von ›Körper‹ und ›Bevölkerung‹ zur zentralen Zielscheibe für eine Macht, deren Organisation eher auf der Verwaltung des Lebens, als auf der Drohung mit dem Tode beruht.«102 Foucault beschreibt verschiedene dieser Disziplinierungstechniken und Regulierungsmaßnahmen. Schließlich spricht er vom 20. Jh. als einer Gesellschaft der Sexualität, in der »die Mechanismen der Macht […] auf den Körper [abzielen, Anm. S.W.], auf das Leben und seine Expansion, auf die Erhaltung, Ertüchtigung, Ermächtigung oder Nutzbarmachung der ganzen Art […]«.103 Aus den verschiedenen Perspektiven der in groben Zügen dargestellten (Macht-)Analysen sollen folgende Aspekte für die Untersuchung Forouhars digitaler Zeichnungen zusammenfassend festgehalten werden: Foucault denkt Ordnung, Wissen und Macht stets zusammen und stets in einer konkreten 101 Vgl. Foucault, Der Wille zum Wissen, bes. 166. 102 Ebd., 175. 103 Ebd., 176.

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Form, nämlich in ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen (gezeigt hat er dies an Aspekten der Gesellschaften vom 17. Jh. bis ins 20. Jh.). Er untersucht konkrete Ordnungen, fragt nach ihren Möglichkeitsbedingungen und weist sie somit als gemachte auf. Weiters weist er auf verschiedene »Begehren« hin, die entscheidenden Einfluss auf Ordnungsbildungen haben, die wichtigsten sind dabei der in Anlehnung an die Philosophie Nietzsches so bezeichnete »Wille zum Wissen« und der »Wille zur Wahrheit«, die er einer »machthistorischen und wissensgeschichtlichen Bearbeitung«104 zuführt.105 Ordnung und Wissen werden als nicht neutral ausgewiesen, sondern als durch das Ringen verschiedener Kräfte entstehende Komplexe. Ein wesentlicher Aspekt in seinen Untersuchungen bildet die Charakterisierung von Macht als relational, als nicht nur repressiv, letztlich als Machtverhältnis, in dem verschiedene auch widerstrebende Kräfte tätig sind, die einschließen, ausschließen, unterdrücken, hervorbringen, spezifische Machttechniken anwenden, sich auch in Institutionen ausbilden und letztlich – im Falle der Ordnung des Wissens, die aber Auswirkungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen hat – auch durch den einzelnen Körper des Menschen hindurchgehen und sein Selbstverständnis als Individuum prägen. Foucault hat zwar nie eine explizite Theorie der Ordnung verfasst, doch immer wenn er Macht analysiert, werden Ordnungssysteme hinterfragt, z.B. auch in der Schrift Überwachen und Strafen, in der er die Disziplinarmacht wesentlich als Ordnungsmacht charakterisiert106 . Alexandra Karentzos bezieht sich in einem Katalogbeitrag auf ebendiese Publikation (Überwachen und Strafen) und kehrt einen anderen Aspekt in Bezug auf Forouhars Werke hervor: Sie thematisiert Foucaults Verständnis der gewaltsamen Strafe als politisches Ritual (der mittelalterlichen Gesellschaft), in dem sich Macht manifestiert und in dem der ›Triumph der Justiz‹ demonstriert wird.107 Dieser wichtige Hinweis, der gewaltsame Strafe als Ritual ausweist, wird in Kap. 4.2.4 aufgegriffen und analysiert. Karentzos betont in diesem Zusammenhang auch eine Ambivalenz von »Archaischem und Modernen« in der Folterpraxis, den sowohl Foucault in Überwachen und Strafen feststellt als auch Forouhar besonders in der Serie Tausendundein Tag ausweist. Sie stellt fest, dass »das Moderne« durch die Technik der digitalen Zeichnung

104 Balke, Friedrich, Friedrich Nietzsche, in: Kammler, Foucault-Handbuch, 172-177, hier 173. 105 Vgl. ebd., 173-175. 106 Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen, 279-280 sowie auch 118. 107 Vgl. Karentzos, Tausend Tode sterben, 35-53, hier 37.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

zur Geltung gebracht wird, das Archaische durch Anspielungen auf die traditionelle persische Miniaturmalerei.108

4.2.2

Ordnung und Macht in Forouhars Werken

Die Nähe von Foucaults Machtdenken zu Forouhars Bildwelten lässt sich daran ablesen, dass auch Parastou Forouhar Ordnungen/Anordnungen befragt: Dies tut die Künstlerin in visueller Hinsicht. Sie erstellt und analysiert in ihren digitalen Zeichnungen ein ornamentales Gebilde, das aus dem Zueinander von Einzelformen generiert wird, die wiederholt über- und untereinander gereiht, gespiegelt und gedreht werden. In die rhythmische Wiederholung baut sie Störungen ein bzw. baut sie diese aus widerstrebenden Kräften auf, womit das Thema Ordnung und Einheit zur Disposition gestellt wird. Diese visuelle Befragung kann auf einer ganz allgemeinen Ebene als Analyse von Ordnungen verstanden werden, die zusätzliche inhaltliche Aufladungen erfahren. Bei Foucault wie bei Forouhar wird ein Ordnungssystem untersucht, das aus gegensätzlichen Kräfteverhältnissen besteht. Bei Forouhar wird dieses System durch Täter- und Opferfiguren sowie durch das Arbeiten mit dem Verhältnis von Form und Leerstelle angezeigt. Bei beiden bedingen sich die widerstrebenden Kräfte gegenseitig (s. dazu auch Kap. 4.2.2). Zusätzliche inhaltliche Konnotationen werden einerseits – zumindest für »westliche« RezipientInnen – durch den Einsatz der ornamentalen Gestaltung selbst evoziert, die das Bildgeschehen im »Orient« zu verorten scheint. Im Wissen um das Heimatland Forouhars wird diese Assoziation jedenfalls nahegelegt. Mit der geografischen Verortung geschieht fast unweigerlich eine gesellschaftspolitische Interpretation des vorgestellten Ordnungssystems. »Nicht-westliche« Gesellschaftsordnungen, im konkretesten Falle die des Landes Iran, werden mit dem von Forouhar zur Disposition gestellten Ordnungssystem assoziiert. Durch die Referenzen auf die persische Maltradition geschieht eine Anspielung auf die Vergangenheit bzw. Tradition, durch den aktuellen Herstellungsprozess der Zeichnungen wird das Geschehen jedoch zeitlich in der Gegenwart situiert. Die Spannung zwischen Tradition und Gegenwart ist offensichtlich ein Thema, das mit dieser Bildkonzeption angesprochen ist – ein Thema das das Leben der Menschen in der Islamischen Republik Iran prägt.

108 Vgl. ebd.

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Das Ornament als Denkfigur

Die in Kapitel 3.3 beschriebenen ornamentalen Ordnungen Forouhars können durch Foucaults Machtanalysen nun präzisiert werden: Es wurde beschrieben, dass stilisierte menschliche Körper regelrecht »in Form« gequetscht (z.B. Arbeiten der Serie He kills me, He kills me not, Abb. 12 und 13) werden, d.h. eine Ordnung erzwungen wird. Ordnung wird in dieser Serie dezidiert als Machtanordnung zu sehen gegeben. Ein gewaltsames Ordnungsprinzip wird vor Augen gestellt, das die Formierung einer Einheit erzwingt. Eine andere Strategie produziert das Ordnungssystem durch die Wiederholung von Bildmotiven (z.B. Serie Tausendundein Tag, Abb. 5 und 10). Diese Ordnung wirkt auf den ersten Blick friedlich und harmlos. Durch die Wiederholung der Bildmotive wird aber auch ein gewisses Gleichmaß erzeugt, das als unheimliches Regelwerk des Schreckens bezeichnet wurde (Kap. 3.2), dessen Sinnhaftigkeit gänzlich in Frage steht und das durch die endlosen Wiederholungen eine Tönung von fataler Unausweichlichkeit erhält. Die einzelnen Bildmotive, die erst auf den zweiten Blick erfasst werden können, geben letztendlich auch ihren gewaltsamen Inhalt preis. Fragen von Ordnung, Macht und Gewalt werden in einem ornamentalen Arrangement verhandelt. Eine weitere Technik Forouhars ist es, durch die stilisierten figürlichen Darstellungen ein regelmäßiges, ornamental gestaltetes Kompositionsschema zu stören (z.B. Serie Farbe meines Namens, Abb. 1, 2 und 3), wobei die menschlichen Darstellungen von Macht- bzw. Gewaltausübung erzählen. Interessant ist die Tatsache, dass Opfer und Täter gleichwertig in den ornamentalen Ordnungen dargestellt werden. Die Täterfiguren werden dem ornamentalen Prinzip in gleicher Weise unterworfen wie jene der Opfer. Beide werden als Teil des Systems, genauer als Systemstörungen, gezeigt und beide konstituieren das Bildgefüge gleichermaßen. Diesen Aspekt sehe ich dem Denken Foucaults nahestehend, da Foucault einerseits beschreibt, dass sich Macht immer in einer Reihe von Absichten und Zielsetzungen entfaltet, niemand jedoch das gesamte Macht- und damit Funktionsnetz einer Gesellschaft beherrscht.109 Macht erzeugt, so der Philosoph, immer auch Widerstand, die er als einzelne Widerstandspunkte im Netz der Macht beschreibt und »die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können«110 . »Sie sind in den Machtbeziehungen die andere Seite, das nicht wegzudenkende

109 Vgl. Foucault, Sexualität und Wahrheit, 116. 110 Ebd., 117.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

Gegenüber.«111 Auch Forouhar gibt ein System zu sehen, dass sich aus widerstrebenden Kräften konstituiert. Die regelmäßige, harmonische, ornamentale Ordnung bzw. Einheit wird in der Serie Farbe meines Namens durch die figürlichen Darstellungen gestört. Opfer und Täter sind in ihren Bildfindungen gleichermaßen Störfaktoren der allumfassenden Einheit, einer idealen Einheit bzw. in der politischen Interpretation, einer Ideologie einer alles umfassenden Einheit (die alles Zuwiderlaufende unterdrückt). Forouhar kritisiert in einigen ihrer Werke diese Einheit. Wenn sie wie bei Rot ist mein Name, Grün ist mein Name auf die Farben der Landesflaggen des Iran anspielt, kann dies als Kritik eines politischen Herrschaftssystems genommen werden, das sie als repressives, diktatorisches kennzeichnet. Die Folterer richten sich gegen die widerstrebenden Kräfte, alle sind Teil des Systems, das sich einmal mehr als Machtgefüge erweist. Aber Forouhars Ansinnen kritisiert die Ideologie eines Machtsystems bzw. eines repressiven Herrschaftssystems mit dieser Darstellungsweise nicht nur, sie zeigt auch die äußersten Spitzen der Macht, bei der Gewalt eingesetzt wird.

4.2.3

Die Darstellung von Gewalt und Folter in Forouhars Zeichnungen

Um die digitalen Zeichnungen Forouhars präzise unter dem Aspekt von Gewalt und Folter thematisieren zu können, bedarf es zunächst einer Differenzierung der Begriffe Macht und Gewalt. Michel Foucault beschreibt sein Verständnis von Machtbeziehungen und Gewaltbeziehungen in dem Aufsatz Subjekt und Macht 112 folgendermaßen: »In Wirklichkeit sind Machtbeziehungen definiert durch eine Form von Handeln, die nicht direkt und unmittelbar auf andere, sondern auf deren Handeln einwirkt. Eine handelnde Einwirkung auf Handeln, auf mögliches oder tatsächliches, zukünftiges oder gegenwärtiges Handeln. Gewaltbeziehungen wirken auf Körper und Dinge ein. Sie zwingen, beugen, brechen, zerstören. Sie schneiden alle Möglichkeiten ab. Sie kennen als Gegenpol nur die Passivität, und wenn sie auf Widerstand stoßen, haben sie keine andere Wahl, als den Versuch, ihn zu brechen.«113

111 112 113

Ebd. Foucault, Michel, Subjekt und Macht, in: Defert/Ewald, Michel Foucault, Analytik der Macht, 240-263, hier 255-256. Ebd., 255.

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Das Ornament als Denkfigur

Foucault gibt aber auch zu bedenken, dass Machtbeziehungen den Einsatz von Gewalt nicht ausschließen, Gewalt wird bei ihm aber als »Mittel oder Wirkung« charakterisiert und dezidiert nicht als »Prinzip oder Wesen der Machtausübung« bestimmt.114 Die Charakterisierung von Forouhars digitalen Zeichnungen muss durch Foucaults Beschreibung von Gewalt wie folgt präzisiert werden: Durch die figürlichen Darstellungen werden Gewalttaten dargestellt, die eingelassen sind in einer ornamentalen Anordnung, die somit als Machtgeflecht bezeichnet wird. Für das Zeigen von Gewalt greift Forouhar auf figürliche Darstellungen, also auf das mimetische Darstellungsprinzip zurück. Machtbeziehungen werden bei ihr durch den ornamentalen Bildaufbau selbst thematisiert, durch die rhythmische und auf verschiedene Weise115 gestörte Einheit einer Ordnung bzw. aus der Darstellung einer im Gleichmaß einer Maschine funktionierenden Ordnung. Die figürlichen Darstellungen Forouhars zeigen Folterszenen bzw. Andeutungen auf Vergewaltigungen oder sexuellen Missbrauch. Wenn man Folter als Herrschaftspraktik begreift, zählen sowohl Folter wie auch sexuelle Gewalt zu Mitteln der Repression eines Herrschaftssystems.116 Die HerausgeberInnen und AutorInnen des Bandes Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter charakterisieren Folter im Anschluss an Wolfgang Sofsky und Jan Philipp Reemtsma wie folgt: »In der Folter aktualisiert soziale Macht ihr Potential der Gewaltanwendung und greift direkt auf den Körper zu, um Konformität und Homogenität zu erreichen. […] Der Gefolterte erscheint als Fremder und als Feind, den es anzugleichen oder zu zerstören gilt; in der Folter scheint gleichsam die Herrschaft Krieg gegen oppositionelle oder als solche wahrgenommene Subjekte zu führen, um sich deren Willen anzueignen und ihn zu prägen.«117

114 115

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Vgl. ebd., 255-256. Die Störung geschieht durch Abwandlungen oder Unterbrechungen von Mustern (Farbe meines Namens) oder durch die Deformierung einzelner Formen zugunsten der Formierung einer übergeordneten Einheit (He kills me, He kills me not). Vgl. dazu Olenhusen, Irmtraud G. v., Sexualisierte Gewalt. Eine historische Spurensuche vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Burschel, Peter/Distelrath, Götz/Lembke, Sven (Hg.), Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter, Köln/Weimar/Wien 2000, 217-236, bes. 217. Burschel, Peter/Distelrath, Götz/Lembke, Sven, Eine historische Anthropologie der Folter. Thesen, Perspektiven, Befunde, in: dies., Das Quälen des Körpers, 1-26, hier 9f.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

In den digitalen Zeichnungen Forouhars werden die eben genannten Aspekte von Folter ins Bild gesetzt, indem Darstellungen von Gewalttaten eingelassen in einem ornamentalen System gezeigt werden, das seine Einheit und Aufrechterhaltung durch Zugriff auf menschliche Körper erzwingt und somit als repressives Herrschaftssystem gelesen werden kann. Das System wird von der Künstlerin zusätzlich als fatales gekennzeichnet, indem sie es in einer dekorativen und in dieser Hinsicht reizvollen Formgebung präsentiert, das seine Schattenseiten zu verbergen weiß. Diese Gestaltung könnte man auch als Anspielung auf die Ideologien politischer Regime deuten, die so gestaltet werden, dass sie auf den ersten unkritischen Blick als erstrebenswert erscheinen. Was dieses System birgt, eröffnet sich erst bei genauem Hinsehen.

4.2.4

Der Faktor Zeit in Forouhars Bildfindungen, der Faktor Zeit in der Folterpraxis. Eine Parallele

In Kapitel 3.3 wurde herausgearbeitet, dass Forouhar offensichtlich einen bestimmten Modus in der Darstellung von Zeitlichkeit verwendet, der auch in der persischen höfischen Maltradition zu finden ist und den man als eine Still-Legung von Zeit insofern bezeichnen kann, als Handlungen zwar angedeutet werden, die jedoch in ihrer Darstellung bis aufs Äußerste reduziert sind, sodass sie wie erstarrt – wie überzeitlich – wirken. Diese Still-Legung von Zeit bildet aber auch eine offensichtliche Parallele zur Folterpraxis. Jörg Zirfas untersucht in seinem Beitrag zur Publikation »Die Kultur des Rituals«118 die Folter als (grausames) Ritual und nimmt den performativen Charakter der Folter genau unter die Lupe. Der Sozialforscher und Anthropologe weist den Faktor Zeit als wesentlich in der Folterpraxis aus: »Die Zeit der Folter ist eine zerstörende und zerstörte Zeit, da die absolute Macht […] die Zeit des Opfers ständig neu strukturiert, um letztlich jegliches Zeitbewusstsein auszulöschen. Die Folter ist eine Zeitmaschine, die Zeit stillstellt, die darauf zielt, Menschen in einer nicht vergehen wollenden Zeit festzuhalten. Denn die absolute Macht möchte ihre Herrschaft unbegrenzt genießen.«119

118 119

Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg (Hg.), Die Kultur des Rituals. Inszenierungen, Praktiken, Symbole, München 2004. Zirfas, Jörg, Rituale der Grausamkeit. Performative Praktiken der Folter, in: Wulf/Zirfas, Die Kultur des Rituals, 129-146, hier 135.

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Das Ornament als Denkfigur

Zirfas beschreibt weiter, dass die Folter die Vergangenheit und Zukunft für die Opfer zugunsten einer permanenten Gegenwart auslöscht.120 Aus seinen Beschreibungen soll hervorgehoben werden, dass er in seinen Analysen die Folter ebenfalls als Herrschaftsinstrument ausweist, das sich der Zeit seiner Gegner (den Opfern) bemächtigt, und seine Macht (über die Körper sowie die Zeit der Opfer) durch die Folter demonstriert. Zirfas stellt fest: »Der Macht geht es dabei um die Inszenierung ihrer Unsterblichkeit.«121 Auf der anderen Seite gerinnt die Zeit der Opfer zu einer Endlosschleife, einer »nicht enden wollenden Gegenwart«122 . Für die bildende Kunst hat Ettinghausen einen Modus des Immerwährenden für die höfische persische Kunst beschrieben (s. Kap. 3.3.1), der durch die reduzierte Darstellung von Handlungen evoziert wird. Dieser Darstellungsmodus wird auch in Forouhars Bildarrangements verwendet und dort inhaltlich mit den Techniken der Folterpraxis verknüpft, die als Herrschaftsinstrument ausgewiesen werden. Zeitlichkeit wendet sich dabei auf fatale Weise gegen die Folteropfer und formiert sich zu einer Endlosschleife des Gegenwärtigen. Dass die Folter auch als Ritual betrachtet werden kann, hat Jörg Zirfas in seiner benannten Untersuchung gezeigt. Die Herausgeber des Bandes »Die Kultur des Rituals« räumen zwar ein, dass es keine allgemein akzeptierte Theorie des Rituals gibt, versuchen aber dennoch zu einer Charakterisierung zu kommen, die von möglichst vielen Perspektiven und Disziplinen akzeptiert werden könne.123 Sie betonen vor allem den performativen Charakter von Ritualen, die das Soziale erzeugen. Ein Moment der Inszenierung und Erzeugung des Sozialen durch das Ritual besteht im Schaffen von Ordnungen124 : »[…] diese sind oftmals hierarchisch, denn in ihnen drücken sich Machtverhältnisse aus […]. Indem sie in körperlichen Arrangements aufgeführt und

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Vgl. ebd., 135. Ebd., 129-146, hier 129. Ebd., 135. Vgl. Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg, Performative Welten. Einführung in die historischen, systematischen und methodischen Dimensionen des Rituals, in: dies. (Hg.), Die Kultur des Rituals,7-48, hier 8. 124 Vgl. ebd., s. dazu auch Assmann, Jan, Identität, Kommunikation, Kultur: c) Tradition. Kommunikation und rituelle Kohärenz, in: ders., Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 142-143, bes. 143.

4. Ornament – Ordnung – Macht. Theoretische Annäherungen

ausgedrückt werden, geben sie sich den Anschein, als seien sie natürlich und allgemein akzeptiert. […] Durch die Teilnahme an den Ritualen, werden diese Ordnungen und Machtverhältnisse akzeptiert. Durch die NichtTeilnahme an dieser Gemeinschaft wird man ausgeschlossen und kann zum Sündenbock und damit zur Projektionsfläche der Negativität und Gewalt in der Gemeinschaft werden.«125 Das Ornament dient in Forouhars digitalen Zeichnungen nicht nur und nicht immer dazu, geografisch-kulturelle Verortungen nahezulegen. Mit dem strategischen Einsatz des Ornaments wird eine stringente Strategie insofern verfolgt, als das Ordnungsystem des Ornamentalen dazu eingesetzt wird, verschiedene Aspekte von Macht und Gewalt zu untersuchen und sichtbar zu machen. Ein Aspekt, der in diesem Kapitel herausgearbeitet wurde, besteht in dem Ausweis des rituellen Charakters der Folterpraxis, bei der Macht durch den Einsatz von Gewalt demonstriert und Ordnung erzwungen wird. Zeit wird dabei von den MachthaberInnen als Unendlichkeit ihrer Herrschaft behauptet, auf die Zeit der GegnerInnen wird indes zugegriffen, um ihre Vergangenheit und Zukunft durch eine permanente Gegenwart, die Zeit der Folterung, zu ersetzen. Forouhars Thematisierungen von Folter spüren den rituellen Charakter von Gewaltanwendung auf, indem die Handlungen im Modus der Still-Legung von Zeit gezeigt werden, wobei das Unendliche/Immerwährende durch das wiederholte Anordnen von entindividualisierten Figuren im ornamentalen Aufbau ihrer Zeichnungen verstärkt wird.

125

Wulf/Zirfas, Performative Welten, 8-9.

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5. Zusammenführende Betrachtungen

In diesem letzten Teil möchte ich die zentralen Fragestellungen dieser Studie nochmals in Erinnerung rufen und Schlüsse durch eine inhaltliche Verknüpfung der verschiedenen Themenbereiche ziehen. Am Ende der Zusammenführung werden die Erkenntnisse zu Vorschlägen für einen Ornamentbegriff für die gegenwärtigen Künste verdichtet.

Zentrale Fragestellungen, Thesen und Problemlagen Der Frage nach dem Stellenwert und der Funktion des Ornamentalen in der gegenwärtigen Kunstpraxis wurde exemplarisch an den digitalen Zeichnungen der iranisch-deutschen Künstlerin Parastou Forouhar in Vergleich zu weiteren künstlerischen Positionen nachgegangen. Durch eine Diskussion traditioneller Ornamentbegriffe sowie Analysen verschiedener künstlerischer Strategien war zu zeigen, dass der Ornamentbegriff neu gedacht werden muss, wenn er sich tragfähig für die gegenwärtige künstlerische Praxis erweisen soll. Diese Studie konzentrierte sich einerseits auf die Untersuchung des Ornamentbegriffs auf einer theoretischen Ebene, andererseits – und dies war der Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung – auf eine Analyse der künstlerischen Praxis im Umgang mit dem Ornament. Als vorläufiger Arbeitsbegriff wurde das Ornament in Anschluss an den Kunsthistoriker Oleg Grabar als Methode beschrieben. Darüber hinaus wurde es als bedeutungsgenerierende Struktur der Werke gekennzeichnet, die auf formaler sowie auf inhaltlicher Ebene imstande ist, Beziehungsgefüge zu etablieren. Auf formaler Ebene, wenn man das Ornament als Anordnungsprinzip analysiert, lässt sich fragen, ob zwischen dem formalen Aufbau des Ornaments und der Struktur von Machtverhältnissen und/oder Gewalt Parallelen gezogen werden können. Diese Frage wurde zunächst in den Werkanalysen in Kapitel 3 aufgegriffen, wo gezeigt wurde, dass Parastou Forouhar als zentralen Aspekt die Themen Gewalt, Ordnung und Macht in ihren ornamentalen Strukturen verhandelt.

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Das Ornament als Denkfigur

In Kapitel 4 wurde dieses Thema auf einer theoretischen Ebene mit den Machtanalysen Michel Foucaults vertieft und – stets im Spiegel der aktuellen Kunstpraxen – die Verbindungen zwischen Ornament und Ordnung sowie Ordnung und Macht mittels kunstwissenschaftlichen, philosophischen sowie soziologischen Theorien sichtbar gemacht. Die Disziplin Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte wird mit der vorliegenden Untersuchung als eine im Umbruch befindliche begriffen, die sich stetig verändernden Herausforderungen wie Globalisierungsprozessen, Migrationsbewegungen und transkulturellen Phänomenen zu stellen hat. Dieser Forschungsansatz versteht transkulturelle Fragestellungen als selbstverständliche Perspektive der Kunstwissenschaft – im Wissen darüber, dass die gestellten Fragen mitunter auch auf unbekanntes Terrain für die WissenschaftlerInnen führen – und es doch lohnt, sie aus der ausgewiesenen Perspektive heraus zu stellen und zu beantworten.

Ornament. Ausgangspunkt, Forschungslage und vorläufige Begriffsbestimmung – Kapitel 2 Im zweiten Teil der Arbeit erfolgte eine Klärung des Ausgangspunktes zum Begriff Ornament. Es wurde die Frage gestellt, in welcher Weise es gerechtfertigt scheint, diesen in Zusammenhang für Forouhars Bildgestaltungen zu benutzen und mit welchem vorläufigen Verständnis im Rahmen dieser Untersuchung gearbeitet werden konnte. Im Zuge dessen wurden auch die Problematik des Bedeutungswandels des Begriffs Ornament im Laufe der Geschichte und die verschiedenen Quellen, aus denen sich dieser speist, benannt. Ein vorläufiger Arbeitsbegriff sollte sowohl gegenwärtige künstlerische Praxen beschreiben können als auch islamisch geprägten Künste im Blick haben, da sich Forouhar in ihren Zeichnungen auf die Bildtradition ihres ursprünglichen Heimatlandes bezieht. Es wurde gezeigt, dass traditionelle Ornamentbegriffe gegenwärtige Kunsttendenzen nicht ausreichend beschreiben können, da sich diese vor dem Hintergrund einer fixen Einteilung der Kunstgattungen entwickelt haben, die heute nicht mehr in Anschlag zu bringen sind und da sie dem Ornament v.a. die Funktion des schmückenden Beiwerks ohne narrativen Gehalt beimessen. Mithilfe von Oleg Grabars Beschreibung des Ornaments als einer Methode oder Idee konnte ein vorläufiger Arbeitsbegriff entwickelt werden, der offen genug schien, um gegenwärtige künstlerische Praxen zu bezeichnen, der auch einen Blick auf islamisch geprägte kulturelle Kontexte erlaubte. Eine

5. Zusammenführende Betrachtungen

Charakterisierung des Ornaments als Methode versteht diese Form im Sinne eines ornamentalisierenden Prinzips – ein Regelwerk, das die gesamte Bildfläche erfasst und organisiert. Im Nachhinein betrachtet, lässt sich in dieser Beschreibung auch die Ordnungsfunktion erkennen, die eine wesentliche Eigenschaft des Ornaments darstellt. Die Nähe und die Abstände zu den Untersuchungen des Forschungsnetzwerks »Ornament. Motiv-Modus-Bild« wurden benannt, genauso wie eine Abgrenzung zum Begriff Muster vorgenommen wurde. Eine etymologische Befragung brachte den Hinweis, dass das Wort Ornament im Kosmos-Begriff wurzelt, d.h. in der antiken Vorstellung vom Kosmos als wohlgeordnetem Ganzen, der die Verbindung des Geordneten mit dem Geschmückten und Schönen vereint, was einen weiteren Hinweis auf die Ordnungsfunktion des Ornaments brachte. In diesem Abschnitt wurde auch die Forschungslage zum Ornament vor dem Hintergrund einer »Global Art History« erörtert, durch die das Anliegen der vorliegenden Arbeit dahingehend präzisiert werden konnte, vertieft nach den Eigenschaften des Ornamentalen zu fragen, die GegenwartskünstlerInnnen wie Forouhar offensichtlich für sich entdeckt haben. Durch aktuelle Forschungen (v.a. Bihr) wurde gezeigt, dass KünstlerInnen im Zuge ihrer Beschäftigung mit dem traditionellen Bilderbe auch auf ornamentale Formen zurückgreifen. Das Ornament wurde dabei als kritisches Reflexionsmittel in gegenwärtigen Kunstpraxen beschrieben, spezifische Qualitäten des selbigen wurden dabei nur am Rande herausgearbeitet. Durch die einleitenden Überlegungen sowie die Ergebnisse der Forschungsliteratur konnte eine neue Arbeitshypothese enwickelt werden. Diese begriff das Ornament nicht nur als Methode, sondern versuchte darüber hinaus, zu umreißen, dass es formale Eigenschaften besitzt, die es in der künstlerischen Praxis zu einer Sinn generierenden Form machen, womit ausgedrückt werden soll, dass inhaltliche Aussagen allein durch das (An-)Ordnungsprinzip des Ornamentalen getroffen werden.

Der strategische Einsatz ornamentaler Strukturen in Forouhars Œuvre – Kapitel 3 Ziel dieses Kapitels war es, Erkenntnisse über die künstlerischen Strategien Forouhars bezüglich ihrer Verwendung des Ornaments zu erwirken. Dazu wurden zunächst eine Beschreibung und erste kunstwissenschaftliche Analysen von Forouhars Werkkomplex der digitalen Zeichnungen vorgelegt (Kap. 3.1) sowie der Stellenwert des Digitalen (Kap. 3.2) thematisiert. Das Herzstück

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Das Ornament als Denkfigur

des dritten Teils bestand darin, zu klären, ob und welche Bezüge sich zur Tradition der persischen Malerei herstellen lassen (Kap. 3.3), was von vielen AutorInnen zwar konstatiert, jedoch nicht weiter begründet wurde. Bezugnahmen, die mit Blick auf das Ornament untersucht wurden, wurden auch vor dem Hintergrund der jüngeren und jüngsten Entwicklungen der iranischen Kunst diskutiert (Kap. 3.5), da sich dadurch weitere Erkenntnisse für die Ornament-Frage erhoffen ließen. Um den Einblick in künstlerische Strategien zu erweitern, wurden in einem eigenen Kapitel (Kap. 3.6) Werke Imran Qureshis im Vergleich zu Forouhars Arbeiten untersucht. In der Analyse von digitalen Zeichnungen, die für Forouhars Arbeitsweise als exemplarisch gelten können, wurde dargelegt, dass die Künstlerin in einer abstrahierenden Bildsprache mit einem Minimum an Bildzeichen arbeitet. Diese werden multipliziert, gedreht und gespiegelt und in eine rhythmische ornamentale Anordnung gebracht. Durch unterschiedliche Kompositionsstrategien wird auf die Präsenz weiterer Bildinhalte aufmerksam gemacht, die nicht sofort erkannt werden können. Das Multiplizieren der einzelnen Formen kann dabei als inhaltliche Aussage genommen werden. Durch das Bildarrangement wird nahegelegt, dass es nicht um singuläre Episoden geht, von denen die Zeichnungen Zeugnis ablegen, sondern um sich wiederholende Geschehnisse, die durch die abstrahierende und somit verallgemeinernde Darstellungsweise betont werden. Das ornamentale Arrangement dient nicht nur zum Involvieren der BetrachterInnen, nicht nur zum Verschleiern der Folter-, Gewalt- und Mordszenen und nicht nur zur geografischkulturellen Verortung des Geschehens. Das Ornament kann auch zeichenhaft gelesen werden, in dem Sinne, dass es in Forouhars Darstellung zu einer Sinn generierenden Form wird. Damit soll ausgedrückt werden, dass durch eine gezielt zur Schau gestellten Anordnung der einzelnen Motive, eine Einheit durch das Ordnungsprinzip erzwungen wird. Das Ornament wird somit als repressives System ausgewiesen, das durch narrative Elemente angereichert, zu einer Form des Kommentars und der Kritik an gesellschaftspolitischen Zuständen wird. Die Künstlerin verknüpft die Themen Gewalt, Ordnung und Macht in ihren Ornamenten, eine Verbindung, die als zentral in ihren Arbeiten angesehen wird und die eine tiefergehende Analyse (Kap. 4) erforderlich machte. Ein Blick auf die Rolle des Ornaments in Forouhars übrigen Werkkomplexen, wie den Fotografien und Installationen, hat ergeben, dass überall dort, wo Forouhar das Ornament selbst entwirft, das Ordnungsprinzip des Ornamentalen Relevanz als Sinn generierende Form erhält.

5. Zusammenführende Betrachtungen

In Auseinandersetzung mit Forouhars künstlerischen Arbeiten stellte sich auch die Frage nach dem Stellenwert des Digitalen. Dabei wurden Abgrenzungsversuche und Vergleiche zur Handzeichnung und Druckgrafik vorgenommen und Prämissen und Ideologien, die mit den verschiedenen Medien verbunden sind, diskutiert. Obzwar Forouhars Arbeiten einem digitalen Entstehungsprozess entstammen, wurde nahegelegt, diese der Gattung Zeichnung zuzuordnen, da das Digitale in ihren Werken weder thematisiert noch reflektiert wird, sondern ihr Zugang zu diesem Medium in einem selbstverständlichen Zugriff auf das Digitale als Technik besteht. In einem Einordnungsversuch zu aktuellen Tendenzen der Zeichnung wurden Forouhars Arbeiten der ab den 1990er Jahren als Narrative Konzeptkunst bezeichneten Strömung (Leisch-Kiesl) zugeordnet, die mit den Errungenschaften der 1960er und 70er Jahre umzugehen weiß und konzeptive Elemente mit subjektiv-narrativen Ansätzen verbindet (Leisch-Kiesl in Anschluss an de Zegher, Rose und Heinzelmann). In der Frage nach Bezügen zur Tradition der persischen Malerei, wie sie in der Buchkunst zu finden ist, wurden zunächst formale Ähnlichkeiten wie das Zeigen von eigengesetzlichen Bildwelten, die von einer Rhythmisierung der Fläche bestimmt sind und die ihre Bildelemente flach und in einem artifiziellen dynamischen Stil präsentieren, beschrieben. Neben diesen eher losen und letztlich schwer festzumachenden Bezügen konnte auch eine Parallele zu einer bestimmten visuellen Logik aufgezeigt werden, die von David Roxburgh für die persische Tradition als »Dialektik der Seherfahrung« beschrieben wurde. Dieser Modus besteht in einem spezifischen Bildaufbau, der daraufhin ausgerichtet ist, nach einer anfänglichen Illusion der Klarheit, die u.a. durch eine präzise Malweise und eine einfache flächige Darstellungsart erzeugt wird, die Wahrnehmung der RezipientInnen durch die Fülle, Dichte und Kleinteiligkeit der Bildelemente zu überfordern. Dieser Bildaufbau trägt also nicht dazu bei, den gesamten Bildinhalt auf einen Blick zu erschließen, sondern erst nach und nach lassen sich Aspekte des Werkes ausmachen. Forouhar nutzt diesen visuellen Modus, um Gewaltszenen zu verbergen, womit ein Moment der Aufrüttelung generiert wird, der die Brisanz der Bildinhalte verstärkt. Dieser Darstellungsmodus wird in ihren digitalen Zeichnungen durch eine Mimikry-Taktik (umgekehrte Mimikry) erweitert: Wird in der persischen Tradition die ornamentale Gestaltungsweise und Behandlung des Figurenschemas dazu genutzt, ein einheitliches harmonisches Bildgefüge entstehen zu lassen, zeigt Forouhar das ornamentale System als Übermacht, das alle Bildelemente, selbst menschliche Figuren, unter einen zentralen Ord-

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Das Ornament als Denkfigur

nungswillen zwingt. Mit dieser bewusst verfehlten Wiederholung der Tradition, wird das Ornament selbst zur Disposition gestellt. Das Ornament – in seinen frühen Wurzeln als wohlgeordnetes Ganzes begriffen – erfährt in Forouhars Zuspitzung Kritik. Mit dieser Untersuchung können die Analysen Judith Bihrs, die für die ägyptische Gegenwartskunst das Ornamentale als kritisches Reflexionsmittel beschreibt, geografisch ausgeweitet werden. Ein weiterer Bezug zu einem in der Tradition vorhandenen Darstellungsmodus konnte ausgemacht werden, der als »Still-Legung von Zeit« benannt wurde (Kap. 3.3.1). Bei dieser visuellen Strategie scheinen figürliche Darstellungen auf der Bildfläche zu schweben. Diese Anmutung wird durch eine nichtperspektivische Bildkomposition verstärkt, ensteht aber vor allem durch eine reduzierte Darstellung von Bewegung in figürlichen Handlungsdarstellungen, wodurch der Eindruck von Überzeitlichkeit suggeriert wird (Ettinghausen). Auch bei Forouhar ist der benannte Darstellungsmodus anzutreffen. Im Kontext ihrer Zeichnungen, die stark mit der Wiederholung von Bildelementen arbeiten, kann die »Still-Legung von Zeit« als Hinweis darauf genommen werden, dass sie sich auf wiederholende Ereignisse beziehen, nicht auf historische Einzelgeschehnisse. In der inhaltlichen Verknüpfung mit Gewalttaten kommt dem Modus »Still-Legung von Zeit« in Forouhars Darstellungen eine weitere Sinndimension zu (s. Kap. 4.2.4). In Kapitel 3.4 wurden die beschriebenen Darstellungsmodi unter den Gesichtspunkten »Generalisierung und Anonymisierung«, »Wiederholung und Wiederholbarkeit« sowie »Zeit« aufeinander bezogen. Die genannten Gesichtspunkte stellen zentrale Aspekte in Forouhars Arbeiten dar, bei denen sich die Wahl der Technik, Bezüge zur Miniaturmalerei sowie die Art der Darstellung fest ineinander verzahnt zeigen. So führen sowohl die anonymisierte Darstellung menschlicher Figuren, indem das Ortlose und das Anonyme ins Bild gesetzt werden, als auch eine bestimmte Qualität der Zeichnung, die sie nutzt, zu einer Generalisierung ihrer Bildthemen. Die Zeichnung erweist sich durch das Lineare als besonders geeignet, zu reduzieren und (vom Konkreten) zu abstrahieren, um so den Darstellungen einen allgemeinen Charakter zu verleihen. Das Digitale verstärkt eine Anonymisierung insofern, als eine Vervielfachung von Bildelementen in der präsentierten Präzision nicht von Menschenhand stammen kann. Gleichzeitig wird den Zeichnungen damit etwas Maschinenhaftes verliehen. Auch das serielle Arbeiten, einerseits durch Vervielfachung von Einzelmotiven, andererseits durch das Arbeiten in Bild-Serien, verstärkt das Generelle der Zeichnungen.

5. Zusammenführende Betrachtungen

Unter dem Gesichtspunkt »Wiederholung und Wiederholbarkeit« wurde der Einsatz des ornamentalen Prinzips thematisiert, durch das die Wiederholung von gleichartigen Motiven von vornherein festgelegt ist. Durch das Wiederholen wird einerseits eine anonymiserende Massenwirkung erzielt, andererseits Wiederholbarkeit und Austauschbarkeit der dargestellten Szenen suggeriert und letztlich in Verbindung mit den spezifischen ornamentalen Arrangements ein Regelwerk präsentiert, das sich endlos zu drehen scheint. So bekommt die Kategorie Zeit Relevanz, es wird aber auch der Charakter des Maschinenhaften, Unausweichlichen verstärkt. Auch die verfehlte Wiederholung durch die beschriebene Mimikry-Taktik ist in Forouhars Werk Konzept. Eine gezielt verfehlte Wiederholung von traditionellen Bildkonzepten wird dazu genutzt, um Kritik an der Tradition zu üben. Zeit ist ein wichtiges Thema in Forouhars Arbeiten, mit dem sie auf mehreren Ebenen arbeitet. Zum einen geht es um die Einführung von Zeitdauer durch das von Roxburgh als »Dialektik der Seherfahrung« beschriebene Kompositionsprinzip, das mit einer Involvierung der BetrachterInnen in Zusammenhang steht. Zum anderen wird Zeit in Forouhars digitalen Zeichnungen im Sinne von zeitlichen Bezügen relevant. Durch Bezugnahmen auf die persische Maltradition wird auf Vergangenes – auf die Tradition Persiens – angespielt. Durch den Einsatz der digitalen Technik wird aber gleichzeitig eine Verortung des Dargestellten in der Gegenwart suggeriert. Die Künstlerin scheint das Thema Tradition als aktuelles und ambivalentes Thema im Iran anzusprechen. Durch die Darstellung von Handlungen im Modus der StillLegung von Zeit werden überzeitliche Aussagen möglich, durch die, in Verbindung mit dem Prinzip der Wiederholung, wiederholte, sich wiederholende Gewaltverbrechen thematisiert werden. Das übergeordnete Konzept, das Forouhar die Möglichkeit bietet, diese Strategien zu verbinden, stellt das ornamentale Prinzip dar. Durch das formale Beziehungsgefüge des Ornaments wird bei Forouhar ein vielschichtiges Sinngefüge etabliert, das im Zueinander und in der Wechselwirkung der einzelnen Bildelemente und Darstellungsmodi entsteht. In Kapitel 3.5 wurden Forouhars Bezugnahmen auf das traditionelle Bilderbe im Spiegel der jüngeren und jüngsten Entwicklungen iranischer Kunst untersucht, vor allem um zu zeigen, wie sie als Konzeptkünstlerin agiert, welche Elemente der Tradition sie in welcher Form aufgreift – denn das tut sie – und wie sie diese inhaltlich auflädt. Diese Untersuchung stellt überdies den Versuch einer Kompensation dar, da lokale (iranische) Theorien über das Ornament in der iranischen Gegenwartskunst nicht erhoben werden konnten

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Das Ornament als Denkfigur

(s. Kap. 1.1). So wurden über eine Studie Hamid Keshmirshekans die Bezugnahmen iranischer KünstlerInnen auf die Bildtraditionen ihres Landes vom 19. Jh. bis heute thematisiert, Schlüsse auf die Verwendung des Ornaments (das als Teil der persischen Bildtradition gelten kann) gezogen. Keshmirshekans Publikation über die Entwicklung der iranischen Kunst brachte folgende Erkenntnisse für die Frage nach Bezugnahmen auf das traditionelle Bilderbe: Nach einem Bruch mit den traditionellen Techniken und Medien im 19. Jh. sind Neubefragungen des Bilderbes seit dem späten 19./frühen 20. Jh. zu verzeichnen. Die Beschäftigung mit der Tradition ist vor dem Hintergrund großer sozialer und politischer Umbrüche zu sehen. Die Neubefragungen wurden im Spannungsfeld von politischen Strategien und nationalistischen Gesinnungen einerseits sowie der Suche nach künstlerischer Eigenständigkeit und Zugehörigkeit in Auseinandersetzungen mit europäischer bzw. amerikanischer Kunst vorangetrieben. Bei den künstlerischen Ansätzen stand in Frage, wie die eigene Tradition mit der euro-amerikanischen Moderne zu vereinbaren sei, bzw. in jüngster Zeit, wie (lokale) Eigenständigkeit und Zeitgenossenschaft zusammenzubringen sind. Die verschiedenen Anläufe der Auseinandersetzungen seit dem 20. Jh. bis in die jüngste Zeit brachten verschiedene Lösungen zu Tage, wobei stark differierte, was jeweils als traditionelles Bilderbe geschätzt und aufgegriffen wurde. Der künstlerische Ansatz Parastou Forouhars zeigt sich im Spiegel dieser Entwicklungen nicht als abgekapseltes Phänomen, sondern steht in einer Linie der Neubefragung des künstlerischen Erbes, die Forouhar auf eine spezifische Weise vorantreibt. Ihre Auseinandersetzungen mit der Bildgeschichte, speziell der ornamentalen Gestaltungsweise, bedeutet weniger eine formalistische Annäherung, sondern besteht in einem Arbeiten mit Konzepten und Darstellungsmodi der Tradition. In den iranischen neotraditionalistischen Kunstströmungen der 1990er Jahre ist ebenfalls eine Erforschung von Konzepten der Tradition zu bemerken, die mit zeitgenössischen Techniken umgesetzt werden. Das Ziel dieser Positionen besteht darin, eine Synthese von iranischer Tradition und moderner und zeitgenössischer Kunst euro-amerikanischer Prägung herbeizuführen. Die neotraditionalistischen Tendenzen der 1990er Jahre können als Kontrastfolie zu Forouhars Ansatz gelten, denn der Künstlerin geht es um keine Synthesen – sie beschäftigt sich mit den spezifischen Eigenschaften des Ornaments (von der Tradition eingesetzt, um einen einheitlichen, harmonischen Bildaufbau zu erreichen), die in ihren Bildfindungen eine neue Ausprägung bzw. Überspitzung erfahren (s. Kap. 3.3), was u.a. als Kritik an der Tradition zu werten ist. Der beschriebene Ansatz,

5. Zusammenführende Betrachtungen

Konzepte der Tradition zu analysieren und zu kritisieren, kann zusammen gedacht werden mit der in Kapitel 3.2 vorgenommenen Zuordnung von Forouhars digitalen Zeichnungen zur Narrativen Konzeptkunst, einer Beschreibung für Tendenzen der Zeichnung seit den 1990er Jahren. Diese fügen sich ineinander und ergänzen sich zu einem Gesamtbild, das den konzeptuellen Ansatz in Forouhars Werk und die Auseinandersetzung mit der Bildtradition v.a. hinsichtlich einer Befragung historischer Konzepte betont. Ein Vergleich mit einer künstlerischen Position aus Pakistan wurde in Kapitel 3.6 angestrebt. In den Werken Forouhars und Qureshis lassen sich zwei unterschiedliche Strategien ausmachen, die die Spannweite künstlerischer Arbeit mit dem Ornament anzeigen, wobei die beiden Positionen exemplarisch als Gegenpole hinsichtlich ihres Ornamentverständnisses gelten können. Imran Qureshi wie Parastou Forouhar beziehen sich auf die Bildtraditionen mittels so unterschiedlicher Techniken wie einer digitalen Zeichentechnik (Forouhar) und einer transformierten Technik der Miniaturmalerei, die mit einer modernen Schütt-Technik kombiniert wird (Qureshi). Was den Einsatz des Ornaments betrifft, konnte gezeigt werden, dass beide das Ornament als Ordnungsprinzip einsetzen, wenn auch auf gänzlich unterschiedliche Weise. Während Forouhar das Ornament als Übermacht präsentiert, das allen Bildelementen, selbst menschlichen Figuren seinen Ordnungswillen überstülpt, wird bei Qureshi mittels der ornamentalen Gestaltung eine gewollte Ordnung gestiftet, wobei das Chaos, eine Schütt-Technik mit roter Farbe, eine gegenläufige Wirkung zur Ordnung entfaltet. Qureshis künstlerische Praxis wurde als Ermächtigungshandlung beschrieben, die in die Nähe von Wilhelm Worringers Theorien zur Abstraktion gebracht wurde. Durch die Ergebnisse des dritten Teils der Arbeit, konnte die geplante Vorgehensweise, das Ornament vor dem Hintergrund aktueller Kunstpraxen näher zu untersuchen, dahingehend präzisiert werden, der Verbindung von Ornament und Ordnung sowie dem Zusammenhang von Ornament, Ordnung und Macht vertieft nachzugehen.

Das Ornament im Spiegel aktueller Kunstpraxen. Theoretische Annäherungen – Kapitel 4 Um den Zusammenhang von Ornament, Ordnung und Macht zu klären, erschien es zunächst sinnvoll, zwischen dem historischen Ornament, auf das sich GegenwartskünstlerInnen in ihren Bildfindungen beziehen, und dem Ornament in der aktuellen Kunstpraxis zu unterscheiden.

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Das Ornament als Denkfigur

Mithilfe von philosophischen und kunsttheoretischen Ansätzen wurde im 4. Kapitel zunächst die antike Vorstellungswelt, die im Kosmos-Begriff anzutreffen ist, analysiert. Dadurch konnte gezeigt werden, dass die Ordnung, die diesem Denken verhaftet ist, eine alles umgreifende Ordnung des Seins meint (Trillhaas). Die These, dass die Kosmos-Vorstellung, die das Denken der Menschen bis ins Mittelalter geprägt hat, auch einen Ausdruck in der bildenden Kunst, vielleicht besonders im Ornament – im Fokus stand das Ornament islamisch geprägter Künste – gefunden haben könnte, wird durch Untersuchungen Gülru Necipoglus zum historischen Ornament relativiert. Sie zeigt, dass verschiedene Entwicklungen in der Mathematik und Philosophie einen ebenso wichtigen Anteil an der Hervorbringung visueller Idiome hatten wie das religiöse Denken. Mit ihrer Studie sind auch immer wieder aufgegriffene rein religiöse Interpretationen des Ornaments abzulehnen, da diese das Ornament als zeitlose Komponente islamisch geprägter Kunst verstehen und somit den geschichtlichen Entstehungskontext außer Acht lassen. Necipoglus Untersuchung, die v.a. eine spezifische geometrische Ornamentvariante, wie sie in der sogenannten Topkapi-Rolle zu finden ist, zum Gegenstand hat, beschreibt das Ornament als vielschichtiges kontextuelles Zeichensystem, das religiöse, symbolische oder mystische Sinnebenen eröffnen konnte, ohne jedoch einem fest kodierten Bedeutungssystem zu unterliegen (s. Kap. 4.1.1). Die Charakterisierung als kontextuelles Zeichensystem scheint auch eine geeignete Beschreibung für das Ornament der gegenwärtigen Kunstpraxis zu sein, wie die Untersuchungen in Kapitel 3 es nahegelegt haben. Mit dem Exkurs ins antik-mittelalterliche Denken wurde versucht, zum einen den historischen Zusammenhang von Ornament und Ordnung aufzuweisen und zum anderen die Vorstellungswelt zu thematisieren, auf die angespielt wird, wenn GegenwartskünstlerInnen sich auf historische Bildtraditionen beziehen. In der Suche nach einer Charakterisierung für das Ornament in der Gegenwartskunst wurden unterschiedliche kunsttheoretische und philosophische Ansätze herangezogen, welche eine Verbindung von Ornament und Ordnung im Blick haben. Jüngste Theorien, die zwar auch den benannten Zusammenhang feststellen, wurden für den Fokus dieser Studie ausgeklammert, weil sie nach Prinzipien von Formgenerierungsprozessen bzw. nach der Entstehung von Bildlichkeit, also einem dynamischen Konzept des Ornamentalen, fragen. Im Unterschied dazu steht in dieser Arbeit die Analyse des Ornaments als Gegebenes in den gegenwärtigen Kunstpraxen im Zentrum, weswegen nach einem Modell der Strukturbeschreibung gesucht wurde. Als relevant erwiesen sich die im Jahr 1970 angestellten Überlegungen von Jürgen Claus

5. Zusammenführende Betrachtungen

zum Ornament, da der Künstler und Kunsttheoretiker es als Formgebilde beschreibt, das etwas zeigt und erfahrbar macht, was ansonsten (Infra-)Struktur des Werkes ist. Claus spricht das ordnende Prinzip des Ornamentalen an, das durch die künstlerischen Arbeiten sichtbar gemacht wird. Er beschreibt das Ornament als Ergebnis eines Formbildungs- und Denkprozesses, das auf diesen Prozess verweist. Der Umstand, dass Claus diese Beschreibung vor dem Hintergrund der Minimal- und Concept Art vornahm, ist insofern wichtig für diese Studie, als Parastou Forouhars Arbeiten einer zeitgenössischen Tendenz der Zeichnung zugeordnet wurden, für die die Relevanz eben jener Kunstrichtungen von ExpertInnen der Zeichnung explizit ausgewiesen wurde. Die Errungenschaften dieser Kunsttendenzen liegen in der Sichtbarmachung von Strukturen und Ordnungsgefügen, da die Aufmerksamkeit auf die Relationen der Bildelemente und den Umraum gelenkt werden. Im Unterschied zur Minimal- und Concept Art geht es in der aktuellen Kunst jedoch nicht darum, diese Relationen in ihrer Buchstäblichkeit zu verstehen. Vielmehr werden die Ordnungsgefüge mit narrativen Elementen verbunden. Forouhar beispielsweise operiert mit reduzierten Bildmitteln, die sich auf die Anordnung der Form konzentrieren, welche die Künstlerin aber erzählerisch einsetzt – sie schildert die »Geschichte« von Folter, Mord, sexuellem Missbrauch. Das ornamentale Ordnungsprinzip wird durch die spezifische Anordnung als repressives System dargestellt und somit als frag- und kritikwürdig ausgewiesen. Forouhars Ornamente wurden als Denkfiguren bezeichnet, da durch die spezifische Formgebung der Bildaufbau selbst in besonderem Maße zur Bedeutungsgenerierung beiträgt. Durch die Sichtbarmachung eines Ordnungsgefüges, das in Forouhars Bildwelten in der ornamentalen Gestaltung besteht, wird ein Denkprozess über Ordnung bzw. Anordnung in Gang gesetzt. Mit der Bezeichnung Denkfigur soll zusätzlich markiert werden, dass das Ornament einerseits auf einen Formbildungs- und Denkprozess verweist (vgl. Claus), der im konkreten Kunstwerk durch die ornamentale Struktur figurativ festgehalten wird, und andererseits, wie beschrieben, zu einem Sinn generierenden Gefüge wird, da ein Denkprozess auf Rezipientenseite evoziert wird. Das Ornament fungiert somit sowohl für die KünstlerInnen als auch für die RezipientInnen als Denkfigur. Der konzeptive Ansatz Forouhars weist die Ordnung und Einheitlichkeit des ornamentalen Systems als eine erzwungene und somit als eine gemachte auf. Damit wird die Frage nach den Voraussetzungen von Ordnung gestellt

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Das Ornament als Denkfigur

– eine offensichtliche Parallele zu Michel Foucaults Machtanalysen, die im folgenden Kapitel herausgearbeitet wurde. In Kapitel 4.2.1 wurde zu zeigen versucht, dass Foucaults Unternehmung in so unterschiedlichen Schriften wie Die Ordnung der Dinge, Die Ordnung des Diskurses, Der Wille zum Wissen (Sexualität und Wahrheit, Bd.1) und weiteren Aufsätzen zum Thema Macht vor allem darin besteht, Ordnungen zu analysieren. Foucault arbeitet in diesen Studien die Geschichte der verschiedenen Ordnungen heraus, die er als eine von widerstrebenden Kräften und Mächten charakterisiert. Damit zeigt er, dass die Ordnungen, mit denen wir es zu tun haben, gemachte sind (vgl. Gehring) und aufgrund verschiedenster Bestrebungen etabliert wurden. Foucault legt an konkreten Beispielen wie der Entstehung der Humanwissenschaften (Die Ordnung der Dinge) dar, wie Ordnung und Macht in einem Zusammenhang stehen, indem er die Begehren und Machtbestrebungen thematisiert, die bei der Errichtung dieser Ordnungen am Werk sind. In seiner Schrift Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit weist Foucault Macht als relationales Gebilde ohne Zentrum aus, das auch auf den idividuellen menschlichen Körper abzielen kann. Die Frage, wie es zu Diskursen des Sexuellen und Sexualität als Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis kommen konnte, beantwortet er mit dem Bestreben, eine Verwaltung des Lebens zu organisieren. Mit dieser Schrift attestiert er Macht nicht nur repressive Kräfte, sondern auch produktive. Die Nähe von Foucaults Machtanalysen zu Forouhars Bildwelten zeigt sich im Denken der Verbindung von Ordnung und Macht, die der Philosoph als relationales System widerstrebender Kräfte charakterisiert, während die Künstlerin ein solches visuelles Gebilde in ornamentaler Form zu sehen gibt. Beide AutorInnen denken und analysieren dieses System in konkreten gesellschaftlichen bzw. politischen Zusammenhängen und bei beiden wird eine willkürlich hergestellte, eine gemachte Ordnung aufgewiesen. Weiters wurde mithilfe von Foucaults Schriften eine Differenzierung zwischen Macht und den äußersten Spitzen der Macht, der Gewaltanwendung, herausgearbeitet. Mit dieser Unterscheidung konnte zunächst präzisiert werden, dass Forouhar für das Zeigen von Gewalt immer auf figürliche Darstellungen, also auf das mimetische Darstellungsprinzip, zurückgreift, währenddessen die Verbindung von Ordnung und Macht im ornamentalen Bildaufbau selbst sichtbar wird. Mit der Differenzierung von Macht und Gewalt konnte die Darstellung von Gewalt und Folter in Forouhars Werken noch einmal gezielt untersucht werden. Es wurde dargelegt, dass Forouhar Folter, Mord und sexuelle Gewalt

5. Zusammenführende Betrachtungen

in ihren Zeichnungen als Herrschaftspraxis begreift und zu sehen gibt. Die Anwendung von Gewalt wird als Machtdemonstration und Repressionstechnik zur Aufrechterhaltung einer Einheit, eines (Herrschafts-)Systems gezeigt, das durch das ornamentale Ordnungsgefüge präsentiert wird. Das Thema Gewalt weiterverfolgend fiel auf, dass Forouhar den beschriebenen Darstellungsmodus von Zeit (Kap. 3.3), der in einer reduzierten Handlungsdarstellung besteht, die den Eindruck einer Still-Legung von Zeit suggeriert, inhaltlich mit den Folterdarstellungen verknüpft. In diesem Modus der Überzeitlichkeit, den die Künstlerin bei der Darstellung von Folter anwendet, konnte in Rückgriff auf anthropologische Untersuchungen zu Folterpraxen (Zirfas) eine weitere Bedeutungsdimension herausgearbeitet werden, da Zeit auch in der Folter einen relevanten Faktor darstellt. Die Folterer bemächtigen sich, wie Jörg Zirfas dargelegt hat, der Zeit der Gefolterten und diese gerinnt zu einer endlosen Gegenwart für die Opfer, während die Folterer ihre Macht demonstrieren, die sich in einer angestrebten Überzeitlichkeit, sprich Unendlichkeit inszeniert. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich in Forouhars Darstellungen nicht nur der Modus der Still-Legung von Zeit und die Darstellung von Folter treffen, sondern diese auch in einem ornamentalen Arrangement präsentiert werden. Das Ornament dient in ihren digitalen Zeichnungen nicht nur, und nicht immer, dazu, eine geografisch-kulturelle Verortung zu etablieren. Die Künstlerin untersucht das Ornament, um gewisse Eigenschaften freizulegen und sichtbar zu machen, die vor allem mit dem Ordnungsprinzip zu tun haben, die ihm eigen sind. Durch das Herausarbeiten der Zusammenhänge zwischen Ordnung, Macht und Ornament wurde zu zeigen versucht, dass Forouhar in ihren Serien digitaler Zeichnungen eine künstlerische Strategie entwickelt, die sich als Befragung des Ordnungsprinzips, des Ornaments und Aspekten der Macht und Folter beschreiben lässt. Ihre Analyse besteht dabei in einer Suche und dem Aufweis von visuellen und inhaltlichen Zusammenhängen. Das stringente Moment der künstlerischen Praxis Forouhars wird darin gesehen, dass die Befragung von Ordnung, Macht und Gewalt durch das Ordnungsprinzip des Ornaments realisiert wird, das auch in Machtsystemen und Gewaltmaschinerien wirksam ist, wie in der vorliegenden Studie herausgearbeitet wurde. Die abstrahierte Darstellung von Gewalt lässt sich dabei als Strategie zur Vermeidung einer Schockwirkung sowie als eine Abwehrhaltung verstehen, damit ein Denk-Raum für Zusammenhänge und Aspekte, die sich im Ornamentalen treffen, eröffnet werden kann.

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Das Ornament als Denkfigur

5.1

Vorschläge zu einem neuen Ornamentbegriff

Vor dem Hintergrund aktueller Kunstpraxen im Umgang mit dem Ornamentalen wurde nach einer neuen Charakterisierung für das Ornament gesucht, da klassisch gewordene Ornamentverständnisse zum einen die Künste anderer Kulturen nicht im Blick haben (s. Kap. 2) und zum anderen von einer hierarchischen Scheidung der Kunstgattungen ausgehen, die für die Gegenwartskunst nicht mehr in Anschlag gebracht werden kann. Natürlich bräuchte es für die Entwicklung eines neuen Ornamentbegriffs Analysen vieler weiterer künstlerischer Strategien, doch können erste grundlegende Aspekte, die in dieser Studie erarbeitet wurden, wie folgt zu einem neuen Ornamentbegriff beitragen. Offensichtlich wurde, dass jeder Versuch einer verallgemeinernden inhaltlichen Fixierung des Ornaments scheitern muss, da es in der künstlerischen Praxis verschiedentlich eingesetzt und konnotiert wird. Daher wurde nach anderen Zugriffsebenen auf das Ornament in der künstlerischen Praxis gesucht. Das Ordnungsprinzip des Ornaments ist diejenige Eigenschaft, mit der sich gegenwärtige künstlerische Positionen bevorzugt auseinandersetzen. Mit Werken Forouhars und Qureshis wurde gezeigt, dass das Ornament zu einer Sinn generierenden Struktur wird, indem die Anordnung der einzelnen Formen, sozusagen die Infrastruktur des Ornaments sichtbar gemacht und somit thematisiert wird. Das ordnende Prinzip kann verschiedentliche inhaltliche Aufladungen erfahren. So kann es, wie bei Forouhar, als Machtanordnung und repressives System vorgestellt werden, was gesellschaftspolitische Anspielungen und Kritik ermöglicht. Auch Adriana Czernin weist die Enge und die unterdrückenden Kräfte der ornamentalen Ordnung in ihren Bildfindungen aus. Die ordnungsstiftende Eigenschaft des Ornaments kann aber auch positiv konnotiert werden, wie Imran Qureshis Arbeiten dies belegen. Seine Ordnungen fungieren als Gegenpol zu einem furchterregenden Chaos und können als Ermächtigungshandlung verstanden werden. Eine andere Beschäftigung mit dem Ordnungsprinzip des Ornaments zeigen Marcel Dzamas Zeichnungen, der, wie auch Forouhar, das Repetitive des Ordnungsprinzips auf eine Weise betont, die eine Atmosphäre des Maschinenhaften und Unausweichlichen entstehen lässt. Mit meiner Studie schlage ich das Ordnungsprinzip als geeigneten Ausgangspunkt und Vergleichsparameter für die Thematisierung des Ornaments in der Gegenwartskunst vor. Die Stärke dieses Ansatzes liegt

5. Zusammenführende Betrachtungen

darin, dass sich jede das Ornament verwendende Bildpraxis, wenn auch nur rein formal, mit den ordnenden Eigenschaften auseinanderzusetzen hat, indem die Bildfläche durch das Ornament organisiert wird. Die aktuelle künstlerische Beschäftigung mit dem Ornament besteht vor allem in einer Auseinandersetzung mit den Prinzipien und Eigenschaften des Ornamentalen, was auch in der Namensgebung der neuen Begrifflichkeit berücksichtigt werden sollte. Das Ornament der Gegenwartskunst ist in seinen Eigenschaften als »ornamentales Prinzip« adäquat charakterisiert. Durch einen genauen Blick auf das historische Ornament (Necipoglu), im konkreten Fall auf die Ornamente islamisch geprägter Künste im späten 15./frühen 16. Jh., wird ein neues Verständnis für das Ornamentale ganz allgemein – also auch in gegenwärtigen Kontexten – eröffnet. Die Charakterisierung, die Gülru Necipoglu für das historische Ornament in ihrer Studie vornimmt, wird mit der vorliegenden Studie als Grundlage zu einem neuen Ornamentbegriff vorgeschlagen. Mit Necipoglu lässt sich das Ornament ganz allgemein als kontextuelles Zeichensystem beschreiben, das keiner fixen Bedeutungszuweisung unterliegt. Damit wird ausgesagt, dass das Ornament seine Bedeutungsdimensionen durch die jeweiligen Kontexte, in die es eingebettet ist, erhält. Diese Charakterisierung markiert am Ornament eine Flexibilität und Vielschichtigkeit an (Be-)Deutungshorizonten, wie sie in der künstlerischen Praxis offensichtlich zutage tritt. Dabei wird es nicht als beliebig ausgewiesen, da das Ornament in seinen jeweiligen Kontexten zu befragen ist, um die Sinngefüge, in die es eingebettet ist, zu beleuchten. So weist auch Necipoglu darauf hin, die jeweiligen geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Rahmenbedingungen zu untersuchen, um die jeweiligen künstlerischen Praxen zu verstehen. Besonders für aktuelle künstlerische Positionen erscheint es aussichtsreich, eine so gelagerte Untersuchung mit dem Fokus auf die Eigenschaften und Prinzipien des Ornamentalen voranzutreiben. Speziell kann so die dem Ornament inhärente Ordnungsfunktion untersucht werden, denn, wie gezeigt wurde, hat das Soziale und das Politische immer auch mit der Herstellung von Ordnung zu tun. KünstlerInnen bietet sich das Ordnungsprinzip des Ornaments daher in besonderem Maße an, um gesellschaftliche, politische und machtkritische Themen zu reflektieren und zu kritisieren. Mit dieser Studie liegen erste Ergebnisse der eben benannten Vorgehensweise vor, die neue Aspekte hinsichtlich des ornamentalen Prinzips aufschließen konnten. Es wurde eine methodische Vorgehensweise für die Untersuchung des ornamentalen Prinzips in gegenwärtigen Kunstpraxen erprobt, die

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insbesondere die am Kunstmarkt nach wie vor viel beachtete Kunst des Nahen und Mittleren Ostens inklusive Diaspora beleuchten kann, sich aber auch für die Untersuchung anderer kultureller Kontexte anbietet, und somit zu einer Kunstwissenschaft beitragen kann, die weniger auf kulturell-geografischen Grenzziehungen beruht, sondern auf zeitgemäße Analysemöglichkeiten für gegenwärtiges Kunstschaffen setzt.

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Das Ornament als Denkfigur

2010%26to_month%3D12%26to_year%3D2017%26submit_x%3D46%26su bmit_y%3D3%26result_limit%3D10%26form_id%3Dai_core_search_form [03.08.2020] Amnesty International, Jahresbericht Iran 2019, https://www.amnesty.de/jah resbericht/2019/iran [Stand: 03.08.2020] Amnesty International, USA: Guantanamo. A Decade of Damage to Human Rights and 10 Anti-human Rights Messages Guantánamo still sends, Amnesty International Report AMR 51/103/2011, https://www.amnesty.or g/en/documents/AMR51/103/2011/en/[Stand: 03.08.2020] Bait al Serkal, in: Universes in Universe. Welten der Kunst, https://un iverses.art/en/art-destinations/sharjah/art-spaces/bait-al-serkal [Stand: 03.08.2020] Bloch, Werner, Blasphemie im Iran. Die Mullahs und der Zorn Gottes auf der Website von Deutschlandradio: https://www.deutschlandfunk.de/blasph emie-im-iran-die-mullahs-und-der-zorn-gottes.886.de.html?dram:artic le_id=407980 [Stand: 03.08.2020] Forouhar, Parastou, Interview mit Bamdad Esmaili, 01.12.2011, in: Iran Journal, Online-Magazin, http://iranjournal.org/politik/gedenken-in-einemverbarrikadierten-haus [Stand: 03.08.2020] Forouhar, Parastou, Interview mit Jochanan Shelliem für das deutsche Exilarchiv, 19.07.2013, Offenbach, http://d-nb.info/1059549395 [Stand: 03.08.2020]. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:101:1-20141016257 72 Forouhar, Parastou, Mit Schleier, ohne Schleier, Vortrag anl. des Symposiums »Fundamentalismus und Kunst«, Düsseldorf 17. März 2002, veröffentlicht auf der Website der Künstlerin, https://www.parastou-forouhar.de/veile d-unveiled-parastou-forouhar-2004/[Stand: 03.08.2020] Forouhar, Parastou, Website, http://parastou-forouhar.de [Stand: 03.08.2020] Galerie Thaddaeus Ropac, Biografie Imran Qureshi, Website der Galerie, htt p://ropac.net/artist/imran-qureshi [Stand: 02.09.2020] Gignoux, Philippe, Microcosm and Macrocosm, in: Encyclopaedia Iranica, online edition, 2015 (publ. 2004), www.iranicaonline.org/articles/microcos m-and-macrocosm [Stand: 03.08.2020] Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Steinigungen, Website der IGFM, https://www.igfm.de/steinigung/[Stand: 03.08.2020] Iranian killers spared death penalty, in: BBC News online 29 Jan, 2003, http:/ /news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/2704023.stm [Stand: 03.08.2020]

6. Literaturverzeichnis

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7. Anhang

7.1

Kurzbiografie Parastou Forouhar1

Parastou Forouhar wurde 1962 in Teheran, Iran geboren. Von 1984-90 studierte sie Kunst an der Universität in Teheran. Sie gehörte damit zu den ersten StudentInnen nach der Islamischen Revolution. 1991 verließ sie ihr Heimatland für ein Aufbaustudium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main (1992-1994) und lebt seitdem in Deutschland. Mit einem konsequenten künstlerischen Konzept im Bereich der digitalen Zeichnungen, Installationen, Foto- und Videoarbeiten sowie den mit Schrift gestalteten Räumen kann Forouhar zu den wichtigen und kritischen Positionen der Gegenwartskunst gezählt werden. Im Rahmen eines Fellowships des Gutenberg Forschungskollegs der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nimmt die Künstlerin seit dem Sommersemester 2019 eine fünfjährige Professur an der Kunsthochschule Mainz wahr. Die Künstlerin lässt auch durch ihr politisches Engagement gegen alle Formen der Gewalt und Unterdrückung aufhorchen, das in enger Beziehung zu ihrer Familiengeschichte steht: Forouhars Eltern, Parwaneh und Dariush Forouhar, beide oppositionelle Politiker im Iran, wurden 1998 ermordet. Die Aufklärung dieser politisch motivierten Morde wurde von internationalen Menschenrechtsorganisationen als Farce bezeichnet, da die Aufklärung vertuscht und die eigentlichen Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Forouhars kontinuierliche Kritik am iranischen Regime wurde stets mit Schikanen beantwortet und führte 2018 zu einer sechsjährigen Haftstrafe auf Bewährung wegen Propaganda und Blasphemie. 1

Die Grunddaten der Kurzbiografie wurden aus einer zusammenfassenden Auswahl an Informationen der Website der Künstlerin: www.parastou-forouhar.de [Stand: 03.08.2020], mit aktuellen Informationen ergänzt und durch Erkenntnisse der vorgelegten Studie erweitert.

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Das Ornament als Denkfigur

Es verwundert nicht, dass Forouhars künstlerische Praxis ebenfalls vom Denken des Politischen durchdrungen ist. Die Künstlerin wird nicht müde, speziell mit ihren digitalen Zeichnungen, auf Machtmissbrauch, Folter und Repression aufmerksam zu machen. Das Ornament wird in Forouhars digitalen Zeichnungen als repressives Ordnungssystem ausgewiesen, das alle Bildelemente unter seinen Willen zwingt. Die Künstlerin analysiert und visualisiert in ihren Darstellungen Aspekte von Ordnung, Macht und Gewalt, die sowohl in der Ordnungsfunktion des Ornaments als auch in repressiven Herrschaftssystemen und Praktiken der Gewaltanwendung wirksam sind. So wird eine Möglichkeit zum strategischen Einsatz des Ornaments eröffnet, der gesellschaftliche und politische Missstände zu kritisieren und auf aktuelle Problemlagen zu verweisen vermag. Auszeichnungen/Stipendien 2017: Artist Residency, Chretzentrum, Stein am Rhein. 2015: Artist Residency, Brodsky Center der Rudgers University New Jersey. 2012: Sophie von La Roche-Preis der Stadt Offenbach. 2007: Kulturaustausch-Stipendium des Landes Berlin in Istanbul. 2006: Stipendium der Villa Massimo in Rom. 2005: Atelierstipendium Gertrude Zentrum für Zeitgenössische Kunst in Melbourne. 2004: Stipendium des Künstlerhaus Balmoral. 2001: Reisestipendium der Hessischen Kulturstiftung, Arbeitsstipendium der Kunstfonds-Stifung. Einzelausstellungen (Auswahl) 2020: Parastou Forouhar, Kunstverein Ettlingen Parastou Forouhar, Katholische Privat-Universität Linz 2019: Deadlines, Stadtgalerie Saarbrücken Written Room, Werkbund, Frankfurt 2018: Im Zeichen des Ornaments, Kunsthalle Göppingen Vor aller Augen, Epiphaniaskirche, Frankfurt Written Room, Apotheke: Ausstellungsraum der Kunsthochschule Mainz 2017: Written Room, Museum of Fine Arts, Gent, Contested Memories, Anne Frank Center, Frankfurt, Written Room, Pi Artworks, Istanbul 2016: Written Room, Pi Artworks, London

7. Anhang

2015: New Works, Galerie Karin Sachs, München; Reimaging the Illusion, Pi Artworks, London 2014: Kiss Me, Rose Issa projects, London, Body Letter, El Greco 2014 Festival, Toledo 2013: Ornament and Crime, Law Warschaw Gallery, Macalester College, Minnesota 2011: Written room, Fondazione merz, Turin 2010: Parastou Forouhar, RH Gallery, New York, Parastou Forouhar, Leighton House Museum, London, He Kills Me, He Kills Me Not, Verso Artecontemporanea, Turin 2009: I Surrender, Azad Gallery, Teheran 2007: Just a Minute, Fondazione Pasteficio Cerere, Rom 2005: Parastou Forouhar, Deutscher Dom, Berlin 2003: Tausendundein Tag, Nationalgalerie Hamburger Bahnhof, Berlin 2002: Blindspot, Golestan Art Gallery, Teheran (wurde verboten) 2001: Blind Spot, Stavangar Cultural Centre, Stavangar, Norwegen Gruppenausstellungen (Auswahl) 2020: Körper, Blicke, Macht, Kunsthalle Baden Baden 2019: 100 Jahre Frauenwahlrecht, Deutscher Bundestag, Berlin 2018: Bild Macht Religion, Kunstmuseum Bochum, Language is the only Homeland, Nest, Den Haag; Waste Lands, Casa Arabe, Madrid; 4. Mardin Bienali, Mardin 2017: The Art of Joy, MANIF D’ART/8: The Quebec City Biennale; Rebel, Jester, Mystic, Poet: Contemporary Persians, Aga Khan Museum, Toronto 2016: Grün stört, Im Fokus einer Farbe, Marta Herford Museum, Herford 2014: Recalling The Future, Brunei Gallery at SOAS, London; The Art of Life, Uppsala Kunstmuseum 2013: The Fold, CAB Contemporary Art, Brussels; 5th Moscow Biennale 2012: The Elephant in the Dark, Devi Foundation, Dheli; Fertile Crescent, Princeton University Art Museum, New Jersey 2011: ZENDEGI, Beirut Exhibition Center; Medi(t)ation – 2011, Asian Art Biennial 2010: Nagsh and Raghsh, Museum für Islamische Kunst, Sharjah; 21st Century, Queensland Art Gallery, Gallery of Modern Art, Brisbane, Australia

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Das Ornament als Denkfigur

2009: TASWIR, Martin Gropius Bau, Berlin; Incheon Womens Artist’s Biennale Incheon, Südkorea 2007: Global Feminisms, Brooklyn Museum, New York; Mahrem Santral, Istanbul 2005: Intersections, Jüdische Museen in Melbourne und San Francisco 2004: Entfernte Nähe, Haus der Kulturen der Welt, Berlin 2003: M_ARS – Kunst und Krieg, Neue Galerie Graz 2001: 2. Berlin Biennale, Berlin

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Kurzbiografie Imran Qureshi2

Imran Qureshi wurde 1972 in Hyderabad, Pakistan geboren. Sein Kunststudium mit Spezialisierung auf Miniaturmalerei schloss er 1993 am National College of Arts in Lahore ab. Qureshi lebt und arbeitet in Lahore. Auszeichnungen 2019: Asia Society Hong Kong, Asia Arts Game Changer Awards, 2019 2017: U.S. Department of State International Medal of Arts, 2017 2016: U.S. Department of State International Medal of Arts Award 2016 ArtNow Lifetime Achievement Award 2016, Pakistan 2013: Deutsche Bank »Artist of the Year 2013« 2011: Erster Preis der Sharjah Biennial 10 (VAE) für die ortsspezifische Installation Blessings upon the Land of my Love Einzelausstellungen (Auswahl) 2020: Out Of Blue, Khatoon-i-Pakistan Government Girls School, Pakistan 2019: The seeming endless Path of Memory, Galerie Thaddaeus Ropac, Pantin, France 2018: By the People, Washington National Cathedral, Washington, D.C., USA 2017: And That Is How We Loved This Too – This Land, Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg, Austria; Two Wings To Fly, Not One, Pakistan National Council of the Arts, Islamabad

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Zusammenfassende Auswahl aus einer von der Galerie Thaddaeus Ropac zusammengestellten Biografie, http://ropac.net/artist/imran-qureshi [Stand: 21.11.2017].

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2016: Newlyn Art Gallery, Newlyn; The Exchange, Penzance and Truro, Cornwall; Where the Shadows are So Deep, Barbican, London; Idea of Landscape, Kunsten Museum of Modern Art, Aalborg, Denmark 2015: Idea of Landscape, Galerie Thaddaeus Ropac, Paris, France 2014: Imran Qureshi: The God of Small Things, Eli and Edyth Broad Art Museum, Michigan State University, East Lansing, USA; Midnight Garden, Gandhara Art, Pao Galleries, Hong Kong; All Time Would be Perpetual Spring, Art on the Underground commission, Transport for London, London, UK 2013: The Roof Garden Commission: Imran Qureshi’s Miniature Paintings, The Metropolitan Museum of Art, New York, USA; Artist of the Year, Deutsche Bank Kunsthalle, Berlin, Germany; Museo d’Arte Contemporanea Roma (MACRO),Rome, Italy; Salsali Private Museum, Dubai, United Arab Emirates Gruppenausstellungen (Auswahl) 2020: Miniature 2.0 – Miniature in Contemporary Art, Pera Museum Istanbul, Turkey 2019: Imran Qureshi and Tomoaki Suzuki, Corvi-Mora, London, UK Vergessene Aufklärungen, HALLE 14, Leipzig, Germany 2018: Lahore Biennale 01, Lahore, Pakistan; International Exhibition of Contempary Art, Yerevan, Armenia; Abu Dhabi Art 2018 Beyond, Al Jahili Fort, Al Ain, United Arab Emirates; Lahore Biennale 01, Lahore, Pakistan 2017: Two Wings To Fly. Not One, Pakistan National Council of the Arts, National Art Gallery, Islamabad, Pakistan 2016: Other States, Other Lives, Other Souls, Corvi-Mora, London (with Aisha Khalid); This Night-Bitten- Dawn, Devi Art Foundation in collaboration with the Gurjal Foundation, New Dehli, India 2015: The Great Game, Iranian Pavilion, 56th Venice Biennial, Venice, Italy; Imran Qureshi & Aisha Khalid, Nature Morte, New Delhi, India 2014: Eurasia. A view on painting, Galerie Thaddaeus Ropac, Pantin, France; Garden of Ideas: Contemporary Art from Pakistan, Aga Khan Museum, Toronto, Canada 2013: Extra | ordinary: 37 do-it-yourself art ideas for free, Canvas Gallery, Karachi, Pakistan; The Encyclopedic Palace, 55th Venice Biennale, Venice, Italy; In Cloud Country: Abstracting From Nature –

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Das Ornament als Denkfigur

From John Constable to Rachel Whiteread, Harewood House, Yorkshire, UK 2012: Expanded Drawing, Casal Solleric, Palma, Spain; Sub-Topical Heat: New Art From South Asia, Govett-Brewster Art Gallery, New Plymouth, New Zealand; 18th Biennale of Sydney: All our relations, Cockatoo Island, Sydney, Australia 2011: Signature Art Prize Finalist Exhibition, Singapore Art Museum, Singapore; Sharjah Biennial 10: Plot For A Biennial, Sharjah Art Museum, Sharjah, United Arab Emirates; They Said it Was Love…., Lakeeren Art Gallery, Mumbai, India

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Auszüge aus den Interviews mit Parastou Forouhar aus den Jahren 2013 und 2017

Auszug aus dem Interview mit Parastou Forouhar am 05.09.2013, geführt per Skype, digital aufgezeichnet, mit geringfügigen sprachlichen Anpassungen transkribiert. Zur Technik der digitalen Zeichnung   Susanne Winder (S): Ist Ihre größte Werkgruppe die der digitalen Zeichnungen bzw. die der digitalen Zeichnungen inkl. der daraus resultierenden Arbeiten? Parastou Forouhar (P): Die digitalen Zeichnungen sind der größte Teil meiner künstlerischen Arbeit und das ist auch eine sehr kontinuierliche Arbeitsgruppe für mich. Das bedeutet, bei Fotoarbeiten passiert lange nichts, oder auch bei den aus Stoff gemachten Arbeiten, diese sind punktuell, da mache ich etwas, wenn ich eine Idee dazu habe. Aber die digitalen Zeichnungen sind für mich – so wie die Zeichner das machen – sie sind ein Begleiter in meinem künstlerischen Schaffen; sie bieten mir Kontinuität […]. Aber die unterschiedlichen Serien in dieser Gruppe der digitalen Zeichnung kann ich nicht so voneinander trennen. Es gibt da einen schwebenden Übergang, der sicherlich mit dem Ornament zu tun hat – diese Camouflage, die mir die Möglichkeit gibt, gleichzeitig das Schöne und Sinnliche im Ornament zu behalten, aber auch schwere Inhalte reinzupacken, wie die Auseinandersetzung mit Gewalt, Verletzung, Verzweiflung. Dadurch ist eine Grenzzie-

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hung zwischen den Serien schwierig… sie haben unterschiedliche Äste aber sie kommen von demselben Körper. S: Bereiten Sie Handzeichnungen vor und arbeiten dann erst digital? P: Ich arbeite von Vornherein digital. Es sind Zeichnungen, die mit der Maus gemacht werden, im Programm Freehand. Das ist ein sehr veraltetes Programm, ich hoffe dass es das noch ein paar Jahre gibt, aber es ist das Programm, mit dem ich am liebsten arbeite. Es hat Funktionen, mit denen man Flächen mit selbstgezeichneten Mustern sehr gut füllen kann… Ich skizziere viel, aber das mache ich auch digital und aus diesen Skizzen, so wie Zeichner und Maler arbeiten, entwickelt sich im Prozess des Arbeitens etwas. Was ich sehr schön beim digitalen Zeichnen finde, ist, dass man einen Fundus ansammelt und auch leichten Zugang darauf hat. Auch muss man nichts wiederholen, sondern benutzt einfach die Copy-and-Paste Funktion. S: Das heißt, Sie erstellen so etwas wie ein Archiv, das aus einzelnen digitalen Zeichnungen besteht, die Sie dann zusammensetzen können. P: Ja, vieles entsteht auch so…wie z.B. die Serie Die Zeit der Schmetterlinge. Die einzelnen Schmetterlinge habe ich in einem Archiv und dann werden sie bei einer Tapete neu zusammengesetzt, d.h., ich verwende sie als Ausgangsbasis und passe sie dann an. Ich sammle auch gleichzeitig – erstelle ein Archiv z.B. von Körperhaltungen, Zeichnungen von Körperteilen, oder auch Sitationen/Szenerien – das ist es, was ich archiviere. S: Konzipieren Sie jede digitale Zeichnung für eine bestimmte Ausgabegröße? P: Eigentlich hat jede Zeichnung auch eine Größe. Aber wenn ich denke, dass ich das verdichten oder größer haben möchte, dann verändere ich auch die Zeichnung […] ich skaliere aber nicht, nichts wird einfach so vergrößert und verkleinert. Ich versuche, verschiedene Aspekte von Leere und Dichte zu betonen, um den Camouflage-Effekt zu unterstreichen […]. Am Anfang entsteht die digitale Zeichnung am Bildschirm, man geht nah und fern, um die Zeichnung zu verfeinern. Wie groß das Bild dann gedruckt werden soll, hängt vom Charakter der Zeichnung ab […]. S: Sie haben gesagt, Sie arbeiten mit Freehand und mit der Maus. Verwenden Sie auch ein Zeichenpad? P: Nein. S: Sie machen das alles mit der Maus?

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Das Ornament als Denkfigur

P: Ja. Mit dem Pad ist mir die Ähnlichkeit zum Zeichnen viel zu groß. Ich mache das einfach viel lieber mit der Maus. Was ich auch spannend finde beim Prozess der digitalen Zeichnung ist…bei der Handzeichnung gibt es ja diesen einen Moment, den man erwischen muss, damit alles gelingt. Diesen brauche ich bei der digitalen Zeichnung überhaupt nicht. […] Diesen Höhepunkt kann ich zerstückeln und zusammensetzen und das finde ich sehr schön, irgendwie hat das auch etwas Ironisches für mich. S: …und dann hat es ja auch etwas sehr Reflexives. Sie können sich permanent korrigieren und alles nochmals überdenken… P: Genau. Es ist aber auch eine Art Demythisierung des Künstlertums. Weil dieser eine Moment – das finde ich schon… [lacht]… das ist nicht mein Zugang zu meinem Beruf als Künstlerin. S: Dann ist aber auch meine Beobachtung falsch, dass der Druckauftrag bei den Zeichnungen manchmal variiert? P: Bei zwei, drei Serien, z.B. Composition in Blue, verändert sich die Linienstärke. Freehand hat einen kalligraphischen Stift, da kann man genau angeben, wie breit die breiteste Strichstärke und wie breit der dünnste Teil dieser Linie sein soll. Ich finde die Zeichnung bekommt dann etwas sehr Poetisches, aber ich setzte das nicht überall ein, da es auch überladen wirken kann. […] Ausstellungssituation im Iran S: Wie ist die aktuelle Ausstellungssituation im Iran für Sie im Speziellen und für systemkritische KünstlerInnen im Allgemeinen? Schreibt die iranische Presse über Sie als Künstlerin bzw. auch als Systemkritikerin? Schreibt die Kunstszene über Sie? P: Ja, das ist… kritische Arbeiten sind immer ein Wagnis, aber es gibt viele KünstlerInnen, die kritische Arbeiten machen. Diese Grenze, diese rote Linie versucht man millimeterweise zu überschreiten und es gibt auch politische Situationen, die einem mehr Möglichkeiten bieten; da wird dann auch mehr gewagt… das ist immer so ein Hin und Her mit der Diktatur. Bei meinem speziellen Fall ist es schwieriger, da ich einen gewissen Bekanntheitsgrad als politische Aktivistin habe. Es ist so, dass ich irgendwie mehr beobachtet werde, auch meine künstlerische Arbeit wird beobachtet und leichter verboten, als ein anderer Name… Aber möglich ist es, ich meine, im Rahmen von Gruppenausstellungen, wo meine Arbeit nicht zu sehr

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im Vordergrund steht, kann ich ab und zu eine Beteiligung haben, oder manche Arbeiten, wie gesagt z.B. diese Luftballon-Arbeit, die im Grunde sehr kritisch ist, habe ich auch einmal im Iran gezeigt. Das war im Jahr der großen Protestbewegung und eine Freundin von mir, die eine Galerie betreibt und meine Arbeiten auch dort vertritt, hat vorgeschlagen, dass wir doch dieses Wagnis eingehen sollen. Wir mussten natürlich bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, z.B. dass die Einladungen in einem Kuvert und nicht offen gesendet werden oder die Dauer der Ausstellung setzten wir nur sehr kurz an. Wir verzichteten auch auf Pressemitteilungen, dafür nutzten wir andere Mechanismen über private Verteilerkreise. S: Schreibt die iranische Presse über Sie als Künstlerin? P: Wenn z.B. Studenten zur zeitgenössischen iranischen Kunst recherchieren, geschieht öfter einmal eine Erwähnung oder eine Bearbeitung. Das ist eigentlich das Einzige, aber in der Presse kommt das nicht. S: Schreibt die Presse über Sie als Systemkritikerin? P: Manchmal schon, die Inlandspresse natürlich fast nichts; als es etwas offener war, gab es schon kleinere Meldungen, z.B. dass der Jahrestag meiner Eltern verboten wurde und ich irgendwie protestiert habe – das wird natürlich nicht positiv dargestellt. Wenn es etwas offener ist, gibt es bestimmte neutrale Meldungen, aber beschimpft werde ich auch – gottseidank – noch nicht. S: Sind sie im Iran eher bekannt als politische Aktivistin oder als Künstlerin? P: Die politische Rolle steht dort im Vordergrund. Ich glaube, dass inzwischen aber viele durch Interviews und Nachrichten von außerhalb wissen, dass ich Künstlerin bin. Persische Miniaturmalerei und das Ornament S: Hatten Sie im Iran eine Ausbildung in der traditionellen persischen Miniaturmalerei? P: Nein, die hatte ich nicht. Ich habe an der Kunstakademie in Teheran studiert. Man muss sich das so vorstellen: Die Kunst, die da gelehrt wurde, war so wie an Sowjet-Kunsthochschulen, also eher eine naturalistische, propagandaorientierte Kunst. Das war auf jeden Fall die offizielle Richtung. Wir hatten dann aber auch einen wunderbaren Professor der Kunstgeschichte und seine Auseinandersetzung mit der Miniaturmalerei war eher auf der

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theoretischen Ebene angesiedelt, in einem Analysieren der Bildstrukturen. Techniken habe ich aber nicht gelernt. S: In den digitalen Zeichnungen beziehen Sie sich auf die Miniaturmalereien, ist das richtig? P: Ich suche nicht danach, ich suche nach einem bestimmten poetischen Ausdruck, der auch in der Miniaturmalerei zu finden ist… aber ich suche nach einer Reduziertheit und einer Poesie, die vielleicht eher in der fernöstlichen Zeichnung zu finden ist. […] S: Vielleicht ist es für Sie ja auch mehr ein Denksystem – Sie haben vorher von hierarchischen Strukturen gesprochen, die Sie eventuell auch in der Miniaturmalerei sehen? P: Das geht in Richtung Ornament. … das Ornament […] betreibt Gleichmacherei, hat eine bestimmte Ordnung und diese Ordnung hat etwas Totalitäres, weil sie keine Brüche, keine Individualität zulässt. Alles muss sich diesem übergeordneten schönen System unterordnen. Ansonsten ist es wie bei meinen Zeichnungen aus der Serie Farbe meines Namens: die Menschen sehen wie Laufmaschen aus, sie sind Störungen, weil sie das Ornament einfach mit ihrer Präsenz unterbrechen. […] S: Das ist sehr interessant… ich habe gerade ein Seminar zum Thema persische Buchmalerei besucht und viele Miniaturen angesehen. Dort gibt es auch eine gewisse Gesamtkomposition, die eine Linie oder eine Spirale andeutet und die einzelnen Figuren sind manieriert dargestellt… die Körperteile werden gedreht, um sie diesem Gesamtarrangement der spiralförmigen Komposition unterzuordnen. P: Genau, das ist einfach ein kleines Fenster zu dieser harmonischen Bildwelt – Weltbild. […] Die Harmonie, Ausgewogenheit und Symmetrie, auch die Proportionen… für mich hat das alles etwas Totalitäres, denn es begrenzt die Möglichkeiten des Daseins. Alles, was sich nicht dem System unterordnet, wird einfach wegradiert.            

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Auszug aus dem Interview mit Parastou Forouhar am 21.04.2017, geführt per Skype, digital aufgezeichnet, mit geringfügigen sprachlichen Anpassungen transkribiert. Hintergrundinformationen zur Arbeit Domestic Suicide for all Seasons P: Zum Schicksal dieses Werkes: Es wurde verboten. Das habe ich auch auf meinem Blog auf der Website thematisiert. Ich wollte den Kalender im Iran veröffentlichen. Es war im letzten Winter, als ich wegen diesem zweiten Einbruch in meinem Elternhaus im Iran war. Da das neue persische Jahr bevorstand, dachte ich, ich realisiere diesen Kalender jetzt, den ich schon lange vorhatte, gemeinsam mit meinem Verleger zu veröffentlichen. Der Kalender war als Multiple gedacht, als Kunstwerk, das für kleines Geld für alle zu erwerben ist. Das war von meiner Seite auch eine Positionierung zum Kunstmarkt in Teheran, der derzeit mehr in Richtung einer Bedienung der Schickeria tendiert und ich dachte so ein Multiple wäre da eine gute Sache. Ich wollte den Kalender auch in einer Galerie präsentierten, aber – der Druckprozess lief schon – da haben die Sicherheitskräfte die Druckerei beinahe gestürmt und den Druckprozess gestoppt. Der Verleger wurde zu mehreren Verhörsitzungen vorgeladen und die Galeristin auch. Die Ausstellung wurde abgesagt… also, es existieren schon ein paar Exemplare, aber der Verleger hat versichert, dass diese vernichtet werden. Das ist das Schicksal dieses kleinen Projekts. Es ist angelehnt an ein früheres Projekt des Suizidkalenders. Aber die Arbeit selbst, die ersten Zeichnungen habe ich im Jahre 1997 gemacht. Im Jahr 2000 entstand daraus auch ein Kalender. S: Die Zeichnungen haben Sie dann verändert, d.h., es sind dies neue Zeichnungen? P: Von der Idee her aber auch vom Aufbau und der Komposition gibt es Parallelen zu den alten Arbeiten, aber es sind komplett neue Zeichnungen, detailreicher, reifer… [lacht]… die Jahre sind vergangen. S: Sie wissen, dass der iranische Staat immer ein Auge auf Sie hat, in dieser Arbeit geht es ja um weiblichen Suizid aufgrund der schwierigen Situation im Iran, haben Sie keine Angst, wenn Sie solche Themen direkt ansprechen? P: Im Grunde ist es ein Thema, mit dem sich viele Kulturschaffende im Iran beschäftigen. Es existieren Filme, Dokumentationen, Gedichte, Arbeiten im visuellen Kunstbereich, es gibt auch dokumentarische Fotoarbeiten darüber.

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D.h., das Thema ist jetzt nicht so brisant und – mein Verleger hatte das auch beim Verhör angesprochen, dass das Thema doch kein Tabu-Thema mehr wäre und sogar in unterschiedlichen Zeitungen angesprochen wird… Letztendlich, was ihm gesagt wurde, ist, dass es um die Künstlerin und um diese Kombination gehe, warum es zum Verbot kam… vielleicht hat das Wort Domestic damit zu tun. In Farsi wird dieses Wort oft benutzt im Zusammenhang mit »Unter Hausarrest gestellt sein«. Sie wissen, nach der Grünen Bewegung, wurden drei Personen unter Hausarrest gestellt – die Gegenkandidaten, die man auch als Anführer der Grünen Bewegung angesehen hat. S: Dann ist das Wort und die Arbeit als politisches Statement gedeutet worden… P: Ja genau. Der Begriff Domestic ist irgendwie zu nah an diesem Thema. Jeder hat es offenbar sofort bemerkt, dass es da eine Parallele zu der Hausarrestgeschichte gibt und vielleicht hat das die Brisanz der Sache erhöht. Obwohl – ich habe auch mit dem Verleger und der Galerie darüber gesprochen – die Reaktion war nicht vorhersehbar. Parastou Forouhar über das Schahname, die Tradition und ihre frühen malerischen Arbeiten

S: Sie haben 1990 in Teheran als Kunststudentin an einer Gruppenausstellung teilgenommen. Da ging es um das Schahname [Shahnameh and Iranian Modern Artists, Afrand Art Gallery]. Was waren das für Arbeiten, die Sie ausgestellt haben? P: Ich komme von der Malerei und das war expressive Malerei, Öl auf Leinwand. Die Arbeit, die ich dort ausgestellt habe, zeigt eine Szene aus dem Schahname, bei der Rostam, der große Held des Epos, unwissentlich seinen eigenen Sohn ermordet. In dieser Szene sehe ich ein Moment, in dem die Tradition, das Beständige, die alte Generation die neue opfert, ohne dass es ihr bewusst ist. Für mich stellt das eine sehr tragische Situation dar, die Parallelen in der iranischen Gesellschaft hat – eine Situation, in der das alte patriarchale System alles Neue zerstört. Das ist es, was ich in dieser Ausstellung thematisiert habe. Man sah auf dem Bild den schwarzen Rücken Rostams und unter seinen Füßen den hellen zerstörten Körper seines Sohnes. Im Rahmen meines Studiums gab es Auseinandersetzungen, wie man mit der Tradition umgehen kann, welche Rolle die Tradition hat und wie man sich als zeitge-

7. Anhang

nössischer Künstler dazu positioniert. Dieser literarische Stoff gab mir die Möglichkeit zu dieser Auseinandersetzung. S: Diese Arbeit hat mit ihren späteren ornamentalen Gefügen aber nichts zu tun, oder? P: Nein. Ich habe diese Malerei, die sehr expressive Züge hatte – es war eine sehr schnelle Malerei – im Iran praktiziert. […] Dann kam ich nach Deutschland und – das war ein Kulturschock – irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich diese Malerei im Stich lässt… und dann, nach einer Weile des Stillstandes, habe ich angefangen wieder zu malen und es wurde sehr expressiv und collageartig mit Stoffen, die ich auch jetzt für meine Installationen verwende. […] Es war so eine Art Urschrei-Malerei. Irgendwie konnte ich dann überhaupt nicht mehr malen und meine Arbeitsweise hat sich durch den Zugang zum Computer und die Distanzierung, die er mir geboten hat, komplett geändert. Ich habe mich von der Malerei komplett distanziert – ich vermisse sie, muss ich sagen, weil ich den Akt des Malens sehr genossen habe – aber irgendwie habe ich mich im Laufe der Jahre davon entfremdet. S: D.h. auch, Sie möchten auch keine dieser Arbeiten zeigen? P: Im Moment nicht. Als ich meine Website erneuern wollte, habe ich darüber nachgedacht, aber ich sehe mich darin nicht mehr. Vielleicht finde ich zu einem späteren Zeitpunkt einen anderen Bezug dazu. Die einzige Arbeit, die mich seit 1994/95 begleitet hat, sind die Written Rooms, die ich aus dem Kalligraphischen entwickelt habe, zu diesen Arbeiten habe ich nach wie vor einen Bezug. […] 1998 ist dann erstmals ein kompletter Raum mit Schriftarbeit entstanden. Einschätzung der derzeitigen Situation für die Kunstszene im Iran S: Wie schätzen Sie die derzeitige Situation für die Kunstszene im Iran ein? P: Das ist sehr kontrovers. Einerseits ist es so, dass viele kleine Freiräume für die Kunst entstanden sind. Die Autorität des Regimes im Sinne einer ideologischen Autorität lässt sich als total zerfressene beschreiben. Das Regime hat ein Korruptionsimage bekommen und auch der Widerstand in der Gesellschaft und in der Kunstszene ist gewachsen. Es wurde keine Front gebildet, sondern viele kleine Freiräume geschaffen, die das ganze System zerfressen. Das ist das Positive, aber es gibt auf der anderen Seite auch so eine Art Lethargie oder Frustration, weil man immer wieder an denselben Sachen

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scheitert, an dieselben Grenzen stößt. Diese Gleichzeitigkeit, etwas bewegen zu wollen und dann doch wieder zu scheitern, ist sehr schwer auszuhalten. Momentan ist auch viel Geld im Umlauf, das im Grunde kein sauberes Geld ist und auch in die Kunst einfließt. Dies bietet Möglichkeiten, bedeutet aber auch gleichzeitig Korruption. Korruption ist zurzeit ein großes Thema dort. S: Und Sie könnten jetzt nicht ausstellen? P: Nein. Im Moment ist es wirklich total schwierig, denn eine Künstlerin, die unter dem Vorwurf der Blasphemie steht, ist im Grunde einfach nicht zeigbar.

8. Bildteil inkl. Abbildungsnachweis

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Abb. 1: Parastou Forouhar, Rot ist mein Name, Grün ist mein Name – Karree/Red is my Name, Green is my Name – Quad, 2008, 4-teilige Serie digitaler Zeichnungen aus der Werkgruppe Farbe meines Namens, Digitaldruck auf Alu-Dibond, jeweils 80 x 80 cm, © Parastou Forouhar

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Abb. 1a: Parastou Forouhar, Rot ist mein Name, Grün ist mein Name – Karree/Red is my Name, Green is my Name – Quad, 2008, digitale Zeichnung aus der 4-teiligen Serie der Werkgruppe Farbe meines Namens, Digitaldruck auf Alu-Dibond, 80 x 80 cm, © Parastou Forouhar

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Abb. 2: Parastou Forouhar, Rot ist mein Name, Grün ist mein Name I/Red is my Name, Green is my Name I, 2007, 8-teilige Serie digitaler Zeichnungen aus der Werkgruppe Farbe meines Namens, Digitaldruck auf Photo Rag, jeweils 40 x 40 cm, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht »Im Vorbeigehen II/18: Parastou Forouhar«, Katholische PrivatUniversität Linz (A), Sommersemester 2020 (verlängert bis 30.01.2021), Foto: Susanne Winder

Abb. 3:Parastou Forouhar, Rot ist mein Name, Grün ist mein Name III,/Red is my Name, Green is my Name III, 2016, 4-teilige Serie digitaler Zeichnungen aus der Werkgruppe Farbe meines Namens, Digitaldruck auf Photo Rag, je 80 x 80 cm, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht »Im Vorbeigehen II/18: Parastou Forouhar«, Katholische Privat-Universität Linz (A), Sommersemester 2020 (verlängert bis 30.01.2021), Foto: Susanne Winder

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Abb. 3a: Parastou Forouhar, Rot ist mein Name, Grün ist mein Name III/Red is my Name, Green is my Name III, 2016, digitale Zeichnung aus der 4-teiligen Serie (s. Abb. 3), © Parastou Forouhar

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Abb. 4 und 4a: Parastou Forouhar, Taghvim/Domestic Suicide for all Seasons. A Calendar, 2016, Kalender mit 12 digitalen Zeichnungen, Digitaldruck auf Papier, 35 x 23,2 cm, Kalenderblatt März und Mai, © Parastou Forouhar

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Abb. 5: Parastou Forouhar, Ich ergebe mich/I surrender, Rauminstallationen mit bedruckten Folienballons, seit 2006, digitale Zeichnungen der Werkgruppe Tausendundein Tag/ Thousand and One Days, Druck auf Folienballons, Helium, schwarze Schnüre, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht der Präsentation der StipendiatInnen der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo im Martin-Gropius-Bau, Berlin (D), im Rahmen der Berliner Festspiele 2007, Foto: Deutsche Akademie Rom Villa Massimo, Courtesy: Parastou Forouhar

Abb. 5a: Parastou Forouhar, Ich ergebe mich/I surrender (s. Abb. 5), Detail, Ausstellungsansicht »Im Vorbeigehen II/18: Parastou Forouhar«, Katholische Privat-Universität Linz (A), Sommersemester 2020 (verlängert bis 30.01.2021), Foto: Susanne Winder

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Abb. 5b: Parastou Forouhar, Ich ergebe mich/I surrender (s. Abb. 5), Ausstellungsansicht »Parastou Forouhar: I surrender«, Azad Galerie, Teheran (Iran), 27.11.-02.12.2009, Foto: Azad Galerie, Teheran, Courtesy: Parastou Forouhar

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Abb. 6: Parastou Forouhar, Tapete I/Wallpaper I, seit 2003, aus der Werkgruppe Tausendundein Tag/Thousand and One Days, Digitale Zeichnungen, Digitaldruck auf Blueback Papier, Kleister, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht: »WerkRaum. 14: Parastou Forouhar«, Nationalgalerie Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin (D), 10.05.-29.06.2003, Foto: Universes in Universe – Welten der Kunst, Courtesy: Parastou Forouhar

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Abb. 6a: Parastou Forouhar, Tapete I/Wallpaper I, seit 2003, aus der Werkgruppe Tausendundein Tag/Thousand and One Days, Digitale Zeichnungen für den Ausdruck auf Blueback Papier © Parastou Forouhar, Ausschnitt entnommen aus: AK Tausendundein Tag. WerkRaum.14: Parastou Forouhar (Hamburger Bahnhof Museum für Gegenwart, Berlin, 10.05.-29.06.2003), hg. v. Staatliche Museen zu Berlin, Köln 2003, Umschlagseite rückwärts n.p., Courtesy: Parastou Forouhar

Abb. 6b: Parastou Forouhar, Detail aus Abb. 6a, © Parastou Forouhar, Ausschnitt entnommen aus: AK Tausendundein Tag. WerkRaum.14: Parastou Forouhar (Hamburger Bahnhof Museum für Gegenwart, Berlin, 10.05.-29.06.2003), hg.  v. Staatliche Museen zu Berlin, Köln 2003, Umschlagseite rückwärts n.p., Courtesy: Parastou Forouhar

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Abb. 7: Guruy richtet Siyavash hin, verm. spätes 18. Jh., Miniatur aus einer persischen Schahname-Handschrif t von 1674, mit 119 Miniaturen verm. aus dem späten 18. Jh., 34,5 x 22 cm (fol. 121, 1, Islamic Manuscripts, Garrett no. 58G), Manuscripts Division, Department of Rare Books and Special Collections, Princeton University Library, New Jersey, Picture-Credit: Princeton University Library

Bildteil Abb. 8: Der erste Zweikampf der Recken: Fariburz gegen Kalbad, Folio aus der SchahnameHandschrif t (Das Buch der Könige) des Schah Tahmasp, Tabriz, Iran, ca. 1540, 47,2 x 32 cm, Malerei, Tinte, Gold auf Papier, © The Aga Khan Museum, Toronto, AKM497

Abb. 9: Afrasiyab tötet Nawzar, verm. spätes 18. Jh., Miniatur aus einer persischen SchahnameHandschrif t, Samarkand um 1600, mit 37 Miniaturen verm. aus dem späten 18. Jh., 34 x 22 cm (fol. 54, 2, Islamic Manuscripts, Garrett no. 59G), Manuscripts Division, Department of Rare Books and Special Collections, Princeton University Library, New Jersey, Picture Credit: Princeton University Library

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Abb. 10: Parastou Forouhar, Tapete II/Wallpaper II (Schwarzweiß/Black&White), seit 2013, aus der Werkgruppe Tausendundein Tag/Thousand and One Days, Digitale Zeichnungen, Digitaldruck auf Blueback Papier, Kleister, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht: »Das Muster, das verbindet«, Kunsthalle Lingen (D), 02.11.2013-12.01.2014, Foto: Parastou Forouhar

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Abb. 10a: Parastou Forouhar, Tapete II/Wallpaper II (Schwarzweiß/Black&White) (s. Abb. 10), Detail, © Parastou Forouhar

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Abb. 11: Parastou Forouhar, Spielmannszüge/Marching Bands, 2005, Installation aus der Werkgruppe Tausendundein Tag/Thousand and One Days, Computeranimation auf Basis digitaler Zeichnungen, Projektor, Holz, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht »Parastou im Deutschen Dom Berlin« Deutscher Dom, Berlin (D), 08.03.-29.04.2005, Foto: Deutscher Dom, Berlin, Courtesy: Parastou Forouhar

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Abb. 12: Parastou Forouhar, Revolver, 2010, digitale Zeichnung der 2-teiligen Arbeit aus der Werkgruppe He kills me, He kills me not, Digitaldruck auf Photo Rag, jeweils 20 x 30 cm, © Parastou Forouhar

Abb. 12a: Parastou Forouhar, Revolver, 2010, 2-teilige Arbeit digitaler Zeichnungen aus der Werkgruppe He kills me, He kills me not, Digitaldruck auf Photo Rag, jeweils 20 x 30 cm, © Parastou Forouhar

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Abb. 13: Parastou Forouhar, Composition in Blue, Granate, 2010, digitale Zeichnung aus der Werkgruppe He kills me, He kills me not, Digitaldruck auf Photo Rag, 100 x 100 cm, © Parastou Forouhar

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Abb. 13a: Parastou Forouhar, Composition in Blue, Granate, 2010, Detail aus Abb. 13, © Parastou Forouhar

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Abb. 14: Parastou Forouhar, Fotografie aus der Serie Blind Spot, 2001, Digitaldruck auf AluDibond, 150 x 110 cm, © Parastou Forouhar

Abb. 15 und 16: Achim Menges in Zusammenarbeit mit Stef fen Reichert, HygroScope – Meteorosensitive Morphology, 2012, Installation/architektoni-sches System, Centre Pompidou, Paris, © ICD University of Stuttgart. Folgende Kurzbeschreibung des Projektes wurde zur Verfügung gestellt vom ICD, Institute for Computational Design and Construction der Universität Stuttgart: »Die Installation […] erschließt den Zugang zu einer neuartigen Verschränkung der Funktion eines sich selbst regulierenden, wetterfühligen architektonischen Systems und dessen ästhetischer Erfahrung. Entstanden an der Schnittstelle von Kunst, Architektur, Ingenieurswissenschaf ten und Biomimetik besteht die Installation aus einem überraschend einfachen System: Beruhend auf der Wirkungsweise biologischer Systeme reagiert die Installation auf Klimaveränderungen in der sie umgebenden, raumgroßen Vitrine durch selbsttätige Formveränderungen des Materials. Die hygroskopischen Eigenschaf ten von Holz […] werden dabei auf neuartige Weise als dem Material-innewohnender Sensor und Motor genutzt, der die Struktur in Abhängigkeit von der sie umgebenden Luf tfeuchte automatisch öf fnet und schließt. Diese Bewegungen und Anpassungen an sich verändernde Umweltbedingungen kommen ohne jegliche Mechanik, Elektronik oder zusätzlicher Energie aus. Das Material selbst ist die Maschine.«

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Abb. 17: Muqarnas am Eingangsportal zur Königsmoschee, Isfahan (Iran), 1611-38, erb. unter Shah Abbas I., Foto: © Bernhard Eichenberger

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Abb. 18: Adriana Czernin, OT, 2005, Farbstif t, Bleistif t auf Papier, 100 x 157 cm, Sammlung Österreichische Nationalbank, Wien, © Adriana Czernin, Foto: Grafisches Atelier Neumann, Courtesy: Galerie Martin Janda, Wien

Abb. 19: Adriana Czernin, OT, 2006, Farbstif t, Bleistif t auf Papier, 100 x 157 cm, © Adriana Czernin, Foto: Courtesy: Galerie Martin Janda, Wien

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Abb. 20: Parastou Forouhar, Trauerfeier/Funeral, seit 2003, Installation, Bürostühle, AshuraStof f, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht: »WerkRaum. 14: Parastou Forouhar«, Nationalgalerie Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin (D), 10.05.-29.06.2003, Foto: Universes in Universe – Welten der Kunst, Courtesy: Parastou Forouhar

Abb. 21: Parastou Forouhar, Schrif traum/Written Room, seit 1995, Acryl auf Wand und Boden, © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht »7th Asia Pacific Triennial of Contemporary Art«, Queensland Art Gallery, Brisbane, 08.12.2012-14.04.2013, Foto: Queensland Art Gallery, Brisbane, Courtesy: Parastou Forouhar

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Abb. 22: Parastou Forouhar, Schrif traum/Written Room (s. Abb. 21), © Parastou Forouhar, Ausstellungsansicht »Ornamental Structures«, Stadtgalerie Saarbrücken (D), 20.08.- 30.10.2011, Foto: Stadtgalerie Saarbrücken, Courtesy: Parastou Forouhar

Abb. 23: Czeschka, Carl Otto, Hochdruck: Strichtonätzung, Volltonplatten, Bronzierung, Seitengröße: 15 x 14 cm, in: Keim, Franz, Die Nibelungen. Dem Deutschen Volke wiedererzählt, Bilder und Ausstattung von C. O. Czeschka, Wien/Leipzig, Ausgabe von 1924 (EA: 1908), Bibliothek des MAK – Museum für angewandte Kunst Wien, Inv.-Nr. BI 17990-1, 22-23, © Henner Steinbrecht, Foto: © MAK – Museum für angewandte Kunst Wien. Für Informationen zur Drucktechnik danke ich Frau Mag. Kathrin Pokorny-Nagel, Leitung Bibliothek und Kunstblättersammlung/Archiv des MAK – Museum für angewandte Kunst Wien.

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Abb. 24: Marcel Dzama, Poor sacrifices of our enmity, 2007, Tusche, Wasserfarben und Graphit auf Papier, 4-teilige Zeichnung je 34,9 x 27 cm, Gesamtgröße 69,9 x 54 cm, © Marcel Dzama, Courtesy: the artist und David Zwirner New York

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Abb. 25: Mir Musavvir zugeschr, Zahhaks Alptraum, Schahname des Schah Tahmasp, Täbris, ca. 1525-35, 34,2 x 27,6 cm, fol. 28v, Malerei, Tinte, Gold auf Papier, Museum of Islamic Art, Doha, Qatar (MS. 41.2007), Foto: Marc Pelletreau © The Museum of Islamic Art, Doha

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Abb. 26: sog. Meister des Registrum Gregorii, Einzelblatt, Kaiser Otto II. als Thronender, umstanden von den huldigenden Provinzen, Trier, kurz nach 983, Chantilly (MC), Foto: Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Stif tung Hermann Fillitz

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Abb. 27: Zwei Tänzerinnen, 836-839, Wandmalerei im Kuppelraum des Harems im Jawsaq-Palast, Samarra (Irak), Rekonstruktion von Ernst Herzfeld, publiziert in: Metropolitan Museum of Art Libraries, Digital Collection: Excavation of Samarra (Iraq): illustrative plates from Herzfeld’s »Die Malereien von Samarra« featuring photographs and watercolors of wall paintings found on site, Foto: © bpk

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Abb. 28: Imran Qureshi, Blessings Upon the Land of my Love, 2011, ortsspezifische Installation, Acrylfarbe und Dispersion, Innenhof des Bait al-Serkal, Sharjah, Vereinigte Arabische Emirate, in Auf trag gegeben von der Sharjah Art Foundation anl. der Sharjah Biennial 10 von 16.03.-16.05.2011, © Imran Qureshi, Courtesy: Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg, Foto: Alfredo Rubio, entnommen aus: Website der Sharjah Art Foundation, http://sharjahart.org/sharjah-art-foundation/projects/blessings-upon-the-land-of-mylove [Stand: 18.12.2020]

Abb. 28a: Imran Qureshi, Blessings Upon the Land of my Love (s. Abb. 28), © Imran Qureshi, Courtesy: Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg, Foto: Alfredo Rubio, entnommen aus: Website der Sharjah Art Foundation, http://sharjahart.org/sharjah-art-foundation/ projects/blessings-upon-the-land-of-my-love [Stand: 18.12.2020]

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Abb. 28b: Imran Qureshi, Blessings Upon the Land of my Love, 2011, Detailansicht der ortsspezifischen Installation, Acrylfarbe und Dispersion, Innenhof des Bait al-Serkal, Sharjah, Vereinigte Arabische Emirate, in Auf trag gegeben von der Sharjah Art Foundation anl. der Sharjah Biennial 10 von 16.03.-16.05.2011, © Imran Qureshi, Courtesy: Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg, Foto: Alfredo Rubio, entnommen aus: Website der Sharjah Art Foundation, http://sharjahart.org/sharjah-art-foundation/projects/blessings-uponthe-land-of-my-love [Stand: 18.12.2020]

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Abb. 29: Imran Qureshi, Leakage, 2006, Gouache auf Papier, 22,5 x 25,5 cm, © Imran Qureshi, Courtesy: Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg

Abb. 30: Imran Qureshi, Separated, 2014, Acrylfarbe auf Papier, Triptychon, je 76,2 x 55,9 cm, © Imran Qureshi, Courtesy: Thaddaeus Ropac, London Paris Salzburg

Kunst- und Bildwissenschaft Elisa Ganivet

Border Wall Aesthetics Artworks in Border Spaces 2019, 250 p., hardcover, ill. 79,99 € (DE), 978-3-8376-4777-8 E-Book: PDF: 79,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4777-2

Thomas Gartmann, Christian Pauli (Hg.)

Arts in Context – Kunst, Forschung, Gesellschaft 2020, 232 S., kart. 39,00 € (DE), 978-3-8376-5322-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5322-3 €

Reinhard Kren, Monika Leisch-Kiesl (Hg.)

Kultur – Erbe – Ethik »Heritage« im Wandel gesellschaftlicher Orientierungen 2020, 486 S., kart. 49,00 € (DE), 978-3-8376-5338-0 E-Book: PDF: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5338-4

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Kunst- und Bildwissenschaft Susanne von Falkenhausen

Beyond the Mirror Seeing in Art History and Visual Culture Studies 2020, 250 p., pb., ill. 60,00 € (DE), 978-3-8376-5352-6 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5352-0

Nathalie Bäschlin

Fragile Werte Diskurs und Praxis der Restaurierungswissenschaften 1913–2014 2020, 272 S., kart., Dispersionsbindung, 22 SW-Abbildungen, 97 Farbabbildungen 40,00 € (DE), 978-3-8376-5121-8 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5121-2 €

Claus Gunti

Digital Image Systems Photography and New Technologies at the Düsseldorf School 2020, 352 p., pb. 44,99 € (DE), 978-3-8376-3902-5 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-3902-9

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