Das Minimum der reinen praktischen Vernunft: Vom kategorischen Imperativ zum allgemeinen Rechtsprinzip bei Kant 9783110324303, 9783110323924

What is the founding relationship between Kant’s general principle of rational law and his categorical imperative? On th

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Das Minimum der reinen praktischen Vernunft: Vom kategorischen Imperativ zum allgemeinen Rechtsprinzip bei Kant
 9783110324303, 9783110323924

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Forschungsstand
Gegenstand der Untersuchung und allgemeine Anmerkungen
Aufbau und nähere Positionen der Untersuchung-
Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants
1 Freiheit und Moralgesetz
2 Die Vernunft „nicht im Dienste der Neigungen“
2.1 „Neigung als solche ist nicht ihr eigener Gegenstand“
2.2 „Nur die Vernunft kann das Sollen vorschreiben“: Das Dijudikationsprinzip und das Exekutionsprinzip
3 Das sanfte Joch der Vernunft: Über Nötigung und Zwang
4 „Die Vernunft ist ein Gebrauch unseres Willens voller Imperative“: Die Imperativtheorie Kants
5 Die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs
6 Die Kategorizität des Kategorischen Imperativs
Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten
1 Grundlegung, Kritik der praktischen Vernunft und die Metaphysik der Sitten: Moralfundierende Werke und Anfangsgründe der Moralanwendung
2 Rechts- und Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten
3 Das Vernunftrecht aus legislativer Perspektive
3.1 Äußere Freiheitsgesetzgebung und Motive der Rechtssubjekte
3.2 Das Vernunftrecht und der freiheitshypothetische äußere Zwang
3.3 Die äußere Zwangsbefugnis als eine notwendige motivationale Substitution im strikten Recht
4 Das Vernunftrecht aus pflichtentheoretischer Perspektive
4.1 Der Singular der Verpflichtung (Ethik1), der Plural der Pflichten und der Dual der Pflichtzwecke (Ethik2)
4.2 Legalität/Moralität und juridische/ethische Pflichten
4.3 Kants Pflichteneinteilungen
4.4 Das Minimum der Pflichtenlehre Kants
Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen
1 Allgemeine Merkmale von Maximen – die Vorbedingungen einer Vergegenständlichung
2 Maximen und der oberste Bestimmungsgrund des Willens
3 Zwischenbilanz
4 Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip und die Maximen
5 Das allgemeine Rechtsprinzip als „Princip aller Maximen“
Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie
1 Das allgemeine Rechtsprinzip und die Relationskategorie Gemeinschaft
2 Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips und dessen Status als Postulat
3 Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung und die Konstruktion des Rechtsbegriffs
3.1 Die mechanische Analogie: Das allgemeine Gesetz der Zwangsbefugnis und die Dritte Analogie der Erfahrung
3.2 Eine indirekte, mathematische Konstruktion des Rechtsbegriffs
3.3 Die objektive Realität des engen Rechts in der phänomenalen Welt
Bibliografie
I Primärliteratur
a. Kant
b. Andere Quellen
II Sekundärliteratur
Autorenregister
Sachregister

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Reza Mosayebi Das Minimum der reinen praktischen Vernunft

Kantstudien-Ergänzungshefte

Im Auftrag der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme

Band 173

Reza Mosayebi

Das Minimum der reinen praktischen Vernunft Vom kategorischen Imperativ zum allgemeinen Rechtsprinzip bei Kant

ISBN 978-3-11-032392-4 e-ISBN 978-3-11-032430-3 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Dieses Buch ist eine gestraffte und in Teilen überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Juli 2008 von der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Als ich 2003 aus Teheran nach Deutschland auswanderte, waren es mein Doktorvater Otfried Höffe und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), die mir mein erstes Ziel, die Promotion in Deutschland, überhaupt ermöglichten. Dafür möchte ich mich bei Beiden bedanken. Der Dank, den ich meinem Doktorvater schulde, geht aber weit darüber hinaus. Erst durch ihn habe ich auf meine damalige Frage, warum man in Deutschland seinen Erstbetreuer „Doktorvater“ nennt, eine überzeugende Antwort erhalten. Im Laufe meiner Promotionszeit hat mir Nico Scarano in entscheidenden Phasen mit Rat und Tat weitergeholfen. Ihm gilt mein herzlicher Dank dafür. Christoph Horn, bei dem ich im Rahmen eines Postdoc-Projekts im Jahr 2010 in Bonn war, verdanke ich konstruktive Kritik und Motivation zur Überarbeitung einiger zentraler Argumente in diesem Buch. Darüber hinaus möchte ich mich bei Christine Korsgaard bedanken, welche mich während der Fortsetzung des Postdoc-Projekts an der Harvard University im Jahr 2011 immer wieder mit neuen Perspektiven konfrontiert hat, die zum Teil in dieses Buch eingeflossen sind. Den Diskussionsteilnehmern der Oberseminare von Otfried Höffe in Tübingen schuldige ich besonderen Dank, allen voran Wolfgang M. Schröder, meinem Zweitgutachter, dessen teilweise gegenteilige Thesen zu Themen und Zielen meiner Dissertation für die Ausgestaltung einiger Argumente in diesem Buch von großer Bedeutung waren. Eine Reihe von Freunden hat mir bei der Entstehung der Dissertation große Hilfe geleistet, darunter Holger Furtmayr, John-Stewart Gordon, Alexander Oberauer und Kamil Rajec; ihnen bin ich zu Dank verschuldet. Meinem Freund Holger Furtmayr danke ich zudem für die gewissenhafte Korrektur und seine hilfreichen Kommentare für dieses Buch herzlich. Ebenso dankbar bin ich meiner Schwester Banafsheh Mosayebi und meinem Freund Esfandiar Tabari für ihre Unterstützung in schwierigen Phasen meiner Promotionszeit. Nicht zuletzt danke ich tiefsten Herzens meiner Frau, Elena Meyer-Clement, für ihre umfassende Unterstützung und Geduld. Ich weiß nicht, ob ich ohne ihre Hilfe die Dissertation hätte beenden können. Dieses Buch ist meinem im letzten Jahr verstorbenen Vater gewidmet, der sich immer gewünscht hatte, es noch zu Gesicht zu bekommen. Tübingen, März 2013

Reza Mosayebi

Inhalt Vorwort

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1 Einleitung 3 Forschungsstand Gegenstand der Untersuchung und allgemeine Anmerkungen Aufbau und nähere Positionen der Untersuchung 10 Teil I   . .     Teil II 

  . . .  . . . .

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13 Die Grundzüge der Ethik Kants Freiheit und Moralgesetz 14 Die Vernunft „nicht im Dienste der Neigungen“ 22 „Neigung als solche ist nicht ihr eigener Gegenstand“ 24 „Nur die Vernunft kann das Sollen vorschreiben“: Das Dijudikationsprinzip und das Exekutionsprinzip 27 38 Das sanfte Joch der Vernunft: Über Nötigung und Zwang „Die Vernunft ist ein Gebrauch unseres Willens voller Imperative“: Die Imperativtheorie Kants 43 Die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs 51 Die Kategorizität des Kategorischen Imperativs 59 68 Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten Grundlegung, Kritik der praktischen Vernunft und die Metaphysik der Sitten: Moralfundierende Werke und Anfangsgründe der Moralanwendung 70 Rechts- und Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten 76 Das Vernunftrecht aus legislativer Perspektive 80 Äußere Freiheitsgesetzgebung und Motive der Rechtssubjekte 81 Das Vernunftrecht und der freiheitshypothetische äußere Zwang 88 Die äußere Zwangsbefugnis als eine notwendige motivationale Substitution im strikten Recht 97 Das Vernunftrecht aus pflichtentheoretischer Perspektive 109 Der Singular der Verpflichtung (Ethik1), der Plural der Pflichten und der Dual der Pflichtzwecke (Ethik2) 110 Legalität/Moralität und juridische/ethische Pflichten 119 Kants Pflichteneinteilungen 123 Das Minimum der Pflichtenlehre Kants 138

VIII

Inhalt

Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen 149  Allgemeine Merkmale von Maximen – die Vorbedingungen einer Vergegenständlichung 150 176  Maximen und der oberste Bestimmungsgrund des Willens  Zwischenbilanz 181  Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip und die Maximen 183 197  Das allgemeine Rechtsprinzip als „Princip aller Maximen“ Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die 207 Transzendentalphilosophie  Das allgemeine Rechtsprinzip und die Relationskategorie Gemeinschaft 208  Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips und dessen Status als Postulat 224  Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung und die Konstruktion des Rechtsbegriffs 232 . Die mechanische Analogie: Das allgemeine Gesetz der Zwangsbefugnis und die Dritte Analogie der Erfahrung 235 . Eine indirekte, mathematische Konstruktion des Rechtsbegriffs 238 . Die objektive Realität des engen Rechts in der phänomenalen Welt 246 Bibliografie I a. b. II

252 Primärliteratur 252 252 Kant Andere Quellen 254 Sekundärliteratur 256

Autorenregister Sachregister

265 269

Einleitung Die vorliegende Arbeit untersucht in vier Teilen den moralischen Status des obersten Prinzips der Rechtsmetaphysik Kants mit und innerhalb seiner praktischen sowie theoretischen Philosophie. Während im ersten, zweiten und dritten Teil der Arbeit die Grundlagen und die Entwicklungsaspekte des Vernunftrechts im Rahmen der Moralphilosophie Kants behandelt werden, beschäftigt sich der vierte Teil mit den transzendentalkritisch begründeten Momenten, welche das oberste Prinzip des Vernunftrechts im Vergleich zum Kategorischen Imperativ auszeichnen. Kant hat seine Moralphilosophie hauptsächlich in einer Trias von Werken entwickelt: In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), der Kritik der praktischen Vernunft (1788) und der Metaphysik der Sitten (1797). Dabei versteht er Moralphilosophie als eine metaphysische (d. h. geltungstheoretisch erfahrungsunabhängige) Prinzipienwissenschaft, welche sich an ein sinnlich bedingtes und zugleich doch mit der Freiheit begabtes Wesen wie den Menschen wendet. Der Freiheitsgebrauch eines solchen Adressaten stimmt nach Kant dessen Natur nach nicht eo ipso mit moralischen Prinzipien überein, so dass sich diese ihrem Adressaten als Verpflichtung (obligatio) offenbaren. In seinen ersten zwei moralphilosophischen Hauptwerken befasst sich Kant mit dem obersten Prinzip bzw. dem Gesetz der Moral, das angesichts eines sinnlich bedingten Wesens wie des Menschen in den Kategorischen Imperativ mündet (in seiner sog. allgemeinen Formel: „Handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetz machen kann“, GMS IV 436 f.). In seinem Spätwerk Metaphysik der Sitten, das aus den zwei Teilen der Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre und der Tugendlehre besteht, geht es Kant schließlich um die Spezifizierung oder Anwendung jenes Moralprinzips in zwei Grundbereichen freier Handlungen des Menschen als solchem: für Handlungen, für die eine äußere Gesetzgebung möglich, und diejenigen, für die eine solche nicht möglich ist. Den ersten Bereich deckt die Rechtslehre ab, deren oberstes bzw. allgemeines Prinzip folgendermaßen formuliert wird: „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“ (als das allgemeine Rechtsgesetz lautet dieses sodann: „Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“, RL VI 230 f.). In der Grundlegung und der zweiten Kritik (den sog. ethischen Grundlagenschriften) entwickelt Kant den Kategorischen Imperativ auf einer im- und intrapersonalen Ebene. Die moralische Verpflichtung wird hier als eine allgemeine Selbst-Verpflichtung begründet, in dem Sinn, dass sich der Verpflichtende und der

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Einleitung

Verpflichtete jeweils in ein und demselben Subjekt vereinen (vgl. Autonomie, GMS IV 432 f.). Dagegen definiert Kant in der Rechtslehre das Vernunftrecht als „das Vermögen, andere zu verpflichten“ (RL VI 239); dem Recht korrespondiere „eine Verbindlichkeit von der Seite des anderen“ (VARL XXIII 273), so dass der jeweilige Verpflichtende und der Verpflichtete auseinanderfallen. Beim Vernunftrecht handelt es sich nämlich im Unterscheid zum Kategorischen Imperativ um eine Fremd-Verpflichtung. Doch wenn es in der Rechtslehre um die Spezifizierung oder Anwendung des Kategorischen Imperativs auf freie Handlungen geht, welche einer äußeren Gesetzgebung zugänglich sind, wie ist dann der Übergang von der moralischen Selbstverbindlichkeit der ethischen Grundlagenschriften zu der vernunftrechtlichen Fremdverbindlichkeit in der Rechtslehre zu erklären, und was genau geschieht bei diesem Übergang? Kant expliziert zwar, dass er unter Vernunftrecht einen moralischen Begriff versteht (etwa RL VI, § B), ein über-positives Recht, dessen Verbindlichkeit auch ohne „wirkliche äußere Gesetzgebung“ „a priori durch die Vernunft“ (an)erkannt wird (MS VI 224; s. auch RL, § B; vgl.VI 296 f.). Das Kantische Vernunftrecht weist jedoch in der Metaphysik der Sitten zugleich Eigentümlichkeiten auf, welche dessen systematischen Zusammenhang mit bzw. normative Abhängigkeit von der Konzeption der moralischen Verpflichtung aus den Grundlagenschriften problematisch machen. Der rechtlichen, äußeren Gesetzgebung kommt es nach Kant nicht auf das Motiv („Triebfeder“) ihrer Adressaten an (MS VI 218 f.; RL VI 230), welches aber in Kants grundlegender Theorie der Moralität (sc. „Handlung aus Pflicht“) in den Grundlagenschriften gerade ausschlaggebend ist. Zudem sieht Kant das Vernunftrecht mit einer äußerlichen Zwangsbefugnis analytisch verbunden, also identisch (RL VI, § D), was sogar im vollständigen Gegensatz zu der auf innerlicher Verbindlichkeit (Selbstverpflichtung) gegründeten Moralkonzeption der Grundlagenschriften zu stehen scheint. Nach Kant fordert das Vernunftrecht das durchgängige Zusammenbestehen des äußeren Freiheitsgebrauchs einer jeden Person mit der Freiheit aller Anderen nach einem allgemeinen Gesetz, und zwar ohne dass es dabei auf die Motive und Zwecke des fraglichen Individuums bei dessen Freiheitsgebrauch ankommt. Mit dem allgemeinen Rechtsprinzip bzw. -gesetz, welche diesen normativen Gehalt zum Ausdruck bringen, soll daher die Kompatibilität der Privatfreiheit jeder Person mit der allgemeinen Freiheit derart ermöglicht werden, dass zugleich eine Zusammenstimmung der jeweiligen Zwecke der Einzelnen mit der äußeren Freiheit aller möglich wird. Eine durchgängige Kompatibilität der Privatfreiheiten miteinander könne nämlich nur dadurch bestehen, dass jeder nach seiner eigenen Zwecksetzung handeln kann, solange sie die Freiheit Anderer nicht verletzt. Damit erbringt Kants allgemeines Rechtsprinzip bzw. -gesetz eine Leistung, welche bis heute an ihrer systematischen Aktualität nichts eingebüßt hat (s. etwa Dreier 1981,

Forschungsstand

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287 f.; Naucke 1985, 542 – 548; Kühl 1991; Maus 1992, 261 – 271, 2011, III.2.4; Höffe 1999b; 2001, Vorwort und Kap. I; s. weiter etwa Höffe (Hg.) 1999; Timmons (Ed.) 2002; Jahrbuch für Recht und Ethik Bd. 5, 1997, Bd. 14, 2006; Denis (ed.) 2010). Dabei gilt aber gerade für die interpretatorische Perspektive der Kantforschung, worum es in dieser Arbeit geht, noch immer zu erläutern bzw. zu rekonstruieren, ob und wie genau Kant sein allgemeines Rechtsprinzip moralisch begründet und es aus der Moralphilosophie seiner Grundlagenschriften heraus entwickelt.

Forschungsstand Die Problematisierung einer begründungstheoretischen Abhängigkeit zwischen dem obersten Moralprinzip bzw. dem Moralgesetz und dem allgemeinen Rechtsprinzip bzw. -gesetz bei Kant lässt sich schon bei seinen frühesten Rezensenten antreffen. Bereits Fichte äußerte sich, Bezug nehmend auf die Friedensschrift, etwa skeptisch: „[O]b Kant das Rechtsgesetz nach der gewöhnlichen Weise vom Sittengesetze ableite, oder eine andere Deduction desselben annehme, lässt aus der angeführten Schrift sich nicht deutlich ersehen“ (Fichte [1796], 13). Die Skepsis bezüglich des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen diesen Prinzipien bzw. Gesetzen hat sich im Laufe der Zeit nicht nur in unterschiedlichen interpretatorischen Details niedergeschlagen, sie hat sich auch zunehmend radikalisiert, bis hin zu der Verneinung jeder Abhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips vom Moralprinzip der Grundlagenschriften. Im folgenden Abschnitt möchte ich zunächst zwei dieser kritischen, in der Literatur prominenten Positionen in Kürze vorstellen (i); daran anschließend werde ich dann auf einige Interpretationen hindeuten, die dem entgegen die Abhängigkeit des Vernunftrechts von dem Moralprinzip aus den Grundlagenschriften vertreten (ii). (i) Die geltungstheoretischen Unabhängigkeitsthesen. Eine erste, in der deutschsprachigen Kantliteratur als „Unabhängigkeitsthese“ bekannte Position, plädiert Bezug nehmend auf einen bloß empirischen, negativen Freiheitsbegriff bei Kant¹ zwar für die Unabhängigkeit seiner Rechtslehre von der Transzendentalphilosophie (s. Ebbinghaus 1990 [1954], 168; 1988 [1960], 242 f. s. auch Geismann 2006),² die Position hat aber auf mittelbare Weise zugleich moralphilosophische Relevanz. Denn Kant sieht den auf dem transzendentalen Freiheitsbegriff basierten, in den Grundlagenschriften sodann moralisch begründeten Freiheits Damit ist der Freiheitsbegriff aus dem Kanon der ersten Kritik gemeint (A 802/B 830); zu diesem Begriff und der Problematik, die er innerhalb der Kantischen Freiheitstheorie hervorruft, s. etwa Schönecker 2005.  Zu Ebbinghaus’ These s. weiter etwa Oberer 1986, 119; 2006, 265, Fn. 9.

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Einleitung

begriff als den „Schlußstein“ (KpV V 3), der gleichsam im Scheitel des gesamten Gewölbebaus der Metaphysik der Sitten sitzt, so dass die Rechtslehre ohne ihn und a fortiori ohne den transzendentalen Freiheitsbegriff als ein selbständiges praktisch-metaphysisches System gar nicht bestehen könnte.³ Eine andere, eher jüngere Version der Unabhängigkeitsthese setzt hingegen unmittelbar bei der normativen Abhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips vom Kategorischen Imperativ an und bestreitet sie in toto mit teilweise sehr unterschiedlichen und originellen Argumenten (Willaschek 1997, 2002, 2009; Wood 1999, 2002; Horn 2009).⁴ Bemerkenswert ist, dass hierbei anstatt von einer Unabhängigkeit auch von der Nicht-Ableitbarkeit (non-derivability) des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes aus dem Kategorischen Imperativ gesprochen wird. Die Vertreter dieser Position erwecken aber den Eindruck, dass sie keine nähere Bestimmung dessen haben, worauf sie ihre Gegenargumente konzentrieren: unklar bleibt bei ihnen, worin genau dieses Ableitungsverhältnis bestehen soll, das kritisiert und in Frage gestellt wird. Dabei ist zum einen zu beachten, dass die „Ableitung“ ohne nähere Begriffsbestimmung als eine unmittelbar syllogistische Derivation verstanden werden kann; ganz so, als würde das oberste Prinzip des Rechts in einem simplen Schlussverfahren aus dem Kategorischen Imperativ reibungslos resultieren,⁵ als würde nämlich das allgemeine Rechtsprinzip ein bloßes Korollar des Kategorischen Imperativs sein. Kant wirft aber nirgends eine solche These auf, die anschließend bestritten werden kann. Zum anderen ist auch anzumerken, dass Kant selbst nicht von einem Verhältnis der Ableitung zwischen dem allgemeinen Rechtsprinzip und dem Kategorischen Imperativ, sondern vielmehr davon spricht, dass das Erstere aus dem Letzteren „entwickelt“ wird (RL VI 239, 20). (ii) Die normativen Abhängigkeitsthesen. Es liegt eine Reihe von Interpretationen und Rekonstruktionen vor, welche die normative Geltung des allgemeinen Rechtsprinzips von dem Kategorischen Imperativ oder, wenn nicht unmittelbar vom diesem selbst, so doch von einem zentralen Begriff in Kants Moralkonzeption der Grundlagenschriften (etwa dem moralisch begründetem Freiheitsvermögen, der reinen praktischen Vernunft oder der Autonomie) abhängig wissen wollen (zu Vertretern dieser Position, die die Mehrheit in der Literatur bilden s. u. a. Gregor 1963; Guyer 2000; Herb/Ludwig 1993; Höffe 1990, 1999, 2001; Kaulbach 1982; Kersting (1984) 21993, 2004; Ludwig 1988; Mulholland 1990; Oberer 1997, 2006;

 Zur Kritik an obiger Position s. vor allem Kersting 21993, 136 – 142; auch Klemme 2012.  Willaschek z. B. setzt daher bewusst seine Position von der ersten Version der Unabhängigkeitsthese ab (1997, 224, Fn. 30).  S. etwa Logik IX, § 42, 114.

Forschungsstand

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Guyer 2002; Steigleder 2002). Ich werde mich hier allerdings nur auf einige markante bzw. prominente Thesen, die dieser Position angehören, beschränken. Zunächst sei angemerkt, dass sich in dieser Richtung ein Extrem aufgetan hat, in dem Sinn, dass man nicht nur die normative Geltung des Vernunftrechts bei Kant, sondern sogar dessen Aufgabe und Funktion von seiner Konzeption der Sittlichkeit abhängig gemacht hat. Man kann diese Position, um einen Ausdruck Kants selbst zu verwenden, als eine ethikoteleologische Interpretation des Vernunftrechts bezeichnen, da sie den Sinn des Kantischen Vernunftrechts im Grunde nur darin sieht, dass es im Dienste der Ethik steht, mit dem Zweck der Ethisierung des menschlichen Gemeinwesens. Andererseits versucht diese Interpretation eine solche Funktion des Vernunftrechts zugleich auch dadurch zu begründen, indem sie zeigen will, dass die Realisierung der sittlichen Freiheit vollkommen von der Sicherung des äußeren Gebrauchs der Freiheit abhängt, wofür eben das Kantische Vernunftrecht die Verantwortung trägt. Damit sieht diese Interpretation das Vernunftrecht über seine normative Abhängigkeit von der Moralphilosophie Kants hinaus grundsätzlich auch als sittlichkeitsfunktional an (s. etwa Bauch 1921; Dulckeit 1932, 5, 13 f.; Naucke 1962, 26 ff.; Schreiber 1966, 42 f.).⁶ Eine besonders zu erwähnende Interpretation im Rahmen der normativen Abhängigkeitsthesen stellt die von Höffe dar, welche er bereits in seinem 1987 erschienenen Aufsatz Der kategorische Imperativ als Grundbegriff einer normativen Rechts- und Staatsphilosophie entwickelt. Dabei stimmt Höffe einerseits der Einheitlichkeit der Prinzipien zwischen den Grundlagenschriften und der Metaphysik der Sitten nur partiell zu, nimmt dafür aber andererseits gewisse Korrekturen vor. Er wirft nämlich die These auf, dass der Kategorische Imperativ der Grundlegung nur „tugendspezifisch“ sei, und versucht sodann eine für beide Teile der Metaphysik der Sitten plausible Variante des Kategorischen Imperativs zu rekonstruieren.⁷ Ganz im Kontrast hierzu, und auch zu den Unabhängigkeitsthesen, liegt darüber hinaus eine weitere Interpretation vor, die den Kategorischen Imperativ gerade als nur das Prinzip der Rechtspflichten für erfolgreich hält, so, als funktioniere der Kategorische Imperativ in der Tat eben nur rechtsspezifisch (s. etwa Ritter 1971, 227; Scholz 1972, 145 – 150).

 Zur Kritik dieser Interpretation s. Kersting, 21993, 142– 151; Höffe 1990, 84– 89; zu einem Überblick über ethikoteleologische Deutungen des Rechts bei Kant im deutschsprachigen Raum s. Kühl 1984, 51– 62.  „Um aber den schlechthin allgemeinen kategorischen Imperativ zu gewinnen, müßte man noch vom formalen Aspekt, der Moralität („aus Pflicht“), abstrahieren. Der gesuchte, gegen Tugend und Recht vollständig indifferente kategorische Imperativ lautete also: ‚Handle pflichtmäßig‘“ (Höffe 1987, 97; kritisch dazu s. etwa Steigleder 2002, 156 – 160).

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Einleitung

In der englischsprachigen Literatur sei hier auf Guyers Interpretation hingewiesen (2002), die für die Bestimmung des moralischen Status des allgemeinen Rechtsprinzips anhand zweier Stellen aus dem Gemeinspruch ⁸ und der Einleitung in die Rechtslehre ⁹ anstatt beim Kategorischen Imperativ, bei der, nach seiner Annahme, Grundlage der ganzen Moraltheorie Kants ansetzt, „that human freedom has unconditional value“. Guyer vertritt dann die Abhängigkeitsthese dergestalt, dass sowohl der Kategorische Imperativ wie auch das allgemeine Rechtsprinzip beide unmittelbar aus dieser für Kants Moraltheorie fundamentalen normativen Behauptung entspringen (2002, 26).¹⁰ So stellt er ein Ableitungsverhältnis anstatt zwischen dem allgemeinen Rechtsprinzip und dem Kategorischen Imperativ zwischen dem Freiheitsvermögen des Menschen auf der einen Seite und den beiden Prinzipien auf der anderen Seite her. Wiederum im deutschsprachigen Raum geht eine viel beachtete Interpretation von einem Prinzipiendualismus zwischen den Grundlagenschriften und der Metaphysik der Sitten aus (Kersting 21993, 192, Fn. 179).¹¹ Im Zusammenhang mit dieser These steht dann noch eine weitere Version der normativen Abhängigkeitsthese, die ich als Abbildungsthese bezeichnen möchte. So behauptet Kersting, dass die äußere, rechtliche Verpflichtung nach einer von Kant vertretenen „Ich-Duplizität“ des menschlichen Subjekts eine „Abbildung“ des Selbstverpflichtungsverfahrens darstelle (21993, 198). Auch Habermas vertritt diese Deutung in aller Entschlossenheit: Bei Kants Verhältnisbestimmung zwischen Recht und Moral handle es sich um eine „Art von Abbildrelation“ (41998, 138); es „spiegeln sich in der juridischen Gesetzgebung die moralische, in der Legalität die Moralität, in den

 „Der Begriff aber eines äußeren Rechts überhaupt geht gänzlich aus dem Begriffe der Freiheit im äußeren Verhältnisse der Menschen zu einander hervor“ (VIII 289).  „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann.“ (VI 239)  „Thus the universal principle of right may not be derived from the Categorical Imperative, but it certainly is derived from the conception of freedom and its value that is the fundamental principle of Kantian morality“ (2002, 26; s. ebd. auch Fn. 7). Zudem macht Guyer deutlich, dass die Behauptung, das allgemeine Rechtsprinzip würde sich unmittelbar aus dem Freiheitsbegriff ableiten („flows directly from“), nicht zu bedeuten hat, dass es keiner weiteren Rechtfertigung bedürftig wäre (ebd.).  So beruft sich Kersting auch auf eine Zwielichtigkeit der Rechtsphilosophie Kants gegenüber seiner Moralphilosophie (Kersting 21993, 190, 115; vgl. auch Kersting 2004, 40 f. und 1983a, 288); kritisch dazu Geismann 2006, etwa 121 f.; zu älteren Rezensionen s. etwa Oberer 1986. Zu einigen Unklarheiten und Abänderungen der Thesen Kerstings bezüglich des Verhältnisses des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes zum Kategorischen Imperativ, s. Steigleder 2002, 151, Fn. 54; 154, Fn. 66.

Gegenstand der Untersuchung und allgemeine Anmerkungen

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Rechtspflichten die Tugendpflichten usw. Dieser Konstruktion liegt die platonische Vorstellung zugrunde, dass die Rechtsordnung die intelligible Ordnung eines „Reichs der Zwecke“ in der phänomenalen Welt zugleich abbildet“ (41998, 136). Die Abbildungsthese hat offensichtlich die Konnotation, dass die äußere, vernunftrechtliche Verbindlichkeit der ethischen, inneren Verbindlichkeit nachsteht, dass sie einen niedrigen Rang innehat.

Gegenstand der Untersuchung und allgemeine Anmerkungen Generell plädiert diese Untersuchung für eine normative Abhängigkeitsthese. Sie entwickelt dabei aber eine eigene Version, welche in vielen Details von anderen gängigen Interpretationen in dieser Richtung abweicht und hierbei aufs Neue die aktuellen Einwände gegen eine solche Interpretation zu überwinden versucht oder ihnen neue Beweislast auferlegt. Das Ziel der Untersuchung ist grob gesagt Zweierlei: Zum einen zu zeigen, dass Kants allgemeines Rechtsprinzip nicht nur in aller Konsequenz aus seiner Moralphilosophie heraus entwickelt wird, sondern auch einen exzeptionellen Stellenwert in ihr besitzt (Teile I-III); zum anderen herauszustellen, dass Kants Transzendentalphilosophie für die Entwicklung und Gestaltung des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes eine konstitutive Rolle spielt (Teil IV und teilweise Teil II) Eine generelle Herangehensweise und eine methodische Hauptthese bestimmen zudem den Gesamtcharakter dieser Untersuchung: Bezüglich der Herangehensweise geht es erstens nicht – wie meist in der Literatur – so sehr darum, woraus das allgemeine Rechtsprinzip abgeleitet wird, als vielmehr darum, wie und warum Kant dieses innerhalb seines Systems genau so entwickelt, wie es ist. Die Arbeit hat zweitens die methodische Hauptthese, dass ein adäquates Verständnis des moralischen Status des obersten bzw. allgemeinen Prinzips der Rechtslehre Kants ohne Miteinbeziehung seiner Transzendentalphilosophie unterbestimmt bleibt; ohne Heranziehung mancher Grundmomente des transzendentalen bzw. kritischen Idealismus lässt sich nicht erklären, warum und worin sich das allgemeine Rechtsprinzip vom Kategorischen Imperativ unterscheidet. Es sind zugleich weitere argumentatorisch-methodische Aspekte in dieser Arbeit von Bedeutung, auf die ich hier noch hinweisen möchte. Neben den verschiedenen Einzelargumenten durchziehen zwei Grundunterscheidungen die gesamte Argumentation der Arbeit. Erstens geht die Untersuchung davon aus, dass in Kants Ethikprogramm aufgabentechnisch zweierlei Prinzipien auseinander zu halten sind: Eine allgemeine apriorische Norm zur Beurteilung des moralisch Verwerflichen bzw. Richtigen (principium diiudicationis) und ein Prinzip, das im Konflikt zwischen moralischer Forderung und entgegenwirkender sinnlicher

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Einleitung

Seite des Menschen einen befolgungswirksamen Bestimmungsgrund des Willens zu moralischen Handlungen angibt (principium executionis) – metaphorisch: ein Kompass und ein Fahrtwind (s. ausführlich Teil I).¹² Zweitens nimmt sie Kants Überzeugung von der ultimativen und universalen Begründbarkeit seines Moralprinzips ernst.¹³ Aufgrund der Vollständigkeitsforderung der reinen Vernunft verfährt Kant nämlich argumentationstechnisch nach einer Maxime der Aufsuchung des schlechthin Unbedingten,¹⁴ der letzten Bedingung in einer Reihe von praktisch-normativen Regeln. Eine solche Begründungskonzeption führt im praktischen Bereich zu einer idealtypisch scharfen Trennung zwischen Begründungs- bzw. Geltungsaspekt einerseits und Applikations- bzw. Anwendungsaspekt normativ-praktischer Prinzipien andererseits, an die sich diese Untersuchung hält.¹⁵ Thematisch befasst sich die vorliegende Untersuchung im Rahmen der Rechtsphilosophie Kants ausschließlich mit seinem allgemeinen Rechtsprinzip und stützt sich dabei hauptsächlich auf die Werke der Kritischen Periode. Weitere Teile der Rechtslehre (Erster Teil, Das Privatrecht in Ansehung äußerer Gegenstände und Zweiter Teil, Das öffentliche Recht) kommen daher in dieser Arbeit nicht in Betracht. Auch bei der Untersuchung des Verhältnisses dieses Prinzips zu den grundlegenden Begriffen von Kants Moralkonzeption aus den ethischen Grundlagenschriften, vor allem dem Kategorischen Imperativ, sind Einschränkungen vorzunehmen gewesen, so dass manche interpretatorische Probleme und durchaus wichtige Themen der Ethik Kants hier nicht direkt berührt werden. Es liegt nicht in der Absicht dieser Untersuchung, die vielfältigen Interferenzbereiche der drei moralphilosophischen Hauptwerke Kants um- und tiefgreifend zu behandeln, noch wäre dies aller Voraussicht nach durch eine einzelne Arbeit zu leisten. Schließlich sind in diesem Abschnitt noch einige Anmerkungen zu den in dieser Arbeit herangezogenen Texten Kants angebracht. Die Untersuchung macht neben der gewöhnlichen Inanspruchnahme der moralischen und theoretischen Haupttexte auch von den, hauptsächlich auf die Kritische Phase beschränkten, Vorlesungsnachschriften und Nachlassschriften Kants Gebrauch: den von Erdmann so genannten Reflexionen und den Vorarbeiten zu Die Metaphysik der Sitten,

 S. zu dieser Metapher Stark 2004, 56, Fn.  Zur Ethikbegründung Kants s. etwa Tugendhat 1993, 25 f., 69 ff., 77 f.; Ott, 22005, 65 ff.; Engelhard/Heidemann 2005, 3 – 7; weiter Alberts These zum „Postulat der zureichenden Begründung“ in „der klassischen Methodologie“, 51991, 11 f., 15 ff.  Vgl. Abschnitte A-C der Einleitung der Transzendentalen Dialektik, KrV A 298 – 309/B 335 – 366.  Vgl. hierzu etwa Oberer 2006, 260 – 264.

Gegenstand der Untersuchung und allgemeine Anmerkungen

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davon wiederum insbesondere denjenigen Teilen, die den Einleitungen der Metaphysik der Sitten (Einleitung für das Gesamtwerk, für die Rechtslehre und für die Tugendlehre) entsprechen.¹⁶ Dem Gebrauch der Vorlesungsnachschriften und der Nachlassschriften ist dabei insgesamt eine eher subsidiäre Rolle zuzuschreiben; sie werden zur Unterstützung der Interpretationen gebraucht, die sich bereits in den Druckschriften belegen lassen. Eine Ausnahme bilden jedoch die Kapitel, in denen die begrifflichen Distinktionen bei Kant behandelt werden, welche wir in den veröffentlichten Schriften oft nicht in der didaktischen oder definitorischen Klarheit mancher Vorlesungsnachschriften bzw. Nachlassschriften vorfinden (s. etwa Teil I, Kap. 3 und 6). Selbstverständlich sind aber hier Kants eigene Positionen bzw. seine eigenen Begriffsbestimmungen und die tradierten Termini, die etwa in den Vorlesungen von dem sog. „Autor“ des jeweiligen, der Vorlesung als Grundlage dienenden Lehrbuchs intendiert sind, auseinandergehalten. Unter den Vorlesungsnachschriften kommt dann im Laufe der Untersuchung vor allem zwei Texten besondere Aufmerksamkeit zu: einer studentischen Vorlesungsnotiz aus dem Wintersemester 1784/85, die von Lehmann als moralphilosophische Nachschrift Mrongovius II bezeichnet wurde. Diese relativ kurze Nachschrift (XXIX 597– 642) ist zur Zeit der Abfassung der Grundlegung entstanden¹⁷ und weist eine enge terminologische und systematische Nähe zum ersten publizierten moralphilosophischen Werk Kants auf. Der zweite Text ist Johann Friedrich Vigilantius’ Nachschrift von Kants letztem Moral-Kolleg aus dem Wintersemester 1793/94, welches die Metaphysik der Sitten zum Thema hat.¹⁸ Darüber hinaus wird die Nachschrift von Kants Moral-Vorlesung von Collins bzw. von Kaehler (1777) für einige Begriffserläuterungen verwendet (etwa Teil I, Kap. 3).¹⁹ Weiterhin wird unter den Logik-Vorlesungen wie in der Literatur üblich die von Kant beauftragte und von Jäsche erstellte Logik-Schrift als definitorische Vorlage zu einigen Leittermini Kants benutzt.²⁰ Zwecks mancher Rekonstruktionen der vorliegenden Untersuchung werden auch die Vorlesungen über Metaphysik, wie etwa Metaphysik L1 und L2 (Pölitz) und die Nachschrift Volckmann (XXVIII, 1784– 85)²¹ in Anspruch ge-

 Allgemein zu den Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten s. Lehmans Einleitung zur Edition, AA, XXIII, 518.  Zu dieser Schrift und deren Deckung mit der Grundlegung s. etwa Schwaiger 1999, 144; 157– 159. Nach Stark ist nur diese Nachschrift für die 1780er Jahre als „eine originäre, aktuelle Nachschrift des Moral-Kollegs bekannt geworden“ (2004, Nachwort, 390).  Hierzu s. Stark 2004, Nachwort, 385 f.; Lehmann, AA, XXVII. 2. 2, 1045; Kühn 2003, 373.  Zur Person Collins s. Lehmann, AA, XXVII. 2. 2, 1050; zu Kaehlers Nachschrift von Kants Moral-Vorlesung s. Stark 2004, 392– 404.  S. Jäsches Vorrede IX 3 f.; zu dieser Vorlesung s. Hinske 2000, 90 ff.; Irrlitz 2002, 495 f.  S. dazu Irrlitz 2002, 500.

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Einleitung

nommen, und zwar wiederum mit der gebotenen Vorsicht, Kants eigene Position in ihnen zu identifizieren.

Aufbau und nähere Positionen der Untersuchung Die Untersuchung wird in vier Teilen durchgeführt. Der erste Teil ist den Grundmomenten der Kantischen Ethik gewidmet, die in den weiteren Teilen für die Interpretation bzw. Rekonstruktion des moralischen Status des obersten Rechtsprinzips Kants in Anspruch genommen werden. Der zweite Teil behandelt das Vernunftrecht in der Metaphysik der Sitten aus zwei möglichen Perspektiven. Der dritte Teil ist sodann dem Verhältnis des allgemeinen Rechtsprinzips zu den Maximen gewidmet. Mit diesen drei Teilen wird eine Untersuchung des moralischen Status des allgemeinen Rechtsprinzips, die der praktischen Philosophie Kants immanent bleibt, im Grunde abgeschlossen. Schließlich werden im vierten Teil der Arbeit die Differenzen des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes zum Kategorischen Imperativ auf der Grundlage der Transzendentalphilosophie herausgearbeitet. Im ersten Teil handelt es sich u. a. um eine idealtypische Rekonstruktion (Kap. 2), die zeigt, wie Kant zu den beiden Prinzipen der Dijudikation und der Exekution in seiner Ethik gelangt. Diese Unterscheidung begleitet dann den Rest der Untersuchung und ist für einige ihrer Thesen entscheidend. Weitere, für die Argumente der nächsten Teile grundlegende Themen wie die Bedeutung der moralischen Nötigung und des moralischen Zwangs, Kants Theorie der praktischen Imperative, die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs und nicht zuletzt Begriffsklärungen zur normativen Kategorizität bei Kant werden in diesem Teil herausgearbeitet. Der zweite Teil befasst sich nach der Behandlung des Grundverhältnisses der ethischen Grundlagenschriften Kants zur Metaphysik der Sitten (Kap. 1), sowie der allgemeinen Merkmale beider Teile der Metaphysik der Sitten (Kap. 2), aus zweierlei Perspektiven mit dem Vernunftrecht: aus einer legislativen (Kap. 3) und einer bloß pflichtentheoretischen Sicht (Kap. 4). Ab diesem Teil der Arbeit erfolgt die konkretere Auseinandersetzung mit den Vertretern der (normativen) Unabhängigkeitsthese. So wird bspw. in Kap. 3 dieses Teils gezeigt, wie gerade ethische und transzendentalästhetische Gründe im Zusammenhang miteinander für ein Grundcharakteristikum des Vernunftrechts sorgen, dass nämlich die juridische Gesetzgebung auf das Moment der Triebfeder im Inneren ihrer Adressaten verzichten muss. Darüber hinaus wird hier gezeigt, dass der Unterschied zwischen dem Kategorischen Imperativ und dem allgemeinen Rechtsprinzip im Gegensatz zur normativen Unabhängigkeitsthese nicht etwa in deren jeweiliger Normativität,

Aufbau und nähere Positionen der Untersuchung

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in ihrer praktischen Geltungsart, sondern vielmehr in einer motivationalen bzw. exekutiven Hinsicht liegt. So erfolgt beim Vernunftrecht im Vergleich zur Selbstverpflichtung der ethischen Grundlagenschriften notwendigerweise, also aus ethischen sowohl als auch transzendentalkritischen Gründen, das, was ich eine motivationale Substitution nennen werde. Kap. 4 setzt die Auseinandersetzung mit weiteren Argumenten der normativen Unabhängigkeitsthese an verschiedenen Stellen fort. Eine Hauptthese der Untersuchung, die hier untermauert wird, besteht darin, dass nach Kant das allgemeine Rechtsprinzip nicht nur in seiner kategorischen Geltung aus der Moraltheorie der ethischen Grundlegungsschriften heraus entwickelt wird, sondern dass es zugleich auch das Minimum moralischer Einschränkung menschlicher Freiheit in der Praxis darstellt. Der dritte Teil behandelt dann ein ebenso oft vernachlässigtes wie für die Bestimmung des moralischen Status des allgemeinen Rechtsprinzips entscheidendes Thema: Das systematische Verhältnis dieses Prinzips zu den Maximen als den genuinen Beurteilungsgegenständen in Kants Moralphilosophie. Die im ersten Teil getroffene und herausgearbeitete Unterscheidung zwischen dem dijudikativen und dem exekutiven Aspekt in Kants Moralphilosophie ist für den Nachvollzug der Argumente dieses Teils entscheidend. Darüber hinaus wird das allgemeine Rechtsprinzip in diesem Teil aus einer in der Literatur oft marginalisierten, rein pflichtentheoretischen Sicht, als das oberste Prinzip aller äußeren Rechtspflichten betrachtet. Genauer gesagt wird das allgemeine Rechtsprinzip in seinem Verhältnis zu den Maximen als ein pflichtentheoretisches Beurteilungsprinzip betrachtet. Hierbei erfährt auch der Maximenbegriff nähere und, so weit ich sehe, teilweise in der Literatur bisher noch nicht gesehene Bestimmungen (Kap. 1– 2), u. a. dass die Maximen als der Gegenstand des Universalisierungsverfahrens der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs zugleich als die ratio cognoscendi der Pflichten gelten, und dass zwischen den Maximen und dem obersten Bestimmungsgrund des Willens (der Gesinnung) ein Verhältnis der Nicht-Identifikation besteht. Im letzten Kapitel dieses Teils wird sodann die These von den Rechtspflichten als einem Minimum der Kantischen Ethik, die im vorherigen Teil untermauert wurde, auch aus der Perspektive des systematischen Zusammenhanges zwischen dem allgemeinen Rechtsprinzip und den Maximen bestätigt und erfährt dabei ebenfalls eine nähere Bestimmung. Der letzte, vierte Teil untersucht schließlich in drei Hauptkapiteln die Grundmomente des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes in Bezug auf die Kritik der reinen Vernunft. Im ersten und zweiten Kapitel richten sich die Argumente wiederum gegen die geltungstheoretischen Unabhängigkeitsthesen. Es wird in diesen Kapiteln dargelegt, wie und inwieweit die Grundstruktur des obersten Prinzips bzw. Gesetzes des Vernunftrechts von der Transzendentalen Logik und Methodenlehre abhängt. So zeigt das erste Kapitel, dass der Unterschied

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Einleitung

zwischen dem allgemeinen Rechtsprinzip und dem Kategorischen Imperativ im Gegensatz zur normativen Unabhängigkeitsthese nicht in deren jeweiliger kategorischer Geltung, sondern in ihrem kategorialen Charakter anzutreffen ist. Das zweite Kapitel entkräftet weitere Argumente der normativen Unabhängigkeitsthese, die aus der Analytizität des allgemeinen Rechtsprinzips (RL, § D; TL, Abschnitt X) oder daraus, dass dieses als ein Postulat bezeichnet wird (RL, § C), auf die „Unableitbarkeit“ dieses Prinzips aus dem Kategorischen Imperativs schließen. Das dritte Kapitel gilt sodann zugleich auch als ein ausführlicher exegetischer Beitrag zum § E der Rechtslehre und einigen interpretatorisch kontroversen Fragen, die er ausgelöst hat. Hier wird dargelegt, wie Kants Transzendentale Logik und Methodenlehre der ersten Kritik für die Entwicklung und Gestaltung des allgemeinen Rechtsgesetzes sowie des mit ihm äquivalenten Gesetzes der Zwangsbefugnis von konstitutiver Bedeutung sind. – Insgesamt versteht sich der vierte Teil als eine Entgegnung auf dreierlei Thesen: Diejenige, die den Kritischen Charakter der Rechtsphilosophie Kants in Abrede stellt (der sog. Marburger Neukantianismus, s. etwa Haensel 1926, 1 ff.; vgl. dazu Kühl 1991, 214); die These, die jegliche Verbindung des transzendentalen Idealismus mit der Rechtslehre Kants abzubrechen versucht (die ältere Version der Unabhängigkeitsthese, etwa Ebbinghaus (erstmals 1954) 1990; neuerdings Geismann 2006), und nicht zuletzt als Antwort auf denjenigen Ansatz, welcher die Rechtsphilosophie Kants als vor-kritisch charakterisiert (Ritter 1971, 339 f.; vgl. hierzu Brandt 1974a, 45 f.). Da es aber diesem Teil nur auf eine eingeschränkte Rekonstruktion der transzendentalkritischen Momente des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes ankommt, unterscheidet er sich gleichzeitig auch von jenem Ansatz, welcher das Verhältnis der Transzendentalphilosophie zu der Rechtslehre Kants so weit intensiviert, dass in seiner Rechtsphilosophie sogar das „zu Hause“ seiner transzendentalen Methode erblickt wird (Kaulbach 1982). Es geht hier vielmehr nur um den beschränkten Anspruch, die propädeutische Rolle der Transzendentalkritik in der Entwicklung und Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes sowie des Gesetzes der Zwangsbefugnis aufzuzeigen. Aus diesen vier Teilen der Untersuchung zusammengenommen soll die Überzeugung hervorgehen, dass Kant das oberste Prinzip seiner Rechtsmetaphysik aus einem Zusammenspiel der Grundmomente seiner Moraltheorie aus den ethischen Grundlagenschriften und denjenigen des transzendentalen bzw. kritischen Idealismus in konsequenter Weise herausentwickelt hat.

Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants „Die Moral nun lehrt uns daß wir frey sind, dies kann keine Erfahrung“ (Meta. Dohna XXVIII 661)

Bereits in einer Reflexion aus der vorkritischen Phase notiert sich Kant drei strukturelle Hauptaufgaben normativ-ethischer Theoriebildung: „Man verlangt vom Moralphilosophen: 1. Lehren der Moralischen Beurtheilung, zu erkenen […,] gründe der Billigung und Misbilligung; 2. Gründe der Ausübung, caussas subiective moventes […] 3. Vorschriften, wie die Neigung mit den Grundsätzen einstimig gemacht oder ihnen unterworfen werden könne.“ (Refl. 6988, XIX 220) Diese dreifache Aufgabenvorlage pflegt Kant auch in seiner Kritischen Phase zu bewahren. Von seiner ersten Monografie zur Ethik, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), über die Kritik der praktischen Vernunft (1788) bis zu seiner letzten systematischen moralphilosophischen Schrift, der Metaphysik der Sitten (bestehend aus den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre und den Metaphysischen Anfangsgründen der Tugendlehre) (1797), hält Kant in seiner Prinzipienethik das Kriterium zur Beurteilung, was richtig bzw. moralisch gut ist (principium diiudicationis), und das motivationale Prinzip, wonach das Richtige bzw. das moralisch Gute zu befolgen ist (principium executionis), auseinander. Diese grundsätzliche Differenzierung lässt sich als ein wesentlicher Beitrag Kants zur Neuausrichtung der Moralphilosophie sehen.¹ Schließlich findet in der dritten Aufgabe der Moralphilosophie, der Aufstellung moralischer Vorschriften, wie die Neigung mit den praktischen Grundsätzen einstimmig gemacht oder ihnen unterworfen werden kann – in den so genannten Moralimperativen –, gerade eine Vereinigung des Beurteilungs- und Befolgungsmoments seinen Niederschlag. Im Folgenden sollen die Grundzüge der Ethik Kants vor dem Hintergrund dieser dreifachen Struktur, vor allem der Unterscheidung zwischen einem Principium diiudicationis und einem Principium executionis,² nachgezeichnet werden.

 Zu der Trennung sowie dem systematischen Stellenwert dieser zwei Prinzipien als einem Kantischen Verdienst s. Schwaiger 1999, 92; Stark 2004, 55 f., Fn. 35; s. historisch dazu etwa Henrich 1973, 234– 238.  Zum Gebrauch dieser Termini in den Vorlesungsnachschriften s. Moral Collins XXVII 274 f./ Stark (Kaehler) 2004, 55 f. In seinen Druckschriften macht Kant zwar von diesen Termini so gut wie nie Gebrauch, der Sache nach sind sie jedoch in seinen ethischen Schriften präsent. Zur Differenz dieser Prinzipien s. etwa Patzig 1994 (erstmals 1986). Diese Prinzipien erinnern auch an die Unterscheidung zwischen „normative reasons“ und „motivating reasons“ in der Metaethik, s. etwa Dancy 2000, 1– 25.

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Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants

Die Betrachtungsweise und die Thesen, die in diesem Teil vertreten werden, sind auf die Darstellung und Rekonstruktion des Verhältnisses von Kants oberstem Moralprinzip, wie es in der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft dargelegt wird, zu seinem obersten Rechtsprinzip bzw. Rechtsgesetz aus dem ersten Teil der Metaphysik der Sitten, der Rechtslehre, ausgerichtet. .

1 Freiheit und Moralgesetz Kants ganze Philosophie durchzieht eine traditionelle Dichotomie: Sie ist entweder theoretische oder praktische Philosophie, Natur- oder Moralphilosophie (vgl. u. a. GMS IV 387; KU V 171 f.). Dabei darf der Oder-Junktor allerdings nicht als stark exklusiv aufgefasst werden. Während die theoretische Philosophie das Sein zu ihrem Objekt hat und Aussagen über das Geschehene oder das ohnehin zu Geschehende trifft, betrifft die praktische Philosophie das, was sein bzw. geschehen soll, auch wenn es doch nicht geschehen ist bzw. geschieht. In der Kritik der reinen Vernunft (A Aufl. 1781/B Aufl. 1787) heißt es lapidar: „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist“ (KrV A 800/B 828). Kant versteht hierbei die Freiheit als eine Art Ursache, die im Zusammenhang mit seiner Konzeption von sinnlicher bzw. phänomenaler Natur nachzuvollziehen ist. Bei dieser Konzeption sind sowohl die äußeren wie auch die inneren Erscheinungen, sowohl das Physikalische wie das Psychologische durch eine immer zeitlich bestimmte Kausalität „prädeterminiert“. Entscheidend ist also für Kants Konzeption sinnlicher Natur, dass sich die Naturkausalität immer in einer sukzessiven Zeitfolge ereignet, und sich daher die Reihe der Naturursachen regressiv ins Unendliche zurückverfolgen lässt. Kants Freiheitsverständnis gewinnt nun gerade in diesem Kontext an Sinn, weil er die Freiheit als eine im Vergleich zur Naturursache analoge, jedoch andersartige Ursache konzipiert. Bei dieser Unterscheidung kommt es Kant allerdings nicht etwa auf eine Taxonomie verschiedener Ursachengattungen an, wie es in der herkömmlichen aristotelischen Ursachenlehre (mit causa efficiens, finalis, materialis und formalis) der Fall war. Mit der Freiheit bezieht sich Kant vielmehr auf eine inhaltlich und substantiell andersartige Ursache, die sich sogar erst in einem Konfliktzustand mit den Naturursachen offenbart. Kants innovative Freiheitstheorie besteht darin, dass er in seiner praktischen Philosophie die Freiheit als eine „uranfängliche“, nicht prädeterminierte Ursache, d. h. absolute Spontaneität (s. etwa Prol. IV 344), betrachtet und zu begründen versucht. Als Startpunkt seiner Freiheitstheorie bedient sich Kant einer gleichsam metatheoretischen Strategie, die sich wiederum aus seiner besonderen Konzep-

1 Freiheit und Moralgesetz

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tion der reinen Vernunft ergibt. Die Strategie besteht zunächst darin, anhand paradigmatischer Fälle in der Philosophiegeschichte gewisse Selbstkonflikte der reinen Vernunft, welche Kant auch als „Antinomie(n)“ der reinen Vernunft bezeichnet, zu „offenbaren“. Hierauf übernimmt dann Kants eigene Position, der transzendentale Idealismus, besser: der kritische Idealismus (s. Prol. IV 293 f.) die Aufgabe, diese Selbstkonflikte, Antinomie(n), aufzulösen bzw. zu lösen. Der kritische Idealismus zeichnet sich dabei dadurch aus, dass er auf einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Dingen an sich selbst operiert. Man kann eine Antinomie nach Kant in groben Zügen als einen „Zustand“ des unvermeidlichen Widerstreits der reinen Vernunft mit sich selbst bezeichnen.³ Dass die Antinomie(n) der reinen Vernunft unvermeidlich sind, liegt darin begründet, dass Kant die Vernunft gerade so konzipiert, dass sie von Natur aus stets die absolute Totalität „fordert“ und in einer gegebenen Reihe immer „das schlechthin Unbedingte“ sucht (s. etwa KrV A 409/B 437; A 417/B 445). Dies führt die Vernunft zu gegensätzlichen Behauptungspaaren, welche jedoch jeweils durch gleich „einleuchtende klare und unwiderstehliche Beweise dargetan werden“ können und die Vernunft deshalb in einen Zustand versetzen, in dem sie sich „mit sich selbst entzweit sieht“ (Prol. IV 340). Eine Antinomie, im Sinne Kants, ist allerdings kein beliebiger Widerstreit der Vernunft mit sich selbst, sie ist vielmehr ein „Widerstreit der Gesetze“, deren Quelle sich wiederum in der Vernunft selbst befindet (KrV A 407/B 434).⁴ Eine Antinomie betrifft also eine Opposition zwischen zwei Sätzen – These und Antithese – mit hohen allgemeinen, entgegengesetzten Ansprüchen, und zwar als contrarie oppositorum. ⁵ Für Kant gilt es, diesen Zustand zu beseitigen, weil man andernfalls einerseits in eine „sceptische Hoffnungslosigkeit“, andererseits in einen Zustand gerät, „einen dogmatischen Trotz anzunehmen“. Eine philosophische Resignation bedeutet hier für Kant „Zwiespalt“, „Zerrüttung“, ja „die Euthanasie der reinen Vernunft“ (KrV A 407/B 434). Kants Theorie der Verstandeskategorien zufolge liegen zwei Klassen von Antinomien vor: Die mathematischen (gemäß der Kategorien Quantität und Qualität) und die dynamischen (gemäß der Kategorien Relation und Modalität).

 Zu verschiedenen, jedoch zusammenhängenden Verwendungen des Begriffs „Antinomie“ bei Kant in der Kritik der reinen Vernunft, s. Hinske 1966, 489 f.; Ertl 1998, 31– 35.  Während in der ersten Kritik die Antinomie, im strengen Sinn, als ein „Widerstreit der Gesetze“ (KrV A 407/B 434), also als ein Widerstreit zwischen objektiven Grundsätzen angesehen wird, werden die Antinomien der zweiten und dritten Kritik sowie der Religionsschrift zwischen den subjektiven Grundsätzen (sc. Maximen) aufgestellt (KpV V 115; KU V 339, 385 f.; Religion VI 119 f.).  Vgl. Fortschritte XX 291, 8 ff.

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Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants

Der Widerstreit zwischen den jeweiligen Thesen und Antithesen innerhalb einer Antinomie wird dementsprechend auch auf zweierlei Weise vom kritischen Idealismus behoben: Er wird entweder aufgelöst (indem gezeigt wird, dass weder die These, noch die Antithese gültig ist) oder gelöst (wenn sowohl die These, wie auch die Antithese als gültig und kompatibel anzusehen sind, weil sie jeweils in einer anderen Hinsicht betrachtet werden). Im letzteren Fall wird das Problem anerkannt, sodann gelöst; im ersteren Fall wird das Problem als solches im Grunde nicht einmal anerkannt, es wird nämlich hinfällig, eben aufgelöst, das Problem wird hier gleichsam „durch gänzliche Abschneidung des Knotens gehoben“ (KrV B 557/A 529; vgl. etwa Prol. IV § 52 c.). Kant selber spricht allerdings nur von „Auflösungen“; präziser wäre jedoch zwischen Auf-lösung und Lösung zu unterscheiden. Es ist entscheidend, dass Kants Auflösungen bzw. Lösungen die fundamentale Unterscheidung des kritischen Idealismus zwischen Ding an sich selbst und Erscheinungen, welche man auch als die Unterscheidung zwischen dem Noumenalen und dem Phänomenalen bezeichnen kann, zugrunde liegt. Es ist nämlich aufgrund dieser Unterscheidung, dass Kant die gleichsam „richterliche“ Überlegenheit seines kritischen Idealismus im „Kampf“ der sich widerstreitenden metaphysischen Hauptströmungen in der Philosophiegeschichte beansprucht, deren kontroverse Argumente sich nach Kant eben in den Antinomien niederschlagen. Der kritische Idealismus gilt gerade deshalb als der einzige „Schlüssel“ zur Überwindung der unvermeidlichen Selbstkonflikte der reinen Vernunft, wie er sich in den Antinomien ausdrückt.⁶ Bei der Annahme der Freiheit als eine Art Ursache gegenüber der Naturkausalität haben wir es nun mit einer dynamischen Kategorie (der Kausalität) zu tun, bei der die reine Vernunft gemäß ihrer Natur in der „Reihe der Ursachen“ auf einer regressiven Weise das Unbedingte, d. h. eine Erstursache sucht (vgl. KrV A 414/B 441 f.; A.418/B 446). Und gerade dies führt dann nach Kant zu einer Antinomie von zwei widerstreitenden Grundsätzen, welche er als „Dritte Antinomie“ abhandelt. Denn wie sollte die durchgängige Kausalherrschaft der Naturursachen gewährt werden, wenn es auch eine ursprünglich andere Art Ursache, Freiheit, gibt. Diese Antinomie stellt Kant dann in dem folgenden, sich widerstreitenden Behauptungspaar auf: Thesis: „Einige Begebenheiten müssen als durch Freyheit möglich gedacht werden, und sie können nicht alle unter dem Gesetze der Naturnothwendigkeit stehen“ (Fortschritte XX 289).⁷

 S. u. a. KrV, B Vorrede XXVII f., A 424 f., 463, 490 f., 535/B 452 f., 491, 518 f., 563; Prol. IV 347; KpV V 114; KU V 341, 344 ff., 386; Fortschritte XX, 290 ff., 326 ff.  In der Prolegomena lautet die Thesis in aller Kürze: „Es giebt in der Welt Ursachen durch Freiheit“ (IV 339); in der ersten Kritik lautet die Thesis: „Die Causalität nach Gesetzen der Natur

1 Freiheit und Moralgesetz

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Antithesis: „Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur“ (KrV A 445, B 473).

Kants Lösungsvorschlag zu dieser Antinomie macht nun zugleich den ersten Argumentationsschritt seiner Freiheitstheorie überhaupt und damit den semantischen Rahmen aus, innerhalb dessen seine gesamte praktische Philosophie an Sinn gewinnt. Kants Lösung besteht gemäß seiner Unterscheidung zwischen dem Noumenalen und dem Phänomenalen darin, dass sich die Thesis und die Antithesis dieser Antinomie im Grunde jeweils auf ein anderes Diskursuniversum beziehen, dass das Subjekt in der Thesis, die Kausalität, oder etwas genauer: die Ursache der Kausalität, in einem anderen Sinn genommen ist als in der Antithesis. Es kann nämlich dasselbe Subjekt in beiden Sätzen einmal als „causa noumenon“, als Ding an sich, gedacht werden und ein anderes Mal als „causa phaenomenon“, Erscheinung, so dass beide Sätze wahr und vereinbar sind.⁸ Konkret heißt das, dass Kant durch seine eigentümliche Vernunftkonzeption und damit seine transzendentalidealistische Antinomielehre zeigt, dass sich die freien Handlungen eines vernunftbegabten Wesens wie des Menschen als Geschehnisse einer Kausalitätsart denken lassen, welche nicht durch Naturkausalität prädeterminiert sind. Damit steht allerdings nur fest, dass die Freiheit als ein transzendentales Kausalitätsvermögen eines Wesens, welches zur Sinnenwelt gehört und somit von der Naturkausalität in der Kette der Naturereignisse durchgängig determiniert ist, nicht unmöglich, also nur logisch widerspruchslos ist.⁹ Neben dieser reinen Denkmöglichkeit ist aber noch nicht gezeigt, ob eine Kausalität aus Freiheit auch tatsächlich Realität besitzt (s. KrV A 557 f./B 585 f.).¹⁰ Kant sieht nun in einer bestimmten Art des Verhaltens des Menschen, in moralischen Handlungen, gerade den Beweis dafür, dass die Menschen wirklich über ein naturunabhängiges Freiheitsvermögen disponieren können, dass sie in der Tat als ein Fluchtpunkt zweier heterogener Kausalitätsarten gelten. Doch bevor ich mich dieser Grundthese widme, sei zunächst auf zwei entscheidende Punkte in

ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesammt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Causalität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen nothwendig“ (A 444/B 472).  S. KrV A 444– 451/B 472– 479; A 532– 558/B 560 – 586; Prol. §§ 52– 53; Fortschritte XX, Zweytes Stadium.  Dem freiheitstheoretischen Problem im Kanon der Kritik der reinen Vernunft (s. KrV A 802/B 830), kann diese Arbeit nicht Rechnung tragen, s. hierzu etwa Schönecker 2005.  Bekanntlich sieht Kant einen Fehler darin, die reale Möglichkeit durch bloße (logische) Widerspruchslosigkeit zu definieren. Was sich widerspricht ist zwar unmöglich, aber aus dessen bloßer logischer Umkehrung könne man nicht auf die reale Möglichkeit schließen (s. z. B. Meta. Mrongovius XXIX 811).

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Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants

Kants Freiheitstheorie hingewiesen, die trotz ihrer systematischen Bedeutung für seine gesamte Ethik nicht selten übersehen werden. Der erste Punkt (a) betrifft eine wichtige begriffliche Implikation der Konzeption der Freiheit als einer Art Ursache überhaupt; der zweite (b) bezieht sich dann auf die Art des Grundverhältnisses zwischen Freiheits- und Naturkausalität. (a) Kant spricht bekanntlich von der Freiheitskausalität vernunftbegabter Wesen zugleich als einer Instanz der Gesetzgebung, die sich diesen Wesen „vermittelst eines Gesetzes, welches zu gar keinem Naturgesetze der Sinnenwelt gezählt werden kann“ (KpV V 50, 25 f.), offenbart. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass er damit auf einen konzeptionellen Zusammenhang rekurriert, welcher noch vor jeder inhaltlichen Bestimmung zwischen den Begriffen „Kausalität“ und „Gesetz“ besteht. Ehe man nämlich auf die Verbindung der Freiheitskausalität und des moralischen Gesetzes näher eingehen kann, fällt zuerst das begriffsanalytische Verhältnis von „Kausalität“ und „Gesetz“ auf (s. etwa GMS IV 446, 15 – 18). Denn eine Ursache, deren Kausalität nicht gesetzesfähig wäre, ist nach Kant einfach gegenstandslos. Der Begriff „Kausalität“ enthält also „jederzeit die Beziehung auf ein Gesetz […], welches die Existenz des Mannigfaltigen im Verhältnisse zu einander bestimmt“ (KpV V 89, 30 ff.; s. GMS IV 446, 15 – 21).¹¹ Dieser rein begriffliche Zusammenhang ist nun nach Kant sowohl für die Natur- wie auch die Freiheitskausalität gültig. Die reziproke Verbindung der Begriffe „Kausalität“ und „Gesetz“ ist gleichsam eine gemeinsame Konstante beider heterogener Kausalitätsarten: „Das moralische Gesetz ist […] ein Gesetz der Causalität durch Freiheit […] so wie das metaphysische Gesetz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Gesetz der Causalität der sinnlichen Natur war“ (KpV V 47). Es ist also wichtig zu sehen, dass Kants Konzeption der Freiheit als eine Art Ursache bereits auf einer begriffsanalytischen Ebene nomothetischen Charakters ist und daher konsequenterweise in eine legislatorische Moralkonzeption münden muss. Eine systematische Kritik an Kants legislatorischer Konzeption der Sittlichkeit sollte deshalb zuerst auf dieser begriffsanalytischen Ebene ansetzen.¹² (b) Die zwei Kausalitätsarten der Freiheit und der Natur stehen nach Kant nicht in einem Interaktionsverhältnis; sie können sich nicht wechselseitig beeinflussen.¹³ Weder die verhindernden noch die fördernden Effekte, die die Natur auf

 „Es muss eine jede wirkende Ursache einen Charakter haben, d. i. ein Gesetz ihrer Kausalität, ohne welches sie gar nicht Ursache sein würde“ (KrV A 539/B 567).  Ich denke hier an Kritiker wie Schopenhauer [1840], § 4 und Anscombe 1981 [1958], welche diese Pointe übersehen.  Denn dies würde heißen, dass ein übergeordnetes Prinzip angenommen werden muss. Die Kausalitäten von Natur und Freiheit können nach der Transzendentalkritik Kants keineswegs zu einer noch höheren, dritten Kausalitätsart führen.

1 Freiheit und Moralgesetz

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den Vollzug menschlicher Freiheitskausalität in der phänomenalen Welt ausüben mag (etwa physische und psychische Eigenschaften eines Menschen oder seine situativen Koordinaten, die zum Nach- bzw. Vorteil einer moralgeleiteten Handlungsrealisation ausfallen) berechtigen uns nach Kant, eine Wechselwirkung zwischen der noumenalen Quelle der Freiheitskausalität einerseits und der phänomenalen Welt andererseits anzunehmen, etwa in dem Sinne, dass auch die Naturursachen auf das Noumenale einwirken würden. Begegnungen der zwei Kausalitätsarten finden nach Kant allein innerhalb der Sinnenwelt, zwischen Naturerscheinungen und „Wirkungen“ der Freiheit als wiederum Erscheinungen statt (s. etwa Prol. IV 344 f.). In der Kausalitätstheorie Kants geht es also um eine unilaterale Wirkung der Freiheitsursache nach gewissen Gesetzen in der Natur. Umgekehrt aber kann das Sinnliche „das Übersinnliche im Subjekte“ – das Vermögen der Freiheit in vernunftbegabten Wesen – nicht determinieren. Kants Lösungsstrategie der Dritten Antinomie in der ersten Kritik gelangt erst dadurch an ihr genuines, praktisches Ziel, dass es gezeigt wird, dass die Freiheit wirklich (real) ist. Das wird zunächst in dem Dritten Abschnitt der Grundlegung, in der so genannten Zweistandpunktelehre ausgeführt (s. GMS IV 452, 25).¹⁴ Die offizielle Ausgestaltung seiner Argumente liefert Kant jedoch erst ungefähr drei Jahre später in der Analytik und kritischen Beleuchtung der Analytik seiner Kritik der praktischen Vernunft (vgl. auch KU V, IX 195 f.). Um dabei Kants Argumente aus der Grundlegung und der zweiten Kritik nachvollziehen zu können, muss daran erinnert werden, dass sein Argumentationsmodell idealtypisch aus zwei Grundbestandteilen besteht: Exposition und Deduktion. Während eine Exposition generell gleichsam sowohl einem apriorischen Quod-est wie auch Quid-est entspricht, und somit darstellt, dass es etwas mit gewissen apriorischen Eigenschaften gibt, betrifft eine Deduktion die Quid-iuris-Frage und legitimiert damit das apriorisch Gegebene in einem rechtstheoretisch analogen Sinn; die Deduktion behält hier dieselbe Bedeutung, die sie bei „Jus“ hatte, sie bezieht sich eben auf die Frage „mit welchem Recht“.¹⁵ Die Begründungslast für die Wirklichkeit (oder wie Kant es nennt: objektive Realität) eines apriori gegebenen Sachverhalts, somit die objektive Geltung eines Demonstrandum wird deshalb in Kants philosophischem Argumentationsmodell prinzipiell von der Deduktion im Sinne einer Berechtigung getragen. Im Dritten Abschnitt der Grundlegung postuliert Kant nun ein nicht empirisch zu erkennendes noumenales Sein („Verstandeswelt“), um ein Sollen a priori, d. h.  Ich kann hier nicht auf die Debatten zwischen den sog. Zwei-Aspekte- bzw. Zwei-WeltenInterpretationen um Kants Transzendentalen Idealismus eingehen. Für einen Überblick s. Schulting 2010.  S. etwa Meta. Volckmann XXVIII 399.

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Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants

ein von aller Erfahrung freies und damit unbedingtes Sollen in der phänomenalen Welt („Sinnenwelt“) zu rechtfertigen. Dabei ist freilich das Unterscheidungspaar noumenal/phänomenal weiter von entscheidender Bedeutung, damit Kants Argument nicht in einen „naturalistischen Fehlschluss“ gerät.¹⁶ Genauer gesagt geht Kant hier davon aus, dass die Menschen, soweit sie einem unbedingten Moralgesetz folgen, als die Instantiierungen einer noumenalen Welt in der phänomenalen Welt gelten müssen (GMS IV 451). Kants Argumentation entwickelt sich sodann in der zweiten Kritik dahingehend, dass er aufgrund einer undeduzierbaren und einer Deduktion unbedürftigen, weil kognitiv unhintergehbaren Faktizität sui generis die praktische Realität des Moralgesetzes für gewährleistet hält.¹⁷ Damit wird in der zweiten Kritik die übliche Argumentationslast, die Kant sonst seinen (transzendentalen) Deduktionen aufbürdet, von einer anderen argumentationstheoretischen Komponente, einem Faktum übernommen, welches Kant schon in der ersten Kritik in eine methodische Gegenüberstellung mit der Deduktion gebracht hatte (s. KrV A 85/B 117). In der zweiten Kritik bezeichnet Kant demnach ein Bewusstsein höchster modaler Stufe, also das apodiktische Bewusstsein des Moralgesetzes in uns, als ein „Faktum der reinen Vernunft“.¹⁸ Durch solch ein Faktum kündet sich die reine Vernunft in uns „als ursprünglich gesetzgebend“ an (KpV V 31, 33 f.; 47, 11 ff.). Entscheidend ist an dieser Stelle für Kants Freiheitstheorie, dass das Bewusstsein des Moralgesetzes sich nicht aus einem vorhergehenden „Bewusstsein der Freiheit […] herausvernünfteln“ lässt (KpV V 31, 25 – 26).¹⁹ Ganz im Gegenteil, wir werden uns erst durch das Faktum der Vernunft unseres noumenalen Freiheitsvermögens überhaupt bewusst. Das Faktum der Vernunft weist gleichwohl auf keine Erkenntniserweiterung zum Noumenalen hin. Auch jeder theoretische Weg zur Erklärung der Möglichkeit dieses Faktums bleibt uns versperrt (KpV V 47). Die unmittelbare Gegebenheit des moralischen Gesetzes in uns soll also nach Kant als ein nicht deduktionsfähiges Produkt der Vernunft, und sogar selbst gleichsam

 Dessen ungeachtet schreiben manche Interpreten der Kantischen Theorie zu, genau diesen Fehlschluss zu begehen; s. Ilting 1972.  Zu einigen Pro- und Contra-Haltungen bezüglich Kants Lösungsversuchs der Deduktionsproblematik seines Moralgesetzes im Dritten Abschnitt der Grundlegung und in zweiter Kritik s. Bojanowski 2006, 58 f., zu weiteren Deduktionsversuchen Kants in seinen Nachlass-Schriften s. Henrich, 1973, 239 – 247.  Zum „Faktum der Vernunft“ s. etwa Henrich 1973, 235, 247– 251; Willaschek 1992, 174– 193; Steigleder 2002, 96 – 108.  Dass wir von der Möglichkeit eines moralisch schlechthin gebietenden Gesetzes ahnen, ergibt sich nur durch dessen unmittelbare Gegebenheit in uns; „wäre dieses Gesetz nicht in uns gegeben, wir würden es als ein solches durch keine Vernunft herausklügeln, oder der Willkür anschwatzen“ (Religion VI 26 Anm.).

1 Freiheit und Moralgesetz

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als ein „Princip der Deduction“ (KpV V 47, 23; 48, 2) auch die objektive Realität des in der Erfahrung beleglosen, somit „unerforschlichen Vermögens“ der Freiheit beweisen (KpV V 47, 21– 30). Das Faktum der Vernunft ist demnach nur das, wodurch die reine praktische Vernunft „für sich selbst“, d. h. ohne jede theoretische Ansprüche, „einem übersinnlichen Gegenstande der Kategorie der Causalität, nämlich der Freiheit“ die Realität nachweist (KpV V 5 f.). Zur Erklärung dieses engen Zusammenhangs von Freiheitskausalität und moralischem Gesetz behauptet Kant: „Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen […] wechselweise auf einander zurück“ (KpV V 29, 24 f.; Hv. R. M.).²⁰ Dieser Wechselverweis zwischen dem noumenalen Freiheitsvermögen und einem Gesetz, welches moralischen Charakters ist – genauer: dass ein freier Wille eben derjenige Wille ist, der unter dem moralischen Gesetz steht –, ist der Fehlinterpretation anfällig, wenn man dessen komplexe Natur nicht in Betracht zieht.²¹ Kant entwirft ihn anhand der schulphilosophischen Begrifflichkeit in einem beinahe revolutionären Verhältnis wechselseitiger Bestimmung von unserem realen Können und Erkennen: Der Grund, warum (ratio cur) wir ein moralisches Wesen sein können, ist einerseits unser noumenales Freiheitsvermögen. Der Grund bzw. der Beweis, dass (ratio quod) es so ist und wir eben dadurch wissen, dass wir derart frei sind, ist andererseits das Bewusstsein des kategorisch gebietenden Moralgesetzes als ein „Faktum der Vernunft“. Auf der einen Seite tritt die noumenale Freiheit an die Stelle einer ratio essendi (Grund des Seins) des Moralgesetzes, eines Grundes, ohne dessen Voraussetzung die moralische Selbstbefindlichkeit in Menschen nicht einzusehen ist. Auf der anderen Seite wird dem kategorisch gebietenden Moralgesetz die Aufgabe der ratio cognoscendi (Erkenntnisgrund) zuteil; ein Grund, durch welchen wir „folgeweise“ – d. i. bereits unter der Voraussetzung der Freiheit – entdecken, dass wir tatsächlich frei sind.²²

 S. auch GMS IV 447, 7. Kants diesbezügliche Aussagen haben in der Literatur den Verdacht eines Zirkels in seinen Argumentationen, vor allem im Dritten Abschnitt der Grundlegung aufgedrängt (IV 450 18 ff., 453, 3 ff.). Zum Zirkelverdacht s. etwa. Ameriks 1981; Brandt 1988; Schönecker 1999, 329 – 358. Kritisch zu Ameriks s. Brandt 1988, 183, 188 Fn. 16. Brandt sieht in dem „ominösen“ Zirkel funktional den „dialektische(n) Trugschluß der Metaphysik der Sitten, der zum Übergang zur kritischen Sehweise zwingt“ (1988, 181) und hält ihn für einen circulus in probando (1988, 181 ff., 188 Fn. 16). Ihm hält Schönecker entgegen, dass es sich beim fraglichen Zirkel um eine „petitio principii im allgemeinen Sinne“ handle (1999, 339 s. auch 333 ff.).  Zum reziproken Verhältnis zwischen Freiheit und Moralgesetz s. etwa Allison 1986.  Zu den Termini ratio essendi und ratio cognoscendi sowie ratio cur und ratio quod s. schon Nova Dilucidatio (1755, Zweiter Abschnitt, I 391 ff.). Zu einer erhellenden Darstellung der Kantischen Konzeptionsentwicklung von ratio essendi/ratio cognoscendi in Auseinandersetzung mit der Leibniz-Wolffschen Schule in der vorkritischen und Kritischen Periode s. Longuenesse, 2001, etwa 83 f.

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Wenn dieser Grund nicht „in unserer Vernunft eher deutlich gedacht [wäre; R. M.], so würden wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freiheit ist (ob diese gleich sich nicht widerspricht), anzunehmen“ (s. KpV V 4, Anm.).²³ Hier sei deshalb auch ein Missverständnis ausgeräumt, das nicht selten in der Kant-Interpretation vorkommt: Kants These besagt nicht, dass die Menschen erst moralisch sein müssen, um überhaupt als frei angesehen werden zu können. Das Moralgesetz ist eben nicht der Seinsgrund, sondern nur der Erkenntnisgrund unseres Freiheitsvermögens; auch diejenigen vernünftigen Wesen, die faktisch nicht moralisch sind, sind frei. Die Konsequenz dieses wechselseitigen Bestimmens ist, dass wir unsere Handlungen unter moralische Gesetze müssen bringen können, wenn wir uns als frei, und zwar nicht nur in einem relativen Sinn des Wortes, beweisen wollen. Die Grundthese, dass die noumenale Freiheit den Ermöglichungsgrund aller Moralgesetze ausmacht, kurz, dass alle Moralgesetze Freiheitsgesetze sind und umgekehrt, wird nun im Folgenden als Hintergrundannahme den Rest dieser Studie begleiten.

2 Die Vernunft „nicht im Dienste der Neigungen“ In seiner Ethik beansprucht Kant zweierlei: Zum einen will er eine normative Ethik für die Praxis vernunftbegabter, aber mit konträren sinnlichen Neigungen ausgestatteter Wesen (der Menschen) zur Geltung bringen. Zum anderen strebt er gleichzeitig eine metaphysische, d. h. erfahrungsunabhängige Prinzipienethik an, die auf ihrer Geltungsebene von allem anthropologischen und subjektiven Gehalt abstrahiert und Objektivität fordert. Eine gelungene Symbiose dieser zwei Ansprüche innerhalb der Kantischen Ethik wird jedoch nicht selten in Zweifel gezogen. Man betrachtet einerseits Kants anthropologiefreie Metaphysik der Moral²⁴ mit Skepsis (etwa Siep 32000, 32 f., 35 ff.). Andererseits wird aber gleichsam der Mythos einer vollkommen apriorischen Metaphysik gehegt, die selbst ohne jeg-

 In Opus postumum schneidet Kant das Problem des Realitätsnachweises der noumenalen Freiheitsursache so an: „Die Eigenschaft eines vernünftigen Wesens Freyheit des Willens überhaupt (Unabhängigkeit von Antrieben der Natur) zu besitzen kann direct als ein Causalprincip nicht bewiesen werden sondern nur indirect durch die Folgen“ (XXI 16, 24– 27).  S. z. B. in der Grundlegung s. IV 388, 32– 36; 389, 6 – 9, 24– 29; 410, 19 – 25; 412, 1– 5.

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lichen Rekurs auf menschliche Grundaspekte wie sinnliche Zielgerichtetheit und Bedürfnisse auskommen soll.²⁵ Doch es gilt zu beachten, dass Kant eine „völlig isolirte Metaphysik der Sitten“ (GMS IV 410, 19) bloß als eine Geltungsbasis beansprucht. Bezüglich des Verhältnisses von apriorischen Prinzipien zu anthropologischen Grundkonstanten führt Kant bereits in der ersten Kritik an, dass wir „die Begriffe der Lust und Unlust, der Begierden und Neigungen etc., die insgesammt empirischen Ursprungs sind, zwar selbst nicht zum Grunde ihrer Vorschriften legen, aber doch im Begriffe der Pflicht als Hinderniß, das überwunden, oder als Anreitz, der nicht zum Bewegungsgrunde gemacht werden soll, nothwendig in die Abfassung des Systems der reinen Sittlichkeit mit hineinziehen müssen“ (KrV B 29; Hv. Kants getilgt; Hv. R. M.).²⁶ Die angesprochene Notwendigkeit der Integration empirischer Elemente in das System der reinen Sittlichkeit weist auf ein methodologisches sowie ein praktisches Moment hin. Der transzendentalen Erkenntniskritik nach bleibt die direkte Erkenntnis des Noumenalen bzw. Intelligiblen dem Menschen versperrt, so dass selbst einer reinen Moral im Sinne Kants unausweichlich bleibt, die Moralität im Zusammenhang mit und im Gegensatz zu dem sinnlich affizierten Bestandteil der Menschen zu konturieren. Der Adressat einer Metaphysik der Sitten ist im Grunde weder Gott, noch ein heiliger, vollkommener Wille (für die es keines Sollens mehr bedarf), sondern eben der Mensch als ein sinnlich bedingtes, aber dennoch vernunftbegabtes Wesen. Eine metaphysische Ethik, die von allen anthropologischen Momenten befreit wäre, ist deshalb nach Kant nicht nur methodologisch unmöglich, sie würde in praktischer Hinsicht auch ein adressatenloses Sollen darstellen. Da also Kants Prinzipienethik nur in Kontrast zu den Natureigenschaften des sinnlich affizierten Menschen Kontur gewinnen kann, beginne ich das Kapitel 2.1 zunächst mit dem Thema „Neigung“, die in der Ethik Kants bekanntlich als der Widerpart der „Sittlichkeit“ fungiert; dabei wird vor allem auf die Rolle der Neigung für die zwei Grundaspekte in Kants Ethik geachtet, nämlich der Beurteilung (principium diiudicationis) und der Befolgung bzw. Motivation (principium executionis). In Kapitel 2.2 betrachte ich dann diese Grundaspekte in Kants Ethik näher und zeige, wie genau diese sowohl ein allgemeingültiges Beurteilungs- wie auch Motivationsprinzip benötigt.

 „Der Begriff der Neigung hätte in einer Metaphysik der Sitten ebenso wenig Platz wie der eines hypothetischen Imperativs – oder überhaupt eines Imperativs“ (Timmermann 2004, XVIII).  Vgl. KrV A 801/B 829.

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2.1 „Neigung als solche ist nicht ihr eigener Gegenstand“ Als kennzeichnend für die Ethik Kants wird oft eines ihrer zentralen Theoriestücke bezeichnet, nach dem das Sittliche einen absoluten, intrinsischen Wert besitzt. Mit dem Sittlichen ist – grob umrissen – das gemeint, was einerseits für alle Menschen als vernünftige Wesen unbedingt gilt, andererseits aber ihren subjektiven, neigungsgesteuerten Handlungsgrundsätzen entgegengesetzt sein kann. Damit sind die Neigungen als eine alternative, kontrastive Instanz konzipiert, deren Rivalität mit dem Sittlichen auf der moralbegründenden Ebene ausgeschlossen werden muss. Dies ist aber nach Kant in zweierlei Hinsicht darzulegen. Es muss nicht nur bezüglich des Dijudikationsmoments seiner Ethik aufgezeigt werden, dass die Neigungen und ihr Inbegriff keinesfalls als ein Beurteilungsprinzip taugen, welches mit der inklusiven, universalen Reichweite praktischvernünftiger Prinzipien konkurrieren kann. Auch in exekutiver Hinsicht muss dargelegt werden, dass die Neigungen an sich keinen intrinsischen Wert haben. Würden neben dem Sittlichen auch die Neigungen als solche einen intrinsischen Wert aufweisen, so würde dies die Kantische Moralkonzeption in ihren Grundlagen erschüttern. Denn Kant müsste dann rechtfertigen, warum in einem Konflikt zwischen Neigungen und der rein sittlichen Gesinnung es dann ausgerechnet das Sittliche wäre, das geltungstheoretisch vorzuziehen wäre. Es reicht also nicht aus, dass in der Ethik Kants der sittlichen Gesinnung ein intrinsischer Wert zugesprochen wird, vielmehr muss auch die Alternative ausgeschlossen, also gezeigt werden, dass allein das Sittliche und keine andere Instanz einen solchen Status genießt. Kant hat zwar in seinen Druckschriften den Ausschluss dieser Alternative kaum direkt angesprochen. Seine Vorlesungsnachschriften, insbesondere die so genannte Vorlesung über Moralphilosophie Mrongovius II, die zur Zeit der Entstehung der Grundlegung gehalten wurde, liefern uns jedoch bruchstückhafte Argumente, die auf sein Problembewusstsein in dieser Sache hinweisen. Im Folgenden werde ich als Erstes auf diese auszuschließende Alternative bezüglich des Exekutivmoments eingehen, da Kants Argumente in dieser Hinsicht auch für den Ausschluss der Neigungen und ihres Inbegriffs als Quelle universaler praktischer Beurteilungsprinzipien von Bedeutung sind. In seiner praktischen Philosophie hat Kant eine sowohl intra- wie auch intersubjektiv antagonistische Konzeption des Menschen (s. u. a. GMS IV 407 f.; TLVI 380; RL VI, § E, 232 f.; TL VI, § 24, 449). Der Mensch in praktischer Hinsicht ist ein Wesen, welches sich gleichsam in einem bipolaren Kräftefeld befindet. Er ist auf der einen Seite ein endliches Sinneswesen, das von der Natur „affiziert“ wird, oder wie Kant sagt, pathologisch bestimmbar ist, andererseits ist er aber durch seine Freiheit vermögend, sich über seine sinnliche Natur zu erheben. Unter „pathologisch“ versteht Kant all das, was genuin von der sinnlichen Natur bedingt bzw.

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bewirkt ist und an sich keinen vernünftigen Bestandteil hat. Im Gegensatz zu unserem spontanen, aktiven Freiheitsvermögen weist also der pathologische Bestandteil auf unsere passivische Verhaltensdimension hin. Richten wir unser Augenmerk auf diesen pathologischen Bestandteil des menschlichen Wesens, so ist auffällig, dass Kant aus der Menge unterschiedlicher Stufen menschlicher Naturantriebe insbesondere der Neigung eine gewichtige Position zuordnet.²⁷ Das ist kein Zufall. Unter ihr versteht Kant nämlich nicht etwa eine einfache sinnliche Begierde.²⁸ Sie gilt vielmehr als ein „habitueller“, also dauerhafter sinnlicher Antrieb, welcher gleichsam größere Bereiche der Handlungen abdeckt als eine spontane und sporadische Begierde (MS VI 212, 23; Anthropologie VII 251, 5). Das, was im Spannungsfeld der menschlichen Praxis zum Widerpart des Sittlichen erhoben wird, ist daher nicht ein simples, kurzlebiges Element. Die Gegner der Sittlichkeit sind die mächtigen Neigungen und die sich auf sie stützenden Bedürfnisse, d. h. die zur Gewohnheit gewordenen sinnlichen Kräfte, die das Subjekt wesentlich beständiger bestimmen. Dieser repetitive bzw. Gewohnheitscharakter der Neigungen führt daher bei dem handelnden Subjekt zu der subjektiven Wirkung, sie für praktisch notwendig zu halten und zu einer Verhaltensregel zu erhöhen (vgl. Anthropologie VII 147, 9; 265, 26 f.; s. dazu KpV V 51, 13 f.). In der Tat verweisen unsere Neigungen stets auf eine Mehrzahl von Objekten, die sie zum Gegenstand haben können. Zudem sind sie samt ihrem Ergebnis der Bedürfnisbefriedigung stets eingebettet in einen subjekt- und situationsabhängigen Kontext. Das Eigentümliche der Neigungen selbst ist deshalb ihre Verschiedenheit und Veränderlichkeit je nach ihren korrelativen Gegenständen. Gerade darin sieht Kant nun den schlüssigen Grund, warum die Neigung selbst nie als „ihr eigener Gegenstand“, also als intrinsisch wertvoll angesehen werden kann. Würde uns nämlich die Neigung selbst an und für sich, unabhängig von korrelativen Gegenständen, gefallen, so hätten wir nicht eine Mehrzahl von Bedürfnissen und wären indifferent gegenüber der Tatsache, unterschiedliche Gegenstände der Neigung zu haben. Wir hätten vielmehr eine singuläre, immanent wertvolle Neigung an sich, die unserem Wohlgefallen, egal bei welchem Objekt, jederzeit genügen könnte; man könnte dann nämlich sagen, dass allein die Tatsache, dass die Neigung an sich erfüllt ist, gleich mit welchem Inhalt, an und für sich Wert ist. Doch in Wahrheit – so Kant am deutlichsten in Moral Mrongovius II – gefällt uns „die Sache, zu der wir Neigung haben, aber die Neigung an sich gefällt  Man achte allein auf den Ersten Abschnitt der Grundlegung.  Unter Begierde (appetitio) selbst versteht Kant: „Die Selbstbestimmung der Kraft eines Subjects durch die Vorstellung von etwas Künftigem als einer Wirkung derselben.“ (Anthropologie VII 251, 3 ff.)

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uns nicht“ (XXIX 610, 6 f.). Die Neigung (inclinatio) hängt also jederzeit von etwas anderem ab. Sie weist bereits begrifflich nach außen hin und ist damit immer bedingt. Demnach ist für Kant ausgeschlossen, dass die Neigung als solche in puncto Motivation einen intrinsischen Wert besitzt und damit eine Konkurrenz zur sittlichen Gesinnung darstellen kann, welche für Kant genau diesen Wert besitzt.²⁹ Der Wert der Gegenstände der Neigungen hängt zwar stets davon ab, dass sie von uns begehrt werden.³⁰ Doch dies weist nicht etwa auf eine Art Spontaneität des sinnlichen Subjekts als solches hin, da unsere sinnlichen Neigungen eben stets auf einen kausal vorhergehenden Gegenstand, somit eine Natur-Ursache zurückzuführen sind. Auch in puncto Dijudikation können die Neigungen für Kant nicht als Grundlage von praktischen Prinzipien fungieren. Nach Kant lassen sich alle unsere Neigungen und Bedürfnisse unter dem an sich inhaltsleeren „Titel“ Glückseligkeit fassen. Glückseligkeit wird nämlich von Kant allgemein als „das beständige Wohlergehen, vergnügtes Leben, völlige Zufriedenheit mit seinem Zustande“ bestimmt (TL VI 480, 24 f.), oder etwas genauer: „Die Befriedigung aller unserer Neigungen (sowohl extensive der Mannigfaltigkeit derselben, als intensive dem Grade und auch protensive der Dauer nach)“ (KrV A 806/B 834).³¹ Beide Definitionen zeigen, dass es bei der Glückseligkeit immer offen, ja sogar diffus bleibt (GMS IV 418. 4 ff.), welche Neigungsobjekte konkret begehrt werden, dazu aber auch, um wie viel man in ihrer Befriedigung fortschreiten will und kann (vgl. KpV V 25). Obwohl die Glückseligkeit etwas ist, wonach jedes menschliche Wesen seiner Natur gemäß strebt, so bleibt sie inhaltlich doch ein vollkommen unbestimmter Begriff (GMS IV 418, 1– 4). Wenn es aber, wie Kant annimmt, unserer (reinen) Vernunft unentbehrlich auf die vollständige Einheit ankommt; wenn eine inklusive, universelle Einheit in der praktischen Dimension unserer Existenz wünschens- und erstrebenswert, ja gar notwendig ist, dann müssen wir an anderer Stelle nach den dijudikativen Einheitsregeln zur Bestimmung des moralisch Richtigen suchen als bei unseren Neigungen und deren Inbegriff Glückseligkeit. Zur Erfüllung des Desiderats eines solchen praktischen, objektiven Beurteilungsprinzips soll nämlich etwas gesucht werden, was einerseits vollständig von den variablen Privatneigungen und Bedürfnissen menschlicher Subjekte abstrahiert, andererseits für den vernünftigen Bestandteil eines jeden Menschen Geltungskraft aufweist. Denn gleichgültig wie dieses Prinzip aller vernünftigen Subjekte inhaltlich genau zu bestimmen ist  Vgl. Timmermann 2006, 74 f., 88, Fn. 14.  Vgl. etwa Korsgaard 1996b, 122.  S. dazu etwa KpV V 73, 9 ff.; 124, 21– 26; TL VI 387, 26 f.; KU V 430, 6 – 10; 434 Fn.; vgl. Moral Mrongovius II, XXIX 600, 1 f.

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(darauf komme ich unten zurück), so ist doch offenkundig, dass aus den aposteriorischen, individuell variierenden Gegenständen der Neigung und aus der Zufälligkeit der dem Einzelnen günstigen Umstände zur Erfüllung seiner Bedürfnisse, kurzum: aus der Kakophonie der sinnlich bedingten Neigungen und Glückseligkeitskonzepte weder eine Einheit, noch Gewissheit erwachsen kann und sich somit kein festes Beurteilungsprinzip für moralisch verbotene und gebotene Handlungen angeben lässt – auf diese Weise „ein Gesetz ausfindig zu machen, das […] mit allerseitiger Einstimmung, regierte, […, ist] schlechterdings unmöglich.“ (KpV V 28, 27 f.)

2.2 „Nur die Vernunft kann das Sollen vorschreiben“: Das Dijudikationsprinzip und das Exekutionsprinzip Generell ist das Sollen bei Kant als dasjenige definiert, was die Freiheitswirkungen innerhalb der Naturwelt – verstanden als „Inbegriff aller Erscheinungen“ (materialiter) – instantiiert. Die Freiheitswirkungen folgen, unabhängig davon, dass auch sie in der phänomenalen Welt unter der Herrschaft der Naturgesetze stehen, ihren eigentümlichen Regeln. Mit solchen Regeln wird in Kants Ethik entweder eine gewissermaßen organisierende Rationalität willentlicher Handlungen ausgedrückt, oder auf unsere Indeterminabilität durch die Sinnlichkeit rekurriert. Die Bestimmungen und Formulierungen dieser Regeln machen dann die Imperativtheorie Kants aus (s. Teil I, 4). Es ist eine Grundannahme der praktischen Philosophie Kants, dass aller Normativität die eigene Regelhaftigkeit der Freiheit vorausgeht. Zuweilen hat Kant Freiheit zwar als „an sich gesetzlos“ bezeichnet, damit har er jedoch nicht gemeint, dass die Freiheit weder unter eigenen Gesetzen noch unter Naturgesetzen, also in einem kausalen Vakuum stünde. Denn Kausalität gilt einerseits als ein transzendentaler Verstandesbegriff, ohne den wir überhaupt nicht einmal imstande wären, die Dinge um uns herum zu konzeptualisieren, andererseits steht sie für Kant in einem begriffsanalytischen Verhältnis zur Regelhaftigkeit. Die Gesetzlosigkeit der Freiheit bedeutet für Kant soviel wie eine völlige Unterwerfung unseres Freiheitsvermögens unter die Naturgesetze, was für ihn „das größte Übel“ bzw. „das wahre und absolute Böse“ darstellt.³² Im Grunde genommen ist also für

 „Wenn die Vernunft dem Gesetze nicht unterworfen sein will, das sie sich selbst giebt, sie sich unter das Joch der Gesetze beugen muß, die ihr ein anderer giebt; denn ohne irgend ein Gesetz kann gar nichts, selbst nicht der größte Unsinn sein Spiel lange treiben.“ (WDO VIII 145, 11– 14; vgl. Kants Beispiele in Naturrecht Feyerabend XXVII 1320). Der Gedanke der Destruktivität einer regellosen, unlimitierten Freiheit kommt vor allem in den Reflexionen aus den 1780er

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Kant eine Handlung, die sich nach keinen eigenen Regeln der Freiheit richtet, nicht als eine freie Handlung zu bezeichnen. Erkenntnistheoretisch ist die zuständige Instanz für die Regeln die Vernunft im weiten Sinne, die von Kant als das Gegenteil zur Sinnlichkeit, als das ganze obere Erkenntnisvermögen konzipiert wird (s. KrV A 130/B 169). Mangel an Regel, die „Regellosigkeit“, bedeutet folglich einfach Mangel an Vernunft, „Unvernunft“ (Logik IX 139, 4). Auch in praktischer Hinsicht ist es nach Kant die Vernunft,welche alles Regelhafte unseres zweckorientierten, sinnvoll gewollten Verhaltens konstituiert. Was bedeutet, dass das praktisch Notwendige in jeder willentlichen Handlung allein aus dem vernünftigen Bestandteil des Menschen stammt. Das Sollen ist demnach nichts anderes als eine Bedingung, unter der eine (innere wie äußere) Handlung mit der Vernunft übereinstimmt.³³ Eine Regel aber, die für alle vernunftbegabten Wesen Gültigkeit beansprucht, darf nicht auf eigene Vor- und Nachteile ihrer Adressaten hin ausgerichtet sein. Solche Regeln wären kontingent, d. h. das Nichtsein ihrer Forderung ist jederzeit möglich. Mit der Aufhebung der Privatzwecke, welche durch diese Regeln erreicht werden sollen, wird man eo ipso von diesen Regeln freigesprochen (s. hypothetische Imperative, in Teil I, 4). Solcherart Regeln taugen deshalb zu keiner allumspannenden, konstanten Einheit für das praktisch-normative Verhalten vernunftbegabter Wesen. Um diese Einheit zu erlangen, ist daher ein von allem Zufälligen losgelöster, apriorischer Gesichtspunkt zu suchen, der im Interesse aller vernünftigen Wesen als solchen liegt. Gemäß der Unterscheidung zwischen einem Dijudikationsprinzip und einem Exekutionisprinzip in Kants Ethik müssen also beide Prinzipien a priori und universal sein.³⁴ Wäre das eine oder das andere aposteriorischen und damit nicht streng allgemeinen Charakters, so wäre das Kantische Projekt unvollständig und inkonsistent. Im Folgenden möchte ich daher diese Prinzipien sowie Kants Gedankenstationen zu ihrer Entwicklung idealtypisch separat behandeln, auch wenn sie in seinen Schriften nicht immer deutlich auseinanderzuhalten sind. Das Dijudikationsprinzip: Im Begriff des Gesetzes, gleich ob in Bezug auf die Naturphänomene oder auf die Freiheit, ist für Kant bereits das wesentliche Moment jeder metaphysischen Theoriebildung enthalten: Die Universalität. Daher schlägt sich Kants metaphysisches Projekt im praktischen Bereich in einem System nieder, welches aus den Gesetzen der Freiheit besteht. Die Gesetze der Freiheit

Jahren zur Sprache, s. etwa Refl. 7196 XIX 270; Refl. 7202 XIX 281; Refl. 7210 XIX 286; Refl. 7217 XIX, 288; vgl. dazu etwa Refl. 6802, 167 sowie Refl. 6948 XIX 211 aus den 1770er Jahren; vgl. etwa auch KrV A 569/B 597, sowie die Antithesis der Dritten Antinomie A 447 f./B 475 f.; Religion VI 97.  Vgl. etwa Prol. IV 345; Refl. 7253 XIX 295; zu Vernunft und Sollen s. schon KrV A 547 f./B 576 f.  Vgl. etwa Moral Mrongovius II, XXIX 598, 34 f.

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dokumentieren in Kants Ethik gleichwohl nicht bloß streng allgemeine metaphysische Theoriekomponenten. Sie stehen vielmehr in tiefer und entscheidender Verbindung mit den konkreten Handlungen ihrer Adressaten. Einen Grundaspekt dieser Verbindung erblickt Kant gerade in der kriteriologischen Leistung dieser Gesetze, wonach sie als die ultimative Beurteilungsinstanz für die Richtigkeit des Tun und Lassens vernunftbegabter Wesen auftreten. In diesem Zusammenhang pflegt Kant nicht selten die Freiheitsgesetze generell als Gesetze der Einstimmung der Freiheit mit sich selbst zu beschreiben (s. etwa KrV A 301/B 358; GMS IV 424; RL VI 231); eine Beschreibung, die die dijudikative Leistung dieser Gesetze in nuce zur Sprache bringt. Die Gesetze der Freiheit fungieren nämlich in einer kognitiven Hinsicht als ein Richtmaß, nach dem die konträren Selbstwidersprüche des Gebrauchs der Freiheit erkannt werden können; sie gelten als Prinzipien zur Aufdeckung und Feststellung einer in Wahrheit der Natur unterjochten bzw. einer sich selbst zerstörenden Freiheit. Auf diese Weise erhalten wir zwar zunächst eine allgemeine Orientierung, worum es sich bei dem Kantischen Prinzip der moralischen Beurteilung überhaupt handelt. Die obige Darstellung ist jedoch offensichtlich zu vage, um dieses Prinzip und sein Verfahren zur moralischen Beurteilung ausreichend zu bestimmen. Hierfür müssen Kants systematische Schritte und sein Vorgehen zur Erreichung eines solchen moralischen Richtmaßes erst noch näher expliziert und beleuchtet werden. Das Desiderat einer praktischen, universellen Beurteilungsnorm bedeutet für Kant zugleich die Aufgabe, ein praktisches Vernunftprinzip „in seiner Reinigkeit“ zu gewinnen; allein in der Reinigkeit einer Vernunftnorm zur moralischen Beurteilung von Handlungen erblickt Kant eine sichere Befreiungsmöglichkeit der Moral von „allerlei Verderbnis“ (GMS IV 390, 2– 9; vgl. TL VI 376, 12, 32 f.). Um zu dieser Reinigkeit zu gelangen, bedient sich Kant einer Vorgehensweise, die einem chemischen Trennverfahren gleicht (vgl. etwa KpV V 163, 16 – 19) – gleichsam einer Destillation des Vernünftigen aus dem Empirischen. Um zu einem objektiven, in allen Fällen für alle vernünftigen Wesen gültigen Richtmaß zu gelangen, soll das Variable aus dem Gegenstandsbereich der Beurteilung herausgenommen werden. Dieses Verfahren soll dann aufgrund von Kants Postulat einer vollkommenen Begründung so weit betrieben werden, bis die Vernunft allein „sich selbst als Urheberin“ ihres Prinzips ansieht (GMS IV 448, 17). Wie Kant das zustande bringt, lässt sich in den zwei folgenden zusammenhängenden Etappen explizieren. Zum einen erfolgt dieses Verfahren dadurch, dass der Adressat des gesuchten dijudikativen Prinzips einerseits völlig abgeschottet von der sinnlichen Seite seiner Existenz wird, während andererseits ausschließlich auf die vernünftige Seite seiner Existenz rekurriert wird. Im Fall des Menschen bedeutet das, dass alle anthropologischen Momente als Merkmale eines Sonderfalls vernünftiger Wesen

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abgesondert werden, damit das Prinzip der moralischen Beurteilung in Bezug auf den rein vernünftigen Bestandteil des Menschen mit „Sicherheit“, unvermengt und in seiner „Echtheit“ (GMS IV 390, 9; vgl. TL VI 376, 32 f.), eben unabhängig von „der besonderen Einrichtung der menschlichen Natur oder den zufälligen Umständen“, gewonnen wird (vgl. GMS IV 442, 10 f.). Zum anderen operiert Kant bei diesem Verfahren mit dem Begriffspaar Form und Materie, um das Verhältnis des praktisch Vernünftigen zu dem Sinnlichen zu bestimmen. In Abweichung von der aristotelischen Tradition der Vier-Ursachen-Lehre³⁵ sieht Kant jedoch in Form und Materie keine Ursachengattungen. Form und Materie, deren Differenz nach Kant aus der Natur unserer Vernunft hervorgeht, treten bei ihm ursprünglich als Reflexionsbegriffe („Vergleichungsbegriffe“) auf, d. h. als Begriffe zweiter Stufe, die keine unmittelbare Objektbezogenheit aufweisen, sondern zur Reflexion und Vergleichung der Relationen „schon gegebener Begriffe“ dienen (vgl. KrVA 261 ff./ B 316 ff.; Prol. IV § 39, 326). In dem hier anstehenden Fall sollen sie also auch die Relation der zwei existentiellen Seiten des Menschen widerspiegeln. Während Form an die Stelle eines gleichsam vernünftigen Substratums in jedem sinnlichvernünftigen Wesen tritt,vertritt die Materie den sinnlichen, akzidentiellen Aspekt dieses Wesens. In einem transzendentalen Verständnis³⁶ bedeutet aber die Form für Kant noch mehr als das. Sie ist die Bestimmung schlechthin, die Determination eines Bestimmbaren (determinabile), bzw. „der actus determinandi“ selbst. Die Form gilt deshalb für die gegebenen materiellen Realitäten als einschränkend.³⁷ Das heißt in Kants Ethik wiederum, dass die aus der Vernunft stammende, aktive Form genau das ist, was das sinnliche Materiale zu bestimmen hat, und es dies tut, indem es das Materiale als ein passives (pathologisches) Moment gewissen Restriktionen unterordnet (vgl. etwa TL VI § 2, 417 f.). Eine solche, von allen sinnlichen Sonderheiten des Menschen losgelöste Vernunftform weist Universalität auf und gilt gerade deshalb als ein (praktisch‐) formales Gesetz. Damit tut sich also ein idealtypisches Kriterium der Dijudikation auf, welches Anspruch erhebt auf die Bestimmung bzw. Restriktion seines sinnlichen, materialen Gegenstandes, genauer noch, der subjektiven Handlungsgrundsätze bzw. der Handlungsmaximen seiner Adressaten. Doch wie genau, so stellt sich die Frage, erfolgt diese Bestimmung und wie soll diese Form als ein Beurteilungsprinzip mit den zu beurteilenden, materialen Handlungsgrundsätzen des Menschen verknüpft werden? Kants Antwort fällt

 S. etwa Aristoteles [21999], Metaphysik I, 3. 983 a.  Das heißt, wenn „man von allem Unterschiede dessen, was gegeben wird, und der Art, wie es bestimmt wird, abstrahirt.“ (KrV A 266/B 322)  S. Meta L2 XVIII 575; zu Form und Materie als den grundlegenden Reflexionsbegriffen s. KrV A 266 f./B 322 f.

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verblüffend einfach aus. Das bestimmbare Besondere (die materiellen Handlungsgrundsätze) soll gerade anhand dessen, was hier das Charakteristische dieser Form ausmacht, d. h. ihrer strengen Universalität, auf seine Kompatibilität zu dieser Form hin betrachtet werden: Das Materiale wird universalisiert. Erweist es sich in dieser universalisierten Form als widerspruchslos, so wird es als das mit dem formalen Gesetz Kompatible qualifiziert. Dabei wird allerdings durch die Universalisierung zunächst die bloße „Tauglichkeit“ eines subjektiven Handlungsgrundsatzes zum allgemeinen Gesetz geprüft (MS VI 214, 8; 225, 19 f.). Das bedeutet nämlich noch nicht, dass ein subjektiver, aber universalisierbarer Handlungsgrundsatz selbst ohne weiteres als ein Gesetz für alle vernünftigen Wesen zur Geltung gebracht werden muss, sondern nur, dass er zunächst mit der allgemeingültigen Vernunftform verträglich, dass er erst nur erlaubt ist. Im Zusammenhang mit Kants moralischem Beurteilungsprinzip gilt es an dieser Stelle auf drei Aspekte noch knapp einzugehen. (i) Zwar dienen die anthropologischen Merkmale des mit Vernunft begabten Wesens Mensch auf der Stufe der Fundierung dieses Prinzips als quasi eine negative Kontrastfolie. Für Kant gelten sie jedoch auf der Stufe der Applikation gerade als der Grund dafür, dass sich sein moralisches Beurteilungsprinzip in einen Plural der Pflichte auffächert, entsprechend der Vielzahl möglicher neigungsbestimmter Handlungsmaximen, die dem moralischen Prinzip widersprechen (vgl. etwa KpV V 8). Mit anderen Worten, dieses Prinzip fungiert in Kants Ethik nicht nur als die imperativische Beurteilungsnorm für die moralische Richtigkeit, gerade in seiner dijudikativen Funktion soll es sich auch als ein solches qualifizieren, aus dem Kant in seinem Spätwerk Metaphysik der Sitten seine Theorie der Pflichten entwickelt. Hiermit beschäftigen sich die Teile II und III der vorliegenden Arbeit. An dieser Stelle sei aber bereits angemerkt, dass Kant mit seinem moralischen Beurteilungsprinzip auch einen systeminternen Anspruch auf die Bestimmung seiner Typologie von Pflichten selbst hegt. (ii) Das von Kant aufgestellte Beurteilungsprinzip streicht die stark kognitivistische Dimension seiner Ethik heraus. Dieses Prinzip, insofern es als ein apodiktisch gewisses Vernunftprinzip gilt, weist nicht nur bezüglich der moralischen Beurteilung von Handlungen den höchsten Erkenntnisstatus auf. Es erhält darüber hinaus in der gesamten Prinzipienlehre Kants, gleich ob der theoretischen oder der praktischen, aufgrund seiner strengen Reinheit und seiner geltungstheoretischen Anschauungsunbedürftigkeit noch einen besonderen Rang. Um dies zu verdeutlichen, empfiehlt es sich, auf die Einleitung der Transzendentalen Dialektik der ersten Kritik Bezug zu nehmen, in der Kant eine Art Prinzipientaxonomie entwickelt. Im Abschnitt „Von der Vernunft überhaupt“ der ersten Kritik setzt Kant zwei Klassen von Prinzipien voneinander ab, „komparative“ von denjenigen, die er

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„schlechthin Prinzipien“ nennt (für letztere pflegt er, wenn auch nicht immer durchgängig, das lateinische Wort „Principium“ zu verwenden). Mit dieser Differenzierung setzt Kant voraus, dass es nicht allein die Merkmale wie der Allgemeinheit, der apodiktischen Gewissheit oder gar die assertorische Geltung sind, die alle charakteristischen Momente der Prinzipien der Vernunft (im weiten Sinn als das „Vermögen der Prinzipien“) erschöpfen. Hinzu tritt noch ein genealogisches Moment: der „Ursprung“ des Prinzips und somit unausgesprochen seine Reinheit, die in der Transzendentalphilosophie für eine interne Hierarchie unter den Prinzipienklassen selbst ausschlaggebend ist. Dementsprechend werden die mathematischen Axiome sowie die Verstandesgrundsätze a priori, aber auch jeder allgemeine, assertorische Satz, der als Obersatz eines Vernunftschlusses dienen kann, aufgrund ihrer Anschauungsbedürftigkeit gegenüber einem schlechthinnigen bzw. absoluten Prinzip herabgestuft, welches bloß von der Vernunft im engen Sinn, der reinen Vernunft, stammt und lediglich mit in ihr verankerten Begriffen, wie bspw. der Freiheit, operiert. Bei einem solchen Prinzip höherer Stufe handelt es sich demnach um ein Prinzip, das auch ohne Anschauung „synthetische Erkenntnisse a priori aus Begriffen“ erzeugen kann (s. KrV A 300 f./B 356 ff.). Das Beurteilungsprinzip der Ethik Kants weist sich nun in dieser hierarchischen Struktur als ein Prinzip schlechthin aus, dessen Geltungsbasis, dem noumenalen Begriff der Freiheit, keine Anschauung je entsprechen kann. Es ist ein Prinzip, von dem Kant auch behauptet, dass es unsere „Erkenntnis“, allerdings ausschließlich in praktischer Hinsicht, zu erweitern vermag; ein Prinzip, das den sinnlich bedingten Wesen eine „Anzeige“, eine positive Bestimmung liefert von der nicht anschaubaren noumenalen Seite des Menschen (KpV V 43; s. auch GMS IV 440, 454, 444 f.). (iii) Schließlich verweist Kants moralisches Beurteilungsprinzip auf das genuine Charakteristikum seiner Ethik. Wenn der Gebrauch der Freiheit durch ein formales Gesetz eingeschränkt werden soll, so drängt sich die Frage auf, wie sich die Freiheit einerseits und ihre Unterordnung unter ein einschränkendes Gesetz andererseits miteinander verträglich machen lassen, ohne dass dabei die Freiheit beeinträchtigt wird. Rein argumentationstechnisch bleibt zur Lösung dieser Problematik nur die eine Alternative: Dass die legislative, einschränkende Quelle aus demselben Freiheitssubjekt kommt, das deren Gesetz untergeordnet ist. Nur so kann das Freisein dieses Subjekts trotz seiner Unterwürfigkeit und Restriktion verbürgt werden, dass das befolgte Gesetz selbst von eben diesem Subjekt herrührt: „Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als selbstgesetzgebend“, als „nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen“ angesehen wird (GMS IV 431, 21 f.; 432, 29 f.).

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Zur Bezeichnung dieser praktischen Selbstgesetzlichkeit bedient sich Kant bekanntlich einer Vokabel, die aus dem öffentlichen Recht stammt: die Autonomie, genauer noch: die Autonomie des freien Willens. Kaum ein anderer Begriff bringt die charakteristischen Züge Kantischer Ethik, wie auch seiner Vernunftkonzeption in solcher Prägnanz zum Ausdruck. Indem Kant bei dem Begriff Autonomie (Selbstgesetzgebung), im Gegensatz zu Hetero-nomie (Fremdbestimmung), das Selbst (Autos‐) der Vernunft im engen Sinn, der reinen praktischen Vernunft, zuerkennt (GMS IV 433, 10 f.), pointiert er nicht nur seine Grundannahme der Authentizität und Selbstsuffizienz der reinen praktischen Vernunft, welche kein außer ihr stehendes Anderes, kein Fremdes (Hetero‐), vertritt. Zugleich sieht er damit auch die genuine Tätigkeit dieser Vernunft in ihrem legislativen Modus (‐nomie). Die Autonomie besagt, dass es im Menschen selbst eine Instanz gibt, die nicht darum gesollt sein muss, weil sie „etwas anderes will“ oder etwas Anderes sie will, sondern weil sie für sich als selbstbezogene gesetzgebende Instanz auftritt – „sic volo, sic jubeo“. Damit qualifiziert Kant in der Grundlegung „alle bisherige Bemühungen“, „um das Princip der Sittlichkeit ausfindig zu machen“, als unvermeidbare Fehlschläge ab (GMS IV 432, 25 ff.). Das konzeptionelle Defizit aller vorherigen Ansätze sieht er darin, dass sie nicht imstande waren zu sehen, dass ein verpflichtendes Gesetz (oder der „oberste Grund“ der Moral) eine eigene Gesetzgebung des verpflichteten Subjekts (Menschen) sein muss, die „dennoch“ als „allgemeine Gesetzgebung“ gilt (GMS IV 432, 25 – 30; Hv. R. M.). Deshalb hält Kant alle herkömmlichen Ethikbegründungen für Variationen der Heteronomie, die sich nicht nur für ihre normative Geltung, sondern auch bezüglich der Motivationskraft ihrer moralischen Forderungen notwendigerweise auf vernunftexterne Gründe berufen mussten. Das Exekutionsprinzip: Ein Urteil der Vernunft, das besagt, etwas sei gut – ob als Mittel für etwas Anderes oder an sich –, garantiert noch nicht, dass aus diesem Erkenntnisgrund auch eine Handlung tatsächlich ausgeübt wird.³⁸ Es mangelt dabei noch an einer treibenden Kraft, einem motivierenden Grund oder, wie Kant zu sagen pflegte: einem Bewegungsgrund, den Willen des Handelnden dazu zu bewegen, die als gut beurteilte Handlung auch in die Tat umzusetzen. Kant unterscheidet, im Anschluss an Baumgartens Metaphysica (1739, 41757), unter den bewegenden Ursachen (causae impulsivae) der Handlungen bzw. unter den Triebfedern (Baumgarten: „Triebfedern des Gemüts“) zwischen den sinnlichen Antrieben (stimuli) (Baumgarten: „sinnliche(n) Triebfedern“) und den im

 Der sog. „motivational judgement internalism“ in der Metaethik scheint allerdings unter gewissen Bedingungen genau das Gegenteil zu behaupten. Es würde jedoch zu weit führen, an dieser Stelle genauer auf jene Thesen einzugehen.

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weiten Sinn vernünftigen Bewegungsgründen (motiva).³⁹ Damit treten nämlich die Triebfedern wie ein Oberbegriff entweder als Naturantriebe oder als Bewegungsgründe auf, welche im Unterschied zu den Ersteren wenigstens einen gewissen Rationalitätsgrad aufweisen (s. etwa KpV V 72, 1 f.; MS VI 218 f.; TLVI 398).⁴⁰ In der Grundlegung scheint Kant zwar die „Triebfeder“ allein in Verbindung mit den „subjektive(n) Gründen des Begehrens“ zu sehen (GMS IV 427, 26 – 30), der Terminus gilt aber in späteren Werken eindeutig wieder als ein Oberbegriff sowohl für die bloß sinnlichen Antriebe als auch die Handlungsgründe (s. etwa MS VI 218 f.).⁴¹ Weiterhin, und wiederum im Anschluss an die ihm überlieferte Begrifflichkeit, versteht Kant unter „Kraft“, im Unterscheid zu „Vermögen“ (potentia), das, was über die bloße Möglichkeit einer Handlung noch den zureichenden Grund der Handlung enthält.⁴² Man kann nun sagen, dass eine apriorische Prinzipienethik neben der Begründung ihrer Beurteilungsnorm noch eines weiteren Moments bedarf, eben eines Bewegungsgrundes, der die Kraft hat, alle sinnlich-vernunftbegabten Subjekte unabhängig von den aus ihrem naturtriebhafen Bestandteil wachsenden Anreizen zur Handlungsausführung zu bewegen. Im schroffen Gegensatz zu Humes These, „that reason alone can never be a motive to any action of the will“ (1896 [1739], 413), vertritt also Kant hier die Grundansicht, dass die Vernunft, und zwar die reine Vernunft „für sich allein praktisch“ sei und „zur Bestimmung des Willens für sich allein zulange“ (KpV V 31, 36; s. auch KpV V 15, 16 – 26).⁴³ Damit ist die reine Vernunft in praktischer Hinsicht nicht nur die letzte dijudikative Instanz, vielmehr gilt sie auch als die oberste exekutive Instanz willentlichen Tun und Lassens. Aufgrund der sinnlichen Beschaffenheit des Menschen entwickelt Kant diese motivationstheoretische Ansicht in konsequenterweise fort und weist der reinen praktischen Vernunft auch eine eigentümliche lust- bzw. emotionserzeu-

 S. Baumgartens Metaphysica [41757], XVII § 342 101; XV §§ 669, 677, 46, 49; XV § 690, 51.  Eine solche Verwendungsweise treffen wir z. B. auch bereits in Moralvorlesungen Kants aus den 1770er Jahren an (vgl. etwa Stark (Kaehler) 2004, 28/Moral Collins XXVII 255).  Vgl. auch VATL XXIII 376, 21– 24; 378, 28; vgl. hierzu auch Käubler 1917, 16, 31 ff., 41 ff., 47 f. Was den Terminus „Motiv“ betrifft, so macht Kant davon in seinen Druckschriften nur selten Gebrauch (s. Gemeinspruch VIII 281– 286). Doch der von ihm häufig verwendete Begriff „Bewegungsgrund“ ist nichts anderes als die deutsche Übersetzung von „motivum“; vgl. auch Georges 81913; Klemme 2006, 121.  S. etwa Meta. Volckmann XXVIII 434. In seinen Erläuterungsnotizen zu Baumgartens Metaphysica schreibt Kant: „Handeln heißt: den Zureichenden Grund des accidentis enthalten. Die Möglichkeit der Handlung ist das Vermögen. Der innerlich zureichende Grund der Handlung ist die Kraft“ (Refl. 3586 XVII 74).  „Die Vernunft ist die Kraft, die den Willen bestimmt“ (Moral Mrongovius II, XXIX 615, 5 f.; vgl. bereits Powalski XXVII 201, 29 – 32).

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gende Kapazität zu.⁴⁴ Solcherart Lust, „vor welcher, damit diese geschehe, das Gesetz [der reinen praktischen Vernunft; R. M.] nothwendig vorhergehen muß“, welche also bloß als die „Wirkung“ aus „reinem Vernunftinteresse“ generiert wird, bezeichnet Kant dann als die „moralische“ oder „intellektuelle Lust“. Sie ist eine rein vernunftgeleitete Lust, eine Lust sui generis (VT VIII 395, Fn.; MS VI 212 f., vgl. hier auch „propensio intellectualis“).⁴⁵ Bekanntlich bezeichnet Kant diese Wirkung vom Moralgesetz auf den Willen auch als die „Achtung vor dem moralischen Gesetz“ (s. etwa GMS IV 401 Anm.).⁴⁶ Um der bewegenden Kraft reiner praktischer Vernunft die „metaphysische“ Grundlage sicherzustellen, muss Kant das exekutive Moment seiner Ethik, ähnlich wie das oberste Dijudikationsprinzip, in seiner „Reinigkeit“ gewinnen (vgl. TL VI 376, 33; vgl. GMS IV 390, 9; vgl. KpV V 75, 15 und 92, 28 ff.). Gesucht ist nämlich ein Bestimmungsgrund des Willens, welcher als eine unmittelbare Bestimmung⁴⁷ a priori vor allen zufälligen, subjektiven Bestimmungsgründen und Zwecken bestehen kann; ein motivationales Prinzip, welches „als objectiv in allen Fällen und für alle vernünftige Wesen eben denselben Bestimmungsgrund des Willens enthalten müsste“ (KpV V 25, 23 f.; Hv. R. M.). Kants Gedankenbewegung zur Auffindung und Festsetzung dieses Bestimmungsgrundes lässt sich in zwei idealtypischen Etappen rekonstruieren. Nachdem Kant als ersten Schritt den Willen eines sinnlich-vernünftigen Wesens von aller sinnlichen Materie „sorgfältig“ und „völlig“ „gesäubert“ hat (GMS IV 388 f.), bleibt ihm, aufgrund der transzendentalen Lehre der Reflexionsbegriffe von Form und Materie (s. KrV A 266/B 322), nichts außer der Form, d. h. „nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlung überhaupt übrig“ (GMS IV 402, 4 ff.). Dies macht, wie wir gesehen haben, das Beurteilungsprinzip seiner Ethik aus. Der zweite Schritt ist dann argumentationstaktisch ebenso einfach wie neuartig. Kant macht just dieses allgemeingültige moralische Beurteilungsprinzip zum Inhalt des moralischen Exekutionsprinzips seiner Ethik. Dies bedeutet allerdings nicht etwa eine Reduktion dieser Prinzipien aufeinander oder eine Nivellierung ihrer Unterschiede, weil Kant sie in ihren Funktionen streng auseinanderhält. Das Exekutionsprinzip der Ethik Kants besagt zwar inhaltlich nichts anderes als sein Dijudikationsprinzip, seine eigentümliche Funktion besteht jedoch darin, dass es jenes selbst zum obersten

 Kant selbst hat zwar den Begriff „Emotion“ so gut wie nie verwendet. Doch der Begriff ist, abgesehen von definitorischen Nuancen, der Sache nach in seinen praktischen Schriften und Vorlesungen gegenwärtig; vgl. etwa Newmark 2008, 204– 221.  S. weiter TL VI 378, 8 ff.; Refl. 7320 XIX 316.  Vgl. etwa Naturrecht Feyerabend XXVII 1325 f.; vgl. jedoch etwa Beck 1995, 208 ff.  Das heißt „nicht vermittelst eines dazwischen kommenden Gefühls der Lust und Unlust“ (KpV V 25, 7 f.).

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und unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens macht: „Das moralische […] Gesetz ist, welches sich als selbst und zwar höchste Triebfeder ankündigt“ (Religion VI 26 Anm.). Zu beachten ist hierbei auch, dass, indem das rein formale Prinzip der moralischen Beurteilung selbst als der ultimative Bestimmungsgrund des Willens auftritt, sich nichts Weiteres unterstellen lässt, was jenem Prinzip teleologisch übergeordnet werden und um dessentwillen jenes Prinzip als nur ein Mittel dienen könnte. Das Dijudikationsprinzip Kantischer Ethik ist nämlich bereits von allen vernunftexternen, materiellen Zwecken abgesondert, und indem das Subjekt sich dieses zu seinem obersten und unmittelbaren Bestimmungsgrund macht, setzt es sich nichts Anderes zum Zweck, als eben die Einhaltung einer universal gültigen gesetzlichen Form. Das Exekutionsprinzip der Ethik Kants besteht also zusammengefasst darin, dass die formale Gesetzesfähigkeit der Handlung um deren selbst willen zum Bestimmungsgrund der Handlung gemacht wird – geschieht eine Handlung auf solche Weise, so bezeichnet Kant sie in seiner Terminologie als einen Fall der Moralität, als eine Handlung aus Pflicht bzw. eine Handlung, die aus Achtung vor dem moralischen Gesetz erfolgt. Das Exekutionsprinzip Kantischer Ethik stellt in der Rezeptionsgeschichte für durchaus unterschiedliche Kantkritiker einen gemeinsamen Ausgangspunkt ihrer Einwände dar (s. etwa Hegel [1802], 461 f.; Schiller [1776 – 1799]; Nietzsche [1888, 1894], 175; Scheler 51966 [1913 – 16]; Hartmann 41962 [1926], 110; Foot 2002 [1978], 12 ff.; Williams 1985, ch. 10). Auch aus einer systemimmanenten Sicht wirft dieses Prinzip interpretatorische Fragen auf, die die Einheit und die Kohärenz der gesamten Ethik Kants betreffen. Es gilt nämlich nicht nur das Verhältnis dieses Theoriestücks aus der Grundlegung und der zweiten Kritik zu der späteren Lehre der materialen Pflichtzwecke in der Tugendlehre zu klären (s. Teil. II, Kap. 4). Vielmehr gilt es auch, dessen Bedeutung für den normativen Status des obersten Prinzips der Rechtslehre zu bestimmen, welches nach Kants Definition gerade von der Motivationslage seiner Adressaten abstrahieren muss. In der Verhältnisbestimmung des obersten Rechtsprinzips zu dem Kategorischen Imperativ stellt nämlich nicht so sehr der dijudikative Aspekt (s. Teil III, Kap. 4– 5), als vielmehr das exekutive Moment ein hartnäckiges Problem dar. Während dieses Moment ohne jeglichen nachfolgenden Nutzen oder Zwang von außen Geltung beansprucht und eben deshalb den kategorischen Charakter moralischer Forderungen ausmacht, scheint Kants Gleichsetzung des Rechts mit der Befugnis zum äußeren Zwang (s. etwa RL VI, § D), sowie die Abstraktion des Rechts von aller Gesinnung gerade die Kategorizität des allgemeinen Rechtsprinzips zu untergraben und sein gesamtes moralisches Fundament ins Wanken zu bringen. Auf dieses Thema werde ich später ausführlich zurückkommen (s. Teil II, Kap. 3). Zum Abschluss dieses Kapitels sei auf zwei wichtige Aspekte von Kants moralischem Exekutionsprinzip hingewiesen. (i) Kants Theorie der moralischen

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Motivation spiegelt unmittelbar seine Grundthese zweier Kausalitäten, der Naturund der Freiheitsursache wider. Der moralische Bestimmungsgrund unterscheidet sich nach Kant nicht etwa aufgrund einer Intensitätssteigerung, nicht dem Grad nach von den anderen Motiven oder sinnlichen Antrieben, sondern „der Art nach“ (vgl. TL VI 432 f.). Deckungsgleich zur Freiheitsursache differiert der moralische Bestimmungsgrund von den restlichen Neigungen, die insgesamt den Naturursachen zugeordnet sind (vgl. GMS IV 397). Mit anderen Worten, der motivationale Stellvertreter der noumenalen Freiheitsursache in einem sinnlichen, vernunftbegabten Wesen kann für Kant nur ein genuin moralischer Bestimmungsgrund sein. Das bedeutet auch, dass es sich nach Kant bei der Begründung der Moralität, bei einer idealen moralischen Willensbestimmung (einer Handlung aus Pflicht) um keine Concausae (Mitursachen), keine Koordination (im Unterschied zu einem Verhältnis der Subordination) zwischen dem rein moralischen Bestimmungsgrund und sinnlichen Bestimmungsgründen handelt. Vielmehr soll nur eine einzige letzte Bedingung festgesetzt werden, die zur Hervorbringung einer für alle vernünftigen Wesen gültigen Handlung für sich hinreichend ist; ein Bestimmungsgrund, welcher gleich einer „causa solitaria“ den Willen bestimmt und der seine oberste Stelle bei dieser Willensbestimmung mit keinen anderen sinnlichen oder fremdbestimmten Bestimmungsgründen teilt.⁴⁸ (ii) Während Kant bei der Begründung der Moralität für eine absolute Subordination aller neigungsgeleiteten Triebfedern unter den singulären moralischen Bestimmungsgrund plädiert, betrachtet er den rein moralischen Bestimmungsgrund auf der Ebene der Anwendung nur als eine Idee. In der moralphilosophischen Vorlesung Mrongovius II wird eine „Idea“ als „ein(en) allgemeine(n) Begriff von einem Maximo dessen Gegenstand in concreto nicht kann dargestellt werden“ definiert. So bedeute „eine Practische Idee“ „eine sittliche Vollkommenheit deren Gegenstand niemals in der Erfahrung adaequat kann gegeben werden“. Für die konkrete Realisierung der sittlichen Vollkommenheit, welche für Kant gleichbedeutend mit der Moralität bzw. Handlung aus Pflicht ist, gilt daher sein moralisches Exekutionsprinzip als ein „Gesetz der Approximation“; ganz so, wie „ein Maximum [zu] denken“, um demnach zu prüfen bzw. zu schätzen, „wie weit ich davon entfernt oder wie nahe ich demselben bin“ (XXIX 604 f.; Hv. R. M.).⁴⁹ Kant bringt gerade diese sachliche Differenz zwischen Begründung und Anwendung, Geltung und Realisierung zum Ausdruck, wenn er in der Grundlegung von der „klare(n) Überzeugung“ von Moralität, eben einer Handlung aus dem reinen moralischen Bestimmungsgrund „unabhängig von allen Erscheinungen“ spricht,

 S. Meta.L2 XXVIII 572; vgl. Meta. Dohna XXVIII 648 f.  Zur Definition der Idee s. auch KrV A 327 f./B 383 f.; A 569 f./B 597 f.

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„wenn es auch niemals Handlungen gegeben habe, die aus solchen reinen Quellen entsprungen wären“, „Handlungen, von denen die Welt vielleicht bisher noch gar kein Beispiel gegeben hat“ (GMS IV 407 f.).

3 Das sanfte Joch der Vernunft: Über Nötigung und Zwang Wie bislang dargestellt wurde, gründet Kant die Moralität idealtypisch auf der vernünftigen Seite im menschlichen Willen, als hätte sie die „volle Gewalt“ über sich (GMS IV 400). Doch der menschliche Wille ist gleichzeitig von den Neigungsgegenständen affiziert und sein Begehrungsvermögen von Empfindungen abhängig. Daher besteht in einem sinnlichen und gleichzeitig vernünftigen Wesen eine Ungleichartigkeit von Bestimmungsgründen. Es liegt nämlich ein Wille (in einem weiten Sinne) vor, der faktisch „nicht an sich völlig der Vernunft gemäß“ ist (GMS IV 413, 1). Der menschliche Wille befindet sich „auf einem Scheidewege“, „mitten inne zwischen seinem Princip a priori“ und „seiner Triebfeder a posteriori“ (GMS IV 400, 10 ff.). Aus dieser inneren Divergenz entsteht bei den moralischen Willenshandlungen eine Nichtübereinstimmung zwischen einer anerkannten bzw. anzuerkennenden praktischen Objektivität (dem moralischen Gesetz) und einer zufälligen Subjektivität (vgl. etwa MS VI 214, 10 f.). Diese Nichtübereinstimmung sieht Kant auch als einen praktischen „Widerspruch“ „in unserem eigenen Willen“, welcher darin besteht, „daß ein gewisses Princip objectiv als allgemeines Gesetz nothwendig sei und doch subjectiv nicht allgemein gelten, sondern Ausnahmen verstatten sollte.“ (GMS IV 424, 23 ff.) Um diese Kluft zu überwinden bedarf es deshalb, mit Kant gesprochen, einer Nötigung. Kant unterscheidet zwischen Nötigung (necessitatio) und (praktischer) Notwendigkeit (necessitas)⁵⁰; ein Unterschied, der sich allerdings erst in einem unvollkommenen Willen zeigt. Erst an einen Adressaten mit einem solchen Willen verwandelt sich die Notwendigkeit des moralischen Gesetzes in eine Nötigung zur Befolgung desselben. Nötigung ist demnach für Kant ein „Actus“, wodurch etwas notwendig gemacht wird; sie ist eben eine „Nothwendigmachung“ und manifestiert sich in einem Imperativ. Das moralische Gesetz ist für einen vollkommenen, heiligen Willen, der durch keinerlei sinnliche Neigungen „beeinträchtigt“ ist, zwar ebenso notwendig, verhält sich jedoch zu einem derartigen Willen als bloß de-

 Vgl. z. B. Baumgartens Metaphysica, XVII, Sec. XXI, §§ 723, 724, 136 f.

3 Das sanfte Joch der Vernunft: Über Nötigung und Zwang

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skriptiver Satz; eine Nötigung wäre hier gegenstandslos.⁵¹ Ebenso gewinnt der Begriff „Pflicht“ bei Kant allein in Verbindung mit einem defizitär strukturierten Willen an Sinn – er ist „an sich schon der Begriff von einer Nöthigung“ durch das moralische Gesetz (TL VI 379, 15 f.; vgl. 401, 33 f.).⁵² Kants Konzept eines unvollkommenen, gleichsam innerlich entzweiten Willens weist auf einen wichtigen moralpsychologischen Grundaspekt in seiner Ethik hin. Da der Adressat der moralischen Nötigung gerade ein Wille ist, der dem objektiven Moralgesetz „seiner Natur nach nicht nothwendig folgsam ist“ (GMS IV 413, 7 f.), muss er sich stets mit der Erfüllung seiner Pflicht als einer seinem naturtriebhaften Bestandteil adversativen Tätigkeit abmühen. Zumal die Pflichterfüllung nach Kant prinzipiell keine verlockenden Zielerreichungsfolgen verspricht, die etwa durch eine Akzentuierung der (positiven) Folgen moralischer Handlungsausführung dieser eher zur Erfüllung verhelfen kann. Moralpsychologisch betrachtet erfüllt also der menschliche Wille seine Pflichten „ungern“, er fühlt in sich selbst „ein mächtiges Gegengewicht gegen“ die Ver- bzw. Gebote der Pflichten (GMS IV 405, 5 f.): Die menschlichen Naturantriebe enthalten eben „Hindernisse der Pflichtvollziehung“ (TL VI 380, 7 f., vgl. auch 376 und 477, 5 – 12). Bei dieser eher negativ konnotierten Darstellung der Naturantriebe bzw. pathologischen Seite des Menschen ist auf Zweierlei zu achten: Zum einen erachtet es Kant nicht nur als unerwünscht, sondern sogar als praktisch unmöglich, dass die Menschen ihre konstitutiven Veranlagungen, die Begierden und Neigungen selbst „verhindern“. Kant geht es vielmehr darum, dass die Menschen es verhindern, dass sie den Willen bestimmen (vgl. Moral Mrongovius II, XXIX 604, 16 f.; GMS IV 405, 9 – 12). Es kommt Kant also nicht etwa auf die Blockierung bzw. Eliminierung menschlicher Naturantriebe an, sondern vielmehr darauf, die neigungsgeleiteten Triebfedern in der Bestimmungsstruktur des menschlichen Willens nicht an die erste bzw. oberste Stelle zu setzen. Zum anderen bedeutet zwar der moralpsychologische Aspekt, dass die Menschen ihre Pflichten nur ungern erfüllen, keineswegs, dass die Pflicht immer ein abschreckendes oder drohendes sinnliches Gefühl in ihnen auslösen müsste oder dass sie „natürliche Abneigung im Gemüthe erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen“ (KpV V 86, 24 f.). Dennoch ist zu beachten, dass Kant die Wirkung der Pflicht in einem pathologisch-vernünftigen Wesen „in der ersten Rücksicht“ analogisch mit der „Furcht“ vergleicht (GMS IV

 In einer vorkritischen Reflexion, in seinen Notizen zu der Initia philosophiae practicae primae, schreibt Kant: „Bey einem natürlich guten Willen sind die moralische motive Gründe der Nothwendigkeit, bey zufallig gutem Willen Gründe der Nöthigung“ (Refl. 6991 XIX 221; Hv. R. M.;. vgl. Moral Mrongovius II, XXIX 611, 6 – 10; 605, 31 ff.  „Wie nennt man diese unmittelbar durch die Vernunft dem Menschen auferlegte | Nothwendigkeit, einem Gesetze derselben gemäß zu handeln? […] Sie heißt Pflicht“ (TL VI 481 f.).

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401, Fn.; vgl. KpV V 92, 9 ff.). Der nötigende Charakter der Pflicht in „pathologischer“ Hinsicht bewirkt nach Kant doch eine „Abneigung“ in uns. Die Pflicht ist für die menschliche Natur im Grunde „nicht eine Anlockung, die einladend ist“, sondern eben eine Nötigung (MS VI 219, 8 ff.).⁵³ Dessen ungeachtet bleibt die Pflicht für ein pathologisch bedingtes, vernünftiges Wesen wie den Menschen dennoch von alleine motivierend. Denn aufgrund des Autonomieprinzips ist die moralisch nötigende Instanz Teil dieses Wesens selbst und gerade diese EigenZugehörigkeit neutralisiert Kant zufolge die Rigorosität der auferlegten Pflicht. Um mit Kants Metapher zu sprechen: Die Pflicht wirkt gleichsam wie ein „Joch“, „das gleichwohl, weil es uns [die] Vernunft selbst auferlegt, sanft ist“ (KpV V 85, 2 f.; vgl. Religion VI 180 Fn.). Ein weiterer zentraler Begriff für Kant ist in diesem Zusammenhang der (moralische) Zwang. Kant thematisiert ihn indes in seiner Grundlegung nicht eigens. Auch in der Kritik der praktischen Vernunft kommt er nur am Rande vor (s. etwa V 80). Erst in der Metaphysik der Sitten erhält der Zwangsbegriff eine eigene Betrachtung. Während hier der äußere Zwang aufgrund seiner motivationalen Funktion in der Rechtslehre gebührend behandelt wird (RLVI, §§ D-E, 231 ff.; vgl. TL VI 379, 16 f.), wird aber der Begriff des moralischen, inneren Zwangs, des Selbstzwangs, in der Tugendlehre trotz seiner systematischen Rolle in der Theorie der Tugendpflichten nicht eigens entwickelt (s. etwa TL VI, Ab. IX. 394 f.; 379 ff.). In seinen moralphilosophischen Vorlesungen und Nachlass-Schriften widmet Kant jedoch dem Zwangsbegriff sowie seinem Verhältnis zum Begriff der Nötigung mehr Aufmerksamkeit.⁵⁴ Im Folgenden möchte ich deshalb auf einige Passagen von zwei moralphilosophischen Vorlesungen, den Nachschriften Collins/Kaehler und Mrongovius II, eingehen, in denen Kant aus der Perspektive einer eigenen Position einige wichtige Begriffsdistinktionen zum Thema Zwang und Nötigung einführt. Die Ausführung dieser Distinktionen wird dann für eine adäquate Interpretation seiner Rechtslehre von Bedeutung sein (s. Teil II, Kap. 3). In der moralphilosophischen Vorlesung Collins/Kaehler bestimmt Kant den Adressaten des moralischen Zwangs als ein Wesen, welches die moralisch auferlegte „Handlung ohne Nöthigung nicht tun würde, ja auch noch Gegengründe dawider hätte“ (XXVII 266, 36 f./Stark (Kaehler) 2004, 45, 11 f.; Hv. R. M.).⁵⁵ Der

 „Es kan keine Pflicht zum Genießen geben, folglich keine Pflicht aus dem Princip der Glükseeligkeit.“ (Refl.7263 XIX 297)  S. etwa Moral Collins XXVII 266 f.; Moral Mrongovius II, XXIX 616 f., zum äußeren Zwang insbes. 631; zum Selbstzwang s. auch Vigilantius XXVII 489.  Auch in zwei Reflexionen aus dem Ende der 1770er Jahre, in den Erläuterungen zu §§ 50 – 52 von Baumgartens Initia philosophiae practicae primae, schreibt Kant: „Necessitirt wird der, so nicht in sich ein hinreichend moralisch principium hat; gezwungen: der einen antrieb zum

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Zwang tritt nämlich, im Unterscheid zur Nötigung, erst dort auf, wo das mit Neigungen ausgestattete Wesen nicht nur das, was ihm von seiner eigenen Vernunft auferlegt wird (die Pflicht) ohne Nötigung nicht tun würde, sondern dessen Wille auch Gegenstände bezwecken kann, die motivational der Pflicht entgegenwirken. Man kann damit anhand einer Grundthese, die Kant bereits in seiner Abhandlung Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763) aufgeworfen und bis in die späteren Phasen seines Philosophierens vertreten hat, behaupten, dass der Zwang als eine Spezifizierung des Begriffs von Nötigung erst dort erfolgt, wo es sich um eine „reale Opposition“ zwischen der Pflicht und den Naturantrieben handelt.⁵⁶ Darüber hinaus teilt Kant in Collins/Kaehler den Zwang in einen pathologischen und einen praktischen ein. Unter dem pathologischen Zwang versteht er einen Zwang durch sinnliche Antriebe (per stimulos). In Bezug auf den freien Willen des Menschen hält Kant jedoch diese Art von Zwang streng genommen für widersprüchlich, da die Willensfreiheit gerade in der Nichtbezwingbarkeit durch die Sinnenantriebe besteht: Der Mensch kann daher „nur comparative“ von pathologischen, sinnlichen Antrieben gezwungen werden. Unter dem praktischen Zwang versteht Kant im Gegensatz hierzu den moralischen Zwang; er bezeichnet ihn auch als den objektiven Zwang und stellt ihn damit dem pathologischen Zwang als einem nur subjektiven gegenüber (XXVII 267/Stark (Kaehler) 2004, 45 f.). In seinem zur Abfassungszeit der Grundlegung gehaltenen Moral-Kolleg, Mrongovius II, führt Kant wieder die Spezifizierung des Nötigungsbegriffs durch den Zwangsbegriff aus: Spricht man vom objektiven, eben moralischen Zwang, so „wird erfordert daß nicht nur unser Wille nicht moralisch gut ist, sondern auch daß er Hindernisse“ dagegen habe. Der moralische Zwang setzt also immer ein reales Hindernis in einem unvollkommenen Willen voraus. „Ein Mensch hat oft Neigungen, die dem Moral Gesetz wiederstreiten […] Ein Zwang findet alsdann statt, wenn wir zum Gegentheil einer Handlung eine Neigung haben. Die Nöthigung zu

Gegentheil hat“ (Refl. 6999 XIX 223); „necessitation ist zu einer Handlung, wozu wir von selbst keine triebfedern in uns haben; coaction: wozu triebfedern zum Gegentheil seyn“ (Refl. 7000 XIX 223).  „Entgegensetzung ist zwiefach: entweder logisch durch den Widerspruch, oder real, d. i. ohne Widerspruch. […] Die zweite Opposition, nämlich die reale, ist diejenige: da zwei Prädicate eines Dinges entgegengesetzt sind, aber nicht durch den Satz des Widerspruchs. Es hebt hier auch eins dasjenige auf, was durch das andere gesetzt ist; allein die Folge ist Etwas (cogitabile)“ (NG II 171, 4– 18). Ferner schreibt Kant: „Bei dieser Realentgegensetzung ist folgender Satz als eine Grundregel zu bemerken. Die Realrepugnanz findet nur statt, in so fern zwei Dinge als positive Gründe eins die Folge des andern aufhebt. Es sei Bewegkraft ein positiver Grund: so kann ein realer Widerstreit nur statt finden, in so fern eine andere Bewegkraft mit ihr in Verknüpfung sich gegenseitig die Folge aufheben“ (II 175 f.; Hv. R. M.; s. auch 177 f.).

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einer solchen Handlung, zu deren Gegentheil wir Neigung haben, ist also Zwang“ (XXIX 616, 31– 38). Auch hier wird es deutlich, dass erst dort von Zwang im moralischen Gebrauch geredet wird, wo die sinnlichen Neigungen und Bedürfnisse konkret entgegen der Pflichterfüllung wirken und eine reale adversative Kraft darstellen. Auf diese Weise lässt sich auch erklären, wie Kant aufgrund der realen Opposition zwischen den Neigungskräften und dem noumenalen Freiheitsvermögen, die sich eben in dem moralischen Zwang ausdrückt, eine direkte Steigerungsrelation zwischen dem praktischen Freiheitsgrad und dem moralischen Zwang sieht: „Jemehr ein Mensch eine moralische Handlung als irresistibel betrachtet, je mehr er durch Pflicht dazu gezwungen wird, desto freyer ist er“ (XXIX 617, 14 ff.). Ähnlich wie in Collins/Kaehler verwendet Kant auch in Mrongovius II den Terminus „pathologischer Zwang“. Die Frage: „Kann ich mir wol auch einen pathologischen Zwang beim Menschen denken?“, wird hier ebenso explizit verneint: „Eigentlich wol nicht“. Und radikaler als in Collins/Kaehler heißt es hier, dass man „uneigentlich das einen Zwang [nennt], wenn man durch solche [sinnlichen; R. M.] Antriebe genöthigt wird etwas zu thun oder zu unterlassen“. Der Grund dafür liege wiederum darin, dass unsere noumenale Freiheit als solche pathologisch nicht gezwungen werden kann. Wenn Kant in Mrongovius II den allgemeinen Zwangsbegriff, dann auch den spezifischeren Begriff des moralischen Zwangs, in den inneren und äußeren Zwang einteilt, spricht er aber wieder vom Zwang in einem pathologischen Sinn. Im Unterscheid zu Collins/Kaehler macht er diesmal jedoch deutlich, dass er darunter lediglich einen äußeren Zwang, nämlich einen Zwang versteht, der eine pathologische Wirkung bezüglich des freien Willens des Anderen auslöst. Als Beispiel für diesen bringt er dann einen rechtlichen Fall: Das schuldige Geld aus der „Furcht der Strafe“ dem Gläubiger zurückzuzahlen (XXIX 617). Auch in seiner Metaphysik der Sitten vertritt Kant bekanntlich die Möglichkeit des pathologischen äußeren Zwangs. Mehr noch, in deren Einleitung argumentiert er sogar für die Notwendigkeit dieser Art von Zwang bei den juridischen Gesetzen (MS VI 219, 6 – 11).Wie ist das nun zu verstehen? Wie lässt sich die legitimatorische Möglichkeit eines pathologischen äußeren Zwangs, der auf einen freien Willen einwirkt, erklären? Da ein pathologischer äußerer Zwang nach Kant im Grunde freiheitskonträr ist, bleibt in der Tat für Kant argumentationslogisch nur eine mögliche Antwort auf diese Frage: Er kann ausschließlich bedingt, und zwar als ein dem moralischen Zwang untergeordneter Zwang aufgefasst werden – ein moralhypothetischer Zwang. So kann der pathologisch wirkende, äußere Zwang nur dann legitimatorisch, d. h. als freiheitskompatibel bestehen, wenn er zugunsten eines objektiven, moralischen Zwangs, also zugunsten einer mit dem Moralgesetz überein-

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stimmenden Handlung erfolgt. Man kann daher auch sagen, dass der pathologisch wirkende, äußere Zwang als Mittel eingesetzt bzw. instrumentalisiert wird, damit die erzwungene Handlung des menschlichen Subjekts mit dem Freiheitsgesetz, d. h. dem Moralgesetz konform gemacht wird. Die Grenze dieses Instrumentalisierens liegt aber wiederum in dem moralischen Gesetz selbst: „Den ich moralisch zwingen kan, den kan ich auch pathologisch zwingen, aber nicht weiter“ (Refl. 7246 XIX 293 f.). Fassen wir die obigen Ausführungen zusammen, so ergibt sich, dass dort, wo sich eine reale Entgegenwirkung zur Moral vorfindet, Kant anstatt bloß von Nötigung von moralischem Zwang als eines spezifischen Unterbegriffs der ersteren spricht; dort aber, wo es lediglich um einen äußeren Zwang zu einer bloß moralkonformen (d. i. pflichtgemäßen) Handlung geht, lässt sich nach Kant ein pathologischer Zwang als ein moralhypothetischer Zwang in Anspruch nehmen (s. hierzu ausführlich Teil II, Kap. 3).

4 „Die Vernunft ist ein Gebrauch unseres Willens voller Imperative“: Die Imperativtheorie Kants Es wurde oben dargestellt, dass das Sollen nach Kant allein für einen unvollkommenen Willen an Sinn gewinnt; einen Willen also, welcher sich stets in einem wesenskonstitutiven Spannungszustand des Objektiven der Vernunft und des Subjektiven seiner Neigungen und Bedürfnisse befindet. Im Folgenden möchte ich zunächst zeigen, was genau Kant unter einem praktischen Imperativ als Vehikel des Sollens für einen unvollkommenen Willen versteht. Ich werde dann der Struktur der Imperativtheorie Kants Rechnung tragen und dabei auch zeigen, welche praktischen Vernunftkonzeptionen sich nach Kant hinter den jeweiligen Grundtypen von Imperativen verbergen. In der zweiten Kritik macht Kant deutlich, dass es bei der Bestimmung des Prinzips der Sittlichkeit keineswegs darauf ankommt, ein noch nie erkanntes Prinzip einzuführen und diese „gleichsam zuerst [zu] erfinden“. Ganz im Gegenteil, ihm geht es darum, das Prinzip der Sittlichkeit, welches „der gemeinen Menschenvernunft“ zwar tief vertraut, aber in seiner „allgemeinen Form“ noch nicht „abgesondert“ ist, zunächst auf eine sichere Basis zu stellen und es dann eben in einer „Formel“ zu fassen, die – gleich einer mathematischen Formel – „was zu thun sei, um eine Aufgabe zu befolgen, ganz genau bestimmt und nicht verfehlen lässt“ (KpV V 8 Fn.; vgl. GMS IV 403 f.).⁵⁷

 In der Logik definiert Kant Formeln als „Regeln, deren Ausdruck zum Muster der Nachah-

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Wenn wir mit Kant zugestehen, dass das Maßgebliche im praktischen Bereich „das Verhältnis der Vernunft zum Willen“ ist (KpV V 56 f.), und der menschliche Wille nicht von alleine mit der Vernunft als dem praktisch Notwendigen übereinstimmt, so müssen wir auch einräumen, dass der Mensch erst dann als ein praktisches Subjekt gilt, wenn er sich selbst vernunftgeleitete Forderungen stellt. Diese Forderungen lassen sich in Form von Sollensausdrücken bringen. Und wenn solcherart Sollensausdrücke in einer „Formel“ im Sinne Kants gefasst werden, so heißen sie Imperative: „Jede Formel, die da sagt, dass meine Handlungen der Vernunft nach, nothwendig ist, ist ein Imperativ“. Man kann also prägnanterweise mit Kant sagen: „Die Vernunft ist ein Gebrauch unseres Willens voller Imperative“ (Moral Mrongovius II, XXIX 598, 17 ff., 606, 7 f.; s. auch KrV B 575/A547).⁵⁸ In Kants Imperativtheorie, die er hauptsächlich in dem Zweiten Abschnitt der Grundlegung entwickelt, sind also die Imperative Formeln praktischer Nötigung für einen unvollkommenen Willen. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass alle praktischen Imperative eine Art von vernunftgeleiteter Notwendigkeit zum Ausdruck bringen. Allein durch ihre unterschiedlichen Notwendigkeiten, genauer, ihre jeweilige Nötigungsstufe bzw. Nötigungskraft lassen sie sich voneinander abheben. Im Zweiten Abschnitt der Grundlegung teilt Kant die praktischen Imperative in einem ersten Schritt zunächst ganz formal in zwei Typen ein, indem er sich des Vokabulars traditioneller Aussagenlogik bedient: In die hypothetischen Imperative und in den kategorischen Imperativ (GMS IV 414, 12 f.).⁵⁹ Diese Unterscheidung gewinnt sodann unverzüglich an Inhalt, wenn Kant sie wiederum auf eine weitere Differenzierung bezieht: Die Differenzierung zwischen der fremd- und der selbstreferentiellen, der extrinsischen und der intrinsischen Zwecksetzung. Man nimmt sich nämlich entweder eine „Handlung als Mittel“ vor, um „zu etwas anderem, was man will (oder doch möglich ist, daß man es wolle), zu gelangen“, oder man erfüllt „eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck“, indem man sich diese Handlung als für alle vernünftigen Wesen gültig und damit objektiv notwendig vorstellt (GMS IV 414, 13 – 17; Hv. R. M.).⁶⁰ Diese

mung dient. Sie sind übrigens ungemein nützlich zur Erleichterung bei verwickelten Sätzen und der erleuchtetste Kopf sucht daher dergleichen zu erfinden“ (IX 77).  In der Metaphysik der Sitten heißt es: „Der Imperativ ist eine praktische Regel, wodurch die an sich zufällige Handlung nothwendig gemacht wird“ (MS VI 222, 5 f.; vgl. GMS IV 414, 8 ff.; s. auch Moral Mrongovius II, XXIX 605, 31 ff.).  Entwicklungsgeschichtlich zu dem ursprünglich grammatischen bzw. logischen Terminus „Imperativ“ bei Kant s. Schwaiger 1999, 164– 168.  Eine Definition des Imperativbegriffs im Zusammenhang mit dem Zweckbegriff gibt Kant auch in der Logik an: „Unter Imperativ überhaupt ist jeder Satz zu verstehen, der eine mögliche

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teleologische Differenz lässt sich auch anhand Kants Gebrauch des Begriffs „Absicht“ an dieser Stelle darstellen. Während ein kategorischer Imperativ „ohne Beziehung auf irgend eine Absicht“ objektiv notwendig bleibt (GMS IV 415, 2 f.; Hv. R. M.), besagen die hypothetischen Imperative, „daß die Handlung zu irgend einer möglichen oder wirklichen Absicht“ gut ist (GMS IV 414, 32– 33; Hv. R. M.). Hierbei ist Zweierlei zu beachten: Erstens macht Kant in diesem Passus allem Anschein nach vom Begriff „Absicht“ im Anschluss an die Wolff’sche Tradition Gebrauch. Wolff verwendet das Wort „Absicht“ als Übersetzung für den Terminus „intensio“ und versteht darunter „dasjenige, was wir durch unser Wollen zu erhalten gedenken“.⁶¹ Auch Kant spricht hier eindeutig von „Absicht“ als einem bewusst intendierten Handlungsergebnis oder einem angezielten, der Erwartung entsprechenden Endresultat. Demgegenüber fordert der kategorische Imperativ eine Handlung, welche nicht auf ihre Folgen zielt, es nicht auf kalkulierten Nutzen der Zielerreichung absieht (vgl. GMS IV 399, 35 f.). Zweitens, wenn ein Wille „ohne Beziehung auf irgend eine Absicht“ oder „ohne irgend einen andern Zweck“ handelt, heißt das für Kant nicht, dass diesem Willen deshalb aller Zweck als solcher abgesprochen wird. Ein Wille, dem aller Zweck entzogen ist, ist widersprüchlich. Dass es beim kategorischen Imperativ auf keinen weiteren (externen) Zweck ankommt, bedeutet also nichts anderes als, dass der geforderte Wille einen intrinsischen Zweck haben muss. Genauer genommen erfolgt aber Kants Einteilung der Imperativtypen über ein Zusammenspiel der zwei Zweckbegriffe mit den Kategorien der Modalität (Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit). Dieser zweite Schritt ist dann auch dafür zuständig, dass der hypothetische Imperativtyp selbst wiederum in zwei weitere Imperativklassen zerfällt. Aus diesen Einteilungskriterien ergeben sich nun insgesamt dreierlei Imperativklassen: Eine hypothetische Imperativklasse, die gemäß einer möglichen Absicht bzw. eines beliebigen extrinsischen Zwecks nur problematisch gilt; eine hypothetische Imperativklasse, die nach einer wirklichen Absicht bzw. einem für alle Menschen wirklichen extrinsischen Zweck assertorisch

freie Handlung aussagt, wodurch ein gewisser Zweck wirklich gemacht werden soll“ (Logik IX 86). Eine Unterscheidung der Imperativtypen aufgrund des Zweckbegriffs findet sich bereits in der Preisschrift Kants von 1764: „Nun drückt jedes Sollen eine Nothwendigkeit der Handlung aus und ist einer zwiefachen Bedeutung fähig. Ich soll nämlich entweder etwas thun (als ein Mittel), wenn ich etwas anders (als einen Zweck) will, oder ich soll unmittelbar etwas anders (als einen Zweck) thun und wirklich machen. Das erstere könnte man die Nothwendigkeit der Mittel (necessitatem problematicam), das zweite die Nothwendigkeit der Zwecke (necessitatem legalem) nennen. Die erstere Art der Nothwendigkeit zeigt gar keine Verbindlichkeit an, sondern nur die Vorschrift als die Auflösung in einem Problem, welche Mittel diejenige sind, deren ich mich bedienen müsse, wie ich einen gewissen Zweck erreichen will“ (Über die Deutlichkeit II 298).  Wolff [1751], § 910, 563; vgl. [1754], Teil 1, Kap. 1, § 23 f.

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gilt; und schließlich ein kategorischer Imperativ, der nach seinem notwendigen intrinsischen Zweck für alle vernunftbegabten Wesen apodiktisch gilt – diese drei Imperativklassen werden von Kant auch als der technische, pragmatische und moralische Imperativ bezeichnet (GMS IV 416 f.).⁶² Weiterhin bezeichnet Kant die Imperative der ersten Klasse als die „Imperative der Geschicklichkeit“, denn sie sagen aus, wie „irgend ein“ den Menschen möglicher Zweck erreicht wird. Die einzige Frage, die man sich dabei bezüglich des Zwecks aufstellt, ist: „Was man thun müsse, um ihn zu erreichen“; ob der Zweck selbst rational und in irgendeinem Sinn gut sei, ist völlig gleich.⁶³ Das Normative liegt hier nur darin, wie die „Absicht vollkommen zu bewirken“ sei, nicht darin, was die Absicht oder der Zweck selbst ist (GMS IV 415, 13 – 19). Die Imperative erster Klasse sind demnach die Imperative des bloßen Gelingens, man könnte sie auch Erfolgsimperative nennen.⁶⁴ Bei der zweiten Klasse der hypothetischen Imperative handelt es sich, nach Kants Annahme, um einen singulären, wirklichen und an sich gehaltfreien Zweck aller sinnlich bedingten, vernünftigen Wesen: Die Glückseligkeit. Dieser Zweck und die sich auf ihn stützende Absicht sind nicht so beschaffen, dass diese Wesen sie „etwa bloß haben können“, sondern vielmehr so, dass sie „nach einer Naturnothwendigkeit“, ja sogar „a priori“ ihre Wirklichkeit voraussetzen müssen (s. GMS IV 415, 30 – 37; vgl. KpV V 25 Anm. II). Da bei der zweiten hypothetischen Imperativklasse auf die Wahl der Mittel zur eigenen Glückseligkeit, d. h. auf die notwendigen Handlungen als Mittel zur Erreichung dieser einen Absicht, rekurriert wird, bezeichnet Kant sie auch als „die Vorschrift der Klugheit“ (GMS IV 416, 4).

 In seiner Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft (1789) hat Kant den Terminus problematische Imperative als einen widersprüchlichen Ausdruck zurückgenommen. Diese Imperative hat er darauffolgend als die „technischen“ oder „Imperative der Kunst“ bezeichnet (XX, 200,15 ff.; vgl. Logik IX 109, 16 – 19; vgl. dennoch Vigilantius XXVII, 491, 22– 27, 577, 25 f.; VARL XXIII 246). In der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft wird zudem betont, dass der Terminus „technischer Imperativ“ auch für die pragmatischen Imperative, die „Regeln der Klugheit“, als Oberbegriff betrachtet werden soll (XX 200, 19 – 22; so spricht Kant bereits auch in KpV V 25 f. von Prinzipien der Geschicklichkeit als dem Oberbegriff, dem die pragmatischen Imperative untergeordnet sind; vgl. MS VI 222).  Dies erinnert im Prinzip auch an Kants logische Definition der hypothetischen Urteile. In hypothetischen Urteilen „ist nur die Consequenz assertorisch. In den letztern kann ich daher zwei falsche Urtheile mit einander verknüpfen, denn es kommt hier nur auf die Richtigkeit der Verknüpfung“ (Logik IX 105, 29 ff.; Hv. R. M.).  Kants eigenes Beispiel von der Indifferenz dieser Imperativklasse gegenüber dem Zweckgehalt geforderter Handlungen ist die Äquivalenz der Handlung eines Arztes mit der eines Giftmischers in ihren gelungenen Handlungsvorschriften (GMS IV 415).

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Die hypothetischen Imperative sind also insgesamt nur mittelorientierte Ausdrücke zweckrationaler Nötigung. Sie sagen nichts Normatives darüber aus, ob der angesprochene Adressat diesen oder jenen möglichen Zweckgehalt tatsächlich annehmen, oder was die Glückseligkeit, die die Menschen ohnehin aus ihrer Natur heraus verfolgen, inhaltlich bedeutet soll. Sie machen eine Handlung nur als Medium zu etwas notwendig, was außer ihr selbst liegt. Würden die Absicht oder der zu erreichende Zweck geändert bzw. aufgegeben, so ist auch die Geltung der geforderten Handlungen zu revidieren bzw. zu annullieren. Die Geltung hypothetischer Imperative ist also immer anhängig von den subjektiv gesetzten Zwecken und ihre Nötigungskraft kann deshalb nur in einem nexus utilitatis an Sinn gewinnen. Ihre Aufgabe besteht darin, möglichen oder wirklichen Nutzen hervorzubringen; sie sind entweder da, um irgendeine mögliche Absicht „vollkommen zu bewirken“ (GMS IV 415, 18 f.) oder dafür zuständig, dass die „uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke“, deren Inbegriff die Glückseligkeit ist, erreicht werden.⁶⁵ Auf der einen Seite lassen die Imperative der Geschicklichkeit, die Erfolgsimperative offen, was wir begehren, was wir uns als Zweck setzen. Auf der andern Seite nehmen die Imperative der Klugheit zwar a priori an – wie Kant es behauptet –, dass die Menschen naturnotwendig etwas begehren, was für sie alle gültig ist. Doch da sie den konkreten Inhalt dieser Annahme unbestimmt bleiben lassen, kann dieser ausschließlich a posteriori gegeben und nur subjektabhängig durch Erfahrung festgesetzt werden (vgl. etwa GMS IV 418). Dies weist wiederum auf zwei Punkte bei Imperativen der Klugheit hin: Dass die Glückseligkeit in objektiver Hinsicht ein bloß gehaltloser, invarianter „Titel“ ist – der (extensiv, intensiv und protensiv) höchste Grad der Befriedigung aller unserer Neigungen –, und dass bei den Klugheitsimperativen, wie es bereits in der ersten Kritik heißt, eine zweistufige Abhängigkeit von der Empirie besteht. (i) Es muss nicht nur „vermittelst der Erfahrung“ bestimmt werden, „welche Neigungen dasind“, die unter dem „Titel“ Glückseligkeit „befriedigt werden wollen“, sondern auch, (ii) welche kontextbehafteten, situativen Möglichkeiten und Optionen „ihre Befriedigung bewirken können.“ (A 806/B 834) Von den beiden hypothetischen Imperativklassen behauptet Kant, sie seien in dem, „was das Wollen betrifft“ (GMS IV 417, 10 f.), analytisch-praktische Sätze (IV 417, 419): „Wer den Zweck will, will (so fern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mittel, das in seiner Gewalt ist“ (GMS IV 417, 8 ff.; Hv. R. M.).⁶⁶ Die Behauptung der Analytizität  S. KrV A 800/B 828. Hier bezeichnet Kant den Gebrauch der Vernunft in den hypothetischen Imperativen als einen „regulativen Gebrauch“.  Eine Formulierung des hypothetischen Imperativtyps geben Schönecker/Wood folgendermaßen: „Wenn x für z notwendiges Mittel ist, du x tun kannst und du z willst, dann tue x!“

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der hypothetischen Imperative und die Rolle der so genannten Rationalitätsklausel (der kursiv gesetzte Satz) in dieser Behauptung, haben in der Literatur eine facettenreiche Diskussion ausgelöst.⁶⁷ Kants These folgt ursprünglich auf seine systematische Frage: Wie ist die Nötigungskraft dieser Imperative möglich? Wie lässt sich überhaupt die „Nötigung des Willens“ denken, welche in den hypothetischen Imperativen zum Ausdruck kommt (GMS IV 417, 3 – 6)? Das Problem der Kantischen These ergibt sich in groben Zügen daraus, dass einerseits ein Imperativ, wie oben gezeigt, generell als eine praktische Verknüpfung zwischen zwei Dingen konzipiert wird, die in einer Beziehung der Diskrepanz bzw. Verstimmtheit zueinander stehen: also ein Sollen, gegen das sich Widerstand regt. Andererseits gilt aber auch, dass, wer einen Zweck tatsächlich und handlungseffektiv will, auch die dazu erforderlichen Mittel wollen würde, d. h. keinen Widerstand dagegen zeigt; in dem Akt der wirklichen Zwecksetzung sollte nämlich bereits die Akzeptanz der dazu erforderlichen Mittel mitgedacht sein. So drängt sich also die Frage auf: Inwiefern handelt es sich hierbei um einen Imperativ, wenn eigentlich keine Nötigung mehr erforderlich ist? Die Antwort liegt nun gerade in der so genannten Rationalitätsklausel des obigen Zitats bzw. in dem Konjunktiv, der in dem obigen Satz hervorgehoben wurde (wollen würde). Die Nötigungskraft der hypothetischen Imperative entspringt nämlich aus der Kontingenz der Rationalität in einem sinnlich affizierten, vernünftigen Wesen. Ein derartiges Wesen verhält sich nicht immer zwingend rational. Es wurde oben erwähnt, dass die praktischen Imperative allesamt Vernunftforderungen ausdrücken. Deshalb ist es zur näheren Erklärung des Unterschieds von kategorischem Imperativ und hypothetischen Imperativen an dieser Stelle angebracht, auch die Vernunftkonzeption ans Licht zu bringen, die sich jeweils hinter diesen Imperativtypen verbirgt. Hierzu bietet sich zuerst eine kurze Passage in den Vorarbeiten zur Tugendlehre an, in der Kant zwei Grundkonzeptionen praktischer Vernunft eindeutig voneinander abhebt und das Wesentliche der beiden in aller Prägnanz auf den Punkt bringt. Dort bezeichnet Kant die praktische Vernunft in „manche(n)“ ihrer Zweckausrichtungen einmal als „causa instrumentalis“; die praktische Vernunft lässt sich hier von vernunftfremden Zwecken leiten, die aus der sinnlichen Natur stammen. Zugleich vermag aber die praktische Vernunft in der Bestimmung des Willens auch als „causa originaria“ zu

(2002, 168). An einer anderen Stelle heißt es auch: „Wenn also (i) zwischen dem Zweck p und dem Mittel q ein Verhältnis der Art besteht, daß nur die Ergreifung von q die Realisation von p ermöglicht, (ii) man q ergreifen kann und (iii) man p will, so soll man q ergreifen“ (Schönecker/ Wood 2002, 111). Dagegen bestreitet etwa Ludwig eine allgemeine Formel der hypothetischen Imperative (1999, 107).  S. etwa Korsgaard 1997, 234– 251; Schönecker/Wood 2002, 115 ff.; Pollok 2007, 62– 66, 75.

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wirken; die Vernunft handelt nach Zwecken, die aus ihr selbst stammen und in ihr selbst verankert sind. Wenn nun das der Fall ist, so nennt Kant die Vernunft die reine praktische Vernunft. Die „cau[s]alitas originaria der Vernunft“ besteht hierbei darin, dass die Universalisierbarkeit eines subjektiven Verhaltensgrundsatzes des handelnden Subjekts selbst als der oberste und unmittelbare Bestimmungsgrund seines Willens fungiert, und zwar so, dass dieser Bestimmungsgrund für sich allein hinreichend und durch keine sinnlichen Triebfedern zu überwiegen ist (vgl. oben, Kap. 2.2: das Exekutionsprinzip).⁶⁸ Auch die erstere praktische Vernunftkonzeption kennen wir bereits aus der Grundlegung und der zweiten Kritik, so wenn Kant von einer bloß administrativen praktischen Vernunft im Interesse menschlicher Neigungen spricht (etwa GMS IV 441, 17 f.) oder von einer neigungsgesteuerten praktischen Vernunft, die nur „das Interesse der Neigungen unter dem sinnlichen Princip der Glückseligkeit“ verwaltet (KpV V 120, 33 f.). Ähnlich unterscheidet Kant in seiner Vorlesung über Metaphysik aus dem Jahr 1783 (Nachschrift Mrongovius) deutlich zwischen zwei Arten vernunftgeleiteter Handlungen. Dort heißt es, dass der praktischen Vernunft entweder Handlungen entspringen, die als Handlungen „simpliciter talis“ anzusehen sind oder solche, die als Handlungen „secundum qui“ betrachtet werden müssen.⁶⁹ Den Ersteren liegt eben die reine praktische Vernunft, die Vernunft als causa originaria zugrunde: „Wenn die Vernunft das, was wirklich gut ist, ausmacht, oder die Zwecke angiebt, so besorgt sie ihr Intereße und ist Domina“. Die letzteren Handlungen entsprechen hingegen der praktischen Vernunft als causa instrumentalis: „Erfindet sie [sc. die praktische Vernunft] bloß ein gutes Mittel zum besten des Zweks, der aus Neigung entspringt, so besorgt sie bloß das Intereße der Neigung und ist die Serua“, „da regiert die Neigung, bestimmt den Zwek, und Vernunft ist der Sclave, der die Mittel herbei schaffen muß“ (XXIX 899, 901). Es liegen demnach bei Kant zwei Konzeptionen von praktischer Vernunft vor, die sich aufgrund des Ursprungs und des Inhaltes ihres Zweckes, somit der Relation zu ihrer jeweiligen motivationalen Basis voneinander unterscheiden. Es liegen einerseits eine der sinnlichen Natur dienende Vernunft, eine empirischpraktische Vernunft, andererseits eine reine praktische Vernunft vor, die allein sich selbst und den ihr selbst entstammenden Zwecken gehorcht.⁷⁰ Man kann diese zwei Konzeptionen in Anlehnung an Rawls als das Rationale („rational“)

 VATL XXIII 383, 3 – 10.  Vgl. Baumgarten [41757], XVII § 28, 32.  Vgl. Refl. 7242 XIX: 293. 3 f.; Meta. Mrongovius XXIX, 613.

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und das Vernünftige („reasonable“) bezeichnen, auch wenn sie seiner Ansicht nach nicht so zweckorientiert gefasst werden, wie es bei Kant der Fall ist.⁷¹ Nach diesen Ausführungen ist zu ersehen, dass sich auch die „Ungleichheit der Nöthigung des Willens“ in den zwei Imperativtypen (GMS IV 416, 16) im Grunde aus diesen zwei grundverschiedenen Stufen der praktischen Vernunft, aus ihrer (Zweck)-Rationalität und aus ihrer Vernünftigkeit, ergeben. Die Willensnötigung nach der Ersteren zerfällt selbst, wie oben erwähnt, aufgrund des modalen Status rational zu erreichender Zwecke wiederum in die technische und die prudentielle (pragmatische) Rationalität. Im Unterschied dazu bedeutet die Vernünftigkeit dann eben moralische Vernünftigkeit und deren Willensnötigung entspricht dem kategorischen Imperativ. Dabei reserviert Kant die strengen Begriffe „Gesetz“ und „Verbindlichkeit“ (obligatio) sowie den Begriff „Gebot“ (im engen Sinn) allein für den moralischen bzw. kategorischen Imperativ. Die Nötigungskraft der anderen Imperativklassen wird dagegen durch die Bezeichnungen „Regeln der Geschicklichkeit“ und „Rathschläge der Klugheit“ oder zusammengenommen als bloße „Vorschriften“ herabgestuft (GMS IV 417, 19 und 420, 3 ff.).⁷² Aufgrund der zweckorientierten Betrachtung der Imperativeinteilungen sowie der Darstellung der Vernunftkonzeptionen, die den praktischen Imperativen zugrunde liegen, lässt sich auch konstatieren, dass ein Charakteristikum des kategorischen Imperativs in seiner rein vernünftigen, motivationalen Selbstsuffizienz liegt. Eine genuin moralische Handlung liegt nach Kant nur dort vor, wo die Vorstellung des moralischen Gesetzes bzw. die Vorstellung der Pflicht selbst den obersten und unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens ausmacht (Handlung aus Pflicht). Es ist deshalb das Privileg der reinen praktischen Vernunft, der Vernunft als causa originaria, dass sie sich von einer Vorstellung bestimmen lässt, welche aus ihr selbst stammt. Gerade dadurch zeichnet sich auch die höchste Nötigungskraft des moralischen Vernunftimperativs aus. Jedes praktische Prinzip, das als ein „pflichtgebietender Satz“ auftritt, d. h. gewisse Pflichten fordert, welcher Klasse sie auch angehören (zur Einteilung der Pflichten s. Teil II, Kap. 4.3), verweist daher darauf, dass ihm die Konzeption der reinen praktischen Vernunft

 Rawls Konzeption des Rationalen und des Vernünftigen weicht in einigen Punkten von dem Kantischen dualen Konzept praktischer Vernunft ab. Für diese Unterschiede braucht sich das vorliegende Kapitel nicht zu interessieren (s. Rawls 1989, 87 f., ausführlicher 1996, 48 – 54, vor allem Fn. 1, 48 f. und 3, 51).  Die pragmatischen Imperative der Klugheit werden im Gegensatz zu dem absoluten Gebot des Kategorischen Imperativs auch „eher für Anrathungen (consilia)“ erachtet (GMS IV 418, 31). In der ersten Kritik hieß es noch, dass die pragmatischen Imperative „pragmatische Gesetze“ seien. Im Unterschied zu ihnen werden die moralischen als „reine Gesetze“ oder „reine praktische Gesetze“ ausgezeichnet (A 800/B 828; Hv. R. M.).

5 Die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs

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zugrunde liegt. Die Möglichkeit der Befolgung eines Prinzips „aus Pflicht“ als dem obersten und unmittelbaren motivierenden Grund gibt nämlich zugleich zu erkennen, dass die praktische Vernunft, die sich in diesem Prinzip birgt, eine causa originaria ist (s. weiter unten Kap. 6). Die Alternative von hypothetischen Imperativen und kategorischem Imperativ besagt, dass die Identifizierung des hypothetischen Charakters eines praktischen Prinzips zugleich den Ausschluss seiner kategorischen Geltung bedeutet und umgekehrt. Kants Einteilung der Imperativtypen beansprucht nämlich, wenn auch nicht explizit, Vollständigkeit für alles zweckhafte (willentliche) Tun und Lassen menschlicher Subjekte. Die modale Dreiteilung der Imperative (problematisch, assertorisch und apodiktisch) samt der nach Kant reflexionsbegrifflichen apriorischen Dichotomie der intrinsischen und extrinsischen Zwecke sprechen für eine formal vollständige Deckungsfähigkeit Kantischer Imperativklassen mit der ganzen praktisch-normativen Handlungssphäre des Menschen – selbst wenn man die Existenz von so etwas wie apodiktischen Imperativen und absolut intrinsischen Zwecken in Zweifel ziehen würde. Kants innovative Lehre der praktischen Imperative kann allerdings als durchaus erweiterungs-, ja modifikationsfähig betrachtet werden.⁷³ Eine offene Frage, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann, betrifft beispielsweise das interne Verhältnis der Imperativtypen zueinander.⁷⁴

5 Die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs Für den Kategorischen Imperativ hat Kant vor allem in seiner Grundlegung verschiedene Formeln angegeben. Die Vielzahl der Formeln hat jedoch in der Literatur gerade für Irritationen gesorgt. Die Fragen, die sich vor allem bezüglich des Verhältnisses dieser Formeln zueinander aufdrängen, sind allerdings typisch für eine derart in sich geschlossene Konstellation: Die Frage nach der Art und Weise der Interdependenz ihrer Elemente und die nach der Zentralität dieses oder jenes Elements innerhalb eines solchen Gefüges. Genau mit diesen Fragen beschäftigt sich auch die Kantliteratur schon seit geraumer Zeit (s. z. B. Paton 1947, dt. 1962). Für manche Studien ist es beinahe zu einer besonderen Faszination geworden, die unterschiedlichen Formeln des Kategorischen Imperativs, ja teilweise sogar die verschiedenen Formulierungen des Kantischen Moralprinzips durchzuzählen, zu nummerieren und noch dazu ein Verzeichnis von ihnen zu erstellen (s. hierzu etwa  Vgl. etwa Habermas’ Differenzierung zwischen dem pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft, 1991.  Vgl. etwa Korsgaard 1997, 250: „hypothetical Imperatives cannot exist without categorical ones“; kritisch dazu etwa Steigleder 2002, 54– 58.

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Geismann 2002). Die Schwierigkeit einer Verhältnisbestimmung der Formeln spitzt sich auch deshalb zu, weil sich diese in einem eng umgrenzten Textteil, dem Zweiten Abschnitt der Grundlegung, befinden, der sich jedoch als ein komplexes Gewebe von Argumenten und Wechselverweisen dieser Formeln aufeinander herausstellt. Im Folgenden werde ich mich auf einige systematische Probleme, und zwar ohne Anspruch auf Vollständigkeit, beschränken, die sich bei jedem Versuch zur Bestimmung des Verhältnisses der Formeln des Kategorischen Imperativs zueinander ergeben können. Dabei wird ein neues Verhältnismodell bezüglich der Formeln des Kategorischen Imperativs aus dem Zweiten Abschnitt der Grundlegung vorgeschlagen. Zudem werde ich die Gründe darlegen, weshalb sich die vorliegende Arbeit auf die so genannte Universalisierungsformel, die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs konzentriert. Zunächst sei einigen Missverständnissen vorgebeugt, die insbesondere aus grammatischen, vor allem aber (imperativ‐)logischen Fehldeutungen bezüglich der Varianten des Kategorischen Imperativs entstehen können. Als Erstes ist zu beachten, dass sich der normative Gehalt eines kategorisch geltenden, mithin unbedingt gebietenden Satzes nicht auf feste grammatische, sprachliche Formen reduzieren lässt.⁷⁵ Die Imperativlogik⁷⁶ zeigt uns, dass die (moralischen) Aufforderungen nicht immer eindeutig in Imperativsätzen im grammatischen Sinn ausgedrückt werden müssen. Auch Indikativ- und Interrogativsätze weisen die Fähigkeit auf, Aufforderungen auszudrücken, was allerdings aus der Sicht der Logik der Imperative als eine Schwierigkeit für die Bestimmung ihres Gegenstandes angesehen wird. In Kants ethischen Texten finden wir dementsprechend an verschiedenen Stellen etwa auch interrogative Formulierungen des Kategorischen Imperativs (s. etwa GMS IV 403, 21 f.; KpV V 69, 21 ff.). Was aber eine indikativische Ausdrucksform des Kategorischen Imperativs oder des moralischen Prinzips anbetrifft, so muss man auf Zweierlei achten: Erstens mindert die grammatikalisch indikativische Ausdrucksweise des Kategorischen Imperativs ebenso wenig seine Forderungskraft wie eine interrogative Formulierung. Zweitens, wenn Kant von einem praktischen Prinzip spricht, etwa dem Autonomieprinzip oder dem allgemeinen Rechtsprinzip, so ist es nicht nur keine Überraschung, dass das Prinzip als solches, d. h. als das, „was den Grund von etwas enthält“,⁷⁷ durch Indikativsätze ausgedrückt wird. Vielmehr ist die indikativische Form gerade der adäquate Modus zur Formulierung der Prinzipien, ob der theo-

 S. hierzu bereits Patzig 1966; vgl. auch Horn/Mieth/Scarano 2007, 206 ff., 211.  Für einen Überblick über die Imperativlogik (logic of commands) s. etwa Gethmann 1984.  Meta L2 XXVIII 571, 4 f.

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retischen oder der praktischen. Jeder Versuch die kategorische Forderungsart eines praktischen Prinzips mit Rekurs auf seine bloß sprachlich imperativische Formulierung zu untermauern, beruht deshalb auf einem Missverständnis (vgl. etwa Schröder 2008, 695). Einem moralischen Prinzip, das indikativisch ausgedrückt wird, fehlt zwar zunächst ein ausgesprochenes exekutives Moment (etwa „handle … so“), welches wir bei den direkten Aufforderungen durch Imperativsätze finden. Das Entscheidende für das normative Moment praktischer Sätze hängt aber nach Kant nicht von einem grammatischen Satztyp, sondern vielmehr davon ab, an welche Subjekte, genauer: Adressaten die praktischen Sätze gerichtet sind. Sprechen die praktischen Sätze ein nur partiell vernünftiges Wesen an, so verwandeln sie sich in ein Sollen, dessen imperativisches Moment eher auf einer Semantik beruht, die erst aus Kants Zweistandpunktelehre, also aus der Verbindung eines noumenalen und eines phänomenalen Diskursuniversums hervorgeht. Die Feststellung der Imperativität eines praktischen Satzes ist daher nicht ein grammatikalisches Geschäft. Der Terminus „Imperativ“ stammt zwar ursprünglich aus der Grammatik. Kant borgt sich aber in seiner Philosophie diverse Termini aus anderen Disziplinen (etwa hypothetisch und kategorisch aus der Urteilslehre), die dann losgelöst von ihrem Ursprung in der Kritischen Philosophie als angeeignete Begriffe eine teilweise andere Verwendung finden. Wenn er also von Imperativen spricht, so stellt er sie nicht mehr in ihren ursprünglichen Zusammenhang mit den Indikativ- bzw. Konjunktivsätzen. Vielmehr verleiht er ihnen eine neue Geltungsdimension, eine praktisch-normative, die mit dem Freiheitsvermögen der partiell vernünftigen Wesen verbunden ist. Bekanntlich gibt Kant in der Grundlegung fünf verschiedene Formeln des Kategorischen Imperativs an, auch wenn selbst diese Anzahl nicht vollkommen unumstritten ist: Die allgemeine Formel, die Naturgesetz-Formel, die sog. Selbstzweck-Formel, die Autonomie-Formel und schließlich die Reich-der-Zwecke-Formel. Ein Problem bezüglich der Formeln liegt nun gerade in der Rechtfertigung deren Pluralität. Dies lässt sich aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Dabei könnte man sein Augenmerk anstatt auf interne systematische Gründe auch auf mögliche externe Einflüsse richten, z. B. wenn man, wie manche Kantinterpreten, Garves Übersetzung und Kommentierungen von Ciceros De officiis (Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten, 1783) dafür verantwortlich macht, dass Kant verschiedene Formeln des Kategorischen Imperativs entwickelt.⁷⁸ Was die systematische Perspektive betrifft,

 S. zu diesem Thema Kühn, 2001; Reich [1935]; vgl. Melches Gibert 1994; auch Schink 1913; so sieht Freudiger sogar einen großen Teil des Zweiten Abschnitts der Grundlegung als einen „Einschub“, als eine „Antwort“ auf Garves Übersetzung und Kommentare (Freudiger 1993, 25 ff.).

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so mag man den Grund der Vielzahl von Formeln etwa darin erblicken, dass Kant hierdurch das Potenzial des Kategorischen Imperativs anreichern wollte, um Ableitungen für die Vielzahl der Pflichten zu ermöglichen.⁷⁹ Überdies könnte man auch den Grund für die Vielzahl von Formeln darin sehen, dass sie verschiedene Prüfverfahren anbieten, um die moralische Qualität der Handlungsmaximen zu beurteilen (vgl. GMS IV 429 f.). Dies lässt sich wiederum mit Äußerungen Kants verbinden und aus der Anwendungsperspektive den Grund für den Plural der Formeln in der „Popularität“, also darin zu sehen, dass die verschiedenen Formeln, wie es schon in der Vorrede der Grundlegung heißt, gerade Hilfe leisten sollen für eine „geschärfte Urteilskraft“, um „Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen“ (GMS IV 389, 32 f.).⁸⁰ So gesehen lässt sich also der Plural der Formeln mit einer Veranschaulichungsleistung rechtfertigen.⁸¹ Neben diesen Rechtfertigungsoptionen kann indes eine weitere, intern-systematische Möglichkeit bestehen. Sie kann nämlich in einer begründungsstrategischen Überlegung liegen, auch wenn Kant diese nicht explizit anspricht. In der Grundlegung gibt es eine Fülle von fein differenzierten Grundbegriffen, die dort in einem vielfältigen und vielschichtigen Wechselverweis zu einander stehen: Allgemeine Gesetzmäßigkeit; Selbstzweckhaftigkeit der vernünftigen Natur; Selbstgesetzgebung und nicht zuletzt das Reich, d. i. die systematische Verbindung, vernünftiger Wesen in einer intelligiblen Ordnung. Gerade diese Grundbegriffe bilden aber jeweils den Kern der Formeln des Kategorischen Imperativs und heben die eine Formel von der anderen ab. An der Irreduzibilität dieser Begriffe aufeinander lässt sich andererseits nicht zweifeln, und zwar aus elementaren Gründen. Im Fall der Selbstzweckhaftigkeit der vernünftigen Natur und der Selbstgesetzgebung (Autonomie) handelt es sich z. B. um zwei unterschiedliche Arten der Kausalverbindung, welche nicht substitutiv behandelt werden können.

 Vgl. hierzu etwa die Stellen aus GMS IV 421, 9 f. Vgl. z. B. die Tugendlehre, wo aufgrund der Relevanz des Zweckbegriffs für die Klasse der Tugendpflichten das Hauptgewicht teilweise auf die Selbstzweck-Formel verlagert wird, s. etwa TL VI 395.  „Um eine Idee der Vernunft der Anschauung (nach einer gewissen Analogie) und dadurch dem Gefühl näher zu bringen“ (GMS IV 436, 12 f.).  Korsgaard z. B. vertritt eine andere Rechtfertigungsstrategie. Nach ihr verhält es sich so, dass die drei Formeln der Universalisierung, der Selbstzweckhaftigkeit und des Reichs der Zwecke „represent a progression in the argument that leades from ‚popular moral philosophy’ into ‚the metaphysics of morals’“ (1986, 183). Damit bringt Korsgaard die drei Formeln des Kategorischen Imperativs in eine organische Verbindung mit der methodischen und inhaltlichen Struktur der ganzen Grundlegung selbst; zu der Methode sowie den „Übergängen“ der Ersten und Zweiten Abschnitte der Grundlegung s. etwa Bittner 32000, 14– 21; Schönecker 1997; Schönecker/Wood 2002, 13 – 20; Horn/Mieth/Scarano 2007, 163 ff.

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Während der Begriff der Autonomie sich auf den „nexus effectivus“ bezieht, gründet sich der Begriff der Selbstzweckhaftigkeit der vernünftigen Natur auf den „nexus finalis“. Wenn also etwa dem Begriff der Autonomie gegenüber dem der Selbstzweckhaftigkeit ein grundlegenderer Status zugesprochen wird (wie etwa bei Schönecker/Wood: „Ein vernünftiges Wesen könnte Zweck an sich selbst sein, weil es autonom handeln kann“, 2002, 142; Hv. R. M.),⁸² so übersieht man ihre begründungstheoretische Wechselseitigkeit: Man kann nämlich ebenso gut dafür argumentieren, dass ein vernünftiges Wesen gerade deshalb autonom sein kann, weil es ein Zweck an sich selbst ist.⁸³ Ferner fällt die Formel des Reichs der Zwecke in eine andere von Kants Verstandeskategorien, die Kategorie der Totalität, die wir bei den anderen Formeln nicht ausfindig machen können.⁸⁴ Man kann deshalb die Formel des Reichs der Zwecke weder aus der Autonomie- noch aus der Selbstzweck-Formel nach einem simplen syllogistischen Verständnis ableiten, auch wenn sie auf die letztere Formel aufgebaut wird (s. etwa KrV B 110 f.; Prol. IV 325 Anm.; vgl. auch Teil IV, Kap. 1).⁸⁵ Aus diesen Überlegungen lässt sich für ein polyzentrisches Begründungsmodell des Kategorischen Imperativs, vor allem in dem Zweiten Abschnitt der Grundlegung, plädieren, in dem jede Formel gleichsam als ein selbstständiges, normatives und zugleich motivationales Zentrum komplementär zu den anderen Formeln fungiert. Die Formeln befinden sich dann in einer ständigen wechselseitigen Referenz und machen somit ein Gesamtnetz aus. Erkennt man dieses Modell an, so ist zu sehen, dass es Kant dadurch gelingt, zumindest einigen, der Sache nach grundlegenden Kategorien ethischer Überlegungen, gleichzeitig Rechnung zu tragen. So würde im Zweiten Abschnitt der Grundlegung ein netzförmiges Modell zur Begründung des Kategorischen Imperativs vorliegen, welches neben seinem legislatorischen Grundkonzept (die allgemeine Formel, die Autonomie-Formel) noch einen teleologischen bzw. werttheoretischen (die Selbst-

 S. etwa auch Martin 2006; zu erwähnen ist allerdings, dass einige Äußerungen Kants eine solche Lesart nahe legen, s. etwa Naturrecht Feyerabend XXVII 1322.  Für diese Version s. etwa Korsgaard 1998, 62, auch 64.  In der GMS IV 436, 23 – 29 tritt die Formel des Reichs der Zwecke – wohlgemerkt: nicht die Autonomie-Formel, welche schon in GMS IV 431, 14 als „das dritte praktische“ Prinzip bezeichnet wird – an die dritte Stelle einer Tabelle, die nach dem dreiteiligen „Fortgang“ der Quantitätskategorie geordnet ist.  Kants Äußerung, dass das Reich der Zwecke ein „anhängende(r)“ Begriff zur Autonomie sei (IV 433, 15), hat etwa Paton (1962, 152) dazu gebracht, ihm einen sekundären, subsidiären Stellenwert zu geben. Dass das Reich der Zwecke, und nicht die Autonomie, in GMS IV 436 als die dritte Formel auftaucht, hat aber etwa bei Ebbinghaus die Konsequenz nach sich gezogen, dass die Autonomie nicht einmal „in ein Verzeichnis von Formel“ gehöre, s. hierzu Geismann 2002, 382.

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zweck-Formel) und einen kollektiven Aspekt (die Formel des Reichs der Zwecke) besitzt, und das schließlich durch seine Naturgesetz-Formel (IV 421, 18 f.) sogar für eine, allerdings rekonstruktionsbedürftige umweltethische Dimension geltend gemacht werden kann.⁸⁶ Aufgrund der vorgeschlagenen, gleichrangigen Zentralität der Formeln können aus der Anwendungsperspektive heraus die verschiedenen Prüfverfahren für die Handlungsmaximen auch von der Seite des Adressaten der Kantischen Ethik neu betrachtet werden. Jeder menschliche Akteur würde, ohne dass er ex ante einer besonderen Formel des Kategorischen Imperativs eine Sonderstellung zuerkennen kann, zunächst darauf sehen, welche von diesen Formeln oder welche Kombination von Formeln bei ihm aus subjektiv bedingten Gründen, etwa vor dem jeweiligen psychologischen, biografischen oder kulturellen Hintergrund usw., überzeugungskräftiger und motivationsfähiger wirken kann. Dies lässt sich auch mit Kants eigenen Worten besser vereinbaren, dass „so viele Formeln eben desselben Gesetzes“ ausdrücken, „um eine Idee der Vernunft der Anschauung […] und dadurch dem Gefühle näher zu bringen“ (GMS IV 436, 9, 12 f.). Erkennt man nun diese Lesart an, so lässt sich keine der vier genuin moralischen Formeln des Kategorischen Imperativs, nämlich der allgemeinen Formel, der Selbstzweck-Formel, der Autonomie-Formel und der Formel des Reichs der Zwecke, die allerdings auf die Selbstzweck-Formel beruht, gegenüber einer anderen marginalisieren. Vielmehr ist dann eine gewisse Korrektheit in der Kantliteratur zu fordern,wonach keine der obigen Formeln als Sub-Formel, Unter-Formel o. ä., bezeichnet werden darf. In dieser Arbeit, in der es um das Verhältnis von Rechts- und Moralprinzip Kants geht, entscheide ich mich jedoch aus hauptsächlich drei eher technischen Gründen für die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs, die so genannte Universalisierungsformel, wobei nach der obigen Lesart kein Anspruch auf sachliche Priorität dieser Wahl erhoben wird: (i). Die Similarität der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs zu dem allgemeinen Rechtsprinzip und Rechtsgesetz aus § C der Einleitung in die Rechtslehre; (ii) Die Häufigkeit, mit der die allgemeine Formel in den moralphilosophischen und vornehmlich in den für diese Arbeit maßgeblichen Texten Kants vorkommt und (iii) Ipsissima verba des Autors: Kants eigene Empfehlung der allgemeinen Formel in der Grundlegung.

 Zwar führt Kant die Pflichten gegen nicht-menschliche Wesen (z. B. gegen die (sinnliche) Natur oder die Tiere) auf die Selbstpflichten zurück (TL VI 442 f.). Zudem behandelt er die sinnliche Natur als ein der Freiheit Entgegengesetztes. Doch er räumt immerhin einen Platz für die Umwelt- und Tierethik ein, der auf der Grundlage der Naturgesetz-Formel als erweiterungsfähig angesehen werden kann.

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Ad (i) Die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs lautet in der Grundlegung: „Handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetz machen kann“ (GMS IV 436 f.) In der Metaphysik der Sitten lautet sie ähnlich: „Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann“ (MS VI 225, 7 f.). Auf der anderen Seite formuliert Kant gleich am Anfang des § C seiner Rechtslehre das allgemeine Rechtsprinzip folgendermaßen: „Eine jede Handlung ist recht,⁸⁷ die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ (RL VI 230, 29 ff.; Hv. R. M.) Auf dieses Prinzip folgt dann in § C das allgemeine Rechtsgesetz: „Handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“ (RL VI 231, 10 ff.), welches aus folgenden Gründen als eine ImperativFormel anzusehen ist: Es drückt ein Freiheitsgesetz aus und es ist unanfechtbar imperativförmig ausgedrückt; außerdem beinhaltet es den exekutiven Aufforderungsteil „Handle“ (vgl. oben). Führen wir nun in die Formel des allgemeinen Rechtsgesetzes die Alternative „oder nach deren Maxime“ ein, die im allgemeinen Rechtsprinzip formuliert wurde, so könnte das allgemeine Rechtsgesetz etwa so lauten: Handle äußerlich oder nach einer Maxime äußerlich so, dass der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne. Wenn man die adverbiale Komponente „äußerlich“ in dieser Formel einmal ausklammert und die Formel allgemeiner, d. h. ohne Spezifizierung für die äußeren Handlungen ausdrückt, so würde sie also lauten: Handle nach einer Maxime so, dass der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne. Diese Formel sagt dann soviel wie: F: Handle so, dass die Maxime des freien Gebrauchs deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne. ⁸⁸ Wenn wir jetzt die Formel F mit der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs vergleichen, welche auch mit einem adverbialen „so“ formuliert ist,⁸⁹

 Sowohl nach der Akademie Ausgabe wie auch nach der Neuedition Ludwigs (1986, 39) wird in dem Satzteil „Eine jede Handlung ist recht“ das Wort „recht“ als Attribut verwendet.  Vgl. Kants Formel in seinen Vorarbeiten zur Rechtslehre bezüglich des Rechts und im Gegensatz zum Prinzip der Tugendlehre: „Handle nach der Maxime der Übereinstimmung deiner Freyheit mit der von jedermann nach allgemeinem Gesetze“ (XXIII 257, 22 ff.; Hv. R. M.).  Beginnend mit der adverbialen Aufforderung „handle so“ formuliert Kant in der Grundlegung sowohl die Naturgesetz-Formel (GMS IV 421, 18 ff.) wie auch die Selbstzweck-Formel (GMS IV 429, 10 ff.). Auch die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs im Zweiten Abschnitt

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nämlich: „Handle so, daß die Maxime deiner Handlung ein allgemeines Gesetz werden könne“ (TL IV 389, 2 f.; Hv. R. M.), so ergeben sich daraus dreierlei strukturelle Ähnlichkeiten: In beiden Formeln gilt das allgemeine Gesetz der Freiheit als ein kriterieller Angelpunkt; in beiden Formeln spielen die Maximen eine Schlüsselrolle zur moralischen Beurteilung bzw. Dijudikation der Handlungen und bei beiden Formeln geht es um eine Kompatibilität der nur subjektiv gültigen Maximen mit einem allgemeinen Freiheitsgesetz. Was die dijudikative Rolle der Maximen für das allgemeine Rechtsprinzip bzw. die abgeänderte Formel des allgemeinen Rechtsgesetzes, die oben mit dem Satzteil „oder nach deren Maxime“ (VI 23, 29) konstruiert wurde, betrifft, so bedarf es allerdings weiterer Erläuterungen, auf die ich in Teil III ausführlich zurückkomme. Ad (ii) Die Anzahl der Formulierungen der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs übertrifft nicht allein in der Grundlegung die der anderen Formeln.⁹⁰ Auch in dem Gesamtwerk Kants kann dies belegt werden. Wichtiger ist aber für diese Arbeit, dass die allgemeine Formel gerade in jenem präliminaren Teil der Einleitung in die Metaphysik der Sitten in Anspruch genommen wird, den Kant als „Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten“ betitelt; Vorbegriffe, welche den beiden Teilen der Metaphysik der Sitten, der Rechts- und der Tugendlehre, zugrunde liegen (s. MS VI 221– 228; Hv. R. M.).⁹¹ Ad (iii) Mit diesem nur ergänzenden Grund rekurriere ich auf Kants eigene Empfehlung zur Verwendung der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs. Es sei hier vor allem auf die bekannte Stelle der Grundlegung hingewiesen, an der Kant nicht nur auf die Singularität des Kategorischen Imperativs hindeutet,⁹² sondern auch diesen einzigen Imperativ gleich durch die allgemeine Formel zum Ausdruck bringt: „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen

der Grundlegung lautet einmal: „Handle so, als ob deine Maxime zugleich zum allgemeinen Gesetze (aller vernünftigen Wesen) dienen sollte“ (GMS IV 438, 21 ff.; vgl. KpV V 30, 38 f.).  Eine erste Formulierung des Kategorischen Imperativs, die der allgemeinen Formel zuzuordnen ist, findet sich in der GMS IV 402, 7 ff.; eine zweite, interrogativ ausgedrückte, taucht dann in GMS IV 403, 21 f. auf.  Zur allgemeinen Formel in den „Vorbegriffe(n) der Metaphysik der Sitten“ s. MS VI 225; zur allgemeinen Formel als „der oberste Grundsatz der Sittenlehre“ s. MS VI 226 (s. weiter auch TL VI 389; Frieden VIII 377; Verkündigung VIII 420). Auch in den Nachlassschriften, etwa in den Vorarbeiten zur Rechts- und Tugendlehre, taucht die allgemeine Formel häufiger als die anderen auf, s. etwa VARL XXIII 257, 388; VATL XXIII 398.  S. hierzu Schönecker/Wood 2002, 162.

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kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“ (GMS IV 421, 6 ff.).⁹³ Dem oben vorgeschlagenen polyzentrischen Modell zufolge wird allerdings die Frage, ob man dieser Identifizierung einen allzu großen Wert beimessen soll, aus der Begründungsperspektive verneint. Doch hier kommt es darauf an, dass Kant es auf der Anwendungsebene eindeutig für vorteilhafter hält („Man thut aber besser“), „in der sittlichen Beurtheilung immer […] die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs zum Grunde“ zu legen (s. GMS IV 436, 29 ff.; Hv. R. M.). Und da in dieser Arbeit ein direkter Vergleich zwischen Kategorischem Imperativ und allgemeinem Rechtsprinzip bzw. Rechtsgesetz unter dem dijudikativen Gesichtspunkt gezogen wird (Teil III), ist es sinnvoll, die allgemeine Formel in den Mittelpunkt der weiteren Rekonstruktionen zu stellen.

6 Die Kategorizität des Kategorischen Imperativs Dem Ausdruck „kategorischer Imperativ“ selbst ist zu entnehmen, dass sich das Attribut „kategorisch“ auf eine Forderung, auf einen Modus des Ver- bzw. Gebietens bezieht. Kategorisch soll nach Kant die höchste praktische Nötigungsstufe eines moralischen Ver- bzw. Gebotes mitteilen. Die Frage nach der Kategorizität kann sich aber leicht zu der Frage nach dem Legitimationsbeweis einer absoluten (moralischen) Normativität entwickeln, zu der Frage etwa: Wie kann ein unbedingt geltender Imperativ möglich sein? Sie würde dann mit der Frage nach der praktischen Deduktion des Moralgesetzes bei Kant zusammenfallen und damit thematisch außerhalb des Zielbereichs der vorliegenden Studie liegen. Gleichwohl lässt sich die Kategorizität, ohne dabei die Deduktionsproblematik zu berühren, auf zwei andere Weisen in Betracht ziehen. Zum einen aus einer begriffstheoretischen Sicht, wenn man die Frage stellt, wie sich die Kategorizität zu dem Modalbegriff „Notwendigkeit“ verhält und man infolgedessen versucht, den Begriff der Kategorizität durch rein begriffliche Distinktionen näher zu beleuchten. Zum Anderen lässt sich nach den Kriterien fragen, welche bei Kant die Kategorizität eines praktischen Satzes ausmachen, d. h. wodurch wir überhaupt feststellen können, dass dieser praktische Satz kategorisch und jener nicht kategorisch ist. Das vorliegende Kapitel ist gerade auf diese zwei Fragen eingeschränkt. Ich werde zunächst im ersten Abschnitt durch einige Begriffsdistinktionen verdeutlichen, von welcher Art Notwendigkeit die Kategorizität handelt. In einem zweiten Ab-

 Vgl. GMS IV 421, 9 f., 432, 18 – 22; dazu auch GMS IV 423, 37, 424, 1, 425, 17. Zu einer der allgemeinen Formel zuzuordnenden Formulierung, die als „das alleinige Gesetz“ der Moral bezeichnet wird, s. GMS IV 444, 31 f.

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schnitt möchte ich dann kurz darstellen, wodurch wir einen praktischen Satz bzw. ein praktisches Prinzip mit Sicherheit als kategorisch bezeichnen können; dies wird dann im zweiten Teil der Arbeit ausführlicher diskutiert (s. Kap. 3.2). Kategorizität und die Stufen der Notwendigkeit. Die Kategorizität eines praktischen Satzes ist durch ihren Bezug auf den „Imperativ“ mit dem Begriff der Nötigung verbunden; sie besagt die absolute praktische Notwendigkeit für einen unvollkommenen Willen. Der Begriff der Notwendigkeit gehört wiederum ursprünglich der Kategorienklasse der Modalität an. Rein begrifflich ist also die Kategorizität eines praktischen Satzes unter der Kategorienklasse der Modalität und unter der Verstandeskategorie Notwendigkeit, im Gegensatz zu ihrem Korrelat der Zufälligkeit, zu betrachten (s. KrV A 80/B 106). In einem ersten Schritt zerfällt der Begriff der Notwendigkeit bei Kant in zwei Anwendungsbereiche, in die theoretische und in die praktische Notwendigkeit. Die theoretische Notwendigkeit erfährt wiederum in der Transzendentalen Analytik der ersten Kritik aufgrund der mathematischen und dynamischen Anwendung der Verstandeskategorien eine weitere Unterteilung. Den Anschauungsformen a priori schreibt Kant eine spezifische Art der Notwendigkeit zu, welche in der dynamischen Anwendung der Kategorien nicht anzutreffen ist. Kant argumentiert dafür, dass, da der dynamische Gebrauch der Kategorien stets von dem „Dasein der Objekte einer möglichen empirischen Anschauung“ abhängig bleibt, es nur „die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs“ verdienen als „unbedingt notwendig, d. i. apodiktisch“ charakterisiert zu werden. Die Grundsätze „des dynamischen Gebrauchs“ werden als solche „zwar auch den Charakter einer Notwendigkeit a priori“ aufweisen „aber nur unter der Bedingung des empirischen Denkens in einer Erfahrung, mithin nur mittelbar und indirekt“ (KrV A 160 f./B 199 f.; Hv. R. M.). Hier scheint also bei der theoretischen Anwendung des Begriffs der Notwendigkeit sich eine weitere Begriffsspezifizierung aufzutun: Die theoretische Notwendigkeit scheint nämlich in eine unbedingte und in eine mittelbare bzw. bedingte, welche Kant auch eine hypothetische Notwendigkeit nennt, zu zerfallen.⁹⁴ Würde das nun heißen, dass die mathematische Notwendigkeit eine schlechthin unbedingte, eben absolute Notwendigkeit ist? Ein Blick in die Vorlesungen Kants über Metaphysik aus der kritischen Phase lässt diese Frage nicht bestätigen. Volckmanns Nachschrift von Kants Vorlesung über Metaphysik aus dem Jahr 1784/85 bietet uns dabei eine aufschlussreiche Behandlung des theoretischen  So notiert Kant in einer vorkritischen Reflexion: „Die Nothwendigkeit wird am besten Eingetheilt in die bedingte und unbedingte. Jene wiederum in die innerlich oder äußerlich bedingte. Denn hypotheticum ist nicht dem interno, sondern dem categorico entgegen gesetzt“ (Refl. 4768 XVII 722).

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Begriffs von Notwendigkeit an. Hier nennt Kant die bedingte bzw. hypothetische Notwendigkeit auch „die Notwendigkeit secundum qui“ (XXVIII 417). Gemeint ist damit eben eine Notwendigkeit, die immer von einem weiteren Grund abhängt. In einer weiteren Charakterisierung des Begriffs der Notwendigkeit spricht Kant zudem von der „Real Notwendigkeit“, einer Notwendigkeit „der Existenz der Dinge“ (XXVIII 418, 26). Anders als eine Realnotwendigkeit „secundum qui“, welche von der Erfahrung als einem weiteren Grund bedingt ist, würde sich nach Kant die Realnotwendigkeit einer Erkenntnis a priori des Daseins eines Dinges verhalten. Diese letztere bezeichnet er dann im Gegensatz zu „secundum qui“ als „simpliciter“. So sagt Kant, dass, wenn wir „simpliciter a priori das Daseyn eines Dinges“ erkennen würden, „so ists absolute Nothwendigkeit“; was zugleich auch deutlich macht, dass eine der Bedingungen, dass er das Attribut „absolut“ verwendet, darin besteht, dass es sich dabei um eine Realnotwendigkeit handelt. Doch Kant fügt für den theoretischen Bereich gleich hinzu: „Schlechthin a priori kann das Daseyn eines Dinges gar nicht erkant werden“ (XXVIII 417, 11 f., 15 f.; Hv. R. M.); „völlig a priori läßt sich das Daseyn also gar nicht erkennen, und ein absolut nothwendiges wäre doch etwas das völlig a priori sollte erkant werden“ (XXVIII 417, 25 ff.). Und gerade deshalb spricht er hier auch den mathematischen Grundsätzen die Absolutheit ihrer Notwendigkeit ab (XXVIII 418, 32 f.), weil sie zwar die Bedingung der Apriorität erfüllen, jedoch nicht das Dasein bzw. die Existenz der Dinge betreffen. Bezug nehmend auf Wolff, der „aus der Mathematic“ doch ein Beispiel der absoluten Notwendigkeit geben wollte, z. B. mit dem Verweis darauf, dass die Summe der zwei Seiten eines Dreiecks größer sei als die dritte Seite, sagt Kant: „Das ist aber nicht eine absolute Nothwendigkeit im Daseyn, sondern eine Verknüpfung meiner Erkenntniß und ist nur eine Verknüpfung,wenn ich das eine auf das andere setze“ (s. XXVIII 418, 29 – 35). Es handele sich hierbei also nur um eine notwendige Verknüpfung unserer Erkenntnis, und diese sage nichts über die Existenz eines Dinges. Demnach bestreitet Kant auch eine „logische absolute Nothwendigkeit im Urtheil“. Denn auch hier gehe es nicht um eine Realnotwendigkeit. Eine logische Notwendigkeit ist „allemahl eine hypothetische Nothwendigkeit in den Prädikaten des Urtheils“ (XXVIII 418, 35 ff.). Sie trete nämlich stets in Bezug auf ein Prädikat auf, dem doch jederzeit die Hypothese eines Subjekts vorausgesetzt sein muss (s. XXVIII 418 f.). Eine bloß logische Notwendigkeit beweist nicht das wirkliche Dasein, kann deshalb auch keine reale Notwendigkeit, umso weniger eine absolute sein. Hier wird wieder deutlich, dass Kant eine absolute Notwendigkeit allein mit einer Realnotwendigkeit in Verbindung bringt (s. auch KrV A 594/B 622). Man mag nun bezweifeln, ob Kants Aussagen über die Notwendigkeit mathematischer Grundsätze in dieser Vorlesung mit seiner Behauptung aus der ersten Kritik, dass „die Grundsätze des mathematischen Gebrauchs unbedingt

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notwendig“ sind, in Übereinstimmung stehen. Doch auch an der fraglichen Stelle der ersten Kritik macht Kant zugleich klar, dass „die Bedingungen a priori der Anschauung […] in Ansehung einer möglichen Erfahrung durchaus notwendig“ sind (A 160/B 199; Hv. R. M.). Es ist deshalb ersichtlich, dass die mathematischen Grundsätze bzw. Axiome trotz ihrer Apodiktizität anschauungsbedürftig bleiben. Die Anschauungsbedürftigkeit betrifft also jede Art von theoretischer Notwendigkeit, ob im mathematischen oder im dynamischen Gebrauch. Und für Kant ist gerade sie der Grund, warum die theoretische Notwendigkeit keine absolute, keine schlechthinnige („simpliciter“) Notwendigkeit sein kann (vgl. A 301/B 358; A 227 f./B 280). Eine theoretische, im strengen Sinn absolute Notwendigkeit, worunter Kant eine schlechthin apriorische Realnotwendigkeit versteht, ist also aufgrund der konstitutiven Anschauungsbedürftigkeit dieser Erkenntnisart auszuschließen. Der Begriff der Notwendigkeit gewinnt aber auch im praktischen Gebrauch an Sinn. Hier ist es für Kant die Unterscheidung zwischen der (sinnlichen) Natur und der Freiheit, die für die Bestimmung der Stufen der praktischen Notwendigkeit den Ausschlag gibt. Die Neigungen und sinnlichen Antriebe sind jedenfalls nicht als schlechthin notwendig zu charakterisieren, weil sie sich und die aus ihnen erwachsenden Handlungen je nach der Verschiedenheit der Subjekte sowie der Rahmenbedingungen (ver)ändern. Wiederum in einer Vorlesung, dieses Mal über Moralphilosophie, der Nachschrift Collins/Kaehler, finden wir detaillierte Ausführungen über den Begriff der praktischen Notwendigkeit und deren Einteilungen, wie wir sie in den Druckschriften Kants nicht antreffen. Bevor aber die einschlägigen Stellen dieser Nachschrift/en herangezogen werden, sei noch einmal daran erinnert, dass in der Ethik Kants die Menschen als Wesen konzipiert werden, die nicht automatisch den zweckrationalen Vorschriften und dem objektiven Moralgesetz folgen. Daher verwandelt sich auch der Begriff der Notwendigkeit (necessitas) im praktischen Gebrauch in den Begriff der Nötigung (necessitatio) bzw. er lässt sich mit diesem austauschen. Nun spricht Kant in den genannten Moral-Vorlesungen explizit von einer „kategorischen Notwendigkeit“ und setzt sie von einer hypothetischen Notwendigkeit ab; das heißt, Kant verwendet für die Notwendigkeit im praktischen Bereich das Attribut „kategorisch“ gleichbedeutend mit „absolut“. Zudem führt er eine weitere Unterscheidung zwischen dem praktisch Notwendigen und dem pathologisch Notwendigen ein. Das erste erfolgt „nach Gesetzen der Freiheit“, das pathologische „nach Gesetzen der Sinnlichkeit“, es sei „aus der Erfahrung geschöpft“ und daher auch hypothetisch.⁹⁵ Während die „praktische

 In der Nachschrift Keahler (1777) spricht Kant von einer praktischen Notwendigkeit „nach

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Neceßitation“, also Nötigung, einen objektiven Charakter aufweist, besitzt die pathologische Nötigung nur subjektiven Charakter (s. XXVII 254 f.; Stark (Kaehler) 2004, 28 und 30). Die praktische Nötigung wird hierauf wiederum entsprechend den drei Imperativklassen aus der Grundlegung in „Necessitatio problematica“, „pragmatica“ und „moralis“ eingeteilt (XXVII 255 f.).⁹⁶ Dabei ist es ausschließlich die letzte Art der Nötigung, die moralische, welche Kant als die Verbindlichkeit (Obligation) qualifiziert. Und gerade diese Art der Nötigung ist es, die Kant schließlich mit einer im strengen Sinn unbedingten, d. h. absoluten bzw. kategorischen Notwendigkeit identifiziert. Die absolute Notwendigkeit, ursprünglich ein evaluativer Modalbegriff, verwandelt sich also im praktischen Gebrauch in eine Obligation (necessitatio moralis). Weshalb aber erkennt Kant ausgerechnet der moralischen Obligation die höchste Stufe des Begriffs der Notwendigkeit zu? Dies liegt wiederum in dem Grund für die Weigerung Kants, dem theoretischen Begriff der Notwendigkeit die Absolutheit zu erteilen: der Anschauungsbedürftigkeit. Im praktischen Bereich gilt hingegen, dass das Bewusstsein moralischer Verpflichtung als einer Realnotwendigkeit gerade von jeglichen apriorischen und aposteriorischen Anschauungen frei ist. Deutlich wird dies in der zweiten Kritik, in jenem apodiktischen Moment des Faktums der Vernunft, jenes unhintergehbaren Bewusstseins von moralischen Forderungen, welches „auf keiner, weder reinen noch empirischen, Anschauung gegründet ist“ (KpV V 31, 28). Es ist also dieses apriorische Bewusstsein von dem Dasein einer noumenalen, d. h. übersinnlichen Seite im menschlichen Wesen, welches Kategorizität bzw. eine absolute Notwendigkeit begründet. Diese höchste Stufe der Normativität kann man nicht in einer rein begrifflichen, in einer bloß auf die Modalitätskategorien gerichteten Analyse nachvollziehen. Kants Tafel der so genannten Kategorien der Freiheit in der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft hat aber für manche Interpreten doch den Anlass geben, gerade dies zu tun (KpV V 66). Parallel zu der Kategorientafel der ersten Kritik stellt Kant dort eine Tafel der Elementarbegriffe der praktischen Vernunft auf, die er mit „Tafel der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und Bösen“ überschreibt (s. hierzu auch Teil IV, Kap. 1). Die praktischen Kategorien der Modalität in dieser Tafel lauten dann: 1. „Das Erlaubte und Unerlaubte“, 2. „Die Pflicht und das Pflichtwidrige“ und 3. „Vollkommene und un-

Gesetzen der freien Willkühr“, und der pathologischen Notwendigkeit „nach Gesetzen der sinnlichen Neigung“ (s. Stark (Kaehler) 2004, 27, 29 f.).  Diese Dreiteilung führt Kant auch anhand des Begriffs „Bonitas“ aus (ebd./Stark (Kaehler) 2004, 28); vgl. auch Meta. L1 XXVIII 257 f.

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Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants

vollkommene Pflicht“ (V 66).⁹⁷ Diese sollen den theoretischen Modalkategorien: 1. „Möglichkeit und Unmöglichkeit“, 2. „Dasein und Nichtsein“ und 3. „Notwendigkeit und Zufälligkeit“ entsprechen. Zur „Ordnung“ seiner praktischen Elementarbegriffe bemerkt Kant sodann, „daß diese Kategorien [d. h. die gesamten Freiheitskategorien] nur die praktische Vernunft überhaupt angehen und so in ihrer Ordnung von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich bedingten zu denen, die, sinnlich unbedingt, blos durchs moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen“ (V 66, 12– 16; Hv. R. M.). Weil also die in dieser Tafel aufgestellten praktischen Elementarbegriffe „nur die praktische Vernunft überhaupt“ betreffen, nicht jedoch ausschließlich die reine praktische Vernunft, spricht Kant von einem „Übergang“ von der praktischen Vernunft zu der reinen praktischen Vernunft, zu den reinen praktischen Gesetzen der Sittlichkeit. Kants Äußerungen erwecken damit den Anschein, als würde er eine innere Dynamik in dieser Tafel annehmen, welche die Entstehung des sinnlich unbedingten, moralischen Gesetzes rein begrifflich erklären könnte. Und da die Modalitätsklasse in Kants Kategorientafeln stets die letzte Klasse der Kategorien ausmacht, so scheint es dann, dass in der fraglichen „Ordnung“ der praktischen Kategorien letztlich durch die Kategorien der Modalität der „Übergang“ „von den moralisch noch unbestimmten und sinnlich bedingten“ zu den „sinnlich unbedingt(en)“ moralischen Kategorien, also die Entwicklung zur kategorischen Notwendigkeit innerhalb dieser Tafel erklärt werden kann. Der Versuch einer Rekonstruktion dieser Übergangsleistung der praktischen Modalitätskategorien, ob nun in ihrer Gesamtheit betrachtet oder wiederum innerhalb ihrer jeweiligen Trias,⁹⁸ hat so in der Literatur für Fehlinterpretationen gesorgt, und zwar dahingehend, dass man versucht hat, die Kategoriziät des moralischen Gesetzes durch eine immanente Interpretation dieser Kategorientafel begreiflich zu machen und den fraglichen Übergang zum moralischen Gesetz innerhalb der Tafel der prak-

 In seinem Kommentar zur Kritik der praktischen Vernunft drückt Beck den Wunsch aus, dass es eine Entsprechung zwischen der Ordnung der Trias von Modalitätskategorien in der „Tafel der Kategorien der Freiheit“ (KpV V 66) und der dreistufigen Skala der Imperativklassen in der Grundlegung (IV, 415, 1– 5) geben möge (31995, 147). Doch er sieht zugleich ein, dass ein Versuch, die zweite praktische Modalitätskategorie (sc. „die Pflicht und das Pflichtwidrige“) den assertorisch-pragmatischen Imperativen, als der zweiten Klasse praktischer Imperative, entsprechen zu lassen, Interpretationsprobleme verursachen würde. Der Grund dafür liegt darin, dass die assertorisch-pragmatischen Imperative kein Beurteilungskriterium für die Pflichtmäßigkeit bzw. Pflichtwidrigkeit unserer Handlungen liefern können. Bei der zweiten praktischen Kategorie der Modalität geht es dagegen um etwas, was bereits als pflichtmäßig bzw. pflichtwidrig beurteilt wird.  Vgl. Benton 1981, 185, 188 ff.

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tischen Elementarbegriffe zu erklären (so etwa Bobzien 1988, 208 f., 213; ähnlich in diesem Punkt auch Haas 1997, 54, 62 – 66). Doch bei näherem Hinsehen auf Kants eigene Äußerungen lässt sich feststellen, dass der fragliche „Übergang“ gar nicht vollständig durch die praktischen Modalbegriffe, d. h. innerhalb der Tafel, erfolgen kann, weil die Kategorien der Modalität, wie Kant in seinen äußerst knappen Ausführungen klar macht, „den Übergang von praktischen Principien überhaupt zu denen der Sittlichkeit, […] nur problematisch einleiten, welche nachher durchs moralische Gesetz allererst dogmatisch dargestellt werden können“ (KpV V 67, 8 – 11; Hv. R. M.). Als möglich (eben nur problematisch) können wir uns nach Kant zwar jederzeit den Begriff einer höchsten Stufe der Normativität denken. Dafür würde nämlich nur genügen, dass dieser Begriff in sich keinen Widerspruch enthält. Doch er bleibt eine bloße Hypothese, solange er keinen realen Grund für seine objektive Existenz erhält. Deshalb ist es offensichtlich, dass die Tafel der praktischen Kategorien allein, insbesondere die praktischen Modalkategorien, entgegen der Annahme mancher Kantinterpreten nicht zur Erklärung der Kategorizität des Moralgesetzes taugen kann. Wenn Kant im obigen Zitat von dogmatischer Darstellung „durchs moralische Gesetz“ spricht (V 67, 10 f.), so spielt er auf einen Darstellungsakt an, der einem bloßen Begriff erst einen korrespondierenden Inhalt gibt und dadurch einen Beweis dessen Wirklichkeit liefert.⁹⁹ Die Darstellung des moralischen Gesetzes ist allerdings keine sinnliche, sondern eine auf dem Faktum der reinen Vernunft beruhende Inhaltsgebung, welche gerade aufgrund ihrer Unabhängigkeit von jeder Anschauung eine apodiktische Gewissheit, eben einen „dogmatisch (en)“ Status besitzt. Hier ist wiederum ersichtlich, wie eng die Frage nach der Kategorizität des Moralgesetzes mit der Problematik dessen Deduktion verbunden ist. Die noumenale Basis, welche zuletzt für die objektive Realität des Moralgesetzes und dessen kategorische Normativität verantwortlich ist, lässt sich also nicht aus der Tafel der praktischen Kategorien der zweiten Kritik erklären.¹⁰⁰ Sie liegt dieser Tafel vielmehr voraus, so dass erst, wenn man schon von der Existenz des kategorisch gebietenden Gesetzes überzeugt ist, Kants Tafel der praktischen Kategorien Sinn gewinnen kann. Kategorizität und die Möglichkeit aus Pflicht zu handeln. Zur Charakterisierung des kategorischen bzw. moralischen Sollens führt Kant einige Aspekte an, die im praktischen Kontext im Wechselverweis zueinander stehen. So besteht beispielsweise in den praktischen Forderungen zwischen dem kategorischen und  Bobzien deutet den Satzteil „dogmatisch dargestellt werden“ in dem fraglichen Zitat in einem unzutreffenden Kontext als eine Leistung, die die Pflichtenlehre der Metaphysik der Sitten erbringen soll (1988, 217).  Vgl. bereits Beck 31995, 150.

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Teil I Die Grundzüge der Ethik Kants

dem praktisch-apodiktischen Charakter ein Wechselverweis: Dort, wo für Kant eine praktisch-apodiktische Forderung vorliegt, geht es zugleich um eine kategorische Forderung und auch umgekehrt.¹⁰¹ Das kategorische Sollen weist darüber hinaus auf eine von der praktischen Erfahrung unabhängige sowie unbedingte Forderung hin, ebenso wie diese auf jenes Hinweis gibt. Genauso verweist das kategorische Sollen auch auf eine praktische Forderung, welche als oberster und unmittelbarer motivierender Grund den Willen ihres Adressaten ohne weitere Erfolgsabsichten bestimmen kann.¹⁰² Beschränkt man sich nun auf den letzteren Aspekt, welcher einer Handlung aus Pflicht entspricht, so sieht man, dass die Forderungen, die den zwei Klassen der hypothetischen Imperative (dem technischen und dem pragmatischen bzw. prudentiellen Sollen) entsprechen, gar nicht die Möglichkeit aufweisen, aus Pflicht erfüllt zu werden. Einem hypothetischen Imperativ – etwa in der vereinfachten Form: Wenn Z (Protasis), dann H (Apodosis) – lässt sich von der Art her nicht aus Pflicht erfüllen, weil dessen Grund (der vorgesetzte, sinnliche Zweck Z in der Protasis) per definitionem keine Pflicht sein kann.¹⁰³ Bei einem hypothetischen Imperativ kann höchstens in der Apodosis, also in der Folge – als Mittel zum Erreichen des vorausgesetzten Zwecks Z – und deshalb nur in kontingenter Weise, d. h. immer abhängig von dem jeweiligen vorangehenden Zweck, eine Handlung H vorliegen, welche sich mit einer Pflicht konform zeigt. Doch daraus ergibt sich dann bestenfalls eine bloß pflichtmäßige Handlung, nicht eine Handlung aus Pflicht: Die Handlung H hätte nämlich anders verlaufen können, wenn der unmittelbare Bestimmungsgrund Z es anders erfordert hätte.¹⁰⁴ Die Möglichkeit eine Handlung aus Pflicht zu erfüllen, steht deshalb in einem solchen Verhältnis zu der Kategorizität einer praktischen Forderung, dass sie deren Existenz sicher nachweisen kann. Indem es der Art nach möglich ist, einem praktischen Prinzip aus Pflicht zu folgen bzw. es als ein objektives Prinzip zum obersten und unmittelbaren Bestimmungsgrund seines Willens zu erheben, wird demonstriert, dass das fragliche Prinzip eine kategorische Forderung stellt.

 „Der Modalität nach, durch welches Moment das Verhältniß des ganzen Urtheils zum Erkenntnißvermögen bestimmt ist, sind die Urtheile entweder problematische oder assertorische oder apodiktische. […] die apodiktischen [sind] endlich mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit des Urtheilens begleitet“ (Logik IX 108, 16 – 21). Zu Kants Gebrauch von „apodiktisch“ im Vergleich zu der herkömmlichen Tradition s. Tonelli 1966, 154 ff.  Zur Unmittelbarkeit der Willensbestimmung und der Kategorizität s. z. B. GMS IV 416, 7– 10; 444, 9 – 15; KpV V 71, 28 f.  Vgl. GMS IV 431, 36 f.: „Wollen aus Pflicht“ macht „das specifische Unterscheidungszeichen des kategorischen vom hypothetischen Imperativ“ aus.  Vgl. etwa Krämers Beispiel in GMS IV 397.

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Was die tatsächliche Befolgung eines praktischen Prinzips betrifft, so ist zu beachten, dass es zur Qualifizierung dessen normativer Geltung als kategorisch nicht nötig ist, dass dem fraglichen Prinzip notwendig aus Pflicht gefolgt wird. Denn nur in einem „heiligen Willen“ besteht eine solche Notwendigkeit. Wäre die Kategorizität eines praktischen Prinzips von der Qualität seiner immer faktischen Befolgung abhängig, so würde seine Kategorizität bzw. sein Sollenscharakter mit einem per definitionem unvollkommenen Willen gar nicht in Verbindung kommen. Daraus folgt auch, dass es ebenso wenig nötig ist, dass eine kategorische Forderung wirklich von einem unvollkommenen Willen aus rein sittlicher Gesinnung erfüllt wird, um überhaupt als kategorisch gelten zu können. Zur Feststellung der Kategorizität eines praktischen Prinzips reicht es eben aus, wenn es nur möglich ist, dieses Prinzip aus Pflicht zu erfüllen, also wenn ihm aus einer sittlichen Gesinnung heraus gefolgt werden kann (s. auch Teil II, Unterkap. 3.2).

Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Kritik der praktischen Vernunft haben hauptsächlich die Fundierung einer apriorischen Ethik zu ihrem Thema und bringen dies primär mit einem allgemeinen, mehr oder minder abstrakten Rekurs auf einen Adressaten zustande, der ein vernünftiges Wesen ist. Der Mensch als solcher ist in diesen Schriften genau genommen noch nicht der originelle Adressat, sondern stellt vielmehr eine weitere Spezifizierung des vernünftigen Wesens im Allgemeinen dar, ein sozusagen abgeleiteter Adressat, der neben seiner Vernunftseite auch unter bestimmten empirischen Bedingungen steht. Das dritte moralphilosophische Hauptwerk Kants, die Metaphysik der Sitten, beschäftigt sich dagegen mit den Menschen als solchen, d. h. unter konkretem Einbezug ihrer sinnlichen Aspekte betreffend moralrelevante Handlungen.¹ Die Metaphysik der Sitten wird gerade deshalb um neue Themen erweitert. Dieser Zuwachs schlägt sich nicht nur im Aufbau, in der Zweiteilung der ganzen Schrift nieder. Er mündet auch in jedem ihrer beiden Teile jeweils in eine neue methodische Perspektive innerhalb des Rahmens einer apriorischen Prinzipienethik. Während der erste Teil, die Rechtslehre („Ius“), eine Art der „Gesetzgebung“ – die „äußere Gesetzgebung“ – zu ihrem methodischen Dreh- und Angelpunkt hat (s. u. a. MS VI 219; RL VI, § A, 229), entwickelt sich der zweite Teil, die Tugendlehre, auf der Grundlage des Pflichtbegriffs und seiner Einteilungen. Während in der Rechtslehre, mit Ausnahme ihrer Einleitung (s. RL VI 237, 240), kaum mit dem Begriff der Pflicht als solches operiert wird, sind es die Einleitung in die Metaphysik der Sitten und die Tugendlehre, vor allem wiederum deren umfangreiche Einleitung, welche eine genuine, die ganze Metaphysik der Sitten umfassende Pflichtentheorie liefern. Es unterscheidet sich also nicht allein die Perspektive der Grundlegung und der zweiten Kritik von der der Metaphysik der Sitten. Vielmehr wird auch die pflichtentheoretische Perspektive der allgemeinen Einleitung in die Metaphysik der Sitten und der Tugendlehre von der Betrachtungsweise der Rechtslehre abgehoben. Es bieten sich hiermit idealtypisch zwei Perspektiven an, aus denen heraus man das Vernunftrecht in der Metaphysik der Sitten betrachten kann. Einmal kann man die Unterschiede der Rechtslehre Kants zu seiner Tugendlehre unter einer legislativen Hinsicht hervorheben, und untersuchen, was dazu führt, dass die Rechtslehre (Jus) sich als eine Lehre der bloß äußeren Gesetzgebung der Freiheit von der Tugendlehre abhebt und welche Konsequenzen dies für das Kantische

 Kant hat bereits in der Vorrede der Kritik der praktischen Vernunft darauf aufmerksam gemacht, KpV V 8, 16 – 19.

Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

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Verständnis des Rechts hat. Ein anderes Mal lässt sich aber sowohl die Rechtslehre wie auch die Tugendlehre aus einer pflichtentheoretischen Perspektive in Betracht ziehen. Denn auch die in den Einleitungen zur Metaphysik der Sitten im Allgemeinen und zur Tugendlehre im Speziellen entwickelte Pflichtentheorie enthält grundlegende Elemente für die Kantische Rechtslehre selbst, und zwar insofern, als diese auch ein Inbegriff der Rechtspflichten ist. Eine Untersuchung des Kantischen Vernunftrechts aus einer pflichtentheoretischen Perspektive in der gesamten Metaphysik der Sitten weist sich dann aus zwei Gründen durchaus als vorteilhaft aus: Zum einen bietet sie eine Ebene, von der aus man eine einheitliche Sicht auf die beiden Teile der Metaphysik der Sitten als der „Lehre von den Pflichten“ gewinnen kann; zum anderen werden erst im Lichte dieser einheitlichen Ebene einige Aspekte der Kantischen Rechtsphilosophie augenfällig, die den Stellenwert und die Integrität seiner Rechtslehre innerhalb einer Metaphysik der Moral erklären können. In diesem Teil der Arbeit möchte ich daher die moralische Grundlage des Kantischen Verständnisses des Rechts nicht allein aus einer legislativen Sicht, aus der Perspektive der Rechtslehre selbst, untersuchen (Kap. 3). Vielmehr soll sie auch aus der Perspektive der Kantischen Pflichtentheorie behandelt werden (Kap. 4). Die begriffliche Basis für diesen Teil der Arbeit bildet insbesondere der Abschnitt IV der Einleitung in die Metaphysik der Sitten, die „Vorbegriffe der Metaphysik der Sitten“ oder, wie Kant auch schreibt, die „Philosophia practica universalis“. Es ist allerdings zu beachten, dass Kant unter diesem Ausdruck, von dem er auch in seinen Moral-Kollegs unter Bezugnahme auf die Wolff’sche Tradition Gebrauch macht, nicht mehr eine bloß überlieferte Begrifflichkeit versteht. Die Philosophia practica universalis gewinnt vielmehr in der Metaphysik der Sitten zum ersten Mal einen genuin Kantischen Charakter. Schon in der moralphilosophischen Nachschrift Mrongovius II (1784/85) sagt Kant: „Baumgarten und Wolff“ haben in ihrer Philosophia practica universalis „keine reine Philosophie sondern allgemeine practische zur Absicht. – Allgemeine practische Philosophie handelt von Begriffen und Handlungen die beym Wollen vorhergehen. – Wie wir handeln sollen daran denkt sie nicht. […] in der allgemeinen practischen Philosophie muß [nach diesen Autoren] nichts von Moral vorkommen“ (XXIX 598, 6 – 16). Kant geht es aber in seiner Philosophia practica universalis im Gegensatz zu diesen Autoren vielmehr darum, die fundamentalen, gerade rein moralisch bestimmten Vorbegriffe auszuführen, die als gemeinsame Grundlage den beiden Teilen seiner Metaphysik der Sitten vorangehen. Dementsprechend weist sich der Abschnitt IV der Einleitung der Metaphysik der Sitten durch eine gewisse moralphilosophische Reife aus. Er umfasst nämlich die Begrifflichkeit beider ethischer Hauptschriften Kants, der Grundlegung und der zweiten Kritik. Dies lässt sich insbesondere durch den zweiten Absatz des Abschnitts belegen, in dem Kant in aller Prägnanz die

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

Grundzüge seiner Moralphilosophie zusammenfasst. Kant beginnt hier nämlich mit dem positiven praktischen Freiheitsbegriff und kündigt an, dass sich alle Moralgesetze darauf gründen; er führt dann seine Imperativlehre in aller Kürze ein; hierauf erklärt er die Aufgabe der moralischen Grundsätze und führt abschließend die Theorie „eines moralischen Gefühls“ an, um schließlich deren Stellenwert in der praktischen Vernunftgesetzgebung darzulegen. Erst nach diesem Absatz schreibt Kant: „folgende Begriffe [sc.Vorbegriffe] sind der Metaphysik der Sitten in ihren beiden Theilen gemein“ (MS VI 221 f.). In diesem Teil der Arbeit wird zudem vor allem ab Kapitel 4 auch die umfangreiche Einleitung zur Tugendlehre – sie beläuft sich auf fast ein Drittel des gesamten zweiten Teils der Metaphysik der Sitten ² behandelt. Schließlich werden die Vorarbeiten zur Metaphysik der Sitten, die moral-philosophischen Vorlesungen und einige Nachlass-Schriften Kants aus der Kritischen Periode für die Rekonstruktion der Theorie der Pflichten Kants unterstützend in Anspruch genommen. Bevor ich mich mit den beiden oben genannten Perspektiven befasse, möchte ich im Folgenden zunächst zum einen den Stellenwert der Metaphysik der Sitten in der Trias der moralphilosophischen Hauptwerke Kants näher bestimmen (Kap. 1), zum anderen Kants unterschiedliche Definitionen der Rechts- und der Tugendlehre bzw. des Begriffs Ethik herausarbeiten (Kap. 2).

1 Grundlegung, Kritik der praktischen Vernunft und die Metaphysik der Sitten: Moralfundierende Werke und Anfangsgründe der Moralanwendung Seiner ersten Monografie zur Moralphilosophie, der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, misst Kant „nichts mehr, als die Aufsuchung und Festsetzung des obersten Princips der Moralität“ bei (GMS IV 392, 3 f.). In der knapp drei Jahre später erschienenen Kritik der praktischen Vernunft heißt es dann, dass die Grundlegung eine „vorläufige Bekanntschaft“ mit „dem Prinzip der Pflicht“ mache, eine „bestimmte Formel“ der Pflicht angebe und rechtfertige, und „in so fern“ die zweite Kritik die Grundlegung voraussetze (KpV V 8, 8 – 11). Trotz dieser ausgesprochenen Kontinuität scheint eine einheitliche Interpretation dieser zwei Schriften nicht so ganz problemlos zu sein. Betrifft aber dies auch die in der Literatur gängige Annahme, dass die Grundlegung und die zweite Kritik beide als

 Zur Entstehungsgeschichte und dem Textbau der Tugendlehre s. Ludwig 1990, XIII-XXVIII.

1 Grundlegung, Kritik der praktischen Vernunft und die Metaphysik der Sitten

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ethische Grundlagenschriften bzw. moralbegründende Werke Kants zu sehen sind?³ Das wichtigste Hindernis für die einheitliche Interpretation der Grundlegung und der zweiten Kritik besteht bekanntlich in Kants Ansicht zur Deduktionsmöglichkeit, d. h. dem apriorischen Beweis der objektiven Realität des Moralgesetzes in diesen Schriften.⁴ Während Kant in der Grundlegung die Deduktion des moralischen Gesetzes noch für möglich hält (GMS IV 447, 22 ff.; 454, 20 f.; 463, 21 ff.), bestreitet er diese in der zweiten Kritik und schlägt einen anderen Begründungsweg ein (KpV V 47, 15 – 20).⁵ Dies berührt jedoch nicht die Annahme, dass beide Schriften einen moralbegründenden Einheitscharakter haben. Denn beide Schriften tragen trotz ihrer unterschiedlichen Deduktionsstrategien hauptsächlich zur systematischen Fundierung der zwei Hauptaufgaben bzw. Grundaspekte einer normativen Ethik bei. Sowohl in der Grundlegung wie auch in der zweiten Kritik werden das moralische Dijudikationsprinzip und das moralische Exekutionsprinzip abstrakt, d. h. unter Absehung von empirischen und anthropologischen Elementen, herausgearbeitet. Man kann also die Grundlegung und die zweite Kritik ihrem wichtigsten Unterschied zum Trotz in ihrer Funktion berechtigterweise doch als Teile einer gemeinsamen metaphysischen Begründung der Moralität, eben als die ethischen Grundlagenschriften auffassen. Infolgedessen kann man sie auch als Teile einer Metaphysik der Sitten in einem allgemeinen Sinn des Ausdrucks bezeichnen,⁶ um sie einerseits von der späten Druckschrift Metaphysik der Sitten, anderseits von, wie Kant es nennt, einer praktischen bzw. moralischen Anthropologie (GMS IV 388; MS VI 217) abzuheben.⁷ Eine solche allgemeine Metaphysik der Sitten lässt sich in ihrer Begründungsaufgabe zudem mit dem identifizieren, was Kant bereits in seiner ersten Kritik als die „reine Moral“ bezeichnet, die die Prinzipien enthält, „welche das Thun und Lassen a priori bestimmen und nothwendig machen“ (KrV A 841 f./B 869 f.).

 S. schon Schmucker 1961.  Vgl. etwa Henrich 1973, 247 ff.; Ilting 1972, 125 f.; Allison 1990, 227 f.  Die Schwierigkeit des Problems gesteht Kant dennoch bereits in der Grundlegung ein (GMS IV 420, 12– 17). Gegen argumentative Einwände gegen die Einheitlichkeit der Grundlegung und der zweiten Kritik bezüglich der Deduktion s. etwa McCarthy 1982.  S. hierzu Beck 31995, 62 f.; Bittner 32000, 14– 21; Schönecker/Wood 2002, 11; zu einer gegenläufigen These s. Timmermann 2004, 88.  Kant identifiziert allem Anschein nach die „praktische Anthropologie“ in der Vorrede der Grundlegung mit der „moralischen Anthropologie“ in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten. In der Moral Mrongovius II heißt es: „Moralische Anthropologie ist auf den Menschen angewandte Moral“ (XXIX 599, 15).

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

Was das Spätwerk Metaphysik der Sitten anbetrifft, so wird es als ein zweiteiliges System angesehen, das sich konkreter mit der Gesetzgebung der Freiheit befasst (s. etwa MS VI 219 f.; s. ausführlich nächstes Kap.). Wie aber soll diese Konkretion genau erfolgen, damit die Metaphysik der Sitten ihren metaphysischen Charakter nicht einbüßt? Um sich der Beantwortung dieser Frag anzunähern, möchte ich zunächst mit der Analyse einer Stelle in Abschnitt II der Einleitung in die Metaphysik der Sitten beginnen, die Kants Konzeption einer metaphysischen Pflichtentheorie in einigen Aspekten verdeutlichen kann: „So wie es aber in einer Metaphysik der Natur auch Principien der Anwendung jener allgemeinen obersten Grundsätze von einer Natur überhaupt auf Gegenstände der Erfahrung geben muß, so wird es auch eine Metaphysik der Sitten | daran nicht können mangeln lassen, und wir werden oft die besondere Natur des Menschen, die nur durch Erfahrung erkannt wird, zum Gegenstande nehmen müssen, um an ihr die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Principien zu zeigen, ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit der letzteren etwas benommen, noch ihr Ursprung a priori dadurch zweifelhaft gemacht wird. – Das will so viel sagen als: eine Metaphysik der Sitten kann nicht auf Anthropologie gegründet, aber doch auf sie angewandt werden.“ (MS VI 216 f.; Hv. R. M.)

Kant bedient sich hier einer Analogie zur „Metaphysik der Natur“, welche „Principien der Anwendung“ der transzendentalen Verstandesgrundsätze bzw. der obersten Naturgesetze „auf Gegenstände der Erfahrung“ in sich beinhaltet. Ebenso wie die Naturmetaphysik, ziele auch die Metaphysik der Sitten auf die Anwendung der allgemeinen, obersten Grundsätze der reinen Moral ab. Des Weiteren bringen die Satzteile „so wird es auch eine Metaphysik der Sitten | daran nicht können mangeln lassen“ und „wir werden oft die besondere Natur des Menschen […] zum Gegenstande nehmen müssen“ zusammen eine eingeschränkte, notwendige Inanspruchnahme der empirischen Beschaffenheit des Menschen innerhalb eines metaphysischen Systems zum Ausdruck. Darüber hinaus kündigt Kant in dieser Passage an, dass es sich in der Metaphysik der Sitten um „die Folgerungen aus den allgemeinen moralischen Principien“ handelt, Prinzipien, die wir bereits aus den ethischen Grundlagenschriften kennen (VI 217, 3 f.). Das legt nahe, dass diese Folgerungen eine Vermittlung zwischen den reinen, allgemeinen Moralprinzipien und ihren konkreten Gegenständen darstellen. Ferner bemerkt Kant, dass diese Folgerungen geschehen, „ohne daß jedoch dadurch der Reinigkeit“ der reinen Moral „etwas benommen, noch ihr Ursprung a priori dadurch zweifelhaft gemacht wird“. Und nicht zuletzt macht Kant darauf aufmerksam, dass die Metaphysik der Sitten als eine reine Moral, d. h. in ihrem allgemeinen Sinn, „nicht auf Anthropologie gegründet, aber“ gerade über das Werk Metaphysik der Sitten auf die Anthropologie „angewandt werden“ kann (VI 217, 4– 8; Hv. R. M.).

1 Grundlegung, Kritik der praktischen Vernunft und die Metaphysik der Sitten

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In demselben Abschnitt setzt Kant daher die Metaphysik der Sitten auch von einer „moralischen Anthropologie“ als deren „Gegenstück“ ab (VI 217, 9 ff.). Diese „moralische Anthropologie“, die wiederum von einer physiologischen und pragmatischen Anthropologie zu unterscheiden ist (s. Anthropologie VII 119, 10 – 14), definiert Kant dort als diejenige, die „nur die subjectiven, hindernden sowohl als begünstigenden Bedingungen der Ausführung der Gesetze der ersteren [sc. der reinen Moral bzw. der allgemeinen Moralmetaphysik] in der menschlichen Natur“ zum Thema hat (MS VI 217, 11 ff.; vgl. GMS IV 388, 2). Aus diesen Ausführungen ergibt sich nun insgesamt eine idealtypische Dreiteilung: eine reine Moralmetaphysik bzw. allgemeine Metaphysik der Sitten; die Metaphysik der Sitten, man könnte auch sagen Metaphysik der Sitten im besonderen Sinn, und schließlich eine moralische oder, nach der Vorrede der Grundlegung, praktische Anthropologie (IV 388, 35 f.). Damit stellt sich die Metaphysik der Sitten als ein Zwischenglied dar, welches sich einerseits durch ihre „Principien der Anwendung“ von einer reinen Moralmetaphysik, andererseits durch ihren metaphysischen Charakter von der bloß angewandten (Menschen‐) Moral, eben moralischer Anthropologie, abhebt und deshalb gerade den Übergang zwischen einer reinen Metaphysik und ihrer empirischen Anwendung ermöglicht. Zur näheren Rekonstruktion dieser Dreiteilung bietet sich nun eine weitere Analogie aus der Vorrede der Metaphysik der Sitten an. Kant beginnt seine Vorrede mit der Aussage, dass das zweiteilige „System“ der Metaphysik der Sitten, welches „auf die Kritik der praktischen Vernunft“ folgt, analogisch „als ein Gegenstück der schon gelieferten metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786) anzusehen ist (MS VI 205, 1– 6). Während diese signifikante Analogie an jener Stelle nur im Vorübergehen berührt wird, erfährt sie in den Vorarbeiten zur Vorrede und Einleitung zur Metaphysik der Sitten eine ausführlichere Behandlung. Hier wird zum einen eine Analogie zwischen zweiter Kritik und Metaphysik der Sitten auf der einen Seite und der Kritik der spekulativen Vernunft und den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft auf der anderen Seite aufgestellt; zum anderen stellt Kant eine detaillierte Analogie her, die ein ganz neues Licht auf die innere Zweiteilung der Metaphysik der Sitten selbst wirft: „Auf Critik der practischen Vernunft folgt Metaphysik der Sitten so wie auf die Critik der reinen theoretischen Vernunft die Metaphysik der Natur und so auf diese die Metaphysik der körperlichen Natur u. die Metaphysik der denkenden Natur so hier auf die Metaphysik der Sitten die Rechtslehre u. Tugendlehre“ (XXIII 247, 25 – 29; Hv. R. M.). Diese letztere Analogie besagt mit aller Deutlichkeit, dass die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (erster Teil der Metaphysik der Sitten) gerade das analoge Gegenstück zur „Metaphysik der körperlichen Natur“ und die Metaphysischen Anfangsgründe der Tugendlehre (zweiter Teil der Metaphysik der Sitten) das

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

analoge Gegenstück zur „Metaphysik der denkenden Natur“ bilden. Doch auf welche Art kann eine Analogie zwischen den zwei Teilen der Metaphysik der Sitten und den beiden Zweigen der Metaphysik der Natur hergestellt werden? Kann diese Analogie zur Feststellung des Kriteriums verhelfen, wonach eine Konkretion der reinen Moralmetaphysik in der Metaphysik der Sitten stattfindet, und zwar so, dass diese dennoch metaphysisch bleibt? Schon in der ersten Kritik, dann auch in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, macht Kant deutlich, dass die Momente, welche für die Zweiteilung der Metaphysik der Natur verantwortlich sind und die den genuinen Gegenstand ihres ersten und ihres zweiten Teils ausmachen, nichts anderes sind, als der äußere und der innere Sinn (nach den Anschauungsformen Raum und Zeit) (vgl. KrV, A 846/B 874; MAN IV 467, 12– 17; 470 f.). Kant zufolge setzt jede eigentliche Naturwissenschaft die Metaphysik der Natur voraus, welche ihrerseits wiederum in zweierlei Hinsicht betrachtet wird. Eine Naturmetaphysik kann „entweder sogar ohne Beziehung auf irgend ein bestimmtes Erfahrungsobject, mithin unbestimmt in Ansehung der Natur dieses oder jenes Dinges der Sinnenwelt von den Gesetzen […] handeln, und alsdann ist es der transscendentale Theil der | Metaphysik der Natur: oder sie beschäftigt sich mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist, doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Princip zur Erkenntniß derselben gebraucht wird“ (MAN IV 469 f.; Hv. R. M.). Das heißt mit anderen Worten, dass die Metaphysik der Natur im letzteren Sinn nur so viel Anschauungen in Anspruch nimmt, als nötig sind, um ihre besonderen Gegenstände (diese oder jene „Art Dinge“) einzuteilen (vgl. KpV V 8, 18 f.). Und gerade das geschieht mittels des äußeren und inneren Sinns, bzw. aufgrund der Anschauungsformen a priori, woraus sich dann die „Materie“ und ein „denkendes Wesen“ als die zwei Arten von Gegenständen ergeben: „und da muß eine solche Wissenschaft noch immer eine Metaphysik der Natur, nämlich der körperlichen oder denkenden Natur, heißen, aber es ist alsdann keine allgemeine, sondern besondere metaphysische Naturwissenschaft […], in der jene transscendentale Principien auf die zwei Gattungen der Gegenstände unserer Sinne angewandt werden“ (MAN IV 469 f.; Hv. R. M.). Damit liegen die bisherigen analogen Elemente zwischen einer Metaphysik der Natur im besonderen Sinn, den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft? und einer Metaphysik der Sitten im besonderen Sinn, der Metaphysik der Sitten, deutlich auf der Hand: So wie sich „der transscendentale Theil der Metaphysik der Natur“, die allgemeine Naturmetaphysik mit ihren transzendentalen Prinzipien (sc. erste Kritik) zur besonderen Naturmetaphysik verhält, so verhält sich auch die allgemeine Moralmetaphysik (GMS, KpV) zur besonderen Moralmetaphysik. Sowohl die besondere Naturmetaphysik wie auch die beson-

1 Grundlegung, Kritik der praktischen Vernunft und die Metaphysik der Sitten

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dere Moralmetaphysik nehmen nur soviel Anschauungen in ihrer Theoriebildung in Anspruch, als nötig sind, die reinen, gegenüber der besonderen Art ihrer Gegenstände unbestimmten Prinzipien auf diese Gegenstände anzuwenden. Im Fall der besonderen Naturmetaphysik erfolgt dies durch zwei weitere metaphysische Elemente, nämlich zwei Grundformen menschlicher Anschauung, woraus sich dann „die zwei Gattungen der Gegenstände“ für die besondere Naturmetaphysik ergeben. Und dieser analog geht auch die Zweiteilung der Metaphysik der Sitten. Denn nach Kant, darauf werde ich im nächsten Kapitel ausführlich zurückkommen, folgt die Zweiteilung der Metaphysik der Sitten der Möglichkeit der äußeren und der inneren Gesetzgebung der Freiheit; die äußere und die innere Freiheitsgesetzgebung gelten nämlich als gleichsam „zwei Gattungen der Gegenstände“, mit denen sich die besondere Moralmetaphysik beschäftigt. Auch die Metaphysik der Sitten steht daher mit den zwei apriorischen Anschauungsformen in einem solchen Zusammenhang, dass gerade diese Formen, ähnlich wie für die besondere Naturmetaphysik, für ihre Einteilung in die Rechtslehre (entsprechend der äußeren Sinnesform) und die Tugendlehre (entsprechend der inneren Sinnesform) eine entscheidende, konkretisierende Rolle spielen (vgl. MS VI 214, 22– 30). Soweit lässt sich daher Kants Theorie des inneren und des äußeren Sinnes als ein Kriterium feststellen, dass zum einen für die Konkretion der reinen Moralmetaphysik in der Metaphysik der Sitten mitverantwortlich ist, zum anderen aber dabei nicht dazu führt, dass diese ihren metaphysischen Charakter einbüßt, da dieses Kriterium selbst ein philosophisches Theoriestück apriorischen Charakters ist. Hieraus ist auch zu ersehen, weshalb die besondere Naturmetaphysik und die besondere Moralmetaphysik beide als Systeme charakterisiert werden, welche die „metaphysischen Anfangsgründe“ für die Anwendung reiner Prinzipien auf ihre Gegenstände liefern. Wie ist es aber um das Verhältnis der Metaphysik der Sitten zum dritten Glied der oben dargestellten Dreiteilung bestellt? Auch hier können Kants Analogien zwischen der besonderen Natur- und Moralmetaphysik von Bedeutung sein. Denn, sollen die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft den Übergang des transzendentalen Teils der Naturmetaphysik zu einer empirischen Naturdisziplin darstellen, so lässt sich analog erschließen, dass auch die Metaphysik der Sitten eine ähnliche Funktion für den Übergang der reinen Moral zur moralischen Anthropologie einnimmt. Aus einer Weiterentwicklung der Analogie aus der Vorrede und den Vorarbeiten der Metaphysik der Sitten lässt sich also schließen, dass die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechts- und Tugendlehre eben eine Art Zwischenglied darstellen, welches zwischen den rein apriorisch bestimmbaren Prinzipien der Moral und ihren phänomengesättigten, vielfältigen Anwendungen eine Vermittlung erbringt; eine Vermittlung, die in Form von „metaphysischen Anfangsgründen“ erfolgt.

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

Die idealtypisch dargestellte Grenzziehung zwischen den Gliedern dieser Dreiteilung, also der reinen Moral, der Metaphysik der Sitten und der moralischen Anthropologie, bedeutet allerdings weder die Ahnungslosigkeit der Grundlegung bzw. der zweiten Kritik, als Teile des ersten Gliedes, von den grundsätzlichen Anwendungsaspekten des Moralgesetzes, noch eine Verkürzung der Funktion der beiden Teile der Metaphysik der Sitten auf eine bloße Übergangsleistung. In der Rechtslehre etwa, als Teil des zweiten Gliedes, wird die soziale Dimension geschuldeter Moral nicht nur definiert, sondern auch teilweise erst metaphysisch legitimiert.⁸ Auch im zweiten Teil der Metaphysik der Sitten, der Tugendlehre, spielen neue metaphysische Elemente hinein, die sich weder explizit in der Grundlegung noch der zweiten Kritik finden. Die Metaphysik der Sitten darf also für die Konkretion der reinen Moral nur insofern sinnliche Elemente in ihrer Theorie in Anspruch nehmen, als für die Grundbestimmung der Gattung ihrer Gegenstände und ihre anwendungsorientierten Anfangsgründe nötig sind. Dies geschieht nach obigen Analogien durch die Grundformen menschlicher Sinnlichkeit, ohne dass dabei der metaphysische Charakter der zwei Teile der Metaphysik der Sitten tangiert wird. Doch der analoge Hinweis auf die Rolle des äußeren und des inneren Sinns in der Binnenstruktur der Metaphysik der Sitten kann noch nicht erklären, warum sie denn überhaupt in zwei Teile zerfallen soll. Damit wird sich erst das dritte Kapitel dieses Teils beschäftigen.

2 Rechts- und Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten Das Paar Rechtslehre/Tugendlehre (Ethik) kann in der Metaphysik der Sitten aus unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. In diesem Kapitel möchte ich die Charakteristika und den Gegenstandsbereich der beiden Lehren durch nähere Analyse von einigen exemplarischen und zugleich unterschiedlichen Definitionen Kants in Umrissen nachzeichnen. Eine erste Definition der Rechtslehre in § A der Rechtslehre lautet: (a) „Der Inbegriff der Gesetze, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, heißt die Rechtslehre (Ius)“ (VI 229, 5 f.). Eine weitere Definition mit Akzentuierung des Begriffs der Pflicht anstatt der Gesetzgebung, findet sich in den Vorarbeiten der Metaphysik der Sitten: (b) „Rechtslehre. Der Inbegrif der Pflichten die unabhängig von allen Bewegursachen zu ihrer Beobachtung statt finden“ (XXIII 377, 15 f.). In einer dritten Definition, die wieder mit dem Gesetzesbegriff operiert und sich in einer Reflexion aus der Kritischen Phase findet, schreibt Kant: (c) „Die Rechtslehre

 Vgl. Höffe 2001, 137 ff.

2 Rechts- und Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten

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[…] ist der Inbegrif der Gesetze, ohne die freyheit nicht äußerlich mit der freyheit von jedermann zusammen bestehen kann“ (Refl. 7309 XIX 308, 17 ff.; vgl. RL VI 230, 24 ff.). Schließlich, in einer wiederum pflichtorientierten Definition, heißt es in den Vorarbeiten zur Rechtslehre: (d) „Rechtslehre ist die Lehre von den Pflichten so fern sie durch die Willkühr Anderer nach dem Princip der Freyheit bestimmt wird“ (XXIII 269, 1 f.; vgl. RL VI § B). Aus diesen exemplarischen vier Definitionen lassen sich nun jeweils die Bedingungen herausziehen, wodurch Kant die Rechtslehre charakterisiert: In Definition (a) ist diese Bedingung die „äußere Gesetzgebung“; in (b) die Unabhängigkeit „von allen Bewegursachen“ zur „Beobachtung“ – gemeint ist hier die Ausübung gewisser Pflichten; in (c) das äußere Zusammenbestehen der Freiheit verschiedener Individuen; und in Definition (d) die Verpflichtung „durch die Willkühr Anderer nach dem Princip der Freyheit“. Hieraus ergeben sich vier Merkmale der Rechtslehre. Bei ihr handelt es sich um eine äußere Gesetzgebung, bei der davon abstrahiert wird, aus welchen Bestimmungsgründen oder -ursachen (sc. Triebfedern) die Rechtssubjekte ihr Folge leisten. Die Rechtslehre handelt zudem von der äußeren Freiheit der menschlichen Akteure und zwar angesichts einer wechselseitigen äußeren Verpflichtung nach einem Prinzip der Freiheit. Man kann diese Merkmale auch nach folgenden Gesichtspunkten ordnen. Unter einem legislativen Gesichtspunkt handelt es sich bei der Rechtslehre um äußere Gesetze bzw. eine Gesetzgebung für die äußere Freiheit (a und c); und unter einem pflichtentheoretischen Gesichtspunkt geht es in ihr um eine äußere bzw. fremde Verpflichtung unter Absehung von der Triebfeder des Verpflichteten (b und d). Die Tugendlehre („Ethica“) definiert Kant ebenfalls unter unterschiedlichen Gesichtspunkten. In der Tugendlehre heißt es, die Tugendlehre bzw. die Ethik sei die Lehre, welche der äußeren Gesetze „nicht fähig ist“ (TL VI 379).Weiter schreibt Kant: „die allgemeine Pflichtenlehre in dem Theil, der nicht die äußere Freiheit, sondern die innere unter Gesetze bringt, [ist] eine Tugendlehre“ (TL VI 380, 16 ff.). Darüber hinaus wird „das Princip der Tugendlehre“ als dasjenige beschrieben, welches „über den Begriff der äußern Freiheit hinaus [geht] und verknüpft nach allgemeinen Gesetzen mit demselben noch einen Zweck, den es zur Pflicht macht.“ (TL VI 396, 12 ff.; Hv. R. M.) Die Tugendlehre gebe nämlich „noch eine Materie […], einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objectiv nothwendiger Zweck, d. i. für den Menschen als Pflicht, vorgestellt wird, an die Hand“ (TL VI 380, 19 – 25). Auch hieraus lässt sich sehen, was den Kern des Kantischen Verständnisses der Tugendlehre ausmacht. Die ersten zwei Definitionen heben auf die innere Freiheit und ihre Gesetze ab. Die weiteren zwei dagegen handeln davon, dass es in der Tugendlehre um einen Zweck der reinen Vernunft geht, der zugleich als Pflicht gilt. Deutlich wird also auch hier,was die Tugendlehre von der Rechtslehre abhebt: Die Tugendlehre bzw. die Ethik hat im Unterschied zur Rechtslehre die innere

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Freiheit und deren entsprechende Gesetzgebung zum Thema. Während es in der Rechtslehre darum geht, andere zu verpflichten, die Fremdverpflichtung, geht es in der Tugendlehre bzw. der Ethik um die Selbstverpflichtung. Zudem kommt es in der Tugendlehre darauf an, dass gewisse Pflichten selbst einen Zweck der Handlung darstellen und sich somit, im Gegensatz zur Rechtslehre, auf die Triebfeder der menschlichen Akteure beziehen. Angesichts der exemplarisch angeführten Definitionen von Rechts- und Tugendlehre lässt sich nun auch die gesamte Metaphysik der Sitten unter zweierlei Gesichtspunkten betrachten, die gleichwohl in einem systematischen Zusammenhang miteinander stehen (vgl. MS VI 219, 31– 37– 220, 1– 17). Sie lässt sich nämlich (i) zum einen als das System dessen thematisieren, was die Form der Gesetze der Freiheit betrifft, welche entweder einer äußeren Gesetzgebung fähig oder einer solchen nicht fähig sind und damit entweder auf die äußere oder innere Freiheit rekurrieren – diesen Gesichtspunkt charakterisiert Kant selber als einen formalen (s. etwa TL VI 410). (ii) Zum anderen kann die gesamte Metaphysik der Sitten als „das System der allgemeinen Pflichtenlehre“ (TL VI 379, 9; s. RL VI 239) betrachtet werden, in der einige Pflichten der äußeren Gesetzgebung korrespondieren (die Rechtspflichten), andere dagegen zugleich mit einem Zweck verbunden und allein der inneren Gesetzgebung fähig sind (die Tugendpflichten).⁹ Unter dem Gesichtpunkt der zwei Formen der Gesetzgebung und Freiheit ist zu beachten, dass es sich nach Kant dabei keineswegs um eine Disjunktion der Gesetzgebungen (im Sinn von Kontravalenz) oder disparate Arten handelt. Wäre dem so, dann würde eine weitere, übergeordnete Gesetzgebung erforderlich sein; dies ist aber in Kants Moralphilosophie nicht der Fall. Kant nennt einerseits diejenigen Freiheitsgesetze, die nur in Bezug auf „bloße äußere Handlungen und deren Gesetzmäßigkeit“ Geltung haben, juridisch. Andererseits können gewisse Freiheitsgesetze „aber auch“ fordern, dass alle moralrelevanten Handlungen, einschließlich derjenigen, die der Gegenstand der juridischen Gesetze sind, selbst zum „Bestimmungsgr[u]nde der Handlungen“ werden; diese nennt Kant ethisch (MS VI 214, 14– 17; Hv. R. M.). Während also die juridischen Gesetze sich „nur“ auf „die Freiheit im äußeren Gebrauche“ beziehen können, betreffen die ethischen Gesetze „die Freiheit sowohl im äußern als innern Gebrauche“ (VI 214, 19 ff.). Mit

 Eine exhaustive Einteilung des Systems der allgemeinen Pflichtenlehre in die Pflichten, die der äußeren Gesetzgebung, und in diejenige, die durch ihre Verbindung mit dem notwendigen Zweck der reinen Vernunft der inneren Gesetzgebung entsprechen, ist jedoch nicht unproblematisch. In der Metaphysik der Sitten taucht auch eine wichtige Klasse von Pflichten auf, die einerseits, im Gegensatz zu den Tugendpflichten, nicht mit dem Zweckbegriff verbunden ist, andererseits aber nur der inneren Gesetzgebung entspricht (die sog. vollkommenen Pflichten gegen sich selbst). Hierzu komme ich aber später zurück (s. unten Unterkap. 4.3)

2 Rechts- und Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten

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anderen Worten, auch die Handlungen, zu denen man äußerlich verpflichtet werden kann und die damit den äußeren Gebrauch der Freiheit zwischen den Rechtssubjekten betreffen, können aus der Perspektive der inneren Freiheitsgesetzgebung des jeweils Verpflichteten erfüllt werden, d. h. der Gegenstand der ethischen Gesetzgebung sein. Die zwei Formen der Gesetzgebung stehen damit also vielmehr in einem Inklusionsverhältnis. Auf den pflichtentheoretischen Gesichtspunkt werde ich zwar in Kapitel 4 ausführlich zurückkommen, doch sei hier bereits darauf hingewiesen, dass sich nach Kant die „allgemeine Pflichtenlehre“ vor allem durch die zwei Momente des Zwecks und des äußeren Zwangs in die Lehre der Pflichten, die zugleich Zwecke sind (die Tugendpflichten bzw. Pflichtzwecke) und die Lehre der Pflichten, die äußerlich erzwungen werden können (äußere Rechtspflichten; Kant nennt sie auch Zwangspflichten), unterteilt.¹⁰ Dabei stellt sich die Frage, worin diese Unterscheidung der Pflichtzwecke von den äußeren Zwangspflichten gründet? Da die äußeren Zwangspflichten sich genau mit der juridischen Gesetzgebung, somit mit der Rechtslehre als dem ersten Teil der Metaphysik der Sitten decken, lässt sich die Frage auch einfach so formulieren: Warum überhaupt die Zweiteilung der Metaphysik der Sitten? Der ersten Frage lässt sich auf eine praktische Art nachgehen. Die zweite Frage verlangt hingegen eine zugleich theoretische (vgl. das vorherige Kapitel) und praktische Antwort. Ich werde hier zuerst nur auf die erste Frage und deren relativ klare praktische Antwort Kants eingehen.Wegen der Ausführlichkeit der zugleich theoretischen und praktischen Antwort auf die zweite Frage, werde ich sie aber erst im folgenden Kapitel behandeln. Kants Argument für die Absetzung der Pflichtzwecke von den äußeren Zwangspflichten in der Metaphysik der Sitten ist ebenso schlicht wie überzeugend: Die Bestimmung des Zwecks in jeder Person ist nicht von anderen erzwingbar. Wäre die Zwecksetzung von einem Anderen erzwingbar, so wäre dies analytisch – „durch ihren Begriff“ (TL VI 381, 28) – „ein Widerspruch mit sich selbst“; denn die Zwecksetzung gilt als ein Akt der inneren Freiheit, und so würde es einen „Act der Freiheit“ geben, „der doch zugleich nicht frei ist“ (TL VI 381, 34 f.). Nach Kant kann eine Tat lediglich als „Mittel zum Zweck eines Anderen“ äußerlich erzwungen werden, doch nicht als der Zweck des Handelnden selbst (VI 381, 32 f.; Hv. R. M.). Sofern eine Zwecksetzung überhaupt erzwingbar wäre, muss sie daher selbst zuerst als ein Fall des Moralgesetzes begründet werden, damit sie nicht mit der Freiheit widerstreitet; sie muss also als Pflicht, als Pflichtzweck gelten. Zweitens

 So heißt es in der 2. Auflage der Tugendlehre (1803): „Zweck und Zwangspflicht unterscheiden die zwei Abtheilungen der allgemeinen Sittenlehre“ (TL VI 381, 19 f.).

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kann sie auch dann nur aus der Innenperspektive der Person selbst erzwungen werden, also durch eine innere Nötigung (Selbstzwang) (VI 381 f). Auch wenn Kants Argument der äußerlichen Nichterzwingbarkeit von Zwecken extrem kurz ausfällt, so zeigt es doch eine systematische Verbindung mit seiner Konzeption der Freiheit. Wäre die äußere Erzwingbarkeit bzw. äußere Gesetzgebung von Zwecken, und damit auch den Pflichtzwecken möglich, so wäre die Freiheitslehre Kants zunichte gemacht. Gerade in diesem Sinn ist es, dass Kant schreibt: „der Begriff der Freiheit, […, macht] die Eintheilung in die Pflichten der äußeren und inneren Freiheit nothwendig“ (TL VI 406, 30 ff.; Hv. R. M.).

3 Das Vernunftrecht aus legislativer Perspektive Wie zu Beginn dieses Teils angekündigt, konzentriert sich dieses Kapitels auf Kants Verständnis des Rechts als der Inbegriff der äußeren Gesetze der Freiheit („Ius“) (s. RL VI § A). Da sich dieses Verständnis genau mit dem deckt, was in den ersten Teil der Metaphysik der Sitten fällt, lässt sich auch sagen, dass dieses Kapitel sich nur mit der Rechtslehre befasst. Meine Untersuchung beschränkt sich jedoch textlich nur auf einige Teile der Einleitung in die Rechtslehre, weil es dieser Arbeit allein um die moralische Grundlage des Vernunftrechts bei Kant geht, nicht um den Inhalt der gesamten Rechtslehre selbst. Ich werde in dem ersten Unterkapitel (3.1) zunächst darstellen, dass die Anwendung der Freiheitstheorie Kants, wie wir sie aus den ethischen Grundlagenschriften kennen, in der Metaphysik der Sitten aus sowohl transzendentalkritischen wie auch moralischen Gründen konsequenterweise dazu führen muss, dass die Rechtslehre gegenüber der Moralität bzw. jeder Art von Motiven ihrer Adressaten neutral bleibt. Die Unterkapitel 3.2 und 3.3 konzentrieren sich dann auf Kants Identifikation von Recht mit der sogenannten Zwangsbefugnis (RL VI, §§ D-E). Während das Unterkapitel 3.2 durch eine eher exegetische Vorgehensweise zeigt, dass Kants Verständnis des Zwangsrechts ausschließlich als freiheitsbedingt, und geltungstheoretisch als moralisch anzusehen ist, möchte ich im Unterkapitel 3.3 unter Hinweis darauf, dass die Rechtlehre trotz ihrer Neutralität gegenüber den inneren Handlungsgründen der Rechtssubjekte einer motivationalen Instanz bedarf, zeigen, dass die Rechtslehre wiederum aus sowohl transzendentalkritischen wie auch moralischen Gründen nur die äußere Zwangsbefugnis als ihr exekutives Moment haben kann. Die drei Unterkapitel sollen insgesamt den moralischen Geltungscharakter des Rechts bei Kant aus einer legislativen Perspektive nachweisen.

3 Das Vernunftrecht aus legislativer Perspektive

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3.1 Äußere Freiheitsgesetzgebung und Motive der Rechtssubjekte Im ersten Kapitel dieses Teils habe ich anhand Kants Analogien zwischen den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft und der Metaphysik der Sitten dargestellt, dass Kants Theorie der Sinnlichkeit eine, wenn auch nicht erschöpfende, so doch entscheidende Rolle für die Zweiteilung der Metaphysik der Sitten spielt. Nach der Analyse der Grundmerkmale von Rechts- und Tugendlehre in der Metaphysik der Sitten in praktischer Hinsicht im vorherigen Kapitel möchte ich nun in diesem Unterkapitel näher erläutern, weshalb Kants transzendentale Theorie der Sinnlichkeit zum einen speziell angesichts seiner Konzeption der ethischen Gesinnung, zum anderen generell im Zusammenhang mit seiner Freiheitstheorie notwendig zur Trennung der Rechtslehre („Ius“) von der Tugendlehre bzw. der Ethik in der Metaphysik der Sitten führen muss. Dass für Kants Absetzung der Rechtslehre von der Tugendlehre bzw. der Ethik seine Theorie der Sinnlichkeit verantwortlich ist, ist allerdings keine neue Einsicht – auch wenn sie in der Literatur selten thematisiert wird. Bereits Heinrich Stephanie (1761– 1850), einer der frühesten Rezensenten der Metaphysik der Sitten, hat auf das Desiderat einer tieferen Begründung der Trennung von äußerer und innerer Gesetzgebung der Freiheit anhand Kants Theorie des äußeren und inneren Sinns hingewiesen (Stephani 1797, 13). Ihm zufolge ist es „in der Anwendung“ der „reinen Gesetzgebung“ der Freiheit vonnöten, dass sie „sogleich in mehrere Departements vertheilt wird“. Kant gehe bei der Trennung der Gesetzgebungen „von den beiden Formen des äussern und innern Sinnes aus. Diejenigen Handlungen, welche unter der Form des Raumes erscheinen (äussere Handlungen) machen das juridische; diejenigen, welche unter der Form der Zeit erscheinen (und dahin gehören sowohl die äussern als innern Handlungen) machen das ethische Gebiet aus“ (Stephani 1797, 10 f.). Im Unterschied zu Stephani geht es mir aber hier nicht darum, das Verhältnis der juridischen und der ethischen Gesetzgebung allein als eine Widerspiegelung des Verhältnisses des äußeren und des inneren Sinns, somit von Raum und Zeit zu sehen. Zwar stellt Kant selbst eine Analogie zwischen äußerem und innerem Gebrauch der Freiheit einerseits und Raum und Zeit andererseits her: „Im Raume sind nur die Gegenstände äußerer Sinne, in der Zeit aber alle, sowohl die Gegenstände äußerer als des inneren Sinnes: weil die Vorstellungen beider doch Vorstellungen sind und sofern insgesammt zum inneren Sinne gehören. Eben so, mag die Freiheit im äußeren oder inneren Gebrauche der Willkür betrachtet werden, so müssen doch ihre Gesetze, als reine praktische Vernunftgesetze für die freie Willkür überhaupt, zugleich innere Bestimmungsgründe derselben sein: obgleich sie nicht immer in dieser Beziehung betrachtet werden“ (MS VI 214, 23 – 30). Doch seine Analogie erklärt noch nicht, aus welchem Grund die Freiheit, auf

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die sich die juridischen Gesetze beziehen, ausschließlich „die Freiheit im äußeren Gebrauche“ sein muss. Darüber hinaus scheint mir jeder Versuch, das Verhältnis zwischen Kants äußerer und innerer Freiheitsgesetzgebung bzw. der Rechtslehre und der Tugendlehre (Ethik) allein durch das Verhältnis des Raumes und der Zeit bzw. des äußeren und des inneren Sinnes zueinander zu erklären, ein obscurum per obscurius zu sein. Denn die Bestimmung des letzteren Verhältnisses in Kants theoretischen Schriften gilt selbst seit geraumer Zeit als ein strittiges Thema.¹¹ Mein Interesse besteht hier dagegen vielmehr nur darin, zu sehen, ob und wie Kants Theorie der Sinnlichkeit und deren transzendentalkritische Grundlage samt seiner eigenen Freiheitstheorie, wie wir sie aus den ethischen Grundlagenschriften kennen, für den Verzicht der Rechtslehre auf das innerlich motivationale Moment der Rechtssubjekte verantwortlich ist. Ist dies einmal gezeigt, so trägt es ebenfalls zur Erklärung der Zweiteilung der Metaphysik der Sitten bei (vgl. dieser Teil, Kap. 1). Nach Kant geht es in der Rechtslehre, wie wir im vorherigen Kapitel gesehen haben, um einen Plural intersubjektiver Freiheitsgebräuche, die nach einer äußeren Gesetzgebung zusammen bestehen sollen (RL VI § C). Sollte also die Rechtslehre sich auf das Innere ihrer Adressaten beziehen können, dann müsste sie als Inbegriff der äußerlich bestimmbaren Gesetze fähig sein, von außen einen nötigenden Zugang auf die intrasubjektiven Handlungsgründe ihrer Adressaten herzustellen. Überprüfen wir, ob dies nach Kant überhaupt möglich sein kann. Zunächst sei angemerkt, dass die Handlungsgründe der Menschen, sofern sie der Gegenstand einer Nötigung sind, aufgrund der vollständigen Zweiteilung der praktischen Imperative nach Kant in die ethischen einerseits und die technischen und prudentiellen Gründe andererseits zerfallen (vgl. Teil I, Kap. 4). Die erste Klasse können wir mit Kant auch als ethische Gesinnung bezeichnen, die zweite Klasse hingegen als nicht-ethische Motive, wobei dies nicht bedeuten soll, dass sie moralirrelevant sind. Für unsere Überprüfung wird dabei der ethischen Gesinnung der Menschen die entscheidende Rolle beigemessen, da es hier in erster Linie um die Trennung der Rechtslehre von der Tugendlehre bzw. der Ethik bei Kant geht. Was nun diese betrifft, so plädiert Kant bereits in der vorkritischen Phase seines Denkens, in seiner Abhandlung Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1764), für die Unmöglichkeit der Bestimmung und Beurteilung der eigenen ethischen Gesinnung durch Andere. Dort heißt es weiter, dass der Grad der ethischen Gesinnung des Anderen immer davon abhängt, welche inneren natürlichen Hindernisse ein Handelnder in seinen moralischen Handlungen genau zu überwinden hat. Doch diese ändern sich offensichtlich je

 Für eine Typologie kontroverser Thesen zur Verhältnisbestimmung zwischen äußerem und innerem Sinn bei Kant s. Mohr 1991, 83 – 105; s. auch Baumann, 1981, 98 ff.

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nach innerem Zustand der Subjekte und der Wirkung konkreter Situationen auf diesen Zustand. „[U]m des willen ist es Menschen unmöglich den Grad der tugendhaften Gesinnung anderer aus ihren Handlungen sicher zu schließen“ (II 200). Kant radikalisiert seine These in der Kritischen Periode dahingehend, dass der Mensch als ein endliches Sinnenwesen unter einem natürlichen, kognitiven Mangel steht und aus diesem Grund nicht einmal das sichere Wissen um seine eigene ethische Gesinnung möglich sei. So schreibt er etwa in der Grundlegung mit aller Emphase: „In der That ist es schlechterdings unmöglich, durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtmäßigen Handlung lediglich auf moralischen Gründen und auf der Vorstellung seiner Pflicht beruht habe.“ Er fährt dann fort, dass selbst durch schärfste Selbstprüfung und Selbstbeobachtung sich „nicht mit Sicherheit“ feststellen lasse, dass die moralische Triebfeder „die eigentliche bestimmende Ursache des Willens gewesen sei“ (GMS IV 407, 1– 16; vgl. auch TL VI 392, 30 – 33; Religion VI 61, 33 – 37). Für diese These, die ich der Einfachheit halber ethische Motivagnosie nennen möchte,¹² gibt Kant, soweit ich sehe, keine expliziten Argumente. Seine Begründung, die hauptsächlich der Kritischen Phase zuzuordnen ist, lässt sich jedoch in zwei Schritten rekonstruieren. Zum einen gehört die ethische Gesinnung, nach Kants transzendentalkritischer Unterscheidung zwischen dem Intelligiblen und dem Sinnlichen, allein dem Intelligiblen an (s. etwa Religion VI 170 Fn.; s. auch Teil I, Kap. 2.2). Die ethische Gesinnung lässt sich also insofern gar nicht, weder durch den inneren und noch weniger durch den äußeren Sinn, wahrnehmen. Dem Intelligiblen entsprechen eben keine dem Menschen möglichen Anschauungen. Zum anderen können Menschen als endliche Sinnenwesen bei moralrelevanten Handlungen auch nicht auf negative Weise feststellen, dass sie tatsächlich allein aus ethischer Gesinnung gehandelt haben. Man könnte nämlich versucht sein, die ethische Gesinnung dadurch zu bestimmen, dass man sie über den Ausschluss aller in einer konkreten moralischen Handlung möglicherweise in Frage kommenden konkurrierenden Naturantriebe ausfindig macht. Dafür müsste man aber das „Nichtsein“ der Naturantriebe entweder unmittelbar absichern oder indirekt alle möglichen, diese Handlung mitbestimmenden Naturantriebe ausschließen können. Doch einerseits lässt sich nach Kant das „Nichtsein“ empirischer Triebfedern nicht unmittelbar erfahren, denn Erfahrung bezieht sich ja immer auf das, was da, d. h. positiv gegeben ist. Andererseits überschreitet auch der Ausschluss aller möglichen Naturantriebe die Grenzen der kognitiven Kapazität des Men-

 S. hierzu weiter Mosayebi 2010a.

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schen. Ein Ausschluss bedeutet hier nämlich einen Akt der Abstraktion,¹³ wobei diese darin besteht, dass man zunächst eine klare Vorstellung von allen möglichen Naturantrieben hat, die als mitwirkende Motive der Handlung fungiert haben könnten. Erst durch eine solche Vorstellung kann man die Naturantriebe als ein Ganzes absondern und so mit Sicherheit auf die Alleinwirkung der ethischen Gesinnung schließen. Doch dies setzt die Erfahrung der Totalität der nur irgend möglichen mitwirkenden, empirischen Triebfedern voraus, deren Wahrnehmung Kant für endliche Wesen gemäß seiner Transzendentalkritik ablehnt. So schreibt Kant im Gemeinspruch, dass: „kein Mensch sich mit Gewißheit bewußt werden könne, seine Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben: denn das gehört zur inneren Erfahrung, und es würde zu diesem Bewußtsein seines Seelenzustandes eine durchgängig klare Vorstellung aller sich dem Pflichtbegriffe durch Einbildungskraft, Gewohnheit und Neigung beigesellenden Nebenvorstellungen und Rücksichten gehören, die in keinem Falle gefordert werden kann; auch überhaupt kann das Nichtsein von Etwas (mithin auch nicht von einem ingeheim gedachten Vortheil) kein Gegenstand der Erfahrung sein.“ (VIII 284, 22– 30)¹⁴

Kants im Grunde transzendentalkritische These der ethischen Motivagnosie zeigt, dass weder der innere Sinn eines Menschen selbst, noch a fortiori der äußere Sinn Anderer imstande sind, einen epistemischen Zugang zur ethischen Gesinnung des Handelnden herzustellen. Das aber bedeutet, dass jede von außen gerichtete Bestimmung und erst recht jede äußerliche Nötigung der ethischen Gesinnung schon auf epistemischer Ebene scheitern muss.¹⁵ Dieses Ergebnis lässt sich auch anhand von Kants Konzeption einer Republik nach Tugendgesetzen in Abgrenzung zu einem politisch-juridischen Zustand bestätigen. Dabei finden wir deutliche Hinweise darauf, dass Kant so gut wie selbstverständlich davon ausgeht, dass das Recht keinen Anspruch auf die ethische Gesinnung der Rechtsadressaten erheben kann. Im Dritten Stück der Religion betrachtet Kant den „rechtlichbürgerlichen (politischen) Zustand“ als einen noch „ethischen Naturzustand“ (Religion VI 95 ff.; Hv. R. M.). Die Identifikation ist be-

 Die Abstraktion ist ein Akt der „Absonderung alles Übrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich unterscheiden“ (Logik IX 94, 26 f.; s. auch Logik IX 95, 22 ff.).  S. auch Meta. K3 XXIX 1022.  „Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns […], selbst die unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen. Unsere Zurechnungen können nur auf den empirischen Charakter bezogen werden. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloßen Natur und dem unverschuldeten Fehler des Temperaments oder dessen glücklicher Beschaffenheit (merito fortunae) zuzuschreiben sei, kann niemand ergründen und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten.“ (KrV B 579/A 551, Fn.)

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deutungsvoll. Den Unterschied zwischen einem ethischen und einem juridischen Gemeinwesen sieht Kant darin, dass in dem ethischen „alle Gesetze ganz eigentlich darauf gestellt [sind], die Moralität der Handlungen (welche etwas Innerliches ist, mithin nicht unter öffentlichen menschlichen Gesetzen stehen kann) zu befördern“, die Gesetze des juridischen Gemeinwesens aber, „im Gegentheil“, „nur auf die Legalität der Handlungen, die in die Augen fällt, gestellt sind und nicht auf die (innere) Moralität“ (Religion VI 98 f.; Hv. R. M.). Wie Kant hier expliziert, liegt dies daran, dass die Menschen nicht einmal die ethische Qualität ihrer eigenen Gesinnung „durchschauen“ können, und gerade deshalb vermögen auch die juridischen Gesetze nicht, etwas über die ethische Qualität der Gesinnung ihrer Adressaten auszumachen. Die epistemische Unzugänglichkeit der ethischen Gesinnung für die juridischen Gesetzte macht also selbst einen juridisch wohlgeordneten, d. h. nach äußeren Freiheitsgesetzen vollständig organisierten Zustand (Religion VI 98) zu einer Vorstufe, eben einem Naturzustand der Moralität.¹⁶ Die einer äußeren Gesetzgebung fähigen Freiheitsgesetze können also weder einen beurteilenden Bezug, noch weniger einen unmittelbaren exekutiven Einfluss auf die ethische Gesinnung ihrer Adressaten haben. Die Reichweite, mit der sich die Rechtslehre in ethischer Hinsicht gleichsam begnügen muss, kann daher nur die Legalität, die erkennbare, bloße Konformität äußerer Handlungen mit den Freiheitsgesetzen sein. Man könnte aber weiterhin behaupten, dass den äußerlichen Rechtsgesetzen zumindest der nötigende Zugang zu den anderen Klassen der inneren Handlungsgründe, den technischen und prudentiellen, offen bleibt. Soll gezeigt werden, dass das Charakteristische der Rechtslehre im Unterschied zur der Tugendlehre (Ethik), nämlich ihre Neutralität gegenüber den Motiven ihrer Adressaten, etwas Notwendiges ist, so muss auch dargelegt werden, dass sie, als Inbegriff der äußeren Gesetze der Freiheit, auch generell keine bestimmten Motive, einschließlich der nicht-ethischen, ihren Adressaten unmittelbar auferlegen darf, auch wenn sie die Motive der Rechtssubjekte auf indirekte Art beeinflussen muss (s. hierzu folgendes Unterkapitel). Nach Kant sind zwar, im Unterschied zur ethischen Gesinnung, keine epistemischen Hindernisse im Spiel, die an sich einen unmittelbaren nötigenden Zugang zu technischen und prudentiellen Motiven der Rechtssubjekte unmöglich machen. Doch aus dem Zusammenhang von seiner Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Sinn einerseits und seiner Freiheitstheorie andererseits

 Dies wird deutlicher, wenn wir uns daran erinnern, dass Kant für den Zustand der Moralität Gott als „Herzenskündiger“ postuliert (s. etwa Religion VI 99), den keine juridische Freiheitsgesetzgebung ablösen kann.

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lässt sich generell dafür argumentieren, dass der Rechtslehre jede Art der unmittelbaren motivationalen Forderung bzw. Intervention moralisch untersagt wird. Im ersten und zweiten Kapitel dieses Teils haben wir gesehen, dass Kants Anwendung seiner Freiheitstheorie in die zwei Bereiche der inneren und der äußeren Freiheitsgesetze zerfällt. Diese Zweiteilung ist angesichts der theoretischen Philosophie Kants an sich sowohl notwendig wie auch vollständig, weil sie sich auf die Zweiteilung in einen inneren und einen äußeren Sinn (s. etwa KrV A 22 f./B 37), und diese wiederum auf die Transzendentale Ästhetik der ersten Kritik zurückführen lässt. Während die äußere Freiheit, genauer: der äußerliche Gebrauch der Freiheit, dem äußeren Sinn entspricht und unter der Form des Raums für alle Anderen prinzipiell erfahrbar ist, entspricht die innere Freiheit dem inneren Sinn und bleibt insofern, als sie zunächst allein unter der Anschauungsform der Zeit steht, ausschließlich gleichsam im Besitz der jeweiligen einzelnen Subjekte. Darüber hinaus gilt jeder Akt der Bestimmung innerer Handlungsgründe, wie auch immer diese beschaffen sind, als ein Fall der inneren Freiheit.Wollte nun das Recht als die Gesetzgebung für äußere Freiheit seine Adressaten von außen derart nötigen, dass sie sich gewisse Handlungsgründe, welche auch immer, bei der Ausführung rechtlicher Handlungen setzen, so würde es in die Sphäre der inneren Freiheit seiner Adressaten eindringen. Doch eine solche Intervention lässt sich gerade aufgrund der geltungstheoretischen Priorität der inneren Freiheit,¹⁷ worum es ja in den ethischen Grundlagenschriften geht, gegenüber der äußeren Freiheit bei Kant nicht legitimieren. Wenn die juridische Gesetzgebung im Namen der Gewährleistung bzw. Sicherung des Zusammenbestehens des äußeren Gebrauchs der Freiheit der Rechtssubjekte unmittelbare Forderungen an deren Akt der Setzung von Handlungsgründen, eben an ihre innere Freiheit, stellen würde, so würde dies nichts anderes bedeuten als die Widersprüchlichkeit ihrer Berufung auf die Freiheit überhaupt; sie würde nicht mehr als Vernunftrecht gelten können (s. etwa RL VI, § B). Würde also das Recht unmittelbar in das Innere der Rechtssubjekte eingreifen, so würde es genau das tun, was das oberstes Vernunftprinzip unmöglich macht (s. RL VI, § C, 230), da die Willkürfreiheit der Individuen, die nach diesem Prinzip intersubjektiv „zusammen bestehen“ soll, bereits auf der intrasubjektiven Ebene verletzt wird. Damit entpuppt sich eine Ausweitung der äußeren Freiheitsgesetzgebung auf die Motive ihrer Subjekte, welcher Klasse auch immer, selbst als freiheitswidrig. Das Vernunftrecht darf also als solches gegenüber dem Motivationalen seiner Adressaten keine Partei nehmen. Was wiederum

 Eine analoge geltungstheoretische Priorität steht ja auch der Anschauungsform der Zeit gegenüber der des Raumes zu.

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im Grunde heißt, dass die Neutralität der Rechtslehre gegenüber den Motiven selbst ein moralischer Sachverhalt ist. Für Kants Trennung der Rechtslehre von der Tugendlehre sind also einerseits im speziellen Fall der ethischen Gesinnung die transzendentalkritisch begründete, sinnliche Unzugänglichkeit des Intelligiblen, und andererseits generell bezüglich aller inneren Handlungsgründe die begründungstheoretischen Voraussetzungen der eigenen Freiheitstheorie zuständig, die ihrerseits mit seiner Theorie des inneren und äußeren Sinns im Zusammenhang stehen. Kant zufolge ist es nicht nur unmöglich, dass das Recht Forderungen an die Moralität der Rechtssubjekte stellt, da die äußeren Rechtsgesetze nicht einmal epistemischen Zugang zur ethischen Gesinnung ihrer Adressaten gewinnen können. Es ist darüber hinaus nach seiner Art der Begründung der Moralphilosophie verboten, dass die äußere Freiheitsgesetzgebung unmittelbare Forderungen an die Setzung der Motive ihrer Adressaten als ihrem inneren Akt der Freiheit selbst stellt.¹⁸ Wenn Kant die Rechtslehre als den Inbegriff der Gesetze der Freiheit definiert, „für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist“ (RLVI 229, 5 – 6; Hv. R. M.), so ist unter diesem Möglich-Sein zweierlei zu verstehen. Zum einen ist damit nicht etwa eine bloße Kontingenz gemeint, sondern vielmehr eine transzendentalkritische Einschränkung äußerer Nötigung der Rechtssubjekte. Zum anderen verweist diese Einschränkung auch auf einen moralischen Aspekt. Eine äußere Freiheitsgesetzgebung für die innere Freiheit des Menschen gilt als widersprüchlich, somit selbst als eine moralwidrige Handlung. Dass die Rechtslehre bei der Befolgung äußerer juridischer Gesetze gegenüber allen Arten von Motiven neutral bleibt, ergibt sich also aus diesen zwei sich ergänzenden Gründen.Weder kann noch darf eine metaphysische Theorie des Rechts, die auf Wissenschaftlichkeit Anspruch erhebt und sich zugleich auf die Freiheit im Kantischen Sinn gründet, unmittelbar in das Innere ihrer Adressaten eingreifen. Soweit haben wir nur gesehen, dass, wenn es gemäß dem Kantischen System der Philosophie (die theoretische und die praktische umfassend) eine einzige Lehre geben soll, welche auf bloß äußere Freiheitsgebräuche von Menschen und deren Zusammenbestehen spezialisiert ist, so muss sie gegenüber den Motiven ihrer Adressaten unparteiisch sein. Doch warum sollte dann diese Lehre bzw. die Rechtslehre überhaupt als ein integraler Teil der Metaphysik der Sitten gelten? Damit beschäftigen sich die nächsten zwei Unterkapitel.

 „Zur Gesinnung kann man nicht gezwungen werden, wenn man sie auch erkennen könnte, denn sonst würde alle Freiheit aufhören, […] nur das äußere einer Handlung, [kann] unter einem Zwange stehen“ (Moral Mrongovius II, XXIX 620, 11– 14; Hv. R. M.).

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

3.2 Das Vernunftrecht und der freiheitshypothetische äußere Zwang Im vorherigen Unterkapitel habe ich dargelegt, dass die Rechtslehre nur eine Lehre der Legalität, im Unterschied zur Moralität, äußerer Handlungen sein kann und darf. Genau dies lässt aber den moralischen Charakter der Kantischen Konzeption des Rechts anzweifeln; denn die Moral wird nach Kant auf die Moralität gegründet. Wie kann dann aber die Rechtsmetaphysik, die, wenn auch aus moralischen Gründen, gegenüber der Moralität und überhaupt jedem Motiv indifferent bleibt, noch als ein integraler Teil der Moralmetaphysik verstanden werden? Diese Frage äußert das Kernproblem, die Herausforderung der meisten Kritiken an einer moralischen Interpretation des Kantischen Vernunftrechts; Kritiken, die sich in diesem Zusammenhang wiederum in einem Punkt verdichten und kulminieren: Kants Identifikation des Rechts mit der Befugnis, andere zur Einhaltung dieses Rechts zu zwingen. Kants Konzeption des Rechts habe daher als solche nicht nur mit der Moralität nichts mehr zu tun, sie sei sogar mit dem äußeren (pathologischen) Zwang verbunden, welcher, wenn auch nicht im schroffen Gegensatz zur moralischen Autonomie, so doch an sich keine moralische Komponente sei – so der häufige und vielleicht wichtigste Einwand. Die Frage, wie Kant überhaupt dazu kommt, das Recht mit der Zwangsbefugnis gleichzusetzen, wird von vielen Kantinterpreten allein unter exegetischem Rückgriff auf die §§ D-E der Rechtslehre zu beantworten gesucht. Die vorliegenden zwei weiteren Unterkapitel schlagen hingegen einen anderen Weg ein. Ich werde mich zwar in diesem Unterkapitel ebenfalls mit den §§ D-E der Rechtslehre befassen (für eine ausführliche Behandlung des § E s. Teil IV). Doch hauptsächlich möchte ich in zwei systematischen Schritten, entsprechend den beiden folgenden Unterkapiteln, der methodisch von anderen Ansätzen zu unterscheidenden Leitfrage nachgehen, wie die innere Logik der Moraltheorie Kants selbst notwendigerweise dazu führt, dass die äußere Zwangsbefugnis als ein konstitutives Element in Kants Theorie des Vernunftrechts auftritt. Ich möchte hier also zeigen, dass die Identifikation des Rechts mit der Zwangsbefugnis in der Metaphysik der Sitten, im Gegensatz zu der Interpretation der meisten anderen Kritiker, gerade aus moralischen Gründen erfolgt, um von hier aus für den moralischen Geltungscharakter der Kantischen Konzeption des Zwangsrechts zu argumentieren. Im Verlauf der beiden Unterkapitel werden daneben auch einige Antworten auf gewisse Teilfragen in der Diskussion um die moralische Grundlage der Kantischen Konzeption des Rechts entwickelt, die sich dann in Teil III und IV aus anderen Gesichtspunkten vervollständigen bzw. bestätigen lassen. Sehen wir aber als Erstes, was Kant in den §§ B-D der Rechtslehre unter dem Recht, dem obersten Prinzip des Rechts bzw. des Rechtsgesetzes, der Zwangsbefugnis und der Gleichsetzung des Rechts mit ebendieser Zwangsbefugnis versteht:

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Das Recht ist „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ (RL VI, § B, 230, 24 ff.)¹⁹ Das allgemeine bzw. oberste Rechtsprinzip: „Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ (RL VI § C, 230, 29 ff.)²⁰ Das allgemeine bzw. oberste Rechtsgesetz: „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“ (RL VI § C, 231, 10 ff.).²¹

Im § D der Rechtslehre zeigt Kant sodann durch eine begriffsanalytische Argumentation, d. h. aufgrund des Widerspruchssatzes und der logischen Regel duplicata negatio [efficit affirmationem], dass ein Verhältnis der Identifikation zwischen dem Recht und der Zwangsbefugnis besteht. Kants Argument lässt sich vereinfacht folgendermaßen rekonstruieren: Wenn Freiheit nach allgemeinen Gesetzen = F und „Hinderniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen“ = ¬F ist, so ist „der Zwang“, der eine „Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit“ darstellt, welche „mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmen“ kann = ¬¬F. Weil gilt: ¬¬F = F, so ist also „mit dem Rechte zugleich eine Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft.“ (RL VI 231, 32 ff.; Hv. R. M.) Dementsprechend bezeichnet Kant auch einen Gebrauch von Freiheit, der „mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmen“ kann als „recht“ und dessen Hindernis als „unrecht“, so dass die Befugnis zu zwingen eine Negation der Negation von „recht“ ist. Das Recht, genauer: das „stricte Recht“, ist daher zugleich „die Möglichkeit eines mit jedermanns Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden durchgängigen wechselseitigen Zwanges“ (RL VI 232, 2 ff.).²² Auch das oberste Rechtsprinzip und –gesetz in § C  Ähnliche Definitionen finden sich an anderen Stellen der Schriften Kants. Das „Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf | die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, in so fern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist“ (Gemeinspruch VIII 289 f.; vgl. XXIII 129). „Das Recht ist das Verhältnis der Personen zu einander so fern die Freyheit des einen die Freyheit des Andern durch seine Willkühr auf die Bedingung der allgemeinen Gesetzmäßigkeit einschränkt“ (VARL XXIII 272).  Vgl. „Das Princip der Handlung nach welchem sie mit der Freiheit jedes andern nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann, ist das Princip des Rechts“ (Moral Mrongovius II, XXIX 631). „Die Uebereinstimmung der Privatfreiheit mit der allgemeinen Freiheit ist das oberste Princip des Rechts“ (Feyerabend XXVII 1328).  Vgl. „[H]andle so, daß deine Freiheit mit der Freiheit von Jedermann nach den allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann.“ (Vigilantius XXVII 525).  Das strikte Recht, das Kant auch „Zwangsrecht“ (oder: jus stricte dictum) nennt, setzt er von der Billigkeit (oder: jus late dictum) ab, welche er wiederum als „zwangsfreies Recht“ bezeichnet

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der Rechtslehre gelten daher für Kant als äquivalent mit dem Prinzip bzw. dem „Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Princip der allgemeinen Freiheit“ (RL VI 232, 30 ff.) – „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei.“ (RL VI 232, 29; Hv. R. M.)²³ Hierbei ist auch wichtig zu sehen, was Kant genau unter „Befugniß“ versteht; denn er setzt ja das Recht nicht einfach mit irgendeinem Zwang als solchem gleich, sondern vielmehr mit der „Befugniß zu zwingen“ – ein entscheidender Punkt, der nicht selten in der Literatur marginalisiert wird. Noch vor der Rechtslehre, in Abschnitt IV (sog. Vorbegriffe) der Einleitung in die Metaphysik der Sitten schreibt Kant: „Erlaubt ist eine Handlung (licitum), die der Verbindlichkeit nicht entgegen ist; und diese Freiheit, die durch keinen entgegengesetzten Imperativ eingeschränkt wird, heißt die Befugniß (facultas moralis).“ (MS VI 222, 27 ff.; Hv. R. M.)

Mit anderen Worten, in Kants Theorie des äußeren Zwangsrechts geht es von Anbeginn um eine „facultas moralis“ zu zwingen. In seiner Rechtskonzeption kommt es also nur auf diese Art von Zwang, und nur auf deren Verbindung mit dem Recht an. Da nun Kants Anwendung des Widerspruchssatzes und der duplicata negatio in § D der Rechtslehre allein in Bezug auf den kriteriologischen Punkt Freiheit, genauer: „Freiheit nach allgemeinen Gesetzen“ Sinn macht, und der Zwang überhaupt um dieser willen auftritt (es geht ja um die Freiheit, das Hindernis der Freiheit und die Verhinderung des Hindernisses der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen), so kann man eindeutig sagen, dass es sich in Kants Lehre des äußeren rechtlichen Zwangs ab ovo und ausschließlich um einen freiheitshypothetischen äußeren Zwang handelt: die Freiheit nach allgemeinen Gesetzen ist der Grund, der zur Geltung dieses Zwangs hypothetisiert wird. In einem ersten Schritt möchte ich nun in dem vorliegenden Unterkapitel zunächst diesen Punkt herausarbeiten, zumal die Ignorierung der Freiheitsbasis der analytischen Verbindung des Rechts mit der Zwangsbefugnis bei Kant schwerwiegende Missverständnisse zur Folge haben kann. Wenn Kant in seiner theoretischen Philosophie von der Analytizität eines Urteils, etwa ‚Ein Körper ist teilbar’, spricht, so bedeutet dies, dass sich die Verbindung des Subjekts und des Prädikats in dem fraglichen Satz allein durch die

(s. etwa Feyerabend XXVII 1328, 1333). Das „Zwangsrecht“ ist also: „die Befugniß anderer, in Rücksicht ihrer Verbindlichkeit gegen ihre Mitmenschen, nach den Gesetzen der Freiheit zu zwingen“ (Vigilantius XXVII 524).  S. bereits Moral Mrongovius II, XXIX 619.

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Zergliederung (per analysin) und anhand des principium contradictionis sehen lässt; wir brauchen nämlich dabei nicht über den Begriff des Subjektes hinauszugehen, um zu dem Begriff des Prädikats zu gelangen (s. etwa KrV, A 155/B 194). Sehen wir uns Kants Argumente zur analytischen Verbindung des Rechts mit der Zwangsbefugnis an, so können wir dabei auch unter Abstraktion von allem normativen Gehalt des Rechts Sätze ausfindig machen, die nur aufgrund des Widerspruchssatzes geltend gemacht werden. Um das zu veranschaulichen, möchte ich eine Passage aus dem Ethik-Kolleg Mrongovius II heranziehen, in der Kant sich ausführlicher als in § D der Rechtslehre mit dem analytischen Argument für die Identifikation des Rechts mit der Zwangsbefugnis beschäftigt. Setzen wir in dieser Passage anstatt „recht“: p (bzw. „unrecht“: non-p), „Zwang“: q und an die Stelle „Freyheit“: X, so lauten Kants Sätze: „Was einer Hinderniß der allgemeinen [X] wiedersteht, befördert die allgemeine [X] und ist daher [p]. [Non-p] ist nun eine Hinderniß der allgemeinen [X], [q] Hinderniß dieser Hinderniß oder Aufhebung derselben; also Beförderung der [X]. Was allgemeine [X] befördert ist [p]. [Non-p] ist Wiederstreit wieder die Bedingungen der allgemeinen [X]; also Hinderniße der allgemeinen [X] und der [q] dabei befördert die allgemeine [X].“ (XXIX 631; R. M.)

Aus diesen Sätzen ergibt sich allein durch verwandte Begriffe wie Hindernis, Widerstreit oder Aufhebung des Hindernisses bzw. Widerstreites und Beförderung, folgendes analytische Urteil: Das Hindernis oder die Aufhebung des Hindernisses bzw. Widerstreites von X ist eine Beförderung von X, und somit q = p, welches jedoch soweit nur ein tautologischer Satz ist, der noch gar keine normative Relevanz aufweist. Setzten wir jedoch die Wörter recht, unrecht und Zwang wieder in diese Sätze hinein, so ist das vereinfachte Resultat folgendes: Angesichts X, Zwang ist recht. Auch dies ist ein Satz, der die Frage: in Bezug auf was denn der Zwang recht ist, noch offen lässt und daher in normativer Hinsicht wieder unterbestimmt bleibt. Solange wir also in diesen Sätzen X nicht als Freiheit bestimmen, werden sie für Kant keinen normativ sinnvollen Gehalt erhalten. X spielt nämlich in diesen Sätzen eine analoge Rolle wie die Anschauungsform (Raum, und a fortiori Zeit) etwa in dem theoretischen Urteil ‚Ein Körper ist teilbar’, dessen Analytizität bei Kant davon abhängt, dass der Körper allein durch seine Definition als etwas Ausgedehntes im Raum zugleich teilbar sein muss. Ohne die Voraussetzung der Anschauungsform Raum besitzt nämlich dieses Urteil gar keinen positiven Sinn (vgl. Teil IV, Kap. 2). Andererseits aber, und dies darf nicht übersehen werden, lässt sich anstatt der Freiheit in obigen Sätzen für X auch jedweder beliebige normative Inhalt denken, und so von der Allgemeingültigkeit jener Sätze ausgehen: vollkommen heterogene Begriffe, wie Gottes Gebote nach einer historisch gegeben, positiven Offenbarungslehre, arbiträre totalitäre Forderungen oder ideologische Inhalte jeder Art. Die obigen Sätze über „recht“, „unrecht“ und „Zwang“ werden

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auch in diesen Fällen an der (logischen) Gültigkeit ihrer Verbindung miteinander nichts einbüßen. An der Richtigkeit des Urteils: jeder äußere Zwang [q] als Hindernis des Widerstreites gegen ein allgemeines X ist die Beförderung des allgemeinen X, also recht [p],²⁴ wird sich dabei nichts ändern. Daraus wird ersichtlich, dass die obigen Sätze nicht nur ohne Bestimmung des X keinen normativen Sinn liefern. Sie können ohne den Begriff der Freiheit für X sogar einen schroffen Gegensatz zu der praktischen Philosophie Kants bilden. Kurz, (allgemeine) Freiheit gilt als eine notwendige Bedingung für Kants Argumente zur analytischen Verbindung des Zwangs mit dem Rechten (rectum). Doch was genau ist mit dieser Freiheit gemeint? Ziehen wir dafür eine weitere Passage, diesmal aus Abschnitt X der Tugendlehre, heran, in der Kant schreibt: „

Daß der äußere Zwang, so fern dieser ein dem Hindernisse der nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden äußeren Freiheit entgegengesetzter Widerstand (ein Hinderniß des Hindernisses derselben) ist, mit Zwecken überhaupt zusammen bestehen könne, ist nach dem Satz des Widerspruchs klar, und ich darf nicht über den Begriff der Freiheit hinausgehen, um ihn einzusehen; der Zweck, den ein jeder hat, mag sein, welcher er wolle. – Also ist das oberste Rechtsprincip ein analytischer Satz.“ (TL VI 396, 4– 10; Hv. R. M.)

Hier geht es nun eindeutig um eine analytische Verbindung des Zwangs mit dem „Begriff der Freiheit“ selbst („ich darf nicht über den Begriff der Freiheit hinausgehen“). Während Kant in den §§ D-E der Rechtslehre nicht etwa explizit den Freiheitsbegriff, sondern vielmehr das Recht mit der Zwangsbefugnis analytisch verbindet, spricht er in Abschnitt X der Tugendlehre von dem immanenten Bezug des Freiheitsbegriffs auf den Zwang. Wie sind also die Aussagen in den §§ D-E der Rechtslehre („mit dem Rechte [ist] zugleich eine Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft.“; „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten […] einerlei.“) und die des Abschnitts X der Tugendlehre („nach dem Satz des Widerspruchs [ist] klar“, dass man „nicht über den Begriff der Freiheit“ hinausgehen darf, um einzusehen, dass „der äußere Zwang […] mit Zwecken überhaupt zusammen bestehen könne“) miteinander zu vereinbaren? Die Antwort liegt darin, dass das Recht, „recht“ bzw. „unrecht“ und die Zwangsbefugnis in §§ D-E der Rechtslehre im Grunde nichts anderes sind als Freiheitsbegriffe bzw. Bestimmungen des Freiheitsbegriffs selbst; sie sind dort allesamt Qualitätsbestimmungen bzw. Variationen des Freiheitsgebrauchs, und das oberste Rechtsprinzip ist daher nichts anderes als ein freiheitsimmanentes

 Denn „recht“ (rectum) bedeutet im allgemeinen Sinn „dasjenige, was einer Regel gemäs ist.“ (VARL XXIII 255 f.)

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Prinzip, damit die Freiheit mit sich selbst widerspruchsfrei bestehen kann – ein Prinzip zur Erhaltung der allgemeinen Freiheit. In Abschnitt X der Tugendlehre kommt aber noch ein weiterer entscheidender Punkt zum Ausdruck. Kant spricht hier von der Verträglichkeit der äußeren Zwangsbefugnis mit den Zwecken („[d]aß der äußere Zwang, […] mit Zwecken überhaupt zusammen bestehen könne“). Eine solche Verbindung zwischen der äußeren Zwangsbefugnis mit den Zwecken kann aber nur dann in dem Begriff der Freiheit analytisch liegen („um […] einzusehen,“ „[d]aß der äußere Zwang, […] mit Zwecken überhaupt zusammen bestehen könne“, „darf [ich] nicht über den Begriff der Freiheit hinausgehen“), wenn die Freiheit zunächst als ein allgemeines Vermögen der Zwecksetzung verstanden wird, gleich welchen Inhalt diese Zwecke haben („der Zweck, den ein jeder hat, mag sein, welcher er wolle“). Und Kant bewilligt in der Tat ein solches Verständnis von Freiheit, wenn er schon vorher in Abschnitt III der Tugendlehre den „Act der Freiheit des handelnden Subjects“ von der „Wirkung der Natur“ dadurch absetzt, dass er ihn als das Vermögen, „irgend einen Zweck der Handlungen zu haben“ bzw. zu „bestimmen“, definiert (TL VI 385, 1– 4; s. etwa auch GMS IV 437, 21 f.). Die Freiheit also, die in Kants Argument zur Analytizität des obersten Rechtsprinzips in Abschnitt X der Tugendlehre angesprochen wird, scheint das allgemeine Vermögen zweckrationaler Subjekte zu sein, sich Zwecke zu setzen, und dessen Allgemeinheit gerade darin zu liegen, den Zweckinhalten dieser Subjekte gegenüber indifferent bzw. offen zu bleiben.²⁵ Gerade aus diesem Grund könnte man aber dafür argumentieren, dass für eben diesen Begriff der Freiheit, der im obersten Rechtsprinzip, somit in dem Kantischen Zwangsgesetz ausschlaggebend ist, eine relative Freiheitskausalität ausreiche, d. h., dass er nicht, wie der moralische Freiheitsbegriff, eine absolute Spontaneität vorauszusetzen brauche. Diese Deutung ließe sich dann auch wiederum dadurch bestärken, dass das Recht von der Moralität freigestellt wird und ihr gegenüber als der motivationalen Instantiierung der noumenalen Freiheitsursache gleichgültig bleibt; denn die moralische Freiheit zeigt sich ja nach Kant schließlich und allein in der Möglichkeit der Moralität (s. dazu Teil I, Kap. 2.2). Wenn wir also das X in den oben beispielhaft zitierten Sätzen durch einen nur relativen Begriff der Freiheit ausfüllen, der keiner moralischen Begründung bedarf, so wären sie nach dieser Deutung nicht nur normativ gehaltvoll, sondern auch ganz im Sinne der Rechtslehre gültig. Es würde also, so das mögliche Argument, ausreichen, dass man X nur im Sinne eines allgemeinen Vermögens bzw.

 Vgl. Refl. 7210 XIX 286, 13 ff.; Briefentwurf an Heinrich Jung Stilling, 1.03.1789 , 347 [325], XI 10, 24– 28.

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einer allgemeinen Fähigkeit, sich Zwecke zu setzen, versteht, ohne es auf den moralischen Begriff der Freiheit zurückzuführen.²⁶ Doch folgende Gründe und Belege zeigen in aller Deutlichkeit, dass die Annahme eines solchen Freiheitsbegriffs in dem obersten Rechtsprinzip und dem allgemeinen Zwangsgesetz noch unterbestimmt ist und dass dabei doch eine moralische Geltungsbasis für den einschlägigen Freiheitsbegriff vorausgesetzt werden muss: (i) Das Recht als Bedingung, unter der die Freiheitshandlungen der Rechtssubjekte zusammen bestehen können, sowie das allgemeine Zwangsgesetz können nur dann möglich sein, wenn diese Handlungen zurechenbar (imputabel) sind. Die Zurechnungsfähigkeit (Imputabilitaet) lässt sich aber nach Kant nur auf Grundlage der Möglichkeit einer Freiheitskausalität als einer intramundane absoluten Spontaneität, d. h. als intramundane transzendentale Freiheit, erklären (KrV A 448/B 476). In der praktischen Philosophie bedeutet dies dann, dass die Imputabilität allein auf der Basis eines moralischen Begriffs von Freiheit in Frage kommt; nach Kant sind die Adiaphora, d. h. die moralirrelevanten Handlungen, gar nicht zurechenbar.²⁷ (ii) Das oberste Rechtsprinzip ist zugleich das oberste Prinzip der (äußeren) Rechtspflichten. ²⁸ Zwar kann bzw. darf dieses Prinzip „nicht verlangen“, dass es selbst zur Handlungsmaxime, zu dem inneren Bestimmungsgrund des Willens gemacht wird (RLVI 231, 3). Doch dieses Prinzip lässt sich nach Kant offensichtlich aus Pflicht befolgen; wir können das Recht als solches in verdienstlicher Weise moralisch achten („Achtung fürs Recht“, TL VI 390, 30 ff.). Es stellt sich daher die Frage: Wie ist es möglich, dass einem Prinzip im Sinne Kants nach der Moralität Folge geleistet werden kann, es aber zugleich, nach der obigen Annahme, bloß einer relativen Freiheitskausalität entspricht, also keine moralische Geltungsbasis hat? Dass das Recht als Inbegriff äußerer Freiheitsgesetzgebung nicht verlangen kann bzw. darf, die rechtliche Handlung als solche zu seinem inneren Bestimmungsgrund zu machen, tangiert nicht die Art seiner normativen, nämlich kategorischen Geltung. Denn Kategorisch besagt nur mit welcher normativen Kraft ein praktisches Prinzip gilt. Die kategorische Geltungsart lässt sich allerdings wiederum dadurch bezeugen, wenn das fragliche Prinzip die Möglichkeit aufweist, als der oberste und zugleich unmittelbare Bestimmungsgrund des Willens aufgenommen zu werden. Und gerade deshalb lässt sich nicht

 S. etwa Horn 2009, 419, Einwand [5].  S. etwa MS VI 223, 18 – 23; RL VI 227 f. Weiter: Vigilantius XXVII 501 f., 559 ff., 563, 602; Meta. Dohna XXVIII 690; Meta. K2 XXVIII 776; Refl. 5656 XVIII 317, und s. schon Refl. 6784 XIX 159; Powalski XXVII 153, 156.  Vgl. etwa: Das „oberst(e) Princip aller äußeren Rechtspflichten: handle so, dass deine Freiheit mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmen könne“ (Vigilantius XXVII 588; Hv. R. M.).

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jedes beliebige positivierte Recht aus Pflicht (im Kantischen Sinn) befolgen. Diese Fähigkeit kann aber innerhalb der Kantischen Ethik allein durch den moralischen Begriff der Freiheit erklärt werden.²⁹ Sie kann nach Kant nicht durch einen relativen Begriff der Freiheit erklärt werden (s. Teil I., Kap. 6, zweiter Abschnitt; s. auch folgendes Unterkapitel). (iii) Des Weiteren darf man nicht vergessen, dass Kant in dem Abschnitt Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten „recht“ überhaupt moralisch definiert: „Recht oder unrecht (rectum aut minus rectum) überhaupt ist eine That, sofern sie pflichtmäßig oder pflichtwidrig (factum licitum aut illicitum) ist“ (MS VI 223 f.; Hv. R. M.; s. auch das moralische Verständnis von „That“ bzw. „factum“ bei Kant, MS VI 223). Und dies bedeutet, dass dieser Definition der Begriff der Verpflichtung, somit der moralische Begriff der Freiheit zugrunde liegt. (iv) Ferner handelt es sich in der Rechtskonzeption Kants, wie bereits erwähnt, nicht um eine beliebige Art des Zwangs, sondern ausschließlich um den befugten Zwang. Befugnis aber ist wiederum ein Begriff, der von Kant, wie wir oben gesehen haben, anhand der moralischen Verbindlichkeit, mithin des moralischen Begriffs der Freiheit definiert wird. (v) Nicht zuletzt lässt Kant auch expressis verbis keine Zweifel darüber bestehen, dass das oberste Rechtsprinzip, mithin das Gesetz der Zwangsbefugnis auf die Möglichkeit der Freiheit als einer absoluten Spontaneität zurückzuführen ist, und somit auf dem moralischen Begriff der Freiheit gründet: „Freilich, wenn es keine Freiheit und darauf gegründetes moralisches Gesetz giebt, sondern alles, was geschieht oder geschehen kann, bloßer Mechanism der Natur ist, so ist […] der Rechtsbegriff ein sachleerer Gedanke [³⁰].“ (Frieden VIII 372, 1– 5; Hv. R. M.)

Und noch deutlicher: „Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann.“ (RL VI 239, 16 – 21; Hv. R. M.)

Das Resultat der bisherigen Erläuterungen und Argumente liegt auf der Hand: Erstens macht die analytische Beziehung zwischen Recht und Zwangsbefugnis für Kant ausschließlich in Bezug auf die Freiheit einen normativen Sinn. Kant war gerade stolz darauf, dass es ihm als Erstem gelungen ist, diese Verbindung auf Grundlage der Freiheit zu begründen (s. etwa Vigilantius XXVII 526). Wie er in  „Ethic geht auf die Handlungen, die aus Pflicht geschehen und geht daher auf alle Pflichten […] Juridische Handlungen kann ich auch ethisch betrachten, wenn sie nehmlich aus moralischen Gesinnungen gethan sind“ (Moral Mrongovius II, XXIX, 620, 14 f., 19 f.).  Vgl. die Rekonstruktion bezüglich des X in der oben zitierten Passage aus Mrongovius II.

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

zahlreichen Passagen seiner ethischen Schriften mit aller Emphase zeigt,³¹ geht es in seiner Rechtskonzeption grundsätzlich darum, „unter welchen Bedingungen ich den Zwang ausüben könne, ohne den allgemeinen Grundsätzen des Rechts zu widerstreiten“ (Rezension Hufeland VIII 128, 28 f.).³² Kants Begriff des rechtlichen Zwangs gilt also nur als ein freiheitsbasierter. Und deshalb lässt sich bei ihm das Zwangsrecht immer durch den Ausdruck ‚Aufhebung des Hindernisses der allgemeinen Freiheit’ bzw. ‚Beförderung der allgemeinen Freiheit’ ersetzen. Zweitens kann dieser Freiheitsbegriff nur moralisch begründet werden. Fragt man sich, woher die normative Geltung des Rechts herrührt bzw. warum es dabei überhaupt die Verhinderung der allgemeinen Freiheit zu beheben gilt, so ist dies im Rahmen der Kantischen praktischen Philosophie nur durch den moralischen Freiheitsbegriff zu erklären.³³ Und das bedeutet eben bei Kant, dass das oberste Rechtsprinzip sowie das allgemeine Gesetz der Zwangsbefugnis auch das Moralgesetz voraussetzen müssen.³⁴ So eindeutig aber diese Ergebnisse sind, so mögen sie doch einige Kritiker der moralischen Interpretation der Rechtskonzeption Kants noch nicht überzeugen (s. etwa Pogge 2002; Wood 2002; Pippin 2006; Willaschek 2009; Horn 2009). Für manche Interpreten, auch wenn sie den freiheitshypothetischen Charakter des Zwangsrechts bei Kant nicht explizit leugnen, reicht dieser noch nicht aus, um die moralische Grundlage des Rechts bei ihm einzusehen. Mehr noch, behaupten einige dabei sogar, dass Kant sich in der Metaphysik der Sitten habe gezwungen

 Etwa: „Die Uebereinstimmung der Handlung mit den allgemeinen Gesetzen der Freiheit ist also der Maßstab der Bestimmung, ob Jemandem ein Zwangsrecht zu|stehen und der andere ihm unterworfen seyn kann, und ich kann daher die Befugniß, den Willen der Person des anderen gegen seine Freiheit zu zwingen, nur insofern haben, als meine Freiheit zugleich mit der allgemeinen Freiheit nach den allgemeinen Gesetzen übereinstimmt. Eine Handlung ist daher nur insofern recht oder unrecht, insofern sie der Bedingung gemäß oder zuwider ist, daß nemlich die Freiheit des Handelnden mit der Freiheit eines Jeden anderen nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann, oder ihnen zuwider ist, und das Recht, der Freiheit des anderen Widerstand zu thun, oder ihn zu zwingen, kann nur insoweit zutreffen, als meine Freiheit mit der allgemeinen Freiheit zusammenstimmt“. (Vigilantius XXVII 525; Hv. R. M.).  Der „Modalität nach“ sind „die Gesetze (als Zwangsgesetze) um der allgemeinen Freyheit halber nicht anders als sofern sie nothwendig zu dieser erforderlich sind und nicht als zufällige willkührliche Gebote um beliebiger Zwecke willen gegeben werden müssen.“ (Briefentwurf an Heinrich Jung Stilling 1789, 347, XIII 229; s. etwa auch Vigilantius XXVII 584)  So erstaunt es, dass Willaschek, wenn er sich vornimmt zu zeigen, dass die „derivation“ von „legitimacy of coercion“ aus Kants Moraltheorie „cannot be done“, diese entscheidenden Punkte gar nicht beachtet (Willaschek 2009, 59 f.).  Soviel ist Guyer Recht zu geben, der den moralischen Charakter des Rechts bei Kant dadurch zu rechtfertigen versucht, dass er das Recht wie das Moralgesetz auf die Freiheit als absolute Spontaneität zurückführt (Guyer 2002).

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sehen, den Gedanken der moralischen Grundlage des Zwangsrechts preiszugeben, er dies aber nicht zugeben bzw. in Kauf nehmen wollte (so Willaschek 2009, 52). Überdies mag man einfach in toto abstreiten, dass sich in Kants moralphilosophischen Schriften, in der Metaphysik der Sitten vor allem, überhaupt Stellen vorfinden, die ein Begründungsverhältnis zwischen dem Moralgesetz bzw. Kategorischen Imperativ und dem Recht, mithin dem äußeren Zwang attestieren (so etwa Horn 2009, 402). Solcherart Positionen scheinen also einfach jeden Verweis auf die entscheidenden Textpassagen Kants über die moralische Grundlage des Zwangsrechts von vornherein zurückzuweisen. Wie kann aber sonst noch diese moralische Grundlage nachgewiesen werden? Die Überzeugungschance der moralischen Deutung der äußeren Zwangsbefugnis würde sich erhöhen, wenn ihr moralischer Geltungscharakter, über die exegetischen Hinweise und Erläuterungen hinaus, aus der inneren Notwendigkeit heraus dargestellt und gerechtfertigt wird, welche aus den Verbindungen der Grundzüge der Ethik Kants untereinander hervorgeht. So müsste also gezeigt werden, dass Kants Ethik in ihrer vernunftrechtlichen Wandlung in kohärenter und konsequenter Weise zum Moment der äußeren Zwangsbefugnis führt, und zwar hauptsächlich aus genuin moralischen Gründen. Dieses Vorgehen wird, in einem zweiten Schritt, im folgenden Unterkapitel vollzogen. Am Ende dieses Unterkapitels wird dann die Hauptkomplikation einer moralischen Begründung des Rechts bzw. der äußeren Zwangsbefugnis bei Kant noch einmal formuliert und aufgelöst.

3.3 Die äußere Zwangsbefugnis als eine notwendige motivationale Substitution im strikten Recht In Teil I, Kap. 3 habe ich anhand der Analyse des Begriffs von Nötigung (necessitatio; „Nothwendigmachung“) gezeigt, dass Kant in seiner Moralphilosophie, trotz geringer Beachtung in der Literatur, ein klar umrissenes Verständnis von Zwang hat. Der Zwangsbegriff im moralphilosophischen Kontext gilt, so haben wir dort gesehen, als eine Unterklasse des Begriffs der moralischen Nötigung,welchen Kant für Fälle reserviert, in denen es sich um einen mit Neigungen affizierten Willen handelt, der durch Gründe bestimmt wird, die in einer realen Entgegensetzung, im „Widerstreit“ zu moralischen Gründen bzw. Pflichten stehen.³⁵ Weil nun die Verpflichtung in der Selbst-Auferlegung freiheitsbasierter moralischer  „Ein Mensch hat oft Neigungen, die dem Moral Gesetz wiederstreiten. Die Pflicht betrachten wir also als einen Zwang. Ein Zwang findet alsdann statt, wenn wir zum Gegentheil einer Handlung eine Neigung haben. Die Nöthigung zu einer solchen Handlung, zu deren Gegentheil wir Neigung haben, ist also Zwang.“ (Moral Mrogovius II, XXIX 616)

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Forderungen besteht, die im Widerstreit mit den naturbasierten Triebfedern des Menschen stehen, so ist also nach Kant alle Verpflichtung (Obligation) gleichbedeutend mit dem moralischen bzw. vernünftigen Zwang: „Alle Pflichten enthalten einen Begriff der Nöthigung durch das Gesetz; die ethische eine solche, wozu nur eine innere, die Rechtspflichten dagegen eine solche Nöthigung, wozu auch eine äußere Gesetzgebung möglich ist; beide also eines Zwanges, er mag nun Selbstzwang oder Zwang durch einen Andern sein“ (TL VI 394, 24– 28). Moralgesetze sind also nichts anderes als „Freyheit unter Zwangsgesetzen der reinen Vernunft“. In diesem Sinn wird daher der moralische Zwangsbegriff bereits in den ethischen Grundlagenschriften Kants begründet.³⁶ Aus diesen Ausführungen gehen nun folgende Punkte hervor: Erstens entsprechen moralische Handlungen nach Kant den Fällen, in denen der menschliche Wille nach einem allgemeinen Gesetz, d. h. einem Gesetz, das für alle vernünftigen Wesen gültig ist, gezwungen wird. Zum Zweiten, wenn eine Art des Sollens, das moralische, begründet wird, bedeutet dies bei Kant immer zugleich die Begründung eines moralischen Zwangs. Und nicht zuletzt hängt die Geltung des moralischen Sollens bzw. Zwangs nicht von der mit Neigungen gleichsam kontaminierten Zustimmung der Subjekte ab. Der Zwangsbegriff ist aber auch in Klugheitsimperativen präsent. Denn auch bei nicht kategorischen Imperativen besteht ein Widerstreit zwischen den sinnlichsubjektiven Gründen des menschlichen Willens und dem zweckrational geforderten Weg zur Erreichung dieser Gründe, welcher sich in einer objektiven Regel niederschlägt (s. Teil I, Kap. 4). Und jede objektive Regel, die auf einen solchen Willen angewandt wird, dessen subjektive Gründe bzw. Regeln nicht mit den objektiven übereinstimmen, ja vielmehr diesen entgegen wirken, offenbart sich für ihn eben als Imperativ und somit als Zwang.³⁷

 S. etwa KpV V 80. Vgl. weiter: „Alle Obligation ist eine Art von Zwang.“ (Moral Mrongovius XXVII 1418). „[M]oralischer Zwang, d. i. der Zwang durch die bloße Vorstellung des moralischen Gesetzes. Denn da alle moralische Handlungen nur auf dem einzigen Grunde der Pflicht beruhen, dies aber jede Handlung ist, wozu man verpflichtet werden kann, diese Verpflichtung aber ihren Grund im moralischen Gesetz hat, und dies durch die Vernunft allein erkannt wird: so ist der Grund alles Zwanges | die Vorstellung des moralischen Gesetzes. Es kann also kein moralischer Zwang seyn, wo keine Erfüllung oder Uebertretung eines Gesetzes der Pflicht vorausgesetzt werden kann“ (Vigilantius XXVII 519 f.).  „Man muß sich selbst zu klugen und sittlich guten Handlungen zwingen. Daher imperativi. Die Ursache ist, weil seine Wilkühr auch sinnlich ist, und die erste Bewegung ist von daher. Je mehr man sich selbst zwingen kan, selbst durch pragmatischen Zwang, desto freyer ist man. Dieser Zwang geschieht dennoch per stimulos, aber indirecte, nemlich man verfährt nach | Überlegung.“ (Refl. 6998 XIX 223 f.; Hv. R. M.)

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Doch welche Eigenschaften zeichnen dann den moralischen Zwang, im Unterschied zu einem bloß zweckrationalen, aus? Zunächst liegt es auf der Hand, dass, da der moralische Zwang in völliger Gegenüberstellung und im prinzipiellen Widerstreit mit den sinnlichen Gegengründen eines pathologisch affizierten Willens stehen kann, er nach Kant nur ein „intellektueller Zwang“ ist (KpV V 32, 30). Dagegen bleibt der Zwang bei zweckrationalen Forderungen selbst von weiteren vorhergehenden Neigungen bedingt. Unter dem intellektuellen Zwang, genauer muss man sagen: intelligiblen Zwang, versteht Kant nun in erster Linie allein einen inneren Zwang (coactio interna). Ein genuin moralischer Zwang ist also nach Kant ein innerer, intelligibler Zwang. Der intelligible Zwang setzt sich in erster Linie vom physischen bzw. pathologischen Zwang ab, der „per stimulos“ geschieht. Doch auch bei diesem Letzteren ist wichtig zu sehen, dass es sich in Kants praktischer Philosophie nicht vollkommen um eine „neceßitatio arbitrii sensitivi“ handelt. Denn auch hier muss die Möglichkeit bestehen, dass der pathologische Zwang als solcher letztendlich durch die freie Willkür des Menschen erfolgt; „denn wäre er neceßitatio [direkt bzw. unmittelbar; R. M.] per stimulos, so wäre der Mensch ein Thier“; er würde nämlich seine innere Freiheit einbüßen (s. hierzu Teil I, Kap. 3). Ein pathologischer Zwang solcher Wesen, die über eine freie Willkür disponieren, bedeutet deshalb bei Kant schon immer die Möglichkeit eines pathologisch und zugleich zumindest zweckrationalen Zwangs; er ist nur indirekt ein Zwang „per stimulos“. Dies ist auch der Grund, warum Kant selbst bei einem Extremfall des pathologischen Zwangs wie der Folter („Tortur“), ihn immer noch als „comparative“ bezeichnet (s. etwa Moral Collins XXVII 267/Stark (Kaehler) 2004, 46). Um welche Art von Zwang handelt es sich nun genau bei dem rechtlichen Zwang? Zunächst ist offensichtlich, dass er nicht ein innerer Zwang, Zwang durch sich selbst, sondern ein Zwang durch die freie Willkür des Anderen (ab alio), ein äußerer Zwang ist. Ferner macht Kant klar, dass es dabei um einen pathologischen Zwang geht und nicht einen genuin intelligiblen, und dies wiederum aus dem Grund, weil er eben ein äußerer, also von außen unter der Anschauungsform des Raumes wahrnehmbarer Zwang ist (s. etwa MS VI 219).³⁸ Dies ist nun genau der

 Kant hat in seinen Vorlesungen zwar ein Beispiel für einen sog. äußeren moralischen Zwang gegeben, dies darf jedoch nicht mit der äußeren Zwangsbefugnis in der Rechtslehre verwechselt werden. Kants Beispiel gleicht vielmehr einer moralischen Aufmunterung bzw. Provokation: „Wenn ich zb: jemanden etwas schuldig bin, und der andere sagt: willst du ein ehrlicher Mann seyn, so mußt du mir bezahlen, verklagen will ich dich zwar nicht, allein erlaßen kann ich es dir auch nicht, weil ich es brauche, so ist dieses ein äußerlicher moralischer Zwang durch die Willkühr eines andern.“ (Moral Mrongovius XXVII 1418; Hv. R. M.; vgl. auch Vigilantius XXVII 521).

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punctum dolens der moralischen Begründung des Zwangsrechts bei Kant, der Punkt, woran die Kritiker einer moralischen Deutung des Zwangsrechts Anstoß nehmen. Wie kann das Zwangsrecht, das eindeutig ein äußerer, somit pathologischer Zwang ist, moralisch gelten? Oben haben wir gesehen, dass jede Pflicht mit moralischem bzw. intelligiblem Zwang gleichbedeutend ist. Daraus folgt, dass auch Rechtspflichten als solche aus der Perspektive der inneren Gesetzgebung der Freiheit, d. h. der inneren ethischen Verpflichtung (s. ausführlich folgendes Kap.), jederzeit einen intelligiblen Zwang darstellen. Denn die Rechtspflichten können aus Pflicht erfüllt werden. In diesem Sinn bedeuten also der ethische Begriff des Rechts und der intelligible Zwang schon einerlei. Dies weist aber wiederum darauf hin, dass die Rechtspflichten, solange sie aus der Sicht der Ethik betrachtet werden, einen synthetischen Gehalt haben. Denn auch sie verbinden uns mit einem realen Gegenstand, dem Intelligiblen, dessen wir nicht etwa durch Zergliederung unserer Naturbegriffe, sondern erst durch die moralische Forderung bewusst werden. Ganz in diesem Sinn schreibt Kant in den Vorarbeiten zur Rechtslehre: „Analytischer Grundsatz des Rechts (Zwanges) handle so daß deine Freyheit mit jedermanns seiner nach allgemeinem Gesetze zusammen bestehen kan, denn der Zwang kan damit bestehen. Synthetischer Grundsatz. Es ist an sich Pflicht (auch ohne [äußeren pathologischen; R. M.] Zwang) so zu handeln daß deine Freyheit mit anderer ihrer zusammen stimme.“ (XXIII 297; Hv. R. M.)

Wenn wir also den obersten Grundsatz bzw. das Prinzip des Rechts als ein Prinzip der Ethik, und das, was von ihm gefordert wird, als ethische Pflicht betrachten, dann ist auch dieses Prinzip ein synthetischer Satz, der über die phänomenale Welt hinausgeht und uns mit einem intelligiblen Realgrund als etwas Neuartigem, das im Gegensatz zu unseren sinnlichen Triebfedern steht, verbindet. In diesem Sinn schreibt Kant wiederum in den Vorarbeiten zur Rechtslehre, dass der rein moralische Begriff des Rechts eben ein reiner intelligibler Begriff ist, den wir nicht durch die Zergliederung der phänomenalen Natur gewinnen können (XXIII 309, 26).³⁹ Hieraus folgt, dass der oben kursiv gesetzte Satz: der ethische Begriff des Rechts und der intelligible Zwang bedeuten einerlei, anders als der berühmte Satz des § E der Rechtslehre: „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten […] einerlei“, ein praktisch-synthetischer Satz ist. So wird dann aber auch ersichtlich, dass die  Ich werde zu diesem Punkt in Teil IV zurückkommen. Dass der Analytizität des obersten Prinzips des Rechts ein synthetischer Inhalt zugrunde liegen muss, ist ein überaus wichtiger Punkt, der einigen Kritikern der moralischen Deutung des Zwangsrechts bei Kant entgangen ist (s. etwa Wood 1999, 2002).

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sogenannte Analytizität des obersten Prinzips des Rechts erst in Verbindung mit dem äußeren pathologischen Zwang, und, wie ich im vorherigen Unterkapitel erläutert habe, der Verträglichkeit dieser Art Zwang mit der allgemeinen Freiheit überhaupt in Frage kommt (s. auch Teil IV, Kap. 2). Während also das Recht in der Ethik, als Inbegriff der Rechtspflichten, einen intelligiblen Zwang darstellt, und damit seine praktische Synthetizität aufweist, muss in der Rechtslehre (Jus) seine analytische Verbindung mit etwas gezeigt werden, was nicht intelligiblen Charakters, sondern vielmehr das Gegenteil von diesem, nämlich pathologischer Natur ist. An dieser Stelle liegt nun die Vermutung nahe, dass Kant mit seinem Argument in § D der Rechtslehre durch den Nachweis der Kompatibilität, ja Subsidiarität der Wirkungen des äußeren pathologischen Zwangs mit der Freiheit nach dem allgemeinen Gesetz zeigen möchte, dass der pathologische Zwang unter gewissen Bedingungen genau das bewirkt, was in Konformität mit den Forderungen des heterogenen Intelligiblen steht (d. i. die Legalität), und insofern mit ihm äquivalent ist. Kant scheint nämlich durch die Regeln des Widerspruchsatzes und der duplicata nagatio in § D der Rechtslehre die Verbindung des intelligiblen und des pathologischen Zwangs durch ihre gleichgerichtete Wirkung auf der Ebene der Legalität nachzuweisen. Dies muss jetzt im Folgenden näher überprüft werden. Vernunftrecht und Motivation. Bislang haben wir gesehen, dass dort, wo es um die heterogenen, einander entgegen wirkenden Realkräfte der Natur und der Freiheit innerhalb der Bestimmungsstruktur eines unvollkommenen Willens geht, der moralische Zwang entsteht. Bei einem pathologisch affizierten Willen zeigt sich die noumenale Freiheit als ein den sinnlichen Neigungen Entgegengesetztes in einem intelligiblen Zwang. Interessanterweise läst sich daher sagen, dass auch auf der intrasubjektiven Ebene es sich bei dem moralischen bzw. intelligiblen Zwang grundsätzlich um eine Verhinderung des Hindernisses der (noumenalen) Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz handelt. Doch wie ist es um ein äußeres Hindernis der Freiheit und die Übereinstimmung äußerer Freiheiten miteinander nach dem allgemeinen Gesetz bestellt? Wir haben im Unterkapitel 3.1 dieses Teils gesehen, dass die Neutralität, genauer, die Unbestimmtheit der Rechtslehre gegenüber dem Inneren ihrer Adressaten aus systematischen, d. i. transzendentalkritischen und freiheitstheoretischen Gründen folgt. Es wurde dargelegt, dass die juridischen Gesetze im Sinne Kants, d. h. als äußere Gesetze der Freiheit, nicht unmittelbar verlangen können bzw. dürfen, zugleich aus moralischen Motiven befolgt zu werden. Diese gleichsam notwendige Dispensation von einer unmittelbaren Motivforderung an die Rechtssubjekte führt dazu, dass die Rechtslehre bloß eine „Wissenschaft der Beurtheilung der Handlungen nach ihrer Legalitaet“ bleibt, „daß ein Zwangsgesetz

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nur auf die Legalität der Handlung sich einschränken könne, sich aber über die Moralität nicht gedenken lasse“ (Vigilantius XXVII 582). Doch die Rechtslehre als Lehre äußerer Gesetzgebung der Freiheit, also als eine praktisch-normative Theorie, benötigt noch eine Motivationsquelle; auch das strikte Recht muss nämlich nach Kant neben einem principium diiudicationis (s. hierzu ausführlich Teil III, Kap. 4) ein eigenes principium executionis zur Verfügung haben. Eine praktisch-normative Lehre, die kein eigenes Exekutionsprinzip besitzt, ist der vernichtenden Gefahr ausgesetzt, ein ohnmächtiges Sollen darzustellen bzw. die Realisierung ihres normativen Gehalts auf Beliebigkeit zu reduzieren. Denn auch wenn das Exekutionsprinzip und das Dijudikationsprinzip einer praktisch-normativen Theorie nicht aufeinander reduzibel sind, so sollen sie doch aufeinander abgestellt, miteinander kompatibel sein. Für das rein moralische Recht als den Inbegriff der Rechtspflichten, welches sich innerhalb der Ethik befindet, gilt zwar die Moralität selbst als das grundlegende Exekutionsprinzip weiter. Doch für das strikte Recht (die Rechtslehre bzw. das Jus), das sich bloß auf die äußeren Handlungen und deren Legalität bezieht, kann bzw. darf die Moralität nicht mehr als ein solches Prinzip fungieren. Während also das strikte Recht das Zusammenbestehen äußerer Freiheiten zu seinem Dijudikationsprinzip hat, soll sein Exekutionsprinzip ein solches sein, welches mit jenem kompatibel ist, auch wenn es nicht mehr auf die Moralität unmittelbaren Bezug nimmt. Doch was kann bzw. darf dann als das Motivations- bzw. das Befolgungsprinzip für das strikte Recht in Frage kommen, das mit dem grundsätzlich intelligiblen Charakter des Vernunftrechts übereinstimmt, das aus der Freiheitstheorie Kants als der Grundlage seiner praktischen Philosophie heraus entwickelt wird und mit ihr nicht in Widerspruch gerät? Auch wenn das strikte Recht sich mit der Legalität äußerer Freiheitsgebräuche begnügen muss, so ist es aufgrund seines Freiheitscharakters doch nötigend. Da aber die Rechtsadressaten nicht nur vernünftige Subjekte sind, sondern vielmehr auch sinnliche Neigungen besitzen, welche zur immerwährenden Maximierung ihres eigenen äußeren Gebrauchs der Freiheit, somit entgegen der gleichen Freiheit Anderer wirken, so bedeutet hier der nötigende Charakter des strikten Rechts genau genommen einen Zwang. Das, was als das eigentümliche Exekutionsprinzip des strikten Rechts in Frage kommt, muss also ein Zwangsprinzip sein, welches dazu führt, dass die pathologisch affizierten Rechtssubjekte auch dort gemäß den Rechtsforderungen handeln, wo sie ihnen aus sinnlichen Gründen nicht zustimmen, d. h. ungern folgen. Nun, die Argumente, die ich im Unterkapitel 3.1 vorgebracht habe, gelten an dieser Stelle weiter: Dieser Zwang als notwendiges Befolgungsprinzip des strikten Rechts kann und darf dann nicht mehr ein innerer, intelligibler Zwang sein. Zum einen kann dieser äußere Zwang, der bereits unter der sinnlichen Anschauungs-

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form Raum steht, nach der Transzendentalen Ästhetik nicht mehr ein intelligibler sein. Zum anderen darf er auch nicht auf das Innere der Rechtssubjekte unmittelbaren Rekurs nehmen. Das Exekutionsprinzip des strikten Rechts kann also im Rahmen der Kantischen Philosophie nichts anderes sein als ein genuin äußerer, pathologischer Zwang. Die Pointe der Kantischen Theorie des Zwangsrechts lässt sich daher nicht so formulieren: Aus diesen oder jenen kontingenten Gründen bzw. Klugheitsregeln kommt Kant in seiner Rechtslehre auf den Begriff des Zwangs, und zwar eines pathologischen. Sondern sie muss vielmehr so lauten: In Kants Konzeption des strikten Rechts kann konsequenterweise, d. h. auf der Basis seiner Transzendentalkritik sowie seiner Freiheitstheorie, nur der äußere pathologische Zwang als ein Exekutionsprinzip in Frage kommen. Es sind m. E. diese Überlegungen, die Kant in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten in aller Dichte folgendermaßen zusammenfasst: „Diejenige [Gesetzgebung], welche eine Handlung zur Pflicht und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ist ethisch. Diejenige aber, welche das Letztere nicht im Gesetze mit einschließt, mithin auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht selbst zuläßt, ist juridisch. Man sieht in Ansehung der letztern leicht ein, daß diese von der Idee der Pflicht unterschiedene Triebfeder von den pathologischen Bestimmungsgründen der Willkür der Neigungen und Abneigungen und unter diesen von denen der letzteren Art hergenommen sein müsse, weil es eine Gesetzgebung, welche nöthigend, nicht eine Anlockung, die einladend ist, sein soll.“ (MS VI 219, 2– 11)

Wie kann es aber sein, dass das Exekutionsprinzip des strikten Rechts (der Rechtslehre), der äußere pathologische Zwang als solcher moralisch bleibt? Daraus, dass dieses Exekutionsprinzip eine Art Zwang sein muss, und sodann nur ein äußerer pathologischer sein kann bzw. darf, folgt nicht, dass es auch selbst moralischen Geltungscharakter besitzt. Zunächst ist klar, dass aufgrund der Heterogenität von Intelligiblem und Sinnlichem, der pathologische Zwang nur auf mittelbare Weise mit der Grundlage der Moralphilosophie Kants in Verbindung kommen kann. Diese Grundlage besteht nun, sei es im Recht, sei es in der Tugendlehre, in der Übereinstimmung der Freiheit mit sich selbst in einer universalisierbaren Form, d. h. nach einem allgemeinen Gesetz.⁴⁰ Kant begründet seine Argumentation allerdings wiederum auch dadurch, dass das allgemeine Gesetz selbst als der oberste und unmittelbare Bestimmungsgrund einen sinnlich-vernünftigen Willen determinieren kann – woraus eine Handlung aus Pflicht bzw. die Moralität folgt. Soll also der rechtliche Zwang moralisch sein, so muss er nicht nur

 „Recht ist Uebereinstimmung | der Handlung mit der Regel, unter der allein die Freiheit aller zusammen bestehen kann. Tugend ist die Uebereinstimmung der Handlung mit dem Princip der Freiheit, welches allgemein mit sich selbst übereinstimmt.“ (Moral Mrongovius II, XXIX 630 f.)

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auf der Grundlage Kantischer Ethik, d. h. der universalen Selbstkompatibilität der Freiheit, aufgebaut werden, sondern auch mit dem entscheidenden Moment der Ethikbegründung bei Kant, der Moralität, also mit dem genuinen Exekutionsprinzip seiner Ethik, verträglich sein. Genau dies ist es,was Kant in seiner Theorie des Zwangsrechts tut. Der äußere, pathologische Zwang wird nicht nur ursprünglich und allein darum entwickelt, dass er für die Übereinstimmung äußerer Freiheiten miteinander sorgt. Er ist auch mit der Moralität verträglich; mehr noch, er befördert sogar die Moralität, indem er die Legalität der Handlungen, die für Kant als die Anwendungsbedingung der Moralität gilt (s. hierzu ausführlich Teil II, Unterkap. 4.4), verlangt. Der äußere pathologische Zwang in der Rechtslehre ist damit nicht nur ein moralkonformer, sondern ein mittelbar moralisch begründeter Zwang (vgl. Teil I, Kap. 3).⁴¹ Aufgrund seiner sinnlichen Art kann der pathologische Zwang zwar nur sinnliche Triebfedern, sinnliche Lust bzw. Unlust erzeugen. Diese können jedoch mittelbar mit dem Pflichtmotiv verbunden werden, auch wenn sie in der Rechtslehre nicht an dessen Stelle gesetzt werden dürfen. Dort also,wo das Rechtssubjekt nicht aus moralischen Gründen das oberste Prinzip des Rechts befolgt, besteht die motivationale Wirkung der äußeren, pathologischen Zwangsbefugnis in einer Konfrontation sinnlicher Triebfedern gegeneinander selbst, gleichsam in einem Kampf zwischen einerseits den Neigungen, die zur Übertretung einer vernunftrechtlichen Forderung treiben, und denjenigen andererseits, die erzeugt durch den pathologischen Zwang (etwa Furcht vor der Strafe u. ä.) für die – bloß legale – Erfüllung vernunftrechtlicher Forderung sprechen. Mit anderen Worten, die äußere, pathologische Zwangsbefugnis spielt die Neigungen so gegeneinander aus, dass ein Konflikt der „Stimuli contra stimulos“ am Ende durch eine zumindest prudentielle Entscheidung zugunsten der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen, also zugunsten der Moral ausfällt. Mehr noch, durch diese Zwangsbefugnis werden sogar „andere der Moralität widerstrebende Neigungen überwältigt und geschwächt“ (Vigilantius XXVII 520). Auch wenn Kant in seiner Rechtslehre keine ethikoteleologische Rechtskonzeption vertritt,⁴² so ist also die pathologische aber freiheitsfördernde Wirkung des äußeren Zwangsrechts doch auch für die mora-

 Bereits in den Jahren 1776 – 78 schreibt Kant: „Der Rechtszwang ist ein pathologischer, aber der obligation conformer Zwang.“ (Refl. 7000 XIX 223) „Die Schuldigkeit ist die Pflicht, zu der wir von andern moralisch gezwungen werden; daher ist auch der pathologische Zwang erlaubt.“ (Refl 7004, XIX 224; Hv. R. M.) „Die Tugendpflicht ist von der Rechtspflicht wesentlich darin unterschieden: daß zu dieser ein äußerer Zwang moralisch-möglich ist, jene aber auf dem freien Selbstzwange allein beruht“ (TL VI 383, 18 ff.; Hv. R. M.).  S. hierzu Kersting 21993 142– 151

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lische Fortentwicklung und Vervollkommnung förderlich (s. vor allem VARL XXIII 354).⁴³ Man kann daher sagen, dass in der Rechtslehre der moralische Zwang bzw. die innere Obligation aus systematischen Gründen, aus der Verbindung der Grundelemente Kantischer Transzendental- und Moralphilosophie, durch den pathologischen, aber befugten Zwang motivational substituiert wird. So ist diese Art Zwang zwar an sich nicht intelligibler Natur, doch er gilt als ein mittelbar moralisch begründeter Motivationsersatz; ein Charakteristikum, welches in Kants Formulierung „Befugniß zu zwingen“ (RL VI, §§ D-E) konzise zum Ausdruck kommt. Beruhen-auf/Sich-nicht-berufen-auf – eine bifunktionale Begründungsleistung. Man fragt sich nun berechtigterweise: Wozu der ganze Aufwand einer moralischen Begründung des strikten Rechts bei Kant? Weshalb überhaupt soll der moralische Geltungscharakter der Zwangsbefugnis dargelegt werden, wenn sie ohnehin nicht auf die Moralität Bezug nimmt? Kant selbst betont an zahlreichen Stellen seiner Moral-Kollegs, dass „das Princip des Rechts gar nicht auf Glückseligkeit gehe“ (Feyerabend XXVII 1332), dass „kein Zwangsrecht dadurch begründet werden [kann], daß der andere keine Nachtheile von der Einschränkung seiner Freiheit, ich dagegen von dem Gebrauch meiner Freiheit Vortheile zu erwarten habe“ (Vigilantius XVII 525; Hv. R. M.). Wie man aus den bisherigen Argumenten leicht entnehmen kann, gilt es in der Diskussion um die moralische Grundlage des Rechts bei Kant zwischen dem, worauf die normative Geltung des Rechts, und damit der Zwangsbefugnis, gründen einerseits, und dem, wie das Zwangsrecht fungiert andererseits, zu unterscheiden – eine Trennung, die in der Literatur nicht selten unbeachtet bleibt. Aus der Begründungsperspektive kann das Recht nicht

 „Z. E. derjenige, der in seine Handlungen schon eine maxime aufgenommen hat, die er als Regel ansieht. – Er findet es, um vom Weinhandel Verdienst und Brot zu haben, für thunlich, Bleyzucker und andere versüßende Mittel damit zu vermischen, so handelt er mit Vorsatz nach einem Grundsatz, der Triebfeder seiner subjectiven Neigung, und nie ein Grundsatz der Moral ist, schon darum nicht, weil er ihn nicht ungern ausübt. Durch Vorstellung des Gesetzes oder durch den moralischen Weg wird er nicht gezwungen werden können, weil er vom Gegentheil überzeugt ist. Er muß also pathologisch gezwungen werden. Es wird ein Zwang nöthig seyn, der seiner maxime des Eigennutzes das Gegengewicht hält und seine Triebfeder zum Verfälschen des Weins zerstört. – Man lasse ihn die genaueste Controlle fürchten, man strafe ihn. Ueberhaupt ist das Gegenmittel angemessen, die Neigung zu schwächen, sein sinnlich Gefühl durch ein anderes collidirendes Gegengefühl rege zu machen, so ist man im Stande, zu bewirken, daß fortgesetzte Gewohnheit die Kraft der Neigung schwächt, und dann haben moralische Gründe Eindruck, so daß er also durch Hinwegräumung des Hindernisses frei gemacht, und durch diese pathologische Mittel zur Erkenntniß seiner Pflicht gebracht werden kann.“ (Vigilantius XXVII 521)

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auf dem Prinzip der Glückseligkeit beruhen, weil, wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde (Kap. 2), die Glückseligkeit und die sich auf sie gründenden Prinzipien bzw. Klugheitsimperative nach Kant in zweifacher Hinsicht von der Erfahrung abhängen: in der Bestimmung der Neigungen selbst, die nach dem Glückseligkeitsprinzip (extensiv, intensiv und protensiv) befriedigt werden sollen, sowie in der Bestimmung der immer situativ gebundenen Möglichkeiten und Optionen, die eine Befriedigung dieser Neigungen versprechen.⁴⁴ Das Glückseligkeitsprinzip bestimmt nicht den konkreten Inhalt der subjektiven Zwecke; es lässt sie vielmehr unter dem allgemeinen „Titel“ Glückseligkeit unbestimmt, da sie ausschließlich a posteriori gegeben und nur subjektabhängig durch Erfahrung festgesetzt werden können – und gerade in diesem Punkt könnte dieses Prinzip zugegebenermaßen an das allgemeine Rechtsprinzip erinnern. Während jedoch die Nötigungskraft der Klugheitsforderungen in einem nexus utilitatis Geltung beansprucht, beruht die normative Kraft des Vernunftrechts samt dessen Exekutionsprinzip, dem befugten äußeren Zwang, auf der universell gültigen Freiheit, welche nach Kant wiederum allein durch das Bewusstsein moralischer Verbindlichkeit begründet wird. In dieser Hinsicht ist also das Moralgesetz für die Begründung des Rechts und somit der Zwangsbefugnis eine notwendige Bedingung. Dieses Begründungsverhältnis lässt sich auch folgendermaßen erläutern: Das Recht stellt eine Art des praktischen Sollens dar. Wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, schlagen sich alle möglichen Arten des praktischen Sollens bzw. der Verbindlichkeiten in verschiedenen Klassen von Imperativen nieder. Nun kann das Recht nicht auf hypothetischen Forderungen beruhen; es muss also aufgrund der vorausgesetzten Vollständigkeit der Imperativtheorie Kants kategorisch gelten. Stellt man hier aber die Frage, woher die Kategorizität des Rechts geltungstheoretisch stammt, so lautet die Antwort: Diese Geltungsart ist im Rahmen der praktischen Philosophie Kants das Monopol des Moralgesetzes. Wollte man diesem widersprechen, so müsste das Recht – im Rahmen der praktischen Philosophie Kants – gezwungenermaßen wiederum auf hypothetische Forderungen reduziert werden. Dies hat dann jedoch nichts mehr mit Kants Konzeption des Rechts zu tun. Andererseits ist es auch nicht angebracht, eine neue Art der kategorischen Normativität für das Recht einzuführen (so aber Willaschek 2009, Horn 2009), nicht nur weil diese im Gesamtwerk Kants nicht belegt werden kann. Es

 So heißt es in der Nachschrift Vigilantius etwa: „Sollten daher Rechtsgesetze auf das Princip der Glückseligkeit Rücksicht nehmen, so wäre, da diese einer so unendlichen verschiedenen Bestimmung der Menschen unterworfen ist, es un|ausbleiblich, daß der Freiheit des Verpflichteten Abbruch geschähe und sie eingeschränkt werden würde, indem es alsdann der Willkür des anderen überlassen wäre, so wie es dessen Glückseligkeitsplan erheischt“ (XXVII 532).

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besteht dafür auch kein Bedarf, wenn man Kants Begründungsstrategie für den moralischen Charakter des Rechts gerecht wird. Die, wenn auch nicht sofort offensichtliche Strategie ist folgende: Das Recht beruht zwar auf dem moralischen Bewusstsein, es wird dadurch begründet und gilt daher kategorisch; doch es fordert gleichzeitig nicht dazu auf, dass dieses Bewusstsein bzw. das Moralgesetz selbst der Bestimmungsgrund des Willens sei. Man könnte diesen Umstand auch so darstellen, dass das Recht begründungstheoretisch mit der Moralität verbunden sein, doch in seiner Befolgung von dem Moment der Moralität gleichsam abgekoppelt werden muss, und zwar wiederum aus transzendentalkritischen und moralischen Gründen. In einer bedeutsamen, aber weithin übersehenen Passage des § E der Rechtslehre formuliert Kant m. E. genau diese Überlegungen: „Dieses [sc. das strikte Recht bzw. das „völlig äußere“ Recht; 232, 15 ff.] gründet sich nun zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze; aber die Willkür darnach zu bestimmen, darf und kann es, wenn es rein sein soll [d. h. wenn es mit „keinen Tugendvorschriften vermengt“ werden soll; 232, 16], sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen, sondern fußt sich deshalb auf dem Princip der Möglichkeit eines äußeren Zwanges, der mit der Freiheit von jedermann nach allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann.“ (RL VI 232, 17– 23; Hv. R. M.)

Zusammenfassend lässt sich also die Problematik der moralischen Begründung des Rechts und damit des Zwangsrechts angesichts deren Verhältnisses zur Moralität noch einmal so darstellen: P1: Moralische Verpflichtung (MV) begründet das oberste Prinzip des Rechts (OPR) (OPR setzt MV voraus), P2: Die Moralität (M) begründet die moralische Verpflichtung (MV setzt M voraus), daraus folgt: P3: Das oberste Prinzip des Rechts setzt also die Moralität voraus (OPR gründet auf M); doch andererseits gilt es: P4: Das oberste Prinzip des Rechts ist gegenüber der Moralität unbestimmt (OPR steht in keiner notwendigen Verbindung mit M). Die Hauptkomplikation in diesen Verhältnissen, wie sie zwischen P3 und P4 offenbar wird, besteht aber nur dann, wenn wir die oben angeführten Perspektiven der Begründung und der Befolgung des Rechts nicht voneinander abheben. Führen wir uns dagegen vor Augen, dass P3 den Begründungsaspekt (OPR gründet [geltungstheoretisch] auf M), P4 aber nur den Befolgungsaspekt des Rechts betrifft

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(OPR steht – aus der Perspektive seiner Befolgung – in keiner notwendigen Verbindung mit M), so wird die Problematik behoben. Das strikte Recht beruht auf dem Moralgesetz, und somit der Moralität, es beruft sich jedoch in der Forderung seiner Befolgung nicht auf die Moralität seiner Adressaten. Die Unbestimmtheit der Rechtslehre Kants gegenüber dem Inneren der Rechtssubjekte ist also kein Grund dafür, dass die begründungstheoretische Verbindung des Rechts mit der noumenalen Freiheit und dem Moralgesetz abgebrochen wird. Sie betrifft vielmehr nur das, was das Recht in seiner Befolgung verlangen kann bzw. darf, und zwar wiederum in moralischer Hinsicht. Das Entscheidende in dem Verhältnis des obersten Prinzips des Rechts zum Moralgesetz besteht also nicht etwa in ihren unterschiedlichen Geltungsarten, sondern vielmehr in ihren unterschiedlichen Motivationsweisen. Während die direkte Verbindung des Rechts mit der Moralität über das Innere ihrer Adressaten möglich und offen bleibt, und zwar gerade wegen ihres Begründungsverhältnisses,⁴⁵ kann das strikte Recht als Äußeres die Moralität nicht direkt ansprechen. Anders gewendet bedeutet dies, dass das, was das strikte Recht fordert (die juridische Legalität), ohne Moralität nicht gelten kann; doch das strikte Recht selbst kann und darf die Moralität nicht auffordern. Kants Strategie zur moralischen Begründung des Rechts ist also besonderer Natur. In ihr fallen Aspekte der Fundierung und der Restriktion zusammen: Dasjenige, worauf sich das äußere Recht geltungstheoretisch gründet, restringiert zugleich dessen applizierenden Rekurs auf sich, auf dieses Fundament selbst. Die Moralität, welche das oberste Moralgesetz als Kontrapunkt zu unserem neigungskontaminierten Bestandteil (s. etwa GMS IV 400 ff.), und infolgedessen auch die kategorische Geltungsart des obersten Prinzips des Rechts begründet, schränkt wiederum das äußere strikte Recht in seinen Befolgungsansprüchen ein. Würde sich das strikte Recht unmittelbar auf die Moralität berufen, so würde es sich eben darum kontradiktorisch verwandeln und gerade zu einem Unrecht (unmoralisch) werden. Eine solche argumentativ bifunktionale Leistung (Fundierung und Restriktion zugleich) der Moralität scheint mir durchaus als ein Kantisches Verdienst zu erachten zu sein.

 So übersieht Willaschek, dass es zwar stimmt, „that right is Motivationally independent from morals“ (Willaschek 2009, 53), doch dies gleichsam nur die Hälfte der Wahrheit ist. Denn die Möglichkeit, dass das Recht aus Pflicht befolgt wird, besteht weiter.

4 Das Vernunftrecht aus pflichtentheoretischer Perspektive

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4 Das Vernunftrecht aus pflichtentheoretischer Perspektive Bei der näheren Betrachtung der Zweiteilung der Metaphysik der Sitten in bloß praktischer Hinsicht in Kapitel 2 dieses Teils habe ich zwei Gesichtspunkte in Erwägung gezogen, einen legislativen und einen pflichtentheoretischen, die je nach Prioritätensetzung in den Mittelpunkt einer Studie über sie rücken können. Dabei soll allerdings angemerkt werden, dass sich keiner der beiden Gesichtspunkte streng abgegrenzt von dem jeweils anderen bearbeiten lässt. Gesetzes- und Pflichtbegriff, die Kant beide ausschließlich für das Moralische reserviert, sind Wechselbegriffe; alle Pflichten stehen unter den Moralgesetzen, und alle moralischen Gesetze schlagen sich ihrerseits in den verschiedenen Klassen von Pflichten nieder. Die Akzentuierung eines dieser Gesichtspunkte deutet aber auf eine gewisse Zielrichtung in der jeweiligen Interpretation hin; ob man nämlich eher auf die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten der Rechtslehre und der Tugendlehre abheben will. In diesem Kapitel möchte ich, im Unterscheid zu dem vorherigen, mehr auf die einheitlichen Aspekte der beiden Teile der Metaphysik der Sitten Nachdruck legen, welche sich aus einem pflichtentheoretischen Gesichtspunkt ergeben. Im Folgenden wird sich das erste Unterkapitel mit drei Themen befassen: mit der ethischen Verbindlichkeit als der singulären Geltungsbasis aller Pflichten bei Kant, mit der Frage, woher der Plural der Pflichten stammt sowie schließlich mit Kants Zweiteilung der sog. Pflichtzwecke. Hieraus soll dann gezeigt werden, dass Kant den Terminus „Ethik“ sowohl in einem weiten wie auch in einem engen Sinn verwendet. Das zweite Unterkapitel ist dann Kants Verständnis der Legalität und der Moralität bezüglich der Rechts- und der ethischen Pflichten gewidmet. Im dritten Unterkapitel werde ich mich nach einem kurzen Überblick über Kants Pflichtentypologie mit den sogenannten inneren Rechtspflichten, der unvollkommenen Verbindlichkeit der Pflichtzwecke und mit den Charakteristika der äußeren Rechtspflichten befassen. Schließlich wird im letzten Unterkapitel (4.4) auf einer Anwendungsebene dem Verhältnis der Hauptklassen der Pflichten bei Kant Rechnung getragen. Dabei wird gefragt, was gleichsam das Minimum der Kantischen Pflichtenlehre in der Praxis ausmacht.

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Teil II Das Vernunftrecht und die Metaphysik der Sitten

4.1 Der Singular der Verpflichtung (Ethik1), der Plural der Pflichten und der Dual der Pflichtzwecke (Ethik2) „[A]lle Verbindlichkeit jeder Art, die rechtliche wie die ethische, in specie ethisch sey“ (Vigilantius XXVII 584)

Die entscheidenden Kriterien der formalen Zweiteilung der Metaphysik der Sitten behandelt Kant insbesondere in Abschnitt III der Einleitung in die Metaphysik der Sitten (VI 218 f.). Dort differenziert er bei den Freiheitsgesetzgebungen „zwei Stücke“: Ein Gesetz, „welches die Handlung zur Pflicht macht“, und eine Triebfeder, „welche den Bestimmungsgrund der Willkür zu dieser Handlung subjectiv mit der Vorstellung des Gesetzes verknüpft“; genauer gesagt besteht „das zweite Stück“ in dem Akt, „die Pflicht zur Triebfeder“ zu machen, also in der Moralität bzw. „Sittlichkeit“ (MS VI 218; vgl. Teil I, Kap. 2.2). In einem weiteren Schritt teilt sich damit nach Kant die Gesetzgebung selbst „in Ansehung der Triebfeder“. Wenn eine Gesetzgebung eine Handlung zur Pflicht, „und diese Pflicht“ selbst „zugleich“ zur Treibfeder macht, so nennt Kant sie ethisch. „Diejenige [sc. Gesetzgebung] aber, welche das Letztere [sc. moralische Triebfeder] nicht im Gesetze mit einschließt, mithin auch eine andere Triebfeder als die Idee der Pflicht selbst zulässt“, ist dagegen juridisch (MS VI 219; Hv. R. M.). Dies entspricht einer Handlung, die zumindest gemäß der Pflicht erfolgt, also dem, was Kant Legalität bzw. „Gesetzmäßigkeit“ nennt. Schließlich verbindet Kant im genannten Abschnitt die juridische Gesetzgebung allein mit den äußeren Pflichten und definiert die ethische Gesetzgebung dagegen als diejenige, welche „auf alles“ geht, „was Pflicht ist“, gleich ob die Pflicht eine äußere oder eine innere Handlung ist, eine Rechtspflicht oder eine ethische Pflicht. Dabei ist wiederum ersichtlich, dass, während die äußere bzw. juridische Gesetzgebung nur eine Teilmenge der Pflichten umfasst (die äußeren Rechtspflichten), sich die ethische bzw. innere Gesetzgebung mit allen Pflichten als solchen deckt. Ich möchte nun im Folgenden die Rechtslehre zunächst nicht als die Lehre juridischer Gesetzgebung, d. h. nicht „als bloße Gesetzlehre ohne die Triebfedern im Gesetz“, sondern vielmehr insofern als sie „unter der Ethik enthalten“ ist, als die Lehre bzw. den Inbegriff der Rechtspflichten in Betracht ziehen.⁴⁶ Insofern aus dieser pflichtentheoretischen Perspektive auch die Tugendlehre betrachtet werden kann, wird also das Augenmerk darauf gerichtet, was die Lehre der Rechts-

 S. zu dieser Perspektive VARL XXIII 349, 10 ff.; vgl. auch das Schema der VARL XXIII 246, 15 f.

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pflichten und die Tugendlehre vereint und was sie dann innerhalb dieses einheitlichen Konzepts voneinander abhebt. Derselbe Sachverhalt, welchen Kant mit ethischer Gesetzgebung oder mit der Moralität, als die Grundlage aller Pflichten bezeichnet, tritt in der Metaphysik der Sitten auch in Ausdrücken wie „ethische Verbindlichkeit“, „ethische Verpflichtung“ oder „Tugendverpflichtung“ bzw. formale Tugendverbindlichkeit auf (s. etwa TL VI 410, 23 f.). Die ethische Verpflichtung erstreckt sich nämlich, gleich wie die ethische Gesetzgebung oder die Moralität, auf alle Pflichten und bildet die gemeinsame Basis aller ihrer Typen. Kant hält damit trotz der Pluralität von Pflichten an einer singulären formalen Grundlage für sie fest; eine „formale Tugendverbindlichkeit (die nur eine einzige ist)“ (s. VATL XXIII 396, 30; TL VI 375, Fn.). Diese Singularität der ethischen Verpflichtung bzw. formalen Tugendverbindlichkeit lässt sich im Grunde auf Kants Kausalitätslehre, auf seine Auffassung von der Art der Kausalität der intelligiblen Ursache in der phänomenalen Natur zurückführen (vgl. etwa KpV V 65, 70; KU V 171). Es gibt nämlich nach Kant nur einen einzigen Weg, sein noumenales Freiheitsvermögen zu verwirklichen: Das moralische Gesetz selbst muss als der oberste und unmittelbare Bestimmungsgrund, gleich einer „causa solitaria“ und ohne Mitwirkung anderer Antriebe, den Willen determinieren, und genau dies nennt Kant die ethische Verpflichtung (s. auch Teil I, Kap. 2.2).⁴⁷ Kant hat daher an verschiedenen Stellen mit Emphase zwischen ethischer Verpflichtung (obligatio ethica) und der Pflicht selbst (officium) unterschieden und betont, dass die Singularität der Ersteren mit dem Plural der Pflichten nicht zu verwechseln sei.⁴⁸ Woher aber stammt die Pluralität der Pflichten? In dem Abschnitt Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten charakterisiert Kant die Pflicht als „die Materie der Verbindlichkeit“ (MS VI 222, 32), was umgekehrt bedeutet, dass die Verbindlichkeit die Form der Pflichten ist. Während die ethische Verbindlichkeit eine singuläre, alle Pflichten umfassende Form ist, stehen also die Pflichten als solche für die Mannigfaltigkeit moralischer Handlungen. Was bedeutet es aber genau, dass die

 „Das formale praktische Princip der reinen Vernunft, nach welchem die bloße Form einer durch unsere Maximen möglichen allgemeinen Gesetzgebung den obersten und unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens ausmachen muß, das einzige mögliche sei, welches zu kategorischen Imperativen, d. i. praktischen Gesetzen […], und überhaupt zum Princip der Sittlichkeit […] tauglich ist“ (KpV V 41, 31– 38, vgl. auch 25, 7 ff.).  „Es giebt verschiedene Pflichten aber nur eine Verbindlichkeit überhaupt in Ansehung ihrer aller. Letztere hat keine plurale“ (VARL XXIII 250, 10 ff.; Hv. R. M.). In der Nachschrift Vigilantius heißt es auch, dass man „nicht Verbindlichkeit mit Pflichten gleich achten und beydes miteinander verwechseln“ darf (XXVII 585, 9 ff.).

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Pflichten die Materie bzw. die Mannigfaltigkeit der formalen ethischen Verbindlichkeit ausmachen? Auf diesen Punkt geht Kant selber zum Teil in der Einleitung zur Tugendlehre ein (s. etwa TL VI 395, 9 – 14; 406, 14– 17; 410, 27– 30). Dort wird etwa die Mannigfaltigkeit der Tugendpflichten auf die Vielheit der Zwecke zurückgeführt, die zugleich Pflichten sind, die sogenannten Pflichtzwecke der Menschen. Da die Pflichtzwecke sich als solche aus rein vernünftigen Gründen in zwei Klassen einteilen lassen (s. unten), bilden sie für Kant eine Struktur, der die Vielzahl der Zwecke, „viele Objekte“ (VI 410, 28), die sich als „verschiedne moralische Gegenstände“ denken lassen, untergeordnet wird (TL VI 406, 14 ff.). Darüber hinaus finden wir etwa in den Vorarbeiten zur Tugendlehre eine Antwort darauf, woher eigentlich die Vielzahl der „verschiedne(n) moralische(n) Gegenstände“ (sc. Pflichten) kommt. Kant schreibt dort: „Der Unterschied der Neigungen als Hindernisse macht also eigentlich den materialen Unterschied der Tugenden und so fern giebts viele“ (XXIII 388, 29 – 33; Hv. R. M.). Mit anderen Worten, ist die Vielheit der Tugendpflichten im Grunde auf die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Neigungen zurückzuführen, und zwar auf negative Weise, d. h. insofern, als die Neigungen bzw. Naturgegenstände Hindernisse der Anwendung der ethischen Verpflichtung ausmachen. Analog können wir auch die Vielheit der Rechtspflichten in dieser negativen Weise auf die ihnen gegenüberstehenden sinnlichen Neigungen zurückführen. Die Menge der Neigungen, die etwa im Gegensatz zu den Tugendpflichten stehen, fällt allerdings mit der Menge der den Rechtspflichten gegenüberstehenden Neigungen nicht zusammen. Zur Zuständigkeit der Neigungen, also Naturgegenstände, für die Vielheit der Pflichten ist aber noch zweierlei anzumerken. Zum einen macht die Sinnlichkeit keine normative Konstitutionsbedingung der Sittlichkeit selbst aus, sondern nur die Anwendungs-, und daher auch die Einteilungsbedingungen des Systems ihrer Pflichten (vgl. KpV V 8). Die Haupteinteilung der Pflichten erfolgt nämlich in der Metaphysik der Sitten quasi entlang einer Steigerung der Eigentümlichkeiten der menschlichen sinnlichen Beschaffenheit: Zunächst teilen sich durch die Bedingungen a priori menschlicher Sinnlichkeit alle Pflichten in zwei Hauptklassen, in die zwei Klassen der inneren und die äußeren Pflichten; sodann sorgen weitere empirische Elemente für die spezifische Differenzierung der jeweiligen Pflichtklassen, z. B. der vollkommenen und der unvollkommenen (s. unten Unterkap. 4.3). Zum anderen ist zu beachten, dass, da es nur eine ethische Verpflichtung gibt, die allen Klassen der Pflichten zugrunde liegt, diese Verpflichtung an sich noch nichts über die Einteilung in die jeweiligen Pflichtklassen aussagt. Das Moment der tugendhaften Gesinnung bzw. Moralität lässt sich sowohl bei Tugend-, wie auch bei Rechtspflichten gleichermaßen antreffen (s. unten Unterkap. 4.2).

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Kant bezeichnet nun die Tugendpflichten auch als ethische Pflichten und die Lehre der Tugendpflichten als Ethik. Dieser Gebrauch des Begriffs Ethik sowie des Attributs „ethisch“ wirkt angesichts der gleichzeitigen Geltung der ethischen Verbindlichkeit für die Rechtspflichten irritierend. Deshalb fragt man sich, worin die Tugendpflichten bestehen und was genau Kant mit Ethik meint. In einem gewissen Sinn sind für Kant die Gegenstände der Ethik die Zwecke, die sich jeder Mensch vorsetzen soll – die Pflichtzwecke. Insofern bedeutet die Ethik oder die Tugendlehre für ihn den Inbegriff der Pflichtzwecke, wofür er auch, genau genommen, eine besondere Bezeichnung hat: „moralische Zwecklehre“ (TL VI 385, 27). Dabei sind zwei Elemente für diese Lehre entscheidend: Der Reflexionsbegriff der Materie, die nach Kant in dem Begriff jedes Zwecks enthalten ist, und der Begriff der objektiven, für alle Menschen gültigen Zwecke. Zusammen bilden sie den Begriff der materialen objektiven Zwecke, was gleichbedeutend mit Pflichtzwecken ist.⁴⁹ Wie aber begründet Kant die objektiven materialen Zwecke? Wir haben gesehen, dass die äußere Unerzwingbarkeit der Zwecksetzungen, eine Grundthese, die Kant sowohl aus erkenntnistheoretischen wie auch moralisch-praktischen Gründen vertritt, aus der Rechtslehre ein System macht, welches nur mit „der formalen Bedingung der äußeren Freiheit“ zu tun haben kann bzw. darf (TLVI 380, 19 f.). Die Tugendlehre hingegen soll nach Kant „noch eine Materie (einen Gegenstand der freien Willkür), einen Zweck der reinen Vernunft, der zugleich als objectiv nothwendiger Zweck, d. i. für den Menschen als Pflicht, vorgestellt wird, an die Hand“ geben (TL VI 380, 22– 25; Hv. R. M.).⁵⁰ Kant kann also nur dadurch, dass ein Zweck zugleich Pflicht ist, eine Lehre der objektiven Zwecke entwerfen; eine Forderung solcher Zwecke kann nur dadurch legitimiert werden, dass diese zugleich Pflicht sind. Dafür liefert Kant in Abschnitt IX der Einleitung zur Tugendlehre eine „Deduction“. Dabei mag man sich zunächst wundern, dass er diese nur innerhalb eines einzigen, nämlich des letzten Absatzes des Abschnitts (TL VI

 In der Grundlegung schreibt Kant, dass „materiale Zwecke“, die „nach Belieben“ als Handlungswirkung eines vernünftigen Wesens vorausgesetzt werden, relativ seien (IV 427, 33 f.). Insoweit gibt diese Stelle der Grundlegung keinen Anlass dazu, eine spätere Revision durch Kants These der materialen objektiven Zwecke in der Tugendlehre anzunehmen. Dass die beliebigen bzw. subjektiven materialen Zwecke nur als Grund der hypothetischen Imperative gelten, lässt nämlich offen, dass es auch einen Kategorischen Imperativ der objektiv materialen Zwecke geben kann (s. auch GMS IV 428, 2).  Warum dies so ist, lässt sich etwa anhand folgender Passage einsehen: „[D]a die sinnlichen Neigungen zu Zwecken (als der Materie der Willkür) verleiten, die der Pflicht zuwider sein können“, „die gesetzgebende Vernunft“ selbst, um dem „Einfluß“ dieser Neigungen zu „wehren“, eines „entgegengesetzten moralischen Zweck(s)“ bedarf, eben eines materialen objektiven Zwecks, welcher „von der Neigung unabhängig a priori gegeben sein muß“ (TL VI 380 f.).

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395, 23 – 32; vgl. 396, 15 f.) „aus der reinen praktischen Vernunft“ entwickelt. Doch die Kürze der Beweisführung hängt sehr von den Voraussetzungen ab, die bereits aus den beiden ethischen Grundlagenschriften her kommen. Dem Argumentationsgang nach ist Kants Deduktion in Abschnitt IX nahezu identisch mit dem zweiten Absatz des Abschnitts III der Einleitung zur Tugendlehre (TL VI 385, 10 – 18), welcher dort jedoch der „Erörterung“, also der „Exposition“ des Begriffs des Pflichtzwecks zugeordnet wird. In Abschnitt III geht Kant in zwei Schritten vor, welche wir ebenso in Abschnitt IX finden. Der erste Schritt besteht in der Annahme, dass die Zwecksetzung überhaupt ein „Akt der Freiheit des handelnden Subjekts“ sei, und dass es keine Handlung eines solchen Subjekts geben kann, die „zwecklos“ wäre; kurz: „da es freie Handlung gibt, so muß es auch Zwecke geben“ (TL VI 385; Hv. R. M.). Ähnlich besagt auch die Hauptprämisse der „Deduction“ Kants in Abschnitt IX, dass die reine praktische Vernunft „ein Vermögen der Zwecke überhaupt“ sei, deren Zwecklosigkeit sich widersprechen würde (TL VI 395). Sodann argumentiert Kant in einem zweiten Schritt in Abschnitt III e contrario dahingehend, dass die Annahme einer praktischen Vernunft ohne einen objektiven Zweck die Unmöglichkeit des Kategorischen Imperativs nach sich ziehen würde, und zwar so, dass die Unbedingtheit des moralischen Imperativs selbst dadurch hinfällig würde: Ohne einen objektiv gültigen Zweck würden „alle Zwecke für die praktische Vernunft immer nur als Mittel zu anderen Zwecken gelten“ (TL VI 385, 15 f.). Auch dieses Argument findet sich in Abschnitt IX, doch hier bringt Kant noch ein zusätzliches Argument vor, welches zugleich die Deduktion der Pflichtzwecke ausmacht. Die objektiv gültigen Zwecke, die Zwecke a priori der reinen Vernunft, deren Leugnung zu einem Widerspruch der Vernunft mit sich selbst und der Aufhebung des Moralprinzips führt, können nur insoweit existieren, als sie zugleich Pflichten sind: „Die reine Vernunft […] kann a priori keine Zwecke gebieten, als nur so fern sie solche zugleich als Pflicht ankündigt; welche Pflicht alsdann Tugendpflicht heißt“ (TL VI 395, 30 ff.).⁵¹ Man könnte also sagen, dass Kant über den formalen Kategorischen Imperativ als das oberste Prinzip der reinen praktischen Vernunft den Begriff des Zwecks mit dem Pflichtbegriff in Verbindung bringt und damit in seiner Tugendlehre ein Novum gewinnt: eine „moralische (objektive) Zwecklehre“ (TL VI 385, 24). In den Abschnitten V und VIII der Einleitung zur Tugendlehre (VI 386 ff.; 391 ff.) betrachtet Kant die Pflichtzwecke näher und teilt sie in einen vollständigen Dual der Pflichtklassen ein.⁵² Nach Kant handelt es sich bei den Pflichtzwecken ex Zu einer ausführlichen Erläuterung dieser Argumente Kants s. bereits Tieftrunk 1798, 61– 69, 120 ff.  Bereits im Zweiten Abschnitt der Grundlegung führt Kant Beispiele dieser Pflichtklassen an, das dritte und vierte Beispiel (GMS IV 422 ff., 430)

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haustiv entweder um die „eigene Vollkommenheit“ oder um die „fremde Glückseligkeit“ (TL VI 385, 32). Die Bezugspunkte der beiden Pflichtklassen (sich selbst und die Anderen) sind jedoch „gegeneinander“ nicht austauschbar. Obwohl die eigene Glückseligkeit für Kant als ein wirklicher Zweck aller Menschen gilt, kann sie selbst keine Pflicht darstellen, weil, „was ein jeder unvermeidlich schon von selbst will, das gehört nicht unter den Begriff von Pflicht“ (TL VI 386, 3 ff.). Die eigene Glückseligkeit kann zwar den hypothetischen Imperativen zugeordnet werden, sie kann aber nicht der Gegenstand einer Verpflichtung sein (vgl. KpV V 34). Auf der anderen Seite ist auch eine „fremde Vollkommenheit“ als Pflichtzweck für Kant verwerflich bzw. unmöglich, weil sie auf eine Zwecksetzung für den Anderen hinweist, und „es widerspricht sich […], dass ich etwas tun soll, was kein anderer als er selbst tun kann“ (TL VI 386, 12 ff.). Wie oben erwähnt, nennt Kant die Lehre von diesen Pflichtzwecken nicht nur „die moralische Zwecklehre“ (oder doctrina officiorum virtutis), sondern gelegentlich auch Ethik. Doch andererseits verwendet Kant den Begriff Ethik auch in dem Sinn, dass sie eine Lehre sei, welche alle Pflichten als solche umfasst; eine Lehre der ethischen Verpflichtung. Die zwei Bedeutungen von Ethik können deshalb nicht identisch sein, auch wenn Kant seine zwei Begriffsverwendungen nicht immer deutlich voneinander abhebt. Zunächst fällt auf, dass die erstere Bedeutung von Ethik, also die moralische Zwecklehre, weder diejenigen Pflichten gegen sich selbst umfasst, welche nach Kant vollkommene Pflichten sind (Erstes Buch der Elementarlehre der Tugendlehre ⁵³), da alle Pflichtzwecke als unvollkommene Pflichten gelten, noch kann sie sich auf die vollkommenen Pflichten gegen Andere, eben die Rechtspflichten, erstrecken, welche als Pflichten doch unter die letztere Bedeutung von Ethik fallen. Mit anderen Worten, in der Tugendlehre als einer moralischen Zwecklehre werden die vollkommenen Pflichten, ob gegen sich selbst oder gegen Andere, nicht erfasst. Kant verwendet also den Begriff Ethik unter zwei Gesichtspunkten, einmal in Bezug auf die ethische Verpflichtung im Allgemeinen, die Tugendverpflichtung, und ein anderes Mal nur in Bezug auf die Pflichtzwecke, für die er oft auch den Ausdruck „Tugendpflicht“ benutzt. Die Zweideutigkeit des Begriffs Ethik kommt vor allem in einer Passage des letzten Moral-Kollegs Kants, in der Nachschrift Vigilantius, in aller Deutlichkeit zum Ausdruck: „Man versteht in specie unter der practischen Philosophie sogar nur die Sittenlehre oder die Lehre von der Freiheit unter Gesetzen. So nehmen die griechischen Philosophen das Wort Ethic als Verbindlichkeitslehre überhaupt. Die Neuern theilen die practische Philosophie ab

 Gerade deshalb lässt sich die Tugendlehre auch nicht mit der Lehre der Pflichtzwecke gleichsetzen.

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in Rechts- und Tugendlehre, nennen letztere in specie Moral, worunter sub voce Ethic die Alten beyde Theile verstanden, mithin in sensu lato nahmen,was wir jetzt in sensu stricto von den legibus justi unterscheiden, ob wir gleich für das genus beyder Theile, nämlich für das de legibus justi et honesti, keine Benennung haben.“ (XXVII 577)

Zwar hat Kant keine eigene „Benennung“ der Ethik „in specie“ bzw. „in sensu lato“, d. h. als die Lehre, die alle Pflichten als solche umfasst, doch sein Gebrauch von zwei Bedeutungen der Ethik („in sensu lato“ und „in sensu stricto“) ist bei näherer Betrachtung einiger weiterer Stellen unverkennbar: „Die Wissenschaft von der Art, auch ohne Rücksicht auf mögliche äußere Gesetzgebung verbindlich zu sein, ist die Ethik [im weiten Sinn] selbst, ihrem formalen Prinzip nach betrachtet.“ (TL VI 410, 33 ff.; Hv. R. M.) „[H]ieraus ist zu ersehen, daß alle Pflichten bloß darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik [im weiten Sinne] gehören; aber ihre Gesetzgebung ist darum nicht allemal in der Ethik enthalten, sondern von vielen derselben außerhalb derselben“ (MS VI 219, 31 ff.; Hv. R. M.). Dagegen heißt es in der Einleitung zur Tugendlehre: „dieses würde der Begriff von einem Zweck sein, der an sich selbst Pflicht ist; die Lehre desselben [sc. Ethik im engen Sinne] aber würde nicht zu der des Rechts, sondern zur Ethik [im weiten Sinn] gehören, als welche allein den Selbstzwang nach (moralischen) Gesetzen in ihrem Begriffe mit sich führt. Aus diesem Grunde kann die Ethik auch als das System der Zwecke der reinen praktischen Vernunft definirt werden [sc. in einem engen Sinn]. […]. Da die Ethik [auch] Pflichten enthalte, zu deren Beobachtung man von andern nicht (physisch) gezwungen werden kann, ist blos die Folge daraus, daß sie eine Lehre der Zwecke ist […]. Daß […] die Ethik [im engen Sinn] eine Tugendlehre (doctrina officiorum virtutis) sei, folgt aus der obigen Erklärung der Tugend, verglichen mit der Verpflichtung“ (TL VI 381; Eckklammern R. M.). Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass das Gemeinsame der Rechtspflichten (äußeren vollkommenen Pflichten), der dualen Pflichtzwecke und der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst bei Kant eben die singuläre ethische Verpflichtung, die Moralität ist. Andererseits können, wenn Kant von ethischen Pflichten spricht (d. h. Pflichten, die der äußeren Gesetzgebung nicht fähig sind), damit wiederum entweder die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst oder die dualen Pflichtzwecke gemeint sein. Kant kann also mit dem Begriff Ethik sowohl die Lehre im Sinn haben, die kraft der ethischen Verpflichtung alle Pflichten umfasst, als auch, in einem engen Sinn, die Lehre, welche nur die dualen Pflichtzwecke beinhaltet. Ein dritter Gebrauch des Begriffs Ethik, der spezifisch für die Bezeichnung der Pflichtzwecke zusammen mit den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst bestimmt ist, eben als die Lehre der Pflichten, die der

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äußeren Gesetzgebung nicht fähig sind.⁵⁴ taucht zwar ebenfalls gelegentlich in seinen Schriften auf, doch können wir dafür einfach den Titel Tugendlehre, eben den zweiten Teil der Metaphysik der Sitten in Anspruch nehmen, da in ihr zum einen die äußere Rechtspflichten nicht behandelt werden, zum anderen aber in ihrem Ersten Buch die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst mit eingeschlossen sind. Viele Kant-Interpreten haben zwar in ihren Arbeiten den Unterschied zwischen weiter und enger Bedeutungen der Ethik berücksichtigt, (so etwa Tieftrunk 1798; Gregor 1963, 1990; Hill 1971; Nell (O’Neill) 1975, Ch. 4; Kaulbach 1982; Höffe 1987, 2001; Ludwig 1988; Schmucker 1997; Steigleder 2002; Esser 2004, V. 14; Baum 2006; Willaschek 2009). Dies erfolgte jedoch nicht immer mit der erwünschten Deutlichkeit oder Ausführlichkeit, so dass dies teilweise zu Interpretationen geführt hat, welche mit gebührender Rücksicht auf oben genannte Bedeutungen anders hätten entwickelt werden können (so etwa Scholz 1972; Kersting 21993; Willaschek 1997). Da der wechselnde Sprachgebrauch Kants bezüglich Ethik, ethisch (und sogar Tugend-; einerseits in Verbindung mit –verpflichtung, andererseits mit -pflichten) eine adäquate Rekonstruktion des Zusammenhangs der beiden Teile der Metaphysik der Sitten untereinander behindert, möchte ich die zwei Bedeutungen von Ethik (ethisch) durch eine Indizierung voneinander abheben. Ich werde in den folgenden Unterkapiteln den Terminus „Ethik“ sowohl als Substantiv wie auch in seiner attributiven oder adverbialen Verwendung, sofern sie im Sinne der hier erläuterten obligatio ethica (im weiten Sinn) gebraucht wird, durch den Index 1, und „Ethik“ in einem engen Sinn, die Tugendlehre als bloß die Lehre der Pflichtzwecke im Unterschied zur Tugendlehre umfassend, mit dem Index 2 kennzeichnen.⁵⁵ Gleichwohl kann diese Indizierung nicht immer die erwünschte Klarheit schaffen, da, wie oben erwähnt, die Ethik auch in dem Sinn verstanden werden kann, dass sie neben den Pflichtzwecken auch die vollkom-

 „Ethik bedeutete in den alten Zeiten die Sittenlehre (philosophia moralis) überhaupt, welche man auch die Lehre von den Pflichten benannte. In der Folge hat man es rathsam gefunden, diesen Namen auf einen Theil der Sittenlehre, nämlich auf die Lehre von den Pflichten, die nicht unter äußeren Gesetzen stehen, allein zu übertragen (dem man im Deutschen den Namen Tugendlehre angemessen gefunden hat): so daß jetzt das System der allgemeinen Pflichtenlehre in das der Rechtslehre (ius), welche äußerer Gesetze fähig ist, und der Tugendlehre (Ethica) eingetheilt wird, die deren nicht fähig ist; wobei es denn auch sein Bewenden haben mag. (TL VI 379, 3 – 12; Hv. R. M.)  Beispiel: „Da aber es Gesetz ist sich jede Pflicht zur Maxime der Handlung zu machen so befaßt die Ethik[1] sowohl die Rechts- als Tugendpflichten was die Maximen (die Gesinnung) betrift d. i. das Formale des Willens aber was die Gesetze in Ansehung des Materialen der Handlungen betrift ist sie [Ethik2] nur der Theil der Moral der die Unvollkommenen Pflichten enthält“ (VATL XXIII 384, 30 – 34; Hv. R. M.).

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mene Pflichten gegen sich selbst umfasst (s. TL VI 379). Der Grund dafür liegt darin, dass, während Kant die Ethik in dem Sinn, den ich als Ethik2 bezeichne, für die „moralische Zwecklehre“, also den Inbegriff der dualen Pflichtzwecke verwendet, die Tugendlehre, der zweite publizierte Teil der Metaphysik der Sitten, auch ethische Pflichten beinhaltet, die den dualen Pflichtzwecken nicht zugeordnet werden können. So sind, wie oben erwähnt, die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst zwar nicht „äußerer Gesetze fähig“, sie sind aber auch nicht als unter dem Dual der Pflichtzwecke (eigene Vollkommenheit und fremde Glückseligkeit) anzusehen.⁵⁶ Nach der vorgeschlagenen Indizierung muss man deshalb diese Pflichten zum einen als Teil der Ethik1 annehmen, zum anderen als Teil der Tugendlehre. ⁵⁷ Zum Abschluss dieses Unterkapitels möchte ich mich mit einem Ausdruck auseinandersetzen, dessen sich Kersting in seinem prominenten Buch Wohlgeordnete Freiheit des Öfteren bedient: die doppelte Vernunftgesetzgebung bzw. doppelte Gesetzgebung (s. 21993, 179 [auch 32007, 139 – 143]). Bereits Heinrich Stephani hat davon gesprochen, dass es „für äussere Handlungen auch eine doppelte Gesetzgebung der reinen practischen Vernunft“ gebe (Stephani 1797, 11; Hv. R. M.). Doch die Ausdrücke doppelte Vernunftgesetzgebung bzw. doppelte Gesetzgebung (der reinen praktischen Vernunft) gibt es bei Kant selbst nicht, und zwar aus systematischen Gründen. Kerstings Interpretation bezüglich einer doppelten Vernunftgesetzgebung, auch wenn er deutlich macht, dass sich nur angesichts des Exekutionsprinzips „die ethische und die juridische Gesetzgebungsweise voneinander unterscheiden“ (Kersting 21993, 180),⁵⁸ nähert sich zuweilen unvermeidlich einer disjunktiven Auffassung des Verhältnisses von Ethik1 und Recht. So spricht Kersting etwa von einer „Aufspaltung der juridisch-ethischen Doppelinstanz“ oder „eine(r) juridische(n) und eine(r) ethische(n) Hälfte“ (21993, 218; Hv. R. M.). Zudem spricht der Ausdruck doppelte Vernunftgesetzgebung bzw. „doppelte Gesetzgebung der reinen practischen Vernunft“ von Stephani nicht nur gegen die Singularität der ethischen Verbindlichkeit, welche eben nur eine Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft bedeutet. Er legt auch nahe, dass diese vermeintliche, so Kersting, „Doppelinstitution“ wiederum eines Oberbegriffs be-

 Es ist daher verwunderlich, dass Kant in seiner umfangreichen Einleitung zur Tugendlehre diese Klasse der Pflichten nicht anspricht.  Die Tugendlehre beinhaltet wiederum nicht nur aus der Perspektive der ethischen Verpflichtung Momente, die alle Pflichten betreffen, aus der pflichtentypologischen Perspektive umfasst sie auch sowohl eine Teilklasse der vollkommenen Pflichten (die gegen sich) wie auch die Pflichtzwecke oder einfach die sog. Tugendpflichten – sie beinhaltet also sowohl die Elemente der Ethik1 wie auch der Ethik2 selbst.  s. auch Dreier 1981, 289 f.; vgl. Scholz 1972, 200 ff.

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dürfe. Doch weder dies noch ein disjunktives Verhältnis zwischen Ethik (sc. Ethik1) und Recht ist in der Kantischen Konzeption der singulären ethischen Verpflichtung, und damit einer einzigen Vernunftgesetzgebung der Fall. Die innere Freiheitsgesetzgebung umfasst, wie wir in den vorherigen Kapiteln dieses Teils gesehen haben, alle Forderungen der äußeren Freiheitsgesetzgebung, und somit besteht hier ein Inklusionsverhältnis, das sich nicht angemessen mit dem Attribut doppelt beschreiben lässt.⁵⁹

4.2 Legalität/Moralität und juridische/ethische Pflichten Viele Kant-Interpreten gehen wie selbstverständlich davon aus, dass das Begriffspaar Legalität/Moralität sich von vornherein mit der Unterscheidung von Rechts- und Tugendpflichten deckt. Einige bestreiten explizit, dass der Begriff der Legalität bezüglich der Tugendpflichten überhaupt sinnvoll gebraucht werden könne und bestehen folglich darauf, dass die Legalität ausschließlich auf die Rechtspflichten Bezug nehmen könne. Manche Äußerungen Kants selbst mögen ebenfalls nahelegen, dass er den Begriff der Legalität nur im Zusammenhang mit den Rechtspflichten verwenden will.⁶⁰ Man kann sich zunächst den Unterschied zwischen Legalität und Moralität anhand zweier Stufen des Sollens vergegenwärtigen: In einer ersten Stufe nimmt sich der Akteur vor, er solle die moralisch geforderte Handlung, aus welchem Grund auch immer, ausführen. Das Moment der Triebfeder wird hier ausgeklammert; dies entspricht der Legalität. In einer zweiten Stufe strebt derselbe Akteur

 Kants signifikante Analogie zwischen dem Verhältnis der Zeit und des Raumes einerseits und dem der inneren und äußeren Freiheitsgesetzgebung andererseits belegt, dass er die These einer getrennten, doppelten Freiheitsgesetzgebung dezisiv zurückweisen würde: „So sagt man in der theoretischen Philosophie: im Raume sind nur die Gegenstände äußerer Sinne, in der Zeit aber alle, sowohl die Gegenstände äußerer als des inneren Sinnes; weil die Vorstellungen beider doch Vorstellungen sind und sofern insgesamt zum inneren Sinne gehören, Eben so, mag die Freiheit im äußeren oder inneren Gebrauche der Willkür betrachtet werden, so müssen doch ihre Gesetze, als reine praktische Vernunftgesetze für die freie Willkür überhaupt, zugleich innere Bestimmungsgründe derselben sein“ (MS VI 214, 22– 30; Hv. R. M.). Vgl. dazu auch die erhellende Kritik Mohr an einer sog. Koordinationsthese zum Verhältnis der Zeit und des Raumes zueinander (Mohr 1991, 83 – 105), welche analog zur These der doppelten Vernunftgesetzgebung das Inklusionsverhältnis zwischen Zeit und Raum vernachlässigt.  „Die äußere rechtmäßigkeit der Handlungen geht nur auf die That und heißt legalitaet, die innere auf die Gesinung, aus welcher sie entsprungen, und auf das princip und heißt moralitaet. Das ius naturae betrachtet die Handlungen nur nach ihrer legalitaet“ (Refl. 7261, XIX 297; vgl. auch Refl. 7306, XIX 307).

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danach, dass die moralisch geforderte Handlung auch um ihres Moralisch-Seins willen selbst ausgeführt wird und nicht aus irgendeiner anderen Triebfeder; darunter versteht Kant die Moralität, genauer: Annäherung an die Moralität. Zwischen den beiden Stufen besteht also kein disjunktives Verhältnis (keine Kontravalenz), sondern vielmehr ein Kontinuum, eine Steigerung, und auf diese Weise definiert Kant in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten auch die Legalität und die Moralität im Verhältnis zueinander: „Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben die Legalität (Gesetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben“ (MS VI 219; Hv. R. M.).

Damit liegt es auch auf der Hand, dass für Kant einerseits die Legalität mit der Pflichtmäßigkeit und andererseits die Moralität mit einer Handlung aus Pflicht gleichbedeutend sind. Darüber hinaus definiert Kant die Legalität auch als die Entsprechung mit dem Buchstaben des Gesetzes (littera legis), die Moralität dagegen als die mit dem Geiste des Gesetzes (anima legis) (s. KpV V 72, 7 ff.).⁶¹ Ziehen wir nun die Einteilung der Pflichten in die zwei Grundtypen der juridischen Pflichten (sc. Rechtspflichten) und der ethischen Pflichten (die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst und die Pflichtzwecke umfassend) heran und kombinieren wir diese mit dem Begriffspaar Legalität/Moralität, so fächern sich zunächst rein hypothetisch vier Optionen auf: (i) Eine Rechtspflicht, welche allein pflichtgemäß, bloß nach dem Buchstaben des Gesetzes ausgeübt wird; (ii) eine Rechtspflicht, die aus Pflicht, dem Geiste des Gesetzes entsprechend, erfüllt wird; (iii) eine ethische Pflicht, welche bloß pflichtmäßig, bloß nach dem Buchstaben des inneren Gesetzes, ausgeübt wird (z. B. die Vermeidung des Suizids aus weiteren sinnlichen Gründen, wie etwa der Angst vor Schmerz, oder die Beförderung fremder Glückseligkeit aus purer Sympathie,vgl. GMS IV 441, 19 ff.) und (iv) eine ethische Pflicht, die aus Pflicht, dem Geiste des Gesetzes entsprechend, erfüllt wird. Mit welchem Ausdruck auch immer wir nun diese vier Optionen benennen, so ist klar, dass sie alle der Sache nach im Rahmen der Moralphilosophie Kants bestehen. Vor allem ist zu betonen, dass eine pflichtmäßige Erfüllung der ethi-

 Weiter liest man auch in Kants Vorlesungsnachschriften, etwa in der moralphilosophischen Vorlesung Mrongovius II: „(Anima legis) Der Geist des Gesetzes ist, wenn die Pflicht selber den Bewegungsgrund unsrer Handlungen ausmacht“ (XXIX 629, 28 f.). Ähnlich in der Moral Collins/ Kaehler: „in jedem Gesetz ist die Handlung selbst, die darnach geschieht, der litterae legis gemäß. Aber die Gesinnung aus der die Handlung geschieht, ist der Geist des Gesetzes“ (XXVII 279, 14– 17/Stark (Kaehler) 2004, 74, 3 ff.).

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schen Pflichten (iii) nicht der Moralität, und die Erfüllung einer Rechtspflicht aus Pflicht selbst (ii) doch der Moralität entspricht. Es kann daher bei den kontroversen Interpretationen des Begriffspaars Legalität/Moralität im Grunde nur darum gehen, ob man sich dieses Ausdruckspaars auch für die Beschreibung der oben dargestellten vier Optionen bedienen kann. Bereits in einer vorkritischen Reflexion, die auch in den einschlägigen Interpretationen diskutiert wird, schreibt Kant: „Wir könen an den Handlungen die moralitaet und legalitaet derselben betrachten. wenn diese statt findet, ist jene noch nicht entweder dem object nach (Gütigkeit) oder blos dem Bewegungsgrunde nach (Gesinnung oder furcht). Die Legalität ist entweder juridisch oder ethisch“ (Refl. 6764, XIX 154; Hv. R. M.).⁶²

Eine weitere, ähnliche Stelle finden wir auch in der moralphilosophischen Vorlesung Mrongovius II: „Legalität unserer Handlungen in Beziehung auf äußere Freyheit ist legalitas juridica; in Beziehung auf den Gebrauch unserer inneren Freiheit legalitas ethica“ (XXIX 630, 7 ff.; Hv. R. M.).

Zwei Fragen stellen sich anhand dieser Passagen:1. Kann man bei den Ausdrücken „[d]ie Legalität ist entweder juridisch oder ethisch“ bzw. „legalitas juridica“ und „legalitas ethica“ an beiden Stellen mit Sicherheit darauf schließen, dass sie nichts anderes ausdrücken wollen, als die obigen Optionen (i) und (iv); mit anderen Worten, bestätigt Kant mit „legalitas juridica“ und „legalitas ethica“ die zu Beginn dieses Unterkapitels angesprochene gängige Interpretation, dass der erstere Ausdruck einfach die Legalität (eingeschränkt auf die Rechtspflichten), und der letztere nichts anderes als die Moralität selbst, und zwar ausschließlich eingeschränkt auf die Tugendpflichten, bedeutet? 2. Oder kann die „legalitas ethica“ eine andere Bedeutung haben, sich nämlich vielmehr mit der Option (iii) decken, also nicht mit der Moralität der Tugendpflichten?⁶³

 In Kants Handexemplar von Baumgartens Initia philosophiae practicae primae, nach Adickes vermutlich aus dem Nachlass ca. Mitte der 1770er Jahre.  So gibt es etwa die folgende Reflexion, die die Bejahung der ersten Frage unterstützen könnte: „Die Moralitaet ist die […] innere Gesetzmäßigkeit der Freyheit, so fern sie nämlich sich selbst ein Gesetz ist. Wenn wir von aller Neigung abstrahiren“ (Refl. 7197 XIX 270 f.; Hv. R. M.). Doch man stößt zugleich auch auf Äußerungen Kants, die etwa die ethische Legalität im Sinne der zweiten Frage bejahen könnten: „Nicht jede Ausübung einer Tugendpflicht ist Tugend, sondern nur wenn Pflicht die Triebfeder war.“ (VATL XXIII 405; Hv. R. M.).

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Bereits Stephani hat als wohl erster Kant-Interpret gesehen, dass die Legalität als solche sowohl eine juridische wie auch eine ethische Bedeutung haben kann (Stephani 1797, 14). Doch auch Stephani scheint es für sicher zu halten, dass Kant selber die Möglichkeit einer ethischen Legalität, im Sinne von bloß pflichtmäßiger Erfüllung der ethischen Pflichten (iii), nicht einräumt: Es „ist unrichtig, wenn Kant die Legalität nur […] mit den juridischen Gesetzen angibt“ (Stephani 1797, 14). Später haben sich Kaulbach (1982, 57 ff.) und Höffe (1987, 97; ausführlicher 2001, 111 – 116) von der oben zitierten, vorkritischen Reflexion Kants (Refl. 6764) anleiten lassen und sich ihrer zur Beschreibung der obigen vier Optionen des Begriffspaars Legalität/Moralität bedient, womit sie also die zweite der oben gestellten Fragen bejaht haben. Daraus ergibt sich für die obigen Optionen i-iv bei den beiden die folgende Vierteilung: 1. juridische Legalität (i), 2. juridische Moralität (ii) 3. ethische Legalität (iii) (Kaulbach: „moralische Legalität“) und 4. ethische Moralität (iv) (s. Kaulbach 1982, 59; Höffe 2001, 112).⁶⁴ Die Formulierungen 2 und 4 findet man nun, im Gegensatz zu 1 und 3, bei Kant nicht wortwörtlich. Ein weiterer Grund, dass diese Formulierungen problematisch sein könnten, liegt zudem darin, dass in der Metaphysik der Sitten das Attribut „juridisch“ primär auf die Qualität der äußeren Gesetzgebung bezogen wird. Damit scheint dann etwa die Beifügung dieses Attributs zur Moralität (2. juridische Moralität) auf eine Inkohärenz hinzudeuten, dass nämlich eine äußere Gesetzgebung für Moralität möglich wäre (so Ludwig in seiner Kritik an Kaulbach; Ludwig 1988, 91, Fn. 16). Problematisch scheint aus demselben Grund dann auch der Ausdruck ethische Legalität selbst zu sein. Ludwig zufolge etwa ist die ethische Legalität „als Befolgung der Gesetze einer ethischen Gesetzgebung, ‚Moralität‘“ selbst (Ludwig 1988, 91, Fn. 16; Hv. R. M.); er bejaht also im Unterschied zu Kaulbach/Höffe die erste oben gestellte Frage. Man sieht jedoch, dass seine Deutung (dass entsprechend der oben aufgestellten ersten Frage juridische Legalität und ethische Legalität identisch mit Legalität und Moralität seien) daraus resultiert, dass er die Attribute juridisch und ethisch dabei nur mit der Gesetzgebung verbindet. Doch die Attribute juridisch und ethisch rekurrieren in den vier Ausdrücken von Kaulbach und Höffe gerade nicht auf die Gesetzgebung. Sie beziehen sich vielmehr auf die zwei Grundtypen der Pflichten. Der Sache nach geht es also bei den Ausdruckspaaren ethische/juridische Legalität und ethische/juridische Moralität um zwei Gesichtspunkte: Zum einen handelt es sich dabei jeweils um einen der beiden Grundtypen von Pflichten (juridischen und ethischen Pflichten); zum anderen geht es um zwei Modi der Handlungsübereinstimmung mit dem Gesetz (Legalität und Moralität), welche an sich nichts zum besonderen Charakter der jeweiligen Pflicht, d. h. zur Einteilung der Pflichtklassen

 S. auch etwa Baum 2007, 224 ff.

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besagen und daher erst durch jene Attribute spezifiziert werden können. Die Kombination ist dann eine vierfache, die, von der Befolgung des Moralgesetzes her, einerseits die juridischen und die ethischen Pflichten aus der Sicht der inneren bzw. ethischen Verbindlichkeit, und andererseits aus der Sicht einer bloßen Gesetzmäßigkeit in Betracht zieht. Hierbei wird auch deutlich, dass sich die Legalität, die Pflichtmäßigkeit, aufgrund ihres formalen Charakters, genauso wie die Moralität, auf alle Klassen von Pflichten als solche erstrecken kann. Eine Verkürzung der Bedeutung von Legalität allein auf die juridischen Gesetze begeht auch Willaschek in seinem 1997 erschienenen Aufsatz (Why the Doctrine of Right does not belong in the Metaphysics of Morals), in dem er das Begriffspaar Legalität/Moralität ebenso wenig aus einer pflichtentheoretischen Sicht in Betracht zieht. Die Konsequenz einer Reduktion der Legalität auf die juridische bzw. äußere Gesetzgebung ist, dass man die Legalität grundsätzlich als erzwingbar betrachtet (Willaschek 1997, 208 f., 219, 224; s. auch 2009, 51, und 67, Fn. 3), und somit einen sehr wichtigen, oft übersehenen Aspekt der Kantischen Ethik, eben die ethische Legalität (Option (iii): die pflichtmäßige Praxis der ethischen Pflichten) vernachlässigt.⁶⁵ Die Gefahr, die sich dann hieraus ergibt, ist für die Kant-Interpretation nicht gering: Dies macht im Grunde den Kern jener Tendenz aus, Kants Theorie der Tugend einem Rigorismuseinwand auszusetzen. Wenn man nämlich die Option einer ethischen Legalität in Kants Tugendlehre ablehnt, so muss man in der Praxis der Einhaltung von ethischen Pflichten davon ausgehen, dass diese ausschließlich aus Pflicht erfüllt werden können, weil ansonsten ihre Praxis entweder moralirrelevant oder gar moralwidrig wäre.

4.3 Kants Pflichteneinteilungen Der Ausgangspunkt dieses Unterkapitels ist die innere bzw. die ethische Verpflichtung als gemeinsame Basis aller Pflichten – also die von mir so bezeichnete Ethik1. Wie Kant es selbst in der Vorrede der Tugendlehre ausdrückt, sollen die Pflichten und ihre Einteilungen erst „von da aus“ bestimmt werden (TL VI 376 f.). Ich möchte hier zunächst einen Überblick geben über die Pflichtentypologie Kants und die Kriterien bzw. Perspektiven, welcher er sich jeweils in der Einteilung der Pflichten bedient. Nach einer kurzen Behandlung der Klasse der vollkommenen

 Geismann scheint ebenfalls die ethischen Pflichten mit der Moralität zu identifizieren (2006, 39, 43). Dies verwundert, weil er bereits die Möglichkeit der ethischen Legalität anerkennt (2006, 38). Andererseits unterscheidet Geismann auch nicht immer konsequent zwischen den zwei Bedeutungen der Ethik bei Kant (s. Geismann 2006, 25 f., 31, 34 f., 38). Auch Baron übersieht die Unterscheidungen zwischen ethischer Moralität und ethischer Legalität (Baron 2002, 402).

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Pflichten gegen sich selbst, der in Kants Pflichteneinteilung ein besonderer Status zwischen den (äußeren) Rechtspflichten und den Tugendpflichten (Pflichtzwecken) zukommt, gehe ich dann auf Kants Einteilung der Qualität der Handlungsbestimmung durch die Rechts- und Tugendpflichten (der vollkommenen und der unvollkommenen Qualität ihrer Verbindlichkeit) ein. Dabei werde ich zunächst näher erläutern, was Kant unter der Unvollkommenheit der Tugendpflichten versteht, um mich schließlich mit der Bedeutung der vollkommenen Verbindlichkeit der äußeren Rechtspflichten zu befassen. Wer sich intensiv mit Kants Typologie der Pflichten aus seiner Tugendlehre und komplementär dazu aus den diesbezüglichen Passagen seiner NachlassSchriften beschäftigt, der wird bald inne, dass es keinesfalls eine leichte Aufgabe ist, Kants Einteilung der Pflichten so nachzuvollziehen, wie er sie durch seine Begriffspaare stets symmetrisch einzuordnen und voneinander abzugrenzen versucht. Es ist beispielsweise nicht nur der Fall, dass die von Kant allem Anschein nach scharf gezogenen Linien zwischen den Pflichtklassen manchmal doch ineinander laufen und sich Überschneidungen zwischen den Klassen der Pflichten auftun (s. etwa TL VI § 48, 473). Auch lassen sich die Hauptklassen der Pflichten meist nicht allein durch die Verwendung eines der von ihm angegebenen Begriffspaare zur Einteilung der Pflichten voneinander abgrenzen. Es sind oft wiederum Paare von diesen Begriffspaaren, die uns jeweils klar machen sollen, worin genau der Unterschied der Pflichtklassen liegt. Angesichts dieser und anderer Schwierigkeiten, die ich im Folgenden zum Teil ansprechen werde, erweist sich eine umfassende Bestimmung und Darstellung der Pflichtentypologie Kants als eine überaus diffizile Aufgabe. Die Einteilung der Pflichten nach Kant lässt sich aus verschiedenen Perspektiven in den Blick nehmen. Man kann die Pflichten etwa anhand des Attributspaares innere/äußere oder der Referenzpunkte gegen sich/gegen Andere in zwei Hauptgruppen einteilen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, alle Pflichten nach der naturrechtlichen Tradition entweder als Pflichten des Rechts oder der Ethik zu fassen. Ferner zerfallen die Pflichten auch nach der bis auf Cicero, ja noch früher zurück zu verfolgenden Unterscheidung zwischen Vollkommenheit und Unvollkommenheit ihrer Verbindlichkeit in zwei Hauptteile.⁶⁶ Ebenso werden die Pflichten nach dem, was die Möglichkeit einer genauen Bestimmung ihrer Ausübung anbelangt, als enge (stricte) und weite (lata) charak-

 Bei Cicero wird die Unterscheidung allerdings zwischen officia perfecta und media, vollkommener und mittlerer Pflicht, getroffen. Doch selbst er scheint im Anschluss an die „Graeci“, so Cicero, die vollkommenen Pflichten mit den Rechtspflichten zu identifizieren: „Atque ea sic difiniunt, ut rectum quod sit, id officium perfectum esse definiant“ (De officiis. Erstes Buch, 8,10).

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terisiert. Ähnlich lassen sie sich der Priorität ihrer Erfüllung nach als die schuldigen oder die verdienstlichen Pflichten bezeichnen. Nicht zuletzt teilt Kant die Pflichten im Hinblick auf die Qualität ihrer Forderung ein: die Unterlassungs- oder Begehungspflichten, die negativen oder die affirmativen (positiven) sowie die bloß einschränkenden oder die erweiternden Pflichten.⁶⁷ All diese Begriffspaare bzw. Einteilungskriterien teilen die Pflichten exhaustiv ein: Eine Pflicht ist nach Kant entweder eine innere oder eine äußere, eine Rechts- oder eine ethische Pflicht, eine vollkommene oder eine unvollkommene usw. Man darf indes diese EntwederOder-Junktoren nicht immer als sich gegenseitig ausschließend auffassen. Darüber hinaus steht zwar beispielsweise fest, dass Kant mit den inneren Pflichten immer die Pflichten gegen sich selbst und mit den äußeren Pflichten die Pflichten gegen Andere im Sinn hat, ebenso mit den vollkommenen Pflichten stets die schuldigen bzw. die engen Pflichten. Doch es wäre ein Fehler, alle von Kant verwendeten Einteilungskriterien immer für äquivalent zu halten. So sind z. B. weder alle inneren Pflichten vollkommene Pflichten, noch sind alle unvollkommenen Pflichten äußere Pflichten. Ebenso wenig können alle ethischen Pflichten auf unvollkommene oder etwa auf innere Pflichten verkürzt werden.⁶⁸ Weiter sind nach Kant zwar alle (äußeren) Rechtspflichten vollkommene bzw. schuldige Pflichten, doch umgekehrt lassen sich nicht alle vollkommenen bzw. schuldigen Pflichten mit den Rechtspflichten im Sinne von äußeren Zwangspflichten iden-

 Die Attribute, welcher sich Kant in seinen Druck- und Nachlass-Schriften zur Bezeichnung der Pflichtenklassen bedient, gehen teilweise auf die überlieferte Tradition zurück. So bezeichnet Kant die Rechts- und Tugendpflichten etwa als „officia neceßitatis“ und „officia charitatis“ (VARL XXIII 307, 3; diese Bezeichnungen kommen auch in der Nachschrift Feyerabend über das Naturrecht vor) oder als officium „involuntarium“ bzw. „Zwangspflicht“ und „officium voluntarium“ bzw. „gutwillige“ Pflicht (VARL XXIII 251, 31). Im Gemeinspruch teilt Kant die Pflichten im Hinblick auf ihren Ausübungsanspruch in bedingte und unbedingte Pflichten ein (VIII 300 Fn.). Hingewiesen sei auch auf zwei weitere Bezeichnungen, die trotz ihrer Ähnlichkeit nicht verwechselt werden dürfen: Kant bezeichnet die erlaubten Mittel, die zu Pflichtzwecken dienen (vgl. TL VI 388, 24– 27, s. auch 401, 21), oder deren Mangel zu einer Pflichtübertretung führen kann (KpV V 93, 16 – 21), als indirekte Pflichten; andererseits bezeichnet er auch die Rechtspflichten als die „indirect ethischen[1]“ Pflichten (MS VI 221, 2 f.). Das Erstere betrifft also die Tugendpflichten, das Letztere die Rechtspflichten und verweist auf deren ethische1 Grundlage (vgl. RL VI 239).  Dies geschieht etwa bei Willaschek, wenn er die „duties of virtue“ mit „internal, wide, imperfect“ identifiziert (1997, 206 f.; s. unten). Es gibt sowohl ethische Pflichten, die eng und vollkommen sind (Erstes Buch des Ersten Teils der Elementarlehre der Tugendlehre), wie auch Tugendpflichten, welche äußerlich sind (Zweiter Teil der Elementarlehre der Tugendlehre). Eine Fehlidentifikation findet sich offensichtlich auch bei Baron, wenn sie die „perfect duties“ mit den „legal duties“ gleichsetzt; sie übersieht nämlich, dass nicht alle vollkommenen Pflichten Rechtspflichten bzw. „legal duties“ sind (in: Potter, 1997, 490).

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tifizieren.⁶⁹ Schließlich sei noch auf die sogenannten negativen Pflichten bzw. Unterlassungspflichten hingewiesen, die bei Kant einerseits an zahlreichen Stellen mit den äußeren Rechtspflichten gleichgesetzt werden, andererseits aber auch den vollkommenen ethischen Pflichten wie dem Suizidverbot oder gar der Tugendpflicht des Skandalverbots entsprechen.⁷⁰ Kant widmet das ganze Erste Buch des Ersten Teils der Ethischen Elementarlehre aus der Tugendlehre den „vollkommenen Pflichten gegen sich selbst“. Diese Pflichtklasse wird nicht selten in der Literatur über Kants Pflichtentypologie vernachlässigt; viele Kant-Interpreten übersehen, dass der Vollkommenheitscharakter dieser Pflichten gerade Übergeneralisierungen wie: alle ethische Pflichten sind unvollkommene bzw. weite Pflichten oder: alle vollkommenen Pflichten sind juridische Pflichten widerlegt. Der pflichtentypologische Status dieser Klasse in der Tugendlehre stellt jedoch ein hartnäckiges interpretatorisches Problem dar. Kant bezieht sich in seiner ausführlichen Einleitung zur Tugendlehre, die als eine allgemeine pflichtentheoretische Abhandlung ca. ein Drittel der gesamten Tugendlehre ausmacht, erstaunlicherweise gar nicht auf diese Pflichtklasse. Andererseits lässt sich aber diese Klasse, wie bereits in Unterkapitel 4.1 erwähnt, auch nicht in die duale Struktur der Pflichtzwecke der Selbstvervollkommnung und der Glückseligkeit der Anderen einordnen, die das Hauptthema der Einleitung zur Tugendlehre ausmachen (s. TL VI, Ab. IV, 385 f.). Hinzu kommt noch ein weiteres Problem, welches die Bestimmung der systematischen Stelle dieser Pflichtenklasse in Kants System der Tugendpflichten erschwert: Kant bringt die vollkommenen Pflichten gegen sich selbst allem Anschein nach mit dem in Verbindung, was er gelegentlich als „innere Rechtspflicht“ bezeichnet; man achte nur auf die ausführliche Behandlung der sog. „inneren Rechtspflichten“ in Vigilantius (XXVII 600 – 609), die sich mit den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst in der Tugendlehre (VI, §§ 5 – 12) deckt.⁷¹ Ich kann hier allerdings nicht auf all

 Auch dies geschieht bei Willaschek 1997, wenn er ausschließlich die juridischen bzw. äußeren rechtlichen Pflichten als „narrow duties“ bezeichnet (Willaschek 1997, 222 Fn. 27).  S. TL VI 394, 8 f.; dazu etwa Gregor 1990, LIX ff. In Kants Schriften stößt man ab und zu auch auf Pflichten bzw. Pflichtklassen, bei denen man nicht leicht sehen kann, wo genau sie in der Kantischen Pflichtentypologie, wie sie in der Metaphysik der Sitten entwickelt wird, zu platzieren sind. So spricht Kant etwa in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten von der „Pflicht“, eine Metaphysik der Sitten zu haben bzw. zu entwickeln (MS VI 216, 31 ff.). Als ein weiteres Beispiel kann man die Pflicht zur Errichtung eines ethischen Gemeinwesens aus der Religionsschrift erwähnen, die Kant mit Emphase als eine „Pflicht von besonderer Art (officium sui generis)“ bezeichnet (etwa Religion VI 151, 13 f.).  Es kommt in der Interpretation der Tugendlehre nicht selten vor, dass diese interpretatorischen Probleme, selbst in denjenigen Studien, die sich ausdrücklich mit den Pflichten gegen sich selbst befassen, kaum Beachtung erfahren, s. etwa Bergk 1798; Tieftrunk 1798; Reath 2002;

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diese Probleme eingehen; vielmehr möchte ich mich nur auf das letzte Problem konzentrieren, und der Frage nachgehen, was Kant unter diesen sogenannten inneren Rechtspflichten versteht und was sie von den äußeren Rechtspflichten unterscheidet. In der Metaphysik der Sitten sowie an zahlreichen Stellen seines letzten MoralKollegs, der Nachschrift Vigilantius, spricht Kant von der Pflichtklasse der inneren Rechtspflichten.Wir finden in der Einteilung der Rechtslehre lediglich zwei Stellen, an denen Kant von dem Ausdruck „innere Rechtspflicht“ Gebrauch macht (RL VI 237, 240), in der Tugendlehre sogar keine einzige. Die innere Rechtspflicht taucht in der Einteilung der Rechtslehre zunächst in Übereinstimmung mit der ersten Formel der die gesamte Kantische Rechtslehre strukturierenden (pseudo‐)ulpianischen Trias, der sogenannten juris praecepta (1. honeste vive, 2. neminem laede und 3. suum cuique) auf.⁷² Kant verbindet dort die innere Rechtspflicht allerdings nicht mit honeste vive selbst. Er deutet diese Formel zunächst, und zwar, so weit ich sehe, zum ersten Mal als „honestas juridica“ um, gibt also dadurch der ersten (pseudo‐)ulpianischen Formel eine gewisse Rechtsrelevanz und setzt sie erst dann mit der inneren Rechtspflicht gleich (RL VI 237, 10; vgl. Höffe 2001, 148 f.; Schnepf 2004). An einer zweiten Stelle der Einteilung der Rechtslehre, in der Tafel der Eintheilung nach dem objectiven Verhältniß des Gesetzes zur Pflicht, identifiziert Kant die innere Rechtspflicht auch mit dem „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person“ (RL VI 240). Aus den beiden Passagen ist zu entnehmen, dass Kant mit der inneren Rechtspflicht ein Recht im Sinn hat, das die Menschheit (wohlgemerkt, nicht als Gattungsbegriff, sondern im Sinn von homo noumenon) gegenüber dem einzelnen Menschen als dem phänomenalen Wesen intrasubjektiv beansprucht.⁷³

Steigleder 2002; Römpp 2006; Kerstein 2008; Denis 2010. Hingewiesen sei hier dagegen auf die Dissertation von Casas, die sich ausführlich mit manchen Problemen bei den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst auseinandersetzt (1996, Kapitel I 2.). Eine der wenigen Studien, die sich der Problematik des Verhältnisses der Einleitung zur Tugendlehre zu den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst gebührend zuwendet, ist Gregors Laws of Freedom, 1963, Ch. VIII-X. 113 – 165. Auch Esser weist kurz auf die Schwierigkeit hin, die die Klasse der vollkommen Pflichten gegen sich selbst in der Tugendlehre hervorruft (Esser 2004, 344 f.).  S. hierzu etwa Pinzani 2005.  Es sei erwähnt, dass dieses besondere Pflichtverhältnis sich nur im Lichte der Auflösung der „scheinbaren Antinomie“ der Tugendlehre (TL VI, §§ 1– 3, 417 f.) und der Grundannahme Kants der zwei Seiten bzw. Qualitäten des menschlichen Wesens als homo noumenon und homo phaenomenon erklären lässt. Die maßgebliche Antinomie der §§ 1– 3 der Tugendlehre und deren Auflösung zur Begründung der Pflichten gegen sich selbst scheint gerade die Pointe zu sein, die der Schopenhauer’schen Kritik an der Klasse der inneren Rechtspflichten bei Kant entgangen ist;

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Eine ausführliche Behandlung und nähere Bestimmung erfährt die Klasse der inneren Rechtspflicht aber vor allem in der Nachschrift Vigilantius. ⁷⁴ Dort teilt Kant die Rechtspflichten zunächst in die inneren und die äußeren ein. Er identifiziert dann einerseits die strikte innere Rechtspflicht, ähnlich wie in der Tafel der Einleitung der Rechtslehre, mit dem „Recht der Menschheit in unserer eigenen Person“, und definiert andererseits die strikten äußeren Rechtspflichten als „äußere Zwangspflichten, d. i. Recht der Menschen gegen einander“ (XXVII 563; Hv. R. M.). Nach dieser Unterscheidung entfaltet Kant dann die Klasse der inneren Rechtspflicht ausführlich und teilt sie wiederum in unterschiedliche Teilklassen ein (XXVII 600 – 609). In diesen Passagen der Vigilantius-Nachschrift werden drei sich ergänzende Punkte augenfällig: Erstens konzipiert Kant die inneren Rechtspflichten, ähnlich wie in der Einleitung in die Rechtslehre, als gewisse Ansprüche, die die Menschheit insgesamt innerlich gegenüber dem Einzel-Menschen hat, während die äußeren Rechtspflichten nur die reziproken Ansprüche der Menschen gegeneinander betreffen. Zweitens weist Kants nähere Bestimmung der inneren Rechtspflichten eine unverkennbare Ähnlichkeit, ja Übereinstimmung mit den vollkommenen Pflichten gegen sich selbst auf, die Kant im Ersten Buch, in den §§ 5 – 12 der Tugendlehre anführt, auch wenn Kant in diesen Paragraphen von dem Ausdruck „innere Rechtspflicht“ gar keinen Gebrauch macht. Dies legt wiederum nahe, dass Kant mit inneren Rechtspflichten diejenigen Pflichten im Sinn hat, die die Menschen sich selbst aufgrund ihres noumenalen Ich schuldig sind. Kants Gebrauch des Wortbestandteils Recht- in dem Ausdruck „innere Rechtspflicht“ würde also damit nicht etwa im Gegensatz zu seiner offiziellen Fassung des Rechts stehen (etwa RL VI § B); denn selbst in der VigilantiusNachschrift betrachtet Kant die innere Rechtspflicht nicht als ein Stück des „Jus“, also nicht als Teil der juridischen Zwangspflichten, sondern vielmehr als einen Teil der Ethik1 (s. etwa XXVII 587; 594, 33 f.; vgl. auch VATL XXIII 385). Das Wortbestandteil Recht- in „innere Rechtspflicht“ soll also vielmehr nur auf den Schuldigkeits- bzw. Vollkommenheitscharakter verweisen, welcher auch die äußeren Rechtspflichten kennzeichnet. Drittens tut sich damit ein allgemeiner Begriff des Rechts auf, der nicht etwa wie der Rechtsbegriff der Rechtslehre nur in Verbindung mit der äußeren Gesetzgebung bzw. der Zwangsbefugnis steht, son-

s. Schopenhauer [1840], § 5, 126, 128 f. Zur Auflösung der Antinomie in den §§ 1– 3 der Tugendlehre s. Mosayebi [2010b].  S. Kersting 21993, 217– 222. Auch die 1985 vorgelegte Dissertation von Gau-Jeng Ju verdient es, hierzu erwähnt zu werden; sie gilt als eine Fundgrube an Stellen, in denen Kant über das Thema des Rechts der Menschheit schreibt.

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dern sich primär und ursprünglich als eine moralische Schuldigkeit ausweist.⁷⁵ So besehen könnte man also sagen, dass, genauso wie die Lehre der Pflichtzwecke (Ethik2) nicht mit der gesamten Tugendlehre gleichzusetzen ist, auch die Lehre der Pflichten des Rechts im allgemeinen Sinn nicht mit der Rechtslehre, „Jus“, zu identifizieren sei. Damit können wir uns auch die Charakteristika der Pflichten der Rechtslehre noch einmal vergegenwärtigen: Die Pflichten der Rechtslehre bzw. des Jus sind genau diejenigen, die nicht nur schuldige, sondern auch äußere Pflichten sind, die also zwischen Menschen, und nicht unmittelbar zwischen Menschheit und Menschen bestehen. Oben habe ich erwähnt, dass Kant unter den schuldigen, den vollkommenen und den engen Pflichten das Gleiche versteht. Das gilt ebenso für die jeweiligen Gegensätze dieser Attribute: Auch die verdienstlichen, die unvollkommenen und die weiten Pflichten verwendet Kant synonym. Was heißt es aber genau, dass eine Pflicht eine vollkommene bzw. enge oder eine unvollkommene bzw. weite Pflicht ist? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst sehen, worauf sich diese Attribute überhaupt beziehen und was dazu führt, dass Kant sie verwendet. Deutlich wird, dass diese Attribute nur in Korrelation zu ihrem jeweiligen Gegensatz an Sinn gewinnen. Eine vollkommene Pflicht lässt sich nur im Zusammenhang mit einer unvollkommenen Pflicht verstehen, eine enge nur im Zusammenhang mit einer weiten usw. Der Korrelationscharakter der Attributspaare weist zugleich auch auf ihre Komparativität hin, darauf, dass sie auf etwas rekurrieren, was sich qualitativ einstufen lässt. Doch das moralische Gesetz bzw. die ethische Verpflichtung gilt für Kant als die formale praktische Normativität schlechthin, und insofern kann der komparative Charakter dieser Attribute nicht aus dem Moralgesetz bzw. der ethischen Verpflichtung selbst herrühren. Das, was diese Attribute hervorruft, muss also vielmehr etwas sein, was in einem Verhältnis zum Moralgesetz steht. Die obigen Attributspaare müssen also auf das Verhältnis des Moralgesetzes zu seinen Gegenständen verweisen. Da das moralische Gesetz als solches seine Gegenstände (praktisch) determiniert, so kann man genauer sagen, dass diese Attributspaare die Qualität der Determination beschreiben, die das Moralgesetz in Bezug auf seine Gegenstände ausübt. Es sind also die moralischen Gegenstände und deren Beschaffenheit selbst, die jeweils zu einer anderen Qualität der moralischen Determination führen. Um den Unterschied zwischen vollkommenen und unvollkommenen Pflichten und dessen Bedeutung bei Kant nachzuvollziehen, muss man sich daher zunächst mit den möglichen Ge Dieser allgemeine Begriff des Rechts ist auch von dem abzusetzen, was Kant als „Jus late dictum“ bezeichnet und worunter er die Billigkeit versteht (s. etwa Moral Collins XXVII 273/Stark (Kaehler), 53; s. auch RL VI 234 f.); zur Bezeichnung Schuldigkeit vgl. etwa KpV V 83, 32; TL VI 390, 35; TL VI 418 Anm.; Vigilantius XXVII 605, 35; vgl. auch die vorkritische Refl. 6667 XIX 128.

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genständen befassen, auf die das Moralgesetz überhaupt Bezug nimmt. Man kann diese Gegenstände auch als Bezugspunkte des Moralgesetzes bezeichnen. In der Einleitung zur Tugendlehre entwickelt Kant eine Theorie bezüglich der Anwendung des Moralgesetzes, die wir in den ethischen Grundlagenschriften nicht in expliziter Form antreffen. In den Abschnitten VI und VII der Einleitung unterscheidet Kant zwischen zwei möglichen Bezugspunkten der moralischen Forderung: Das moralische Gesetz kann entweder auf „die Handlungen selbst“ oder primär auf „nur die Maxime der Handlungen“ Bezug nehmen (vgl. „Pflichtmaxime“, TL VI 390). Diese zwei möglichen Bezugspunkte sind aber nicht zu verwechseln mit dem Begriffspaar Legalität/Moralität. Denn die Bezugspunkte des Moralgesetzes sind Gegenstände, die das Moralgesetz überhaupt ansprechen oder determinieren kann,während Legalität und Moralität nur Modi der Befolgung des Moralgesetzes sind, gleich welcher Bezugspunkt dabei angesprochen bzw. bestimmt wird (vgl. das vorherige Unterkapitel). So lässt sich etwa in dem Fall, dass der Bezugspunkt des Moralgesetzes eine besondere Maxime selbst ist, diese in der Ausübung bloß legal oder aus Pflicht befolgen. Ist der Bezugspunkt des Moralgesetzes eine bestimmte Handlung selbst, so kann man auch die Ausübung dieser entweder bloß legal oder wiederum nach dem Geiste des Gesetzes erfüllen (TL VI 390, 30 ff.). Die Unterscheidung zwischen vollkommener und unvollkommener Verbindlichkeit wird nun von Kant im Lichte dieser zwei Bezugspunkte des Moralgesetzes erklärt. Er definiert die vollkommenen Pflichten als diejenigen, die direkt eine bestimmte Handlung als solche auferlegen, die unvollkommenen Pflichten dagegen als diejenigen, die sich primär auf bestimmte Maximen der Handlungen beziehen (s. etwa TL VI 388 ff.). Sehen wir zunächst, warum die moralischen Forderungen in Verbindung mit einer bestimmten Maxime als ihrem Bezugspunkt nur unvollkommen, d. h. weit ausfallen. Dass die Maximen trotz ihrer bloß formalen Rolle für das Universalisierungsverfahren des Kategorischen Imperativs in den ethischen Grundlagenschriften auf einmal in der Tugendlehre zusätzlich zu einem spezifischen Bezugspunkt bestimmter moralischer Forderungen erhoben werden, liegt darin begründet, dass Kant in der Tugendlehre seine Ethik um eine Theorie der Pflichtzwecke erweitert und so den Normativitätsanspruch des Moralgesetzes um einen positiven Aspekt auf die „Materie der Willkür“ ausweitet. Es ist also allein der Pflichtzweck, der ein materiales „Gesetz für die Maximen der Handlungen begründet“ (s. TL VI 389). Mit anderen Worten, der Zweckcharakter der Tugendpflichten ist es, der dazu führt, dass das Moralgesetz sich hier allein auf die Maxime der Handlung und nicht auf die Handlung selbst bezieht. Wir haben in Kapitel 3 dieses Teils gesehen, dass nach Kant die Setzung von Zwecken, ob der subjektiven oder der objektiven Zwecke, nicht von außen, von Anderen, möglich ist. Die Zwecke können ausschließlich von dem handelnden

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Subjekt selbst bestimmt bzw. gesetzt werden. Das erklärt zwar, weshalb die Tugendpflichten nur einer inneren Gesetzgebung fähig sind, selbst wenn sie gegen Andere gerichtet sind; es zeigt aber noch nicht, warum diese genuin maximenbezogen sein sollen und wie es zu einer weiten bzw. unvollkommenen Verbindlichkeit kommen kann. Bei den Tugendpflichten handelt es sich um einen Anspruchsbereich des moralischen Gesetzes, der in den objektiven Zwecken selbst besteht. Da diese Zwecke innerlich sind, müssen sie zunächst, ehe sie überhaupt zu äußeren, objektiv beobachtbaren Handlungen erwachsen, in die subjektiven Grundsätze, also in die Maximen, aufgenommen werden. Setzt nun der Mensch als endliches Subjekt die Zweckmaximen in die Tat um, kommt es also auf die Tugendpraxis oder eben eine Handlung gemäß dieser Zweckmaximen an, so treten unvermeidlich aposteriorische Elemente auf, die bedingt durch die Endlichkeit des Menschen sind und eine genaue apriorische Bestimmtheit der Praxis solcher Zweckmaximen für die Menschen unmöglich machen. Sowohl bei dem Pflichtzweck der eigenen Vollkommenheit, wie auch dem der fremden Glückseligkeit kommt es nämlich in der konkreten Ausübung auf die situativ gültigen Handlungskontexte an, innerhalb derer sie praktiziert werden. Und da der Mensch als endliches Subjekt weder allwissend noch allmächtig ist, bleibt die endgültige Gestalt der Ausübung der Zweckmaximen unterbestimmt. In der äußeren Ausübung der Zweckmaximen tut sich damit ein freier Raum, ein „Spielraum“ auf. Es liegt nämlich in der Ausübung der Pflichtzwecke gleichsam eine Sphäre vor, „innerhalb welcher es der Willkühr überlassen bleibt, zu überlegen und zu beurteilen, ob und was“, „wie viel, wenn und wo,was nicht,wie viel nicht […] zu thun Pflicht sey“ (so Tieftrunk 1798, 101 und 96; vgl. Hill 1992, 155). Man fragt sich indes, worin die moralische Verbindlichkeit der Pflichtzwecke besteht, wenn die konkrete Ausübung selbst, worum es doch letzten Endes in der praktischen Philosophie geht, unbestimmt bleibt. Gerade hier zeigt sich nun die Notwendigkeit der Maximenbezogenheit der Pflichtzwecke: Der Bezugspunkt der moralischen Verbindlichkeit kann nach Kant nicht etwas sein, dessen Bestimmtheit von der Empirie abhängt. Die moralische Verpflichtung muss ihre Forderung vielmehr auf das einschränken, was apriorisch bestimmbar ist, im Fall der Pflichtzwecke eben die Zweckmaximen selbst. Anders gesagt, da die Pflichtzwecke, als vor allem Empirischen liegend, nicht auf die Handlungen selbst als eines äußerlich bestimm- und beobachtbaren Gegenstands rekurrieren können, kommen nur die Maximen der Handlung selbst als Bezugspunkt des Moralgesetzes in Frage. Die Pflichtzwecke müssen also zunächst nur die Maximensetzung, d. h. die Annahme der Zweckmaximen der eigenen Vollkommenheit und der fremden Glückseligkeit beanspruchen. Da sie aber die Ausübung ihrer Forderung nicht genau und bestimmt auferlegen können, so stellen sie eben auch eine weite Verbindlichkeit dar;

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sie können nicht vollkommen bestimmen, welche Handlung genau zufolge der moralischen Forderung zu tun ist. In diesem Zusammenhang sei hier auf vier entscheidende Punkte bezüglich der unvollkommenen Tugendpflichten hingewiesen, die auch zu deren Abgrenzung von den Rechtspflichten von Bedeutung sind: (i) Der Spielraum bei der Ausübung unvollkommener Pflichten bzw. der Umstand, dass der Anspruchsbereich des moralischen Gesetzes bei diesen Pflichten primär die Maximen sind, bedeutet nicht, dass hier die moralische Verbindlichkeit gar keine Relation zu den Handlungen hat. Vielmehr bedeutet dies, dass das Gesetz „nur nicht unmittelbar die Handlung“ gebieten kann und dadurch „es dem Urtheil des Subjects frey [lässt] die Art wie und das Maas in welchem Grad das Gebotene ausgeübt werden solle“ (VATL XXIII 394; Hv. R. M.). Die unvollkommenen Pflichten gebieten deshalb nach Kant nur „zu einer Gattung von Handlungen (z. E. des Wohlwollens)“, „so daß in Ansehung einzelner Fälle Freyheit der Wahl so wohl der Art als des Grades übrig gelassen wird“ (XXIII 380; Hv. R. M.). (ii) Dies führt dazu, dass Kant in der Tugendlehre „eine Art von Dialectik der practischen Vernunft“, „einen Wiederstreit der Maximen“ für unvermeidlich hält, „der zwar nicht eine Antinomie heißen kann“, weil es eben kein Widerstreit der Gesetze ist (s. Teil I, Kap. 1), aber doch eine „Casuistik d. i. ein Inbegriff von Aufgaben für die Urtheilskraft zu Unterscheidung dessen was in vorkommenden Fällen ethisch-erlaubt sey oder nicht“ (VATL XXIII 389). Da die unvollkommenen Pflichten nicht auf die Handlungen selbst, sondern auf die objektiven Zwecke zielen, gilt, dass bei ihrer Ausübung, d. h. in dem Grad und der Art ihrer Erreichung, die hypothetischen Imperative eine entscheidende Rolle spielen, auch wenn sie dabei jederzeit dem Kategorischen Imperativ untergeordnet bleiben müssen.⁷⁶ (iii) Der Spielraum in der Ausübung der unvollkommenen Pflichten heißt für Kant aber keineswegs „eine Erlaubniß zu Ausnahmen“ von den gebotenen Maximen der Handlungen (TL VI 390, 10), sondern vielmehr, wie Kant selbst ein Beispiel dafür gibt, nur die Erlaubnis „der Einschränkung einer Pflichtmaxime durch die andere (z. B. die allgemeine Nächstenliebe durch die Elternliebe)“ (VI 390, 11 f.). (iv) Anschließend an diesen Punkt  In § 10 der Tugendlehre (VI 433 Fn.) macht Kant deutlich, dass bei der spielräumlichen Anwendung der weiten Pflichten „die Urteilskraft nach den Regeln der Klugheit (den pragmatischen)“ ins Spiel der Entscheidungsprozesse hineinkommt (s. TL VI 433). Die Kompatibilität der Ausübung der Tugendpflichten mit der eigenen Eudämonie sowie die Zusammenarbeit der Tugendgebote und der Klugheitsimperative betont Kant etwa auch in der moralphilosophischen Nachschrift Collins/Kaehler (XXVII 260, 1– 8/Stark (Kaehler) 2004, 34, 12– 20). Die Kontextsensibilität der Prinzipienethik Kants in der Praxis der Tugendpflichten (vgl. auch die kasuistischen Fragen in der Tugendlehre) erregt ernsthafte Bedenken, ob der Nietzsche’sche Einwand, dass sie aus den Menschen nur „Automat(en) der ‚Pflicht’“ mache, der Kantischen Theorie der Tugendpraxis gerecht wird (Nietzsche 1888 [11894], 175).

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könnte der unvollkommene Charakter der Tugendpflichten jedoch ein interpretatorisches Problem hervorrufen, das auch aus manchen Aussagen Kants selbst hervorgeht.Vor allem in den Vorarbeiten zur Tugendlehre finden sich Passagen, die aufgrund der maximenspezifischen Forderung den unvollkommenen Verbindlichkeiten jeglichen Gesetzesstatus abzusprechen scheinen und so deren kategorische Geltung in Zweifel ziehen könnten.⁷⁷ Recht besehen ist es aber bei der Maximenverbindlichkeit der Pflichtzwecke nicht deren Normativität selbst, sondern nur die „Tugendpraxis“ (TL VI 390, 13) bzw. die konkrete Ausübung dieser Pflichten, die a priori nicht bestimmbar ist. Es ist die Verbindlichkeit zur Handlung der Pflichtzwecke, vor dem Hintergrund, dass sie immer empirisch verhaftet sind, welche ihre Unvollkommenheit ausmacht.⁷⁸ Die unbedingte Normativität dieser Pflichten bleibt dabei jedoch unberührt. (v) An dieser Stelle können wir schließlich auch eine präzisere Deutung der dritten Option der Modalitätsbegriffe aus der Tafel der Freiheitskategorien der zweiten Kritik geben, in der Kant die vollkommenen und unvollkommenen Pflichten als die Stellvertreter der Modalkategorien der Notwendigkeit und der Zufälligkeit aufstellt (KpV V 66, 36; s. zu diesen Kategorien auch Teil I, Kap. 6, erster Abschnitt). Wenn Kant in der zweiten Kritik analog zu den theoretischen Modalkategorien Notwendigkeit und Zufälligkeit (KrV A 80/ B 106) von den praktischen Kategorien „vollkommene und unvollkommene Pflicht“ spricht, so ist also damit nicht etwa die Zufälligkeit des moralischen Gesetzes bei den Tugendpflichten gemeint. Vielmehr beziehen sich diese Kategorien ausschließlich auf die äußere Ausübung einer konkreten Handlung der entsprechenden Pflichtklassen.⁷⁹ Bei den unvollkommenen Pflichten, ob gegen sich selbst oder gegen Andere, handelt es sich genau ge So etwa VATL XXIII 381, 25 – 28; 391; 393; für die Tugendpflichten als bloße „Anmahnungen (admonitiones)“ s. XXIII 377; 380, 10; 393; vgl. Refl. 7259 XIX 296).  So heißt es etwa in der Nachschrift Vigilantius: „[D]as Gesetz, so die ethischen Pflichten [sc. Tugendpflichten] befiehlt, befiehlt nur, sich den Zweck, dem die Handlungen unterworfen seyn würden, zur Pflicht zu machen, bestimmt nur die maxime der Handlung, nicht die Ausübung der letzteren selbst“ (XXVII 585, 3 – 7). „Alle obligatio ist stricta, d. i. wovon keine exceptio gilt, aber nicht alle leges obligandi sind strictae, sondern einige auch latae, weil sie nicht die Handlung bestimmen“ (Refl. 7270 XIX 299).  Da aber Kant dies in der zweiten Kritik nicht expliziert, hat die Parallele zwischen theoretischen und praktischen Modalkategorien zu Missverständnissen geführt. So deutet bereits Christian Gottfried Schütz in einem Brief an Kant (vom 23. Juni 1788) die dritte Option der Modalitätskategorien der praktischen Vernunft unter anderem als: „Nothwendigkeit eines Gesetzes/Zufälligkeit eines Gesetzes (unnachlaßliche Pflichten)/(verdienstl. Pflichten)“ (Briefe X 542, 7). Die Formulierung „Zufälligkeit eines Gesetzes“ oder überhaupt die Rede von einem zufälligen Gesetz in Bezug auf die unvollkommenen Pflichten (Schütz erwähnt dafür in seinem Brief das Beispiel „Almosen geben“) gilt aber in einem Kantischen Verständnis des Terminus „Gesetz“ als eine contradictio in adiecto.

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nommen um eine nicht strikt bestimmbare, daher zufällige Ausübung einer durch das moralische Gesetz notwendig, d. h. absolut gebotenen Maxime. Fragt man also, was genau dazu führt, dass Kant die Attribute vollkommen und unvollkommen den Pflichtklassen zuschreibt, so sieht man, dass dies in der Bestimmbarkeit einer konkreten Handlung begründet liegt. Kann eine konkrete Handlung durch eine Pflicht apriorisch genau bestimmt und direkt auferlegt werden, so ist die entsprechende Pflicht eine vollkommene bzw. enge; kann sie das aber nicht, so muss sie sich stattdessen auf die Maximen beziehen und gilt dann bezüglich der Umsetzung der Maximen in konkrete Handlungen als eine unvollkommene bzw. weite Verbindlichkeit. Bislang haben wir bei der Diskussion der unvollkommenen Pflichten gesehen, dass in der Befolgung ethischer Zweckimperative die Menschen stets mit der Abwägung und Wahl der ihnen je nach Situation zur Verfügung stehenden Mittel sowie der eigenen Handlungsmöglichkeiten usw. konfrontiert sind. Dies verweist auf eine kontingente Verwirklichung gebotener Tugendpflichten und damit auf eine Erweiterung des Feldes möglicher Handlungsrealisierungen, welche für die verdienstlichen Pflichten charakteristisch ist. Die vollkommenen Pflichten, darunter auch die äußeren Rechtspflichten, sind dagegen genau diejenigen Pflichten, welche sich unmittelbar auf eine bestimmte Handlung beziehen bzw. beziehen können. Sie fordern in direkter Weise eine bestimmte Leistung bzw. äußere Wirkung. Die Lehre der Rechtspflichten wird ebendeshalb als der Inbegriff der Pflichten definiert, die „zu Handlungen an sich selbst“ verbinden (VATL XXIII 377, 15 – 19; Hv. R. M.). Wichtig ist dabei, dass, wenn Kant von der moralischen Forderung als einer „Handlung an sich selbst“ spricht, er damit nicht etwa den moralischen Idealwert auf eine äußere Handlung selbst verlagert, so dass sich mit der äußeren (legalen) Erfüllung der Handlung die moralische Forderung erschöpfen würde; vielmehr geschieht dies nach Kant ausschließlich immer erst dann, wenn diese Forderung auch aus Pflicht erfüllt wird. Gemeint ist also nur, dass die unmittelbare Handlungsbezogenheit der vollkommenen Pflichten, im Gegensatz zu den weiten, verdienstlichen Pflichten bzw. Tugendpflichten, keinen Spielraum für ihre Ausübung übrig lässt. Kant vertritt die traditionelle naturrechtliche These weiter, dass die Rechtspflichten sämtlich prohibitiver Art, also negativ sind.⁸⁰ Sie fordern das Nichtsein, das Nicht-Geschehen einer bestimmten Handlung. Gerade deshalb lässt sich bei den (äußeren) Rechtspflichten eine konkret verbotene Handlung genau und un In Bezug auf äußere Rechtspflichten heißt es z. B.: „Die Juridische Gesetze sind eigentlich bloße Unterlassungspflichten. Das ganze Recht hat bloß negative Pflichten“ (Moral Mrongovius II, XXIX 632, 25 f.; vgl. Refl. 7295 XIX 305 f.; VARL XXIII 246, 268, 306 f.; Vigilantius XXVII 587, 589, 526 und 512). S. auch Hruschka 1983, 263 Fn. 16.

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abhängig von den subjektiven und situativen Faktoren ihrer Ausübung bestimmen. Mit anderen Worten, es lässt sich hier nicht auf sinnvolle Weise über „die Art wie“, „das Maas“ und den „Grad“ der Pflichterfüllung sprechen, da sie einfach ein Nicht-Geschehen sind, das als solches unmittelbar gefordert wird. Allerdings erfolgt die Formulierung der Rechtsforderung in manchen Fällen auch auf eine affirmative Weise, z. B. die Bezahlung einer Schuld oder die Zurückerstattung eines Depositums. Doch auch hier besteht der im Grunde negative Charakter weiter: das Tilgen einer bereits entstandenen Schuld. Die vollkommene Bestimmbarkeit der Rechtspflichten ist nämlich in dem Sinn aufzufassen, dass sie nicht mehr und nicht weniger als das auferlegen, was man dem Anderen schuldet. Zwar müssen sich die Rechtssubjekte über das Maß und die Grenzen der Schuldigkeit einigen, etwa durch ein positiviertes Rechtssystem; ist dieses aber einmal vereinbart, so ist die rechtliche Pflichthandlung genau in dem Maß zu erfüllen, wie die entsprechende Schuld verlangt, nicht mehr und nicht weniger.⁸¹ Es ist daher wichtig zu sehen, dass die vollkommene Verbindlichkeit der Rechtspflichten nicht etwa auf eine immer faktisch vorliegende Bestimmtheit der Pflichthandlungen, sondern vielmehr auf deren genaue Bestimmbarkeit verweist. Der Schuldigkeitscharakter der äußeren Rechtspflichten weist im Unterschied zu anderen vollkommenen bzw. schuldigen Pflichten noch ein weiteres Merkmal auf, welches in der Pflichtentypologie Kants ausschließlich dieser Pflichtklasse zusteht. Die äußeren Rechtspflichten werden als schuldige Pflichten nicht allein einer Seite des moralischen Verhältnisses auferlegt, sie gelten vielmehr in ein und derselben Hinsicht wechselseitig (s. Teil IV, Kap. 1). Die äußeren Rechtspflichten fordern nämlich aufgrund der reziproken Schuldigkeit der Menschen gegeneinander immer das zu unterlassen bzw. auszugleichen, was den legitimen, mit dem allgemeinen Gesetz der Freiheit verträglichen äußeren Freiheitsgebrauch der Anderen verletzt bzw. verletzt hat.⁸²

 Das illustriert Kant algebraisch in einigen Reflexionen: „Die iuridisch böse Handlung = – 2. Das ethisch gute = + 2. Das iuridisch Gute = 0, weil ich nur nicht einem andern das seine nehme, also nichts positiv böses thue“ ( Refl. 7165 XIX 262; Hv. R. M.); „Wenn ich jemand schuldig bin, so ist das = – im praktischen Verstande; bezahle ich ihm, so ists = +, d. i. mit ienem zusammen = 0. Wenn ich mich aber an jemand verschuldet habe, so ists nicht gnug, ihm […] den Schaden zu ersetzen; das Unrecht muß noch vergütet werden, und dann ist das iuridische – mit dem ethischen + = 0“. (Refl. 7287 XIX 303); „In Ansehung der moralität ist a die Gute, –a die Böse und 0 die indifferente Handlung. In Ansehung der folgen aber a Verdienst, –a Schuld und 0 das, was Recht ist“ (Refl. 7234 XIX 291; Hv. R. M.).  Das Moment der Reziprozität ist auch bei einigen Tugendpflichten unabdingbar. Doch das Wesentliche der äußeren Rechtspflichten, d. h. das Moment der strengen, erzwingbaren Reziprozität, ist bei den Tugendpflichten nicht anzutreffen. Kant geht bei einigen verdienstlichen Pflichten offensichtlich von einer wechselseitigen Erzeugung von Pflicht und Gegen-Pflicht aus

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Zum Abschluss dieses Unterkapitels möchte ich die Charakteristika der Verbindlichkeit äußerer Rechtspflichten durch Auseinandersetzung mit einer These Willascheks noch einmal beleuchten, die er in seinem 1997 erschienenen Aufsatz Why the Doctrine of Right does not belong in the Metaphysics of Morals aufwirft, zumal diese These auch die Grundeinteilung der gesamten Pflichtentypologie Kants in der Metaphysik der Sitten betrifft. In seinem Aufsatz gelangt Willaschek zu dem Ergebnis: „we must conclude that Kant’s system of moral duties is neither consistent nor complete“ (1997, 208). Willascheks provokative Diagnose folgt genau genommen aus den zwei folgenden Thesen: Erstens gebe es vollkommene Pflichten gegen Andere, die dennoch keine Rechtspflichten seien; solche Pflichten seien daher „moral duties which are neither duties of right nor duties of virtue“ (1997, 208); und zweitens habe Kant in seiner Metaphysik der Sitten genau dieser Pflichtklasse nicht Rechnung getragen (1997, 207, 226). Willaschek erläutert in seinem Aufsatz zwar nirgends, wie genau diese vermeintliche Pflichtklasse beschaffen sei, doch er gibt in einer Fußnote ein einziges Beispiel dafür: „the promise of a friend to proof-read a manuscript“, welches nicht eingehalten wird (1997, 222 Fn. 27; vgl. auch ders. 2009, 61). Ein solches falsches Versprechen stellt also nach ihm eine äußere vollkommene Pflicht dar, die weder eine Rechtspflicht noch eine Tugendpflicht sein kann. Und da eine solche Art der Pflicht in der Metaphysik der Sitten vernachlässigt werde, gebe es Grund zur Annahme, dass „Kant’s system of moral duties“ in diesem Werk für inkonsistent und unvollständig zu halten sei. Es ist Willaschek zunächst darin zuzustimmen, dass die Pflichtübertretung, die er in seinem Beispiel anführt, weder einer (äußeren) Rechtspflicht noch einer Tugendpflicht entspricht. Jedoch gilt es ihm darin entgegenzuhalten, dass es äußere vollkommene Pflichten geben kann, die keine Rechtspflichten sind, und sein Beispiel genau diese Pflichtklasse repräsentiere. Entscheidend ist als Erstes, dass das fragliche Versprechen in seinem Beispiel eben ein freundschaftliches Versprechen ist und damit aus der Perspektive desjenigen, dem etwas versprochen wurde, als eine nicht schuldige Handlung, d. h. als ein Verdienst angesehen wird.⁸³

(s. TL VI, B. 454 f., TL VI § 33, 456, s. weiter § 24 und § 46; Moral Mrongovius II, XXIX 631, 27 f.; s. Baron 2001, 393). Eine solche nicht erzwingbare Wechselseitigkeit, die aufgrund des Ausgleiches einer moralisch verdienstlichen Handlung des Anderen begründet werden kann oder sogar einer Mehrleistung hierzu darstellt, könnte man daher als eine ethische Schuldigkeit bezeichnen, die kein rechtliches Objekt ist: „die gütige Vergeltung (remuneratio s. repensio benefica) steht zur That in gar keinem Rechtsverhältniß“ (MS VI 228, 2 f.).  Willaschek gibt später in 2009, 69 Fn. 13 ein ähnliches Beispiel: „If a friend promises to help me paint my office, but later changes his mind and does not show up at the appointed time“ (2009, 61). Doch er achtet dort nur darauf, dass das fragliche „promise“ eben „non-juridical“ ist. Die Pointe, dass ein solches Versprechen zwar für den Versprechenden einen vollkommenen, für

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Anders gesagt, nicht etwa jedes Versprechen, sondern allein ein schuldiges Versprechen, beispielsweise das Tilgen einer bereits entstandenen Schuldigkeit, kann nach Kant als eine zugleich äußere und vollkommene, und gerade deshalb als eine erzwingbare, d. h. äußere Rechtspflicht gelten. Die verdienstlichen Handlungen können zwar weitere Verpflichtungen erzeugen, sie können die Akteure in ein wechselseitiges ethisches Kompensations- bzw. Wiedergutmachungsverhältnis setzen, doch sie führen nicht zu erzwingbaren Pflichten.⁸⁴ Bei einem freundschaftlichen Versprechen liegt also nur auf einer Seite des moralischen Verhältnisses, nämlich bei dem Versprechenden, eine Schuldigkeit vor. Aus der Perspektive des Versprechensempfängers (promisee) gilt dagegen ein solches Versprechen von Beginn an als eine Mehrleistung. Bei den äußeren Rechtspflichten geht es dagegen um die Schuldigkeiten, die grundsätzlich und von vorneherein gegenseitig gelten und daher zugleich äußerlich sind. Weiterhin hängt der Akt des freundschaftlichen Versprechens selbst nicht davon ab, wie weit, in welchem Maße usw. sich derjenige, dem etwas versprochen wurde, auf das Versprechen seines Freundes verlässt. Bei einem schuldigen Versprechen dagegen, etwa zur Zurückerstattung eines Darlehens o. ä., würde ein Mangel an Vertrauen derjenigen Person, die ein Versprechen erhält, einfach das Nichtgeschehen des rechtlichen Verhältnisses zur Folge haben, d. h. es würde schlicht kein Darlehen geben, so dass auch auf der Seite des Versprechenden gar keine Schuldigkeit entstünde. Darüber hinaus bleiben die äußeren Schäden beim Bruch eines freundschaftlichen Versprechens kontingent. Kant schreibt daher in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten, dass rechtlich eine Befugnis besteht „das gegen andere zu thun, was an sich ihnen das Ihre nicht schmälert,wenn sie sich dessen nur nicht annehmen wollen; dergleichen ist […] ihnen etwas zu erzählen oder zu versprechen, es sei wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig (veriloquium aut falsiloquium), weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht“ (RL VI 238, 3 – 9; Hv. R. M.). Beim Bruch eines schuldigen Versprechens dagegen liegt zumindest ein wirklicher Schaden vor: die faktische Schuld eben, zu deren Ausgleich ein Versprechen abgegeben wurde. Hierdurch wird also ersichtlich, dass die besondere Schuldigkeit, die einem verdienstlichen Versprechen zufolge entstehen mag, und die rechtliche Schuldigkeit gerade in der Art ihres Verhältnisses zur Äußerlichkeit differieren. Die

denjenigen aber, dem etwas versprochen wurde, nur einen verdienstlichen Charakter hat, bleibt hier ebenso unbeachtet.  So ist z. B. Dankbarkeit (s. TL VI 454 ff.) bei Kant eine Pflicht, die erst als Antwort auf eine vorangegangene Wohltat folgt und somit in einer gewissen Wechselseitigkeit zwischen Menschen steht, sie gilt aber nicht als eine zugleich äußere und vollkommene Pflicht in Kants System der Pflichten.

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Verbindung der Eigenschaften Äußerlichkeit und Schuldigkeit bei den äußeren Rechtspflichten erfolgt nämlich immer in ein und derselben Hinsicht: In der Hinsicht, in der eine Pflicht eine äußere ist, gilt sie zugleich auch als eine schuldige. Das falsche verdienstliche Versprechen dagegen bezieht sich zwar auf den Anderen, es ist aber nicht in derselben Hinsicht zugleich eine schuldige Handlung gegenüber dem Anderen; es genügt also im Unterschied zu äußeren Rechtspflichten der Bedingung der reziproken Schuldigkeit nicht. Es lässt sich also daran, dass ein falsches freundschaftliches Versprechen eine vollkommene bzw. enge Verbotspflicht darstellt, nicht zweifeln. Fragt man sich aber, worauf dann die Vollkommenheit dieses Verbots rekurriert, so sieht man leicht, dass sie nur in Bezug auf den Versprechenden selbst, und nicht aus der Perspektive des Versprechensempfängers, gilt. Die vollkommene Pflicht in Willascheks Beispiel ist somit nur als die Übertretung des Lügenverbots gegen sich selbst anzusehen. Sie stellt nicht etwa eine neue Pflichtklasse dar, die weder Rechts- noch Tugendpflicht wäre, und hiermit auf die Unvollständigkeit des Kantischen Systems der Pflichten verweisen würde. Vielmehr fällt sie unter die Klasse der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst, somit unter die Tugendlehre.

4.4 Das Minimum der Pflichtenlehre Kants Für die normative Moralphilosophie von heute ist die Unterscheidung zwischen dem Gerechten bzw. dem Rechten und dem Guten ein vertrauter und zugleich wegweisender Gedanke. Ein beträchtlicher Teil der Moralphilosophen vertritt heute mit aller Emphase einen gewissen Vorrang des Rechten gegenüber dem Guten und beruft sich dabei nicht selten auf Kant (s. etwa die Institutionenethik Rawls’, 1999). Gewiss lassen sich die neueren Diskussionen über das Verhältnis des sozial Geschuldeten und des Guten,vor allem auf einer institutionenethischen Ebene, nicht auf Kants Unterscheidung zwischen den schuldigen und den verdienstlichen Forderungen der Moral verkürzen. Doch es lässt sich andererseits kaum bestreiten, dass Kants Ethik als eine der wichtigsten historischen Ressourcen auf diese Diskussionen weiter Einfluss nimmt. Hierbei gilt gerade Kants Theorie der Pflichten aus der Metaphysik der Sitten als eine der klassischen Hauptquellen, in der wir unmittelbar mit den Ursprüngen der maßgeblichen Dichotomie des Rechten und des Guten konfrontiert werden. Wie bestimmt Kant selbst in seiner Pflichtentheorie dieses Verhältnis? Eine Antwort auf diese Frage soll das vorliegende Unterkapitel geben. Die Perspektive, die ich hierbei einnehme, ist eine durchgängig anwendungstheoretische; es geht mir hier um die Untersuchung des Kantischen Verhältnisses von Rechts- und Tugendpflichten bezüglich deren Praxis bzw. auf der Ebene der Ausübung ebendieser Pflichten. Die

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Untersuchung wird wiederum aus verschiedenen Blickwinkeln und dementsprechend anhand unterschiedlicher Passagen aus den ethischen Druck- und Nachlass-Schriften Kants durchgeführt. In diesem Zusammenhang werde ich mich auch auf eine in der Literatur interpretatorisch umstrittene Stelle der Grundlegung beziehen und dafür eine eigene Lesart anbieten. Ziel dieses Unterkapitels ist es, aufzuzeigen, dass nach Kant in der Praxis moralischer Pflichten der Ausübung der vollkommenen Pflichten die höchste Priorität zuteil wird, genauer, dass die legale bzw. pflichtmäßige Ausübung der vollkommenen Pflichten das Minimum in der Anwendung der Kantischen Ethik ausmacht. Diese These wird dann in Teil III der Arbeit spezifisch bezüglich der äußeren Rechtspflichten unter dem Gesichtspunkt der dijudikativen Funktion des obersten Prinzips des Rechts für die Maximen noch einmal dargelegt und vervollständigt. Schon die Wortwahl Kants zur Bezeichnung der zwei Qualitäten moralischer Verbindlichkeit (der vollkommenen und der unvollkommenen) impliziert eine Hierarchisierung innerhalb seiner Pflichtentheorie. Ebenso legen die Reihenfolge des Quartetts an Beispielen in der Grundlegung, welche die verschiedenen Hauptklassen der Pflichten exemplarisch repräsentieren, ja sogar die Abfolge der beiden Teile der Metaphysik der Sitten eine gewisse Prioritätensetzungen in Kants Pflichtentheorie nahe. Weitere adjektivische Kennzeichnungen, wie „unbedingte“ bzw. „strenge“ für die vollkommenen Pflichten und „remissible (erlaßliche)“ bzw. „nachsichtliche“⁸⁵ für die unvollkommenen Pflichten, verweisen ebenso auf die Priorität der ersten Hauptklasse gegenüber der Letzteren. Trotz dieser offensichtlichen Wertungen gilt es aber, ein Missverständnis gleich hier auszuräumen: Dass nach Kant den Rechtspflichten als solchen gegenüber den Tugendpflichten so etwas wie eine höhere moralische Dignität zustehe. Dieses Missverständnis mag auch durch das pflichtentheoretische Gedankengut des Zeitalters Kants bedingt sein, in dem die Rechts- bzw. Unterlassungspflichten gegen Andere in möglichen Kollisionsfällen von Pflichten immer die Präferenz gegenüber den Tugendpflichten erhalten (etwa bei Pufendorf, Thomasius und Wolff).⁸⁶ Doch bei Kant würde die Annahme einer höherstufigen Normativität für die Rechtspflichten darauf hinauslaufen, dass die Kategorizität der Tugendpflichten unterhöhlt wird. Die gleichsam hierarchische Bezeichnung bzw. die Prioritätensetzung Kants in seiner Pflichtentheorie erfolgen also nicht etwa auf der begründungstheoretischen

 S. etwa VARL XXIII 343, 23; VATL XXIII 380, 27.  S. hierzu Kersting 1989, 444 f. S. zum Thema der Kollision vollkommener Pflichten untereinander Hruschka 1983. Dieser Fall wurde allerdings von den meisten Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts ausgeschlossen – „leges prohibitivae nunquam inter se colliduntur“ (Wolff [1738], § 212, 168).

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Ebene; sie rekurrieren vielmehr auf die Praxis oder Realisierungspriorität der Hauptklassen der Pflichten im Vergleich zueinander. Bereits im Zweiten Abschnitt der Grundlegung gibt Kant Hinweise darauf, dass mittels der beiden Beurteilungskriterien von Denkmöglichkeit und Wollensmöglichkeit universalisierter Maximen eine vollständige Einteilung der Pflichten zustande kommt (GMS IV 424). Dort fungieren nämlich die Denk- und die Wollensmöglichkeit als zwei verfahrenstechnische Kriterien, mit deren Hilfe der Kategorische Imperativ in seiner allgemeinen Formel moralisch verwerfliche Maximen identifizieren und disqualifizieren kann. Ob Kant dies tatsächlich gelingt, soll an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Die Passage der Grundlegung ist hier nur insoweit wichtig, als Kant diejenigen universalisierten Maximen, die bereits in sich widersprüchlich, eben denkunmöglich sind, mit den vollkommenen Pflichten in Verbindung bringt, während er die universalisierten Maximen, die zwar denkmöglich, nicht aber wollensmöglich sind, mit den unvollkommenen Pflichten verbindet; die erste Gruppe von Maximen verletze die vollkommenen, die zweite die unvollkommenen Pflichten. Da nun in dieser Passage die Denkmöglichkeit offensichtlich als die conditio sine qua non der Wollensmöglichkeit gilt, so liegt es nahe, die Befolgung der vollkommenen Pflichten selbst als eine Bedingung der Praxis der unvollkommenen Pflichten anzusehen. Dies bestätigt Kant in der Grundlegung, wenn er sein Quartett an Beispielen zum zweiten Mal einem Prüfverfahren, diesmal anhand der Selbstzweck-Formel des Kategorischen Imperativs, unterzieht (IV 429 f.). Dort, bei der Behandlung des dritten und vierten Beispiels, welche Kant als „zufällige“ und „verdienstliche“ Pflichten (GMS IV 430, 10) gegen sich selbst und gegen Andere bezeichnet, zeigt sich das Kriterium zur Beurteilung der Maximen, die die vollkommenen Pflichten verletzen, ein weiteres Mal als vorrangig gegenüber dem der unvollkommenen Pflichten. Kant unterscheidet nämlich zwischen der „Erhaltung der Menschheit“ und der „Beförderung“ der Menschheit und verdeutlicht, dass diese jeweils den zwei Kriterien der Denk- und der Wollensmöglichkeit entsprechen (IV 430, 16 f.). Dabei ist auch leicht zu sehen, dass die „Erhaltung der Menschheit“ oder das „[B]estehen können“ der Menschheit (IV 430, 17, 20) in den entsprechenden Absätzen auf „nothwendige oder schuldige“, also vollkommene Pflichten rekurrieren. Da also in einem anwendungstheoretischen Sinn die Erhaltung der Menschheit der Beförderung der Menschheit vorausliegt, so ist hier die Ausübung der Erhaltungspflichten der Menschheit, der vollkommenen Pflichten, die conditio sine qua non der Ausübung der Beförderungspflichten der Menschheit, der unvollkommenen Pflichten. Dass die vollkommenen Pflichten auf der Anwendungsebene eine Art Bedingung der Klasse der unvollkommenen Pflichten ausmachen, zeigt sich ebenso an zahlreichen Passagen der Nachlass-Schriften Kants. So schreibt Kant in einer Kritischen Reflexion: „vollkommene Pflicht ist diejenige, welche nicht auf die

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Bedingung eingeschränkt ist, eine andere Pflicht nicht zu übertreten. Ist also so viel als Unbedingte Pflicht gegen sich selbst und gegen andere. Sie ist das Recht der Menschheit oder der Menschen“ (Refl. 7264 XIX 297 f.; Hv. R. M.).⁸⁷ Kant kann hier nicht gemeint haben, dass die eine vollkommene Pflicht auf die Bedingung eingeschränkt ist, die andere vollkommene Pflicht nicht zu übertreten; denn er spricht offensichtlich von allen vollkommenen Pflichten zusammen, denjenigen gegen sich selbst und denjenigen gegen Andere. Es geht hierbei also um die Klasse der vollkommenen Pflichten gegenüber der anderen Klasse der Pflichten. Da aber die Einteilung der Pflichten in zwei Hauptklassen der vollkommenen und unvollkommenen eine exhaustive ist, so kann diese „andere“ Klasse der „Pflicht“ nur die Hauptklasse der unvollkommenen Pflichten selbst sein. Eine Umkehrung des ersten Satzes dieses Zitats lautet dann: Die Klasse der unvollkommenen Pflichten ist, im Gegenteil zur vollkommenen Pflicht, eben diejenige, die auf die Bedingung eingeschränkt ist, vollkommene Pflichten nicht zu übertreten. Ähnlich finden sich in dem letzten Moral-Kolleg Kants, in der Nachschrift Vigilantius, Stellen, die in aller Deutlichkeit auf die Priorität der Ausübung der vollkommenen Pflichten gegenüber der Erfüllung der Tugendpflichten verweisen. So etwa wenn Kant sagt, dass „die officia meriti jederzeit den officis debiti nur zugesetzt werden können; sie sind daher im Verhältniß der officia debiti jederzeit erweiternd“ (XXVII 600; Hv. R. M.). Die Restriktion der Tugendpflichten auf ihre Kompatibilität mit den strengen, vollkommenen Pflichten drückt Kant hier weiterhin folgendermaßen aus: „nur dann kann dies [sc. verdienstliche Handlungen] Pflicht seyn, wenn es mit Beobachtung strenger Pflichten bestehen kann, und die Grade dessen sind noch unbestimmt. Es folgt daraus in Ansehung der Behandlung der Ethic[1] auch, dass man die officia meriti nur immer im Verhältniß gegen die officia debiti erklären kann“ (XXVII 600 f.). An dieser Stelle wird vor allem noch deutlicher, dass, obwohl „die Grade“ der Praxis verdienstlicher Pflichten „noch unbestimmt“ sind, d. h. obwohl sich ein Spielraum in der Verwirklichung unvollkommener Pflichten auftut, deren Praxis aus einer inneren pflichtentheoretischen Sicht doch in einem gewissen Punkt wohl bestimmt ist: Kant legt die Ausübung unvollkommener Pflichten ex negativo auf die Nicht-Verletzung der vollkommenen Pflichten fest.⁸⁸ Man darf nun nicht vergessen, dass Kant selbst die

 Die Reflexion stammt nach Adickes aus den 1780er Jahren, ist gleichwohl ohne exakte Datierung.  „Die late Determination läßt noch immer einen Spielraum für den Irrthum übrig, der aber doch seine bestimmten Grenzen haben kann“ (Logik IX 54 f.; Hv R. M.). Ganz in diesem Sinn schreibt Kant etwa in den Vorarbeiten zur Rechtslehre, dass für die Praxis gilt: „alle ethische Verbindlichkeit ist lata. Der Grad der Leistung u. die Art ist nicht bestimmt. – Ausgenommen die

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„Cultur der Moralität“, d. i. das Streben nach moralischer Vollkommenheit, als eine verdienstliche Pflicht behandelt (s. TL VI 387, 391 f.; vgl. auch §§ 21 f.). Und das bedeutet wiederum, dass nicht nur die Ausübung verdienstlicher Pflichten im Allgemeinen, sondern auch die Kultivierung der ethischen Gesinnung bzw. die Anwendung der Moralität selbst erfordert, dass die vollkommenen Pflichten zunächst erfüllt sind, auch wenn diese selbst begründungstheoretisch wie alle Pflichten auf der Moralität gründen.⁸⁹ Doch was hat es für Konsequenzen, dass Kant selbst die ethische Befolgung von Pflichten bzw. die Realisierung der ethischen Gesinnung (Kultur der Moralität) von der Erfüllung der inneren und äußeren vollkommenen Pflichten abhängig macht? Zunächst mag dieser Sachverhalt verwundern, weil die Kantische Ethik gemäß einer geläufigen Interpretation gerade als eine „Gesinnungsethik“ charakterisiert wird. Zwar gründet die normative Geltung aller Pflichten nach Kant auf der Moralität. Bezogen auf die Anwendungsebene scheint aber dann dieses Etikett nicht alles über die Kantische Pflichtentheorie zu verraten, ja gar irreführend zu sein. Um Kants These über die Priorität der Erfüllung der inneren und äußeren vollkommenen Pflichten genauer darzustellen und damit der Charakterisierung seiner Ethik auf der Anwendungsebene als einer „Gesinnungsethik“ entgegenzutreten, möchte ich im Folgenden zunächst einen Blick auf den Vorrang werfen, den die Legalität von Handlungen gegenüber der Moralität der Gesinnung für Kant hat. Anschließend werde ich mich mit einer kontroversen Stelle im Ersten Abschnitt der Grundlegung befassen, welche damit im Zusammenhang steht. Wir haben in Unterkap. 3.1 dieses Teils gesehen, dass Kants im Grunde transzendentalkritische These der ethischen Motivagnosie eine endgültige die Rechtsgesetze nicht zu verletzen wenn sie auch blos innere wären –“ (XXIII 246, 22 ff.; Hv. R. M.)  Zur Priorität der Ausübung der vollkommenen Pflichten gegen sich gegenüber den unvollkommenen Pflichten gegen Andere s. Moral Collins XXVII 260/Stark (Kaehler) 2004, 34; vgl. weiter TL VI 417; Refl. 7308 XIX 308; Vigilantius XXVII 604. In der Tugendlehre heißt es gegen einen naiven Altruismus: „mit Aufopferung seiner eigenen Glückseligkeit (seiner wahren Bedürfnisse [deren Aufopferung zur Übertretung der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst führt; R. M.]) Anderer ihre zu befördern, würde eine an sich selbst widerstreitende Maxime sein, wenn man sie zum allgemeinen Gesetz machte“ (TL VI 393, 29 – 32; Hv. R. M.). In Moral Collins/ Kaehler heißt es in Bezug auf die äußeren Rechtspflichten: „Die erste Bedingung aller ethischen Pflichten ist aber diese, daß der juridischen Verbindlichkeit zuerst ein Genüge gethan wird. Diejenige Verbindlichkeit die aus dem Recht des andern entspringt, muß zuerst satisfacirt werden, denn wenn ich auch unter der juridischen Obligation bin, so bin ich nicht frey, denn ich stehe unter der Willkühr des andern. Wenn ich nun aber eine ethische Pflicht ausüben will, so will ich eine freye Pflicht ausüben; wenn ich noch nicht von der juridischen Obligation frey bin, muß ich mich erst von der juridischen Obligation frey machen, indem ich sie erfülle, und denn kann ich erst die ethische Pflicht ausüben.“ (XXVII 282/Stark (Kaehler) 2004, 78)

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Selbstvergewisserung der Moralität für unmöglich hält; dem Menschen bleibt es verwehrt, „so in die Tiefe seines eigenen Herzens einzuschauen, daß er jemals von der Reinigkeit seiner moralischen Absicht und der Lauterkeit seiner Gesinnung auch nur in einer Handlung völlig gewiß sein könnte“. Doch während Kant die Moralität auf der Anwendungsebene als unerkennbar betrachtet, sieht er „die Legalität derselben gar nicht zweifelhaft“. Während alle Antwort auf die Frage: „wie viel reiner moralischer Gehalt bei jeder That in der Gesinnung gelegen habe“, dem Menschen „selbst verborgen“ bleibt, erkennt Kant der pflichtmäßigen Tat einen empirisch sicheren Status zu (TL VI 392 f.). In nuce gesagt, um die Legalität, d. h. die Übereinstimmung einer unter der äußeren Anschauungsform, dem Raum, erscheinenden Handlung mit dem moralischen Gesetz festzustellen, braucht der Mensch kein „Herzenskündiger“ zu sein.⁹⁰ Dies verweist offensichtlich auf eine anwendungstheoretische Priorität der Legalität unserer Handlungen gegenüber der Moralität der Gesinnungen, welche im Grunde bereits in Kants Theorie der Sinnlichkeit verwurzelt ist. Im Rahmen seiner Erkenntnistheorie spricht Kant – in Auseinandersetzung mit dem „problematischen Idealismus“ des „Cartesius“, aber auch mit dem Berkeley’schen „dogmatischen Idealismus“ – den äußeren Erfahrungen einen höheren epistemischen Rang zu als unserer inneren Erfahrung (KrV B 274 ff.). So heißt es in der ersten Kritik, „daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sei, daß nur vermittelst ihrer zwar nicht das Bewußtsein unserer eigenen Existenz, aber doch die Bestimmung derselben in der Zeit, d. i. innere Erfahrung, möglich sei“ (B 276 f.). Nach Kant können nämlich selbst innere Veränderungen ohne etwas Äußeres nicht begriffen werden. Der epistemische Rang aber, den er den mitteilbaren Gegenständen des äußeren Sinns zuerkennt, entspricht im moralisch-praktischen Bereich eben den Handlungen, die unter den Begriff der Legalität subsumiert werden: die äußerlich wahrnehmbare Erfüllung moralischer Forderungen, unerachtet ihrer inneren Bestimmungsgründe. Diese anwendungstheoretische Priorität der Legalität gegenüber der Moralität möchte ich nun anhand eines viel diskutierten Passus aus dem Ersten Abschnitt der Grundlegung näher betrachten (GMS IV 397), welcher seit einiger Zeit in der Kantforschung für kontroverse Debatten sorgt. In der einschlägigen Textpassage geht es Kant darum, dass sich nur ein menschlicher Wille, der „aus Pflicht“ handelt, als ein an sich guter Wille erweist, anders ausgedrückt, dass die Moral auf der Moralität begründet werden müsse. Kant führt dafür dort die zwei Modi der Erfüllung des moralischen Gesetzes, der Handlung aus Pflicht (Moralität) und der pflichtmäßigen Handlung (Legalität), ein und stellt sie anhand einiger Beispiele

 S. hierzu Mosayebi 2010a.

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dar. Doch bevor er dies tut, nimmt er eine gewisse Einschränkung in seiner Darstellung vor, die eben im Mittelpunkt unterschiedlicher Interpretationen, vor allem mancher Kritik steht: „Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt werden, ob sie gleich in dieser oder jener Absicht nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht einmal die Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen, da sie dieser sogar widerstreiten“ (GMS IV 397, 11– 14).

Diese Sätze und die darauf folgende Passage (IV 397, 11– 32) erregen insgesamt den Eindruck, als ob Kant allen möglichen Kombinationsfällen Rechnung tragen möchte, die sich aus der Verbindung der zwei Modi der Erfüllung des moralischen Gesetzes (aus-Pflicht/pflichtmäßig) und der moralrelevanten Handlungen ergeben: (i) Handlungen, die sowohl pflichtmäßig wie auch aus Pflicht erfolgen; (ii) Handlungen, die weder aus Pflicht noch pflichtmäßig erfolgen; (iii) Handlungen, die pflichtmäßig, aber nicht aus Pflicht erfolgen; und schließlich (iv) Handlungen, die aus Pflicht, aber nicht pflichtmäßig erfolgen. Eine solche Vierteilung hat tatsächlich Hardwig in seinem einflussreichen Aufsatz Acting from Duty but not in Accord with Duty (1983) aufgestellt, um dann darauf aufmerksam zu machen, dass Kant die vierte Option, wie das obigen Zitat offensichtlich zeigt („Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt werden […] denn bei denen ist gar nicht einmal die Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen“), doch übersehen hat. In ähnlicher Weise findet sich auch eine Reihe von deutschsprachigen Arbeiten, die sich mit dem zitierten Satz der Grundlegung auseinandersetzen und Kant teilweise vorwerfen, dass er die Möglichkeit der vierten Option bestreitet (s. etwa Horn/Mieth/Scarano 2007, 180). Dabei wollen dann diese Arbeiten dem angeblichen Übersehen bzw. Ausschluss der vierten Option durch Kant mit einem Szenario entgegentreten: Eine Person glaube zwar einerseits aus rein subjektiver Perspektive mit ganzem Herzen, aus Pflicht zu handeln; doch andererseits sitzt sie bezüglich der Moralität ihrer Handlung einer irreführenden Illusion auf, so dass sie gleichzeitig äußerlich pflichtwidrig handelt. Nach diesem Szenario habe also Kant die Möglichkeit übersehen, dass ein moralisch Handelnder zwar irrtümlich jedoch aufrichtig glauben könne, dass er aus Pflicht handle, und doch mangels zureichenden Wissens o. ä. äußerlich nicht pflichtmäßig bzw. sogar pflichtwidrig handelt.⁹¹

 S. Hardwig 1983, 284; Köhl 1990, 73 f.; Brinkmann 2004, 257 Fn. 24; Horn/Mieth/Scarano 2007, 180 f.; vgl. Schönecker/Wood 2002, 62. Köhl, der sich an Hardwig anzuschließen scheint, fügt in den oben zitierten Satz Kants sogar einen eigenen Einschub ein (vom Handelnden), um dessen Richtigkeit von der subjektiven Perspektive des moralisch Handelnden abhängig zu

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Zuerst stellt sich aber die Frage: Hat Kant tatsächlich die Möglichkeit übersehen, dass der moralisch Handelnde, trotz der äußeren Pflichtwidrigkeit seiner Handlung, illusorisch aus Pflicht handeln kann? Oder ist dieses Szenario vielmehr kein relevantes Thema für die Grundlegung? Der Text der Grundlegung besagt: Bei den pflichtwidrigen Handlungen „ist gar nicht einmal die Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen“ (IV 397,13 f.) und dass Kant solcherart Handlungen „übergehe“. Das würde zunächst einmal den möglichen Vorwurf des Übersehens dieser Option entkräften. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass Kant an der fraglichen Stelle davon spricht, dass eine pflichtwidrige Handlung „sogar“ der Moralität „widerstreiten“ würde. Genau genommen handelt es sich also dort nicht darum, dass Kant die Option (iv) übersehen hat, sondern es kommt darauf an, warum er sie übergeht. Damit gilt es also eher zu fragen: Weshalb erachtet Kant die Option (iv) als irrelevant? Aus der Begründungsperspektive heraus gesehen kann nach Kant die Pflichtmäßigkeit einer Handlung, die Legalität, nicht zur Fundierung des apriorischen Moralprinzips ausreichen; in dieser Hinsicht erhält die Moralität den argumentativen Vorrang und liegt der Legalität zugrunde. Doch auf der Ebene der Anwendung, in der es um die äußere, d. i. von allen menschlichen Akteuren prinzipiell beobacht- und beurteilbare praktische Realität geht, erhält für Kant vielmehr die Pflichtmäßigkeit der Handlungen Priorität. Allerdings eine Pflichtmäßigkeit, die jederzeit die legitimatorische Rückendeckung der (Kantischen) Moralität auf ihrer Seite hat. Denn aufgrund der ethischen Motivagnosie ist die Pflichtmäßigkeit moralrelevanter Handlungen das einzig Faktische, was den Menschen epistemisch mit Sicherheit zugänglich ist. Solche wechselseitigen Umkehrungen der Priorität zwischen der Ebene der Begründung bzw. Apriorität einerseits und der Ebene der Anwendung bzw. Erfahrung andererseits, sind den Kant-Interpreten nicht unvertraut. Ein analoges Verhältnis besteht etwa in Kants Theorie des Ich, in der die Erkenntnis äußerer Gegenstände gegenüber der empirischen Selbsterkenntnis den Vorrang erhält, während die transzendentale Apperzeption als das Fundament aller Erkenntnis natürlich weiterhin gilt. Während in der Moralbegründung die Moralität der legitimatorische Garant der Pflichtmäßigkeit ist, verhält es sich also in der Umsetzung moralischer Forde-

machen: Kants Satz bzw. „These ist nur dann richtig, wenn wir sie so lesen, dass ‚alle Handlungen, die schon vom Handelnden als pflichtwidrig erkannt werden‘, von vornherein als Kandidaten für moralisch gute Handlungen ausscheiden“ (Köhl 1990, 74; Hv. R. M.). Vgl. Horn/ Mieth/Scarano 2007, 180: „man fragt sich, warum dies so sein sollte. Warum ist es ausgeschlossen, daß jemand aus Pflicht pflichtwidrig handelt, weil er sich über das moralisch Gebotene täuscht?“; „noch gravierender ist der Fall, dass jemand ein moralisch integres Motiv zu einer pflichtwidrigen Handlung besitzt.“

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rungen gerade umgekehrt. Ist in der Befolgung des Moralgesetzes die Moralität die höchste, unüberbietbare Stufe, das Maximum des Erreichbaren, so stellt die Legalität das Minimum des Umzusetzenden dar. Damit leuchtet auch ein, warum Kant an der fraglichen Stelle der Grundlegung schreibt, dass die pflichtwidrigen Handlungen einer Handlung aus Pflicht „sogar widerstreiten“ (GMS IV 397, 14); die Bedingung der Annäherung an die Moralität besteht eben darin, dass diese zunächst nicht pflichtwidrig ist. Für Kant gilt daher die Legalität unserer Handlungen als die erste Bedingung in der Befolgung moralischer Forderungen; oder anders gewendet: Die Moralität kann für Kant auf der Anwendungsebene nur als eine Weiterentwicklung, gleichsam Fortsetzung der Legalität in Frage kommen. Gerade in diesem Sinn sagt Kant in dem zur Zeit der Entstehung der Grundlegung gehaltenen Ethik-Kolleg Mrongovius II in aller Klarheit: „die Handlungen müssen erst pflichtmäßig sein und dann aus Pflicht geschehen“ (XXIX 632, 14 f., Hv. R. M.). Ähnlich schreibt Kant schaubildlich in der Tugendlehre: „Handle pflichtmäßig aus Pflicht.“ (VI 391, 3 f.)⁹² Obwohl also Kant die Moral auf einer Gesinnungsebene begründet, gewährt er damit einen systematischen Ausgleich zwischen den Gesinnungen und den äußeren Wirkungen moralischer Handlungen. Eine Diskrepanz zwischen dem (illusorischen) Glauben des Handelnden an den moralischen Wert seiner Handlung und der objektiv pflichtwidrigen Handlung desselben ist daher für Kant deshalb irrelevant, weil er, im Gegensatz zu einer geläufigen Deutung, welche seine Ethik plakativ als „Gesinnungsethik“ bezeichnet, nicht immer auf die innere Dimension moralischen Verhaltens fixiert ist. Eine vermeintlich gute Gesinnung mit pflichtwidriger Wirkung, so sehr sie auch für andere Forschungsinteressen beachtenswert sein mag, ist in der Kantischen Ethik deswegen nicht behandelnswert,weil sie auf der Ebene der Anwendung nicht einmal das Minimum der moralischen Forderung erfüllt. Bislang wurde nun dargelegt, dass Kant in der Anwendung des Moralgesetzes einerseits den Vorrang der Klasse der vollkommenen Pflichten gegenüber der Klasse der unvollkommenen Pflichten, andererseits die Priorität der Legalität gegenüber der Moralität vertritt. Damit liegt ein Ergebnis deutlich auf der Hand: Nach Kant gilt die legale bzw. pflichtmäßige Erfüllung der vollkommenen Pflichten als die erste Anwendungsbedingung seines Systems der Pflichten. In der

 Hierbei ist auf zweierlei zu achten: Zuerst ist diese Formel eine allein auf die Anwendung spezifizierte Formel. Für sich genommen besagt sie nichts über den Inhalt der Pflichten oder das Beurteilungsverfahren des Kategorischen Imperativs. Zweitens bezeichnet Kant diese Formel als eine ethische Formel. Dadurch erinnert er daran, dass, wenn das Aus-Pflicht-Handeln selbst zu einer direkten Pflicht gemacht werden sollte, es sich in eine „Cultur der Moralität“, in eine unvollkommene Verbindlichkeit verwandelt.

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Praxis moralischer Pflichten macht also die legale bzw. pflichtmäßige Erfüllung der vollkommenen Pflichten das Minimum der Kantischen Pflichtentheorie aus. Und dies bedeutet wiederum, dass während die pflichtmäßige Erfüllung vollkommener Pflichten gegen sich selbst das Minimum der Kantischen Ethik auf der personalen Ebene darstellt, auf der interpersonalen Ebene die pflichtmäßige Erfüllung vollkommener Pflichten gegen Andere als das Minimum dieses Ethikmodells gilt.⁹³ Dabei drängt sich allerdings die weitere Frage auf, welche dieser beiden Pflichtklassen gegenüber der anderen auf der Anwendungsebene wiederum den Vorrang erhält. In einigen Fällen, exemplarisch bei seiner umstrittenen Zurückweisung des Revolutionsrechts, legt Kant eine strenge Loyalität gegenüber juridischen Gesetzen, und damit die Priorität der legalen Befolgung äußerer Rechtspflichten nahe (s. etwa RL VI 321 ff.). Doch andererseits liegen Hinweise und Textbelege vor, die eindeutig zeigen, dass Kant im Grunde die inneren vollkommenen Pflichten, die sog. inneren Rechtspflichten vor allem, als „die höchsten Pflichten unter allen“ ansieht. In der Allgemeinen Eintheilung der Rechtspflichten (RL VI 236 ff.) sowie in der Tafel der Eintheilung nach dem objectiven Verhältniß des Gesetzes zur Pflicht (RL VI 240) lässt Kant z. B. keine Zweifel darüber bestehen, dass die inneren Rechtspflichten in der Reihenfolge allen äußeren Rechtspflichten vorausgehen (RL VI 237, 9 – 12; s. weiter Vigilantius XXVII 604, 14 ff., 33 f., 607, 37 ff., vgl. 609, 19 f.; VATL XXIII, 386. 18). Prägnanterweise schlagen sich nun solche vollkommenen Pflichten gegen sich selbst in dem Verbot der Selbstinstrumentalisierung nieder (RL VI 236, 27 f.; vgl. Vigilantius XXVII 604, 25). Daher heißt es auch in den Vorarbeiten zur Tugendlehre: „Die Würde der Menschheit in seiner eignen Person nicht herabzusetzen ist die erste (negative) Pflicht“ (XXIII 398, 28 f.). Man sieht hier nun leicht, dass solche inneren vollkommenen Pflichten oder – wie man sie auch nennen könnte – Verbote der Selbstdestruktion (TL VI, §§ 5 – 8, 421– 428) und der Selbstverachtung (TL VI, §§ 9 – 12, 429 – 437)⁹⁴ wiederum als Anwendungsbedingungen gelten, ohne deren legale Erfüllung selbst die äußeren Rechtspflichten ihren Sinn verlieren würden. Vieles deutet also darauf hin, dass streng genommen das Minimum der Anwendung der Pflichtentheorie Kants in der Erfüllung der sogenannten Rechte besteht, welche der homo noumenon, die Menschheit, gegenüber der eigenen Person geltend macht, oder umgekehrt, in den strikten Schuldigkeitspflichten, welche die Person gegenüber dem eigenen homo

 „[D]er moralische Begriff von Recht (rectum) oder unrecht (minus rectum) [ist] das minimum der Handlung dadurch einem Gesetz (Regel) folge Geleistet werden mag […] so daß auch nicht das Mindeste davon nachgelassen werden mithin das Gesetz in der Anwendung nicht nachsichtlich (indulgent) seyn kann“ (VATL XXIII 394, 23 – 27).  Vgl. Vigilantius XXVII 603, 601, 594; VATL XXIII 405, 17 ff.

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noumenon besitzt. Zu diesem Thema und dessen Verhältnis zu Kants oberstem Prinzip des äußeren Rechts werde ich aber in dem nächsten Teil der Arbeit ausführlich zurückkommen (s. Teil III, Kap. 5) Die Einschränkung der Ausübung der Tugendpflichten auf die Bedingung der Erfüllung bzw. der Nichtverletzung der Rechtspflichten im weiten Sinn, vor allem aber auf die der Erfüllung der äußeren Rechtspflichten, zieht aus der Sicht vieler Kant-Kritiker intuitiv inakzeptable Konsequenzen nach sich; man denke etwa an die Lebensrettung eines Fremden oder gar eines Freundes – nach Kant ein Fall der Beförderung fremder Glückseligkeit –, die nur auf Kosten der Übertretung äußerlicher Rechtspflichten oder etwa der Wahrhaftigkeitspflicht vollzogen werden kann (s. Über ein vermeintliches Recht 1797). Diese Einschränkung ist indes ein Gedanke, den man zumindest im Rahmen der Kantischen Ethik konsequenterweise nachvollziehen kann. Der Freiheitsbegriff gilt bei Kant als „Schlußstein“ der reinen Moralmetaphysik, mithin seiner Pflichtenlehre. Dabei hängt zum einen die Widerspruchslosigkeit der äußeren Freiheiten unmittelbar von der Erfüllung der äußeren vollkommenen Pflichten, den Zwangspflichten der Rechtslehre ab (vgl. RL VI, § D). Zum anderen wird ein möglicher Selbstwiderspruch bzw. die Selbstzerstörung der eigenen Freiheit gerade von der Einhaltung der inneren vollkommenen Pflichten, der inneren Schuldigkeitspflichten abgewandt. Es sind in der Kantischen Pflichtentheorie also die vollkommenen Pflichten, die für die Realmöglichkeit der praktischen, ob inneren oder äußeren, Freiheit unmittelbar Sorge tragen. Und im Grunde ist es der Gedanke der Selbsterhaltung der Freiheit, der Kant dazu führt, die legale Erfüllung der vollkommenen Pflichten als das „minimum der Handlung“ und die Praxis der Tugendpflichten dagegen als die „Erweiterung“ moralischer Zwecke zu charakterisieren, die erst auf der Ersteren aufgebaut werden kann.

Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen Die Neutralität der Rechtsmetaphysik Kants gegenüber allen inneren Beweggründen der Rechtssubjekte hat in der Literatur zumeist dazu geführt, dass eine systematische Rolle der Maximen für das Vernunftrecht prinzipiell in Abrede gestellt wird. Das Ziel des vorliegenden dritten Teils ist es, dieser Einschätzung entgegenzutreten. Dabei möchte ich hier zweierlei zeigen: dass das Kantische allgemeine Rechtsprinzip als das oberste Prinzip der Beurteilung rechtsmoralisch relevanter Handlungen mit den Maximen in einer unvermeidlichen Verbindung steht; und dass dieses Prinzip darüber hinaus zugleich als ein Minimalprinzip in Kants Ethik gilt, dem alle Maximen genügen müssen, um pflichtmäßig zu sein. Die Darstellungen und die Argumente dieses Teils gehen von zwei Punkten aus. Erstens setzen sie die kategorische Geltung des allgemeinen Rechtsprinzips voraus (s. Teil II, Kap. 3 und 4).¹ Zweitens werde ich hier wiederum gemäß der leitenden Unterscheidung zwischen dem dijudikativen und dem exekutiven Moment moralischer Prinzipien bei Kant vorgehen (s. Teil I), wobei ich mich dann im Kapitel 4 hauptsächlich mit dem dijudikativen Aspekt des allgemeinen Rechtsprinzips befasse (ausführlich zum exekutiven Moment des Rechts bei Kant s. Teil II, Kap. 3). Da ich aber in Teil I die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs als den Gegenstand meiner Untersuchungen hervorgehoben habe (s. dort, Kap. 5), so wird jener Aspekt des allgemeinen Rechtsprinzips anhand der Hauptmomente dieser Formel untersucht. In dijudikativer Hinsicht zeichnet sich die allgemeine Formel durch die Art ihres Prüfverfahrens (den Verallgemeinerungstest) aus. In dem hier vorliegenden Teil meiner Arbeit möchte ich mich jedoch nicht auf dieses Verfahren selbst, sondern vielmehr auf dessen Korrelat, nämlich auf die zu verallgemeinernden Maximen konzentrieren. Auch wenn eine kantgetreue Rekonstruktion der unterschiedlichen Aspekte des Maximenbegriffs im Gleichschritt mit der des Verallgemeinerungsverfahrens des Kategorischen Imperativs gehen muss, so wird doch meine Untersuchung angesichts des oben angeführten Ziels eine direkte Auseinandersetzung mit den Problemen dieses Verfahrens meiden. Vielmehr wird sie sich auf die zentrale Frage beschränken, ob den Maximen, als ein konstitutives Element der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs, ein ebensolcher Stellenwert für das allgemeine Prinzip des Rechts beigemessen werden kann, und wenn ja, wie das zu verstehen ist.

 Zu einigen Beiträgen bzgl. der Kategorizität des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. Rechtsgesetzes s. etwa Höffe, 1990, 2001; Oberer 1997; Guyer 2002; Kersting 2004, 41 f., etwas anders 2 1993, 103 ff.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Dieser Teil ist in vier Hauptkapitel und eine eingeschobene Zwischenbilanz gegliedert. In den beiden ersten Hauptkapiteln befasse ich mich zunächst mit der Bestimmung des Maximenbegriffs, weil dieser selbst als ein überaus kontroverses Thema in der Kant-Literatur gilt. Die zwei folgenden Hauptkapitel (3 und 4) gehen sodann aufbauend auf die in den ersten beiden Kapiteln entwickelte Begriffsbestimmung der oben aufgeworfenen Frage nach.

1 Allgemeine Merkmale von Maximen – die Vorbedingungen einer Vergegenständlichung In der Literatur über die Moralphilosophie Kants wurde selten ein Thema so ausführlich diskutiert, wie die Korrelation von Universalisierung und Maximen. Seit den frühesten Rezensionen (etwa Rehberg 1788; Pistorius [1794]; Hegel [1821], § 135; Mill [1861], 207) sind Themen wie das Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs, dessen Kriterium der Widerspruchsfreiheit der verallgemeinerten Maximen sowie die Ableitung der Pflichten aus dem alleinigen Prinzip der Moral der Treffpunkt facettenreicher, teilweise stark kontroverser Beiträge gewesen. Eine taxonomische Überblicksstudie dieser Rezensionsgeschichte gilt bis heute als ein Desiderat der Kantforschung.² Die Kantforschung beschäftigt sich aber seit nicht allzu langer Zeit (s. etwa Bittner 1974; O’Neill (Nell) 1975) noch intensiver spezifisch mit dem Thema der Maximen. Dabei fällt auf, dass die zahlreichen Beiträge zum Maximenbegriff Kants eher durch eine negative Bestimmung erfolgreich gewesen sind, als in einer positiven und definitorisch zureichenden Bestimmung. Dies ist nicht ohne Grund geschehen. Kants Verwendung des Begriffs der Maxime in seinen verschiedenen Schriften lässt eine Fülle von exegetischen und systematischen Fragen offen. Es liegen zwar einige Definitionen von ihm vor (etwa GMS IV 400 Anm.; IV 420 Anm.; KpV V § 1, 19; MS VI 225; s. auch Vigilantius XXVII 495, 29 ff.),³ doch eine einheitliche Form- und Strukturangabe der Maximen, wie man sie etwa bei den Formeln des Kategorischen Imperativs findet, sucht man bei Kant vergebens. Auch bei den meisten, hauptsächlich zur Veranschaulichung des Prüfverfahrens des Kategorischen Imperativs angeführten Maximenbeispielen

 Im deutschsprachigen Raum kann man jedoch exemplarisch auf die materialreiche Arbeit von Schnoor (1989) und die ausführliche Studie von Wimmer (1980) hinweisen. Zu einem Überblick über einige in der Literatur einflussreiche Interpretationen des Maximenbegriffs bei Kant s. Gressis 2010. Bezüglich der Typologie der Konzeptionen des Verallgemeinerungsverfahrens bei Kant sei auf Timmons 2006, 194 ff. und Horn/Mieth/Scarano 2007, 231 ff. hingewiesen.  Zu einer materialreichen Arbeit sowohl zum theoretischen wie zum praktischen Gebrauch des Maximenbegriffs, s. Thurnherr 1994.

1 Allgemeine Merkmale von Maximen

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(etwa GMS IV 421 f.; KpV V 27, 23), scheint es Kant nicht so sehr um eine präzise Form- und Strukturbestimmung der Maximen als solche zu gehen, als vielmehr um die Konstruktion einer möglichst kontrastvollen Konfrontation zwischen moralisch guten Handlungen mit den ihnen entgegen arbeitenden Naturantrieben. Die zahlreichen, teilweise stark gegensätzlichen Beiträge der Sekundärliteratur, die sich in den letzten Jahren allein mit dem Thema Maxime befassen, stellen ein klares Indiz für die problematische Sparsamkeit der Ausführungen Kants zu diesem Thema und womöglich für die problematische Natur der Sache selbst dar. Im Folgenden möchte ich nun diesen Schwierigkeiten zum Trotz eine Reihe derjenigen Charakteristika von Maximen erörtern, die sich im Rahmen der Kantischen Ethik konsistenterweise nicht bestreiten lassen. Die Erörterungen dienen zum Teil einer allgemeinen Vorstellung der Maximen nach Kant, zum Teil aber als Vorbereitung für die Argumentation, welche ich zum systematischen Zusammenhang des allgemeinen Rechtsprinzips mit den Maximen entwickeln werde. Doch vorab sei auf einen entscheidenden Punkt hingewiesen, der in einer Untersuchung des Maximenbegriffs in Kants Ethik nicht aus dem Blick verloren werden darf. In der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs fungieren die Maximen als eigentümlicher Gegenstand eines moralischen Beurteilungsverfahrens. Die Funktionalität dieses moralischen Prüfverfahrens hängt dabei nämlich zum Teil davon ab, wie man die Maximen konzipiert. Mit anderen Worten: Zwischen der Gültigkeit des Verfahrens und dem Verständnis seines Gegenstands besteht ein Verhältnis der Wechselbestimmung. Ein analoges Beispiel aus der theoretischen Philosophie Kants mag dies deutlicher machen. Wenn Kant von den begrifflichen Einheitsregelungen des Verstandes spricht, so hängt die Gültigkeit dieses Verfahrens davon ab, dass die Sinnesgegenstände vor jeder begrifflichen Einheitsregelung zunächst als Gegenstände der Sinnlichkeit unter Anschauungsformen rubriziert werden. Nicht die Vorstellung eines jeden Gegenstands kann also durch Verstandesbegriffe berechtigterweise Einheit erhalten. Vielmehr muss diese Vorstellung zuerst gewisse Vorbedingungen erfüllen, um überhaupt als ein Objekt des Verstandes, der Schematisierung usw. in Frage zu kommen. Nennen wir diese die Vorbedingungen einer Vergegenständlichung, so liegt es auch nahe, eine solche primäre Qualifizierung bei den Maximen als Gegenstand des moralischen Prüfverfahrens zu unternehmen. Diesem entscheidenden Punkt zum Trotz werden aber in der Literatur ohne einen klaren definitorischen Hintergrund immer wieder Sätze als Maxime ausgegeben, die, wie wir sehen werden, nicht der unmittelbare Gegenstand eines sinnvollen moralischen Prüfverfahrens im Sinne Kants sein können: „ich stehe morgens früh auf“; „ich gehe immer sonntags ganz früh Tennis spielen, weil dann

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

der Platz kaum benutzt wird“; „ich kaufe antiquarische Uhren, aber verkaufe niemals welche“; ich stelle „mich bei Gewitter lieber unter eine Buche statt unter eine Eiche“; „nach jedem gelesenen Kapitel eine Zigarette zu rauchen, um mich neu zu konzentrieren“; „Iß im März am Montag immer Muscheln“ usw. (Bubner 1982, 189, vgl. 194; Schönecker/Wood 2002, 139; Brinkmann 2003, 99, 100; MacIntyre 1987, 69). Es bedarf nämlich kaum der Erwähnung, dass die Universalisierung solcher Sätze zu absurden moralischen oder moralirrelevanten Konsequenzen führt. Derartige Bestimmungen von Maximen stellen uns der Frage gegenüber, ob das Prüfverfahren eines moralischen Prinzips a priori auf Verallgemeinerung beliebiger Sätze zu reduzieren ist. Verneint man nun diese Frage, so muss man zugleich behaupten, dass es doch gewisse Einschränkungen seitens des Gegenstandes eines moralischen Universalisierungsverfahrens geben muss; dass eben gewisse Vorbedingungen der Vergegenständlichung von Maximen für das moralische Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs auszumachen sind. Zwar handelt es sich bei dem Maximenbegriff in Kants Ethik nicht um ein gänzlich neues Produkt,⁴ doch in einer wesentlichen Hinsicht weicht die Kantische Konzeption der Maximen von allen vorherigen ab: Maximen sind bei Kant eben primäre Prüfungskandidaten einer universalistischen, moralischen Dijudikation. Die im Folgenden behandelten Merkmale von Maximen sind also genauer gesagt als Vorbedingungen anzusehen, welche die Vergegenständlichung der Maximen für eine moralische Beurteilung gemäß der Kantischen Moralauffassung erst möglich machen. Maximen als subjektive Grundsätze. Maximen sind subjektive praktische Sätze. Die Subjektivität der Maximen versteht Kant im Gegensatz zur Objektivität des moralischen Gesetzes. Genauer gesagt: Unter dem genus proximum der praktischen Prinzipien bzw. Grundsätze differenziert Kant die Maximen durch ihre subjektive Gültigkeit von dem objektiv gültigen praktischen Prinzip, dem Gesetz (s. etwa KpV V 19). Durch die Universalisierung der Maximen soll daher geprüft werden, ob die zunächst subjektive Gültigkeit eines Prinzips bzw. Grundsatzes (sc. Maxime) für genau dieses oder jenes Subjekt auch fähig ist, objektiv, als Gesetz für alle vernünftigen Wesen zu gelten. Während es also nur ein objektives Prinzip der Moralität gibt, stehen die Maximen „den Bedingungen des Subjekts gemäß“ (GMS IV 421) im Plural. Das Subjektive der Maximen bringt Kant auch dadurch zum Ausdruck, dass er sie als „Willensmeinungen des Individuums“ bezeichnet (KpV V 66, 21; Hv. R. M.).

 Zu einem historischen Blick auf den Maximenbegriff s. Bubner 1982, 196 – 200; Thurnherr 1994, 26 – 30.

1 Allgemeine Merkmale von Maximen

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Maximen sind aber abgesehen von ihrer subjektiven Gültigkeit zugleich eben auch Grundsätze, und damit Sätze, welche zumindest einen gewissen Grad an Generalität aufweisen. Nicht nur Kants Definition der Maximen weist auf dieses Merkmal hin (etwa Logik IX 110; GMS IV 401, 420, 421; KpV V, §1 19; MS VI 225).⁵ Auch die historische Verwendung des Begriffs, sowohl in einem technisch-logischen Sinn (sententia maxima oder propositiones maximae),⁶ als auch im Kontext der nachmittelalterlichen Tradition (s. Bittner 1974, 497 Fn. 10; Bubner 1982 197 f.), belegt den Generalitätscharakter von Maximen. Dieses Merkmal verdeutlicht Kant bekanntlich auch dadurch, dass er die Maximen als Sätze definiert, worunter „mehrere praktische Regeln“ fallen können (KpV V 19, 8).⁷ Darüber hinaus scheint Kant an einigen Stellen diese Generalität selbst wiederum als graduell zu betrachten, indem er eine Abstufung unter den Maximen selbst nahe legt (Religion VI 31, 23; 39 Anm.; TL VI 411, 14; vgl. etwa Korsgaard 1996a, 58). Man kann sich also nach Kant eine Hierarchie der praktischen Regeln vorstellen, welche sowohl abwärts, d. h. insofern, als bestimmte spezifischere Verhaltensregeln als Fälle einer Maxime selbst gelten, die im Dienste der Zwecksetzung der fraglichen Maxime stehen, als auch aufwärts erfolgen kann, d. h. so, dass man seine Maximen wiederum bis zur ultimativen Triebfeder seiner Handlung, als „maximum in Bestimmung der Handlungsgründe“ steigert (Vigilantius XXVII 495, 33 f.; s. hierzu nächstes Kap.). Dass die Maximen Grundsätze sind, welche „mehrere practische Regeln“ unter sich enthalten können, weist zugleich auf ihren bereits hohen Generalitätsgrad hin. Maximen sind nämlich in Kants Ethik Grundsätze, die letztlich als Gesetze vorgestellt werden können. Zur Prüfung ihrer Gesetzestauglichkeit gibt Kant zwar bekanntlich die beiden Kriterien der Denk- und Wollensmöglichkeit an,⁸ doch noch bevor sie sich auf diese Weise als widersprüchlich bzw. widerspruchsfrei erweisen, sollte es überhaupt Sinn machen, sie als ein Gesetz vorzustellen. Ein Satz nämlich wie: „ich gehe immer sonntags ganz früh Tennis spielen, weil dann der Platz kaum benutzt wird“ (Schönecker/Wood 2002, 139), ist

 „Generale Regeln. Maximen. Nicht zu viel, nichts zu wenig“ (Refl. 1486 XI 711, 20); vgl. Refl. 5237 XVIII 127 f..  „Maximen, principia practice subjectiva weil sie propositio major in practischen Syllogismen sein würden“ (Meta Dohna XXVIII 678; vgl. McCarty 2006). Beck hat daher versucht die Maximen in Form der ersten, allerdings praktischen Form des Syllogismus zu verstehen (31995, 84); s. kritisch dazu Bubner 1998, 555 f.  Bereits in der Abschrift Powalski heißt es: „Maximen sind subjective Grundsäzze der Regeln unserer Handlungen“ (XXVII 206).  Zu verschiedenen Deutungsrichtungen des moralischen Verfahrens nach diesen zwei Kriterien s. O’Neill (Nell) 1975, 59 – 93; dieselbe, 1989, 96 – 101; Wimmer 1980; Korsgaard 1996a, 78 ff.; Timmons 2006, 194 ff.; Horn/Mieth/Scarano 2007, 231– 239.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

nicht erst in dem Sinn gesetzesuntauglich, dass dessen Universalisierung zu einem Widerspruch, ob Denk- oder Wollenswiderspruch, führen würde, sondern schon deshalb, weil es einfach abwegig ist, davon auszugehen, dass alle Tennis spielen sollten. Der Übergang vom Subjektiven der Maximen zum Objektiven des praktischen Gesetzes, der durch die Universalisierung erfolgen soll, kann also dadurch vermittelt werden, dass die Maximen selbst eine praktisch sinnvolle, hohe Generalität aufweisen, auch wenn sie sich dann als Gesetz als widersprüchlich erweisen würden. Angesichts dieses erforderlichen hohen Generalitätsgrads der Maximen hat sich in der Literatur eine Interpretation entwickelt, welche ihre Allgemeinheit auf die Stufe einer Lebensregel erhebt (die sog. Lebensregel-Interpretationen: Bittner 1974; ausführlich Höffe 1979, 2004; s. auch Albrecht 1994).⁹ Gegen diese Interpretation wird von anderen Interpreten kritisch angemerkt, dass sie nur vorgenommen werde, um die Probleme aus dem Weg zu räumen, die sich aus der Verallgemeinerung partikulärer Vorsätze (etwa „jeden Montag mit Freunden essen“) ergeben. Vor diesem Hintergrund werfen diese Kritiker der Lebensregel-Interpretation vor, dass sie dieses Ziel dadurch nicht erreichen kann, und gerade deshalb als verfehlt anzusehen ist (s. Köhl 1990, 52 ff.; Brinkmann 2003, 111 f.). Doch auch wenn das angesprochene Problem der verallgemeinerten partikulären Vorsätze nicht allein durch die Gleichsetzung der Maximen mit Lebensregeln zu beseitigen ist, so darf man die Motivation der Lebensregel-Interpretation nicht gering schätzen. Egal ob man diese Interpretation vertritt oder nicht, so macht sie doch auf eines aufmerksam, was von ihren Kritikern nicht genügend beachtet worden ist: Bei der Auflösung zahlreicher Probleme, die sich in der moralischen Beurteilung nach dem Kategorischen Imperativ auftun, ist die argumentative Last nicht gänzlich auf das Verallgemeinerungsverfahren selbst zu verlagern; einen beträchtlichen Anteil davon kann vielmehr unser Verständnis der Maxime tragen. Bevor ich auf weitere Merkmale von Maximen eingehe, möchte ich hier ein strittiges Thema in der Literatur andeuten, welches mit der Formulierung von Maximen in Kants Beispielen einhergeht.¹⁰ Kants konkrete Beispiele für Maximen

 Vgl. auch O’Neills Verständnis: Maximen seien „the underlying principle by which the agent orchestrates numerous specific intentions“ (1989, 151).  Auch in Bezug auf die Triftigkeit der Beispiele nach den zwei von Kant angegebenen Kriterien der Denk- und Wollensmöglichkeit des Kategorischen Imperativs (GMS IV 424) fallen die Interpretationen unterschiedlich aus. Im deutschsprachigen Raum sei exemplarisch auf zwei extreme Kontroversen hingewiesen: Während Kersting alle Beispiele in ihrer Aufgabe, die Widersprüche nach den zwei erwähnten Kriterien zu zeigen, als verfehlt und untriftig veranschlagt (1983b, 413, 415), möchte Schöndorf den Nachweis bringen, dass alle Beispiele Kants nach den zwei erwähnten Kriterien „stimmig und schlüssig“ sind (1985, 573).

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sind nicht selten mit der Angabe der Handlungssituation versehen. Dabei grenzen die Situationsangaben in einigen Beispielen fast an Ausnahmezustände (so etwa das Beispiel des Depositums in KpV V 27). Doch dies betrifft nicht den generellen Charakter der Maxime selbst; denn die Aufgabe der Maxime liegt nicht darin, die Handlung nur in ganz bestimmten Situationen oder gar Ausnahmesituationen zu leiten. Maximen stellen eben keine kasuistisch-technischen Regeln oder etwa Krisenstrategien dar. Dennoch ist es keineswegs leicht, die genaue Aufgabe der Situationsangaben für die Grundstruktur der Maximen zu bestimmen. Unter den Interpreten wird die Signifikanz der Situationsangaben kaum bestritten. Die herausfordernde Frage ist vielmehr, ob sie zu einem integralen Element der Maximen selbst zählen.¹¹ Während die Vertreter einer Lebensregel-Interpretation dazu neigen, die Maximen losgelöst von den Situationsangaben, also möglichst abstrakt zu konzipieren,¹² behandeln manche Interpreten die konkreten Situationsangaben – allerdings meist ohne Angabe weiterer Argumente – als eine entscheidende Komponente der Maximen selbst (s. etwa Lukow 2003, 418). Man sieht leicht, dass sich hierdurch ein Spektrum von Ansätzen auftut, in dem die Maximen auf verschiedenen Stufen, von einer stark situationsgebundenen, partikulären Handlungsregel bis zu einer hoch abstrakten, allgemeinen Lebensregel, ausgedeutet werden können. Eine Herausforderung für diejenigen Interpretationen, die die Situationsangaben für einen integralen Teil der Maximen halten, besteht jedenfalls darin, zu zeigen, inwieweit diese situativen Angaben in die Maxime selbst einfließen dürfen, ohne dass damit der generelle Charakter der Maximen verloren geht.¹³

 Vgl. etwa Timmons Klassifikation der diversen Interpretationen der Universalisierung von Maximen in Bezug auf sog. „ancillary informations“ (2006, 194 ff.).  Höffe etwa sieht in den Maximen gerade eine Abstraktionsleistung von „der jeweiligen Situation und auch den physischen, intellektuellen und anderen Talenten und Fähigkeiten der Menschen“ (2004, 259). Er plädiert daher für eine Zweistufigkeit in der Anwendung des Kategorischen Imperativs, damit man sowohl der „Reinheit der sittlichen Maxime“ als auch „der empirischen Bedingtheit“ der Maximen gerecht wird (Höffe 2004, 259). „Die Anwendung des kategorischen Imperativs auf konkrete Handlungen [sollte] methodisch zu einer zweistufigen und das ganze Feld der Normenbegründung zu einer zweiteiligen, in sich noch jeweils gestuften Aufgabe“ werden. Und dabei sei es der „(sittliche(n)) Urteilskraft“ überantwortet, die „Maximen mit konkreten Handlungen zu vermitteln“ (2004, 256). Zur Abhängigkeit der Regeln von der Urteilskraft s. etwa A 132– 135/B 171– 174. Zur Urteilskraft und universellen Handlungsprinzipien s. O’Neill 2000, Ch. 3, auch Höffe 2001, 63 – 88.  Als Reaktion auf diese Problematik wird in der Literatur versucht, anstatt von konkreten Situationsangaben von Situationstypen in den Maximen zu sprechen, s. hierzu etwa Allison 1990, 85 – 94.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Maximen als selbst gemachte Regeln. An den meisten Stellen, an denen Kant die Maximen direkt thematisiert, betont er, dass sie selbst gemachte, „selbst auferlegte“, also bewusste Grundregeln sind (etwa GMS 438, 24 f.).¹⁴ Man entwerfe sich eine Maxime (KpV 29, 34 f.); die Maximen seien „selbstgewählte“ Grundsätze, so wie die „feste(n) Entschließungen“, die man für sich selbst trifft (vgl. GMS IV 436, 16 f.; s. Pädagogik IX 480 f.; weiter Powalski XXVII 206 f.; Refl. 1179 XV 521, 20 f.; Refl. 1164 XV 515). Maximen hat man bzw. besitzt man also nicht bloß, man setzt sie sich.¹⁵ Dieses Merkmal der Maximen weist zugleich auch darauf hin, dass sie nicht etwa beliebig ausgedachte Prinzipien sind, sondern vielmehr praktische Grundsätze, nach denen wir wirklich handeln (vgl. Vigilantius XXVII 495, 24– 27).¹⁶ Unabhängig davon, ob die Maximen nachher aufgrund der Prüfung mittels des Kategorischen Imperativs als moralisch möglich oder unmöglich beurteilt werden, stellen sie die wirklichen Grundsätze des handelnden Subjekts dar.¹⁷ Dass Maximen selbst gesetzte Grundregeln sind, nach denen man wirklich handelt, legt nahe, dass man sie noch vor der Universalisierung durch den Kategorischen Imperativ erwerben muss (ob in einem zeitlichen oder einem geltungstheoretischen Sinn; s. unten). So schreibt Kant in der Einleitung in die Metaphysik der Sitten: „Deine Handlungen mußt du also zuerst [d. h. vor der moralischen Qualifikationsprüfung] nach ihrem subjectiven Grundsatze betrachten“ (MS VI 225, 8 f.; Hv. R. M.). Es gibt allerdings m. W. keine besondere Imperativformel von Kant, die dazu auffordert, unsere Handlungen vor jeder moralischen Prüfung zuerst unter Maximen zu bringen. Doch die bislang erwähnten Merkmale der Maximen weisen darauf hin, dass unsere Handlungsregeln erst durch sie einen gewissen Einheitsaspekt gewinnen. Die Maximen haben so gesehen eine verhaltensregulative Vereinheitlichungsfunktion. Derjenige, der nach Maximen handelt, zeichnet sich also zugleich durch eine gewisse Stufe mehr oder weniger konstanter Rationalität aus. Und dies bedeutet wiederum, dass der Adressat des Kategorischen Imperativs kein naiver Akteur, sondern ein solcher ist, der zur Beantwortung der Frage nach der Rationalität eigenen Verhaltens und dessen moralischer Vernünftigkeit fähig und bereit ist.

 Maximen dürfen daher nicht mit Angewohnheiten oder etwa Habitus identifiziert werden: „Angewohnheit (assuetudo), d. i. durch öfters wiederholte Handlung zur Nothwendigkeit gewordene Gleichförmigkeit, derselben“ (TL VI 407, 8 f., s. auch § 52, 479).  Insofern zeigt sich in der Maxime ein Akt der freien Willkür. In der Religion heißt es einleuchtend, dass die Maxime eine Regel ist, „die die Willkür sich selbst für den Gebrauch ihrer Freiheit macht“ (VI 21, 11 f.).  S. herzu ausführlich König 1994, 77– 87, s. auch 76 Fn. 56.  Dieser definitorische Aspekt der Maximen kommt in der Literatur manchmal zu kurz; so z. B. bei dem so genannten „tailoring problem“ in Herman 1991, 60 f.

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Die bisherigen Merkmale können jedoch Kants Maximentheorie mit einem ernst zu nehmenden Problem konfrontieren. Wenn Maximen die genuinen Gegenstände der moralischen Beurteilung sind, und wenn sie gleichzeitig Grundsätze sind, die erst gemacht werden, so drängt sich die Frage auf: Wie steht es mit der moralischen Beurteilung derjenigen Handlungen, die noch nicht unter eine Maxime gebracht sind? Eine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, wurde darin gesehen, dass man die Maximen als Handlungsstrukturen versteht, die nicht immer notwendigerweise von dem Handelnden selbst, sondern auch von den Beobachtern festzustellen sind (s. Esser 2004, V. 5 ff.). Doch dieser Ansatz kann abgesehen davon, dass er dem Grundcharakter des Selbst-gemacht-Seins der Maximen nicht leicht Rechnung tragen kann, auch das angesprochene Problem nicht umgehen. Denn es lässt sich ein Handelnder vorstellen, über dessen Handlungsmaxime sich die Beobachter noch nicht geeinigt haben, und solange diese Einigung nicht zustande kommt, würde die fragliche Handlung wiederum gleichsam in einem moralischen Vakuum, möglicherweise unter unterschiedlichen Beurteilungen der Beobachter stehen. Mit anderen Worten, es könnte hierbei um Handlungen gehen, für die weder von dem Handelnden selbst noch von den Beobachtern eine Maxime gemacht bzw. ausgemacht wurde. Die obigen Merkmale der Maximen scheinen also tatsächlich auf einen blinden Fleck in dem Funktionsbereich des Kategorischen Imperativs zu verweisen (s. „the problem of maximless actions“ in Gressis 2010, 219). Zu dieser Schwierigkeit sind nun einige Punkte anzumerken. Auch wenn Kant die Maximen als den genuinen Beurteilungsgegenstand des Kategorischen Imperativs ankündigt,¹⁸ so beginnt das moralische Bewusstsein selbst doch nicht erst mit dem Akt der Maximensetzung. Das Bewusstsein der Moralfähigkeit des Menschen gründet nach Kant vielmehr auf dem Faktum der Vernunft, welches aufgrund seines übersinnlichen Charakters (KpV V 31) nicht von den zeitlichen Bestimmungen abhängt, die sich aus dem Verhältnis zwischen den Handlungen und deren Maximen ergeben. Ferner bleibt die Gültigkeit des dijudikativen Aspekts des Kategorischen Imperativs auch von dem Zeitverhältnis zwischen einer geschehenen Handlung und der ihr zugrunde liegenden Maxime unabhängig. Aus diesen Punkten ergibt sich aber, dass der Akt der Maximensetzung sowohl ante factum, d. h. noch bevor die Handlung entsteht, wie auch post factum erfolgen kann (vgl. Allison 1990, 90). Entweder hat man also tatsächlich nach Maximen gehandelt oder will im Nachhinein bewusst gemäß einer Maxime gehandelt haben. Das, was nach der Kantischen Theorie der Maximen erforderlich ist, besteht

 Es ist allerdings zu beachten, dass die Selbstzweck-Formel des Kategorischen Imperativs keinen direkten Bezug auf die Maximen nimmt.

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also genauer genommen nicht darin, dass „[e]veryone always acts on maxims“ (Gressis 2010, 235), sondern vielmehr darin, dass die moralrelevanten Handlungen von jedermann immer fähig sein müssen, unter Maximen gebracht zu werden. Die Möglichkeit, dass das aktuelle Bewusstsein einer Maxime auch nach dem Ausführen der Handlung entstehen könnte (post factum), besagt allerdings nicht, dass die Maximen willkürlich ausgewählt werden dürfen. Wie oben erwähnt, sind die Maximen Grundsätze nach denen man wirklich handelt bzw. gehandelt hat. Maximen und hypothetische Imperative. Kants Beispiele für Maximen weisen darauf hin, dass ein Hauptmoment der Maximen die Zwecksetzung ist (etwa um „mein Vermögen durch alle sichere Mittel zu vergrößern“, KpV V 27, 23).¹⁹ So heißt es auch in der Logik, dass eine Maxime „das innere Prinzip der Wahl unter verschiedenen Zwecken“ ist (Logik IX 24, 31 f.). Zudem ist das auch dadurch einzusehen, dass ein freier und bewusster Akt der Regelsetzung für das eigene Verhalten nur dann an Sinn gewinnt, wenn er ein zweckgerichteter Akt ist (s. etwa TL VI 384 f.; Religion VI 21; vgl. die Maximensetzung als ein bewusster Akt der freien Willkür, MS VI 213 und 226, 4).²⁰ Man kann daher sagen, dass sich die verhaltensregulative Vereinheitlichungsfunktion der Maximen überhaupt dem Moment des Zwecks verdankt, den sie in sich schließen.²¹ Maximen sind damit Wollenssätze,²² und eine Maxime anzunehmen heißt so viel, wie sich einen höherstufigen Zweck zu setzen, worunter weitere, jeweils zweckdienliche praktische Regeln fallen. Dies bringt Kant in seinem Ethik-Kolleg Mrongovius II in aller Prägnanz zum Ausdruck: „der nach Maxime handelt, befolgt einen Plan“ (XXIX 612, 37 f.).²³ Dieses Merkmal der Maximen legt nun eine enge Verbindung zwischen ihnen und den hypothetischen Imperativen nahe, welche sich nach Kants Theorie der Imperative mit unserem zweckgerichteten rationalen Verhalten vollständig decken (s. Teil I, Kap. 4). Kant hat zwar in der zweiten Kritik nachdrücklich die Maximen von den praktischen Imperativen abgehoben (KpV V 20, 20). Doch diese Trennung betrifft einzig die Geltungsart dieser Sätze; die praktischen Imperative besitzen nämlich im Gegensatz zu Maximen eine objektiv nötigende Geltung. Weil einerseits die drei Klassen der Imperative nach Kant die gesamte Sphäre unseres

 Auch die Behandlung aller vier Beispiele der Grundlegung anhand der Selbstzweck-Formel gibt einen klaren Hinweis auf die Zweck-Mittel Relationen, die durch Maximen befolgt werden (IV 429 f.)  In einer Reflexion aus den 70er Jahren schreibt Kant: „Maximen sind allgemeine formeln der intention“ (Refl. 7821 XIX 526).  „Zweck ist Princip der Vereinigung des Manigfaltigen (Mittel) zu Einem“ (OP XXII 285).  S. z. B. Köhl 1990; Thurnherr 1994; König 1994; Timmermann 2003; Brinkmann 2003.  Die verhaltensregulative Funktion der Maximen lässt sich übrigens durch ihren theoretischen Gebrauch bei Kant bestätigen (s. etwa „logische Maxime“ in KrV A 649/B 677).

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normativen Tun und Lassens abdecken, andererseits sich nach Kant in den Maximen die „Mitwirkung der Vernunft“ niederschlägt (GMS IV 427, 9), so müssen die Maximen als praktisch-normative Sätze also vielmehr auch in Form der hypothetischen Imperative reformuliert werden können.²⁴ Maximen als selbst auferlegte und zweckrationale Sätze erweisen sich so auch als praktische Vorschriften, und gerade deshalb lassen sie sich als Fälle von hypothetischen Imperativen wiedergeben.²⁵ Das Verhältnis der Maximen zu den hypothetischen Imperativen wird jedoch von manchen Interpreten fehlinterpretiert. So argumentiert etwa Bubner – obwohl er auf die Affinität der Maximen zu den hypothetischen Imperativen hindeutet (1982, 185, 189) –, dass, wenn wir die Maximen in Form von Wenn-dann Sätze formulieren, in dem Vordersatz einer Maxime immer eine Tatsachenaussage (so wie „immer wenn der Morgen noch jung ist“) zu finden ist, die im Gegensatz zu hypothetischen Imperativen auf keine Zwecksetzung verweist (1982, 189 f.). Auch Köhl will die Maximen von hypothetischen Imperativen dadurch trennen, dass er die konditionale Wenn-dann Struktur in hypothetischen Imperativen von derjenigen in Maximen differenziert. Dabei kommt er ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es bei den Maximen im Wenn-Satz um „eine Situationsangabe“ gehe, „die nicht auf einen Zweck oder Ziel hinweist“ (1990, 51), wohingegen es sich in hypothetischen Imperativen um einen Zweck im „hypothetischen Satzteil“ handle. Nun hat Kant in seinen Maximenbeispielen die Zweckangaben von den Situationsangaben nicht immer explizit unterschieden. Und das gerade aus dem Grund, da es zumeist eben diese Situationsangaben sind, die uns die Absichten und Zwecke des Handelnden schildern, wie etwa: sich aus den „bis zur Hoffnungslosigkeit“ angewachsenen Übeln des eigenen Lebens oder aus dem „Gedränge“, sc. Geldnot, zu befreien (IV 421 f.). Die Situationsangaben bei Kants Maximenformulierungen tragen nämlich in sich schon immer ein normatives Moment. Sollten wir also die Maximen in Form der Wenn-dann Sätze umformulieren, dann sind es nicht etwa durch und durch neutrale Situationsangaben, die in dem Vordersatz Platz nehmen, sondern eben der Zweck selbst, wie er in den Beispielen Kants entweder klar ausgesprochen ist, etwa bei dem Beispiel des Depositums in der zweiten Kritik,

 Vgl. Beck 31995, 75 ff.; so scheint auch Polloks „Basisformel praktischer Vorschriften“ – „Gestatte der Vernunft entscheidenden Einfluß auf deine Handlung!“ (2007, 64, 65 Fn. 23) –, die ihm zufolge erst aus dem Zweck-Mittel-Prinzip einen hypothetischen Imperativ macht, in dem Prozess der Maximenbildung präsent zu sein.  Der Verstoß gegen seine eigene Maxime weist allerdings im Gegensatz zu den hypothetischen Imperativen nicht auf die Irrationalität hin; denn in einem solchen Fall, wie Bubner zu Recht schreibt: hat man „die fragliche Maxime ganz einfach aufgegeben“, ohne sie notwendig durch eine andere Maxime zu ersetzen (1982, 191).

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oder er ist gerade den Situationsangaben zu entnehmen (vgl. Schwartz 2006, Kap. 6.3 – 4). Maximen und die freie Willkür. Die Vermittlungsrolle zwischen den partikulären Handlungen und dem moralischen Gesetz, welche die Maximen durch ihren Generalitätscharakter beim moralischen Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs einnehmen, lässt sich auch durch ihre systematische Verbindung mit der freien Willkür darstellen. Sowohl in der Religion als auch in der Metaphysik der Sitten macht Kant deutlich, dass die zuständige Instanz für die Maximensetzung die freie Willkür ist, wobei er diese von dem reinen Willen als der Instanz der praktischen Gesetzgebung absetzt (Religion VI 21, 11 f.; MS VI 226, 4 ff.). In der Einleitung der Metaphysik der Sitten heißt es: „Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkühr die Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkühr; der Wille, der auf nichts Anderes, als blos auf Gesetz geht, kann weder frei noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings nothwendig und selbst keiner Nöthigung fähig ist. Nur die Willkühr also kann frei genannt werden“ (MS VI 226, 4– 11).

Dieser Passage können wir entnehmen, dass Kant das Attribut „frei“ der menschlichen Willkür in Kontrast zur sinnlichen Affizierbarkeit zuschreibt: Die Freiheit der Willkür zeigt sich gerade im Konflikt mit der Affizierbarkeit durch Naturantriebe. Dies entspricht auch der Kantischen Unterscheidung zwischen der freien Willkür als derjenigen, welche die Fähigkeit hat, auch von der reinen Vernunft bestimmt zu werden, und der „thierische(n) Willkür (arbitrium brutum)“, welche „nur durch Neigung (sinnlichen Antrieb, stimulus) bestimmbar ist“ (MS VI 213; VATL XXIII 378 f.; Hv. R. M.). Die freie Willkür ist damit ein Vermögen, welches sich stets in einer Kontingenz zwischen den Freiheitsregeln und den Naturantrieben befindet. Sie ist „für sich (ohne erworbene Fertigkeit der Vernunft) nicht rein, kann aber doch zu Handlungen aus reinem Willen bestimmt werden“ (MS VI 213; Hv. R. M.). Im Unterschied zur freien Willkür ist aber der (reine) Wille mit der (reinen) praktischen Vernunft selbst identisch, und insofern gar nicht nötigungsfähig (s. ebd.). Mit anderen Worten, da der reine Wille per definitionem nicht durch Neigungen affiziert werden kann, so macht es auch keinen Sinn, ihn als unter der Nötigung praktischer Imperative zu sehen.²⁶ Damit liegt es nun nahe,

 Man muss auch beachten, dass nach Kant der reine Wille bzw. der Wille im engeren Sinn keine Triebfeder hat. Spricht man nämlich von einer Triebfeder, so spricht man von der Tätigkeit der freien Willkür: „Der Bestimungsgrund der Willkühr heißt Triebfeder. (Der [reine] Wille hat keine Triebfeder weil er auf kein Object sondern auf die Art zu handeln geht und durch die

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dass man den Adressaten des reinen Willens, nämlich die Instanz, die die Gesetze des Willens ausführen soll, als etwas versteht, was einerseits die Möglichkeit hat, diese Gesetze wahrzunehmen, andererseits aber auch mit ihnen nicht eo ipso übereinstimmt. Dies entspricht aber gerade dem, was Kant unter der freien Willkür versteht. Die Imperative der Freiheit (ob nun hypothetisch oder kategorisch) sind damit grundsätzlich auf die freie Willkür bezogen (vgl. MS VI 214, 8 – 12). Während also der reine Wille durch und durch noumenalen Charakters ist, erweist sich die freie Willkür gleichsam als ein Fluchtpunkt, in dem der noumenale und der phänomenale Aspekt des Menschen zusammentreffen (vgl. MS VI 226). Man könnte daher auch sagen, dass die freie Willkür gerade die Instanz ist, die durch ihre Zwischenstellung den reinen Willen als den noumenalen Bestandteil des Begehrungsvermögens mit der phänomenalen, mannigfaltigen Welt der sinnlichen Naturantriebe vermittelt. Das Verhältnis des reinen Willens als einer Instanz der moralischen Gesetzgebung zu der freien Willkür als der diese Gesetze ausführenden Instanz lässt sich auch durch eine analoge Beschreibung unseres praktischen Vermögens zur Gewaltenteilung darstellen: Demnach gibt es einerseits eine legislative, andererseits eine exekutive Instanz (vgl. Beck 31995, 171 f., 188, 191 ff.).²⁷ Während der reine Wille als noumenale Seite die autonome Gesetzgebung repräsentiert, steht die freie Willkür als die rezeptive Seite des Willens für das praktische Gesamtvermögen,²⁸ die aufgrund ihrer doppelten Dimension

Vorstellung sich eine Regel derselben zu machen ist).“ (VATL XXIII 378; Hv. u. Eckklammer R. M.).  Es hat sich in der Kant Literatur zu einer verbreiteten Meinung entwickelt, dass die Unterscheidung zwischen dem (reinen) Willen und der freien Willkür erst den späten Werken, wie der Religion (1792, 21794) und der Metaphysik der Sitten zuzuschreiben sei oder dass Kant sie in seinen früheren kritischen Werken promiscue verwendet habe. Diese Deutungen lassen sich nicht bestätigen. Die Unterscheidung ist nicht nur in den 1780er Jahren (exemplarisch etwa KpV V 33; vgl. Hudson 1991), sondern der Sache nach auch in den vorkritischen Werken Kants zu belegen. In seinem moralphilosophischen Kolleg aus dem Wintersemester von 1784 spricht Kant etwa von der „Receptivitaet unsres Willens [wohlgemerkt, nicht des reinen Willens; R. M.], durch moralische Gesetze als Triebfedern bewogen zu werden“ (Moral Mrongovius II, XXIX 625 XXIX 34 f.), oder an anderer Stelle etwa vom allgemeinen Willen und „Privatwille(n)“: „mein Privatwille stimmt mit meinem Willen als allgemeine Regel genommen oft nicht überein“ (XXIX 627, 18 ff.). Eine ausführliche Reflexion aus dem Ende der 1770er Jahre gibt uns darüber Aufschluss, dass Kant in dieser Zeit die Unterscheidung, fast entsprechend zu seiner Konzeption in den späteren Werken, vorwegnahm (Refl. 1028 XV 460; vgl. MS VI 213). Und zur Trennung der gesetzgebenden und der exekutiven Gewalt des Willens s. bereits Moral Mrongovius II, XXIX 626, 2– 5.  Man kann ähnlich wie die zweifache Bedeutung des Begriffs der Vernunft in der ersten Kritik, welcher in einem engen Sinn als die reine Vernunft und in einem weiten Sinn als ein Gesamtvermögen verstanden wird, auch unter dem Begriff des Willens einmal nur die noume-

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die Möglichkeit hat, zwischen der Befolgung und der Verletzung des moralischen Gesetzes zu wählen.²⁹ Da nun nach Kant, wie wir im obigen Zitat gesehen haben, die Maximen von der freien Willkür ausgehen, ist auch leicht zu sehen, dass den Maximen als subjektiven Grundsätzen derselbe Vermittlungsstatus zwischen dem moralischen Gesetz und den jeweiligen partikulären Handlungen zugeschrieben werden kann (MS VI 213, 17 f.; s. auch TL VI 384, 33 f.). Für diese vermittelnde Funktion der Maximen ist aber dann entscheidend, dass sie nicht etwa irgendwelche, moralirrelevante Regeln sind, sondern vielmehr bereits moralisch relevante Grundsätze, damit sie das dem reinen Willen entstammende moralische Gesetz mit der Vielzahl jeweils nur subjektiv und situationsgebunden gültiger, partikulärer Handlungen verbinden können. Dies bedeutet aber, dass wir es bereits auf der Ebene der Maximen, d. h. noch vor ihrer Universalisierung, mit einer gewissen Moralrelevanz zu tun haben, dass also die Maximen als solche bereits die Fähigkeit in sich tragen müssen, entweder moralisch oder moralwidrig zu sein. Maximen als bereits moralrelevante Grundsätze. Ich möchte nun in diesem Abschnitt zeigen, dass sich die gerade eben aufgestellte Vermutung über die Moralrelevanz der Maximen nicht nur nachweisen lässt, sondern im Rahmen der Kantischen Ethik auch zu einem der wichtigsten Charakteristika von Maximen führt, das oft unbeachtet bleibt. Kants Maximenbeispiele in seinen ethischen Schriften dienen zumeist als Illustration des frontalen Gegensatzes unserer eigennützigen Absichten bzw. unmittelbaren Neigung zu dem, was als Pflicht gilt. Die berühmten Maximenbeispiele der Grundlegung etwa (bzgl. des Suizids, des lügenhaften Versprechens, der Selbstvervollkommnung und des wohlwollenden Beistands für Unglückliche) gewinnen alle ihre Funktionalität erst innerhalb des Kontexts eines solchen Konfliktes (s. etwa auch das Galgen-Beispiel in KpV V 30, 24– 31; weiter etwa TL VI 397, 8 f.). Keines von Kants praktischen Maximenbeispielen lässt sich, um es mit anderen Worten zu sagen, als adiaphora moralia erkennen.³⁰ Es stellt sich daher die Frage: Kann ein praktischer, subjektiver

nale, gesetzgebende Instanz in einem engen Sinn (eben den reinen Wille) und einmal das Gesamtvermögen, welches sowohl den reinen Willen als auch die freie Willkür beinhaltet, verstehen (vgl. Allison 1990, 131, 135).  Die Bezeichnung der freien Willkür als eine ausführende Instanz des Willens erfährt auch durch Kants eigene Definitionen der freien Willkür Bestätigung. So heißt es etwa in der Vorlesung Metaphysik L1, dass die freie Willkür eine tätige, zur Handlung fähige Instanz ist; sie sei „das Vermögen, zu tun und zu lassen, nach dem Wohlgefallen oder Missfallen am Objekt, so fern es eine Ursache der tätigen Kraft ist, es hervorzubringen, […] Diese Begierde ist tätig und mächtig, und hat die Gewalt, das Begehrte zu leisten“ (XXVIII 254).  In der Einleitung in die Metaphysik der Sitten bedient sich Kant zweier Begriffe der Erlaubtheit (MS VI 223). Zunächst in einer bloßen kontradiktorischen Entgegensetzung ist erlaubt

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Grundsatz, der moralisch weder verboten noch geboten ist, überhaupt als Maxime betrachtet werden? Ist es nicht vielmehr so, dass die Maximen gerade praktische Sätze sein müssen, welche sich keinesfalls als adiaphora moralia erweisen? Man kann nun beide Fragen bejahen, indem man behauptet, dass sich die Moralrelevanz der Maximen erst durch die Universalisierung gemäß dem Kategorischen Imperativ herausstellen würde. Doch eine solche Behauptung ist im Rahmen der Ethik Kants mit ernsthaften Problemen verbunden. Sie impliziert, dass die Moralrelevanz der Maximen allein durch das Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs, durch die Universalisierung, entdeckt werden soll, dadurch also, dass sie sich in Form eines allgemeinen Gesetzes als denk- bzw. wollensunmöglich entpuppen. Die Behauptung kann deshalb nicht ausschließen, dass die Maximen als solche, bevor sie universalisiert werden, auch moralirrelevante Regeln (adiaphora moralia) umfassen können. Dies ist aber dann der Gefahr ausgesetzt, dass man (prima facie) moralirrelevante Regel beliebig so formulieren kann, dass ihre Verallgemeinerung dennoch zu einem Selbstwiderspruch führt (so etwa der Satz: „ich gehe immer sonntags ganz früh Tennis spielen, weil dann der Platz kaum benutzt wird“, in dessen verallgemeinerter Form nicht mehr behauptet werden kann, dass „der Platz kaum benutzt wird“). Zwar könnte man an dieser Stelle weiterhin auch behaupten, dass Kants oberstes Prinzip der Moral gerade deshalb untauglich sei, weil sein Beurteilungsverfahren nicht in der Lage ist, die moralirrelevanten Sätze von den moralrelevanten zu unterscheiden. Doch die Pointe besteht hierbei gar nicht darin, ob wir in diesem oder jenem beliebigen, verallgemeinerten Satz einen Widerspruch ausfindig machen können oder nicht, sondern vielmehr darin, dass allein aus dem bloß logischen Akt der Universalisierung keine moralrelevanten Sachverhalte erzeugt werden können. Wäre dem so, so würden sich alle universalisierten, egal ob selbstwidersprüchliche oder widerspruchsfreie Sätze, als moralrelevant qualifizieren. Die fragliche Behauptung würde nämlich im Grunde bedeuten, dass nach Kant der „Tat“-charakter

einfach das Gegenteil des Verbotenseins – das Nichtsein eines Verbots. In einer realen Entgegensetzung zerfällt sodann die durch bloße logische Entgegensetzung zum Verbotenen entstandene Sphäre selbst wiederum in die beiden Teile des Gebotenen einerseits und des Erlaubten in einem engen Sinn, d. h. dessen, was „weder geboten noch verboten ist“, andererseits. Das Letztere ist eben adiaphoron morale („moralisch-gleichgültige Handlung“); Kant nennt es auch „bloß erlaubt“. Das bloß Erlaubte charakterisiert nämlich die moralirrelevanten Handlungen: „eine Handlung, die weder geboten noch verboten ist, ist bloß erlaubt, weil es in Ansehung ihrer gar kein die Freiheit (Befugniß) einschränkendes Gesetz und also auch keine Pflicht giebt. Eine solche Handlung heißt sittlich-gleichgültig (indifferens, adiaphoron, res merae facultatis).“ (MS VI 223: vgl. KpV V 11 Anm.; Meta. L1 XXVIII, 252; s. bereits Refl. 7292 XIX 304; s. zu zwei Bedeutungen der Erlaubtheit bei Kant Ebert 1976, 571 f.; auch Hruschka 2004, 48 f.; zur Begriffsgeschichte s. etwa Kaufmann 2005).

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

einer Handlung (d. h., dass eine Handlung factum ist, nämlich unter den moralischen Gesetzen steht, s. MS VI 223),³¹ identisch sei mit deren Universalisierungsunmöglichkeit bzw. -möglichkeit. Nicht nur lässt sich dies aber nirgends bei Kant belegen. Sondern hätte er dies auch angenommen, so hätte er den Bereich der Natur von dem der Freiheit gar nicht absetzen können; er hätte dann aus der Logik die Moral ableiten wollen. Kurz: Die Behauptung, dass die Moralrelevanz der Maximen sich erst und allein durch den Widerspruchstest der Universalisierung entdecken lässt,würde von einer unberechtigten Annahme ausgehen, nämlich der Identifikation, ja Reduktion der Moralrelevanz von Maximen auf die Widersprüchlichkeit bzw. Konformität zu dem moralischen Gesetz, und auf absehbare Weise zu einer völligen Dysfunktionalität ja Sinnlosigkeit des Kategorischen Imperativs führen. Die Unplausibilität der obigen Annahme lässt sich auch aus einer anderen Sicht zeigen. Nehmen wir für einen Augenblick an, dass Kant diese Identifikation doch vertreten wollte, so würde dies auch bezüglich seiner Grundthese des Faktums der Vernunft problematisch sein. Denn wie könnte man sich überhaupt moralischer Forderungen bewusst werden, ohne dass man vor der Durchführung des Universalisierungstests einen einzigen Fall davon kennt? Wie können wir von der Faktizität des moralischen Bewusstseins reden, wenn sich uns die Moralrelevanz der Handlungen erst nach einem Universalisierungsakt offenbart? Das Verhältnis des Faktums der Vernunft zum Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs steht vielmehr in einer umgekehrten Reihenfolge: Wir sind uns der Moralrelevanz gewisser Entscheidungen schon bewusst, ehe wir sie verallgemeinern, ansonsten würden wir keinen Grund sehen, sie einem solchen Verallgemeinerungstest gemäß dem Kategorischen Imperativ zu unterziehen. Das, was also bei der Verallgemeinerung der Maximen geschehen soll, ist nicht eine ursprüngliche Endeckung ihrer Moralrelevanz überhaupt, sondern die nähere Bestimmung eines bereits als moralrelevant geltenden subjektiven Grundsatzes. Fragt man sich jedoch, nach welchem Kriterium wir dann überhaupt feststellen können, dass eine Handlung kein adiaphoron ist, so lautet Kants Antwort: das wissen wir prinzipiell durch das Faktum der reinen Vernunft. Dies

 In der moralphilosophischen Nachschrift Mrongovius II heißt es: „facta adiaphora giebts nicht. Facta sind Handlungen die unter einem Moralgesetz stehen. Es giebt aber Handlungen, die keine Facta sind, weder geboten noch verboten sind“ (Moral Mrongovius II, XXIX 641, 20 – 23)¸ „Adiaphora […] sind gar nicht facta, weil sie nicht unter moralischen Gesetzen stehen“ (Refl. 7292 XIX 304) „Was kein Verhältniß auf die Moral hat, ist die indifferentis actionis, adiaphoron, und wird ausgedrückt durch (0), denn hier ist weder Verdienst noch Abwendung“ (Moral Mrongovius II, XXIX 615, 24 f.); und lapidar in einer kritischen Reflexion: „denn vom adiaphoro giebts kein Gesetz“ (Refl. 7256 XIX 295, 28 f.).

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bestätigt sich auch vollkommen durch die methodische Herangehensweise Kants aus der Grundlegung bzw. durch das, was Kant in der Vorrede der zweiten Kritik zur Rolle des Kategorischen Imperativs sagt.³² Maximen können also keine moralirrelevanten Sätze (adiaphora) sein, und das Bewusstsein ihrer Moralrelevanz (wie auch immer diese dann näher ausfällt, als geboten oder verboten) hängt nicht von dem Ergebnis des Universalisierungstests des Kategorischen Imperativs, sondern von dem Faktum der Vernunft selbst ab.³³ Anzunehmen, dass Maximen adiaphora sein können, hat auch für diejenigen Interpretationen, die an der Funktionalität des Kategorischen Imperativs für gebotene Handlungen festhalten wollen, eine vernichtende Konsequenz. Da die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs nur in der Lage ist, die Unerlaubtheit bzw. das Verbot einer verallgemeinerten Maximen zu zeigen,³⁴ haben nämlich manche Interpreten versucht, diesen vermeintlichen Mangel dadurch zu beheben, dass sie durch das Finden des Gegenteils der nach der Universalisierung verbotenen Maximen den Kategorischen Imperativ doch zu einem Prinzip des

 „Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen und diese gleichsam zuerst erfinden? Gleich als ob vor ihm die Welt in dem, was Pflicht sei, unwissend oder in durchgängigem Irrthume gewesen wäre.“ (KpV V 8 Fn.; s. auch GMS IV 403 f.)  Es sei an dieser Stelle auch auf Barbara Hermans „rules of moral salience“ („RMS“) hingewiesen. Nach ihr ist der Kategorische Imperativ zu Recht nicht als ein Prinzip zu sehen, welches zum ersten Mal ein moralisches Bewusstsein einführt. Ein menschlicher Akteur wisse nicht erst nach der Bekanntschaft mit dem Kategorischen Imperativ, was überhaupt eine Pflicht ist. Der Kategorische Imperativ hat, so Herman, primär keine belehrende, moralpädagogische Aufgabe. Die Akteure der Beispiele Kants seien daher keine moralischen Naivlinge. Sie besitzen schon eine Art moralisch-kognitiver Vorstufe, ein Vorbewusstsein von der Moralrelevanz ihrer Fragen bezüglich der zu prüfenden Handlungen, ehe sie vom Kategorischen Imperativ Gebrauch machen. Denn ansonsten: „it is hard to see how any system of moral judgment that assessed maxims of action could work with morally naive or ignorant agents“ (1993, 75). Nach Herman ist deshalb für den Gebrauch des Kategorischen Imperativs ein „prior moral knowledge“„as knowledge of a kind of moral rule“ vonnöten, die sie dann „rules of moral salience“ nennt; diese sind für den Adressaten des Moralgesetz solche Regeln, die „enable him to pick out those elements of his circumstances or of his proposed actions that require moral attentions“ (1993, 77).  Vergleichen wir etwa Kants Definition des Kanons der reinen Vernunft (dass der größte und einzige Nutzen der Philosophie der reinen Vernunft negativ ausfällt, dass sie nicht „Organon“ sei, d. h. zur Erweiterung der Erkenntnis, sondern vielmehr als Kanon, als eine Disziplin zur Grenzziehung beiträgt, s. KrV A 795/B 823) mit der Stelle im Zweiten Abschnitt der Grundlegung, in der er den Kategorischen Imperativ als „Kanon“ bezeichnet (IV 424, 2 f.), so sehen wir, dass Kant sich sehr wohl im Klaren darüber war, dass der Kategorische Imperativ in seiner allgemeinen Formel nicht mehr als eine negative Leistung erbringt (s. deutlicher TL VI 389).

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

moralisch Gebotenen rekonstruieren.³⁵ Würde man nun annehmen, dass die Maximen auch adiaphora sein können, so könnte man aus solchen, sich zugleich als widersprüchlich herausgestellten Maximen auch gar keine moralischen Gebote entwickeln, weil das Gegenteil der adiaphora selbst adiaphora sind; sie sind per definitionem von keiner moralischen Qualität (vgl. Refl. 1047 XV 469, 4 f.).³⁶ Eine Theorie der Pflichtenableitung durch den Kategorischen Imperativ kann also, wenn überhaupt, nur dadurch gesichert werden, dass die Maximen generell eine gewisse moralische Anfangsqualifikation besitzen. Selbst bei den Ansätzen, die auf die Rekonstruktion des Gegenteils widersprüchlicher Maximen gerichtet sind, muss dies also implizit vorausgesetzt werden, wenn sie zu einer positiven Moral gelangen wollen. Dass die Maximen neben ihren anderen Grundmerkmalen (als generelle Verhaltensgrundsätze, Wollenssätze und bewusste, selbstgemachte und dabei wirkliche Grundregeln des Handelns) als solche auch ursprüngliche moralische Relevanz aufweisen müssen, besagt soviel wie, dass in ihnen bereits ein möglicher Konflikt unserer Naturantriebe mit unserer noumenalen Seite angelegt sein muss. Und dies entspricht auch der oben behandelten These Kants, dass Maximen aus der freien Willkür hervorgehen. Maximen tragen also in sich eine mögliche Entgegensetzung der freien und der tierischen Willkür, eines Freiheitsgrundsatzes, unabhängig welcher Stufe, und einer Neigung. Wir haben in Teil I (Kap. 2.1) gesehen, dass derjenige Gegenstand, der in der Kantischen Ethik qualifiziert ist, die Gesetze der Natur in der menschlichen Willkür zu repräsentieren und zum Gegenspieler der Pflichten erhoben wird, die „Neigung“ ist. Vor allem der durative Charakter der Neigungen, als habitueller Begierden, macht eine der wichtigsten Vorbedingungen aus, weswegen Kant sie als handlungstheoretische Kandidaten gegenüber den Pflichten thematisiert. Der Charakter der hohen Generalität, den die Maximen besitzen, bietet nun den Neigungen einen geeigneten Platz an, um sich in ihnen zu äußern (s. etwa GMS IV 425, 19 – 23).³⁷ Da die Maximen keine

 S. etwa Ebert 1976, 577, der dies durch deontisch-logische Umkehrungen der verbotenen Maximen entwickeln möchte. Vgl. bereits Christian Wolffs einflussreichen Satz „Lex praeceptiva una continent prohibitivam contrarii“ ([1750], § 51, 26); ähnlich Achenwall 41774, § 19, 17; vgl. die Transformationsregeln von Baumgarten in Initia philosophiae practicae primae (XIX § 85, 40 f.); s. hierzu Hruschka 1983, 271 f. Zu den Gegenteilen der Maximen und der logischen Formalisierung von ihnen s. Brinkmann 2003, 140 – 144.  Vgl.: „Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. – jede Maxime, die sich hiezu nicht qualificirt, ist der Moral zuwider.“ (VI 226, 1 ff.; Hv. R. M.).  So ist das Maximenbeispiel des Depositums in der zweiten Kritik eines der Beispiele, worin Kant die der Pflicht widerspielende Neigung expliziert; „meine Neigung (z. B. im gegenwärtigen Falle meine Habsucht)“ (KpV V 27, 35 f.).

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moralirrelevanten Sätze (adiaphora) sein können, so sind sie also zugleich immer potenzielle Pflichtausdrücke (Ver- bzw. Gebote), und gerade dadurch könnten sie auf der anderen Seite auch die Freiheitsgesetze repräsentieren. Die Maximen sind daher die Äußerung der Divergenz der dualen Kausalitätsarten von Natur und Freiheit, die sich in der freien Willkür abspielt. Das Wesen von Maximen besteht nämlich gerade in diesem janusköpfigen Charakter. Sie sind die elementaren, praktischen Sinnträger dieser Gesetzesdualität innerhalb der Kantischen Ethik. Was unsere partikulären Verhaltensregeln anbelangt, so kann ein solcher Konflikt bzw. eine solche Divergenz in ihnen allerdings auch nur latent sein. Der Akt der Maximensetzung würde dann gerade darin bestehen, diesen Konflikt herauszuarbeiten. Eine Maxime ist, so gesehen, ein praktischer Grundsatz, der sich in einem Kontingenzzustand zwischen den Naturantrieben und der Freiheitswirkung befindet, eine Kontingenz zwischen dem Moralwidrigem und dem Moralischen. Auf welche Seite sich diese aber schlägt, darauf gibt erst der Universalisierungstest des Kategorischen Imperativs Aufschluss. Man sieht hierdurch auch, warum viele Sätze, die in der Literatur als Beispiele für eine Maxime angeführt werden, zumindest noch keine Moralrelevanz besitzen und deshalb noch keine Maximen sein können (etwa „wenn der DAX 12.000 Punkte erreicht, werde ich alle meine Aktien verkaufen“, Schönecker/Wood 2002, 140). Und sollte dies doch nicht der Fall sein, sollte nämlich die Moralrelevanz dieser Sätze erkannt werden können, so heißt dies zugleich, dass man den Satz eben soweit ergründet, d. h. deren Generalitätsgrad erhöht, bis man den ihm zugrunde liegenden Grundsatz, ihre Maxime ausfindig macht. Schon eine Maximenbildung selbst ist daher ein erster Schritt, die Freiheit auf ihrer hohen praktischen Stufe zu verwirklichen. Schließlich mag man gegen die hier vorgelegte Interpretation einwenden, dass damit die Problematik der moralischen Dijudikation und der Pflichtenableitung durch den Kategorischen Imperativ nicht gelöst, sondern nur verschoben wird. Doch wenn sie der Sache gerecht wird, so handelt es sich dabei zwar durchaus um eine Problemverschiebung, jedoch um eine legitime, welche zumindest zu einer präziseren Lokalisierung des Problems führt. Maximen als ratio cognoscendi der Pflichten. In Teil II, Kap. 4.1 wurde gezeigt, dass in Kants Ethik aufgrund der Singularität der ethischen Verpflichtung bzw. Moralität der Plural der Pflichten allein aus dem Gegensatz der Ersteren zur Pluralität der Neigungen hervorgehen kann. Da uns nämlich jede Anschauung der noumenalen Basis der Moralität versperrt bleibt, kann deren Niederschlag und Auffächerung in die verschiedenen Pflichten allein in ihrer Entgegensetzung zu den jeweiligen Neigungen und dem anschaulichen Kontext erfolgen, in den diese Neigungen eingebettet sind. Die Ableitung des Plurals von Pflichttypen und deren Taxonomie erfordert daher, dass das moralische Bewusstsein jeweils gewissen

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Typen von Neigungen, etwa nach innen bzw. außen gerichteten, konflikthaft entgegengestellt ist. Zudem wurde bereits in Teil I (Kap. 2.2) darauf aufmerksam gemacht, dass nach Kant der Kategorische Imperativ auch eine innersystematische Funktion zur Ableitung bzw. Entwicklung verschiedener Pflichten aufweist. Nach der bisherigen Darstellung und Argumentation sind nun die Maximen zum einen die genuinen Beurteilungsgegenstände der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs, zum anderen aber genuin praktische Sätze, die bereits den potenziellen Konflikt des Noumenalen mit den Neigungen in sich tragen. Dies legt nahe, dass man die Maximen auch als systematische Gegenstände in Betracht zieht, aus denen der Plural der Pflichten innersystematisch entwickelt werden kann. Bevor ich aber diese Hypothese näher prüfe, soll, wenn auch nur skizzenhaft, erst die Frage beantwortet werden, weshalb die Pflichten überhaupt aus dem Kategorischen Imperativ abgeleitet werden können und wie diese Ableitung zu verstehen ist? Wenn man von Moralrelevanz in Kants Ethik spricht, so kann man dabei zwei Stufen voneinander abheben. Einmal kann man sich einen unspezifizierten Begriff der Moralrelevanz vorstellen, und zwar so, dass man nach dem Faktum der Vernunft das anfängliche Bewusstsein besitzt, dass diese oder jene Handlung unter einer moralischen Verpflichtung steht (s. vorheriger Abschnitt), ohne darum näher zu wissen, welcher Klasse von Pflichten die fragliche Handlung angehört oder welche sie eventuell verletzt, ob etwa eine vollkommene Pflicht oder eine unvollkommene. Ein anderes Mal lässt sich aber von einem spezifizierten Begriff der Moralrelevanz sprechen, bei dem man genau angeben kann, welcher Klasse von Pflichten die fragliche Handlung zuzuordnen ist. Für den ersten, unspezifizierten Begriff braucht nun der Adressat der Kantischen Ethik die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs noch nicht; das ursprüngliche moralische Bewusstsein reicht für so einen unspezifizierten Begriff durchaus hin, und es ist eben auf dieser Stufe, dass die Maximen entstehen. Doch wie steht es mit dem zweiten Begriff? Wie kommt man darauf, dass diese oder jene Handlung, genauer diese oder jene Handlungsmaxime einen Fall dieser oder jener Klasse von Pflichten darstellt? Durch die dem unspezifizierten Begriff der Moralrelevanz entgegenwirkende Neigung und deren Kontext können wir zwar bereits wissen, dass unsere Verpflichtung z. B. gegen Andere gerichtet ist; dies lässt sich nämlich schon auf der Ebene der Maxime als moralrelevanter Satz feststellen. Dass aber die fragliche Pflicht nicht nur eine äußere, sondern etwa auch eine vollkommene, und damit erst eine Rechtspflicht ist, lässt sich aus der bloßen Maxime noch nicht ableiten. Im Rahmen der Kantischen Ethik kann diese Rolle allein durch den Kategorischen Imperativ übernommen werden. Es sind nämlich gerade dessen zwei Widerspruchskriterien, die Denk- und die Wollensmöglichkeit, die dies

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kenntlich machen (GMS VI 423, 36 – 424, 14).³⁸ Erst durch die Art des Widerspruchs in dem Beurteilungsverfahren des Kategorischen Imperativs wissen wir, ob unser anfänglicher, unspezifizierten Begriff von einem moralrelevanten Fall dem Moralgesetz entspricht oder entgegengesetzt ist, und auf welche Weise dies geschieht, d. h. ob er einer vollkommenen oder einer unvollkommenen Pflicht korrespondiert. Ich kann an dieser Stelle allerdings nicht weiter auf die Rekonstruktion der Ableitung der Pflichtklasse aus dem Beurteilungsprozess des Kategorischen Imperativs eingehen. Doch unabhängig davon, ob dieser Prozess reibungslos gelingt oder nicht, so deutet Vieles dafür hin, dass Kant selber von dieser innersystematischen Funktion des Kategorischen Imperativs ausgeht, auch wenn er dies nicht weiter entwickelt und sich nur sparsam dazu äußert (s. etwa GMS IV 402, 14 f.; 403 f.; 421, 9 f.; 436, 29 ff.; MS VI 225, 14 ff.). Daraus ist aber auch zu ersehen, dass beide oben skizzierten Stufen in der Ableitung von Pflichten von den Maximen abhängen. Denn nicht nur tragen allein sie die erste Stufe in sich, es ist auch deren Qualität, die den Ausschlag gibt, wie das Ergebnis des Universalisierungsverfahrens, die Art des Widerspruchs, ausfällt. Da diese Doppelfunktion der Maximen einen Erkenntnischarakter hat, so möchte ich sie als ratio cognoscendi (Erkenntnisgrund) der Pflichten bezeichnen.³⁹ (Die Bezeichnung dieser Funktion der Maximen entspricht auch der unbestrittenen dijudikativen Leistung der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs als eines principium cognoscendi der Pflichten.) Eine Maxime dient demnach als Erkenntnisgrund der genaueren Bestimmung einer moralrelevanten Handlung als unter eine bestimmte Pflichtklasse gehörig gemäß dem Beurteilungsverfahren des Kategorischen Imperativs. Im Zusammenhang mit diesem Merkmal der Maximen möchte ich kurz auf zwei Punkte eingehen, die zugunsten der hier angebotenen Interpretation sprechen. (i) Mit meiner Deutung der Maximen als ratio cognoscendi der Pflichten möchte ich nicht etwa weitere Schwierigkeiten aus dem Feld schlagen, die sich aus

 Manche Interpreten gehen davon aus, dass Kant diese zwei Kriterien der Pflichtwidrigkeit nach der Grundlegung praktisch aufgegeben hat (etwa Kersting 1983b, 406). Das trifft jedoch nicht zu. Ein Blick in Kants letztes Moral-Kolleg, die Nachschrift Vigilantius (etwa XXV 496), genügt, um zu sehen, mit welcher Emphase Kant immer noch an der taxonomischen Leistung dieser zwei Kriterien für eine Theorie der Pflichten festhält. Darüber hinaus deuten die Charakteristika der Negativität und der engen Verbindlichkeit der Rechtspflichten sowie die Analytizität des obersten Prinzips des Rechts im Fall der Denkmöglichkeit auf die kennzeichnende Bedeutung des Widerspruchssatzes für die Rechtspflichten hin, also darauf, dass Kant bis in seine letzten Schriften die Denkmöglichkeit einer Handlungsmaxime als ein hinreichendes Kriterium zur Bestimmung der vollkommenen Pflichten gesehen hat (s. weiter auch TL VI, Ab. XV, 406 f. und X, 396).  Zur Funktion des Erkenntnisgrundes s. etwa Refl. 2283 XVI 299.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

der Ableitung der Pflichten aus der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs ergeben. Doch sie lässt einige dieser Schwierigkeiten genauer bestimmen. Dies möchte ich anhand eines Problems in der Literatur aufzeigen, welches man als „Problematik des Gegenteils“ der verallgemeinerten Maximen bezeichnen kann: Durch das Verallgemeinern einer Maxime nach der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs lässt sich nur feststellen, ob diese Maxime erlaubt oder verboten ist.⁴⁰ Würde man zunächst die Maximen auch als Sätze verstehen, die moralirrelevant bzw. adiaphora sind, so ließe sich aufgrund einer nach dem Kategorischen Imperativ als erlaubt qualifizierten Maxime nicht direkt eine Pflicht ableiten, weil hier erlaubt auch im Sinne von adiaphoron verstanden werden kann. Andererseits aber gehen einige Interpreten davon aus, dass auch im Fall der nach dem Kategorischen Imperativ als verboten qualifizierten Maximen die direkte Ableitung einer Pflicht ein Problem darstellt, da die Pflichten die gebotenen Handlungen sind, und deshalb zu einer Ableitung der Pflicht zuerst das Gegenteil der verbotenen Maxime, eben die gebotene Maxime ausgesucht werden muss. So hat Ebert durch deontisch-logische Umkehrungsregeln Rekonstruktionen unternommen, welche das Gegenteil der jeweils verbotenen Maximen festlegen sollen, um hierdurch den Kategorischen Imperativ in einer positiven Dimension, als ein Prinzip der Gebote weiter zu entwickeln (1976, 575 und 577). Hierbei geht Ebert zum einen im Unterschied zu der hier vertretenen These davon aus, dass die Maximen als solche auch adiaphora sein können. Zum anderen versucht er sogar im Fall der vollkommenen, also negativen Pflicht des lügenhaften Versprechens, dieses durch eine Umkehrungsregel in ein Gebot zu verwandeln: „Verzichte auf das Borgen von Geld bei voraussehbarer Unfähigkeit zur Rückzahlung“ (1976, 579). Dabei übersieht Ebert allerdings, dass diese Identifikation zum Ausschluss der Möglichkeit einer Tugendpflicht, nämlich der Wohltat gegen einen Anderen, führt: hier etwa der möglichen Wohltat des Verleihers, trotz des Wissens, dass jemand unfähig ist, das Geld zurückzuzahlen, ihm das Geld zu borgen). Eberts Umkehrung oder gleichsam Zwangsverwandlung eines Verbots in ein Gebot ist aber das Resultat einer weiteren problematischen Prämisse: dass Pflichten und die gebotenen Handlungen identisch seien (1976, 571, 567). Doch die negativen Pflichten bzw. die Unterlassungspflichten bedürfen gar keiner Umkehrung bzw. keiner Verwandlung in ihr (positives) Gegenteil. Indem man die Verbote gleichsam zwanghaft in positive Pflichten verwandelt, schadet man ihrer Wesenseigentümlichkeit und es bleibt dabei unklar, wie und inwiefern sie denn überhaupt Pflichten sein sollen.⁴¹  So bezeichnet Kant in der Tugendlehre die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs in aller Kürze als ein nur „negatives Princip“ (VI 389; vgl. auch MS VI 221, 23 – 29).  Eine modallogische Äquivalenz wie „Verboten H ↔ geboten Non H“ (Ebert 1976, 577), die Verbote in Gebote gießen soll, geht nicht nur auf Kosten der Vollkommenheit der ersteren. Sie

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Die negativen Pflichten, die Kant so gut wie immer mit vollkommenen Pflichten gleichsetzt, verdanken ihre Vollkommenheit gerade ihrem Verbotscharakter. Und genau darin liegt ihre Bestimmbarkeit bezüglich ihrer Ausübung (s. Teil II, Kap. 4.3 und 4.4). An dieser Stelle lässt sich nun der Vorteil einer genaueren Bestimmung des Problems der Pflichtenableitung aus der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs durch die hier angebotene Interpretation von Maximen darstellen. Im Fall der Denkunmöglichkeit einer verallgemeinerten Maxime stellt die Ableitung der Pflichten aus der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs im Grunde kein Problem dar. Denn zum einen sind die Maximen, im Gegensatz zu Eberts Annahme, von Anbeginn keine moralirrelevanten Sätze bzw. adiaphora; zum anderen ist eine als allgemeines Gesetz denkunmögliche Maxime eben rechtswidrig und verweist als ein Erkenntnisgrund direkt auf eine vollkommene, also negative Pflicht und bedarf daher keiner weiteren Ableitung ihres Gegenteils, wie wir dies etwa bei Eberts Umkehrung des Beispiels des falschen Versprechens gesehen haben – die Maxime stellt hier direkt eine negative Pflicht als solche dar. Sollte aber eine Maxime nach dem Universalisierungsverfahren des Kategorischen Imperativs nicht denkunmöglich sein, so ist sie entweder wollensmöglich oder wollensunmöglich. Doch nach dem oben dargestellten Merkmal von Maximen als ratio cognoscendi der Pflichten liegt auch im ersten Fall kein Ableitungsproblem vor, welches dem Verallgemeinerungsverfahren zuzuschreiben wäre. Denn nach der These, dass Maximen keine adiaphora sein können, verweist eine verallgemeinerte Maxime, die sich sowohl als denkmöglich wie auch als wollensmöglich herausstellt, direkt auf eine unvollkommene Pflicht, weil eben die Erlaubtheit der fraglichen Handlung von Anbeginn keine bloße Erlaubtheit im Sinn einer Moralirrelevanz sein kann, wovon etwa Ebert ausgeht. Es bleibt damit allein der letztere Fall, bei dem eine verallgemeinerte Maxime zwar denkmöglich, jedoch wollensunmöglich ist, worin die sogenannte „Problematik des Gegenteils“ auftritt. Denn hier haben wir es mit einer Maxime zu tun, welche zwar nicht gegen eine vollkommene Pflicht, wohl aber gegen eine Tugendpflicht verstößt, und für die Ableitung der entgegenstehenden Tugendpflicht muss gerade das Gegenteil der aufgestellten Maxime gefunden werden, da die Tugendpflichten nach Kant so gut wie alle positive Pflichten sind.⁴² Kurz gesagt, nach der These, dass die Maximen in ihrer Doppelfunktion für die Ableitung der Pflichtenklassen (als Träger der Mo-

würde auch darauf hinauslaufen, dass, wie die obige Umkehrung Eberts zeigt (1976, 579), die unvollkommenen Pflichten ausgeschlossen werden. Wie sollte etwa das Verbot neminem laede als Gebot umformuliert werden, ohne dass es seine Handlungsbestimmtheit verliert und andere moralrelevanten Handlungen ausschließt?  In der Tat spricht Kant selbst in der Grundlegung explizit nur in diesem Fall vom „Gegentheil“ der Maxime (IV 424, 15 – 18).

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ralrelevanz einer Handlung und als zuständig für die Art des Widerspruchs in dem Universalisierungsverfahren) die ratio cognoscendi der Pflichten darstellen, beschränkt sich die sog. „Problematik des Gegenteils“ ausschließlich auf die denkmöglichen, jedoch wollensunmöglichen Maximen. (ii) Kant kann zwar für seine Grundeinteilung der Pflichten (dass sie entweder innere oder äußere, entweder enge oder weite sind) Vollständigkeit beanspruchen (s. Teil II, Kap. 4.3), nicht jedoch für die sich immer wieder erweiternde Menge der Pflichten insgesamt, die jeweils unter diese Einteilungen fallen.⁴³ Die Bestimmung der Gesamtmenge der Pflichten, die unter Kants vollständiger Taxonomie der Pflichten stehen können, bleibt offen. Darüber hinaus scheint es einige Fälle innerhalb dieser Menge von Pflichten zu geben, die Kant offensichtlich zeitgebunden bestimmt hat und die aus heutiger Sicht zum Thema kontroverser Diskussionen werden mögen,⁴⁴ ohne dabei an der Vollständigkeit der Grundeinteilung der Pflichtklassen Kants Zweifel zu erwecken. Die Rolle der Maximen als ratio congnoscendi in der Ableitung von Pflichten nach dem Kategorischen Imperativ weist daher nicht nur auf ihre genetische Funktion für die Grundstruktur der Pflichtentheorie Kants hin. Sie kann auch als prinzipiell zukunftsgerichtet, als eine offene Funktion betrachtet werden, nach der neu auftauchende, zeitgebundene moralrelevante Handlungen beurteilt und evtl. als neues Glied unter diese oder jene Klasse von Pflichten platziert werden können.⁴⁵ Da nach den obigen Vorschlägen Maximen zum einen wegen ihres janusköpfigen Charakters immer wieder neue phänomenale Elemente in sich tragen, die mit der noumenalen Basis der Moralität konfligieren können, zum anderen aber auch die ratio congnoscendi der Pflichten darstellen, so hat diese Deutung den Vorteil, dass wir danach zwar nicht die Grundstruktur der Pflichtentheorie Kants, wohl aber die unter sie gebrachten Fälle immer wieder erweitern oder gar neu definieren können. Exkurs: Maximen und kollektive Subjekte. Während die obigen Merkmale von Maximen als Vorbedingungen charakterisiert wurden, um deren Vergegenständlichung für die moralische Beurteilung nach dem Kategorischen Imperativ möglich zu machen, befasst sich dieser letzte Abschnitt mit einem Aspekt, der zwar  Wenn Kant z. B. die inneren vollkommenen Pflichten noch einmal in die der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst „als ein animalisches Wesen“ und „bloß als moralisches Wesen“ (TL VI 421; 428) unterteilt, so stellt auch dies eine weitere vollständige Strukturierung dar, was jedoch nicht eine vollständige Erfassung aller Pflichten bedeutet (vgl. §§ 5 – 8 und §§ 9 – 12), die jeweils unter sie fallen können.  Man denke etwa an das strenge Verbot sexueller „Selbstschändung“ (TL VI, § 7) oder daran, dass es keine direkte Pflicht gegen Tiere gibt (TL VI, § 17).  Dies zeigt sich auch an zahlreichen auf Kant beruhenden Ansätzen, die aus heutiger Sicht immer wieder modernere moralische Probleme unter Kants Klasseneinteilung der Pflichten thematisieren, vgl. etwa Arntzen 1996.

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keine notwendige Eigenschaft von Maximen darstellt, als ein mögliches Merkmal, ein Potenzial des Maximenbegriffs Kants für den Bereich des Rechts aber vernachlässigt wird. Das Subjektive der Maximen sowie der Akt der Maximensetzung wird in der Literatur oft ausschließlich unter dem numerus singularis, als nur jeweils für die erste, zweite oder dritte Person Singular gültig thematisiert (s. etwa Köhl 1990, 47, 49; König 1994, 77, 84; Timmermann 2003; Brinkmann 2003, 98 f., 106, 110). Dabei stellt sich schlicht die Frage: Warum sollten Maximen und der Akt der Maximensetzung nicht auch, unter einem numerus pluralis, für ein Kollektiv erfasst werden? Kant selbst hat ja an verschiedenen Stellen den Maximenbegriff in einem völkerrechtlichen Kontext verwendet und spricht nicht selten von der Maxime des Staates (s. etwa RL VI 349, 19 – 25; Frieden VIII 368 f.; 382 27– 30; 384; weiter etwa Refl. 7118, XIX 525 f.; Refl. 8058 XIX 597; Refl. 8063 XIX 599). Es ist zwar gewagt, Kant in diesen Fällen eine institutionenethische Theorie zuzuschreiben. Doch aus den definitorischen Elementen von Maximen lässt sich ebensowenig ausschließen, dass das Subjektive der Maximen nicht auch in einem kollektiven Sinn gelten kann. Eine solche Anwendung des Maximenbegriffs scheint mir – ganz im Gegenteil – nicht nur zulässig, sondern in einer gewissen Hinsicht auch vorteilhafter zu sein, als dessen Gebrauch ausschließlich für ein einzelnes Subjekt. In der Logik definiert Kant die Maxime als „das innere Princip der Wahl unter verschiedenen Zwecken“ (IX 24, 31). Das Subjektive der Maxime, die zugleich eine selbst auferlegte Regel darstellt, besteht nämlich in den Privatzwecken und Interessen eines Subjekts, welche für dieses Subjekt gelten und dieses insofern gewissermaßen identifizieren (s. etwa KpV V 79; MS VI 212 f.). Betrachten wir zunächst dieses elementare Merkmal in einer kollektiven Dimension, so ist leicht zu sehen, dass unter einer Vielzahl menschlicher Subjekte, die sich, unerachtet ihrer weiteren, jeweils als Einzelpersonen verfolgten Gründe, aufgrund der gemeinsamen Zwecke und Interessen vereint haben, sich sehr wohl von einem gemeinsamen inneren Prinzip oder subjektiven Grundsatz dieser Vereinigung, eben einer kollektiven Maxime sprechen lässt. Da aber unter einer solchen Vereinigung von Individuen ein vorangehendes Bewusstsein der gemeinsamen Zwecke und Interessen selbst die Vorbedingung jedes Konsens und der erzielten Vereinigung ist, so lässt sich hier sogar emphatischer von einem unter allen Partizipierenden gültigen, „selbst auferlegten“ Grundsatz reden. Ich möchte dies an zwei Beispielen darstellen. Bei einem Forschungsinstitut etwa ist zwar anzunehmen, dass die in dessen Satzung ausgesprochenen Gründungsmotive und -zwecke nicht mit den Zwecken jedes einzelnen Mitgliedes völlig zusammenfallen müssen. Unter diesen Mitgliedern kann es etwa Karrieristen mit auf bloßen persönlichen Erfolg gerichteten Maximen genauso geben, wie auch solche, die gerade die Gründungsmotive und Zwecke aus der Satzung zugleich als persönliche Maxime ihrer Tä-

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tigkeit betrachten. Abgesehen davon, kann man aber doch auf einer kollektiven Ebene von einer gemeinsamen Maxime sprechen, die all diese Personen als Mitglieder dieses Instituts vereinigt und auch Gegenstand einer moralischen Beurteilungen bzw. Zurechnung sein kann. Als ein weiteres Beispiel kann etwa eine fundamentalistisch-terroristische Gruppe dienen, die in ihren öffentlichen Äußerungen nicht die singulären Maximen ihrer Mitglieder bekundet, sondern die kollektiven, selbst auferlegten sowie langfristigen Ziele und Motive, welche die Funktion haben, die Gruppe als solche zu identifizieren und evtl. ihre Existenz zu rechtfertigen. Auch hier sind im Grunde nicht die Handlungsgründe der einzelnen Mitglieder der Gegenstand unserer moralischen Beurteilung bzw. Zurechnung, sondern eben das, was die kollektive Einheit als solche ausmacht. Diese Beispiele können nun auch leicht dahingehend entwickelt werden, dass man anstatt von Maximen natürlicher Personen von denen juristischer Personen spricht. Mehr noch, es lässt sich ebenso die Moralrelevanz der Institutionen als solche zum Thema machen. So beurteilen wir etwa die Verfassung eines Staates, weil sie kollektive, konstante und, im Fall einer Demokratie, selbst auferlegte Gründe der Staatsbegründung beinhaltet, sowohl auf innerstaatlicher wie auch zwischenstaatlicher Ebene nicht selten moralisch. Konkreter gesagt beurteilen wir das moralrelevante Verhalten bzw. die moralrelevanten Funktionen eines Staates oder einer internationalen Institution wiederum nicht nach den möglichen Gründen ihrer einzelnen Funktionäre; wir sind vielmehr darauf aus, diesen eine Verhaltensgrundregel zu unterstellen, welche unsere Erwartung von einer solchen Institution darstellt. In der Tat erschöpft sich auch ein beträchtlicher Teil öffentlicher Expertendebatten und Mediendiskussionen darin, die Verhaltensgrundsätze einer bestimmten Institution ausfindig zu machen, zu akzentuieren oder in Erinnerung zu rufen. Sollte man die Kantische Ethik in solchen Fällen, deren Moralrelevanz offensichtlich ist, in Anspruch nehmen, so wäre es absurd, den Gebrauch des Maximenbegriffs als dem einzig möglichen systematischen Gegenstand der moralischen Beurteilung hierfür in Abrede zu stellen. Denn dies würde bedeuten, dass die moralische Beurteilung des Verhaltens einer Institution, juristischen Person oder jeder anderen Art kollektiver Identitäten stets eine Zerteilung in die Maximen ihrer einzelnen Mitglieder erfordern würde, was ihr im Grunde jede Möglichkeit einer tatsächlichen moralischen Beurteilung entzieht. Wir würden nicht ernsthaft die Einsicht vertreten, dass ein als moralwidrig angesehenes Verhalten eines Staates der singulären Maxime eines Staatsmannes zuzuschreiben sei (vorausgesetzt, dieser Staat ist kein tyrannisch regierter); dies tun wir vielmehr nur dort, wo wir die Grundsätze der Verfassung eines Staats bereits als moralisch erlaubt, das Verhalten eines Funktionärs bzw. einer Gruppe von Staatsmännern usw. jedoch als im Vergleich dazu defektiv betrachten.

1 Allgemeine Merkmale von Maximen

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Da jede menschliche kollektive Entität, die willentlich gegründet ist, per definitionem immanente, konstant gültige Grundsätze besitzt, welche sie überhaupt erst als Kollektiv identifizieren, so lässt sich also mit guten Gründen auch von ihren Maximen sprechen. Und sollten diese Grundsätze aus einem kollektiv zuzurechnenden Akt, etwa demokratischer Teilnahme, hervorgehen, so lassen sich deshalb diese Maximen auch als die eines kollektiven Subjekts betrachten. Man mag gegen diese Interpretation auf die ethische Dimension der Maximen in Kants Ethik verweisen; man kann nämlich den Einwand erheben, dass die Maximen für Kant deshalb auf nur eine einzelne Person zugeschnitten sind, weil deren Relevanz gerade darin bestehe, diese Person im Grunde auf ihre gute bzw. böse Gesinnung hin zu beurteilen. Die Verwendung der Maximen für kollektive Subjekte dagegen würde von vornherein die Option einer Handlung aus Pflicht ausschließen müssen und damit der Maxime ihren ursprünglichen Sinn und ihre Funktionalität entziehen. Eine Auffassung von Maximen auch als Grundsätze eines Kollektivs könnte sich demnach also, wenn überhaupt, ausschließlich auf die Legalität der Handlungen beziehen. Es sind drei Punkte, die bezüglich dieses Einwandes anzumerken sind. Zunächst gründet dieser Einwand auf einer Prämisse, die nicht unproblematisch ist. Er geht davon aus, dass entweder das letzte ausschlaggebende Moment der Annahme einer Maxime (eben die Gesinnung) und die Maxime selbst identisch seien oder dieses Moment zumindest ein notwendiges, d. i. konstitutives Element der Maxime ausmacht. Entgegen dieser Annahme werde ich im nächsten Kapitel ausführlich dafür argumentieren, dass das Verhältnis von Maxime zur Gesinnung zwar kein disjunktives Verhältnis ist; dennoch können die Maximen ohne Miteinbeziehung eines ultimativen Bestimmungsgrunds seitens des Akteurs auskommen. Zweitens stellen sich bei der Auffassung, dass Maximen ausschließlich Individuen zukommen, bezüglich der Gesinnung ebenso epistemische Komplikationen, wie bei der Auffassung, dass die Maximen auch auf kollektiver Ebene betrachtet werden können. Man denke bspw. an die Erkenntnismöglichkeit der eigenen und der fremden ethischen Gesinnung, die jedem Menschen zuletzt versagt bleibt (s. Teil II, Kap. 3.1, ethische Motivagnosie). Bei einer kollektiven Entität ist es zwar keinesfalls unproblematisch von der Moralität zu sprechen. Doch lässt sich hier das Bewusstsein von einem letzten bzw. obersten Bestimmungsgrund in eine andere Ebene verlegen. Die obersten Bestimmungsgründe solcher Entitäten wären nämlich genau die, um derentwillen sie sich öffentlich zu gründen bekunden; und sollte dies nicht der Fall sein (man denke an Fälle wie Geldwäsche, wo das wahre Motiv gerade nicht öffentlich gemacht wird), so gibt es dahinterliegende wahre Gründe, die für diese falsche Bekundung verantwortlich sind. Diese obersten Bestimmungsgründe sind dann allerdings nicht etwa die inneren Privatgesinnungen der partizipierenden Einzelnen, sondern das Ergebnis der allgemeinen, vereinigten Willkür aller, welche

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

kollektiv auf einer höheren Ebene zu gewissen Zwecken und Dauerinteressen zusammengeschlossen wurde und mitgeteilt wird bzw. werden kann. So genießen diese Bestimmungsgründe gerade aufgrund ihres konsensuellen Charakters in vielen Fällen eine Transparenz und Erkennbarkeit, die wir auf der Ebene der Einzelpersonen nicht antreffen. Schließlich ist aber dem Einwand darin Recht zu geben, dass in der Anwendung des Maximenbegriffs auf ein Kollektiv die moralische Beurteilung ausschließlich auf die Legalität der Handlungen bezogen werden kann. Doch angesichts des vorherigen Punktes stellt sich hierbei eine andere Lage in dem Verhältnis der obersten Bestimmungsgründe der Handlungen eines Kollektivs als solches zu deren Legalität dar. Da diese Bestimmungsgründe ab initio offen gelegt werden bzw. im Grunde öffentlich gemacht werden können, so bedarf es hier auch nicht hinter ihnen noch nach einer, zugegebenermaßen problematischen, Moralität des Kollektiven zu suchen bzw. diese überhaupt zu problematisieren. In diesem Fall beschränkt sich die moralische Beurteilung eben nur auf eine Legalität der Handlungen, die sich jedoch auf einen nicht hinterfragbaren Bestimmungsgrund zurückverfolgen lässt.

2 Maximen und der oberste Bestimmungsgrund des Willens Kann uns die Universalisierung der Maximen nach der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs als solche auch etwas über den letzten bzw. obersten Bestimmungsgrund des Willens, über die Gesinnung der Handelnden sagen? Müssen überhaupt die Maximen, wie es oft angenommen wird, stets das Moment der Gesinnung des Handelnden in sich tragen? Ich werde in diesem Kapitel dafür argumentieren, dass die Antwort auf beide Fragen negativ ausfällt, und werde dabei eine weitere Bestimmung des Maximenbegriffs geben, welche sich erst in einer näheren Prüfung seines Verhältnisses zu dem obersten Bestimmungsgrund des Willens bzw. zu der Gesinnung eines Handelnden aufzeigt. Der Kategorische Imperativ beinhaltet in allen seinen Formeln, mit Ausnahme einer einzigen aus der Tugendlehre („Handle pflichtmäßig aus Pflicht.“, VI 391, 4⁴⁶), nichts, was unmittelbar die Forderung ‚handle aus Pflicht‘ ausdrückt. Würde man nun im Fall der allgemeinen Formel dennoch annehmen, dass eine Person,

 Diese Formel, die Kant als das „allgemeine ethische Gebot“ bezeichnet (TL VI 391, 3 f.), erbringt aber als solche keine dijudikative Leistung. Für einen Akteur, der den Kantischen Pflichtbegriff nicht kennt, würde sie mit dem Satz ‚Handle gemäß X, aus X‘ äquivalent sein; sie würde als solche zu keiner inhaltlich bestimmten Vorstellung moralischer Forderungen führen. Es trifft deshalb nicht zu, in dieser Formel „das dijudikative und das exekutive Prinzip zusammen“ zu sehen (so aber Geismann 2006, 34 Fn. 191; s. Teil II, Kap. 4.4, Fn. 92)

2 Maximen und der oberste Bestimmungsgrund des Willens

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indem sie ihre Handlungsmaxime durch Universalisierung auf die Gesetzesfähigkeit hin prüft, in diesem Akt zugleich auch den obersten Bestimmungsgrund ihres Willens nach dem Kategorischen Imperativ bestimmt, so muss man daher Zweierlei voraussetzen: dass (a) die Maxime als solche jederzeit bereits den obersten Bestimmungsgrund der Handlung in sich beinhaltet oder damit identisch ist (der Einfachheit halber: Identifikationsthese), und dass (b) allein der Akt der Universalisierung dieser Maxime nach dem Kategorischen Imperativ mit der Bestimmung des obersten Bestimmungsgrundes des Willens selbst zusammenfällt. Ein erstes Problem besteht hier nun darin, dass, auch wenn wir zunächst annehmen, dass (a) gilt, so leuchtet uns doch (b) nicht ein; dass nämlich das bloße Bewusstsein der Widersprüchlichkeit einer Handlungsmaxime, die sich bei der Maximenuniversalisierung aufzeigt, als solches jemanden notwendigerweise in moralischer Hinsicht von der Begehung einer Handlung abbringt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass ein Handelnder, solange er auf rationale Weise seine Maximen betrachtet, gegenüber ihrer möglichen Selbstwidersprüchlichkeit als eines motivierenden Grundes nicht indifferent bleibt. Doch diese motivationale Wirkung bleibt in moralischer Hinsicht nur kontingent. Aus Pflicht als dem obersten Bestimmungsgrund des Willens handeln ist nicht gleichbedeutend mit einer Handlung, welche begangen bzw. unterlassen wird, weil, und nur weil die Maxime der Handlung in der verallgemeinerten Form widerspruchsfrei bzw. widersprüchlich ist; die Widerspruchsfreiheit bzw. Widersprüchlichkeit verallgemeinerter Maximen reicht für die Bestimmung einer Handlung aus Pflicht nicht aus. Würde der Handelnde um der Vermeidung des Widerspruchs willen handeln, so würde er eben aus einem prudentiellen Grund, nicht aus Pflicht handeln. Selbst wenn (a) vertretbar wäre, so kann also durch die Maximenuniversalisierung nicht geradewegs gezeigt werden, dass der in der Maxime beinhaltete oberste motivierenden Grund des Handelnden mit dem moralischen Gesetz, der Pflicht selbst zusammenfällt. Mit anderen Worten, die Universalisierung der Maximen kann allein als eine Bedingung fungieren, die die Pflichtmäßigkeit der Handlung gewährleistet. Doch auch schon die Konzeption von Maximen in der Behauptung (a) – die Identifikationsthese – zeigt sich bei näherer Betrachtung als problematisch.⁴⁷ Lässt sich im Rahmen der Kantischen Ethik tatsächlich davon ausgehen, dass der oberste Bestimmungsgrund des Willens des menschlichen Subjekts mit den Maximen identifizierbar bzw. ein konstitutives Element der Maximen ist? Was Kants  Ich sehe z. B. sowohl Timmermanns Versuch, Maximen auch als „higher-order subjective principle of volition“ zu interpretieren, die mit der Gesinnung identisch werden (2000, 40 f.), wie auch Schwartz’ ähnliche Bestimmung des Verhältnisses von Maximen zur Gesinnung (2006, 21– 24, 133 ff., 142 f.) als Fälle der hier angesprochenen Identifikationsthese.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Texte anbetrifft, so liegen einerseits Stellen vor, welche nahe legen, dass er die nach der Universalisierung moralisch qualifizierte Maxime und die ethische Gesinnung gleichbedeutend oder gerade so behandelt, dass jene diese in sich beinhaltet. Exemplarisch sei auf die zwei folgenden Aussagen hingewiesen: „eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Werth nicht in der Absicht, welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird“ (GMS IV 399, 35 ff.; Hv. R. M.). „Die Übereinstimmung einer Handlung mit dem Pflichtgesetze ist die Gesetzmäßigkeit (legalitas) – die der Maxime der Handlung mit dem Gesetze die Sittlichkeit (moralitas) derselben“ (MS VI 225, 31– 34; Hv. R. M.; s. auch GMS IV 435, 15 f.; IV 435, 25; KpV V 27, 7– 19; 86, 3). Andererseits liegen aber auch zahlreiche Stellen vor, in denen Kant die Maximen mit der ethischen Gesinnung gar nicht in Verbindung bringt. So spricht er etwa im Ersten Abschnitt der Grundlegung – in dem Beispiel „sein Leben zu erhalten“ – von einer Maxime, die „zwar pflichtmäßig“, also nach der Universalisierung moralisch qualifiziert ist, jedoch ohne „moralischen Gehalt“, und eben deshalb ohne moralischen „inneren Wert“ (GMS IV 397, 36 – 398, 1). Darüber hinaus spricht Kant z. B. von „klüglich(er)“ Maxime (GMS IV 402, 16 – 30), des Weiteren von „den Maximen, die sich auf Bedürfnis und Neigung fußen“ (IV 405, 26; vgl. KpV 33, 30 – 33; 36). In der zweiten Kritik bezeichnet er einen unheiligen, d. h. menschlichen Willen als denjenigen, der „dem moralischen Gesetze widerstreitenden Maximen fähig wäre“ (KpV V 32, 20 f.). Ferner sieht er sogar den Grund dafür, dass es Maximen gibt und sie nur „auf endliche Wesen angewandt werden“ können, eben in dieser Nichtübereinstimung mit dem objektiven Gesetz (KpV V 79, 28 – 32). Sollen nun die Maximen jederzeit mit dem obersten Bestimmungsgrund identisch sein bzw. den obersten Bestimmungsgrund des Handelnden als ein konstitutives Element in sich beinhalten, so ergeben sich daher zweierlei Möglichkeiten: (i) entweder erfolgt dies in Verbindung mit der guten, d. h. ethischen Gesinnung oder (ii) mit dem letzten, nicht-ethischen Bestimmungsgrund des Willens (Neigungsantriebe). Doch es zeigt sich in beiden Fällen, dass die Identifikationsthese nicht haltbar ist. Wir haben in Teil II gesehen, dass Kant aus transzendentalkritischen Gründen jeden epistemischen Zugang des Menschen zu dem letzten ethischen Bestimmungsgrund seiner Handlungen verneint; die eigene ethische Gesinnung bleibt dem Menschen „unerforschlich“ (KrV A 551/B 579 Fn.; GMS IV 407, 1– 16; Gemeinspruch VIII 284, 22– 33; TL VI 392, 30 – 33; Religion VI 61, 33 – 37; 71, 5 – 20; 69 Fn.) – dies habe ich dort als ethische Motivagnosie bezeichnet.⁴⁸ Dabei ist wichtig,

 Dies soll von einer weiteren systematischen These Kants scharf getrennt werden, welche er vor allem in der Religion aufstellt. Wenn Kant dort etwa im Ersten Stück auch davon spricht, dass

2 Maximen und der oberste Bestimmungsgrund des Willens

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dass Kants These ausschließlich den letzten ethischen Bestimmungsgrund des Willens betrifft. Die Motivagnosie macht nämlich bei Kant nur dann Sinn, wenn es um die Nichterfahrbarkeit des Nichtseins der gesamten möglichen konkurrierenden Naturantriebe einerseits und die Unmöglichkeit der Anschauung des Noumenalen andererseits bei einer guten Handlung geht (s. Teil II, Kap. 3.1). Nur wenn es um den Fall geht, ob die Handlung tatsächlich rein aus Pflicht geschehen ist, kommt die Problematik der Motivagnosie zum Tragen. Ist also die Identifikationsthese gültig, so würde sie zunächst nicht im Fall der Naturantriebe (oben (ii)), sehr wohl aber im Fall einer ethischen Gesinnung (i) ein ernsthaftes Problem darstellen: Sollten die moralisch erlaubten Maximen mit der ethischen Gesinnung identisch sein bzw. sie notwendigerweise in sich tragen, so würde dies aufgrund der ethischen Motivagnosie zur Agnosie der Maximen selbst führen; eine moralisch gute Maximensetzung würde damit unmöglich. Doch dieses Problem zeigt seinerseits, dass die Identifikationsthese auch im Fall (ii) auf unplausible Konsequenzen bezüglich der dijudikativen Leistung des Kategorischen Imperativs hinausläuft. Da der oberste Bestimmungsgrund einer moralrelevanten Handlung nach Kant erstens exhaustiv entweder aus Pflicht oder aus Naturantrieben besteht, und da er zweitens als oberste motivationale Instanz nur ein einziger Grund sein kann (s. Teil I, Ende Kap. 2.2), so würde die Identifikationsthese im Fall (ii) angesichts der ethischen Motivagnosie, also des Ausschlusses der moralisch guten Maximensetzung, bedeuten, dass die Menschen dann faktisch nur Maximen haben können, welche eine Neigung als den obersten Bestimmungsgrund enthalten. Dies bedeutet aber nach Kants Theorie der bösen Gesinnung, d. h. der Umkehrung „sittliche(r) Ordnung in Ansehung der Triebfedern einer freien Willkür“ (Religion VI 29 f.), wiederum, dass das Ergebnis des Prüfverfahrens des Kategorischen Imperativs jederzeit nur zeigen kann, dass alle unseren Maximen, auch die universalisierbaren, also legalen Maximen, böse sind. Kurz: die Identifikationsthese bzw. jede Annahme, dass der oberste Bestimmungsgrund des Willens für die Maximen als solche konstitutiv ist, würde sowohl

uns der „erste Grund der Annehmung guter, oder der Annehmung böser (gesetzwidriger) Maximen“ unerforschlich bleibt, so ist dies nicht mit der Frage nach dem immanenten Verhältnis der Maxime zu dem ultimativen, ethischen Bestimmungsgrund des Willens zu verwechseln. Kant spricht dort vielmehr gleichsam auf einer Stufe zweiter Ordnung. Er antwortet auf die Frage: Warum nehmen Menschen überhaupt gute bzw. böse Maximen an (vgl. auch Religion VI 21 Anm.)? Hier geht es also um den ersten subjektiven Grund der Annehmung dieser oder jener guten bzw. bösen Maxime, darum also, was überhaupt der Grund ist, dass Menschen moralisch ausgerichtet sind, nicht darum, dass das endgültige Bewusstsein des letzen ethischen Bestimmungsgrundes einer eigenen Handlung unmöglich ist.

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alle guten Maximen als solche epistemisch unmöglich machen (i), als auch heißen, dass wir dann faktisch nur böse Maximen haben (ii). ⁴⁹ Nun fragt es sich, worin dann die Relevanz der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs für die Moralität besteht? Hier ist es entscheidend zu sehen, dass die Nicht-Identifikation der Maxime mit dem obersten Bestimmungsgrund des Willens nicht etwa die exekutive Funktion des Kategorischen Imperativs betrifft, sondern lediglich seine dijudikative Leistung, die Universalisierung.⁵⁰ Die definitive Einschätzung der eigenen bzw. der fremden ethischen Gesinnung lässt sich zwar nach Kant nicht durch eine (sei es interne oder externe) Beurteilungsinstanz verwirklichen; ein allgemeines Testverfahren der ethischen Gesinnung kann es nach Kant für den Menschen als sinnlich bedingtes Wesen nicht geben. Oder deutlich gesagt: Das Ergebnis des Prüfverfahrens des Kategorischen Imperativs macht an sich die Handelnden weder ethisch gut noch böse. Vielmehr besteht die exekutive Funktion des Kategorischen Imperativs für Kant in einem kontemplativen Verfahren der ständigen Selbstprüfung, in einem „Nosce te ipsum“. Damit fordert der Kategorische Imperativ eine stets zu bewahrende Aufrichtigkeit und approximative „rechtmäßige Selbstschätzung“ der tatsächlichen Triebfeder einer eigenen Handlung (s. TL VI §§ 14 f., 441 f., §§ 21 f.; ausführlich Vigilantius XXVII 608 f.). Eine Maxime, um überhaupt eine Maxime zu sein, muss also weder mit dem obersten Bestimmungsgrund des Willens (der Gesinnung) gleichgesetzt werden⁵¹ noch ihn jederzeit in bewusster Weise beinhalten. Das zeigt sich auch deutlich,wenn wir die Frage stellen: Wenn der oberste Bestimmungsgrund des Willens in einer

 Auch im Fall der bösen Maximen scheint Kant die Möglichkeit der Gewissheit über den letzten Bestimmungsgrund, die „Bösartigkeit (vitiositas, pravitas)“ bzw. die „Verkehrtheit (perversitas) des menschlichen Herzens“, zu bezweifeln (Religion VI 29 f.; vgl. 20, 22– 34; VAG XXIII 142, 9 – 25: s. bereits Powalski XXVII 207).  Eine bloß auf die dijudikative Leistung des Kategorischen Imperativs ausgerichtete Interpretation finden wir bereits bei Rehbergs Rezension der zweiten Kritik. Seine Rezension führte ihn zu der Unmöglichkeit der reinen praktischen Vernunft als Bestimmungsgrund der freien Willkür und damit einer Ablehnung der Achtung vor dem Gesetz als eines moralischen Gefühls sui generis. Rehberg ist der Auffassung, dass stets ein Lustgefühl die Befolgung des Sittengesetzes begleitet und diese antreibt; dabei verkürzt er den Kategorischen Imperativ als ein bloßes principium diiudicationis auf den „Satz des Widerspruchs“ als „das oberste Principium cognoscendi der reinen Sittlichkeit“ (Rehberg 1828, 62– 85; vgl. Schulz 1975, 16 ff.). Rehberg hat damit den Kategorischen Imperativ mit einem Prinzip der Beachtung des Satzes vom Widerspruch in unseren Willensentscheidungen gleichgesetzt, was das systematische Ergebnis seiner Ablehnung des exekutiven Aspekts des Kategorischen Imperativs einerseits und andererseits seines Leibniz-Wolffianischen Vertrauens war, dass der Widerspruchssatz einen sowohl notwendigen als auch hinreichenden Grund zur Erkenntnis des Sittlichen bietet (vgl. Schulz 1975, 40, 44 ff.).  Vgl. ähnlich Allisons Kritik an O’Neill (1990, 93; anders aber Timmermann 2003, 167 f.).

3 Zwischenbilanz

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Maxime bereits präsent wäre, warum würde dann der Handelnde überhaupt seine Maxime dem Universalisierungstest unterziehen wollen? Er handelt ja ohnehin aus dem letzten motivierenden Grund; es bleibt dann nämlich per definitionem dem Handelnden gleichgültig, ob seine Maxime universalisierbar ist oder nicht. Und sollte ihm dies nicht gleichgültig sein, so würde der fragliche Bestimmungsgrund eben nicht mehr der oberste motivierende Grund seines Willens sein. Der Kategorische Imperativ hat hier also vielmehr die exekutive Funktion, den Handelnden erst auf seine Gesinnung aufmerksam zu machen; dies kann aber angesichts der NichtIdentifikation der Maxime mit der Gesinnung nur auf kontingente Weise erfolgen. Indem man sich für den Universalisierungstest seines Handelns entscheidet, erweist man eben die Bereitschaft, seine Maxime einer höheren Bedingung unterzuordnen; es besteht aber keine Gewissheit, dass dies einen endgültigen Punkt erreicht.

3 Zwischenbilanz Es liegen also zwei interpretatorische Extreme vor, die einer adäquaten Deutung des Verhältnisses der Maximen zum Kategorischen Imperativ – und ebenso zum allgemeinen Rechtsprinzip – gleichermaßen entgegenstehen können: Zum einen eine moralneutrale Auffassung der Maximen, bei der jede beliebige, auch moralirrelevante Regel zur Maxime erhoben und dem Verallgemeinerungsverfahren des Kategorischen Imperativs unterzogen wird. Diese Auffassung entzieht das Worumwillen der moralischen Dijudikation dem obersten, apriorischen Moralprinzip Kants. Sie macht dieses von Beginn an als ein Beurteilungsprinzip entweder vollkommen dysfunktional oder verwickelt es in interpretatorische Schwierigkeiten, die in keiner Weise sachgerecht sind. Zum anderen eine sozusagen gesinnungsbehaftete Auffassung von Maximen, bei der der oberste Bestimmungsgrund des Willens, die Gesinnung des Handelnden, mit der Maxime unmittelbar identifiziert bzw. als ein konstitutives Moment derselben betrachtet wird. Diese Auffassung macht angesichts Kants These der ethischen Motivagnosie und seiner Theorie des Bösen nicht nur den Maximenbegriff selbst unmöglich, sondern muss dazu führen, dass Maximen letztendlich moralisch immer verwerflich sind. Sie macht damit auch das ganze moralische Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs untauglich. Außerdem blendet diese Auffassung einen wichtigen Aspekt der Moralphilosophie Kants aus. Nach ihr werden alle Maximen, die pflichtmäßig sind, aus dem evaluativen Bereich der Kantischen Ethik verbannt.⁵²

 Denn auch wenn wir Kants systematische, hier entscheidende These der ethischen Motiv-

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Es sind in der Auseinandersetzung mit diesen Interpretationen bislang zugleich drei wichtige Punkte bezüglich des Verhältnisses des Kategorischen Imperativs zu den Maximen entwickelt worden, welche für die Untersuchung des Verhältnisses der Maximen zum allgemeinen Rechtsprinzip in den nächsten zwei Hauptkapiteln von Bedeutung sind: Die Unterscheidung des dijudikativen und des exekutiven Aspekts des Kategorischen Imperativs in seinem Verhältnis zu den Maximen; die These, dass Maximen in dem Beurteilungsverfahren des Kategorischen Imperativs als ratio cognoscendi der Pflichten gelten (oben Kap. I) und zuletzt die Nicht-Identifikation der Maximen mit der Gesinnung (das vorherige Kapitel). Nach diesen Punkten ist den Maximen – entsprechend der Doppelrolle des Kategorischen Imperativs als eines principium diiudicationis und als eines principium executionis – nicht allein die Angabe des Gegenstands des Beurteilungsprinzips überantwortet. Maximen fungieren in der Verbindung mit dem Kategorischen Imperativ auch als eine quasi-exekutive Vorleistung des an der Moralität interessierten Handelnden. Es ist deshalb wichtig, die dijudikative Rolle der Maximen nicht mit ihrer exekutiven Dimension zu vermengen. Im letzteren Fall sind die Maximen vielmehr der Adressat des Kategorischen Imperativs in einem selbstgerichteten, interrogativen Modus. Eine Prüfung der Moralität der Handlungen ist nicht von dem Universalisierungsverfahren als solchem zu erwarten, sondern von einem kategorischen Interrogativ an sich, in einer reflektiven Offenlegung der eigenen Handlungsgründe für den Handelnden selbst, welche nur in einer Annäherung zu bzw. Entfernung von der wahrhaft sittlichen Gesinnung erfolgen kann.⁵³ Auf der anderen Seite bedeutet aber der dijudikative Aspekt der Maximen als ratio cognoscendi der Pflichten ebenso wenig, dass diese in einen ethisierenden Eingriff in das Innere der Moralsubjekte münden. Die Beurteilungsfunktion des Kantischen Moralprinzips kann daher in einer scharfen Trennung von ihrer exekutiven Funktion allein der moralischen Normenbestimmung dienen. So lassen sich also die Maximen in dijudikativer Hinsicht aufgrund ihrer Nicht-Identifikation mit der Gesinnung als der (genuine) Beurteilungsgegenstand kategorischer Prinzipien, d. h. als ratio cognoscendi der Pflichten, moralitätsneutral, und daher allein im Kontext ihrer Legalität betrachten,⁵⁴ deren Be-

agnosie ausklammern, führt diese Auffassung dazu, dass unsere Maximen entweder strikt moralisch ideal oder böse sind.  Bei der Befolgung der Moralität geht es Kant um eine approximative Bestimmung, darum, „ein Maximum [zu] denken“, eben eine Handlung aus Pflicht, um danach zu wissen „wie weit ich davon entfernt oder wie nahe ich demselben bin“ (Moral Mrongovius II, XXIX 604 f.).  Dies gilt sogar für die direkten Maximengebote der Tugendpflichten. Denn auch sie können bloß legal (pflichtmäßig) befolgt werden (ethische Legalität; s. Teil II, Kap. 4.2).

4 Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip

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urteilung – im Gegensatz zum Ergebnis der exekutiven Funktion des Kategorischen Imperativs – mit Gewissheit ausfallen kann (vgl. Teil II, Kap. 4.4).

4 Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip und die Maximen „Die Gerechtigkeit sucht alle maximen auf die öffentliche zu führen. Stumme Grundsätze und schreyende Ungerechtigkeit Maximae dissimulandae“ (Refl. 7820 XIX 526).

Die Frage nach der systematischen Verbindung zwischen dem allgemeinen Rechtsprinzip und den Maximen mag bei Kant-Kennern von Beginn an Misstrauen erwecken, auch wenn sie der Kant-Literatur nicht ganz fremd geblieben ist (etwa Scheffel 1982, 192 ff.; Baum 2004, 31 f.). Typischerweise und zu Recht berufen sich die Kant-Interpreten gegen diese Fragestellung darauf, dass die Kantische Rechtslehre gerade von den Privatzwecken und Gesinnungen der Rechtssubjekte abstrahiert, dass das oberste bzw. allgemeine Prinzip des Rechts bei Kant ein Prinzip des äußeren Willkürgebrauchs ist und sich damit allein auf die äußeren Handlungen und nicht etwa auf innere Maximen bezieht. In Teil II, Kap. 3 wurde ebenso in diese Richtung argumentiert und sogar durch eine gleichsam ‚double envelopment‘-Strategie dargelegt, dass sowohl aus freiheitstheoretischen Gründen, als auch aus den in der Transzendentalen Ästhetik verankerten erkenntnistheoretischen Gründen jeder Eingriff in das Innere der Rechtssubjekte und jede Zwecksetzung für sie durch die äußere Freiheitsgesetzgebung bzw. die Rechtsgesetze für Kant nicht nur verboten, sondern auch transzendental unmöglich ist. Doch die Frage nach dem Verhältnis des allgemeinen Prinzips des Rechts zu den Maximen zielt in diesem Kapitel über diese Grundannahmen hinaus auf etwas Anderes ab. Meine Fragestellung befasst sich hier vielmehr damit, ob den Maximen als dem nach Kant einzigen adäquaten Gegenstand des moralischen Beurteilungsverfahrens auch beim allgemeinen Rechtsprinzip, und zwar unerachtet dessen, was die Motive der einzelnen Rechtssubjekte in der Befolgung bzw. Nichtbefolgung rechtsmoralischer Forderungen ausmacht, ein systematischer Stellenwert zuteil wird. Im Folgenden möchte ich also aufbauend auf den bisherigen Bestimmungen des Maximenbegriffs untersuchen, ob und wie das allgemeine Rechtsprinzip Kants als das oberste Beurteilungsprinzip der Rechtspflichten bzw. der Legalität der rechtsrelevanten Handlungen in einer

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

systematischen Verbindung mit den Maximen als ratio congnoscendi der Pflichten steht. Um einigen Missdeutungen vorzubeugen, gilt es vorab folgende Punkte noch einmal zu betonen, welche bereits in Teil I und insbesondere in Teil II der vorliegenden Arbeit entwickelt worden sind: Das allgemeine Rechtsprinzip wird im Folgenden in seinem Verhältnis zu den Maximen allein als ein dijudikatives, von dessen exekutivem Moment abstrahiertes Prinzip behandelt. Darüber hinaus wird dieses Prinzip in diesem Zusammenhang hauptsächlich unter einer pflichtentheoretischen Hinsicht betrachtet. Dabei wird es also nicht etwa auf die Maximen als die Bezugspunkte der äußeren Gesetzgebung ankommen, sondern vielmehr auf die innere pflichtentheoretische Genese der Rechtsverbote in der Verbindung der Maximen mit dem allgemeinen Rechtsprinzip. Das allgemeine Rechtsprinzip wird also hier als das oberste Prinzip des Systems oder Inbegriffs der Rechtspflichten und nicht des Systems oder Inbegriffs der äußeren Gesetzgebung zum Thema gemacht.⁵⁵ Abgesehen von dieser thematischen Einschränkung stellt sich selbstverständlich auch die Frage, ob die systematische Verbindung zwischen dem allgemeinen Rechtsprinzip und den Maximen in Kants Texten überhaupt einen Anhaltspunkt erfährt. Ich möchte daher zunächst auf einige Stellen aufmerksam machen, welche diese Frage bejahen. Vier unterschiedliche Typen von Textpassagen lassen sich bei Kant bezüglich des hier in Frage stehenden Verhältnisses ausfindig machen, wobei ich weder auf deren Vollständigkeit Anspruch erhebe, noch sie in ihren charakteristischen Zügen scharf auseinander halten möchte. 1. Die Stellen, die überhaupt den Zusammenhang der Rechtslehre mit den Maximen thematisieren: „Die Rechtslehre hatte es blos mit der formalen Bedingung der äußeren Freiheit (durch die Zusammenstimmung mit sich selbst, wenn ihre Maxime zum allgemeinen Gesetz gemacht wurde), d. i. mit dem Recht, zu thun“ (TL VI 380, 19 – 22; Hv. R. M.). „Recht iustum ist diejenige freye Handlung deren Maxime mit der Freyheit von Jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kan. – Das Recht (scientia) ist der Inbegrif der Gesetze nach denen was Recht oder Unrecht sey bestimmt wird“ (VARL XXIII 262, 3 – 6; Hv. R. M.)

 Nach einer perspektivischen Zweiteilung, die ich in Teil II (Kap. 2 ff.) eingeführt habe, lässt sich das oberste Prinzip der Rechtslehre einerseits aus der Perspektive der Gesetzgebung, andererseits aus der der Pflichtentheorie betrachten. Solange wir aus der Perspektive der Gesetzgebung heraus das Verhältnis der Rechtslehre zu den Maximen betrachten, sind sie als subjektive Grundsätze aus dem Bereich der Rechtslehre verbannt; der Bezugspunkt bzw. der Adressat der rechtlichen Gesetzgebung ist eben nicht die Maxime, sondern die äußere Handlung.

4 Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip

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„Pflicht hat also die Nothwendigkeit solcher Maximen die zur allgemeinen Gesetzgebung taugen zur Bedingung der Willensbestimmung zu machen zum Grunde – die Einschränkung der Handlungen die wir wollen auf die Bedingung solcher Maximen giebt die Rechtslehre, die Nothwendigkeit der Maximen selbst zu solchen Handlungen die Tugendlehre“ (VATL XXIII 382, 17 ff.; Hv. R. M.).⁵⁶

Auffällig ist bei diesen Zitaten, dass Kant auf einer definitorischen Ebene die Rechtslehre selbst mit den Maximen verbindet. 2. Die Textpassagen, die ebenso auf einer definitorischen Ebene rechtliche bzw. unrechtliche Handlungen und Maximen miteinander verbinden, etwa: „Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ (RL VI 230, 29 ff.)⁵⁷ „Diejenige Handlung, deren Maxime unmöglich öffentlich gesetzt werden kann, ist unrecht.“ (Refl. 7823 XIX 527).⁵⁸

3. Die Textpassagen, die auf die Anwendung der Maximen als eines Erkenntnisgrundes im rechtlichen Bereich hinweisen, etwa: „Was ist aber nun nach Begriffen des Völkerrechts, in welchem wie überhaupt im Naturzustande ein jeder Staat in seiner eigenen Sache Richter ist, ein ungerechter Feind? Es ist derjenige, dessen öffentlich (es sei wörtlich oder thätlich) geäußerter Wille eine Maxime verräth, nach welcher, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht würde, kein Friedenszustand unter Völkern möglich, sondern der Naturzustand verewigt werden müßte.“ (RL VI 349, 19 – 25; Hv. R. M.) „Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als das Meine zu haben; d. i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objectiv) herrenlos (res nullius) werden müßte, ist rechtswidrig.“ (RL VI 246, 5 – 8) „‚Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind unrecht.‘ Dieses Princip ist nicht bloß als ethisch (zur Tugendlehre gehörig), sondern auch als juridisch (das Recht der Menschen angehend) zu betrachten. Denn eine Maxime, die ich nicht darf lautwerden lassen, ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus verheimlicht werden muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht öffentlich bekennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand Aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde, kann diese nothwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende Gegenbearbeitung Aller gegen mich nirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeit her haben, womit sie jedermann bedroht.

 Vgl. VATL XXIII, 376, 16 f.  Hierzu zählt natürlich auch das zweite Zitat unter Nummer 1 oben, VARL XXIII 262, 3 f.  S. etwa auch Refl. 7818 XIX 525 f.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

– Es ist ferner bloß negativ, d. i. es dient nur, um vermittelst desselben, was gegen Andere nicht recht ist, zu erkennen“ (Frieden VIII 381, 24– 36; Hv. R. M.).⁵⁹

Diese Zitate sind insofern von Bedeutung, als sie Bezug nehmend auf das Universalisierungsverfahren auf die Rolle der Maximen als eine ratio cognoscendi zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit Hinweis geben. Kant betont hier mit den Maximen, die sich nicht ohne Widerspruch laut äußern lassen (s. „Maximae dissimulandae“; Refl. 7820 XIX 526, 16), die gerechtigkeitstheoretische Funktion des Maximenbegriffs und dessen Rolle als Gegenstand eines Erkenntnisprinzips.⁶⁰ Die Maximen sind jedenfalls in dieser Funktion „bloß negativ“, d. i. nur dazu dienlich, das iustum bzw. iniustum „zu erkennen“. 4. Und schließlich diejenigen Textpassagen, welche das oberste bzw. allgemeine Rechtsprinzip selbst als ein maximenbezogenes Beurteilungsprinzip präsentieren: „Allgemeines Princip des Rechts. Eine jede Handlung ist recht, die oder [⁶¹] nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ (RL VI § C, 230, 28 – 31; Hv. R. M.). „[V]om formalen [Prinzip], d. i. demjenigen (bloß auf Freiheit im äußern Verhältniß gestellten), darnach es heißt: handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein, welcher er wolle). […] das letztere Princip […] hat als Rechtsprincip unbedingte Nothwendigkeit, […, und ist das] formale(.) Princip der Maximen äußerlich zu handeln“ (Frieden VIII 377, 2– 11; Eckklammer und Hv. R. M.). „Das principium der rechtlichen Pflicht ist: ich muß so handeln, als wenn meine maximen eben so von jedermann wie von Gott gesehen würden.“ (Refl 7822 XIX 525; Hv. R. M.)

 Vgl. etwa auch: „Jedermann kann der Freiheit des anderen widerstehen, sobald sie der seinigen, die mit der Freiheit von Jedermann zusammen bestehen kann, Abbruch thut, und die Zwangsfreiheit, die dem Zwangsrecht entgegen steht, bestimmt sich dahin: | handle so, daß deine Freiheit mit der Freiheit von Jedermann nach den allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann. NB. Dies heißt: die maxime, die bey dem Gebrauch deiner moralischen Zwangshandlung zum Grunde liegt, muß so beschaffen seyn, daß sie zum allgemeinen Gesetz qualificirt ist.“ (Vigilantius XXVII 525 f.; Hv. R. M.); „Das was man sich nicht getraut öffentlich als seine Maxime anzukündigen und dessen Ankündigung der Maxime sich selbst vernichten würde ist dem öffentlichen Recht zuwieder.“ (VARL XXIII 346, 8 ff.; Hv. R. M.)  Vgl. „Man kann es als einen Grundsatz des allgemeinen Naturrechts annehmen: handle nach Maximen die auch als Gesetze des öffentlichen Rechts gelten können“ (VARL XXIII 346, 32– 34; Hv. R. M.).  Zur Interpretation dieser Konjunktion s. folgendes Kapitel.

4 Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip

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Da nun die definitorische Verbindung der Rechtslehre bzw. des Rechts und Unrechts mit den Maximen (1, 2) im Grunde (ähnlich wie bei 3) auch auf eine Erkenntnisrolle hinweist, die die Maximen spielen, so können wir anhand obiger Textpassagen insgesamt von der Rolle der Maximen als eines Erkenntnisgrundes für die Feststellung und Beurteilung rechtlicher Forderungen sprechen, deren oberstes Prinzip eben das allgemeine Rechtsprinzip ist (4). Dadurch wird gerade bestätigt, dass die Hauptfrage dieses Kapitels in Kants Texten eindeutig einen Anhaltspunkt erfährt. Bevor ich mich näher damit befasse, sei daran erinnert, dass nach Kant alle (äußeren) Rechtspflichten negativ ausfallen; sie fordern nämlich die Unterlassung einer rechtswidrigen Handlung. Das,was nach dem allgemeinen Rechtsprinzip als rechtsrelevant erkannt bzw. beurteilt wird, ist also eine verbotene Handlung. Doch auf welche Art verbietet das allgemeine Rechtsprinzip diese Handlungen und wie lassen sich die einzelnen Rechtspflichten, die aus diesem Prinzip hervorgehen, feststellen? Bereits in den §§ A – B der Einleitung in die Rechtslehre macht Kant deutlich, dass es ihm in seiner Rechtsphilosophie auf „die unwandelbaren Principien“ (RL VI 229, 15) ankommt, auf „das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne“ (VI 229, 25 f.; Hv. R. M.). Um an Kants bekannte Metapher anzuschließen:⁶² Er sucht die Grundlage der rechtsmoralischen Beurteilung durch einen „Kopf“ mit „Gehirn“ zu „errichten“, eine „Quelle“ der Erkenntnis des Rechts und Unrechts zu finden (RL VI 230, 1– 6). Mit seiner Metapher spielt Kant nicht nur auf den dijudikativen Aspekt des allgemeinen Prinzips des Rechts an, sondern auch auf dessen dynamische Leistung für die Rechtspflichten. Denn das allgemeine Prinzip des Rechts in § C der Rechtslehre ist offensichtlich das oberste solcher allgemeiner Kriterien und unwandelbarer Prinzipien des Rechts. Es ist das oberste Erkenntnisprinzip dessen, was Recht bzw. Unrecht ist. Nun wissen wir, dass bei Kant ein moralisches Beurteilungsprinzip – worum es übrigens auch in der Einleitung in die Rechtslehre geht, denn sie handelt ja vom moralischen Begriff des Rechts (VI 230, 7 f.) – durch die Universalisierung einer Handlungsmaxime und ihre Prüfung auf die Denk- und Wollensmöglichkeit hin funktioniert (GMS IV 424). Der Gegenstand, an dem dieses Prüfverfahren ausgeübt wird, ist nämlich die Maxime, und zwar, wie gesehen, als ein praktischer Satz, der bereits moralrelevant ist und nicht etwa bloß erlaubt. Darüber hinaus wurde bereits dargestellt (s. Teil II, Kap. 4.3), dass Kant gerade gemäß diesem Verfahren

 „Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus’ Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur Schade! daß er kein Gehirn hat.“ (RL VI 230, 4 ff.)

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

bestimmen kann, welche Pflichten vollkommen, d. h. verbietend sind, also Handlungen als solche betreffen, und welche Pflichten unvollkommen, auf Handlungszwecke gerichtet sind. Wenn also das allgemeine Rechtsprinzip das oberste bzw. „allgemeine Kriterium“ darstellt, „woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne“ und als eine Quelle rechtsmoralischer Beurteilung gilt,wonach die äußeren Rechtspflichten abgeleitet werden können, so ist die Frage, ob auch dieses Prinzip, genauso wie die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs, mit Maximen operieren soll. Es ist entscheidend, bei dieser Frage entsprechend der Unterscheidung zwischen dem exekutiven und dem dijudikativen Aspekt moralischer Prinzipien zwischen dem Gegenstand einer moralischen Verpflichtung und dem Gegenstand der moralischen Erkenntnis und Beurteilung zu differenzieren: zwischen dem, was der Bezugspunkt einer Verpflichtung ist (und das kann nach Kant entweder die Maxime selbst oder eine äußere Handlung sein, s. T. II, Kap. 4.3), und dem, wodurch sich die Pflichtklassen erkennen bzw. beurteilen lassen. Unbestritten und damit unberührt bleibt, dass die Rechtsverpflichtung und ihr oberstes Prinzip, im Gegensatz zur Ethik2 (s. Teil II, Kap. 4.1) und den vollkommenen inneren Pflichten, äußere und reziprok schuldige Handlungen zum Gegenstand hat und nicht etwa die Maximen oder Handlungen, die primär eine selbstbezügliche Forderung an das einzelne Subjekte darstellen. Doch gelten auch äußere, reziprok schuldige Handlungen ohne Bezug auf ihre Maximen als möglicher Gegenstand der moralischen Erkenntnis bzw. Beurteilung der Rechtsforderung? Lässt sich anhand einer äußeren Handlung als solcher, d. h. losgelöst von einer möglichen Maxime, überhaupt beurteilen bzw. erkennen, dass es dabei um eine moralrelevante Handlung, und sodann um eine vollkommene Verbindlichkeit geht? Betrachten wir zuerst Kants (rechtliches) Beispiel des falschen Versprechens aus der Grundlegung. Eine bloße Handlung als solche wäre hier per analysin zunächst die äußere Tatsache, dass zumindest zwei Personen in einer asymmetrischen Relation miteinander verbunden sind. Die Asymmetrie soll nämlich in einer Schuldigkeit des Einen gegenüber einem Anderen bestehen. Woher wissen wir aber, dass es sich um eine Schuldigkeit handelt? Dies können wir erst erkennen, wenn wir wissen, dass der Eine dem Anderen versprochen hatte, das geborgte Geld zurückzuzahlen. Woher aber wissen wir dann wiederum, dass es sich bei dem Fall, dass das Geld nicht zurückgezahlt wird, um etwas handelt, welches überhaupt eine moralische Relevanz hat und der Ausfall der Rückzahlung nicht aus anderen, moralirrelevanten Gründen geschehen ist? Das erkennen wir wiederum erst, wenn wir wissen, dass der Borgende bewusst und absichtlich, also durch den Akt seiner freien Willkür, ein Versprechen gegeben hat, welches er (von vorneherein) nicht halten will. Worauf aber deutet dies hin? Wohl nicht auf eine isoliert beobachtete, bloß äußere Handlung. Es weist vielmehr gerade auf einen subjektiven Grundsatz

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hin: Dass man die Neigung hat (s. GMS IV 422, 18 f., um sich etwa „aus Verlegenheit“ zu ziehen oder aus Geldnot zu befreien usw.), einem Anderen ein Versprechen zu geben, welches man bewusst und absichtlich nicht halten will. Bei diesem Grundsatz tut man dem Anderen Unrecht, und zwar darum, weil dieser sich nicht ohne Denkwiderspruch universalisieren lässt. Nehmen wir ein weiteres rechtsrelevantes Beispiel: Mord. Die bloß beobachtbare äußere Handlung als solche besteht hier in einem Töten. Die isoliert betrachtete, bloße Handlung des Tötens kann uns jedoch für sich genommen gar nicht mitteilen, dass es sich zugleich um einen Mord, d. h. um die Verletzung einer vollkommenen Pflicht gegen Andere handelt und nicht um einen beispielsweise unabsichtlichen Schlag, ein unzurechenbares Geschehnis.⁶³ Hier muss die bloß äußere Handlung vielmehr auf einen Grundsatz zurückgeführt werden, damit nicht nur ein moralrelevantes Erkenntnis daraus hervorgehen kann, sondern auch sie überhaupt universalisierungsfähig wird. Denn was würde es für einen praktisch relevanten Sinn machen, das bloße Töten des Einen durch den Anderen zu universalisieren? Eine im praktischen Sinn relevante Universalisierung ist nur dann möglich, wenn wir die bloß äußere Handlung als einen freien Akt der Willkür betrachten, etwa bei dem subjektiven Grundsatz, dass man um einer Neigung willen, um dieses oder jenes zu erreichen, absichtlich einen Anderen tötet. Weder kann aus bloßen äußeren Handlungen auf ihre Moralrelevanz geschlossen werden, noch ist es sinnvoll, sie als solche zu universalisieren. Es sind vielmehr die Grundsätze bzw. die möglichen Maximen dieser Handlungen, die universalisiert werden müssen, damit man zu den moralrelevanten Urteilen gelangt. Für das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Prinzip zur Erkenntnis bzw. Ableitung der Rechtsforderungen kommen also im Rahmen der Kantschen Moralphilosophie allein die Maximen als möglicher Gegenstand in Frage. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass hierdurch eine Kluft entstehen würde zwischen dem, wozu das allgemeine Rechtsprinzip genuin verpflichtet, also die äußeren Handlungen als dem Bezugspunkt der Verpflichtung dieses Prinzip, und dem, worauf sich dieses Prinzip für die rechtsmoralische Erkenntnis und Beurteilung bezieht, den möglichen Maximen. Mit anderen Worten würde das allgemeine Rechtsprinzip zu etwas verpflichten, was nicht zugleich die Basis seiner moralischen Beurteilung darstellt. Doch wenn eine Maxime universalisiert wird, so geschieht dadurch nichts anderes, als sie als äußere Handlung, als den äußeren Gebrauch der Willkürfreiheit aller zu denken.⁶⁴  Vgl. Refl. 7298 XIX 305 f.; Moral Collins XXVII 289/Stark (Kaehler) 2004, 88; Vigilantius XXVII 502.  Man könnte hier beanstanden, dass nach einer rein begrifflichen Interpretation des Universalisierungsverfahrens des Kategorischen Imperativs (sog. „strict conceptual interpretation“;

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Ich möchte jetzt die These, dass das allgemeine Rechtsprinzip als das oberste Kriterium der Erkenntnis und Ableitung der Rechtspflichten ohne die Maximen als seinem Beurteilungsgegenstand nicht auskommt, anhand Kants Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips am Anfang des § C der Rechtslehre noch einmal darstellen, zumal diese Formulierung und deren Maximenbezogenheit selbst zum Gegenstand kontroverser Deutungen in der Literatur geworden ist. Kants Formulierung lautet: „Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ (VI 230, 29 f.; Hv. R. M.).

Wenn man beim Lesen der Formulierung den Satzteil „oder nach deren Maxime“ weglässt, so bleibt es gemäß den obigen Ausführungen jedoch unklar, wie zu beurteilen ist, ob „eine […] Handlung“ als solche betrachtet überhaupt im Bereich der Moral bleibt, d. h. moralrelevant ist, und noch vielmehr, ob sie als ein Fall der rechtlichen Verpflichtung gilt. Die Äußerlichkeit der Handlung allein gibt uns jedenfalls noch keine Auskunft darüber. Es ist daher problematisch, den Satzteil „oder nach deren Maxime“ in der Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips etwa als einen „Einschub“ zu bezeichnen (so aber Ludwig 1988, 95). Der ganze Nebensatz in Kants Formulierung lautet: „die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“ (RL VI 230, 29 f.; Hv. R. M.), und er ist als Ganzes für die Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips von integraler Bedeutung; es ist bspw. auffällig, dass mit der Auslassung des Satzteils „oder nach deren Maxime“ zugleich auch auf den Satzteil „die Freiheit der Willkür eines jeden“ in der Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips verzichtet werden muss. Nach den obigen Rekonstruktionen handelt es sich bei der Konjunktion „oder“ in dem Nebensatz der Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips nicht etwa um ein alternatives Oder, sondern um ein explikatives in dem Sinn, dass selbst bei der

etwa Kemp 1958 und Höffe 1979, 1989), dies nicht der Fall ist, weil dieser Interpretation zufolge sich der angebliche Widerspruch der Maxime durch eine bloße Begriffsanalyse, und nicht durch die Vorstellung der Maxime als einer äußeren Handlung, zeigt. Doch diese Interpretation sieht sich dem Problem gegenüber gestellt, dass sie dann die Universalisierung selbst überflüssig macht. Wozu sollen nämlich die Maximen universalisiert werden, wenn wir, vor allem bei den vollkommenen Pflichten, bereits durch eine bloße Begriffsanalyse ihren möglichen inneren Widerspruch ausfindig machen können?

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Beurteilung einer äußeren Handlung diese auf ihre Maxime hin geprüft bzw. unter eine Maxime subsumiert werden muss.⁶⁵ Da ich hier zum einen den exekutiven Aspekt des allgemeinen Rechtsprinzips von seiner dijudikativen Funktion unterschieden habe (was der Differenz zwischen dem Bezugspunkt bzw. Gegenstand einer moralischen Verpflichtung und dem Gegenstand der moralischen Erkenntnis und Beurteilung entspricht), so können wir jetzt diese Unterscheidung auch bezüglich der Maximen selbst in ihrer Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsprinzip definieren. Nach dem ersten Aspekt ist die Maxime als eine ratio agendi zu sehen, welche bei der Rechtslehre als Lehre der äußeren Gesetzgebung keine Rolle spielt. Doch als Teil der Pflichtenlehre Kants benötigt die Rechtslehre (als das System der Rechtspflichten) die Maxime als ratio cognoscendi, um ihre eigene Pflichtklasse im Unterschied zu den Tugendpflichten und den vollkommenen Selbstpflichten innerhalb des gesamten Systems der Pflichten zu bestimmen. Sind die Vorbedingungen der Maximen einmal erfüllt (s. oben Kap. 1), so beschränkt sich das allgemeine Rechtsprinzip als das oberste Prinzip der äußeren Rechtspflichten nur auf Maximen, die den äußeren Gebrauch der Freiheit betreffen; es verfährt mit diesen Maximen dann solcherart, dass es sie in ihrer universalisierten Form, als äußere Handlung aller, auf ihre Selbstwidersprüchlichkeit hin prüft und so zu den (möglichen) moralischen Rechtsverboten gelangt. Entscheidend ist bei all dem Gesagten, dass nicht etwa auf eine partikuläre Beurteilung einer bestimmten Person oder Instanz Bezug genommen wird. Es geht dabei nur um eine geltungstheoretische Rekonstruktion des Verfahrens der praktischen Vernunft zur Erkenntnis von Recht bzw. Unrecht. Es handelt es sich also primär nicht um ein zeitlich betrachtetes Verfahren der Generierung von Rechtspflichten, sondern um deren begriffsgenetische Ableitung. Wer gegen die Rolle der Maximen als dem einzig adäquaten Gegenstand des moralischen Beurteilungsverfahrens gemäß des allgemeinen Rechtsprinzips Einwand erhebt, der bleibt also den Nachweis schuldig, woran sich sonst in dem Kantischen moralischen Beurteilungsmodell erkennen lässt, ob eine Handlung Recht bzw. Unrecht ist, und worin die Rechtspflichten bestehen.

 Ludwig schreibt aber zu Recht: „das Wort ‘Maxime‘ im […] ersten Satz des § C […] muß daher – wenn der ganze Satz nicht mit der Stelle MS VI 225, 31 f. kollidieren soll [damit ist die Definition der Moralität anhand der Übereinstimmung der Maximen mit dem allgemeinen Gesetz gemeint; R. M.] – als speziell auf äußere Handlungen bezogen verstanden werden: Maxime der Handlung und nicht des Handelnden“; weiter heißt es: „Jene Maxime muß dennoch als die des Handelnden gedacht werden, unabhängig von der Frage, ob sie es realiter ist“ (Ludwig 1988, 95).

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Ich möchte hier noch auf zwei unterschiedliche Interpretationen des allgemeinen Rechtsprinzips eingehen (Scheffel 1982; Willaschek 2009), welche mit meinen bisherigen Rekonstruktionen in Zusammenhang stehen, um sodann dieses Kapitel mit der Auseinandersetzung mit einem möglichen Einwand gegen die hier dargelegte Interpretation abzuschließen. Eine der wenigen Interpretationen in der Kant-Literatur, welche das Verhältnis des allgemeinen Rechtsprinzips zu den Maximen ernst nimmt, bietet Scheffel in seinem Beitrag Kants kritische Verwerfung des Revolutionsrechts von 1982 an. Scheffel bezeichnet dort das allgemeine Rechtsprinzip des § C der Rechtslehre als ein „Prinzip des Übergangs vom weiten zum engen Recht bzw. von der Ethik zur eigentlichen Rechtslehre“ (1982, 192). Diesen Mittlerstatus will er dadurch festigen, dass er einerseits Kants Version des allgemeinen Rechtsprinzips aus der Friedensschrift (als das „formale Princip der Maximen äußerlich zu handeln“; VIII 377, 11) als ein bloß ethisches Prinzip des Rechts im weiten Sinne ausdeutet (192 f.) und andererseits von dem Prinzip des engen, nicht-ethischen Rechts in § E der Rechtslehre spricht (damit ist „das stricte Recht, nämlich das, dem nichts Ethisches beigemischt ist“, gemeint; VI 232, 13 f.; s. hierzu ausführlich Teil IV). Es zeichnet sich somit also folgende Bewegungslinie in der Entwicklung der verschiedenen Versionen des allgemeinen Rechtsprinzips ab: Eine vom bloß ethischen Prinzip des weiten Rechts in der Friedensschrift über das allgemeine Prinzip des Rechts in § C zu dem engen Recht des § E der Rechtslehre (195, 197). Nach Scheffel wird dann das „rein ethische Prinzip“ des Rechts (sc. Frieden VIII 377) „zum erstenmal“ in § C der Rechtslehre verlassen. Und so interpretiert er die Konjunktion „oder“ im Nebensatz der Formulierung des allgemeine Rechtsprinzips in § C („oder nach deren Maxime“; RL VI 230, 29), im Gegensatz zu meinem obigen Vorschlag, dahingehend, „daß es gleichgültig ist, das Rechtsprinzip als Prinzip sogar der Maximen oder als Prinzip bloß des Handelns zu denken“ (1982, 194). Man sieht also, dass Scheffels dreistufige Nachzeichnung der Entwicklung des allgemeinen Rechtsprinzips im Grunde anhand dessen jeweiliger Beziehung zu den Maximen entsteht: Während das „rein ethische Prinzip“ des weiten Rechts maximenbezogen ist, bleibt das allgemeine Rechtsprinzip in § C der Rechtslehre gegenüber der Bezugnahme auf Maximen gleichgültig, bis schließlich das nichtethische Prinzip des engen Rechts in § E der Rechtslehre die Maximen vollkommen ausblendet. Diese elegante Interpretation hat den Vorteil, dass sie das Prinzip des Rechts aus der Friedenschrift in Bezug auf die §§ C und E der Rechtslehre setzt und damit eine Gedankenbewegung Kants aufzuzeigen versucht. Sie ist aber einigen interpretatorischen Problemen gegenübergestellt, die die angenommene Linearität dieser Gedankenbewegung stören. Erstens gewinnt Kant das enge Recht des § E der Rechtslehre durch ein weiteres, allerdings analytisch gewonnenes, exekutives Element: den moralisch legitimen Zwang (§ D) (s. Teil 2, Kap. 3). Der

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Rechtsbegriff des § E wird daher von Kant angesichts der Anwendung der rechtlichen Verbindlichkeit als das völlig äußere Recht bezeichnet (RL VI 232, 13 f.). Das heißt, dem Aspekt der moralischen Dijudikation nach bleibt dieses enge Recht weiterhin vom allgemeinen Rechtsprinzip aus der Friedensschrift und des § C der Rechtslehre abhängig (s. weiter Teil IV, Kap. 3). Zudem bleibt in Scheffels Interpretation unklar, wie, wenn das oberste Prinzip des Rechts in § C der Rechtslehre als ein Übergangsprinzip betrachtet wird, es als das oberste Beurteilungsprinzip des Rechts gelten soll; denn nach Scheffel ist es ja „gleichgültig“, ob es sich auf die Maximen oder auf das Handeln selbst bezieht. Die Grundelemente der „Handlung“ und der „Maxime“ in der Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips des § C lassen sich aber nicht als eine bloße Juxtaposition betrachten (vgl. Scheffel 1982, 194) und diese dann als ein hinreichender Nachweis der Übergangsrolle dieses Prinzips heranziehen. Anders gesagt, mit Scheffels Deutung der Beziehung des allgemeinen Rechtsprinzips des § C zu den Maximen wird diesem Prinzip im Grunde jede dijudikative Übergangsrolle abgesprochen. Nicht zuletzt kann in exekutiver Hinsicht ein Rechtssubjekt allen von Scheffel thematisierten drei Prinzipen subjektiv ethisch Folge leisten, keines von diesen Prinzipien schließt dies aus. Auch in dieser Hinsicht besteht kein Grund, dem allgemeinen Rechtsprinzip des § C eine maximenbezogene Übergangsrolle zuzuschreiben.⁶⁶ Eine andere Interpretation des allgemeinen Rechtsprinzips aus § C der Rechtslehre entwickelt Willaschek (2009), welche, auch wenn sie nicht unmittelbar das Verhältnis dieses Prinzips zu den Maximen betrifft, für die Bestimmung dieses Verhältnisses von Bedeutung ist. Willaschek sieht einen Unterschied zwischen dem Kategorischen Imperativ und dem allgemeinen Rechtsprinzip darin, dass das Recht dazu auffordert, in Übereinstimmung mit einem allgemeinen Gesetz zu handeln, welches die Sphären der äußeren Freiheit dahingehend abgrenzt, dass die rechtmäßigen Handlungen einer Person mit denjenigen aller anderen nicht konfligieren, wohingegen der Kategorische Imperativ Handlungen nach einer Maxime fordert, die ein allgemeines Gesetz werden bzw. als solches gelten kann (s. 2009, 50). So schreibt er in der „Conclusion“ seines Aufsatzes: „In Kant’s formulations of the concept of right, and of the universal principle of right, the point is not that our actions have to conform with, or our maxims have to be eligible as, universal laws, but rather that the legal unification of the spheres of agency must be consistent with a universal law. […] the idea of a universal law plays a completely different role here from

 Scheffel bekennt sich zudem einerseits zur Maximenbezogenheit des Prinzips des Rechts in der Friedensschrift, andererseits spricht er aber auch diesem Prinzip ab, selbst „meine Maxime“ zu sein, obwohl er es als „rein ethisches Prinzip“ des weiten Rechts bezeichnet (1982, 193). Auch hier wird nicht deutlich, worin dann genau der Unterschied zwischen den Formulierungen des allgemeinen Rechtsprinzips in der Friedensschrift und in den §§ C und E der Rechtslehre besteht.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

that in the Categorical Imperative. What is required here to be in accordance with universal laws is not someone’s action, or its maxim, but rather the coexistence of everyone’s spheres of freedom. It is hard to see how the idea of limiting spheres of freedom in accordance with a universal law can be derived from the requirement to act on a maxim that can hold as a universal law“ (2009, 67; Hv. R. M.)

Für die Ziele dieses Kapitels sind es hier nun zwei Punkte, die eine nähere Prüfung verlangen: (i) Besteht tatsächlich ein unüberbrückbarer Unterschied, wie Willaschek meint, zwischen der Aussage, dass eine Maxime zugleich ein allgemeines Gesetz wird bzw. als solches gelten kann (Kategorischer Imperativ), und der, dass „die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“ (VI 230, 29 f.) bzw., wie Willaschek dies nicht unproblematisch interpretiert, dass „the legal unification of the spheres of agency must be consistent with a universal law“ (das allgemeine Rechtsprinzip)? Und (ii) was genau ist mit „the spheres of agency“ bzw. „the coexistence of everyone’s spheres of freedom“ (auch „spheres of external freedom“, 2009, 50) gemeint, wenn diese Sphären, wie Willaschek expliziert, weder „someone’s action“ noch „its maxim“ sind? Ad (i) Da es hier um das Recht geht, ziehen wir wieder das zweite Beispiel aus der Grundlegung, das falsche Versprechen, heran und sehen, was eigentlich beim Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs in der allgemeinen Formel geschieht, wenn ein solches Versprechen den Universalisierungstest, also den Test seiner Gesetzestauglichkeit, nicht besteht. Das falsche Versprechen kann nicht zu einem allgemeinen Gesetz werden bzw. als solches gelten, weil ein solches Gesetz unmöglich sein würde. Aber was bedeutet das genau? Abgesehen von einer rein semantischen bzw. rein begriffsanalytischen Interpretation des Universalisierungsverfahrens des Kategorischen Imperativs, die anfällig ist, die Maximenuniversalisierung selbst im Grunde redundant zu machen (etwa Höffe 1979; s. oben Fn. 64), sind sich so gut wie alle Interpretationsrichtungen darüber einig, dass, indem wir eine Handlungsmaxime universalisieren, wir uns zugleich ein Ganzes bzw. eine Welt der gegenseitigen Handlungen vorstellen, in der alle nach dieser Maxime handeln und damit auch wissen, dass alle danach handeln.⁶⁷ Wenn also das falsche Versprechen nach der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs verboten wird, so heißt dies, dass eine Welt, in der das falsche Versprechen zum Gesetz wird, in dieser Hinsicht nicht mehr möglich ist, d. h. eine solche Welt nicht bestehen kann (vgl. KpV V 27, 31 f.; 28, 7– 12; Feyerabend XXVII 1326 f.; s. bereits Stark (Kaehler) 2004, 67, vgl. 65 Fn. 49). Dies besagt wiederum soviel wie,

 S. etwa Korsgaard 1996, 78 ff.; Timmons 2006, 194 ff.; Horn/Mieth/Scarano 2007, 231– 239; s. zum Verhältnis dieses Prüfverfahrens zum allgemeinen Rechtsprinzip Teil IV, Kap. 1.

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dass die gegenseitigen Handlungen des falschen Versprechens in einer solchen Welt miteinander nicht zusammen bestehen können, und zwar darum, weil ihre Maximen zum Gesetz erhoben werden, dass also diese Handlungen nach einem allgemeinen Gesetz nicht miteinander zusammen bestehen können. Und das wiederum entspricht schließlich im Grunde genau dem, was das allgemeine Rechtsprinzip verbietet. Umgekehrt heißt es auch, dass eine Maxime, die nach dem Kategorischen Imperativ nicht verboten ist, eben eine solche ist, nach deren Universalisierung alle nach diesem allgemeinen Gesetz so handeln können, dass ihre Handlungen miteinander zusammen bestehen können. Es ist darüber hinaus wichtig zu beachten, dass der Grund, weshalb Kant das allgemeine Rechtsprinzip nicht folgendermaßen formuliert: ‚handle äußerlich so, dass die Maxime deiner Handlung ein allgemeines Gesetz werden bzw. als solches gelten kann‘, nicht darin liegt, dass es bei diesem Prinzip um eine prinzipiell andere Art der praktischen Geltung geht als bei dem KategorischernImperativ, wie Willaschek anzunehmen scheint. Kants Verzicht auf eine solche, der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs entsprechende Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips liegt vielmehr darin begründet, dass das Recht in exekutiver Hinsicht nicht so formuliert werden kann bzw. darf, und zwar darum, weil das oberstes Prinzip des Rechts kein intrasubjektives ist, sondern ein Prinzip, das allein aus der externen Perspektive formuliert werden kann bzw. darf (s. ausführlich Teil II, Kap. 4; s. auch Teil IV, Kap. 1). Das allgemeine Rechtsprinzip kann bzw. darf, solange es das oberste Prinzip der Rechtslehre ist, nicht verlangen, dass die Rechtssubjekte selbst (von Innen heraus) jeweils die Maxime ihrer äußeren Handlungen zum allgemeinen Gesetz machen, damit ihre Handlungen diesem Prinzip genügen. Sie sollen dieses Prinzip eben so befolgen, dass ihre Freiheitshandlungen äußerlich gemäß einem allgemeinen Gesetz miteinander bestehen können; eben genau so, wie es in dem allgemeinen Rechtsprinzip formuliert wird. Willaschek sieht zwar diesen Unterscheid zu Recht, dass er jedoch daraus schließen möchte, dass eine Ableitung des allgemeinen Rechtsprinzips aus dem Kategorischen Imperativ nicht möglich ist, ist unberechtigt (Willaschek 2009). Ad (ii) Was meint Willaschek mit Sphären der äußeren Freiheit, wenn er schreibt, dass es sich beim Recht, im Unterschied zum Kategorischen Imperativ, um „the coexistence of everyone’s spheres of freedom“ bzw. „unification of the spheres of agency“ nach einem allgemeinen Gesetz handelt, und dies weder als „someone’s action“ noch als „its maxim“ zu verstehen ist? Wie könnte man sich die ‚Sphären der äußeren Freiheit‘ denken, ohne dass man diese als Handlungen von irgendeinem Rechtssubjekt versteht? Noch problematischer scheint mir dann, wenn man hierauf antworten würde, dass unter Sphären der Freiheit etwa Handlungsmöglichkeiten verstanden werden. Denn dies würde prinzipiell dem Kantischen Grundverständnis vom Recht widersprechen. Kant schreibt ja mit

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Emphase in § B der Rechtslehre: „Der Begriff des Rechts, sofern er sich auf eine ihm correspondirende Verbindlichkeit bezieht, (d. i. der moralische Begriff desselben) betrifft erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß haben können. Aber zweitens bedeutet er nicht das Verhältniß der Willkür auf den Wunsch (folglich auch auf das bloße Bedürfniß) des Anderen“ (VI 230, 7– 13; Hv. R. M.). Die „coexistence of everyone’s spheres of freedom“ bzw. „spheres of external freedom“ oder „of the spheres of agency“ kann daher innerhalb des Kantischen Systems nichts anders bedeuten, als das Zusammenbestehen der freien äußeren Handlungen, die als Facta aufeinander Einfluss nehmen. Somit sind sie also doch auf Handlungen zurückzuführen und hiermit in dijudikativer Hinsicht auch auf die Gesetzestauglichkeit ihrer Maximen hin zu prüfen. Abschließend mag gegen die Argumentation dieses Kapitels der Einwand erhoben werden, dass die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs, bzw. der Kategorische Imperativ, wie wir ihn aus den ethischen Grundlagenschriften (GMS, KpV) kennen, in seiner dijudikativen Funktion (als das principium cognoscendi aller Pflichtklassen) bereits alles, was man für die Bestimmung und Ableitung der Rechtspflichten braucht, leisten kann. Mit anderen Worten, es besteht überhaupt kein Bedarf, für die Bestimmung und Ableitung der Rechtspflichten die dijudikative Rolle der Maximen für das allgemeine Rechtsprinzip geltend zu machen; zumal die Verbindung des Kategorischen Imperativs mit den Maximen, im Gegensatz zum allgemeinen Rechtsprinzip, keine zusätzliche Beweislast auf sich lädt. Dieser mögliche Einwand wird auch dadurch bestärkt, dass die Erkenntnisleistung des Kategorischen Imperativs als eines Prinzips für die vollkommenen Pflichten (worunter auch die äußeren Rechtspflichten fallen) – mit dem Kriterium der Denkmöglichkeit einer Maxime – sogar weniger Aufwand macht, als wenn er mit dem Kriterium der Wollensmöglichkeit auf die unvollkommenen Pflichten, die Pflichtzwecke abzielt.⁶⁸ Doch der Einwand beruht auf einer problematischen Annahme. Er geht davon aus, dass das oberste Prinzip des Rechts im Hinblick auf die Bestimmung und Ableitung der Rechtspflichten nichts weiter besagt als die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs in den ethischen Grundlagenschriften. Es ist zwar richtig, dass, wenn der Kategorische Imperativ überhaupt als ein Prinzip aller

 Dies hat tatsächlich auch manchen Interpreten dazu gebracht, den Kategorischen Imperativ ausschließlich auf ein Prinzip zur Ableitung der vollkommenen Pflichten gegen Andere, der Rechtspflichten, und die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs der Grundlegung auf ein „Prinzip der Rechtspflichten“ zu verkürzen (s. Scholz 1972, 124, 136, 138 f., 145 – 150; vgl. auch Kersting 1983b).

5 Das allgemeine Rechtsprinzip als „Princip aller Maximen“

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Pflichten fungibel ist, er dann auch a fortiori als Prinzip der äußeren vollkommenen Pflichten (äußere Rechtspflichten) gelten muss, doch daraus lässt sich nicht auf eine Identifikation und damit Reduktion des Letzteren auf das Erstere schließen. Die Erkenntnis der Selbstwidersprüchlichkeit, also Verwerflichkeit einer universalisierten Handlungsmaxime ist noch nicht mit der Ableitung der äußeren Rechtspflichten gleichzusetzen. Diese Erkenntnis ist zwar eine notwendige Bedingung zur Beurteilung der äußeren Rechtspflichten; sie ist jedoch nicht hinreichend dafür, diese als solche zu entwickeln, weil sie neben den äußeren Rechtspflichten auch die inneren vollkommenen Pflichten extensional abdeckt. Dazu fehlt noch das Moment der reziprok gleichen Wirkung der äußeren Freiheiten aufeinander und damit die gegenseitige gleiche Schuldigkeit, also das für das allgemeine Rechtsprinzip konstitutive Element der Kategorie Gemeinschaft (commercium), welches Kant erst mit seinem allgemeinen Rechtsprinzip explizit und als einen spezifischen Geltungsbereich entwickelt (s. ausführlich Teil IV, Kap. 1 und 3). Außerdem dürfen andere Funktionen des allgemeinen Rechtsprinzips nicht aus dem Blick verloren gehen. Es ist erst durch dieses Prinzip aus § C der Rechtslehre zusammen mit Kants analytischem Argument aus dem darauf folgenden Paragraphen (§ D) möglich, dass die äußeren Rechtspflichten zugleich als Zwangspflichten verstanden werden, was in den ethischen Grundlagenschriften noch nicht thematisiert wird. Das allgemeine Rechtsprinzip als ein moralisches Beurteilungsprinzip ist also schon eine spezifische Variante des Kategorischen Imperativs, welche auf äußere Handlungen spezialisiert ist. Diese Bestimmung ist jedoch noch unvollständig. Genau genommen ist es eine Weiterentwicklung des Kategorischen Imperativs, welche sich allein mit reziprok schuldigen, äußeren Handlungen befasst.

5 Das allgemeine Rechtsprinzip als „Princip aller Maximen“ Die Darstellung und die Argumente dieses Kapitels drehen sich im Wesentlichen um eine Aussage Kants aus § C der Rechtslehre, welche das „[a]llgemeines Princip des Rechts“ als das „Princip aller Maximen“ zu charakterisieren scheint (RL VI 231, 3 f.). So wird hier der Frage nachgegangen, in welchem Sinne diese Aussage Kants zu verstehen sei. Anders als im vorherigen Kapitel, in dem ich mich mit der Bedeutung der Maximen für das allgemeine Rechtsprinzip als ein Prinzip der Beurteilung befasst habe, geht es hier darum, welche Bedeutung nun die legale bzw. pflichtmäßige Befolgung des allgemeinen Rechtsprinzips für die Maximen hat. Im Folgenden werde ich zunächst darstellen, dass Kant in § C der Rechtslehre tatsächlich davon ausgeht, dass das allgemeine Rechtsprinzip das „Princip aller

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Maximen“ sei (a), um dann unter Heranziehung einiger Thesen Kants, die ich in Teil II herausgearbeitet habe, aufzuzeigen, was genau dies zu bedeuten hat (b). (a) Der § C der Rechtslehre beginnt folgendermaßen: „Allgemeines Princip des Rechts ‚Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.‘ Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so thut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hinder|niß | (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen. Es folgt hieraus auch: daß nicht verlangt werden kann, daß dieses Princip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei, d. i. daß ich es mir zur Maxime meiner Handlung mache; denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben gerne Abbruch thun möchte, wenn ich nur durch meine äußere Handlung ihr nicht Eintrag thue. Das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich thut.“ (RL VI 231; Hv. R. M.)

Auch wenn ziemlich eindeutig ist, dass Kant in dem Ausdruck „dieses Princip aller Maximen“ mit dem Demonstrativpronomen „dieses“ auf das allgemeine Rechtsprinzip selbst verweist, könnte man doch behaupten, dass der Bezugspunkt des Pronomens im Grunde nicht etwa das allgemeine Rechtsprinzip selbst, sondern vielmehr das ist, was in ihm enthalten ist und worauf dieses Prinzip und alle moralische Verbindlichkeit nach Kant generell beruht, nämlich die Übereinstimmung der Freiheit mit sich selbst nach einem allgemeinen Gesetz. Sollte nun dies der Fall sein, so ist diese Übereinstimmung gemäß der Kantischen Theorie der Freiheit wiederum in zweierlei Hinsicht vorstellbar. Einmal in Bezug auf die innere Freiheit und das andere Mal bezüglich der äußeren Freiheit. In der obigen Passage gibt Kant erstens gleich nach der Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips eine Darstellung dieses Prinzips an: „Wenn also meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so thut der mir Unrecht, der mich daran hindert; denn dieses Hinder|niß | (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.“ Und zweitens schreibt er hierauf folgend weiter, „daß nicht verlangt werden kann, daß dieses Princip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei“. In beiden Sätzen kann es aber offensichtlich nicht um die Übereinstimmung der inneren Freiheit mit sich selbst nach einem allgemeinen Gesetz gehen: Im ersten Satz darum, weil Kant von „zusammen bestehen“ meiner „Handlung, oder überhaupt mein[es] Zustand[es] mit der Freiheit von jedermann“ spricht. Und in dem zweiten Satz darum, weil es „nicht verlangt werden kann“, dass diese Art der Übereinstimmung der Freiheit mit sich selbst „wiederum meine Maxime sei“; wäre nämlich hier die Übereinstimmung der inneren Freiheit mit sich selbst nach einem allgemeinen Gesetz gemeint, so hätte Kant das nicht sagen

5 Das allgemeine Rechtsprinzip als „Princip aller Maximen“

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können. Es kann sich also in dieser Passage nur um die Übereinstimmung der äußeren Freiheiten mit sich selbst nach einem allgemeinen Gesetz handeln. Dies ist aber wiederum nichts anderes als das, was das allgemeine Rechtsprinzip ausmacht. Das allgemeine bzw. oberste Prinzip des Rechts ist gerade das oberste Prinzip der Übereinstimmung äußerer Freiheiten miteinander nach einem allgemeinen Gesetz. Mit dem Demonstrativpronomen in „dieses Princip aller Maximen“ in § C der Rechtslehre kann also Kant tatsächlich nur auf das „[a]llgemeine Princip des Rechts“ selbst Bezug genommen haben. Doch wenn Kant dies behauptet, schreibt er zugleich auch, dass eben „nicht verlangt werden kann, daß dieses Princip aller Maximen selbst wiederum meine Maxime sei“ – dies sei nämlich vielmehr eine Forderung, die die Ethik an uns stellt (RL VI 231, 9; Hv. R. M.). Es liegt daher nahe, Kants Charakterisierung des allgemeinen Rechtsprinzips als das Prinzip aller Maximen so zu verstehen, dass dieses Prinzip ohnehin für alle Maximen gilt bzw. gelten soll, sofern sie moralkonform sind, gleichgültig, ob ein Rechtssubjekt dem „wiederum“ subjektiv Folge leistet, d. h. es zusätzlich auch zu seiner eigenen Maxime macht oder nicht. So würde also das allgemeine Rechtsprinzip als eine Bedingung gelten,welcher alle als legal bzw. pflichtmäßig zu beurteilenden Maximen genügen müssen. Doch bevor ich näher auf diese Hypothese eingehe, gilt es hier noch eine weitere Textpassage aus der Tugendlehre heranzuziehen, welche sich im Zusammenhang hiermit lesen lässt. In der Einleitung zur Tugendlehre, bei der Erörterung (Exposition) des Begriffs des Pflichtzwecks, schreibt Kant: „Man kann sich das Verhältniß des Zwecks zur Pflicht auf zweierlei Art denken: entweder,von dem Zwecke ausgehend, die Maxime der pflichtmäßigen Handlungen, oder umgekehrt, von dieser anhebend, den Zweck ausfindig zu machen, der zugleich Pflicht ist. – Die Rechtslehre geht auf dem ersten Wege. Es wird jedermanns freier Willkür überlassen, welchen Zweck er sich für seine Handlung setzen wolle. Die Maxime derselben aber ist a priori bestimmt: daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit Jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne.“ (TL VI 382, 8 – 16)

Das Entscheidende der Absetzung der Rechtslehre und der Tugendlehre voneinander besteht in dieser Passage in ihrem Verhältnis zum Begriff des Zwecks (was Kant auch in TL VI 396, 30 wiederholt). Dabei schreibt Kant dem Begriff der Maxime gleichsam eine Vermittlungsaufgabe zu (vgl. TL VI 375), so dass man sich nach ihm zwei Möglichkeiten bei einer Verpflichtung vorstellen kann: 1) ungeachtet der Zwecke „die Maxime der pflichtmäßigen Handlungen“ „ausfindig […] machen“ und 2) „umgekehrt“ von der bereits als pflichtmäßig qualifizierten Maxime auszugehen, um dazu den Pflichtzweck „ausfindig […] machen“. Kant sagt hier nicht nur explizit, dass die „Rechtslehre“ den ersten Weg einschlägt (VI 382, 11 f.). Er geht auch davon aus, dass die Bedingung des allgemeinen Rechts-

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prinzips zuerst erfüllt sein muss, bevor wir zur Erfüllung der sog. Pflichtmaximen (TL VI 390, 11), also der Tugendpflichten übergehen können.⁶⁹ Denn er schreibt: „es wird jedermanns freier Willkür überlassen, welchen Zweck er sich für seine Handlung setzen wolle. Die Maxime derselben aber ist a priori bestimmt“ (VI 382, 12 ff.; Hv. R. M.). Und als Explikation davon folgt eine Formulierung des allgemeinen Rechtsprinzips: „Die Maxime derselben aber ist a priori bestimmt: daß nämlich die Freiheit des Handelnden mit Jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen könne“ (VI 382, 13 – 16; Hv. R. M.). Das steht also eindeutig mit der obigen Hypothese zusammen, dass das allgemeine Rechtsprinzip als eine Bedingung gilt, der die als pflichtmäßig zu beurteilenden Maximen genügen müssen. Andererseits aber geht man ja im Rahmen der Kantischen Ethik üblicherweise davon aus, dass der Kategorische Imperativ selbst das Prinzip der moralkonformen Maximen ist. Geht es bei Kants Aussage in § C der Rechtslehre und in der obigen Passage der Tugendlehre also darum, so können wir unsere Hypothese unter Umständen präzisieren: kann die Forderung des allgemeinen Rechtsprinzips in dieser Hinsicht vielmehr als ein minimaler Grundsatz gelten, dem die Erfüllung aller moralkonformen Maximen genügen muss? Sollte diese Frage zufriedenstellend beantwortet werden können, so ist nicht nur in bloß textexegetischer Hinsicht, sondern auch aus systematischen, pflichtentheoretischen Gründen einzusehen, warum Kant das allgemeine Rechtsprinzip als das „Princip aller Maximen“, genauer: als das Prinzip aller moralkonformen Maximen qualifiziert. (b) Die Maximen werden nach der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs verallgemeinert, um auf ihre Legalität bzw. Pflichtmäßigkeit hin geprüft zu werden (s. in diesem Teil, Kap. 2). Wenn man vor diesem Hintergrund von einem Prinzip aller Maximen redet wie Kant es bezüglich des allgemeinen Rechtsprinzips tut, so heißt dies, dass ausnahmslos jede Maxime, die auf ihre Pflichtmäßigkeit geprüft wird, zunächst diesem Prinzip genügen muss. Das allgemeine Rechtsprinzip gilt nun per definitionem bereits als das oberste Prinzip für

 Vgl. „Um die praktische Philosophie mit sich selbst einig zu machen, ist nöthig, zuvörderst die Frage zu entscheiden: ob in Aufgaben der praktischen Vernunft vom materialen Princip derselben, dem Zweck (als Gegenstand der Willkür), der Anfang gemacht werden müsse, oder vom formalen, d. i. demjenigen (bloß auf Freiheit im äußern Verhältniß gestellten), darnach es heißt: handle so, daß du wollen kannst, deine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck mag sein, welcher er wolle). Ohne alle Zweifel muß das letztere Princip vorangehen: denn es hat als Rechtsprincip unbedingte Nothwendigkeit, statt dessen das erstere nur unter Voraussetzung empirischer Bedingungen des vorgesetzten Zwecks, nämlich der Ausführung desselben, nöthigend ist, und wenn dieser Zweck (z. B. der ewige Friede) auch Pflicht wäre, so müßte doch diese selbst aus dem formalen Princip der Maximen äußerlich zu handeln abgeleitet worden sein.“ (Frieden VIII 376 f.)

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die Maximen aller (äußeren) Rechtspflichten bzw. äußeren vollkommenen Pflichten. Um die oben aufgestellte Hypothese nachzuweisen, bleibt also noch zu zeigen, wie sich dieses Prinzip zum einen zu den moralkonformen Maximen, die den Tugendpflichten entsprechen und (ii) zu den Maximen, die den vollkommenen Selbstpflichten entsprechen,verhält;⁷⁰ eine weitere moralkonforme Klasse von Maximen gibt es nicht.⁷¹ In Teil II, Kap. 4.3 und 4.4 habe ich bereits dargelegt, dass in Kants Pflichtentheorie bei der Befolgung der Pflichten zum einen die Legalität der Handlungen eine notwendige Realisierungsbedingung für die Moralität ausmacht, zum anderen den vollkommenen Pflichten gegenüber den unvollkommenen Pflichten eine klare Realisierungspriorität eingeräumt wird. Zusammengefasst: In der Praxis bzw. Befolgung der Pflichten macht die legale bzw. pflichtmäßige Erfüllung der vollkommenen Pflichten das Minimum des zu Erfüllenden der Kantischen Pflichtentheorie aus. (i) Obwohl ich bereits in Teil II, 4.4 ausführlich dafür argumentiert habe, dass die Tugendpflichten (der Selbstvervollkommnung und der Förderung der fremden Glückseligkeit) durch die Forderung der Rechtspflichten, somit des allgemeinen Rechtsprinzips bedingt sind, möchte ich das hier nach einem vereinfachten, dreiteiligen Modell der Maximenformulierung noch ein Mal kurz darstellen. Betrachten wir die Maximen nach den Ausführungen in Kapitel 1 dieses Teils vereinfacht als praktische Sätze, die aus den Situationsangaben (S) – gleichgültig ob diese ein integraler Teil der Maxime selbst seien oder nicht – aus einem Zwecksatz (Z) – einem Satz, der den Grund einer Handlung als Vordersatz eines hypothetischen Satzgefüges beinhaltet – und aus der Angabe der Mittel (M) – dessen, was wir in einem Nachsatz vorhaben zu tun bzw. zu unterlassen, eben die Handlung – bestehen,⁷² so würde etwa nach dem zweiten, rechtlichen Beispiel der Grundlegung folgendes Gefüge vorliegen: (S) In einer Situation der Geldnot, dass ich Geld borgen kann usw., (Z) wenn ich mich aus dem „Gedränge“ oder aus der „Not“ befreien will (oder einfach eine

 Soweit eine Maxime moralkonform ist, muss sie nämlich genau einer der Pflichthauptklassen in Kants Pflichtentypologie entsprechen.  N.B.: ich schließe Maximen als moralirrelevante Verhaltensregel aus (s. oben Kap. 1.).  Das in Rede stehende Modell lehnt sich also an die Reformulierungsmöglichkeit der Maximen gemäß der Struktur der hypothetischen Imperative an (s. dieser Teil, Kap. 1). Darüber hinaus habe ich ja in diesem Kapitel dafür argumentiert, dass gerade aus Kants Situationsangaben das Zweckmoment der Maximen zu entnehmen ist. Das hier vereinfachte abstrakte Modell darf daher nicht dahingehend verstanden werden, dass einerseits eine rein deskriptive Situationsangabe und andererseits die Zweckmomente als Komponente der Maximen prinzipiell von einander zu trennen sind.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

andere „Lust“ habe), (M) dann gebe ich ein falsches Versprechen ab (GMS IV 402, 422).

Hier sehen wir, dass es bei der Befolgung der Rechtspflichten nicht darauf ankommt, was in der Situationsangabe (S) und der Protasis (Z) steht. Vielmehr ist es die Mittelangabe, die Handlung selbst (M), welche nach Kant verboten wird. Setzen wir für (Z) etwa einen Pflichtzweck bzw. eine „Pflichtmaxime“ ein, also das, worauf sich die Tugendpflichten beziehen, so ändert sich das moralische Urteil, dass (M) verboten ist, in keiner Weise. Setzen wir anstatt (Z) den angegebenen Zweck des dritten bzw. vierten Beispiels der Grundlegung, die Vervollkommnung eigener Talente bzw. die Förderung fremder Glückseligkeit, also die Tugendpflicht gegen sich selbst und die gegen Andere ein (in einer Situation (S), wenn ich meine Talente vervollkommnen bzw. die Glückseligkeit eines Anderen fördern will (Z), dann gebe ich diesem oder einem Anderen ein falsches Versprechen ab (M)), so bleibt die Apodosis (M) für Kant weiterhin verwerflich. Das heißt aber zugleich, dass in dem Fall, wenn die Pflichtmaximen der Bedingung des obersten Prinzips der Rechtspflichten nicht genügen, wenn sie also zu nach diesem Prinzip verbotenen Handlungen führen, eben keine Pflichtmaximen mehr sind, sondern schlicht verboten.⁷³ In diesem Sinn ist also das allgemeine Rechtsprinzip die Bedingung, der alle Maximen der Tugendpflichten, um überhaupt pflichtmäßig zu sein, zunächst genügen müssen – das allgemeine Rechtsprinzip ist das Prinzip der Legalität auch aller Pflichtmaximen. (ii) Wie ist es aber um die Maximen der vollkommenen Selbstpflichten, der Schuldigkeitspflichten gegen sich selbst bestellt? Die Behauptung, dass das allgemeine Rechtsprinzip auch als Prinzip moralkonformer Maximen dieser Pflichtklasse gilt, mag auf ein Problem stoßen, das wir bei den Tugendpflichten nicht antreffen. Kant hat nämlich mehrmals deutlich gemacht, dass in seiner Pflichtentypologie die Pflichten dieser Klasse „die höchsten Pflichten unter allen“ ausmachen (am deutlichsten in Vigilantius XXVII 604, 14 ff. und 33 f., auch 607, 37 ff., vgl. 609, 19 f.; VATL XXIII, 405; 386, 18; 398, 28 f.).⁷⁴ Dies mag also vielmehr nahe legen, dass es die Befolgung des allgemeinen Prinzips der äußeren Rechtspflichten ist, welche sich nach der der Schuldigkeitspflichten gegen sich selbst richten soll, nicht umgekehrt. Zumal die letzteren genauso wie die äußeren

 „[D]ie officia meriti [können] jederzeit den officiis debiti nur zugesetzt werden […]; sie sind daher im Verhältniß der officia debiti jederzeit erweiternd, z. E. Cultur der Talente, Beförderung des Wohlstandes anderer. Nur dann kann dies Pflicht seyn, wenn es mit Beobachtung strenger Pflichten bestehen kann“ (Vigilantius XXVII 601; Hv. R. M.).  Vgl. hierzu etwa Denis 2010, vor allem 187.

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Rechtspflichten wegen ihrer Vollkommenheit auf die Handlungen selbst (nach dem obigen Modell (M)) rekurrieren. Das Verhältnis der Maximen dieser Pflichten zu dem allgemeinen Rechtsprinzip lässt sich nun insgesamt aus drei möglichen Perspektiven betrachten: (α) angesichts der Maximen, die gemäß den vollkommenen Selbstpflichten verboten sind; (β) angesichts derjenigen Maximen, die einen Fall der vollkommenen Selbstpflichten darstellen und den Test der Denkmöglichkeit des Kategorischen Imperativs bestehen, also moralkonform sind; und schließlich (γ) im Hinblick auf die Maximen, deren Befolgung zu Handlungen führen mag, die den Forderungen der vollkommenen Selbstpflichten zwar entsprechen, in ihrer Umsetzung jedoch das Recht des Anderen, also das allgemeine Rechtsprinzip verletzen. (α) Da unsere Fragestellung nur die Rolle des allgemeinen Rechtsprinzips als Befolgungsprinzip der moralkonformen Maximen betrifft, so kann hier zunächst der erste Fall ausgeschlossen werden. Wenn eine Maxime die vollkommenen Selbstpflichten verletzt, also verboten ist, so hat sie mit der These Kants, dass das allgemeine Rechtsprinzip das Prinzip aller moralkonformen Maximen sei, nichts zu tun, weil die fragliche Maxime nicht einmal eine solche ist. (β) Die vollkommenen Selbstpflichten bzw. Schuldigkeitspflichten gegen sich selbst sind, genauso wie die äußeren Rechtspflichten, Unterlassungspflichten, welche das Nichtgeschehen einer Handlung fordern. Das heißt, nach einer Maxime, die unter diese Pflichtklasse fällt und den Test gemäß des Kategorischen Imperativs besteht (etwa die Maxime auch unter extremer Belastung keinen Suizid zu begehen), geschieht nichts, was überhaupt der Bedingung des allgemeinen Rechtsprinzips untergeordnet werden könnte – man unterlässt eben die verbotene Handlung. In diesem Fall können also die Legalität bzw. die Pflichtmäßigkeit der Maximen nicht weiter nach dem allgemeinen Rechtsprinzip verboten werden, weil es keine (positive) Handlung gibt, welche in Kollision mit dem allgemeinen Rechtsprinzip stünde. (γ) Doch es gibt schließlich komplexere Fälle, bei denen man eine Handlung begeht, welche einerseits zugleich mit der Forderung einer vollkommenen Selbstpflicht zusammenfällt, andererseits aber das Recht des Anderen verletzt, und zwar so, dass sie nicht als Antwort auf die Unrechtshandlung des Anderen ausgeübt wird. Wäre nämlich das Letztere der Fall, so haben wir es offensichtlich wieder mit einer Handlung zu tun, welche bereits unter dem allgemeinen Rechtsprinzip steht.⁷⁵ Kant selber befasst sich mit so einem Fall: „die Tat der gewalttätigen Selbsterhaltung“, die ich nicht gegen einen „ungerechten Angreifer auf mein Leben, dem ich durch Beraubung des seinen zuvorkomme“, ausübe. Er

 Vgl. etwa Vigilantius XXVII 525 f.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

ordnet diesen Fall bedeutungsvollerweise dem „Notrecht (Ius necessitatis)“ zu⁷⁶ und behandelt ihn in der Einleitung der Rechtslehre unter Bezug auf das sogenannte Brett des Karneades (RL VI 235).⁷⁷ Eine solche Tat entspricht einerseits der Forderung der vollkommenen Selbstpflicht der „Selbsterhaltung“, andererseits folgt daraus aber das Töten eines Anderen, obwohl dieser meiner Freiheit keinen Abbruch getan hat. Wichtig ist nun, dass Kant diesen Fall als „ein vermeintes Recht“ behandelt, das nur „subjectiv“ (womit er „vor dem Gericht“ meint) als Recht gelten mag; es sei zwar als „unstrafbar (impunibile) zu beurtheilen“, doch es gelte „nicht etwa als unsträflich (inculpabile)“. Ein solches Recht stellt nach Kant einerseits eine „subjective Straflosigkeit“ dar, andererseits aber bleibt es in objektiver Hinsicht, nach einer objektiven „Gesetzmäßigkeit“, d. h. „vor der Vernunft“, weiterhin un-recht, auch wenn es nicht von einem Gericht bestraft werden kann (s. VI 236 1– 4; Hv. R. M.). Das Notrecht gilt eben angesichts des allgemeinen Rechtsprinzips als verboten, und zwar darum, weil es das Recht des Anderen verletzt. Der objektive Unrechtscharakter der fraglichen Tat lässt sich auch dadurch nachvollziehen, dass in der Situation des Bretts des Karneades diejenige Person, die vom Brett gestoßen wird, sich nach dem allgemeinen Rechtsprinzip selbst doch vollkommen rechtsmäßig verteidigen kann; ein Widerstand dieser Person gegen diejenige, die ihre Tat zur Selbsterhaltung gewalttätig ausübt, wäre Recht.⁷⁸ Kant schreibt deshalb: „Der Sinnspruch des Nothrechts heißt: „‚Noth hat kein Gebot (necessitas non habet legem)‘; und gleichwohl kann es keine Noth geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte.“ (VI 236, 5 ff.) Kurz, dieses Beispiel, das dem obigen Fall (γ) entspricht, betrachtet Kant aus der (objektiven) Vernunftperspektive offensichtlich als unrecht und daher seiner Maxime nach als unter der Bedingung des allgemeinen Rechtsprinzips stehend, auch wenn die fragliche Tat paradoxerweise nicht bestraft werden kann. Um uns nicht mit dem Beispiel von Notrecht zu begnügen und auch andere mögliche Varianten des Falls (γ) auszuschließen, die auf irgendeine Art und Weise geltend gemacht werden mögen, können wir folgendes Gedankenexperiment durchführen. Zunächst stellen wir uns eine, wenn auch sehr unwahrscheinliche  „Das Notrecht. […] Dieses vermeinte Recht soll eine Befugniß sein, im Fall der Gefahr des Verlusts meines eigenen Lebens einem Anderen, der mir nichts zu Leide that, das Leben zu nehmen.“ (RL VI 235, 15 ff.; Hv. R. M.)  „[D]er im Schiffbruche, mit einem Andern in gleicher Lebensgefahr schwebend, diesen von dem Brette, worauf er sich gerettet hat, wegstieße, um sich selbst zu retten.“ (RL VI 235, 27 ff.)  „Jedermann kann der Freiheit des anderen widerstehen, sobald sie der seinigen, die mit der Freiheit von Jedermann zusammen bestehen kann, Abbruch thut, und die Zwangsfreiheit, die dem Zwangsrecht entgegen steht, bestimmt sich dahin: | handle so, daß deine Freiheit mit der Freiheit von Jedermann nach den allgemeinen Gesetzen zusammen bestehen kann.“ (Vigilantius XXVII 525 f.; vgl. RL, § D)

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Welt vor, in der die allgemeine Lebenslage so misslich ausfällt, dass alle Bewohner, um den Forderungen ihrer vollkommenen Selbstpflichten Folge zu leisten, Handlungen begehen müssen, die das Recht der Anderen verletzen, d. h. ihre Handlungen nicht als Reaktion auf eine Unrechtshandlung der Anderen ausgeübt werden. In einer solchen Welt werden nicht nur die vollkommenen Selbstpflichten miteinander in Konflikt geraten (man danke z. B. daran, dass man um seiner Selbsterhaltung willen lügen muss). In einer solchen Welt wäre die tatsächliche und faktische Erfüllung der vollkommenen Selbstpflichten selbst gar nicht möglich, weil alle in solchen misslichen Situationen derart handeln, dass sie die Freiheit der Anderen verletzen – eine Art Krieg aller gegen alle.⁷⁹ Spezifischer betrachtet, d. h. eingeschränkt auf die Teilklasse der vollkommenen Pflichten gegen sich selbst „bloß als moralisches Wesen“ (s. etwa TL VI 420), würden diese Pflichten in einer Welt, in der alle, einschließlich mir selbst, gegen das allgemeine Rechtsprinzip handeln, ich aber beständig die Forderungen der Schuldigkeitspflichten gegen mich selbst erfülle, zugleich ihren moralischen Status verlieren. Denn ich kann nicht als vernünftiges Wesen die Anderen missachten und zugleich allein meine eigene Würde aus moralischer Perspektive verteidigen; ich widerspräche hier mir selbst. Doch im Gegensatz zu diesen bloß erdachten Welten, ist es in einer Welt, in der alle nach dem allgemeinen Rechtsprinzip handeln, sehr wohl möglich, dass alle auch ihre vollkommenen Selbstpflichten legal erfüllen. Richtet man also seine Maxime nach dem allgemeinen Rechtsprinzip als einer Minimalbedingung, so spricht nichts gegen die Befolgung der vollkommenen Selbstpflichten. Würde man aber die Maxime derart verallgemeinern, dass man seine vollkommenen Selbstpflichten auf Kosten der Verletzung des Rechts der Anderen erfüllt, so würde diese Maxime selbst-vernichtend sein. Die Befolgung des allgemeinen Rechtsprinzips gilt also nicht nur als eine Minimalbedingung bei der Befolgung der Pflichtmaximen bzw. der Tugendpflichten. Sie ist auch mit der Befolgung der vollkommenen Selbstpflichten entweder derart verbunden, dass wir im Fall der pflichtmäßigen Handlungen nach diesen Pflichten an Kants These ‚das allgemeine Rechtsprinzip als Prinzip aller Maximen‘ gar nicht zweifeln können (β),⁸⁰ oder aber sie gilt in den Ausnahmefällen (γ), in denen eine die Freiheit des Anderen verletzende Tat mit der Forderung dieser Pflichten zusammenfällt, wiederum als eine objektive Minimalbedingung, von der die praktische Vernunft ausgehen muss.

 Um dies zu versinnbildlichen, setze man etwa in die Situation des Bretts des Karneades einfach eine dritte Person ein, die ebenso ihr Leben retten will.  Man denke etwa an das Lügenverbot. Wenn jemand das Lügenverbot als eine innere Schuldigkeitspflicht befolgt, so gibt es in dieser Hinsicht gar keine relevante Handlung, die der Bedingung des allgemeinen Rechtsprinzips genügen muss.

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Teil III Das allgemeine Rechtsprinzip und die Maximen

Das allgemeine Rechtsprinzip als Prinzip aller Maximen ist jedoch nicht etwa so zu verstehen, als würden alle Maximen zunächst nach diesem Prinzip und nicht dem Kategorischen Imperativ selbst auf ihre Pflichtmäßigkeit hin beurteilt. Das allgemeine Rechtsprinzip ist vielmehr in dem Sinn zu verstehen, dass es das minimale Befolgungsprinzip gemäß der Pflichtmäßigkeit jeder Maxime ist, welche in sich auf irgendeine äußere Handlung hinweist. Man mag an dieser Stelle den Einspruch erheben, dass dies bereits von dem Kategorischen Imperativ selbst geleistet wird, zumal die Angabe der äußeren Handlung, wenn auch nicht immer konkret (wie im Fall der Tugendpflichten), ein konstitutives Element der Maximen ist, mit denen ja der Kategorische Imperativ operiert. Doch dies würde nicht etwa gegen die Argumente dieses Kapitels, sondern vielmehr für das sprechen, was diese Arbeit, und damit auch das vorliegende Kapitel, bezweckt. Wer nach dem Kategorischen Imperativ handelt, der handelt schon nach dem allgemeinen Rechtsprinzip. Doch umgekehrt ist dies nicht der Fall; denn die Befolgung des allgemeinen Rechtsprinzips erschöpft noch nicht alle pflichtentheoretischen Potenziale des Kategorischen Imperativs als das oberste Prinzip der gesamten Pflichtentheorie Kants (vgl. auch das Ende des vorherigen Kapitels). Der Kategorische Imperativ enthält nämlich auf unspezifische Weise zum einem über das Kriterium der Konfliktlosigkeit bzw. Erhaltung äußerer Freiheiten hinaus (die äußeren vollkommenen Pflichten) sowohl das Kriterium der Konfliktlosigkeit bzw. Erhaltung der inneren Freiheit mit sich selbst (die inneren vollkommenen Pflichten), als auch das Kriterium der Erweiterung bzw. Beförderung der inneren und äußeren Freiheit (die unvollkommenen Pflichten). Zum anderen ist der Zugang zu, genauer: die Annäherung an die Moralität allein durch den Kategorischen Imperativ selbst möglich, während das allgemeine Rechtsprinzip der Rechtslehre grundsätzlich nur auf die Legalität der äußeren Handlungen beschränkt ist, und zwar sowohl in seiner exekutiven, wie auch in seiner dijudikativen Funktion.

Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie „Der philosophische Rechtslehrer wird diese Nachforschung bis zu den ersten Elementen der Transscendentalphilosophie in einer Metaphysik der Sitten nicht für unnöthige Grübelei erklären […], wenn er […] die Nothwendigkeit, hierin den Rechtsprincipien genug zu thun, in Überlegung zieht“ (RL VI 280 Anm.).

Der vorliegende Teil untersucht in drei Kapiteln die transzendentalkritische Grundlage des allgemeinen Rechtsprinzips im Hinblick auf die Kritik der reinen Vernunft. Mit den vorangegangenen drei Teilen ist eine im Rahmen der Moralphilosophie Kants immanente Untersuchung des allgemeinen Rechtsprinzips im Grunde bereits abgeschlossen. Diesen Teil möchte ich hingegen der methodischen Hauptthese der Arbeit widmen, welche ich bereits in der Einleitung des Buches angedeutet habe: Eine adäquate Interpretation bzw. Rekonstruktion des moralischen Status des obersten Prinzips der Rechtslehre Kants kann ohne Miteinbeziehung seiner transzendentalphilosophischen Wurzeln nicht auskommen. Während eine nur praktische Untersuchung des allgemeinen Rechtsprinzips in der Lage ist, dessen Gemeinsamkeiten mit dem Kategorischen Imperativ herauszustellen, kann erst eine theoretische Untersuchung der in der Transzendentalphilosophie liegenden konstitutiven Momente dieses Prinzips seine Differenzen zum Kategorischen Imperativ ausreichend aufzeigen (vgl. auch bereits Teil II, Kap. 3.1). In diesem Teil möchte ich daher zum einen darlegen, dass das allgemeine Rechtsprinzip Kants nicht nur in völliger Übereinstimmung mit seiner Transzendentalphilosophie steht, sondern sich aus theoretischer Sicht sogar darauf gründet; zum anderen möchte ich zeigen, wodurch sich das allgemeine Rechtsprinzip sowie das mit ihm äquivalente Gesetz der Zwangsbefugnis im Vergleich zu dem Kategorischen Imperativ aus bloß transzendentalphilosophischer Sicht auszeichnen. In gewisser Parallelität zur Struktur der ersten Kritik (der Transzendentalen Analytik der Begriffe und der Grundsätze und der Transzendentalen Methodenlehre) wird dieser Teil zunächst mit einer kategorialen Analyse des Begriffs des Rechts beginnen (Kap. 1). Im zweiten Kapitel werde ich dem analytischen und postulatorischen Charakter des allgemeinen Prinzips des Rechts bei Kant (§ D der Einleitung in die Rechtslehre und Abschnitt X der Einleitung zur Tugendlehre) an-

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

hand seiner Theorie analytischer und synthetischer Urteile Rechnung tragen. Das dritte Kapitel schließlich ist in drei Unterkapiteln gegliedert und hauptsächlich dem § E der Rechtslehre gewidmet. In allen drei Unterkapiteln wird das Verhältnis des § E der Rechtslehre zur Transzendentalen Methodenlehre der ersten Kritik auf deren Übereinstimmung hin untersucht. Erst in diesem Kapitel werde ich mich auch auf der Grundlage des Ergebnisses der kategorialen Analyse des Rechtsbegriffs im ersten Kapitel mit dem transzendentalen Verstandesgrundsatz befassen, der dem mit dem allgemeinen Rechtsgesetz äquivalenten Gesetz der Zwangsbefugnis in § E zugrunde liegt.

1 Das allgemeine Rechtsprinzip und die Relationskategorie Gemeinschaft Das Ziel dieses Kapitels ist, durch eine Analyse anhand der transzendentalen Kategorienlehre Kants aufzuzeigen, worin das urbegriffliche Spezifikum des allgemeinen Prinzips des Rechts im Vergleich zum Kategorischen Imperativ besteht. Diese Analyse wird hier allerdings auf die Klasse der Kategorien der Relation beschränkt. Denn sollte sich das allgemeine Prinzip des Rechts kategorial von dem Kategorischen Imperativ unterscheiden, so würde dies nicht etwa angesichts der Kategorienklassen der Quantität, Qualität oder Modalität stattfinden; das allgemeine Prinzip des Rechts ist eben genauso wie der Kategorische Imperativ allgemein, negativ¹ und kategorisch, d. h. notwendig gültig. Bekanntlich spricht Kant vom Begriff, dem (allgemeinen) Prinzip und dem (allgemeinen) Gesetz des Rechts (RL VI, §§ B-C 230 f.). Einige Erläuterungen zu dieser Dreiteilung und deren Relevanz für eine kategoriale Analyse sind zunächst angebracht. Am Ende des § B der Einleitung der Rechtslehre definiert Kant „[d]as Recht“ als den „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (VI 230, 24 ff.). Da diese Definition gleich nach Kants Aufzählung der konstitutiven Merkmale des „Begriff(s) des Rechts“ (VI 230, 7– 23; Hv. R. M.) folgt, mag man sie, wie es nicht selten vorkommt, leicht mit Kants Definition des moralischen Begriffs des Rechts selbst verwechseln. Kant spricht hier jedoch das Recht offensichtlich als den „Inbegriff der Bedingungen“ (complexum) an, dem der moralische Begriff des Rechts vielmehr voraus liegt. Eine  Die Leistung des Kategorischen Imperativs, wie er in den ethischen Grundlagenschriften entwickelt wird, beschränkt sich auf die Bestimmung der nicht-verbotenen Maximen (s. TL VI 389, 2– 9; s. auch Ebert 1976). Ebenso ist das allgemeine Rechtsprinzip als das oberste Prinzip der Rechtspflichten auf die verbotenen Handlungen (negative Pflichten) eingeschränkt.

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eindeutige Definition des moralischen Rechtsbegriffs selbst taucht tatsächlich erst gegen Ende der Einleitung in die Rechtslehre auf: „das Vermögen, andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts“ (VI 239, 19 f.; vgl. 230, 7 f.). Bei dieser Bestimmung handelt es sich nun um das Recht formaliter, um ein singuläres Recht im objektiven Sinn, und nicht das Recht materialiter, nicht um die Rechte, welche erst auf jenem formalen Vernunftbegriff des Rechts beruhen.² Das „Vermögen, andere zu verpflichten“, bleibt also einzig und darauf muss sich alles, was recht bzw. unrecht ist, kriteriologisch beziehen (vgl. RL VI 229, 22 f.). Doch wie verhält sich dieser singuläre, formale Begriff zum allgemeinen Prinzip und Gesetz des Rechts? Da Prinzip und Gesetz nach Kant beide als Unterbegriffe des Grundsatzes bzw. der Regel gelten, lässt sich die Frage auch so stellen: Wie verhält sich der moralische Begriff des Rechts zur allgemeinen Regel des Rechts? Abstrakt gesehen ist nun eine Regel nach Kant nichts anderes als „das Verhältnis eines Begriffs zu allem was unter ihm enthalten ist (d. i. wodurch er bestimmt wird.)“ (VARL XXIII 343, 27 f.) Insofern besteht also ein definitorisches Verhältnis zwischen dem moralischen Begriff des Rechts und dem allgemeinen Prinzip bzw. Gesetz des Rechts, so dass ihre Unterschiede für eine kategoriale Analyse gleichgültig sind. Mit der Formulierung des Begriffs des Rechts als ein Prinzip in § C der Rechtslehre, scheint Kant andererseits zugleich dessen überlegenen Status innerhalb seiner Rechtslehre als eben eines obersten Prinzips bzw. obersten Grundsatzes unter dem Plural weiterer, spezifischer Rechtsprinzipien betonen zu wollen. Und da das allgemeine Prinzip des Rechts objektive Gültigkeit besitzt, also ein objektiver Grundsatz ist, so kann es auch als allgemeines Gesetz bezeichnet werden. Nicht zuletzt weil dieses Gesetz sich auf Menschen als sinnlich bedingte Wesen bezieht, kann es auch in Form eines Imperativs formuliert werden („das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“, VI § C, 231, 10 ff.; Hv. R. M.). Die Bezeichnung des moralischen Rechts als Begriff, Prinzip und Gesetz in §§ B-C der Rechtslehre ist also vielmehr eine Sache seiner jeweiligen kontextbedingten Funktion. Für eine kategoriale Analyse, wie sie in diesem Kapitel vorgenommen wird, spielt dieser Perspektivenwechsel Kants keine Rolle. Eine Analyse des Rechtsbegriffs anhand der transzendentalen Theorie der Kategorien des Verstandes hätte nun die schwierige Aufgabe, den Grundbegriff einer Lehre (doctrina) im praktischen Bereich, der Rechtslehre (doctrina justi), mit  S. vor allem Feyerabend XXVII 1332 f.; weiter: „Das Recht überhaupt als bloße Form der Willkühr nach Gesetzen der Freyheit ist nur eines – Aber ein Recht (ius quoddam) deren es mehr giebt ist das Recht der materie nach und was man besitzen veräußern etc. etc. kann“ (VARL XXIII 274, 4– 7; Hv. R. M.; vgl. auch XXIII 262, 6 ff.; 322, 19 – 22).

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der Kritik der spekulativen Vernunft in eine architektonisch berechtigte Verbindung zu bringen. Es drängt sich daher auf, hierbei eine Vermittlung zu suchen, welche sowohl die Verbindung zwischen der Kantischen Konzeption von Doktrin und Kritik, wie auch die zwischen der praktischen und der spekulativen Vernunft herstellt. Als ein solches vermittelndes Theoriestück bietet sich „die Tafel der Kategorien der Freiheit“ aus der Kritik der praktischen Vernunft an, die Kant parallel zu den Kategorien des Verstandes aus der Kritik der reinen Vernunft entwirft (KpV V 66, 16 – 36). Denn einerseits heißt es in der Vorrede der Metaphysik der Sitten, dass sich deren System, und somit auch die Rechtslehre, auf die Kritik der praktischen Vernunft stützt (MS VI 205, 2 ff.). Andererseits vertritt Kant die Grundthese der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens, so dass es „am Ende nur eine und dieselbe Vernunft“ gebe (GMS IV 391; s. KpV V 91). Aufgrund dieser Einheit müsse nämlich die praktische Vernunft in der Verwirklichung ihrer Gegenstände wiederum der Gegenstandserkenntnis der reinen theoretischen Vernunft entsprechen, die eben auf Verstandeskategorien basiert, wenngleich es der praktischen Vernunft selbst nicht auf Erkenntnis der Gegenstände ankommt.³ Wie oben erwähnt, beschränkt sich meine Analyse, die ich im Folgenden mittels der Kategorientafel der zweiten Kritik durchführe, auf die Klasse von Kategorien der Relation.⁴ Vorab wird aber eine Erläuterung der Trias der Freiheitskategorien dieser Klasse zunächst vonnöten sein, welche ich über eine Parallelisierung zu den Verstandeskategorien der ersten Kritik vornehme. Im Zweiten Hauptstück der Analytik der zweiten Kritik (KpV V 66 f.) stellt Kant in einer Eins-zueins-Entsprechung zu der Tafel der Verstandeskategorien eine „Tafel der Kategorien der Freiheit“ auf.⁵ Diese beziehen sich nach Kant auf die praktische Vernunft in einem generellen Sinn, also nicht nur auf die reine praktische Vernunft (s. KpV V 67),⁶ und beruhen insgesamt auf zwei Voraussetzungen: Zum einen der Freiheitskausalität; sie gelten alle als Modi des transzendentalen Freiheitsbegriffs. Zum anderen folgen sie den theoretischen Verstandeskategorien. Die praktischen

 Zum Schluss der Analytik der zweiten Kritik macht Kant darauf aufmerksam, dass sich jeder Vorgang der reinen Vernunft im praktischen Feld von selbst und ganz genau an alle Momente der ersten Kritik anschließe (KpV V 106, 18 f.).  Zu den Freiheitskategorien der Modalität s. Teil I, Kap. 6.  Die ganze Tafel der Freiheitskategorien besteht aus folgenden Elementen: Quantität: „Subjectiv, nach Maximen (Willensmeinungen des Individuum). Objectiv, nach Principien (Vorschriften). A priori objective sowohl als subjective Principien der Freiheit (Gesetze).“; Qualität: „Praktische Regeln des Begehens […]. Praktische Regeln des Unterlassens […]. Praktische Regeln der Ausnahmen“; Relation: „Auf die Persönlichkeit. Auf den Zustand der Person. Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen.“; Modalität: „Das Erlaubte und Unerlaubte. Die Pflicht und das Pflichtwidrige. Vollkommene und unvollkommene Pflicht.“ (V 66)  S. auch Beck ³1995, 136, 141, 149 f.

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Handlungen vernünftiger Wesen sind daher nach Freiheitskategorien auf zweierlei Art zu betrachten. Auf der einen Seite unterstehen sie zwar der intelligiblen Freiheitsursache, auf der anderen Seite betreffen sie jedoch Erscheinungen, Begebenheiten in einer Sinnenwelt, deren begriffliche Bestimmungen insofern weiterhin den Kategorien der ersten Kritik unterzuordnen sind. Bei den Freiheitskategorien ist also die kategoriale Verstandesordnung für die Konzeptualisierung der Folgen einer Freiheitskausalität in der phänomenalen Welt jederzeit „als gegeben“ vorausgesetzt (KpV V 65, 8 – 11).⁷ Wenn also Kant eine Tafel der Kategorien der Freiheit parallel zu den Verstandeskategorien aufstellt, so geht es ihm um einen eingeschränkten, d. h. praktischen Gebrauch der Verstandeskategorien selbst. Sie sollen nämlich nun „das Mannigfaltige der Begehrungen“ unter die Bewusstseinseinheit eines reinen Willens a priori bringen; es handelt sich hier generell um die Bestimmungen einer freien Willkür (KpV V 65, 32). Analog lässt sich damit sagen, dass so, wie die reinen theoretischen Verstandesbegriffe die Form des Denkens eines Gegenstandes angeben, die Freiheitskategorien die Formen menschlichen Begehrens enthalten. Und noch wichtiger, so wie die Kategorien der ersten Kritik anhand des „Leitfadens“ der Urteilsformen entdeckt werden, so lassen sich auch die Grundmomente aller praktischen Urteile, die praktischen Regeln, in der Tafel der Freiheitskategorien wiederfinden.⁸ Mit anderen Worten, die kategorialen Momente eines gegebenen moralischen Prinzips – hier des allgemeinen Rechtsprinzips – lassen sich anhand der praktischen Tafel regressiv wieder erkennen. Die Absätze, in denen Kant sich mit den Freiheitskategorien befasst, sind als die schwierigsten und dunkelsten der ganzen Kritik der praktischen Vernunft eingeschätzt worden (Beck ³1995, 125).⁹ Kant selbst sieht dagegen seine Tafel der Freiheitskategorien als „für sich verständlich“ an (KpV V 67, 12 f.) – eine Über-

 Vgl. aber Bobzien 1988, 197 f., 208; 1997, 80.  Nach Pieper fasst die Tafel der Freiheitskategorien die apriorischen, normativen Grundsätze zusammen. Diese seien (a) im Gegensatz zu Grundsätzen der reinen theoretischen Vernunft „keine synthetischen Urteile a priori“ und (b) „aus der Perspektive des Sittlichen, und deshalb als moralische Postulate resp. Imperative zu lesen“ (Pieper 2002, 121 f.). Doch vertritt man die These (a), so schließt man den Kategorischen Imperativ als einen praktischen synthetischen Satz a priori aus der Tafel aus, womit sich dann die These (b) nicht vertreten lässt. Stellt man andererseits nach (b) die Imperative als Oberbegriff für die Rekonstruktion der ganzen Tafel auf, so werden die Maximen (subjektive Grundsätze) ausgeschlossen, die doch als erste praktische Kategorie der Quantität in der Tafel auftauchen (KpV V 20, 13 f., 20; vgl. KrV A 802/B 830; Refl. 7209 XIX 285).  Zu unterschiedlichen Interpretationen s. etwa Beck 31995; Benton 1981; Bobzien 1988, 1997; Pieper 2002.

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zeugung, der sich nicht leicht zustimmen lässt.¹⁰ Eine Schwierigkeit in unserem Fall, also bei den Kategorien der Relation, besteht nun darin, dass, obwohl die jeweiligen drei Momente der dynamischen Kategorienklassen der Relation und der Modalität, im Unterschied zu den mathematischen Kategorienklassen der Quantität und der Qualität, jederzeit der Korrelate bedürfen (s. KrV B 110), Kant diese in seiner Tafel der Freiheitskategorien nicht expliziert. Eine erste Aufgabe einer kategorialen Analyse des moralischen Rechts besteht deshalb darin, diese Korrelate ausfindig zu machen. Die Freiheitskategorien der Relation der zweiten Kritik sehen nun in Entsprechung zu den theoretischen Relationskategorien folgendermaßen aus: Praktische Kategorien der Relations: . „Auf die Persönlichkeit.“ . „Auf den Zustand der Person.“ . „Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen.“

Die Verstandeskategorien der Relation: Subsistenz und Inhärenz (substantia et accidens) Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung) Gemeinschaft (Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden)

Aus dieser Gegenüberstellung ist nun zu sehen, dass Kant einmal (1) das Korrelat zur „Persönlichkeit“, und ein anderes Mal (2) das Korrelat zum „Zustand der Person“ fallen lässt. Dabei fällt auch auf, dass das fehlende Korrelat des ersten Moments der Inhärenz (accidens) und das des zweiten Moments der Kausalität (Ursache) entspricht, weil Kant weder die Persönlichkeit, welche hier in einem moralisch relevanten Sinn verwendet wird (also nicht etwa im psychologischen Sinn), als etwas Akzidentielles versteht, noch lässt sich die praktische Ursächlichkeit in einem grundsätzlichen Sinn, worum es bei der Kategorien der Freiheit geht, auf den Zustand der Person reduzieren. Schließlich, weil nach Kant das dritte Moment jeder Kategorienklasse aus einer Verbindung des ersten und des zweiten Moments derselben Klasse hervorgeht (KrV B 110 f.), so kann eine nähere Behandlung des dritten Moments der praktischen Relationskategorie (3) erst nach dem Auffinden dieser fehlenden Korrelate in 1 und 2 erfolgen. Ad (1) In der theoretischen Philosophie Kants ist die Substanz das Unwandelbare im Dasein, das Beharrliche, weil sie der Zeit, die „selbst unwandelbar und bleibend ist“, in der Erscheinung entspricht (vgl. KrV A 143 f./B 183). Sie ist gerade deshalb das, was an sich selbst nur als Subjekt existiert. Akzidenz dagegen ist das Wandelbare, dessen Existenz immer inhärent ist. So hängt also auch alles Handeln als das Wandelbare von der Substanz bzw. dem Subjekt als dem Beharrlichen ab (s. KrV A 203 ff./B 249 ff.). Anstatt der Substanz spricht Kant nun in seiner  Das gilt m. E. auch für andere praktische Anwendungen der Verstandeskategorien, vor allem die, welche Kant bezüglich seiner Rechtslehre in Anspruch nimmt, s. etwa RL VI 247, 236 f., 306; VARL XXIII 218, 239, 274, 281; VATL XXIII 382; Briefe XXIII 494 f.; vgl. den Briefentwurf, XI 10. Vgl. Byrd/Hruschka 2005, 492 f.; Sänger 1982, 197– 218.

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praktischen Kategorientafel von der Persönlichkeit, einem Subjekt, welches der Adressat des Gesetzes der praktischen Vernunft sein kann (vgl. RL VI 223, 27 f.). Hierbei ist indes wichtig, die Persönlichkeit nicht von vornherein als ausschließlich intelligibel oder rein ethisch zu deuten, sie nämlich mit dem homo noumenon gleichzusetzen, da sich die Tafel der Freiheitskategorien in ihrer Gesamtheit, wie oben erwähnt, nicht allein auf die reine praktische Vernunft, sondern auf die praktische Vernunft im generellen Sinn bezieht; sie enthält neben dem Noumenalen auch sinnliche Elemente. Die Persönlichkeit ist hier daher als bezogen auf ein Wesen zu verstehen, welches sowohl eine noumenale wie auch eine phänomenale Seite besitzt. Ein solches Wesen bezeichnet Kant bekanntlich als Person, so dass man die der Substanz entsprechende Persönlichkeit auch mit der Person austauschen kann.¹¹ Schließlich soll, weil die ganze Tafel auf die transzendentale Freiheitskausalität folgt (s. oben), hier die Persönlichkeit also genauer gesehen als „dasjenige Subject“ verstanden werden, „dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“, ein Subjekt, das moralfähig ist (MS VI 223, 24 f.). Die Deutung des ersten Korrelats der ersten Relationskategorie als die Substanz bzw. das Subjekt der Zurechnung bedeutet aber, dass wir das fehlende zweite Korrelat zu diesem Subjekt als seine Handlungen und ihre Folgen ansehen können, ganz so, wie die Handlungen im theoretischen Bereich in Korrelation zur Substanz bzw. zum Subjekt stehen. Man könnte also analog sagen, während die Akzidenzien der Substanz zugeschrieben werden, werden die (willentlichen) Handlungen der Person (Persönlichkeit) zugerechnet. Ad (2) Während bei dem ersten Moment der Relationskategorie das zweite Korrelat nicht angeführt wird (entsprechend der Inhärenz), so fehlt bei dem zweiten Moment das erste Korrelat (entsprechend der Ursache). Nun zählt die Substanz in der apriorischen Einteilung der Momente der Kategorienklasse der Relation für Kant als die Vorbedingung der Ursache (vgl. KU V 197 Fn.). Eben daher hört – so Kant – bei dem Begriff der Substanz der Begriff der Ursache gleichsam auf, d. h. die möglichen Kausalketten setzen jeweils genau dort aus, wo es eine Substanz gibt. Eine Substanz gilt deshalb selbst als Ursache und nicht als Wirkung (s. Fortschritte XX 330).¹² Auf der anderen Seite weist auch der Handlungsbegriff, den wir als das fehlende Korrelat des ersten Moments der Relationskategorie

 Insofern weicht Kants Gebrauch des Begriffs Persönlichkeit in der Tafel der Freiheitskategorien von dessen präziser Absetzung von dem Begriff der Person in KpV V 87 etwas ab.  Kausalität ist gerade die Eigenschaft einer Substanz, so fern sie als Ursache einer Akzidenz angesehen wird (s. Meta. L2 XXVIII 564 f.).

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ausgemacht haben, auf den Begriff der Ursache hin (vgl. KrV A 204 f./B 250).¹³ Betrachten wir also diese begrifflichen Verbindungen angesichts des ersten (sc. Persönlichkeit bzw. Person/Handlung) und des zweiten Moments der Relationskategorie im Zusammenhang damit, dass die gesamte praktische Kategorientafel zum einen bereits auf der Kausalität der Freiheit gründet, zum andern wegen ihres Bezugs auf die praktische Vernunft im generellen Sinn per se der Moralität gegenüber noch unbestimmt bleibt, so kann das gesuchte Korrelat der zweiten Freiheitskategorie der Relation nur der Begriff der freien Willkür einer Person (das Vermögen, sich unabhängig von sinnlicher Antriebsnötigung zu bestimmen) sein (vgl. etwa KpV V 65, 32). Denn die freie Willkür ist stets auf ein praktisches Subjekt, eben die Persönlichkeit bzw. Person zurückzuführen, sie ist zudem die kausale Instanz, aus der die freien Handlungen erfolgen und schließlich bleibt sie, im Gegensatz zu dem reinen Willen bzw. der reinen praktischen Vernunft, der Moralität gegenüber noch unbestimmt (s. Teil III, Kap. 1). Doch an dieser Stelle bedarf auch das von Kant explizierte Korrelat im zweiten Moment der Freiheitskategorie der Relation, nämlich „Zustand der Person“, einer kurzen Erläuterung, zumal man gerade dieses mit dem der Ursache entsprechenden Korrelat verwechseln, und das fehlende Korrelat dann als das interpretieren könnte, was der Wirkung entspricht.¹⁴ Kant versteht unter dem Terminus „Zustand“ im Allgemeinen „die durchgängige Bestimmung eines Dinges in der Zeit“ (Meta. L2 XXVIII 564). Einem absoluten Wesen (Gott) lässt sich daher kein Zustand zuschreiben, da der Zustandsbegriff eben mit der Affizierbarkeit in der Zeit im Zusammenhang steht. Kant gibt in einer Vorlesungsnachschrift auch noch eine „ontologische Definition“ von Zustand an: „die Koexistenz der veränderlichen Bestimmungen eines Dinges mit dem Beharrlichen; […] Diese Koexistenz seiner veränderlichen Bestimmungen, […] mit dem Beharrlichen in ihm, […] macht nun seinen Zustand aus“ (VR XXVIII 1090).¹⁵ Der Träger der Zustände ist also immer eine kontingente Substanz – etwa das menschliche Wesen. Doch wie bereits erwähnt, geht der ganzen Kategorientafel der zweiten Kritik zum einen die Freiheitskausalität voraus, zum anderen gilt sie für die praktische Vernunft im generellen Sinn, und insofern sollte der „Zustand der Person“ sowohl in Bezug auf ihre moralische wie auch ihre, im Sinne Kants, physische, d. h. phänomenale

 In aller Kürze formuliert Kant diesen Zusammenhang regressiv folgendermaßen: „Kausalität führt auf den Begriff der Handlung, diese auf den Begriff der Kraft und dadurch auf den Begriff der Substanz“ (KrV A 204/B 249).  So z. B. Bobzien 1988, 206 f., vgl. 211 f.  „Ein Ding entsteht und vergeht, ein Zustand hebt an und hört auf. Ein Ding, dessen Zustand anhebt und aufhört, wird verändert; und was verändert wird, das bleibt“ (Refl. 5870 XVIII 373). Zum Begriff Zustand s. auch Meta. Volckmann XXVIII 432 f.

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Dimension betrachtet werden. Mit anderen Worten, Menschen sind eben diejenigen Wesen, die sich stets in dem Spannungsfeld eines „moralisch-physischen Zustand(es)“ befinden können. Zur dieser Doppelsinnigkeit des Zustandes in Kants Tafel der Freiheitskategorien kann aber auch noch eine weitere Unterteilung des Begriffs hinzugefügt werden. Da es in einem Zustand um Änderungen in der Zeit geht, lässt er sich wiederum in zweierlei Hinsicht betrachten, als allein unter der Zeitform, d. h. als innerer Zustand (nach bloß innerem Sinn) und als unter der Zeit- und Raumesform, d. h. als äußerer Zustand (nach äußerem Sinn).¹⁶ Nach diesen Erläuterungen wird noch einmal deutlich, dass Kant mit dem „Zustand der Person“ unter der Freiheitskategorie der Relation nicht das Korrelat Ursache, sondern nur das Korrelat Wirkung im Sinn hatte; denn aufgrund der durchgängigen Zeitdeterminiertheit des Zustandes würde seine Identifizierung mit dem Korrelat Ursache jede moralische Bedeutung dieser Kategorie ausschließen. Wenn Kant also in der Tafel der Freiheitskategorien vom „Zustand der Person“ als Korrelat zur Ursache, d. i. als Dependenz bzw. Wirkung spricht, so handelt es sich dabei weder um einen bloß moralischen noch um einen bloß physischen bzw. phänomenalen Zustand. Vielmehr umfasst der Begriff des Zustandes beide Aspekte in sich. Ferner handelt es sich dabei um die Einwirkung einer Person sowohl auf ihren eigenen inneren moralisch-physischen Zustand als auch auf den äußeren moralisch-physischen Zustand von Anderen.¹⁷ Nicht zuletzt sei angemerkt, dass der Begriff des Zustandes auch den Begriff der Handlung umfasst, den wir als das fehlende Korrelat im ersten Moment der Freiheitskategorie der Relation ausgemacht haben. Denn eine Handlung ist etwas, was in der phänomenalen Welt geschieht und darum in der Zeit determiniert ist. Ad (3) Die dritte Relationskategorie der Verstandesbegriffe ist die Gemeinschaft (commercium): „Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden“. Sie wird nach Kant aus der Verbindung des zweiten Begriffs mit dem ersten Begriff der Relationsklasse als ein neuartiger Begriff entwickelt: Sie ist „die Kausalität einer Substanz in Bestimmung der anderen wechselseitig“ (s. KrV B

 Eine relativ ausführliche Erläuterung des Zustandsbegriffs findet man in Becks Kommentar. Seine Erläuterung ist gleichwohl keine formale, wie es Kants Kategorientafel erfordert. Beck nimmt vielmehr eine durchweg das Zweckmoment einbeziehende Rekonstruktion vor (31995, 146).  In seiner Interpretation zu den ersten beiden Momenten der Relationskategorie behauptet Haas, dass in Persönlichkeit und Zustand der Person schon „das Unterscheidungskriterium von Rechts- und Tugendlehre“ enthalten sei (1997, 65 Fn. 13). In der Tat müssen aber beide Momente sowohl im obersten Rechtsprinzip wie auch im Tugendprinzip enthalten sein. Sie reichen weder aus, das kategoriale Spezifikum des Grundbegriffs der Rechtslehre zu zeigen, noch sind sie in der Lage, das Charakteristikum der Tugendlehre, das (moralische) Zweckmoment, zu bestimmen.

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110 f.; Prol. IV 325 Fn.; Hv. R. M.).¹⁸ Kants Argument für die Notwendigkeit der Kategorie der Gemeinschaft kann vereinfacht etwa so formuliert werden: Würde diese Kategorie, die wechselseitige Aufeinanderwirkung der Substanzen, fehlen, so bestünde eine völlige Isolation dieser Substanzen in ihrer Vielfalt als Erscheinungen im Raum voneinander. Die Wahrnehmung würde dann bei jedem neuen Objekt jederzeit ganz von vorne anfangen müssen, ohne dass eine vorige empirische Vorstellung damit „im geringsten zusammenhängen oder im Zeitverhältnisse stehen könnte“, damit würde also jede „Erfahrung“ unmöglich (KrV A 212 ff./B 259 ff.). In der Gemeinschaft sind es nun nach Kant die Zustände der Substanzen (sc. der Personen), die der wechselseitigen Determination ausgesetzt sind; die gegenseitige Wirkung der Substanzen aufeinander, ihre wechselseitige Kausalität, erfolgt stets „in Ansehung ihrer Akzidenzen“ (KrV A 144/B 183). Die eine Substanz determiniert den Zustand der anderen Substanz, diese wiederum den der ersteren.¹⁹ Genauer gesagt, da die Kausalität nur die Eigenschaft einer Substanz sein kann, welche eben als Ursache einer Akzidenz angesehen wird, so ist das Wirken – ein Handeln (actio), woraus eine reale Folge hervorgeht – ausschließlich der Substanz, das Leiden (passio) hingegen dem Zustand dieser Substanz zuzuschreiben.²⁰ Weil es aber bei der Kategorie der Gemeinschaft um die Substanzen als Wirkursachen in einer numerischen Verschiedenheit, d. h. um die voneinander unabhängig existierenden Substanzen geht, besteht darüber hinaus auch ein Wechselverweis von Gemeinschaft und der Anschauungsform Raum aufeinander.²¹ Das bedeutet wiederum, dass es in der Gemeinschaft allein um Wirkungen geht, welche unter der Raumesform der Sinnlichkeit stehen – um äußeres Handeln bzw. äußeres Leiden. Ein äußeres Handeln bezüglich des Zustandes einer anderen Substanz nennt Kant dann im Anschluss an die tradierte Begrifflichkeit Einfluss (influxus). Das äußere Leiden der Akzidenz bzw. des Zustandes einer Substanz ist daher das Ergebnis des Einflusses einer anderen Substanz (Meta. L2 XXVIII 564 f.).

 Kant macht auf die Zweideutigkeit des Wortes „Gemeinschaft“ aufmerksam. Wo es um wechselseitigen Einfluss der simultan existierenden Substanzen, um eine „reale Gemeinschaft“ (eben Kategorie der Gemeinschaft) geht, bedient er sich des Wortes „commercium“. Aller lokalen Gemeinschaft (communio spatii), die empirisch wahrgenommen wird, liegt hingegen jener apriorische Begriff vom commercium zugrunde (s. KrV A 214 f./B 260 f.; vgl. Meta. Volckmann XXVIII, 433 f.).  Vgl. Meta. L1 XXVIII 212, 15 – 18.  Die Begriffe von Handeln und Leiden zählen für Kant zu den direkt abgeleiteten Begriffen („Prädikabilien“) der zweiten Kategorie der Relation (s. KrV A 82/B 108). Zum Begriffspaar actio/ passio s. Meta. Volckmann XXVIII, 400, 12– 15; 433.  „[A]llein im Raume existiren, ist nicht blos existiren; sondern im Raum existiren bedeutet schon: in Gemeinschaft seyn“ (Meta. L1 XXVIII 213).

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Das Verhältnis aller drei Korrelatspaare der Kategorienklasse der Relation zueinander lässt sich also gemäß dem Begriffspaar Handeln/Leiden folgendermaßen darstellen: Das Verhältnis einer Substanz zu der eigenen Akzidenz bzw. dem eigenen Zustand ist nur das Handeln (actio, vis); das unilaterale Verhältnis von einer Substanz zu dem Zustand einer anderen Substanz, d. h. sofern nur die Rezeptivität der letzteren betrachtet wird, ist Handeln (actio) und Leiden (passio). Schließlich, wenn dieses Verhältnis wechselseitig wird (mutua) – sofern sowohl die Rezeptivität wie auch die Aktivität aller beteiligten Substanzen betrachtet werden, liegt ein commercium vor.²² Nach den bisherigen Ausführungen zu den ersten zwei Momenten der Freiheitskategorie der Relation (1. Persönlichkeit bzw. Person/Handlung; 2. Freie Willkür der Person/Zustand der Person) sowie der Kategorie der Gemeinschaft lässt sich jetzt das dritte Moment dieser Klasse (3. „Wechselseitig einer Person auf den Zustand der anderen.“) präziser angeben: Die Wechselwirkung der freien Willkür der Personen auf ihre jeweiligen Zustände. Das allgemeine Rechtsprinzip als ein genuines Gemeinschaftsprinzip. Wir sind jetzt imstande das moralische Recht anhand der Freiheitskategorie der Relation zu analysieren. Was das erste Moment der Relationskategorie anbetrifft, so ist die Persönlichkeit bzw. das Person-sein diejenige Eigenschaft, die es überhaupt erst ermöglicht, dass ein Wesen zurechnungsfähig bzw. Adressat der Moral ist, dass es also im Gegensatz zu „Sachen“ überhaupt Rechte haben kann.²³ Das erste Moment der Freiheitskategorie der Relation ist folglich das erste kategoriale Moment des moralischen Rechts; ein rechtliches Verhältnis kann es eben ausschließlich zwischen Personen geben. Nach § B der Einleitung in die Rechtslehre betrifft nun der moralische Begriff des Rechts nur das äußere praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere Person, sofern der Gebrauch ihrer Willkür als Fakta aufeinander Einfluss haben (RL IV 230, 7– 11). Es liegt damit auf der Hand, dass hierbei eine Mehrzahl von praktisch gefassten Substanzen, also Personen, auftritt, die äußerlich, und zwar wechselseitig durch den Gebrauch bzw. Einfluss ihrer freien Willkür aufeinander wirken. Und aus diesen Grundmomenten (den jeweiligen wechselseitigen Einflüssen der Willkürfreiheiten) entsteht dann ein Ganzes, welches nach obigen Ausführungen exakt der Kategorie der Gemeinschaft zugeordnet wird. Das allgemeine Rechtsprinzip kann daher angesichts der bisherigen kategorialen Analyse auch folgendermaßen reformuliert werden: Die Forderung des Zusammen-

 „Commercium est relatio substantiarum mutuo influxu“ (Meta. L2 XXVIII 565).  Eine Person hat nach Kant entweder lauter Rechte aber keine Pflichten (Gott) oder sowohl Rechte wie auch Pflichten (Menschen) (s. RL IV 241; s. auch TL VI, § 16)

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bestehens²⁴ des Gebrauchs der freien Willkür zurechnungsfähiger Personen, welche ihre Zustände gegenseitig beeinflussen, nach einem allgemeinen Gesetz miteinander. Der kategoriale Gemeinschaftscharakter des moralischen Rechts lässt sich auch durch den Freiheitsbegriff bestätigt, der ihm zugrunde liegt. Nachdem Kant sich in den §§ A-E der Einleitung der Rechtslehre mit dem moralischen Rechtsbegriff, dem allgemeinen Rechtsprinzip und dem diesem äquivalenten Zwangsrecht befasst hat, stellt er eine, im Vergleich zu den grundlegenden Moralschriften (Grundlegung und zweiter Kritik) grundsätzlich weiter entwickelte, d. i. rechtsspezifische Definition der Freiheit auf, welche nun lautet: die „Unabhängigkeit von eines andern nötigender Willkür“ (RL VI 237, 29; Hv. R. M.).²⁵ Gegenüber den zuvor aufgestellten Definitionen des Freiheitsbegriffs²⁶ entwirft Kant hier offensichtlich einen kategorial erweiterten, eben auf die Kategorie der Gemeinschaft spezifizierten Freiheitsbegriff: Es ist die implizite reziproke Abhängigkeit der freien Willkür von der Nötigung anderer in dieser Definition, die aus dem Freiheitsbegriff erst ein Freiheitsrecht macht. Schließlich zeigt noch eine weitere, allerdings nicht rein transzendentale, Voraussetzung des Rechtsbegriffs, dass die Aufgabe des allgemeinen Prinzips des Rechts allein unter der Kategorie der Gemeinschaft nachzuvollziehen ist: Die empirische Tatsache der Koexistenz moralischer Sinneswesen. Bei dieser Koexistenz handelt es sich allerdings nicht um die sog. „Gattungsanlage“ der Menschen, deren Trieb zur Etablierung einer Gesellschaft, die nach Kant „der physischen und bloß mechanischen Selbstliebe“ zugezählt wird (Religion VI 26). Vielmehr geht es um ein unvermeidliches Nebeneinandersein der Menschen in einem begrenzten Raum, auf der Erdoberfläche.²⁷ Denn der Erdboden als eine sich selbst schließende Kugelfläche, auf der sich die Menschen befinden, ist keine unendliche Ebene.²⁸ Wäre dem so, dann würden sich die Menschen – so Kants Argument – darauf verteilen können, ohne in Gemeinschaft zusammenkommen

 Es ist zu beachten, dass Begriffe wie das Zusammenbestehen der Handlungen bzw. Zustände der Freiheitssubjekte oder deren Widerstand gegeneinander zu den direkt abgeleiteten Begriffen („Prädikabilien“) aus der Verstandeskategorie der Gemeinschaft zählen (KrV A 82/B 108; s. RL VI 230, 32 ff.; 231, 1 f.; s. unten).  Vgl. VARL XXIII 302.  S. etwa KrV A 553 f./B 581 f.; GMS IV 447, 17; 446, 458; KpV V 78, 29 ff.; 48; MS VI 213, 35 ff.; 214, 1.  Hierzu s. Brandt 1974b, 183 ff.; Höffe 2001, 128 ff.  Die „Natur“ hat nach Kant alle Menschen zusammen durch eine gewisse Gestalt und Größe der bewohnbaren Erdfläche, nämlich die „Kugelgestalt ihres Aufenthalts, als globus terraqueus in bestimmte Grenzen eingeschlossen“ (RL VI 352).

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zu müssen.²⁹ Alle Bewohner des Planeten sind daher „durch diese Einheit ihres Aufenthalts in ein Verhältnis des durchgängig-wechselseitigen möglichen Einflusses gesetzt“ (VARL XXIII 320).³⁰ Kants Argument beschränkt sich jedoch nicht allein auf den Planeten Erde. Es gilt für jeden begrenzten, also nicht unendlichen Raum welcher Größe und welcher Gestalt er auch sein mag. Unter dem Plural von gleichsam sich überschneidenden Räumen der Willkürfreiheit übernimmt nun das allgemeine Rechtsprinzip die Aufgabe, das Zusammenbestehen ihres äußeren Gebrauchs zu regeln, so dass es jedermann einen gewissen Freiheitsraum zu erfüllen, und zugleich dem von Anderen bestrebten Eindringen in diesen Raum zu widerstehen gewährleistet. Nimmt man also die Tafel der Freiheitskategorien als Vorlage, so zeigt sich das moralische Recht als ein Gemeinschaftsbegriff im kategorialen Sinn, in welchem zugleich die beiden ersten Relationskategorien verbunden enthalten sind – das allgemeine Rechtsprinzip ist daher ein genuines Gemeinschaftsprinzip. Die Kategorie der Gemeinschaft, das allgemeine Rechtsprinzip und der Kategorische Imperativ. Es stellt sich jetzt die Frage, ob der kategoriale Gemeinschaftscharakter des allgemeinen Rechtsprinzips genauso auch dem Kategorischen Imperativ zuzuschreiben ist. Sollte dies nicht der Fall sein, so wird aus einer im Grunde transzendentalphilosophischen Sicht deutlich, worin der Unterschied zwischen dem obersten Prinzip des Rechts und dem der Moral besteht. Der Kategorische Imperativ, in seiner allgemeinen Formel ebenso wie in seiner Naturgesetzvariante und Autonomie-Formel, verknüpft aufgrund seines Rekurses auf einen subjektiven Grundsatz (sc. Maxime) das einzelne, zurechnungsfähige Subjekt mit dem Impersonalen, mit einem „vernünftige(n) unparteiische(n)“ und allgemeinen Standpunkt (GMS IV 393, 19 f., vgl. 424, 25 – 37). Dabei stellt er sich zudem intrasubjektiv auf, als ein objektives Freiheitsprinzip angesichts der eigenen Person. So spricht Kant in der Tugendlehre ganz deutlich davon, dass die allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs als ein Prinzip für Maximen anhand „des Willens überhaupt“ gelte; der Akzent wird hier nämlich auf das Bewusstsein der Übereinstimmung der Handlungsmaxime jedes Willens mit sich selbst aus einer unparteiischen Sicht gesetzt. Dagegen erhebt aber das allgemeine Rechtsprinzip einen Anspruch auf die Übereinstimmung der äußeren Handlungen einer Person mit dem „Wille(n) Anderer“ (TL VI 389, 1– 5). Der Kategorische Imperativ stellt also darauf ab, dass das Freiheitsvermögen der Person sich selbst verpflichtet, in dem allgemeinen Rechtsprinzip geht es hingegen spezifisch um das Freiheitsvermögen, Andere zu verpflichten. So liegt es also nahe, dass zur

 Vgl. VARL XXIII 322.  Vgl. weiter RL VI § 13, 262; VARL XXIII 289, 314, 318; Frieden VIII 328; Refl. 6315 XVIII 619.

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kategorialen Bestimmung der Selbstverpflichtung des Kategorischen Imperativs die beiden ersten Relationsmomenten (Substanz/Akzidenz und Ursache/Wirkung) ausreichen. Das ist im Folgenden näher zu überprüfen. Man könnte hiergegen zunächst etwa folgendermaßen argumentieren: Durch das dem Kategorischen Imperativ inhärente Verfahren der Universalisierung von Maximen (in der allgemeinen, der Naturgesetz- und der Autonomie-Formel), dass diese nämlich als allgemeines Gesetz gelten sollen, geschieht nichts anderes, als sich eine Welt vorzustellen, in der sich die fragliche Maxime erst als widersprüchlich herausstellen kann (s. auch Teil III, Ende Kap. 4). Doch die Vorstellung einer solchen Welt muss dann gerade die Kategorie der Gemeinschaft enthalten, und somit würde auch der Kategorische Imperativ im Grunde ohne das dritte Moment der Kategorienklasse der Relation nicht auskommen. Entgegen diesem möglichen Einwand sind folgende Punkte anzumerken: In der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs selbst tauchen weder die Grundmomente der Gemeinschaftskategorie (etwa wechselseitige Einflüsse der Willkürfreiheiten aufeinander) noch deren sog. Prädikabilien, d. h. direkt von dieser Kategorie abgeleitete Begriffe (z. B. das Zusammenbestehen) auf. (Selbst die in dieser Formel implizierte Universalisierung der Maximen, dass nämlich ein nur subjektiv gültiger Grundsatz zu einem allgemeinen Gesetz wird, gilt dabei nicht als ein Fall der Gemeinschaftskategorie; sie fällt vielmehr, wie Kant es in seiner Tafel der Freiheitskategorien expliziert (KpV V 66, 21 ff.), unter die Kategorienklasse der Quantität.) Zudem hängt die Aufgabe des Kategorischen Imperativs nicht etwa davon ab, dass eine universalisierte Maxime mit den Maximen oder den äußeren Handlungen der Anderen zusammen bestehen kann; denn so würde sich Kants oberstes Moralprinzip in ein pragmatisches Prinzip verwandeln (vgl. Verkündigung VIII 420 f.). Dies ist vielmehr der Weg, wodurch bloß das Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs in der allgemeinen Formel fungiert. Beim allgemeinen Rechtsprinzip dagegen liegt die Aufgabe selbst gerade in der Ermöglichung des Zusammenbestehens der Willkürfreiheiten miteinander in deren äußerem Gebrauch bzw. unter deren Einflussnahme aufeinander – diese Aufgabe ruht zwar ihrerseits geltungstheoretisch auf dem Kategorischen Imperativ, ist aber nicht auf dessen Aufgabe zu verkürzen. Selbst wenn man schließlich davon ausgeht, eine nachkonstruierte Welt nach dem Prüfverfahren des Kategorischen Imperativs enthalte die Kategorie der Gemeinschaft, so ist diese Welt erst dann denkunmöglich, wenn es sich um eine universalisierte Maxime handelt, welche eine Rechtspflicht verletzt. Und dies würde vielmehr dafür sprechen, dass das allgemeine Rechtsprinzip, das zugleich als das oberste Prinzip der Rechtspflichten gilt (vgl. Teil III, 4 f.), im Vergleich zur allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs ein genuines Gemeinschaftsprinzip ist.

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Wie steht es aber um die Selbstzweck-Formel des Kategorischen Imperativs; kann etwa sie als ein Gemeinschaftsprinzip angesehen werden? Man mag gerade dadurch, dass in dieser Formel der Begriff des Anderen auftaucht,³¹ vermuten, dass hier die Gemeinschaftskategorie im Spiel ist. Doch der Andere gilt in dieser Formel als ein lediglich passives bzw. leidendes Subjekt; es handelt sich dabei also um ein unilaterales Kausalverhältnis (s. oben).³² Das Grundmoment der Gemeinschaftskategorie, die aktiv–passive Wechselwirkung (actio/reactio) bzw. der wechselseitige Einfluss der Personen aufeinander, fehlt auch in dieser Variante. Schließlich mag die Reich-der-Zwecke-Formel des Kategorischen Imperativs am stärksten den Eindruck erwecken, dass sie die Gemeinschaftskategorie in sich enthält, zumal Kant sie in der Grundlegung im Vergleich zu den anderen Formeln als eine vollständige bezeichnet (GMS IV 436, 8 ff., 23). In der einschlägigen Stelle der Grundlegung behandelt Kant den dreiteiligen Fortgang von der Naturgesetzund Selbstzweck-Formel zur Reich-der-Zwecke-Formel zum einen anhand der Reflexionsbegriffe Materie und Form, zum anderen anhand der Momente der Kategorienklasse der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit), jeweils aber immer nur im Hinblick auf die Maximen (GMS IV 436, 26 – 29).³³ Dass sich also die Reich-derZwecke-Formel als „die umfassendste aller Kantischen Formeln“ des Kategorischen Imperativs (Paton 1962, 225) aufdrängt, betrifft zunächst offensichtlich ihr Verhältnis zu den Maximen, worauf ich hier jedoch nicht weiter eingehen kann. Die hier relevante Frage besteht vielmehr darin, ob diese Formel auch die vollständige Dreiteilung gemäß den Relationskategorien umfasst. Kant versteht unter einem „Reich“ die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche, objektive Gesetze (GMS IV 433, 17 f.). Es wird nämlich bei dem Reich der Zwecke ein Ganzes aller Zwecke, soweit sie mit dem allgemeinen Gesetz vereinbar sind, in systematischer Verknüpfung gedacht. Und insofern weist also das Reich der Zwecke schon auf eine moralische Gemeinschaft hin (vgl. GMS IV 434, 25 f.). Problematisch wird jedoch die Gleichsetzung dieser Gemeinschaftskonzeption mit Kants strengem Verständnis der Kategorie der Gemeinschaft, wenn wir darauf achten, dass Kant das Reich der Zwecke auch mit einer „Welt vernünftiger Wesen (mundus intelligibilis)“ identifiziert (GMS IV 438, 16 ff.; vgl. Moral Mron-

 „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (GMS IV 429, 10 ff.; Hv. R. M.)  Vgl. etwa Rawls 2004, 31.  So schreibt Kant: „eine vollständige Bestimmung aller Maximen durch jene Formel, nämlich: daß alle Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reiche der Zwecke, als einem Reiche der Natur, zusammenstimmen sollen.“ (GMS IV 23 – 26)

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govius II, XXIX 629). Bereits in der ersten Kritik setzt Kant dieses gleich mit einer „moralische(n) Welt“, die „allen sittlichen Gesetzen gemäß wäre (wie sie es denn nach der Freiheit der vernünftigen Wesen sein kann und nach den nothwendigen Gesetzen der Sittlichkeit sein soll)“, einer Welt, in der „von allen Hindernissen der Moralität in derselben (Schwäche oder Unlauterkeit der menschlichen Natur) abstrahirt wird“ (KrVA 808/B 836).³⁴ Kant stellt dann zwar in der Grundlegung eine Analogie zwischen dem Reich der Zwecke und dem „Reich der Natur“ her (GMS IV 338, 23 f.; vgl. TL VI 449, 6 f.; Refl. 7260 XIX 296 f.), dies hat jedoch vielmehr dazu zu dienen, „das herrliche Ideal eines allgemeinen Reichs der Zwecke“ anschaulich zu machen (s. GMS IV 462 f.; Hv. R. M.). Aus Kants Gleichsetzung des Reichs der Zwecke mit dem Ideal einer moralisch vollkommen Welt ergibt sich aber Folgendes: Käme das Reich der Zwecke als eine der Moralität völlig entsprechende Welt zustande (vgl. ethisches Gemeinwesen in Religion VI 98, 28 – 31), so würden alle intersubjektiven Verhältnisse per definitionem bereits aus innerer Motivation heraus moralisch miteinander in Einklang stehen. Es würde dann aber kein Bedarf mehr bestehen, die Beziehungen der „Glieder“ dieses Ganzen zueinander über ein äußeres Freiheitsgesetz zu bestimmen, da die Forderungen der Moralität bereits vollständig erfüllt sind, was die Forderungen der (juridischen) Legalität hinfällig macht. Eine solche intelligible und innerlich bestimmte Gemeinschaft der Personen entspricht jedoch nicht mehr den Grundmomenten der Kategorie der Gemeinschaft, da es sich bei ihr nicht mehr um eine unter der Raumesform stehende, durchgängige Wechselwirkung der Substanzen (dem Aufeinander-Einfluss räumlich erscheinender Substanzen) handelt (vgl. unten Unterkap. 3.1). Vielmehr verwandelt sich eine solche Gemeinschaft in eine gleichsam der Moralität nach vorherbestimmte Harmonie, welche dann eben jeden Widerstand der Willkürfreiheiten gegeneinander, und damit ein Prinzip für das Zusammenbestehen der äußeren Freiheiten überflüssig macht.³⁵ – Kurz gesagt, auch die Aufgabe der Reich-der-Zwecke-Formel besteht in der Bestimmung der inneren Freiheit.³⁶

 Zum Reich der Zwecke als Reich der Sitten vgl. auch KpV V 82, 35 f.; zu einer (bloß negativen) Problematisierung der Identifikation des Reichs der Zwecke mit der „Idee einer moralischen Welt“ s. jedoch Schönecker/Wood 2002, 159 Fn. 89; vgl. bereits Reich 1935, 45 ff.  So schreibt Kant in einer Reflexion aus den 1780er Jahren: „Das commercium der substanzen“ des mundus noumenon als der Idee eines Ganzen von intelligiblen Substanzen „ist nur durch harmoniam praestabilitam möglich, 1. weil viel substantzen nur durch eine gemeinschaftliche Ursache in Gemeinschaft seyn können; 2. weil diese harmonie keine Natur seyn würde, wäre sie nicht schon in die Schopfung der Dinge der Welt gelegt und also prästabilirt. Im Mundo sensibili gilt influxus physicus. Im Mundo noumeno sind alle substantzen intellectuel“ (Refl. 5943 XVIII 396; vgl. Refl. 5994 XVIII 418; vgl. hierzu Wolff 1973, 183, 185).  In den Anmerkungen seines Kommentars zur zweiten Kritik teilt uns Beck mit, dass Paton ihm bzgl. der Freiheitskategorien der Relation eine Interpretation vorschlagen hatte. Nach die-

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Die obigen Analysen zeigen zur Genüge, dass sich keine der Formeln des Kategorischen Imperativs aus der Grundlegung als ein, im streng kategorialen Sinn, genuines Gemeinschaftsprinzip der äußeren Freiheit ausweisen kann. Mit Rückblick auf die Kategorienlehre Kants wissen wir, dass die Kategorien Urbegriffe sind, die im Stammregister des Verstandes vollständig durchgezählt und angeordnet werden. Sie sind also keine abgeleiteten Begriffe; jede Kategorienklasse und jedes Kategorienmoment innerhalb dieser Klassen ist ein Elementarbegriff sui generis. ³⁷ Darüber hinaus wird in jeder dreigliedrigen Kategorienklasse bzw. -gruppe, wie oben erwähnt, das dritte Kategorienmoment aus einer Verbindung des zweiten mit dem ersten seiner Klasse als ein neuartiger Begriff entwickelt, so wie beispielsweise die Gemeinschaft als die wechselseitige Kausalität (das zweite Moment) der Substanzen (das erste Moment) gilt. Kant mahnt deshalb mit Emphase, dass das dritte Moment in jeder Kategoriengruppe nicht für einen abgeleiteten Begriff gehalten werden darf: „daraus, dass ich den Begriff einer Ursache und den einer Substanz beide verbinde, noch nicht sofort der Einfluss, d. i. wie eine Substanz Ursache von etwas in einer anderen Substanz werden könne, zu verstehen“ ist (KrV B 110 f.; Prol. IV 325 Anm.; vgl. KU V 197 Fn.). Das dritte Moment unter jeder Kategoriengruppe enthält also immer ein zusätzliches Element zu dem, was die ersten zwei für sich und zusammen genommen ausmachen. Überträgt man diese Grundthesen der Transzendentalphilosophie auf den praktischen Bereich, so wird aus dem kategorialen Gesichtspunkt heraus deutlich, dass der moralische Rechtsbegriff ein Gemeinschaftsbegriff (genauer: eine praktische Prädikabilie der Kategorie der Gemeinschaft), und in diesem Sinn nicht über ein simples Ableitungsverfahren aus dem Kategorischen Imperativ zu gewinnen ist, für dessen Geltung, wie wir oben gesehen haben, im Grunde die ersten zwei Momente der Relationskategorie ausreichen.

sem Vorschlag decke sich jedes der Momente der Kategorienklasse der Relation jeweils mit einer Formel des Kategorischen Imperativs: Die Autonomie-Formel entspreche der Subsistenz-Inhärenz (bezogen auf den homo noumenon), die Selbstzweck-Formel der Ursache-Wirkung (bezogen auf den homo phaenomenon) und die Reich-der-Zwecke-Formel entspreche der Kategorie der Gemeinschaft (Beck 31995, 280 Anm. 40; vgl. dazu Wimmer 1982, 292, 25 ff.; 293 f.). Diese „elegante“ Interpretation lässt sich jedoch nicht vertreten, und zwar schon darum, weil in allen Formeln des Kategorischen Imperativs die beiden ersten Momente der Klasse der Relationskategorie bereits enthalten sein müssen. Zudem kommt es in der Tat in jeder Formel des Kategorischen Imperativs sowohl auf den noumenalen als auch den phänomenalen Aspekt des Menschen an – eben deshalb sind sie überhaupt erst moralische Imperative.  Kategorien haben allerdings ihre reinen, von ihnen direkt abgeleiteten Begriffe, die Kant als „Prädikabilien“ bezeichnet (s. KrV A 81 f./B 107 f.; vgl. Prol. IV § 39, 324). So wie die Begriffe Handlung oder Leiden zu Prädikabilien der Kategorie der Kausalität zählen, so gelten Begriffe wie Zusammenstimmen oder Widerstand als Prädikabilien der Kategorie der Gemeinschaft.

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

In der Literatur finden sich nun zwar Ansätze, die auch gegen ein Ableitungsverhältnis des allgemeinen Rechtsprinzips aus dem Kategorischen Imperativ argumentieren (etwa Willaschek 1997, 2002, 2009; Horn 2009). Dabei wird aber nicht ganz klar,was genau sie unter „Ableitung“ („derivation“) verstehen. Deutlich ist jedenfalls, dass sie darunter das kategoriale Verhältnis beider Prinzipien gar nicht in Betracht ziehen. In der Widerlegung eines Ableitungsverhältnisses des allgemeinen Rechtsprinzips aus dem Kategorischen Imperativ schließen diese Interpretationen vielmehr darauf, dass sich das allgemeine Rechtsprinzip in seiner Geltungsart von dem Kategorischen Imperativ unterscheidet. Ich vertrete hier dagegen die These, dass das allgemeine Rechtsprinzip sich zwar von dem Kategorischen Imperativ unterscheidet, doch nicht etwa in seiner Geltungsart, sondern in einer transzendental-kategorialen Hinsicht. Mit anderen Worten, die oben genannten Ansätze ziehen aus der offensichtlichen Irreduzibilität des allgemeinen Rechtsprinzips auf das oberste Moralprinzip Kants das falsche Quod erat demonstrandum. Die zwei Prinzipien differieren, doch nicht in ihrer kategorischen Geltung, sondern in ihrem kategorialen Charakter. Dies kann sich aber, wie oben dargelegt wurde, allein durch die Inanspruchnahme der transzendentalphilosophischen Perspektive zeigen. Erst hierdurch lässt sich einsehen, warum das allgemeine Rechtsprinzip trotz seiner kategorischen Geltung anders als der Kategorische Imperativ gestaltet wird bzw. werden muss (s. auch Teil II, Kap. 3). Methodisch gesehen heißt das also, dass die adäquate Verhältnisbestimmung der obersten Prinzipien von Recht und Moral bei Kant ohne Miteinbeziehung seiner Transzendentalphilosophie unterbestimmt bleibt. Konzise formuliert: Das allgemeine Rechtsprinzip ist im Unterschied zum Kategorischen Imperativ in einem transzendentaldefinitorischen ³⁸ Sinn ein genuines Gemeinschaftsprinzip,und wird der Kategorische Imperativ auf die Gemeinschaftskategorie hin spezifiziert bzw. erweitert, so kann er aus transzendentalkritischen Gründen nicht anders lauten als eben das allgemeine Rechtsprinzip.

2 Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips und dessen Status als Postulat In § D der Rechtslehre zeigt Kant rein begrifflich die analytische Verbindung des moralischen Rechts mit der Zwangsbefugnis: Der moralische Rechtsbegriff ist

 Unter einer „transscendentale(n) Definition“ versteht Kant eine Definition „durch reine Kategorien, sofern diese allein schon den Unterschied des vorliegenden Begriffs von anderen hinreichend angeben“ (KU V 177 Fn.).

2 Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips

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nicht aus zwei Teilen, aus der Gesetzesverbindlichkeit und der Befugnis zu zwingen, zusammengesetzt (RL VI 231, 24– 34, 232, 6 – 9; vgl. Rezension von Hufeland VIII 128 f.).³⁹ Die rechtliche Verbindlichkeit und die Befugnis, andere zu deren Einhaltung zu zwingen, sind vielmehr „einerlei“ (RL VI 232, 29).⁴⁰ Auch in Abschnitt X der Tugendlehre kommt Kant noch einmal auf den analytischen Charakter des allgemeinen Rechtsprinzips zurück: „Das oberste Prinzip der Rechtslehre war analytisch; das der Tugendlehre ist synthetisch“ (TL VI 396).⁴¹ Zwischen den beiden Passagen besteht allerdings ein wichtiger Unterschied: Das, was in der Tugendlehre den Ausschlag für Kants direkte Charakterisierung des obersten Rechtsprinzips als analytisch gibt, ist dessen Verhältnis zu dem Zweckbegriff, nicht wie in § D der Rechtslehre die Zwangsbefugnis. Der Zweckbegriff wird nämlich im Tugendprinzip, im Gegensatz zum Rechtsprinzip, welches sich nur mit der Einschränkung der äußeren Freiheit „durch das bloße Förmliche ihrer durchgängigen Zusammenstimmung“ begnügt, selbst zur Pflicht gemacht, so dass dabei eine Erweiterung des Pflichtbegriffs stattfindet. Bereits in Teil II, Kap. 3.2 habe ich dargestellt, was diese Analytizität des allgemeinen Rechtsprinzips in beiden Passagen im Grunde bedeutet und dabei auch ausführlich für den moralischen Charakter der Zwangsbefugnis bei Kant argumentiert. Bei der Wiederaufnahme des Themas in diesem Kapitel kommt es daher nur darauf an, zu überprüfen, ob aus rein theoretischen Gründen, allein auf der Grundlage der Urteilstheorie Kants, die Verbindung zwischen dem obersten Rechtsprinzip und dem Kategorischen Imperativ als einem synthetisch-praktischen Satz in Abrede gestellt werden kann. Diese Frage stellt sich hier – abgesehen von dem generellen Interesse dieses Teils der vorliegenden Arbeit an transzendentalphilosophischen Grundlagen des moralischen Rechts – auch darum, weil manche Kant-Interpreten, wie etwa Allen Wood, den analytischen Charakter des obersten Rechtsprinzips als beste Erklärung dafür halten, dass Kant jede Ableitung dieses Prinzips aus dem Moralprinzip unterlassen hat. Allein die fragliche Analytizität diskreditiere demnach an sich ganz deutlich jede Ableitungsmöglichkeit des obersten Rechtsprinzips aus der allgemeinen Formel des Kategorischen Imperativs als einem synthetischen Prinzip, „since it would be nonsense to think that we need to derive an analytic proposition from a synthetic one“ (Wood 2002, 7 f.; 1999, 35). Rein theoretischer Natur will aber auch eine andere Interpretation (Willaschek 1997, 2009) aus einer Behauptung Kants am Ende des § C der Rechtslehre, dass das allgemeine Gesetz des Rechts ein „Postulat“ sei, „welches  S. bereits Moral Mrongovius II, XXIX, 618 f., vgl. 631 14– 23.  S. auch Rezension Hufeland VIII 128, 27 f.; vgl. Höffe 2001, 141 f.  Das oberste Prinzip der Tugendlehre lautet: „handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann.“ (TL VI 395).

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

gar keines Beweises weiter fähig ist“ (VI 231, 18), auf die Unabhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes vom Kategorischen Imperativ schließen. Im Folgenden möchte ich mich daher mit beiden Interpretationen auseinandersetzen und dabei zugleich den transzendentalphilosophischen Hintergrund des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes bei Kant weiter verdeutlichen. So werde ich zum einen zeigen, dass Wood das Ableitungsverhältnis zwischen dem Rechts- und dem Moralprinzip missdeutet; dass aus transzendentalphilosophischer Sicht die Analytizität des obersten Rechtsprinzips vielmehr auf seine notwendige Verbindung mit dem Kategorischen Imperativ als einem synthetischen Satz verweist. Zum anderen werde ich darstellen, dass Kants Behauptung in § C der Rechtslehre, dass das allgemeine Gesetz des Rechts ein „Postulat“ sei, nichts zugunsten einer Interpretation besagt, welche für die Unabhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes vom Kategorischen Imperativ plädiert. Analytische Urteile sind nach Kant solche, „in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität“ gedacht wird. In synthetischen Urteilen wird diese Verknüpfung hingegen ohne Identität gedacht (KrV A 6 f./B 10 f.).⁴² In analytischen Urteilen ist das Verhältnis der Begriffe unmittelbar und nach dem Satz des Widerspruchs vorstellbar, so dass sich das Prädikat gemäß des Widerspruchssatzes aus dem Subjekt erschließen lässt. Synthetische Urteile gehen dagegen durch ihr Prädikat über den Begriff des Subjekts hinaus, weil das Prädikat etwas enthält, was in dem Begriff des Subjekts gar nicht gedacht wird. Um über einen gegebenen Begriff hinauszugehen und ihn mit einem anderen synthetisch zu verbinden, ist folglich,wie Kant sagt, ein Drittes nötig, „worin allein die Synthesis zweier Begriffe entstehen kann“ (KrV A 155/B 194). Unter „Synthesis“ selbst versteht Kant „in der allgemeinsten Bedeutung“ einen Akt, welcher verschiedene Vorstellungen zusammenfügt und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis begreift. Doch die Synthese des Mannigfaltigen selbst erhalten wir dabei nach Kant weder durch die Sinne, noch ist sie in einer reinen Anschauungsform enthalten; sie ist vielmehr ein „Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft“, eine Verstandeshandlung. Dieser Akt ist als solcher „ursprünglich einig und für alle Verbindung gleich geltend“ (KrV B 130). Eine Synthesis kennzeichnet Kant sodann als rein,wenn auch ihr Objekt, das Mannigfaltige, nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist.

 Kant merkt jedoch an: Wenn man analytische Urteile „identische nennen wollte, so würde man nur Verwirrung anrichten; denn dergleichen Urteile tragen nichts zur Deutlichkeit des Begriffs bei, wozu doch alles Urteilen abzwecken muss, und heißen daher leer […]. Analytische Urteile gründen sich zwar auf der Identität, und können darin aufgelöst werden, aber sie sind nicht identisch, denn sie bedürfen der Zergliederung und dienen dadurch zur Erklärung des Begriffs“ (Fortschritte XX 322).

2 Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips

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Für die Transzendentalphilosophie ist nun entscheidend, dass aller Analysis unserer Vorstellungen, welche eben durch analytische Urteile ausgedrückt werden, eine Synthesis vorausgeht. Rein analytisch können nämlich nach Kant „keine Begriffe dem Inhalte nach“ entspringen; denn „wo der Verstand vorher nichts verbunden hat“, dort kann er auch nichts auflösen. Das zu Analysierende muss also als bereits durch den Verstand Verbundenes der Vorstellungskraft gegeben werden (KrV A 77/B 103, B 130; Hv. R. M.). Es ist daher die Synthesis eines Mannigfaltigen, ob a priori oder empirisch gegebenen, welche eine Erkenntnis hervorbringt, so grob und verworren und daher analysebedürftig sie anfänglich auch sein mag. Nach dieser Lehre heißt es daher, dass, wenn wir über den Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen, die Synthesis „das erste [ist], worauf wir Acht zu geben haben“ (KrV A 78/B 103). Mit anderen Worten, jedem analytischen Urteil muss nach Kant geltungstheoretisch ein synthetischer Grundsatz voraus liegen. Die Analytizität eines Urteils kann daher nicht etwa dafür geltend gemacht werden, seine Ableitung von einem synthetischen Urteil zu widerlegen.⁴³ Ganz im Gegenteil, sie weist vielmehr auf ein vorausgehendes, synthetisches Urteil hin.⁴⁴ Nun geht es bei dem obersten Prinzip des Rechts um einen Satz, welcher selbstverständlich einen normativen Inhalt, und dessen normative Geltung gleichsam einen Ursprung hat. Übertragen wir also den obigen Sachverhalt zwischen analytischen und synthetischen Urteilen auf praktische Urteile, so lässt sich die Analytizität dieses Prinzips nicht etwa als Beweis seiner Unabhängigkeit von dem synthetischen Moralprinzip ansehen, sondern, der These Woods vollkommen entgegen, gerade als Indiz für seine Geltungsabhängigkeit von einem zugrunde liegenden synthetisch-praktischen Satz a priori (sc. Kategorischer Imperativ). Unrecht ist ein Missbrauch der Freiheit in der Gemeinschaft im kategorialen Sinn, dem der freiheitskompensatorische – eben darum befugte – Zwang entgegengesetzt wird, um das widerspruchsfreie Zusammenbestehen der äußeren Freiheiten zu gewährleisten. Stützte sich dieser analytische Zusammenhang zwischen der Zwangsbefugnis und dem Recht (§ D der Rechtslehre) nicht auf eine objektiv reale, moralische Basis, anders ausgedrückt: „wenn es keine Freiheit und darauf gegründetes moralisches Gesetz“ gäbe, so wäre „der Rechtsbegriff ein sachleerer Gedanke“ (Frieden VIII 372; Hv. R. M.).⁴⁵

 S. im Fall von mathematisch-synthetischen Grundsätzen, KrV B 14; Prol. IV 268.  Vgl. hierzu Albert 51991, 13 f.  In den Vorarbeiten zur Rechtslehre heißt es: „A n a l y t i s c h e r G r u n d s a t z des Rechts (Zwanges) handle so daß deine Freyheit mit jedermanns seiner nach allgemeinem Gesetze zusammen bestehen kan, denn der Zwang kan damit bestehen. S y n t h e t i s c h e r G r u n d s a t z . Es ist an sich Pflicht (auch ohne Zwang) so zu handeln daß deine Freyheit mit anderer ihrer

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

Die zweite Passage der Metaphysik der Sitten, in der Kant von der Analytizität des obersten Rechtsprinzips spricht, legt jedoch den Akzent noch einmal auf etwas Anderes. In Abschnitt X der Tugendlehre geht es Kant im Grunde um eine Gegenüberstellung der Analytizität des obersten Rechtsprinzips und der Synthetizität des obersten Prinzips der Tugendlehre – um einen erweiterten Pflichtbegriff, den Begriff der Zwecke, die zu haben zugleich Pflicht ist (Pflichtzwecke). Für den synthetischen Charakter des obersten Prinzips der Tugendlehre fungiert nämlich dieser Zweckbegriff gleichsam wie ein „Drittes“, als etwas, wodurch eben eine Erweiterung des auf dem Kategorischen Imperativ gegründeten Pflichtbegriffs der ethischen Grundlagenschriften erfolgt (s. Teil II, Kap. 4). Im Gegensatz zum obersten Rechtsprinzip, welches sich gerade aus transzendentalphilosophischen Gründen damit begnügen muss, dass sich die wechselseitigen äußeren Handlungen in der Gemeinschaft nicht widersprechen, dass sie nämlich nach dem Satz des Widerspruchs zusammen bestehen können, verbindet also das oberste Prinzip der Pflichtzwecke die Begriffe Pflicht und Zweck miteinander.⁴⁶ Diese Pointe des Abschnitts X der Tugendlehre sagt zwar wiederum auch nichts über eine vermeintliche Unabhängigkeit des analytischen, obersten Rechtsprinzips vom Kategorischen Imperativ, sie weist aber auf zwei Stufen der Synthetizität der Moralprinzipien bei Kant hin, die voneinander zu unterscheiden sind. Zum einen auf die basale Synthetizität des Faktums der Vernunft bzw. des Kategorischen Imperativs, worauf sowohl die Analytizität des obersten Rechtsprinzips wie auch die Synthetizität des obersten Prinzips der Pflichtzwecke beruhen; zum andern auf diese letztere, welche sich erst aus einem erweiterten Pflichtbegriff durch den Zweckbegriff ergibt. In dem letzten Absatz des § C der Rechtslehre bezeichnet Kant nun das allgemeine Rechtsprinzip bzw. -gesetz als „ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist“ (RLVI 231, 18; Hv. R. M.). Auch diese Stelle wird als ein Beleg für die Unabhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes vom Kategorischen Imperativ in Anspruch genommen (s. etwa Willaschek 1997, 220 f.; 2009, 68,

zusammen stimme.“ (XXIII 297, 4– 9). Erst letzterer, synthetisch-praktischer Satz kann also begründen, dass der erstere überhaupt verbindlich ist.  Geismann sieht trotz seiner Anerkennung der kategorischen Geltung des allgemeinen Rechtsgesetzes die Analytizität des Rechtsprinzips als den „prägnantesten Ausdruck“ für die Unabhängigkeit der Rechtslehre vom transzendentalen Idealismus und, im Anschluss an Klaus Reich, von einer „transzendentalen Deduktion“. Doch theoretisch betrachtet ist der Zweckverzicht des Rechtsprinzips als eine direkte Konsequenz Transzendentaler Ästhetik nicht zu bestreiten. Die Frage nach dem Grund für den Zweck- bzw. Triebfederverzicht der Rechtslehre sieht Geismann „leicht zu beantworten: weil sie darauf verzichten muß“ (Geismann 2006, 37 Fn. 208, 42 f.). Er übersieht aber, dass dieses „Muss“ gerade aus zweierlei Perspektiven betrachtet werden kann: freiheitstheoretisch und transzendentalphilosophisch (s. Teil II, Kap. 3.1).

2 Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips

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Fn. 9; kritisch dazu s. Guyer 2002, 25 f.; vgl. Pippin 2006). Wäre nämlich eine geltungstheoretische Abhängigkeit des allgemeinen Rechtsgesetzes vom Kategorischen Imperativ auf irgendeine Weise möglich, so hätte Kant das allgemeine Rechtsgesetz nicht als ein Postulat bezeichnet; es würde erstaunen, wenn dieses Gesetz als Postulat, das gar keines Beweises weiter fähig ist, eine spezifische Anwendung eines noch höheren Prinzips wäre – so lautet das Argument. Ich möchte hier durch nähere Betrachtung der Grundelemente der Aussage Kants am Ende des § C, nämlich „Postulat“, „Beweis“ und „weiter fähig“, zeigen, dass diese nichts zugunsten einer Widerlegung der Abhängigkeit des allgemeinen Rechtsgesetzes vom Kategorischen Imperativ, wie auch immer man diese genau verstehen mag, beitragen. Was zunächst den theoretischen Terminus „Postulat“ an sich nach Kant betrifft, so trägt er eine Doppeldeutigkeit, welche an dieser Stelle beachtet werden muss. Gemäß seiner Erläuterung der Verstandesgrundsätze der Modalkategorien in der ersten Kritik erklärt Kant, was der Benennungsgrund dieser Grundsätze als gerade „Postulate des empirischen Denkens“ sei (KrV A 232 ff./B 285 ff.). Dabei setzt Kant zwei Bedeutungen von „Postulat“ voneinander ab. In einer, unter „einige(n) neuere(n) philosophische(n) Verfasser(n)“ geläufigen Bedeutung werde Postulat für einen Satz gebraucht, der „unmittelbar gewiß ohne Rechtfertigung oder Beweis“ sei. Kant weist aber diesen Gebrauch sofort und dezisiv zurück: „denn wenn wir das bei synthetischen Sätzen, so evident sie auch sein mögen, einräumen sollten […] so ist alle Kritik des Verstandes verloren“ (KrV A 233/B 285). Kant widerlegt hier zwar diese Bedeutung von „Postulat“ unter Bezugnahme auf die „synthetischen Sätze“; doch wie wir oben gesehen haben, hängt ja die Geltung analytischer Sätze jeweils von einem synthetischen Satz ab und insofern gilt Kants Aussage a fortiori auch für analytische Sätze. Kant selber bedient sich dagegen einer ursprünglich mathematischen, also formalen und bescheideneren Bedeutung des Begriffs von Postulat und versteht darunter den technisch-„praktische(n) Satz, der nichts als die Synthesis enthält, wodurch wir einen Gegenstand uns zuerst geben und dessen Begriff erzeugen, z. B. mit einer gegebenen Linie aus einem gegebenen Punkt auf einer Ebene einen Cirkel zu beschreiben; und ein dergleichen Satz kann darum nicht bewiesen werden, weil das Verfahren, was er fordert, gerade das ist, wodurch wir den Begriff von einer solchen Figur zuerst erzeugen.“ (A 234 f./B 287)⁴⁷

 In diesem Sinne sagt Kant auch in der Logik: „ein Postulat ist ein praktischer, unmittelbar gewisser Satz oder ein Grundsatz, der eine mögliche Handlung bestimmt, bei welcher vorausgesetzt wird, daß die Art sie auszuführen, unmittelbar gewiß sei“ (IX 112, 3 f.). Hierbei ist wichtig, das Attribut „praktisch“ nicht im Sinne der Moralphilosophie Kants zu lesen, sondern in einem technischen Sinn.

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

Einerseits bedeutet also die Beschreibung eines Grundsatzes mit dem Begriff des Postulats keineswegs, dass er der Rechtfertigung bzw. Deduktion unbedürftig oder,wie Kant wiederum sagt, ohne „Creditiv“ sei; dabei muss nämlich selbst dort, „wo nicht ein Beweis, doch wenigstens eine Deduction der Rechtmäßigkeit seiner Behauptung unnachlaßlich hinzugefügt werden“ (A 233/B 286). (Ganz in diesem Sinn schreibt Kant auch in der Tugendlehre: „Dieser Grundsatz der Tugendlehre [sc. das oberste Prinzip der Pflichtzwecke] verstattet, als ein kategorischer Imperativ, keinen Beweis, aber wohl eine Deduction aus der reinen praktischen Vernunft.“, TL VI 395, 22 ff.) In dieser Bedeutung befreit daher Kants Gebrauch des Terminus „Postulat“ in § C der Rechtslehre das allgemeine Rechtsgesetz nicht von einer weiteren Rechtfertigung („Creditiv“) und er lässt sich damit auch nicht als ein Indiz für die Unabhängigkeit des allgemeinen Rechtsgesetzes von dem Kategorischen Imperativ in Anspruch nehmen.⁴⁸ Andererseits kann aber auch eine Übertragung der zweiten, „eigentlich“ mathematischen Bedeutung des Begriffs des Postulats (als ein technisch-praktischer Satz) auf die hier in Rede stehende Passage am Ende des § C der Rechtslehre nichts über das konkrete Abhängigkeitsverhältnis beider Prinzipien aussagen. Was aber Kants Ausdruck „keines Beweises weiter fähig“ an der fraglichen Stelle des § C der Rechtslehre angeht, so wird wiederum weder eine nähere Betrachtung des Begriffs von Beweis noch dessen, was Kant hier unter „weiter“ versteht, für die Widerlegung der Abhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips vom Kategorischen Imperativ günstig ausfallen. Zunächst ist zu beachten, dass es nach Kant zweierlei Beweise gibt: empirische Beweise und den Vernunftbeweis. Methodisch betrachtet sind aber Beweise nach Kant entweder logisch oder analogisch. Bei der ersten Variante wird auf den kognitiven Wert von Beweisen angespielt; solche Beweise gelten nämlich mit Gewissheit, d. i. apodiktisch und sind nach Kant wiederum auf zweifache Art zu betrachten. Entweder sind sie mathematisch, d. h. der Beweis ist so immer auf die Anschauungsformen angewiesen; oder der Beweis ist nur sittlich-praktisch, eben praktisch-apodiktisch, so dass keinerlei Anschauung ihm entsprechen kann.⁴⁹ Der Terminus „Beweis“ in § C der Rechtslehre kann nun ausschließlich in dem letzteren Sinn, als sittlich-praktischer oder praktisch-apodiktischer bzw. -gewisser Beweis, gemeint sein; Kant betont ja dort, dass es die „Vernunft“ ist, und zwar die praktische, die den Gehalt des allgemeinen Rechtsgesetzes „als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter

 Vgl. auch mit dem rechtlichen Postulat des Privatrechts (RL VI 248 ff.) oder den subjektiven Postulaten der reinen praktischen Vernunft bezüglich Gottes und der Unsterblichkeit der Seele, welche Kant als „bloß notwendige Hypothesis“ annimmt, die selbst auf „den apodiktischen praktischen Gesetzen“ beruhen (s. KpV V 11 Anm.).  Vgl. etwa KU V 463, 15 – 20; VR XXVIII 1083; Refl. 2735 XVI 491.

2 Der analytische Charakter des obersten Rechtsprinzips

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fähig ist“ offenbart (VI 231, 16 ff.). In der Logik heißt es zudem weiter: „Alle Gewißheit ist entweder eine unvermittelte oder eine vermittelte, d. h. sie bedarf entweder eines Beweises, oder ist keines Beweises fähig und bedürftig. Wenn auch noch so Vieles in unserm Erkenntnisse nur mittelbar, d. h. nur durch einen Beweis gewiß ist: so muß es doch auch etwas Indemonstrables oder unmittelbar Gewisses geben“ (IX 71, 18 – 23). Das würde zweierlei bedeuten: Zum einen, das allgemeine Rechtsgesetz ist als etwas, was eben keines Beweises fähig ist, unmittelbar gewiss. Es ist also keines praktisch-apodiktischen Beweises weiter fähig, weil es selbst praktisch-apodiktisch und somit kategorisch gilt. Zum anderen aber befreit gerade diese Art der Gewissheit das allgemeine Rechtsgesetz nicht von einem „Creditiv“; denn Kant weist, wie wir oben gesehen haben, explizit diejenige Bedeutung des Begriffs Postulat zurück, welche besagt, dass ein Satz „unmittelbar gewiß ohne Rechtfertigung“ sei. Beide Punkte zusammen genommen betonen also nicht etwa die Geltungsunabhängigkeit des allgemeinen Rechtsgesetzes vom Kategorischen Imperativ, sondern vielmehr dessen Kategorizität und dessen Verbindung mit dem Kategorischen Imperativ. Dabei ist es auch gleichgültig, wie stark und skeptisch gegen den moralischen Charakter des Rechts man das Wort „weiter“ in Kants Satz, dass das allgemeine Rechtsgesetz „gar keines Beweises weiter fähig sei“, liest. Mehr noch, das Wort „weiter“ könnte gerade so gelesen werden, dass Kant damit auf die Unmöglichkeit eines freiheitsexternen Beweises zum Einsehen der Gewissheit des rechtlichen Vernunftgesetzes hindeutet. Diese Lesart lässt sich dann vor allem im Lichte von Kants Recension von Gottlieb Hufeland’s Versuch über den Grundsatz des Naturrechts (1786) bestätigen: „Der Verfasser [sc. Hufeland] hält nämlich Principien, die blos die Form des freien Willens unangesehen alles Objects bestimmen, nicht für hinreichend zum praktischen Gesetze und also, um Verbindlichkeit davon abzuleiten. Daher sucht er zu jenen formalen Regeln eine Materie, d. i. ein Object, welches als der höchste Zweck eines vernünftigen Wesens, den ihm die Natur der Dinge vorschreibt, als ein Postulat angenommen werden könne, und setzt es in der Vervollkommnung desselben. Daher der oberste praktische Grundsatz: Befördere die Vollkommenheit aller empfindenden, vorzüglich der vernünftigen Wesen, – also auch deine eigene; woraus denn der Satz: Verhindere die Verminderung derselben an andern, – vorzüglich an dir selbst (so fern andere davon die Ursache sein möchten), welches letztere einen Widerstand, mithin einen Zwang offenbar in sich schließt.“ (VIII 128, 3 – 14; Hv. R. M.)

Es liegt also in Anlehnung an diese Passage vielmehr nahe, Kants Aussage über das allgemeine Rechtsgesetz am Ende des § C der Rechtslehre als eine Anspielung auf Hufeland anzusehen; dass, wenn Kant das allgemeine Rechtsgesetz selbst als ein hinreichendes Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist, charakterisiert, er sich damit gegen die Auffassung wendet, dass das rein formale Rechtsgesetz sowie der damit analytisch verbundene Zwang noch durch einen

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

weiteren, eben materiellen Beweis zu begründen sei, wie es Hufeland für notwendig hielt. Kurz gesagt, weder die Analytizität des allgemeinen Rechtsprinzips noch die Bezeichnung des allgemeinen Rechtsgesetzes als ein Postulat können als Anhaltspunkte zur (Geltungs‐)Unabhängigkeit des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes von dem Moralprinzip Kants geltend gemacht werden. Beide Aspekte weisen vielmehr auf das Gegenteil hin. Dies zeigt sich jedoch wiederum erst dann, wenn man Kants Charakterisierungen des allgemeinen Rechtsprinzips bzw. -gesetzes bis zu ihrem transzendentalphilosophischen Hintergrund zurückverfolgt.

3 Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung und die Konstruktion des Rechtsbegriffs In diesem letzten Kapitel befasse ich mich hauptsächlich mit dem § E der Einleitung in die Rechtslehre (RL VI 232 f.). Anhand dieses Paragraphen werde ich den Zusammenhang des mit dem allgemeinen Rechtsprinzip äquivalenten Gesetzes der Zwangsbefugnis mit der Transzendentalphilosophie Kants angesichts seiner transzendentalen Methodenlehre, Naturmetaphysik und Mathematiktheorie untersuchen. Der Rechtsbegriff, der im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht, ist das „strikte (enge) Recht“ (ius strictum) bzw. „das völlig äußere“ Recht (RL VI 232, 16 f.), dem allerdings der moralische Rechtsbegriff zugrunde liegt. Das völlig äußere Recht dient Kant dazu, die Grenze zwischen der Rechtslehre und der Ethik deutlich zu ziehen. Charakteristisch für diesen Rechtsbegriff ist, dass er nur auf die Regelung äußerer Handlungen Anspruch erhebt, auf den reziproken Einfluss der Handlungen verschiedener Akteure aufeinander, welcher allein unter der Anschauungsform des Raumes der Erfahrung zugänglich ist. Nach der Transzendentalen Methodenlehre gilt § D der Einleitung der Rechtslehre, der rein begrifflich den Begriff der Zwangsbefugnis aus dem moralischen Rechtsbegriff ableitet, als ein diskursiver Beitrag. Daran schließt sich § E an, der spezifisch den strikten (engen) Begriff des Rechts zum Thema hat und mit der Feststellung beginnt, dass der strikte Rechtsbegriff als die Möglichkeit eines durchgängigen, reziproken Zwanges vorstellbar ist, solange dieser Zwang mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetz kompatibel bleibt. Entsprechend der Reihenfolge: Rechtsbegriff, allgemeines Rechtsprinzip und allgemeines Rechtsgesetz in den §§ B-C kann man auch sehen, dass Kant in § D zunächst den Begriff der Zwangsbefugnis, sodann in § E das Prinzip der äußeren Zwangsbefugnis im Hinblick auf den Bestimmungsgrund der Willkür und schließlich das Gesetz der Zwangsbefugnis (unter dem Prinzip der allgemeinen

3 Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung

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Freiheit) behandelt. Dieser gleichsam Perspektivenwechsel Kants bleibt hier jedoch, wie bereits im ersten Kapitel dieses Teils, für die Untersuchung der transzendentalphilosophischen Basis des äußeren Rechts und der Zwangsbefugnis irrelevant. Etwa in der Hälfte des § E – in dem eingerückten Abschnitt⁵⁰ –operiert Kant dann mit einem zweifachen methodischen Verfahren, um das strikte Recht über das ihm entsprechende Gesetz der Zwangsbefugnis („[d]as Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Princip der allgemeinen Freiheit“, VI 232, 30 ff.) darzustellen: Einer philosophischen Analogie und einer auf symbolischer Darstellung gegründeten „Construction“. Es werden hier insgesamt zwei Analogien bezüglich des Gesetzes der Zwangsbefugnis hergestellt, eine mechanische und eine geometrische, welche der Transzendentalen Methodenlehre gemäß darauf hinweisen, dass § E der Rechtslehre großenteils als ein intuitiver Beitrag gilt. Im Folgenden werde ich mich im ersten Unterkapitel (3.1) zunächst mit Kants mechanischer Analogie aus § E befassen. Dabei gehe ich auf das Verfahren der Vermittlung zwischen dem Gesetz der Zwangsbefugnis und dem mechanischen Naturgesetz ein, welches dieser Analogie zugrunde liegt, um hierdurch den Zusammenhang des äußeren Rechts bzw. des Gesetzes der Zwangsbefugnis mit Kants Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung herauszuarbeiten. Im zweiten Unterkapitel (3.2) werde ich mich sodann mit Kants geometrischer Analogie aus § E der Rechtslehre befassen, sowie damit, was eine „Construction“ des engen Rechtsbegriffs in diesem Paragraphen zu bedeuten hat. Aufgrund der spezifischen Merkmale des engen bzw. strikten Begriffs des Rechts wird schließlich im letzten Unterkapitel (3.3) die These untermauert, dass das völlig äußere Recht in der phänomenalen Welt nur als äußeres Zwangsrecht objektive Realität erhalten kann. Vorab sind hier aber noch einige Erläuterungen nötig, die für alle folgenden Unterkapitel eine Rolle spielen. In § E der Rechtslehre verdeutlicht Kant, dass seine Analogien der „Darstellung“ des strikten Rechtsbegriffs dienen (VI 232, 33). Doch was versteht Kant in diesem Kontext unter „Darstellung“? Die Methodenlehre der ersten Kritik setzt bekanntlich das Intuitive von dem Diskursiven unserer Erkenntnis ab. Die intuitive Vorstellungsart zerfällt dann ihrerseits in zwei Arten der Darstellung (exhibitio): eine schematische (direkte) und eine symbolische (indirekte) Darstellung. Die symbolische Darstellung ist diejenige, die einem Begriff, „dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann“, analogisch eine Anschauung zugibt. Es liegt also auf der Hand, dass Kants Gebrauch des Terminus „Darstellung“ für den strikten Rechtsbegriff in § E auf eine symbolische Darstellung hinweist, weil

 Zur Textgestalt des § E der Einleitung in die Rechtslehre s. etwa Sänger 1982, 195 f.

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

diesem Begriff der moralische Rechtsbegriff zugrunde liegt, dem nach Kant keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann.⁵¹ Bei einer symbolischen Darstellung ist nun die Urteilskraft involviert, und zwar in einem Verfahren, welches Kant „ein doppeltes Geschäft“ nennt. Als erstes wird der sinnlich nicht anschauungsfähige Begriff auf einen sinnlich anschaubaren Gegenstand bezogen. Als zweites wird dann die bloße Reflexionsregel, worunter die sinnliche Anschauung dieses Gegenstands subsumiert worden ist, angeführt und auf den intelligiblen Gegenstand des darzustellenden übersinnlichen Begriffs analogisch übertragen; wichtig ist hier, dass diese Reflexionsregel nach Kant nur eine Regel der Relationskategorie sein kann. So wird also der anschaubare Gegenstand zum „Symbol“ eines intelligiblen Gegenstandes und hierdurch wird der nicht anschauungsfähige Begriff mittelbar dargestellt.⁵² Wegen der Mittelbarkeit dieser Darstellungsart nennt Kant sie auch die indirekte Darstellung (s. KU V 351 f.; Fortschritte XX 279 f.). Eine indirekte Darstellung geht also nach der Methode der Analogie vor, genauer, nach der philosophischen Analogie. In der Philosophie wird nämlich die Analogie, im Unterschied zu ihrem ursprünglichen, mathematischen Sinn, „in qualitativer Bedeutung“ gebraucht und bedeutet die Verhältnisidentität zwischen Gründen und Folgen. Eine Analogie ist in diesem Sinn die vollkommene Verhältnisähnlichkeit zwischen vollkommen unähnlichen Dingen; sie ist ein Verhältnis der Entsprechung zwischen Verhältnissen.⁵³ Es ist zu beachten, dass in einer solchen Analogie zum einen nicht auf die spezifische Differenz der nur verhältnismäßig in Betracht gezogenen, ungleichartigen Dinge abgehoben wird. Zum anderen können die Merkmale der Elemente der einen Seite der Analogie als solche nicht auf die Elemente der anderen Seite übertragen werden. Möglich ist schließlich ein Analogieschluss demnach nur dann, wenn eine „Einerleiheit des

 „Ein practischer Vernunftbegrif ist der Begrif von einem Grunde zu handeln der objective Realität hat aber den Sinnen nicht vorgestellt werden kann. Von der Art ist der Begrif von Pflicht, Recht und Tugend. Das Recht im äußeren Verhältnis der Willkühr ist also ein practischer Vernunftbegrif. Die Handlung (der actus der Willkühr) ist zwar nur ein Verstandesbegrif zur categorie der Caußalität gehörig welche sich in einem Schema für die sinnliche Anschauung darstellen läßt aber der Grund so und nicht anders zu handeln das Recht läßt sich den Sinnen gar nicht in einer ihm correspondirenden Anschauung geben d. i. darstellen.“ (VARL XXIII 274, 26 – 35).  Man könnte sich beispielsweise die Waage als Symbol für iustitia (suum cuique) vorstellen. Kant selber gibt „einen beseelten Körper“ als das „Symbol“ für einen monarchischen Staat an, welcher „nach inneren Volksgesetzen“ beherrscht wird; oder das Symbol „Handmühle“ für einen Staat, der despotisch und „durch einen einzelnen Willen beherrscht wird“ (s. KU V 353, 16 – 19). Es ist nicht die Ähnlichkeit der Gegenstände selbst, sondern deren Kausalitätsregel (Reflexionsregel), die hier zählt.  Zum Erkenntniswert der Analogie s. KU V 463.

3 Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung

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Grundes“ (paritas rationis) vorliegt, eine par ratio, die für die zwei ungleichartigen Seiten bzw. Analoga angesichts ihrer jeweiligen inneren kausalen Relation als Basis oder gleichsam als eine Gattung dient (KU V 464 Fn.; Prol. IV 357). Wenn also Kant eine indirekte mechanische und geometrische Darstellung des Rechtsbegriffs in § E der Rechtslehre vornimmt, so verhindern diese gerade wegen ihres analogischen Charakters jede methodische Vermengung seiner Rechtsmetaphysik mit seiner Naturphilosophie und Mathematiktheorie.

3.1 Die mechanische Analogie: Das allgemeine Gesetz der Zwangsbefugnis und die Dritte Analogie der Erfahrung In der Vorrede der auf die zweite Kritik folgenden Metaphysik der Sitten kündigt Kant diese als das Gegenstück zu den auf die erste Kritik folgenden Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft an (MS VI 205; s. ausführlich Teil II, Kap. 1). Diese Gegenüberstellung greift Kant in § E der Einleitung in die Rechtslehre durch eine Analogie zwischen dem Gesetz der Zwangsbefugnis und dem dritten Gesetz der Mechanik (lex antagonismi) in seiner Naturmetaphysik wieder auf: „Das Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwanges unter dem Princip der allgemeinen Freiheit ist gleichsam die […] Darstellung desselben [sc. des strikten Rechts] in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung“ (RL VI 232, 30 – 35; s. auch Prol. IV 357 Anm.; KU V 464 f.; TL VI 449).⁵⁴

Diese Darstellung ist, wie oben ausgeführt, eine indirekte Darstellung a priori. Die hergestellte Analogie ist zudem ein Vergleich zwischen Sitten- und Naturmetaphysik. Das strikte Recht, das auf dem moralischen Rechtsbegriff gründet, wird in der Form der Zwangsbefugnis unter Bezug auf die Mechanik, d. h. auf die äußeren Verhältnisse der bewegenden Kräfte, dargestellt, indem der mechanische Begriff Kraft die äußeren Handlungen der Menschen symbolisiert. Dabei steht die Entsprechung zwischen der Relation von Gleichheit des Zwangs und Unrechtshandlung einerseits und der Relation der Gleichheit der Wirkung und der Gegenwirkung

 Das dritte Gesetz der allgemeinen Mechanik in Kants Naturmetaphysik lautet: „In aller Mittheilung der Bewegung sind Wirkung und Gegenwirkung einander jederzeit gleich“ (MAN IV 544). Vgl. mit dem dritten Bewegungsgesetz von Newton: „Zu einer Einwirkung gehört immer eine gleich große entgegengesetzt gerichtete Rückwirkung, bzw. die gegenseitigen Einwirkungen zweier Körper aufeinander sind immer gleich groß und in entgegengesetzte Richtungen gerichtet“ (Newton [1687], 14).

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

der bewegenden Kräfte auf der anderen Seite. Beide ungleichartigen Gesetze haben also eine analoge Wirkungsart, so dass sich die Rechtslehre als die „Lehre der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung nach Gesetzen der Freyheit“ bezeichnen lässt (VARL XXIII 349, 15 f.). Die analogisch vollkommene Ähnlichkeit zwischen diesen Gesetzen verhindert auch per definitionem, dass die spezifischen Eigenschaften ihrer jeweiligen heterogenen Gegenstände, d. h. einer intelligiblen Freiheitskausalität und physikalischer Kräfte, aufeinander übertragen werden. Die Eigenschaft der Freiheit der Glieder der menschlichen Gemeinschaft wird also nicht etwa auf „die materielle Anziehung oder Abstoßung“ des mechanischen Gesetzes, die zu den spezifischen Bestimmungen der Körper untereinander zählen, reduziert (s. KU V 464 f.). Somit sagt die fragliche Analogie inhaltlich nichts über das Intelligible aus, sondern nur über dessen Verhältnis zu Erscheinungen in der Natur. Doch warum und wie führt die indirekte Darstellung des Zwangsrechts zu einem isomorphen Verhältnis mit einem mechanischen Naturgesetz? Dafür möchte ich zunächst einen Blick auf die „Typik“ der Kritik der praktischen Vernunft, genauer: auf die Vermittlungsfunktion „der reinen praktischen Urteilskraft“ werfen (KpV V 67– 71). Die reine praktische Urteilskraft vermittelt nach Kant zwischen den heterogenen Freiheits- und Naturgesetzen, und zwar im Unterscheid zur theoretischen Urteilskraft nicht durch das Schema eines Falles nach Gesetzen, sondern vielmehr durch „das Schema (wenn dieses Wort hier schicklich ist) eines Gesetzes selbst“ (KpV V 68, 36 f.; Hv. R. M.). Da es in § E der Rechtslehre nämlich um die Verbindung zweier heterogener Kausalitäten geht, muss es ein Drittes geben, welches mit den beiden Seiten der Verbindung in einer gewissen Gleichartigkeit steht – wie oben erwähnt muss hier eben eine „Einerleiheit des Grundes“ vorliegen. Nach Kant ist dies aber nichts anderes als die bloße Form der Gesetzmäßigkeit. Die bloße Form der Gesetzmäßigkeit leistet also für die reine praktische Urteilskraft dieselbe Aufgabe, welche die Zeit und deren transzendentale Bestimmungen im reinen theoretischen Gebrauch der Urteilskraft erfüllt. Entscheidend ist aber für Kant, dass hier, im Unterschied zum theoretischen Gebrauch der Urteilskraft, nicht mehr die reine Einbildungskraft das verbindende Vermögen ist, welches zwischen Verstand und Sinnlichkeit (dem Mannigfaltigen der Anschauung) vermittelt. Die Vermittlungsfunktion, die die transzendentale Einbildungskraft für die theoretische Urteilskraft erfüllt, muss nun im Fall der reinen praktischen Urteilskraft vielmehr dem Verstandesvermögen selbst übertragen werden. Während also die Einbildungskraft „dem Verstande Stoff“ gibt, „um den Begriffen desselben Inhalt (zum Erkenntnisse) zu verschaffen“ (Anthropologie VII 169, 18 f.), unterlegt der Verstand einer Idee der Vernunft die anwendbare Form (ein Muster) in der Natur, eben „ein Naturgesetz, aber nur seiner Form nach, als Gesetz zum Behuf der Urteilskraft“ (KpV V 69, 17 f.; Hv. R. M.). Solche abstrakten Formen der

3 Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung

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Naturgesetze sind aber nach Kant wiederum nichts anderes als die transzendentalen Verstandesgrundsätze selbst. Ein reiner Verstandesgrundsatz verfügt nämlich einerseits über Allgemeinheit und Apriorität durch seine Gesetzesform, andererseits steht er in unmittelbarer, konstitutiver Verbindung mit der Sinnenwelt durch die Lehre vom Schematismus. Und gerade durch diesen Doppelcharakter ermöglicht er den Zugang des Freiheitsgesetzes zur Sinnenwelt. Kurz gesagt, in der höheren Vermittlungsstufe der reinen praktischen Urteilskraft sind es die Verstandesgrundsätze als bereits schematisierte reine Verstandesbegriffe, welche ein Freiheitsgesetz mit einem Naturgesetz verbinden. Es wird hier die bloße Form der Gesetzmäßigkeit anstatt der Zeit, mithin die Typik anstatt des Schematismus und das Verstandesvermögen selbst anstatt der Einbildungskraft eingesetzt.⁵⁵ Da nun einerseits der Rechtsbegriff im kategorialen Sinn ein Gemeinschaftsbegriff ist (s. oben Kap. 1) und andererseits das dritte mechanische Naturgesetz zum einen auf einen Verstandesgrundsatz,⁵⁶ zum anderen kategorial ebenfalls auf den Gemeinschaftsbegriff zurückzuführen ist (s. MAN IV 548),⁵⁷ so ist der erforderliche vermittelnde, rein formale Grund der hergestellten mechanischen Analogie zwischen ihnen in § E, d. h. das,was die „Einerleiheit des Grundes“ dabei erbringt, nichts anderes als der transzendentale Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung ⁵⁸ bzw. der „Grundsatz des Zugleichseins nach dem Gesetze der Wechselwirkung oder Gemeinschaft“: „Alle Substanzen, so fern sie im Raume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung“ (KrV B 256).⁵⁹

 Zu einer ausführlichen, jedoch an dem Begriff des höchsten Gutes orientierten Studie zur Typik s. bereits Silber 1966.  Alle Gesetze der Natur stehen nach Kant unter höheren Grundsätzen des Verstandes und gelten als ihre Anwendung auf besondere Fälle der Erscheinung. Die Verstandesgrundsätze gelten also als die obersten Gesetze der Natur „formaliter spectata“ (KrV B 165; vgl. A 159/B 198; s. auch Prol. IV 296 f., 306). „Grundsätze a priori führen diesen Namen nicht bloß deswegen, weil sie die Gründe anderer Urtheile in sich enthalten, sondern auch weil sie selbst nicht in höhern und allgemeinern Erkenntnissen gegründet sind“ (KrV A 148/B 188).  „Gesetz der Gleichheit actionis et reactionis. Ursache dieser Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung liegt in der Ursache der Gemeinschaft, welche nichts einseitiges verstattet“ (Refl. 42 XIV 182).  Es sei daran erinnert, dass es sich hier um zwei Stufen des Analogiebegriffs handelt. Jedes analogische Verfahren als ein Verfahren der Einbildungskraft muss sich nach Relationsgrundsätzen des Verstandes richten, die Kant wiederum Analogien, in diesem Fall jedoch der Erfahrung nennt. Zur Benennung dieser Grundsätze des reinen Verstandes s. etwa Heidegger 1984, 229 f.  „Alle Substanzen, sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Gemeinschaft (d. i. Wechselwirkung untereinander)“ (KrV A 211).

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

Die mechanische Analogie des § E lässt sich ebenso aus dem Zusammenhang der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft mit den Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre in puncto Form des Raumes nachvollziehen; denn Letztere haben es genauso wie Erstere mit den Gegenständen äußerer Sinne zu tun (s. Teil II, Kap. 1). So, wie es beim strikten Recht nur um äußere Freiheitshandlungen geht, so geht es auch bei der Mechanik um die Bestimmung der äußeren Verhältnisse der Materie im Raum (MAN IV 543).⁶⁰ Mit anderen Worten, der Wechselwirkung, die den Kernstück beider Gesetze ausmacht, wird in der allgemeinen Metaphysik Kants das Zugleichsein der Substanzen im Raum vorausgesetzt (KrV B 258; vgl. MAN IV 544). Nach diesen Erläuterungen leuchtet es ein, dass Kants mechanische Analogie in § E gleichsam als eine Überbrückung, eine methodische Überleitung gilt, um die wesentliche Rolle des transzendentalen Verstandesgrundsatzes der Gemeinschaft für das strikte Recht darzustellen. Die Binnenstruktur des Gesetzes der durchgängig reziproken, gleichen Zwangsbefugnis, welche einerseits in § D mit dem allgemeinen Rechtsprinzip als äquivalent, andererseits in § E mit dem völlig äußeren Recht gleich gesetzt wird, verdankt sich eben der Dritten Analogie der Erfahrung. Es ist dieser Verstandesgrundsatz, welcher die Form vorgibt, wie das strikte Recht in der phänomenalen Welt wirkt.

3.2 Eine indirekte, mathematische Konstruktion des Rechtsbegriffs In § E der Rechtslehre schreibt Kant: Das Gesetz der Zwangsbefugnis „ist gleichsam die Construction jenes Begriffs [sc. des strikten Rechtsbegriffs], d. i. Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung.“ (VI 232, 32– 35; Hv. R. M.) Dies könnte nahe legen, dass Kant hier den Terminus „Construction“ auf seine mechanische Analogie bezieht. Manche Interpreten haben deshalb auch die „Construction“ in § E als eine „metaphysische“ oder gar dynamische interpretiert; sie haben die „Construction“ allein in Verbindung mit Kants mechanischer Analogie in Betracht gezogen (s. etwa Sänger 1982, 188 f.; Kersting 21993, 111). Doch eine nähere Betrachtung der Passage zeigt, dass Kant den Terminus nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Analogie zwischen dem Gesetz der Zwangsbefugnis und dem dritten Gesetz der  Das dritte mechanische Gesetz handelt von der Materie, deren Veränderungsursachen nur als äußere vorgestellt werden können. Die Materie hat nach Kant keine inneren Bestimmungsgründe: solange nichts Äußeres auf die Materie einwirkt, kann eine Veränderung nicht in Betracht gezogen werden.

3 Das äußere Recht, der Verstandesgrundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung

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Mechanik, sondern im Grunde über diese Analogie im Zusammenhang mit einer weiteren, mathematischen (sc. geometrischen) Analogie verwendet, dass also der Terminus „Construction“ hier in Entsprechung mit Kants Transzendentaler Methodenlehre im streng mathematischen Sinn gebraucht wird. Um dies darzulegen, ist aber zunächst nötig, die entsprechende Passage in ihrer ganzen Länge zu zitieren. Gleich nach dem obigen Zitat schreibt Kant in § E: „So wie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objects nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch die Construction des Begriffs entdecken können, so ists nicht sowohl der Begriff des Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte, mit ihm zusammenstimmende durchgängig wechselseitige und gleiche Zwang, der die Darstellung jenes Begriffs möglich macht. Dieweil aber diesem dynamischen Begriffe noch ein bloß formaler in der reinen Mathematik (z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt: so hat die Vernunft dafür gesorgt, den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Construction des Rechtsbegriffs so viel möglich zu versorgen. – Das Rechte (rectum) wird als das Gerade theils dem Krummen, theils dem Schiefen entgegen gesetzt. Das erste ist die innere Beschaffenheit einer Linie von der Art, daß es zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige, das zweite aber die Lage zweier einander durchschneidenden oder zusammenstoßenden Linien, von deren Art es auch nur eine einzige (die senkrechte) geben kann, die sich nicht mehr nach einer Seite als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleich abtheilt, nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will.“ (RL VI 233, 1– 20; Hv. R. M.)

Der Passage ist eindeutig zu entnehmen, dass Kant nach seiner mechanischen Analogie, die im Grunde auf das Verstandesvermögen zurückzuführen war (s. Unterkap. 3.1) auch von einem „bloß formale(n)“ Begriff „in der reinen Mathematik“ spricht, der dem dynamischen Begriff des Rechts bzw. der Zwangsbefugnis „zum Grunde liegt“ und auf dessen Grundlage eine offensichtlich geometrische Analogie zwischen dem Rechtsbegriff und dem Rechten (rectum) hergestellt wird. Das wird auch dadurch bestätigt, dass Kant schreibt: „die Vernunft [hat] dafür gesorgt, den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Construction des Rechtsbegriffs so viel möglich zu versorgen“. Eine geometrische Analogie, so legt dieser Satz nahe, dient auf einer gleichsam noch tieferen Ebene der Darstellung des Rechtsbegriffs; denn, während für die mechanische Analogie im Grunde das Verstandesvermögen zuständig war, spricht Kant hier von den diesem Vermögen vorausgehenden Anschauungen a priori. Ein näherer Blick auf Kants Transzendentale Methodenlehre soll nun sowohl die streng mathematische Bedeutung der Konstruktion wie auch den methodischen Status des § E der Rechtslehre weiter verdeutlichen. Eine „schwesterliche Vereinigung“. Kant unterscheidet in seiner Transzendentalen Methodenlehre in der ersten Kritik bekanntlich zwischen zwei Erkenntnisarten der Vernunft, welche beide in ihrem jeweiligen Erkennen zu einem

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Teil IV Das allgemeine Rechtsprinzip und die Transzendentalphilosophie

höchsten Grad an Gewissheit gelangen: die philosophische und die mathematische. Der Unterschied beider Arten von Vernunfterkenntnis liegt jedoch in den verschiedenen Verfahren, welche die Vernunft jeweils in der Philosophie und in der Mathematik vornimmt. Während die Philosophie eine Vernunfterkenntnis aus bloßen Begriffen darstellt, also von diskursiver Art ist, gilt das Verfahren der mathematischen Vernunfterkenntnis nach Kant als intuitiv – d. i. auf der Basis der Anschauung (intuitio) – und besteht gerade in der Konstruktion ihrer Begriffe. Die Konstruktion von Begriffen ist also für Kant das Spezifische der reinen mathematischen Erkenntnis bzw. der intuitiven Erkenntnisart der Vernunft (s. KrV A 713/ B 741).⁶¹ „In allgemeiner Bedeutung“ bedeute die Konstruktion: „alle Darstellung eines Begriffs durch die (selbstthätige) Hervorbringung einer ihm correspondirenden Anschauung“. Eine Konstruktion ist damit selbst eine Art „Darstellung (exhibitio)“; sie ist die „Handlung der Hinzufügung der Anschauung zum Begriffe“ (Über eine Entdeckung VIII 191 Anm.; vgl. KrV A 713/B 741). Erfolgt die Konstruktion durch „die bloße Einbildungskraft einem Begriffe a priori gemäß“, so nennt Kant sie „die reine […], auch die schematische“ (s. Fortschritte XX 325). Eine reine bzw. schematische Konstruktion gilt zudem als eine reine Synthesis, denn es geht in ihr um die Zusammenfügung der verschiedenen „unmittelbare(n) Vorstellung(en) des Einzelnen“, die a priori in den Formen der Anschauung gegeben sind (ebd.). Man muss sich aber angesichts des methodischen Status des § E der Rechtslehre fragen, wie sich nun die beiden Erkenntnisarten der Vernunft zueinander verhalten. Denn Kant will in diesem Paragraphen das Recht offensichtlich sowohl auf der Grundlage des Verstandes wie auch der Anschauungen a priori darstellen. Zunächst sei angemerkt, dass, ähnlich wie der Verstand, auch die Mathematik reine Grundsätze a priori besitzt, welche Kant Axiome nennt.⁶² Diese sind zwar nicht dem reinen Verstand zuzuschreiben, weil sie nicht aus reinen Begriffen, sondern eben durch eine Konstruktion aus den reinen Anschauungen entspringen. Doch auch die „Möglichkeit“ und die „objektive Gültigkeit“ dieser Axiome beruht nach Kant letztlich auf einem Grundsatz des reinen Verstandes, welcher der Kategorie der Quantität entspricht – dem Grundsatz der Axiome der Anschauung (s. KrV A 160/B199). Dieser gilt eben als der „transzendentale

 Vgl. OP XXII 103, 1 ff.  Synthetische Grundsätze a priori sind entweder intuitive oder diskursive. „Die ersteren können in der Anschauung dargestellt werden und heißen Axiome (axiomata)“ (Logik IX 110). Die Mathematik ist im Gegensatz zur Philosophie der Axiomenbildung fähig, „weil sie vermittelst der Konstruktion der Begriffe in der Anschauung des Gegenstandes die Prädikate desselben a priori und unmittelbar verknüpfen kann“ (KrV A 732 f./B 760 f.).

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Grundsatz der Mathematik der Erscheinungen“ (A 165/B 206).⁶³ Die Transzendentalphilosophie selbst enthält also zwar „nicht mathematische Sätze“, wohl „aber die Prinzipien der Möglichkeit einer Mathematik überhaupt“ (Fortschritte XX 261; vgl. KrV A 733/B 761). Nach dem Verstandesgrundsatz der Axiome der Anschauung können die Erscheinungen in den Anschauungsformen Zeit und Raum nur als „extensive Größe“, als „sukzessive Synthesis (von Teil zu Teil) in der Apprehension“ vorgestellt werden (s. KrV A 162 f./B 201 ff.).⁶⁴ Da aber nach Kant andererseits „nur der Begriff von Größen“ dasjenige ist, was sich konstruieren, d. h. in der Anschauung a priori darlegen lässt (KrV A 714/B 742; s. auch A 162/B 203), so beruht auch die Möglichkeit der Konstruktion selbst auf dem reinen Verstandesgrundsatz der Axiome der Anschauung. Trotz der Methodenverschiedenheit der diskursiven und der intuitiven Erkenntnisart kann daher dank einer transzendentalen Begründungsbasis eine Kooperation (wohlgemerkt: keine Imitation) zwischen dem Verfahren der Metaphysik und dem sich durch die Konstruktion abhebenden, intuitiven Verfahren der Mathematik entstehen. Eine solche Zusammenarbeit der Erkenntnisarten der Vernunft, zwischen Philosophie und Mathematik, wie sie sich „in der Naturwissenschaft einander die Hand bieten“ (KrV A 726/B 754), bezeichnet Kant metaphorisch als eine „schwesterliche Vereinigung“ (KrV A 735/B 763; vgl. Fortschritte XX 325). Gerade eine solche methodische Kooperation bzw.Vereinigung ist es nun, die in Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zutage kommt (vgl. MAN IV 470, 476). Dort, wo Kant die Materie unter Relationskategorien betrachtet, eben in der Mechanik, gibt er unter dem „Beweis“ des dritten mechanischen Gesetzes eine lediglich auf die Größenlehre, mithin auf Gleichheit der Bewegungskräfte gerichtete Konstruktion an (MAN IV 545 ff.; vgl. 489 f.).⁶⁵ Wenn also Kant in § E der Rechtslehre schreibt, dass das Gesetz der Zwangsbefugnis „gleichsam die Construction“ des strikten Rechtsbegriffs ist, und dies eine

 In der Methodenlehre der ersten Kritik heißt es: „Ich habe zwar in der Analytik bei der Tafel der Grundsätze des reinen Verstandes auch gewisser Axiomen der Anschauung gedacht; allein der daselbst angeführte Grundsatz war selbst kein Axiom, sondern diente nur dazu, das Principium der Möglichkeit der Axiomen überhaupt anzugeben, und ist selbst nur ein Grundsatz aus Begriffen. Denn sogar die Möglichkeit der Mathematik muß in der Transscendentalphilosophie gezeigt werden. Die Philosophie hat also keine Axiomen und darf niemals ihre Grundsätze a priori so schlechthin gebieten“ (KrV A 733/B 761; vgl. auch mit dem Begriff „Postulat“ in diesem Teil, Kap. 2).  Die Raumes- und Zeitanschauungen sind nur der Größe nach ein Gegenstand des Erkennens. Das, was sich in reinen Anschauungen a priori darstellen lässt, ist daher nur der Begriff der Größe (s. KrV A 714/B 742; Logik IX 23).  Vgl. hierzu McRobert 2001, 606 – 614.

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„Darstellung desselben in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie der Möglichkeit freier Bewegungen der Körper unter dem Gesetze der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung“, eben unter dem dritten mechanischen Gesetz (VI 232, 32– 35) bedeutet, so meint er, dass das strikte Recht analogisch über dieses mechanische Gesetz mit einer mathematischen Konstruktion in Verbindung gebracht wird. Die geometrische Analogie: das Rechte (rectum) und gleichartige Freiheitspersonen. Mit den obigen Erläuterungen wird jetzt ein genauerer Blick auf die geometrische Analogie in § E möglich. Vorab sei nochmals betont, dass auch der Gegenstand dieser Analogie nur der enge Rechtsbegriff (ius strictum), und zwar im Gegensatz zum Recht „im weiteren Sinne (ius latum)“, zur Billigkeit (aequitas), ist.⁶⁶ Bisher haben wir gesehen, dass Kant bei der indirekten Darstellung des strikten Rechts in Form des „unter allgemeine Gesetze gebrachte(n), mit ihm zusammenstimmende(n) durchgängig wechselseitige(n) und gleiche(n) Zwang (s)“ (d. i. des Gesetzes der Zwangsbefugnis) „diesem dynamischen Begriffe“ „noch“ einen formalen, rein mathematischen Begriff als Basis zugrunde legt (RL VI 233, 4– 8; Hv. R. M.). Da Kant den Begriff der Konstruktion zudem nur im strengen mathematischen Sinn verwendet, so ist es auch dieser formale, rein mathematische Begriff bzw. die geometrische Analogie des § E, worauf sich die Konstruktion primär bezieht.⁶⁷ Die geometrische Analogie findet nun zwischen dem strikten Rechtsbegriff bzw. dem dynamischen Begriff der Zwangsbefugnis und dem Rechten (rectum) statt, was Kant auch den „technisch-practische(n)“ Begriff des Rechten nennt. (s. die dem § E entsprechende Passage in den VARL XXIII 256).⁶⁸ Laut § E liegt also dieser „bloß formale [Begriff] in der reinen Mathematik“ jenem dynamischen Begriff zugrunde (RL VI 233, 7 f.). Wichtig ist hier, dass sich nach Kant der bloß formale Begriff des Rechten bzw. der geometrische

 Die Billigkeit (jus aequitatis) ist zwar ein Recht, doch für Kant gilt sie nicht als ein Zwangsrecht. Bei der Billigkeit kann man einen Anderen zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit wegen eines Mangels an äußerlich zu bestimmenden Angaben (data) nicht erzwingen (s. RL VI 233, 23 – 29; s. hierzu etwa Höffe 1999a, 58 – 62.).  Versteht man den Terminus „Construction“ in § E als ein primär auf die mechanische Darstellung des strikten Rechts bezogenes Verfahren, so sollte man von einer „metaphysische(n) Konstruktion“ ausgehen (so etwa Sänger 1982, 188 f.). Diese Interpretation liegt aber mit der Kantischen Konzeption der Philosophie und ihrer Methode im Widerspruch, und lässt sich auch, so weit ich sehe, nirgends bei ihm belegen. Die These einer metaphysischen Konstruktion ist nichtsdestotrotz bereits von Schäfer aufgestellt worden (s. Schäfer 1966, 30 – 38; zur philosophischen Konstruktion s. etwa auch Förster 2001, 175 – 182). In § E der Rechtslehre spricht Kant jedenfalls eindeutig von einer Darstellung in der reinen Anschauung a priori.  Zu unterschiedlichen, jedoch zusammenhängenden Bedeutungen des Begriffs rectum bei Kant s. VARL XXIII 255 f.; vgl. 344, 353, 394.

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Begriff rectum als eine Größe vorstellen lässt. Das strikte Recht wird also erst durch diesen geometrischen Begriff indirekt als Größe, genauer als extensive Größe, dargestellt, mithin überhaupt konstruierbar. Der technisch-praktische, symbolische Begriff des Rechten wird dann von Kant in § E „als das Gerade“ (VI 233, 11 f.) in zweierlei Hinsicht in Betracht gezogen: als „die innere Beschaffenheit einer Linie“ (linea recta) und als „das äußere Verhältnis“ der Linie bzw. deren „Lage zu einer anderen geraden Linien im Zusammenstoßen“ (angulus rectus). Das Gemeinsame beider Varianten bestehe darin, dass sie „den Begrif der congruentz des Räumlichen von beyden Seiten“, die sie einteilen, enthalten (VARL XXIII 255, 30 f.). Durch die indirekte Darstellung des Rechts als eines bloß formalen Begriffs extensiver Größen im Raum zeigt sich, dass es angesichts der inneren Beschaffenheit einer Linie zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige Linie, nämlich das Gerade (im Gegensatz zum „Krummen“), und in einer Situation von zwei einander durchschneidenden Linien ebenfalls nur ein einziges Linienverhältnis, eben das Gerade (im Gegensatz zum „Schiefen“) geben kann, die einen begrenzten Raum von beiden Seiten proportional gleich aufteilen (s. RL IV 233). Da diese Beschreibungen offensichtlich der Euklidischen Geometrie entnommen sind, so kann man zusammenfassend Folgendes erschließen: In § E veranschaulicht Kant das strikte Recht zunächst auf der Grundlage eines Verstandesgrundsatzes nach einer mechanischen Analogie, um es aufgrund der so genannten „schwesterlichen Vereinigung“ den reinen Anschauungen a priori ein Stück näher zu bringen. Und so folgt dann eine weitere Analogie, welche Kant zwischen einem Euklidischen Axiom und dem Gesetz der Zwangsbefugnis herstellt. Hatte die erste, mechanische Analogie des § E sowohl ihren metaphysischen Grund wie auch den Grund der Struktur ihrer Analoga in dem dynamischen Grundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung, so gründet sich die geometrische Analogie, in der das rectum als Größenbegriff aufgestellt wird, auf dem Quantitätsgrundsatz der Axiome der Anschauung. Die Möglichkeit letzterer Analogie liegt ihrerseits darin begründet, dass das Recht sich symbolisch als Gleichheit der Größenverhältnisse verstehen lässt. So greift also Kant den in der mechanischen Analogie betonten, quantifizierbaren Gleichheitsbegriff zwischen Wirkung und Gegenwirkung (actio und reactio) in geometrischer Hinsicht auf und verwendet den „technisch-practische(n) Begrif[f] des Rechten und Geraden“ als das Symbol für den moralisch begründeten engen Begriff des Rechts, um „den Begriff der congruentz des Räumlichen“ analog zu den Freiheitsräumen in einer Gemeinschaft darzustellen (s. VARL XXIII 255 f.). Das Charakteristikum des engen Rechtsbegriffs, die bloße Äußerlichkeit, verleiht ihm weiterhin die Möglichkeit, wie Kant mit Einschränkung in § E sagt, „gleichsam“ mathematisch konstruiert zu werden (s. RL VI 232, 32; vgl. MAN IV 471; KrV B 293).

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Doch welche symbolischen Gleichsetzungen lassen sich genau in der geometrischen Analogie des § E der Rechtslehre finden? Wie oben erwähnt, verwendet Kant hier zwei Varianten des Rechten (rectum) bzw. des Geraden. In der ersten Variante wird „das Gerade […] dem Krummen […] entgegen gesetzt“. Kant schreibt: dies „ist die innere Beschaffenheit einer Linie von der Art, daß es zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige“ geben kann (RL VI 233, 11– 14). Dies mag daher nahelegen, die „Linie“ symbolisch auf eine Handlung zu beziehen, welche innerlich gegen die handelnde Person selbst gerichtet ist, auf ihren inneren moralischen Zustand, so dass Kants symbolische Darstellung dem inneren Recht der Menschheit entsprechen würde (so Ju 1985, 171 f.). Doch das Problem einer solchen Deutung oder gar der Erwähnung dieser Variante des Rechten in § E besteht darin, dass § E eigentlich durchgängig vom „völlig äußere(n)“ Recht handelt, welches „mit keinen Tugendvorschriften vermengt“ ist (VI 232 16 f.). Im Gegensatz zum völlig äußeren Recht lässt sich aber das innere Recht der Menschheit nicht symbolisch unter der Raumesform und damit auch nicht im Verhältnis zu einem geometrischen Begriff darstellen. Soweit ich sehe, bleibt also diese erste Variante der geometrischen Analogie Kants sowohl im Kontext des § E wie auch im Rahmen seiner Transzendentalen Methodenlehre deshalb problematisch und weiter rekonstruktionsbedürftig. Anders ist es jedoch um die zweite Variante des Rechten bestellt, in der Kant, entsprechend dem völlig äußeren Rechtsbegriff, von der „Lage zweier einander durchschneidenden oder zusammenstoßenden Linien“ spricht, „von deren Art es […] nur eine einzige (die senkrechte) geben kann, die sich nicht mehr nach einer Seite als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleich abtheilt, nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will“ (VI 233, 15 – 20). Hier lassen sich nun etwa folgende symbolische Gleichsetzungen zwischen dem engen Recht und dem Geraden vermuten: Die Punkte (quantum) mögen für Personen stehen, auf deren Inneres das völlig äußere Recht keinen Bezug nimmt.⁶⁹ Dabei könnte man das angeborene gleiche Freiheitsrecht der Personen oder ihre Würde als das sehen, was die Personen, analog zu mathematischen Entitäten, zu gleichartigen Subjekten macht. Den zwischenmenschlichen, äußeren Handlungen könnten dann die Linien (quantitas) als die Folge der von den Punkten erzeugten Bewegungen entsprechen.⁷⁰ Schließlich könnten die sich zwischen diesen Linien ausformenden, proportional zueinander gleich zu

 Denn analog zum Gebrauch des Begriffs der Person an dieser Stelle, enthält auch ein Punkt in sich keine weiteren Einheiten; der Begriff des Punktes ist „ein Mangel des Ausgedehnten“ (Refl. 5828 XVIII 365), eine „absolute Einheit“ (Refl. 6338a XVIII 664), bei der sozusagen nicht nach ihrem Inneren gefragt wird.  Zu den Begriffen quantitas und quantum s. etwa KrV A 142 f./B 182; vgl. Heidegger 1984, 198.

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bewahrenden Räume analog zu dem Seinen der Rechtspersonen gedeutet werden. Die Handlungsverhältnisse der Rechtspersonen, die aufgrund der diesen gleichermaßen zustehenden angeborenen Freiheit wie mathematische Entitäten als gleichartige betrachtet werden können, ließen sich dann indirekt dergestalt geometrisch konstruieren, dass ihre Gleichheit bzw. Ungleichheit apriorisch im Raum anschaulich wird. Zum Abschluss dieses Unterkapitels möchte ich einige Punkte noch einmal betonen, die bei der Interpretation von Kants Gebrauch des Terminus „Construction“ in § E der Rechtslehre zu beachten sind. Bei den dynamischen Kategorien, mithin dem dynamischen Verstandesgrundsatz der Gemeinschaft (Dritte Analogie der Erfahrung), auf den es in Kants mechanischer Analogie ankommt, geht es um das Verhältnis zwischen dem Dasein der mannigfaltigen Erscheinungen zueinander, welches sich insofern nach Kants Methodenlehre nicht konstruieren lässt (s. KrV A 179/B 221 f.; MAN IV 467; pace Kersting 21993, 111). Genau genommen handelt es sich also in § E ausschließlich um eine mathematische, und zwar eine reine (schematische) Konstruktion nach einer symbolischen (indirekten) Darstellung, also um eine indirekte Konstruktion des strikten Rechtsbegriffs.⁷¹ Kant selber sind die methodischen Probleme, die eine solche Konstruktion implizieren kann, bewusst. Daher führt er auch an zwei Stellen dieses Paragraphen den Terminus „Construction“ restriktiv an: Dass nämlich das Gesetz der Zwangsbefugnis „gleichsam“ die Konstruktion des strikten Rechtsbegriffs sei (RLVI 232, 32), und dass „die Vernunft dafür gesorgt“ habe, „den Verstand auch mit Anschauungen a priori zum Behuf der Construction des Rechtsbegriffs so viel möglich zu versorgen“ (VI 233, 9 ff.; Hv. R. M.). Für die erste Einschränkung, den Gebrauch des Adverbs „gleichsam“, dürfte es folgende, miteinander zusammenhängende Gründe geben. Zum einen, weil Kant von einer Begriffskonstruktion als einem rein theoretischen Vorgang im praktischen Bereich spricht; zum anderen, weil nach der Transzendentalen Methodenlehre die Konstruktion als ein intuitives Verfahren bei einer metaphysischen, d. h. philosophisch-diskursiven Freiheitslehre nicht zu erwarten ist. Eben darum tritt auch die zweite Einschränkung „so viel möglich“ auf, um auf die Begrenztheit der Versorgung des diskursiven Verfahrens des Verstandes mit einem intuitiven Verfahren, der Konstruktion des engen Rechts, aufmerksam zu machen.

 Dies darf zudem nicht mit der „symbolischen Construction“ verwechselt werden, womit Kant nur eine algebraische Konstruktion im Sinn hat (KrV A 717/B 745; vgl. „Charakterismen“, KU V 352; s. Breidert 1981, 106).

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3.3 Die objektive Realität des engen Rechts in der phänomenalen Welt „[D]enn in rechtlich-practischer Rücksicht können reine Vernunftbegriffe (dergleichen das Recht überhaupt ist) objective Realität haben indem die Folgen derselben in der Erfahrung gegeben werden können.“ (VARL XXIII 260)

Die Textpassage des § E der Rechtslehre, in der Kant seine Analogien herstellt, gleicht einem mixtum compositum, in dem die unterschiedlichsten Stücke seiner Methodenlehre, Natur- und Sittenmetaphysik und seiner Theorie der Mathematik auf eine komprimierte Weise zusammengefügt sind. Was soll diese komplexe Vorgehensweise eigentlich leisten? Was die geometrische Analogie betrifft, so liegt es auf der Hand, dass Kant hier auf den Präzisionsanspruch des strikten Rechts und auf die spielraumfreie Determination seiner Prinzipien, im Unterschied zu den Tugendforderungen, hinweisen möchte. Nicht nur in § E schreibt Kant, dass nach der geometrischen Analogie „die Rechtslehre das Seine einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will, welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf.“ (VI 233, 19 ff.; Hv. R. M.) Es liegen auch weitere Stellen vor, in denen Kant die mathematische Genauigkeit des engen Rechts symbolisch zum Ausdruck bringt. So schreibt er etwa in der Vorrede der Tugendlehre, dass es bei der Rechtspflicht „auf der Wage der Gerechtigkeit das Mein und Dein nach dem Princip der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung genau bestimmt werden und darum der mathematischen Abgemessenheit analog sein muß“ (VI 375 Anm.).⁷² In aller Deutlichkeit hebt Kant aber in den Vorarbeiten zur Rechtslehre die Aspekte hervor, die in seiner geometrischen Analogie von Bedeutung sind: „Der technisch-practische Begrif des Rechten und Geraden wird […] zum Symbol des moralisch-practischen gebraucht und in der That ist in der Rechtsbeurtheilung etwas Analogisches mit der Mathematik sowohl was die pünctliche Angemessenheit zur Regel als auch die Gleichheit des Maaßes betrift mit welchem wenn er andere mißt nothwendig wieder gemessen wird auf welche Aeqvationen selbst die Moral der Tugendlehre ihre Lehren nicht mit solcher Bestimmtheit gründen kann.“ (XXIII 256, 2– 9)

 „Mit der genaueren Abgemessenheit der Principien der Rechtslehre verträgt sich wohl noch Metaphysik weil da das Mein und Dein auf der Wage der Gerechtigkeit nach dem Grundsatz der Gleichheit abgewogen werden soll.“ (VATL XXIII 374, 16 – 19; vgl. weiter etwa TL VI 411; RL VI 273).

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Dass Kant das strikte Recht und die reine Mathematik auf solche Weise in Verbindung bringt, liegt auch darin begründet, dass für ihn außer der Transzendentalphilosophie noch zwei weitere reine Vernunftwissenschaften, eben die reine Mathematik und die reine Moral, zu den Wissenschaften gehören, die angesichts „aller in ihren Inbegriff gehörigen Fragen (quaestiones domesticae) lauter gewisse Auflösungen fordern und erwarten könne(n)“.⁷³ Denn sowohl in der reinen Mathematik als auch in der Sittenmetaphysik liege nach Kant „der Schlüssel“ zu der Erkenntnis ihrer Gegenständen „in uns“ (KrVA 480/B 508; vgl. A 477/B 505). Diese Selbstsuffizienz der Vernunft angesichts ihrer Probleme und deren Auflösung erbringt bei den beiden Wissenschaften eine apriorische Gewissheitsleistung, so dass die rationale Gewissheit, allerdings auf jeweils unterschiedliche Art,⁷⁴ das Gemeinsame zwischen beiden ausmacht.⁷⁵ Während die reine Mathematik eine unmittelbare Gewissheit aufweist, die sie ihrem Konstruktionsverfahren in reinen Anschauungsformen zu verdanken hat, beruht die normativ-praktische Gewissheit der Moral bzw. des moralischen Begriffs des Rechts, auf dem das strikte Rech beruht, auf dem Vernunftfaktum des moralischen Gesetzes. Kants Vergleich zwischen der Gewissheit und der Abgemessenheit⁷⁶ im äußeren Recht und in der reinen Mathematik gilt jedoch nur der Idee nach, ohne dass er etwa die endgültige Auflösung aller auftretenden konkreten Einzelfälle des Rechts bzw. Unrechts in der Empirie im Voraus einfordern könnte. Der Präzisionsanspruch in der Befolgung der Verbote der Rechtspflichten ist zwar ein apriorisches Erfordernis, denn er fußt auf der Bedingung der Widerspruchsfreiheit der Gemeinschaft freier Wesen, doch bleibt der Rechtsbegriff zugleich „auf die Praxis (Anwendung auf in der Erfahrung vorkommende Fälle)“ angewiesen (MS VI 205, 11 f.). Das enge Recht muss sich bei der Bestimmung dessen, was in vorkommenden Einzelfällen Recht oder Unrecht sein könnte, einer kreativen Urteilskraft behelfen.⁷⁷ Doch der apriorische Präzisionsanspruch des Vernunftrechts in der Bestimmung der geforderten Handlungen ist ebenso unabhängig von deren

 Schon in einer Reflexion aus dem Anfang der 1770er Jahre fragt sich Kant: „Was kann man durch blosse Vernunft ohne alle Erfahrung erkennen (mathematik, Moral)?“ (Refl. 4455 XVIII 558)  Zum Unterschied der Gewissheitsarten in Philosophie und Mathematik s. bereits die Preisschrift 1764, II 273 – 301.  Zu einem historischen Blick auf die Bedeutung der Mathematik für die Naturrechtslehre der Aufklärung s. etwa Cassirer 1932, 247– 250, 255.  In der Logik definiert Kant die „Abgemessenheit“ (Präzision) als „die extensive Größe der Deutlichkeit, sofern sie nicht abundant ist“ (IX 63, 6 f.).  Vgl. etwa Wieland 1998, 15 f., 20.; Höffe 2001, 125, 65, 75, 80 f.

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Vollzug in konkreten Fällen, wie die Evidenz und Genauigkeit der Axiome der reinen Geometrie von der konkreten Gestalt der natürlichen Alltagsfiguren. Auch bei der mechanischen Analogie des § E der Rechtslehre scheint ihr Ertrag, wie bei der geometrischen Analogie, in einer Veranschaulichung des äußeren Rechts zu bestehen. Doch ist dies tatsächlich alles, worauf es bei den beiden Analogien ankommt? Erschöpft sich deren Ertrag allein in einer bloßen Veranschaulichungsleistung?⁷⁸ Nachdem Kant in § E von der Konstruktion des Rechtsbegriffs gesprochen hat, schreibt er: „So wie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objects nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch die Construction des Begriffs entdecken können, so ists nicht sowohl der Begriff des Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte, mit ihm zusammenstimmende durchgängig wechselseitige und gleiche Zwang, der die Darstellung jenes Begriffs möglich macht.“ (RL VI 233, 1– 6; Hv. R. M.) Dies besagt aber eindeutig, dass erst das Gesetz der Zwangsbefugnis die Darstellung des Rechtsbegriffs ermöglicht, und dass sich dabei gewisse Eigenschaften des Rechts, analogisch gesprochen, „entdecken“ lassen.⁷⁹ Was hat das zu bedeuten? Zunächst mag man es so deuten, dass die indirekte Konstruktion des Rechtsbegriffs eine Erweiterung der Erkenntnis bezüglich dieses Begriffs erbringen würde; dass wir dadurch zum Rechtsbegriff etwas Neues hinzusetzen, das nicht bereits in ihm liegt, obwohl es zu ihm gehört, so dass also dadurch ein allgemeiner synthetischer Satz entstehen würde. Nun, für Kant liegt

 Zum Erkenntnisbeitrag der Konstruktion des Rechtsbegriffs in § E bietet Kaufmann folgende Interpretation an: „We posit the connection of Right and coercion with some kind of arbitrary synthesis in pure intuition. But as soon as we have done so, it is an analytic truth that Right and coercion are connected“. Ferner schreibt er: „That there can be a hindrance to freedom if there is strict law without coercion is an insight of intuition“ (Kaufmann 1997, 79 f.; Hv. R. M.). In der Tat setzt aber Kant das Recht mit der Befugnis zu zwingen nicht willkürlich in Verbindung, weder in § D noch in der Konstruktion des Begriffs in § E. Ebenso wenig lässt sich der analytische Charakter des Rechtsprinzips aus einem „insight of intuition“ schließen. Um die analytische Verbindung des Rechts und der Zwangsbefugnis zu erkennen, bedürfen wir keiner Konstruktion bzw. eines intuitiven Verfahrens. Im Gegensatz zu Kaufmanns Interpretation muss die Analytizität des Rechtsprinzips der Konstruktion des Rechtsbegriffs vorausgehen; § D gilt also vielmehr als der Wegbereiter zur Veranschaulichung des Begriffs in § E, nicht umgekehrt. Gerade deshalb ist auch der argumentative Stellenwert des § D der Rechtslehre nicht gering zu schätzen (pace Ludwig 1988, 98 Fn. 29).  Kant hat ja eine generative Auffassung von Mathematik und deren Konstruktionsverfahren. Die Konstruktion hat immer eine Kapazität zur Erweiterung der Erkenntnisse und liefert daher synthetische Urteile a priori. In reinen Anschauungen a priori können wir, „wenn wir im Urteile a priori über den gegebenen Begriff hinausgehen wollen, dasjenige antreffen, was nicht im Begriffe, wohl aber in der Anschauung, die ihm entspricht, a priori entdeckt werden und mit jenem synthetisch verbunden werden kann“ (KrV B 73; vgl. A 155/B 194; Prol. IV 272).

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zwar in den beiden Analoga zum strikten Recht in § E für sich genommen schon eine Erkenntniserweiterung um die Eigenschaft der Gleichheit vor. In dem mechanischen Analogon, dem dritten mechanischen Gesetz, sieht er nämlich die Gleichheit zwischen den Wirkungen und Gegenwirkungen in der Mitteilung der Bewegungen als etwas neu Gewonnenes (MAN IV 548 f.).⁸⁰ Und in dem geometrischen Analogon gilt eine quantitative Gleichheit der zwischen zwei Seiten abgeteilten Räume für ihn als etwas, was wir erst durch das Hinausgehen über den Begriff des rectum bzw. Geraden erreichen können, und zwar darum, weil Kant in „dem Begriffe dem Geraden […] nichts von Größe, sondern nur eine Qualität“ sieht (s. KrV B 16; A 716/B 744). Doch mit dem Rechtsbegriff selbst hat es diesbezüglich eine andere Bewandtnis. Ein Gleichheitsbegriff („die angeborene Gleichheit“) ist bereits durch das „Prinzip der angeborenen Freiheit“ in dem Rechtsbegriff enthalten, mithin keiner Erkenntniserweiterung durch Analogien bedürftig (s. RL VI 273).⁸¹ Eine Erkenntniserweiterung bezüglich des Rechtsbegriffs sollte also woanders liegen. Beim strikten Recht handelt es sich um eine reale Gemeinschaft, d. h. um den realen, wechselseitigen Einfluss bestimmter Substanzen (sc. Personen) als Erscheinungen im Raum aufeinander (s. oben Kap. 1). In § D zieht Kant zwar die Widerspruchsfreiheit des Begriffs der äußeren Zwangsbefugnis mit der Freiheitsgemeinschaft aus dem logischen Grund, nach dem Prinzip der Identität, heraus. Doch in diesem Begriff geht es zugleich auch um den realen Widerstreit „des wechselseitigen Abbruchs“ der Willkürfreiheiten.⁸² Die rein logisch gewonnene Identifikation zwischen dem äußeren Recht und der Zwangsbefugnis in § D der Rechtslehre reicht jedoch noch nicht zum Beweis der realen Möglichkeit, d. h. der objektiven Realität des Rechts als Zwangsbefugnis hin, also dazu, dass die mit dem Rechtsbegriff identische Zwangsbefugnis gerade als „[d]as Gesetz eines mit jedermanns Freiheit nothwendig zusammenstimmenden wechselseitigen Zwan-

 Nach Kant wird am Beispiel des mechanischen Gesetzes, dass „in aller Mitteilung der Bewegung Wirkung und Gegenwirkung jederzeit einander gleich sein müssen“, nicht allein die Notwendigkeit, sondern auch dessen Synthetizität deutlich. „Denn in dem Begriffe der Materie denke ich mir nicht die Beharrlichkeit, sondern bloß ihre Gegenwart im Raume durch die Erfüllung desselben. Also gehe ich wirklich über den Begriff von der Materie hinaus, um etwas a priori zu ihm hinzuzudenken, was ich in ihm nicht dachte. Der Satz ist also nicht analytisch, sondern synthetisch und dennoch a priori gedacht, und so in den übrigen Sätzen des reinen Teils der Naturwissenschaft“ (KrV B 17 f.).  Zu beachten ist, dass nicht bereits in dem Grundsatz der Dritten Analogie der Erfahrung, sondern erst in dem dritten mechanischen Gesetz und dem Gesetz der Zwangsbefugnis der Begriff der Gleichheit als ein Grundbestandteil beider Gesetze zur Kenntnis gebracht wird.  Man kann daher das Gesetz der Zwangsbefugnis in § E, gerade wegen Kants mechanischer Analogie, als lex antagonismi der Freiheit bezeichnen.

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ges“ (VI 232, 30 f.) in der phänomenalen Welt auftritt. Diese reale Möglichkeit des Rechtsbegriffs (wohlgemerkt nicht seine rein moralische) zu zeigen, scheint nun das zu sein, was die indirekte Darstellung – sowohl durch die mechanische wie auch die geometrische Analogie – in § E übernimmt (vgl. Fortschritte XX 279 f.). Im Gegensatz zum obersten Prinzip der Tugendlehre bedarf zwar das oberste Rechtsprinzip keiner zusätzlichen Deduktion für seine moralische, objektive Realität mehr (s. TL VI 395, 22 ff.), und zwar aus dem Grund, weil es sich bei dem Rechtsprinzip um keine Erweiterung des Pflichtbegriffs handelt. Mit anderen Worten, für die Rechtfertigung des moralischen Rechts ist der Kategorische Imperativ der ethischen Grundlagenschriften als „Creditiv“ schon zureichend (vgl. RL VI 239, 18 – 21; vgl. Teil II, Kap. 4.1; Teil IV, Kap. 2). Das völlig äußere Recht ist daher insofern, als es auf den moralischen Rechtsbegriff zurückzuführen ist, ebenso wenig eines praktischen Realitätsnachweises bedürftig. Doch das völlig äußere Recht hat, abgesehen von seinem moralischen Hintergrund und im Gegensatz zu sowohl Kategorischem Imperativ wie auch Tugendprinzip, eine genuin auf das Äußere bezogene phänomenale Seite. Und genau diese Seite des völlig äußeren Rechts wird erst durch sein Äquivalent, das Gesetz der Zwangsbefugnis, präsentiert. Das Gesetz der Zwangsbefugnis ermöglicht es eben, den äußeren Rechtsbegriff „in einer reinen Anschauung a priori, nach der Analogie“ des dritten Gesetzes der Mechanik darzustellen (RL VI 232, 33 ff.); oder wie Kant eindeutig sagt: es „macht“ „die Darstellung jenes Begriffs möglich“ (VI 233, 6). Ganz so, wie „in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres Objects nicht unmittelbar vom Begriffe“ abgeleitet, „sondern nur durch die Construction des Begriffs“ entdeckt werden können (VI 233, 1 ff.), so wird auch die phänomenale Seite des völlig äußeren Rechts erst mit seiner Darstellung als Gesetz der Zwangsbefugnis gleichsam entdeckt. Da aber eine Darstellung an sich, worunter als Oberbegriff auch eine Konstruktion fällt, nichts anderes ist als die „Handlung der Hinzufügung der Anschauung zum Begriffe“ (Über eine Entdeckung VIII 191 Anm.; vgl. KrV A 713/B 741; Fortschritte XX 325) und diese Handlung nach Kant für die (phänomenale) objektive Realität zuständig ist, so lässt sich feststellen, dass durch den freiheitsbedingten, reziproken äußeren Zwang eben die phänomenale, objektive Realität des strikten Rechts nachgewiesen wird. Die Darstellung a priori des Rechtsbegriffs in § E soll so die Aufgabe erfüllen, den aus dem § D durch bloße begriffliche Zergliederung hervorgehenden, rein logisch mit der Freiheit zusammenstimmenden Zwang mit Anschauungen zu sättigen und damit die Möglichkeit des äußeren Rechts in Form des Gesetzes der Zwangsbefugnis als etwas Reales in der phänomenalen Welt vorstellbar zu machen; eine objektive Realität, welche auf transzendentalen Grundsätzen gründet. Das äußere Vermögen, befugten Zwang auszuüben, gibt damit gerade die Tragweite (eben das „[S]o viel möglich“; RL VI 233, 10 f.) an, innerhalb welcher das

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Recht anschauungsgesättigt werden kann. Das Zwangsrecht gilt damit als die Seite der Medaille des moralischen Rechts, die zur Sinnenwelt hin gerichtet ist.

Bibliografie Kant wird nach der Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften (= AA, Berlin 1902 ff.) mit der Angabe des Bandes (der römischen Zahl) und der Seitenund Zeilenzählungen (der arabischen Zahl) zitiert. Bei der Kritik der reinen Vernunft werden nur die Originalpaginierungen der ersten (= A) und der zweiten (= B) Auflage angegeben. Alle Schriften Kants werden jeweils mit Sigel zitiert. Kants Texte sind aus folgenden digitalen Quellen zitiert: „Kant im Kontext III“, Komplettausgabe, 2. Aufl. 2009, Release (XP/Vista) 6/2009, Werke, Briefwechsel, Nachlaß und Vorlesungsnachschriften, hg.v. Karsten Worm und Susanne Boeck (CD-ROM) und „Das Bonner Kant-Korpus (Elektronische Edition der Gesammelten Werke Immanuel Kants)“ unter: http://www.korpora.org/kant/. Eine Vorlesung Kants zur Moralphilosophie, die Nachschrift von Johann Friedrich Kaehler (1777), wird nach der Ausgabe von Werner Stark zitiert: Immanuel Kant. Vorlesung zur Moralphilosophie, hg. v. Stark, W., 2004, Berlin – New York. (Z. B. Stark (Kaehler) 2004, 44.) Weiterhin werden zwei Schriften von Alexander Gottlieb Baumgarten nach der Akademieausgabe zitiert: Initia philosophiae practicae primae (Bd. XIX 41760) und Metaphysica (Bd. XVII und XV, 1739, 41757). Das Kürzel „Hv. R.M.“ steht für meine Hervorhebungen. Die Bezeichnung „Ethik1“ steht für die Ethik Kants im weiten Sinne als das System aller Pflichten, und die Bezeichnung „Ethik2“ für die Ethik im engen Sinne als das System der „Zwecke die zugleich Pflicht sind“, der Pflichtzwecke.

I Primärliteratur a. Kant Siglen bzw. Abkürzungen für Kants Werke: A, erste Kritik Anthropologie B, erste Kritik Briefe Das Ende aller Dinge De mundi Feyerabend Fortschritte Frieden

Kritik der reinen Vernunft (erste Auflage, 1781) Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (VII, 1798) Kritik der reinen Vernunft (zweite Auflage 1787) Briefe (X-XII) Das Ende aller Dinge (VIII, 1794) De mundi sensibili atque intelligibilis forma et principiis („Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen“, II, 1770) Kants Naturrecht (XXVII. 2, 2, Nachschrift Feyerabend 1784) Preisschrift: Über die Fortschritte der Metaphysik seit Leibniz und Wolff (XX, geschrieben 1790, hg. v. Rink 1804) Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (VIII, 1795)

I Primärliteratur

Gemeinspruch GMS, Grundlegung Idee KpV, zweite Kritik KU, dritte Kritik Logik MAN Meta. Dohna Meta. K3 Meta. L1 Meta. L2 Meta. Mrongovius Meta. Volckmann Moral Collins Moral Mrongovius Moral Mrongovius II MS NG Nova dilucidatio

OP Pädagogik Powalski Preisschrift, Über die Deutlichkeit Prol. Refl. Religion Rezension Hufeland RL TL Über ein vermeintes Recht Über eine Entdeckung

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Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (VIII, 1793) Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (IV, 1785) Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (VIII, 1784) Kritik der praktischen Vernunft (V, 1788) Kritik der Urteilskraft (V, 1790) Logik (IX, hg. v. Jäsche 1800) Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (IV, 1786) Vorlesung über „die Metaphysik“ (XXVIII. 2, 1, Nachschrift Dohna 1792/ 93) Bemerkungen über Metaphysic nach Baumgarten (XXIX, ca. 1794/95) Vorlesung über die Metaphysik (XXVIII, hg. v. Pölitz 1821) Vorlesung über die Metaphysik (XXVIII. 2, 1, hg. v. Pölitz 1821) Vorlesung über „Metaphysic“ (XXIX. 1, 2, Nachschrift Mrongovius 1783) Metaphysische Vorlesung (XXVIII, Nachschrift Volckmann 1784/85) Vorlesung über Moralphilosophie (XXVII. 1, Nachschrift Collins) Vorlesung über Moralphilosophie (XXVII. 2. 2, Nachschrift Mrongovius) Vorlesung über Moralphilosophie (XXIX, 1, Nachschrift Mrongovius 1784/85) Die Metaphysik der Sitten (Einleitung in die Metaphysik der Sitten, 203 – 229, VI, 1797) Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (II, 1763) Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio („Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis“, I, 1755) Opus postumum (XX, 255 – 351 und XXI – XXII, 1796 – 1803) Pädagogik (IX, hg. v. Rink 1803) Praktische Philosophie (XXVII. 1, Abschrift Powalski) Preisschrift: Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (II, 1764) Prolegomena zu einer jeden zukünftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (IV, 1783) Reflexionen (XVIII-XIX) Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (VI, 1792) Recension von Gottlieb Hufeland’s Versuch über den Grundsatz des Naturrechts. (VIII, 1786) Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (VI, 1797) Die Metaphysik der Sitten. Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (VI, 1797) Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen (VIII, 1797) Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll (VIII, 1790)

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Bibliografie

VAG Verkündigung Vigilantius VT VARL VATL VR WDO

Vorarbeiten und Nachtrag zu Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (XXIII, ca. 1792/94) Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie (VIII, 1796) Vorlesung über Metaphysik der Sitten (XXVII. 2, 1, Nachschrift Vigilantius 1793/94) Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (VIII, 1796) Vorarbeiten zu Die Metaphysik der Sitten. Erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (XXIII) Vorarbeiten zu Die Metaphysik der Sitten Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (XXIII) Vorlesung über philosophische Religionslehre (XXVIII. 2, 2, hg. v. Pölitz 1817, 21830) Was heißt: Sich im Denken orientieren? (VIII, 1786)

b. Andere Quellen Achenwall, Gottfried 71774: Jus naturae. Pars prior, Gottingae. Achenwall, Gottfried 41774: Prolegomena juris naturalis, Gottingae Albert, Hans 51991: Traktat über kritische Vernunft, 5. verbesserte und erweiterte Auflage, Tübingen. Anscombe, Elizabeth G. M. 1981 [1958]: „Modern Moral Philosophy“, in: The Collected Philosophical Papers of C. E. Anscombe, Volume Three, Oxford, 26 – 42. Aristoteles [21999]: Metaphysik, übers. v. Hermann Bonitz, auf der Grundlage der Bearbeitung von Carvallo, H./Grassi E., neu hg. v. Wolf U., Reinbek bei Hamburg. Baumgarten, Alexander Gottlieb [31763]: Ethica philosophica, 1969, Hildesheim. Cassirer, Ernst 1932: Die Philosophie der Aufklärung, in: Gesammelte Werke, Bd. 15, Recki, B. (Hg.), 2003, Hamburg. Cicero, Macus Tullius: De officiis. Vom pflichtmäßigen Handeln, Lateinisch/Deutsch, übersetzt, kommentiert und hg. v. Gunermann, H., 2005, Stuttgart. Dancy, Jonathan 2000: Practical Reality, Oxford. Fichte, Johann Gottlieb [1796]: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, in: Fichtes Werke, Bd. III. Zur Rechts und Sittenlehre I, Fichte, Hermann, I. (Hg.), 1971, Berlin. Foot, Philippa 2002 [1978]: „Virtue and Vices“, in: Virtues and Vices and Other Essays in Moral Philosophy, Oxford, 1 – 18. Georges, Karl Ernst 81913: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Gotha. Gethmann, Carl Friedrich 1984: „Imperativlogik“, in: Mittelsraß, J. (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2., Mannheim/Wien/Zürich, 208 – 212. Hartmann, Nicolai 41962 [1926]: Ethik, Berlin. Habermas, Jürgen 1991: „Vom pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft“, in: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt/M, 100 – 118. Habermas, Jürgen 41998: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts, Frankfurt/M.

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Autorenregister Achenwall, Gottfried 166 Albert, Hans 8, 227 Albrecht, Michael 154 Allison, Henry E. 21, 71, 155, 157, 162, 180 Ameriks, Karl 21 Anscombe, Elizabeth G. M. 18 Aristoteles 30 Arntzen, Sven 172 Baron, Marcia W. 123, 125, 136 Bauch, Bruno 5 Baum, Manfred 117, 122, 183 Baumann, Peter 82 Baumgarten, Alexander Gottlieb 33 f., 38, 40, 49, 69, 121, 166, 253 Beck, Lewis White 35, 64 f., 71, 153, 159, 161, 210 f., 215, 222 f. Benton, Robert J. 64, 211 Bergk, Johann Adam 126 Bittner, Rüdiger 54, 71, 150, 153 f. Bobzien, Susanne 65, 211, 214 Bojanowski, Jochen 20 Brandt, Reinhard 12, 21, 218 Breidert, Wolfgang 245 Brinkmann, Walter 144, 152, 154, 158, 166, 173 Bubner, Rüdiger 152 f., 159 Byrd, B. Sharon 212 Casas, Vincente Durán 127 Cassirer, Ernst 247 Cicero, Macus Tullius 53, 124 Dancy, Jonathan 13 Denis, Lara 3, 127, 202 Dreier, Ralf 2, 118 Dulckeit, Gerhard 5 Ebbinghaus, Julius 3, 12, 55 Ebert, Theodor 163, 166, 170 f., 208 Engelhard, Kristina 8 Ertl, Wolfgang 15 Esser, Andrea Marlen 117, 127, 157

Fichte, Johann Gottlieb 3 Foot, Philippa 36 Förster, Eckart 242 Freudiger, Jürg 53 Geismann, Georg 3, 6, 12, 52, 55, 123, 176, 228 Georges, Karl Ernst 34 Gethmann, Carl Friedrich 52 Gregor, Mary J. 4, 117, 126 f. Gressis, Rob 150, 157 f. Guyer, Paul 4 – 6, 96, 149, 229 Haas, Bruno 65, 215 Habermas, Jürgen 6, 51 Haensel, Werner 12 Hardwig, John 144 Hartmann, Nicolai 36 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 36, 150 Heidegger, Martin 237, 244 Heidemann, Dietmar H. 8 Henrich, Dieter 13, 20, 71 Herb, Karlfried 4 Herman, Barbara 156, 165 Hill, Thomas E. Jr. 117, 131 Hinske, Norbert 9, 15 Höffe, Otfried 3 – 5, 76, 117, 122, 127, 149, 154 f., 190, 194, 218, 225, 242, 247 Horn, Christoph 4, 52, 54, 94, 96 f., 106, 144 f., 150, 153, 194, 224 Hruschka, Joachim 134, 139, 163, 166, 212 Hudson, Hud 161 Hufeland, Gottlieb 96, 225, 231 f., 253 Hume, David 34 Ilting, Karl-Heinz 20, 71 Irrlitz, Gerd 9 Ju, Gau-Jeng 128, 244 Käubler, Bruno 34 Kaufmann, Matthias 163, 248 Kaulbach, Friedrich 4, 12, 117, 122 Kemp, John 190

266

Autorenregister

Kerstein, Samuel, J. 127 Kersting, Wolfgang 4 – 6, 104, 117 f., 128, 139, 149, 154, 169, 196, 238, 245 Klemme, Heiner F. 4, 34 Köhl, Harald 144 f., 154, 158 f., 173 König, Peter 156, 158, 173 Korsgaard, Christine M. 26, 48, 51, 54 f., 153, 194 Kühl, Kristian 3, 5, 12 Kühn, Manfred 9, 53 Leibniz, Gottfried Wilhelm 21, 180, 252 Longuenesse, Beatrice 21 Ludwig, Bernd 4, 48, 57, 70, 117, 122, 190 f., 248 Lukow, Pawel 155 MacIntyre, Alsdaire 152 Martin, Adrienne M. 55 Maus, Ingeborg 3 McCarthy, Michael H. 71 McCarty, Richard R. 153 McRobert, Jennifer 241 Melches Gibert, Carlos 53 Mieth, Corinna 52, 54, 144 f., 150, 153, 194 Mill, John Stuart 150 Mohr, Georg 82, 119 Mosayebi, Reza 83, 128, 143 Mulholland, Leslie A. 4 Naucke, Wolfgang 3, 5 Newmark, Catherine 35 Newton, Isaac 235 Nietzsche, Friedrich 36, 132 Oberer, Hariolf 3 f., 6, 8, 149 O’Neill (Nell), Onora 117, 150, 153 – 155, 180 Ott, Konrad 8 Paton, Herbert J. 51, 55, 221 f. Patzig, Günther 13, 52 Pieper, Annemarie 211 Pinzani, Alessandro 127 Pippin, Robert B. 96, 229 Pistorius, Hermann Andreas 150 Pogge, Thomas W. 96 Pollok, Konstantin 48, 159

Potter, Nelson 125 Pufendorf, Samuel von 139 Rawls, John 49 f., 138, 221 Reath, Andrews 126 Rehberg, August Wilhelm 150, 180 Reich, Klaus 53 f., 221 – 223, 228 Ritter, Christian 5, 12 Römpp, Georg 127 Sänger, Monika 212, 233, 238, 242 Scarano, Nico 52, 54, 144 f., 150, 153, 194 Schäfer, Lothar 242 Scheffel, Dieter 183, 192 f. Scheler, Max 36 Schiller, Friedrich 36 Schink, Willi 53 Schmucker, Josef 71, 117 Schnepf, Robert 127 Schnoor, Christian 150 Scholz, Gertrud 5, 117 f., 196 Schöndorf, Harald 154 Schönecker, Dieter 3, 17, 21, 47 f., 54 f., 58, 71, 144, 152 f., 167, 222 Schopenhauer, Arthur 18, 127 f. Schreiber, Hans-Ludwig 5 Schröder, Wolfgang M. 53 Schulting, Dennis 19 Schulz, Eberhard Günter 180 Schwaiger, Clemens 9, 13, 44 Schwartz, Maria 160, 177 Siep, Ludwig 22 Silber, John R. 237 Stark, Werner 8 f., 13, 34, 40 f., 63, 99, 120, 129, 132, 142, 189, 194 Steigleder, Klaus 5 f., 20, 51, 117, 127 Stephani, Heinrich 81, 118, 122 Thomasius, Christian 139 Thurnherr, Urs 150, 152, 158 Tieftrunk, Johann Heinrich 114, 117, 126, 131 Timmermann, Jens 23, 26, 71, 158, 173, 177, 180 Timmons, Mark 3, 150, 153, 155, 194 Tonelli, Giorgio 66 Tugendhat, Ernst 8

Autorenregister

Wieland, Wolfgang 247 Willaschek, Marcus 4, 20, 96 f., 106, 108, 117, 123, 125 f., 136, 138, 192 – 195, 224 f., 228 Williams, Bernard 36

267

Wimmer, Reiner 150, 153, 223 Wolff, Christian 45, 61, 69, 139, 166, 252 Wolff, Robert P. 222, 252 Wood, Allen W. 4, 47 f., 54 f., 58, 71, 96, 100, 144, 152 f., 167, 222, 225 – 227

Sachregister Achtung 35 f., 94, 180 Adiaphoron (Adiaphora; Adiaphora moralia) 94, 162 – 167, 170 f. Akzidenz 212 f., 216 f., 220 Allgemeine Prinzip des Rechts 149, 187, 192, 208 f. Analogie 54, 72 – 76, 81, 119, 222, 232 – 239, 242 – 246, 248 – 250 – Geometrische 233, 235, 239, 242 – 244, 246, 248 – 250 – Mechanische 218, 233, 235 – 239, 241 – 243, 245, 248 – 250 Analytizität 12, 47, 90 f., 93, 100 f., 169, 225 – 228, 232, 248 Anschauung 32, 54, 56, 60, 62 f., 65, 74 f., 83, 167, 179, 230, 233 – 236, 238 – 243, 245, 248, 250 Anschauungsform(en) (s. a. Raum, Zeit) 37, 43, 64 f., 132, 240 Anthropologie 25, 71 – 73, 75 f., 236, 252 Antinomie 15 – 17, 19, 28, 127 f., 132 Apodosis (s. a. Protasis) 66, 202 Autonomie 2, 4, 33, 53 – 56, 88, 219 f., 223 Axiom 32, 62, 240 f., 243, 248 Bedürfnis 23, 25 ff., 42 f., 142, 178 Befolgung 23, 38, 51, 67, 87, 107 f., 122 f., 130, 134, 140, 142, 146 f., 162, 180, 182 f., 197, 201 – 203, 205 f., 247 Befolgungsprinzip 102, 203, 206 Begehrungsvermögen 38, 161 Begierde 23, 25, 39, 162, 166 Bestimmungsgrund 8, 11, 35 – 37, 49 f., 66, 94, 103, 107, 110 f., 175 – 181, 232 – oberster 66 – unmittelbarer 66, 237 Beurteilungsprinzip (s. a. principium diiduicationis) 11, 24, 26 f., 30 – 32, 35, 181 – 183, 186 f., 193, 197 Bewegungsgrund 23, 33 f., 120 f. Billigkeit 89, 129, 242 Böse 27, 63, 135, 175, 179 – 182

Causa 14, 17, 33, 37, 48 – 51, 111 – instrumentalis 48 f. – noumenon 17, 222 – originaria 48 – 51 – phaenomenon 17 – solitaria 37, 111 Commercium (s. a. Gemeinschaft) 197, 215 – 217, 222 Construction (s. a. Konstruktion) 233, 238 f., 241 f., 245, 248, 250 Das oberste Prinzip des Vernunftrechts 1 Deduktion 19 f., 59, 65, 71, 114, 228, 230, 250 Denkmöglichkeit (s. a. Wollensmöglichkeit) 17, 140, 169, 196, 203 Depositum 135, 155, 159, 166 Dijudikation 10, 26, 30, 58, 152, 167, 181, 193 Dijudikationsprinzip (s. a. principium diiudicationis) 27 f., 35 f., 71, 102 Ding an sich 15 – 17 Dritte Analogie der Erfahrung 233, 235, 237 f., 243, 245, 249 Einbildungskraft 84, 236 f., 240 Erfolgsimperative 46 f. Erkenntnisgrund (s. a. ratio cognoscendi) 21 f., 33, 169, 171, 185, 187 Erkenntnisprinzip (s. a. principium cognoscendi) 186 f. Erkenntnisvermögen 28 Erlaubtheit 162 f., 171 Erscheinung 14 – 17, 19, 27, 37, 211 f., 216, 236 f., 241, 245, 249 Ethik 3, 5, 8, 10 f., 13, 18, 22 – 24, 27 – 33, 35 f., 39, 56, 62, 68, 70 f., 76 – 78, 81 f., 85, 91, 95, 97, 100 – 102, 104, 109 f., 113, 115 – 119, 123 f., 128 – 130, 138 f., 142, 146 – 149, 151 – 153, 158, 162 f., 166 – 168, 174 f., 177, 181, 188, 192, 198 – 200, 232 Ethische Motivagnosie 83 f., 142, 145, 175, 178 f., 181 f. Exekution (s. a. Motivation) 10

270

Sachregister

Exekutionsprinzip (s. a. principium executionis) 27, 33, 35 – 37, 49, 71, 102 – 104, 106, 118 Das exekutive Prinzip (s. a. Exekutionsprinzip, principium executionis) 176 Exhibitio 233, 240 Faktizität 20, 164 Faktum der Vernunft (a. Faktum der reinen Vernunft) 20 f., 63, 157, 164 f., 168, 228 Freiheit 1 f., 5 f., 11, 14, 16 – 22, 24, 27 – 29, 32, 42, 56 – 58, 62, 68, 72, 75, 77 – 82, 84 – 87, 89 – 96, 99 – 108, 113 – 115, 118 f., 121, 135, 148, 156, 160 f., 163 f., 167, 184 – 186, 190 f., 193 – 195, 197 – 200, 204 – 206, 208 – 210, 214, 218, 222 f., 225, 227, 232 f., 235 f., 245, 249 f. – Äußere Freiheit 2, 77, 86, 92, 113, 148, 184, 193, 195, 197 – 199, 206, 222 f., 225, 227 – Innere Freiheit 77 – 80, 86 f., 99, 121, 198, 206, 222 – Noumenale Freiheit 21 f., 42, 101, 108 Noumenales Freiheitsvermögen 20 f., 42, 111 Freiheitsgebrauch 1 f., 92, 135 Freiheitsgesetzgebung 75, 79, 81 f., 85 – 87, 94, 110, 119, 183 Freiheitskategorien 64, 133, 210 – 213, 215, 219 f., 222 Freiheitsvermögen 4, 6, 17, 20 – 22, 25, 27, 42, 53, 111, 219 Fremdverpflichtung (s. a. Verpflichtung, Selbstverpflichtung) 78 Gebot (s. a. Verbot) 39, 50, 59, 91, 96, 163 – 167, 170 f., 176, 204 Gemeinschaft (s. a. commercium) 197, 208, 212, 215 – 223, 227 f., 236 – 238, 243, 245, 247, 249 Generalität 153 f., 166 Geometrie 239, 243, 248 Gesetzgebung 1 f., 6, 10, 18, 32 f., 68, 72, 75 – 82, 85 – 87, 98, 100, 102 f., 110 f., 116 – 118, 122 f., 128, 131, 160 f., 184 f., 191, 221 – Äußere Gesetzgebung 1 f., 68, 76 – 78, 80, 82, 85, 87, 98, 116 f., 122 f., 128, 184, 191 – Innere Gesetzgebung 75, 78, 100, 110, 131

Gesetzmäßigkeit 35, 54, 78, 89, 110, 120 f., 123, 178, 204, 236 f. Gesinnung (s. a. oberster Bestimmungsgrund) 11, 24, 26, 36, 67, 81 – 85, 87, 95, 112, 117, 120 f., 142 f., 146, 175 – 183 Glückseligkeit 26, 46 f., 49, 105 f., 115, 118, 120, 126, 131, 142, 148, 201 f. Gott 23, 85, 91, 186, 214, 217, 230 Grundsätze 13, 15 f., 60 – 62, 70, 72, 96, 131, 152 f., 156 – 158, 162, 174 f., 183 f., 189, 207, 211, 227, 229, 237, 240 f., 250, 253 Handeln (actio) 2, 34, 39, 55, 65, 69, 74, 77, 100, 102, 144 – 146, 156, 160, 166, 177, 181, 186, 192 – 195, 199 f., 205, 212, 216 f., 227, 234 Handlung aus Pflicht (s. a. Moralität) 2, 36 f., 50, 66, 103, 120, 143, 146, 175, 177 f., 182 Herzenskündiger 85, 143 Heteronomie 33 Homo noumenon 127, 147 f., 213, 223 Homo phaenomenon 127, 223 Idealismus 7, 12, 15 f., 19, 143, 228 Imperativlogik 52 Imperativ (s. a. Kategorischer, Hypothetischer –) 1 f., 4 – 8, 10, 12, 23, 28, 36, 38, 43 – 48, 50 – 60, 64, 66, 82, 90, 95, 97 f., 106, 111, 113 – 115, 130, 132, 140, 146, 149 f., 152, 154 – 161, 163 – 172, 176 f., 179 – 183, 189, 193 – 197, 200 f., 203, 206 – 209, 211, 219 – 221, 223 – 226, 228 – 231, 250 Imperativtheorie 27, 43 f., 106 Imputabilität 94 Inhärenz (accidens) 212 f., 223 Jus 19, 68, 89, 101 f., 128 f., 242 Kategorie 15 f., 21, 45, 55, 60, 63 – 65, 133, 197, 208 – 212, 215 – 224, 240, 245 Kategorien der Freiheit (s. a. Freiheitskategorien) 63 f., 210 – 212 Kategorien der Relation (s. a. Relationskategorie) 208, 210, 212

Sachregister

Kategorischer Imperativ 45 f., 59, 194, 227, 230 – allgemeine Formel des Kategorischen Imperativs 10 f., 51 f., 56 – 59, 149, 151, 165, 168 – 171, 176, 180, 188, 194 – 196, 200, 219 f., 225 – Autonomie-Formel 53, 55 f., 219 f., 223 – Naturgesetz-Formel 53, 56 f., 220 f. – Reich-der-Zwecke-Formel 53, 221 – 223 – Selbstzweck-Formel 53 – 57, 140, 157 f., 221, 223 Kategorizität 10, 36, 59 f., 63, 65 – 67, 106, 139, 149, 231 Kausalität 14, 16 – 18, 27, 37, 111, 212 – 216, 223, 236 Kausalitätsart 17 – 19, 167 Klugheitsimperative 47, 98, 106, 132 Klugheitsregeln 103 Konstruktion (s. a. Construction) 7, 151, 232, 238 – 242, 245, 248, 250 Kraft 25, 33 – 35, 42, 94, 105 f., 116, 162, 214, 235 Legalität 6, 85, 88, 101 f., 104, 108 – 110, 119 – 123, 130, 142 f., 145 f., 175 f., 182 f., 200 – 203, 206, 222 – Ethische Legalität 121 – 123, 182 – Juridische Legalität 108, 122, 222 Leiden (passio) 216 f., 223 Maxime 10 f., 15, 57 f., 83, 89, 105, 111, 117, 130 – 134, 139 f., 142, 149 – 160, 162 – 206, 208, 210 f., 219 – 221, 225 Maximenbegriff 11, 149 – 152, 173 f., 176, 181, 183, 186 Mechanik 235, 238 f., 241, 250 Methodenlehre 11 f., 207 f., 232 f., 239, 241, 244 – 246 Minimum 11, 109, 138 f., 146 – 148, 201 Mittel (s. a. Zweck) 33, 36, 43 – 49, 66, 74, 79, 105, 114, 125, 134, 140, 156, 158 f., 201, 210, 221 Moralität (s. a. Handlung aus Pflicht) 2, 5 f., 23, 36 – 38, 70 f., 80, 84 f., 87 f., 93 f., 102 – 105, 107 – 112, 116, 119 – 123, 130, 135, 142 – 146, 152, 167, 172, 175 f., 180, 182, 191, 201, 206, 214, 222

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– Ethische Moralität 122 – Juridische Moralität 122 Motivation (s. a. Exekution) 23, 26, 37, 101 f., 154, 222 Naturantrieb 25, 34, 39, 41, 83 f., 151, 160 f., 166 f., 179, Naturgesetz 18, 27, 72, 233, 236 f. Neigung 13, 22 – 27, 37 – 39, 41 – 43, 47, 49, 62 f., 84, 97 – 99, 101 – 106, 112 f., 121, 160, 162, 166 – 168, 178 f. 189, Nexus 47, 55, 106 – effectivus 55 – finalis 14, 55 – utilitatis 47, 106 Normativität 10, 27, 59, 63, 65, 106, 129, 133, 139 Nötigung (necessitatio) 10, 38 – 41, 43 f., 47 f., 60, 62 f., 80, 82, 84, 87, 97, 160, 218 – Äußerliche Nötigung 84 – Innere Nötigung 80 – Moralische Nötigung 10, 39, 97 – Pathologische Nötigung 63 – Praktische Nötigung 63 Nötigungskraft 44, 47 f., 50, 106 Notrecht (ius necessitatis) 204 Notwendigkeit (s. a. Realnotwendigkeit) 23, 38, 42, 44 f., 59 – 64, 67, 97, 131, 133, 216, 249 – Absolute Notwendigkeit 60 – 63 – Kategorische Notwendigkeit 62 f., 64 – Hypothetische Notwendigkeit 60 – 62 Objektive Realität (s. a. Wirklichkeit) 19, 21, 65, 71, 233, 246, 249 f. Person 2, 9, 79 f., 89, 96, 127 f., 137, 144, 147, 173 – 176, 188, 191, 193, 196, 204 f., 210, 212 – 219, 221 f., 244, 249 Persönlichkeit 210, 212 – 215, 217 Pflicht 5 f., 11, 23, 31, 39 – 42, 50 f., 53 f., 56, 63 – 70, 76 – 80, 83 f., 94 f., 97 f., 100, 103 – 105, 108 – 150, 162 f., 165 – 172, 176 – 179, 181 f., 184 – 186, 188 – 191, 196 f., 199 – 203, 205 f., 208, 210, 217, 225, 227 f., 234

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Sachregister

– negative 3, 31, 41, 82 f., 112, 125 f., 134 f., 147, 150, 165, 170 f., 208, 222, 253 – unvollkommene 38 f., 41, 43 f., 60, 64, 67, 101, 109, 112, 115, 117, 124 – 126, 129 – 134, 139 – 142, 146, 168 f., 171, 196, 201, 206, 210 – vollkommene 23, 29, 38, 63, 78, 112, 115 – 118, 120, 123 – 130, 133 – 142, 146 – 148, 168 – 172, 188 – 191, 196 f., 201 – 206, 210, 234, 236 Pflichtenlehre 65, 77 – 79, 109, 117, 138, 148, 191 Pflichtentheorie 68 f., 72, 138 f., 142, 147 f., 172, 184, 201, 206 Pflichtentypologie 109, 123 f., 126, 135 f., 201 f. Pflichtklasse 112, 114 f., 122, 124, 126 f., 133 – 136, 138, 147, 169, 172, 188, 191, 196, 202 f. Pflichtmäßigkeit (s. a. Legalität) 64, 120, 123, 145, 177, 200, 203, 206 Pflichtmaxime 130, 132, 200, 202, 205 Pflichtwidrigkeit 64, 145, 169 Pflichtzweck 36, 79 f., 109 f., 112 – 118, 120, 124 – 126, 129 – 131, 133, 196, 199, 202, 228, 230, 252 Postulat 8, 12, 29, 211, 224 – 226, 228 – 232, 241 Praxis 11, 22, 25, 109, 123, 131 f., 138 – 141, 147 f., 201, 247, 253 f. Principium cognoscendi (s. a. Erkenntnisprinzip) 169, 180, 196 Principium diiudicationis (s. a. Dijudikationsprinzip, Beurteilungsprinzip) 7, 13, 23, 102, 180, 182 Principium executionis (s. a. Exekutionsprinzip) 8, 13, 23, 102, 182 Prinzip 1, 4 f., 7 f., 10 – 13, 18, 26, 29 – 32, 35 f., 43, 46, 50 – 53, 55, 57, 60, 66 f., 70, 77, 86, 88, 90, 93 f., 100 – 102, 104, 106 – 108, 114, 116, 139, 148 – 150, 152, 158 f., 165, 169 f., 173, 176, 180, 183 f., 186 – 189, 191 – 193, 195 – 203, 205 – 209, 211, 218 – 220, 222, 225, 227 – 230, 232, 249 f.

Prinzip der Beurteilung (s. a. Beurteilungsprinzip, principium diiudicationis) 149, 197 Protasis (s. a. Apodosis) 66, 202 Prüfverfahren 54, 56, 140, 149 – 152, 160, 163 f., 179 – 181, 187, 194, 220 Ratio agendi 191 Ratio cognoscendi (s. a. Erkenntnisgrund) 11, 21, 167, 169, 171 f., 182, 186, 191 Ratio essendi 21 Raum (s. a. Anschauungsform(en)) 5 f., 74, 81 f., 86, 91, 99, 103, 119, 131, 143, 150, 154, 216, 218 f., 232, 237 – 239, 241, 243 – 245, 249 Realnotwendigkeit (s. a. Notwendigkeit) 61 – 63 Recht 1 – 6, 8, 19, 33, 36, 56 – 58, 69 f., 75 f., 78, 80 f., 84, 86 – 97, 100 – 109, 116 – 119, 124 f., 127 – 129, 133 – 135, 138 f., 141 f., 147 – 149, 159, 165, 169, 173, 176, 180, 183 – 188, 190 – 199, 203 – 205, 207 – 209, 212, 215, 217 – 219, 224 – 227, 230 – 235, 238 – 240, 242 – 251, 253 – Oberstes Prinzip des Rechts 4, 100 f., 104, 107 f., 139, 169, 193, 196 – Enges Recht 192 f, 232, 242, 244 – 247 – Striktes Recht 89, 97, 102 f., 105, 107 f., 233, 235, 238, 242 f., 246 f., 249 f Rechtsgesetz 1, 3, 12, 14, 56 – 59, 85, 87 – 89, 106, 142, 149, 183, 208 f., 228 – 232 Allgemeines Rechtsgesetz 1, 12, 57 f., 208 f., 228 – 232 Rechtslehre 1 – 4, 6 – 9, 12 – 14, 36, 40, 56 f., 68 f., 73, 75 – 78, 80 – 82, 85 – 93, 99 – 105, 107 – 110, 113, 117, 127 – 129, 141, 148, 183 – 185, 187, 190 – 193, 195 – 200, 204, 206 – 210, 212, 215, 217 f., 224 – 228, 230 – 233, 235 – 236, 238 – 242, 244 – 249 – Allgemeines Prinzip der Rechtslehre 7 – Oberstes Prinzip der Rechtslehre 36, 184, 195, 207, 225 Rechtsmetaphysik 1, 12, 88, 149, 235 Rechtspflicht 5, 7, 11, 69, 78 f., 94, 98, 100 – 102, 104, 109 f., 112 f., 115 – 117, 119 – 121, 124 – 128, 132, 134 – 139, 142, 147 f., 169,

Sachregister

183 f., 187 f., 190 f., 196, 197, 201 – 203, 208, 220, 246 f. – Allgemeines Prinzip der äußeren Rechtspflichten 202 – Oberstes Prinzip der äußeren Rechtspflichten 191 Rechtsprinzip 2 – 4, 6 – 8, 10 – 12, 14, 36, 52, 56 – 59, 89, 92 – 96, 106, 149, 151, 181 – 184, 186 – 208, 211, 215, 217 – 220, 224 – 226, 228, 230, 232, 238, 248, 250 – Allgemeines Rechtsprinzip 2 – 4, 6 – 8, 10 – 12, 36, 52, 56 – 58, 106, 149, 151, 181 – 184, 187 – 208, 211, 217 – 220, 224 – 226, 228, 230, 232, 238 – Oberstes Rechtsprinzip 10, 14, 36, 89, 92 – 96, 215, 224 – 226, 228, 250 Reflexionsbegriffe 30, 35, 221 Reflexionsregel 234 Reich der Zwecke 7, 54 – 56, 221 f. Relationskategorie (s. a. Kategorien der Relation) 208, 212 – 215, 217, 219, 221, 223, 234, 241 Republik 84 Schuldigkeit 104, 128 f., 135 – 138, 188, 197 Schuldigkeitspflicht 147 f., 202 f., 205 Selbsterhaltung 148, 203 – 205 Selbstgesetzgebung 33, 54 Selbstpflicht 56, 191, 201 – 205 Selbstverpflichtung (s. a. Verpflichtung, Fremdverpflichtung) 2, 11, 78, 220 Selbstvervollkommnung 126, 162, 201 Sinn 1, 5, 14 f., 17, 19, 21 – 23, 28, 32 – 34, 38 f., 42 – 44, 46 f., 50, 52, 62 f., 65, 71 – 76, 78, 80 – 87, 90 – 95, 98, 100 f., 109, 113, 115 – 119, 121 f., 125, 127 – 129, 135, 140 f., 143, 146 – 148, 151, 153 f., 156, 158, 160 – 163, 170 f., 173, 175, 179, 189 f., 192, 197, 202, 206, 209 f., 212 – 215, 219, 223 f., 226 f., 229 f., 234, 237 – 239, 242, 245, 252 Sinnenwelt 17 – 20, 74, 211, 237, 251 Sinnlichkeit 27 f., 62, 76, 81 f., 112, 143, 151, 216, 236 Sittlichkeit 5, 18, 23, 25, 33, 43, 64 f., 110 – 112, 120, 165, 178, 180, 222 Spontaneität 14, 26, 93 – 96, 226

273

Subsistenz 212, 223 Substanz 212 – 217, 220, 222 f., 237 f., 249 Suizid 120, 162, 203 Symbol 234, 243, 246 Synthetizität 101, 228, 249 Totalität 15, 55, 84 Transzendentale Ästhetik 86, 103, 183, 228 Transzendentalphilosophie 3, 7, 10, 12, 32, 207, 223 f., 227, 232, 241, 247 Triebfeder 2, 10, 33 f., 36 – 39, 41, 49, 77 f., 83 f., 98, 100, 103 – 105, 107, 110, 119 – 121, 153, 160 f., 179 f. Tugend 5, 103, 112, 116 f., 121, 123, 234 Tugendlehre 1, 9, 13, 36, 40, 48, 54, 57 f., 68 – 70, 73, 75 – 79, 81 f., 85, 87, 92 f., 103, 109 – 118, 123 – 130, 132 f., 138, 142, 146 f., 170, 176, 185, 199 f., 207, 215, 219, 225, 228, 230, 246, 250, 253 f. Tugendpflicht 7, 40, 54, 78 f., 104, 112 – 115, 117 – 119, 121, 124 – 126, 130 – 136, 138 f., 141, 148, 170 f., 182, 191, 200 – 202, 205 f. Tugendverpflichtung 111, 115 Typik 236 f. Universalisierung 31, 54, 150, 152, 154 – 156, 162 – 165, 176 – 178, 180, 187, 189 f., 195, 220 Universalisierungstest (s. a. Verallgemeinerungstest) 164 f., 167, 181, 194 Universalisierungsverfahren (s. a. Verallgemeinerungsverfahren) 11, 130, 152, 169, 171 f., 182, 186, 189, 194 Unrecht 89, 91 f., 95 f., 108, 135, 147, 184 f., 187 – 189, 191, 198, 204, 209, 227, 247 Unrechtshandlung 203, 205, 235 Unterlassungspflicht 126, 134, 139, 170, 203 Ursache 14, 16 – 18, 26, 30, 33, 77, 83, 98, 111, 162, 212 – 216, 220, 222 f., 231, 237 Urteilskraft 46, 54, 132, 155, 234, 236 f., 247, 253 Verallgemeinerung 152, 154, 163 f. Verallgemeinerungstest (s. a. Universalisierungstest) 149, 164

274

Sachregister

Verallgemeinerungsverfahren (s. a. Universalisierungsverfahren) 149 f., 154, 171, 181 Verbindlichkeit 2, 7, 45, 50, 63, 90, 95, 106 f., 109 – 113, 118, 123 f., 130 – 136, 139, 141 f., 146, 169, 188, 193, 196, 198, 225, 231, 242 Verbot (s. a. Gebot) 87, 138, 147, 163 – 165, 170 – 172, 183, 194 f., 202 – 204, 247 Vernunft 1 f., 4, 8, 11, 13 – 17, 19 – 22, 26 – 35, 38 – 41, 43 f., 47 – 51, 54, 56, 63 – 65, 68, 70, 73, 77 f., 98, 111, 113 f., 116, 118, 132 f., 159 – 161, 164 f., 180, 191, 200, 204 f., 207, 210 f., 213 f., 230, 236, 239 – 241, 245, 247, 252 f. – Reine praktische 4, 21, 33 – 35, 49 f., 64, 81, 114, 116, 118 f., 180, 210, 213 f., 230, 236 f. Vernunfterkenntnis 240 Vernunftrecht 1 – 3, 5, 10 f., 68 f., 80, 86, 88, 101 f., 106, 109, 149, 247 Verpflichtung (obligatio) (s. a. Selbstverpflichtung, Fremdverpflichtung) 1 f., 6, 63, 77, 95, 97 f., 100, 107, 110 – 112, 115 – 119, 123, 129, 131, 137, 167 f., 188 – 191, 199 – Ethische Verpflichtung 100, 111 f., 115 f., 118 f., 123, 129, 167 Versprechen 106, 136 – 138, 162, 170 f., 188 f., 194 f., 202 Verstand 4, 27, 88, 93, 116 f., 135, 151, 161, 170, 191, 195, 197, 201, 209 f., 213, 223, 227, 229, 236 f., 239 – 241, 245 Verstandesgrundsätze 32, 72, 229, 237 Verstandeskategorien 15, 55, 60, 210 – 212 Wille 21, 23, 32 – 39, 41 – 45, 54, 60, 66 f., 83, 90, 96 – 98, 101, 103, 111, 120, 143, 160 – 162, 177 f., 185, 189, 205, 214, 219, 234 – Reiner 75, 100, 143, 237 Willensbestimmung 37, 66, 185 Willkür 1, 20, 57, 81, 89, 99, 103, 106 f., 110, 113, 119, 130, 156, 158, 160 – 162, 166 f.,

175, 179 f., 185 f., 188 – 190, 194, 196, 198 – 200, 208 f., 211, 214, 217 f., 232 – Freie 1 f., 17, 20 f., 28, 33, 41 f., 45, 57, 63, 81, 89, 99, 104, 113 f., 119, 131, 156, 158, 160 – 162, 166 f., 179 f., 188 f., 196, 199 f., 209, 211, 214, 217 f., 231, 235, 238, 242, 247 – Tierische 166 Wirkung 19, 25, 35, 39, 42, 83 f., 93, 101, 104, 134, 146, 177, 197, 212 – 216, 220, 223, 235 – 238, 242 f., 246, 249 Wollensmöglichkeit (s. a. Denkmöglichkeit) 140, 153 f., 168, 187, 196 Zeit (s. a. Anschauungsform(en)) 3, 9, 24, 51, 74, 81 f., 86, 91, 117, 119, 143, 146, 150, 161, 212, 214 f., 236 f., 241 Zustand 15, 26, 29, 68, 83 – 85, 140, 157, 198, 210, 212, 214 – 217, 222, 244 Zwang 10, 36, 38, 40 – 43, 79, 87 – 93, 95 – 107, 192, 227, 231 – 233, 235, 239, 242, 248, 250 – Moralhypothetischer Zwang 42 f. – Moralischer Zwang 10, 40 – 42, 98 f., 101, 105, 186 – Pathologischer Zwang 41 f., 88, 99, 101, 103 f. Zwangsbefugnis 2, 12, 80, 88 – 93, 95 – 97, 99, 104 – 106, 128, 207 f., 224 f., 227, 232 f., 235, 238 f., 241 – 243, 245, 248 – 250 – Das Gesetz der 95, 232, 238, 241, 245, 248 – 250 Zwangspflicht 79, 125, 128, 148, 197 Zwangsrecht 80, 88 – 90, 96 f., 100, 103 – 105, 107, 186, 204, 218, 233, 236, 242, 251 Zweck 2, 5, 7, 9, 35 f., 44 – 51, 54 – 56, 66, 77 – 80, 92 – 94, 96, 106, 112 – 114, 116, 130 – 133, 148, 158 f., 173, 176, 186, 199 f., 221 – 223, 225, 228, 231 Zwecklehre 113 – 115, 118