Das Märchen der Sozialen Arbeit: Die Bedeutung von Märchen für das Selbstverständnis und die Praxis 3842885784, 9783842885783

Märchen thematisieren existenzielle Probleme des menschlichen Lebens und zeigen dabei immer auch einen Weg, wie diesen S

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Das Märchen der Sozialen Arbeit: Die Bedeutung von Märchen für das Selbstverständnis und die Praxis
 3842885784, 9783842885783

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Märchen
3. Das Märchen der Sozialen Arbeit…
4. Volksmärchen und ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit
5. Märchenhafte Möglichkeiten für die Praxis Sozialer Arbeit
6. Schlusswort
7. Quellenverzeichnis
8. Anhang

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Sabrina Junga

Das Märchen der Sozialen Arbeit Die Bedeutung von Märchen für das Selbstverständnis und die Praxis

Diplomica Verlag

Junga, Sabrina: Das Märchen der Sozialen Arbeit: Die Bedeutung von Märchen für das Selbstverständnis und die Praxis, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2015 Buch-ISBN: 978-3-8428-8578-3 PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-3578-8 Druck/Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2015 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und die Diplomica Verlag GmbH, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Alle Rechte vorbehalten © Diplomica Verlag GmbH Hermannstal 119k, 22119 Hamburg http://www.diplomica-verlag.de, Hamburg 2015 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

1.

Vorwort

3

2.

Märchen

6

2.1.

Entstehung des europäischen Volksmärchens

7

2.2.

Merkmale des europäischen Volksmärchens

8

2.3.

Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm

11

2.4.

Die Bedeutung des Erzählens

12

2.5

Märchen in unserer Zeit

13

3.

Das Märchen der Sozialen Arbeit…

16

3.1.

…und ihre Entstehung: Die historische Entwicklung der Sozialen Arbeit

18

3.1.1. Armut und Armenfürsorge im mittelalterlichen Verständnis

19

3.1.2. Armut und Armenfürsorge zu Beginn der Neuzeit

22

3.1.3. Absolutismus, Aufklärung, Armut und Armenfürsorge

30

3.1.4. Armut und Armenfürsorge zur Zeit der Industrialisierung

34

3.1.5. Die Ursprünge einer modernen Sozialen Arbeit

37

3.2.

…auf der Suche nach sich selbst: Das Selbstverständnis Sozialer Arbeit

48

3.2.1. Die Bedeutung einer beruflichen Identität

49

3.2.2. Was bedeutet Soziale Arbeit?

53

3.2.3. Die ethischen Grundlagen Sozialer Arbeit

61

4.

Volksmärchen und ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit

68

4.1.

Der Weg des Märchenhelden

69

4.1.1. Soziale Arbeit in der Rolle von Sneewittchen

70

4.1.2. Soziale Arbeit in der Rolle des Aschenputtels

75

4.2.

82

Die Rolle des märchenhaften Helfers

4.2.1. Sneewittchen und die Soziale Arbeit

83

4.2.2. Aschenputtel und die Soziale Arbeit

87

1

5.

Märchenhafte Möglichkeiten für die Praxis Sozialer Arbeit

91

5.1.

Voraussetzungen für eine märchenhafte Praxis

92

5.2.

Die Märchenreflexion

93

6.

Schlusswort

99

7.

Quellenverzeichnis

101

8.

Anhang

105

2

1. Vorwort Spätestens nach Erscheinen des Buches „Kinder brauchen Märchen“ (1980) von Bruno Bettelheim wird die Bedeutung von Märchen für die Entwicklung von Kindern zunehmend positiv bewertet. Durch diese Aufwertung werden sie immer häufiger auch Gegenstand pädagogischer Überlegungen. Im Bereich der Psychoanalyse wird ihr märchenhafter Symbolgehalt und dessen Bedeutung diskutiert, wodurch die tiefenpsychologischen Märcheninterpretationen in der psychotherapeutischen Arbeit an Einfluss gewinnen. Dabei beschränkt die psychoanalytische Märchenforschung den Nutzen von Märchen allerdings nicht allein auf das Kindes- und Jugendalter, sondern stellt heraus, dass sie für jedes Alter geeignet sein können, um Unterstützung in der Bewältigung von Krisen und Konflikten zu bieten. Märchen thematisieren existenzielle Probleme des menschlichen Lebens und zeigen dabei immer auch einen Weg wie diesen Schwierigkeiten begegnet werden kann, um sie zu lösen. Obwohl dies in einigen Disziplinen bereits zunehmend erkannt wurde und sich dort eine entsprechende Praxis eingerichtet hat und auch weiterhin entwickelt, spielte die Bedeutung von Märchen in der Sozialen Arbeit bisher keine Rolle. Mit der vorliegenden Arbeit stelle ich daher die Frage nach einem möglichen Nutzen von Märchen für das Selbstverständnis und die Praxis Sozialer Arbeit. Bezüglich des Selbstverständnisses entwickelte sich die Idee aus meiner vorherigen Arbeit, welche sich mit der Bedeutung von Märchen für die Entwicklung von Kindern auseinandersetzte. Im Rahmen dieser Arbeit zeigte sich, dass Märchen viel zum Selbstverständnis der Kinder beitragen können und da dies nicht allein auf Kinder, sondern auf Menschen aller Altersgruppen zutrifft, entstand die Frage nach der Bedeutung von Märchen für das Selbstverständnis der Sozialen Arbeit. Damit ist nach dem Selbstverständnis der gesamten Profession gefragt, wenn ein solches existiert, gleichwohl wird das berufliche Selbstverständnis der professionell Tätigen einbezogen, da sie letztendlich die Soziale Arbeit bilden. Ebenfalls inbegriffen ist die Sozialpädagogik, sie wird hier als essentieller Teil der Sozialen Arbeit angesehen, da beide den gleichen geschichtlichen Wurzeln entspringen und sich nach einer Zeit der Auseinanderentwicklung mittlerweile wieder stark miteinander verwoben haben. Ein Umstand, der in dem Studiengang „Sozi-

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ale Arbeit“ besonders deutlich wird, da in ihm die bisher getrennten Studiengänge „Sozialarbeit“ und „Sozialpädagogik“ zusammengeführt wurden . Aus diesem Grund soll auch darauf verzichtet werden explizit auf die Entwicklung der Sozialpädagogik einzugehen. Die Aktualität der Frage nach dem Selbstverständnis Sozialer Arbeit ergibt sich dabei aus dem „Identitätsproblem“, welches ihr oftmals zugeschrieben und vielfach diskutiert wird. Die Frage nach den Möglichkeiten, einer märchenhaften sozialen Praxis entstand aus der Tatsache heraus, dass die Menschheit seit Jahrhunderten von märchenhaften Erzählungen begleitet wird und dies unabhängig von lokalen oder kulturellen Unterschieden. Somit stellen sie einen Teil unserer Kultur dar und könnten dadurch, dass sie von vielen gekannt und erinnert werden, hilfreiche und vielseitige Unterstützung für die Soziale Arbeit bieten.

Um die Bedeutung von Märchen, in diesen Zusammenhängen, besser verstehen zu können werden die wesentlichen Merkmale dieser Literaturform im ersten Teil dieser Arbeit vorgestellt. Im Fokus der gesamten Arbeit liegen die europäischen Volksmärchen und im Besonderen die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Diese Einschränkung geschieht dabei keinesfalls aus Gründen der Geringschätzung anderen Märchen gegenüber, sie ist allein der Tatsache geschuldet, dass die grimmschen Märchen zu den bekanntesten in der Bundesrepublik Deutschland gehören und sich somit für die Soziale Arbeit in Deutschland besonders eignen sollten. Zudem soll eine kurze Übersicht bezüglich der Besonderheiten der grimmschen Märchen geboten werden, ebenso wie auf die Frage ihrer Popularität eingegangen wird. Die Frage nach dem Selbstverständnis setzt, im Sinne eines biografischen Arbeitens, die Auseinandersetzung mit der Geschichte Sozialer Arbeit voraus. Erinnerungsarbeit ist dort hilfreich, wo es, normalerweise dem Individuum, an Anerkennung und einem festen, selbstverständlichen Platz in der Gesellschaft mangelt. Der geschichtliche Rückblick bietet die Möglichkeit Situationen und Entwicklungen distanzierter zu betrachten und sich mit der Annahme der eigenen Entwicklung, wie auch durch Akzeptanz der Umstände die dazu führten, in seinem Selbstwert zu stärken. Das Wissen um Vergangenes schafft Sicherheit in der Gegenwart und rüstet so für die Zukunft. Dies lässt sich nicht nur auf einzelne Individuen beziehen, sondern auch auf die Soziale Arbeit, zumal sie, wie bereits

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erwähnt aus einer Vielzahl einzelner Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, also Individuen, besteht. Die historische Entwicklung der Sozialen Arbeit stellt somit einen wichtigen Teil dieser Arbeit dar und bietet die Grundlage für die anschließende Auseinandersetzung mit der Frage nach ihrem Selbstverständnis. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, warum Soziale Arbeit ein mögliches „Identitätsproblem“ hat und worin sich dieses begründet. In dem darauf folgenden Kapitel soll die Entwicklung der Sozialen Arbeit aus einer märchenhaften Perspektive betrachtet werden. Damit soll der Frage nachgegangen werden, ob die entwicklungsfördernden Eigenschaften des Märchens auch in Bezug auf die Identitätsentwicklung der Sozialen Arbeit eine Bedeutung haben. Da sich Soziale Arbeit aber aus ihren Akteuren zusammensetzt soll auch auf diese, im Rahmen dieser Arbeit, eingegangen werden. Dafür wird die Rolle des Helfers im Märchen, anhand einiger Beispiele, mit der Rolle der professionell Tätigen verglichen. Im letzten Teil dieser Arbeit wird, aufgrund meiner eigenen Erfahrungen in diesem Bereich, am Beispiel der pädagogischen Begleitseminare des „Freiwilligen Sozialen Jahres“, eine Methoden der Praxisreflexion vorgestellt, welche die Möglichkeiten einer märchenhaften Sozialen Praxis verdeutlichen soll.

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2. Märchen „Es war einmal ein Märchenerzähler der hieß Eswareinmal Er erzählte unzählige Märchen kleinen und manchen großen Kindern Die Geschichten fangen an mit den Worten Es war einmal“ (Rose Ausländer 1901-1988)

„Es war einmal“ – Erzählungen mit diesem oder einem ähnlich Beginn werden allgemein als Märchen bezeichnet und genießen in unserer Zeit einen geteilten Ruf. Dieser zeigt sich bereits in der Verwendung des Begriffs „Märchen“. Die Ausdrücke „märchenhaft“ oder „wie im Märchen“ verdeutlichen eine positive Einstellung gegenüber dem Märchen. Etwas wird als wunderschön, zauberhaft, also als „fast zu schön, um wahr zu sein“ beschrieben. Die negative Betrachtungsweise wird in den Worten „erzähl mir doch keine Märchen“ zum Ausdruck gebracht. Märchen werden, in diesem Zusammenhang, als frei erfundene Geschichte betrachtet, deren Inhalt nicht im Geringsten etwas mit der realen Welt gemeinsam hat, wodurch bei Kindern, im schlimmsten Fall, ein falsches Bild der Realität gefördert wird. Weiteren Anlass zur Kritik an Märchen mag ihre Darstellung von Gewalt bieten, welche gerade für Kinder ungeeignet scheint. Dennoch werden Märchen allgemein als „Kinderkram“ abgetan mit dem sich Erwachsene nicht beschäftigen, da die Geschichten, auf den ersten Blick, eine eher leichte literarische Kost abgeben. Auch die Frage, ob den Märchen in der heutigen Zeit und modernen Gesellschaft überhaupt noch eine nennenswerter Bedeutung zukommt ist berechtigt, da sie sich einer vielfältigen Unterhaltungsindustrie gegenüber sehen und aufgrund ihres Alters, gegenüber moderner Kinder- und Jugendliteratur, unattraktiv wirken können. In diesem Kapitel soll nun ein kurzer Blick darauf geworfen werden,

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wie Märchen entstanden sind, was sie auszeichnet und welchen Stellenwert die fantastischen Geschichten in der heutigen Gesellschaft besitzen.

2.1. Entstehung des europäischen Volksmärchens

Aufgrund von Erkenntnissen der Sprachforschung konnte festgestellt werden, dass sich die Sprache etwa alle 400 Jahre vollständig wandelt. Daher wäre es falsch zu behaupten, dass die Märchen, welche wir heute lesen oder hören bereits vor Jahrhunderten in dieser Form erzählt wurden (Knoch 2010, 119). Zumal bekannt ist, dass die ursprünglich erzählten Geschichten spätestens mit ihrer schriftlichen Festhaltung verändert und angepasst wurden. Auch die Bedeutung des Wortes „Märchen“ hat sich im Laufe der Zeit durch Veränderungen in der Sprache gewandelt. „Märchen“ leitet sich aus der „Mär“, also der Kunde, dem Bericht oder der Erzählung, aber auch dem Gerücht, ab und stellt die „Diminutivform“ dar. Durch eine Bedeutungsverschlechterung der Diminutiva wurde den „verkleinerten Erzählungen“ zunehmend die Bedeutung von Lügengeschichten zugesprochen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wandelte sich die Bedeutung des Begriffs erneut und das Märchen wurde zunehmend als phantastische und mündlich überlieferte Erzählung verstanden (Lange 2010, 8). Abgesehen von der Tatsache, dass Märchen heutzutage selten erzählt und meist (vor-) gelesen werden, ist dieses Verständnis von ihnen bis heute aktuell. Trotz des begrifflichen Bedeutungswandels und der sprachlichen Entwicklungen haben sich die Hauptmotive der Märchen nicht verändert und finden sich in den Erzählungen aller Kulturen wieder. Bereits altägyptische Schriften (1290 v. Chr.) thematisieren menschliche Grunderfahrungen, beispielsweise Geburt und Tod, Liebe und Hass, Misserfolg und Erfolg, in einer Form, wie sie dem Märchen zugeordnet werden kann (Knoch 2010, 120). Dabei ist eine genaue zeitliche Eingrenzung zur tatsächlichen Entstehung eines Märchens schwer zu bestimmen, da dies zunächst in mündlicher Erzählform verbreitet und meist erst viel später niedergeschrieben wurde. Die Entwicklung der Erzählung „tausendundeine Nacht“ konnte, beispielsweise, bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgt werden, obwohl sie erst im 16. Jahrhundert schriftlich festgehalten wurde. Spuren des europäischen Volksmär-

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chens, wie wir es heute kennen, tauchen vermehrt ab dem 16. Jahrhundert, beispielsweise in „Ergötzliche Nächte“ von G. Francesco Straparola, auf. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wurden In Deutschland sorgte vor allem die Veröffentlichung der „Kinder- und Hausmärchen“ (1812) von Jacob und Wilhelm Grimm für eine steigende Beliebtheit und weitere Verbreitung der Märchen.

2.2. Merkmale des europäischen Volksmärchens

Märchen ist nicht gleich Märchen. So sollte in jeden Fall zwischen dem „Volksmärchen“ und dem „Kunstmärchen“ unterschieden werden. Letzteres wurde bewusst von einem Autor ausgedacht und entstand nicht in Folge von mündlichen Erzählungen. Kunstmärchen sind somit also kein Volksgut, sondern das Werk eines einzelnen kreativen Menschen. Sie greifen zwar Motive des „klassischen“ Märchens auf, weichen in ihrem Aufbau und Ablauf jedoch von deren Charakteristika ab. Zur besseren Darstellung der Unterschiede zwischen den beiden Märchenformen wird das Kunstmärchen „Das hässliche Entlein“ 1 von Hans Christian Andersen einbezogen, dabei soll ebenfalls näher auf die, von Lüthi (1986) beschriebenen, Merkmale der „klassischen“ Märchen eingegangen werden. Im Verlauf der Geschichte von Andersen wird das ausgegrenzte Entlein aus seiner Notlage befreit, indem sich herausstellt, dass es eigentlich etwas ganz anderes ist. Es ist keine hässliche Ente, sondern ein schöner Schwan. Dabei muss das Entlein keine Aufgabe bestehen, an der es innerlich wachsen, sich also Entwickeln könnte. Es erträgt passiv sein Schicksal und wünscht sich zum Ende sogar den Tod. Lediglich die körperliche Entwicklung zeigt schließlich, dass es keine Ente ist und es erkennt sich als Schwan. Seine Probleme beruhten auf der Tatsache, dass es in der „falschen“ Welt gelebt hatte und aufgrund der Not die es dort erlebt hatte, wusste es sein neues Leben richtig zu schätzen. Allerdings war es nicht stolz auf seine Leistung, „denn ein gutes Herz wird niemals Stolz“ (Andersen 2004, 174-184). Ein grundlegender Unterschied zu einem „klassischen“ Märchen liegt in der Rolle des Helden, welche im Falle des hässlichen Entleins wohl eher in der eines 1

s. Anhang 1

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„Antihelden“ besteht. Zu Beginn eines Volksmärchens befindet sich der Protagonist, wie das Entlein, in einer Notsituation. Allerdings sieht er es als seine Aufgabe an, aus dieser zu entkommen, wobei ihn eine stets positive Grundeineinstellung gegenüber dem Leben auszeichnet. Im Gegensatz zum Entlein würde also kein Märchenheld dermaßen an seinem Schicksal verzagen, dass er sich den Tod wünscht. Entsprechend würde er sich auch nicht still in die Ecke legen und, wie das Entlein, warten bis sich (vielleicht) etwas verändert, er nimmt die Herausforderungen des Lebens an und macht sich auf die „Suchwanderung“, wie Lüthi (Lange 2010, 14) es nennt. Der Held ist zwar zunächst isoliert, also allein, wie es auch das Entlein ist, aber er nutzt diese Ungebundenheit und entwickelt erst aus ihr die charakteristische Allverbundenheit. Er ist grundsätzlich beziehungsfähig und seine positive Grundeinstellung hilft ihm bei der Kontaktaufnahme mit seiner Umwelt. Dabei spielt es für den Protagonisten keine Rolle, ob es sich um magische oder natürliche Wesen handelt zu denen er oder welche zu ihm Kontakt aufnehmen. Beides, Diesseits und Jenseits, sind im Märchen ganz natürliche Bestandteile der Welt. Dies trifft auch auf Kunstmärchen zu, auch wenn in dem Beispiel des hässlichen Entleins kein magischer Aspekt vertreten ist. Das isolierte Entlein hingegen erfährt überall Ablehnung und bleibt allein. Im Gegensatz zum Helden, welcher zur Erfüllung seiner Aufgabe (fast) immer auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen ist und diese auch bekommt, erfährt es keinerlei Hilfe durch seine Umwelt. Es unternimmt aber auch keinen Versuch um Hilfe zu bekommen, es bleibt vollkommen passiv. Die Folgen eines solchen Verhaltens werden im Ende der Geschichte deutlich. Das Entlein hat sich verändert, es ist zu einem Schwan herangewachsen und dieser lebt fortan ein glückliches Leben. Dieses Ende stellt allerdings kein „Happy End“ dar, wie es für ein Volksmärchen typisch wäre. Der Schwan kann nicht stolz sein. Dieser Umstand wird in der Geschichte dadurch erklärt, dass es einem guten Herzen nicht zustehe etwas wie Stolz zu empfinden. Aber kritisch gefragt, worauf sollte der Schwan auch stolz sein? Ein gutes Herz soll ihm nicht abgesprochen werden, allerdings hat er keinerlei Eigeninitiative gezeigt um das schöne Ende zu erreichen. Die „Suchwanderung“ des Märchenhelden hingegen endet schließlich mit dem Finden seiner selbst. Er hat sich weiterentwickelt, hat Verantwortung für sich, aber auch für andere übernommen und ist

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dadurch gereift. Er ist nicht nur körperlich, sondern in seiner Persönlichkeit gewachsen und darauf kann er, trotz guten Herzens, zu Recht stolz sein. Die Annerkennung der eigenen Leistungen und der dadurch gesteigerte Selbstwert sind wichtige Bestandteile des Glücks, welches der Märchenheld in seinem „Happy End“ erfährt. Darüber hinaus gehört der Abstrakte Erzählstil zu den Merkmalen der Volksmärchen, welcher stets der Geschichte des Helden folgt. Unnötige Charaktere werden nicht erwähnt, das Märchen beschränkt sich also auf das Wesentliche, wobei auch die Darstellung der vorkommenden Figuren flächenhaft ist. Die Charaktere besitzen kein Innenleben, weder ihre Gedanken noch ihre Gefühle werden beschrieben und können daher nur über ihre Handlungen erfahren werden. Auch eine nähere Beschreibung ihres Aussehens wird nur in den Fällen gegeben, in denen diese Informationen für die Geschichte von besonderer Bedeutung sind, beispielsweise bei „Sneewittchen“ oder „Rotkäppchen“. Diese Reduzierungen auf das Nötigste führen zu einer recht kurzen und einfach strukturierten Form, deren Inhalt durch die bildliche Darstellung des Märchens besonders leicht verständlich ist. Auch Kontrastierung und Polarisierung der Charaktere sind Kennzeichen der Volksmärchen und erleichtern das Verstehen zusätzlich. Zu den weiteren Merkmalen zählen sowohl die Verwendung von direkter Rede, sowie der Einsatz von Versen und formelhafter Redewendungen. Zudem sind Volksmärchen sehr symbolhaltig und haben, im Gegensatz zu Kunstmärchen, keine namentlich bekannten Verfasser (Lange 2010, 14 f.).

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2.3. Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm

Jakob (1785-1863) und sein Bruder Wilhelm (1786-1859) Grimm haben mit ihren „Kinder- und Hausmärchen“ eine der wohl bekanntesten Märchensammlungen geschaffen, welche sich bis in unsere Zeit großer Beliebtheit erfreut. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass sie in Deutschland keineswegs die ersten waren, die gesammelte Volksmärchen veröffentlichten. Bereits zwischen 1789 und 1792 erschien die Sammlung „Neue Volksmärchen der Deutschen“, welche von Benedikte Naubert veröffentlicht wurde und lediglich ein paar Monate vor Herausgabe der grimmschen Märchensammlung erschien „Volkssagen, Märchen und Legenden“ (1812) von Johann Gustav Büsching (Lange 2010, 15). Zudem galten die Märchen der Grimms, bis in die Gegenwart, als Erzählungen, welche die Brüder bei einfachen Märchenerzählern des Volkes gehört und mitgeschrieben hätten. Dabei konnte Rölleke (1998) durch Untersuchungen der grimmschen Quellen belegen, dass diese fast ein Drittel der Texte aus anderen literarischen Vorlagen übernommen hatten. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Gebrüder Grimm nicht durch das Land gestreift sind, um mündliche Erzählungen „einzufangen“, ist die zunehmende Identifizierung der, durch die Grimms, angegebenen einfachen Märchenerzähler aus dem Volk. Einige dieser Erzähler waren nachweislich gebildete Frauen aus der Bürgerschicht, welche ihre Geschichten niederschrieben und den Brüdern zukommen ließen. Diese Umstände wurden von den Gebrüdern Grimm nie aufgeklärt und führten daher lange Zeit zu einer falschen Vorstellung im Bereich der Grimm- und Märchenforschung (Lange 2010, 17). Auch bezüglich vorgenommener Veränderungen sprachen sich die Brüder dafür aus die Erzählungen in ihrer ursprünglichen Form belassen zu haben. So heißt es in ihrer Vorrede (1918):

„Was die Weise betrifft, in der wir hier gesammelt haben, so ist es uns zuerst auf Treue und Wahrheit angekommen. Wir haben nämlich aus eigenen Mitteln nichts hinzugesetzt, keinen Umstand und Zuge der Sage selbst verschönert, sondern ihren Inhalt so weitergegeben, wie wir ihn empfangen hatten.“ (Grimm 2008, 21)

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Dabei geben sie in derselben Vorrede an, jeden „für das Kindesalter nicht passenden Ausdruck […] sorgfältig gelöscht“ zu haben (Grimm 2008, 17). Diese Veränderungen waren es aber schließlich, die dazu führten, dass die „Kinder- und Hausmärchen“ zu einer der erfolgreichsten Märchensammlung wurde und Einzug in die deutschen Kinderzimmer hielt. Tatsächlich veränderten die Grimms und ins besondere Wilhelm, die, wie sie es im oben genannten Zitat noch nennen, Sagen im Laufe ihrer Bearbeitungen grundlegend und erschufen dadurch erst die Literaturform „Märchen“, wie wir sie heute kennen.

2.4. Die Bedeutung des Erzählens

Für Linde Knoch (2010, 18) stellt das Erzählen an sich eine lebenswichtige Tätigkeit dar, welche es dem Menschen ermöglicht, etwas über sich selbst, aber auch über andere, ebenso wie über seine Umwelt zu erfahren und somit einen sinnstiftenden Charakter besitzt. Das folgende Gedicht „Kommt“ verdeutlicht ihre Einstellung.

„Kommt, reden wir zusammen wer redet, ist nicht tot, es züngeln doch die Flammen schon sehr um unsere Not. Kommt, sagen wir: die Blauen, kommt, sagen wir: das Rot, wir hören, lauschen, schauen wer redet, ist nicht tot. Allein in deiner Wüste, in deinem Gobigraundu einsamst, keine Büste, kein Zwiespruch, keine Fraun, und schon so nah den Klippen, du kennst dein schwaches Bootkommt, öffnet doch die Lippen, wer redet, ist nicht tot.“ (Gottfried Benn 1886-1956)

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Der Verfasser dieses Gedichtes erkannte anscheinend ein Jahr vor seinem Tod die Bedeutung zwischenmenschlicher Kommunikation und schrieb es daraufhin nieder. Da mündliche Erzählungen den Hörer einbeziehen, kann dieser sich nicht als passiver Konsument verhalten. Dies wäre durch das „einfache“ Lesen eines Märchens durchaus möglich, da ein Buch nicht auf die Reaktion des Lesers reagieren kann, genauso wenig schenkt es ihm bewusst Aufmerksamkeit oder erzählt ihm aktiv seine Geschichte. Der Erzähler hingegen möchte sich seiner Umwelt bewusst mitteilen und ruft dadurch eine Reaktion derselbigen hervor, auf welche er wiederum reagiert. Durch diese wechselseitige Beeinflussung wird die Erzählsituation von beiden Seiten kommunikativ gestaltet. Da Kommunikation immer mindestens zwei Kommunikationspartner voraussetzt, können dem Erzählen von Märchen, als kommunikativem Prozess, somit allgemein gemeinschaftsund kommunikationsfördernde Aspekte zugesprochen werden.

2.5. Märchen in unserer Zeit

Wie bereits erwähnt sehen sich Märchen in unserer Gesellschaft einer Vielzahl von Unterhaltungsmöglichkeiten gegenüber. Dieser Umstand legt die Überlegung nahe, dass sie an Bedeutung verloren haben und zunehmend aus den Kinderzimmern verschwinden, um beispielsweise Platz für einen Fernseher oder den neuen Lerncomputer zu machen. Diese Einschätzung wäre allerdings nicht korrekt. Eine 2003 durchgeführte Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie hat ergeben, dass Märchen noch immer ein zentrales Kulturgut unserer Gesellschaft darstellen, dessen Bedeutung in den letzten Jahren sogar gestiegen ist. Die Ergebnisse werden im Folgenden kurz vorgestellt und mit Werten aus Umfragen der Jahre 1973 und 1996 verglichen. Die Untersuchungen zeigten, bezüglich des Erinnerungsvermögens an Märchen, dass sich 1973 82% der Befragten an mindestens drei Märchen aus ihrer Kindheit erinnern konnten. Dieser Wert sank bis 1996 auf 72%, stieg jedoch 2003 wieder auf 81%. In der Umfrage von 1996 wurde zusätzlich zwischen Ost- und Westdeutschen unterschieden, um das jeweilige Erinnerungsvermögen zu ermitteln. Das Ergebnis zeigte, dass sich 86% der Ostdeutschen und 72% der Westdeutschen an

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drei oder mehr Märchen erinnerten. Um die beliebtesten oder bekanntesten Märchen zu ermitteln, sollten die Befragten spontan drei Märchen nennen. Der Vergleich zwischen 1996 und 2003 zeigt dabei, dass sich die Nennung der Märchen nicht wesentlich veränderte. Die einzige Veränderung besteht darin, dass das Märchen „Der Wolf und die sieben Geißlein“ stark an Zustimmung verloren hat. In der Umfrage von 1996 lag es mit 19% noch auf Platz vier, 2003 erreichte es nur noch 12% und fiel auf den siebten Platz ab. In Absteigender Reihenfolge belegten folgende Märchen die ersten fünf Plätze: „Schneewittchen“, „Hänsel und Gretel“, „Rotkäppchen“, Aschenputtel“ und „Dornröschen“. Zur Klärung des Stellenwertes von Märchen in der Gesellschaft wurde eine weitere Frage untersucht: „Finden Sie, man sollte auch heute noch den Kindern Märchen erzählen, oder paßt das nicht mehr so gut in unsere Zeit?“ Ein Vergleich der Ergebnisse zeigt dabei deutlich, dass sich das Ansehen der Märchen zunehmend verbessert. Im Jahr 1973 wurden sie von 16% als unpassend eingeschätzt, 1996 lag dieser Wert bei 10% und in der Untersuchung von 2003 waren nur noch 8% dieser Meinung. Umgekehrt stieg die Zahl der Befürworter von 75% im Jahr 1973, über 82% im Jahr 1996, auf 83% im Jahr 2003. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass den Märchen auch in unserer Zeit noch viel Bedeutung zukommt und dass sie, zumindest in Teilen, von fast allen erinnert werden. Für Lange (2010, 6). stellen Märchen daher „ein unverzichtbares und unersetzliches Kulturgut unserer Gesellschaft“ dar. Diese Bedeutung wurde bereits von einigen Disziplinen zum Anlass genommen, um sich näher mit der Literaturform „Märchen“ zu befassen. In der Volkskunde wird beispielsweise nach dem genauen Ursprung, der Entwicklung oder Motivzusammenhängen geforscht. Die Literatursoziologie beschäftigt sich, unter anderem, mit den gesellschaftlichen Bedingungen, wie sie im Märchen dargestellt werden und wie sie in der Zeit ihrer Entstehung tatsächlich herrschten. In der Psychologie beschäftigen sich bereits unterschiedliche Teildisziplinen mit den Möglichkeiten, welche durch Märchen geboten werden und auch verschiedene Bereiche der Pädagogik befassen sich mit Märchen in unterschiedlichster Form.

Der erste Teil dieser Arbeit gibt einen Überblick zur Entstehung des europäischen Volksmärchens und stellt heraus, dass sich diese auch in unserer

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Zeit noch einer sehr großen Beliebtheit erfreuen. Ebenso verweist er darauf, dass den Märchen in einigen Disziplinen bereits ein gewisses Maß an professioneller Aufmerksamkeit geschenkt wird. Somit bleibt die Frage, warum sie im Bereich der Sozialen Arbeit bislang keine nennenswerte Rolle spielen. In diesem Kapitel sollte ein Verständnis dafür vermittelt werden, was Volksmärchen auszeichnet. Entsprechend soll im Anschluss die Entwicklung der Sozialen Arbeit vorgestellt werden, um ihr gegenüber ebenfalls ein Verständnis aufzubauen. Die Frage nach ihrem möglichen Nutzen aus Märchen wird im vierten Kapitel wieder aufgegriffen.

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3. Das Märchen der Sozialen Arbeit … Soziale Arbeite bedeutet, vom Bürger ausgehende Hilfe für den Bürger (Wendt 1995, 19). Sie beschreibt den „Bereich der Hilfe von Menschen an andere Menschen, die sich in besonderen Notlagen befinden“ (Kuhlmann 2008a, 11). Hilfe wird dabei, von Scherpner (zit. n. Schilling 2005, 19), als „eine Urkategorie des menschlichen Handelns überhaupt“ beschrieben und den Blick auf die Geschichte der Menschheit, wie auch des Einzelnen gerichtet, macht deutlich, dass der Mensch auf Hilfe aus seiner Umwelt angewiesen ist. Er kommt in Situationen, die er ohne seine Familie, seine Gruppe oder andere Mitglieder der Gesellschaft nicht bewältigen kann. Zudem ist der Mensch, wenn er auf die Welt kommt, nicht in der Lage selbstständig zu leben. Er ist von einer hilfsbereiten Umgebung abhängig und dadurch wird „Hilfe eine natur- und lebensnotwendige Kategorie der Menschheit und des Menschen“. Als Hilfsbedürftig gelten, nach Scherpner, jene Mitglieder einer Gesellschaft, die den gestellten Anforderungen nicht gerecht werden können und somit Gefahr laufen aus der Gemeinschaft heraus zufallen (Schilling 2005, 19). Durch wirtschaftliche, politische und technische, aber auch strukturelle Entwicklungen haben sich sowohl die Art der Ursachen, wie auch die Notlagen für die einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft verändert. Die

Notwendigkeit gegenseitiger Hilfeleistungen

besteht bis heute, denn sie bilden ein soziales Netz, welches gegenseitiges Vertrauen, Solidarität und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, also „soziales Kapital“ fördert und somit der gesamten Gesellschaft Stabilität und Sicherheit gibt (BMFSFJ 2004, 18). Die Beweggründe für bürgerliches soziales Engagement können sehr unterschiedlich sein und reichen von altruistischen Motiven oder der Einhaltung christlicher Gebote, über Gefühle der Verpflichtung oder der Solidarität bis hin zu Motiven der Persönlichkeitsentwicklung, der sozialen, kulturellen, sowie politischen Bildung und der beruflichen Orientierung. Egoistische Beweggründe, wie das Ausnutzen der Abhängigkeit anderer, oder die Aufwertung des eigenen Selbstwertegefühles durch den Umgang mit Benachteiligten, wie der Erwerb eines besseren Ansehens in der Gesellschaft, können ebenfalls zu sozialem Engagement führen.

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Professionelle soziale Berufe entwickelten sich aus nachbarschaftlichen, spontanen oder gemeindlichen Hilfstätigkeiten und Ehrenämtern, welche organisiert und weiterentwickelt wurden (Wendt 1995, 19). Die erbrachten Hilfeleistungen wurden, über das reine behilflich sein hinaus, als Arbeit angesehen und entsprechend ausgestaltet, daraus entstand im 19. Jahrhundert die „junge Profession“ der Sozialen Arbeit (Kuhlmann 2008a, 8). Da sich Soziale Arbeit auf die Mitglieder einer Gesellschaft und im speziellen auf deren individuelle Notlagen und Bedürfnisse bezieht unterliegt sie zwangsläufig einem ständigen Wandel. Dieser begründet sich in unterschiedlichsten, z.B. politischen, technischen oder demografischen Entwicklungen in der Gesellschaft, die wiederum Veränderungen in der Lebenswelt des Einzelnen bewirken. Zum anderen wird Soziale Arbeit von der sozialpolitischen Situation, des jeweiligen Landes in dem sie tätig ist, beeinflusst, genauso wie von dem aktuellen Deutungsmuster für Armut, sie muss rechtliche Vorgaben einhalten und sich im Rahmen der, ihr zugänglichen, finanziellen Mittel bewegen. Doch auch gesetzliche Vorgaben und die Menge an finanziellen Mitteln unterliegen Veränderungen, ebenso wie die Träger Sozialer Arbeit. Aufgrund der unterschiedlichen Faktoren, welche auf sie einwirken und der Vielzahl an Handlungsfelder, auf welche sie sich bezieht, gestaltet sich eine umfassende, alle Aspekte Sozialer Arbeit aufgreifende und zugleich klar von anderen Disziplinen abgrenzende Definition schwierig. „Die Sozialarbeiterin wird als „Fürsorgerin“ gerufen; der Journalist schreibt über den „Sozialhelfer“; bei der Klientel ist einfach „Sozi“ im Schwange. Ein unverzerrtes Fremdbild kann indes kaum entstehen, wenn der Beruf von sich her kein klares und scharfes Bild bietet“ (Wendt 1995, 16).

Das Wissen um die Entstehung und Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit ist Grundlage zum Aufbau eines beruflichen Selbstverständnisses (Schilling 2005, 18). Kenntnisse über Ursprünge, Irrwege und Entwicklungsstadien der sozialen Berufe stellen die Basis zur Entfaltung einer eigenen Professionalität dar und tragen einen großen Teil zum Selbst-, aber auch zum Fremdverständnis Sozialer Arbeit bei. Darüber hinaus ermöglichen geschichtliche Rückblicke die (Weiter-) Entwicklung einer berufsspezifischen Ethik und zeigen verschiedene Deutungsmuster, auf, welche soziale Probleme, je nach Epoche, unterschiedlich auffassten

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(Kuhlmann 2008a, 7f.). Dies führt zu Reflexions- und Kritikfähigkeit innerhalb sozialer Berufe. Da eine Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis Sozialer Arbeit ohne Bezug auf geschichtliche Hintergründe kaum möglich ist, wird in den folgenden Kapiteln die Entwicklung professioneller Sozialer Arbeit dargelegt, um anschließend auf ihr Selbstverständnis einzugehen.

3.1. …und ihrer Entstehung: Die (vor-)geschichtliche Entwicklung der Sozialen Arbeit

In den frühen agrarischen Gesellschaften wurde Armut, in ihren unterschiedlichsten Formen, als Problem der Klein- oder Familiengruppe angesehen. Schwierigkeiten, wie z.B. der Mangel an Nahrung oder Geld wurden im „sozialen Primärverband“ angegangen und geregelt. Innerhalb der bäuerlichen Großfamilien, der kleinen Dorfgemeinschaften oder der Zünfte wurde gegenseitige Hilfe geleistet, daher gab es keinen Bedarf an öffentlicher Fürsorge. Nach Kriegen und Krankheiten waren die sozialen Primärverbände oftmals nicht mehr in der Lage ihre Armut intern zu beheben. Ebenso führten ökonomische und politische Veränderungen dazu, dass Armut zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde. Dieser Umstand kann als Ausgangspunkt Sozialer Arbeit gesehen werden, da die öffentliche Fürsorge notwendig wurde. Das gesellschaftliche Verständnis von und für Armut hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt und mit ihm natürlich auch die daraus resultierende Form der Armenfürsorge. Im groben unterteilt Schilling (2005, 19) diese geschichtlichen Entwicklungsstufen der Sozialen Arbeit in fünf Zeitabschnitte, welche im Folgenden näher erläutert werden sollen:

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das Mittelalter (etwa 12. – 13 Jahrhundert)



Beginn der Neuzeit (14. – 16. Jahrhundert)



Absolutismus und Aufklärung (17. – 18. Jahrhundert)



Zeitalter der Industrialisierung (18. – 19. Jahrhundert)



Armut und Wohlfahrtspflege des 20. Jahrhunderts

3.1.1. Das mittelalterliche Verständnis von Armut und Armenfürsorge

Das Mittelalter und die Neuzeit werden von Carola Kuhlmann als „Vorgeschichte“ Sozialer Arbeit beschrieben. Die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte schafft Verständnis für das Neuartige an sozialen Berufen und verdeutlicht die Interessen hinter den öffentlichen und privaten Hilfe- und Kontrollabsichten, welche seit der Neuzeit Einfluss auf soziale Berufe ausüben (Kuhlmann 2008a, 8).

Die mittelalterliche Armenfürsorge, sowie der Umgang mit „Armen“ wurden von den Lehren des Christentums und, im Besonderen, durch die Almosenlehre von Thomas von Aquin beeinflusst.

Die mittelalterliche Gesellschaftsordnung bestand in einer Ständeordnung. Diese, von Gott gewollte, Ordnung unterschied zwischen dem geistlichen und somit obersten Stand, dem weltlichen Stand, bestehend aus den Herrschern und dem bürgerlichen Stand. Die untersten Stände der Gesellschaft bestanden aus dem Stand der Besitzlosen und dem Stand der Bedürftigen, hierzu zählten Waisen, Witwen und Kranke. In dieser Gesellschaft stand das Gemeinwohl über dem Wohl des Individuums, welches sich der Gemeinschaft unterzuordnen hatte und außerhalb dieser Stände, somit außerhalb der Gesellschaft, standen die so genannten Ehrlosen, die öffentlichen Sünder. Arbeit wurde in dieser Zeit als Notwendigkeit und Pflicht zum Erwerb des Lebensunterhaltes verstanden. Es wurde als ein natürliches Gesetz und dem zu folge als ein göttliches Gebot betrachtet, dass der Mensch für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod und die damit verbundene Hoffnung auf die Einkehr ins Himmelreich, aber auch Furcht vor der Hölle und ewige Qualen, waren dominierend. Entsprechend stand die Bewahrung oder Wiederherstellung des eigenen Seelenheils im Vordergrund. In dieser Gesellschaft bildeten die „Armen“ eine anerkannte Schicht und stellten einen festen Bestandteil der göttlichen Ordnung dar. Durch die Abgabe von Almosen wurde allgemein der christlichen Pflicht nachgekommen, sie wurden aber auch ihrer Verankerung im Bußsakrament entsprechend vergeben und waren abhängig von der vorausgegangenen Sünde des Einzelnen. Dieser Umstand

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bedeutet allerdings, dass sich die Art und der Umfang der Almosen nicht unbedingt an der Notlage und den daraus resultierenden Bedürfnissen des „Armen“ orientierten, sondern an der Lebens- oder Sündensituation des Spenders. Armut wurde zu dieser Zeit aus einer ethisch-religiösen Perspektive und als ein von Gott gewolltes Schicksal wahrgenommen (Schilling 2005, 23). Ein Lebensumstand der den Reichen die Möglichkeit gab „Gutes“ zu tun und spätestens im Leben nach dem Tod „belohnt“ werden sollte.

„Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.“ (Matthäus 5,3)

Die Mehrzahl der Hilfsbedürftigen war durch Krieg oder Krankheit gezeichnet, arbeitsunfähig und auf Zuwendungen angewiesen. Die durch Armut bedingte Bettelei wurde nicht grundsätzlich negativ bewertet und war als religiöse, wenn auch niedere Tätigkeit anerkannt. Diese gesellschaftliche Einstellung der Armut und den „Armen“ gegenüber wurde durch den Umstand verstärkt, dass sich einige, aus religiösen Gründen, freiwillig für ein Leben in Armut entschieden. Ein solches Leben „stellte […] einen Zustand dar, der von Gott mehr geachtet wurde als der Reichtum“ und galt als „gute Startbedingung“ für das Jenseits (Kuhlmann 2008a, 15).

„Doch wehe euch, ihr Reichen, denn ihr habt schon euren Trost. Wehe euch, die ihr gesättigt seid, denn ihr werdet hungern.“ (Lukas 6, 24-25)

Der Theologe Thomas von Aquin (1225-1274) schrieb als einer der ersten über seine Gedanken zu dem richtigen Umgang mit Armut und Almosen. Er unterschied verschiedene Formen der Armut und beschränkte sie nicht allein auf einen Mangel an finanziellen Mitteln. Für ihn stellte auch ein Mangel an Bildung, sozialen Bezügen und Einflussnahme Merkmale von Armut dar. Thomas von Aquin unterschied bei den dargebrachten Almosen zwei Gattungen voneinander. Die „leiblichen Almosen“ sollten dem Nächsten erwiesen werden, wenn er an leiblichen Mängeln litt. Innerhalb dieser Gattung zählte er Möglichkeiten der Almosengabe auf und nannte sie die „sieben Werke der Barmherzigkeit“. Diese Werke beinhalteten „den Hung-

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rigen speisen, den Durstigen tränken, den Nackten bekleiden, den Fremden aufnehmen, den Kranken besuchen, den Gefangenen loskaufen, den Toten begraben“ (Aquin zit. n. Kuhlmann 2008b, 7). Für die zweite Gattung, die der „geistigen Almosen“, beschrieb er ebenfalls „sieben Werke der Barmherzigkeit“, welche in Zeiten geistiger Not getan werden sollten. Zu Werken dieser Gattung zählte er „den Unwissenden lehren, den Zweifelnden beraten, den Traurigen trösten, den Sünder bessern, dem Beleidiger nachlassen, die Lästigen und Schwierigen ertragen und für alle beten“ (ebd.). Seine Almosenlehre stellte den Helfenden in den Vordergrund und forderte dazu auf, sich auf die Dinge zu beschränken, welche zum standesgemäßen Leben benötigt werden. Er sah die Abgabe des überflüssigen Besitzes, an Hilfsbedürftige, als christliche Pflicht und Akt der Barmherzigkeit an und bezog die Almosengabe auf das Gebot der Nächstenliebe, wodurch er ihren Gebotscharakter unterstrich. „Da die Nächstenliebe unter Gebot steht, so muß notwendig alles unter Gebot fallen, ohne das die Liebe zum Nächsten nicht gewahrt werden kann. Zur Nächstenliebe gehört aber, daß wir dem Nächsten nicht bloß das Gute wollen, sondern es auch werklich tun […] was durch die Spendung von Almosen geschieht. Und deswegen steht das Almosenspenden unter Gebot“ (Aquino 1266 zit. n. Kuhlmann 2008b, 8). Demzufolge sündigen diejenigen, die nicht geben, obwohl sie genügend besitzen und einem anderen mit ihrer Gabe aus seiner Not helfen könnten.

Die Almosengabe stellte einen wichtigen Aspekt des damaligen Lebens dar, doch nicht allen „Armen“ konnte auf diese Art geholfen werden. Hilfsbedürftigen, die Nöte in den Bereichen der Pflege und Versorgung erlitten, konnte das Spenden von Kleidung oder Trost nicht gerecht werden. Neben der spontanen und privaten Almosengabe entstand eine zweite, organisierte Form der Armenhilfe in Form von Spitälern, Findelhäusern und Klöstern. Diese Häuser verpflegten all diejenigen, die sich aufgrund körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht allein versorgen konnten. Im Gegensatz zu den Spitälern und Findelhäusern, lag der Zweck von Klöstern nicht primär in der Pflege und Versorgung der „Armen“. Dementsprechend war der Alltag im Kloster von Arbeit und Gebet bestimmt. In den Städten wurden, oft durch reiche Bürger gestiftete, Spitäler eingerichtet, um Hilfsbedürftigen Unter-

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kunft und Versorgung zu bieten. Parallel zu diesen Einrichtungen entstanden die ersten kirchlichen Findelhäuser, diese sollten der hohen Zahl von Abtreibungen und Kindstötungen entgegenwirken. Die Kinder konnten anonym an einer „Babyklappe“ abgegeben werden und wurden versorgt. Diese besondere Form der Einrichtung war nötig, da sich viele Klöster und Waisenhäuser weigerten

Kinder unklarer Herkunft aufzunehmen. Dies

führte dazu, dass bereits sehr früh eine Abgrenzung und Spezialisierung der Jugendfürsorge stattgefunden hat (Kuhlmann 2008a, 17f). Organisation und Aufsicht der Einrichtungen wurden gegen Ende des Mittelalters zunehmend in städtische Hand genommen, wodurch sich die Möglichkeit eröffnete fürsorgerisches Handeln unter die politischen Ziele der Gemeinschaft zu stellen. Trotz der langsamen Übernahme durch die Städte waren die vier großen Träger der Armenfürsorge im Mittelalter Kirchen, Klöster, Orden und finanziell gut gestellte Einzelpersonen (Schilling 2005, 24). Eine Besonderheit der Armenfürsorge des Mittelalters besteht in der Tatsache, dass von den Bedürftigen keine Gegenleistungen, für die ihnen zuteil gewordenen Hilfen, verlangt wurden. Sie wurden lediglich dazu angehalten für den Spender zu beten und ihn dadurch, vor Gott, in ein besseres Licht zu rücken.

3.1.2. Armut und Armenfürsorge zu Beginn der Neuzeit

Gegen Ende des Mittelalters brachen die traditionellen ländlichen Versorgungsverbände zunehmend auseinander. Die Folge daraus war, dass ein Großteil der Bevölkerung, dessen Existenzgrundlage in der Agrarwirtschaft lag, vom Land in die Städte strömte. Die Bevölkerungszahl stieg konstant an, doch die Produktionsentwicklung stagnierte. Das Resultat dieser Entwicklung war eine Teuerungskrise mit anschließender Hungersnot. Insgesamt verschlechterte sich die Lebenssituation der Bevölkerung rapide und die verbreitete Einstellung gegenüber der Armut sorgte für ein rasches Wachstum des Bettelwesens (Schilling 2005, 26). Der Umgang mit Almosengaben und den „Armen“ wandelte sich zu Beginn der Neuzeit, durch ökonomische und die daraus resultierenden sozialen, wie auch politischen Veränderungen (Kuhlmann 2008a, 22). Die Städte

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waren der steigenden Zahl Hilfsbedürftiger nicht gewachsen und die Tatsache, dass einige Bettler zu versteuerndes Vermögen besaßen und es offenkundig unehrliche „Arme“ gab, welche sich diverser Tricks bedienten, um mehr Almosen zu bekommen, führten zu einer veränderten Wahrnehmung der Armut und des Bettelwesens (Schilling 2005, 25 f). Das Ideal der Armut verlor an Gültigkeit und sie wurde zu einem, von Gott ungewollten, Zustand, welcher als Folge menschlichen Versagens begriffen wurde (Kuhlmann 2008a, 19). Dabei galt es sich durch harte Arbeit und einem sparsamen Leben selbst aus diesem Lebensumstand zu befreien. Auch die Bedeutung des Reichtums veränderte sich in dieser Zeit. Finanzieller Erfolg wurde zunehmend als Indikator göttlichen Wohlwollens angesehen. Konfrontiert mit den Folgen der ökonomischen, politischen und sozialen Veränderungen musste die Armenfürsorge angepasst werden, um der neuen Situation gerecht zu werden und ihr gleichzeitig entgegenzuwirken. Schilling (2005, 27) nennt, nach Sachße und Tennstedt, vier Aspekte der Entwicklung einer städtischen Armenfürsorge: •

die Kommunalisierung



die Rationalisierung



die Bürokratisierung



die Pädagogisierung

Die Kommunalisierung beschreibt den Übernahmeprozess der Armenfürsorge durch die Städte. Die Verantwortung für Einrichtungen der Armenhilfe, welche zuvor größtenteils bei der Kirche lag, wurde zunehmend an städtische Räte übertragen, ebenso wie der Auftrag zur Vergabe von Almosen.

Durch die Rationalisierung sollten Kriterien festgeschrieben werden, anhand derer Art und Umfang der Unterstützungsleistungen geregelt werden konnten. Unter diese Kriterien fielen die Fragen nach der Arbeitsfähigkeit, der Familiensituation und des Einkommens. Mit der Festsetzung bestimmter Kriterien zur Bestimmung der Bedürftigkeit, wie auch durch den Einsatz überprüfender Instanzen zur Kontrolle der

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tatsächlichen Bedürftigkeit entstand ein Verwaltungsapparat, wodurch der Prozess der Armenhilfe bürokratisiert wurde.

Die Pädagogisierung bezeichnet den Umstand, dass von den Hilfesuchenden, für die erhaltene Unterstützung, Gegenleistungen erwartet wurden. Sie sollten sich an den Werten und Normen der städtisch-handwerklichen Mittelschicht orientieren und entsprechend ein diszipliniertes Leben in Fleiß und Ordnung führen, welches durch Mäßigung gekennzeichnet ist. Die „Arbeitserziehung“ sollte den Willen zur Arbeit stärken und fungierte gleichsam als Arbeitsbeschaffungsprogramm.

Der Übergang von einer kirchlichen hin zu einer städtischen Armenfürsorge hatte für die „Armen“ zahlreiche Konsequenzen. Die Kommunen waren darauf bedacht nur für die eigenen Hilfsbedürftigen aufzukommen, so wurde die Einbürgerung streng reglementiert. Zudem wurden Bettel- und Almosenordnungen erlassen, welche sowohl die Zeit des Aufenthaltes innerhalb der Stadt, wie auch die Almosengabe streng reglementierten (Kuhlmann 2008a, 22). Die Hilfeleistungen waren nicht länger religiös motiviert, sondern das Ergebnis einer „zweckrationalen, sozialpolitischen Strategie“ (Sachße/Tennstedt 1980, 33 zit. n. Schilling 2005, 28). Die Kategorisierung von Bedürftigkeit rückte Armut als soziales Problem in das Bewusstsein der Gesellschaft. Die Gruppe der Hilfsbedürftigen wurde dadurch leichter abgrenzbar und durch die Einführung der, so genannten, Bettelzeichen wurden sie nach außen zusätzlich kenntlich gemacht. Sie wurden zu einer geächteten gesellschaftlichen Randgruppe und das Bettelwesen wurde vielerorts gänzlich verboten. Diese Veränderungen waren, zum Teil durch den Umstand möglich, dass das christliche Weltbild der katholischen Kirche, in dieser Zeit, unter anderem durch die „kopernikanische Wende“ und die Neuinterpretation der Bibel von Martin Luther (1483-1546) geschwächt wurde (Kuhlmann 2008a, 23). Luther widersprach der Almosenlehre des Thomas von Aquin, nach der es möglich war durch die Almosengabe oder den Kauf von Ablässen in das Himmelreich zu gelangen. Nach seiner Ansicht konnte die Rettung der Seele nur über den Glauben und die Gnade Gottes, aber keinesfalls durch verrichtete Werke, wie die Vergabe von Almosen, erreicht werden. Ein weiterer Gegner der „thomisti-

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schen“ Almosenlehre war Johann Calvin (1509-1564). Er vertrat die Meinung, dass Erfolg im weltlichen Leben eine Form besonderer Erwähltheit darstellt. Armut ist demnach ein Zeichen dafür, dass nicht jeder Mensch von Gott erwählt wird. Die „calvinistische Arbeitsmoral“ bezog sich, unter anderem, auf den Satz des Apostel Paulus, aus dem zweiten Brief an die Thessalonicher: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“. „Lutheraner“ und „Calvinisten“ kritisierten entsprechend die Faulheit der „Armen“ und warnten vor Müßiggang, denn dieser sei „aller Laster Anfang“ (Scherpner 1966, 43 zit. n. Schilling 2005, 27). Ihre Ansichten beeinflussten den Umgang mit Armut und Hilfsbedürftigen deutlich. Im Umgang mit „Armen“ setzten sich die Arbeitspflicht für Arbeitsfähige und der Arbeitszwang für Arbeitsunwillige durch (ebd.). Auch der „Humanismus“ trug merklich zu den Veränderungen in der Wahrnehmung des sozialen Problems der Armut bei. Er orientierte sich an Aussagen der katholischen Lehre und wollte diese „in ihrer praktischen Einfachheit wieder allen zugänglich machen“. Zudem orientierte er sich aber auch an den jeweiligen Notlagen und individuellen Bedürfnissen der Notleidenden und sprach sich entsprechend für Einzelfallhilfen aus. Auch in der humanistischen Soziallehre wurden Arbeitspflicht und bei Verweigerung Zwangsarbeit gefordert, allerdings standen die „Humanisten“ den „Armen“ nicht so verachtend und kritisch gegenüber, wie es bei den „Lutheraner“ und „Calvinisten“ der Fall war (Kuhlmann 2008, 23).

Der spanische Humanist Juan Luis Vives (1492-1540) entwickelte erste Ansätze und Ideen, zu einem neuen Verständnis davon, wie der Armut und den „Armen“ auf einem angemessenen Weg zu begegnen und zu helfen ist. In seinem Buch „Über die Unterstützung der Armen“ (1526) stellt er ein Konzept zur künftigen Gestaltung und Finanzierung der Armenhilfe vor, gleichwohl ruft er die Regierenden und reichen Bürger dazu auf, ihre Verantwortung den „Armen“ gegenüber wahr- und ernst zu nehmen. Vives kritisierte die Gesellschaft für die Tatsache, dass es so viele Hilfsbedürftige gab und beschrieb es als „schimpflich und beschämend für uns Christen, denen nichts mehr aufgetragen ist als die Liebe, ja vielleicht als Einziges überhaupt, dass man in unseren Staaten so viele Arme und Bettler auf Schritt und Tritt antrifft“ (Vives zit. n. Kuhlmann 2008b, 15). Er stellte Armut

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als soziales und politisches Problem in den Vordergrund und warnte davor die Schwächeren zu vernachlässigen, da dieses nicht ohne Schaden für die Mächtigen bleiben würde. Vives meinte, dass eine Verwaltung, welche sich nur um die Reichen kümmert, handele, „wie wenn ein Arzt nicht viel Wert darauf legt, den Händen und Füßen zu helfen, weil sie weit vom Herzen weg sind“ (Vives zit. n. Kuhlmann 2005b, 13). Die Notwendigkeit einer umfassenden Versorgung der „Armen“ ergab sich für ihn aus verschiedenen Gründen. Die ungleiche Verteilung materieller Güter und daraus entstehende Notsituationen könne die Zahl krimineller Handlungen, wie z.B. Diebstähle und Raubüberfälle, steigen lassen, aber auch zu einer Wut auf die Reichen führen, welche letztendlich in einem Bürgerkrieg enden würde. Aus diesem Grund sollten Reiche, schon allein zum Selbstschutz, die Hilfsbedürftigen versorgen. Sie sollten die „Armen“ nicht verachten, sondern als Schande ihrer Gesellschaft betrachten und ihnen in ihrer Not helfen. Einen weiteren Grund sah Vives in der Verbreitung ansteckender Krankheiten. Er bemängelte die Situation, dass sich die Kranken an hohen Festtagen vor der Kirche versammelten um zu betteln, wodurch sich die Kirchgänger durch Reihen von Krankheit, Geschwüren und Wunden zwängen mussten. Darum forderte er die Verwaltung dazu auf den Kranken zu helfen, wodurch die Ausbreitung von Krankheiten verhindert und das Gemeinwohl geschützt würde. Auch die schlechte Bildung der „Armen“, insbesondere die ihrer Kinder, und mögliche daraus resultierende Entwicklungen waren für Vives ein Argument für die Versorgung der Hilfsbedürftigen. Bildung stellte für ihn einen wichtigen Aspekt der Armenhilfe dar, da sie erst das Wissen um ein tugendhaftes Leben vermittelt (Kuhlmann 2008a, 20). Durch die Abgrenzung der „Armen“ vom Rest der Gesellschaft war unsicher, nach welchen Gesetzen sie lebten, welches Verständnis vom christlichen Glauben sie besaßen und was sie über die Normen und Werte der Gesellschaft dachten. Vives sah darin die Gefahr, dass die Bettler nach „völlig verlotterte[n] Sitten“ lebten und dadurch die kommunale Ordnung gefährden könnten. Fehler, welche auf einen Mangel an Bildung zurückzuführen waren, sollten dem Betroffenen, seiner Meinung nach, nicht zu schwer angelastet werden, denn auch in diesem Bereich sah er die Verantwortung auf Seiten des Staates. Dieser sollte seine Aufmerksamkeit weniger darauf richten die „bösen“ Bürger zu bestrafen, sondern sich vielmehr darum bemühen seine

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Bürger „gut“ zu machen (Kuhlmann 2005b, 15). Das von Vives entwickelte Konzept, stellt ein System dar, welches alle Bereiche der Armenfürsorge in einen einheitlichen Zusammenhang bringt, da es sowohl materielle, wie auch geistige und bildende Förderungen beinhaltet. Daher verdeutlichen seine Schriften den Übergang zu einer organisierten und somit kontrollierbaren städtischen Armenfürsorge. In seiner Arbeit ging er, nach Schilling (2005, 29) von den folgenden vier Grundsätzen aus: •

Arbeitspflicht für Arme



Versorgung der Armen mit Arbeit



Individualisierung der Armenfürsorge



Erziehung in der Armenfürsorge

Für Vives stellte Arbeit keine von Gott gewollte Tätigkeit dar. Seiner Ansicht nach, besitzt der Mensch eine natürliche Veranlagung zur Arbeit und sollte dieser nachkommen. Der Wert von Arbeit wurde somit nicht mehr von außen bestimmt, sondern ergab sich aus ihr heraus, wodurch sie zu einem erstrebenswerten Gut wurde. Demnach konnte vom Menschen erwartet und verlangt werden, dass er seinen Kräften entsprechend arbeitet, allerdings wurde die Bettelei nicht mehr als berufliche Tätigkeit anerkannt (ebd.). Durch die ausgerufene Pflicht zur Arbeit war die Vermittlung von Arbeitsstellen das wichtigste Mittel zur Unterstützung der Hilfsbedürftigen. Diese sollten von einem Arzt auf ihre Arbeitsfähigkeit überprüft und anschließend in eine Beschäftigung vermittelt werden, der sie früher bereits nachgegangen sind oder die sie interessiert. Für jene, die zwar arbeitsfähig waren, jedoch nicht arbeiten wollten, sah Vives eine Zwangsbehandlung vor. Um die individuellen Verhältnisse überprüfen zu können, sollten „Armenregister“ angelegt werden in denen die spezielle Notlage, die frühere Lebenssituation, sowie der Anlass der Verarmung, die Lebensart und die Moral der Bedürftigen festgehalten wurden. Die jeweiligen Hilfen sollten sich dabei in Art, Dauer und Umfang an den leiblichen, geistigen und materiellen Bedürfnissen des Einzelnen orientieren. Den vornehmsten Aspekt der Hilfeleistungen sah Vives allerdings in dem erzieherischen Charakter der Armenfürsorge. Er wollte die „Armen“ sowohl aus ihrer Notlage befreien und dadurch das Gemeinwohl schützen, als auch eine moralische Förderung

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des Einzelnen betreiben und die, von der Gesellschaft abgegrenzten, Hilfsbedürftigen zu „guten“ Bürgern, wie auch zu „guten“ Christen machen. Zu diesem Zweck forderte er „Institutionen der Erziehungsaufsicht“, welche sich nicht nur um Kinder, sondern auch um Erwachsene kümmern sollten (Schilling 2005, 30). Bezüglich der Umsetzung und Finanzierung seines Modells, war er darauf bedacht die Spendenfreudigkeit der Bürger anzuregen und das Problem der Armenerziehung zu lösen. Um dies zu erreichen stellte er selbst einige Möglichkeiten vor. Unterstützungen sollten den „Armen“ nur gewährt werden, wenn sie nachweislich bedürftig waren und selbst dann auch nur, wenn sie sich entsprechend verhielten und Besserung möglich schien (Kuhlmann 2008a, 21). Durch die Einführung der „Armenregister“ würde die Bearbeitung der Einzelfälle leichter und zur Überprüfung der tatsächlichen Lebensumstände, sollten die Hilfeempfänger regelmäßig von zwei Ratsherren besucht werden. Zusätzlich benötigte Auskünfte, über familiäre Verhältnisse, könnten so auch von den Nachbarn eingeholt werden. Die Stadt sollte dafür in Bezirke unterteilt werden, welche die jeweiligen Verantwortungs- und Handlungsgebiete der „amtlichen Besucher“ darstellten. Ein stetiger Informationsfluss zwischen den Ratsherren, dem Stadtrat und dem Bürgermeister, sowie die damit verbundene Ausarbeitung des „Armenregisters“ setzte Vives voraus und „denen, die der Rat mit der Prüfung und Durchführung dieser Dinge beauftragt, soll[te] er Macht verleihen, zu verlangen und zu verbieten bis hin zu der Möglichkeit, ins Gefängnis zu werfen, damit der Rat Gericht halten kann über diejenigen, die nicht gehorsam waren“ (Kuhlmann 2005b, 17). Laut Vives klagten Schafzüchter, Seidenweber und andere Handwerker oft darüber, dass sie keine Angestellten finden würden, weil die Eltern der „armen“ Kinder der Meinung waren, diese „brächten vom Betteln mehr nach Hause“ (Kuhlmann 2008b, 19). Aus diesem Grund standen diese Betriebe im Fokus seiner Arbeitsvermittlung, zumal wohnsitzlosen Bettlern dort die Möglichkeit einer festen Unterkunft geboten wurde. Um die Handwerksmeister zur Schaffung neuer Arbeits- oder Ausbildungsplätze zu motivieren, schlug Vives vor diese Betriebe mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu unterstützen. Ebenso sollten solche Aufträge an die zur Selbstständigkeit gelangten ehemaligen „Armen“ gehen. Darüber hinaus vertrat er die Meinung, dass es durch Anordnung der Stadtregierung möglich sein müsse einzelnen

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Handwerksbetrieben eine bestimmte Zahl „Armer“ zuzuweisen. Um eine Verarmung der Gemeinde zu vermeiden, sollten die Hilfeleistungen keinem fremden Bettler zugute kommen, diese sollten in die Heimat zurück geschickt werden, sofern dies nicht durch einen Krieg verhindert wurde. Kranken Bettlern hingegen sollte so lange in den Spitälern geholfen werden, bis sie gesund genug waren, um die Stadt wieder zu verlassen. Die Finanzierung der Hilfeleistungen sollte durch Stiftungen am Sterbebett, wie auch durch die Errichtung von Opferstöcken an den Kirchen geleistet werden. Ebenso forderte er von der Stadt, dass sie auf Festumzüge oder –essen verzichtet, um weitere finanzielle Mittel für die Armenhilfe abzusparen. Das Ziel dieser Maßnahmen lag für Vives darin ein Stadt- oder Staatsbild zu erschaffen, welches den Bürger versorgt und in Zeiten der Not Hilfe leistet. Dadurch sollte auf Seiten des Bürgers eine „Vaterlandsliebe“ entstehen, welche ihn von Aufständen, Bürgerkriegen und dem Streben nach „Neuerungen“ Abstand nehmen lässt.

Die Institutionen der Armenhilfe in der Neuzeit erstrecken sich von den wenigen staatlichen Arbeits-, sowie Zuchthäusern, über die kirchlichen, sowie kommunalen Armen- und Waisenhäuser. Obwohl grundsätzlich die Kommunen für die Versorgung „ihrer Armen“ verantwortlich waren, wurden in Deutschland, um 1600, die ersten zentralen Arbeits-, Zucht- und Besserungshäuser errichtet. Diese waren für die umherziehenden „Armen“ vorgesehen um der „Landarmenplage“ Einhalt zu gebieten. In diesen Einrichtungen wurden die „umherziehenden Vagabunden“ samt ihrer Familien gemeinsam mit Straftätern untergebracht und zur Arbeit erzogen. Der Tagesablauf war durch die Einteilung in Weck-, Bet- und Mahlzeiten streng strukturiert. Die Anstaltsbewohner wurden isoliert und nach Geschlechtern getrennt, ihnen wurden die Haare kurz geschoren und das Fluchen und Schwören war verboten. Sie verrichteten zumeist „stumpfsinnige“ Arbeiten und wurden bei Ungehorsam und Regelverletzungen mit Essensentzug, aber auch harten körperlichen Strafen diszipliniert. (Kuhlmann 2005a, 24). Parallel dazu entstanden neue kirchlich getragene Institutionen der Armenund Kinderfürsorge. Betteln wurde als Sünde ausgelegt, der man nur durch verordnete Zwangsarbeit begegnen könne. Allerdings sollte die Zwangsarbeit in Bezug auf Kinder mit Schul- und Religionsunterricht kombiniert wer-

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den. Nach dieser Vorstellung entstanden Anstalten, welche zumeist mit einer „Hausarmenpflege“ und in manchen Fällen zusätzlich mit einem „Besserungshaus“ für Straftäter und verhaltensauffällige Jugendliche verbunden waren. Die seit dem 16. Jahrhundert bestehenden „Bürgerwaisenhäuser“ wurden durch Stiftungen reicher Bürger finanziert. Sie nahmen keine unehelichen Kinder auf und kümmerten sich nur um die, durch Krankheiten oder Krieg

elternlos gewordenen Kinder von Stadtbürgern

(Kuhlmann 2008a, 26). Klöster und Spitäler hatten weiterhin in unterschiedlicher Trägerschaft bestand. So entstanden bereits zum Ende des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit die ersten Institutionen, welche auf die Organisation und Durchführung sozialer Hilfeleistungen spezialisiert waren und zugleich einer bürgerlichen oder staatlichen Kontrolltätigkeit nachgingen. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der „Erziehung zur Arbeit“ und wurde durch den Gedanken geprägt, dass die materielle Versorgung allein nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation des Hilfsbedürftigen führen könne. Ebenso wichtig für eine dauerhafte Besserung, wenn nicht noch wichtiger, sei eine Veränderung der psychischen Verfassung. Dabei fand Erziehung allerdings vor dem Hintergrund der Gewöhnung an Arbeit und der Anpassung an die gesellschaftliche Ordnung, durch Zwang zur Unterwerfung und Disziplinierung statt.

3.1.3. Absolutismus, Aufklärung, Armut und Armenfürsorge

Eine Besonderheit, in Bezug auf „soziale“ Einrichtungen im 17. und 18. Jahrhundert bestand in der steigenden Zahl der zentralen, also nicht städtisch, sondern staatlich geförderten, Werk-, Zucht- und Arbeitshäuser. Schilling (2005, 31) unterscheidet, nach Sachße und Tennstedt, vier Entwicklungslinien, welche zu ihrem Auf- und Ausbau führten. Sie entstanden aus der Tradition der „stationären“ Armenfürsorge heraus, welche bereits in Form der Spitäler, Armen- und Waisenhäuser existierte und orientierten sich an dem Gedanken zur „Arbeitserziehung“. Auch die Ablösung von Todes- und Körperstrafen durch Freiheitsentzug oder Zwangsarbeit trug zur weiteren Verbreitung der Arbeits-, Zucht- und Werkhäuser bei. Ein weiterer und wichtiger Grund waren die veränderten wirtschaftspolitischen

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Bedingungen im Land. Mit Blick auf die aufwendigen Lebensstile der „absolutistischen“ Könige, deren Höhepunkt mit Ludwig XIV. (1638-1715) erreicht war, stiegen die Ansprüche der Herrschenden. Sie strebten nach ähnlich prunkvollen Höfen und einer möglichst allumfassenden Herrschaft. Resultate dieser Entwicklung waren „Verstaatlichungsprozesse“, wodurch die kommunale Wirtschaft zunehmend zu einer Staatswirtschaft wurde, welche sich vor allem an den Bedürfnissen der Herrscher orientierte. Der Staat übernahm in immer mehr Bereichen die Kontrolle, so dass er z.B. einen von sich abhängigen, einheitlichen und zentralen Verwaltungsapparat schuf, die Kirche in das Staatswesen einbezog und ein Heer aufstellte. Die „merkantilistisch“ geprägte und staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik verfolgte die Ziele den Reichtum des Staates, also den Besitz von Geld und Edelmetallen, wie auch ihn selbst und seine Macht zu vergrößern. Dies sollte durch einen ausgeprägten Außenhandel erreicht werden. Von einer erfolgreichen Steigerung des Exporthandels wurde erwartet, dass er die anderen Staaten, von den ihrerseits importierten Produkten, abhängig macht, den Reichtum fördert und somit zu einer machtvollen wirtschaftlichen Position führt. Der Importhandel wurde dem entsprechend vermieden, da die wirtschaftliche Unabhängigkeit erhalten bleiben sollte. Zur Förderung und Sicherung des Handels waren Wirtschafts- und Kriegsflotten nötig, ebenso der Bau neuer Straßen und Brücken. All diese Maßnahmen mussten finanziert werden, zusätzlich war der Staat darauf angewiesen den möglichst effektivsten und produktivsten Nutzen aus seinen Arbeitsfähigen zu ziehen. Diese Umstände förderten das Interesse des Staates an Arbeits-, Werks-, wie auch Zuchthäusern. Die Einrichtungen boten ihm die Möglichkeit die arbeitsfähigen „Armen“ für seine Zwecke und in den, von ihm geförderten, Gewerbearten arbeiten zu lassen. Somit leistete er, in Form der Arbeitsbeschaffung und -vermittlung, Armenhilfe. Gleichzeitig trugen die Arbeitshäuser zur Entwicklung einer neuen Art der Produktion, in Form der Manufakturen, bei. Diese Manufakturen führten allerdings auch zu einem Wertverlust der handwerklichen Tätigkeiten und sorgten somit in weiteren Teilen der Bevölkerung für Armutszustände (Kuhlmann 2008a, 24). Die Arbeiter konnten direkt in den Werk- und Arbeitshäusern eingesetzt oder an entsprechende Großbetriebe vermittelt werden, welche ständigen Bedarf hatten, da das entstehende Manufaktursystem eine Vielzahl von Arbeitern benötigte. Eine

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weitere Möglichkeit, welche dem Staat durch die Unterbringung der gesellschaftlichen „Randgruppen“ in den Arbeits-, Werk- und Zuchthäusern eröffnete, bestand aus Disziplinierung der untersten Bevölkerungsklasse. In diesen Einrichtungen sollten sowohl handwerkliche Fähigkeiten erworben, wie auch Gehorsam und Moral gelernt werden, um die Arbeiter anschließend zu Leibeigenen machen zu können oder sie zur Fronarbeit zu zwingen (Schilling 2005, 31 f.) Im Bereich der Jugendfürsorge wurden im späten 18. Jahrhundert so genannte „Spinnhäuser“ und „Industrieschulen“ gegründet. Hier wurden „arme“ Kinder aufgenommen und bekamen ein gewisses Maß an Bildung vermittelt, auch sie wurden zu Fleiß und Arbeitsfähigkeit erzogen.

Den „absolutistischen“ und „merkantilistischen“ Entwicklungen stellten sich im 18. Jahrhundert Prozesse der „Aufklärung“ entgegen. Sie drängten auf den Einsatz der menschlichen Vernunft und auf die Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse. Durch naturwissenschaftliche Forschungen und deren Ergebnisse wurden bis dahin, durch Kirche und Staat, festgeschriebene Tatsachen, wie das Bestehen einer göttlichen Ordnung, hinterfragt und Kirche, wie auch Staat verloren an Macht. Es wurden, unter anderem, Menschenrechte gefordert, welche sich auf die „Gleichheit des Menschen“ (John Locke), ebenso wie die auf Gewaltenteilung in „Legislative, Exekutive und Judikative“ (Montesquieu) berufen. Ziel der Aufklärung, auf gesellschaftspolitischer Ebene, war die Befreiung des Menschen aus den bestehenden Bevormundungen und somit der Ausbau seiner persönlichen Handlungsfreiheiten. Darüber hinaus sollte eine neue, nicht auf Arbeitserziehung ausgelegte Form der Pädagogik entstehen. Auch bürgerliche Rechte, basierend auf allgemeinen Menschenrechten, sollten garantiert werden und es wurde gefordert, dass sich der Staat gegenüber dem Gemeinwohl verpflichtet. Nach Schilling (2005, 33 f.) zeigte sich die wirtschaftliche Form der Aufklärung im „Liberalismus“. Dieser forderte eine passive Haltung des Staates gegenüber der Wirtschaft und schrieb ihm lediglich die Aufgabe zu für die Einhaltung der bürgerlichen Gesetze zu sorgen. Darüber hinaus stand er für die Abschaffung der öffentlichen, gesetzlichen Armenhilfe.

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Der Hauptvertreter des „Liberalismus“ war der Geistliche Thomas Robert Malthus (1766-1834). Seine Theorie hatte während des 18. und 19. Jahrhunderts großen Einfluss auf die Gestaltung der Armenfürsorge und stellt bis heute ein diskutiertes Thema der Sozialen Arbeit dar.

Er gründete

seine Überlegungen auf das „Bevölkerungsgesetz“, welches besagt, dass die Zahl der Einwohner in geometrischer Reihenfolge (z.B.: 2-4-8-16…) wächst, wohingegen die Zahl der Mittel zur Lebensunterhaltung in arithmetischer Reihenfolge (2-4-6-8…) ansteigt. „Die natürliche Folge daraus ist, dass beide Reihen wie eine geöffnete Schere immer weiter auseinandergehe[n]“ (Sachße/Tennstedt, 1980, 182 zit. n. Schilling 2005, 33). Demnach ist es der Erde nicht möglich genügend Lebensmittel hervorzubringen, um die, in dem Maße, steigende Bevölkerungszahl ausreichend zu versorgen. Malthus sah in dieser Entwicklung ein Naturgesetz, dessen natürliches und einzig wirksames Mittel zur Hemmung des Bevölkerungswachstums aus Not und Elend bestand. Im Laufe dieser Entwicklung würde sich die Bevölkerung durch Verarmung, Wohnungsnot, Knappheit der Nahrungsmittel, Verbreitung von Krankheiten und die daraus resultierende erhöhte Sterblichkeit, dezimieren. Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und Armenhilfe lehnte er entschieden ab, da sie die Not in der Gesellschaft noch steigen lassen würden. Er verdeutlicht seine Überlegungen mit dem Bild von der Tafel des Lebens. Diese Tafel habe nur eine begrenzte Zahl an Gedecken und wer sich an eines setzt verdrängt damit automatisch einen anderen. So würde die Einstellung des einen Arbeiters zur Entlassung eines anderen führen. Allerdings beschränkte er die Aufhebung der Armenhilfe, in dem er einräumte, dass einige Arbeits- und Werkhäuser durchaus bestehen bleiben könnten und die „Armen“ der Wohltätigkeit privater Bürger überlassen werden sollten. Bürgerliche Wohltätigkeit hatte, in seinen Augen, zwar bedauerliche Konsequenzen für die Gesellschaft, schien ihm allerdings gleichzeitig als unlösbares Problem. In Bezug auf die steigende Zahl der Einwohner kritisierte er zudem die Unterstützung der hilfsbedürftigen Familien. Der Umstand, dass ihnen z.B. die Kinder genommen würden, um diese in Kinder- oder Waisenhäuser unterzubringen, hätte zur Folge, dass sie weitere Kinder zur Welt bringen und die Bevölkerungszahl entsprechend weiter anwächst. Er forderte, die Einhaltung strenger sittlicher Einschränkungen, nach denen ein, bis zur Ehe, enthaltsames Leben geführt

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werden sollte. Eine Eheschließung sah er nur für solche vor, die in der Lage waren ihre Familie eigenständig zu versorgen. Darüber hinaus sollte ein „vollkommen sittliches Verhalten während dieser Zeit strenge Pflicht“ sein (Kuhlmann 2005b, 24). Statt die „Armen“ durch Hilfeleistungen zu unterstützen, wollte er sie über die Wirkung des „Bevölkerungsgesetzes“ informieren, sie also dahingehend aufklären und verlangte gleichzeitig von ihnen den Aufschub der Eheschließung und sogar den gänzlichen Verzicht auf die Ehe, sowie auf die damit verbundene Familiengründung. Dies stellte für ihn den einzigen Weg dar, dem natürlichen „Bevölkerungsgesetz“ gerecht zu werden (Schilling 2005, 34).

3.1.4. Armut und Armenfürsorge zur Zeit der Industrialisierung

Eine Folge der „französischen Revolution“ (1789) war die zunehmende Verbreitung der Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wie auch die von Menschenrechten und Demokratie. Die „Bauernbefreiung“ oder Aufhebung der Leibeigenschaft (1807) und die damit aufgehobenen Heiratsbeschränkungen, sowie die Einführung der Gewerbefreiheit (1810/11) ermöglichten es den Mitgliedern der unteren Bevölkerungsschichten ungehindert Familien zu gründen und sorgten somit für einen starken Anstieg der Einwohnerzahl (Schilling 2005, 35). Durch technische Entwicklungen, wie der Erfindung der Dampfmaschine (1769), schritt die „industrielle Revolution“ rasch voran. Sie etablierte die Produktion in Fabriken und ließ regelrechte Industriezentren, wie auch den „freien“ Lohnarbeiter entstehen (Kuhlmann 2008a, 29). Diese Umstände beschreiben den Ausgangspunkt für die Entwicklung von einer feudalen, durch agrarwirtschaftliche und handwerkliche Produktion gekennzeichneten Gesellschaft hin zu einer städtischen Klassengesellschaft, welche sich durch eine fabrikmäßige Produktionsweise auszeichnet. Diese Veränderung hatte zur Folge, dass weitere Bevölkerungskreise ihre Existenzgrundlage verloren, primäre Versorgungsverbände zerfielen weiterhin und mit ihnen verschwanden die traditionellen Versorgungsleistungen für Alte, Kranke und Waisen annähernd. Die Beschäftigung als Lohnarbeiter hatte zur Folge, dass die Arbeiter im Fall von Krankheit, Schwangerschaft, Unfall oder Alter nicht versorgt

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waren. Im Gegensatz zu den früheren Grundherren waren die Fabrikbesitzer und Unternehmer nicht daran interessiert sich, über die Arbeit hinaus, um ihre Arbeiter zu kümmern. Sie kauften deren Arbeitskraft lediglich stundenweise ein und versuchten dabei möglicht günstig wegzukommen, da sie konkurrenzfähig bleiben wollten. Ein weiterer Nachteil für die Arbeiter bestand in der Tatsache, dass sie, z.B. in Folge einer schlechten wirtschaftlichen Situation, ohne weiteres gekündigt werden konnten. Diese Umstände waren für die einzelnen Arbeiter verheerend, da sie den Vorgängen schutzlos ausgeliefert waren. Doch auch für die Städte und Gemeinden stellte die Situation eine Belastung dar, denn sie erschwerte es ihnen ihrer Aufgabe, der „Verwaltung“ von Armut, nachzukommen (Kuhlmann 2008a, 30). Die Geldknappheit, wie auch die Überbevölkerung des Staates führten zu einem Mangel an Arbeitsplätzen und letztendlich zum „Pauperismus“. Aufgrund der Tatsache, dass die Einwohnerzahl schneller stieg, als die Wirtschaft wuchs war das Interesse des Staates, in Bezug auf die Armenfürsorge, mehr auf sich selbst und weniger auf die Bedürfnisse der „Armen“ gerichtet. Die staatliche Einstellung gegenüber den Hilfsbedürftigen lässt sich nach Sachße und Tennstedt (Schilling 2005, 36) in folgende drei Punkte zusammenfassen. •

Es bestand kein Rechtsanspruch auf Unterstützung. Die Fürsorge orientierte sich an den Zielen der Aufrechterhaltung öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Im Sinne eines Polizeirechtes stand die Gefahrenabwehr im Vordergrund.



Der Verlust der bürgerlichen Rechte, welcher mit dem Bezug öffentlicher Unterstützungsleistungen einherging, schloss die „Armen“ von der Mitwirkung an den drei Gewalten des konstitutionellen Rechtsstaates aus.



„Arme“ mussten jede Form von angebotener Arbeit annehmen und verbüßten im Fall einer Weigerung Haftstrafen.

Neben diesen Regelungen war es den einzelnen Staaten des Deutschen Reiches selbst überlassen weitere Einschränkungen und Beschlüsse zum Umgang mit Armut und den „Armen“ zu erlassen. So durften, z.B. in Bayern, Ordnungskräfte die Wohnungen der Hilfeempfänger zu jeder Zeit betreten

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und kontrollieren. Trotz dieser Maßnahmen verschluckte die Versorgung der „Armen“ in vielen Städten bis zu zwei Drittel der Steuereinnahmen. Als Beispiel ist die Stadt Elberfeld zu nennen, welche zu den, sich am schnellsten entwickelnden Industriestädten in Deutschland gehörte (Schilling 2005, 37). Ihre Einwohnerzahl lag um 1800 bei etwa 12.000, bereits 50 Jahre später war sie, um mehr als das vierfache, auf 50.364 gestiegen und diese Entwicklung verstärkte sich in den folgenden Jahren, so dass 1885 bereits 106.492 Einwohner in Elberfeld lebten. Dabei musste die Stadt bereits 1830 die Hälfte ihres Stadtetats für die Armenhilfe aufwenden (Kuhlmann 2008a, 30).

Durch das „Elberfelder System“, welches 1867 von Daniel von der Heydt, Gustav Schieper und David Peters erarbeitet wurde, bot sich, zunächst der Stadt Elberfeld, die Möglichkeit einer strukturierten und organisierten Armenhilfe. Das Konzept sah vor die Mittel, welche für die Versorgung der Hilfsbedürftigen verfügbar waren, möglichst sparsam zu verwenden. Schilling (2005, 37) fasst die Grundsätze der Organisation und materieller Ziele des „Elberfelder Systems“ in den folgenden vier Punkten zusammen: •

Ehrenamtliche Arbeit in der Armenhilfe



Individualisierung der öffentlichen Armenhilfe



Dezentralisierung der öffentlichen Armenhilfe



Vermeidung von Dauerleistungen

Durch den Einsatz von ehrenamtlichen Helfern wurde die Armenbehörde finanziell entlastet. Die Helfer sollten die Bedürftigen besuchen, kontrollieren und entsprechende Anträge auf Unterstützung stellen. Dabei sollte kein Helfer mehr als vier Familien oder Einzelpersonen betreuen, damit eine individuelle Versorgung gewährleistet war. Darüber hinaus stellte diese Festlegung sicher, dass die Helfer gründlich arbeiten, also prüfen und kontrollieren, konnten. Die Dezentralisierung spaltete die städtische Armenverwaltung, welche nun lediglich für die Regelung der Tätigkeit der Helfer durch entsprechende Anweisungen zuständig war, von den Helfern. Diese sollten nicht als ausführende Organe der Stadtverwaltung tätig sein, sondern ihre Unterstützungsleistungen eigenständig in den Bezirksversamm-

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lungen beschließen. Die jeweiligen Unterstützungsleistungen sollten allerdings zeitlich möglichst begrenzt werden, daher wurden sie meist für maximal 14 Tage bewilligt, um so den Willen zur Arbeit zu fördern. Um die Arbeit besser organisieren zu können wurde die Stadt in verschiedene Bezirke unterteilt, welche ihrerseits nochmals in Quartiere aufgeteilt wurden. Jeder Bezirk hatte einen ehrenamtlichen Vorsteher und jedem Quartier stand ein ehrenamtlicher Armenpfleger vor. Dabei wurde darauf geachtet, dass kein Pfleger die maximale Fallzahl überschritt. Zur Erleichterung und Vereinheitlichung der Arbeit wurden, durch die Verwaltung, die ersten allgemeinen Richtlinien, sowie ein Fragebogen eingeführt. Die Maßnahmen dienten dabei dem Zweck den einzelnen Menschen aus seiner Armut zu befreien. Dies sollte, in erster Linie, durch die organisierte Vermittlung von Arbeit und den Zwang zur Ausführung jedweder angewiesenen Arbeit geschehen. Für den Fall, dass für einen Arbeitslosen nicht umgehend eine neue Anstellung gefunden wurde, waren finanzielle Unterstützungen vorgesehen, welche allerdings sehr knapp bemessen waren, um den Antrieb eigene Arbeit zu leisten zu schwächen. Eine Klärung möglicher Ursachen für Armut und deren Beseitigung stellte keinen Bestandteil der Überlegungen dar. Dennoch war dieses Modell das wirksamste seiner Zeit und fand auch im Ausland viel Anerkennung und Nachahmer. So gilt es weithin als Vorbild einer organisierten Armenpflege (Schilling 2005, 37).

3.1.5. Die Ursprünge einer modernen Sozialen Arbeit

Die öffentliche Frage nach sozialer Gerechtigkeit markierte, zum Ende des 18. Jahrhunderts, den Umbruch von der Neuzeit in die Moderne, wodurch die Ziele der „vormodernen“ sozialen Einrichtungen, welche auf die Versorgung und Kontrolle, bis hin zur Züchtigung der Hilfsbedürftigen beschränkt waren, ebenfalls in Zweifel gezogen wurden. Aufgrund der ökonomischen und daraus folgenden sozialen Veränderungsprozesse entwickelte sich die Frage, wie der, zunehmend im Elend lebenden „Arbeiterklasse“ geholfen werden könne. Mit Entstehung dieser „Soziale Frage“, entwickelten sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts unterschiedliche soziale Bewegungen, welche ihrerseits verschiedene Antworten darauf gaben. Einige, deren Ein-

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fluss bis in die Entwicklung des 20. Jahrhunderts hineinreicht, sollen im Folgenden, nach Kuhlmann (2008a, 31 ff.), kurz dargestellt werden.

In Auseinandersetzung mit den Idealen der Aufklärung und Konsequenzen der französischen Revolution sah der Sozialpädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) eine Antwort auf die „soziale Frage“ in der Erziehung der „Armen“ zur sittlichen Armut. Er war der Meinung, dass der Mensch zwischen seinen Trieben und gesellschaftlichen Anforderungen stehe, wobei ihm erst durch Sittlichkeit das Leben in einer Gesellschaft möglich wäre. Diese sei jedoch nur durch Erziehung und Bildung zu erlangen, daher sollten, vor allem, die „armen“ Kinder unterrichtet werden. Dabei betonte er die Bedeutung emotionaler Zuwendungen, wie auch die Notwendigkeit von Ganzheitlichkeit für gelingende Bildung. Allerdings stellte er die Versorgung der Kinder in den Vordergrund, da sie nicht lernen könnten, wenn sie von psychischen oder physischen Bedürfnissen geplagt würden. So lag die Antwort des „aufgeklärten Bürgertums“ in der Aufklärung der „Armen“ durch Bildung.

Der Philosoph und Ökonom Karl Marx (1818-1883) sah die Existenz einer Armutsbevölkerung als Bedingung für das Funktionieren einer kapitalistischen Produktion an. Hieraus würde ein ständiger „Lohnkampf“ zwischen den Arbeitern und den Unternehmern entstehen, welcher letztendlich dem Unternehmer und somit der Wirtschaft zugute käme. Zudem sah er die ungerechte Verteilung von Reichtum und Armut in der Tatsache, dass die Lohnarbeiter ausgebeutet wurden. Armut war entsprechend eine Folge der unfairen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, welche die ungerechte Verteilung der Güter mit sich brachte. So lag der Profit, den ein Unternehmer machte, deutlich über dem Verdienst für seine eigentliche, meist organisatorische, Arbeit, während der Lohnarbeiter mit seinem Gehalt nicht in der Lage war seine Familie zu versorgen. Dies führte dazu, dass auch Frauen und Kinder, für den Lebensunterhalt, arbeiten mussten. Die Folge dieser „moderne[n] Unterjochung unter das Kapital“ bestand für Marx in der berechtigten Abwendung des „Proletariats“ von herrschenden Ideen über Religion, Gesetze und Moral, da es seine Interessen nicht darin vertreten sah. Soziale Reformen und private Wohltätigkeit wurden abgelehnt, da sie

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die Umstände der Klassengesellschaft verschönern würden und die Gefahr bestand, dass sich der Arbeiter mit den Gegebenheiten arrangiert. Laut Marx könnte das Massenelend nur in einer „kommunistischen“ Gesellschaft, in welcher die Produktionsmittel nicht in Privateigentum stehen dürfen, ausgelöscht werden. Um diese Gesellschaftsform zu erreichen rief er die Arbeiter dazu auf sich selbst aus ihrer Lage zu befreien. Dies sollte durch Solidarisierung und einen gewaltsamen Umsturz der Besitzverhältnisse geschehen. Darin bestand, für Marx und die sozialistische Arbeiterbewegung, die politisch-revolutionäre Antwort auf die „soziale Frage“.

Als Reaktion auf den ersten revolutionären Versuch die Monarchie ab- und eine Demokratie aufzubauen (1848) rief Johann H. Wichern (1808-1891) zur Gründung der „Inneren Mission“ auf. Er hielt die diakonische Armenpflege im Bereich der Kirchengemeinden nicht mehr für ausreichend und forderte größere Verbände in denen organisierte christliche Nächstenliebe praktiziert werden könne. Er berief sich auf die „göttliche Stiftung der Obrigkeit“ und mahnte, dass jeder der sich ihr gegenüber widersetzt dies somit auch gegenüber der Ordnung Gottes tut. So wollte er die gescheiterte Revolution nutzen, um den christlichen Glauben wieder in der Gesellschaft zu verfestigen. Wichern sah die Ursachen der Armut hauptsächlich im sittlichen Verfall und dem Kommunismus, welcher versuche die „alte Menschheit“ zu ruinieren. Den ungerechten Produktionsverhältnissen räumte er dabei eine eher geringe Mitverantwortung ein. Eine zusätzliche Gefahr für die Sittlichkeit stellte, nach Wichern, auch die Organisation der bisherigen Armenpflege und deren Verrechtlichung dar. Diese würden, aufgrund ihrer unpersönlichen Art und der Distanz zwischen Geber und Nehmer, die Gefühle von Dankbarkeit und Ehrfurcht zunichte machen. Es ging ihm allerdings nicht nur um eine sittliche und christliche Erziehung der „Armen“, gleichwohl wollte Wichern der sittlichen Verderbtheit der Reichen entgegenwirken. Durch die Gründung verschiedener Vereine, welche wiederum in den unterschiedlichsten Bereichen tätig waren, sollte diesen die Möglichkeit geboten werden sich ehrenamtlich zu engagieren. Somit stellte für Wichern die Diakonie als organisierte Form der christlichen Nächstenliebe eine konservativ-religiöse Antwort auf die „soziale Frage“ dar.

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Der britische Volkswissenschaftler Arnold Toynbee (1852-1883) entwickelte die Theorie einer Universitätsniederlassung in einem der Londoner Arbeiterviertel. Nach seinem Tod wurde 1884 die „Toynbee-Hall“ errichteten, ein so genanntes „settlement“. Die Idee dahinter bestand aus der Ansiedlung reicher und gebildeter Bürger in direkter Nachbarschaft zu den Benachteiligten, wodurch es zu einer sozialen Verbesserung im jeweiligen Stadtteil kommen sollte. Das Bildungs- und Hilfsangebot wurde im Sozialraum der Empfänger verortet, was bedeutete, dass die Helfer nicht nur zu Besuch kamen, sondern in unmittelbarer Nähe lebten, wodurch es zu den ersten Tätigkeiten im Bereich der „Gemeinwesenarbeit“ kam. Bildung spielte auch in diesem Modell eine große Rolle, allerdings eher in Form einer kulturellen Erwachsenenbildung. Dies beschreibt eine soziokulturell-gemeinwesenorientierte Antwort auf die „soziale Frage“.

Für den Philosophen und Pädagogen Paul Gerhard Natorp (1854-1924) stand ebenfalls die Bildung im Vordergrund. Seiner Auffassung nach stellte Erziehung im Wesentlichen die Willensbildung dar, welche dahingehend gelehrt werden muss, dass die Bedürfnisse anderer in die eigenen Überlegungen und Handlungen einbezogen und berücksichtigt werden können. Um diesen Willen heraus bilden zu können, sei eine Gruppe unentbehrlich, da sie erst den Raum für soziales Lernen bietet. Allerdings wollte er die Erziehung nicht auf die „Armen“ beschränken, daher forderte er eine allgemeine, jeden betreffende, Erziehung zu sozial verantwortlichen und mündigen Bürgern. Sozialpädagogik stellte für ihn dabei eine Art der Pädagogik dar, welche gesellschaftliche Veränderung hervor bringen würde und somit eine Antwort auf die „soziale Frage“ geben könne,

Aus der Kritik am „Nachtwächterstaat“, welcher sich größtenteils aus den wirtschaftlichen Prozessen heraus hielt und Einschränkungen unternehmerischer Freiheiten vermied, entstand die Bewegung der bürgerlichen Sozialreform. Sie trat für Sicherheit und Schutz der Arbeiter ein und verlangte entsprechend eine Verringerung der ökonomischen Freiheit, um Arbeiterschutzgesetze, wie auch Sozialversicherungen einrichten zu können. Sie begegnete der „sozialen Frage“ auf sozialpolitischer Ebene und sah die Antwort in nationalstaatlichen Reformen.

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Bevor die ersten deutschen Frauenbewegungen, entstehen konnten mussten sie sich die Frauen erst einmal ihre eigene Rechte erkämpfen. Die neu entstehende Geschlechterideologie teilte ihnen eine reproduzierende Rolle zu, der zu folge sie, ihrer passiven, emotionalen und fürsorglichen Natur entsprechend, Arbeiten in der Familie und im Haushalt erledigen sollten. Für Frauen der Arbeiterklasse bedeutete dieser Umstand, dass sie doppelt arbeiten mussten, zu Hause und in der Fabrik. Die Frauen aus bürgerlichen Verhältnissen hingegen wurden oft durch Hausangestellte entlastet und hatten somit keine wirklichen Aufgaben, da sie von Bildung und Berufswahl ausgeschlossen waren. Der erste allgemeine deutsche Frauenverein, welcher sich für das Bildungs- und Berufsrecht von Frauen einsetzte, wurde 1865 gegründet. Bestehende Berufe sollten für Frauen zugänglich gemacht werden und zugleich entstanden neue „Frauenberufe“. Laut der Pädagogin Henriette Schrader-Breymann (1827-1899) sollten Frauen ihre Fähigkeiten einsetzen, um eine „geistige Mütterlichkeit“ auszuüben und über die leibliche Mutterschaft hinaus überall dort zu helfen wo, sowohl körperlich, wie auch seelisch Not es verlangte. Sie war der Ansicht, dass der Bildungsstand der Frauen nicht mehr ausreichend war, um die Anforderungen der Erziehung zu erfüllen und betonte die Wichtigkeit der mütterlichen und somit weiblichen Bildung, da sie nötig sei, um auch den Nachwuchs so früh wie möglich in einer ordentliche Art und Weise bilden zu können. Eine feministische Antwort auf die „soziale Frage“ besteht somit in dem Wirken mütterlicher Verantwortungsmoral und fürsorglicher Tätigkeiten in die Gesellschaft hinein.

Aufgrund des medizinischen Fortschritts im 19. Jahrhundert wurde der Versuch unternommen die Erkenntnis zum Verhältnis zwischen einer hygienischen Wundversorgung und dem positiven Heilungsprozess auf soziale Probleme zu übertragen. Die Vermutung lag nah, da die Verbreitung einiger Krankheiten, wie z.B. Tuberkulose, eindeutig auf den falschen Umgang mit ihnen zurückzuführen war. Im Rahmen von Sozialhygiene und Gesundheitsvorsorge bestand die medizinische Antwort auf die „soziale Frage“ in der Aufklärung über Krankheiten, also in der Prävention. Darüber hinaus sollte begleitende Beratung und Pflege bei epidemieartigen Erkrankungen geleistet werden.

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Eine ökonomisch-liberalistische Antwort auf die „soziale Frage“ von Thomas Robert Malthus (1798) wurde bereits im Kapitel 3.1.3. vorgestellt und findet hier daher nur noch eine kurze Erwähnung. Sie besagt, dass die Armenbevölkerung zur Enthaltsamkeit erzogen und darüber hinaus in der Fortpflanzung eingeschränkt werden sollte. Öffentliche Armenhilfe, egal welcher Art, würde den Pauperismus lediglich weiter fördern.

Die sozialpolitische Antwort des deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) verfolgte zwei Ziele. Er wollte die Staatskassen entlasten und den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung durch die parteipolitisch organisierte Arbeiterschaft und anderen sozialistischen Bewegungen verhindern. Daher verbot er mit dem Erlass des Sozialistengesetzes (1878) die Parteiorganisation, so wie alle sozialpolitischen Vereine. Um die Arbeiter in den Staat einzubinden und sie für die gesellschaftliche Ordnung zu gewinnen, also um die innenpolitische Lage zu entspannen, aber auch um den Staat finanziell zu entlasten erließ Bismarck die folgenden Arbeitsversicherungsgesetze: •

1883: Krankenversicherung



1884: Unfallversicherung



1889: Alters- und Invalidenversicherung

Er verknüpfte Versicherungszwang mit dem Recht auf Unterstützung, nach dem Prinzip der Vor- und Gegenleistung. Dadurch fielen die Arbeiter nicht länger der öffentlichen Armenfürsorge zur Last und die Unternehmer wurden erstmalig dazu verpflichtet einen Teil zur Lösung der „sozialen Frage“ beizusteuern, da sie die Hälfte der Versicherungsbeiträge übernehmen mussten. Ohne Versicherungsschutz waren Witwen, Waisen und verlassene Frauen, diese bekamen Unterstützungen nach ihrem jeweiligen Bedarf. So entstanden, mit der generellen Unterstützung durch die Sozialpolitik und in Form der individuellen Armenfürsorge zwei nebeneinander existierende Hilfsprinzipien. Nach der Entlassung Bismarcks (1890) wurden die verschiedenen Arbeitsversicherungsgesetze in der Reichsversicherungsordnung (1911) zusammengestellt (Schilling 2005, 40 f.). Zudem wurde Anfang des 20. Jahrhunderts, durch die Weiterentwicklung des, in Kapitel

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3.1.4 beschriebenen, „Elberfelder Systems“ und dem daraus entstandenen „Straßburger System“ (1905) eine neue Form sozialer Arbeit eingeführt (Schilling 2005, 39). Die Tätigkeiten wurden zwischen ehrenamtlichen Helfern und hauptberuflichen Mitarbeitern aufgeteilt, wobei klare Zuständigkeits- und Aufgabenbereiche unterteilt wurden. Auch die Dezentralisierung des Vorgängersystems wurde aufgehoben und die Armenpflege wurde in einen Außen- und einen Innendienst getrennt. So lagen die Entscheidungsbefugnisse im Bereich des Innenbeamten der zentralen Armenverwaltung und der Armenpfleger verrichtete lediglich die anfallende und aufgetragene Arbeit am Bedürftigen. Diese Tätigkeit wurde dabei zunehmend von Frauen übernommen. Diese schienen besonders geeignet, da sich bereits aus dem „Bund deutscher Frauenvereine“ (1890) heraus viele Frauen sozial engagierten und in Gruppen organisiert aus- und fortgebildet wurden. Diese Professionalisierung wurde, unter anderem, mit der Gründung einer sozialen Frauenschule (1908) durch Alice Salomon (1882-1948) vorangetrieben (Kuhlmann 2008a, 63 f.).

Der erste Weltkrieg (1914-1918) und seine Folgen führten zu weitreichenden Veränderungen im Bereich der Armenfürsorge, wie zur Entstehung der „Kriegswohlfahrtspflege“. Dabei sollte zwischen „Kriegswohlfahrt“ und „Kriegfürsorge“ unterschieden werden. Letztere hatte einen versorgungsähnlichen Charakter und trug dem Opfer, welches die Kriegsteilnehmer und deren Angehörige brachten, Rechnung. Kriegswohlfahrt stellte hingegen eine freiwillige Unterstützungsleistung dar. Allerdings zogen sich die freien Wohlfahrtsvereine, als Konsequenz auf die allgemeine Notsituation, zunehmend aus der Bildungs- und Reformarbeit zurück, um Volksküchen und Lazarette organisieren zu können. Dadurch verschlechterte sich die Lage der ursprünglich Bedürftigen immer dramatischer (Kuhlmann 2008a, 67). Andererseits änderte sich, durch den Umstand, dass Fürsorgeleistungen nicht mehr ausschließlich an die unteren Bevölkerungsschichten gerichtet waren, die Wahrnehmung und das Deutungsmuster der Armut und der Krieg bot der eben erst entstandenen professionellen Sozialen Arbeit die Möglichkeit sich zu bewähren und zu etablieren. Kindergärten, Volksküchen, Krankenversorgung und andere unterstützende Dienste wurden, in anbetracht des Krieges, zu wichtigen Rahmenbedingungen und führten so

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zu einer differenzierteren Unterscheidung einzelner Fürsorgebereiche. Einzelne Bereiche stellten, z.B. die Jugend-, Gesundheits- und Invalidenfürsorge dar (ebd.).

Nach dem Krieg und mit Ausruf der Weimarer Republik (bis 1933), sollte der, bis dahin liberale, Staat nicht weiterhin als ein reiner Rechtsstaat fungieren. Somit wurde den Bürgern Gleichheit vor dem Gesetz zugesprochen und die Volkswohlfahrt wurde zur Frage der Sozialpolitik. Entsprechend übernahm der Staat, mit in Kraft treten der Verfassung (1919), sämtliche Verantwortung für die Regelung der Sozialpolitik und somit auch der Fürsorge. Infolge dessen wurden zahlreiche Gesetze erlassen, wie die „Reichsfürsorgeverordnung“ (1924). Sie lautet im § 1: „Die Fürsorge hat die Aufgabe, dem Hilfsbedürftigen den notwendigen Lebensunterhalt zu gewähren. Sie muss die Eigenart der Notlage berücksichtigen.“ (zit. n. Kuhlmann 2008a, 69)

So sorgte auch die Formulierung des Gesetzestextes für ein verändertes Verständnis von Armut. Der Begriff der „Armen“ wurde nicht weiter verwendet. In Folge dessen wurde die „Armenpflege“ zur „Wohlfahrtspflege“ und aus den „Armenkommissionen“ wurden die Wohlfahrtsämter. Die Wohlfahrtspflege wurde zentralisiert, Grundprinzipien der Fürsorgepflicht wurden verbindlich festgehalten und es entstanden einzelne Ämter, wie das Jugend- und das Gesundheitsamt (Schilling 2005, 43). Zudem organisierten sich, nach dem Vorbild der „Inneren Mission“, weitere Dachverbände im Bereich der privaten Wohlfahrtspflege. Bereits Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts entstanden das Deutsche Rote Kreuz (1869) und die Caritas (1897). Darauf folgten die Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden (1917), die Arbeiterwohlfahrt (1919) und schließlich der Paritätische Wohlfahrtsverband (1920) (Kuhlmann 2008a, 70). Vor diesem Hintergrund fanden, für die professionelle Soziale Arbeit in Deutschland, sowohl wichtige konzeptionelle, wie auch theoretische Veränderungen statt, von denen allerdings einige, aufgrund des Nationalsozialismus, nicht bis zum Ende gebracht werden konnten.

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Mit der Machtübernahme durch Adolf Hitler (1889-1945) veränderte sich der Umgang mit Bedürftigen grundlegend. Aufgrund des sozialrassistischen Deutungsmusters der Nationalsozialisten wurde zwischen den „Brauchbaren“ mit Anspruch auf Hilfe und den „Unbrauchbaren“ unterschieden. Letztere wurden nochmals in „gefährliche“, welche direkt der Polizei übergeben werden sollten und „kranke“, welche unmittelbar einer „medizinischen Versorgung“ überstellt wurden, unterteilt. Zu den „Kranken“ zählten dabei auch scheinbar unerziehbare und solche, deren Verhalten abweicht. In Anlehnung an die Theorie von Malthus vertraten die Nationalsozialisten die These, nach der die erbrachten Unterstützungsleistungen zur Vermehrung derjenigen führen würden, welche sich, ohne diese, nicht im Existenzkampf behaupten könnten und als „natürliche“ Folge aussterben würden. Dies müsse zugelassen werden, damit die eigene Rasse „höherwertiger“ werden könne. Eine Konsequenz, die daraus gezogen wurde war die Eliminierung der „Minderwertigen“ zum Wohle der Gesellschaft. Sie sollten zurückgedrängt und letzten Endes ausgerottet werden, damit die „Brauchbaren“ gefördert werden konnten. Durch die „ausmerzende Erbpflege“ im Rahmen der „Volksfürsorge“ sollte dieses Ziel erreicht werden und die Unterscheidung zwischen berechtigter und unberechtigter Hilfeforderung erfolgte anhand der Erbanlagen des Antragstellers. Fehlverhalten wurde biologisch, mit „schlechten“ Genen, begründet und führte, nach Verabschiedung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (1933), oftmals zur Zwangssterilisation. Auch der Bereich professioneller Sozialer Arbeit blieb von diesen Entwicklungen nicht unberührt. Dessen Ausbildungsbereich wurde durch Lehrplananpassungen, von der Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung bis zur Einrichtung des zentralen Fachs der „Rassenhygiene“ verändert

und die „Wohlfahrtsschulen“ wurden zu

„Volkspflegeschulen“ (Kuhlmann 2008a, 83 ff.). Durch ein ausgebautes Netz von Gemeindepflegestationen, welche vor allem Mütterberatung und Pflegedienste, später aber auch Kindergärten und Erziehungsberatungsstellen anboten, sollten die Bürger gleichzeitig beobachtet werden, damit tatsächlich nur solche Unterstützungen bekommen würden, die „erbbiologisch hochwertig“ und politisch zuverlässig sind. Kirchliche und private Wohlfahrtsorganisationen sollten weitestgehend verboten, abgebaut, eingeschränkt oder vereinnahmt werden, damit der nationalsozialistischen

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Erneuerung nichts entgegenwirken konnte. Zusätzlich sollte Propaganda gegen „Bettler“ und die Erklärung, Almosengabe sei Verrat und Sabotage an dieser Erneuerung, das System stärken. So wurden in dieser Zeit Vorwände und Möglichkeiten geschaffen, um nur die nützlichen und vernünftigen, in erster Linie also gehorsamen, zu fördern und sich des unwürdigen, gefährlichen oder ballastartigen Rests, in Arbeits- oder Konzentrationslagern, wie auch durch Euthanasie zu entledigen (Kuhlmann 2008a, 101).

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges galten, in der Bundesrepublik Deutschland (seit 1945), im wesentlichen die Grundlagen der Weimarer Republik, auch das System Versicherungssystem wurde übernommen, zumal es von den Westalliierten als fortschrittlich angesehen wurde. Die Bundesrepublik Deutschlang definierte sich im Grundgesetz (1949) als demokratischer, wie auch sozialer Rechtsstaat und garantierte seinen Bürgern somit Anspruch auf soziale Leistungen. Die Anwesenheit der Amerikaner und Engländer prägte die Entwicklung der Sozialen Arbeit, durch Theorien und Methoden, maßgeblich. Die, für das amerikanische und britische Sozialwesen, „klassischen Methoden der Sozialen Arbeit“ wurden in Deutschland eingeführt: Einzelhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit (Schilling 2005, 47). So sollte vor allem die Jugend durch Programme der „reeducation“, meist in Form der Gruppenarbeit, an ein demokratisches Verhalten gewöhnt werden. Doch trotz des Einflusses dieser „modernen“ Methoden, änderte sich, aufgrund personeller und konzeptioneller Kontinuität, zunächst kaum etwas in der Praxis der Institutionen, zumal die Soziale Arbeit der Nachkriegsjahre sich auf die entstandenen und unmittelbaren Notsituationen konzentrieren musste. Erst in den Jahren des „Wirtschaftswunders“ (1950-1966) war es wieder möglich sich außerhalb dieser „Notstandsverwaltung“ zu orientieren, woraus die Reformierung der Jugend- und Sozialhilfe (1961) resultierte. Wie in den anderen Systemen, seit Bismarck, wurde die Erbringung der Leistungen durch das „Subsidiaritätsprinzip“ geregelt.

Die gesellschaftliche, wie auch politische Situation änderte sich Ende der 60er Jahre durch entstehende Protestbewegungen, welche sich gegen innenpolitische Ungerechtigkeiten, aber auch gegen die allgemeine Kon-

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sumorientierung, Kriege, so wie Ausbeutung der „dritten Welt“ richteten. Die Proteste wurden mehrheitlich von Studenten angeführt und stellten somit Bewegungen der ersten Nachkriegsgeneration dar, welche auch das Schweigen über „Mittäterschaften“ im dritten Reich brechen wollten (Kuhlmann 2008a, 113). Diese Bewegungen sprachen sich, unter anderem, gegen den verbreiteten autoritären Erziehungsstil aus, sie traten für eine bessere Heimerziehung ein und kritisierten die konservativen und bevormundenden Angebote der Jugendarbeit. Darüber hinaus wurde die Humanisierung des Strafvollzuges gefordert, welcher den „Resozialisierungsgedanken“ in den Vordergrund stellen sollte. In den Bereichen der Frauenbewegung wurden häusliche, wie auch eheliche und allgemein sexuelle Gewalt gegen Frauen, Rollenaufteilungen zwischen Mann und Frau, ebenso wie allgemeine sexuelle Fragen thematisiert. Im Rahmen der „Krüppelbewegung“ forderten die Betroffenen zunehmend selbst mehr Selbstbestimmung, was ihr Leben in den Wohnheimen anging, aber auch die Verwirklichung von Barrierefreiheit im gesellschaftlichen Alltag. Diese Forderungen, wie auch die aus ihnen hervorgegangenen Reformen und die daraus resultierende (Weiter-) Entwicklungen von theoretischen, sowie methodischen und institutionellen Konzepten, veränderte die Praxis Sozialer Arbeit. Sie wurde

durch

die

Einführung

der

„Fachhochschulen

für

Sozialar-

beit/Sozialpädagogik“ (1971) noch enger mit den studentischen Bewegungen verknüpft, da eine Vielzahl sozial, wie auch politisch engagierter Studierender an diese Fachhochschulen strömte. Das Verständnis von Selbstbestimmung des Klienten und der Umgang mit selbigem haben sich seit den 70er Jahren entscheidend verbessert, sowohl in der Theorie, wie auch in der Praxis. Dabei wurden die Fragen nach Ursachen, Zielen und Methoden „guter“ Sozialer Arbeit (wieder-) aufgegriffen (Kuhlmann 2008a, 132), deren Beantwortung allerdings, aufgrund der Vielzahl nebeneinander existierender Methoden und Theorien, bis heute nicht abgeschlossen werden konnte.

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3.2. …auf der Suche nach sich selbst: Das Selbstverständnis Sozialer Arbeit

Der Blick auf die Geschichte der Sozialen Arbeit zeigt, dass sie aus der Gesellschaft heraus entstanden ist und sich in ihrem Handeln wiederum auf diese bezieht. Diese Umstände führen dazu, dass sie nicht losgelöst von der Gesellschaft bestehen kann und sich immer in Beziehung zu den gesellschaftlichen Normen und Werten setzen muss. Individuelle Notlagen drangen, durch den beginnenden Zerfall der sozialen Primärverbände während des Mittelalters, in das gesellschaftliche Bewusstsein und wurden zunehmend zu einer öffentlichen Angelegenheit. Die anfängliche Armenhilfe in Form der Almosengabe war jedoch bald nicht mehr in der Lage den, sich ausbreitenden, Notlagen gerecht zu werden und auch die Wahrnehmung von Armut, als ein von Gott gewollter Zustand, geriet ins Wanken. Zu Beginn der Neuzeit wandelte sich das Verständnis von Armut und mit ihm die Form der Hilfeleistungen. Armut wurde als Folge menschlichen Versagens angesehen. Armenpflege wurde städtisch, sowie kirchlich organisiert und es entstanden erste soziale Einrichtungen. Armenpflege wurde unter dem Aspekt der Disziplinierung und Erziehung betrachtet, ein Umstand, welcher sich durch zunehmendes Eingreifen seitens des Staates festigte. Sie wurde zu einem Instrument, welches der Aufrechterhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung diente. Zur Zeit der Industrialisierung entstanden erste kirchliche

und private Wohlfahrtsorganisationen,

sowie andere soziale Bewegungen, wodurch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft an Bedeutung gewann. Die Entstehung der Dachverbände privater Wohlfahrt und deren Verflechtung mit der staatlichen Wohlfahrt, durch die Einführung der Sozialversicherungsgesetze stellten einen „Meilenstein in der Entwicklung der Sozialen Arbeit“ (Kuhlmann 2008a, 61) dar, so dass sich die ersten Ansätze einer professionellen Sozialen Arbeit entwickelten. Während des ersten Weltkrieges bildeten sich einzelne Fürsorgebereiche heraus und Soziale Arbeit wurde zu einer wichtigen Rahmenbedingung für das gesellschaftliche Leben. Mit Kriegsende übernahm der Staat Verantwortung für die Wohlfahrtspflege und sprach jedem Bürger das Recht auf Hilfeleistungen zu. Die Wohlfahrtspflege wurde zentralisiert und einzelne Ämter entstanden, wodurch sich die Soziale Ar-

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beit konzeptionell, wie auch in ihrer Theorie veränderte. Durch die Umstände der nationalsozialistischen Zeit stagnierte die Entwicklung der professionellen Sozialen Arbeit dahingehend, dass sie vollkommen abhängig vom Staat und dessen Forderungen, wie auch Anordnungen war. Sie wurde wieder zu einem Kontroll- und Erziehungsinstrument. Mit Entstehung der Bundesrepublik Deutschland wurde das Recht des Bürgers auf Hilfeleistungen wieder eingesetzt und nach einer Zeit als „Notstandsverwaltung“ konnte sich die professionelle Soziale Arbeit wieder auf ihre methodische und theoretische Weiterentwicklung konzentrieren, wobei sie durch amerikanische und englische Ansätze stark beeinflusst wurde. In den 60er Jahren wurde Soziale Arbeit durch die Einführung der entsprechenden Fachhochschulen aufgewertet und gleichzeitig entstand die Frage nach der „richtigen“ Sozialen Arbeit, nach ihrem Sinn in der Gesellschaft und nach dem, was sie gegenüber anderen Professionen auszeichnet und somit abgrenzt. So zeigt die Auseinandersetzung mit ihrer Entwicklung auch, dass sie unmittelbar von gesellschaftlichen Veränderungen betroffen ist und auf diese reagiert. Soziale Arbeit entsteht also aus der Gesellschaft heraus und entwickelt sich abhängig von dieser weiter. Bevor die Auswirkungen dieses Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Sozialer Arbeit, in Bezug auf ihre Identität, dargestellt werden, soll allerdings zunächst der Frage nachgegangen werden, worin die Bedeutung der (Weiter-) Entwicklung eines Selbstverständnisses für die Soziale Arbeit und ihre Professionellen liegt.

3.2.1. Die Bedeutung einer beruflichen Identität

Der Begriff „Identität“ beschreibt die vollkommene Gleichheit oder Wesenheit eines Menschen oder Objektes. Ebenso zeigt sie die Unverwechselbarkeit von etwas oder jemandem auf (Duden 1990, 331). In Bezug auf den Menschen stellt sie die Anordnung und wechselseitige Beziehung von Eigenheiten in einen zusammenhängenden Sachverhalt, entsprechend der Art und Weise wie der Mensch sich präsentiert, dar. Durch den synonym verwendeten Begriff des „Selbstkonzeptes“ wird dabei deutlicher, dass Identität aktiv entwickelt, reflektiert, angepasst und nach außen vertreten

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werden muss. Dabei beschreibt sie gleichwohl die Suche nach individueller oder auch gesellschaftlicher Konstanz im Wesen der Dinge und Menschen (Wendt 1995, 12 f.). Aufgrund der steigenden gesellschaftlichen Individualisierungstendenz wird der Anspruch des Einzelnen eine persönliche Identität zu entwickeln zu einem essentiellen Anliegen der Lebensführung. Die zahlreichen Möglichkeiten der modernen Gesellschaft bieten dabei unterschiedlichste Interaktionszusammenhänge, welche wiederum diverse Erwartungen und Einflüsse an das Individuum herantragen. Es muss sich im Kontakt mit seiner Umwelt reflektieren, sich seiner selbst vergewissern und gegebenenfalls an Situationen anpassen, indem es verschiedene soziale Rollen einnimmt, beispielsweise die des Sohnes im Umgang mit der Mutter und die des Vaters im Umgang mit den eigenen Kindern. Diese unterschiedlichen Rollen, einschließlich ihrer jeweils abgestimmten Interaktionsmuster, müssen allerdings im Sinne einer „Selbstregulierung“ miteinander vereinbart werden, so dass sie letztlich in einer kulturell gültigen und gleichwohl einzigartigen Form zu einem strukturellen Ganzen, der Identität, werden. Im Zuge dieser ständigen (Wieder-) Anpassung an seine Umwelt muss das Individuum allerdings darauf bedacht sein, seine individuelle Wesenheit nicht zu verlieren. Aufgrund eines zunehmenden Wandels in der Gesellschaft, ebenso wie im Privat-, aber auch Arbeitsleben und den damit verbundenen Auflösungserscheinungen gewinnen die Fragen nach Zugehörigkeit, Konsistenz und Beständigkeit der Dinge und Menschen zunehmend an Bedeutung. Daher wird die persönliche Identität, als Antwort auf diese Fragen, ebenfalls wichtiger. In der pluralistischen Gesellschaft scheinen die zahlreichen Optionen jedoch eher verunsichernd, als befreiend zu wirken, so dass der Begriff „Identitätsproblem“ immer geläufiger wird. Diese „Identitätsproblematik“ ist für die Soziale Arbeit von besonderer Bedeutung, weil sie sich in ihrem beruflichen Handeln auf die individuellen und sozialen Verhältnisse in ihrer jeweiligen Problematik bezieht. Ein Umstand der dazu führt, dass der gesellschaftliche Identitätswandel zwangsläufig auch zu einer Veränderung der Sozialen Arbeit führen wird. So muss auch sie sich in ihrer Identität und in ihrem Selbstverständnis ständig neu orientieren und anpassen (Wendt 1995, 13). Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass „Soziale Arbeit“ einen „Kollektivbegriff“ darstellt, welcher stellvertretend für alle professionell Tätigen in den einzelnen Handlungsfeldern

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verwendet wird und dem entsprechend eine „kollektive Identität“ zugesprochen werden muss. Diese setzt sich aus den Selbstzuschreibungen der einzelnen Professionellen und den Fremdzuschreibungen der Umwelt zusammen. Erstere haben dabei die Aufgabe die berufliche Identität, also das „Selbstkonzept“ der Sozialen Arbeit zu konstruieren und es in die Öffentlichkeit zu transportieren. Dabei soll es stets reflektiert und im Falle gesellschaftlicher Veränderungen anpasst werden. Eine weitere Bedeutung bekommt die „Identitätsproblematik“ für die Soziale Arbeit, in Bezug auf diejenigen, die als Professionelle in ihrem Kontext tätig sind. Die Tendenz zur Individualisierung greift ebenfalls auf den Beruf über, so dass dieser mit dem Anspruch an eine bestimmte Berufsgruppe oder –rolle gewählt wird, um sich persönlich in ihm entfalten zu können. Dies ist im Rahmen der Sozialen Arbeit durchaus möglich, da sie aufgrund ihrer zahlreichen Handlungsfelder, Theorien und Methoden viel Raum für persönliche Entwicklung bietet. Zudem soll jedoch, über das berufliche Selbstverständnis, dessen Beständigkeit und Profil, die eigene Identität gefestigt werden. Der Beruf dient der Verschmelzung von individueller Lebensart und Erwerbstätigkeit, indem sich seine Professionellen mit ihm identifizieren. Zum Teil wird er zu einer Berufung aufgewertet und somit aus der gewöhnlichen Alltäglichkeit herausgehoben, wodurch er in seiner individuellen Bedeutung, für die in seinem Rahmen Tätigen, bis zum Daseinszweck aufsteigen kann (ebd.). Somit stellt die Identität Sozialer Arbeit einen Teil des „Selbstkonzeptes“ ihrer Professionellen dar. In Bezug auf ihre „kollektive Identität“ konnten sich die Professionellen bisher jedoch noch nicht einigen. Daher fällt es leichter sich mit einzelnen Arbeitsfeldern und deren entsprechenden Handlungsformen auseinanderzusetzen und zu identifizieren, als mit ihrem gesamten umfangreichen und komplexen Wesen. Diese Auseinandersetzung im Kleinen beinhaltet dabei allerdings bereits die Gefahr, dass kein einzigartiges „Selbstkonzept“ Sozialer Arbeit, nicht einmal für den gesondert betrachteten Bereich, daraus resultiert, da sie die Art ihrer Tätigkeiten, wie beispielsweise Beratung und Erziehung, nicht allein für sich beanspruchen kann und entsprechend häufig nicht deutlich zu erkennen ist, worin die Soziale Arbeit tatsächlich besteht und aus welchem Grund dies so ist. Darüber hinaus wird in der Auseinandersetzung mit einzelnen Handlungsfeldern die Frage nach der Entwicklung eines bereichsübergreifenden und

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somit einenden Profils Sozialer Arbeit vernachlässigt oder sogar vergessen. Das Selbstverständnis, welches sich aus der Betrachtung einzelner Aspekte Sozialer Arbeit heraus ergibt, kann jedoch nie ihr ganzes Wesen erfassen und bleibt somit immer unvollständig. Daraus folgt, dass die persönliche Identität der Professionellen, welche zu einem Teil auf der „Selbstkompetenz“ Sozialer Arbeit beruht, ebenfalls nicht vollständig sein kann. Diese Umstände führen dazu, dass die Bedeutung Sozialer Arbeit nicht eindeutig erkennbar ist, woraus Unsicherheiten seitens ihrer Professionellen entstehen, da diese keinen allgemeingültigen Bezugsrahmen haben, an dem sie sich orientieren können. Auf der Seite des Klientel, wie auch der Gesellschaft, entstehen ebenfalls Unsicherheiten, da sie, aufgrund des unklaren Bildes, welches Soziale Arbeit von sich bietet, nicht abschätzen können, was sie von dieser zu erwarten haben. Die Bestimmung einer beruflichen Identität bietet entsprechend die Möglichkeit sich gegenüber anderen Professionen abzugrenzen und den eigenen spezifischen Wert, wie auch Nutzen für die Gesellschaft heraus zustellen. Die Professionalisierung an sich, beispielsweise durch die Einführung einheitlicher Ausbildungsgänge oder die Zugrundelegung verbindlicher ethischer Prinzipien, stellt dabei bereits eine Strategie der Identitätssicherung dar, aufgrund derer Soziale Arbeit sich in ihrer Wissenschaft, ihren Methoden und der Berufsethik ihrer selbst vergewissert und bestätigt. Diese Selbstbestätigung und Anerkennung der eigenen Leistungen wiederum stärkt die Entwicklung der beruflichen Identität und dies wirkt sich unmittelbar auf die Professionellen in ihrem Selbstverständnis von Sozialer Arbeit, aber auch in der Entwicklung ihres persönlichen „Selbstkonzeptes“ aus. Die Erstellung eines einheitlichen Profils Sozialer Arbeit kann somit Unsicherheiten abbauen und im Gegenzug Sicherheit bei ihren Professionellen, wie auch bei ihrer Klientel und in der Gesellschaft aufbauen. Zudem würde sie durch eine einheitliche Hervorhebung ihrer Besonderheiten eine Aufwertung erfahren, von der ebenfalls die professionell Tätigen profitieren würden, indem auch ihnen mehr Anerkennung entgegengebracht würde (Wendt 1995, 17).

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3.2.2. Was bedeutet Soziale Arbeit?

Aufgrund eines gesellschaftlichen „Identitätswandels“ (Wendt 1995, 13) hat sich die Soziale Arbeit, durch Reorganisation sozialer Dienste, mittlerweile zu einem sehr umfangreichen System unterschiedlichster Hilfeleistungen entwickelt. Dabei scheint sie, in Folge des gesellschaftlichen Wandels und ihrer Anpassung daran, ihre eigene Identität verloren zu haben. Die Erstellung eines einheitlichen Profils wird dabei nicht nur durch die Vielzahl einzelner und, zum Teil, sehr unterschiedlicher Handlungsfelder, wie auch Methoden und Theorien erschwert. Das Selbstverständnis und somit die Identität der Sozialen Arbeit ist auch deshalb schwer zu beschreiben, weil es abhängig von ihren zahlreichen professionell Tätigen ist und diese wiederum eigene Ansprüche an sie stellen, sowie ein eigenes Verständnis darüber besitzen, was Soziale Arbeit charakterisiert. In diesem Zusammenhang kritisiert Wendt (1995, 17) vor allem den Umstand, dass die einzelnen Sozialdienste zunehmend „verinseln“. Dies führe dazu, dass die einzelnen professionell Tätigen ein Verständnis von Sozialer Arbeit, lediglich bezogen auf ihr jeweiliges Handlungsfeld aufbauen, nicht aber im Kontext ihrer tatsächlichen Vielfältigkeit. Dies gilt ebenso für ihre Klientel, wie auch für die Gesellschaft allgemein. Soziale Arbeit ist geprägt durch unterschiedlichste Ansprüche seitens ihrer Professionellen, ihrer Klientel sowie dem Rest der Gesellschaft. Darüber hinaus sind die einzelnen Tätigkeiten ihrer Professionellen nicht immer klar von denen anderer Berufsgruppen zu unterscheiden. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass Erwartungen gegenüber der Sozialen Arbeit eher ungezielt formuliert werden, weil keine Sicherheit darüber besteht, was in ihren Möglichkeiten und in ihrem Zuständigkeitsbereich liegt. Ihre fehlende Abgrenzung von anderen Professionen stellt somit, bezüglich der Frage nach ihrem Selbstverständnis und ihrer Identität, einen weiteren, erschwerenden Faktor dar.

Dem gegenüber können zwei Merkmale der Sozialen Arbeit bereits aus den Bedeutungen der Begriffe „Sozial“ und „Arbeit“ abgeleitet werden. „Sozial“ umfasst alles, was die menschliche Gesellschaft betrifft und auf ihr allgemeines Wohl bedacht ist, beispielsweise Gemeinnützigkeit, Menschlichkeit, Wohltätigkeit und Hilfsbereitschaft (Duden 1990, 731). Soziale

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Arbeit ist in ihrem Handeln demnach, unabhängig vom jeweiligen Handlungsfeld, immer auf das Gemeinwohl bedacht. „Arbeit“ hingegen beschreibt eine bewusste und zielgerichtete Handlung. Darüber hinaus dient sie der Existenzsicherung, sowie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen (Brockhaus 1997). Daraus zeigt sich, dass Leistungen im Rahmen Sozialer Arbeit, trotz ihrer Vielfalt, immer bewusst erbracht werden und keiner methodischen oder theoretischen Willkür unterliegen. Betrachtet man die historische Entwicklung der Sozialen Arbeit, können zwei weitere Charakteristika benannt werden. Alle Handlungsfelder, wie wir sie heute kennen, haben sich aus dem bürgerlichen Ehrenamt heraus entwickelt. Soziale Arbeit hat dementsprechend immer denselben Ursprung, die Gesellschaft. Das zweite Merkmal besteht in ihrer Tätigkeit selbst, der Erbringung von Hilfeleistungen. Soziale Arbeit bietet immer, wenn auch in unterschiedlichster Form, Hilfe an. Diese richtet sich dabei an Menschen, welche aufgrund ihrer individuellen Lebensumstände nicht in der Lage sind ihre Angelegenheiten eigenständig zu regeln und darüber hinaus keine Unterstützungen aus ihrem sozialen Umfeld beziehen können. Dabei verfolgt Soziale Arbeit immer das Ziel Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, indem sie die Ressourcen des Betroffenen, wie auch die seines Umfeldes fördert oder aktiviert (Schilling 2005, 51).

Der Begriff „Hilfe“ trägt seinerseits allerdings auch zur Identitätsproblematik der Sozialen Arbeit bei. Ihm haftet noch immer ein negativer Beiklang an, welcher besagt, dass Hilfeempfänger nicht in der Lage sind, ihr Leben eigenständig zu bewältigen, somit wird Hilfsbedürftigkeit oftmals einem persönlichen Versagen zugeschrieben. Die Betroffenen müssen sich angesichts dieser gesellschaftlichen Wertung erst dazu durchringen öffentliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus müssen sie, um Hilfe bekommen zu können, Fremden Zugang zu ihrem privaten Leben gewähren und mit diesen über ihre Notsituation reden. Zumal häufig auch noch das Bild des, im Staatsauftrag handelnden, hauptsächlich kontrollierenden Helfers präsent ist. Diese Umstände führen dazu, dass der Begriff „Hilfe“ in Verbindung mit Sozialer Arbeit oft eher in einem schlechten Licht gesehen wird.

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„HILF DIR SELBST, SONST HILFT DIR EIN SOZIALARBEITER.“ (Hering 2010, 6)

Dieser alte Spruch verdeutlicht die Einstellung gegenüber der, durch Soziale Arbeit geleisteten, Hilfe. Er weist aber zugleich auf eine weitere Problematik hin, welche sich aus dem Zusammenhang von „Hilfe“ und Sozialer Arbeit ergibt. Indem er die Selbsthilfe fordert, stellt er den generellen Sinn professioneller Hilfe in Frage. Wie bereits im dritten Kapitel beschrieben stellt das Helfen eine „Urkategorie des menschlichen Handelns“ dar, wodurch die Frage nach der Notwendigkeit professioneller Hilfe berechtigt scheint. Die Antwort darauf gibt auch wieder die Geschichte der Sozialen Arbeit selbst. Sie entstand aus Notlagen heraus, in Bereichen in denen das Individuum und dessen soziale Umwelt eben nicht mehr in der Lage waren schwierige Situationen selbstständig zu lösen. Die Professorin für Sozialpädagogik Sabine Hering (2010, 7) schlägt in diesem Zusammenhang die Änderung des oben genannten Spruchs in den folgenden vor:

„WENN DIR EINER HELFEN KANN, DANN EIN SOZIALARBEITER!“

Die Notwendigkeit von professionellen Hilfeleistungen wurde letztlich durch die Einrichtung der entsprechenden Fachhochschulen unterstrichen, wodurch es zu einer Aufwertung der Sozialen Arbeit kam. Allerdings wird Hilfe leisten allgemein weiterhin als eher unprofessionelle Tätigkeit angesehen, die fast jeder ausführen kann. Dadurch wird der Begriff „Hilfe“ anscheinend in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit oft umgangen. Die Abgrenzung vom diesem Begriff soll jedoch nicht als Merkmal der Sozialen Arbeit gesehen werden. Sie kann als Versuch verstanden werden, sich vom unprofessionellen Ansehen zu lösen und stellt somit einen Teil der Entwicklung eines professionellen Selbstverständnisses Sozialer Arbeit dar.

Neben dem Versuch die Identität Sozialer Arbeit durch Begriffbestimmungen und historische Rückblicke näher zu beschreiben, bietet sich auch die Auseinandersetzung mit Definitionen Sozialer Arbeit, zu diesem Zweck an. Allerdings gibt es davon reichlich, daher soll zunächst die Definition der “International Federation of Social Workers” (IFSW) aus dem Jahr 2000 vorgestellt werden.

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“Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, und sie befähigt die Menschen, in freier Entscheidung ihr Leben besser zu gestalten. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift soziale Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Interaktion treten. Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.“ (DBSH 2009, 13)

In dieser Definition wird Soziale Arbeit als Beruf beschrieben, wodurch ihre Professionalität betont wird, da die Ausübung eines Berufes, in der Regel, eine vorherige Ausbildung voraussetzt (Brockhaus 1997). Entsprechend ist eine besondere Qualifikation nötig, um professionell in der Sozialen Arbeit tätig sein zu können. Des Weiteren soll dieser Beruf sowohl den sozialen Wandel, wie auch Lösungen von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen fördern. Soziale Arbeit richtet sich demnach an die Gesellschaft, um eine umfassende gesellschaftliche Veränderung voran zu treiben und an das einzelne Individuum, welches, in freier Entscheidung, darin unterstützt werden soll, sein Leben besser zu gestalten. Die Möglichkeit sein Leben besser gestalten zu können impliziert jedoch die Wertung, seitens der Sozialen Arbeit, dass ein Leben als nicht gut genug und in Folge dessen als verbesserungswürdig angesehen wird. Dieser Wertung müssen die Klienten jedoch erst zustimmen, bevor die Professionellen tätig werden können. Soziale Arbeit kann sich demnach nicht aufdrängen, da die Freiwilligkeit, seitens der potentiellen Klienten, eine Voraussetzung ihres Handelns darstellt. Sicherlich kann der Aspekt der Freiwilligkeit kritisiert werden, da in manchen Situationen, beispielsweise aufgrund von Kindeswohlgefährdung im Bereich der Kinder- und Jugendfürsorge, Zwangskontexte entstehen. Da sich Soziale Arbeit aber auf das Individuum bezieht, kann sie zwangsläufig nicht alleine arbeiten. Sie ist auf die Mitarbeit ihrer Klientel angewiesen und diese kann nicht erzwungen werden. Eine Verweigerung kann letztlich Konsequenzen für den Einzelnen nach sich ziehen, ein tatsächlicher Anspruch, seitens der Sozialen Arbeit, auf Mitarbeit durch den Betroffenen besteht dabei jedoch nicht. Freiwilligkeit stellt somit eine wichtige Voraussetzung erfolgreicher Sozialer Arbeit dar. Bezüglich der Tätigkeitsbereiche ihrer Professionellen gibt die Definition keinen Rahmen vor.

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Soziale Arbeit soll dort eingreifen, wo Menschen mit ihrer Umwelt interagieren. Diese, aufgrund der Tatsache, dass Menschen jederzeit mit ihrer Umwelt in Kontakt stehen, weitgreifende und allumfassende Formulierung gibt der Sozialen Arbeit entsprechend keinen Handlungsrahmen vor, sondern verortet sie in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Bezüglich ihres Eingreifens in diese Bereiche, fordert die Definition von der professionellen Sozialen Arbeit, dass es sowohl auf dem Wissen über menschliches Verhalten, wie auch auf dem Wissen über soziale Systeme beruht und somit auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt ist. Wobei die Grundlagen der Sozialen Arbeit in den Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit bestehen. Auch für Silvia Staub-Bernasconi (2010, 59) spielen die Menschenrechte, als Basis der Sozialen Arbeit, eine große Rolle. Sie sieht ihre Bedeutung vor dem Hintergrund der Globalisierung im Rahmen einer weltweiten, wie auch nationalen und lokalen Vernetzung der Sozialen Arbeit, welche das Selbstverständnis einer „Menschenrechtsprofession“ entwickelt.

Die Sozialpolitische Kommission des deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (DBSH) schlug im Jahr 2005 eine weitere Definition für Soziale Arbeit vor. Diese lehnt sich an die, zuvor genannte, internationale Definition des IFSW an und führt sie weiter aus. „Soziale Arbeit versteht sich als Menschenrechts-Profession. Sie handelt auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und entsprechend begründbarer Methoden. Sie hilft Menschen, eine befriedigende Teilhabe am Leben zu erreichen. Sie unterstützt die Gesellschaft in ihrer sozialen und demokratischen Verpflichtung. Sie handelt auf der Basis besonderer berufsethischer Verpflichtungen. Die Profession Soziale Arbeit hilft Einzelnen, Gruppen und dem Gemeinwesen bei der Lösung von Problemen, die nicht über pflegerische, gesundheitliche und privatrechtliche Dienste zu lösen sind. Die Profession Soziale Arbeit hilft der Politik, in dem sie mögliche Ursachen für Problemlagen benennt (Handlungsforschung) und zugleich über neu entstehende Problemlagen informiert (Frühwarnsystem).

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Die Profession Soziale Arbeit hilft der Gesellschaft, indem sie unmittelbar den sozialen Zusammenhalt fördert, darüber hinaus gesellschaftliche Veränderungsbedarfe anmahnt, zu deren Umsetzung beiträgt und Teilhabe aller BürgerInnen ermöglicht und unterstützt. Die Profession Soziale Arbeit handelt auf der Grundlage von Schlüsselkompetenzen, die wiederum Grundlage für die Anwendung besonderer Methoden sind.“ (DBSH 2009, 14)

Im Gegensatz zu der zuvor genannten Definition des IFSW wird Soziale Arbeit von der sozialpolitischen Kommission des DBSH bereits als „Menschenrechts-Profession“ bezeichnet. Auch nach ihrer Definition soll Soziale Arbeit ihr handeln auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, hinzu kommt allerdings der Verweis auf begründbare Methoden, welche sich aus der wissenschaftlichen Arbeit ergeben. Auch die Betonung der besonderen berufsethischen Prinzipien, auf welche im Anschluss näher eingegangen wird, als Basis der Sozialen Arbeit ist der alten Definition hinzugefügt worden. Ebenso hinzugefügt wurde eine Einschränkung der Tätigkeitsbereiche. Soziale Arbeit soll demnach nur dort handeln, wo die Probleme nicht von pflegerischen, gesundheitlichen oder privatrechtlichen Anbietern gelöst werden können und wird dadurch von anderen Professionen abgegrenzt. Darüber hinaus verdeutlicht die Definition der sozialpolitischen Kommission des DBSH, dass sich ihre Hilfe nicht nur an einzelne Individuen richtet, sondern auch an Gruppen und die Gesellschaft insgesamt. Dabei wird vor allem der gesellschaftliche Nutzen der Sozialen Arbeit betont, indem dieser explizit erwähnt wird. Sie unterstützt demnach die Gesellschaft bei der Erfüllung ihrer sozialen und demokratischen Verpflichtung und macht diese auf Veränderungsbedarf in verschiedensten Bereichen aufmerksam. Zudem trägt sie aktiv zu den erforderlichen Veränderungsprozessen bei und fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, indem sie den Einzelnen in seiner Teilhabe an der Gesellschaft unterstützt. Im Gegensatz zu der alten Definition spricht die Neue der Sozialen Arbeit auch konkrete politische Funktionen zu. Im Rahmen ihrer „Handlungsforschung“ soll sie daher Ursachen für Problemsituationen benennen und sich an der Erarbeitung möglicher Lösungen beteiligen. Zudem soll sie als „Frühwarnsystem“ fungieren und unmittelbar über entstehende Problemlagen informieren, um entspre-

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chend darauf reagieren zu können. Die Definition der Sozialen Arbeit ist nach ihrer Überarbeitung wesentlich genauer, weil sie differenzierter auf einzelne Aspekte Sozialer Arbeit eingeht und neue hinzufügt. Von besonderer Bedeutung für ihr Selbstverständnis ist dabei die Tatsache, dass ihr Nutzen für die Gesellschaft, wie auch ihre politische Funktion in der „Neuauflage“ ihrer Definition, hervorgehoben wird. Auch für Otto und Böllert (1994, 445) ist Soziale Arbeit einerseits ein „wohlfahrtspolitischer Seismograph“ und andererseits eine „personenbezogene soziale Dienstleistung“. Dabei merken sie an, dass diese Kombination die Profession der Sozialen Arbeit, wie auch ihren Stellenwert in der Gesellschaft definiert (Wendt 1995, 29). Die Betonung ihres politischen, wie auch gesellschaftlichen Nutzens lässt somit auf ein gesteigertes Selbstvertrauen schließen, welches in der neuen Definition des DBSH offen nach außen kommuniziert wird.

Zu einer gänzlich anderen Definition von Sozialer Arbeit kam das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung aus dem Jahr 1995. Sie lautet wie folgt:

„… Die Tätigkeit eines Sozialarbeiters/Sozialpädagogen hat ihren Schwerpunkt in der Bekämpfung von Fehlentwicklungen durch Veränderung von Menschen, ihren Lebenslagen und Lebensqualität sowie der sie bedingenden gesellschaftlichen Strukturen (.)

… Dazu gehört die Veränderung des Menschen, seiner Lebenslage und Lebensqualität und der sie bedingenden gesellschaftlichen Strukturen als Ziel des beruflichen Handelns (.)“ (DBSH 2009, 14)

Diese Definition schreibt der Sozialen Arbeit als Handlungsschwerpunkt die Bekämpfung von Fehlentwicklungen zu. Dabei stellt das Ziel ihres beruflichen Handelns die Veränderung des Menschen, seiner Lebenslage und seiner Lebensqualität im Allgemeinen dar. Ebenso soll Soziale Arbeit die gesellschaftlichen Strukturen verändern, welche Fehlentwicklungen bedingen. Diese Definition stellt einen Anspruch an die Soziale Arbeit, welchem sie kaum gerecht werden kann, indem von ihr die aktive Veränderung von Menschen und deren Umwelt gefordert wird. Diese Veränderung kann jedoch nur von der Klientel und ihrer Umwelt selbst erbracht werden, Sozia-

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le Arbeit hingegen unterstützt diese Veränderungsprozesse, aber sie kann sie nicht erzwingen. Auch die ihr zugesprochene Rolle, als Bekämpfer von Fehlverhalten, kann negativ empfunden werden. Sie stellt durch diese Beschreibung eine Instanz dar, welche sich nicht nur um die Einhaltung gesellschaftlicher Normen und Werte bemüht und diese anstrebt, sondern für diese Einhaltung kämpft. Im Kampf gegen das Fehlverhalten bekommt die Soziale Arbeit einen etwas aggressiven Charakter. Ein Umstand, der die Klientel nicht unbedingt ansprechen dürfte, zumal die Definition, im Gegensatz zu denen der IFSW und des BDSH, keinerlei Bezug zu ihr herstellt. Menschen, Situationen und gesellschaftliche Strukturen werden als Objekte dargestellt, welche es im Falle der Fehlentwicklung zu verändern gilt. Die Veränderung steht demnach im Mittelpunkt der Sozialen Arbeit, wohingegen der Mensch an den Rand gerückt wird. Durch den Begriff „Fehlentwicklung“ kann das gesellschaftliche Ansehen der Klientel Sozialer Arbeit negativ beeinflusst werden, indem er auf den Begriff des „Fehlers“ verweist. Die Entwicklung oder das Leben eines Individuums wird somit nicht nur als verbesserungswürdig angesehen, wie es in den Definitionen der IFSW und des DBSH beschrieben wird, sondern als grundsätzlich falsch betrachtet. Aufgrund einer solchen Wertung kann es demnach dazu kommen, dass weniger Menschen die Dienste Sozialer Arbeit in Anspruch nehmen, weil sie sich dieser gesellschaftlichen Bewertung entziehen wollen, aber auch aus Gründen der Nicht-Übereinstimmung mit dieser Einschätzung, bezüglich ihres Lebens oder ihrer Entwicklung. Ein weiterer Rückgang der Klientel könnte dadurch entstehen, dass Menschen, welche sich in einer Problemsituation befinden, sich nicht an einen Dienst der Sozialen Arbeit wenden wollen, welcher sich durch eine solche Wertung in seiner beruflichen Definition auszeichnet. Soziale Arbeit soll also aktiv die Menschen, ihre Lebensumstände, wie auch gesellschaftliche Strukturen so verändern, dass Fehlentwicklungen beseitigt werden. Dies stellt, wie eben beschrieben, bereits einen Anspruch dar, welchem die Soziale Arbeit nicht gerecht werden kann. Die Erfüllung dieser Forderung wird darüber hinaus zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass die Definition des BAG die Soziale Arbeit eher von ihrem Klientel entfernt, als sie einander näher zu bringen. Sie lässt kein Verständnis davon entstehen, was Soziale Arbeit charakterisiert, sondern schafft Distanz, indem sie die Soziale Arbeit aus

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ihrem gesellschaftlichen Kontext herauslöst, nicht den Menschen, sondern die Veränderung zu ihrem Zentrum erklärt und ihre sozialen Dienste als Instrumente zur Bekämpfung von Fehlverhalten beschreibt. Die Tatsache, dass dem Individuum, in seiner Autonomie und Eigenständigkeit keinerlei Bedeutung zukommt, verdeutlicht den Umstand, dass diese Definition dem Selbstverständnis einer modernen Sozialen Arbeit, wie sie bisher beschrieben wurde, nicht gerecht wird.

Mit Hilfe von Begriffsbestimmungen, einem historischen Rückblick und unterschiedlicher Definitionen konnten bereits einige Merkmale der Sozialen Arbeit herausgestellt werden. Im Folgenden werden die ethischen Grundlagen der Sozialen Arbeit vorgestellt. Durch die Betrachtung ihrer moralischen Identität, soll der Frage nach ihrem Selbstverständnis weiter nachgegangen werden.

3.2.3. Die ethischen Grundlagen Sozialer Arbeit

Wie bereits in den Definitionen der IFSW und des DBSH herausgestellt wurde, liegt die Handlungsgrundlage der Sozialen Arbeit in den Menschenrechten und der sozialen Gerechtigkeit. In Bezug auf die Soziale Arbeit ist dabei die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, sowie die internationalen Verpflichtungen über bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale, wie auch kulturelle Rechte von besonderer Bedeutung. Gleiches gilt bezüglich dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, wie auch dem zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung gegenüber Frauen und dem Übereinkommen bezüglich der Rechte des Kindes (DBSH 2009, 8). Darauf begründet sich das ethische Bewusstsein der Sozialen Arbeit, welches einen wichtigen Teil ihrer Identität darstellt. So beruht ihr Handeln auf ihrer Achtung gegenüber der Würde und des Wertes jedes einzelnen Menschen. Sie soll sich für die Wahrung des individuellen Wohlergehens einsetzen, dabei das Recht auf Selbstbestimmung der Klientel beachten und deren Recht auf gesellschaftlicher Beteiligung fördern. Die Auseinandersetzung mit dem Individuum soll unter dem Aspekt der „Ganzheitlichkeit“ erfolgen, da davon ausgegangen wird, dass individu-

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elle Probleme keine Einzelphänomene darstellen, wodurch deren Lösung entsprechend nur im Gesamtsystem der Rahmenbedingungen erreicht werden (Hering 2010, 7). Zudem soll professionelle Soziale Arbeit eine lösungs- und nicht problemorientierte Einstellung vertreten. Sie erkennt Problemsituationen, richtet ihren Blick dabei allerdings nicht auf die Schwächen des Individuums, der Gruppe oder der Gesellschaft, sondern rückt deren Stärken in den Fokus, um diese zu fördern. Aus den Übereinkommen bezüglich der Beseitigung von Diskriminierung, wie auch aus der Anerkennung der Würde aller Menschen ergibt sich, dass Soziale Arbeit jede Art von Diskriminierung ablehnt und aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung heraus dagegen vorgeht. Ein weiterer Aspekt, welcher daraus resultiert, ist die Anerkennung von individuellen, sowie kulturellen Unterschieden. Diese sollen von den Professionellen respektiert und in ihrer Arbeit berücksichtigt werden. Die Umsetzung einer gerechten Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel, unter Betrachtung von individueller Bedürftigkeit, wie auch die Pflicht ungerechte politische Entscheidungen und daraus resultierende Missstände öffentlich darzulegen, gehören, in Bezug zu der sozialen Gerechtigkeit und den Menschenrechten, ebenso in den Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit. Aufgrund unterschiedlicher Werte und Normen in den verschiedenen Kulturen gestaltet sich die Entwicklung einer internationalen Berufsethik jedoch schwierig, da die Professionellen, je nachdem in welchem Land sie tätig sind, zum Teil mit sehr speziellen ethischen Herausforderungen konfrontiert werden. Daher wurden auf der Generalversammlung der IFSW und der „International Association of Schools of Social Work“ (IASSW) im Jahr 2004 allgemeine Richtlinien für berufliches Handeln in der Sozialen Arbeit aufgestellt. Sie besagen, dass die professionell Tätigen ihre, für die Berufsausübung erforderlichen, Fertigkeiten aufrechterhalten und darüber hinaus weiterentwickeln müssen. Zudem sollen sie verhindern, dass ihre Fähigkeiten für unmenschliche Zwecke missbraucht werden. Des Weiteren fordern IFSW und IASSW, dass die Professionellen der Sozialen Arbeit ihre Vertrauensbeziehung zum einzelnen Klienten nicht missbrauchen. Sie dürfen ihre Position nicht ausnutzen, um einen persönlichen Vorteil daraus zu ziehen und müssen die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben erkennen, wie auch respektieren. Darüber hinaus sollen sie ihrer Klientel empathisch und aufmerksam begegnen,

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sowie deren Bedürfnisse und Interessen vertreten. Soziale Arbeit darf ihre eigenen Interessen demnach nie über die des Individuums oder der Gesellschaft stellen. Weitere Ansprüche an die Professionellen bestehen in der Gewährleistung von Vertraulichkeit und in der Akzeptanz der Tatsache, dass sie, bezüglich ihres Handelns, gegenüber mehreren Parteien verantwortlich sind, woraus sich widersprüchliche Verantwortlichkeiten ergeben können. Soziale Arbeit soll daher ihre ethischen Grundlagen stetig hinterfragen und weiterentwickeln, um sich der Verantwortung stellen zu können, indem sie ihre Entscheidungen und daraus resultierende Handlungen begründen kann. Des Weiteren wird in den allgemeinen Richtlinien aufgeführt, dass die professionell Tätigen sich darum bemühen sollen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit ihren Arbeitgebern, Bedingungen zu schaffen, welche ein Handeln nach diesen Grundlagen ermöglicht. Neben den kulturell bedingten Herausforderungen, sind jedoch einige Umstände, aus denen sich ethische Probleme entwickeln können, weit verbreitet. Hierzu zählt die Tatsache, dass die Professionellen der Sozialen Arbeit häufig zwischen unterschiedlichen Erwartungshaltungen stehen, ebenso wie ihre Doppelrolle als „Helfer“ und „Kontrolleur“. Gleichwohl befinden sie sich oft in einer Konfliktsituation, in der sie den Interessensschutz, wie auch die Interessensvertretung ihrer Klientel gegen den gesellschaftlichen Anspruch von Effektivität und Nutzen abwägen müssen. Zudem sind die Ressourcen, welche einer Gesellschaft zur Verfügung stehen begrenzt und somit auch die Mittel der Sozialen Arbeit. Diese Gegebenheiten führen ebenfalls dazu, dass sich ihre Professionellen mit den Herausforderungen, welche ihnen begegnen, auseinandersetzen müssen, um ihr Handeln auf ethisch begründete Entscheidungen stützen zu können.

In Anlehnung an die IFSW und begründet in universellen Werten, wie sie beispielsweise im Menschenrechtskatalog, den Persönlichkeitsrechten oder dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes formuliert sind, beschloss der deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit in seiner Mitgliederversammlung des Jahres 1997 eigene berufsethische Prinzipien. Diese beziehen sich auf allgemeine Grundsätze bezüglich des beruflichen Handelns, unterteilen jedoch zusätzlich in einzelne Kategorien des berufsethisch korrekten Verhaltens gegenüber verschiedener Interessensgruppen. Dabei wird das

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Verhalten der Professionellen gegenüber ihrer Klientel, ihrer Berufskollegen, sowie gegenüber anderer Berufsgruppen berücksichtigt. Darüber hinaus bieten die berufsethischen Prinzipen des DBSH Orientierung im Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber, wie auch bezüglich des Verhaltens der Professionellen in der Öffentlichkeit. Diese ethischen Grundlagen stellen jedoch kein festgeschriebenes Regelwerk dar. Sie werden, „angesichts des sozialen Wandels […] einer kontinuierlichen Revision und Aktualisierung“ unterzogen (DBSH 2009, 11). Die ethischen Prinzipien, bezogen auf die eben genannten Kontexte beruflichen Handelns, werden im Folgenden kurz dargestellt.

Der wichtigste allgemeingültige Grundsatz besagt, dass soziale Dienstleistungen von jedem Menschen in Anspruch genommen werden können und entsprechend, dass die Professionellen der Sozialen Arbeit weder selbst diskriminierend handeln, noch ein solches unterstützen oder fördern. Nach dem Verständnis des DBSH fördert und unterstützt Soziale Arbeit in einer solidarischen Weise. Die Initiative des Einzelnen soll dabei gefördert werden, so dass dieser eigene Lösungen entwickeln und an deren Umsetzung mitwirken kann. Dabei unterstützt Soziale Arbeit, indem sie die Umwelt des Individuums einbezieht, wodurch hilfreiche Beziehungen aufgebaut werden können. Zudem sollen durch sie Einstellungen und Fähigkeiten vermittelt werden, welche eine allgemeine Verbesserung der Welt fördern. Die Ursachen sozialer Not sollen durch die professionell Tätigen ergründet, veröffentlicht und bekämpft werden, wobei sie ihre Fachlichkeit auf wissenschaftlich begründetes Handeln und ihrer individuellen berufseigenen Erfahrungen stützen. Diese ethischen Grundlagen untersagen ebenfalls den Missbrauch der beruflichen Stellung und mahnen den verantwortungsbewussten Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen an. Darüber hinaus sollen die Professionellen ihre Tätigkeiten, sowie daraus gewonnene Erkenntnisse dokumentieren, um sie später reflektieren zu können. Dadurch soll eine Optimierung zukünftiger Arbeitsprozesse ermöglicht werden. Die Fortbildungspflicht, wie sie in den Grundlagen geschrieben steht, dient ebenfalls dem Ziel die professionelle Soziale Arbeit stetig zu verbessern.

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Bezüglich des Verhaltens der professionell Tätigen gegenüber ihrer Klientel steht der respektvolle und anerkennende Umgang im Vordergrund. Individuelle Ziele sollen wahrgenommen, so wie akzeptiert werden und zu deren Erreichung werden die vorhandenen Ressourcen eingesetzt. Dabei wird der Klient über die Art, wie auch den Umfang der ihm zustehenden Leistungen informiert und über seine Rechte aufgeklärt. Im Anschluss soll ein Kontrakt über die Leistungen und Ziele erstellt werden. Des Weiteren gestaltet der Professionelle seine Beziehung zum Klientel immer auf einer beruflichen Ebene, erhebt nur solche Daten, welche er für die Maßnahme und spätere Rechenschaft über sie benötigt und verpflichtet sich gleichwohl zur Einhaltung des Datenschutzes. Dem einzelnen Klienten wird dabei jederzeit angemessener Zugang zu den, ihn betreffenden, Daten ermöglicht.

Grundlagen für den Umgang mit Berufskollegen bilden Wertschätzung und Anerkennung. Diese gelten dabei nicht nur in Bezug auf Kollegen desselben Handlungsfeldes, sondern auch für jene, die in einem anderen Aufgabenbereich tätig sind. Unter kollegialem Verhalten wird weiterhin ein gegenseitiger Beistand, wie auch untereinander erfolgende Absprachen zur Gestaltung einzelner Hilfeprozesse verstanden. Hinzu kommt der Anspruch ebenso den „beruflichen Nachwuchs“, in Form der Studierenden, in die kollegialen Überlegungen einzubeziehen und sich entsprechend an seiner Ausbildung zu beteiligen.

Die Kooperation verschiedener Berufsgruppen ist, angesichts der Komplexität mancher Problemsituationen, für den DBSH unbedingt nötig. Daher sollen Professionelle der Sozialen Arbeit die Fachlichkeit anderer Disziplinen anerkennen. In Konfliktfällen ergreifen sie jedoch Partei für die Seite ihrer Klientel und beziehen sich dabei auf ihre Berufsethik. Um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern, sollen die professionell Tätigen ihre Arbeit transparent gestalten. Sie soll begründet und somit nachvollziehbar sein. Mit erhaltenen Weisungen setzen sie sich, unter Berücksichtigung ihrer berufsethischen Grundlagen, kritisch auseinander, bevor sie handeln.

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Gegenüber dem Arbeitgeber muss der Professionelle überprüfen, ob dessen Methoden und Ziele mit den „Berufsethischen Prinzipien des DBSH“ übereinstimmen. Darüber hinaus muss festgestellt werden, ob der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Verwirklichung der Fachlichkeit bietet und zu einer konstruktiven und innovativen Zusammenarbeit bereit ist.

In der Öffentlichkeit sollen Professionelle der Sozialen Arbeit das Ansehen ihres Berufes fördern, indem sie diesen als gesellschaftliche Kraft darstellen, welche auf wissenschaftlicher Basis für die Gesellschaft wichtige Dienste leistet. Wie im Umgang mit den Angehörigen anderer Disziplinen sollen die professionell Tätigen ihre Aufgaben, Ziele und Methoden auch für die Öffentlichkeit transparent gestalten und verdeutlichen, dass sie der Ausgrenzung und Abwertung ihrer Klientel entgegentreten (DBSH 2009, 9 ff.).

In Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung, Begriffsbestimmungen, Definitionen und mit berufsethischen Prinzipien zeigen sich einige profilbildende Aspekte der Sozialen Arbeit. Darüber hinaus wird jedoch ebenso deutlich, worin die Schwierigkeit besteht ihre Identität zu beschreiben. Wendt (1995, 21) vergleicht sie mit einem Mosaik, wonach der einzelne Professionelle, ebenso wenig, wie der einzelne soziale Dienst darstellen kann, was Soziale Arbeit bedeutet, weil sie lediglich Aspekte ihres Wesens aufzeigen. Dabei bilden gerade diese Aspekte, in Form von unterschiedlichen Ansprüchen und Arbeitsaufträgen, in ihrer Gesamtheit, also aus der Ferne betrachtet, das Mosaik der Sozialen Arbeit. Würde ihre Definition enger gefasst werden, bestünde eventuell die Gefahr, dass einzelne Handlungsfelder, Methoden oder Theorien, aus dem Gesamtbild, herausfallen, obwohl sie in das „Selbstkonzept“ Sozialer Arbeit passen, wodurch „Lücken“ im Mosaik entstehen würden. Das Selbstverständnis Sozialer Arbeit ist daher so vielfältig, wie die Formen, in denen sie in Erscheinung tritt und erst durch das Selbstverständnis ihrer Professionellen, in all der Mannigfaltigkeit, bekommt es seine Farben. Eine einheitliche Identität Sozialer Arbeit, beispielsweise in grau oder grün, um bei dem Beispiel des Bildes und seiner Farben zu bleiben, würde den einzelnen Professionellen nicht gerecht werden, ebenso wenig den verschiedenen Handlungsfeldern oder dem

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einzelnen Klienten, welcher in seiner Individualität wahrzunehmen und anzuerkennen ist. Soziale Arbeit muss demnach flexibel und anpassungsfähig sein und weiterhin bleiben, damit sie den unterschiedlichen Ansprüchen und den, sich stetig wandelnden, Herausforderungen gerecht werden kann. Ihr Mosaik ist daher abhängig von dem ihrer Umwelt. Im Laufe unterschiedlicher Entwicklungen veränderte sich ihr Bild entsprechend und die Tatsache, dass Soziale Arbeit einen, wie im Kapitel 3.2.1. beschrieben, „Kollektivbegriff“ darstellt, lässt die Frage entstehen, ob der Begriff „Identität“ in Bezug auf das Konstrukt Soziale Arbeit überhaupt zulässig sein kann. Er bezieht sich auf die unverkennbaren Merkmale einer Person oder eines Gegenstandes. Soziale Arbeit hingegen repräsentiert viele Dinge und Menschen. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann Sozialer Arbeit entsprechend kein einheitliches „Selbstkonzept“ zugestanden werden (Wendt 1995, 12). Dem gegenüber steht allerdings die Tatsache, dass Soziale Arbeit sich, durch die Auseinandersetzung über ihr Selbstverständnis, seitens ihrer Professionellen, zu einem Ganzen entwickeln, sich also in gewisser Form ebenfalls selbst regulieren kann und dies auch tut. Indem sich diejenigen, welche die Soziale Arbeit bilden, trotz ihrer unterschiedlichen Handlungsfelder auf ein gemeinsames Verständnis, beispielsweise durch die Erarbeitung berufsethischer Grundlagen ihres Berufes, einigen können und dieses auch nach außen vertreten, geben sie der Sozialen Arbeit ihre „kollektive Identität“. Dadurch schaffen sie ihr einzigartiges Mosaik, welches trotz seiner Vielfalt, ein einheitliches Gesamtwerk ergibt, weil sich die Professionellen auf eine gemeinsame Basis oder um bei dem Beispiel zu bleiben, die Leinwand, in Form der ethischen Prinzipien, ebenso wie auf den Rahmen, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben, verständigen konnten.

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4. Volksmärchen und ihre Bedeutung für die Soziale Arbeit Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt, dass sich Soziale Arbeit, in Abhängigkeit zu ihrer Umwelt, mittlerweile zu einem sehr umfangreichen und komplexen Hilfesystem entwickelt hat, dessen charakteristische Wesensmerkmale, aufgrund seiner Vielfältigkeit, nicht eindeutig benannt werden können. Ebenso wurden die daraus resultierenden Folgen, bezüglich des Selbstverständnisses Sozialer Arbeit, dargestellt. Im Folgenden soll ihre Komplexität reduziert werden, indem sie durch die „Märchenbrille“ betrachtet wird. Damit gemeint ist die Auseinandersetzung mit Sozialer Arbeit in Bezug auf Märchen. Das Aufsetzen der „Brille“ verdeutlicht dabei, dass die Profession bewusst aus einer anderen, in diesem Fall, märchenhaften Perspektive heraus betrachtet wird. Die einfache Struktur, wie auch die Bildhaftigkeit der Märchen geben Gelegenheit dazu, die eigene Person, wie auch die Umwelt besser zu verstehen. In ihnen wird keine abstrakte Beschreibung von existenziellen Problemen und damit verbundenen Lösungswegen beschrieben, sie veranschaulichen diese Inhalte mit Hilfe von Sinnbildern. Diese einfachen Bilder ermöglichen es dem Kind Situationen, wie auch Gefühle zu erkennen und sich mit diesen auseinanderzusetzen, so dass sie letztlich Verständnis dafür aufbauen und somit ihr bewusstes Leben ordnen können. Märchen geben dem Kind dementsprechend die Möglichkeit seine abstrakte Um-, aber auch Innenwelt zu verstehen, da diese in ihrer Komplexität deutlich vereinfacht werden und daher dem intuitiv-anschaulichen Denken des Kindes entsprechen. Dadurch können sie das Kind in der Entwicklung seines Selbstbewusstseins, seines Selbstwertgefühls und seines moralischen Bewusstseins unterstützen (Bettelheim 2009, 13). Die Betrachtung Sozialer Arbeit durch die „Märchenbrille“ soll zeigen, ob Märchen ihr ebenfalls, in der Entwicklung eines Selbstverständnisses, eines Selbstwertes, wie auch eines ethischen Bewusstseins, unterstützend zur Seite stehen können. Durch die Auseinandersetzung mit den beiden grimmschen Märchen „Sneewittchen“ 2 und „Aschenputtel“ 3 soll dieser Frage, im Folgenden, nachgegangen werden. Die Auswahl der Märchen orientiert sich dabei auf die, in Kapitel 2.5 vorgestellte, Allensbacher 2 3

s. Anhang 2 s. Anhang 3

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Umfrage. Entsprechend wurden sie aufgrund ihrer allgemeinen Bekanntheit ausgewählt.

4.1. Der Weg des Märchenhelden

Die Merkmale der Volksmärchen, wie sie im Kapitel 2.2 beschrieben werden, sind von entscheidender Bedeutung für die entwicklungsunterstützenden Eigenschaften, welche ihnen zugesprochen werden. In Bezug auf den Märchenhelden ist seine Flächenhaftigkeit besonders wichtig, da sie die Identifizierung mit ihm, seitens des Lesers oder Hörers erleichtert. Die offene Gestaltung der jeweiligen Konfliktsituation, in welcher sich der Held befindet, begünstigt dabei die Einfügung der eigenen Problematik in die Geschichte. Aufgrund der Polarisierung, welche die Ausgestaltung der einzelnen Märchenfiguren bestimmt, werden Eigenschaften und Umstände in ihrer Komplexität reduziert und können somit deutlicher erkannt werden (Bettelheim 2009, 15f.). Um der Frage nach dem märchenhaften Nutzen für das Selbstverständnis Sozialer Arbeit nachzugehen, wird sie, im Folgenden, in den Rollen der Märchenhelden aus „Sneewittchen“ und „Aschenputtel“ betrachtet. Vorweggenommen werden soll allerdings die Tatsache, dass der Märchenheld sich am Anfang seiner Geschichte immer in einer Konfliktsituation befindet und sich zunächst allein, also isoliert, auf die „Suchwanderung“ begibt. In Bezug auf Soziale Arbeit, vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung, fällt dabei bereits auf, das beide Geschichten, sowohl die des Märchenhelden, wie auch die der Sozialen Arbeit ihren Ursprung in einer Notsituation haben, welches die Identifikation mit dem Helden, seitens der Sozialen Arbeit, erleichtern kann.

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4.1.1. Soziale Arbeit in der Rolle des Sneewittchens

In dem Märchen „Sneewittchen“ wünscht sich die Königin zunächst ein Kind. Sie bringt eine Tochter zur Welt und verstirbt daraufhin. Das Mädchen bekommt anschließend eine Stiefmutter, welche besonders stolz und hochmütig ist. Sneewittchen wird so lange von ihrer Stiefmutter geduldet, bis ihre Schönheit die der Stiefmutter übertrifft. Daraufhin soll es von einem Jäger ermordet werden, damit die böse Königin weiterhin die Schönste des ganzen Landes ist. Sneewittchen wird von dem Jäger verschont, dieser trickst die Stiefmutter aus, so dass diese zunächst denkt Sneewittchen sei tot. Das Mädchen läuft in den Wald und gelangt nach einer Weile zu dem Haus der sieben Zwerge. Diese wollen das Mädchen bei sich behalten, wenn es sich im Haushalt nützlich macht und warnen es vor der bösen Königin. Die Warnungen nützen nichts, da sich Sneewittchen immer wieder von der Stiefmutter täuschen lässt. Die Zwerge können es zwei Mal retten, doch schließlich fällt es, aufgrund eines verschluckten Apfelstückes, tot um. Die Zwerge wollen es jedoch nicht begraben, weil es noch immer sehr schön ist und bauen ihm einen Glassarg, so dass jeder es weiterhin sehen kann. Daraufhin kommt ein Königssohn in den Wald, sieht Sneewittchen in ihrem Sarg, verliebt sich in das Mädchen und möchte es mitnehmen. Die Zwerge entsprechen der Bitte des Prinzen und Sneewittchen soll in sein Schloss gebracht werden. Bei dem Transport des Sarges stolpert jedoch einer der Diener, woraufhin das Apfelstück aus Sneewittchens Mund heraus fällt und sie die Augen wieder öffnet. Die beiden heiraten und laden zu diesem Fest auch die böse Königin ein, welche sich zum Ende der Geschichte, in glühenden Eisenpantoffeln, zu Tode tanzen muss (Grimm 2008a, 53 ff.).

Die Geschichte von Sneewittchen wird, aus Sicht der Sozialen Arbeit, an dem Punkt interessant, an dem das schöne Kind eine böse Stiefmutter bekommt, welche ihr nicht wohl gesonnen ist. Diese Veränderung im Leben Sneewittchens führt dazu, dass ihr gutes Aussehen, entsprechend das was sie auszeichnet, gegen sie verwendet wird. Das von der leiblichen Mutter gewünschte, wird in den Augen der Stiefmutter zu einer schlechten Eigenschaft und da diese nun die Herrschaft im Schloss übernommen hat, ist sie

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auch diejenige, welche die Regeln aufstellt. Dies führt dazu, dass Sneewittchen von einem Jäger ermordet werden soll, um die Ordnung der Königin, wonach sie die Schönste ist, nicht weiter zu stören. Sneewittchen lässt dies jedoch nicht einfach über sich ergehen, sondern fleht um ihr Leben, welches der Jäger ihr schließlich schenkt. Soziale Arbeit in der Rolle des Sneewittchens kann für sich die Verbindung darin sehen, dass auch sie von Veränderungen in ihrer Umwelt abhängig ist. In ihrer historischen Entwicklung zeigt sich, welche Auswirkungen der Wandel des gesellschaftlichen Verständnisses von Armut auf sie hatten und welchen Einfluss auch veränderte Werte und Normen auf sie haben. Auch Sozialer Arbeit werden, wie Sneewittchen, Unzulänglichkeiten vorgeworfen, welche zum Teil dazu führen, dass der Sinn ihrer Existenz in Frage gestellt wird. Die Absprache einer sinnvollen Existenz kann jedoch mit einem sozialen Tod verglichen werden. Um diesem zu entgehen muss Soziale Arbeit, ähnlich wie Sneewittchen, sich selbst wertschätzen und für sich aktiv werden, damit sie ebenfalls das Leben geschenkt bekommt und somit eine Chance erhält, um sich zu bewähren. Der Jäger geht zwar davon aus, dass Sneewittchen im Wald sterben wird, aber er gibt ihr die Möglichkeit zu überleben, welche es letztendlich nutzt. Es überwindet seine Angst und läuft, so lange es die Beine tragen, in den Wald. Wichtig für die Soziale Arbeit ist dabei, dass Sneewittchen sich durch die Angst und Unsicherheit nicht lähmen lässt. Sie fasst Mut, um sich dem Neuen und Unbekannten zu stellen. Der Umstand, dass sie läuft, macht dabei deutlich, dass sie diesen Veränderungen entgegenstrebt. Soziale Arbeit sollte sich demnach nicht von äußeren Umständen dermaßen verunsichern lassen, dass sie gelähmt und somit handlungsunfähig wird. Ebenso muss sie dem Neuen und Unbekannten gegenüber aufgeschlossen sein, da sie den vielfältigen und sich verändernden Ansprüchen der Klientel, der Gesellschaft und ihrer selbst sonst nicht gerecht werden würde. Sneewittchen läuft also in den Wald und kommt irgendwann an einem kleinen Häuschen an. Sie betritt es ohne Scheu und guckt sich die Einrichtung genau an. Dabei stellt sie fest, dass alle Möbel sehr klein sind, was sie nicht weiter verwundert. Als Sneewittchen die sieben Tellerchen und Becherchen der Zwerge sieht und merkt, wie groß Hunger und Durst sind, isst und trinkt sie von jedem nur ein wenig, damit nicht einem alles weggenommen wird. Daraufhin sucht sie sich ein pas-

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sendes Bettchen und schläft ein. Wie Sneewittchen darf auch die Soziale Arbeit keine Berührungsängste mit Unbekanntem, in Form von anderen Lebenswelten haben und sich darauf einlassen, indem sie diese bewusst betritt. Sneewittchens Neugierde bezüglich der Einrichtung des Zwergenhauses kann als Verweis auf das Interesse Sozialer Arbeit an den Lebenssituationen ihrer Klienten und an der Gesellschaft insgesamt betrachtet werden. Ihr Umgang mit der Nahrung der Zwerge zeigt dabei, dass auch Soziale Arbeit in ihrem Handeln darauf bedacht sein sollte, die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen gerecht zu verteilen und sich nicht auf Kosten anderer zu bereichern oder diese in einer anderen Art zu schädigen. Als Sneewittchen am nächsten Morgen erwacht, erschreckt sie, beim Anblick der Zwerge, zunächst. Sie merkt aber gleich, dass diese freundlich sind, fasst Vertrauen und erzählt ihnen ihre Geschichte. Die Zwerge bieten ihr daraufhin an bei ihnen zu bleiben, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich im Haushalt nützlich macht. Sneewittchen willigt ein und lebt von da an in der Gesellschaft der Zwerge. Soziale Arbeit, in der Rolle des Sneewittchens betrachtet, kann bei dem Anblick von etwas Unbekannten oder Ungewohnten ebenfalls nicht in Erschrecken verharren. Auch sie nimmt individuelle Besonderheiten einer Person oder einer Lebenssituation, wie auch einer Gesellschaft wahr und erkennt diese an. Dabei muss sie, um in der Gesellschaft zu bestehen und somit ein Teil von ihr sein zu können, bestimmte Bedingungen akzeptieren, wie es Sneewittchen macht, indem es die Forderungen der Zwerge anerkennt. Würde Sneewittchen den Bedingungen nicht zustimmen, könnte sie kein Teil der zwergischen Gemeinschaft werden und wäre somit wieder außerhalb der Gesellschaft, entsprechend allein im Wald. Dies verdeutlicht, wie wichtig es für das Leben in einer Gesellschaft ist, dass Normen und Werte eingehalten werden, wie auch auf den Umstand, dass jeder einen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten und zu ihrem Wohl handeln sollte, dies gilt insbesondere für die Soziale Arbeit. Tagsüber wird Sneewittchen von den Zwergen allein gelassen, jedoch nicht ohne vorher von ihnen, bezüglich ihrer bösen Königin, gewarnt zu werden. Auch die Soziale Arbeit hat in ihrem Handeln gewisse Freiheiten, welche durch Ansprüche, wie auch gesetzliche Regelungen eingegrenzt sind. So kann Sneewittchen alles tun, sie soll nur niemandem die Tür öffnen. Sie lässt sich jedoch durch die Verkleidung der

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Stiefmutter täuschen, wie auch von dem Reiz der angebotenen Ware ablenken und denkt, dass die augenscheinliche Händlerin eine ehrliche Frau ist. Sneewittchen zeigt sich in ihrem Handeln sehr naiv, leicht beeinflussbar und weltfremd. Sie bezieht die Warnung vor dem „Bösen“ nur auf die Gestalt der Stiefmutter, darüber hinaus ist ihre Wertung oberflächlich und durch die Stimulation eigener Bedürfnisse zu beeinflussen. Sobald sie etwas sieht, das sie haben möchte, vergisst sie die Regeln, welche ihr das Leben in der Gesellschaft ermöglichen und öffnet die Tür. Diesen Fehler begeht sie zweimal, kann aber von den Zwergen, vor dem Tod, gerettet werden. Durch die Identifikation mit Sneewittchen, kann für die Soziale Arbeit verdeutlicht werden, wie wichtig es ist, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen und dies auf keinen Fall nur oberflächlich zu tun. Aufgrund der unterschiedlichen Normen und Werte, welche in der modernen Gesellschaft, zum Teil, nebeneinander existieren, ist es für sie umso wichtiger, gründlich und kritisch zu beobachten und zu hinterfragen. Sie darf nicht nach Augenscheinlichkeit werten, ebenso wenig wie sie sich nur auf das eine „Böse“ fokussieren kann, da Ungerechtigkeiten und Notsituationen in vielfältiger Weise bestehen. Ebenso wenig sollte sie ihr Handeln an den eigenen Bedürfnissen orientieren und sich durch diese beeinflussbar machen. Die ersten beiden Mordversuche, seitens der bösen Königin, überlebt Sneewittchen, weil ihr die Zwerge zu Hilfe kommen. Sie erkennen die jeweilige Ursache und befreien Sneewittchen davon. Dies ist ihnen allerdings nur möglich, weil die Umstände, die zu dem beinahe Tod geführt haben, von außen wahrzunehmen waren. Riemen und Kamm sind offensichtliche Gegenstände, welche aus Kenntnis der Zwerge nicht zu Sneewittchen gehörten und dem entsprechend die Ursachen sein mussten. Für Soziale Arbeit kann dies aufzeigen, wie wichtig es ist jene Aspekte zu verdeutlichen, welche nicht zu ihr gehören, ebenso wie diejenigen, welche Teil von ihr sind. Durch eine klare Abgrenzung einerseits und die Zuschreibung bestimmter Merkmale andererseits, können ihre Professionellen, wie auch ihre Umwelt erkennen, wann Soziale Arbeit, beispielsweise „falsch“ handelt und sie darauf aufmerksam machen. Sneewittchen wird nach ihrer Rettung abermals von den Zwergen gewarnt und auf die Regeln hingewiesen, ebenso wie Soziale Arbeit sich den Normen und Werten nicht entziehen kann. Allerdings hat sich Sneewittchen die Regeln nicht zu Eigen gemacht, sie

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will sie zwar zunächst befolgen, letztlich siegt jedoch ihre Begierde und sie nimmt den tödlichen Apfel entgegen. Die Zwerge können ihr nicht helfen, da von außen keine Ursache zu erkennen ist und so legen sie Sneewittchen, weil es seine charakteristische Schönheit nicht verliert, in einen gläsernen Sarg. In Bezug auf die Soziale Arbeit kann dies den Umstand verdeutlichen, dass das Fehlen eines eigenen, verinnerlichten ethischen Bewusstseins letztendlich in Handlungsunfähigkeit enden würde, da sie nicht in der Lage wäre ihre Aufgaben reflektiert und den Ansprüchen entsprechend wahrzunehmen. Aufgrund der unterschiedlichen Erwartungen, welche an sie gestellt werden, kann sie nicht effektiv und zielgerichtet handeln, ohne dabei auch ihren Verstand einzusetzen, um sich mit ihrer Umwelt und den gegebenen Normen und Werten auseinanderzusetzen. Ein solches Fehlen von moralischer Identität stellt dabei allerdings ein Problem im inneren des Systems Sozialer Arbeit selber dar, welches, wie bei Sneewittchen, nicht von außen gelöst werden könnte. Der Umstand, dass Sneewittchens Tod von den Zwergen, wie auch von allen Tieren des Waldes betrauert wird zeigt, dass sie wertgeschätzt wurde. Ihr Potenzial und Nutzen wurde erkannt und die Tatsache, dass sie nicht verwest macht deutlich, dass es noch immer möglich sein kann, dass sie wieder aufwacht. Auch der „Tod“ Sozialer Arbeit würde sicherlich betrauert werden, da ihr Nutzen für die Gesellschaft in vielen Bereichen deutlich ist. Darüber hinaus würde das Soziale weiterhin bestehen, da sich dieser Begriff auf die Gesellschaft bezieht und aus ihr heraus entsteht. Professionelle Soziale Arbeit bräuchte dementsprechend in einem solchen Fall, wie Sneewittchen, einen „Anstoß“. Dabei ist der Umstand, dass sie, für jeden sichtbar, in einem Glassarg liegt besonders wichtig, denn nur so kann sich diese wachrüttelnde Gelegenheit bieten. Sie wird aufgrund ihres Versagens nicht ins Dunkel der Erde und somit in die Vergessenheit entlassen. Ihr wird somit die Möglichkeit eingeräumt, dass sie, unter anderen Umständen, noch eine Chance bekommt. Auch Soziale Arbeit kann, schon aufgrund ihres Bezuges zu Menschen, welche in ihrer Individualität Berücksichtigung finden müssen, nicht davon ausgehen, dass ihre Methoden immer die richtigen sind, daher sollte sie im allgemeinen eine zweite Chance bekommen, wenn sie einen Fehlschlag erleidet, zudem sollte sie selbst ihre Methoden nicht sofort verwerfen, wenn diese nicht zum gewünschte Ziel führen. Das Erwachen Sneewittchens

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wird letztendlich durch den Prinzen verursacht, welcher es in dem Sarg mit in sein Schloss nehmen will. Auf dieser Reise fällt der Sarg zu Boden und das giftige Apfelstück fällt daraufhin aus ihrem Mund. Sie entscheidet sich mit ihm zu gehen und sie heiraten. Mit dem Auftauchen des Prinzen hat sich etwas in Sneewittchens Umwelt verändert, diese neuen Bedingungen führen zu ihrer Rückkehr ins Leben. Durch die Hochzeit mit dem Prinzen verbindet sie sich mit dem Teil, welcher ihr bisher fehlte, zu ihrer Schönheit und Gutherzigkeit kommen Vernunft und ein verinnerlichtes ethisches Bewusstsein hinzu. Dadurch entwickelt sie sich schließlich zu einer ganzen Person und kann ein glückliches Leben führen. In diesem Zusammenhang kann Soziale Arbeit aus der Identifikation mit der Rolle des Sneewittchens abschließend die Bedeutung für sich ziehen, dass sie auf entsprechende Veränderungen reagieren, so wie diese nutzen sollte, damit sie durch die Verbindung des Sozialen mit der Arbeit, entsprechend Gutherzigkeit mit ethischen und wissenschaftlichen Aspekten, eine Identität schaffen kann, deren Handeln sich sowohl durch wohlwollende Charakteristika, wie auch durch begründete, an die jeweilige Situation angepasste und effektive Merkmale auszeichnet.

4.1.2. Soziale Arbeit in der Rolle des Aschenputtels

Auch das Märchen „Aschenputtel“ handelt von einem kleinen Mädchen, dessen Mutter stirbt, woraufhin es eine Stiefmutter bekommt. Diese bringt jedoch noch zwei Töchter mit in den Haushalt und für das Mädchen brechen somit schlimme Zeiten an. Sie wird von ihren Stiefschwestern zur Küchenmagd erklärt, muss fortan hart arbeiten und am Ofen in der Asche schlafen. Da sie entsprechend immer schmutzig ist, erhält sie den Namen Aschenputtel. Als sie von ihrem Vater gefragt wird, was er ihr von einer Reise mitbringen solle, wünscht sie sich einen Zweig. Der Vater bringt ihr ein Haselreis mit und sie pflanzt es auf das Grab ihrer Mutter. Sie gießt es mit ihren Tränen und nach einer Weile wächst es zu einem schönen Baum heran. Diesen besucht Aschenputtel jeden Tag drei Mal, um darunter zu beten und zu weinen. Dabei erscheint jedes Mal ein weißer Vogel, welcher Aschenputtels Wünsche erfüllt, wenn sie diese ausspricht. Eines Tages lädt

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der König alle Jungfrauen des Landes zu einem dreitägigen Fest ein, damit sein Sohn sich eine Braut aussuchen kann. Auch Aschenputtel möchte zu diesem Fest und fragt ihre Stiefmutter um Erlaubnis. Diese gibt ihr die Aufgabe Linsen aus der Asche zu sammeln und macht die Erledigung der Aufgabe somit zur Bedingung, dass Aschenputtel zum Fest darf. Aschenputtel bittet die Vögel um Hilfe, wodurch sie die Anforderung erfüllen kann. Die Stiefmutter verlangt anschließend von Aschenputtel, sie solle noch mehr Linsen sortieren und wieder bittet sie die Vögel um Unterstützung. Sie kann auch diese Herausforderung bewältigen, darf jedoch dennoch nicht mit zum königlichen Fest fahren. Daraufhin läuft Aschenputtel zum Baum auf dem Grab ihrer Mutter und bittet dort um Hilfe. Der weiße Vogel erscheint und wirft ihr ein schönes Kleid und Schuhe herunter, so dass sie zu dem Ball gehen kann. Dort angekommen wird sie vom Prinzen gesehen, welcher sie zum Tanz auffordert und nicht mehr hergibt, bis sie nach Hause möchte. Sie entschwindet ihm, bevor er herausfinden kann wer sie ist und läuft nach Hause. Sie lässt ihre schönen Sachen unter dem Baum zurück und legt sich in die Asche, als wäre sie nie fort gewesen, so dass niemand etwas merkt. Der zweite Ballabend verläuft ähnlich, doch am dritten Abend wendet der Prinz eine List an und lässt die Treppe mit Pech bestreichen. Aschenputtel kann ihm zwar davon laufen, doch sie hinterlässt einen ihrer Schuhe, so dass der Prinz etwas besitzt, mit dem er sie finden kann. Daraufhin sollen alle Mädchen diesen Schuh anprobieren und die Stiefschwestern schneiden sich sogar Teile ihrer Füße ab, damit sie in den Schuh hinein kommen. Der Prinz merkt davon nichts, doch zwei Tauben warnen ihn, so dass er das Blut schließlich sieht. So bringt er sie nacheinander wieder zurück. Am Ende ist Aschenputtel an der Reihe, um den Schuh anzuprobieren, er passt. Beim Anblick ihres Gesichtes, erkennt der Prinz seine Prinzessin und nimmt sie mit in sein Schloss. Auf dem Weg dorthin bestätigen ihm die Tauben, dass er nun die richtige Braut gefunden hat und sie setzen sich auf Aschenputtels Schultern. Zu der darauf folgenden Hochzeit kommen auch die Stiefschwestern, welche versuchen sich bei Aschenputtel einzuschmeicheln, um so an ihrem Glück teilhaben zu können. Doch auf dem Weg zum Altar und hinaus aus der Kirche werden ihnen von den Tauben, welche noch immer auf Aschenputtels Schultern sitzen, die Augen

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ausgepickt, so dass sie am Ende für ihre Boshaftigkeit mit Blindheit bestraft werden (Grimm 2008a, 137 ff.).

Für die Soziale Arbeit, in der Rolle des Aschenputtels, wird die Geschichte direkt zu Beginn interessant, da die Mutter, noch auf dem Sterbebett, von ihrer Tochter fordert stets gut und fromm zu bleiben. Soziale Arbeit kann dabei auf sich beziehen, dass auch sie stets den Normen und Werten treu bleiben soll. Nach dem Tod der Mutter bekommt Aschenputtel eine Stiefmutter und zwei Stiefschwestern, mit deren Einzug sich ihr Leben verändert. Sie wird von den Stiefschwestern zu einer Küchenmagd degradiert, welche schwer arbeiten muss und als schmutzig beschimpft wird. Sie schläft nicht mehr im Bett, sondern in der Asche am Herd und auch bei Tisch ist sie nicht länger willkommen. Als der Vater sie und ihre Stiefschwestern fragt, was er ihnen mitbringen könne, so wünschen sich die Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine. Aschenputtel hingegen ist in ihrem Wunsch bescheiden. Sie bittet den Vater um das erste Reis, welches ihm den Hut vom Kopf stößt. In Bezug auf Soziale Arbeit wird deutlich, dass auch diese durch gesellschaftliche Veränderungen schwere Zeiten durchmachen kann. Aufgrund der nicht eindeutigen Identität Sozialer Arbeit, kann ihr entsprechend auch keine klare Rolle zugesprochen werden, so dass es leichter fällt sie zu degradieren und ihren allgemeinen gesellschaftlichen Wert zu verkennen. Ebenso wird ihr, wie Aschenputtel, oftmals etwas schmutzig nachgesagt, der Geruch von Armut und Not, da sie sich mit denen beschäftigt, welche Unterstützung benötigen (Mühlum 1995, 115). In Bezug auf den natürlichen und bescheidenen Wunsch von Aschenputtel, kann Soziale Arbeit für sich die Bedeutung ziehen, dass auch sie in ihren Wünschen bescheiden und realistisch bleiben sollte. Was hätte es für Aschenputtel genützt sich ebenfalls schöne Kleider zu wünschen? Ihre Stiefschwestern hätten sie ihr gleich wieder weggenommen. Als Aschenputtel den Haselzweig von ihrem Vater bekommt, pflanzt sie es gleich auf das Grab ihrer Mutter und weint. So gießt sie es mit ihren Tränen und es wächst ein schöner Baum daraus hervor. Aschenputtel geht täglich drei Mal zu dem Grab um zu weinen, dabei setzt sich jedes Mal ein weißer Vogel auf den Baum und wenn sie sich etwas wünscht, so wirft er es ihr hinunter. Aschenputtel besinnt sich auf ihre Wurzeln, wenn sie das Grab ihrer Mutter

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aufsucht, da sie weder die Mutter, noch was diese ihr sagte, vergessen hat. Diese intensive Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit lässt schließlich den Baum wachsen, welcher den helfenden Vogel beherbergt. Soziale Arbeit kann sich durch die Betrachtung ihrer historische Wurzeln und der Auseinandersetzung mit diesen, ebenso wie Aschenputtel, ihrer selbst versichern und für sich verdeutlichen wo sie herkommt, was ihr Ursprung ist. Das Wachsen des Baumes zeigt entsprechend, dass aus der Beschäftigung mit Vergangenem etwas Positives, wie auch Hilfreiches für die Gegenwart entstehen kann. Die Besinnung auf ihren Ursprung kann Sozialer Arbeit entsprechend helfen ihre Identität nicht zu vergessen, sie deutlicher zu erkennen und sie zu stärken. Das Wissen um die eigene Geschichte kann ihr dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen, dies wiederum gibt Sicherheit und bietet Orientierung. Das königliche Fest bietet Aschenputtel die Möglichkeit an der Gesellschaft teilzuhaben und Kontakte zu knüpfen, doch zunächst muss sie sich darum kümmern, dass ihre Stiefschwestern hergerichtet werden, um ihr Ansehen in der Gesellschaft zu verbessern. Sie leidet darunter, doch erledigt sie ihre Aufgaben, wie es sich gehört. Anschließend bittet sie die Stiefmutter darum, auf den Ball gehen zu dürfen und diese erklärt sich, unter der Bedingung, dass Aschenputtel die Linsen aussortiert, einverstanden. Daraufhin bittet sie die Vögel um Hilfe: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.“ Die Vögel erhören ihren Ruf und bald darauf ist die Arbeit getan. Doch Aschenputtels Stiefmutter gibt sich nicht so leicht geschlagen und fordert sie dazu auf, diese Aufgabe abermals zu erledigen, doch gibt sie ihr dieses Mal mehr Linsen zum aussortieren und meint, dass diese Herausforderung unmöglich zu schaffen sei. Aschenputtel hingegen bittet abermals die Vögel um Hilfe, so dass sie auch diese Anforderung erfüllt. Die Stiefmutter lässt sich dennoch nicht erweichen und Aschenputtel bleibt allein zurück, während die anderen zum königlichen Ball gehen. In Bezug auf die Soziale Arbeit kann das Fest, so wie die Teilnahme daran als Möglichkeit betrachtet werden, um öffentliche Wahrnehmung, so wie Anerkennung zu bekommen und entsprechend die eigene Position in der Gesellschaft zu bestimmen. Wie für Aschenputtel ist es auch für die Soziale Arbeit nicht selbstverständlich, sich in gesellschaftlich einflussreichen Kreisen

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zu bewegen, da sie, beispielsweise von anderen „Herrschaftsdisziplinen“, nicht entsprechend anerkannt wird (Karolus 1995, 105). Die unmögliche Aufgabe, welche Aschenputtel von ihrer Stiefmutter zugewiesen bekommt, verweist dabei auf die unterschiedlichen Herausforderungen, denen sich die Soziale Arbeit gegenüber sieht. Aschenputtel wendet sich an alle Vögel und bittet diese um Hilfe, entsprechend dazu kooperiert Soziale Arbeit mit anderen Berufsgruppen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Der Umstand, dass Aschenputtel ihren Stiefschwestern noch hilft sich herzurichten und anschließend die Linsen einsammelt, wie es von ihr gefordert wird zeigt, dass sie sich an die Worte ihrer Mutter hält und weiterhin gut und fromm bleibt. Auch Soziale Arbeit sollte sich an ihre ethischen Grundsätze halten, doch wenn die Werte der Gesellschaft sich verändern, muss auch sie ihre Einstellung überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Nachdem die Stiefmutter ihr Wort gebrochen und somit die Regeln verletzt hat, setzt auch Aschenputtel sich über diese hinweg. Sie ignoriert, dass sie zu Hause bleiben soll und läuft hinaus zu dem Baum am Grab ihrer Mutter. Dort ruft sie: „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich.“ Sie entscheidet sich gegen die Regeln der Stiefmutter, weil sie begriffen hat, dass diese nicht gerecht, entsprechend falsch sind und es daher nicht gut und fromm sein kann diesen zu folgen. Auch die Soziale Arbeit kann nicht einfach hinnehmen, wenn Regeln, beziehungsweise Gesetze, nicht für alle gleich gelten und muss sich aktiv dafür einsetzen, dass dies geändert wird. Sie muss die bestehenden Normen und Werte einer Überprüfung unterziehen, um ihre Berechtigung zu erkennen oder entsprechend auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen zu können. Dabei sollte sie sich, wie Aschenputtel, nicht auf eine kleine Rolle als Küchenmagd beschränken lassen, sondern ihre Ansprüche geltend machen und die Möglichkeit fordern einen Teil der einflussreichen Gesellschaft darzustellen. Durch das schöne Kleid, welches Aschenputtel auf ihre Bitte hin von dem weißen Vogel bekommt, ist es ihr möglich zum königlichen Fest zu gehen, wo sie dem Prinzen sofort auffällt. Ihre Stiefschwestern und deren Mutter erkennen Aschenputtel hingegen nicht. Er fordert sie zum Tanz auf und gibt Aschenputtel daraufhin, trotz der Anfragen anderer, so lange nicht her, bis sie nach Hause möchte. Soziale Arbeit hat ihre Möglichkeit auf den königlichen Ball zu gehen, im Prinzip, bekommen, als die ersten Arbeitsversiche-

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rungsgesetze entstanden und die Fürsorge, später in der Weimarer Republik, zur Sache der Sozialpolitik erklärt wurde. Dadurch öffnete sich der Sozialen Arbeit die Tür zum politischen Parkett. Sie wurde beachtet und gleichwohl aufgefordert, jedoch nicht zum Tanzen, sondern zur Professionalisierung. Die Tatsache, dass Aschenputtel dem Prinzen entwischt, bevor dieser ihre Identität herausfinden kann, bezeichnet auch ein Dilemma der Sozialen Arbeit. Aschenputtel befindet sich im Konflikt zwischen den zwei Rollen des abhängigen schmutzigen Mädchens und der selbstbestimmten schönen Frau. Demgegenüber befindet sich Soziale Arbeit im Zwiespalt zwischen ihren Funktionen als „Helfer“ und „Kontrolleur“, wie auch im Konflikt zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit von Gesetzen. Aschenputtel entschwindet dem Prinzen an zwei Abenden und verweist damit auch auf den Umstand, dass die Bedeutung Sozialer Arbeit nicht leicht zu erfassen ist. Der Begriff „Wieselwort“, in Bezug auf die Bedeutung des Wortes „sozial“ verdeutlicht dabei, wie schnell diese sich dem Verständnis wieder entziehen kann, obwohl sie noch eben greifbar schien (Schilling 2005, 214). Gleichwohl gehören diese unterschiedlichen Rollen sowohl zu Aschenputtel, wie auch zur Sozialen Arbeit, so dass beide wiederum bemüht sein sollten nicht nur eine Seite von sich zu zeigen. Am dritten Abend behilft sich der Prinz mit einem Trick und sorgt dafür, dass Aschenputtel während ihrer Flucht einen ihrer Schuhe verliert. Somit hat er ein Merkmal, welches er ihr zuschreiben und mit dessen Hilfe er sie entsprechend identifizieren kann. So ist er bald darauf mit dem Schuh im Haus von Aschenputtels Vater und verlangt, dass die Töchter diesen anprobieren, da er diejenige zur Frau nehmen wolle, welcher der Schuh passt. Nachdem die Stiefschwestern mit blutigen Füssen zurückgebracht werden, wird Aschenputtel vom Prinzen gerufen, damit auch sie den Schuh probieren kann. Doch bevor sie ihm gegenüber tritt, wäscht sie sich noch die Hände und das Gesicht rein. Danach zieht sie den Schuh an und als sie aufsteht und der Prinz ihr Gesicht sieht erkennt er sie sofort, woraufhin er sie mit in sein Schloss nimmt. Auf dem Weg dorthin kommen sie an dem Grab ihrer Mutter vorbei und zwei Tauben, welche in dem Baum sitzen, bestätigen Aschenputtel als die richtige Braut. Anschließend fliegen sie vom Baum herunter und setzen sich auf Aschenputtels Schultern, auf denen sie noch sitzen, als sie bald darauf heiratet. In Bezug auf die Soziale Arbeit verdeutlicht der Umstand, dass

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Aschenputtel ihren Schuh verliert, die Wichtigkeit von persönlichen Merkmalen, welche eine Identifikation erst ermöglichen. Aschenputtel gibt sich nicht auf dem Ball zu erkennen, sondern wartet, bis der Prinz zu ihr kommt. Damit gibt sie ihm, aber auch sich selbst, die Gelegenheit, dass er ihre andere Seite kennen lernen kann. Da beide Rollen zu ihr gehören will sie sicher gehen, dass er auch beide akzeptiert und anerkennt. Auch zum Wesen der Sozialen Arbeit gehören ihre unterschiedlichen Funktionen und Rollen, welche letztlich anerkannt und akzeptiert werden müssen und dies zunächst einmal von den Professionellen selbst. Der Umstand, dass Aschenputtel vom Prinzen gerufen wird und somit keine Wahl hat, ob sie vor ihm erscheinen möchte oder nicht, zeigt die Verantwortung, welche Soziale Arbeit gegenüber der Klientel, der Gesellschaft und des Staates, letztlich aber auch gegenüber sich selbst übernehmen muss. Dieser kann sie sich nicht entziehen, aber sie sollte sich, wie Aschenputtel, welches sich vor der Begegnung mit dem Prinzen, die Hände und das Gesicht wäscht, darauf vorbereiten, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellt. Sie sollte sich ihrer Identität bewusst sein und ein einheitliches Selbstverständnis von sich besitzen, damit sie sich, trotz unterschiedlicher Aspekte, schließlich in einer klaren und professionellen Rolle präsentieren und entsprechend erkannt werden kann. Die Bestätigung von Aschenputtels Identität, seitens der beiden Tauben, kann bezüglich Sozialer Arbeit verdeutlichen, dass auch diese sich von außen bestätigen lassen muss, da Selbst- und Fremdwahrnehmung weit auseinander gehen können. Die Tatsache, dass sich die Tauben, welche zuvor über richtig und falsch gerichtet haben, anschließend auf ihren Schultern niederlassen, zeigt dabei, dass Aschenputtel von den Normen und Werten der Gesellschaft nicht nur anerkannt wird, sondern dass diese sie in Form von Recht und Ordnung auch von da an begleiten und schützen. Dies ist allerdings nur möglich, weil Aschenputtel ihrerseits diese Normen und Werte, eben weil sie gerecht sind, anerkennt und bereitwillig trägt. Soziale Arbeit in der Rolle des Aschenputtels kann abschließend die Bedeutung für sich darin erkennen, dass sie von unterschiedlichen gesellschaftlichen Normen und Werten begleitet wird. Dabei ist es ihre Aufgabe, diese anzuerkennen und sie ebenfalls zu tragen oder sich, im Falle von Ungerechtigkeit, durch die Besinnung auf den eigenen

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Ursprung und ethische Prinzipien, über sie hinwegzusetzen und sich nicht mit einer falschen Rollenzuschreibung abzufinden.

4.2. Die Rolle des märchenhaften Helfers

Im Gegensatz zu der Rolle des Helden, wird den jeweiligen Helfern eher wenig Beachtung geschenkt und dies, obwohl sie oftmals einen wichtigen Beitrag zu der Entwicklung des Helden leisten. Dennoch werden in der verbreiteten Literatur, beispielsweise von Bruno Bettelheim oder Verena Kast, der Märchenheld und seine Geschichte in den Mittelpunkt gestellt. Auf ihn wird Bezug genommen, wenn es darum geht, die Bedeutung eines Märchens für die eigene Persönlichkeit herauszustellen und er ist derjenige, welcher Kindern, aber auch Erwachsenen, die Möglichkeit geben soll, sich mit ihm zu identifizieren. Dies ist verständlich, da er derjenige ist, welcher die Veränderungen erlebt und sich entwickelt, entsprechend ist es seine Geschichte, welche Verständnis wecken und Orientierung bieten kann. In anbetracht dessen scheint die Rolle des Helfers nicht viel mehr bieten zu können, als dass sie den Helden in vielfältigster Form auf seinem Weg unterstützt. Dabei könnte die Auseinandersetzung mit den märchenhaften Helfern, in Bezug auf die Frage, wie Hilfe geleistet werden sollte, ebenfalls Orientierung bieten. Was machen die Helfer im Märchen, damit der Held letztendlich sein „Happy End“ bekommt? Stellen sie Bedingungen für ihre Hilfe? Wie treten sie mit dem Helden in Kontakt und welche Bedeutung kann die Tatsache haben, dass Helfer im Märchen durch unterschiedlichste Wesen, aber auch Gegenstände repräsentiert werden? In Bezug auf „helfende Berufe“, beziehungsweise derjenigen, welche in einem solchen tätig sind, könnte die genauere Betrachtung der Rolle des märchenhaften Helfers, entsprechend ebenfalls Orientierung bieten. Die Hilfeleistungen, welche durch die Professionellen der Sozialen Arbeit erbracht werden, sind in ihrer Art und Weise ebenso verschieden, wie es die einzelnen Helfer in den unterschiedlichen Märchen sind, dies stellt somit bereits einen Aspekt dar, über den sich die Soziale Arbeit mit der Rolle des Helfers in Verbindung bringen kann. Weitere Bezugspunkte, zwischen Professionellen der Sozialen Arbeit und den märchenhaften Helfern, wie auch mögliche Bedeutun-

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gen, welche sich aus der Identifikation mit der Helferrolle ergeben, sollen im Folgenden, anhand der Beispiele „Sneewittchen“ und „Aschenputtel“, herausgestellt werden.

4.2.1. Sneewittchen und die Soziale Arbeit

In dem Märchen „Sneewittchen“ taucht zunächst der Jäger auf, dem eine helfende Rolle zugesprochen werden kann. Dieser wird von der bösen Königin beauftragt, Sneewittchen umzubringen, merkt jedoch, dass er diesen Job nicht ausführen will. Er bekommt Mitleid mit dem Mädchen und lässt sie schließlich frei. Auch die Professionellen Sozialer Arbeit bekommen ihre Arbeitsaufträge zugewiesen, beispielsweise durch den Staat, die Gesetze dem Arbeitgeber und dem einzelnen Klienten. Dabei müssen sie ebenfalls die jeweiligen Ansprüche gegeneinander abwägen und aufgrund ihrer eigenen, wie auch berufsethischen Prinzipien Entscheidungen treffen. In einigen Fällen führt dies dazu, dass zum Wohle des Klienten und entgegen anderer Forderungen gehandelt wird. Dadurch, dass der Jäger Sneewittchen frei lässt, gibt er ihr die Möglichkeit sich zu entwickeln, auch wenn er denkt, dass sie im Wald umkommen wird. Für ihn ist es eine Möglichkeit sich dieser unmoralischen Aufgabe zu entziehen und ein reines Herz zu behalten. Anschließend täuscht er die Königin, so dass diese denkt, er habe seine Aufgabe erledigt und auch, wenn diese später merkt, dass dem nicht so ist, wird er letztlich für sein „Fehlverhalten“ nicht bestraft. Professionelle der Sozialen Arbeit in der Rolle des Jägers können eine Bedeutung für sich darin erkennen, dass der Jäger entsprechend handelt, um sein reines Herz zu behalten, er handelt menschlich und nicht als ausführendes Instrument der bösen Königin. Trotz aller notwendiger Professionalität und den gerechtfertigten Bemühungen darum, sollte darunter nicht der Bezug zu dem einzelnen Menschen leiden. Insbesondere, wenn seine Notlage durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten verursacht werden. Im Gegensatz zum Jäger, können die Professionellen der Sozialen Arbeit hingegen nicht täuschen, da es zu ihren Aufgaben gehört, Unrecht öffentlich zu machen und sich für entsprechende Veränderungen einsetzen. Der Umstand, dass der Jäger nicht von der Königin bestraft wird, kann dabei darauf ver-

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weisen, dass er kein tatsächliches Fehlverhalten gezeigt hat. Er hat sich an Normen und Werten orientiert, welche über den ungerechten Forderungen der Königin stehen. Ebenso wie sich Professionelle der Sozialen Arbeit auf übergeordnete ethische Prinzipien, wie beispielsweise die Menschenrechte, beziehen können und sollten, um somit die Verantwortung für ihr Handeln tragen zu können, ohne sich selbst zu schaden.

Eine weitere Helferrolle, in diesem Märchen, ist mit den Zwergen gleich siebenfach besetzt. Sie leben in einem Haus, in dem alles sehr ordentlich, und sauber ist. Als sie Sneewittchen zum ersten Mal sehen nehmen sie ihre Schönheit wahr, sind freundlich zu ihr und bieten ihr an bei ihnen zu leben. Allerdings fordern sie dafür von ihr, dass sie sich im Haushalt nützlich macht. Die Professionellen der Sozialen Arbeit sollten ebenfalls ordentlich und sauber, im Sinne von überlegt, zielorientiert und überprüfbar, arbeiten und sich entsprechend darstellen. Dieser positive Eindruck kann, wie im Falle der sieben Zwerge, einladend wirken, wodurch eine eventuelle Hemmschwelle, seitens der Klienten, abgebaut wird. Sneewittchen wäre vielleicht nicht geblieben, wenn es in dem Haus chaotisch und schmutzig gewesen wäre. Ein weiterer Aspekt des sauberen Hauses kann auch jener sein, dass im Leben der Zwerge alles in Ordnung ist. Sie haben keine eigenen Probleme, welche sie belasten, so dass sie sich darauf konzentrieren können Sneewittchen zu helfen. Um ihren Klienten helfen zu können, sollten auch die professionell Tätigen nicht durch andere Dinge abgelenkt werden, damit sie sich in angemessener Weise auf ihre Klienten und deren Bedürfnisse einlassen können. Hierzu kann auch die Diskussion bezüglich der „Identitätsproblematik“ Sozialer Arbeit zählen. Die Zwerge zeigen entsprechend, dass Helfer sich ihrer Selbst und ihrer Rolle sicher sein sollten, um anderen Unterstützung bieten zu können. Zudem erkennen sie das Wesen Sneewittchens in ihrer Schönheit, etwa so, wie Professionelle der Sozialen Arbeit die Eigenarten, Merkmale und letztlich das Potenzial oder die Ressourcen ihrer Klienten wahrnehmen müssen. Dabei sollten sie, wie die Zwerge, offen gegenüber Neuem sein und es wertschätzen. Entsprechend der Hilfe durch die Zwerge, sind auch an die Unterstützungsleistungen der Sozialen Arbeit Bedingungen geknüpft. Die Zwerge geben Sneewittchen Regeln vor, nach denen sie in ihrer Gesellschaft leben kann. Da-

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bei beziehen sich einige auf das Wohl der Gemeinschaft, andere auf den Schutz Sneewittchens. Zudem warnen die Zwerge Sneewittchen vor der Stiefmutter und betonen, in diesem Zusammenhang, die Wichtigkeit der Einhaltung von Normen und Werten für das (Über-) Leben in einer Gesellschaft. Allerdings lassen sie Sneewittchen tagsüber allein. Dies zeigt, dass sie ihr Vertrauen entgegenbringen und ihr gleichwohl die Möglichkeit geben, sich ihrerseits als vertrauenswürdig zu erweisen. Auch die professionell Tätigen geben ihren Klienten Regeln und somit einen bestimmten Rahmen vor, in dem die Hilfeleistungen stattfinden können. Dabei fragen sie, in den meisten Fällen, ebenfalls, ob die Klienten sich auf diese Bedingungen einlassen wollen oder nicht. Ebenso sollen die Professionellen sowohl das Individuum, wie auch die Gesellschaft vor Gefahren warnen und auf mögliche Problementwicklungen hinweisen und beziehen sich dabei ebenfalls auf Normen und Werte, die dem Schutz des Einzelnen, wie auch dem der Gesellschaft dienen. Der Umstand, dass die sieben Zwerge Sneewittchen tagsüber alleine lassen, verdeutlicht, dass auch die professionell Tätigen ihre Klienten, mit Ausnahme derer, welche sich in Wohnheimen, Kliniken oder ähnlichen Institutionen aufhalten, nicht rund um die Uhr betreuen. Wie die Zwerge bieten auch sie die Möglichkeit, dass sich ihre Klienten im Alltag beweisen und somit selbst bestätigen können. Sie bringen ihnen Vertrauen entgegen, lassen Freiraum für persönliche Entwicklung und fördern deren Selbstständigkeit. Die sieben Zwerge finden Sneewittchen zwei Mal bewusstlos in ihrem Haus und retten sie vor dem Tod. Dabei können sie beim zweiten Mal noch schneller erkennen wo die Ursache liegt, weil sie bereits mit dem Problem vertraut sind. Sie haben aus ihrer Erfahrung gelernt und können dadurch effektivere Hilfe leisten. Dabei versuchen sie Sneewittchen immer wieder die wichtigen Regeln und Verbote näher zu bringen und konzentrieren sich darauf ein nächstes Mal zu verhindern, anstatt sie für ihr Fehlverhalten zu bestrafen. Die Professionellen der Sozialen Arbeit können darin die Parallele erkennen, dass auch sie, bis zu einem gewissen Maß, immer Hilfe leisten und dass diese Hilfe ebenfalls effektiver ist, wenn sie sich bereits mit der Problematik vertraut machen konnten. Auch professionell Tätige sind auf ihre berufliche Erfahrung angewiesen, um Situationen angemessen beurteilen und entsprechend reagieren zu können. Dabei geben sie ebenfalls, trotz eventueller Rückschläge,

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ihre Hoffnung nicht auf und versuchen mit Hilfe von Aufklärung und Präventionsmaßnahmen neuen Notsituationen vorzubeugen, indem sie den Aufbau eines Problembewusstseins unterstützen. Im Falle von Sneewittchen bringen diese Bemühungen allerdings nichts. Die Zwerge können sie letztendlich nicht mehr retten, obwohl sie alles versuchen, um ihr zu helfen, da sie kein Verständnis für die Regeln und deren Einhaltung entwickelt hat und somit auch nicht mehr als Teil der Gesellschaft bestehen kann. Die professionell Tätigen sehen sich teilweise Klienten gegenüber, denen sie nicht helfen können, da diese sich als „Beratungsresistent“ erweisen. Ihnen fehlt die Einsicht oder der Wille, um sich aktiv mit den Normen und Werten auseinanderzusetzen und ihr Verhalten, wie auch ihre Einstellung soweit zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern, wie es nötig wäre, um ein Mitglied der Gesellschaft zu sein. In solchen Fällen sind die Professionellen, trotz der zahlreichen Theorien und Methoden, wie die sieben Zwerge, machtlos. Allerdings geben sowohl die professionell Tätigen, wie auch die Zwerge, die Hoffnung dennoch nicht auf. Aufgrund des Umstandes, dass Sneewittchen nicht begraben, sondern in einem Glassarg untergebracht wird, ist sie weiterhin präsent und dies nicht nur für die Zwerge, welche weiterhin Wache über sie halten, sondern auch für andere. Dadurch wird sie letztlich von dem Prinzen entdeckt, welcher Sneewittchen mitnehmen möchte. Die Zwerge geben ihre Verantwortung für sie jedoch nicht einfach ab, denn erst als sie merken, dass der Prinz vielleicht mehr, aber auf keinen Fall weniger für Sneewittchen tun kann, geben sie ihm den Sarg mit. Den Professionellen der Sozialen Arbeit sollten ihre Klienten ebenfalls präsent bleiben, auch wenn sie diesen momentan nicht helfen können. Sie sollten weiterhin in der Nähe bleiben, um über sie zu wachen und um sie, im Fall von Veränderungen, unterstützen zu können. Dabei sollten sie ihre Verantwortung nicht leichtfertig abgeben und stets zum Wohle ihrer Klienten handeln. Das Beispiel der sieben Zwerge verdeutlicht abschließend jedoch auch, wie wichtig es ist, sich als professioneller Helfer zurück zu ziehen, wenn sich andere Unterstützungsmöglichkeiten ergeben oder ihre Hilfe nicht mehr benötigt wird.

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4.2.2. Aschenputtel und die Soziale Arbeit

In dem Märchen „Aschenputtel“ wird direkt zu Beginn darauf verwiesen, dass Hilfe und Beistand an Bedingungen geknüpft sind. Aschenputtel soll sich gut und fromm verhalten, also den Normen und Werten entsprechend handeln, damit sie Unterstützung bekommen kann. Dabei bittet sie immer formelhaft um Hilfe, sowohl in der Küche, wenn sie alle Vögel um Hilfe ruft, wie auch am Grab ihrer Mutter, als sie Gold und Silber von dem Baum fordert. In Bezug auf Soziale Arbeit und die in ihrem Rahmen Tätigen macht dies den Umstand deutlich, dass ihre Klienten, je nach Hilfeforderung, ebenfalls unterschiedliche Bedingungen erfüllen müssen. Dabei kann die formelhafte Bitte mit den formalen Anträgen und bürokratischen Verfahren verglichen werden, welche häufig zu einer professionellen Hilfeleistung gehören.

Den Bezugspunkt für alle Helfer aus diesem Märchen stellt der Baum dar, welcher auf dem Grab von Aschenputtels Mutter steht. Somit ist er die Basis für garantierte Hilfeleistungen, solange sich Aschenputtel daran hält gut und fromm zu bleiben. Der Baum ist aus dem Grab und somit aus dem eigentlichen Grund für Aschenputtels Leid gewachsen, dem Tod der Mutter. Wäre diese noch am Leben, wäre Aschenputtel nie zu einer Küchenmagd im eigenen Haus geworden. Der Umstand, dass der Baum genau an diesem Ort und unter Aschenputtels Tränen wächst und dabei schön wird, verdeutlicht eine positive Grundeinstellung, welche ausdrückt, dass sich aus etwas Schlechtem durchaus etwas Gutes entwickeln kann. In Bezug auf die Soziale Arbeit und ihre Professionellen kann dieser Baum den sozialen Rechtsstaat darstellen, denn auch er ist aus der Not entstanden, um diejenigen zu schützen und zu fördern, welche sich nicht selbst versorgen können. In seiner Funktion als Rechtsstaat ist entsprechend auch begründet, warum von Beginn an die Einhaltung von Normen und Werten im Mittelpunkt steht. Sozial ist der Baum, weil er Aschenputtel mit ihren Helfern in Kontakt bringt, denn sie begegnet dem weißen Vogel erst, als dieser auf dem Baum landet. Auch der Umstand, dass Aschenputtel sich in ihrer Forderung an den Baum und nicht direkt an den Vogel wendet, verstärkt den Eindruck, dass dieser eine übergeordnete Instanz darstellt. Aschenputtel

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richtet ihr Hilfegesuch an den Baum, woraufhin der Vogel ihr die tatsächliche Hilfe zukommen lässt. In diesem Ablauf kann der Bezug zur Bürokratisierung Sozialer Arbeit hergestellt werden. Ein Antrag wird offiziell und formal bei einem entsprechenden Amt gestellt, anschließend überprüft und bearbeitet, woraufhin ein Professioneller beauftragt wird, um mit dem Klienten gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Im Fall von Aschenputtel erscheint der beauftragte Helfer in Form eines weißen Vogels, welcher jedes Mal auf dem Baum sitzt, wenn sie zum Grab kommt. Nachdem sie ihre Forderung an den Baum gestellt hat, wirft der Vogel die schönen Kleider herunter und ermöglicht ihr somit zu dem königlichen Ball zu gehen. Als sie wieder nach Hause kommt, erspart er ihr zudem Ärger, weil er die Kleider wieder verschwinden lässt. Professionelle der Sozialen Arbeit handeln ebenfalls im Auftrag übergeordneter Instanzen und unterstützen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einzelner Individuen. Dabei versuchen sie gleichwohl ihre Klienten vor Ärger zu bewahren und vor Unrecht zu schützen. So wie der Vogel Aschenputtel durch die schönen Kleider optisch aufwertet und sie dadurch in ihrem Selbstwert stärkt, so nutzen auch die professionell Tätigen ihre Möglichkeiten und konzentrieren sich auf die Stärken des jeweiligen Klienten, um diese zu fördern. Dabei handeln sie sowohl überlegt, wie auch möglichst effektiv und an dem Ziel orientiert, dass der Klient Unterstützung bekommt, die es ihm ermöglicht sich letztlich selbst zu helfen. So wird auch Aschenputtel nicht dadurch geholfen, dass sie tatsächlich Gold und Silber bekommt, damit sie ausziehen kann und somit von ihren Stiefschwestern fort kommt. Sie bekommt Kleider, damit sie mit der Gesellschaft in Kontakt kommen und sich dadurch entwickeln kann, aber auch um entsprechende soziale Beziehungen aufzubauen, welche ihr schließlich dabei helfen sich aus ihrer Notsituation zu befreien.

Die Situation, in der Aschenputtel alle Vögel unter dem Himmel bittet ihr beim Auflesen der Linsen zu helfen, kann für die Professionellen die Bedeutung zeigen, dass sie trotz ihrer Vielfältigkeit alle einer Profession angehören, ebenso wie beispielsweise Tauben und Rotkehlchen trotz ihrer Unterschiede eindeutig der Tierart Vogel zugeschrieben werden. Die Tat-

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sache, dass alle Vögel zusammen arbeiten deutet, in Bezug auf Soziale Arbeit, daraufhin, dass auch ihre Professionellen in der Lage sind untereinander zu kooperieren, wodurch das Ausmaß der möglichen Hilfeleistungen wächst. Wie bereits bei „Sneewittchen“, zeigt sich auch in dem Märchen „Aschenputtel“, dass die Helfer bei ihrem zweiten Einsatz schneller helfen können. Die Vögel sortieren beim zweiten Mal eine größere Menge Linsen, in kürzerer Zeit aus und verdeutlichen somit ebenfalls, dass Erfahrungen und das Wissen um die jeweilige Situation hilfreich und wichtig sind, um effektive Unterstützung leisten zu können.

Die letzte Helferrolle besteht in Form der zwei Tauben, welche gegen Ende der Geschichte auf dem Baum sitzen und darüber werten, welche Braut die richtige, beziehungsweise die falsche sei. Sie blicken auf den Prinzen mit seinen Bräuten herunter und kontrollieren, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Dabei können sie, in Bezug auf die Soziale Arbeit, als Instanzen des „Wächterstaates“ verstanden werden, welche kontrollieren und gewährleisten, dass das Recht jedes einzelnen Bürgers gewahrt und vertreten wird. Zu diesen Instanzen gehören ebenfalls Professionelle der Sozialen Arbeit, in ihrer Doppelrolle als „Helfer“ und „Kontrolleur“. Der Umstand, dass die beiden Tauben den Prinzen warnen und auf seine falschen Entscheidungen aufmerksam machen, lässt sich ebenfalls auf die Funktion Sozialer Arbeit als „gesellschaftlicher Seismograph“ beziehen. Zum Ende setzen sich die beiden Tauben allerdings auf die Schultern Aschenputtels und begleiten diese fortan, wobei sie den Stiefschwestern, während der Hochzeit, die Augenauspicken und diese somit für ihre Falschheit und Bosheit bestrafen. Professionelle der Sozialen Arbeit strafen nicht, wie es die Tauben tun, und ziehen sich zurück, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, aber sie gehören gleichwohl demselben System an. Sowohl der weiße Vogel, wie auch die beiden Tauben sitzen auf demselben Baum. Dabei stellen die Tauben abschließend jene rechtlichen Instanzen dar, welche im Fall einer Regelüberschreitung entsprechend sanktionieren. So können sie als „Recht“ und „Ordnung“ bezeichnet werden, welche Aschenputtel begleiten und schützen, nachdem die Helfer sie darin unterstützt haben, ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen.

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Der Blick durch die „Märchenbrille“ hat gezeigt, dass es möglich ist, Bezüge zwischen den einzelnen Märchengestalten und der Sozialen Arbeit, so wie ihren Professionellen herzustellen. Dabei konnten einige Merkmale der Sozialen Arbeit herausgestellt und verdeutlicht werden, wodurch eine bildhafte Möglichkeit geschaffen wurde, ihr abstraktes Wesen besser zu verstehen. Diese Betrachtungsweise bietet die Möglichkeit, der Frage nach dem Selbstverständnis Sozialer Arbeit auf eine intuitiv-anschauliche Weise zu begegnen und somit ihre Komplexität zu reduzieren. Dabei ist die Beschränkung auf lediglich ein Märchen und eine Rolle jedoch zu wenig und würde dem vielfältigen Wesen der Sozialen Arbeit, ebenso wie ihren zahlreichen Professionellen, nicht gerecht werden. Zudem hat sich gezeigt, dass die Rolle des märchenhaften Helfers ebenso dazu einlädt, sich mit ihr zu identifizieren, wie die des Helden. Insbesondere für die Professionellen der Sozialen Arbeit kann die Auseinandersetzung mit dieser Rolle entsprechend an Bedeutung gewinnen, da die Helfer, im Gegensatz zum Helden, keine Entwicklung durchmachen. Sie verdeutlichen in ihrem Handeln einige Eigenschaften und Merkmale der Sozialen Arbeit, welche sie bereits entwickelt hat. Somit stellen die Helfer einige identitätsstiftende Aspekte Sozialer Arbeit dar, auf welche sich ihr Professionellen, mit Hilfe des Blicks durch die „Märchenbrille“, besinnen und woraus sie (Selbst-) Sicherheit gewinnen können. Die Bildsprache der Märchen bietet demnach auch Professionellen der Sozialen Arbeit die Gelegenheit, um Antworten auf mögliche Sinnfragen bezüglich ihres beruflichen Selbstverständnisses zu bekommen.

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5. Märchenhafte Möglichkeiten für die Praxis Sozialer Arbeit

Nachdem im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, welche Bedeutung Märchen für das Selbstverständnis Sozialer Arbeit haben können, soll im Folgenden Teil vorgestellt werden, welche Möglichkeiten sie für die Praxis Sozialer Arbeit bieten. Die Gemeinsamkeiten von Märchen und Sozialer Arbeit liegen in ihrer Vielschichtigkeit und in ihrem Bezug auf unterschiedlichste Probleme des menschlichen Lebens, wobei ihr Blick auf den Lösungsweg gerichtet ist. Die Vielzahl der einzelnen Märchen und ihrer jeweiligen Hauptmotive, ebenso wie die Tatsache, dass sie nicht nur für Kinder, sondern auch für Jugendliche, so wie für Erwachsene ansprechend und hilfreich sein können, kommen der Vielfältigkeit der einzelnen Handlungsfelder Sozialer Arbeit entgegen. Beispielsweise können Märchen zum Einsatz kommen, wenn Kommunikation, im Sinne von mündlichem Erzählen geübt werden soll. In diesem Bezug können besonders Kinder lernen, wie Geschichten aufgebaut sind und wie sie sprachlich gestaltet werden können. Dabei kann die Selbstsicherheit des Kindes über die Entwicklung der Sprachsicherheit gefördert werden. Ebenfalls für Kinder stellen Märchen oftmals den ersten Berührungspunkt mit Literatur im Allgemeinen dar, daran könnten Schulen anknüpfen und die Kenntnisse der Kinder nutzen, um darauf aufzubauen. In Bereichen der interkulturellen Erziehung und Bildung können durch den Einsatz von verschiedenen Märchen, beispielsweise Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Kulturen erarbeitet werden. Gleichwohl können Märchen aber auch die eigene kulturelle Identität verdeutlichen. Zudem können sie ihren Einsatz in der Arbeit mit Demenzkranken finden oder an eher unangenehme Themen wie Behinderung, Trauer und Abschied heranführen. Die Möglichkeiten Märchen in die Praxis Sozialer Arbeit einzubeziehen sind zahlreich, dennoch sind sie sicherlich nicht für jeden Arbeitsbereich geeignet. Dies lässt sich aber wohl von keiner Methode der Sozialen Arbeit sagen, da ihr Erfolg nicht nur von den professionell Tätigen, sondern immer auch von den jeweiligen und individuellen Klienten abhängig ist. Voraussetzung dafür, dass Märchen zur Unterstützung in der Praxis Sozialer Arbeit eingesetzt werden können ist allerdings, dass sich die Professionellen mit ihnen auseinandersetzen. Daher werden, im Folgenden, zunächst einige allgemeine Aspekte vorgestellt, welche die Arbeit

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mit Märchen erleichtern können. In Bezug auf die Bedeutung von Märchen für die Praxis Sozialer Arbeit sollte jedoch auch der Umstand berücksichtigt werden, dass sich diese bereits aus ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis Sozialer Arbeit ergeben kann. Ein besseres Verstehen der eigenen beruflichen Identität schlägt sich schließlich auch in den Handlungen ihrer einzelnen Professionellen nieder, ebenso wie sich die öffentliche Darstellung Sozialer Arbeit verändert, indem sich ihr Selbstbild wandelt. Abschließend soll anhand eines Beispiels gezeigt werden, auf welche Weise sich Märchen in die Praxis Sozialer Arbeit einbinden lassen. Aufgrund meiner eigenen Praxistätigkeit im Bereich pädagogischer Begleitseminare, im Rahmen des „Freiwilligen Sozialen Jahres“ (FSJ), bezieht sich das Beispiel dabei auf den Einsatz von Märchen in der Bildungsarbeit.

5.1. Voraussetzungen für eine märchenhafte Praxis

Die Hauptvoraussetzung für die Arbeit mit Märchen besteht darin, dass der jeweilige Professionelle die Märchen kennt und ebenso anerkennt. Da sie, im besten Fall, mündlich erzählt werden, können die Zuhörer schnell merken, ob der Erzähler das Märchen vortragen möchte oder ob er sich dazu durchringen muss. Wie in anderen Bereichen und mit anderen Methoden auch, spielt die Authentizität des Professionellen eine entscheidende Rolle. In Auseinandersetzung mit einzelnen Märchen sollten sich die professionell Tätigen entsprechend Klarheit über einzelne Hauptmotive verschaffen, um ihren Klienten eine angemessene Vorauswahl von Märchen bieten zu können. Darüber hinaus müssen sie darauf achten, dass ihre Interpretationen der Geschichten nicht die der Klienten überlagern, sie müssen akzeptieren, dass die Symbolhaltigkeit jedem die Möglichkeit gibt einen eigenen Bezugspunkt herzustellen und den Klienten darin unterstützen seinen zu finden. Auch die Atmosphäre, welche die Erzählsituation bestimmt, ist ein wichtiger Aspekt der Arbeit mit Märchen. Eine gelockerte und entspannte Stimmung des Erzählers, wie auch der Zuhörer kann, beispielsweise durch das richtige Licht oder bequeme Sitzmöglichkeiten, gefördert werden. Darüber hinaus sollte der professionell Tätige sich darüber bewusst sein, zu welchem Zweck er das Märchen zum Einsatz bringen möchte und welche

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Zielgruppe er damit erreichen will. Entscheidend dabei ist, dass die Arbeit mit Märchen nicht nur seitens der Professionellen, sondern auch von den Klienten freiwillig geleistet wird. Ein Zwang zur Auseinandersetzung mit dieser Literaturgattung wäre für keine Seite hilfreich und könnte entsprechend nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen.

5.2. Die Märchenreflexion

Ein fester Bestandteil der Seminararbeit, im Rahmen des „Freiwilligen Sozialen Jahres“, ist die Praxisreflexion. Die Teilnehmer sollen dabei die Möglichkeiten bekommen, sich über ihre Erfahrungen in der jeweiligen Einsatzstelle auszutauschen, eventuelle Probleme anzusprechen und sich selbst in ihrer neuen Rolle als Arbeitnehmer wahrnehmen, sowie sich mit dieser auseinanderzusetzen. Die Methoden für eine Praxisreflexion sind vielfältig, wie auch abwechslungsreich und können in Einzel-, Klein- oder Großgruppen stattfinden. In Bezug auf die 16 bis 26 jährigen Teilnehmer, welche ihre Erfahrungen in Bereichen sozialer Berufe machen, bietet die Reflexion mit Märchen den Vorteil, dass sie sich bezüglich ihrer eigenen Entwicklung an den Märchenhelden orientieren können, da ein Großteil der grimmschen „Kinder- und Hausmärchen“ auch als „Adoleszenzmärchen“ bezeichnet werden. Sie thematisieren Schwierigkeiten vom Übergang des Jugendlichen zum Erwachsenen (Lange 2010, 21). Eine weitere Orientierungsmöglichkeit bietet die Märchenreflexion in Hinblick auf die Rolle des Helfers in Bezug auf die Rolle der Teilnehmer, in ihren jeweiligen Einsatzstellen. Wie in Kapitel 4.2. dargestellt wurde, kann durch diese Auseinandersetzung die eigene Rolle in einem „helfenden Beruf“ verdeutlicht werden. Zudem bieten Märchen den Teilnehmern, durch ihre einfache Form und Bildhaftigkeit, die Gelegenheit andere Rollen des Märchens durch Personen aus ihrer Einsatzstelle zu ersetzen und können sich auf einer ansprechenden und kreativen Art mit diesen Auseinandersetzen. Dabei kann die positive Grundhaltung des Märchens denjenigen Teilnehmern, welche Konfliktsituationen in der Einsatzstelle erleben, Mut machen, um sich mit einem Lösungsweg zu beschäftigen, der zu einem guten Ende führt.

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Eine konkrete Möglichkeit, um Märchen als Unterstützung in die Praxisreflexionen einzubinden stellt das selbstständige schreiben und anschließende aufführen von Märchen dar. Dabei muss sich die Gruppenleitung vorher Gedanken darüber machen, ob sie ein bestimmtes Märchen vorgeben möchte, ob sie eine Auswahl anbietet oder ob sie die Gruppe entscheiden lässt, von welchem Märchen sie sich helfen lassen wollen die entsprechende Brille aufzusetzen. Die Teilnehmer versammeln sich für diese Reflexionseinheit an einem gemütlichen Ort, an dem jeder bequem sitzen kann. Die Gruppenleitung erzählt den Teilnehmern zu Beginn das Märchen, für welches sie oder die Gruppe sich entschieden hat. Durch diesen Einstieg können die Teilnehmer sich leichter auf das Thema einlassen. Im Anschluss an die Geschichte kann die Gruppenleitung das Märchen mit der Gruppe besprechen und einzelne Merkmale herausarbeiten, welche es charakterisieren. Diese Ausarbeitung hilft den Teilnehmern bei ihrer anschließenden Aufgabe.

In der ersten Variante dieser Reflexionsmethode werden die Teilnehmer in Kleingruppen von etwa vier bis sechs Personen eingeteilt. Daraufhin sollen sie sich, in Bezug auf sich und ihre Praxisstelle, gemeinsam ein Märchen ausdenken und niederschreiben. Damit dabei keine Überforderung entsteht, kann das Märchen in seinem Umfang beschränkt werden, beispielsweise auf eine DIN-A4-Seite. Abschließend sollen die einzelnen Märchen, in Form einer kleinen Theateraufführung, präsentiert werden. Daher sollte den Teilnehmern im Vorfeld genügend Zeit zur Verfügung stehen, um die Rollen ihrer Geschichte einzuteilen und eventuelle zu proben.

Die zweite Variante dieser Methode beinhaltet lediglich eine kleine Änderung. Nachdem das Märchen von der Gruppenleitung erzählt und die einzelnen Merkmale herausgearbeitet wurden, schreiben die Teilnehmer zunächst in Einzelarbeit ihre Märchen. Erst danach werden sie in Kleingruppen eingeteilt und stellen sich ihre Geschichten gegenseitig vor. Anschließend sollen sie sich darauf einigen, welches Märchen sie entsprechend der ersten Variante vorbereiten und aufführen wollen.

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In zwei unterschiedlichen Seminargruppen wurde jeweils eine Variante dieser Methode genutzt. Gruppe1 bestand dabei aus Teilnehmern, welche in sehr ähnlichen oder denselben Einsatzstellen tätig waren. Für sie war diese Reflexionseinheit ein Angebot im Rahmen des Seminars, welches freiwillig genutzt werden konnte, so dass sich letztlich 18 von 32 Teilnehmern für diese Praxisreflexion entschieden. Für sie bot sich die erste Variante an, weil die Praxiserfahrungen entsprechend ähnlich waren und die Teilnehmer einen Bezugspunkt hatten, um gemeinsam ein Märchen zu schreiben. Das Märchen, welches zu Beginn erzählt wurde, stand der Gruppe frei zur Wahl, sie entschieden sich für die Geschichte „Der süße Brei“4 (Grimm 2008b, 95). Anschließend wurden die wichtigsten Märchenmerkmale gemeinsam herausgearbeitet, so dass die Teilnehmer eine Orientierung zum Schreiben ihres eigenen Märchens hatten. Danach teilten sie sich, den Einsatzstellen entsprechend, in vier Gruppen ein und hatten eine Stunde Zeit, um die Märchen zu schreiben und sie entsprechend vorzubereiten. Die abschließenden Präsentationen waren kreativ ausgearbeitet und sowohl für die Zuschauer, wie auch für die darstellenden Teilnehmer auf der „Bühne“, sehr unterhaltsam.

Für die 24 Teilnehmer aus Gruppe 2 stellte die märchenhafte Praxisreflexion eine verpflichtende Einheit des Seminarplans dar, welche sich über mehrere Tage erstreckte. Die jeweiligen Einsatzstellen der Teilnehmer waren sehr unterschiedlich, daher wurde die zweite Variante der Reflexionsmethode verwendet. Auch die Teilnehmer aus Gruppe 2 durften sich das Märchen zum Einstieg in die Reflexion selbst auswählen. Sie entschieden sich für „Sneewittchen“. Nachdem die Merkmale des Märchens herausgestellt waren, bekamen die Teilnehmer zunächst eine Stunde Zeit, um ihr Märchen zu schreiben. Anschließend wurden sie in Kleingruppen eingeteilt und sollten sich gegenseitig ihre Märchen vorstellen, um anschließend eins davon auszuwählen. Dieses Märchen sollte innerhalb von zwei Tagen von den jeweiligen Gruppen vorbereitet werden, so dass sie es präsentieren konnten. Allerdings stand ihnen nicht die ganze Zeit zur Verfügung, da die Vorbereitungen während dieser zwei Tage, parallel zu anderen Seminarinhalten getroffen wurden oder in die freie Zeit der Teilnehmer fielen. 4

s. Anhang 4

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Auch in dieser Gruppe waren die Abschließenden Theateraufführungen sehr vielfältig, kreativ und ansprechend5.

Die Resonanz der Teilnehmer aus Gruppe 1 war im Anschluss an die Reflexionseinheit durchweg positiv. Als besonders gut wurde die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Teilnehmern in den jeweiligen Kleingruppen bewertet. Die Betrachtung der eigenen Tätigkeiten, wie auch der Einsatzstellen, mit dem Blick durch die „Märchenbrille“, wurde dabei als sehr interessant, aber vor allem amüsant und unterhaltsam beschrieben. Einzig der knappe zeitliche Rahmen zur Vorbereitung der Märchen wurde bemängelt und nach dem Ende des Programms wollten noch sieben Teilnehmer ein weiteres Märchen hören, dabei entschieden sie sich für „Sneewittchen“. Dagegen waren die Meinungen der Teilnehmer aus Gruppe 2 deutlich gemischter. Einig waren sich alle Teilnehmer bezüglich des Spaßfaktors, welchen sie insgesamt als sehr hoch einschätzten. Bezüglich der Praxisreflexion bewerteten einige die Märchenmethode als nicht passend und konnten für sich keinen Sinn aus der Arbeit mit Märchen ziehen. So schrieb ein Teilnehmer in der Wochenauswertung zu diesem Thema: „Das hat es nicht so gebracht, hätte lieber ernsthaften Austausch gehabt!“ Andere beschrieben Märchen im Allgemeinen als „nicht mein Fall“. Zudem wurde auch in dieser Gruppe der zeitliche Rahmen bemängelt, jedoch aus der Tatsache heraus, dass die Teilnehmer während der Seminarwoche verschiedene Wochenaufgaben in jeweils unterschiedlichen Kleingruppen zu bewältigen hatten, wodurch der Organisations- und Koordinationsaufwand deutlich erhöht wurde. Weitere Kommentare in der Wochenreflexion betonten hingegen die Möglichkeit sich auch mal auf einer anderen Ebene mit der Praxis auseinanderzusetzen zu können. Zu diesen gehören beispielsweise: „Sehr lustig und interessant! Schön etwas Zeit für Kreatives gehabt zu haben“, wie auch „Hat Spaß gemacht! War mal was anderes“, neben Bemerkungen wie „Arschcool“. Insgesamt fiel die Bewertung anhand eines Punktesystems sehr ausgeglichen aus. In diesem Rahmen konnten die Teilnehmer bis zu fünf Punkte verteilen, wenn ihnen die Märchenreflexion sehr gut gefallen hat und entsprechend abwerten bis zu der Vergabe von null Punkten. Dabei verteilten neun Teilnehmer vier bis fünf und ebenso 5

s. Anhang 5

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viele ein bis zwei Punkte. Lediglich zwei Teilnehmer ordneten sich im Mittelfeld bei drei Punkten ein. Die Differenz zu den anfänglich genannten 24 Teilnehmern ergibt sich dabei aus verschiedenen Umständen, aufgrund derer vier Teilnehmer frühzeitig nach Hause fahren mussten und entsprechend nicht an der Auswertung teilnehmen konnten.

Die Tatsache, dass sich die Teilnehmer aus Gruppe 1 freiwillig für die Arbeit mit Märchen entschieden haben, ist sicherlich ein Grund für ihre durchweg positive Kritik und verdeutlicht, dass die Auseinandersetzung mit Märchen nur dann einen tieferen Sinn stiften kann, wenn die Teilnehmer sich darauf einlassen (wollen). Die Auswertungen zeigen jedoch auch, dass alle Teilnehmer, während der Märcheneinheiten Spaß hatten und zwar ungeachtet des Sinns, welchen sie für sich hinter der Methode erkennen konnten oder auch nicht. Mit Hilfe der Märchen kann entsprechend eine entspannte Atmosphäre geschaffen werden, die sich weniger durch einen Arbeits- und mehr durch einen Freizeitcharakter auszeichnet. Dadurch können sie eine positivere Grundstimmung schaffen und das kreative Erarbeiten eigener Geschichten, sowie den Austausch der Teilnehmer untereinander fördern. In Bezug auf die Arbeit mit Märchen stellt der Spaß an sich demnach bereits einen Sinn dar, welcher häufig unterschätzt wird. Das Beispiel der Gruppe 1 verdeutlicht die Schwierigkeiten, welche damit verbunden sein können, wenn die Teilnehmer das Märchen, welches zu Beginn erzählt wird und anhand dessen die Merkmale erarbeitet werden sollen, selbst aussuchen und dabei keine Vorauswahl bekommen. Die Geschichte „Der süße Brei“ ist ein sehr kurzes Märchen, welches nicht viele Beispiele bietet, um die Charakteristika dieser Literaturgattung herauszustellen. Daher musste noch auf weitere Märchen verwiesen werden, um eine zufrieden stellende Sammlung der Merkmale zu erhalten. Eine gewisse Vorauswahl ist demnach empfehlenswert, um den Teilnehmern eine gewisse Wahlmöglichkeit zu erhalten, aber dennoch sicher sein zu können, dass das Märchen, welches letztendlich gewünscht wird, auch entsprechende Möglichkeiten bietet und sinnvoll eingesetzt werden kann. Die gemeinsame Erarbeitung eines Märchens, aber auch die Planung der Aufführung fördert die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Teilnehmer, da sie ihre Ideen sammeln und einander vorstellen müssen, gleich-

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wohl einigen sie sich durch Diskussionen auf eine Geschichte, welche zum Ende vorgetragen wird. Die persönliche Ausarbeitung eines Märchens gibt den Teilnehmern darüber hinaus die Gelegenheit sich kreativ mit ihrer Arbeitsstelle und ihren Kollegen auseinanderzusetzen und schafft einen Rahmen, indem auch negative Gefühle zum Ausdruck gebracht werden können, da es sich letztendlich „nur“ um eine Geschichte handelt. Für eine aufmerksame Gruppenleitung hingegen können die einzelnen Geschichten Anhaltspunkte, bezüglich eventueller Spannungen oder Konflikte zwischen dem jeweiligen Teilnehmer und seiner Einsatzstelle, bieten, welche in einem anschließenden Einzelgespräch thematisiert werden können.

Dieses Beispiel zeigt, dass Märchen sich gut in die Praxis Sozialer Arbeit einbinden lassen können. Die Art und Weise, wie das jeweilige Märchen eingesetzt werden kann ist allerdings sehr unterschiedlich und abhängig von der Kreativität des jeweiligen Professionellen und seiner Klientel. Aufgrund der allgemeinen Bildhaftigkeit und den unterschiedlichen Hauptmotiven bieten Märchen viele Möglichkeiten des Einsatzes, welche der einzelne professionell Tätige in der Auseinandersetzung mit ihnen und bezogen auf sein Handlungsfeld für sich entdecken kann.

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6. Schlusswort Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Märchen eine Bedeutung für die Praxis Sozialer Arbeit zugesprochen werden kann. Ihre Bedeutung liegt dabei in einer unterstützenden Funktion, da der Blick durch die „Märchenbrille“ die Komplexität Sozialer Arbeit reduziert und somit das Fremd-, wie auch das Eigenverständnis ihrer Identität erleichtert. Um diese Brille aufsetzen zu können muss allerdings im Vorfeld ein Verständnis dafür entstehen, welche Charakteristika Märchen auszeichnen und auf welche Art sie dabei helfen können (Selbst-)Sicherheit zu stärken. Ebenso wichtig ist die Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung Sozialer Arbeit und ihrer aktuellen Bedeutung, wie auch mit ihren ethischen Grundprinzipien, um aufgrund der identitätsstiftenden Merkmale, welche sich dadurch deutlicher herausstellen lassen, ein Bewusstsein dafür zu erlangen, welcher „Gegenstand“ durch die entsprechende Brille betrachtet werden soll. Dies ermöglicht einen Perspektivenwechsel im Hinblick auf die Soziale Arbeit, sowie auf ihre Professionellen, wodurch ein neuer Rahmen geschaffen wird, um sich mit ihrer Identität und der Rolle ihrer professionell Tätigen zu befassen. Die Auseinandersetzung mit ihrem Selbstverständnis und ihren Charakteristika verdeutlicht dabei die Schwierigkeit eben diese genau zu benennen, da ein bedeutendes Merkmal Sozialer Arbeit, anhand ihrer unterschiedlichen Handlungsfelder und zahlreichen Professionellen, in ihrer Vielfältigkeit besteht. Ihr deswegen eine einheitliche, wenn auch „kollektive Identität“ abzusprechen wäre jedoch nicht gerechtfertigt, da sie Möglichkeiten besitzt, sich mittels ihrer professionell Tätigen selbst zu regulieren. Märchen bieten in diesem Zusammenhang einen anschaulichen und leicht verständlichen Bezugspunkt anhand dessen die einzelnen Wesensmerkmale, aber auch nötige Entwicklungsschritte Sozialer Arbeit verdeutlicht und diskutiert werden können. Aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Märchen ist es dabei möglich auch den verschiedenen Aspekten Sozialer Arbeit gerecht zu werden, ohne sich in ihrer Komplexität zu verlieren, wodurch Unsicherheiten entstehen können. Die Bedeutung von Märchen für die Praxis Sozialer Arbeit lässt sich, zum Teil, bereits daraus ableiten, dass Märchen den Professionellen Orientierung bieten. Darauf aufbauend können sie eine berufliche Selbstsicherheit entwickeln, welche sich in ihrem

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Auftreten und Handeln äußert. Dies wirkt sich wiederum auf das Klientel und die Gesellschaft im Allgemeinen aus, da sie ein klares, gut verständliches Bild von Sozialer Arbeit vermittelt bekommen und entsprechend wissen was sie von ihr und ihren Professionellen erwarten können und was nicht. Gleichwohl können Märchen die Akzeptanz von Hilfsbedürftigkeit fördern, indem sie vermitteln, dass Hilfe etwas Natürliches ist. Dabei tritt sie in unterschiedlichster Form in Erscheinung und wird von jedem im Laufe seines Lebens benötigt. Die Wahrnehmung der Tatsache, dass jeder Mensch in unterschiedlichsten Bereichen seines Lebens professionelle Hilfe in Anspruch nimmt, beispielsweise beim Arzt, dem Friseur oder dem Kfz-Mechaniker, kann die Hemmschwelle, seitens des Klientel Sozialer Arbeit, abbauen und sie darin ermutigen die Hilfe zu fordern, welche sie benötigen. Bezüglich des Einsatzes von Märchen in der Praxis Sozialer Arbeit bieten sie den Professionellen, aufgrund ihrer Bildhaftigkeit und der zahlreichen Hauptmotive, viele Möglichkeiten der Verwendung. In der Auseinandersetzung mit Märchen kann daher jeder professionell Tätige für sich entscheiden, ob und wie er die Besonderheiten dieser Literaturgattung auf sein Handlungsfeld und das entsprechende Klientel beziehen möchte, um sich in seiner Arbeit märchenhafte Unterstützung zu holen. Dabei lädt die Beschäftigung mit Märchen dazu ein, eigene kreative Ideen zu entwickeln und bietet somit den einzelnen professionell Tätigen die Gelegenheit, sich in ihrem Beruf zu entfalten und persönlich einzubringen. Die Betrachtung Sozialer Arbeit durch die „Märchenbrille“ kann die Entwicklung eines professionellen Selbstbewusstseins, wie auch des Selbstwertes fördern, gleichwohl unterstützt diese Perspektive die Entwicklung einer moralischen Identität. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Auseinandersetzung mit Sozialer Arbeit immer in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse erfolgen sollte. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kann der Literaturform „Märchen“ demnach, auch in Bezug auf die Soziale Arbeit und ihrer Professionellen, eine entwicklungsunterstützende Funktion zugesprochen werden, deren Bedeutung darin liegt, dass sie das abstrakte Konstrukt Sozialer Arbeit intuitiv-anschaulich darstellt und somit Sicherheit und Orientierung für sich selbst und ihre Umwelt bietet.

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Anhang 1: „Das hässliche Entlein“

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Anhang 2: „Sneewittchen“

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Anhang 3: „Aschenputtel“

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Anhang 4: „Der süße Brei“

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Anhang 5: FSJ-Märchen

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