Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla-Traditionen Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jahrhundert in Kleinasien, Monasticism in Cappadocia 3525551452

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Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla-Traditionen Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jahrhundert in Kleinasien,  Monasticism in Cappadocia
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RU TH A LBRECH T

Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla-Traditionen Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jahrhundert in Kleinasien

VANDENH O ECK & RUPRECH T IN G Ö T T IN G E N

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 38

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Albrecht, R u th :

Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla-Traditionen : Studien zu d. Ursprüngen d. weibl. Mönchtums im 4.Jh. in Kleinasien / Ruth Albrecht. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1986. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte ; Bd. 38) ISBN 3-525-55145-2 NE: G T © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986. - Printed in Germany. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde 1984 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg als Dissertation angenommen. Die Anregung zu dieser Studie verdanke ich der Begegnung mit sehr verschiedenen Menschen und Bewegungen, die hier nicht alle genannt werden können. Stellvertretend möchte ich die Menschen und Gruppen besonders erwähnen, ohne deren Einfluß diese Arbeit nicht entstanden wäre. Mein größter Dank gilt Fairy von Lilienfeld, die mich als Lehrerin und Doktormutter mit der Lebenswelt des frühen Mönchtums und insbesondere mit der Spiritualität der Apophthegmata Patrum vertraut machte. Das aus den Quellen rekonstruierte Lebensmodell weiblichen Mönchtums wurde für mich lebendig durch den Kontakt mit geistlichen Frauengemeinschaften, die auch heute noch ein Leben führen, das durch Gebet, Psalmengesang und harte Arbeit der eigenen Hände gekennzeichnet ist. Danken möchte ich dem zur serbisch-orthodoxen Kirche gehörenden Frauenkloster 1 ifa, das mir bei einem dreiwöchigen Aufenthalt einen Einblick vermittelte, wie Frauen des 20. Jahrhunderts auf den Spuren ihrer Schwestern der Alten Kirche leben. Als drittes möchte ich die gegenwärtige Frauenbewegung erwähnen, die mich auf den Themenkomplex der Geschichte von Frauen aufmerksam machte. Den Forschungen feministischer Historikerinnen, die sich seit den 70iger Jahren mit der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts und mit einzelnen Frauengestalten beschäftigten, verdanke ich die Anregung, auch kirchengeschichtliche Quellen nach Aussagen über Frauen zu befragen. Freundinnen und Freunde halfen mir bei den großen und kleinen Schwierigkeiten bis zur Fertigstellung des Manuskriptes. Für diese Hilfe möchte ich Almut Künkel, Christoph Künkel, Franziska Müller-Rosenau und Felicitas Runge herzlich danken. Der Zantner-Busch-Stiftung in Erlangen und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche danke ich für die freundliche Gewährung von Druckkostenzuschüssen. Hamburg im Mai 1986

Ruth Albrecht

"Makrina" nach Vorlage des Ikonenmalerhandbuchs der Familie Stroganow, 1965, S. 396

"Thekla" nach Vorlage des Ikonenmaler handbuchs der Familie Stroga now, 1965, S. 30

F.M.

Inhaltsverzeichnis 1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4.

2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.3. 2.4.4. 3. 3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.3.1. 3.1.4. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5. 3.2.6.

Einführung Das Mönchtum der Alten Kirche Frauen in der Alten Kirche Weibliches Mönchtum Erläuterungen zur Gliederung der vorliegenden Studie Hinführung zu Makrina Einleitende Bemerkungen Das heutige religiöse Makrina-Bild Makrina in den Texten der byzantinischen Kirche Die Quellen über Makrina Die Vita Macrinae Der Dialog über die Seele und die Auferstehung Der Brief Gregors von Nyssa Das Grabgedicht Gregors von Nazianz Die Vita Macrinae Überlieferung, Gattung und Gliederung der Vita Überlieferung Stand der Forschung Gattung Exkurs: Briefe an Frauen Gliederung Makrinas Lebensweg Makrinas Namen Makrina die Ältere Emmelia Kindheit und Ausbildung Spinnen - die typische Frauenarbeit Verlobung

13 14 16 19 24 27 27 30 34 42 42 44 45 45 47 47 47 47 51 57 60 65 67 70 73 75 78 82

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Entscheidung für den asketischen Lebenssti1 Fami 1ienaskese Weg bis zur Klostergründung Zusammenfassung Das asketische Lebensmodell "bios angelikos" "ergon" - "parergon" Die Bedeutung von Wundern Die Magd-Gottes-Vorstellung Braut-Topik Basilius-Briefe zu Braut-Topik und Gelübden Zentralbegriffe des asketischen Lebensmodel 1s Zwei Visionen Das Frauenkloster der Makrina auf dem Hintergrund asketischer, theologischer und sozialer Faktoren in Kleinasien Das Frauenkloster am Iris Die ersten Frauenklöster Organisation der pontischen Klöster Geschlechtertrennung Doppelklöster Klosterregeln Geistliche Mutterschaft Witwen im Kloster Diakonissen im Kloster Termini für Asketinnen Parthenos Kleidung Soziale Betätigung Asketische Lebensformen in Kleinasien Die Basilius-Regeln Kanonissen Naukrat ius

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Eustathius von Sebaste Schüler und Nachfolger des Eustathius Frauenideal und Frauenrealität "... wenn überhaupt noch eine Frau__ " Galater 3,28 Männlichkeit als Vorbild Mutterbilder Frau als Bild Gottes Soziale Strukturen Frauenleben in Kleinasien Frauen als theologische Lehrerinnen Didaskalos und Apostolos 1. Timotheus 2,12 Altkirchliche Lehrverbote für Frauen Verbot des Bücherschreibens Die Wandlung Theklas von der predigenden und taufenden Apostelschülerin zum Vorbild der Asketinnen und der Frauenk1öster Thekla-Traditionen in der Zeit Makrinas Die ursprüngliche Thekla-Tradition der apokryphen Apostelakten Die Paulusakten Apokryphe Apostelakten als Literaturgattung Die Theklaakten Der Inhalt Die Verkündigung des Paulus Die Darstellung der Thekla Thekla und Paulus Die beiden Martyrien und die Selbsttaufe Theklas missionarisch-apostolische Tätigkeit Die Männerkleidung Die Rolle der Frauen

174 195 187 187 191 197 204 207 210

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239 240 246 246 248 250 250 252 254 257 260 267 271 274

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Die Theklaakten und der Aufbruch des Mönchtums Zur Historizität der Thekla-Gestalt Die Entwicklung der Thekla-Tradition Das Symposium des Methodius von Olympos Die Thekla-Verehrung in Seleukia Die Apotaktiten De Vita et Miraculis S. Theclae Der Verfasser Die Theklaakten und De Vita et Miraculis S. Theclae Thekla im weiblichen Mönchtum Synkletike Ein athanasianischer Traktat ΠΕΡΙ ΠΑΡΘΕΝΙΑΣ ΟΜΙΛΙΑ ΠΕΡΙ ΠΑΡΘΕΝΙΑΣ Olympias Marana und Cyra Eusebia Brief des Isidor von Pelusium Eine byzantinische Thekla des 9. Jahrhunderts Thekla im ostkirchlichen weiblichen Mönchtum der Gegenwart Thekla als Vorbild für Frauen Thekla in Märtyrerberichten Thekla bei den Manichäern Eine nestorianische Hymne auf heilige Frauen

277 280 284 284 286 290 293 293 294 302 303 305 306 307 308 310 312 313 315 316 317 317 319

Thekla als prägender Typos für Makrina - Zusammenfassung

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Anmerkungen Literaturverzeichnis Register

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1. Einfiihrung "Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla-Traditionen. Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jahrhundert in Kleinasien" - Dieser Titel markiert das Ergebnis eines langen Beschäftigungsprozesses, in welchem sowohl die einzelnen Gestalten als auch die genannten zeitlichen und geographischen Räume sich allmählich mit Leben füllten. Bei der Rückschau auf diesen Prozeß ist es mir gut vorstellbar, daß bei einem unbefangenen Leser und einer unbefangenen Leserin sich kaum konkrete Anschauungen mit den im Titel erwähnten Begriffen verbinden. Hinzu kommt, daß in dieser Arbeit gleich eine Fülle solch unbekannter und z.T. wenig erforschter Größen zueinander in Beziehung gesetzt werden: weibliche Heiligengestalten wie Makrina und Thekla, Mönchtum als eine Lebensform von und für Frauen, die frühe Zeit des 4. Jahrhunderts, in welcher der Etablierungsprozeß des Christentums weit voranschritt und schließlich Kleinasien, das allenfalls als Ort christlicher Gemeindebildungen aus den Paulusbriefen und als Herkunftsland berühmter Kirchenväter bekannt ist. Insgesamt betrachtet läßt sich festhalten, daß diese Studie am Rande herkömmlicher kirchengeschichtlicher Forschung angesiedelt werden muß. Dennoch wird es Ziel und Absicht der Verfasserin sein, zu zeigen, daß es durchaus lohnend und spannend ist, sich mit diesen bisher vernachlässigten Bereichen der Forschung zu beschäftigen und mit den hier gewonnenen Ergebnissen das bisherige Bild der Entwicklung des weiblichen Mönchtums zu vervollständigen. Das Thema der vorliegenden Studie kam zustande durch das Interesse an zwei Themenschwerpunkten, die bisher kaum in Berührung miteinander gebracht worden sind: das frühe Mönchtum und Frauen in der Alten Kirche. Am Schnittpunkt dieser beiden Bereiche stellt sich die Frage nach der Rolle und Bedeutung der Frauen innerhalb der Bewegung des Mönchtums bzw. die Fnage nach dem weiblichen Mönchtum. Beide Problembereiche wurden bisher völlig unabhängig voneinander betrachtet und bearbei-

tet, so daß die Verfasserin immer wieder erstaunten Reaktionen in Gesprächen begegnete, daß es so etwas überhaupt gegeben habe - Frauenklöster und Asketinnen im 4, Jahrhundert! Da gab es doch nur die Männer! Eine Aufgabe dieser Arbeit wird es daher sein, als Voraussetzung für die weitere Erschließung der Geschichte des weiblichen Mönchtums eine Bekanntschaft mit Texten und Frauengestalten der frühen Kirche zu vermitteln, damit nicht weiter das landläufige Bild aufrechterhalten bleiben kann, daß es kaum bemerkenswerte Frauen in dieser Zeit gegeben habe. Ein sehr wesentlicher Teil der Vorarbeiten zu dieser Untersuchung bestand darin, aus einer Fülle von Quellenmaterial zum Mönchtum der Alten Kirche die Spuren von Frauen herauszufinden und diesen nachzugehen. Das Wesentliche dieser Arbeit besteht nicht in der Heranziehung neuen und unbekannten Quellenmaterials, denn das benutzte Material lag bereits publiziert vor; der eigentliche Kern beruht auf der Entwicklung einer neuen Fragestellung und der Betrachtung der schon bekannten Texte unter einem neuen Blickwinkel. Was sagen die Quellen, mit deren Hilfe das Bild des frühen männlichen Mönchtums rekonstruiert werden konnte über die Frauen aus? Welche Quellen wurden in unzureichendem Maße zur Erhellung dieses Bildes herangezogen? Das Ergebnis dieser Fragestellung liegt auf den folgenden Seiten vor, die nicht nur eine oder zwei, sondern viele Frauen vorstellen werden, die die Trägerinnen der Entstehung des weiblichen Mönchtums sind. 1.1.

Das Mönchtum der Alten Kirche

Unter Mönchtum wird gemeinhin, ohne weiteres Nachdenken, männliches Mönchtum verstanden. Das Standardwerk Karl Heussis "Der Ursprung des Mönchtums" redet fast ausschließlich von "dem Mönch" und "dem Asketen" und verweist auf Jungfrauen, Asketinnen und Frauenklöster nur in wenigen Nebensätzen und Anmerkungen.1 Wenn Frauen überhaupt in den Blick genommen werden, dann allenfalls aus einer Perspektive des Vorurteils, die ihnen nur eine ganz geringe Bedeutung zuschreibt, ohne

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diese Behauptung nachgeprüft zu haben. Mönchtum wird dann definiert als "eine Absonderung vom weltlichen Leben, die von Männern (seltener von Frauen) im Eremitentum, in der Wanderaskese oder in der klösterlichen Gemeinschaft Gleichge2 sinnter realisiert wird". In ihrer Anwendung auf konkrete Beispiele kommt die hier angedeutete Perspektive erst richtig zum Ausdruck, wenn es über Pachomius, den Begründer des klösterlichen Lebens in Ägypten, in demselben Artikel heißt: 3 "für Nonnen baute er zwei Gemeinschaftshäuser". Unvorbelaste te Leser werden hinter diesem Satz wohl kaum Frauengestalten mit eigener geistlicher und spiritueller Prägung wie Maria, 4 die Schwester des Pachomius, oder die für uns namenlose "När 5 rin in Christus" vermuten. Denn in diesen Klöstern lebten Frauen, die in eigener Verantwortung ihren Tages- und Lebenslauf als Asketinnen gestalteten und keineswegs nur in Abhängigkeit von den uns als groß und berühmt bekannten Mönchsvätern verharrten. Durch die kirchengeschichtlichen Forschungen gerade der letzten Jahrzehnte ist es in zunehmendem Maße gelungen, das Bild des frühen Mönchtums zu erhellen, sowohl die Geschichte und Bedeutung der berühmten Gründergestalten wie Antonius,** 7 8 9 Pachomius, Basilius von Caesarea und Johannes Cassian, um nur einige zu nennen, als auch die je eigene Entwicklung der verschiedenen geographischen Bereiche wie Ägypten,^® Palästi11 12 13 na, Syrien und Kleinasien. Große Bedeutung kommt dabei der Entdeckung der Lebenswelt der Apophthegmata Patrum zu, die die frühesten Formen des monastischen Aufbruchs repräsentieren und einen faszinierenden Einblick in die lebendige Fortsetzung neutestamentlicher Traditionen geben. 14 Anhand dieser lokalen und biographischen Untersuchungen konnte das frühe Mönchtum in vorher nicht vorhandener Deutlichkeit als eine Bewegung mit einer ganz eigenen Spiritualität und Mentalität gesehen werden. 1Ç Die Hinwendung zu einzelnen Motiven und Topoi, wie der Vorstellung des Mönchslebens als Nachahmung der Engel, machte sowohl die übergreifenden Gemeinsamkeiten als auch geographische Unterschiede erkennbar.^

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Neben dem herkömmlichen, an Einzelpersonen orientierten Forschungsansatz zeigen sich gerade zur Erfassung des Mönchtums die Ansätze der sozialgeschichtlichen Forschung als von großer Bedeutung, um das Phänomen der sich in großer Geschwindigkeit in der gesamten Spätantike verbreitenden asketischen Bewegung zu verstehen.^ Neben Standardwerken wie dem schon genannten von Heussi 18 oder Schiwietz steht den interessierten Lesern eine schier unübersehbare Fülle von Einze1Untersuchungen zur Verfügung, um sich ein Bild der die frühe Kirche prägenden und weit über deren Grenzen hinausreichenden Bewegung zu verschaffen. Ein Abschnitt zum Thema Mönchtum bildet den unaufgebbaren Bestandteil jeder Einführung in die frühe Kirchengeschichte. Für die vorliegende Studie bilden diese hier nur kurz vorgestellten Forschungsergebnisse zum Mönchtum der Alten Kirche die Voraussetzung und den Ausgangspunkt. Angesichts des Umfangs und der Fülle des noch nicht aufgearbeiteten Materials zur Thematik des weiblichen Mönchtums mußte jedoch weithin darauf verzichtet werden, neben den Entwicklungen des weiblichen Mönchtums auch die des männlichen mitdarzustellen. Die vordringliche Aufgabe dieser Untersuchung ist es, den Blick auf das bisher Vernachlässigte und nicht Berücksichtigte zu lenken, damit als ein Fernziel der weiteren kirchengeschichtlichen Forschung anvisiert werden kann, ein Gesamtbild des weiblichen und des männlichen Mönchtums in ihrem Zusammenwirken und ihren Unterschieden zu entwerfen. 1.2.

Frauen in der Alten Kirche

Ganz anders stellt sich dagegen die Forschungs1age zu dem zweiten Themenbereich , dem der Frauen in der Alten Kiche, dar. Von einer Erfassung des Themas weit entfernt, gibt es neben einigen älteren Arbeiten aus dem Beginn unseres Jahr19 hunderts in den letzten Jahren erste Ansätze zur Erforschung dieses umfangreichen Gebietes. An den Urteilen, die vor allem protestantische Historiker über die von ihnen dargestellten Frauen und deren Lebensfor-

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men fällten, läßt sich eher das Frauen- und Eheideal der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ablesen, als daß uns heute ein Zugang zu den Frauen der Alten Kirche erschlossen würde. So schreibt z.B. Wilhelm Braum 1919 über die Hochschätzung der Virginität in der christlichen Spätantike: "Die niedrige Einschätzung der Ehe wird vielmehr letztlich als eine Alterserscheinung der damaligen Welt zu beurteilen sein. Die Ehe der ausgehenden Antike war inhaltslos. Schauspiele, Putzsucht, Gefallsucht - das war nicht nur der Rahmen, sondern das Bild selbst, das das heidnische Frauenleben darbot. Wohl sollte die christliche Frau ein Licht sein, 'das da scheinet an einem dunklen Ort.1 Aber die meisten verzweifelten an dieser Mission. Darum die einzige Rettung: Flucht vor der Welt. Es war doch eine Krankheitserscheinung. Und die Arznei, die man der gesunkenen Zeit in der Virginität, dem sog. enthaltsamen Leben darbot, barg ein Gift in sich, das zuerst in gleichsam unschädlicher Dosis verabreicht, in seiner Gefährlichkeit kaum erkannt wurde, aber allmählich zu wirken begann. Aus dieser frühen Zeit sei vor allem Agnes B.C. Dunbar hervorgehoben, die 1904/1905 in zwei Bänden alle erreichbaren Informationen über heilige Frauen sammelte. 21 An seinem eigenen Anspruch gemessen, ein Nachschlagewerk zu sein, erfüllt dieses Opus voll seinen Zweck. Die Erinnerung an die Bedeutsamkeit und Vielfalt der frühchristlichen Frauengesta'lten wurde außerhalb der wissenschaftlichen Geschichtsforschung in einem mehr erbaulichen Rahmen bewahrt, in dem nach unmittelbar ansprechenden Vorbildern gesucht wurde. Wilhelm Löhe ? 7 von protestantischer und Paul 23 Reinelt von katholischer Seite seien mit ihren Arbeiten "Rosen-Monate heiliger Frauen" und "Heilige Frauen und Jungfrauen. Ein Gedenkbuch für alle Tage des Jahres" als Beispiele für die Zusammenstellung altkirchlicher Frauenviten für ein religiös aufgeschlossenes Frauenpublikum erwähnt. Einander sehr ähnliche Wege beschritten drei bzw. vier 24 Autoren in den Jahren 1963 bis 1968, indem sie einen Zu-

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gang zu den Frauen der Alten Kirche durch die Übersetzung und Bereitstellung von Quellen zu eröffnen versuchten. Im Vordergrund dieser Publikationen steht das Zeugnis der Texte, von denen angenommen wird, daß sie mit kurzen Erläuterungen versehen für sich sprechen können. Im Aufbau einander sehr verwandt, stellen die drei Werke neben den Berichten über Märtyrerinnen Frauen aus der Umgebung berühmter Kirchenväter vor, J.-C-Guy/F. Refoulé und W. Schamoni vor allem Frauen aus dem lateinischen Westen wie Monnica, Marcella, Paula und Melania. Bevor die Frage nach dem Verbleib und der Rolle der Frauen in der frühen Kirchengeschichte im Rahmen der besonders von Historikerinnen initiierten Forschung zur Geschichte der Frauen in der Kirche während der letzten Jahre erneut aufgegriffen wurde, publizierte Anne Marie Heiler posthum das Werk Friedrich Heilers zu diesem Thema, der sich zeitlebens um die Erhellung dieses vernachlässigten Komplexes im Rahmen p z: seiner religionsgeschichtlichen Studien bemüht hatte. 1979 erschien ein Sammelband unter dem Titel "Women of Spirit. Female Leadership in the Jewish and Christian Tradi27 tion", der zwei Aufsätze zur Spätantike enthält, von denen der eine sich mit der nachapostolischen Zeit beschäftigt, 28 und der andere mit dem lateinischen Westen. 29 Raoul Mortley bemühte sich 1981 darum, einen Überblick zu geben über die Rolle der Frauen in antikem Hellenismus, Gnosis, Christentum und Islam, der wegen des weitgespannten Aufrisses allerdings bruchstückhaft bleiben muß. 30 Der im selben Jahr publizierten Untersuchung “A Lost Tradition. Women writers of the early Church" 31 gelingt es dagegen, anhand der Konzentration auf einen Schwerpunkt an einer Stelle die große Lücke über das Leben und die Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen zu füllen. Die Schwierigkeit.einen Überblick zu vermitteln, wenn keine ausreichenden Einzelforschungen vorhanden sind, auf die das Gesamturteil gestützt werden kann, läßt sich ebenfalls an der Studie von Jean LaPorte 32 beobachten.

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Der Sammelband "Images of Women in Antiquity" geht den Weg, der für die Lage der heutigen Forschung am vielversprechendsten scheint, daß nämlich aus den verschiedenen Spezialdisziplinen Detailergebnisse zusammengetragen werden, um so allmählich das Thema der Rolle der Frau in all seinen Dimensionen einzukreisen. So enthält dieser Band Beiträge über die Rolle der Frauen in Syrien^ und in Byzanz.^ Abschließend sei ein Blick auf einige große Lexika geworfen unter der Fragestellung, wie sie jeweils zum Thema der Frauen in der Alten Kirche Stellung beziehen. Das "Dictionnaire d 1Archéo1ogië chrétienne et de Liturgie" publizierte OC bereits 1922 einen ausführlichen Artikel "Femme" , der aber bedauerlicherweise viel zu wenig zur Kenntnis genommen wurde. Neben theologischen werden auch sozialgeschichtliche Fragen berührt. Das "Dictionnaire de Spiritualité" enthält einen Artikel "Femme", der sein Thema unter theologischen Gesichtspunkten betrachtet und auf historische Aspekte nur am Rande eingeht. 37 Einen wesentlichen Schritt vorwärts bedeutet der umfangreiche Artikel von Klaus Thraede im "Reallexikon für Antike und Christentum". 38 Thraede zieht eine Fülle von Material zur Geschichte der Frauen heran, das bisher nicht beachtet worden ist. Sein Artikel fordert an vielen Stellen geradezu zur Weiterarbeit heraus. Daneben kann der Artikel Ingetraut Ludolphys in der "Theologischen Realenzyklopädie" schon allein wegen seiner Kürze außer einem Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung nichts wesentlich Neues 39 bieten. 1.3.

Weibliches Mönchtum

Wie oben bereits erwähnt, erwächst am Schnittpunkt der beiden gerade eben vorgestellten Themenbereiche die Frage nach der Bedeutung und Rolle der Frauen in der Entwicklung des altkirchlichen Mönchtums. Die Situation der Erforschung dieses Themas stellt sich um einige Grade schärfer dar als die Lage zum Thema der Frauen in der Alten Kirche insgesamt. In diesem Bereich sind noch keine Versuche unternommen wor-

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den, in einem überblick die Gesamtentwicklung darzustellen, da konzentrierte Einzel Studien fast völlig fehlen. Der Beitrag der Frauen zur Entstehung des christlichen Mönchtums wurde noch kaum als eigenes Thema wahrgenommen. Lina Eckenstein kann als die erste genannt werden, die 1896 eine Studie unter dem Titel "Woman under Monasticism" veröffentlichte. AO Im Zentrum ihrer Beschäftigung stehen weibliche Heilige und Frauenklöster aus .der Zeit von 500 bis 1500, wobei der Ausgangspunkt in fränkischen und angelsächsischen Klostergründungen des ersten Jahrtausends liegt. Wenn auch die von Eckenstein herangezogenen Quellen ausschließlich dem Westen angehören, können doch ihre Grundsatzüberlegungen auch für die östlichen Formen des weiblichen Mönchtums geltend gemacht werden:"For women especially the convent fostered some of the best sides of intellectual, moral and emotional life. Besides this it was for several centuries a determining fac41 tor in regard to women's economic status." Eckenstein ging es nicht nur um die wissenschaftliche Erarbeitung eines zu ihrer Zeit kaum berührten Themas, sondern sie stellte darüberhinaus auch engagierte zeitkritische Fragen, die das ihr vorliegende Material in lebendige Beziehung zu den spezifischen Frauenfragen der Jahrhundertwende setzten. "The right to self-development and social responsibility which the woman of to-day so persistently asks for, is in many ways analogous to the right which the convent secured to womankind a thousand years ago. The woman of to-day, who realises that the home circle as at present constituted affords insufficient scope for her energies, had a precursor in the nun who sought a field of activity in the convent. Die bei Eckenstein festzustellende Ausrichtung am weiblichen Mönchtums des Westens läßt sich auch bei anderen Autoren und Autorinnen b e o b a c h t e n R u d o l f Lorenz widmet sich ausdrücklich den "Anfänge(n) des abendländischen Mönchtums im 4. Jahrhundert" 44 und geht in diesem Zusammenhang auf Asketinnen und Klostergründerinnen ein. Marcella, Asella, Marcellina, Paula und Melania werden als frühe Beispiele asketi-

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sehen Frauenlebens in Italien erwähnt. Marcella beginnt als junge Witwe um 355 ihr asketisches Leben und erst nach 385 geht sie "zu einer Art mönchischer Lebensform über, indem sie sich mit anderen Jungfrauen in die Einsamkeit ihrer Landgüter vor Rom zurückzieht und dort wie in einem monasterium lebte." 46 Vor 387 sind "richtige Männer- und Frauenklöster"47 nicht in Rom bezeugt. Mary Teresa Malone veröffentlichte 1971 eine Studie unter der Überschrift "Christian Attitudes towards women in the fourth century- Background and new direction." Aus der Formulierung des Titels ist nicht zu entnehmen, daß römische Frauen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen werden. Malone versucht, vom Neuen Testament ausgehend, die theologischen und sozialgeschichtlichen Hintergründe darzustellen, die zu der Entstehung des weiblichen Mönchtums in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts in Rom führten. Die Anfänge des Mönchtums illustriert sie anhand der zwei Gestalten Antonius und Pachomius, wobei allerdings die Erkenntnisse über die Entstehung des Phänomens Mönchtum als zu gering veranschlagt werden, so daß auch die Anfänge des weiblichen Mönchtums als völlig im Dunkel liegend beurteilt werden. "Egypt is the cradle of monasticism, but the beginnings are lost in obscurity ... Monasticism for women is even more obscure in its origins, but on the whole it kept pace with the general movement on the 48 monks." Der Schwerpunkt der Studie von Malone liegt in der fundierten Skizzierung weiblicher asketischer Lebensformen in Rom, als deren Ergebnis festgehalten werden muß:"the origin of monasticism in the West is in the hands of women."49 Der Aufsatz "La donna nel monacheSimo" von Luigi de Candido wendet sich nach einigen einleitenden Überlegungen, die hervorheben, daß Frauen aus den frühchristlichen asketischen 50 Bestrebungen nicht ausgeschlossen waren, als Beispielen C1 den Römerinnen Marcella, Paula und Eustochium zu. Im weiteren versucht Candido, die Entwicklungen des weiblichen Mönchtums bis zur Gegenwart zu verfolgen, so daß den Anfängen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Rosemary Ruether beschäftigt sich, nachdem sie Makrina

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und Thekla als Beispiele östlicher Asketinnen kurz erwähnt 52 hat, ausführlich mit den uns bereits bekannten Römerinnen Marcella, Asella, Paula, Eustochium, Blesilla und Melania. Aus ihren Untersuchungen zieht Ruether folgenden Schluß:"the ascetic way was one of the most interesting options open to women in the fourth and fifth centuries. It offered women possibilities which departed dramatically from their traditional role definitions under patriarchy. As ascetics, they could successfully combat demands for unwelcome marriage alliances. They could turn instead to intense study, self-development and an independent life in female-run communities. They were assured of absolute equality with men on the plane of their 53 spiritual kingdom." Trotz der Kürze, in der Aimé Solignac auf die historischen Ursprünge des weiblichen Mönchtums eingeht, läßt sich auch hier ein stärkerer Akzent auf den westlichen Quellen feststellen. 54 Würdigend muß jedoch hervorgehoben werden, daß das "Dictionnaire de Spiritualité" überhaupt einen Abschnitt zum weiblichen Mönchtum enthält und damit dokumentiert, daß dieses ein eigenes Thema darstellt. Einen Zugang besonderer Art zum Thema des weiblichen Mönchtums bieten drei Arbeiten, die vor allem an der gegenwärtigen spirituellen Erschließung dieses Gebietes interessiert sind. Marie le Roy Ladurie sammelte Zeugnisse über gegenwärtiges eremitisches Leben von Frauen und geht in diesem 55 Zusammenhang kurz auf deren Geschichte ein. Der Sammelband "Vida Monastica Femenina" dokumentiert ein Treffen von Ordensleuten und Bischöfen, das 1974 in Madrid stattfand und bei dem historische Aspekte nur am Rande berührt wurden. 56 Marie-Josephe Aubert fragte:"Les religieuses sont-elles des 57 femmes?" Dieser fast provozierend klingende Titel der Studie entsprang aus der durch die Befragung von weltlichen und geistlichen Ordensfrauen gewonnenen Erkenntnis, daß zwischen beiden Gruppen fast unüberwindliche Gräben liegen, so daß sie kaum noch unter der einen Bezeichnung "Frauen" zusammengefaßt werden können.

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Als letzte Gruppe sei diejenige Literatur vorgestellt, die sich mit weiblichen asketischen Lebensformen in den östlichen Gebieten des Christentums auseinandersetzt. In der grundlegenden Untersuchung Irenée Hausherrs "Direction spirituelle en Orient autrefois" läßt sich eine Verschränkung von zwei Aspekten beobachten. Auf der einen Seite muß hervorgehoben werden, daß Hausherr bereits 1955 die Frage nach der geistlichen Leitung auch auf Frauen bezog. Auf der anderen Seite ist der Ort, an dem dies geschieht, bezeichnend: am Schluß des Buches, das sich mit der geistlichen Führung im Bereich des männlichen Mönchtums beschäftigt, werden zwei "catégories spéciales" genannt, nämlich "direction des moniales"^® und "direction des laics".^ An diesem Sachverhalt wird in unübersehbarer Schärfe deutlich, daß Frauen der Spezialfall des normalerweise als männlich gedachten Mönchtums sind. Über eine Fülle von Material hinaus bietet Hausherr einen Erklärungsversuch für die seiner Meinung nach vorliegende Übereinstimmung zwischen männlichem und weiblichem Mönchtum, die eine gesonderte Beschäftigung mit dem zweiten überflüssig macht. Das Hauptargument für diese Ansicht beruht darauf, daß männliche und weibliche Asketen dieselben geistlichen Bücher lasen wie die Heilige Schrift und die "Viten der Väter." "Tout se passe comme chez les m o i n e s . Die Entstehung von Büchern ,die ausschließlich Frauenviten enthalten und sich damit an ein Frauenpublikum wenden, beginnt in den Augen Hausherrs erst um 1200 mit dem Unternehmen des Abbas Jesajas, fi 1 der anstatt eines Paterikon ein Meterikon zusammenstellte und damit nach Hausherrs Ansicht von der bis dahin ausgefi? prägten Tradition abwich. Die alten Orientalen dagegen gingen nach Hausherr davon aus, daß der Unterschied zwischen den Asketen beider Geschlechter nicht so groß sei, "encore que, bien certainement, ils aient enseigné la nécessité d'une adaptation. Mais celle-ci est pour eux affaire de diacrisis, comme quand il s'agit d'autres variétés de tempéraments ou de circonstances."^

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Jean-Maurice Fiey widmete 1965 einen Aufsatz dem Thema "Cénobitisme féminin ancien dans les Eglises syriennes orientale et occidentale", worin die frühesten der von ihm untersuchten Frauenklöster aus dem 6. Jahrhundert stammen. 64 Für unsere Frage nach den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums bildet diese Studie einen interessanten lokalgeschichtlichen Beitrag, der allerdings auf schon bestehende Formen weiblichen monastischen Lebens in anderen Regionen, die zeitlich früher anzusiedeln sind, zurückgreift. 1975 war eine Sektion der "Byzantine Studies Conference" in Dumbarton Oaks der Frage nach "Women and Monasticism" Vorbehalten. Elizabeth A. Clark machte auf die in großer Spannung zueinander stehenden Werte aufmerksam, die in den frühen Frauenklöstern aufeinander trafen: das Ideal der Unterordnung und das Ideal der geistlichen Autorität. 65 Die Beiträge von D. Abrahamse,^ A. Laiou,®'7 A.-M. Talbot^® und A. Constantinides Hero 69 beschäftigen sich mit Fragen und Problemen byzantinischer Frauenklöster, die die Tradition der altkirchlichen Frauengemeinschaften fortsetzten. Louis Leloir nimmt den Satz Johannes Cassians, daß ein Mönch unbedingt die Frauen und die Bischöfe fliehen müsse,^ zum Ausgangspunkt, um nach den Spuren von Frauen in den armenischen Paterika zu fragen. Neben der negativen Sicht des ganzen weiblichen Geschlechtes finden sich Beispiele hochgeachteter Asketinnen, so daß Leloir als Abschluß folgende Vision entwirft :"Quand une femme ou un homme qui ont voué le célibat contractent amitié avec une personne de sexe différent, célibataire ou non elle-même, cette amitié peut certes avoir une signification eschatologique; elle figurerait et anticiperait le jour où, dans l'au-delà , on ne se mariera plus ... et où il n'y aura plus 'ni homme ni femme' (Gai. 3,28), Dieu étant 'tout en tous'(I Cor. 15,28)."^1 1.4.

Erläuterung zur Gliederung der vorliegenden Studie

Aus dem in 1.1. bis 1.3. Dargestellten ergibt sich der Aufbau der vorliegenden Studie. Der leitende Gesichtspunkt

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zur Auswahl der vor allem in Abschnitt 3 und Abschnitt 5 bearbeiteten Texte war die Frage nach den frühesten Zeugnissen weiblichen monastisehen Lebens. Da der Ursprung des männlichen Mönchtums im Osten zu suchen ist, konnte dies auch für das weibliche Mönchtum angenommen werden. Hinzu kommt, wie in 1.3. geschildert, daß das weibliche Mönchtum des Westens in Ansätzen bereits erforscht wurde, dagegen für das weibliche Mönchtum des Ostens bisher keine Untersuchungen vorliegen. Abgesehen von vereinzelten Notizen, wie die über die 72 Schwester des Antonius, scheint die Vita der Makrina nach den Kenntnissen der heutigen Forschung eine der frühesten, wenn nicht die früheste ausführliche Lebensbeschreibung einer Frau zu sein, die ein Frauenkloster gründete. Außer diesem zeitlichen Argument sprach für Makrina die historische Zuverlässigkeit, da ihr Leben bereits wenige Jahre nach ihrem Tode aufgeschrieben wurde. Ferner läßt sich an dem Lebensweg der Makrina nachvollziehen, wie eine Frau sich zu einer Zeit, als es noch kaum feststehende Modelle für Frauenklöster gab, im Laufe ihres Lebens und ihrer Erfahrungen auf diesen Weg begibt. - Auch Nino von Georgien wäre als eine Frauengestalt des 4. Jahrhunderts in Frage gekommen, jedoch ist der Prozeß der Tradierung durch lange Jahrhunderte der mündlichen Weitergabe ungleich schwerer zu fassen und zu beurteilen. 73 Zudem gehört Nino nur am Rande in die Geschichte des weiblichen Mönchtums, da sie, zwar von asketisch lebenden Frauen umgeben, sich vielmehr dem Wanderapostolat widmete. Von der Geschichte des männlichen Mönchtums ausgehend ist das 4. Jahrhundert die Zeit der großen Blüte und Ausbreitung, deren Wurzeln in den vorhergehenden Jahrhunderten zu suchen sind. So schien es auch für das weibliche Mönchtum angebracht, den Ausgangspunkt im 4. Jahrhundert zu nehmen, um dann nach rückwärts zu fragen. Denn auch wenn Traditionen langsam anwachsen, ist damit zu rechnen, daß sie zu einem gewissen Zeitpunkt eine fest umrissene Größe bilden, deren geschichtliche Entwicklung von dem Erreichten her beurteilt wird. Im Bereich des weiblichen Mönchtums läßt sich dies daran

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beobachten, daß der Lebensentwurf Makrinas auf eine Gestalt der apokryphen Apostelakten, auf Thekla zurückgeführt wird. So folgt denn der Aufbau dieser Studie dem im weiblichen Mönchtum Makrinas ausgeprägten Traditionsverständnis unter der kritischen Fragestellung, was eine Rückführung weiblicher monastischer Lebensformen auf eine predigende und taufende Wanderaposto1in des 2. Jahrhunderts aussagt und ob diese zu Recht geschieht. Abschnitt 2 bis 4 bemühen sich darum, die Form des weiblichen Mönchtums, wie sie bei Makrina ausgeprägt ist, auf dem Hintergrund der in Kleinasien wirksamen Einflüsse sozialer und theologischer Art zu erläutern. In Abschnitt 2 geht es, angefangen bei den heute faßbaren Bildern über Makrina, um die Wirksamkeit und Veränderung der Traditionen über sie. Während Abschnitt 3 ganz der Vita Macrinae gewidmet ist, soll in Abschnitt 4 das lokale Umfeld skizziert werden, in dem Makrina ihr Kloster gründete. In Abschnitt 5 wird dann, vom Selbstverständnis der Vita Macrinae ausgehend, die dem weiblichen Mönchtum vorausgehende geistliche Frauentradition nachgezeichnet, wie sie in der Gestalt Theklas faßbar ist. Die Thekla-Tradition zeichnet sich durch große Spannungen und Veränderungen aus, die in einem Zeitraum vom 2. bis zum 10. Jahrhundert verfolgt werden. Abschließend werden in Abschnitt 6 die gewonnenen Ergebnisse zusammengefaßt und auf die beiden Hauptfiguren Thekla und Makrina hin zentriert.

2. Hinführung zu Makrina 2.1. Einleitende Bemerkungen Im 1982 erschienenen "Lexikon der Namen und Heiligen" von Otto Wimmer und Hartmann Melzer ist unter dem Namen "Makrina die Jüngere" folgendes zu lesen: "* um 327 in Cäsarea in Kappadokien (östl. Kleinasien). Sie war die ältere Schwester der h 11. Basilius d.G. und Gregors von Nyssa. Nach dem Tod ihres Verlobten zog sie sich mit ihrer Mutter Emmelia und einigen früheren Dienerinnen auf ein Familiengut am Fluß Iris bei Annesis zurück und führte dort ein Leben der Beschauung, des Gebetes und der Buße. Gregor von Nyssa rühmt sie als eine theol. gebildete Frau. + 379/380. Gedächtnis: 19. Juli."^ Wer war diese Frau? Was verbirgt sich hinter diesen Stichworten des Lexikonartikels? Wie hat sie gelebt? Was hat sie dazu bewogen, sich zurückzuziehen, und wodurch unterscheidet sich ihr Lebensentwurf von dem anderer Frauen ihrer Zeit? Was können wir heute noch über diese Frau erfahren? Diese Fragestellungen werden im folgenden immer wieder begegnen und sollen helfen, den Zugang zu Makrina zu erschließen. Der von Gregor von Nyssa in der Lebensbeschreibung seiner Schwester Makrina ( Vita Macrinae ) geäußerte Wunsch, daß das Leben seiner Schwester nicht der "kommenden Zeit verborgen bleibe" und "ohne Nutzen für andere, in Stillschweigen gehüllt, vorüberginge" (140,142),^ ist in Erfüllung gegangen: Makrina gehört zu den wenigen Frauen aus der Zeit der Alten Kirche, über die wir Genaueres wissen. Dank der Berühmtheit und theologischen Bedeutung ihrer beiden Brüder, der "großen Kappadokier" Basilius von Caesarea (ca. 329379)3 und Gregor von Nyssa (ca. 335-394)4 , blieben ihr Name und die Erinnerung an sie erhalten. Die bereits erwähnte Vita Macrinae wurde unter den Werken ihres Bruders Gregor bis 5 in unsere Zeit mitüberliefert. Die Berühmtheit der beiden Brüder zeigte aber auch ihre Schattenseiten: Makrina geriet so sehr in den Hintergrund, daß ihr kaum eine eigene Bedeu-

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tung zugemessen wurde. Bis heute gibt es keine kirchengeschichtliche oder theologische Arbeit, die sich ausführlich mit Makrinas Geschichte und Persönlichkeit beschäftigt, obwohl das Material dafür vorhanden ist. Makrina ist bekannt als Schwester des Basilius oder als Schwester Gregors, aber nicht als eine Frau mit einem eigenen geistigen und spirituellen Profil, die eines der ersten Frauenklöster in Kleinasien gründete und leitete. Die ihr von ihrem Bruder gewidmete Lebensbeschreibung wurde zwar im Rahmen kirchengeschichtlicher Untersuchungen herangezogen, aber das Interesse galt dann der darin enthaltenen asketischen Theologie Gregors^ oder den in der Vita mitgeteilten liturgischen Gebräuchen des 4. Jahrhunderts.^ Makrina wurde in keiner dieser Untersuchungen zum Ausgangspunkt für die Geschichte des weiblichen Mönchtums genommen, wie es in der vorliegenden Studie versucht werden soll. Es mag viele Frauen gegeben haben, die sich wie Makrina durch die an allen Orten aufbrechende asketische Bewegung mitreißen ließen, ihr bisheriges, in genauen Bahnen vorgezeichnetes Leben verließen und als Asketinnen, entweder allein oder gemeinsam mit anderen das asketische Leben in der Einsamkeit und Abgeschiedenheit verwirklichten. Von den meisten dieser Frauen wissen wir nichts, manchmal kennen wir nur ihre Namen, manchmal ein paar Stationen ihres Lebens - die meisten jedoch bleiben für uns anonym in dem großen Strom der neuen Lebensform . Dafür, daß Makrina uns als Persönlichkeit mit einer eigenen Geschichte aus diesem anonymen Strom entgegentritt, gibt es zwei Gründe: 1. Sie fand einen Biographen, und dieser Biograph war ihr Bruder, ein berühmter Theologe und Bischof von Nyssa. Er verfolgte ihre Entwicklung aus unmittelbarer Nähe und konnte über sie aus eigener Anschauung berichten. Die Möglichkeit, über sich selber schriftliche Nachrichten zu hinterlassen, stand damals nur wenigen Frauen offen, so daß wir ohne ihren Q Biographen wohl nichts über Makrina wüßten.

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2. Der zweite Grund, warum Makrina uns noch heute bekannt ist, hängt eng mit den ersten zusammen und ist von diesem nicht zu trennen: Makrina entstammte der aristokratischen Gesellschaftsschicht und ihre Familie gehörte dem Senatoreng stand an. Mit dieser gesellschaftlichen Stellung waren viele Privilegien verbunden, die sich am Lebensweg aller Familienmitglieder verfolgen lassen. Drei Brüder Makrinas wurden Bischöfe: Basilius in Caesarea, Gregor in Nyssa und Petrus in Sebaste;^® zwei von ihnen, Basilius und Gregor, darüberhinaus berühmte Theologen. Der Grundbesitz, der gerade im pontischkappadokisehen Raum in der Form von Latifundienwirtschaft eine dominierende Rolle spielte,^ erstreckte sich über drei Provinzen (158). Mit diesem Reichtum verband sich ein hoher Bi1dungsstand, denn der materielle Besitz bot die Grundlage für ausgedehnte Studien. Basilius und sein Bruder Naukratius 12 nutzten diese Möglichkeit ausführlich. Der von ihnen eingeschlagene Berufsweg, die Ausbildung zum Rhetor, war der typische Werdegang für ein Mitglied des Senatorenstandes. Auch wenn Makrina als Frau auf häusliche Bildung und Ausbildung beschränkt war, so hatte sie doch an den Vorteilen ihrer Gesellschaftsschicht Anteil. Das Kloster gründete sie auf eigenem Grund und Boden beim Dorf Annisa, 13 das zum Stadtgebiet von Ibora^ im Pontus gehörte. Dank ihrer theologischen Bildung, die sie in früher Kindheit durch ihre Mutter Emmelia erhielt, war Makrina in der Lage, eine asketische Frauengemeinschaft zu gründen und zu leiten. Die Gründung des Frauenklosters zeigt Makrinas Bemühen, aufgrund eines radikalen Verständnisses von Askese auf die Privilegien ihrer aristokratischen Herkunft zu verzichten und ihre eigenen Sklavinnen und Dienerinnen in dieses neue Leben miteinzubeziehen. Sie befreite diese aus Abhängigkeit und Leibeigenschaft (164), so daß auch sie zu den Begründerinnen dieser neuen Lebensmöglichkeit für Frauen gehörten. Freilich kennen wir ihre Namen nicht, denn auch in der Gegenwelt des Klosters und der Wüste lebten die Strukturen der "alten Welt" weiter, nach denen Makrina die dominierende Figur bleiben wird.

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Dieses Phänomen läßt sich überall in der Geschichte des alten Mönchtums beobachten: fast immer waren es Aristokraten und Aristokratinnen, die die ersten Klöster gründeten. Die Konstantinoplerin Olympias stammte aus einer reichen Familie; Melania d.J., die in Jerusalem im 5. Jahrhundert Klöster für Frauen und Männer errichtete, gehörte zu einer der reichsten Familien der Stadt Rom;16 die römischen Asketinnen, die aus der Korrespondenz des Hieronymus bekannt sind, stammten aus den oberen Gesel1schaftsschichten.^ Die Anhänger und Anhängerinnen dieser Gründer und Gründerinnen waren dagegen meist Mitglieder der unteren Gese11schaftsschichten.18 2.2.

Das heutige religiöse Makrina-Bild 1Q

In den orthodoxen Ostkirchen wird Makrina auch heute noch 20 als Heilige verehrt, ihr Gedächtnistag ist der 19. Juli. Der für die Feier des Heiligengedenktages notwendige Lebensbericht lag in der Erzählung ihres Bruders vor und wurde für die Verlesung in den Gottesdiensten gekürzt. Zwei dieser Zusammenfassungen sollen im nächsten Abschnitt vorgestellt werden . Neben der Lesung des entsprechenden Heiligenlebens werden an den Gedenktagen Hymnen gesungen, die die vorbildhaften Züge des jeweiligen Heiligen darstellen. Makrina wird mit folgendem Hymnus (Troparion) geehrt, der für all die Frauen gesungen wird, die als Asketinnen außerhalb der eigentlichen Wüste lebten: "In dir, o Mutter, wurde das Ebenbild sorglich bewahrt. Du nahmst das Kreuz und folgtest Christus nach. Durch deine eigenen Werke hast du gelehrt, das vergängliche Fleisch zu verachten und dich der Seele zu widmen, der unsterblichen Kreatur. Darum freut deine Seele, glückselige Makrina, sich mit den Engeln." 21 Makrina ist eine ausgesprochen östliche Heilige, die im Westen nicht bekannt und verehrt wurde. In die großen mittelalterlichen Legendensammlungen wie die Legenda Aurea oder

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das Lübecker Passional fand sie keinen Eingang. 22 Im Westen ist auch keine ihr geweihte Kirche bekannt. Auch bei künstlerischen Darstellungen zeigt sich, daß Makrina im Westen kaum vertreten ist. Im "Lexikon der christlichen Ikonographie" von Wolfgang Braunfels ist zwar ein Artikel über Makrina enthalten, in dem als Beispiele westlicher Kunst allerdings nur zwei Stiche des 17. Jahrhunderts und eine Darstellung im Basi 1ianerinnenkloster Albano aus dem 19. Jahrhundert genannt werden. Die gleichfalls erwähnte Vorlage der Stroganow-Ikonenma1schu1e und eine russische Ikone weisen Makrina in den Bereich östlicher Kunst. 23 Das russische Ikonenmalerhandbuch der Familie Stroganow enthält eine Vorlage für die Darstellung Makrinas als Ikone, 24 sei es auf Holz oder als Wandmalerei. Das "Malerhandbuch des Malermönches Dionysios vom Berge Athos" führt Makrina unter der Rubrik "Einsiedlerinnen" als eine von insgesamt 12 Frauen: Euphrasia, Theodora, Euphrosyne, Pelagia, Matrona, Melania, Theodora von Alexandrien, Maria von Ägypten, Theoktista von Lesbos, Xeni und Theophano, die Königin. 25 Die Verehrung von Reliquien Makrinas konnte ich nur für ein griechisches Kloster in Erfahrung bringen. Die Nonne Theotekni nennt unter den im Warlaam-Kloster, das zur Gruppe der Meteora-Klöster gehört und im 16. Jahrhundert gegründet ?6 wurde, aufbewahrten Reiiquien:"Fuß der Heiligen Makrina, der Schwester Basilius des Großen, in silbernem Kästchen." 71 Nach der mündlichen Auskunft eines der Mönche des Klosters ist diese Reliquie der Öffentlichkeit nicht zugänglich, da sie nicht im Katholikon, der Allerheiligen-Kirche, sondern in einer Nebenkapelle aufbewahrt wird, die sich im Innern des Klostertraktes befindet. Aus den hier zusammengetragenen Beobachtungen geht hervor, daß Informationen über Makrina nur in größeren hagiographischen Sammlungen enthalten sind, in kleineren Lexika sucht man vergebens nach ihrem Namen. Der Makrina-Artikel des Stadlerschen Heiligenlexikons weiß zwar von Makrinas vorbildhaftem christlichen Leben,

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aber nichts davon, daß sie eine Klostergemeinschaft gründete. Sie wird dargestellt als eine im Rahmen ihrer Familie lebende fromme Frau. "Als der Vater gestorben war, wurde sie ein Muster der Tugend für die Mutter und Geschwister. In ihrem Hause blühte nur das Streben nach göttlichen Dingen, das OQ unaufhörliche Gebet, der unermüdete Psalmengesang." Friedrich Loofs gehört zu den wenigen, die auf die Bedeutung Makrinas für die Geschichte des frühen Mönchtums aufmerksam machten, allerdings wurde sein Hinweis nicht weiter verarbeitet. Loofs kritisiert zwar die "legendarische Färbung" der Lebensbeschreigung Gregors, hält aber fest, daß die Vita "sonst überaus wertvoll als eine Schilderung klöster29 liehen Frauenlebens aus den Anfangszeiten des Mönchtums“ ist.

Agnes Dunbar unterstreicht in ihrem "Wörterbuch heiliger Frauen" den großen Einfluß Makrinas auf ihre gesamte Familie. "She exercised a powerful and salutary influence over her 30 family." Die Klostergründung am Iris schreibt sie allerdings fälschlicherweise Emmelia, der Mutter Makrinas, und nicht Makrina selber zu. 31 Dunbar berichtet über eine unterirdische Felsenkirche im kappadokisehen Hassakeni, die Makrina geweiht war. "The local tradition is that she came there with ten virgins from Caesarea and lived in one of the rock-hewn houses with which the ground is riddled; they are of great antiquity, most of them are Christian, but some are older still." 32 A.M. Ramsay bestätigt diese Tradition, wenn er 1893 zur Illustrierung der Entstehung von Lokal-Legenden schreibt:"Any one who wishes to study the formation of such legends in the country should go to Sasima in Cappadocia, now called Hässa Keui, and ask the priest to tell the story of the foundation of the 33 village church by St. Makrina, to whom it is dedicated." 1910 erschien ein von Paul Reinelt gesammeltes "Gedenkbuch für alle Tage des Jahres", das für jeden Tag das Leben einer heiligen Frau enthält. In diese Sammlung wurden auch Heilige des Ostens aufgenommen. Der Text für den 19. Juli erinnert an Makrina die Jüngere. Makrinas Stellung in der Familie faßt Reinelt so zusammen :"Wahr 1ich selten sah wohl

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ein Erzieher so herrliche Früchte seiner Tätigkeit wie Ma34 krina." Reinelt beschreibt auch Makrinas Wirken als Klostergründer in :"Unter Emmelias Zustimmung wandelte sie das elterliche Haus in ein Kloster um, in dem sie mit der Mutter, den Schwestern und vielen anderen Jungfrauen das Leben der Gottgeweihten führte. Beschäftigung mit göttlichen Dingen, Gebet und Psalmengesang während des Tages und eines großen Teiles der Nacht war ihr engelgleicher Dienst, in dem Makrina viele Jahre lang die Chorführerin war." 35 Wilhelm Braun schrieb 1919 in seiner Untersuchung "Die Frau in der alten Kirche" über Makrina :"Durch den Tod ihres Bräutigams wird das edle Mädchen bestimmt, auf die Ehe zu verzichten. Sie widmet sich der Pflege ihrer Mutter. Der Kreis erweitert sich. Auch andere nehmen an ihrem der Arbeit, dem Gebet, der Schriftbetrachtung gewidmeten Leben teil. In dem gesunden Rhythmus dieses zwischen den Pflichten der irdischen und himmlischen Liebe geteilten Tagwerks verfließen die Jahre. Ihr Haus steht den Armen offen, die sie aus den oc Einkünften des Ackerbaus in der Hungersnot unterstützt." Nach dieser Beschreibung könnte man kaum vermuten, daß Makrina in einem Frauenkloster lebte! Der Artikel in Pauly-Wissowas "Real-Encyklopödie der classischen Altertumswissenschaft" mißt Makrina sehr große Bedeutung bei. Sie war danach nicht nur in den Heiligen 37 Schriften, sondern auch in der Profan 1iteratur belesen. Ihr Einfluß erstreckte sich über den Rahmen ihrer Familie hinaus:"Zu ihrem Kreis gehörten außer ihren Brüdern zeitweise auch Gregor von Nazianz und Eustathius von Sebaste." 38 Bei Alban Butler in seinen "Lives of the Saints" findet sich eine bezeichnende Sicht der Entwicklung Makrinas, die einem häufig zu beobachtenden Vorurteil , nicht aber den historischen Verhältnissen entspricht. Butler betrachtet die Gründung des Frauenklosters im Pontus als abhängig von der Initiative Basilius des Großen. "Basil the younger then established his mother and Macrina on an estate by the river Iris in Pontus, and there they were joined by other women in an ascetic life." 39

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2.3.

Makrina in den Texten der byzantinischen Kirche

Die Lebensbeschreibungen der Heiligen, die an ihren jeweiligen Festtagen in den Kirchen verlesen wurden, sammelte die byzantinische Kirche in eigenen Büchern, die im liturgiewissenschaftlichen Sprachgebrauch in drei Kategorien unterteilt werden: in Menaien, Menologien und Synaxarien. Das Menaion ( μηναϊον ) umfaßt 12 Bände, die für jeden Tag des Jahres die zu verehrenden Heiligen in kalendarischer Reihenfolge nebst Hymnen und kurzer Lebensbeschreibung nennen.40 Menologium und Synaxarium sind schwerer voneinander zu unterscheiden, da beide Begriffe im Lauf ihrer Tradition nicht streng getrennt benutzt wurden. Das Menologium umfaßt oft die großen Viten der Heiligen in kalendarischer Reihenfolge, wobei die Anzahl der Bände unterschiedlich sein kann.41 Das Synaxarium sammelt die in den Menaien enthaltenen Lebensbeschreibungen der Heiligen.4^ Die Schwierigkeit der Kategorisierung wird an der als "Menologium" des Kaisers Basilius II (976-1025) bekannten Sammlung deutlich, die nach Meinung der Forschung kein Menologium, sondern in die Klasse der Synaxarien einzu43 ordnen ist. Das bedeutendste Menologium der byzantinischen Kirche ist 44 das des Symeon Metaphrastes. Im 10. Jahrhundert sammelte Symeon ältere Vorlagen, überarbeitete sie und schuf damit das Werk, das für die nachfolgende Zeit maßgeblich wurde. Während für die ersten Monate, vom 1. September, dem alten Beginn des Kirchenjahres ausgehend, für jeden Tag eine Vita vorhanden ist, wurden die Sommermonate nur in geringem Umfang berücksichtigt. Der Juli-Band des metaphrastischen Menologiums enthält nur vier Tage,· der 19. Juli, der Gedenktag Makrinas, wurde nicht aufgenommen. Die Gründe für die Auswahl Symeons können hier nicht erörtert werden. Das Menologium des Kaisers Basilius nennt für den 19. Juli das Gedächtnis des heiligen Dion aus Antiochien 45 und der heiligen Makrina. Der Text über Makrina lautet: "Und das Gedächtnis der heiligen Makrina, der Schwester des

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großen Basilius. Die heilige Makrina, mit körperlicher Schönheit und angenehmem Charakter geschmückt, wurde einem Mann verlobt. Die Vereinigung war noch nicht geschehen, als der mit ihr Verlobte während einer Abwesenheit starb; sie zog sich von allem weltlichen Umgang zurück, lebte mit ihrer Mutter zusammen und studierte die göttlichen Schriften; als zweite Mutter zog sie die nach ihr geborenen Geschwister auf. Insgesamt waren es zehn Kinder, von denen sie die Erstgeborene war. Sie lebte heilig und in asketischer Lebensführung und wurde vielen zum Nutzen. Denn sie war ein Lehrer, nicht nur der Worte, sondern auch der Taten. Denn wer tätig ist und lehrt, sagt das heilige Evangelium, der wird groß genannt werden im Reich der Himmel. Als ihr Ende herannahte, führte sie philosophische Gespräche mit ihrem Bruder Gregor von Nyssa, der zu Besuch gekommen war, über die Seele und andere Fragen der Schrift. Und indem sie so Gott, dem sie diente, betend verehrte, starb sie."46 Dieser Text soll im Gegenüber zu einem anderen, etwas später entstandenen, interpretiert werden; denn erst bei einem Vergleich der beiden Texte werden die typischen Züge deutlicher. Einige Passagen entsprechen sich wörtlich, an anderen Stellen dagegen gibt es bezeichnende Unterschiede, sowohl in Hinzufügungen als auch in Auslassungen. Das zweite Synaxarium, aus dem die Lesung für Makrinas Gedenktag angeführt wird, stammt aus der Hauptstadt Konstantinopel. Hippolyte Delehaye gab dieses "Synaxarium Ecclesiae Constantinopolitanae" 1902 nach Manuskripten des 12.,13. 47 Jahrhunderts heraus. Die Lesung für den 19. Juli lautet: "Gedächtnis der heiligen Makrina, der Schwester des großen Basilius. Makrina, die mit körperlicher Schönheit und angenehmem Charakter geschmückt war, wurde einem angemessenen Bräutigam verlobt. Die Hochzeit befand sich noch im Stadium der Vorbereitung, 48 als der mit ihr Verlobte, während einer Abwesenheit gemeinsame Anliegen besorgend, aus der Menschenmitte

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verschied. Die glückselige Makrina wählte, obwohl viele andere sie (in die Ehe) führen wollten, die Witwenschaft und die daraus folgenden Konsequenzen , als ob sie unsichtbar die Freuden der Ehe geprüft hätte. Von allem weltlichen Kontakt zog sie sich nun zurück, lebte mit ihrer Mutter zusammen und studierte die göttlichen Schriften; als zweite Mutter zog sie die nach ihr geborenen (Geschwister) auf. Denn insgesamt waren es zehn Kinder und sie war der Geburt nach die erste. Sie lebte heilig und in asketischer Lebensführung und führte mit dem Bruder Gregor philosophische Gespräche über die Seele noch in ihrem letzten Lebenszügen, dann entschlief sie zum Herrn. Über die wichtigsten Ereignisse in Makrinas Leben berichten beide Texte übereinstimmend: sie wurde verlobt, bevor jedoch die Hochzeit stattfinden konnte, starb der Verlobte. Makrina entschloß sich nun für ein einsames asketisches Leben, das sie im Rahmen ihrer Familie in enger Gemeinschaft mit ihrer Mutter führte. Den wichtigsten Platz in ihrem Leben nahm die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift ein, an zweiter Stelle kümmerte sie sich um ihre jüngeren Geschwister. Ihr Lebensstil wird in beiden Synaxarien mit den Worten "heilig" und "asketisch" beschrieben. Keiner der beiden sagt etwas darüber, daß Makrina dieses Leben in einer Frauengemeinschaft führte. Ihr Leben beschließt sie in Gegenwart ihres Bruders Gregor von Nyssa. Das sind die Grunddaten des Lebensweges der Makrina. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß die zwei Synaxar-Texte sehr unterschiedliche Akzente setzen. Der ältere streicht mehr die religiöse Seite ihres Lebens heraus, der jüngere mehr die familiäre. Beide Texte sind im Vergleich zur Vita Gregors, die das Material für diese Zusammenfassungen lieferte, nur kurz. Deswegen ist das, was sie in dieser Kürze hervorheben, besonders interessant. Wenn die Schönheit Makrinas und ihre charakterlichen Eigenschaften von beiden Texten als erstes erwähnt werden, so

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wird damit ein geläufiger Topos aufgegriffen, bei dem sich schwer sagen läßt, in welchem Verhältnis Wirklichkeit und Ideal zueinander stehen. Von Märtyrerinnen war es fast üblich zu berichten, daß sie durch ihre Schönheit auffielen. 51 Auch in der Vita schildert Gregor von Nyssa die körperliche Attraktivität seiner Schwester in leuchtenden Farben; keinem Maler wollte es gelingen, Makrinas Schönheit angemessen wiederzugeben (152). Das Menologium des Kaisers Basilius II soll nun daraufhin untersucht werden, wie es das religiöse Leben Makrinas schildert . Die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift ist eng verknüpft mit ihrer Entscheidung für einen asketischen Lebensstil und wird zum Hauptinhalt ihres Lebens. Vermutlich konnte Makrina lesen, und so wird ein wichtiger Teil ihres Tages darin bestanden haben, die Schrift zu lesen und zu meditieren. Die Auswirkung ihres asketischen Lebens besteht darin, daß sie "vielen zum Nutzen" wird. Ein größeres Lob kann einer Asketin kaum gesagt werden, denn die asketischen Texte warnen immer wieder vor der Gefahr, andere in die Irre zu führen. Makrina hat andere Menschen nicht in die Irre, sondern zum Heil geführt. Wie dies geschah, wird in den nächsten Sätzen beschrieben: sie war ein Didaskalos, eine Lehrerin. Didaskalos wird sie auch in der Vita Gregors genannt, dort ist sie Lehrerin für ihre jüngeren Geschwister und später für die Frauen ihrer Klostergemeinschaft. Die Lehrtätigkeit von Frauen war allerdings in der Kirche umstritten, besonders dann, wenn Frauen sich als Lehrerinnen für religiöse Fragen betätigten und wenn sie nicht nur Frauen, sondern auch Männer belehrten. Bei Makrina war beides der Fall und das kaiserliche Menologium gesteht ihr diesen Titel ausdrücklich zu. Mit der Fortführung der Aussage, daß Makrina Lehrer in "Worten und Taten" war, ist ein Thema des alten Mönchtums aufgegriffen, das besonders die als "Apophthegmata Patrum" bekannten Aussprüche der Wüstenväter und Wüstenmütter behandeln. Die Versuchung und Gefahr war groß, nur mit Worten ein Vorbild im asketi-

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sehen Leben zu sein. Dem Mönchtum ging es aber gerade um die Veränderung des ganzen Lebens und des ganzen Menschen in seinem Reden und seinem Handeln. Von Amma Synkletike, einer der Wüstenmütter, ist ein Spruch zu diesem Thema überliefert: "Wiederum sprach sie:'Es ist gefahrvoll, wenn einer lehren will, der nicht durch das tätige Leben hindurchgegangen ist. Wie wenn einer, der ein baufälliges Haus hat, Gäste aufnimmt und sie durch den Einsturz des Hauses beschädigt, so richten auch diejenigen, die sich nicht selbst zuerst auferbaut haben, jene zugrunde, die sich ihnen anschließen. Mit den Worten rufen sie zum Heile, durch die Schlechtigkeit des Wandels fügen sie den Kämpfern Unrecht zu.1"53 Obwohl die Einführungsformel des nächsten Satzes in unserem Text "...sagt das heilige Evangelium ..." den Eindruck macht, als ob ein Bibelvers zitiert wird, handelt es sich nicht um ein wörtliches Zitat. Die Formulierung erinnert am ehesten an Jakobus 1,22:"Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein". Eine der Seligpreisungen in Lukas 6,43 endet zwar mit dem Ausblick "euer Lohn ist groß im Himmel", aber keine der neutestamentlichen Seligpreisungen beschäftigt sich mit dem Thema "Handeln und Lehren". Dieses Thema ist, wie schon das Beispiel der Amma Synkletike gezeigt hat, typisch für das frühe Mönchtum. 54 Der bisher aus der Textinterpretation gewonnene Eindruck, daß Makrina dadurch, wie ihre Tätigkeit und ihr Leben beschrieben werden, in den Kontext des Mönchtums eingeordnet wird, bestätigt sich auch im letzten Abschnitt. Beide Synaxarien berichten über die philosophischen Gespräche, die Makrina mit ihrem Bruder Gregor über die Seele führte. Philosophische Gespräche sind nicht in unserem heutigen Sinn Diskussionen über philosophische Themen, sondern es sind geistliche Gespräche. Die Kirchenväter verstanden das Christentum als die wahre Philosophie und das asketischmönchische Leben bezeichneten sie als philosophische Lebensweise. 55 Der ältere Text des kaiserlichen Menologiums hält die Situation genau fest: Gregor war zu Besuch gekommen und aus diesem Anlaß entstanden die Gespräche. Diese bewegten sich

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nicht nur um die Seele, sondern auch um "Fragen der Schrift". Makrina führte ja ein Leben mit und nach der Schrift und konnte sich deswegen mit ihrem Bruder, der ein berühmter Theologe war, über die Bibel austauschen. Der letzte Satz bringt zum Ausdruck, daß Makrina so stirbt, wie sie auch gelebt hat - in der Vita wird beschrieben, wie sie mit dem Abendgebet auf den Lippen ihr Leben beschließt (226). Ihr asketisches Leben wird am Schluß des Synaxartextes noch einmal mit den Worten umschrieben, daß sie Gott diente ( έθεράπευσεν ). "Die Besonderheit liegt darin, daß in dem Wort θεραπεύω die Willigkeit zum Dienst und das persönliche Verhältnis des Dienenden zu dem Andern, dem er dient, sei es in Verehrung, wenn jener der Mächtigere, der Herr, ist, sei es in Fürsorge, wenn er dieser bedarf, zum Ausdruck kommt." 56 Eine ähnliche Bedeutung hat die Bezeichnung δαυλή θεού , die in den Anfangszeiten des Mönchtums für Asketinnen gebrauch lieh war und in der Vita Gregors auch für Makrina verwendet wird.^

Das Menologium des Kaisers Basilius II zeigt Makrina als eine religiös ausdrucksstarke und einflußreiche Frau, die ihr Leben in den Bahnen des alten Mönchtums führt. Der zweite Text, dessen Makrina-Bild wir dem eben untersuchten gegenüberstellen wollen, ist etwa 200 Jahre jünger. Die Grundstruktur und viele Sätze sind bis in die wörtlichen Formulierungen hinein gleich, so daß man die schriftliche Vorlage des ä1teren Meno 1ogiums annehmen kann. Die Unterschiede machen sich bereits in der ersten Aussage bemerkbar: während das Menologium des Kaisers Basilius II berichtete, daß Makrina verlobt wurde, heißt es hier, daß sie mit einem "angemessenen" Bräutigam verlobt war. Dem Schrei ber dieses Synaxariums ist die familiäre Position Makrinas sehr wichtig. Makrina stammte selber aus einer sehr reichen und einflußreichen Familie und ihr Bräutigam mußte den gleichen gesellschaftlichen Voraussetzungen entsprechen. Der Tod des Verlobten wird wortreicher umschrieben als im kaiserlichen Menologium. Mit dem Tod ihres Verlobten ist

jedoch Makrinas Weg zu einem Leben als Asketin noch nicht entschieden, denn das Synaxarium der Konstantinopler Kirche führt die zahlreichen Freier vor Augen, die sich um Makrina bewerben. Die Eheschließung scheint ein für Makrina wünschenswertes Ziel zu sein. Wenn es dann heißt, daß sie die "Witwenschaft wählt", so bedeutet das, daß eine Ehe, die gar nicht vollzogen wurde, sondern nur geplant war, nachträglich zur Ehe erklärt wird. Nur einmal zu heiraten entsprach den altCQ kirchlichen Vorstellungen, die den Christen empfohlen wurden. Makrina genügte den normal-gesellschaftlichen Anforderungen, hatte ihren Willen zur Ehe bekundet und durfte nun als verwitwete Asketin ihr religiöses Leben führen. Das Studium der Heiligen Schrift spielt zwar auch nach diesem Synaxarium eine Rolle, durch den Kontext liegt die Betonung jedoch mehr auf Makrinas Einbindung in ihre Familie. Heilig und asketisch lebt sie im Rahmen ihrer Familie und indem sie sich als älteste Schwester den jüngeren Geschwistern widmet. Von einem Einfluß über die Familie hinaus ist hier nicht die Rede. Bezeichnenderweise wird sie auch nicht Didaskalos genannt. Kurz vor ihrem Tod führt sie mit ihrem Bruder Gregor Gespräche über die Seele, nicht aber über "andere Fragen der Schrift". Eine eigene geistig-geistliche Kompetenz wird ihr von diesem Text nicht zugesprochen. Das religiös-geistliche Leben Makrinas wird in klischeehaften Formeln und Wendungen beschrieben, so daß die Tragweite ihrer asketischen Lebensentscheidung nicht deutlich wird. Makrina erscheint als Frau der höheren Gesellschaftsschicht, die nach einem mißglückten Verlobungsversuch sich ganz ihrer Familie widmet, die ihr den sicheren Rahmen für ein Leben als alleinstehende Frau bietet. Evelyne Patlagean hat anhand einiger Legenden das Modell weiblicher Heiligkeit in Byzanz untersucht. 59 Diese Legenden haben die oft verworrene und verwirrende Geschichte von Frauen zum Inhalt, die sich als Männer verkleiden, um dann unerkannt in der Wüste oder in einem Männerkloster zu leben. Vermutlich nach dem Vorbild der Thekla-Gestalt des 2. Jahr-

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hunderts ausgebildet, hatten diese Geschichten eine große Blüte in der byzantinischen Kirche, sie verschwinden aber seit dem 9. Jahrhundert. Patlagean stellt fest, daß diese Legenden nicht zufällig verschwinden, sondern daß sie deshalb überflüssig und sinnlos werden, weil sie nicht mehr nachahmbar sind, da sich das Heiligkeits-Modell für Frauen grundlegend geändert hat. Das Vorbild der als Männer verkleideten Frauen, die vollständig mit den gesellschaftlichen Rollenmustern brechen, war für Frauen der byzantinischen Gesellschaft nicht mehr ansprechend und nicht mehr anwendbar. "La longue élaboration commencée au moins dès le 111e siècle a éclairci le choix placé devant les chrétiens, tandis que les expériences individuelles ou marginales semblent perdre leur attrait: il reste le mariage ou le clottre."^ In unserem Text scheinen sich die für Frauen zur Verfügung stehenden Modelle noch mehr eingeschränkt zu haben auf das Familienleben. Wenn schon keine Ehe möglich ist, dann wenigstens die Orientierung an der eigenen Familie. Das zuletzt untersuchte Synaxarium berichtet ja ausführlich von dem im letzten Moment gescheiterten Eheprojekt Makrinas. Sie betrachtete sich von da an als Witwe und führte als solche ein asketisches Leben im Schoß ihrer Familie. Askese, ein körperlich enthaltsames Leben, und Beschäftigung mit den Heiligen Schriften sind für diesen Text immer noch vorbildhaft für Frauen, nicht aber unbedingt damit verbunden ein klösterliches Leben in der Einöde; nicht mehr eine Lebensform, in der Frauen ihren Tages- und Lebenslauf selbständig gestalteten, mit der sie aus jeder Art der familiären Unterund Einordnung ausbrachen. Die asketische Bewegung, die zu den Klostergründungen in der Einsamkeit und in der Wüste führte, war der Versuch, eine neue Welt und Ordnung zu gestalten, in der auch Frauen neue Entfaltungsmöglichkeiten fanden, die für sie innerhalb der androzentrisehen Familien-, Kirchen- und Gesellschaftsstruktur nicht vorhanden waren. Am Didaskalos-Titel werden die umfassenden Dimensionen dieser neuen Ordnung deutlich, daß nämlich Frauen geistig und geistlich eigenständig verantwortungsvolle Aufgaben übernahmen. Nun ist dieser Aufbruch ganz und

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gar von der patriarchalischen Struktur wieder eingeholt worden, wenn beide hier analysierten Synaxarien nichts mehr über die von Makrina in der Einsamkeit des Pontus gegründete und geleitete Frauengemeinschaft berichten. Nur das Wenige bleibt übrig, was sich ohne Schwierigkeiten in diese Struktur einordnen läßt: Askese und Beschäftigung mit der Heiligen Schrift. 2.4. Die Quellen über Makrina 2.4.1. Die Vita Macrinae Um die Gestalt und Bedeutung Makrinas zu erfassen, sind wir nicht nur auf die knappen Informationen der beiden Synaxarien angewiesen, sondern wir können uns an die Quellen des 4. Jahrhunderts halten. Die schon erwähnte Vita ihres Bruders Gregor von Nyssa bildet die Hauptquelle für das Leben der Heiligen. Sie soll im Mittelpunkt unserer Beschäftigung mit Makrina stehen. Die Vita ist von großem theologischen und historischen Wert. Theologische Bedeutung hat sie deshalb, weil sie uns aus den Anfangszeiten des weiblichen Mönchtums ein ausführliches Lebensbild vermittelt, während wir über andere Asketinnen aus dieser frühen Zeit nur durch kurze Notizen in fi 1 Sammelberichten wie etwa der Historia Lausiaca informiert sind. Gregor, der einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung fi? der asketischen Theologie mit vielen seiner Werke lieferte, beschreibt das Leben seiner asketisch lebenden Schwester. Der historische Wert liegt darin, daß diese Lebensbeschreibung von einem Zeitgenossen und engen Verwandten Makrinas aufgezeichnet wurde, der aus nächster Nähe viele Entwicklungen mitvollzog. Gregor stellt nicht nur seine eigenen Erfahrungen dar, sondern konnte auch andere Frauen und Männer nach fi*3 deren Begegnungen mit Makrina befragen. So entstand ein sehr authentisches Bild, das sich auch durch die zeitliche Nähe zu den Geschehnissen auszeichnet. Die Vita entstand kurz nach Makrinas Tod,®^ was ein in der hagiographisehen Geschichtsschreibung selten günstiger Fall ist. Bei anderen Heiligen

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fanden sich oft erst Biographen, nachdem die Überlieferung schon einige Generationen mündlich weitergegeben worden war, wobei natürlich auch Veränderungen entstanden. Wenn auch die genannten Gründe für die historische Glaubwürdigkeit der Vita sprechen, so heißt das nicht, daß Gregor eine in allen Einzelzügen nachprüfbare Biographie seiner Schwester schrieb. Er schrieb eine Heiligen-Biographie. 65 Das bedeutet, daß sowohl er typische Vorstellungen (Topoi) auf den Werdegang seiner Schwester anwendete, als auch daß solche Topoi sich wirklich im Lebensgang Makrinas ereigneten Der Topos der Schönheit wurde bereits oben erwähnt. Makrina war nicht die erste, die als Jungfrau/Witwe im Rahmen der Kirche ein asketisches Leben führte, ihr lagen be reits ausgeprägte Typen vor, nach denen sie sich ausrichten konnte. Eines dieser Vorbilder ist die heilige Thekla. Sowohl Makrina als auch Gregor kannten die Thekla-Traditionen, so daß sich kaum noch sagen läßt, wie Makrinas tatsächliches Leben und die Schilderung ihres Bruders sich in bezug auf die Thekla-Traditionen zueinander verhalten. Wenn auch die Gattung der christlichen Biographie gerade erst in der Entstehung begriffen war,^^ so gab es bereits literarisch ausgeformte Vorlagen über Märtyrer und Märtyrerinnen. Gregor ging es nicht nur darum, seine Schwester als Heilige erschei nen zu lassen, er versuchte gleichzeitig, sie als Märtyrerin zu zeigen. Das Leben seiner Schwester Makrina betrachtete Gregor von Nyssa unter der in seiner Zeit und Umgebung üblichen Vorstellung, welche Ereignisse das Leben einer Heiligen ausmachten. Hinzu kamen die in der Märtyrer 1iteratur aus gebildeten Topoi über den Lebensgang einer Märtyrerin und so wurde die Gestalt Makrinas nach beiden Vorbildern gezeichnet Ähnlich wie in der Ikonenmalerei mit ihrer beständigen Nachahmung des Prototyps ging es auch im Leben der Heiligen nicht in erster Linie um das Individuelle, nicht darum, eine möglichst einmalige unwiederholbare Persönlichkeit hervorzubringen, sondern darum, sich aus der begrenzten Zahl der vorhandenen Lebensmuster eines zum Vorbild zu nehmen und die 68 sem nachzueifern. wie aber trotz des Grundsatzes der Nach-

ahmung in der Ikonenmalerei zeittypische Sti1verschiebungen auftreten, so ist Makrina, auch wenn sie versucht, Thekla nachzuahmen, doch eine typische Vertreterin ihres Jahrhunderts. Das Leben ihres Vorbildes Thekla und ihr eigenes unterscheiden sich sehr wohl voneinander. 2.4.2.

Der Dialog über die Seele und die Auferstehung

Außer der Vita hat Gregor von Nyssa seiner Schwester noch ein weiteres literarisches Denkmal gesetzt. In seinem "Dialogus de anima et resurrectione" 69 gestaltet er ein Ereignis aus der Vita breit aus. Die Vita berichtet, daß Gregor nach dem Tod des Basilius, am 1.1.379, zu seiner "Schwester und Lehrerin"^ eilt, um bei ihr Trost über den Tod des Bruders zu finden (190). Sie liegt bereits im Sterben und führt mit ihm weitausholende theologische und philosophische Gespräche. In der Vita heißt es, daß Makrina die Erwähnung des Basilius zum Anlaß einer Erörterung über die menschliche Natur, die göttliche Vorsehung und das kommende Leben nahm (198). Sie redete "wie vom Heiligen Geist getragen" (198). In dem Dialog Gregors, den manche Autoren als "christ71 liehen Phaidon" bezeichnen, sind all diese Themen breit ausgeführt. Gregor stellt Fragen und macht Einwände, während Makrina ihm auf alle Fragen als "Lehrerin" begegnet. Sie wird als kompetent in allen naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Problemen geschildert. In einigen Handschriften trägt dieses Werk den Titel 70 " τά Μακρίνια ". Dieser Titel rührt daher, daß die Heilige in diesem Dialog die Hauptrolle spielt. Zu vermuten ist, daß Gregor nicht zufällig die Figur seiner Schwester als Gesprächspartnerin eingeführt hat, sondern daß er auf Erfahrungen zurückgreift, die er mit Makrina machte. Als kompetente Lehrerin schildert Gregor seine ältere Schwester auch in der Vita, allerdings nimmt sie dort diese Rolle nur im Bereich des asketischen Lebens ein, während sie sich im Dialog als unterrichtet in allen Wissenschaften ihrer Zeit erweist. Nach dem Bericht der Vita hatte Makrina ihren Un-

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terricht nur anhand biblischer Unterrichtsstoffe erhalten, mit der weltlichen Kultur, die anderen Schülern durch die Werke der Dichter vermittelt wurde, sollte sie nicht in Berührung kommen. Weder Tragödien noch Komödien kamen als Inhalte ihres Unterrichtes in Frage (148). Entweder erwarb sich Makrina das ihr in der häuslichen Erziehung nicht vermittelte Wissen im weiteren Verlauf ihres Lebens oder Gregor von Nyssa greift zu literarischen Stilmitteln, bei denen er zwar seine Schwester zum Ausgangspunkt nimmt, in der literarischen Ausgestaltung aber über die historischen Verhältnisse hinausgreift. 2.4.3.

Der Brief Gregors von Nyssa

Noch an einer anderen Stelle äußert sich Gregor über seine Schwester, in einem an einen Johannes gerichteten Brief widmet er dem Leben Makrinas einige Abschnitte. Er erläutert ihre Bedeutung für seine eigene geistliche Entwicklung und beschreibt ihren Lebensstil. Makrina war für Gregor die "Lehrerin seines Lebens" ( τοΟ βίου διδάσκαλος ), 73 "eine Mutter nach der eigenen Mutter". Sie lebte in der Einöde des Pontus, umgeben von einer großen Zahl von Frauen ( χορός παρθένων ), "die sie durch geistliche Geburtswehen geboren hatte" ( άς σύτό διό των πνευματικών ώδίνων γεννήσασα und die sie im geistlichen Leben anleitete. Tag und Nacht hörte man den Gesang ihrer Psalmen. Am Schluß dieser kurzen Schilderung faßt Gregor noch einmal zusammen, was seine Schwester für ihn bedeutete:" τήν άντί μητρός μοι 75 καί διδασκάλου καί παντός άγαθοΟ ποθουμένην ". 2.4.4.

Das Grabgedicht Gregors von Nazianz

Auch außerhalb der eigenen Familie fand unsere Heilige literarische Beachtung. Gregor von Nazianz (329/30-um 390)^f der neben Gregor von Nyssa und Basilius von Caesarea zum Dreigespann der großen Kappadokier gehörte und seit der Athener Studienzeit mit Basilius befreundet war, hinterließ ein Epitaphion auf Makrina, in dem er ihre Herkunft, ihren Le-

bensweg und ihre große Verehrung beschreibt. "Auf Makrina, die Schwester des heiligen Basilius. (In Händen) halte ich die Asche einer strahlenden Jungfrau, wenn du von einer solchen gehört hast, Makrina, die Erstgeborene der großen Emmelia. Sie verbarg sich vor den Augen aller Männer, nun ist sie in aller Munde und hat einen größeren Ruhm als sie alle."77 Dieses Gedicht liefert keine neuen Informationen über Makrina, es ist aber ein Zeugnis ihrer Berühmtheit. Im Zusammenhang von 4.1.3. soll auf seine Interpretation eingegangen werden.7®

3. Die Vita Macrinae 3.1. Überlieferung, Gattung und Gliederung der Vita 3.1.1. Überl ieferung Die Editionsarbeiten zur Vita Macrinae können mit der 1971 erschienen kritischen Textausgabe von Pierre Maraval in der Reihe "Sources chrétiennes" als im wesentlichen abge1 schlossen betrachtet werden. Uber die kritische Edition von 2 1952 hinaus, die Virginia Woods Callahan erstellte, konnten von Maraval sechs weitere Manuskripte berücksichtigt und das 3 Stemma neu erstellt werden. Die erste Edition der Vita Macrinae erschien 1553 als lateinische Übersetzung durch Lipomanus. 4 Diese Übersetzung 5 liegt auch der Ausgabe der Acta Sanctorum zugrunde. Der griechische Text erschien 1618 durch Jakob Gretser in Paris; J.-B. Migne übernahm diesen in seine Ausgabe PG 46,960-1000.^ Den von Maraval genannten modernen Übersetzungen ist eine niederländische von 1971 hinzuzufügen, die F. van der Meer und G. Bartelink besorgten.^ Die Überlieferungsgeschichte der Vita Macrinae bereitet keine großen Schwierigkeiten. In zwei Arten von Manuskripten findet sich die Vita: zum einen unter den Werken Gregors von Nyssa und zum anderen in Sammlungen von hagiographisehen Schrifg ten. Die heute zur Verfügung stehenden Manuskripte datieren g vom 9. bis zum 16. Jahrhundert. 3.1.2.

Stand der Forschung

Die unter 2.2. genannte Literatur gab einen Eindruck des populär-kirchlichen Makrina-Bildes. Hier soll der Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Vita Macrinae dargestellt werden. 1902 veröffentlichte Edmond Bouvy einen umfangreichen Artikel über Makrina in der Revue Augustinienne,11 in dem er mit erzählerischer Phantasie das Leben der Heiligen des 4. Jahrhunderts beschrieb. Seine Ausgestaltung ist zum Teil recht

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frei und geht weit über die Vita hinaus, wenn es z.B. über Makrinas Beitrag zum frühen Mönchtum heißt: "Elle comprit de bonne heure que son institution monastique, telle qu'elle en avait conclu le plan devant Dieu, convenait aussi bien et mieux peut-être aux hommes qu'aux femmes; elle comprit que, par les hommes, le cénobitisme pouvait devenir une force défensive pour l'Église et une grande gloire pour l'Epoux divin auquel elle avait voué son amour, et, dans cette suite de ses pensées, elle se demanda sans doute si ses frères n'etaient pas les instruments providentiels tout préparés pour ce saint ouvrage; dès lors, ce fut sur leurs âmes qu'elle porta 12 tous les efforts de son prosélytisme." Ohne Anhaltspunkt an der Vita wird der Mutter Emmelia die Leitung des Klosters zugeschrieben und Makrina die innere, geistliche Führung. "En laissant à sa mère toutes les prérogatives d'une supérieure,- elle remplissait elle-même tous les devoirs d'une maitresse des novices, ajoutant à ses exemples des leçons d'ascétisme et inaugurant auprès de ses filles cet apostolat si difficile et si doux de la direction des âmes au13 tant qu'il convient à une femme." Weiter malt Bouvy dann aus daß jedoch Makrinas Apostolat zur Leitung der Frauengemeinschaft nicht ausreichte und sie auf Unterstützung ihrer Brüder angewiesen war. Hinter dieser Beschreibung ist die Ansicht zu spüren, daß ein Frauenkloster ohne männliche Leitung und Begleitung undenkbar sei. So wird dann das eigene Urteil und Vorurteil auf geschichtliche Situationen übertragen, die 15 tatsächlich völlig anders strukturiert waren. Zu fragen ist auch, ob es angemessen ist, im Kloster Makri1 fi nas von einer "Klausur" (la clôture) zu sprechen. Hier müßte zumindest genauer untersucht werden, ob es etwas der heutigen Kloster-Klausur Entsprechendes gab, bevor diese Begriffe angewendet werden. Mit seinem Aufsatz "Das Anhängekreuzchen der hl. Makrina und ihr Ring mit der Kreuzpartikel" griff Franz Joseph Dölger 19321^ ein Detail der Vita auf und ordnete dieses in die Geschichte der Reliquien- und besonders der Kreuzesverehrung ein

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Adolf Kalsbach betrachtete 1934 die Vita Macrinae unter dem Aspekt des Menschen- und Lebensideals der christlichen 18 Antike. Er kommt dabei zu Ergebnissen in bezug auf die Einordnung Makrinas in das frühe Mönchtum, die von der Verfasserin der vorliegenden Studie nicht geteilt werden können. "Die Heilige mutet menschlicher an als der Heilige. In ihrem Leben spielen der Teufel und die Dämonen keine Rolle, der Gegner ist die durch die Sünde verderbte Menschennatur, das Ich. Das Wunderbare ist in sehr dezenter Weise verwendet. Macrina ist keine Heilige im Sinne des weltflüchtigen Mönchtums ihrer Zeit; sie vollzieht keinen gewaltsamen Bruch in ihrem Leben, sondern heiligt durch sich ihre Familie und 19 ihre Hausgemeinschaft." 1963 und 1968 erschienen je eine Übersetzung der Vita Macrinae, die deutlich machen, in welchem Kontext die Vita bisher rezipiert wurde. W. Warnach legte eine deutsche Übersetzung nach der Migne-Ausgabe in einer Sammlung über "Heilige 20 Frauen des Altertums" vor. France Quéré-Jaulmes stellte eine französische Übersetzung in den Zusammenhang ihrer Untersuchung "La Femme. Les grandes textes des Pères de l'Eglise." 21 Diese beiden Übersetzungen beleuchten, daß Makrinas Lebenslauf zur Illustrierung der Geschichte von Frauen in der Alten Kirche aufgegriffen wurde. Beiden Übersetzungen ist das Interesse gemeinsam, vor allem die Quelle sprechen zu lassen, so daß die Kommentierung auf ein Minimum beschränkt wurde. Makrina Kloeppels Aufsatz "Makrina die Jüngere, eine altchristliche Frauengestalt" 22 erwächst aus dem Interesse einer heutigen Ordensfrau an einer ihrer Vorläuferinnen. Einleitend formuliert sie ihre FragenKönnen wir einer altchristlichen Heiligengestalt heute noch so begegnen, daß sie uns wirklich lebendig wird und Einfluß gewinnt auf unser Leben?" 23 Aus der Gegenwart heraus gestellte Fragen verbinden sich mit der Einführung in die wissenschaftliche Erforschung der Vita zu einer gelungenen Darstellung.

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Der Aufsatz Eugenio Marottas "Similitudini ed ecphraseis nella vita S.Macrinae di Grigorio di Nissa" von 1970 beschäftigt sich mit den literarischen Gestaltungen Gregors von Nyssa und den Beziehungen zur griechischen Rhetorik. 24 Die Textedition Pierre Maravals wurde bereits unter 3.1.1. erwähnt. Daneben bietet Maraval eine französische Übersetzung, eine ausführliche Einleitung und Kommentierung, die von mir als Grundlage und Voraussetzung genommen werden, so daß ich nicht jedesmal ausdrücklich auf Maraval verweise. Von mir werden vor allem die Textstellen herausgegriffen, die Makrina als zur Geschichte des weiblichen Mönchtums gehörig zeigen. Dieser Aspekt wurde von Maraval nur am Rande berücksichtigt. Patricia Wi 1son-Kastner untersuchte 1979 die Vita Macrinae in einem Aufsatz unter dem Titel "Macrina: Virgin and Tea25 eher". Sie arbeitet den antiken Philosophen Sokrates und die christliche Jungfrau-Märtyrerin Thekla als die beiden Modelle heraus, nach denen Makrina charakterisiert wurde. Im Rahmen ihrer Arbeit über "La tipologia femminile nella biografia e nell' autobiografia cristiana del IV° secolo" wählte Elena Giannarelli Makrina als ein Beispiel für die Pfi Typologie der Virgo. Auf die Bedeutung des Traumes der Mutter vor der Geburt und die Namengebung, die Giannarelli besonders hervorhebt, werden wir weiter unten eingehen. 27 1982 erschien eine Untersuchung zum Thema "The role of 28 women in Early Christianity" von Jean LaPorte, die im Abschnitt "Women in Contemplative Life" einige Passagen aus der Vita Macrinae übersetzt und kommentiert. 29 Leider enthält die Darstellung einige grobe Fehler, wenn es heißt: "Macrina founded a monastery for women on their estate at Annesi, where Basil had already founded a monastery for men. At that time Peter was the successor of Basil as the head of this community. Macrina was not the head of the community, but she was a living example and a spiritual mother

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for all." ΊΟ Ich hoffe zu zeigen, daß die Leitung einer Klostergemeinschaft und geistliche Mutterschaft sich nicht ausschließen, wie bei LaPorte dargestellt wird. Ohne nähere Begründung dafür zu geben, sieht LaPorte in der Diakonisse Lampadion "the head of the community"; 31 dieses ist eine Meinung, die in der Vita Macrinae keine Begründung findet. Wie aus dieser Literaturübersicht hervorgeht, ist die Ein Ordnung Makrinas in die Geschichte der asketischen Bewegungen und vor allem in die des weiblichen Mönchtums bisher nicht unternommen worden. 3.1.3.

Gattung

Um 380 schrieb Gregor von Nyssa ein Werk, das heute den Titel trägt "Gregor, Bischof von Nyssa: Brief über das Leben der heiligen Makrina" (136). Zwei Begriffe aus der Überschrift helfen uns, dieses Werk als literarische Gattung ein zuordnen: Brief ( έπιστολή ) und Leben ( βίος ). Das Stichwort "bios" weist darauf hin, daß dieses Schrift stück in die Gattung der Biographie gehört, die von vorchristlichen griechischen Schriftstellern ausgebildet, von christlichen dann aufgenommen und verändert wurde. 3 ? Nach griechisch-antikem Verständnis bedeutet Biographie "die 'Lebensbeschreibung' als die mit Erzählung der Schicksale verbundene Darstellung der Tätigkeit und des Charakters eines Menschen. Das berühmteste Beispiel christlicher Biographie aus der Zeit der Alten Kirche ist die Vita Antonii ( βίος καί πολιτεία ),^4 die Athanasius von Alexandrien um 357 schrieb. Hierin berichtet der Bischof von Alexandrien vom Leben und Wirken des Wüsteneremiten Antonius, den er persönlich kannte und der sich gegen Ende des 3. Jahrhunderts als einer der ersten immer tiefer in die ägyptische Wüste zurückzog. Der alexandrinisehe Kirchenvater verfolgte mit dieser Schrift das Ziel, für das mönchisch-eremitische Leben, das sich gerade erst entfaltete und ausbreitete, zu werben. Dieses Ziel

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erreichte er mit großem Erfolg. Die Vita Antonii verbreitete sich sehr schnell und zog ungeheure Wirkungen nach sich, indem viele Leser sich zu einem eigenen asketischen Leben in der Einsamkeit anregen ließen. Bis hin zu Augustin lassen sich die Auswirkungen verfolgen, der in seinen "Bekenntnissen" beschreibt, wie das durch die Vita bekanntgewordene Vorbild des Antonius zwei kaiserliche Beamte dazu führte, ihr bisheriges Leben radikal zu verändern, um dem Beispiel des 35 ägyptischen Eremiten zu folgen. Bei der außerordentlich weiten Verbreitung und Wirkungsgeschichte der Vita Antonii das Athanasius wäre zu vermuten, daß sie auch in Kappadokien bekannt und gelesen wurde, gerade weil sich hier ein eigenes monastisches Zentrum bildete, das großes Interesse an einer solchen Schrift haben mußte. Wir wissen aber nichts darüber, ob Gregor von Nyssa diese Lebensbeschreibung des Antonius kannte. Bei einem Vergleich der beiden Biographien ergibt sich, daß Konzeption und Aufbau der Vita Macrinae eigenständig und unabhängig von der Vita AntoOC nii entwickelt wurden. Die in beiden Texten zu beobachtenden Übereinstimmungen erklären sich aus der überall verbreiteten asketischen Bewegung, die sich, bei lokalen Unterschieden, durch gemeinsame Grundüberzeugungen auszeichnete. Beide genannten Viten, die des Antonius und die der Makrina, gehören in die Anfangsphase der christlichen Hagiographie, die eng verbunden ist mit der sich ausbreitenden Heiligenverehrung. 37 Die Lebensgeschichten der Heiligen wurden zu dem Zweck aufgeschrieben, um den Ruhm ihrer Heiligkeit zu verbreiten und um zur Nachahmung des vorgelegten Lebensmodells aufzurufen. In dieser Funktion lösten die Heiligenviten die Märtyrerberichte ab, die im 2. und 3. Jahrhundert entstanden waren zur Aufbewahrung der Erinnerung an die Blutzeugen. Wie zuerst die Märtyrerakten kamen dann auch die Heiligenleben zur Verlesung in den Gottesdiensten bei der jährlichen Feier der Gedenktage. Als früheste Beispiele der Literaturgattung Märtyrerakten können das Polykarp-Martyrium und die Passio der Perpetua und der Felicitas genannt werOO den. Das Aufeinanderfolgen der literarischen Gattungen der Märtyrerakten und der Hei 1igenviten gehen Hand in Hand mit

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der Verschiebung der Verehrung für Märtyrer auf Asketen und Asketinnen. Das 4. Jahrhundert bildet in dieser Entwicklung eine Nahtstelle, an der sich die Verflechtung von Märtyrern und Heiligen gut beobachten läßt. Als die blutigen Verfolgungen mit der staatlichen Anerkennung des Christentums ihr Ende fanden, traten an die Stelle der Märtyrer Heilige, die aufgrund ihres besonderen christlichen und meist auch asketischen Lebenswandels als solche verehrt wurden. Während sich in den folgenden Jahrhunderten das Modell asketischer Heiligkeit durchsetzt, ist es für das 4. Jahrhundert kennzeichnend, daß das Leben der Asketen und Asketinnen mit dem Martyrium gleichgesetzt wird. Es wird als tag-tägliches unblutiges Martyrium gedeutet, das im Maß der Leiden dem blu39 tigen gleichkommt. Aufgrund des hier geschilderten Vorganges wird es erklärlich, daß die Verfasser der ersten christlichen Biographien Anleihen bei der ihnen vorliegenden Märtyrer 1iteratur machten. Am Beispiel der Vita Antonii konnte die Forschung darüberhinaus zeigen, in welchem Ausmaß die christliche Biographie von ihren antiken Vorbildern abhängig ist; so weist z.B. die Vita Antonii manche Ähnlichkeiten mit der Vita des Apollonius von Tyana von Philostrat auf.40 Während die Frage der Kontinuität bzw. der Diskontinuität für männliche Biographien untersucht wurde, ist es bisher nicht gelungen, antike Vorlagen für weibliche Heiligenbiographien nachzuweisen. Wie unten gezeigt werden soll, kannte Gregor von Nyssa vermutlich die Passio der Perpetua, 41 und er kannte sicher die apokryphen Thek1a-Akten, die zwei Martyriumsberichte enthalten. Ich möchte die These aufstellen, daß die Entstehung weiblicher Heiligenbiographien in sehr engem Zusammenhang mit den Berichten über Märtyrerinnen gesehen werden muß, da über alle Geschlechtsunterschiede hinweg Frauen im Martyrium den Männern gleichgeachtet wurden und so literarisch zu Ehren kamen. Wie die Vita Antonii am Beginn der Gattung christlicher Biographien männlicher Heiliger steht, so markiert die Vita Macrinae den Beginn weiblicher Heiligenbiographien. 42

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Das für die Heiligenbiographien wesentliche Motiv der Aufforderung zur Nachahmung läßt sich bei Gregor von Nyssa deutlich erkennen, weil er die Gedanken über seine Absicht den Lesern mitteilt: er wünscht sich, daß die Erzählung des Lebens der Makrina den Lesern und Hörern Gewinn und Nutzen bringen soll (140,142). Aus dem Ganzen der Vita geht der Eindruck hervor, daß Gregor dieses Ziel nicht nur in der Einleitung propagiert, sondern daß er dem auch in seinem Bemühen und seiner Begeisterung, seinem Publikum das Leben seiner Schwester nahezubringen, nachkommt. Den Gewinn und den Nutzen, den er erreichen möchte, umschreibt der Autor inhaltlich mit den Begriffen άρετή (Tugend) und φιλοσοφίσ. (Philosophie) (142). Gregor will den Lesern vor Augen fünceu, daß Makrina ein Leben der Tugend und der Philosophie führte. Um den Inhalt dieser Aussagen zu verstehen, genügt es nicht, beide Worte einfach ins Deutsche zu übersetzen, denn während diesen beiden Begriffen im heutigen religiösen Sprachgebrauch keine besondere Bedeutung zukommt, waren sie für die Christen des 4. Jahrhunderts Sch 1üsselworte, die nicht ohne innere Beteiligung gehört werden konnten. Diese Schlüsselworte standen in einem Kontext, in dem die christlichen Theologen von den Apologeten an dabei waren, die in ihrer Umwelt vorgeprägten Sprach- und Denkmodelle aufzunehmen, um in ihnen die biblische Botschaft auszudrücken. Wenn auch beide Begriffe im Neuen Testament Vorkommen, so gehören sie doch nicht zum spezifischen Wortschatz der neutestamentlichen Schriften.4^ Erst mit Justin dem Märtyrer beginnt eine Entwicklung, die das Christentum in ein Verhältnis zu den anderen antiken Philosophien setzt und dabei das erstere als die wahre Philosophie zu erweisen sucht. 44 Wesentlich mitbestimmt wurde diese Auffassung durch das Gepräge der antiken Philosöphenschulen, die sich nicht nur darum bemühten, Antworten auf die Fragen nach dem Sinn und der Wahrheit zu geben, sondern gleichzeitig auch diese Antworten vorzuleben versuchten. Philosophen waren in der antiken und besonders in der spätantiken Gesellschaft diejenigen, die mit ihrer gesamten Lebensführung für ihre Ideen eintraten.

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Dabei zeigten viele Philosophengemeinschaften asketische Züge, die sie auch als Lebensmaximen propagierten. 45 Mit dem Auftreten des Mönchtums, das in engagierter und überzeugender Weise den Ruf in die Nachfolge Christi verwirklichte, wurde die Bezeichnung der "philosophischen Lebensweise" besonders diesen Asketen und Asketinnen Vorbehalten. Denn seit dem Ende der blutigen Verfolgungen und den ersten Schritten auf dem Weg zur öffentlichen Duldung und Anerkennung des Christentums sahen sich die Christen vor eine ganz neue Situation gestellt. Während die christliche Gemeinde bis dahin eine kleine ausgesonderte Schar gebildet hatte, vollzog sich zwischen 313 und 380 eine Wandlung, die es opportun erscheinen ließ, zur christlichen Gemeinde dazuzugehören, so daß bis zum Ende des 4. Jahrhunderts die Mehrheit der Bürger nominell aus Christen bestand. Für diejenigen, die sich nicht unter dem öffentlichen Druck zum Christentum bekehrt hatten und die die Oberflächlichkeit vieler Bekehrungen deutlich wahrnahmen, stellte sich die Frage: wie kann ich mich von diesen vielen, die sich Christen nennen, unterscheiden und ein authentisches christliches Leben führen? Die Antwort, die Gregor von Nyssa auf diese Frage gibt, lautet: durch Tugend und Philosophie. Für die christlichen Leser des 4. Jahrhunderts waren Tugend und Philosophie keine abstrakten Begriffe, sondern mit ihnen verbanden sich ganz konkrete Anschauungen eines christlich-asketischen Lebens. Tugend^ forderte die ganze menschliche Persönlichkeit und ließ sich nur auf dem Weg der Einübung und Nachahmung verwirklichen. Philosophie, Askese, Arete und mönchisches Leben waren in der christlichen Spätantike vielfach auswechselbare Begriffe geworden. ^ Mit "Tugend" und "Philosophie" kann Gregor von Nyssa daher seine Leser auffordern, selber Nachfolger und Nachfolgerinnen auf dem Weg der Makrina zu werden, und er kann mit der selbstverständlichen Attraktivität dieser Begriffe rechnen. Das zweite, oben schon genannte Stichwort, anhand dessen unser vorliegender Text literarisch eingeordnet werden kann,

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ist "Brief". Gregor von Nyssa geht in seinem ersten Satz der Vita auf das damit angeschnittene Problem ein, denn der Überschrift nach scheint sein Werk ein Brief zu sein, der Fülle des Erzählten nach überschreitet es jedoch das Maß eines Briefes (136,138). In diesem ersten Abschnitt redet Gregor den Empfänger seines Schreibens, der für uns anonym bleibt, direkt an. Im weiteren Verlauf der Erzählung verliert sich der Charakter eines Briefes, der Inhalt des Berichteten rückt in den Vordergrund und läßt die direkte Anrede an den Empfänger zurücktreten. Auch der Schluß dieser Biographie nimmt den Briefstil nicht wieder auf, sondern die Erzählung über Makrina wird mit einigen abschließenden Bemerkungen zu Ende geführt. Wenn es das Ende eines echten Briefes wäre, könnte man hier noch persönliche Mitteilungen und Grüße erwarten. Während der Empfänger der Makrina-Vita für uns anonym bleibt, ist er für Gregor ein schon bekannter und vertrauter Gesprächspartner, mit dem er das mündlich begonnene Gespräch jetzt schriftlich fortsetzt. Beide trafen sich nach Gregors Angaben in Antiochien, als Gregor sich auf einer Wallfahrt nach Jerusalem befand (138). Diese Wallfahrt kann in die Jahre 380 oder 382 datiert werden. 49 Bereits bei diesem Zusammentreffen war das Leben der Makrina ein Gegenstand ihrer Gespräche (138,140). Ob Gregor diese Gespräche nun einfach schriftlich festhält oder ob er in seiner Niederschrift noch über das bereits Erzählte hinaus ausführlicher berichtet, geht aus seiner Einleitung nicht hervor. Vielleicht war der Empfänger des Briefes Bischof, vielleicht auch ein Mönch; jedenfalls konnte Gregor bei ihm ein lebhaftes Interesse am Lebensweg seiner Schwester Makrina voraussetzen. Zu diesen Beobachtungen paßt gut, was B. Kytzler über das Verständnis des Briefes in der Antike schreibt:"Der Brief wird nämlich als die Hälfte eines Dialogs verstanden: er hält das Gespräch zwischen getrennten Freunden und durch die Illusion des Beieinanderseins __ die Freundschaft selbst aufrecht."^

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Die drei Kappadokier Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa führten eine umfangreiche briefliche Korrespondenz; das Brief-Corpus des Basilius enthält 365, 51 das des Gregor von Nazianz 245 52 und das des Gregor von Nyssa 30 Briefe. 53 Diese Briefe vermitteln Einblicke in die Alltagswirklichkeit des 4. Jahrhunderts, die theologische Abhandlungen nicht enthalten. "Sie eröffnen uns den unmittelbarsten Zugang zu den Menschen jener Zeit, zeigen sie in ihren Bestrebungen und Empfindungen deutlicher als alle 54 anderen Zeugnisse." Die Auswertung der in dieser Brief-Korrespondenz enthaltenen zeitgeschichtlichen Informationen steht noch in den Anfängen. Barnim Treucker hat mit seiner Arbeit "Politische und sozialgeschichtliche Studien zu den Basiliusbriefen" 55 einen wegweisenden Versuch unternommen, der auch für die übrige Brief 1iteratur der Kappadokier und auch anderer BriefSchreiber der Alten Kirche fortgesetzt werden müßte. 3.1.3.1.

Exkurs: Briefe an Frauen

Da die vorliegende Studie im Kontext der Frage nach der Rolle der Frauen in der Alten Kirche steht, soll auch im Zusammenhang der Literaturgattung Brief die Frage nach der Bedeutung und dem Vorkommen von Frauen gestellt werden. Über Frauen als Briefschreiberinnen läßt sich nur sehr wenig sagen, 56 da zwar oft aus den Antworten der männlichen BriefSchreiber geschlossen werden kann, daß sie auf briefliche Vorlagen antworten, diese allerdings nicht erhalten sind. P. Maraval zitiert eine griechische Handschrift des 14. Jahrhunderts, die Briefe der Makrina erwähnt. 5 7 Wenn es diese Briefe gegeben hat, sind sie nicht bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Anders sieht die Lage bei Frauen als Empfängerinnen von Briefen aus, Frauen gehören zu den Korrespondenzpartnern fast aller großen BriefSchreiber der Alten Kirche. Über einige Frauen sind wir nur durch die Briefe, die an sie geschrieben wurden, informiert. Hieronymus (ca. 345-420) schrieb einige seiner wichtig-

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sten Briefe an weibliche Empfängerinnen, unter denen Marcella eine besondere Stellung einnimmt. Mit Marcella führte Hieronymus eine sehr ausführliche Korrespondenz, in der wichtiCO ge theologische Fragen erörtert wurden. Typisch für die Situation der Überlieferung ist es jedoch, daß wir wohl die Briefe des Hieronymus, nicht aber die der Marcella kennen. Einige der Frauen, an die Hieronymus Briefe sandte, sollen mit Namen erwähnt werden: Paula, Eustochium, Blesilla, Castorina, Furia, Geruchia, Demetrias, Salvina, Laeta, Pacatula, 59 Theodora und Asella. Vielleicht geschah das, was an Hieronymus-Briefen vorgenommen wurde, auch mit anderen der an Frauen gerichteten Schreiben: im Mittelalter wurden in einigen Handschriften die Briefadressen in männliche Ansprechpartner verwandelt Von den 30 Briefen Gregors von Nyssa ist einer an Frauen gerichtet und zwar gemeinsam an Eustathia, Ambrosia fi 1 und Basilissa. Dank der von Marie-Madeleine Hauser-Meury erstellten Prosopographie zu den Werken Gregors von Nazianz besitzen wir einen Überblick über den Personenkreis, mit dem Gregor fi7 in Verbindung stand. Unter den 257 bei ihr namentlich aufgeführten Personen befinden sich 30 Frauen. Nur an einige dieser Frauen schrieb Gregor Briefe, die übrigen sind aus seinen Schriften bekannt, in denen er sie erwähnt. Sechs Briefe der insgesamt etwa 245 sind ausdrücklich an Frauen fi? adressiert und gerichtet. Basilius von Caesarea entwickelte z.T. theologisch bedeutsame Gedanken in Schreiben, die an weibliche Empfängerinnen gerichtet sind. Neben theologischen Abhandlungen stehen bei ihm persönliche Briefe, in denen er auf die pri64 vate Situation seiner Briefpartnerinnen eingeht. Zwei Beispiele sollen noch angeführt werden, die den Themenkomplex Frauen als BriefPartnerinnen beleuchten und auf die vielen noch unbearbeiteten Aspekte aufmerksam machen. Das eine Beispiel ist die Korrespondenz des Johannes Chrysostomos (+ 407) mit Olympias. Diese theologisch und zeitgeschichtlich wichtige Sammlung enthält 17 Briefe, die

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Johannes Chrysostomos der Diakonisse Olympias schrieb, die in Konstantinopel ein Frauenkloster leitete. 65 Als zweites möchte ich auf Jean Gouillard hinweisen, der die Briefe des Theodor Studites (+ 825) mit einer Fragestellung untersucht hat, die für die Bearbeitung der Korrespondenz anderer Kirchenväter vorbildlich werden könnte. Auf dem 16. Internationalen Byzantinistenkongreß 1981 in Wien trug er ein Referat unter dem Thema "La femme de qualité dans les lettres de Théodore Stoudite" vor.®® Dieser mehr statistische überblick sollte auf ein noch unbearbeitetes Feld aufmerksam machen, das im einzelnen erst der Aufarbeitung bedarf. Dabei muß die Frage geklärt werden, ob sich im Briefwechsel mit weiblichen Partnerinnen einige Themen als spezifisch herauskrista 11isieren.®^ Neben der bisher beschriebenen Kategorie der echten Briefe gibt es noch eine andere Art von Briefen, die zwar auch derselben literarischen Gattung angehören, jedoch an ein anderes Publikum gerichtet sind; die Lehr- oder offenen Briefe, "die sich an einen breiten Leserkreis wandten, um VerordnunCO gen oder Ideen, Lehren usw. zu popularisieren". Ein Großteil der neutestamentlichen Schriften ist in diese Kategorie einzuordnen. Auch wenn ein oder mehrere konkrete Empfänger in der Adresse eines solchen Briefes genannt werden, so richten sich diese Schreiben doch von vornherein an größere Gruppen, die der Autor schon beim Verfassen im Auge hat.®® Gregor von Nyssa verbreitet mit der Vita Macrinae, die an einen von ihm ins Auge gefaßten Empfänger adressiert ist,^® seine Konzeption des asketischen Lebens anhand des konkreten Beispiels seiner Schwester. Wie oben schon gesagt wurde, dient diese Vita als Aufruf zur Nachahmung und Nachfolge. Ein solches Schriftstück war nicht nur zur privaten Erbauung einer Einzelperson gedacht, sondern richtete sich an eine interessierte und engagierte kirchliche Öffentlichkeit. Die beiden literarischen Sti1gattungen Brief und Vita verbinden sich, um das von einer Vita zu erwartende Ziel zu erreichen.

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3.1.4. Gliederung Der Aufbau und die Gliederung unseres Textes sollen an einer Tabelle verdeutlicht werden, die im folgenden noch etwas kommentiert wird. Abschnitt

Inhalt

bei Maraval

A B

Prolog biographische Erzählung Begegnung Begräbn is Wunderbericht Epilog

(136-142) (142-190)

C D E F

(190-228) (228-256) (256-264) (264-266)

Zeitraum etwa 50 Jahre 2 Tage 2 Tage 1 Tag

Textunfang in Zeilen' 31 376 320 248 85 23

Die Vita Macrinae läßt sich in sechs Abschnitte ei nteilen, die ich mit den Buchstaben A - F kennzeichne. Der Umfang dieser Abschnitte unterscheidet sich erheblich voneinander und gibt bereits Aufschlüsse über die inhaltliche Gewichtung. Prolog und Epilog, A und F, sind die kürzesten Teile. Der Prolog wurde bereits bei den Erörterungen zur Gattung des Briefes besprochen. Ein Thema wird in diesem Prolog angeschnitten, auf das wir bisher noch nicht eingegangen sind. Es ist für das Verständnis der ganzen Vita so wichtig, daß es in einem eigenen Kapitel behandelt werden soll. 72 Dieses Thema schneidet die Frage an, wie es möglich und denkbar ist, daß eine Frau als Frau ein radikal Gott nahes Leben führt. An diesem Punkt wird deutlich, daß auch für Gregor die Rolle der Frauen in der asketischen Bewegung ein Problem war, mit dem er sich auseinandersetzte. Er schreibt: "Eine Frau war der Gegenstand unserer Erzählung, wenn überhaupt (noch) eine Frau; denn ich weiß nicht-, ob man die nach ihrer Natur benennen darf, die sich über die Natur erhoben hat." (140) Auffällig an diesem Prolog ist, daß Gregor die Person, über die er schreiben wird, hier noch nicht mit Namen nennt. Er redet von einer Frau ( γυνή ) und von einer Jungfrau (παρθένος , 140), für die Leser aber, die nicht wie der anonyme Empfänger mit ihm bereits Gespräche geführt haben,

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muß hier noch in geheimnisvollem Dunkel bleiben, über wen er reden wird. Dieses künstlerische Mittel erhöht die spannungsvolle Erwartung auf das, was nun folgen wird. Abschnitt B, der mit 376 Zeilen die umfangreichste Passage bildet, setzt ein mit dem Namen der Frau, die im Prolog noch ungenannt blieb: Makrina (142). Ein zusammenfassender überblick über Makrinas Lebensweg bildet folgerichtig auch den zentralen Inhalt dieses Teiles, der sich als "biographische Erzählung" im eigentlichen Sinn aus dem Ganzen der Biographie hervorhebt. Anhand der Konflikt- und Wendepunkte des Lebenslaufes beleuchtet Gregor einen Zeitraum von etwa 50 Jahren, wenn wir von den Daten ausgehen, daß Makrina um 327 geboren wurde und 380 starb. Die Zusammenfassung eines so langen Zeitraumes unterscheidet diesen Abschnitt inhaltlich und formal sehr deutlich von den folgenden beiden Hauptabschnitten C und D, die jeweils die Ereignisse in einem Zeitraum von zwei Tagen ausführlich beschreiben . Bei allem Gewicht, das Gregor auf die Herausbildung der einmaligen Persönlichkeit Makrinas legt, ist er dennoch bemüht, ihre Einbettung in die soziale Umgebung deutlich zu machen. Dabei steht aus der Sicht des Autors an erster Stelle die Familie. Neben den Ereignissen ihres ganz persönlichen Lebens berichtet Gregor genauso über einschneidende Entwicklungen und Geschehnisse im Leben ihrer Geschwister. Folgende Stationen greift Gregor aus Makrinas Leben heraus: der bedeutungsvolle Traum der Mutter direkt vor der Geburt Makrinas; ihre Erziehung; ihre Verlobung und der unerwartete Tod des Verlobten; Makrinas daraufhin erfolgter Entschluß, ein asketisches Leben zu führen; die Verwandlung des aristokratischen Lebensstils in einen asketischen; die Einbeziehung der Dienerinnen und Sklavinnen des Hauses in diese neue Lebensform; Makrinas Einfluß auf die Entwicklung ihrer Brüder Basilius und Petrus von Sebaste. Den Tod der Brüder Naukratius und Basilius und den der Mutter nimmt Gregor zum Anlaß, die Grundzüge der innerpsychischen Verfassung Makrinas, ihre "Seelenstärke", zu zeigen. Diesen Schicksalsschlägen begegnet

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sie "wie ein unbesiegbarer Kämpfer" ( καθάτιερ τις Αθλητής άκαταγώνιστός , 190).

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Zwischen diese erzählerischen Passagen sind Beschreibungen des asketischen Lebensideals eingeschoben, die zusammen mit den äußeren Ereignissen erst die ganze Gestalt der Person Makrinas deutlich werden lassen. Gregor sieht Makrinas Lebensweg als ständigen Fortschritt zu immer größerer Heiligkeit (188). Die Krisen und Schicksa1ssch1äge interpretiert er als positive Möglichkeiten, sich auf diesem Weg zu bewähren und voranzuschreiten. Makrinas Leben enthält für ihn eine Bestimmung, die der Mutter im Traum kurz vor der Geburt mitgeteilt wurde, und die sich geradlinig im Laufe der einzelnen Ereignisse ihres Werdeganges entfaltet. Ein deutlicher Einschnitt markiert den nächsten Abschnitt C, der unter dem Stichwort "Begegnung" zusammengefaßt wurde. Während der Autor im vorhergehenden bemüht war, dem Leser auf relativ kleinem Raum einen überblick über die wichtigsten Ereignisse aus Makrinas Leben vor Augen zu führen, konzentriert er sich hier auf die detaillierte Beschreibung seiner letzten Begegnung mit seiner Schwester unmittelbar vor ihrem Tod. Abschnitt C setzt ein mit der genauen Zeitangabe, die auch für die Gewinnung der Lebensdaten Makrinas wichtig ist. Die Reise in das Pontus-Kloster unternahm Gregor, nachdem er an einem Konzil in Antiochien teilgenommen hatte (im September 379), das etwa neun Monate nach dem Tod des Basilius (am 1. Januar 379) stattfand. Gregor macht nicht nur genaue Angaben über die dem Wiedersehen unmittelbar vorausgehenden Ereignisse, sondern er gibt sich auch Rechenschaft über sein letztes Zusammentreffen mit Makrina und stellt dabei fest, daß dieses bereits acht Jahre zurücklag. Die Genauigkeit dieser Angaben bildet den Auftakt zu einem sehr konzentrierten und kompositorisch sehr sorgfältig durchgestalteten Kapitel. Ähnlich wie in der "biographischen Erzählung" steht auch am Anfang der "Begegnung" ein rätselhafter Traum, diesmal ein Traum Gregors, der im Verlauf des Abschnitts entschlüs-

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seit wird und gleichzeitig schon vorausweist auf die Deutung der Begräbnisfeierlichkeiten. Rückblickend auf den Traum gelingt es Gregor, seine Schwester als Märtyrerin zu deuten und darzustellen. Zwei ausführlich wiedergegebene Gespräche zwischen Bruder und Schwester gliedern als weitere Strukturelemente den Text. Das erste findet kurz nach Gregors Ankunft in der Einsiedelei statt und dient ihm später als Grundlage für die Ausgestaltung seines Dialoges "de anima et resurrectione". In dieser Unterhaltung wird von Makrina das Beispiel des Hiob als Bewältigungshilfe für den gemeinsamen Schmerz über den Tod des Bruders Basilius herangezogen. Im zweiten Gespräch, das am selben Tag stattfindet, berichtet Makrina aus ihrer Erinnerung über die Großeltern, die Eltern und über ihr eigenes Schicksal. Sie beschließt ihr Leben mit dem Blick zurück auf Gottes bewahrendes und führendes Handeln, das sie auch in schweren Lebensschicksalen ihrer Vorfahren in allem wirksam sieht. Der Zweck und das Ziel dieser Erzählung liegen in "der Danksagung Gott gegenüber" (206). Bei der Beschreibung dieser beiden Gespräche legt Gregor großen Wert auf die bis aufs Äußerste gespannte Diskrepanz zwischen der körperlichen Erscheinung Makrinas - mit hohem Fieber sterbenskrank kann sie sich kaum noch erheben - und ihrer geistigen Wachheit und Beweglichkeit. Für einen modernen Leser mischen sich auch hier eine beschreibende Darstellungsform, in der äußere Ereignisse festgehalten werden ( physisches Aussehen Makrinas, Verlauf der Krankheit usw.) mit einer deutenden Sprache, die sich gängiger Topoi aus der asketischen Theologie bedient ( das asketische Leben als engelgleiches, Brautmystik usw.). Mit einem Gebet läßt Gregor von Nyssa sowohl diesen Abschnitt als auch Makrinas Leben enden. 76 Das sehr sorgfältig komponierte Sterbegebet enthält zahlreiche Anklänge an altkirchliche Sterbegebete und zählt zu den poetischen Meisterstücken unseres Autors. Die ganze Textpassage der "Begegnung" beeindruckt durch ihre Stringenz und Konzentration. Die Erzählung lenkt den

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Blick ausschließlich auf zwei Personen, um durch diese besondere Aufmerksamkeit das Gewicht der Gespräche zwischen den beiden Geschwistern zu unterstreichen. Der Leser wird nicht durch nebensächliche Mitteilungen von dem eigentlichen Geschehen abgelenkt. Nach dieser Beschränkung des Blicks auf die Hauptpersonen weitet sich das Interesse des Erzählers im nächsten Abschnitt D auf zahlreiche Personen: die Gruppe der Jungfrauen bricht in Klagen aus; das Volk strömt zur nächtlichen Totenfeier zusammen; bei der Beerdigung ist eine Schar von Priestern anwesend. Aus diesen Gruppen treten aber auch einzelne hervor, die namentlich genannt werden: die Witwe Vetiana und die Diakonisse Lampadion (246), die beide mit der Verstorbenen in klösterlicher Gemeinschaft lebten, und der Bischof von Ibora, Araxios, der den Trauerzug leitet (250). Die beiden schon genannten Frauen helfen Gregor bei der Bereitung des Leichnams für die Bestattung, wobei Vetiana ihn auf ein Kreuz und einen Ring mit einer Kreuzpartikel aufmerksam macht, die Makrina bei sich trug. Dieselbe Frau berichtet ihm von einem Selbstheilungswunder Makrinas, das auf ihr Gebet hin geschah. Damit weist dieser Passus schon voraus auf Abschnitt E und auf den Epilog F. Noch in derselben Nacht findet eine Totenfeier statt, die Gregor "wie ein Märtyrerfest" (248) vorkommt. Am nächsten Tag wird der Leichnam unter Psalmengesang von der Menge zur Begräbnisstätte in der Kirche der Vierzig Märtyrer in Sebaste^® geleitet. Im Grab der Eltern wird Makrina ihrem eigenen Wunsch entsprechend neben der Mutter bestattet. Der Wunderbericht in Abschnitt E hebt sich durch seine Kürze deutlich von den vorhergehenden drei Hauptkapiteln ab. Inhaltlich und formal weist dieser Bericht Ähnlichkeiten mit dem auf, den die Witwe Vetiana überlieferte. Beide Wunder schildert Gregor nicht aus eigener Anschauung, sondern läßt andere Personen zu Wort kommen. Während das erste Wunder in D eine Selbstheilung Makrinas war, handelt es sich

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hier um die Heilung eines augenkranken Mädchens. Auf der Rückreise nach der Beerdigung begegnet Gregor im pontischen Städtchen Sebastopolis einem hochgestellten Militär (256), der ihm von seinem Besuch mit Frau und Kind in Makrinas Kloster berichtet. Als Makrina die Augenkrankheit des Mädchens bemerkte, - der Text gibt eine medizinisch genaue Beschreibung: die Hornhaut an der Pupille hatte sich verdichtet, war weiß geworden und bot einen bemitleidenswerten Anblick (258) - versprach sie Besserung. Die Familie befand sich schon wieder auf dem Heimweg, als die Mutter die Heilung des Auges bemerkte. Dieses Wunder bezeichnete sie als " ή έκ των εύχων θεραπεία " (262) - eine Heilung durch die Gebete Makrinas. Im Epilog F weist Gregor zusammenfassend auf andere Wunder hin, die er jedoch nicht mehr erzählen will, um nicht bei einigen Lesern den Eindruck der Unglaubwürdigkeit zu erwecken. Er deutet den Inhalt dieser Wunder nur an: bei einer Hungersnot verringerte sich das Getreide nicht; weitere Krankenheilungen, Befreiungen von bösen Geistern und prophetische Gaben. Der Verfasser der Vita Macrinae spricht im letzten Satz den Wunsch aus, mit dem bisher Gesagten die Geschichte Makrinas vollständig wiedergegeben zu haben (266).

Nachdem in diesem Abschnitt versucht wurde, einen Überblick über die Vita als Ganzes zu geben, greifen wir im folgenden besonders wichtige Themenkomplexe heraus, die eingehender untersucht werden sollen. 3.2.

Makrinas Lebensweg

In diesem Kapitel soll vor allem Makrinas Weg zum asketischen Leben betrachtet werden, und das Kapitel endet dort, wo dieses Ziel erreicht ist. Das Leben der Frauengemeinschaft, mit der Makrina ihren Weg fortsetzt, wird in 4. beschrieben .

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Indem Gregor in der Vita Macrinae das Schicksal seiner Schwester gestaltet, legt er gleichzeitig einen exemplarischen Lebenslauf vor. Exemplarisch ist diese Biographie insofern, als sie den Weg einer Frau zum asketisch-monastischen Leben in allen Einzelschritten nachzeichnet. Bevor Makrina im Laufe ihres Lebens zu einer Persönlichkeit wurde, die prägenden Einfluß auf ihre Umgebung ausübte, erhielt sie selber Prägungen durch Menschen und durch ihre Umwelt. Neben den Einzelpersönlichkeiten, die Gregor als entscheidend wichtig für Makrina darstellt, müssen wir die allgemeinen Bedingungen des 4. Jahrhunderts im Auge behalten, über die Gregor von Nyssa nicht ausdrücklich reflektiert , da sie die selbstverständlichen Voraussetzungen seiner Zeit bilden. Zwei große Bewegungen und Aufbrüche, die die Spätantike einschneidend bestimmten, müssen hier genannt werden: während der Lebenszeit Makrinas nahm die staatliche Anerkennung und Förderung des Christentums Gestalt an und veränderte die Bedingungen des christlichen Lebens von Grund auf. An dem zweiten großen Aufbruch, der mönchisch-asketischen Bewegung, war Makrina selber beteiligt. Um ihre Gestalt deutlich werden zu lassen, muß sie vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen dargestellt werden. Die Frage, ob ihre Person und ihr Lebensentwurf uns heute noch ansprechen können und uns etwas zu sagen haben, kann erst dann beantwortet werden, wenn Makrina uns als an ihrem historischen Ort verankert vor Augen tritt. Makrina ist eingebunden in Traditionen, die ihren Weg entscheidend beeinflussen. Sie steht nicht geschichts1os am Beginn einer neuen Epoche, sondern das Neue, das sie wagt, die Gründung eines Frauenkonventes, hat seine Wurzeln in Vorläuferinnen und Wegweiserinnen, die von Gregor zu Beginn der "biographischen Erzählung" in Abschnitt B genannt werden. Noch bevor Gregor Makrinas Geburt schildert, führt er in den ersten Zeilen von B drei Frauengestalten an, die als Vorbilder und Leitmotive Makrinas Leben prägen werden (142-148). Gregors Deutung geschieht ja aus dem bereits gelebten Leben her, von rückwärts sozusagen, und er setzt

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nachträglich an den Lebensanfang mit der Auswahl dieser drei Personen sein Verständnis der Traditionen, die Makrina in sich vereint. Der Reihenfolge nach werden genannt: Makrina d.Ä., die Großmutter väterlicherseits, Emmelia, die Mutter Makrinas, und Thekla, die im 4. Jahrhundert als Vorbild des jungfräulichen Lebens angesehen wurde. Mit der Großmutter Makrina und mit Thekla wird gleichzeitig die Namensgebung des Kindes verbunden. Diese drei Frauen verkörpern verschiedene christliche Erfahrungen, die alle in Makrina wirksam werden und ihre Persönlichkeit formen. Makrina d.Ä. erlebte die letzten Christenverfolgungen zu Beginn des 4. Jahrhunderts und wurde in ihnen zur Bekennerin. Emmelia lebte eine Generation vor dem Durchbruch des Mönchtums und versuchte, die asketischen Tugenden des Christentums in ihr Ehe- und Familienleben zu integrieren. Thekla war eine Paulusschülerin, deren Geschichte in den apokryphen Apostelakten des 2. Jahrhunderts festgehalten wurde und die nach diesen Erzählungen als Wanderapostolin das Evangelium verkündigte und im Laufe der Zeit zum Vorbild aller Asketinnen umstilisiert wurde. Die Gestalt Theklas erweist sich für die Anfänge des weiblichen Mönchtums als so wichtig, daß ihr Abschnitt 5. dieser Arbeit gewidmet ist. Im Duktus dieses Kapitels werden nur die beiden leiblich Verwandten Makrinas behandelt. 3.2.1.

Makrinas Namen

Bei der Aufzählung der drei Frauen fällt auf, daß nur zwei von ihnen mit Namen genannt werden, Makrina d.Ä. und Thekla, während die Mutter Makrinas ohne ihren Eigennamen aufgeführt wird. Dies geschieht nicht zufällig so, denn gerade diese beiden Namen, den der Großmutter und den der Paulusschülerin, bekommt Makrina verliehen: den einen als öffentlichen Namen ( èv φανερφ τό δνομα .144), mit dem sie angeredet und gerufen wird, und den anderen als Geheimnamen ( δνομα τό κεκρυμμένον ,146). Der Geheimname Thekla wird der Mutter unter geheimnisvollen Umständen in einer Vision mitgeteilt. Gregor interpretiert dieses Ereignis

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so, daß der von der Erscheinung genannte Name nicht die Namensgebung der Mutter beeinflussen, sondern die Lebensausrichtung des noch nicht geborenen Kindes andeuten sollte (148). Diese Interpretation der Namensvision macht auf folgenden wichtigen Sachverhalt aufmerksam: Namen müssen als Symbol- und Sinnträger verstanden werden, deren Auswahl nicht zufällig geschah.77 Daß Makrina den Rufnamen ihrer Großmutter erhielt, ist ein in der Antike analog für männliche Fami 1ieng 1ieder häufig belegter Vorgang. 7ß Aus der Frühzeit des weiblichen Mönchtums und aus der Umgebung Makrinas kennen wir noch andere Paare von Großmutter und Enkelin mit 79 gleichem Namen: Paula d.Ä. und Paula d .J.; Melania d.Ä. und Melania d.J.; 80 Gorgonia d.Ä. und Gorgonia d.J. 81 Namen als Symbol- und Sinnträger lehnten sich, wie in christlichen Heiligenbiographien zu beobachten, oft an biblische Vorlagen an, so daß es ratsam erscheint, die Namensgebung Makrinas mit biblischen Vorlagen zu vergleichen. Zwei neutestament1iche Geschichten fallen durch ihre Ähnlichkeit ins Auge: die Erscheinung des Engels bei Zacharias, um die Geburt des Kindes anzukündigen und den Namen zu bestimmen (Lk 1,13.59-63) und die Erscheinung des Engels bei Maria mit der Aufforderung:"Du sollst seinen Namen Jesus nennen" (Lk 1,31). Bei beiden wird der vom Engel angegebene Name zum offiziellen Rufnamen, einen zweiten verborgenen Namen gibt es nicht. Während im lukanischen Bericht ausdrücklich von einem Engel die Rede ist, wird in der Vita Macrinae eine Gestalt von übermenschlicher Erscheinung und Schönheit (146) beschrieben, die jedoch kaum anders als ein Engel gedeutet werden kann. Der Zeitpunkt der übernatürlichen Erscheinung unterscheidet sich voneinander: bei Elisabeth und Maria wird das Kind erst angekündigt, Makrinas Mutter steht unmittelbar vor der Geburt ihres ersten Kindes. In allen drei Fällen gemeinsam handelt es sich um die Geburt des ersten Kindes, dessen herausragender Lebenslauf von besonderen Umständen vor und während der Geburt begleitet o2 wird. Die wunderhaften Züge werden in der Vita anders zum

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Ausdruck gebracht als im neutestament1ichen Bericht. Um die Geburt Jesu und die des Johannes anzukündigen, erscheint ein direkter Bote Gottes, Makrinas Mutter erwacht nach der Erscheinung vom Schlaf und stellt fest, daß sie einen Traum ( τό ένύπνιον ,146) gehabt hat. Diese realistische Darstellungsweise wird jedoch dadurch wieder symbolisch überhöht, daß die Erscheinung sich dreimal wiederholte. Wie ist nun die doppelte Benennung, für die es kein direktes neutestament1iches Vorbild gibt, zu interpretieren? 83 F. van der Meer/G. Bartelink machen darauf aufmerksam, daß Thekla ein typisch christlicher Name sei, Makrina dagegen nicht. Man muß an dieser Stelle festhalten, daß Makrina von Anfang an beide Namen trägt, den christlichen "Thekla" und den nichtchristlichen "Makrina". Wenn es darum gegangen wäre, das Kind mit einem christlichen Namen zu belegen, hätte "Thekla" ausgereicht. Dieser zweite Name ist weder ein Rufname noch ein zu Beginn des asketisch-monastischen Lebens verliehener, denn er steht schon vor der Geburt fest. Allenfalls kann in diesem Bericht ein erstes Anzeichen für die später üblich werdende Praxis,beim Ablegen der monastischen Gelübde einen neuen Namen zu verleihen, gesehen werQC den. Denn Gregor versteht den Geheimnamen ja ausdrücklich als Hinweis auf Makrinas Lebensausrichtung. Als Interpretationsmodell möchte ich auf das bei Basilius von Caesarea ausgeprägte Denkschema von "öffentlich" und "geheim" hinweisen. Basilius entwickelt dieses Modell in Q£ seiner Schrift "De Spiritu Sancto" zur Auseinandersetzung in den trinitätstheologischen Streitigkeiten seiner Zeit. Die Tradition der Kirche wird von ihm nach κήρυγμα und δόγμα unterschieden, wobei der Inhalt des Kerygma öffentlich verkündet wird, während der Inhalt des Dogma der Verschwiegenheit angehört. Nicht mit dem späteren Begriff des Lehrdogmas zu vergleichen, umfaßt das Dogma bei Basilius gerade das, was nicht der Öffentlichkeit preisgegeben wird. So gehören z.B. liturgische Bräuche zum Dogma. 87 Das Dogma wurde mündlich von der Zeit der Apostel an unter den Eingeweihten έν τφ κεκρύμμένψ weitergegeben.

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An mehreren Punkten weisen das Denkmodell Gregors in bezug auf die Namen Makrinas und das Denkmodell des Basilius in bezug auf "Kerygma" und "Dogma" Ähnlichkeiten auf: Das Öffentliche und das Geheime gehören von Anfang an zusammen. Das Geheime bzw. das Verborgene - bei Basilius das Dogma, bei Gregor der Name Thekla - ist für einen Kreis von Eingeweihten zugänglich, dem es hilft, die Tradition zu entschlüsseln. Makrinas Mutter und auch Gregor kannten den Geheimnamen Makrinas, und in der Vita gibt Gregor ihn der Öffentlichkeit preis, genauso wie Basilius sich schriftlichöffentlich über die verborgene,nicht-schriftliche Tradition des Dogmas äußert. Die Heranziehung dieser von Basilius entwickelten Denkweise mit der auffälligen Verwendung desselben Wortes κεκρυμμένος ermöglicht uns ein der Entstehungszeit der Vita angemessenes Verständnis der Doppe1bennenung Makrinas. Wir dürfen heute nicht logisch auseinanderzerren, was auf einer symbolischen Verstehens- und Deutungsebene zusammengehört. 3.2.2.

Makrina d.Ä.

Wir wollen nun auf die Namenspatronin für Makrinas offiziellen Namen eingehen. Basilius schreibt von ihr als seiner "berühmten" Großmutter. 89 Aus dem Wenigen, was wir über sie wissen, geht hervor, daß Makrina d.Ä. eine bedeutende Frau war. Sie stammte aus Neocaesarea im Pontus, verbrachte 90 dort einen Großteil ihres Lebens und starb um 340. Gregor von Nyssa führt sie in Abschnitt B der Vita mit den Worten ein, daß "sie in der Zeit der Verfolgungen durch Bekenntnisse für Christus ( ταΐς imep ΧριστοΟ όμολογίαις ) gekämpft hat" (142,144). Makrina d.J. erinnert sich in ihrem Rückblick in Abschnitt C daran, daß "den Eltern des Vaters wegen ihres Bekenntnisses für Christus ( τήν είς Χριστόν όμολογίαν ) das Vermögen eingezogen wurde" (206). - Die Konfiskation des Besitzes war zur Zeit der staatlichen Verfol91 gungen eine übliche Maßnahme gegen reiche Christen.

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Aus der Grabrede Gregors von Nazianz auf Basilius von 92 Caesarea erfahren wir Einzelheiten über diese Christenverfolgung, von der in der heutigen Forschung angenommen wird, daß es sich um diejenige unter Maximinus Daja handelte, die Q*3 von 306 bis 313 dauerte. Makrina d.Ä. floh vor den Verfolgungen mit ihrer Familie in die Pontischen Gebirgswä1der und verbrachte dort sieben Jahre unter freiem Himmel in Kälte, Hitze und Regen. Gregor von Nazianz unterstreicht nachdrücklich, wie beschwerlich diese Lebensbedingungen für diejenigen waren,"die gewohnt waren, von vielen bedient zu weroi den." Für Makrina d.A. ergab sich dieser Lebensstil aus der Notlage der Verfolgung, ihre Enkel wählten zwei Generationen später eine ganz ähnliche Lebensweise freiwillig unter asketischem Vorzeichen. Beide aus der Vita zitierten Textstellen sprechen von einer όμολογία für Christus. Das Bekenntnis zu Christus konnte in den Zeiten der Verfolgung der Christen durch den Staat lebensbedrohliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wer sich jedoch öffentlich zum christlichen Glauben bekannte, erntete bei den Gleichgesinnten Achtung und Verehrung. Wie aus schriftlichen Quellen der Verfolgungszeiten hervorgeht, waren Frauen von den staatlichen Maßnahmen genauso betroffen wie Männer, viele Namen von Märtyrerinnen sind uns überfert. Euseb berichtet z.B in seiner Kirchengeschichte: "Die Frauen waren nicht· weniger als die Männer durch die Lehre des göttlichen Logos (männlich)^ stark geworden; die einen, denselben Kämpfen unterworfen wie die Männer, gewannen die gleichen Kampfpreise derTugend; die anderen, wenn sie zur Schändung fortgeschleppt wurden, übergaben eher ihre Seele dem Tod als den Körper der Schändung." 97 Klaus Thraede macht auf eine bezeichnende Diskrepanz zwischen der Gleichheit von Männern und Frauen im Leiden und der nachträglichen unterschiedlichen kirchlichen Wertung dieser Leidenserfahrungen aufmerksam :"a 1s sich der Ausdruck confessor als offiziöse Bezeichnung der Christen herausschält, die um Christi willen gelitten haben (durch Kerker, Folter, Verbannung, Konfiskation), jedoch mit dem Leben davongekommen sind, gehören Frauen nicht dazu!"^®

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Einer der Gründe für diese unterschiedliche Behandlung liegt darin, daß die männlichen confessores Anspruch auf ein kirchliches Amt hatten - diesen Anspruch konnten Frauen nicht geltend machen. Mit dem Aufbruch des Mönchtums erhebt sich erneut die Fra ge nach Charisma und Amt. Im frühen Mönchtum zählten keine 99 kirchlichen Weihen und Ämter, sondern die Geistbegabung. In einer Familie, die sich ganz dem Mönchtum widmet und der Geisterfahrung öffnet, zählt nicht die offizielle kirchliche Anerkennung und Wertung, sondern das Gedächtnis einer Frau als Bekennerin wird in hohen Ehren gehalten, da das Bekenntnis für Christus nur als vom Geist gewirkt verstanden werden kann. Hier zeigt sich eine mündliche verborgene Tradition wirksam, die unter Eingeweihten lebendig erhalten wurde Der zweite Grund für die hohe Verehrung, die Makrina d.Ä. in ihrer Familie zuteil wurde, liegt darin, daß sie eine Schülerin des Gregor Thaumaturgos (ca. 213-270/75) war. Gregor Thaumaturgos, aus einer heidnischen Familie in Neocaesarea stammend, erhielt fünf Jahre lang Unterricht bei Origenes in Caesarea (Palästina) und,als Bischof zurückgekehrt, missionierte er das noch fastvvöllig heidnische Pontusgebiet.^^ Makrina d.Ä. übermittelte ihrer Familie die Worte und Lehren dieses Bischofs, die sie aus der mündlichen Tra1η 1 dition bewahrt hatte. Basilius zählt den Thaumaturgen zu 102 seinen "geistlichen Vätern, die im Anfang die Kirche" gegründet haben und beruft sich auf ihn als Autorität bei den Streitigkeiten um die Anrufung des Heiligen Geistes in sei103 ner Schrift "De Spiritu Sancto". Die Grundlagen für diese Berufung lieferte ihm seine Großmutter Makrina, von der er erzogen wurde und bei der er viele Jahre in Neocaesarea verbrachte. Gregor von Nyssa verfaßte eine Vita über Gre1nc gor Thaumaturgos, die sich aus der mündlichen Überlieferung der Großmutter speist. Makrina d.Ä. gilt ihrer Familie als vollgültige und glaub würdige Zeugin für das Leben und die Lehre dieses für den ganzen Osten so wichtigen Kirchenlehrers, des Thaumaturgen.

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3.2.3.

Emmelia

Die zweite der von Gregor von Nyssa zu Beginn der Vita genannten Frauen ist die Mutter Makrinas, E m m e l i a . D i e Art, wie Gregor sie darstellt, klingt wie eine Begründung dafür, daß sie wegen ihres Lebensstiles würdig war, eine Traumerscheinung zu erhalten. Der Bericht über die Erscheinung ( έπιφάνεια > 144) wird unterbrochen durch Angaben zu Emmelias Biographie. Zunächst erfahren wir über sie, daß sie ihr Leben "nach der Tugend" und "nach dem Willen Gottes" (144) ausrichtete. Sie hatte nicht freiwillig geheiratet, sondern hätte lieber ein "reines und unbeflecktes Leben" ( τήν καθαράν τε καί άκηλίδωτον του βίου διαγωγήν , 144) gewählt. Die äußeren Umstände zwangen sie jedoch zur Entscheidung für die Ehe: Emmelia war Waise und brauchte einen "Beschützer für ihr eigenes Leben" (144), da sie von einer Entführung bedroht war. So wählte sie sich ( έλομένη 144) einen ihr angenehmen Ehepartner. Die Wahl fiel auf Basilius d.Ä., einen Rhetor aus K a p p a d o k i e n . A u s den Ausführungen Gregors kann man fast den Eindruck gewinnen, als ob er seine Mutter dafür entschuldigen möchte, daß sie geheiratet hat. Über die Eltern Emmelias ist nichts weiter bekannt, als daß ihr Vater sein Leben durch kaiserliche Ungnade verlor und sein Besitz verteilt wurde (206). Gregor von Nazianz berichtet in der schon erwähnten Grabrede auf Basilius, daß Emmelia aus einem berühmten kappadokisehen Geschlecht stammte, das sich durch Macht, Ansehen beim Kaiser und seiner Um108 gebung, führende Positionen und großen Besitz auszeichnete. Gemeinsam praktizierten Basilius d.Ä. und Emmelia christliche Nächstenliebe: sie unterstützten Arme, nahmen Fremde auf, übten Enthaltsamkeit ( έγκράτεια ) und verteilten ihren Besitz. Sie pflegten als "Weltleute" asketische Tugenden, die dann von ihren Kindern in radikalerer Interpretation weitergeführt wurden.1®^ Nach dem Tod Basilius d.A. um 340 110 - er starb kurz vor der Geburt des jüngsten Sohnes Petrus, des späteren Bischofs von Sebaste (182) - widmete sich Emmelia ganz der Erziehung

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ihrer Kinder, sie regelte die finanziellen Verhältnisse, zahlte die Abgaben für die umfangreichen Ländereien und sorgte für die Verteilung des Erbes unter ihren neun Kindern. Unter dem Einfluß ihrer ältesten Tochter schloß sie sich deren asketischem Lebensstil an und siedelte mit in die Pontus-Einsiedelei über. Schlichtweg falsch ist es, wenn es im "Lexikon der Namen und Heiligen" von Otto Wimmer/Hartmann Melzer heißt: "Als ihr Gemahl 330 starb, ging sie mit ihrer ältesten Tochter Makrina in ein Kloster zu Neocäsarea in Kappadokien"!^ Genausowenig ist es richtig, daß sie in "diesem Kloster" im selben Grab mit ihren Eltern beigesetzt 112 wurde. Emmelia wurde an der Seite ihres Mannes in der Kir113 che der 40 Märtyrer zu Sebaste begraben. Sie starb um 370 im von Makrina gegründeten Frauenkloster in der Gegenwart 114 Makrinas und des jüngsten Sohnes Petrus (184,186). Beide eben geschilderten Frauen werden in den orthodoxen 115 Ostkirchen als Heilige verehrt, Makrina d.A. am 14. Januar 1 1 fi und Emmelia am 30. Mai. Dem kirchlichen Glaubensbewußtsein sind sie gegenwärtig geblieben, da an den Gedächtnistagen ihre Namen in den Gottesdiensten bis heute erwähnt werden. Dem wissenschaftlichen Gedächtnis dagegen sind sie entschwunden. Die Erforschung der Glaubensvermittlung in der Spätantike beschäftigt sich in der Regel mit bedeutsamen Bischöfen, Märtyrern und Kirchenvätern, die dem Leben der christlichen Gemeinden ihrer Zeit den Stempel aufdrückten. Vernachlässigt wird dabei, daß eine solche Glaubensvermittlung - wie hier am Beispiel der Makrina d.Ä. gezeigt wurde - auch über einen langen Zeitraum hinweg durch Frauentradition geschehen konnte. In dieser Familie konnten wir drei Generationen verfolgen, in denen jeweils die Frauen den christlichen Glauben vorlebten und vermittelten. Makrina d.Ä. und Emmelia überragen im Gedächtnis der Nachkommen ihre Ehemänner weit an Bedeutung. Die Geschichte der Mütter und Schwestern muß erst noch geschrieben werden. Dahinein gehören, um nur einige zu nennen: Monnica, die Mutter Augustins;^^ Nonna, die Mutter Gregors 1 1 ft 1 1ο von Nazianz; die Mutter des Theodoret von Cyrus; die 120 namenlosen Schwestern des Antonius und des Johannes Cas

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Sian, 121

3.2.4.

Kindheit und Ausbildung

Die Kindheit 122 Makrinas schildert Gregor als die Zeit der Ausbildung der geistigen und manuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hier werden die Grundlagen für die spätere Lebensentscheidung gelegt. Der Biograph unserer Heiligen macht deutlich, daß der Entschluß für ein asketisches Leben einer vorhergehenden Entwicklung und Ausbildung bedarf und sich allmählich herauskristallisiert. Für das monastische Ideal der Kappadokier scheint Bildung in einem gewissen Maß eine unabdingbare Voraussetzung zu sein -^anz anders dagegen das Konzept der ägyptischen Wüstenväter. Sowohl der Unterricht als auch die früheste Kindheit sind geprägt von der sozialen Schicht der Aristokratie. Betreuung und Ernährung der Kinder durch eine Amme war in der Spätantike kennzeichnend für die reiche Bevölkerungsschicht, wie Joëlle Beaucamp in ihrer Untersuchung "L'allaitement: mère ou nourrice?" herausgearbeitet hat. 124 Obwohl für Makrina eine eigene Amme ( τιθήνη , 148) zur Verfügung stand, übernahm doch häufig die Mutter die Ernährung ihrer Tochter. Zieht man zum Vergleich die Berichte über die früheste Kindheit der übrigen Geschwister heran, so ergibt sich der Eindruck, daß die Versorgung durch die eigene Mutter eine Ausnahme war und deshalb vom Autor der Vita eigens hervorgehoben wurde. Den jüngsten Sohn Petrus stillte eine Amme, und sobald die Stillzeit beendet war, übernahm Makrina seine Pflege und Erziehung (182) Basilius erwähnt in zwei Briefen seinen σύντροφος , mit dem zusammen er von derselben Amme ernährt wurde. 125 Soweit die Biographie der Geschwister Makrinas bekannt ist, ergibt sich zur Ausbildung folgendes Bild: Basilius und Naukra tius studierten an öffentlichen Schulen und Universitäten, um den Beruf des Rhetors zu erlernen, Petrus dagegen erhielt seine Erziehung zuhause durch die älteste Schwester und Gregor er

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1?fi hielt sowohl häuslichen als auch öffentlichen Unterricht. Makrina unterrichtete Petrus in den "heiligen Wissenschaften" und vermittelte ihm die "höhere Bildung" (182). Makrina selber erhielt ihren Unterricht zuhause durch die Mutter. Über den Unterricht und die Erziehung der Mädchen in der Spätantike ist so wenig bekannt, daß wir nur schwer beurteilen können, ob Makrinas Erziehung eine für Frauen typische war. In byzantinischer Zeit läßt sich der häusliche Unterricht als typisches Merkmal der Mädchenerziehung beobachten. José Grosdidier de Matons schreibt dazu :"jamais, dans les textes relatifs à l'éducation des enfants, il n'est questions d'écoles de filles ou de filles allant à l'école, aussi le niveau moyen de leur culture semble-t-il être resté fort bas."127 Obwohl sich bereits im Neuen Testament Tendenzen bemerkbar machten, den Lernwillen der Frauen möglichst auf das Haus einzuschränken (1 Kor 14,35), gab es doch im Christentum Frauen, die als Schülerinnen in der Öffentlichkeit sichtbar wurden. Die Lehrtätigkeit des Origenes in Alexandrien und Caesarea war ja zweifellos eine öffentliche, wenn sie auch nicht den Charakter einer fest institutionalisierten 128 Schule trug. Euseb berichtet in seiner Kirchengeschichte über Frauen im Schülerkreis des Origenes 129 und nennt zwei von ihnen mit Namen: Potamiäna 1 3 0 und Herais. 131 Makrinas Unterrichtsstoff bilden Teile der Bibel, vor allem die Weisheit Salomonis 1 32 und die Psalmen. Diese Auswahl begründet sich durch das Erziehungsziel, das nicht umfassendes Wissen anstrebt, sondern das "sittlich-moralische Leben" (150) fördern soll. Aus diesem Grund fallen die heidnisch-antiken Dichterwerke als Lern- und Lehrstoff aus, sie werden sogar mit einer ausdrücklichen Begründung abgelehnt. 133 Die "Enkyklios Paideia" (Ί48) und die biblischen Bücher werden einander als sich ausschließend gegenübergestellt. Nach dem gleichen Vorbild erzieht Makrina später ihren Brué der Petrus, von dem es heißt, daß er die außerchristliche Bildung verachtet (182).

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Die Einschätzung des antiken Bildungsgutes war bei den Kappadokiern nicht einheitlich und auch nicht ganz eindeutig. Seine "Mahnrede an die Jugend über den nützlichen Gebrauch der heidnischen Literatur" richtet Basilius an seine Neffen, denen er das Lesen dieser Schriften in Auswahl empfiehlt.^^ Beruht es nur auf einem Zufall, daß Basilius sich mit dieser Mahnrede an seine männlichen Verwandten richtet und keine weiblichen Leserinnen berücksichtigt? Galten das Kennenlernen und der Gebrauch der antiken Literatur nur für Männer, nicht aber für Frauen als erstrebenswert? Oder wirkt sich in Makrinas ablehnender Haltung das monastische Erziehungs- und Bildungsideal aus? Vielleicht müssen beide Faktoren auch in ihrem Zusammenwirken berücksichtigt werden. Ein Blick auf das monastische Erziehungskonzept, das Basilius in seinen Klosterregeln entfaltet, weist deutliche Ähnlichkeiten mit der Erziehung Makrinas auf. Die Kinder, die in einer Klostergemeinschaft aufwachsen, sowohl Mädchen als auch Jungen, sollen schulischen Unterricht erhalten und in die Heiligen Schriften eingeführt werden, vor allem in das "Buch der Sprüche" (Proverbia). Heinrich Bacht erklärt die Beliebtheit der Proverbia im alten Mönchtum damit, "daß dort vorgeprägte Lebensmaximen zu finden waren, auf die man 1oc gerne zurückgriff." Der Psalter, mit dem Makrina sich beschäftigte, wurde sowohl im Osten als im Westen die Grundlage des monastischen Stundengebetes. Seine Beliebtheit läßt sich in allen Gebieten des Mönchtums beobachten. 1 37 Schon vor der Entstehung des Mönchtums spielten die Psalmen sowohl für das Leben der christlichen Gemeinden als auch in der theologischen Literatur eine wichtige Rolle. 138 Daß Makrina lesen und schreiben lernte, geht aus der Vita nicht eindeutig hervor, kann jedoch mit einiger Wahrschein1OQ lichkeit angenommen werden. Sie war jedenfalls in der Lage, sich die Psalmen anzueignen und diese "durchzugehen" (150). Unter diesem "Durchgehen" muß eine Art von Meditation 140 oder Rezitation verstanden werden, die entweder die

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Fähigkeit des Lesens voraussetzte oder die auf dem Auswendigwissen der Texte beruhte. Die letzten Sätze dieses Absatzes der Vita klingen wie die Beschreibung eines klösterlichen Tagesablaufes: alle Tätigkeiten Makrinas, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, werden vom stetigen Psalmengesang begleitet (150). 3.2.5.

Spinnen - die typische Frauenarbeit

Neben der geistigen Ausbildung erhält Makrina eine praktische: sie lernt die Wol1Verarbeitung. »Εριουργία (152) ist in der Spätantike kein Zeitvertreib beschäftigungsloser Damen, sondern die in jedem Haushalt notwendige Arbeit zur Herstellung der Kleidung. Spinnen und Weben bilden Arbeitsgänge bei der Wol lzubereitung. Um die Bedeutung dieses Ausbildungsganges bei Makrina zu verstehen, müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden: zum einen die Bedeutung der Handarbeit für die Aristokratie und zum anderen die Wertung der Handarbeit im frühen Mönchtum. Makrinas Familie gehörte zur Gruppe der Großgrundbesitzer, die die tägliche Hausarbeit durch Sklaven verrichten ließ. Die Notiz Gregors in der Vita, daß seine Mutter an drei Archonten Abgaben zahlen mußte (158,160), vermittelt uns eine Vorstellung vom unermeßlichen Reichtum der Familie. Im Hinblick auf die Bewirtschaftung ihrer Güter übten die Großgrundbesitzer "nur eine Leitungstätigkeit aus, die sie später auch noch ihren Beauftragten übertrugen, um sich selbst, frei von jeglichem Zwang der Arbeit ..., ganz der Muße zu überlassen, die sie für ihren eigentlichen Lebenszweck ansa1d 1 hen." "Das Glück der Muße besteht nicht in Untätigkeit, 142 sondern im Freisein von Erwerbstätigkeit." Bei allen Mitglieder der uns hier beschäftigenden kappadokischen Großgrundbesitzerfamilie, die sich zum Mönchtum bekehren, fällt die Bedeutung und Betonung der Handarbeit auf. Nachdem Makrina sich für ein asketisches Leben entschieden hat, backt sie oft mit ihren eigenen Händer der Mutter das Brot (158). Sie übernimmt damit eine Arbeit, die traditionell

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von Sklaven verrichtet wurde. Makrina und ihre Mutter entschließen sich ausdrücklich, sich nicht mehr bedienen zu lassen (164), d.h. daß sie die notwendigen Arbeiten selber übernehmen. In der von Makrina gegründeten Frauengemeinschaft, die ehemals Herrschende und ehemals Dienende umfaßte, wird großer Wert darauf gelegt, daß kein Rangunterschied mehr besteht, daß "Tisch und Bett und alles, was zum Leben dazugehört" (176) geteilt werden. Der Umbruch im Leben des Basilius vom berühmten Rhetor zum Christen und Mönch macht sich daran bemerkbar, daß er seinen Beruf aufgibt, genauso den Besitz und sich zu einem mit eigenen Händen tätigen Leben bekehrt ( πρός τόν έργατικόν τούτον καί άυτόχειρα β£ον ,162).^4 Naukratius, der einen ähnlichen Ausbildungsgang wie Basilius absolviert hatte, zog sich ebenfalls zu einem einsamen und besitzlosen Leben zurück (166). Wieder fällt die Betonung der Arbeit mit den eigenen Händen auf: eigenhändig bediente Naukratius zwei alte Greise, indem er ihnen durch Jagd und Fischfang Nahrung verschaffte (168). Was er früher als Mitglied der Aristokratie von Dienern und Sklaven erwarten konnte, die θεραπεία , führt er nun selber an anderen aus. Ein weiteres Wort beleuchtet kennzeichnend den Wandel: seine Tätigkeit wird als Ασχολία (168) bezeichnet, als Unmuße. Naukratius hat sich von dem Ideal der Herrschenden, der Muße, abgewandt und praktiziert nun das völlig Entgegengesetzte, er verzichtet auf die mit seiner Herkunft verbundenen Privilegien. Die Hinwendung zur Handarbeit kennzeichnet nicht nur den Beginn des monastischen Lebens, sondern sie bleibt ein wesentliches Kennzeichen des kappadokisehen Mönchtums. Im Rückblick auf ihr Leben hält Makrina fest, daß sie nie aufgehört habe, "mit den Händen nach dem Gebot zu arbeiten" (208). 145 Ihre Stellung als Leiterin des Frauenklosters am Iris hatte keine Sonderstellung zur Folge, die sie von der Hand- und Hausarbeit befreit hätte. Das Thema "Mönchtum und Arbeit" hat Hermann Dörries 1931 einer Untersuchung unterzogen. 146 Verschiedene Einstellungen

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lassen sich zur Arbeit beobachten :"Den Anfängen des Eremiten147 turns ist sie fremd." Das beständige Gebet und die Ausrichtung auf Gott stehen im Vordergrund. Im Apophthegma Antonius 148 1 zeichnet sich die Erfahrung ab, daß Handarbeit eine 14 9 Hilfe gegen die Akedia bildet, die durch Überforderung entstehen kann. Die Antonius von dem Engel gezeigte Arbeit, das Flechten eines Seiles, wird die am häufigsten bei den Eremiten zu findende Art von Handarbeit. Später gesellt sich als Begründung der Arbeit das Motiv der Nächstenliebe und Barmherzigkeit hinzu: wer mit seiner Handarbeit Gewinn erwirtschaftet, kann anderen Almosen geben. Die Bilanz, die Abbas Pambo kurz vor seinem Tod zieht, klingt ähnlich wie die Makrinas :"Seitdem ich an diesen Ort in der Wüste gekommen bin und mir das Keilion erbaut habe, erinnere ich mich nicht, weder Brot gegessen zu haben, das ich nicht durch Handarbeit erworben hatte, noch empfinde ich Reue über ein Wort, das ich gesprochen habe, bis zu dieser Stunde." 150 Basilius befaßt sich in seinen Regeln mit dem Thema der 15 1 Arbeit und betont die Pflicht zum Arbeiten. In LR 38 zählt Basilius verschiedene Handwerke auf, die ihm für ein Kloster nützlich und sinnvoll erscheinen: Weben, Schuhemachen, Bau-, Schreiner- und Schmiedehandwerk, Landarbeit. Arbeiten, die Lärm verursachen, werden zurückgewiesen. Makrina lernt in ihrer Jugend die Wollzubereitung, das lanificium - die typische Frauenarbeit.152 Den Anteil der Frau "an der wirtschaftlichen Seite des Ehelebens bezeichnet von Syrien bis Rom, bei hoch und niedrig, das 'lanam fecit', mit dem die Grabinschrift ... die Beschreibung eines Frauendaseins beschließt". 1 53 Philo von Alexandrien schreibt der Frau Spinnen und Weben vor, 1 54 die syrische Didascalia will die Frauen mit Wolle und Spindel sehen. 155 Gregor von Nazianz erteilt der Konstantinoplerin Olympias den Rat, am Webstuhl zu bleiben, Wolle zu spinnen und die Außenwelt dem Mann zu überlassen. 156 Frauen der Oberschicht übten in großen Haushalten oft nur noch die Aufsicht über das Spinnen. "Im Rahmen der Hauswirtschaft war es hauptsächlich Arbeit der Sklavinnen, denen man Rohwolle für das geforderte

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tägliche Arbeitsquantum (pensum) zuwog." Während im frühen Mönchtum das Weben auch als Handarbeit 1CO bei Mönchen vorkommt, bleibt das Spinnen ausschließlich 159 den Frauen Vorbehalten. Theodoret von Cyrus berichtet von syrischen Asketinnen, die Wolle spinnen.'*®® Alexandra, eine Inklusin aus Alexandrien, verbringt ihre Zeit mit Beten und 1 ft 1 Leinen spinnen ( νήθουσα τό λίνον ). Piamun, die in einem Dorf in der Nähe des Nils als Asketin lebt, spinnt eben1 fi ? falls Leinen ( νήθουσα λίνον ). Auch die von den Römerinnen gegründeten Frauenklöster in Bethlehem stellen Wo 11 arbeiten her. "Ihre Hauptbeschäftigung bestand im Spinnen, Weben und Nähen von Gewändern, die sie für sich und für die 1fio Armen anfertigten." Eine der Regeln des Basilius beschäf1 fi tigt sich mit der Schwester, "der die Wolle anvertraut ist." Allerdings erfahren wir aus dieser Bestimmung keine Einzelheiten über die Arbeitsvorgänge. 165 Spinnen war nicht nur die Beschäftigung "ehrbarer" Frauen und Asketinnen, auch Prostituierte waren z.T. darauf angewiesen, sich ihren Lebensunterhalt durch Spinnen zu verdienen.*®® Als Maria Aegyptiaca das Schiff nach Palästina betritt, wirft sie ihre Spindel ( τήν ήλεκάτην ), die sie bei sich trug, ins Meer.*®^ Nicht nur in Antike und Spätantike, auch noch in byzantinischer Zeit bewahrt sich diese traditionelle Frauenarbeit. Angeliki Laiou schreibt über das 11. Jahrhundert :"Within the household, the model occupation for a woman was spinning, 1fio weaving, and making cloth." In ihrer Kindheit hat Makrina s’.ch die Fähigkeiten erwerben können, die sie als erwachsene Frau in die Lage versetzen, ein Frauenkloster zu gründen. Am Ende ihrer Kindheit, im heiratsfähigen Alter von 12 Jahren, tritt Makrina als selbständig handelnde Person auf, die eigene Entscheidungen fällt, die im folgenden dargestellt werden sollen.

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3.2.6.

Verlobung

Das Alter von 12 Jahren bildete für Mädchen die Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenen 1eben. Dieser von Gregor markierte Einschnitt entspricht den Vorstellungen und Bräuchen seiner Zeit. Nach römischem Recht wird das Mädchen mit 1C Q 12, der Junge mit 14 Jahren mündig und damit heiratsfähig. Die Justinianische Gesetzgebung bestätigte diese Festsetzung, und so wurden auch in Byzanz Mädchen im allgemeinen mit 12 oder 13 Jahren verheiratet.^^ Bei den Männern lag das Heiratsalter etwas höher: der für Makrina ausgesuchte Heiratskandidat hat seine schulische Ausbildung beendet und steht gerade am Beginn seiner Beruf s 1aufbahn (154)· Als Rhetor verteidigt er die unschuldig Angeklagten in den Prozessen. Von Basilius wissen wir, daß er mit etwa 25 Jahren in seinem Beruf als Rhetor tätig wurde. 171 Für den Bruder der Synkletike, einer ägyptischen Asketin, bereiten die Eltern die Hochzeit vor, als dieser das 25. Lebensjahr erreicht hat. 1 72 Aufgrund dieser Notizen wird man davon ausgehen können, daß auch Makrinas Bräutigam etwa 25 Jahre alt gewesen ist. Das in der Vita geschilderte Vorhaben ist noch keine Eheschließung, sondern erst die Vorbereitung dafür; ob ein regelrechter Ehevertrag geschlossen wurde, geht aus dem Bericht Gregors nicht hervor. Makrinas Ehe soll erst dann vollzogen werden, "wenn das Alter erreicht ist" (154). Da das in den offiziellen Gesetzestexten geforderte Mindestalter von 12 Jahren bei Makrina ja schon gegeben ist, muß hier eine andere Vorstellung der Mündigkeit zugrunde liegen. Basilius geht in einem Brief auf die Altersfrage bei der Ablegung des Jungfräulichkeitsgelübdes ( όμολογία xfie παρθενίας ) ein. In der Tragweite für das weitere Leben sind beide Entscheidungen - für die Ehe oder für die Jungfräulichkeit - miteinander vergleichbar. Kinder können nach der Ansicht des Basilius solche Entscheidungen nicht treffen, deswegen hält er das Alter von 16 oder 17 Jahren für erfordert ich, damit die Bewerberin "Herrin ihrer Entscheidungen ist" ( κυρίαν οδσαν xöv λογισμών ). 173

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Die in der Vita Macrinae zu beobachtende zeitliche Trennung zwischen Verlobung und Eheschließung verliert sich seit der frühbyzantinischen Zeit, so "daß die Verlobung von der Kirche immer mehr in ihren Folgerungen der Ehe selbst angeglichen wird. Die Synode von Trullo betrachtet die Vermählung mit der Verlobten eines anderen als Ehebruch (can. 98).1,174 Während der ersten Phase des Eheschließungsprojektes bleibt Makrina ganz im Hintergrund. Der durch ihre Schönheit angelockte Schwarm von Freiern wendet sich an ihre Eltern (152). Der Vater wählt von diesen einen aus, der folgenden Kriterien entspricht: der junge Mann stammt aus einem angesehenen Elternhaus und ist bekannt wegen seiner σωφροσύνη (152), eine der vier Kardina 1tugenden, die im 4. Jahrhundert schon häufig eine asketische Bedeutung erhalten hat und mit "Keuschheit" übersetzt werden kann. 1 75 Die Berufserfolge des Heiratskandidaten werden für den Vater Makrinas als Brautgeschenk ( Εδνα ,154) betrachtet. Erst als sich durch den plötzlichen Tod des jungen Mannes die Lage schlagartig ändert, tritt Makrina in Erscheinung. Nun ist sie es selber, die ihren weiteren Weg deutlich bestimmt. Den ersten Heiratskandidaten hatte der Vater ihr festgesetzt (156), nach dessen Tod machen die Eltern ihrer Tochter Vorschläge und versuchen, sie zu überreden, aber ohne Erfolg. "Sie nannte die Entscheidung des Vaters Ehe, als ob das Beschlossene sich ereignet habe" (154), d.h. Makrina betrachtet sich als Witwe. Die kirchlichen Satzungen ihrer Zeit waren stark darum bemüht, das einmalige Heiraten zu propagieren und belegten alle weiteren Eheschließungen mit kirchlichen Strafen. Bei der hohen Sterblichkeitsrate bedeutete dies für viele Christen ein frühes unfreiwilliges Witwenbzw. Witwerdasein. Basilius nennt in seinem Brief an Amphilochius von Ikonium als Strafe für die zweite Heirat eine ein- oder zweijährige Ausschließung aus der Kirchengemeinschaft. 17^ Der Konflikt zwischen Eltern und Tochter in bezug auf Makrinas Zukunft scheint nicht heftig gewesen zu sein, denn

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Makrina kann sich ohne größere Schwierigkeiten durchsetzen. Für andere Fälle der Auseinandersetzung und Gehorsamsverweigerung gegenüber den Eltern gebraucht Basilius drastische Worte und Strafen: wenn ein Mädchen ohne Wissen und Zustimmung des Vaters einem Mann folgt, so begeht sie Unzucht, und sie trifft, auch bei Wiederversöhnung mit den Eltern, der 17 7 dreijährige Ausschluß aus der Kirchengemeinschaft. Vergegenwärtigen wir uns den oben skizzierten Hintergrund der Familie Makrinas, so ist zu vermuten, daß ihre Eltern dem asketischen Lebensentschluß nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden. Aus den Kreisen römischer Asketinnen sind ähnliche Konflikte bekannt. Nachdem der erste Ehemann Marcellas nach nur siebenmonatiger Ehe verstarb, war ihre Mutter Albina sehr darauf bedacht, Marcella wieder zu verheiraten, diesmal an 178 einen alten reichen Mann. Paulas Widerstand gegen die radikal asketische Konversion ihrer Tochter Eustochium ähnelt dem Albinas. "Both of these mothers seem to have realized that at least one daughter should take upon herself the familial responsibilities that converts to asceticism de179 nied." Von dieser einen Tochter wurde erwartet, zu heiraten und Kinder zu gebären. Anne Yarbrough unterstreicht den Wunsch christlicher Mütter, ihre eigene Lebensaufgabe von 180 einer der Töchter weitergeführt zu sehen. Blicken wir auf die Eltern Makrinas, so konnten diese noch von den anderen ihrer fünf Töchter hoffen, daß diese die Familientradition fortsetzen würden. 181 Der Konflikt zwischen Mutter und Tochter, wenn die Tochter die Mutterrolle ablehnt, sich stattdessen für ein asketisches Leben entscheidet und damit aus dem gesellschaftlichen Rollen- und Erwartungsgefüge ausbricht, ist beispielhaft in der Thekla-Geschichte dargestellt worden. Vor allem die Mutter reagiert mit blindem Haß auf Theklas Wunsch, als Wanderapostolin asketisch und arm Paulus nachzufolgen; der Haß geht soweit, daß die Mutter ihrer eigenen Tochter den Tod wünscht. Sie verklagt Thekla beim Richter und schreit :"Verbrenne die Gesetzlose, verbrenne die Unglücksbraut mitten im Theater,

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damit alle Frauen, die sich von diesem (d.i. Paulus) haben 182 belehren lässen, Angst bekommen!" Den kirchlichen Schriftstellern des 4. Jahrhunderts ist dieses Beispiel so gegenwärtig, daß sie empfehlen, in einem ähnlichen Fall den Spuren Theklas zu folgen. Dann nämlich, wenn die Mutter aus Neid oder weil sie gerne Enkelkinder will, sich dem Wunsch der Tochter nach einem "vollkommenen" Leben widersetzt.1 Der Gehorsam gegen die Eltern steht im Verständnis der Christen des 4. Jahrhunderts nicht an erster Stelle, auch wenn er im Rahmen einer patriarchalischen Gesellschaft normalerweise von den Kindern verlangt wird. Die hier aufgeführten Texte können als erzählerische Ausgestaltung des Jesus-Log ions in Mt 19,29 par betrachtet werden:"ünd wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Frau oder Kinder oder Acker um meines Namens willen ...". Der Ruf in die Nachfolge Christi sprengt immer wieder die bürgerlichen Horizonte und die sozialen Bindungen. In jedem Jahrhundert und zu jeder Zeit wurde dieser Ruf anders gehört und befolgt, am Ende der Spätantike waren es der Ruf und der Weg in die Enkrateia, in die geschlechtliche Enthaltsamkeit, aber auch in die Abstinenz von aller Kulturabhängigkeit. 3.2.7.

Entscheidung für den asketischen Lebensstil

Der Weg in die asketische Nachfolge führte aus allen familiären Bindungen heraus und darüberhinaus - wie sich bei Makrina und anderen Asketen und Asketinnen zeigen läßt in ein radikal einsames Leben. Die entscheidende Wende in Makrinas Leben wird in der Vita mit folgenden Worten beschrieben: sie beschließt " μένειν έφ* έαυτής τό λοιπόν " (154).1®^ Gleich im nächsten Satz heißt es:"und dieser Entschluß war stärker als in ihrem Alter zu erwarten." Hierzu muß man die oben referierten Überlegungen zum Reifealter für lebensbindende Entscheidungen heranziehen. Indem Makrina sich für ein asketi-

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sches Leben entschließt, entscheidet sie sich für ein einsames Leben. Dieser Schritt muß bei allen Asketen und Asketinnen beachtet werden, auch wenn sie als Lebensform die Gemeinschaft wählen. Das monastische Leben wird folgerichtig auch als μονήρης βίος (166) bezeichnet - als einsames, vereinzeltes Leben. Der Wüstenvater Antonius erhält auf seine Fragen, die er an Gott nach dem Ergehen anderer Menschen richtet, die Ant1 or wort:"Achte auf dich selbst!" ( σεαυτψ πρόσεχε ). Athanasius schildert in seiner Vita Antonii eindrücklich, wie derselbe Antonius sich 20 Jahre lang von allen Menschen zurückzog. Er lebte eingeschlossen in einer Grabkammer und später in einem verlassenen Kastell, sich selbst und Gott ausge1 ft fi liefert. Da es keine Möglichkeiten gab, auszubrechen, war er gezwungen, sich bis auf den Grund zu gehen. An diese Zeit des Rückzugs schloß sich seine öffentliche Wirksamkeit an, die ihn weit und breit berühmt machte und Schüler von weither zu ihm führte. Ein anderer Wüstenvater, Arsenius, der in der kaiserlichen Familie Erzieher war und unter vielen Menschen lebte, erhielt auf die Frage, wie er gerettet werde, die Antwort: "Arsenius, fliehe die Menschen, und du wirst gerettet werden."187 Der Weg des frühen Mönchtums, der immer tiefer in die Wüste und damit immer tiefer in die Einsamkeit führte, speiste sich aus den bereits gemachten Erfahrungen. Die ausziehenden Frauen und Männer, die Anachoreten und Anachoretinnen, suchten in der Einsamkeit Gott zu begegnen. Bei dieser Suche nach Gott "stolperten" sie sozusagen über sich selber und erfuhren, daß die Begegnung mit Gott durch die eigene Persönlichkeit, die eigene Geschichte, das "Herz" führt. Der Rückzug auf sich selber war keine Selbstbespiegelung, die nur um das eigene Ich kreiste, sondern ein mühsamer Prozeß des sich-Kennenlernens und der Klärung der innersten Antriebe und Wünsche, um dadurch überhaupt für eine echte Begegnung fähig zu werden. 188 Wer sich auf diesen Weg einließ und darauf Fortschritte machte, konnte für die Menschen sei-

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ner Umgebung führend und wegweisend werden. In den Apophthegmata Patrum wird dies zum Ausdruck gebracht, wenn ein Mann oder eine Frau als "Abbas" oder als "Amma" in Anspruch genommen werden. Die Vita Macrinae schildert in ihrem weiteren Verlauf die Heilige als eine solche Führerin und Wegweiserin. Makrinas Entscheidung macht sie zur παρθένος - so bezeichnet Gregor sie fortan in der Vita, während sie vorher τό παι,δίον (148), ή νέα (152) und fi κόρη (154) war. Nach Basilius wird diejenige "Parthenos" genannt, "die sich selber freiwillig dem Herrn entgegenbringt, sich von der Ehe abwendet und das Leben in der Heiligung höher bewer189 tet." Die Parthenos ist die Braut ( νύμφη ) Christi und " σκεύος Ιερόν άνατεθέν τψ Δεσπότη " (ein heiliges dem 1QD Herrn geweihtes Gefäß). 3.2.8.

Familienaskese

Von dem Entschluß Makrinas, für sich zu bleiben, muß der zweite Schritt, das Zusammenbleiben mit der Mutter, deutlich unterschieden werden. Das zweite ist ein φυλακτήριον (156) ein Schutzmittel für das erste. Dieses "Schutzmittel" kann so verstanden werden, daß erst die Gemeinschaft mit der Mutter den Rahmen abgab, in dem ein radikal einsames Leben sich vollziehen konnte. Makrina wählte die Einsamkeit, die Gemein Schaft mit der Mutter bildete die Gemeinschaft von zwei Einsamen. Mutter und Tochter dienen sich gegenseitig, indem die Mutter noch erzieherische Aufgaben wahrnimmt (160) und die Tochter Hand- und Hausarbeiten ausführt (158). Die συνδιαγωγή (156) der beiden erstreckt sich auf alle Bereiche des Lebens: als der Vater stirbt, übernimmt Makrina seine Position, indem sie die Sorgen und Lasten für die ganze Familie mit der Mutter teilt. Das Beziehungsgefälle zwischen den beiden Frauen kehrt sich in dem Maß um, wie es Makrina gelingt, die Mutter zu locken, hinter sich her zu ziehen ( έφελκομένη .160) auf ihre Lebensausrichtung, die Philo-

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sophie,

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und auf das unirdische und einfache Leben (160).

Verschiedene Formen der Familienaskese sind in anderen Texten des 4. Jahrhunderts belegt: die oben schon erwähnte 192 Parthenos Piamun "lebte mit der eigenen Mutter". Aus der Stadt Antinoe berichtet Palladius von einer Jungfrau, die "6o Jahre mit der eigenen Mutter" verbracht hatte. 193 Bei beiden zitierten Fällen ist allerdings nicht bekannt, ob die jeweilige Jungfrau nur mit der Mutter an einem anderen Ort ihr Leben verbrachte, oder ob sie im Haus der Mutter verblieb. Von einem Kloster ist jedoch in beiden Fällen nicht die Rede. Palladius überliefert in seiner Historia Lausiaca auch Beispiele für das Zusammenleben von Geschwistern außerhalb des Rahmens der Familie. Die zwei Schwestern des Ammonas ziehen in die Wüste und gründen dort eine klösterliche Niederlassung. 194 Die Schwestern des Isidor, selber Parthenoi, leb195 ten mit einer Gruppe von 70 anderen Jungfrauen zusammen. Die von David Amand und Matthieu-Ch. Moons edierte und ins 4. Jahrhundert datierte Homilie περί παρθενίας setzt voraus, daß die Parthenoi ihr Leben im Haus der Eltern führten. 1Qfi Die Homilie ist sogar ausdrücklich an den Vater der Familie adressiert, dem die Aufgabe zukommt, über das jungfräuliche Leben von Tochter und Sohn zu wachen. Zwei Formen von Familienaskese müssen demnach unterschieden werden: einmal das Verbleiben der Parthenoi in der Herkunftsfami 1ie und das Zusammenleben von Mitgliedern einer Familie, das nicht unbedingt an das Elternhaus gebunden ist, sondern seinen Ort auch in der Wüste oder in einem Kloster finden kann. Als Familienaskese im eigentlichen Sinn kann nur die erste Form verstanden werden, in der Traditionen aus der 197 frühen Kirche fortlebten, während die zweite Form in die Anfangsgeschichte des Mönchtums gehört, das sich ja deutlich von allen vorherigen asketischen Lebensformen abzeichnet. Bei Makrina sind beide Formen zu beobachten: zunächst lebt sie mit ihrer Mutter zusammen als Parthenos im elter-

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lichen Haus, um dann aber ein eigenes Kloster in der Einöde zu gründen, in dessen Gemeinschaft die Mutter mitlebt. Amand/Moons machen für ihre griechische Homilie die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts als Entstehungszeit wahrscheinlieh. 198 Makrinas Phase der Familienaskese gehört auch noch in die erste Jahrhunderthälfte, während der Aufbruch in die Einöde in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts fällt. In ihrer eigenen Person durchlebt Makrina den Umbruch der asketischen Lebensformen, der sich bei ihr als Radikalisierung vollzieht. Gregor von Nyssa läßt die Entwicklung der monastisch-asketischen Lebensformen in der Biographie einer Person sichtbar und nachvollziehbar werden. Er zeigt, wie Schritt für Schritt der Weg aus den familären und sozialen Verflechtungen heraus und in die Einöde führt. Die verschiedenen Stufen, die uns sonst als voneinander abgehobene Phasen des frühen Mönchtums begegnen, lassen sich hier in ihrer Linie erkennen. 3.2.9.

Weg bis zur Klostergründung

Mit dem Entschluß, "für sich zu bleiben" und als Parthenos zu leben, hat Makrina ihr Lebensziel noch nicht erreicht, vielmehr beginnt der eigentliche Weg erst hier. Gregor zeichnet das asketische Leben seiner Schwester als ständigen Fortschritt zu dem Ziel hin, das in der Vereinigung mit Christus besteht. Innere und äußere Veränderungen markieren das Fortschreiten. Makrinas Lebensentwurf gewinnt immer mehr an überzeugungs- und Ausstrahlungskraft, so daß die Menschen ihrer Umgebung sich ihr bzw. ihrem Weg anschließen. Die äußerlichen Veränderungen macht Gregor am Beispiel der Dienerinnen und Sklavinnen deutlich: sie werden von Makrina befreit, zu "Schwestern und Gleichen" (164) erhoben und teilen als Parthenoi den neuen Lebensstil ihrer ehemaligen Herrin. Die Auswirkungen im sozialen Bereich haben aber nicht nur den Aufstieg der ehemals Abhängigen zur Folge, sondern im gleichen Moment findet auch die umgekehrte

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Bewegung statt: Makrina und ihre Mutter bemühen sich darum, "in ihrer Einstellung den vielen an Ehre gleich zu werden" (164). Dieser Satz bedarf der Interpretation. Im profangriechischen Sprachgebrauch trägt ot πολλοί sehr oft einen verächtlichen Nebenton in dem Sinn von: das gemeine Volk. 199 Im Neuen Testament wird πολλοί verwendet, "um den Kreis derer zu umschreiben, denen das Heilswerk Jesu gilt."'^ Wenn davon die Rede ist, daß Jesus für "viele" starb, dann ist damit gemeint, daß seine Erlösung allen gilt. P0 1 Im Zusammenhang der Vita Macrinae bedeutet die Verwendung von "vielen", daß in dem Leben, das die Sklavinnen führen, eine eigene Ehre liegt, die es wert ist, beachtet zu werden. Das normale gesellschaftliche Gefälle wird einfach außer Kraft gesetzt, indem plötzlich nicht mehr der Reichtum als erstrebenswert gilt, sondern die Teilnahme am Leben der Armen. Skia vinnen und Dienerinnen werden aus ihrer Abhängigkeit befreit, aber nicht, um nun am aristokratischen Lebensstil Anteil zu gewinnen, sondern um mit den ebenfalls Befreiten der höchsten Gesellschaftsschicht ein neues gemeinsames Lebensmodell zu finden. In diesem neuen Lebensmodell gibt es keine Beziehungen mehr, die auf einer Verpflichtung zur einseitig geforderten θεραπεία beruhen, sondern auf gegenseitigem Dienen, das dadurch eine neue Qualität erhält, daß es zur freiwillig gegebenen Hilfe wird. Dieses Thema der Aufhebung der sozialen Trennungen ist Gregor so wichtig, daß er es noch einmal in aller Deutlichkeit aufgreift. Die Mutter Emmelia findet ihr Maß der Demut ( ταπεινοφροσύνη ,176) darin, daß sie bereit wird, in allem der Gruppe der Parthenoi, die Makrina umgibt, gleich zu werden. Jeder Rangunterschied ist aufgehoben: als Beispiel dafür stehen "Tisch und Bett" (176), die für alle gleich sind. Deutlicher kann die Gleichheit kaum ausgedrückt werden ! - Als Kontrastbeispiel sei eine Beschreibung angeführt, die das übliche Verhältnis zwischen arm und reich illustriert In seiner Schrift "de virginitate" schildert Gregor Köche und Diener, "die die köstlichen Speisen der Reichen für andere würzen, selber aber gar nichts erhalten von den zuberei202 teten Speisen."

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In seiner Darstellung legt der Autor der Vita Wert darauf, daß der Fortschritt von der Familienaskese zur Klostergründung sich Schritt für Schritt vollzieht. Die Mutter schließt sich der Gruppe der Parthenoi in dem Maß an, wie sie sich von ihren familiären Verpflichtungen lösen kann. Sie streift ihre Mutterrolle nicht gewaltsam ab, sondern erst nachdem ihr Mann gestorben ist und die Kinder versorgt sind, wendet sie sich ganz der asketischen Lebensweise zu. 203 Während die Vita alle Veränderungen des familiären Lebensstils festhält, berichtet sie nicht, wann und aus welchen Gründen die Gruppe der Parthenoi um Makrina ihren Wohnsitz aus dem elterlichen Haus in Neocaesarea in die Einöde nach Annisa verlegte. In der Nähe des Dorfes besaß die Familie Land, auf dem Makrina ihr Kloster gründen konnte. Fragt man nach den Gründen, warum Gregor über diese uns so wichtig erscheinende Veränderung nichts schreibt, so muß vermutet werden, daß dieser Schritt für ihn kein einschneidender war, sondern sich organisch aus dem bisher Gelebten ergab. Maraval überschreibt den oben besprochenen Abschnitt (164), in dem es um das Gleichwerden mit "den vielen" geht, 204 als "transformation de la maison familiale en monastère", wobei ich allerdings zu bedenken geben möchte, daß der Text selbst nur Anhaltspunkte für diesen Einschnitt hergibt, den Zeitpunkt jedoch nicht ausdrücklich markiert. Für unsere Rekonstruktion der Anfänge des weiblichen Mönchtums erscheint die genaue Datierung des Rückzugs in den Pontus wichtig für Gregor dagegen, der die Entwicklung mitverfolgt, ist dieser Schritt nicht so bedeutsam und nicht wert, festgehalten zu werden. Daß Makrina allerdings ihr asketisches Leben in der Eremia weiterführt, ist ihm sehr wohl wichtig, wie sich z.B. an seinem eingangs zitierten Brief sehen läßt, in dem er an erster Stelle über seine Schwester mitteilt, daß sie "in der Einöde ( τά δσχατα } des Pontus wohnt.1,205 Mit Hilfe anderer Texte und Ereignisse sind wir in der Lage, den Rückzug in den Pontus und die Gründung des Frauenklosters in etwa zu datieren. Die Ergebnisse der älteren

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und der neueren Forschung unterscheiden sich in bezeichnender Weise erheblich voneinander. Entsprechend einer allgemein üblichen und unreflektierten patriarchalischen Voreinstellung wurde ohne textkritische Prüfung angenommen, daß Basilius als erster im Pontus sein Männerk1oster gründete 206 und daß Makrina ihm dann nachfolgte. Entsprechend sah die Datierung aus. So macht z.B. Loofs den Rückzug Makrinas nach Annisa abhängig von der Rückkehr des Basilius von seiner geistlichen Studienreise und errechnet für die Klostergründung im Pontus die Zeit um 358. 207 Ganz deutlich wird diese Überzeugung von Stephan Hilpisch ausgesprochen, der 1928 eine Untersuchung über Doppelklöster 208 vorlegte. Während die Frauen in den ersten drei Jahrhunderten sehr viel stärker als die Männer Formen der Askese in nerhalb der Gemeinden praktizierten, "ändert sich die Lage völlig" 209 mit dem Beginn des Mönchtums. "Die Führung auf dem Gebiet der Aszese geht an die Männer über. Diese neue Aszese als Athletentum mit ihrer fast zynischen Bedürfnislosigkeit, ihrer unmenschlichen Kasteiung, ihrem völlig Abschluß von Kultur und Menschen wird eine eigentliche Sache der Männer. In allen Berichten über das frühe Mönchtum, wie sie uns von Athanasius, Hieronymus, Rufinus, Palladius und Cassian vorliegen, steht das männliche Element im Vordergrun de. Die neue Form der militia Christi ist s e i n e Sache. Dieses Ideal kennenzu1ernen und mitzuleben, schließen sich aber schon bald Frauen an die Mönche an. Die Unterwerfung der Frau unter die asketische Führung des Mannes findet ihrem verschiedenartigen Ausdruck in der Geschichte des Mönchtums. ... Der früheste Ausdruck für dieses Anschließen der asketisch gerichteten Frauen an die Männer ist es, wenn sich die Frauen in der Nähe des Männerklosters nieder1assen, so daß es sich nicht bloß um ein geistiges Nachleben ihrer Ideale handelt, sondern um ein tatsächliches Miteinanderleben, um durch das Männerkloster nicht bloß die Gestaltung des eigenen inneren religiösen Lebens zu erhalten, sondern auch den Schutz und die Fürsorge der Mönche zu genießen." 210 Nach diesen Worten muß man annehmen, daß Hilpisch die Vita Macrinae nur flüchtig kannte, auch wenn er sie zi-

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tiert, denn nach ihrem Bericht erscheint die Entwicklung in einem völlig anderen Licht als bei Hilpisch so eindrucksvoll dargelegt! In einer Übersicht sollen die heute üblichen Datierungen zum Rückzug Makrinas in den Pontus und damit zur Gründung des Frauenklosters am Iris dargestellt werden. ZEIT

AUTOR

nicht vor 341-345 zwischen 345 u. 350 352 352 355/55 ca. 358

Maraval, Macrine, 1971, S. 48 Bouvy, Macrine, 1902, S. 271 Gribomont, Eustathe de S.,1961,S.1709 Frank, Mönchsregeln, 1981, S. 15 Bonis, Basilios, 1981, S. 296 Loofs, Makrina, 1903, S. 94

In gleicher Weise werden die Datierungen zum Rückzug des Basilius und zu seiner Klostergründung zusammengestellt. ZEIT

AUTOR

357 357 358 357 oder 358 359 oder 360

Hauschild, Basilius, 1980,S. 302 V.Li 1ienfeld, Basilius, 1983, S. 73 Maraval, Macrine, 1971, S. 165,A.3 Fedwick, Basil of C. 1,1981,S.6 Bonis, Basilios, 1981, S. 300

Aus diesen Datierungen geht klar hervor, daß Makrina vor Basilius ein Kloster im Pontus gründete. Nicht sie folgte den Spuren des Bruders, sondern es war gerade umgekehrt, daß eine Frau hier wegweisend voranging. Basilius wurde von Makrina zum asketischen Lebensideal bekehrt (160,162), unternahm seine Reise zu den monastischen Zentren Ägyptens, Pa212 lästinas, Syriens und Mesopotamiens, und ließ sich anschließend mit einigen Gleichgesinnten am gegenüberliegenden Ufer des Irisflusses nieder.

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Erstaunlicherweise findet sich das alte Denkmodell vom Vorrang der männlichen Klostergründung gegenüber der weiblichen noch in einem 1979 erschienenen Aufsatz mit dem Titel 213 "Women and the church in Byzantium". Hierin charakterisiert Judith Herrin das Verhältnis des Basilius zu seiner Schwester folgendermaßen :"He advised his sister, Saint Macrina, who refused to marry after the death of her fiancé and withdrew from the world, to found a female community, 214 the counterpart to Basil's monastery on the Iris." Aus dieser falschen Darstellung werden dann weitreichende Konsequenzen gezogen ,·wenn es weiter heißt:"This development of a female monastery was important; it was to serve as a model throughout the Byzantine period. The church's answer to women who wished to take part in religious activity was that they should form i'dentical but seperate establishments." 215 - Diese Darstellung der Entwicklung des weiblichen Mönchtums kann sich nicht auf das Beispiel Makrinas berufen, denn für Makrina gab es kein bereitliegendes Vorbild, dem sie ihre eigene Gemeinschaft "identisch" hätte nachbilden können. Der Klostergründung Makrinas war keine Antwort der Kirche vorangegangen, sondern die Kirche mußte sich vielmehr mit diesem religiösen Aufbruch der Frauen auseinandersetzen, der sich als völlig selbständige Entwicklung O 1c vollzog, wie ihn die Vita Macrinae beschreibt. 3.2.10.

Zusammenfassung

Abschließend sollen die wichtigsten Lebensdaten Makrinas zusammengefaßt werden: Geburt Makrinas um 327 Beginn des asketischen Lebens um 340 um 340 um 352 um 357 370 um 370 1.1 . 379 16. 7.380

Tod des Vaters Gründung des Frauenklosters am Iris Tod des Bruders Naukratius Basilius wird Bischof von Caesarea Tod der Mutter Emmelia Tod des Basilius Tod der Makrina

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Makrinas Lebensweg ist gekennzeichnet von einschneidenden Bewegungen und Veränderungen. Die wichtigsten Entwicklungsstufen, die den Weg von der innerfami 1iären weiblichen Askese zum weiblichen Mönchtum anhand der Biographie Makrinas nachzeichnen, sollen in sechs Punkten festgehalten werden: ? 1 7 1. Makrina wird von ihrer Mutter Emmelia in der Weisheit Salomonis und den Psalmen so gründlich unterrichtet, daß sie später selbst Didaskalos für ihre Geschwister und die Jungfrauen ihrer Gemeinschaft werden kann. Neben dieser geistiggeistlichen Ausbildung wird sie in Handarbeiten eingeführt, besonders in die Wollverarbeitung. 2. Nachdem ihr Verlobter gestorben ist, entschließt sie sich im Alter von 12 Jahren, nicht zu heiraten, sondern "für sich zu bleiben." 3. Gleichzeitig verbindet sie damit den Entschluß, sich niemals von der Mutter zu trennen. Beiden führen ein eng aufeinander bezogenes Leben, indem sie sich gegenseitig unterstützen . 4. Bei Wahrung der äußeren Verhältnisse werden die bisherige Lebensweise, die nun als verschwenderisch erscheint, auf gegeben und Sklavinnen und Dienerinnen zu einem gemeinsamen und einfachen Leben befreit. 5. Die Jungfrauengemeinschaft setzt ihr Leben in der Eremia im Pontus fort. Es gibt keinen Rangunterschied mehr zwischen ehemals Herrschenden und Dienenden, sie teilen Tisch und Bett und beschäftigen sich hauptsächlich mit Gebet und Psalmengesang. 6. Die zu Anfang aus der Senatorenfamilie und deren Dienst personal bestehende asketische Gemeinschaft wird erweitert u.a. durch Kinder, die sie während einer Hungersnot aufnehmen und zum asketischen Leben erziehen, eine Witwe und einen weiblichen Diakon. 3.3.

Das asketische Lebensmodell

Das Leben der asketischen Frauengemeinschaft beschreibt Gregor nicht in erster Linie anhand des konkreten Tagesab-

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laufs und konkreter Ereignisse, sondern er stellt seinen Lesern das asketische Lebensideal vor Augen, aus dem sich die Konkretionen des Alltags wie selbstverständlich ergeben. Über Aufbau und Organisation der Klostergemeinschaft macht er nur am Rande Mitteilungen, soweit sie nötig sind, um seinen Bericht zu verstehen. Die Inhalte des asketischen Ideals dagegen beschreibt er in aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit. 3.3.1.

"bios angelikos"

Die Leitidee das asketischen Lebensentwurfs läßt sich unter der Vorstellung des "bios angelikos" fassen. Gregor interpretiert die Lebensweise der Asketinnen als Nachahmung des Lebens der Engel ( μίμεσι,ς των Αγγέλων ,176). Er fragt, wie Makrinas Leben,"das sich auf der Grenze von menschlicher und unkörper1ieher Natur" (178) bewegte, noch mit menschlichen Worten beschrieben werden könne. Dieses Leben auf der Grenze hat an beiden Welten Anteil: an der menschlichen Lebenswelt "durch das Erscheinen im Körper, das Begrenztsein in einer Form und das Leben mit Sinnesorganen" (178); an der Natur der Engel und der unkörperlichen Wesen (178,180) durch die Freiheit von den menschlichen Leidenschaften ( των Ανθρωπίνων πσθημΑτων 176). Im nächsten Satz bringt Gregor die Spannung dieses Gegensatzes in einem Paradox zum Ausdruck,"denn sie lebten im Körper nach der Art und Weise der unkörperlichen Kräfte" (180). Die Unabhängigkeit der Asketinnen von der menschlichen Natur wird so ausgedrückt, daß sie "mit dem Gepäck des Körpers nicht belastet" ( 180) waren, sondern mit den himmlischen Mächten nach oben strebten (180). Diese Beschreibung faßt das zusammen, was Gregor unter "Philosophie" versteht (180). Wichtig für das Verständnis des "engelgleichen Lebens" auf Erden ist es, daß es sich dabei nicht nur um einige herausgehobene Momente handelt, in denen diese Wirklichkeit durchschimmert, sondern daß es dabei um einen Lebensstil geht, der für andere sichtbar andauert (180). Der Vergleich mit dem Leben der Engel bezieht sich nicht nur auf Augenblicke mystischen Erlebens, sondern bezeichnet einen realen Lebens-

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entwurf. Bei der Beschreibung Makrinas kurz vor ihrem Tod greift Gregor Vorstellungen des "bios angelikos" auf. Nach der Deutung des Bruders hat Makrina die gemeinsame menschliche Natur überstiegen, denn sie zeigt angesichts des bevorstehenden Todes ("der Trennung vom Leben") keine Angst (214). Nicht mehr menschlich scheint dem Bruder diese Einstellung zu sein, "sondern (sie erschien) wie ein Engel, der nach der Vorsehung menschliche Gestalt angenommen hat, bei dem keine Verwandschaft oder enge Verbindung mit dem Leben im Fleisch da ist" (214), so daß es verständlich wird, daß die menschliehen πάθη sie nicht erreichen, sondern sie in Apatheia 219 verharrt (214). Angesichts des Todes hofft Makrina darauf, von "den Fesseln des Leibes" befreit zu werden (214). Karl Suso Frank hat die Verbreitung und Bedeutung der Vorstellung vom "engelgleichen Leben" im frühen Mönchtum untersucht und sie als "formgebend für alle Bereiche des monastisehen Lebens" 220 herausgestellt. Um diese Redeweise richtig einzuordnen, hebt er hervor, daß Mensch und Engel "verschiedenen Seinsordnungen angehören. Eine Angleichung zwischen beiden kann deshalb nie den Bereich der Analogie übersteigen. Alle gegenseitigen Beziehungen können eigentlich immer nur in der Weise des Bildes und des Vergleichs ausgesagt werden. Insofern ist das Wort vom engelgleichen Leben immer nur Metapher. ' Auch außerhalb der Vita Macrinae hat Gregor von Nyssa das Bild des "bios angelikos" benutzt. In seiner Schrift "de virginitate" ermuntert er dazu, "soweit wie möglich die Lebensweise der unkörperlichen Mächte nachzuahmen". 222 Die unkörperliche Natur soll jedoch nicht nur nachgeahmt, sondern man soll ihr auch ähnlich werden ( όμοιοΟσθαι ). Durch die Selbsthingabe an Gott in der Parthenia gelangt man "von der menschlichen Natur und Würde zur Natur und Würde der Engel." 223 In "de virginitate" wird deutlich, daß die Vorstellung des "engelgleichen Lebens" mit Gregors Lehren über Schöpfung und Auferstehung verbunden ist und von daher au-ch verständ-

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lieh gemacht werden muß. Wer als Parthenos lebt, erntet schon im gegenwärtigen Leben das, was mit der Auferstehung verhei224 ßen ist. Das Leben nach der Auferstehung wird gemäß der 225 Verheißung " ίσάγγελος " sein und läßt sich hier schon vorwegnehmen. Das Leben der Engel ist wesentlich durch das ο o c. '? '? '] "nicht heiraten und nicht geheiratet werden" geprägt 228 und in diesem Punkt kann es auf Erden nachgeahmt werden. Daß der Mensch vor dem Sündenfall den Engeln ähnlich ( όμοιον ) war und dorthin auch zurückkehren wird, entfal229 tet Gregor in "de hominis opificio". "Wenn nun das Leben der Wiederhergestellten mit dem der Engel verwandt ist, dann war offenbar auch das Leben vor der Auferstehung ein englisches. Darum wird auch die Rückkehr zum früheren Zustand unseres Lebens den Engeln gleichgesetzt." 230 Der Topos des Αγγελικός βίος war für die Christen der Alten Kirche eine denkerische Möglichkeit, Formen des asketischen Lebens theologisch einzuordnen und praktisch zu werten. Gregors Verständnis der Askese als wahrer Philosophie deckt sich mit dem, wie er die Nachahmung der Engel durch die Parthenia beschreibt. Indem die Angleichung an die unirdischen Wesen zunimmt, "vergrößert sich die Philosphie" (176, 180). Hier gibt es kein zu erreichendes Maß, sondern die Bemühung um die φιλοσοφία , die durch die Ausübung der Tugenden erlangt wird, kann immer nur weiter fortschreiten, indem das schon Erreichte weiter überwunden wird. Dieser Auffassung entsprechend stellt es eine große Anerkennung dar, wenn Ma231 krina als "unbesiegbarer Kämpfer" (190) bezeichnet wird. Die Sprüche der Apophthegmata^Patrum zeigen ein ähnliches Verständnis des Mönchslebens. Abbas Antonius spricht:"Keiner kann unversucht ins Himmelreich eingehen. Nimm die Versuchun232 gen weg, und es ist keiner, der Rettung findet." Von Amma Sarrha heißt es, daß sie 13 Jahre mit dem Dämon der Unreinheit zu kämpfen hatte. "Niemals betete sie, daß der Kampf 233 aufhöre, vielmehr betete sie: Ό Gott, gib mir Kraft!' " Amma Synkletike spricht die Erfahrung aus, daß die Kämpfe im Laufe des asketischen Lebens nicht abnehmen, sondern sogar stärker werden:"Je mehr Fortschritte die Wettkämpfer machen,

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desto stärker müssen die Gegenspieler sein, mit denen sie 234 kämpfen." 3.3.2.

“ergon - parergon"

Bei aller Betonung der Handarbeit bleibt diese in den Kategorien des "bios angelikos" doch nur πάρεργου (178). Das eigentliche έργον (176) der Asketinnen besteht in der Beschäftigung mit den göttlichen Dingen: Meditation ( μελέτη ), ständiges Gebet ( προσευχή ) und ununterbrochener Psalmengesang ( όμνψδία ,178). Arbeit und das Ausruhen von der Arbeit bestehen in diesen Tätigkeiten, die Tag und Nacht ausgeübt werden (178). Maraval hat die in der Vita vorhandenen Ansätze des monastischen Stundengebets zusammengestellt und mit Texten des ppC Basilius verglichen. Aus der hier ablesbaren Gewichtung von "Ergon" und "Parergon" ergibt sich auch konsequenterweise die Priorität, die Gregor bei seiner Beschreibung der Frauengemeinschaft auf das asketische Ideal legt. Die äußeren Konkretionen des täglichen Lebensablaufes gehören in den Bereich des "Parergon".

O Q C

Als Ergebnis dieses Gedankens muß festgehalten werden, daß Makrinas Kloster eine geistliche Frauengemeinschaft ist, bei der sozia 1-karitative Aufgaben nur eine Nebenrolle spielen. In einer Zeit, in der selbständig tätige Frauen aus den christlichen Gemeinden immer mehr herausgedrängt werden, öffnet sich ihnen in den Klöstern ein Raum, in dem sie sich geistig und geistlich entfalten können. Gegen das einengende Frauenbild von 1 Tim 2 kristallisiert sich eine Bewegung heraus, die sich aus dem öffentlichen Gemeindeleben bewußt zurückzieht, um sich ein eigenes Gebiet zu entdecken, in dem ein ganz anderes Frauenbild entwickelt und gelebt werden kann. Diese Frauen suchen ihre Seligkeit nicht im Kindergebären (1 Tim 2,15), sondern in einem eigenen geistlichen Leben. Auf diesem Hintergrund kann Gregor von Nyssa seine Schwester als vom Heiligen Geist begabte Frau darstellen. Als Makrina mit ihm über die göttliche Vorsehung spricht, er-

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scheint sie ihm " χαθάπερ θεοφορουμένη τψ άγίψ πνεύματι " (198). Am Ende dieses Gesprächs formuliert Gregor einen ähnlichen Eindruck, Makrina war " ώσπερ ^μπνευσθεΐσα τη δυνάμει τοΟ άγιου πνεύματος " (200). Das ägyptische Mönchtum der Wüste prägte für die Träger einer solchen Geistbegabung den Titel "Pneumatophoros". Karl Heussi hat sich in seiner Untersuchung zum "Ursprung des Mönchtums" mit diesem Motiv auseinandergesetzt, 237 bezeichnenderweise zieht er allerdings nur den männlichen Geistträger in Betracht. Nach seiner Darstellung zu urteilen, hat es keine weiblichen "Pneumatophorai" gegeben. Zusammenfassend formuliert er seine Ergebnisse: "Wir können die charismatische Begabung der Väter der Sketis einfach als eine Fortsetzung der charismatischen Didaskalie der Urchristenheit auffassen, die uns aus der Aposte1geschich te und der Zwölfapostel lehre hinreichend bekannt ist.... Ist diese Auffassung richtig, dann ist die Tatsache der Pneumatophorie in der Sketis ein ungemein wichtiger Beitrag zu unserer Kenntnis der Ursprünge des christlichen Mönchtums. Wiederum stoßen wir auf eine Wurzel des altchristlichen Mönchpop turns, die bis in das Urchristentum zurückreicht." Heussis Gedanken aufnehmend und weiterführend möchte ich formulieren: wenn Gregor von Nyssa seine Schwester Makrina als geistbegabte Frau schildert, so knüpft er an neutestament liehe Traditionen an, wie sie etwa in Acta 21,9 vorliegen. Gegen das damalige und auch heutige Verkennen der selbständigen geistlichen Fähigkeiten von Frauen setzt Gregor ein lebendiges Beispiel, in dem die Verheißung von Joel 3,1-2 auflebt:"Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen auf alles Fleisch und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Ältesten sollen Träume haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen; auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen." 3.3.3.

Die Bedeutung von Wundern

Wie im Neuen Testament so wurden auch in der Alten Kirche Wunder als Zeichen der Anwesenheit des Heiligen Geistes ver-

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standen. Gerade mit den Charismatikern und Pneumatikern der Wüste lebte die Macht und Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, wieder auf. Wichtig ist dabei, daß die Wunder nicht als Zeichen eigener Machtvollkommenheit gesehen wurden, sondern als Bezeugung der Macht und Gegenwart Christi. Gregor berichtet in der Vita von zwei Wundern, die durch Makrinas Gebete geschahen (262). Bei beiden handelt es sich um Heilungen: die eine an Makrina selber und die andere an einem Kind, das an einer schweren Augenkrankheit litt. Nachdem Gregor von der Heilung des Kindes gehört hat, erinnert er sich an die unglaublichen Wunder des Evangeliums und fährt fort:"Was bedeutet das an Großem, wenn durch die Hand Gottes Blinden das Augenlicht wiedergegeben wird, wenn heute seine Dienerin durch den Glauben an ihn etwas vollbringt, das kaum geringer ist als jene Wunder!" (262,264) Mit der Formulierung, daß "den Blinden das Augenlicht wiedergegeben wird", bezieht sich der Autor zum einen auf die vorausgehende Heilung, gleichzeitig klingt hier aber auch die Antwort Jesu aus Mt 11,4-6 an, mit der er sich als der endzeitliche Messias zu erkennen gibt. Die Heilungen gehören ganz eng zum Auftreten Jesu und sind "Hinweise auf die Selbstdurchsetzung Gottes in der Endzeit und auf das Heilwerden der ganzen Schöpfung. Das Ergebnis dieses Untersuchungsschrittes lautet ähnlich wie das oben formulierte: durch ihren Glauben und ihre Lebensweise wird Makrina zur authentischen Nachfolgerin Jesu und seiner Jünger und wird mit den gleichen Gnadengaben ausgezeichnet wie diese. Als Frau nimmt sie teil an der im Evangelium bezeugten neuen Wirklichkeit und breitet diese durch die von ihr bewirkten Wunder aus, die das "Heilwerden der ganzen Schöpfung" andeuten und bedeuten. 241 Sehr wesentlich ist, daß Makrina gerade in diesem Zusammenhang als ή δούλη ( τού θεού )(264) bezeichnet wird. Dieser Begriff führt uns zu einem weiteren sehr wichtigen Punkt im Verständnis des "bios angelikos".

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3.3.4.

Die Magd-Gottes-Vorstellung

Daß die Vorstellung der "Magd" in einem ganz eng begrenzten Sinn verstanden wird, zeigt auch die zweite Textstelle, in der Makrina sich in einem Gebet als " παιδίσκη σου " (196) und ihren Bruder als " τόν σόν οίκέτην " (196) bezeichnet. Das Magd- und Dienerinsein bezieht sich ausschließlich auf die Beziehung zu Gott und bringt ein sehr nahes Verhältnis zum Ausdruck, ja, es betont die Ausschließlichkeit dieser Gottesbeziehung. Die Vita der Maria von Ägypten zeigt ein ähnliches Verständnis des δούλη -Begriffs, denn auch hier klingt diese Vorstellung in einem Gebet an. Der Priester Abbas Zosimas bringt der Einsiedlerin Maria die Eucharistie in die Wüste und dankt Gott dafür, "daß Du mir Deine Dienerin gezeigt hast". 242 Nach dem Empfang der eucharistisehen Gaben spricht Maria das Gebet des Symeon aus Lk 2,29:"Nun entläßt Du Herr Deine Dienerin nach Deinem Wort in Frieden ...". 243 Im Gegensatz zu dieser sehr eng begrenzten Verwendung des .δούλη -Begriffs läßt sich in späteren Texten eine Erweiterung und Loslösung der engen Bezogenheit auf das Gottesverhältnis beobachten: Die Akten der Anthusa, die vermutlich vom Ende des 5. Jahrhunderts stammen, 244 verwenden δούλη 245 fast wie einen Namenszusatz -ή τοΟ Χριστού δούλη Ανθούσα. Während die Formel δούλος / δούλη θεού im NT fast ganz zurücktritt, wird sie in der Alten Kirche "in zunehmendem 246 Maße zur Selbstbezeichnung der Christen" und speziell zur Selbstbezeichnung der Asketen und Asketinnen, "weil nur die sie in Anspruch nehmen oder mit ihr ausgezeichnet werden konn247 ten, die mit Ernst Christen sein wollten." Wenn gerade asketisch lebende Frauen als δούλη θεού verstanden werden, 248 so liegt auch hier ein Rückgriff auf biblische Traditionen vor, die die Geistbegabung von Frauen aussagen. Im NT begegnet das Wort δούλη nur an drei Stellen: in Lk 1,38 und 48 kennzeichnet es Maria, die ihren prophetischen Lobgesang ausspricht und in Act 2,18 wird wortwörtlich Joel 3,2 zitiert.

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Die hier aufgezeigte Linie wird unterstrichen, wenn Gregor in "de virginitate" c .19 die "Prophetin Maria", die Schwester Aarons, als Begründerin der Jungfräulichkeit bezeichnet. 249 Diese a 1ttestament1iche Prophetin bildete nach Gregros Meinung als Typos ( προδιατυποΟσθαι ) die Gottes250 gebärerin Maria schon voraus. Gregor hält es für sehr wahrscheinlich, daß Mirjam eine παρθένος war und so den " χορός των παρθένων " anführte, d.h. als erste Frau ein asketisches Leben führte. Wenn Gregor die Prophetin Mirjam als "Urtypos" des weiblichen Mönchtums betrachtet, dann ist der Zusammenhang von jungfräulichem und prophetischem Leben unabweisbar deutlich. 3.3.5.

Braut-Topik

An einer ganz hervorragenden Stelle der Vita führt der Autor Begriffe und Bilder der Brautmystik ein und verbindet diese mit dem "bios angelikos". Unmittelbar vor ihrem Tod macht Makrina ihrer Umgebung offenbar, was sie tief verborgen in ihrem Herzen trägt:" τόν θειον έκεΐνον καί καθαρόν έρωτα του Αοράτου νυμφίου " (214).252 Auffällig 253 ist die Parallelität zur Verborgenheit des Thekla-Namens, denn auch diese Liebe Makrinas zum himmlischen Bräutigam ist έγκεκρυμμένον und wird erst angesichts des Todes ihrer Umgebung mitgeteilt. Der Tod bedeutet für Makrina die Vereinigung mit Christus, dem "Geliebten" und "Ersehnten" (214). Je mehr sich ihr Leben dem Ende zuneigte, desto mehr "betrachtete sie die Schönheit des Bräutigams" (216). Nur sehr sparsam wird dieses Motiv hier verwendet, die bildreichen Ausgestaltungen blieben späteren Zeiten Vorbehalten . Bei der Frage nach dem Ursprung der Gattung der weiblichen Hei 1igen-Biographien wurde bereits auf die Bedeutung 254 der Märtyrerakten hingewiesen. Die Einführung des Topos der Brautmystik in der Vita Macrinae hat eine so auffallende Parallele in dem Martyrium der Perpetua, und der Felicitas, daß sich die Frage stellt, ob das Motiv hier nicht

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seinen "Sitz im Leben" hat. An ihrem letzten Tag wird Perpetua mit den übrigen Christen in die Arena zum Tierkampf geführt. Gerade an dieser Stelle, im Angesicht des Todes, heißt es :"sequebatur Perpetua, ut matrona Christi, ut Dei delicata". 255 An keiner anderen Stelle der Passio wird diese Redeweise verwendet als nur hier. Die aufgezeigte Parallelität kann nicht stichhaltig beweisen, daß Gregor von Nyssa die Passio der Perpetua in der uns vorliegenden Form kannte, sie muß vielmehr als Hinweis darauf verstanden werden, daß das Braut-Verhältnis zu Christus in seinen Ursprüngen mit Erfahrungen angesichts des Todes verknüpft war. Christus als Bräutigam und seine Nachfolgerin als Braut symbolisieren nicht nur eine innere Bezie hung der menschlichen Seele zum Göttlichen, sondern sie treten hier als reale lebensbestimmende Kategorie in Erscheinung. Dieser Zug verstärkt sich, wenn im Laufe des 4. Jahrhunderts das asketische Leben von Frauen immer mehr als Ehe mit Christus verstanden wird, die analog zur menschlichen Ehe durch kirchenrechtliche Bestimmungen geschützt werden

Auch in seiner Schrift "de virginitate" verwendet Gregor die Bilder von Braut und Bräutigam. Wer jungfräulich lebt, "lebt immer zusammen mit dem unvergänglichen Bräutigam". 257 Der Tod ist dann keine Trennung, "sondern führt zur Vereinigung mit dem Ersehnten". 258 In der Parthenia kann die Seele dem wahren Bräutigam angehören ( τφ άληθινφ νυμφίφ 259 Dieses Verhältnis wird analog προσκαλληθεΐσα. ψυχή ). zur menschlichen Ehe gedacht: die Parthenos muß sich rein be wahren für den Bräutigam " τφ νομίμως ... άρμοσαμένφ ". 260 In c. 20 redet Gregor von einer zweifachen Ehe: von der leib liehen und der inneren, geistlichen Ehe. 261 Wie man nicht zwei Herren dienen kann (Mt 6,24), so kann man sich auch nur für eine der beiden Eheformen entscheiden. 262 Für die ge isti ge Ehe gibt es neben Brautgeschenken auch einen Brautführer peo ( νυμφοστόλος ), nämlich den Apostel Paulus. Gregor versucht in seiner Schrift mit aller Redekunst, die geistige Form der Ehe zu empfehlen: wer diese wählt, hat einen

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"unvergänglichen Bräutigam" und besitzt die Liebe zur wahren Weisheit ( τής Αληθινής σοφίας έχει τών έρωτα ), die 264 Gott ist. Das in der gesamten Antike weit verbreitete Motiv der bräutlichen Vereinigung des Menschen mit der Gottheit zeigt im jüdischen und im griechischen Bereich jeweils spezifische Erscheinungsformen. Im Alten Testament betrachten besonders die Propheten das Verhältnis zwischen dem Volk Israel und Jahwe als Ehe. Auch das Hohelied wurde in dieser kollektiven Sichtweise interpretiert. 265 Nach griechisch-römischer Vorstellung gab es einzelne, ausgesonderte Personen, besonders Priesterinnen und Seherinnen, die als Braut des jeweiligen Gottes diesem zur Treue und somit zur Jungfräulichkeit verpflichtet waren. "Diesen Fällen liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Priesterin oder Seherin als solche Braut oder vielmehr Gattin ... ihres Gottes ist und darum nicht die Frau eines sterblichen Mannes sein kann."2^ Im Christentum läßt sich das bräutliche Motiv bis zu Paulus zurückverfolgen, der in 2 Kor 11,2 die Gemeinde als Braut Christi versteht. Die Gesamtheit der Gemeinde soll als " παρθένον άγνήν " Christus zugeführt werden. Neben diesem Verständnis entwickelte sich besonders seit Origenes anhand der Exegese des Hohenliedes die Betrachtung der einzelnen Seele als Braut Christi."Mit der individualistischen Deutung der Braut ist Origenes der Vater der Brautmystik ge?fi7 worden." "Von ihm sind alle folgenden griechischen Ausleger ... in der Grundauffassung, wonach die Braut sowohl die Kirche als auch die fromme oder 'kirchliche' Seele darsteilt, wie in vielen Einzelheiten der Textauslegung abhängig." 268 Neben Origenes sind Methodius von Olympos und Gregor von Nyssa wichtige Vertreter des individualistischen Brautverständnisses. Wenn die einzelne Seele als Braut Christi bezeichnet wurde, so lag es nahe, besonders die Parthenoi als Bräute Christi zu sehen. Bei der Entwicklung dieses Gedankens kommt Tertullian große Bedeutung zu. "Er hat den Namen 'Braut

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Christi1 zu einem Ehrennamen der Jungfrauen gemacht, der seitdem in der christlichen Literatur stereotyp geworden und, wie Athanasius bezeugt ..., auch in den offiziellen kirchlichen Sprachgebrauch übergegangen ist. Die ihm zugrunde liegende Vorstellung ist nicht die, daß die Jungfrau durch ihre Jungfräulichkeit zur Braut oder vielmehr Gattin Christi wird, sondern daß umgekehrt ihre Vermählung mit Christus die Verpflichtung zur Jungfräulichkeit in sich schließt."269 Mit der Übertragung des Braut-Titels auf die Parthenoi konnte das ganze Spektrum der menschlichen EheschiießungsTopik Eingang in die theologische Literatur finden: Brautbett und Brautgemach tauchen auf, Verlobung, Vermählung und Hochzeitsfeier, es gibt einen Brautführer und Brautgeschenke. So wie jede andere Ehe ist auch die zwischen Christus 270 und der Jungfrau durch Ehebruch gefährdet. Halten wir uns noch einmal die bahnbrechende Interpretation des Origenes der einzelnen Seele als Braut Christi vor Augen, dann hätte es nahe gelegen, die Braut-Topik gleicherweise auf Männer und Frauen anzuwenden. Auffallenderweise ist diese Redeweise für Frauen in allen Bereichen belegt, während sie für Männer nur selten begegnet. Eines der wenigen Beispiele bilden die Persischen Märtyrerakten, die das Martyrium des Mar Giwargis mit folgenden Worten beschreiben :"mit brennender Lampe wird er seinem Herrn entgegengehen, mit ihm in das geistige Brautgemach eingehen und an den unaussprechlichen Seligkeiten sich freuen." 271 Die Mutter des Jakob sagt nach dem Martyrium ihres Sohnes zum Bischof :"Steh auf, komm und sieh Jakob, dessen Hochzeit herrlicher ist als alle Hochzeiten dieser vergänglichen Welt und dessen Vermählung größer ist als die jedes 272 sterblichen Bräutigams." Einer der Gründe für diese Zurückhaltung und Sparsamkeit liegt in der geschlechtsspezifischen Ausprägung der Braut273 Topik: Christus konnte leicht als Bräutigam und eine Frau als Braut vorgestellt werden, während die Beziehung Christus - männlicher Partner einer gleichgeschlechtlichen Beziehungs-

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topik entsprochen hätte, und das war bei der ablehnenden Haltung der Kirchenväter der Homosexualität gegenüber nicht denkbar.274 Die außerordentlich breite Verwendung des Titels "Braut Christi" für asketisch lebende Frauen erklärt sich u.a. daraus, daß diese Frauen, die aus allem aufgebrochen waren, so wieder in das gesellschaftliche Denkgefüge eingeordnet werden konnten. Das herrschende Lebensmuster für Frauen bildete die Ehe, und die Frauen, die keinen sichtbaren Ehepartner vorzuweisen hatten, waren jedenfalls gedanklich in diesem Schema erfaßt. Auf der anderen Seite konnten Frauen sich mit Hilfe dieser Vorstellung, die auf der gesellschaftlichen Anerkennung und Hochschätzung der Ehe beruhte, in bedrohlichen Situationen schützen. Die Persischen Märtyrerakten berichten von der "Bundestochter" 2 75 Marta, die vom König zur Ehe gezwungen werden soll. Marta entgegnet:"Befiehlt das Naturgesetz, daß, wenn eine Jungfrau einen Bräutigam hat, ein anderer kom me, sie ergreife und die Braut des anderen raube, oder daß die Jungfrau sich zur Ehe gebe einem, der nicht ihr Bräutigam ist?" Auf die die Frage des Königs:"Bist du wirklich ver lobt?" antwortet Marta, die "Braut Christi"Gewiß bin ich verlobt.1,276 Auch Tarbo weist das Angebot des Mopets, ihn zu heiraten, damit zurück, daß sie eine "Braut Christi" sei. Genau wie Marta wird Tarbo im Text als "Bundestochter" vorgestellt, 277 d.h. sie führte ein asketisches Leben. Die heilige Synkletike, die schon mehrfach erwähnte ägyptische Anachoretin, weist alle irdischen Heiratsbewerber ab, weil sie sich bereits für den himmlischen Bräutigam ent278 schieden hat. Unter den vielschichtigen Motiven, die zur Verwendung und Verbreitung der Braut-Topik beitrugen, scheint mir der oben skizzierte "Sitz im Leben" im Martyrium der Perpetua und Felicitas das wichtigste Motiv zu sein, das für unseren Zusammenhang der Entstehung des weiblichen Mönchtums am stärksten zu berücksichtigen ist. Genau wie für das männliche

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Mönchtum ist auch für das weibliche die Verbindung zu den Märtyrern und Märtyrerinnen außerordentlich bedeutsam. 279 3.3.6.

Basilius-Briefe zu Braut-Topik und Gelübden

Das Thema der Braut-Topik soll mit einem Brief das Basilius abgeschlossen werden, in dem die Braut-Vorstel lung reale und konkrete Auswirkungen zeigt. Ep. 46 des Basilius trägt die Überschrift " πρός παρθένον 280 έκπεσοϋσαν ". Der Bruder Makrinas beklagt hierin eine Parthenos, die ihr Gelübde gebrochen und sich auf einen Mann eingelassen hat. Nach langen und strengen Vorhaltungen fordert Basilius die Empfängerin des Briefes auf, als "Verlorene Tochter" zum Vater zurückzukehren. Dieser wird dann sprechen :"Wir müssen fröhlich sein und froh; denn diese meine Tochter war tot und ist wieder lebendig geworden; sie war verloren und ist wieder gefunden worden." 281 Das Vergehen der Frau besteht in folgendem: als "Braut des Herrn hat sie die Ehe gebrochen" ( μοιχευομένην τοϋ Δεσπότου τήν νύμφην ). Basilius klagt sie an:"Aber Du, Du hast das Joch jener göttlichen Verbindung abgeworfen, und dem unbefleckten Brautgemach des wahren Königs bist Du ent283 laufen." Er erinnert sie an den Bund ( τός συνθήκας ) mit dem Bräutigam und daran, daß sie eine " παρθένος " sei. " Μνήσθητι τής καλής όμολογίας, ή ώμολόγησας ένώπιον θεού 284 καί άγγέλων καί άνθρώπων ." Sie gehörte zur "heiligen 2pc Gemeinschaft der Jungfrauen", die sie nun mutwillig verlassen hat. Sie verbrachte ihre Tage und Nächte mit geistlichen Gesängen, Psalmen und Gebeten, kleidete sich einfach, lebte mit anderen Parthenoi zusammen und erhielt Geschenke von ihrem Bräutigam. Die an sie gerichteten Briefe lauteten: " πρός παρθένον ". 2 8 fi Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß "Parthenos" zur Zeit des Basilius in Kappadokien ein öffentlich anerkannter Ehrentitel war, der eine bestimmte Lebensweise umschrieb. Basilius hält ihr ferner den Apostel Paulus als "Brautführer" vor Augen und einen neuen Paulus, der ihr Lehrer war, als sie das mütterliche Haus verließ, um sich mit dem

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Kyrios zu vereinigen. 287 Auf dem Höhepunkt seiner Anklagen läßt Basilius Christus selber sprechen :"Mich hat sie verlassen, den wahren heiligen Bräutigam der heiligen Seelen". 288 Derjenige, auf den die Parthenos sich eingelassen hat, hat sich an einer Seele vergriffen, "die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist". Nach den Vorschriften des Alten Testaments trifft denjenigen, der eine menschliche Ehe verletzt, der Tod. "Wieviel schwerer wird nach Eurer Meinung die Strafe für den sein, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und die ihm versprochene Braut beschmutzt und den 289 Geist der Virginität verhöhnt hat!" Nach diesen Anklagen ist der Schluß des Briefes, in dem Basilius die Parthenos als "Verlorene Tochter" zurückruft, unerwartet und überraschend. Dieser Brief zeigt zum einen die Verwendung der Braut-Topik;und zum anderen läßt sich an ihm das Vorhandensein und Verständnis eines Gelübdes ( όμολογία ) a b l e s e n . D a s hier erwähnte Gelübde der Jungfrau wurde öffentlich abgelegt "vor Gott und den Engeln und den Menschen". 291 Hierbei wird noch nicht an eine gottesdienstliche Zeremonie zu denken sein, die sich erst später entwickelte, denn das frühe Mönchtum kannte keine Gelübde. Basilius ist einer der ersten Zeugen für das Entstehen dieser Praxis. In der Vita Macrinae ist an keiner Stelle von einem Gelübde die Rede, obwohl Makrina ihre Entscheidung, die sie mit 12 Jahren traf, als lebensbindend verstand. Die Apophthegmata, die die frühesten Formen des Wüstenmönchtums dokumentieren, kennen zwar eine Form von Versprechen, die aber keineswegs den später im westlichen Mönchtum im rechtlichen Sinn verstandenen Gelübden entsprechen. So erinnert Abbas Antonius:"Denkt daran, was ihr Gott versproh292 hen habt" ( τι έπηγγείλασθε τφ θεψ ). Die Alte Kirche kannte vor der Entstehung des Mönchtums bereits Versprechen der Virginität, die allerdings keinen öffentlich-rechtlichen Charakter trugen. Man wird davon ausgehen müssen, daß die Entwicklung des Gelübdes der Virgi-

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nität sich in den verschiedenen Gebieten der Alten Kirche 294 zu unterschiedlichen Zeiten vollzog. Für Tertullian läßt sich deutlich festhalten, daß bei ihm "keine Spur" eines 295 öffentlichen Gelübdes zu finden ist. Eine Synode, die um 306 in Elvira in Spanien stattfand, bestimmte in ihrem Kanon 13 für Jungfrauen, die ihr Gelübde der Virginität 296 brechen, lebenslange Buße. Kanon 19 der 314 in Ankyra tagenden Synode setzte für den Bruch des Jungfräulichkeitsgelübdes ( δσοι παρθενίαν έπαγγελλόμενοι άθετοΟσι τήν έπαγγελίαν ) die einjährige Ausschließung aus der Kirchen297 gemeinschaft als Strafe fest. Wenn die hier zitierten Texte von "virgines" oder "Parthenoi" sprechen, so wird nicht deutlich, im welcher Lebensform diese Frauen ihr Virginitäts-Versprechen verwirklichten. Wie unten noch eingehender zu zeigen sein wird, ist der fließende Übergang von gemeindlichen und monastischen Lebensformen typisch für das Frühstadium des weiblihhen Mönchtums. So ist es für die Frage der Entstehung der Gelübde nicht entscheidend wichtig, ob sie sich im klösterlichen Rahmen entwickelten oder sich auf eine vormonastisehe Form der Askese bezogen. Außer in dem oben bearbeiteten Brief äußert sich Basilius zur Frage der Gelübde in den am Amphilochius von Ikonium gerichteten Briefen 199 und 217. Diese Äußerungen sollen hier noch kurz vorgestellt werden, um die für Klein298 asien typische Situation zu erfassen. In Kanon 18 des ep.199 beschäftigt Basilius sich mit der Frage nach der angemessenen Bestrafung für "gefallene Jungfrauen", die ihre Gelübde ( τάς συνθήκας ) gebrochen ha299 ben. Während die Väter vor ihm nur eine einjährige Ausschließung festsetzten, plädiert Basilius für eine schärfere Bestrafung, denn die Parthenos "ist Braut Christi und ein heiliges dem Herrn geweihtes Gefäß ( σκεΟος )«.300 ^us (jje_ ser Braut wird eine "Ehebrecherin" ( μοιχαλίδα ), wenn sie 301 ihr Gelübde verletzt. Deshalb muß sie nach der Meinung des Bischofs auch die für Ehebrecherinnen gültige Strafe, nämlich 15 Jahre Ausschluß aus der Kirchengemeinschaft,

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treffen. Sehr interessant für unseren Fragehorizont des frühen Mönchtums ist der folgende Kanon 19, in dem Basilius angibt, daß er bisher keine Männergelübde kannte ( Ανδρών δέ δμολογίας ούκ έγνωμεν ), diese aber nun auch für Männer vor302 schlägt. Er kannte nur Männer, "die sich selbst der Gruppe der Mönche zugeschrieben hatten". 303 Aus dieser Äußerung geht hervor, daß das zur Zeit des Basilius in Kappadokien vorhandene männliche Mönchtum noch keine Gelübde kannte, daß aber mit der Übernahme des Mönchslebens die Verpflichtung zur Virginität selbstverständlich verbunden war. Auf der anderen Seite macht diese Äußerung deutlich, daß für Frauen Virginitätsgelübde in Kappadokien bekannt und verbreitet waren, bevor das weibliche Mönchtum entstand. Das bedeutet, daß die ersten Frauenklöster in Kappadokien auf bereits vorhandene Erfahrungen bezüglich einer verpflichtenden Virginität zurückgreifen konnten. Während Basilius in Kanon 19 für die männlichen μονάζοντες , die sich dem "fleischlichen Leben" zuwenden, eine 304 Strafe des Ausschlusses von vier oder acht Jahren vorsah, geht er einige Jahre später in ep.217 auf das gleiche Problem noch einmal ein und schlägt nun für Männer und Frauen gleichermaßen die harte Behandlung als Ehebrecher vor. 305 Paverd vermutet hierzu:"Viel 1eicht hat Basileios, bei näherer Überlegung die Diskriminierung im zweiten Brief (= 119) zwischen Jungfrauen und Asketen einsehend, sich im dritten Brief (= 217) korrigiert. Festgehalten werden muß der Sprachgebrauch, mit dem Basilius jeweils asketisch lebende Männer und Frauen bezeichnet; 307 für die Mänfür die Frau:" *H παρθενίαν δμολογήσασα ner taucht bereits der bald zum terminus technicus werdende Begriff " μονάζων " auf:" έπι των βίαν μαναζόντων έπαγγει308 Χαμένων 3.3.7.

Zentralbegriffe des asketischen Lebensmodells

Nachdem die Bedeutung und Verbreitung der bildlichen Redeweise von Braut und Bräutigam betrachtet wurden, kommen wir

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zu den Zentralsätzen der Vita Macrinae, in denen Gregor den "bios angelikos" der Frauen des pontischen Klosters beschreibt. In drei paradoxen Begriffspaaren stellt der Bruder Makrinas das asketische Lebensmodell der Frauengemeinschaft in aller Deutlichkeit und Schärfe heraus. Diese drei gleichgehaltenen Satzteile wirken durch ihre Knappheit, in der die sprachliche Gestaltung den Inhalt unterstreicht. Gregor von Nyssa schreibt: * τρυφή ôè ήν ή έγκρΑτεια καί δόξα τό μή γινώσκεσθαι, πλούτος 6έ ή Ακτημοσύνη *.(176) Τρυφή , δόξα und πλούτος waren Kennzeichen des aristokratischen Großgrundbesitzerlebens, das Makrina und ihre Mutter vor der Entscheidung für das asketische Leben führten. Jetzt sind diese Werte in ihr Gegenteil verkehrt worden. Um diese Zentra1aussagen gruppiert Gregor eine Aufzählung von negativen Begriffen, von Lastern, die im Leben der Frauengemeinschaft unbekannt waren: θυμός, φθόνος, μίσος, ύπεροφία, ή τών ματαίων έπιθυμία, τιμή, δόξα, τύφος, ύπερηφανία (176). Auch in "de virginitate" begegnen Aufzählungen verschiedener Laster, allerdings nicht in der gleichen Konzentration wie in der Vita Macrinae. Im Laufe des vierten Kapitels von "de virginitate" nennt Gregor folgende Laster: ύπερηφανία, φθόνος, μίσος, πλεονεξία, παθών, Ακολασία, ή προς τάς ήδονας άμετρία, φιλαρχία, κενοδοξία und ύπόκρισις . Obwohl einige Begriffe in beiden Reihen wiederkehren, läßt sich bei Gregor nicht der Versuch einer Systematisierung erkennen, ihm geht es in erster Linie um die deutliche Herausstellung der negativen Einstellungen und Verhaltensweisen, die mit verschiedenen Worten umschrieben werden. Euagrius Ponticus (346-399) bemühte sich etwa um die gleiche Zeit gerade um die Systematisierung der Laster und stellte einen festen Katalog auf, der folgende acht Begriffe enthält: γαστριμαργία, πορνεία, φιλαργυρία, λύπη, όργή, 310 Ακηδία, κενοδοξία, ύπερηφανία Diese Acht-Laster-Lehre erhielt große Bedeutung im Mönchtum, weil sie dank ihrer Einprägsamkeit gut auswendig ge-

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lernt werden konnte.

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Zieht man das Ganze der Vita Macrinae in Betracht, so lassen sich ebenso wiederkehrende positive Begriffe festhalten, die allerdings von Gregor nicht zusammengeordnet werden. Positive und negative Begriffe, die in der Vita eine wichtige Rolle spielen,sol len weiter unten in einer Übersicht zusammengefaßt werden. Wichtig in unserem Zusammenhang des weiblichen Mönchtums ist, daß Gregor als Tugenden der Frauengemeinschaft nicht in erster Linie solche aufzählt, die als typische Frauentugenden in der Spätantike galten. Klaus Thraede nennt als traditionelle Sondertugenden der Frauen: Keuschheit, αίδώς , Schweigsamkeit und Gottesfurcht. 31 2 Gregor selber äußert sich in seiner Exegese zum Hohenlied über weibliche Haupttugenden und versteht darunter " αίδώς " und " σωφροσύνη ", die mit "Zurückhaltung" und "Keuschheit" zu übersetzen sind. 313 Mit der Erwähnung dieser beiden Tugenden greift Gregor auf 1 Tim 2.9 zurück, wo die Unterordnung der Frau und ihre Einschränkung auf Häuslichkeit gefordert werden. In der Vita Macrinae wird zwar der Begriff " σωφροσύνη " benutzt. (152,168), jedoch nicht als Sondertugend von Frauen, sondern in der Bedeutung von Keuschheit, auch als asketische Gelassenheit, die sich gegenüber den Stürmen des Lebens ruhig e r w e i s t . E r s t in der Zusammenstellung mit αίδώς erhält Sophrosyne die spezielle Bedeutung der Forderung von weiblicher Unterordnung und Unterwürfigkeit. Ähnlich verhält es sich mit " ήσυχία ", die sowohl in der Vita begegnet (172) als auch von Thraede als eine der Sondertugenden für Frauen genannt wird. 3 15 In 1 Tim 2,11.13 wird "Hesychia" als Leistung der Unterordnung gefordert, als Aufgeben der Selbständigkeit im Lernen. Hesychia und ύποταγι*ι stehen im Timotheusbrief in einer Linie und interpretieren sich gegenseitig. In der Vita Macrinae dagegen bedeutet "Hesychia" ein hohes Ideal des asketischen Lebens, sie ist die Ruhe in Gott, die nicht zur Unterwerfung, sondern zur Befreiung führt.

m Nun folgt die Zusammenstellung der wichtigsten Begriffe des "bios angelikos" in der Vita Macrinae: βίος Αγγελικός äußere Merkmale

έργάτικος, αύτόχειρος, Ακτήμονος, μονήρης

Tugenden

Laster

Αρετή φιλοσοφία ταπεινοφροσύνη Ανδρεία ήσυχία σωφροσύνη

θυμός φθόνος μίσος ύπεροψία έπιθυμία τδν ματαίων τιμή δόξα τύφος ύπερηφανία πάθος λύπη

τρυφή ή έγκράτεια δόξα τό μή γινώσκεσθαι πλούτος ή Ακτημοσύνη

asketische Mittel des "bios angelikos" μελέτη προσεύχη ύμνψδία

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Zum Abschluß der Darstellung des asketischen Lebensmodells, das Gregor von Nyssa in der Vita Macrinae gestaltet, soll noch einmal ein Blick auf das schon zitierte Werk "de virginitate" desselben Autors geworfen werden. Michel Aubineau, der Herausgeber dieses Traktates in der Reihe "Sources chrétiennes", nimmt als Datum der Entstehung das Jahr Q -I£ 371 an. Damit wäre diese Schrift etwa zehn Jahre vor der Vita Macrinae entstanden. Auf einige der in beiden Schriften vorkommenden Themen wurde bereits im Verlaufe dieses Kapitels eingegangen. Der Vergleich ließe sich fortführen und wäre für das Verständnis der Entwicklung der Anschauungen Gregors auch sehr wichtig. Im Rahmen dieser Arbeit können jedoch nur noch einige Punkte aufgegriffen werden. Die Schlüsselworte der Vita, " Αρετή " und " φιλοσοφία " begegnen in "de virginitate" in vielfältiger Weise. 31 7 In c.23 von "de virginitate" spricht Gregor über die Notwendigkeit, sich für den Weg der Ju-ngfräul ichkeit "einen guten Führer und Lehrer" zu suchen, der selber schon erfah318 ren ist. Nachdem er in 22 Abschnitten seine Lehre über die Virginität entwickelt hat, stellt er fest:"Noch augenfälliger als die Lehre mit Worten ist die Darstellung durch T a ten " .319 Mir scheint, daß Gregor von Nyssa dieser Erkenntnis mit der Vita Macrinae Rechnung getragen hat; was er hier theoretisch entfaltet, gestaltet er dort praktisch. Der Aufruf und die Aufforderung zur Nachahmung der Virginität, die in der ersteren Schrift breiten Raum einnimmt, gelingt in der Vita Macrinae durch die Eindringlichkeit des Erzählten. Ich möchte die Vita Macrinae als narratives Gegenstück zu "de virginitate" bezeichnen. 3.3.8.

Zwei Visionen

An zwei Stellen der Vita Macrinae berichtet Gregor von Nyssa über Visionen, zu Beginn des Abschnitts B, der "biographischen Erzählung", und am Beginn von Abschnitt C. Die erste Vision wurde seiner Mutter Emmelia zuteil, die zweite ihm selber.

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Abschnitt B der Vita setzt ein mit der Schilderung der Geburt Makrinas, die unter besonderen Umständen vonstatten ging. Gregor erwähnt die beiden Namen des Kindes, von denen der eine noch vor der Geburt der Mutter in einer Erscheinung ( εκ τίνος έπιφανείας ,144) mitgeteilt wurde. Dann unterbricht er die begonnene Schilderung der Geburt, um den Lebenslauf Emmelias einzuflechten. Den Faden wieder aufgreifend,beschreibt er, daß Emmelia unmittelbar bevor ihr erstes Kind zur Welt kommen sollte, in den Schlaf fiel ( είς ύπνον χαταπεσοϋσα ,144). Während dieses Schlafes scheint ihr ( έδόχει ,144), daß sie bereits das Kind in Händen trägt, das sich noch in ihrem Mutterleib befindet (146). Eine Gestalt ( τι,να... έπιψανέντα ,146), die herrlicher ist als ein Mensch, redet das Kind mit dem Namen Theklas an, " έχείνης θέχλης, fig πολύς έν ταΐς παρθένους δ λόγος " (146). Nachdem dieses sich dreimal wiederholt hat, entschwindet die Erscheinung, Emmelia hat eine leichte Niederkunft und indem sie aufwacht, sieht sie das im Schlaf Geschaute als Wirklichkeit vor sich. Gregor schließt den Bericht mit seiner Interpretation des geheimnisvoll verliehenen Namens. Die dreimalige Wiederholung der Erscheinung unterstreicht auf einer symbolischen Ebene die Bedeutsamkeit dieses Traumes. Träume und Visionen spielen, wie in allen Religionen, im Christentum eine wichtige Rolle als Mittel der Übermittlung des göttlichen Willens. Der wohl berühmteste Traum des Alten Testamentes ist die "Jakobsleiter" aus Gen 28,10-19. Matthäus berichtet in seinem Evangelium von den Träumen des Joseph, die ihn veranlaßten, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu ziehen (Mt 1,20 u. 2,13). Nach dem Bericht des Euseb von Caesarea bewegte ein Traum den Kaiser Konstantin zur Übernahme des Glaubens an Christus und damit zur Bekehrung der Alten Welt zum Christentum. 321 Auch die Geburt Gregors von Nazianz war von besonderen Umständen begleitet. Seine Mutter Nonna wünschte sich einen Sohn und bat Gott um die Erfüllung dieses Wunsches. 322 Als " δφις " sah sie das Erbetene voraus, die Gestalt des Sohnes und auch seinen Namen.323 In anderen Worten umschreibt

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Gregor von Nazianz die Schau seiner Mutter als " ft νυκτός χάρις ",324 Thekla steht als Symbolgestalt an Makrinas Lebensbeginn und wirft ihre Schatten auf das Leben des Neugeborenen voraus. Mit der Gestalt Theklas wird die Lebensausrichtung Makrinas vorgedeutet. Die zweite Vision, über die Gregor von Nyssa berichtet, ist innerlich zutiefst mit der ersten verknüpft . Nach acht Jahren beschließt Gregor, seine Schwester in deren Kloster zu besuchen. Der größte Teil des Weges ist bereits zurückgelegt und eine Tagesreise trennt ihn noch vom Wiedersehen, als er im Schlaf einen Traum hat ( δφις τις ήμΐν èg ένυπνίον φανεΐνα ,192). In seinen Händen scheint er Märtyrer-Reliquien zu tragen, von denen blendende Strahlen ausgehen (192). Auffallend ist die Parallelität in der Beschreibung beider Visionen: die Mutter trug in den Händen ( φέρειν έδόκει δία χειρός ,144) - Gregor trägt in seinen Händen ( ‘Εδόκουν... διά χειρός φέρειν ,192). Die Mutter trug das noch nicht geborene Kind und Gregor trägt die Reliquien, die Überreste. Ohne daß Gregor hier das Rätsel ( το αίνιγμα ,192) des Traumes lösen kann, wird sogleich deutlich, um wen es sich handelt. Geburt und Tod Makrinas sind von symbolischen Erscheinungen begleitet, die ihren Weg beleuchten. Noch bevor sie zur Welt kam, sah die Mutter sie und erfuhr mit dem Namen Thekla ihre wirkliche Bestimmung, und noch bevor sie die Welt verläßt, sieht ihr Bruder in ihr das, was sie in Wirklichkeit war - eine Märtyrer in. Auch die Erscheinung Gregors, die er " τήν φαντασίαν " (192) nennt, wiederholt sich dreimal. Die Auflösung des Traumes folgt im Verlauf der Vita nach der ersten Begegnung mit der zum Tod erkrankten Schwester. Das, was Gregor gerade gesehen und erlebt hat, ist in Wahrheit " μάρτυρος άγίου λείψανον " (202), "für die Sünde tot" (Röm 6,11), "durch die darin wohnende Gnade des Geistes" (Röm 8,11) aber leuchtend (202). Nurmehr mit Paulusworten ist Gregor

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in der Lage, seine Eindrücke der Schwester wiederzugeben. Daß Gregor hier auf den Römerbrief zurückgreift, kann seinen Grund auch darin haben, daß über Paulus eine zusätzliche Brücke zur ersten Vision geschlagen wird; denn Thekla wurde in der Alten Kirche als Paulusschülerin und Märtyrerin verehrt. Wenn Makrina als neue Thekla erscheint, liegt es nahe, daß sie in der Nachfolge Theklas auch Märtyrerin genannt werden kann. Indem Gregor von der noch lebenden Makrina als einer heiligen Märtyrerin spricht, nimmt er ihre Verehrung bereits vorweg, denn Märtyrer und Heilige wurden durch die ihnen erwiesenen Ehren erst zu solchen gemacht. Durch seinen Traum erscheint das Martyrer-Sein Makrinas als von einer höheren Ebene aus legitimiert. Den Schluß von Gregors Bemühen, Makrina als Märtyrerin zu erweisen, bildet seine Schilderung der nächtliche Trauerfeier, die ihm wie ein Märtyrerfest erscheint ( καθάπερ έπί μαρτύρων πανηγύρεως ,248). 325 Ein wesentlicher Punkt zur Anerkennung eines Martyriums liegt in der öffentlichen Verehrung, die mit dem Herbeiströmen der Menge auf die Nachricht von Makrinas Tod hin gegeben ist.

4.

Das Frauenkloster der Makrina auf dem Hintergrund asketischer, theologischer und sozialer Faktoren in Kleinasien 4.1. Das Frauenkloster am Iris 4.1.1. Die ersten Frauenklöster

Nach allem, was in der Forschung bis heute bekannt ist, gehört das von Makrina gegründete Kloster zu den ältesten Frauenklöstern, die in Kleinasien entstanden. Als Gründungstermim wurde oben das Jahr 352 erarbeitet.1 Da die Geschichte der Frauenklöster bisher nicht systematisch erforscht wurde, kann hier kein umfassender Überblick gegeben werden. Ein vollständiges Bild zu erstellen wird erst möglich sein, wenn alle in Frage kommenden Quellen im einzelnen bearbeitet worden sind. Auf die Situation des Mönchtums in Kleinasien werden wir in 4.2. eingehen, es läßt sich jedoch hier schon festhalten, daß vor 352 kein anderes Frauenkloster bekannt ist. In der Hauptstadt Konstantinopel gab es vor 384 kein einziges Kloster, erst für diesen Zeitpunkt ist das erste Männerkloster belegt.^ S. Vailhé, der 1899/1900 eine alphabetische Übersicht der Klöster Palästinas veröffentlichte, gab für das 4. Jahrhundert zwei Frauenklöster an: das um 375 von Melania d.Ä. auf dem Olberg gegründete 3 und die Gründung Paulas in Bethlehem 4 in den Jahren 386 bis 389. Für das 5. Jahrhundert nennt Vailhé vier Frauenklöster: Melania d.J. gründete um 432 εις nes auf dem Ölberg; ein eutychianisches Frauenkloster in Afthoria, einem Dorf im Süden von Caesarea mit der Leiterin Sabine;*’ ein Kloster mit Namen Apollinaris im Tal Josaphat bei Jerusalem ^ und das St.-Georgs-K1oster in Jerusalem mit Q Thecla Augusta als Leiterin. Ägypten, das klassische Land des frühen Mönchtums, brachte neben den berühmten und bekannten Männerklöstern auch Frauenklöster hervor. Auf eine sehr frühe Spur , deren Interpretation allerdings Schwierigkeiten bereitet, stoßen wir

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in der Vita Antonii. Beim Tod der Eltern bleiben Antonius und seine sehr kleig ne Schwester zurück. Als Antonius sich entschließt, Asket zu werden, sorgt er für die Unterbringung der Schwester. Es heißt in der Vita Antonii:" Τήν 6t Αδελφήν παραθέμενος γνωρίσμοις καί πισταϊς παρθένοι,ς, δούς τε αύτήν εις παρθενώνα Ανατρέφεσθαι." Die Schwester wird selber nicht eindeutig zur Parthenos bestimmt, sondern vorerst nur zur Erziehung den Parthenoi übergeben. Wenn Antonius um 271 Mönch wird,^ so dürfte dieses Ereignis kurz vorher zu datieren sein. Wer waren diese Parthenoi und auf welche Lebensform 12 deutet "Parthenon" hin? Ist es richtig, mit Mühlenberg anzunehmen, daß Antonius seine Schwester "in die Obhut von Jungfrauen in der Gemeinde" 13 gab? K. Heussi kommentiert diesen Text in seinem Kapitel "Die ersten Schritte zur Anachorese" mit der nicht sehr aufschlußreichen Bemerkung :"Auch für 'Jungfrauen' hatte man schon damals in der Thebais eigene Häuser". 14 Antonius begegnet seiner Schwester noch einmal auf einer Reise zu den "Klöstern außerhalb der Wüste". 15 Er fand sie, die schon alt geworden war, als Leiterin anderer Jungfrauen ( ... καί τήν Αδελφήν γηρΑσασαν έν παρθενία, καθηγουμένην τε καί αίιτήν Αλλων παρθένων ) vor.^ Wir wissen nicht, wann diese Begegnung stattfand, aber da auf das Alter der Schwester angespielt wird, ist die Datierung auf jeden Fall in das 4. Jahrhundert zu setzen. Steht die namenlose Schwester in Kontakt mit den einige Zeilen vorher erwähnten Klöstern? Ist sie die Leiterin eines dieser Klöster? Hat sie sich von dem Parthenon, in dem sie erzogen wurde, getrennt, um ein monastisches Leben aufzunehmen, oder handelte es sich bei den in c.3 genannten Frauen gar nicht um Parthenoi innerhalb der Gemeinde? Gibt es vielleicht einen fließenden Übergang von gemeinsamen Lebensformen, die von Frauen schon sehr früh innerhalb der Gemeinde entwickelt wurden, zu den Anfängen des weiblichen Mönchtums? Bezeichnet der Bericht der Vita Antonii vielleicht einen solchen Übergang? Dann wäre die Behauptung von Mackean, der in seinem Buch über "Christliches Mönchtum in Ägypten" zweieinhalb Seiten für

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"communities of women" reserviert und dort schreibt: "But the monastic life for women only grew up after it had been adopted by men"1'7 in seiner Einseitigkeit einfach falsch. Nicht die Unwissenheit soll hier angeprangert werden, wohl aber die aus der Einseitigkeit des Blickwinkels aufgestellten Behauptungen, als ob es keinen Zweifel an diesen Meinungen geben könnte. Iris Habib El-Masri setzt sich in ihrem Aufsatz "A historical survey of the convents for wo18 men in Egypt up to the present day" mit einem ähnlichen "categorical denial" auseinander, in dem Sir Gardner Wilkinson 1843 über die Vergangenheit und Gegenwart verkündete: "Egypt is entirely destitute of nunneries." 19 Die Karte der Pachomianisehen Klöster weist vier Frauenklöster auf (Tsmine, Bechne, Tabennesi und Esna), 20 von denen zwei noch zu Pachomius Lebzeiten gegründet wurden, d.h. zwischen 32o, der Gründung Tabennesis, und 346, dem Todes21 jahr des Pachomius. Allerdings gilt auch von den Frauenklöstern :" E ine zuverlässige chronologische Festlegung der 2 Entstehungszeit der einzelnen Gründungen ist kaum möglich." Festhalten läßt sich auf jeden Fall, daß zwei dieser Frauenklöster in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstanden . 4.1.2.

Organisation der Pontischen Klöster

Nach diesem Überblick kehren wir zu Makrinas Klostergründung zurück. Die Entwicklung von der Familienaskese zur Gründung der Klostergemeinschaft war oben aufgezeigt wor23 den. Die materielle Grundlage für die Gründung stellte der Landbesitz der Familie dar, an dem Makrina durch die Aufteilung des Erbes Anteil hatte. Dieses Paradox des Reichtums als Voraussetzung für ein armes Leben begegnet immer wieder in der Geschichte der Klostergründungen. 24 Basilius erwähnt in einem Brief den Namen des Dorfes, in dessen Nähe das Kloster lag:" êv Άννίσοις ". 25 in einem anderen Brief, ep. 223, beschreibt er seine Klostergründung am Ufer des Flusses Iris ( έπΐ τής μονής τής έπΐ τψ rIpt6t

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ποταμφ ) und auch die Lage des Frauenklosters auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses ( έπί τής άντιπέραν κώμης Ο£ παρά t Ç μητρί μου ). In der Nähe dieser beiden Niederlassungen lebte für einige Jahre auch der Bruder Naukratius als Einsiedler. 27 Gregor benutzt zur Beschreibung des Ortes, an dem seine Schwester lebt, den Ausdruck " έσχατία " (192,258). Die Wahl des Ortes war entscheidend wichtig für das frühe Mönchtum, ja der Ort war eines der konstitutiven Elemente. Die Grundbewegung des frühen Mönchtums ist die Anachorese, das Ausziehen, Sich-Trennen, um in der Einsamkeit der Wüste Gott zu begegnen. In Ägypten waren diese Orte die Wüsten an den Rändern des Nil, besonders die Sketis und das Natrontal. In Kappadokien dienten die Wälder und Gebirge als "Wüste". Die Apophthegmata Patrum entwicklen eine eigene Spiritualität 28 der Wüste. Basilius entfaltet schon in seinen frühesten Schriften zum Mönchtum die Notwendigkeit eines einsamen und verlassenen Ortes, der nicht von Lärm und Unruhe erfüllt 29 ist. Das Frauen- und das Männerkloster lagen nahe beieinander und hatten viele Verbindungen miteinander, obwohl jede Gemeinschaft eigenständig organis'ert war. Als Gregor nach Annisa kommt, um seine Schwester zu besuchen, hat die Bruderschaft ( Αδελφότης ,T94) schon von seiner Ankunft gehört und die "Gruppe der Männer" ( τότε σύνταγμα των άνδρων , 194) geht ihm aus dem "Männerkloster" ( έκ τοδ άνδρώνος . 194) entgegen. Die Frauen ( ό δέ έν γυναιΕί τΐΐς παρθενίας χορός ,194) erwarten seine Ankunft in der Kirche. Nach der Beendigung des Gebetes kehren die Frauen in ihren Bereich zurück ( πρός έαυτάς ,194). Aus dieser Beschreibung kann man schließen, daß beide Gemeinschaften eine gemeinsame 30 Kirche hatten, in der die Gottesdienste gefeiert wurden. Wenn das Frauenkloster nach der Schilderung des Basilius durch den Irisfluß vom Männerkloster ge+rennt lag, so muß der Fluß leicht zu passieren gewesen sein. In Gregors Darstellung spielt nämlich der Fluß keine Rolle.

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Um seine Schwester zu sehen, betritt Gregor das Haus ( οίκος ,194), in dem sie lebt und tritt ein " έντός τής Ιερ&ς έκείνης... μονής " (194,196). Μονή bezeichnet in der Zeit des monastischen Aufbruchs eine klösterliche Niederlassung. Die Historia Lausiaca berichtet von einer μονή , die zwei Schwestern des Ammonas in der Wüste grün31 deten. Das zum Pachomianisehen Klosterverband gehörende Frauenkloster Bechne wird als " τών παρθένων... μονήν " 32 bezeichnet. Es entsteht ganz in der Nähe des Männerklosters 33 Phbow ( τής μονής τής ΠαβαΟ ). Der Wunderbericht in Abschnitt E der Vita Macrinae vermittelt uns einen Einblick in die Lebensgewohnheiten der beiden Klöster. Der hohe Militär besuchte mit seiner Frau " τό τής Αρετής φροντιστήριον " (258) - eine Umschreibung für die klösterliche Niederlassung. In Annisa angekommen, trennen sich die Ehegatten: der Mann bleibt in der Männergemeinschaft ( έν τφ Ανδρώνι .258), die damals Makrinas jüngster Bruder Petrus leitete ( καθηγείτο ,258), während die Frau die Frauengemeinschaft besuchte ( ή δέ τοΟ παρθενωνος έντδς γενομένη ,258). Hier stehen sich Ανδρών und παρθενών gegenüber, beide als Bezeichnungen für die jeweilige Gemeinschaft. Ich verweise noch einmal auf das oben schon besprochene παρθενών der Vita Antonii. Für das Frauenkloster begegnet noch ein anderer Begriff :11παρΑ τής γυναικώνίτιδος " (260). 4.1.3.

Geschlechtertrennung

In dieser Erzählung wird das Prinzip der Geschlechtertrennung deutlich: die im Frauenkloster Lebenden erhalten Besuch von Frauen und die im Männerkloster Lebenden von Männern. Das unter 2.4.4. vorgestellte Grabgedicht Gregors von Nazianz umschrieb Makrinas asketischen Lebensweg damit, daß sie sich vor den Augen der Männer verborgen hielt. Die Trennung vom anderen Geschlecht galt im 4. Jahrhundert allgemein als eine Grundvoraussetzung mönchischen Lebens, wobei allerdings verschiedene Interpretationen dieses Grundsatzes

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möglich waren. 34 Zum Teil überschneiden sich an diesem Punkt die Forderung der Trennung von der eigenen Verwandschaft und Familie und die Absonderung vom anderen Geschlecht. Auffällig viele Erzählungen in den Sammlungen von Mönchsgeschichten haben das Verhältnis des Mönches zu Mutter und Schwester zum Thema. Erzählungen über eine Problematik beim Wiedersehen mit Vater und Bruder gibt es dagegen kaum. 35 Die Apophthegmata Patrum berichten in vielen Variationen über das auf den ersten Blick fast grausam anmutende Verhalten der Asketen gegenüber ihren weiblichen Verwandten. Abbas Markus stellt sich mit geschlossenen Augen und in so schmutziger Kleidung vor seine Mutter hin, die ihn in der Wüste aufsucht, daß weder er sie sehen kann noch sie ihn erkennt. 3 6 Abbas Poimen und seine Brüder lassen ihre Mutter vor verschlossener Tür weinen und schreien. 37 Abbas Sopatros gibt 38 die Anweisung :"Laß keine Frau in dein Keilion kommen!" Abbas Sisoes will mit seinem Schüler an einen Ort ziehen, an dem es keine Frauen gibt. Der Schüler fragt ihn:"Wo ist ein Ort, wo es keine Frau gibt, außer in der Wüste?" Also ziehen sie in die Wüste. 39 Dieser letzte Spruch läßt zwei Interpretationen zu: entweder gab es in der Wüste tatsächlich keine Frauen oder die in der Wüste lebenden Frauen waren in den Augen des Abbas keine Frauen. Dem Nachweis, daß es in der Wüste Frauen gab, ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Auf die zweite Interpretationsmöglichkeit wird unter 4.3.1. eingegangen. Die Vita Pachomii berichtet, daß Pachomius sich weigert, seine Schwester^ wiederzusehen, die nach Tabennesi kam. Er fordert sie stattdessen auf, sich in der Nähe niederzulassen und ebenfalls ein Kloster zu gründen. 41 Ähnlich verhält sich Theodor, der Lieblingsschüler des Pachomius - er widersetzt sich den Wünschen seiner Mutter, ihn zu sehen. In einer theologischen Begründung führt er Pachomius gegenüber aus:"o6n 42 έχω μητέρα ". Die Mutter, die während ihres anscheinend vergeblichen Besuches im Frauenkloster ( τό μοναστήριον τδν παρθένων ), das von der Schwester des Pachomius ge-

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gründet wurde, wohnt, beschließt, dort zu bleiben " παρά 43 ταϋς παρθενευούσαις Zwei Gründe bewegen sie dazu: die Hoffnung, ihren Sohn doch eines Tages zwischen den Brüdern zu sehen, und die Hoffnung, ihre Seele zu retten. 44 Theodoret von Cyrus, der über die Verhältnisse des syrischen Mönchtums berichtet, schreibt von dem Säulenheiligen Symeon (+ 459), daß allen Frauen der Zutritt zu seiner Säule verboten war ( γυναιζίν ούκ είσιτητόν fiv );4^ sie konnten ihre Wünsche nur durch einen männlichen Mittler an ihn herantragen lassen. Ja, der Ausschluß geht soweit, daß Frauen auch die später um die Säule herum errichtete Basilika nicht betreten durften. 46 Nicht nachvollziehbar ist für mich der Schluß, den Hartmut Gustav Blersch aus dem Verhalten des Styliten Symeon zieht,"daß die vollkommene Abschließung gegen Frauen nicht einer Verachtung des Weiblichen entspringt, sondern daß sie wie jede Form der frühen Askese von der durch die Erlösungstat Christi geschaffenen Wirklichkeit Zeugnis ablegen will."47 Die Historia Monachorum in Aegypto berichtet über Johannes von Lykopolis, daß er während 40 Jahren, die er in einer Höhle lebte, keine Frau gesehen habe und auch keine Frau ihn. Auch Männer durften seine Höhle nicht betreten, aber mit ihnen sprach er durch eine Fensteröffnung. 48 Unser Ausgangspunkt war die zu beobachtende Geschlechtertrennung , die in dem Grabgedicht auf Makrina angesprochen wird. Während wir mit den Apophthegmata Patrum, der Vita des Pachomius, den Berichten des Theodoret und der Historia Monachorum ausschließlich Texte herangezogen haben, die das Problem aus männlicher Sicht formulieren und dabei einen Hang zur Misogynie nicht immer verbergen können, werfen wir abschließend einen Blick auf die Formulierung des gleichen Problems in Hinsicht auf die Frauen. In seinem "Nonnenspiegel" erteilt der Mönch und asketische Schriftsteller Euagrius Ponticus der Empfän-

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gerin folgenden Rat: "Συντυχίάς Ανδρών παραιτοΟ, tva μή γένηται είδωλα έν oij ψυχΑ καί έσται p o l πρόσκομμα έν καιρψ προσευχές .1,49 "Meide das Zusammentreffen mit Männern, damit nicht Bilder in deiner Seele entstehen, die dir ein Hindernis zur Zeit des Gebetes sind." Die Römerin Melania gründete in Jerusalem auf dem Ölberg ein Frauenkloster, dessen Gemeinschaft ( κοινόβιον ) aus 90 Parthenoi bestand. Als geistliche Leiterin schärfte Melania den Frauen von Anfang an, keinen Kontakt zu Männern zu haben ( έρρύθμισεν έξ άρχΑς άνδρί μή συντυγχάνειν τό σύνολον ). Dieser Satz wird einige Zeilen später in einer wörtlichen Rede noch einmal wiederholt, in der Melania die Parthenoi bittet:" μόνον ύμε€ς τήν πρός τούς Ανδρας φυλάΕασθε συντυχίαν .1,51 Sulpicius Severus (+ um 420) berichtet in seinen "Dialogen" über eine virgo, die sich weigerte, den Bischof Martin von Tours zu empfangen. Martin hatte von dem Glauben und der Tugend der zurückgezogen lebenden Frau gehört und wollte ihr mit seinem bischöflichen Besuch eine Ehre erweisen ( cum earn ille officii causa uisitare uellet, admiserit). 52 Die virgo lehnte diesen Besuch ab, denn sie hatte sich "völlig 53 von den Augen aller Männer zurückgezogen". Der heilige Martin lobt dieses Verhalten und empfiehlt es anderen Virgines als nachahmenswertes Beispiel: nicht einmal durch einen Bischof hat sich diese Frau von ihrem Lebensentwurf abbringen lassen! Sulpicius hebt hervor, daß die Ablehnung des Besuches noch umso erstaunlicher ist, da viele andere virgines lange Reisen unternehmen, nur um den heiligmäßigen Bischof von Tours zu sehen. 54 Aus dem ganzen Spektrum der zu diesem Thema vorhandenen Texte war es nur möglich, einen kleinen Teil herauszugreifen. Das Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander und die mögliche Veränderung unter den Kategorien des "bios angeli-

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kos" waren im frühen Mönchtum ein wichtiges Thema. Heussis Einschätzung allerdings, daß die Gefahr der Begegnung mit Frauen "das Hauptmotiv der Wüstenanachorese" 55 war, geht zu weit und ist auch zu einseitig nur aus der Sicht männlicher Asketen formuliert. Der hier angeschnittete Komplex soll zum Abschluß in seiner theologischen Grundaussage betrachtet werden, die meiner Meinung nach in einer anderen Richtung zu suchen ist, als Blersch sie formulierte. 56 Auf der einen Seite gab es im frühen Mönchtum allgemein feststehende und überall anzutreffende Grundüberzeugungen, die allerdings von den gleichen Personen, die sie aufstellten und vertraten, nicht unbedingt befolgt werden mußten. Dieses "Abweichen" oder "Ausbrechen" galt aber nicht als Ver fehlen des Zieles, sondern bildete eine legitime Möglichkeit. Für das mönchische Leben wurden Regeln aufgestellt, die erst beim Verfall des inneren Geistes rigide gehandhabt wurden. Die Regeln waren zur Einübung da, vor allem für die Anfänger und die Schwachen - ihre Übertretung war ein Zeichen des großen geistig-geistlichen Aufschwungs der frühen Mönchs bewegung. Gregor von Nazianz formulierte, daß Makrina sich vor den Augen aller Männer verbarg - das ist der Grundsatz. Die Vita Macrinae berichtet von ihrem intensiven Verhältnis zu ihren Brüdern Gregor und Petrus, die das Kloster betraten und sich in ihren Wohnräumen aufhielten. Beim Tod der Mutter Emmelia waren der jüngste Sohn Petrus anwesend und als Makrina starb, begleitete sie ihr Bruder Gregor in ihren letzten Stunden in der klösterlichen Umgebung. Fairy von Lilienfeld machte auf eine ähnliche Beobachtung bei Basilius von Caesarea aufmerksam. Sie weist darauf hin, "daß im Leben des Basilius Realität und mönchisches Ideal des &πολις - und ä o l h o c -Seins, wie er es selbst vertreten "57 hat, sich widersprechen. Das Λπολις - und ä o l k o c -Sein entspricht dem Ideal der Wüstenväter, die als Vorbild des asketischen Lebens in der ganzen christlichen Welt galten,

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was sich an den Reisenden ablesen läßt, die aus allen Teilen der Erde zu ihnen in die Wüste pilgerten. Wenn auch Basilius diese Ideale formuliert und weitertradiert, so wandelt er sie doch selber in charakteristischer Weise ab. "Der Abstand des Mönchs zum Leben der 'Welt' liegt bei Basilius in einer anderen Dimension als beim Mönchtum der Wüste und aus ihr sind diese scheinbaren Ungereimtheiten zu erklären. Mönchsleben als wahres Christsein ist für Basilius nicht Leben in einer Gemeinschaft, de^en Welt in striktem Gegensatz zur Kulturwelt konzipiert ist".®® In seinen Regeln fordert Basilius, die Bindungen an die 59 leiblichen Verwandten aufzugeben, er selber pflegt in seinen Briefen weiterhin intensiven Kontakt mit seinem Bruder Gregor von Nyssa und berichtet in ep. 223 von den vielen Gesprächen, die er mit seiner Mutter in deren Kloster am Iris führte.®® Den theologischen Schlüssel für diese als widersprüchlich erscheinenden Verhaltensweisen liefert das Stichwort der fi 1 διάκρισις , der discretio. Den alten Asketen und Asketinnen ging es nicht darum, gesetzliche Verhaltensmaßregeln auffi? zustellen, die um jeden Preis befolgt werden mußten. Sie suchten nach dem besten Weg, um Gott zu begegnen^und die auf diesem Weg gemachten Erfahrungen formulierten sie in Lebensregeln. Viele dieser an verschiedenen Orten aufgestellten Lebensregeln gleichen sich in ihren Inhalten. Darin, wie aber diese Regeln gehandhabt wurden, kommen die Asketen und Asketinnen in ihrer Blütezeit dem Geist des Neuen Testaments sehr nahe. Das Unverkennbare in Jesu Handlungen liegt oft darin, daß er sich über alle Erwartungen und religiösen Vorschriften hinwegsetzt und den bedrängten Menschen auf diese Weise Gottes Nähe bezeugt. Wir entdecken Widersprüche in den Aussagen der asketischen Texte, wenn wir nur versuchen, uns ein Bild des äußeren Ablaufs zu verschaffen; wenn wir aber versuchen, den inneren Geist zu verstehen, ergibt sich ein anderes Bild. Die "diakrisis" ist die Fähigkeit zu unterscheiden zwischen nützlichen asketischen Übungen und sinnlosen Übertreibungen, zwischen von Gott Gewolltem und Gott Widrigem.

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Eine Erzählung aus den “col lationes" Johannes Cassians (um 360-430/35) beleuchtet diesen Themenkomplex aus tiefgründiger Einsicht. "Abbas Paulus lebte in der Wüste in der Nähe der Stadt Panephysis ... Hier also war Abbas Paulus im Frieden und in der Stille der Einsamkeit zu solcher Reinheit des Herzens fortgeschritten, daß er keine Frau, weder ihren Anblick noch ihre Kleidung, sehen mochte. Eines Tages nun machte er sich auf zu der Zelle eines Alten in Begleitung eines Abbas Archebius, der wie er in der Wüste von Panephysis wohnte, und unterwegs trafen sie zufällig eine Frau. Diese Begegnung versetzte ihm einen solchen Schrecken, daß er den Liebesdienst, für den er den Besuch unternahm, vergaß und in sein Kloster zurücklief, eiliger als man beim Anblick eines Löwen oder eines schrecklichen Drachen flieht. Vergeblich rief ihn Abbas Archebius zurück. Weder dessen Schreie noch Bitten konnten ihn bewegen, ihren Weg bis zum Ende fortzusetzen, um dem Alten den Besuch abzustatten. Der Eifer für die Enthaltsamkeit und die Liebe zur Reinheit bewegten ihn. Aber sein Verhalten entsprach nicht den Vorschriften und überschritt die Grenzen der Disziplin und der gerechten Bemühungen, denn er vermied nicht nur die Vertraulichkeit mit Frauen, die wahrhaft gefährlich ist, sondern auch ihren Anblick hielt er für verabscheuenswert. Die Strafe folgte und sein ganzer Körper wurde gelähmt, keines seiner Glieder war fähig, seine Aufgabe zu erfüllen. Seine Füße und Hände versagten ihm den Dienst, seine Zunge blieb unbeweglich in seinem stummen Mund, seine Ohren waren verstopft. Unbeweglich und aller òinne beraubt, blieb nur noch die Erscheinung eines Menschen übrig. Die liebevolle Pflege von Männern reichte nicht aus, um seine Krankheit zu lindern, so daß nur noch Frauen ihm helfen konnten. Man brachte ihn in ein Kloster zu heiligen Jungfrauen. Die Frauen gaben ihm zu essen und zu trinken, da er unfähig war, selbst durch ein Zeichen des Kopfes sich verständlich zu machen. Sie dienten ihm bei allen Notwendigkeiten der Natur fast fi^ vier Jahre lang, bis an sein Lebensende." Der Schluß der Geschichte berichtet von Krankenheilungen, die durch Abbas Paulus bewirkt wurden.

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4.1.4.

Doppelklöster

Nach dem bisher Erarbeiteten stellt sich die Frage, ob es sich bei den beiden klösterlichen Niederlassungen am Iris um ein Doppe1k1oster handelt. Hilpisch definiert diese Institution folgendermaßen :"Zu einem Doppe1k1oster im eigentlichen Sinne des Wortes gehört, daß eine Gemeinschaft von Mönchen und Nonnen in solcher Weise beieinander wohnt, daß ihre Klosteranlage räumlich und rechtlich eine Einheit darstellt." 64 Die Pachomianischen Klostergründungen und die Gründungen am Iris betrachtet Hilpisch als früheste Form des Doppe 1k1osters im Orient. Wie oben schon zitiert, sieht Hilpisch den Grund für das Entstehen dieser Formation in der Abhängigkeit und Angewiesenheit der Frauen auf die Männer. "Es kann schon nach dem Gesagten kein Zweifel bleiben, daß es zunächst die Bedürfnisse des äußeren und inneren Lebens auf seiten der Nonnen waren, die diese Einrichtungen schufen."65 Ich möchte trotzdem Zweifel anmelden und versuchen, diese Zweifel anhand der Vita Macrinae zu begründen. Die rechtliche Einheit, die nach der oben zitierten Definition das Doppe1k1oster kennzeichnet, sieht Hilpisch in der Person des Abtes gegeben, der "auch die Oberleitung im Frauenkloster"66 hatte. An diesem Maßstab gemessen waren die beiden Gründungen am Iris kein Doppe1k1oster, denn sowohl Männerais auch Frauenkloster hatten eine eigenständige Leitung. Makrinas reife geistliche Persönlichkeit war nicht auf eine "Oberleitung" angewiesen, sie selber war die Meisterin und Lehrerin ihrer Schülerinnen. Die Verhältnisse in den Pachomianischen Klöstern scheinen anders gewesen zu sein, wenn man dem Bericht der Vita Pachomii folgt. Wesentlich für den Zusammenhalt sowohl der Klöster des Pachomius als auch der Klöster im Pontus war, daß Männerund Frauenkloster der gleichen Regel folgten.6^ Diese Tatsache allein berechtigt jedoch noch nicht, von einem Doppelkloster zu sprechen. Vor allem muß hierbei berücksichtigt werden, daß die Regeln der Klostergründung am Iris nicht vorausgehen, sondern sozusagen erst ein Ergebnis der bereits

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erfolgten Konstituierung der Gemeinschaften war. Doppe1k1öster waren im ganzen Orient verbreitet und spiel ten auch eine große Rolle im westlichen Mönchtum. Die Doppelklöster verbreiteten sich trotz wiederholter kirchlicher und staatlicher Verbote und Einschränkungen. Kaiser Justinian ordnete 529 und 546 die vollständige Aufhebung aller Doppelklöster an. 6 8 Wenn das Zweite Nicaenische Konzil sich 787 erneut mit dieser Frage beschäftigte, kann man daraus schließen, das Justinianische Verbot nicht wirksam geworden 69 war. Trotz immer wiederholter Angriffe existierten Doppelklöster in Byzanz bis ins 14. Jahrhundert.70 Ohne daß wir im einzelnen genau wissen, wie beide Klöster organisiert waren, ist die Stiftung und Gründung eines Männer- und eines Frauenklosters zur gleichen Zeit und am gleichen Ort Charakteristisch für die Anfänge des Mönchtums. Johannes Cassian gründete nach seiner Rückkehr aus dem Orient in Marseille ein Frauen- und ein Männerk1oster ;7^ Paulinus von Noia schuf um 395 entsprechende Gründungen in Noia; 72 im Klosterverband des Schenute von Atripe in Ägypten lebten 22000 Männer und 18000 Frauen.7^ Wenn man nicht der Begründung von Hilpisch folgen will, so kann man von den in den meisten Fällen vorliegenden verwandtschaftlichen Bindungen ausgehen. In gewisser Weise wurden die Formen der innerfamiliären Askese in die Wüste übertragen, wenn Bruder und Schwester oder Ehegatten in unmittelbarer Nähe zueinander je ein Kloster gründeten. Palladius beschreibt in seiner Historia Lausiaca das Leben des Frauenklosters in Tabennesi. Männer- und Frauenkloster sind durch den Fluß getrennt ( καί at μέν γυναίκες πέραν τοΟ ποταμοΟ, οί δέ δ,νδρες άντιπέρα ).7^ Die Zahl der Frauen gibt Palladius mit 400 an. Diese befolgen die gleiche Regel wie die Männer ( τήν αύτήν... διατύπωσιν ) und auch ihre Lebensführung ist die gleiche ( χήν αυτήν πολιτείαν ).7^ Nur in der Kleidung ist ein Unterschied fest zustellen: die Frauen tragen nicht die Melote, das Ziegenoder Schaffell. Der Kontakt zur Außenwelt und speziell zu

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den Männern ist genau geregelt:"Außer dem Priester und dem Diakon betritt niemand das Frauenkloster und diese auch nur am Sonntag. "7^ Trotz dieser strengen Regelungen muß es Möglichkeiten zu Kontakten gegeben haben, denn der nächste Abschnitt der Historia Lausiaca berichtet vom Zusammentreffen einer jungen zum Kloster gehörenden Frau mit einem Schneider.77 4.1.5.

K1osterrege 1n

Als nächstes sollen die unser Thema betreffenden Klosterregeln analysiert werden, soweit sie Bestimmungen über das Verhältnis von Frauen- und Männerkloster enthalten. Am Anfang des Mönchtums stand das spontane Ausprobieren verschiedener Lebensformen, während schriftlich fixierte Regeln ein späteres Stadium kennzeichnen. Die Regeln waren ein Schritt zur Organisierung der an vielen Orten aufgebrohhenen Bewegung, die auch manche Wege ging, die sich im nachhinein als Irrwege herausstellten. Mönchsregeln befassen sich mit dem allgemein und für alle Gültigen, sie versuchen, ein Mittelmaß festzulegen, das von allen befolgt werden kann Daneben gab es im östlichen Mönchtum die persönliche Beratung und Begleitung durch einen geistlichen Vater oder eine geistliche Mutter. Viele der in den Mönchsregeln festgehaltenen Bestimmungen haben ihren "Sitz im Leben" in alltäglichen Konflikten, die auf diese Weise beigelegt werden soll ten. Die Verteilung von Nahrung und Kleidung etwa war einer dieser Konfliktpunkte, wie sich an den Bestimmungen zu diesem Thema ablesen läßt. Die ältesten Regeln, die wir kennen, sind die des Pacho78 mius und die des Basilius. Die Basilius-Regeln enthalten sechs Fragen und Antworten, die das Neben- und Miteinander von Männer- und Frauengemeinschaft betreffen. Die 33. Frage der "Langen Regeln" lautet:" Τ£ς ό τρόπος πρός τός Αδελφός συντυχίας ; ". 79 Die Antwort lautet: Kontakte zwischen beiden Gemeinschaften sollen nur Gott Wohlgefälliges zum Inhalt haben ( περί των άρεσκόντων θεφ ).®® Person, Zeit,

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und Ort eines Gespräches sollen sorgfältig ausgewählt werden. "Alles soll mit Anstand und nach der Ordnung und zur Erbauung geschehen." Ernsthaftigkeit ( σεμνότης ) und Besonnenheit ( σωφροσύνη ) werden von den Teilnehmern eines Gesprächs gefordert. Sowohl von seiten der Männer als auch von seiten der Frauen sollen zwei bis drei Personen anwesend sein. Nicht jede beliebige Schwester und jeder beliebige Bruder sollen miteinander reden, sondern bestimmte Personen werden zu Vermittlern ernannt:" οι δέ έπιλεγέντες πρεσβύτεροιταΐς έπιλεγείσαι,ς πρεσβυτέραις 118 2 - ausgewählte ältere Brüder sollen mit ausgewählten älteren Schwestern die Anliegen klären, um sie dann ihrer Gemeinschaft weiterzuvermitteln. Aus dem letzten Abschnitt der 33. Frage geht hervor, daß einige Brüder den Schwestern halfen " ταΐς τοϋ σώματος χρείαις ". 83 Man wird hierbei an körperliche Arbeiten denken können, die ausgesprochen als Männerarbeit galten, sowie 84 das Spinnen ausschließlich Frauenarbeit war. Während die Langen Regeln des Basilius die Themenkomplexe zusammenfassen und eine umfassendere Antwort zu geben versuchen, spiegeln die Kurzen Regeln noch deutlicher die ursprüngliche Situation wieder. Ganz konkrete Fragen werden behandelt. In KR 108 wird gefragt :"Darf der Vorsteher ( προQC εστώς ) ohne die Vorsteherin ( προεστωσα ) mit einer Schwester zum Aufbau des Glaubens sprechen?" Die Antwort lautet:"Bei diesem Verhalten wird die Weisung des Apostels nicht beachtet, der spricht :Ά1 les soll schicklich und gepC mäß der Ordnung geschehen.1" Die Antwort enthält eine deutliche Ablehnung auf die gestellte Frage. Zunächst sollen alle in Frage kommenden Kurzen Regeln vorgestellt werden, um sie dann im Zusammenhang zu interpretieren. KR 109 stellt die Frage:"Darf der Vorsteher ( προεστώς ) sich unablässig mit der Vorsteherin ( προεστώσα ) unterhalten, zumal wenn einige der Brüder daran 87 Anstoß nehmen?" Unter Hinweis auf zwei neutestament1iche Textstellen lautet die Antwort, daß die Zusammentreffen mög88 liehst beschränkt werden sollen. in KR 110 geht es um die

Beichte :"Muß, wenn eine Schwester dem Presbyteros beichtet, auch die Presbytera dabei sein?" 89 In der Antwort wird der Frage zugestimmt und die Anwesenheit der Presbytera empfohlen. 90 Frage 111 lautet:"Wenn der Presbyteros bei den Schwestern etwas anordnet ohne Wissen der Presbytera, ist 91 sie dann zu Recht verärgert?" "Ja, gewiß." In KR 154 geht es noch einmal um die schon in LR,33 angesprochene Situation, daß einige Brüder den Schwestern bei der Arbeit Hilfe leist9? en. Und KR 220 greift die ebenfalls in LR 33 angeschnittene Frage auf, ob jeder Bruder auf Wunsch mit den Schwestern 93 reden darf. Der Tenor der Antwort gleicht dem, der in LR 33 angeschlagen wurde. Was läßt sich an diesen Fragen und Antworten für den Themenkomplex des Doppelklosters ablesen? Männer- und Frauenkloster am Iris lagen so nah beieinander, daß häufige Kontakte die Regel waren. Jede Gemeinschaft hat an ihrer Spitze eine Leiterin bzw. einen Leiter, den προεστώς und die προεστώσα . Geht man von der Gleichheit der Titel aus, so kann man vermuten, daß beide Funktionen sich entsprachen und der männliche προεστώς nicht gleichzeitig der Leiter des Frauenklosters war. Auch in den übrigen Texten der Regeln, wenn Basilius von den Aufgaben des Oberen spricht, « steht im Griechischen προεστώς .94 Allerdings stellt sich die Frage, ob man davon ausgehen kann, daß dieser Leiter in der Regel Priester war, wie Vi11er/Rahner vermuteten. 95 Basilius selber war Mönch, Priester und Bischof in einer Person, aber diese Kombination ist eher untypisch für das frühe Mönchtum; denn das frühe Mönchtum war eine Laienbewegung, die sich unabhängig von der kirchlichen Hierarchie und Organisation in der Wüste niederließ. Während in KR 108 und 109 von προεστώς und προεστώσα die Rede ist, erscheinen in KR 110 und 111 πρεσβύτερος und πρεσβύτερα in ebenso verantwortlicher Stellung. Bezeichnen beide Ausdrücke zwei verschiedene Ämter und Aufgaben oder ist die Terminologie nicht eindeutig festgelegt? In LR 33 war von mehreren πρεσβύτεροι und πρεσβύτεραι die Re-

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de. Dort sind nach dem Kontext unter diesen "Ältesten" erfahrene ältere Frauen und Männer zu verstehen, die besondere Aufgaben wahrnehmen. In KR 110 ging es um die Beichte einer Schwester ( έξομολογουμένης άδελφής ). 96 Die Beichte war im frühen Mönchtum kein sakramentaler Akt, sondern sie gehörte vielmehr zur seelsorgerlichen Begleitung. So war zu ihrer Ablegung auch kein Priester vonnöten, sondern sie geschah gegenüber einer schon erfahrenen Person, einem im geistlichen Sinne Alten, wie dem " γέρων " oder dem Abbas und der weiblichen 97 Amma. Auch hier kommt der Laiencharakter der frühen Mönchtums zum Ausdruck. Für unseren Zusammenhang des frühen weiblichen Mönchtums ist es wesentlich, daß KR 110 keine grundsätzlichen Regelungen trifft, ob die Beichte einem Presbyter oder einer Presbytera gegenüber abgelegt werden soll. Dem nichtsakramenta1en Charakter des Beichtgesprächs entsprechend wäre dieses auch zwischen den Schwestern und der Leiterin des Frauenklosters denkbar. KR 110 äußert sich zu dieser Frage jedoch nicht, sondern ordnet nur gemäß der schon bekannten Linie an, daß sich Mitglieder der männlichen und der weiblichen Gemeinschaft nicht ohne Zeugen treffen sollen. KR 111 handelt von den Übergriffen des Presbyteros in die Kompetenzen der Presbytera und weist diese eindeutig und energisch zurück. Diese Aussage bedeutet, daß dem Leiter des Männerklosters keine Anordnungsbefugnis im Frauenkloster zusteht, denn die Presbytera ist Leiterin und Verantwortliche der Frauengemeinschaft. Von Kompetenzüberschreitungen in umgekehrter Richtung berichten die Regeln nicht. Als Ergebnis dieser Untersuchung der Basilius-Regeln zum Verhältnis von Frauen- und Männerkloster möchte ich festhalten, daß προεστώς bzw. πρεβύτερος' und προεστώσσ. bzw. πρεσβύτερα gleichberechtigt nebeneinander jeweils an

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der Spitze ihrer Gemeinschaft stehen. Die Kontakte zwischen den beiden Geschlechtern werden auf das Nötigste beschränkt, sie sind aber in dem Maß erlaubt, wie sie der geistlichen Erbauung dienen. Setzt man zu diesen Regeln die Erzählungen der Vita Macrinae hinzu, so ergibt sich ein lebendiges Bild, wie die Kontakt und der Austausch der beiden Klöster vor sich gingen. 98 Zum Vergleich soll ein Blick auf die entsprechenden Passagen der Pachomius-Regel geworfen werden. 99 Die PachomiusRegeln liegen uns in einer lateinischen Übersetzung des Hieronymus aus dem Jahr 404 vor. Drei Abschnitte der "Praecepta" berühren das Verhältnis der Mönche zu Frauen, einer davon den Kontakt mit dem Frauenkloster. Abschnitt 52 der Praecepta befaßt sich mit der Aufnahme von Gästen, speziell mit den weiblichen Gästen, die zu Besuch in das Kloster kommen: " Wenn Weltleute oder Bettler oder (einige vom) schwachen Geschlecht, d.h. Frauen, zur Pforte kommen, soll man die einzelnen an verschiedenen Orten gemäß der Weisung der Oberen und je nach ihrem Geschlecht unterbringen; vor allem die Frauen soll man mit besonderer Ehrerbietung und Sorgfalt in aller Gottesfurcht bedienen; man soll ihnen einen abgesonderten Raum fern von jeglicher Nachbarschaft mit Männern zuweisen, damit keinerlei Anlaß zu Verdächtigungen entsteht. Wenn sie gegen Abend kommen, darf man sie auf keinen Fall abweisen. Aber sie sollen, wie gesagt, einen abgesonderten und verschlossenen Raum erhalten, unter Wahrung von jeglicher Zucht und Ordnung, damit die Schar der Brüder sich frei ihrem Dienst widmen kann und niemandem ein Anlaß zu Verleumdungen gegeben wird."1^^ Im lateinischen Text steht für "schwaches Geschlecht" "vasa infirmiora" - die Entsprechung zum griechischen 1o 1 " σκεύος ". Wenn man die Betonung der sorgfältigen Behandlung der weiblichen Gäste betrachtet, kann man sich fragen, ob es wohl besonders notwendig war, diese einzuschärfen. Denn frauenfeindliche Tendenzen und Anschauungen waren im frühen Mönchtum zum Teil in extremer Ausprägung

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vorhanden. In c. 199 geht es um das Verhältnis zum "schwachen Geschlecht" außerhalb der Klostermauern, nämlich auf Schiffsreisen. Wieder ist im lateinischen Text von "vasa infirmiora" die Rede. "Vom schwachen Geschlecht soll niemand auf dem Schiff reisen, wenn nicht der Vater des Klosters es 103 zufällig befohlen hat." Wir wissen nicht, ob es sich bei diesen mitreisenden Frauen um weltliche Frauen handelt oder um die Mitglieder eines der Frauenklöster. Zu beiden soll auf jeden Fall der Kontakt möglichst vermieden werden. Der Kontakt zum "monasterio virginum", das zum Pachomianischen Klosterverband gehört, wird in c. 143 angesprochen. " Wir wollen auch ein Wort über das Kloster der Virgines sagen: Niemand soll dort einen Besuch machen, außer er hat dort seine Mutter oder Schwester oder Tochter oder Verwandte oder Geschwisterkinder oder die Mutter seiner Kinder. Wenn aber ein dringender Grund für einen Besuch vorliegt, (beispielsweise) wenn ihnen aus der Zeit, bevor sie der Welt entsagten und in das Kloster eintraten, eine väterliche Erbschaft zusteht oder sonst ein Grund offenkundig ist, dann soll man mit ihnen einen Mann von bewährtem Alter und Wandel für den Besuch mitgeben und mit diesem sollen sie wieder zurückkehren. Niemand soll zu jenen (Virgines) gehen als nur die, welche wir oben genannt haben. Wenn sie dieselben sehen wollen, dann sollen sie zunächst den Klostervorsteher benachrichtigen; dieser soll dann den Senioren Bescheid geben, die für den Dienst bei den Frauen bestellt sind. Die sollen ihnen (den Besuchern) entgegenkommen und zusammen mit ihnen sollen sie die (Virgines), um die es geht, in aller Zucht und Gottesfurcht besuchen. Während des Besuches sollen sie mit ihnen nicht über weltliche Dinge reden."1 Einige dieser Bestimmungen entsprechen denen der Basilius-Regeln. Ein Unterschied liegt darin, daß es in den Pachomianisehen Frauenklöstern einen speziell für die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Frauen abgestellten Mönch gab, der die Kontakte zur Außenwelt regelte. 105

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4.1.6.

Geistliche Mutterschaft

Nach der äußeren Organisation soll nun der innere Aufbau der Frauengemeinschaft betrachtet werden. Auf die Gleichheit der äußeren Lebensumstände hatte Gregor in seiner Beschreibung des Iris-Klosters großen Wert gelegt. Der Tagesablauf der Frauen ist bestimmt durch den Rhythmus von Gebet und Arbeit. Bei aller Betonung des gemeinschaftlichen Ideals der neuen Lebensform ragt Makrina als auffallende Persönlichkeit aus der Gruppe der Frauen hervor. Sie ist die Leiterin ( καθηγουμένη ,194).'*®® Diejenigen, die Makrina leitet, werden als " χορός τής παρθενίας " (194) oder als " χορός των παρθένων bezeichnet. Der Terminus " παρθένος " wird von Gregor sowohl für Makrina als auch für die übrigen Frauen verwandt. Die Stellung Makrinas innerhalb der Gemeinschaft wird besonders deutlich an den Reaktionen angesichts ihres Todes. Trotz des Ideals, sich nicht dem πάθος hinzugeben, können die Parthenoi ihre Trauer nicht verbergen (230), denn sie trauern um ihre Lehrerin - ή διδάσκαλος .108 Nicht etwas Menschliches haben diese Frauen in Makrina verloren, son dern "ihre Hoffnung in Gott und das Heil ihrer Seelen" (230) In sehr bildreichen und literarisch sorgfältig stilisierten Ausrufen findet ihr Kummer Ausdruck: "Sie sagten: Erloschen ist das Licht unserer Augen. Weggenommen ist das Licht, das unsere Seelen führte. Zerstört ist die Sicherheit unseres Lebens. Geraubt ist das Siegel der Unsterblichkeit.. Zerrissen das Band der Einstimmigkeit. Zerbrochen die Stütze der Mutlosen. Verschwunden die Heilung der Kranken. Bei Dir war uns die Nacht wie der Tag, erleuchtet mit reinem Licht. Nun ist auch der Tag in Finsternis verwandelt." (230,232). Gregor berichtet weiter, daß die Trauer am stärksten bei den Frauen war, "die sie Mutter und Ernährerin nannten"

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(232); die während einer großen Hungersnot auf den Wegen Umherirrenden hatte Makrina aufgenommen und erzogen (232). Im geistlichen Sinne Mutter war sie aber nicht nur für diese Waisen, sondern für alle Frauen der Gemeinschaft, denn in ep. 19 beschreibt Gregor, daß sie die sie umgebenden Parthenoi "durch geistliche Geburtswehen" ( πνευματικών ώδίνων ) zur Welt brachte. 109 Mit diesen Worten wird eine sehr enge Beziehung zum Ausdruck gebracht, die in anderen Gemeinschaften zur Bezeichnung und Anrede "Mutter" für die Leiterin führte. Während das Thema der geistlichen Vaterschaft im Rahmen des frühen Mönchtums durchaus beachtet und am Begriff des Abbas untersucht wurde,110 steht die Ausarbeitung der Typologie geistlicher Mutterschaft noch aus. Der von Heussi nach seinen Erläuterungen zum Titel Abbas gegebene Hinweis, daß der "entsprechende weibliche Titel" άμμ& sei,111 scheint mir nicht ausreichend, denn es muß anhand der Quellen erst eingehend untersucht werden, ob geistliche Vaterschaft und geistliche Mutterschaft die gleichen Inhalte haben. Im folgenden sollen zum Verständnis der geistlichen Mutterschaft einige Hinweise gegeben werden. Die schon erwähnte Schwester des Pachomius, Maria, wird von den mit ihr zusammen lebenden Parthenoi " μήτηρ " genannt. Der weitere Zusammenhang des Berichts charakterisiert sie als Leiterin, so daß "Mutter" hier auch als Bezeichnung 112 der Leitungsfunktion gebraucht wird. In den Apophthegmata Patrum trägt die geistliche Mutter den Titel "Amma". Obwohl der Name Apophthegmata Patrum dies nicht vermuten läßt, sind in der alphabetischen Reihenfolge die Sprüche geistlicher Mütter überliefert, nämlich von Amma Theodora,11'* Amma Sarrha11/* und Amma Synkletike.11^ Diese drei leben als Anachoretinnen in der Wüste, während in AP Serapion 1 eine Amma als Vorsteherin eines Frauenklosters begegnet ( μοναστήριαν παρθένων ).110 Wie Abbas vom Semitischen herstammend, bedeutet Amma

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"Mutter" Amma war Epitheton der Göttinnen Rhea und Demet e r . H. Leclercq belegt die Verwendung von Amma in kop1 1 fi tischen, griechischen und lateinischen Inschriften. Die meisten der das Wort "Amma" bezeugenden Quellen beleben diesen Titel als Ehrentitel, als Anerkennung geistlicher Fähigkeiten, und nicht als Bezeichnung einer Leitungsfunktion. Um die geistlichen Wüstenmütter sammelten sich Schülerinnen, die ihre Fähigkeit, Worte und Weisung zu erteilen, in Anspruch nahmen. Daraus entstand jedoch keine dem Klosterleben vergleichbare Organisation, denn das Ideal der Wüste blieben die Einsiedler und Einsiedlerinnen, die für sich in 119 ihrer Zelle lebten. Palladius hat in seiner Historia Lausiaca sowohl den Begriff als auch die Lebensweise einer Amma erläutert. In dem Frauenkloster von Tabennesi lebte eine Parthenos, die bei 120 den anderen als " μωρίαν καί δαίμονα " galt. Sie übernahm die niedrigsten Arbeiten und wurde dafür von den übrigen Schwestern verachtet. Dieser Einleitung folgt bei Palladius eine Erzählung, die in ähnlichen Variationen auch in 12 1 den Apophthegmata Patrum zu finden ist. Der wegen seines frommen Lebenswandels bekannte und verehrte Anachoret Piterum erhält von einem Engel den Hinweis, er solle in dem Frauenkloster von Tabennesi eine Frau suchen, 122 die frömmer sei als er. Obwohl Männer möglichst das Kloster nicht betreten sollen, erhält Piterum wegen seines guten Rufes Einlaß. Alle Frauen außer der einen treten ihm gegenüber, und von dieser einen sagen die anderen Schwestern: " Μίαν δχομεν σαλήν ". Als sie auf Bitten Piterums hereingeführt wird, fällt er ihr zu Füßen mit der Bitte:"Segne mich!" ( Εύλόγησόν με ). Die anderen, entsetzt über dieses Verhalten des Anachoreten, versuchen ihn davon abzubringen. Piterum entgegnet ihnen:" αϋτη γάρ και έμοΟ καί ύμδν άμμ&ς έστίν ." Als Erklärung fügt Palladius hinzu: " ούτως γάρ καλοΟσι τάς πνευματικός ." Wenn Palladius versucht, "Amma" durch "Pneumatike" zu erklären, ist zu vermuten, daß seinem Leserkreis die Bezeichnung "Amma" nicht geläufig war.

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Mit der Bitte um Erteilung des Segens erkennt der Mann Piterum die geistliche Überlegenheit der "Närrin" an. Als Amma kann eine Frau das tun, was ihr unter normalen Umständen verwehrt ist - den Segen zu erteilen. Daß sie vor dem heiligen Piterum niederfiel und um den Segen bat, wurde von der Umgebung gebilligt und erwartet. Nicht aber das Umgekehrte, darauf reagierten die übrigen Frauen mit Unwillen, so daß Piterum sein Verhalten erklären und begründen muß. Seine Erklärung wird dann von allen akzeptiert. Bezeichnend ist auch das Ende der Geschichte: um nicht ständig der Verehrung der anderen Schwestern zu begegnen, die nun ihre eigentliche Qualität erkannt hatten, verließ diese namenlose geistliche Mutter nach wenigen Tagen das Kloster und verschwand, so daß nie wieder jemand etwas von ihr hörte. Die Geschichte der Maria Aegyptiaca 127 ähnelt in manchen Zügen der der heiligen Närrin aus dem Frauenkloster in Tabennesi. Abbas Zosimas begegnet in der Wüste Palästinas einem Wesen, das sich als Frau zu erkennen gibt. Auf der Suche nach einem geistlichen Vater, der ihm weiterhelfen könnte, begegnet Zosimas einer geistlichen Mutter. 128 Durch ihr prophetisches Wissen offenbart sie sich ihm als " μήτηρ πνευμα129 τική Beide bitten sich gegenseitig um den Segen, wobei Maria ihre Bitte damit begründet, daß Zosimas Priester sei und ihm diese Handlung zustehe. 130 Er aber erkennt in ihr die geistliche Mutter, die die Gnade nicht aufgrund eines Amtes, sondern aufgrund ihrer persönlichen Lebens131 führung erhalten hat. So segnet denn die Frau den Priester. An dieser Geschichte wird deutlich, wie in der Wüste und durch die Erfahrung der Wüste alle Maßstäbe verkehrt werden: da steht der Mann nicht mehr prinzipiell höher als die Frau; da wird das Priestertum nicht höher geachtet als eine persönliche geistliche Lebensführung. Der Geist des Aufbruchs der ersten Christen wird hier wieder lebendig, der Christen, die noch ohne feste Ämterhierarchie als Gemeinschaft von Männern und Frauen das Reich Gottes bezeugten.

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Die Anrede "Mutter" durchzieht die weitere Erzählung, in der Maria dem Abbas Zosimas ihr Leben berichtet. 132 Maria hat ein bewegtes Leben hinter sich. Nachdem sie als Prostituierte in Ägypten ihre Jugend verbrachte, erlebte sie in einer Jerusalemer Kirche eine Umwandlung, die sie ihr weiteres Leben in der Wüste Palästinas verbringen ließ. Gleich nach dem 1ebensumwande1nden Ereignis, beim Verlassen der Kir133 che, redet sie jemand Unbekanntes als " άμμά μου " an. Diese Anrede macht deutlich, daß ihre innere Wandlung äußerlich sichtbare Spuren zeigt, die sie für andere als geistliche Mutter erkennbar werden läßt,ohne daß sie sich noch in diesem neuen Leben bewährt hat. Der Wüstenaufenthalt folgt ja erst. Nicht lange Jahre der Erfahrung und ein bestimmtes Alter sind vonnöten, um anderen geistliche Mutter sein zu können, sondern es hängt, wie die Geschichte der Maria von Ägypten sagt, nur an der Tiefe der inneren Wandlung. Aus einer Prostituierten wurde innerhalb weniger Stunden eine Amma. Susanna Elm, die sich mit den verschiedenen Titeln asketisch lebender Frauen in ägyptischen Papyri beschäftigte, weist für das Ende des 4. Jahrhunderts die Verwendung von 134 Amma nach. Einen Beleg für den Gebrauch des Titels Amma im 9. Jahrhundert bietet ein Brief des Theodor Studites, ep. 113, gerichtet an die " ήγουμένη " Euphrosyne, die Leiterin 135 eines byzantinischen Klosters. Theodor tröstet sie in diesem Brief über den Tod ihrer leiblichen Mutter Irene und nennt diese " ή καλή άμμας, ή Χριστοψόρος γυνή ". Insgesamt acht Briefe Theodors an Euphrosyne sind überliefert, in denen es zum großen Teil um die rechte Leitung der Frauengemeinschaft geht. Theodor ermuntert Euphrosyne, sich 137 ihren Mitschwestern als " μήτηρ πνευματική " zu zeigen . Pelagia, deren Geschichte Ähnlichkeiten mit der Marias aus Ägypten aufweist, - auch sie war eine berühmte Prosti-

tuierte -, erhält nach ihrer Bekehrung und Taufe als geistliche Mutter ( μήτηρ πνευματική ) die Diakonisse Romana (ή κυρά *Ρωμάνα ή διακόνισσα ). 138 Die geistliche Mutter begleitet sie und wohnt mir ihr zusammen im Gebäude der Katechumenen. Bei allen Anfechtungen und Schwierigkeiten des 139 neuen Weges steht sie Pelagia zur Seite. Die Römerin Melania, die in Palästina ein Frauen- und ein Männerkloster gründete, wird in ihrer Vita ebenfalls "Mutter" genannt ( τοΟ βίου τής άγιας... μητρός ήμών Μελάνης ).140 Im lateinischen Sprachgebiet wurde Amma als "Abbatissa" wiedergegeben. Die erste inschriftliche Bezeugung findet sich im römischen Grabmal der Abbatissa Serena aus dem Jahr 514. 141 "In allen Fällen ist jedoch zu beachten, daß abbatissa bzw. amma noch nicht auf den heutigen Sinn des Wortes eingeengt ist, also nicht nur von der Leiterin einer klösterlichen Gemeinde von Jungfrauen gilt, sondern ganz allgemein die πνευματική , ohne bevorzugte und führende Stellung innerhalb eines Klosterverbandes, bezeichnet. Wie abbas so ist auch abbatissa bzw. amma seinem Ursprung nach ein rein 142 pneumatischer Begriff". 143 Während Abbatissa später im römischen Gebiet die rechtliche Stellung der Leiterin kennzeichnete, wurde in Byzanz . der Begriff ήγουμενη verwendet. 144 Fassen wir die bisher untersuchten Begriffe einer geistlichen Mutterschaft zusammen, so lassen sich nennen: καθηγουμένη, άμμ&, μήτηρ, πνευματική, μήτηρ πνευματική, ήγουμένη , abbatissa. 4.1.7.

Witwen im Kloster

Neben Makrina ragen noch zwei andere Frauen aus der Gemeinschaft hervor, so daß Gregor kurze Mitteilungen über sie hinterläßt. Beide müssen in einem besonders engen Verhältnis zu Makrina gestanden haben, denn Gregor wählt sie zur Mithilfe bei der Zurüstung des Leichnams aus nach der

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Überlegung, daß die Verstorbene ihren Dienst gern angenommen hätte (234). Eine dieser beiden Frauen ist die Witwe Vetiana, über deren Herkunft Gregor genaue Angaben macht. Sie stammte aus einer angesehenen und reichen Familie, ihr Vater hieß Araxios und war Mitglied des Senats. In ihrer Jugend war Vetiana berühmt wegen ihrer Schönheit (234). Nach nur kurzer Ehe mit einem aus der gleichen Gesellschaftsschicht stammenden Mann wurde sie Witwe. Sie erwählte nun Makrina "zur Wächterin und Erzieherin ihrer Witwenschaft" und verbrachte die meiste Zeit zusammen mit den Parthenoi, "von denen sie das Leben nach der Arete lernte" (234). Durch diese Beschreibung wird Vetiana deutlich von den anderen Frauen der Gemeinschaft abgesetzt. Sie wird als " γυνή " bezeichnet im Gegensatz zu den Parthenoi. Vetiana stammte aus ähnlichen Familienverhältnissen wie Makrina, während der Großteil der in der Klostergemeinschaft Lebenden aus ehemaligen Sklavinnen bestand. Wenn nur dieser Zug in Gregors Schilderung hervorstäche, müßte man sagen, daß er die alten Gesellschaftsmuster von "oben und unten" festhielte. Das ist jedoch nicht der Fall, denn diese Vetiana lernt von den Parthenoi das, wofür es nach übereinstimmender Ansicht der Zeitgenossen zu leben lohnte: die Arete. 145 Die Tochter eines Senatsmitglieds vollzieht die gleiche Bewegung wie Makrina und ihre Mutter, die sich "den vielen" g l e i c h s t e l l t e n . I n d e m Gregor genaue Angaben über die soziale Herkunft Vetianas macht, unterstreicht er umso nachdrücklicher die Anziehungskraft des asketischen Lebensmodells für Frauen. Gleichzeitig macht dieser Bericht erkennbar, daß das as147 ketische Leben auch Witwen offenstand. Witwen besaßen in der frühen Kirche eine Ehrenstellung, nahmen Aufgaben in der Gemeinde wahr, verloren aber mit der Hochschätzung der Virginität ihren Aufgabenbereich an die Diakonissen. In gewisser Weise kann man in den Witwen schon Vorläuferinnen der späteren Asketinnen erkennen, als sie eine gesonderte Gruppe in der Gemeinde bildeten, zur körperlichen Enthaltsamkeit verpflichtet waren und ein ausschließlich der Kirche

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gewidmetes Leben führten. 148 Die Abwertung der Witwen gegenüber den Jungfrauen kommt bei Basilius zum Ausdruck, wenn er schreibt:" Χηρεία γάρ 149 Obwohl Makrina sich nach dem Tod παρθενίας έλάττων des Verlobten mit der Begründung, daß es nur eine Ehe gebe, weigerte, mit einem anderen Partner eine Ehe einzugehen, war sie im Grunde keine Witwe, da ihre Ehe nicht vollzogen worden war. Vetiana dagegen lebte als Witwe in dem Frauenkloster. Vetiana ist es auch, die Gregor auf den Ring und das Kreuz aufmerksam macht, die Makrina am Hals trug. Der Ring enthält eine Kreuzespartikel und bildet damit einen Hinweis auf die sich ausbreitende Reliquienverehrung. 150 Da Vetiana Makrina sehr nahe stand, weiß sie Gregor auch von dem Wunder zu berichten, von dem eine kleine Narbe an Makrinas Hals zurückblieb (242-246). 4.1.8.

Diakonissen im Kloster

Lampadion ist die zweite der von Gregor von Nyssa mit Namen festgehaltenen Frauen. Sie hatte innerhalb der Gemeinschaft eine besondere Stellung inne, sie war " προτεταγμένη toC xopoC xfic παρθενίας " und " év τψ διακονίας δαθμψ " (236). Was bedeuten diese beiden Ausdrücke? Der zweite wird dadurch klar, daß Gregor sie auch noch " ή διάκονος " (246) nennt. Hängen beide Aufgaben miteinander zusammen? Die erstere ist schwerer zu deuten als die zweite. Bei " προτεταγμένη " könnte man an die "Ältesten" der Basilius-Regel denken, die zu besonderen Aufgaben ausgewählt wurden. Die "Vorgesetzte" Lampadion nimmt auf jeden Fall eine andere Aufgabe wahr als die Leiterin Makrina. 151 Mit der weiblichen Diakonos berühren wir das Thema der altkirchlichen Einrichtung der Diakonissen, das in der Literatur schon vielfach behandelt worden ist. 152 Die erste weibliche Diakonos war Phoebe, der Paulus in Röm 16,1 Grüße ausrichten läßt. Schon in der Beurteilung um den Aufgabenbereich Phoebes entzündet sich die Diskussion, ob die weiblichen Diakonoi ein festes Amt innehatten, eine Weihe er-

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hielten und damit zum Klerus gehörten. Beyer kommtentiert Röm 16,1:"0b damit irgendeine feste Amtsbezeichnung oder nur eine Kennzeichnung ihrer Verdienste um die Gemeinde aus153 gedrückt werden soll, steht freilich dahin." Anders dagegen Oepke:"Die Bezeichnung der Phoebe als διάκονος der Gemeinde zu Kenchrea liegt an dem Punkt, wo das Charisma An154 satzpunkt für den Auftrag, das Amt zu werden beginnt." Bis ins 4. Jahrhundert bildet η διάκονος die übliche Bezeichnung, während διακόνισσα erst vereinzelt auftritt: 155 der Kanon 19 von Nicäa verwendet διακόνισσα und ebenso Epiphanius von Salamis (+ 403) in seiner Schrift "Adversus haereses". 156 Basilius von Caesarea äußert sich in seinen Briefen ein einziges Mal über eine Frage, die eine weibliche 15 7 διάκονος betrifft. Anhand dieses Briefes wurde die Frage diskutiert, ob Basilius eine Weihe der Diakonos kannte, 1CQ wenn er von " τό σώμα ώς καθιερωμένον " redet. Wie sich an den verschiedenen erhaltenen Kirchenordnungen ablesen läßt, waren Aufgaben- und Wirkungsbereich des weiblichen Diakonats sehr unterschiedlich beschrieben. Deutlich erkennbar ist jedoch die Tendenz, die Diakonissen aus ihren ursprünglichen Aufgaben immer weiter zu verdrängen, so daß nach der Blütezeit im 4. und 5. Jahrhundert der weibliche Diakonat verfiel. Ein Teil der Diakonissen, die in der Gemeinde ihr Betätigungsfeld verloren, findet sich seit dem 4. Jahrhundert in den Frauenklöstern. "In den Klöstern durften die Diakonissen das Stundengebet leiten und die Schriftlesungen übernehmen: sie durften den Altarraum betreten und Weihrauch in das Weihrauchfaß einlegen." 159 Aufgaben, die innerhalb der Gemeinden Frauen abgesprochen wurden, lebten in den Frauenklöstern weiter. "Als die Nonnenklöster entstanden, ging das Recht, die Eucharistie den Nonnen zu reichen, an die für diese Aufgabe geweihten Diakonissen, in erster Linie an die Äbtissin über. Das ist ja auch der Sinn der Zeremonie des byzantinischen Ritus der Diakonissenweihe, daß der neugeweihten Diakonisse vom Bischof der Kelch in die Hand gegeben wird und sie ihn eigenhändig auf den Altar zurückstellt. Gryson erstellte eine Liste von Diakonissen, die inner-

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halb von Frauenklöstern ihre Aufgaben wahrnahmen.161 Wenn jedoch F. Heiler162 und E. Theodorou163 Makrina unter dieDiakonissen einordnen, so findet das keinen Anhalt an der Vita Macrinae, denn dort wird wohl Lampadion als "Diakonos" 164 vorgestellt, nicht aber Makrina. Mit dem teilweisen Aufgehen des weiblichen Diakonats in den frühen Frauenklöstern stoßen wir auf eine Linie, die schon anhand des Begriffes der "Magd Gottes" beobachtet worder war. 165 Das in den Apostolischen Konstitutionen enthaltene Weihegebet für Diakonissen nennt als Vorläuferinnen die alttestamentlichen Prophetinnen Miriam, Debora, Hanna und 1 fi fi Hulda. Hören wir hierzu F. Heiler:"Das Bedeutsamste an diesem Weihegebet ist die Betonung des inneren Zusammenhangs, der zwischen Diakonissenamt und der weiblichen Prophetie des Alten Bundes besteht, wobei daran zu erinnern ist, daß Miriam und Debora wahrscheinlich nicht nur Prophetinnen, sondern auch Priesterinnen waren - wenngleich entsprechend der damaligen religiösen Entwicklung Zauberpriesterinnen - und daß dieses alttestamentlich-weibliche Prophetenamt in den urchristlichen Prophetinnen wieder auf lebte."167 Einige weibliche Diakonoi, die in der Geschichte des weiblichen Mönchtums bedeutsam waren, sollen vorgestellt werden.166 Palladius berichtet in seiner Historia Lausiaca von einem Frauenkloster ( μοναστηρίψ γυναικών ) in Caesarea in Palästina, dessen Vertreterin der Öffentlichkeit gegenüber eine διάκονος ist ( τήν διάκονον τής άδελφότητος ). 169 Vermutlich war diese Diakonos gleichzeitig die Leiterin des Klosters, da sie darüber entscheidet, wer in das Kloster aufgenommen wird. Die wohl berühmteste Diakonos der byzantinischen Kirche war Olympias, mit der Johannes Chrysostomos eine umfangreihhe Korrespondenz führte.170 Geboren zwischen 360 und 370171 war Olympias in einer Person Parthenos, Witwe, Diakonos und Leiterin eines Klosters. Nach nur kurzer Ehe, bei der sie eine Parthenos blieb, wurde sie sehr jung durch Bischof

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Nektarius zur Diakonos der Hagia-Sophia-Kirche von Konstantinopel geweiht ( χειροτονείται διάκονος ). 172 In der I7 O Überschrift ihrer Vita wird sie auch "Diakonos" genannt. Wesentlich für ihr Diakonat ist es, daß dieses an eine Kirche gebunden war. Direkt neben der Kirche baute sie ein Kloster ( μοναστήριον ), das jedoch nach der Interpretation Dagrons nicht den im 5. Jahrhundert üblichen Klöstern entsprach, sondern eher einen Anhang an das erzbischöfliche Gebäude darstellte und den Häusern der römischen Aristokratinnen Marcella und Lea zu vergleichen ist. 175 Mit den ehemaligen Dienerinnen und Verwandten der Olympias zusammen lebten etwa 250 Frauen in diesem Haus.17® Als Johannes Chrysostomos Bischof der Sophia-Kirche wurde, weihte er drei weitere Frauen aus der Gemeinschaft zu Diakonen ( χειροτονεί διακόνους ): Elisanthia, Martyria und Palladia.177 Olympias vereint in einer Person, was sich fortan immer mehr trennt, sie ist Diakonos einer Kirche und damit einer Gemeinde, nimmt also öffentliche Aufgaben wahr, und gleichzeitig lebt sie in einer Frauengemeinschaft, die, wenn sie als "Monasterium" bezeichnet wird, keine ausdrückliche Berufung in die Öffentlichkeit zum Lebensinhalt hat. Die oben bereits erwähnte Vita der Prostituierten Pelagia, die von den Herausgebern ins syro-pa1ästinisehe Milieu 178 des 5. Jahrhunderts datiert wird, gibt uns interessante Aufschlüsse über Aufgaben und Verständnis der Diakonisse. Damit Pelagia getauft werden kann, muß der Bischof eine Diakonisse holen lassen. Der Bischof bestimmt dazu " τήν πρώ179 την τδν διακονίσσων ", die Kyria Romana. Während der Taufzeremonie ist die Diakonisse anwesend und wird zu Pelagias geistlicher Mutter bestimmt. 180 Beide bewohnen nun das 181 Gebäude der Katechumenen, so daß vermutet werden kann, daß dies der ständige Wohnsitz Romanas war, und die Betreuung und Unterweisung der weiblichen Katechumenen ihren Aufgabenbereich umfaßte. In c. 35 wird die Kyria Romana als " τίιν διάκονον " be182 zeichnet. Um den Bischof Nonnos zu sehen, ist Pelagia auf die Vermittlung "ihrer Mutter, der Diakonisse" angewie-

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sen. Hier liegt eine Parallele zur Aufgabenbeschreibung der Olympias vor, die sich ja ganz wesentlich um das Wohlergehen des Bischofs Johannes Chrysostomos kümmerte. Die Diakonissen hatten freien Zugang zum Bischof, der anderen Frauen nicht ohne weiteres gewährt wurde. Während der acht Tage, die Pelagia nach ihrer Taufe noch in Antiochien verbringt, sorgt die Diakonisse Romana für ihre Ernährung,und als sie unbemerkt aus Antiochien flieht, um in der Wüste zu leben, bricht die geistliche Mutter in große Trauer aus. 184 In der Person der Diakonisse Romana verbinden sich die alten Aufgabenbereiche des weiblichen Diakonats - Taufassistenz und Unterweisung der weiblichen Katechumenen - und die mehr im Mönchtum beheimatete geistliche Führung und Begleitung, die geistliche Mutterschaft. Zum Abschluß sollen zwei Punkte genannt werden, an denen sich das Weiterleben des alten weiblichen Diakonats verfolgen läßt: "ln einigen Nonnenklöstern Griechenlands gibt es 1p c noch heute geweihte Diakonissen." Und im westlichen Orden der Kartäuserinnen sang an hohen Festtagen bis ins 19. 1 ftfi Jahrhundert die Äbtissin das Evangelium während der Messe. 4.1.9.

Termini für Asketinnen

Bevor ein Überblick über die gebräuchlichen Termini für asketisch lebende Frauen gegeben wird, sollen die Benennungen für Frauenklöster und -gemeinschaften festgehalten werden, die bisher erwähnt wurden: παρθενών ^8^ μονή 188 189 φροντιστήριον 190 γυναι,κωνΐτ ις μοναστήpiον (των) γυναικών μοναστήριον των παρθένων χορός τής παρθενίας ^3 χορός των παρθένων ^94 Ferner sind zu nennen:

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Αδελφότης 195 κελλίσν 196 μικρόν άσκητήριον

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Die Vita Macrinae bezeichnet sowohl Makrina als auch die Gesamtheit der anderen Frauen als Parthenoi. Von den bisher bearbeiteten Texten belegen fast alle die Verwendung von Parthenos: die Basilius-Briefe, die Vita Antonii, die Historia Lausiaca usw. Dieser Terminus erweist sich als der am weitesten verbreitete, um asketisch lebende Frauen zu identifizieren. Die Basilius-Regeln, die Histoira Lausiaca und 198 die Vita des Pachomius sprechen daneben auch von άδελφαί wenn es um die Bewohnerinnen eines Frauenklosters geht. Pal. ladius erwähnt einmal eine παιδίσκη ,199 die ihr asketisches Leben eingeschlossen in einem Grab führt. Ob ή γραΟς bei Palladius als asketischer Terminus im Sinn von γέρων zu verstehen ist, läßt sich von der einen Textstelle her nicht entscheiden. In c. 59 könnte auch einfach das Alter der Amatalis gemeint sein.^® Ferner begegnet in der Historia Lausiaca at άσκήτριαι . Diese Asketinnen leben in einem Frauenkloster. In c. 29 berichtet Palladius von einem τάγμα των άσκητριών , für die der άσκητής Elias ein großes Monasterium in der Stadt 202 Athribe baute. Etwa 300 Parthenoi lebten unter der Begleitung des Elias in diesem Kloster. Dieser für Frauen recht selten belegte Terminus findet sich ebenfalls auf dem Grabmal im pontischen Amaseia in Verbindung mit dem Terminus Stylitin: Θέσις Μαρίας άσκητρίας στυλίτισας . Von den Herausgebern wird diese Inschrift folgendermaßen kommentiert:"Il n'est pas étonnant que le Pont, qui fut en Asie Mineure le berceau du monachisme, ait produit des femmes ascètes; il est plus extraordinaire que l'une de ces anachorètes ait voulu s'isoler au sommet d'une colonne." 204 Neben dem von uns untersuchten Begriff der Asketin wirft diese Grabinschrift ein Licht auf die Vielfalt der Formen weiblichen asketischen Lebens; Frauen lebten nicht nur in der Wüste als Einsiedlerinnen und in Klöstern, sondern sie be-

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stiegen auch Säulen wie der berühmte Symeon Stylites in Syrien. Die Entdeckung dieser extremen Lebensformen bei Frauen wird von den meisten Forschern unserer Zeit mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen. 205 Wenn man jedoch davon ausgeht, daß Frauen von Anfang an an der Ausbildung monastisch-asketischer Lebensformen beteiligt waren, so scheint das Vorhandensein einer Stylitin nicht erstaunenswerter als das Leben eines männlichen Styliten. Wenn jedoch Frauen in dieser frühen Bewegung nicht vermutet werden, kann jeder Nachweis einer Asketin nur mit Erstaunen aufgenommen und kommentiert werden. Die Lebensform der Wüstenväter und -mütter ist die Anachorese. Άναχωρητάς (der männliche Anachoret) ist als 20 6 Stichwort im Lexikon von Lampe zu finden, eine Form für Anachoretin dagegen nicht. Die Vita der Synkletike, die das Leben einer geistlichen Wüstenmutter beschreibt, nennt die Heilige άναχωρούση . Anmerkungen wie die von Bousset, 208 daß "es Anachoretinnen doch nur in beschränktem Maße gab", sind sicher richtig, doch sie wirkten wie Urteile, daß es sich nicht lohne, sich mit diesen wenigen, die uns überliefert sind, zu beschäftigen. Alanna Emmett nennt μοναχά , μονάζp u p o , , παρθένος und παρθενεύουσα als in griechischen Papyri geläufige Termini für weibliche Asketinnen. 209 Die von ihr untersuchten Begriffe Αειπάρθενος und άποτακτικά erscheinen dagegen selten und bereiten auch Interpretationsprobleme. 2 10 Für μοναχά und μονάχουσα bietet Lampe jeweils eine Angäbe, 211 während μοναχός drei Seiten umfaßt. 212 Kassia, die berühmte Konstantinop 1er Dichterin des 9. Jahrhunderts, die in der Hauptstadt ein Frauenkloster gründete, um sich selber dorthin zurückzuziehen, trägt in den von ihr überlieferten Werken den Beinamen μοναχά ·213 Im Westen wird die latinisierte Form monacha 214 vom 6. Jahrhundert an selten, 21 5 und an ihre Stelle tritt das Wort 2 1 fi Nonne. Eine kurze Darstellung der Entwicklung und Bedeutung des Begriffs "Nonne" soll diesen Abschnitt beschließen, um uns dann der Interpretation des Terminus "Parthe.

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nos" zuzuwenden. In der vorliegenden Studie habe ich es bisher zu vermeiden gesucht, von "Nonnen" und vom "Nonnentum" zu sprehhen und stattdessen vom "weiblichen Mönchtum" und von "Asketinnen" geredet. Damit sollte deutlich gemacht werden, daß große Unterschiede zwischen den ersten Einsiedlerinnen der Wüste, den ersten Frauenklöstern des Orients und den späteren Entwicklungen des Westens bestehen. "Nonne" bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch eine klausurierte Ordensfrau mit feierlichen Gelübden, 2 17 und diese unterscheidet sich sehr wesentlich von einer Asketin des 4. und 5. Jahrhunderts im Orient. Wenn sich auch "Nonne" von dem griechischen Beinamen Νόννα ableitet, so wurde es kein griechischer Terminus zur Bezeichnung weiblichen asketischen Lebens.Aus diesem Grund erscheint es mir nicht angemessen, wenn F. Heiler unter der Überschrift "Nonnentum" über "Nonnenklöster" im Orient und über die Schwester des Pachomius, 218 Emmelia usw. berichtet. Da es in dieser Arbeit um die Untersuchung der Entstehung des weiblichen Mönchtums geht, wird großer Wert darauf gelegt, daß diese Anfänge nicht einfach als rückwärtige Verlängerung des etwa aus dem mittelalterlichen Westen Bekannten gedacht und vorgestellt werden. So besteht ein großer Unterschied zwischen östlichem und westlichem Mönchtum darin, daß im Osten keine Orden entstanden. 219 Alle Klöster des Orients blieben selbständig, so daß sich von hier aus die Frage nach der Leitung von 220 Frauenklöstern noch einmal neu stellt. wenn in der Literatur z.T. sehr schnell und ohne Nachforschungen angenommen wird, daß die Frauenklöster des Ostens von einem Männerkloster aus geleitet wurden, beruht das vielleicht auf einer vorschnellen und nicht hinterfragten Übertragung des westlichen Organisationsmodells auf den Osten. Zu überlegen ist, ob im Deutschen das Wort "Mönchin" 221 verwendet werden könnte, darin das griechi sehe μοναχή aufnehmend, um den Unterschied zur "Nonne" deutlich zu machen. Nach A. Adam sieht die Ableitung von "Nonne" folgendermaßen aus :"Grundlage ist die griechische Bezeichnung Νόννα ,

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die einer ehrwürdigen Matrone, wie z.B. der Mutter Gregors von Nazianz zukam, so daß bei einer breiteren Verwendung des Wortes die Bedeutung 'ehrwürdige Christin1 entstehen konnte und sehr bald die Neubildung Νόννος für den 'Vater in Christus' sich anschloß." 222 Benedikt von Nursia verwendet in seiner Regel in c. 63 die männliche Form "nonnus" als Anrede für ältere Mönche. 223 "In Deutschland ist der Begriff Nonna durch Bonifatius, der ihn in seinen Briefen benutzt, eingeführt worden." 224 Gegen Adam ist anzuführen, daß die Mutter Gregors von Nazianz "Nonna" nicht als Beinamen, sondern als Eigennamen 225 trägt. "As a name, the word in Greek and Latin, masculine and feminin, occurs earlier, with Νόννος and possibly N Ó W O - from the second century. It was popular in chri0 0 f. stian circles, though not exclusive to them." 4.1.10

Parthenos

Nach diesem Überblick drängt sich der Eindruck einer großen Vielfalt in der Benennung weiblichen asketischen Lebens auf, der zu Fragen Anlaß gibt. S. Elm formulierte das Problem in folgender Alternati ve:"There was a general uncertainty among the population about what name or names should be applied to female religious life or there was a great diversity among these forms, which were characteri227 zed by varying appellations." Im folgenden sollen mögliche Antworten auf diese Frage gesucht werden. Als auffälliges Gegenüber zu den vielen unterschied1ihhen Bezeichnungen für Asketinnen steht der Terminus "μοναχός ", der schon vor 360 "zur festen Bezeichnung geworden" 228 ist. Uns interessiert in diesem Zusammenhang nicht die Kontroverse um die Deutung und Ableitung von "monachos", 229 sondern allein das Phänomen, daß dieses Wort in vorher nicht gebrauchter Weise die neue Lebensform der männlichen Asketen bezeichnet. Die Vita Antonii benutzt zwar auch andere 230 Ausdrücke, "aber das Wort μοναχός beherrscht das Feld."

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Die entsprechende feminine Bildung μοναχή hat sich für die Frauen nicht in der gleichen durchschlagenden Weise ausgebreitet. Wenn es zur Bezeichnung der asketischen Frauen einen feldbeherrschenden Ausdruck gibt, dann ist das παρθένος .231 Im Gegensatz zur Verwendung von "monachos" ist es allerdings äußerst bemerkenswert, daß dieser Terminus nicht erst mit dem weiblichen Mönchtum auftritt, sondern schon vorher in Gebrauch war. Anhand der Historia Lausiaca soll dargestellt werden, für welche Lebensformen "Parthenos" im 4./5. Jahrhundert verwendet wird. Parthenoi sind bei Palladius sowohl die Frau232 en, die allein, als auch die, die in Gemeinschaften le233 ben. Dabei umfaßt jede dieser Lebensformen verschiedene Ausprägungen: eine Parthenos lebt eingeschlossen in einer pΟΛ poC Zelle, eine andere bewegt sich frei in einer Großstadt, P oC eine dritte wohnt in ihrem eigenen Haus. Zwei der von Palladius erwähnten einzeln lebenden Parthenoi nahmen berühmte Kirchenväter für einige Zeit bei sich auf. Athanasius fand in Alexandrien Unterkunft bei einer nicht mit Namen ge237 nannten jungen, schönen Parthenos, und Origenes wohnte 238 für eine Weile in Caesarea in Kappadokien bei Juliana. Das bedeutet, daß diese beiden Parthenoi materiell dazu in der Lage gewesen sein müssen, Gäste zu beherbergen. Ferner ist aus diesen Berichten zu entnehmen, daß eine strikte räumliche Trennung vom anderen Geschlecht nicht der oberste Lebensgrundsatz für alle Parthenoi war. Die Formen des gemeinschaftlichen Lebens reichen von dem Zusammenwohnen dreier Parthenoi 239 bis zu einem Monasterium mit 300 Parthenoi An der Lebensgeschichte der Magna aus Ankyra wird ein wichtiges Element des Verständnisses unseres Begriffes deut241 lieh: Palladius nennt Magna "Parthenos und Witwe." Witwe wurde sie, als ihr Mann kurz nach der Hochzeit starb; Parthenos blieb sie, weil sie aus dieser Ehe unberührt hervorging ( &ψαυστος ). 242

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In der griechischen Antike erfuhr das Wort Parthenos eine Bedeutungseinengung von der "in der Reife stehende(n) junge(n) weibliche(n) Person" zum "unberührte(n) Mädchen". 243 An der Gestalt einiger Göttinnen, die ausdrücklich als Parthenoi verehrt wurden, läßt sich das griechisch-antike Verständnis erheben:" παρθένος meint das junge, blühende Leben und die herbe Unschuld; beidem wohnt eine religiös verstandene Mächtigkeit inne - wo sich beides verbindet, da werden besondere Kräfte lebendig." 244 Besonders Artemis 245 O Af. und Athene wurden zum Inbegriff der als Parthenoi mächtigen Göttinnen. "Das also kann für den Griechen in der Vokabel entscheischeidend mitschwingen: das Unveränderlichsein, das Sichse1bstgenügen, Gesondertsein; und in dem allen ist etwas Göttliches gegeben und eine Überlegenheit begründet; vielleicht darf man sagen: die παρθένος ist hier Mythisierung der den Griechen so bedeutsamen αύτάρκεια , Sinnbild der selbstgewachsenen, unabhängigen in sich geschlossenen Persönl ichkeit. Wenn auch die antike Autarkeia nicht als christliches Ideal übernommen wird, 248 so leben doch viele der geschilderten Züge in den christlichen Parthenoi weiter. Ich erinnere an die Definition, die Basilius von Caesarea von einer Parthenos gab: sie hat sich freiwillig dem Herrn geweiht, auf die Ehe verzichtet und führt einen Wandel in Heilig249 keit. Den Akzent des "freiwillig" möchte ich hier unterstreichen - diese Bedingung der eigenen Willensbildung hebt sich gegen die Verheiratungspraxis von Mädchen und Frauen, die meistens nach dem Willen der Eltern und besonders des Vaters verheiratet wurden, deutlich ab. Auch in der Vita Macrinae war dies zu erkennen: den künftigen Ehepartner bestimmte der Vater für die Tochter, für das Leben als Parthenos entschied sich Makrina gegen den Widerstand der Eltern . Im Neuen Testament, in 2 Kor 11,2, wird die Gemeinde von Korinth "Braut Christi" und "Parthenos" genannt. Die Jungfräulichkeit ist hier, "entsprechend alttestamentlichem

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Sprachgebrauch, Gleichnis für eine ausschließliche Zugehörigkeit zu Christus." 250 Auf eine schon bekannte Linie treffen wir in Act 21,9, wo über die vier Töchter des Philippus berichtet wird, daß sie als Parthenoi Prophetinnen waren ( παρθένοι προφητεύουσαι ). Wie Parthenos, so trägt auch Prophet/Prophetin den Akzent des Gesondertseins, allerdings nicht wie in der griechischen Antike in Richtung auf das Sichselbstgenügen, sondern in Richtung auf ein besonderes Verwiesensein auf Gott. Sowohl Parthenos als auch Prophetin durchleben die Erfahrung der sozialen Isolierung, die sowohl Voraussetzung als auch Konsequenz der besonderen Gottesbeziehung ist. Und diese besondere Gottesbeziehung wiederum sprengt Grenzen und gesellschaftliche Schranken und eröffnet Frauen ganz neue Räume. Als Parthenos nimmt Makrina in ihrer Familie und in ihrer Umgebung ihre alle Trennungen überwindende Rolle ein: als Parthenos wird sie Männern und Frauen Mutter und Vater und Didaskalos - Rollen und Verhaltensweisen, die normalerweise von verschiedenen Personen ausgeübt werden: Vater kann nicht Mutter sein, Mutter nicht Vater und eine Frau im christlichen Bereich nicht Didaskalos. Wenn auch Parthenos zur gebräuchlichsten Bezeichnung für weibliche Asketinnen wird, so werden doch nicht ausnahmslos alle asketisch lebenden Frauen als Parthenoi bezeichnet. Parthenos trägt in sich den Aspekt der körperlichen Unberührtheit. Makrinas Mutter lebt mit den Parthenoi zusammen, wird selber aber nicht so genannt. Genauso Vetiana: sie ist Frau und Witwe, selber aber keine Parthenos. 251 Die Konstantinopler Diakonisse Olympias hat ein ähnliches Schicksal wie Magna, über die Palladius berichtete. In der Biographie wird ausdrücklich betont, daß Olympias in ihrer kurzen Ehe rein ( δφθορος ) blieb, ja bis an ihr Lebensende blieb sie eine 252 παρθένος άμωμος . Die beiden ehemaligen Prostituierten dagegen, Maria Aegyptiaca und Pelagia, heißen an keiner Stelle Parthenoi. Angesichts dieser Bedeutung von Parthenos stellt sich die Frage, welchen Aspekt Αειπάρθενος im Gegensatz hierzu heraussteilen konnte. Alanna Emmett konstatierte den Gebrauch

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von Αειπάρθενος in Papyri nur bis zum 4. Jahrhundert und stellt die Frage nach einer möglichen Verbindung mit der Entwicklung des marianischen Dogmas. "May it be the case that, as the Marian doctrine of perpetual virginity developed and took hold, the word Αειπάρθενος was reserved for Mary and none dared adopt it in imitation?" 253 Schriften über Virginität und Virgines/Parthenoi entstanden seit Tertullian und Cyprian, erlebten allerdings im 4. Jahrhundert eine erstaunliche Blüte. Vi 1ler/Rahner und Camelot geben Übersichten über diese Schriften, die wir hier nicht zu wiederholen brauchen. 254 Vom Beginn des 3. Jahrhunderts an läßt sich anhand dieser theologischen Werke die Bedeutsamkeit der Virginität für die Kirche feststellen. Die für unseren Zusammenhang wichtigste Beobachtung ist die, daß die Schlüsselworte - Parthenos, Parthenia, virgo, virginitas - von dieser Zeit an bis ins beginnende Mönchtum hinein gleichbleiben. Wenn weibliche asketische Lebensformen des 3. und des 4. Jahrhunderts mit gleichbleibenden Termini beschrieben wurden, so muß eine erkennbare Kontinuität bestanden haben, die natürlich Veränderungen nicht ausschließt. Wir kommen hiermit zu der eigentlichen These der vorliegenden Arbeit, daß das weibliche Mönchtum eigene und andere Wurzeln hat als das männliche. Es bezieht sich stärker als das männliche Mönchtum auf eine Vorgeschichte, die von Parthenoi innerhalb der christlichen Gemeinden gelebt wurde. Kommen wir noch einmal zurück auf die Bezeichnungen für asketische Frauengemeinschaften: die von Makrina im 4. Jahrhundert im Pontus gegründete Gemeinschaft heißt genauso παρθένων wie die Gemeinschaft, zu der die Schwester des Antonius in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts gebracht 255 wurde. Philibert Schmitz formulierte 1956 als Ergebnis seiner Untersuchung zur Vita Antonii:“Les monastères de femmes sont plus anciens que ceux des moines. En Egypte, on en connaît dès le milieu du 111e siècle. Nous voyons saint Antoine, lorsqu'il quitta le monde pour s'enformer dans le désert vers 270, confier sa soeur à un monastère,

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à un parthénon, comme on dira." Vi 1ler/Rahner kamen 1939 zu einem ähnlichen Ergebnis, das etwas zögernder formuliert wird."Dennoch wird man wohl sagen müssen, daß die Frauenklöster vor den Männerklöstern bestanden haben: als Antonius daran dachte, als Aszet zu leben, vertraute er seine junge Schwester einem Hause von 257 Jungfrauen an." Bisher wurden diese Thesen in der Diskussion um die Entstehung des Mönchtums nicht aufgenommen. Hier soll nun auch nicht einfach einer platten Umkehrung das Wort geredet werden. Allerdings soll sehr nachdrücklich unterstrichen werden, daß es nicht ausreicht, wie bisher geschehen, das weib liehe Mönchtum nur als Anhängsel des männlichen zu betrachten. Das weibliche Mönchtum zeigt eine eigene Entwicklung und Geschichte, die jedoch noch vieler weiterer Studien bedarf, bevor ein vollständiges Bild entworfen werden kann. 4.1.11. Kleidung Für das Bild der frühen Frauenklöster ist es wichtig, der Frage nachzugehen, ob die Frauen eine besondere Kleidung trugen, die sie als Asketinnen kennzeichnete. Kleidungsfragen führten schon in neutestament1ieher Zeit zu Kon troversen und wurden auch in der frühen Mönchsbewegung als Symbol und Ausdruck der inneren Haltung verstanden. Eines der Themen, mit dem das Konzil von Gangra sich beschäftigte, war die Kleidung der zur Debatte stehenden asketischen 258 Bewegung der Eustathianer. Die Geschichte Theklas berichtet von einem Kleiderwechsel, der eine Wende in Theklas Entwicklung zum Ausdruck bringt. 259 N.F. Robinson, der sich mit dem Mönchtum der heutigen orthodoxen Kirchen beschäftigt, schreibt über deren Kleidung :"There is no distinc„260 tion between the Habit of the Monk and the Nun Makrina trägt einen σάκκος (196) - das Bußgewand, meist aus braunem oder schwarzem Ziegenhaar bestehend. Schon die Kleidung der Propheten wird so bezeichnet und

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dann das Gewand derjenigen; die eine Kirchenbuße ablei?fi1 sten. Wenn dieses Gewand im frühen Mönchtum getragen wird, so wird dadurch zeichenhaft die innere Haltung der Buße zum Ausdruck gebracht. Eine Parthenos der Historia Lausiaca, die eingeschlossen lebt, trägt ebenfalls einen Sakkos.262 Bei der Vorbereitung von Makrinas Leichnam für die Bestattung zählt Gregor all ihren Besitz auf, den sie an sich trägt: τό Ιμάτιον, τής κεφαλής ή καλύπτρα, τά τετριμμένα των κάδων ύποδήματα (236) - Mantel, Schleier und Sandalen. Aus einer Geschichte über Taor, Parthenos in einem Kloster in Antinoe, ist zu erfahren, daß ihr ιμάτιον, μαφόριον und ΟfiO 6πόδημα als Kleidungsstücke zustanden. Der Schleier bildete einen Hauptbestandteil weiblicher Kleidung - allerdings nicht überall. Paulus führte mit Frau en aus der Gemeinde in Korinth eine schriftliche Auseinandersetzung über das Tragen des Schleiers (1 Kor 11,2-16) und Tertullian verfaßte eine eigene Schrift zu diesem Thema "de virginibus velandis". 264 Paulus konnte sich auf jüdische Sitte berufen, Tertullian auf römische. Die Verschleierung ist jedoch weder spezifisch christlich noch spe zifisch asketisch. "Vielmehr ist die Verschleierung der ver heirateten Frau wohl Ausdruck des privatrechtl ichen Verhältnisses zwischen dem Paterfamilias und seiner Ehefrau. Durch die Bedeckung der Haare und eines Teils des Gesichtes dokumentierte die Frau, daß sie unangreif1iches Eigentum ihres Mannes war, und auf diesem Wege wurde natürlich die Verhüllung ein Zeichen für weibliche Sittsamkeit. "265 Der Widerstand der korinthischen Frauen beruht auf dem Hintergrund, daß "Paulus ... in seinen Gemeinden, auch auf griechischem Boden eine Sitte einzuführen versucht, die zwar nicht griechischem, wohl aber orientalischem und speziell p fifi jüdischem Anstandsempfinden entsprach." Allerdings konnten diese Frauen die Entwicklung des Schleiers zu einem christlichen "Spezifikum ..., um sich gegen eine Umwelt abzuheben, die eine allgemeine Verpflichtung zur Bedeckung des Hauptes nicht kannte,"267 nicht aufhalten.In Byzanz war

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der Schleier so sehr zum Symbol "ehrbarer Frauen" geworden, daß die Prostituierten als Nicht-Verschleierte zu erkennen waren.268 Palladius berichtet über das Frauenkloster von Tabennesi, daß dort die Frauen im Unterschied zu den Männern keine 269 μελωτή trugen. Das Ziegen- oder Schaffell war die Kleidung vieler Anachoreten. Warum diese Frauen gerade dieses Stück nicht trugen, wissen wir nicht. Eine Frau des Klosters tanzte aus der Reihe: sie hatte sich Fetzen* und Lumpen um den Kopf gewickelt, während die anderen alle einheitlich aussahen, sie waren geschoren und trugen Kapuzen ( πδσαι etcì κεκαρμέναι, £χουσαι κουκουλία ). Die Kapuzen hätten Paulus gefallen, nicht aber das abgeschnittene Haar, denn gerade langes Haar war ja nach seiner Meinung die Zierde jeder Frau. Die Sitte des Haareabschneidens bei Frauen kann sich nicht auf neutestamentliche Traditionen berufen, sie widerspricht ihnen vielmehr ganz offen. 271 Ob die Überreichung der besonderen Tracht und das Abschneiden der Haare bei den Frauen von Tabennesi schon mit einer Art Profeß oder Initiationsritus verbunden waren, ist nicht bekannt. In späterer Zeit und bis heute bilden beide Handlungen feste Bestandteile der Mönchs- und Nonnenweihe, sowohl im Osten als auch im Westen. 272 Die Kapuze (Kukulle), die die Frauen von Tabennesi trugen, war in der Antike und Spätantike das Gewand der Bau273 ern, Arbeiter und Bettler. Eine mit dem Tragen des Sakkos vergleichbare Auffassung läßt sich feststel1en :"Es mochte auch die Tatsache mitentscheidend sein, daß viele aus der niederen Bevölkerung sich zum Eintritt ins Kloster meldeten, die entweder ein derartiges Gewandstück mitbrachten oder doch aus ihrem früheren Leben gewohnt waren. Den Stiftern von klösterlichen Familien legte sich der Gedanke, das kapuzenförmige Kleid in ihren Klöstern einzuführen, umso eher nahe, als die Mönche, wenigstens nach der Ansicht vieler, den Stand der Selbsterniedrigung darstelIten".274

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Bevor Pelagia sich aufmachte, um in der Wüste zu leben, zog sie ihre Taufkleidung, die sie eine Woche lang getragen hatte, aus und kleidete sich mit folgenden Kleidungsp7r stücken: στιχάριον καί βερίν τρίχινα . Die Bezeichnungen der einzelnen Kleidungsstücke wechseln oft, aber erkennbar ist, daß es sich jedesmal um einfache, ärmliche Kleidung handelt. In den Akten der Anthusa sind Wechsel der Kleidung und Beginn des Einsiedlerlebens deutlich miteinander verbunden. Anthusa bittet den Bischof Athanasius, ihr das " σχήμα μονσχοΟ " zu geben. Der Bischof überreicht ihr " ένδύματο. τρίχινα " und ein Kreuz. Unter der Wollkleidung haben wir uns einfache, derbe Kleidung vorzustellen, vielleicht dem Sakkos vergleichbare Kleidungsstücke. Auffällig ist hier, daß der Bischof das Mönchsgewand überreicht die Akten der Anthusa vertreten eine spätere Stufe in der Entwicklung des Mönchtums, denn in den Anfängen vollzog sich das Mönchwerden ohne Eingreifen und Zutun der kirchlichen Hierarchie. Die Apophthegmata Patrum machen deutlich, daß der geistliche Vater oder die geistliche Mutter den Schüler bzw. die Schülerin zum "monachos" erklärten. 278 Maria von Ägypten war nackt, als Abbas Zosimas auf sie in der Palästinischen Wüste traf, er mußte ihr erst seinen Mantel reichen, bevor sie bereit war, mit ihm zu reden. 279 Auch das kam vor als äußerste Form der Askese in den Anfangszeiten des Mönchtums. Nichts schützt und umgibt mehr den Menschen, so daß er sich selbst und Gott in aller Klarheit und auch Angewiesenheit begegnen kann. Synkletike, die Anachoretin der ägyptischen Wüste, schneidet als σύμβολον der von ihr gewählten Lebensform 280 ihr Haar ab. Sie tut dies, nachdem sie entweder jemanden um Rat gefragt oder jemanden herbeigerufen hat, der Text kann beides bedeuten. Die Person, an die sie sich wendet, kann auch verschieden interpretiert werden: es könn-

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te sich dabei um einen Priester handeln oder auch um einen "Ältesten" oder eine "Älteste", eine im asketischen Leben erfahrene Person, die ihr den Rat des Haareabschneidens 281 gibt. Da die Vita der Synkletike noch sehr eng mit den Formen und Auffassungen des frühen Mönchtums verbunden ist, neige ich dazu, in dem "Presbyter" einen "Alten" oder eine "Alte" zu sehen und keinen Priester, und so in dem Haare abschneiden auch keine förmliche Zeremonie zu Beginn des Anachoreten1ebens. Für eine weibliche "Alte" würde sprechen daß es üblich für Frauen war, von Geschlechtsgenossinnen in das geistliche Wüstenleben eingewiesen zu werden. Die Vita der Synkletike schildert dieses geistliche Frauenmilieu der Wüste in lebhaften Szenen und Bildern. Die Entwicklungen, die zu einem festen Aufnahmeritus führten, deuten sich in der Vita der Synkletike bereits an, sie wurden im Wüstenmilieu jedoch noch nicht entfaltet. 283 Kehren wir zu den in der Vita Macrinae angesprochenen Kleidungsgewohnheiten zurück, so müssen wir festhalten, daß hier noch keine Rede von einer irgendwie gearteten Zeremonie oder feierlichen Übergabe der besonderen Bußkleidung ist. Auch über die Sitte des Haareabschneidens berichtet die Vita nichts. Die Vita Macrinae repräsentiert ein sehr frühes, noch durch formelle Handlungen nicht erfaßtes weibliches Mönchtum. 4.1.12.

Soziale Betätigung

Für das basi 1ianische Konzept des Mönchtums bildet die 284 soziale Betätigung einen wichtigen Grundpfeiler. Als Basilius Bischof von Caesarea wurde, gründete er vor den Toren der Stadt einen Komplex, der neben Klostergebäuden Gästehäuser, Hospitäler und Waisenhäuser umfaßte. Diese Gründung erhielt den Namen "Basileias". 285 ln den Mönchsregeln des Basilius ist die Aufnahme und Erziehung von Kindern und besonders von Waisen vorgesehen. 286 Die Wahrnehmung sozialer Verantwortung läßt sich auch

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bei Makrina wiederfinden. Wir hatten bereits die Mitglieder der Gemeinschaft erwähnt, die während einer großen Hungersnot von Makrina aufgenommen worden waren (232). Nach dem Kontext zu urteilen, handelte es sich dabei vor allem um Kinder, vermutlich um Waisen, so daß auch für das Frauenkloster die Erziehung von Kindern belegt ist. Während der großen Hungersnot, wahrscheinlich in den Jahren 368/69, sorgten Frauen- und Männerkloster am Iris gemeinsam für die Beschaffung von Getreide für die umliegende Bevölkerung, "so daß angesichts der Menge der Besucher die Einöde eine Stadt zu sein schien" (184). Auch hier wird die oben entwickelte Haltung der Discretio erkennbar: die Klostergemein schäften wurden in der Einöde gegründet, um dem Lärm und der Unruhe der Stadt zu entfliehen; wenn es allerdings für die Menschen nötig war, konnte die Einöde zur Stadt werden. Absonderung war nicht die oberste Lebensregel, denn das Ein gehen auf die Lebenswirklichkeit konnte diese Regel außer Kraft setzen.2®·7 Auch die in Abschnitt E der Vita berichtete Heilungsgeschichte des kranken Kindes kann unter dem Aspekt des Interesses und der Beteiligung Makrinas am Schicksal der sie umgebenden Menschen gesehen werden. Sehr liebevoll und zärt lieh nimmt sie das Kind auf und entdeckt dabei die Augenerkrankung (260). Die neutestamentlichen Wundergeschichten können unter dem gleichen Blickwinkel betrachtet werden, daß sie das Teilnehmen Jesu und der Apostel an den Leiden und Nöten ihrer Mitmenschen bezeugen. Wenn auf die Nachricht von Makrinas Tod hin Scharen von Menschen noch in der gleichen Nacht bei dem Kloster zusammenströmen (246,248), kann darin ein Zeichen der gegenseitigen Verbundenheit von dem Frauenkloster und besonders der Leiterin und der Bevölkerung gesehen werden. Die Frauengemeinschaft trennte sich aus der Welt und zog in die Einöde, um dann in anderer Weise an dieser Welt wieder Anteil zu nehmen. Der vom frühen Mönchtum unternommene Versuch des Aufbaus einer Gegenwelt strahlte in die Welt zurück und ließ die verlassene alte Welt nun ihrerseits nach Kontakt mit den Asketinnen und Asketen suchen. Die Apophthegmata Pa

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trum berichten von den Besuchern, die von weit her in die 288 Wüste mit der Frage kommen:"Wie werde ich gerettet?" Diese Frage war keine oberflächlich rhetorische, sondern sie war der tiefste Ausdruck der Suche der damaligen Menschen. Gregor von Nyssa beschreibt ähnliche Reaktionen, wenn er die Teilnahme der Bevölkerung am Tod Makrinas schildert. 4.2. Asketische Lebensformen in Kleinasien 4.2.1. Die Basilius-Regeln Die Verdienste des Basilius von Caesarea zur Ausbreitung des Mönchtums wurden nicht erst von späteren Generationen entdeckt, die ihn zum "Vater des griechischen Mönchtums" erhoben, schon Gregor von Nazianz rühmte in seiner Trauerrede auf den Bischof von Caesarea dessen Förderung der Parthenia. 289 Die Förderung geschah sowohl durch das Beispiel seines eigenen Lebens als auch durch Bemühungen, die Gregor folgendermaßen beschreibt:" τίνος ol παρθενώνες καί τά έγγραφα διατάγμα, οϋς πάσαν μέν αίσθησιν 290 έσωωρόνιζε". Wenn Gregor hier die "Parthenones" erwähnt, die Basilius unterstützt habe, ist zu fragen, ob damit sein besonderer Beitrag zur Ausbreitung des weiblichen Mönchtums gemeint ist oder ob hier "Parthenones" für Frauenund Männerklöster steht. Aus ep. 199 des Basilius, der um 375 geschrieben wurde, ist der Eindruck zu gewinnen, daß gerade das weibliche Mönchtum in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen großen Aufschwung nahm, denn Basilius 291 schreibt:" πληθύνεται νυν τό τάγμα των παρθένων ". Etwa um die gleiche Zeit heißt es in einem Brief desselben Autors an den Klerus von Neocaesarea:" ήμείς εύχόμεθα καί άνδρων καί γυναικών συντάγματα έχειν ", um dann die Lebensweise dieser Männer und Frauen zu illustrieren: sie leben wie Himmelsbürger, haben ihr Fleisch gekreuzigt, kümmern sich nicht um Nahrung und Kleidung, beten Tag und 293 Nacht, singen Psalmen und arbeiten mit ihren Händen. Die

herausragende

Figur

des

Basilius

verleitet

leicht

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trum berichten von den Besuchern, die von weit her in die 288 Wüste mit der Frage kommen:"Wie werde ich gerettet?" Diese Frage war keine oberflächlich rhetorische, sondern sie war der tiefste Ausdruck der Suche der damaligen Menschen. Gregor von Nyssa beschreibt ähnliche Reaktionen, wenn er die Teilnahme der Bevölkerung am Tod Makrinas schildert. 4.2. Asketische Lebensformen in Kleinasien 4.2.1. Die Basilius-Regeln Die Verdienste des Basilius von Caesarea zur Ausbreitung des Mönchtums wurden nicht erst von späteren Generationen entdeckt, die ihn zum "Vater des griechischen Mönchtums" erhoben, schon Gregor von Nazianz rühmte in seiner Trauerrede auf den Bischof von Caesarea dessen Förderung der Parthenia. 289 Die Förderung geschah sowohl durch das Beispiel seines eigenen Lebens als auch durch Bemühungen, die Gregor folgendermaßen beschreibt:" τίνος ol παρθενώνες καί τά έγγραφα διατάγμα, οϋς πάσαν μέν αίσθησιν 290 έσωωρόνιζε". Wenn Gregor hier die "Parthenones" erwähnt, die Basilius unterstützt habe, ist zu fragen, ob damit sein besonderer Beitrag zur Ausbreitung des weiblichen Mönchtums gemeint ist oder ob hier "Parthenones" für Frauenund Männerklöster steht. Aus ep. 199 des Basilius, der um 375 geschrieben wurde, ist der Eindruck zu gewinnen, daß gerade das weibliche Mönchtum in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen großen Aufschwung nahm, denn Basilius 291 schreibt:" πληθύνεται νυν τό τάγμα των παρθένων ". Etwa um die gleiche Zeit heißt es in einem Brief desselben Autors an den Klerus von Neocaesarea:" ήμεϊς εύχόμεθα καί άνδρών καί γυναικών συντάγματα έχειν ", um dann die Lebensweise dieser Männer und Frauen zu illustrieren: sie leben wie Himmelsbürger, haben ihr Fleisch gekreuzigt, kümmern sich nicht um Nahrung und Kleidung, beten Tag und 293 Nacht, singen Psalmen und arbeiten mit ihren Händen. Die

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zu einer Fehleinschätzung, vor der K.S. Frank warnt:"Das Lob und die Achtung, die Basilius so erwiesen werden, können in die Irre führen und in Basilius einen jener Geister sehen lassen, die das Mönchtum in der Kirche überhaupt erst zum Leben erweckt hätten. Solche Einordnung trifft für den großen Lehrer nicht zu." 294 Unsere Aufgabe kann es hier nicht sein, die Bedeutung des Basilius für das frühe Mönchtum nach allen Seiten zu erfassen, dies ist an anderen Stellen zur Genüge geschehen, und ich nenne die wichtigste neuere Literatur in den Anmer295 kungen. Wir werden nur die Punkte beleuchten, die in einem Zusammenhang mit dem weiblichen Mönchtum stehen. Als Quellentexte kommen dabei infrage: die Ethika oder Moralia, 80 Vorschriften, die zum größten Teil aus dem Neuen Testament zusammengestellt wurden; 296 die Langen Re297 geln mit 55 Nummern und die Kurzen Regeln mit 313 Num298 mern. Die beiden letzteren bilden zusammen die "Regeln" des Basilius. Nicht in unsere Untersuchung einbezogen werden die Epiti m ia, die nach Gribomont von einem Schüler des Basilius stammen und 19 Strafbestimmungen für Frauen enthalten. 299 Ebenso außer Acht gelassen werden die Monastischen Konstitutionen, deren Ursprung unklar ist. In diesen wird in c.3 über den Kontakt mit Frauen gehandelt.^®0 Die Moralia, die sich nach übereinstimmender Forschungsmeinung an alle Christen und nicht nur an Mönche wenden, entfalten in den letzten Kapiteln so etwas wie eine "Ständetafel", in der u.a. Mann und Frau in der Ehe, Witwen, Sklaven und Herren, Eltern und Kinder, Parthenoi, Soldaten und andere Vorkommen. ^ Die Regel für die Parthenoi lautet:"Die Parthenoi sollen sich frei machen von jeglicher Sorge der gegenwärtigen Welt, damit sie ungehindert Gott danksagen können mit ihrem Geist 302 und Körper in der Hoffnung auf das Reich der Himmel." Dann folgen der letzte Abschnitt des Eunuchenwortes aus Mt 19,12 und 1 Kor 7,32-35 als biblische Begründung der

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Parthenia. Bemerkenswert ist das Eunuchenwort in diesem Zusammenhang, das noch in der Alten Kirche gerade von Frau303 en aufgenommen werden sollte. Bevor wir auf die Regeln des Basilius eingehen, aus denen Rückschlüsse auf das weibliche Mönchtum gezogen werden können, sollen einige Autoren zu Wort kommen, die sich zu diesem Themenkomplex äußerten. L. Clarke ging davon aus, daß wir nicht genau wissen, ob die von Basilius geschriebenen Regeln im Frauenkloster 304 der Makrina befolgt wurden. Friedrich Heiler schreibt: "Für die orthodoxen Nonnen ist die Regel des hl. Basilius maßgebend, wie sie von seiner Schwester Makrina, der Vorsteherin des Nonnenklosters bei Iris, für das Leben gottge305 weihter Frauen umgeformt worden war." Bei K. Lübeck heißt es, daß die Nonnen der orthodoxen Kirchen "von altersher nach der von der hl. Makrina, der Schwester des hl. one Basilius, modifizierten basi 1ianisehen Regel lebten". Joan Morris ging so weit, die Gründung eines ganzen "Basi 1ianer-Ordens " Makrina zuzuschreiben:"For example, the Basilian Order was not founded by Saint Basil but by his sister Macrina." 307 Sicher ist es richtig, Makrinas eigenständige Tätigkeit hervorzuheben und sie aus dem Schatten ihrer Brüder herauszuholen. Einen "Basi 1ianer-Orden"' gab es jedoch nicht in der Alten Kirche, da in den orthodoxen Kirchen keine Orden entstanden. E.F. Morison handelt in einem Kapitel von 14 Seiten 308 über "Women, Children, and Slaves". "It is needless to say that monasticism was never thought of as being a matter which concerned men only, but rather as including women, and, in some degree, children within its scope. Christianity had done much for both women and children, and the monastic movement could not leave them out of account." 309 Mir allerdings scheint diese Bemerkung des Autors nicht unnötig zu sein, denn bis zu dieser Seite war bei Morison nicht zu ahnen, daß Mönchtum auch eine Sache der Frauen sei. Auch der Einschätzung, die Morison zu den Basilius-

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Regeln gibt, kann ich nicht zustimmen, wenn er schreibt: "And so we find that Basil's monastic regulations and admonitions apply equally well to both men and women." 310 Diesen hier zusammengetragenen Kommentaren sollen nun die Regeln gegenübergestellt werden. Insgesamt 11 Nummern der Kurzen und der Langen Regeln befassen sich in irgendeiner Weise mit dem Thema Frauen: LR 33; KR 82; 104; 108111; 153-154; 220; 281. Man könnte auch noch KR 210 hinzunehmen, da hier indirekt eine Aussage zu diesem Thema gemacht wird. Die meisten dieser Regeln sind aus der Sicht der männlichen Bruderschaft formuliert: in LR wird nach den Beziehungen zu den Schwestern gefragt; in KR 104, wo es um die Verteilung der Arbeit innerhalb der Bruderschaft geht, heißt der Nachsatz:" δμοίως 6L· καί έν ταϊς άόελφαΐς ";^^KR 108 bis 111 stellen die Fragen vom männlichen Oberen ausgehend; in KR 154 geht es um das Verhalten der Brüder, wenn sie bei den Schwestern arbeiten; KR 220 fragt ähnlich wie LR 33 aus der Sicht der Bruderschaft. Nur drei der genannten 11 Regeln befassen sich mit einem ausschließlich die Frauengemeinschaft betreffenden Problem. KR 153 lautet:"Was hat die Schwester zu beachten, der die Wolle anvertraut ist, und wie muß sie mit denen, die arbeiten, umgehen?“3 12 Die Antwort heißt:"Die Wolle soll sie ansehen wie ein von Gott anvertrautes Geschenk. Ohne Neid und ohne persönliche Rücksicht soll sie jeder Schwester die eigene Arbeit nennen und zuteilen." 31 3 Wie oben gezeigt, war die Wol1Verarbeitung auch innerhalb der 314 Klöster ausschließlich Frauenarbeit. In KR 281 geht es um die notwendige Grundübereinstimmung in der Gemeinschaft:"Wenn eine Schwester nicht die Psalmen beten will, soll man sie dann zwingen?" 315 Die Antwort ist hart: sie soll zurechtgewiesen oder aus der Gemeinschaft entfernt werden. Bei dieser Antwort muß man sich klarmachen, daß das Psalmensingen das eigentliche "Ergon", die eigentliche Aufgabe der geistlichen Frauen bildete, und daß es sich hier nicht um die Verweigerung einer äuße-

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ο 1c ren Norm handelte. KR 82 steht in engem Zusammenhang mit der vorhergehenden Nr. 81, wo es um die Bestrafung eines Sünders in der Bruderschaft ging. Die Antwort machte deutlich, daß nicht alle Sünden und Vergehen gleich zu behandeln sind, sondern daß bei der Bestrafung das Alter, die Erfahrung und die 31 7 ganze Person mit in Betracht gezogen werden müssen. In KR 82 wird mit einem Zitat aus 1 Tim 5,2 gefragt, ob eine Ältere ( πρεσβύτερα ) und eine Jüngere ( νεώτερα ) gleich zu bestrafen sind. Zu "Älterer" und "Jüngerer" wird man hier jeweils "Schwester" hinzufügen können. Die Antwort rät zu weiser Unterscheidung, da jedes Alter ein ihm angemesse318 nes Maß der Strafe verdient. KR 210 gibt indirekt darüber Auskunft, daß Männer und Frauen nicht die gleiche Kleidung trugen. 319 Nimmt man die aufgeführten Regeln zusammen, so ergibt sich aus ihren Bestimmungen kein annähernd vollständiges Bild des weiblichen monastischen Lebens. Von 368 Nummern der Basilius-Regeln befassen sich 11 mit den Problemen eines Frauenklosters; schon daraus ist zu ersehen, daß diese Regeln in erster Linie für Männer und nicht in gleicherweise für Männer und Frauen geschrieben wurden. Wir müssen heute einfach zugeben, daß wir vieles nicht wissen. So wissen wir nichts darüber, ob die Basilius-Regeln in dem von Makrina gegründeten Kloster befolgt wurden. Als sie ihre Gemeinschaft gründete, existierten diese Regeln noch nicht. 320 Wir können höchstens annehmen, daß die angesprochenen Kontakte der Männer- und Frauengemeinschaft ihren "Sitz im Leben" in den beiden Iris-Klöstern und vielleicht auch noch in anderen kappadokisch-pontisehen Gründungen hatten. Die Entstehung der Regeln wurde so rekonstruiert, daß Basilius während seiner Besuche in den von ihm gegründeten Klöstern als geistlicher Vater und Bischof um Rat gefragt 321 wurde. In den aufgeschriebenen Fragen und Antworten blieb die ursprüngliche Situation erhalten. In einem langsamen Prozeß wuchsen aus verschiedenen kleineren Sammlungen die heute noch erhaltenen Regeln zusammen. Wir wissen

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nichts darüber, ob bei den Fragestunden der Mönche auch Frauen dabei waren, die genauso ihre Fragen vorlegten, oder ob Basilius dazu eigens die Frauenklöster besuchte. Für die Pachomianischen Klöster wissen wir aus der Vita Pachomii, daß Pachomius seiner Schwester und deren Gemeinschaft Regeln aufschrieb und ihnen schicken ließ, damit sie 322 danach lebten. Palladius bestätigt diesen Bericht in sei323 ner Historia Lausiaca. In der Überlieferungsgeschichte der Basilius-Regeln ist ein interessanter Vorgang zu beobachten. Jean Gribomont faßt drei Manuskripte des 11.-13. Jahrhunderts unter der 324 Überschrift "La recension misogyne" zusammen und charakterisiert diese .-"Quelques manuscrits manifestent une étroite parenté dans la façon de traiter les prescriptions adressées par Basile aux religieuses. Nous venons de voir que la recension 0 mettait au masculin plusieurs de ces réponses, qui n'avaient plus de portée dans des monastères strictement réservées aux hommes. Mais d'autres témoins prennent des mesures encore plus radicales, et suppriment 325 purement et simplement ce qui leur semble inutile." Fassen wir das Wichtigste noch einmal zusammen: Makrinas Kloster entstand vor den Regeln des Basilius und muß daher eigene Formen der geistlichen Führung und der Bewältigung von Konflikten entwickelt haben. Die Regeln stehen nicht am Beginn des Mönchtums, sondern sie sind "Festschreibung 32 bewährter Tradition und nicht Entwurf vom 'grünen Tisch'." Die Basilius-Regeln belegen, daß es Frauen-Klöster im pontisch-kappadokischen Raum gab, sie sind jedoch primär für Männergemeinschaften verfaßte Bestimmungen, .die nur an wenigen Punkten Frauen berücksichtigen. Da wir keine ausdrücklich für Frauenklöster geschriebenen Regeln aus dieser Zeit kennen und auch keine Nachrichten darüber haben, daß es solche gab, ist anzunehmen, daß diese Regeln auch von Frauenklöstern übernommen wurden. Dabei ist festzuhalten, daß die Basilius-Regeln kein der Benedikt-Regel vergleichbares Dokument sind, denn sie wurden ausschließlich zur geistlichen

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Lesung und Unterweisung benutzt und nicht zur Gründung eines Ordens. Diese Rolle der Organisierung des Alltagslebens 327 übernahmen in den orthodoxen Klöstern die Typika, die für jedes Kloster einzeln aufgestellt wurden, meist von den Gründern oder Stiftern. Die ältesten erhaltenen Typika für Frauenklöster stammen aus dem 12. Jahrhundert. 328 4.2.2.

Kanonissen

Eine der verschiedenen asketischen Lebensformen im Kleinasien des 4. Jahrhunderts wurden von den Kanonissen ausgeprägt. Über diese Form des asketischen Ideals ist im Vergleich zu anderen nur wenig bekannt. Basilius schrieb zwei Briefe an Kanonissen. Einer dieser beiden, ep. 52, trägt die 329 Überschrift " κ α ν ο ν ι κ α ι ς ". Der Bischof von Caesarea handelt in diesem Schreiben über das Problem der Homoousie sowohl des Sohnes als auch des Heiligen Geistes mit dem Vater, d.h. er greift die aktuellen dogmatischen Streitigkeiten, in die er lebhaft verwickelt war, auf, um sie diesen Frauen darzulegen. Aus dem Inhalt des Briefes ist zu schließen, daß die Empfängerinnen theologisch gebildet waren und an den dogmatischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit teilnahmen. Über die Empfängerinnen des Schreibens ist nichts weiter bekannt, als daß sie anscheinend als Gemeinschaft lebten, da Basilius seine Briefpartnerinnen im Plural anredet. Im Briefschluß drückt er die Hoffnung auf eine Begegnung aus, um dann durch die Frauen die Antworten auf die besprochenen Fragen zu finden. 330 Basilius ist nicht nur der Lehrende, sondern er lernt auch umgekehrt von den Kanonikai. Brief 173 des Basilius ist an die Kanonike Theodora gerichtet. 331 In der französischen Übersetzung von Courtonne wird " κανονική " mit "religieuse" wiedergegeben, bei dieser Übersetzung muß befürchtet werden, daß die Eigenart des asketischen Lebens der Kanonike nicht deutlich wird. Basilius schreibt, daß er darum betet, daß Theodora "den Lauf ihrer guten Lebenswahr1 beenden können. Er erwähnt ein Gelübde, das sie abgelegt hat ( όμολογοΟντα t Ç έπαγγελίςι )·

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Der ganze Brief enthält Ratschläge für die

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Führung eines asketischen Lebens: nach dem Geist des Evangeliums leben, mit den Händen arbeiten, Bescheidenheit in der Kleidung, Zurückhaltung im Umgang mit Männern zeigen, einfache Nahrung zu sich nehmen usw. 333 Aus diesen Ratschlägen kann geschlossen werden, daß Theodora ein asketisches, den monastischen Lebensformen eng verwandtes, Leben führte. Wer waren die Kanonikai bzw Kanonissen? "Die Kanonissen scheinen weniger Klerikerinnen als eine Art Nonnen in der Welt gewesen zu sein. Sie empfingen keine Weihe, hatten aber einen besonderen Platz in der Kirche. Sie spielten bei Begräbnissen eine ähnliche Rolle wie die Diakonissen bei 334 der Taufe". M. Schmid schreibt:"In den Kanonissen lebten die altchristlichen Gottgeweihten, die klerikalen 'Kirchenjungfrauen1, die noch durch keine monastische Regel und keine Gelübde gebunden waren, in allmählich verblassender 335 Gestalt bis über das Mittelalter hinaus weiter." Im westlichen Mittelalter unterscheiden sich die Kanonissenstifte , die z.T. sehr frühen Ursprungs waren, von den den Männerorden angegliederten Frauenklöstern und zeichneO O C ten sich durch ihre Eigenständigkeit aus. Im 4. Jahrhundert in Kleinasien scheint es, daß die Kanonikai eine der vielfältigen Möglichkeiten weiblichen asketischen Lebens darstellten, die, ähnlich wie die Diakonissen, z.T. in Klöstern zu finden waren und einen monastischen Lebensstil führten. Die nicht zu den authentischen Basiliuswerken gehörenden Epitimia überschreiben die Strafbestimmungen für Frauen " είς τά,ς κανονικάς ". 337 Darunter sind hier sicher monastisch lebende Frauen zu verstehen. Theodor Studites schrieb im 9. Jahrhundert einen Brief 338 an " κανονικούς πριγκίπου "· Er redet die Empfängerinnen an als " ύμάς τάς έν κυρίω άδελφάς " und nennt ihre Lebensform " μακάριον τό σύνταγμα ύμβν ". Aus den von Theodor verwendeten Begriffen läßt sich schließen, daß diese Kanonikai ein gemeinsames asketisches Leben führten.

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Im 4. und 5. Jahrhundert gab es für Frauen nicht nur die Wahl zwischen Ehe und Kloster, sondern bei der Entscheidung für ein asketisches Leben breitete sich eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten aus; diese reichten von strenger Zurückgezogenheit in einer einsam gelegenen Gemeinschaft bis zum Leben im eigenen Haus in der Stadt und aktiver Beteiligung an der christlichen Gemeinde. Die Kanonikai bildeten eine Form innerhalb des breiten Spektrums, die wir jedoch nicht scharf von anderen abgrenzen können. In der Zeit des Aufbruchs wurde vieles ausprobiert, was dann teilweise in den folgenden Jahrhunderten wieder fallengelassen wurde. So gab es z.B. das Syneisaktentum, das Zusammenleben von Mann und Frau in der Form einer geistlichen Ehe. 340 Während des ersten Aufbruchs recht verbreitet, wurde diese asketische Lebensweise dann bald von Kirchenvätern und Synoden angegriffen und schließlich verboten, denn die geistlichen Ehen gingen sehr leicht, jedenfalls nach der Polemik zu schließen, in körperliche Ehen über. 4.2.3.

Naukratius

Neben dem von Basilius propagierten koinobitischen Mönchtum gab es in Kleinasien, sogar in ein und derselben Familie, auch Formen des Einsiedlerlebens. Basilius hatte sich um eine theologische Begründung des Gemeinschaftslebens bemüht und dieses höher bewertet als die Einzelaskese 341 sein Bruder Naukratius lebte als Anachoret in den Wäldern. Naukratius war das dritte Kind nach Makrina und Basilius und ihr Lieblingsbruder (174). Geboren um 330, starb er mit 342 etwa 27 Jahren um 357. Seine Entwicklung verlief ähnlich wie die des Basilius: nach abgeschlossenem Studium erzielte er mit 22 Jahren große Erfolge in der Öffentlichkeit als Rhetor, um sich dann in einem plötzlichen Umschwung aus allem zurückzuziehen " πρός τόν μονήρη καί άκτήμονα ßdov " (166). Nur von einem Diener begleitet zog er in die Pontus-Wälder am Irisfluß (166), in das Gebiet, wo auch Makrina sich mit ihrer Gemeinschaft niederließ. Es fällt nicht schwer, hinter dieser Änderung des Lebensstils den Einfluß der älteren Schwester zu vermuten. Etwa um die

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gleiche Zeit wie Makrina, um 352, sucht Naukratius die Einöde auf, um dort "καθ' έαυτόν " (166) zu leben. Die Einsamkeit wird geteilt von einigen Greisen (πρεσβύτας τινάς ), die in "Armut und Schwachheit" (168) mit ihm Zusammenleben. Was ist unter diesen "Alten" zu verstehen? Wir erfahren nur noch, daß Naukratius sie eigenhändig mit Lebensmitteln versorgte, die er durch Jagd und Fischfang gewann (168,170). Ich möchte in den Alten, von denen auch einmal als von den "Geronten" ( τοις γέραυσι ,168) die Rede ist, die mit Naukratius in der Einsamkeit lebten, eine Art von Asketen sehen, und nicht einfach alte Männer, die Naukratius pflegte. Die hier auf 1euchtende Struktur - einige Greise und dazu ein oder zwei junge Asketen - kommt dem Milieu und der Lebensweise, wie sie die Apophthegmata Patrum schi 1dern,sehr nahe. Dort sammeln sich Schüler um einen erfahrenen Greis, der ihnen in Beispiel und Lehre den mönchischen Lebensstil vermittelt. Diese Art des Mönchtums lebt nicht von einer festen Organisation wie das Koinobion mit seiner Pegel und einem Leiter an der Spitze, sondern vom persönlichen Lehrer-Schüler-Verhältnis. Der Greis weist seine Schüler in das geistliche Leben ein, während diese ihren Meister mit allem äußerlich zum Leben Notwendigen versorgen. Die Vita Macrinae hebt hervor, daß Naukratius in engem Kontakt zu seiner Mutter und dem Frauenkloster stand (168). Eines der Motive Gregors, über diesen Bruder so ausführlich im Rahmen der Biographie Makrinas zu berichten, liegt darin, die Haltung Makrinas angesichts des Todes des Bruders zu beschreiben (172,174), der bei einem Jagdunfall stirbt (170). Jean Gribomont, der in Naukratius einen Schüler des Eustathius von Sebaste sehen möchte, beschreibt dessen Lebensstil:"Vie humble, charitable, austère, et beaucoup moins consacrée aux choses de Dieu et à l'Église que celle qui organisera Basile." 343 / Wichtig ist festzuhalten, daß, ähnlich wie das weibliche, auch das männliche Mönchtum im Kleinasien des 4. Jahrhunderts verschiedene Ausprägungen zeigte. Koinobitisches und sehr eigenbestimmtes einsiedierhaftes Leben bestanden neben-

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einander. Im nächsten Abschnitt kommen wir auf einen Teil der asketischen Bewegung zu sprechen, der allerdings auf Widerstand innerhalb der Kirche stieß. 4.2.4.

Eustathius von Sebaste

Daß Basilius nicht das Mönchtum in Kleinasien eingeführt hatte, war bereits gesagt worden.Überhaupt wurde das Mönchtum nicht von einzelnen Personen initiiert, sondern stellte eine breite , durch verschiedene Faktoren entstandene Bewegung dar. Dennoch gab es einzelne, die aus der Bewegung hervorragten, wie z.B. Eustathius von Sebaste (um 300-377), der als "Begründer des Mönchslebens in Armenien, Paphlago344 nien und Pontus" gerühmt wurde. Die ganze Familie Makrinas war zeitweilig stark von Eustathius beeinflußt. Basilius beschreibt, wie er mit Eustathius zusammen das Frauenkloster am Iris besuchte und dort lange Gespräche führte. 345 Zum Bruch kam es zwischen den beiden in den 70iger Jahren über 346 die Frage der Gottheit des Heiligen Geistes. Uns soll hier nicht die Gesamtpersönlichkeit des Eustathius noch die Frage beschäftigen, wieweit sein Einfluß auf Basilius reichte. Dazu verweise ich auf die entsprechende Literatur. 347 Wir wollen hier der Bedeutung des späteren Bischofs von Sebaste für das weibliche Mönchtum in Kleinasien nachgehen. Um 340 trat in der Stadt Gangra in Paphlagonien eine Synode zusammen, um sich mit den Anhängern und Anhängerinnen des Eustathius zu beschäftigen. Diese Synode verfaßte 20 Kanones und ein Synoda 1schreiben . Während die Kanones keine Namen nennen, sondern nur asketische Praktiken unter das Anathema stellen, werden in dem Schreiben ausdrücklich Eustathius und dessen Anhänger erwähnt. Das Schreiben greift große Teile der in den Kanones getroffenen Bestimmungen auf. Die Anhängerschaft des Eustathius bestand aus Männern Frauen, die, wenn Eustathius selber als Begründer der mön348 chischen Lebensweise ( μοναχικής πολιτείας ) galt, zur asketisch-monastisehen Bewegung gerechnet werden können.

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J. Fedwick unterscheidet diese von den in der Einsamkeit lebenden Asketen. "The Eustathians had kept perhaps too close to the churches - trying to influence the mass of Christians with their ideas and way of life." 349 Sie vertraten eine radikale Auffassung der Askese,"but they never tried to seperate themselves from the church by retreating to total seelusion." 350 Demnach haben wir uns die Eustathianer nicht als in Klöstern lebend vorzustellen, sondern eher als umherziehende Wanderasketen. Diese Lebensweise würde zu einigen der von ihnen praktizierten Verhaltensweisen gut passen. K.S. Frank hat versucht, aus den in Gangra verabschiedeten Bestimmungen folgende Lehre und Praxis der Eustathianer zu rekonstruieren: "1. Ablehnung der Ehe und Ausschluß der Verheiraten vom ewigen Heil (Can 1; 9; 10; 14). 2. Ablehnung des verheirateten Priesters (Can 4). 3. Nichtteilnahme am gemeindlichen Gottesdienst und eigene gottesdienstliche Versammlungen (Can 5; 6; 11; 20). 4. Das Tragen besonderer Kleidung (pallium) und bei Frauen männliche Kleidung (Can 12; 13; 17). 5. Auflösung von Familien: Eltern verlassen die Kinder, Kinder die Eltern (Can 15; 16). 6. Fasten am Sonntag und Nichtbeachten der kirchlichen Fasttage (Can 18; 19); Verbot jeden Fleischgenusses (Can 2). 7. Anstiften von Sklaven zur Auflehnung gegen ihre Herren (Can 3). 8. Geben und Annehmen der kirchlichen Gaben ohne die zuständige Kontrolle (Can 7; 8)."^51 Abschließend bemerkt Frank:"Nach diesen Anklagen ging es um eine Bewegung, die kirchliche und gesellschaftliche Ordnung gefährdete. Die Befürchtungen waren nicht aus der Luft 35? gegriffen. " Drei der in Gangra formulierten Kanones klagen ausdrücklich Frauen an: 13, 14 und 17. In Kanon 1 wird eine Frau in Schutz genommen, die die Ehe nicht verwirft und sexuellen Kontakt mit ihrem Mann hat. 353 Die zur Verurteilung der angesprochenen Gruppe benutzte Terminologie zeigt eindeutig, daß es sich um eine asketische Bewegung handelte.

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Ich übersetze zunächst die infrage kommenden Kanones, um sie dann zu interpretieren. c. 13: "Wenn eine Frau wegen von ihr so genannter Askese ihre Kleidung ändert und statt der gewöhnlichen Frauenkleidung Männerkleidung annimmt, treffe sie das Anathema." c. 14: "Wenn eine Frau ihren Mann verläßt und sich zurückziehen will, weil sie die Ehe verabscheut, treffe sie das Anathema." c. 17: "Wenn eine der Frauen wegen von ihr so genannter Askese ihr Haar abschneidet, das Gott ihr gegeben hat zur Erinnerung an die Unterordnung, so als löse die das Gebot 354 der Unterordnung auf, treffe sie das Anathema." Unter den Anhängerinnen des Eustathius gab es den Anklagen nach zu schließen Frauen, die aus asketischen Gründen ihre Männer verließen, Männerkleidung anzogen und ihr Haar abschnitten und damit die kirchliche und gesellschaftliche Ordnung gefährdeten. Das zu den Kanones dazugehörige Synodalschreiben bestätigt, daß Frauen ihre Männer verlassen und Männer ihre Frauen. Die Betonung, daß es "viele" Frauen waren und die Nennung der Frauen an erster Stelle vor den Männern ist so auffällig, 355 daß wir fragen müssen: Fand Eustathius besonders unter Frauen Anhängerinnen ? Oder fiel den Bischöfen das Verhalten der Frauen in besonderem Maße auf, während Männer, die ihre Frauen verließen, eher zu akzeptieren waren? Was veranlaßte die Frauen zu solch mutigem und selbtbewußten Handeln, das die geltende Ordnung außer Kraft setzte? Welches können die asketischen Motive gewesen sein, Männerkleidung zu tragen und das Haar zu schneiden? Jean Gribomont und Bernhard Lohse ziehen zur Interpretation dieser Verhaltensweisen Gal 3,28 heran:"Es ist weder Jude noch Grieche weder Sklave noch Freier weder männlich noch weiblich, denn ihr seid alle einer in Christus." B. Lohse schreibt :"Wenn die Frauen dieser asketischen Bewegung Männerkleider trugen, so sollte dadurch wohl die von Paulus verkündete eschatologisehe Aufhebung des Unterschiedes von Mann und Frau (Gal. 3,28) schon jetzt verwirk-

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licht werden." 3 5 6 Und Jean Gribomont:"Sous des modalités diverses et plus ou moins sages, il a y là un phénomène qu'on retrouve souvent dans l'histoire lié à l'enthousiasme ascétique, une libération de la femme, appuyée sur l'espoir d'une certaine perfection spirituelle qui mette au-dessus de la chair."357 Die Heranziehung von Gai 3,28 allein scheint mir noch nicht ausreichend zu sein, denn sie erklärt wohl das Ideal der Überwindung der geschlechtlichen Unterschiede unter Rückgriff auf eine ursprüngliche Androgynie, 358 sie erklärt aber nicht die männliche Verwirklichung des eingeschlechtlichen Ideals. Die Eustathianer konnten auf eine Tradition zurückgreifen, die lange vor ihnen ähnlche Auffassungen vertrat. Wir haben zwar keinen direkten Beleg dafür, daß die Eustathianer diese Texte kannten, aber es ist anzunehmen, daß sie ihre Inspiration aus ihnen bezogen. Das unter den Nag-Hammadi Texten gefundene koptische Thomasevangelium formuliert in seinem 22. Spruch das Ideal der Überwindung aller Gegensätze. "Jesus spricht: Wenn ihr die zwei zu eins macht und wenn ihr macht das Innere wie das Äußere und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere, und wo ihr macht das Männliche und das Weibliche zu einem einzigen damit nicht das Männliche männlich und das Weibliche weiblieh ist, ... dann werdet ihr eingehen in das Reich." 359 In Spruch 114 wird dann folgende Auflösung des gleichen Problems geboten, wenn Jesus über Maria Magdalena sagt: "Siehe, ich werde sie ziehen, daß ich sie männlich mache, damit sie auch zu einem lebendigen Geist wird, der euch Männern gleicht. Denn eine Frau, die sich zum Manne macht, OC f) wird eingehen in das Reich der Himmel." In einer androzentrisehen Welt war dies die einzig denkbare Möglichkeit der Überwindung des Geschlechtergegensatzes - das "schwache Geschlecht" wurde zum "starken" erhoben und erklärt. In Erzählung und vielleicht auch in Wirklichkeit umgesetzt wurden die Sprüche des Thomasevangeliums von den Frauen, die als Asketinnen einen Männernamen annahmen und in männlichem Gewand als Einsiedler oder sogar .in einem Männer-

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kloster 1ebten. Die oben schon erwähnte Legende der Pelagia gehört zu diesem Kreis von Erzählungen. Nachdem Pelagia heimlich aus Antiochien geflohen war, lebte sie als Eunuch Pelagius in der Wüste. 361 Ihre äußere Schönheit, an der sie zu erkennen gewesen wären, war durch die harte Enkrateia verschwunden, 362 wie der Text berichtet. Sie wirkte wie ein männlicher Eunuch ( περί άνδρός εύνούχου ) und erteilte auch den männ qcq liehen Besuchern den Segen, wie es ein Eunuch tun würde. Erst nach ihrem Tod, bei den Vorbereitungen für die Beerdigung, wird festgestellt, " δτι γυνή ήν τζ φύσει " . ^ 4 Die Anwesenden loben Gott dafür, daß er "viele verborgene Heilige auf der Erde" hat, "nicht nur Männer, sondern auch c „ 365 Frauen". Die Geschichte der Pelagia beruht auf der Spannung "Prostituierte - heilige Asketin". Pelagia hat zwei Extreme durchlebt, die für die Erfahrungswelt von Frauen im 5. Jahr hundert nicht typisch waren. Die Anziehungskraft ihrer Person und ihrer Legende beruht gerade auf diesen Gegensätzen. In dem Maß, wie sie als Prostituierte ihren weiblichen Körper zur Schau stellte und sich nutzbar machte, versucht sie nun als Asketin, diesen Körper zu verbergen und von ihm unabhängig zu werden, indem sie nach außen nicht mehr als Frau identifizierbar ist. Allerdings bleibt sie ihrer Natur nach, was sie auch vorher war: eine Frau. Evelyne Patlagean hat herausgearbeitet, daß es sich bei diesen Legenden nicht nur um die "asketische Zerstörung des weiblichen Fleisches" handelt, sondern um "la négation fondamentale de la féminité, où le dépouillement physique manifeste l'évasion spirituelle hors de la condition na3fifi tive." Wie Pelagia so werden auch die meisten anderen verkleideten Frauen für Eunuchen gehalten. "L'eunuque participe de la virilité spirituelle sans etre assujetti à une catégorie sexuelle, il transcende la distinction des sexes, dont il est libéré. Wenn diese "Transvestiten-Legenden" 3 6Θ auch erst nach dem Konzil von Gangra entstanden, so haben sie ihre Motive und ihren theoretischen Bezugsrahmen doch in Texten und

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Traditionen, die weit verbreitet waren und für uns noch in den Sprüchen des Thomasevangeliums und in den apokryphen Theklaakten faßbar sind. Patlagean bestätigt, daß die Befürchtungen der Väter von Gangra, die Eustathianerinnen könnten die festgefügte Ordnung und Unterordnung auflösen, zu Recht bestanden. "En somme, l'histoire de la femme déguisée en moine propose un modèle de saintété qui transgresse, dans les versions les plus radicales, tant la hiérarchie du couple et de la famille que l'ordre du monde monastique, et qui abolit en tout état de cause, les deux 369 catégories constituantes de l'humanité." Die Utopie dieser Geschichten und ihrer Erzähler liegt nahe bei der gnostischen Utopie. "La femme et sa tentation sont du monde, et le véritable pendant à l'histoire de la femme travestie en moine n'est pas celle d'un travestissement d'homme, qui n'aurait pas le moindre sens ici, mais celle du solitaire amené si jeune enfant au désert qu'il ignore l'existence de l'espèce féminine, et même sa propre nature sexuée. Ainsi, l'utopie érémitique est effectivement jumelle de l'utopie gnostique, dans la mesure où elle efface les catégories de la nature en faveur d'une humanité que nulle différence compromettante ne creuserait plus; masculine certes en son point de départ, parce que telle est la norme spontanée de toute la culture contemporaine, mais surtout et avant tout unifiée, et par là libérée du piège charnel et 370 temporel de 1'autre. " Kehren wir nun zurück zur Interpretation der Gangra-Kanones. Das Interessanteste scheint mir zu sein, daß die Kanones gleichzeitig eine Erklärung mitliefern für das ihrer Meinung nach ungewöhnliche und ungebührliche Verhalten der Frauen- indem Frauen die Ehe ablehnten, Männerkleidung anzogen und ihr Haar abschnitten, entzogen sie sich dem Gebot der Unterordnung ( ύποταγή ) und schüttelten bzw. schnitten jede Erinnerung daran ab. Wenn sie sich so kleideten und gebärdeten, machten sie deutlich, daß die Unterordnung unter den Mann, die die Bischöfe für ein von Gott gegebenes Gebot hielten, für sie nicht mehr galt.

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Um die Argumentation der Väter von Gangra zu verstehen, müssen einige biblische Texte herangezogen werden, mit denen z.T. auch die Kanones ihre Position begründen. Das Verbot, die Kleidung des anderen Geschlechtes zu tragen, findet sich in Deuteronomium 22,5 in einer Reihe von Vorschriften, die das Volk Israel von Sitten und Gebräuchen seiner Umwelt abgrenzen sollte. In einigen kanaanäisehen Kulten gab es Riten des Kleidertausches. 371 Nicht nur hier, auch an anderen Stellen, läßt sich beobachten, daß gerade im 4. Jahrhundert alttestamentliche Rechtssatzungen zur Regelung des kirchlichen Lebens aufgegriffen wurden, vor allem Teile der Reinheitsgebote. 372 In großer Spannung zu dem alttestamentlichen Verbot stehen die eben erwähnten Legenden, in denen als Heilige verehrte Frauen Männerkleidung und Männernamen trugen, und auch die Gestalt Theklas, die sowohl Männerkleidung trug als auch ihr Haar abschnitt und die Ehe ablehnte. 373 Wenn nach der Beschreibung Robinsons im heutigen orthodoxen Mönchtum Frauen und Männer das gleiche Gewand tragen, 374 ganz gleich, ob es sich dabei um ein ursprüngliches Männeroder Frauengewand handelt, so verstoßen sie gegen die alttestamentl iche Vorschrift und knüpfen an die in Gangra verurteilte Praxis der Eustathianer an. Zu beachten ist, daß Kanon 13 von Gangra mit "dem Üblichen" und "der guten Sitte"( είωθότος ) argumentiert, ähnlich wie Paulus in 1 Kor 11,13-15. Die Frauen sollen sich an die für Frauen normale Kleidung halten und nicht aus der gesellschaftlichen Norm herausfallen. Kanon 14 spricht sich gegen die Verachtung der Ehe aus. Die Trennung einer Ehe war in der ganzen Antike und Spätantike von seiten der Frau sehr viel schwerer zu erreichen als von seiten des Mannes. 375 Von Frauen wurde erwartet, daß sie auch einem untreuen Ehemann treu blieben, während dies umgekehrt nicht der Fall war. Wenn nun die Frauen aus asketischer Motivierung ihre Männer verlassen, so ist das sehr auffällig und führt zu der Vermutung, daß die asketische Lebensweise für Frauen eine große Anziehungskraft haben mußte. Die apokryphen Apostelakten des 2. und 3. Jahrhun-

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derts berichten in ähnlicher Weise von auffällig vielen Frauen, daß sie aufgrund der asketischen Botschaft der Apostel ihre Ehen verließen. Der erste Schritt des Aufbruchs liegt meistens darin, daß sie den sexuellen Kontakt mit ihren Ehemännern verweigern. Nicht nur die apokryphen Aposte1akten, auch die so weit verbreiteten Traktate zur Virginität waren manchmal nicht weit von der Eheverachtung entfernt, wenn sie die Jungfräulichkeit mit allen Mitteln priesen und die Nachteile des Ehe- und Familienlebens in düsteren Farben ausmalten. 377 Diese Tendenz der Hochschätzung der Virginität kann sich schon auf Paulus berufen, auf 1 Kor 7,1-9.25-35. Im Unterschied zu den Eustathianern gelingt es jedoch den meisten Kirchenvätern im Anschluß an Paulus, auch wenn sie die Virginität an erste Stelle setzen, die Ehe als göttliche und menschliche Lebensordnung zu achten. Das Problem der in Gangra versammelten Bischöfe war nicht die Trennung einer Frau aus ihrer Ehe, um ein asketisches Leben zu führen, sondern die Ablehnung der Institution Ehe. In den Bischöfen und den Eustathianern trafen zwei unterschiedliche anthropologische Konzeptionen aufeinander. In Kanon 17 wird an die Unterordnung der Frau erinnert und damit klingen Eph 5,22-33, Kol 3,18 und 1 Petr 3,1-7 an, die jeweils mit unterschiedlicher Akzentuierung die Unterordnung der Frauen unter ihre Männer fordern, da der Mann das Haupt ( κεφαλή ) der Frau sei. 378 Paulus benutzt in 1 Kor 11 zwar Gedankengänge der Kefale-Theologie, 379 er stellte jedoch nicht die Forderung der unbedingten Unterordnung, sondern entwarf in Gal 3,28 die Vision der Gleichheit der Geschlechter. In den Pastoralbriefen wird diese Hypotage-Denkweise noch auf die Spitze getrieben, wenn 1 Tim 2 damit argumentiert, daß nicht Adam, sondern Eva verführt wurde, und damit als Hauptschuldige die Sünde und die 380 Übertretung in die Welt gebracht habe (V.14). Um von dieser Schuld erlöst zu werden, sieht der Timotheusbrief nur einen Weg: die Frauen können gerettet werden durch Kinder381 gebären (V.15). Den alttestamentlichen Anknüpfungspunkt für dieses Verständnis bildete Gen 3 mit den für die Frau

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angekündigten Strafen :"überaus zahlreich werde ich die Beschwerden deiner Schwangerschaft machen. Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären. Nach deinem Manne wird dein Ver382 langen sein, er aber wird über dich herrschen." (V.16) Das ist die eine anthropologische Konzeption. Eine dieser völlig entgegengesetzte Konzeption wurde von den Asketinnen vertreten, die sich all diesem entzogen, sogar noch die äußere Weiblichkeit verleugneten oder möglichst zu verbergen suchten und nicht die ihnen zugedachte Last der Schöpfungsordnung trugen. Sie gebaren keine Kinder in Schmerzen und ordneten sich auch keinem Mann unter, der über sie herrschte. Vielleicht war das äußere Mannwerden die einzige Möglichkeit, den Protest gegen die übliche Frauenrolle deutlich zum Ausdruck zu bringen. 383 Vielleicht konnten diese Frauen sich die spirituelle und geistige Eigenständigkeit in ihrer gesellschaftlichen Umgebung nicht als Frauen erringen und ihnen blieb nur die Verkleidung. Diese Verkleidung aber blieb nur eine äußere, denn beim Tod eines so verkleideten Mannes oder Eunuchen stellte sich allemal heraus, daß sie der Natur nach eine Frau war. Bei allen Bemühungen um Verdeckung oder Unabhängigkeit ließ sich die Natur nicht ändern und so konnte jedenfalls nachträglich in einem berühmten Asketen eine Frau entdeckt werden . 384 In Kanon 17 geht es um das Abschneiden von Frauenhaar, eine Frage, die in der Alten Kirche kontrovers diskutiert wurde. Die Väter von Gangra konnten sich mit ihrer Position auf Paulus berufen, der in 1 Kor 11,2-16 in einer recht eigenwilligen Argumentationskette den Frauen von KobOC rinth das Schleiertragen nahe zu legen versucht. In V.14 argumentiert der Apostel mit der Natur, die lehre, daß für einen Mann lange Haare eine Unehre, für Frauen dagegen eine Ehre seien. Ihm geht es darum, daß die Frauen, wenn sie im Gottesdienst beten oder prophezeien, nach jüdischer Sitte ihren Kopf mit dem Schleier bedecken sollen. In V.5-6 heißt es:"Eine Frau aber, die betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt; denn es ist ebensoviel als

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wäre sie geschoren. Will sie sich nicht bedecken, so schnei de man ihr auch das Haar ab. Nun es aber übel steht, daß eine Frau verschnittenes Haar habe und geschoren sei, so lasset sie das Haupt bedecken." Kanon 17 von Gangra verknüpft diese paulinische Textstelle mit den nachpaulinischen Unterordnungs-Forderungen. Etwa zur gleichen Zeit, in der die Kanones in Gangra ver abschiedet wurden, trugen die Frauen von Tabennesi kurzgeschnittenes Haar ( etcì κεκαρμέναι ). 386 Sie beteten mit einer Kapuze auf dem Kopf - das hätte dem paulinischen Wunsch entsprochen; aber unter der Kopfbedeckung fehlten die langen Haare, die der Frau zur Ehre gereichen. Synkletike, die um 400 in Ägypten lebte, schneidet ihr Haar eigens mit der Begründung ab, daß sie damit alles Welt liehe und allen weltlichen Schmuck hinter sich läßt. 387 Die weltlichen Frauen betrachten ihre Haare als Schmuck, und Synkletike setzt ein Symbol, daß sie mit diesen Frauen nichts mehr gemein hat. Mit den Haaren läßt sie ihr bisheriges Leben hinter sich und wird erst nach diesem (Ein-) Schnitt eine Parthenos. Der Λόγος Σωτηρίας , ein von Athanasius oder aus dessen Umgebung stammender Traktat, der Lebensregeln für eine Parthenos enthält, geht davon aus, daß das Haar der Parthenos kurzgeschnitten ist. 388 Die drei zitierten Beispiele der Frauen von Tabennesi, der Synkletike und der Parthenos des Λόγος Σωτηρίας zeigen, daß die Eustathianerinnen sich durchaus in ehrenwerter Gesellschaft befanden. Nicht nur in kirchlich als abweichend verworfenen Gruppen fand sich die Praxis des Haareabschneidens bei Frauen, sondern genauso in kirchlich anerkannten Gemeinschaften, die nie in den Geruch häretischer Denk- und Verhaltensweisen geraten waren. Dieser Tatbestand erhellt, wie unterschiedlich gleiche Vorgehensweisen in verschiedenen Gebieten der Alten Kirche beurteilt wurden. Galten die kurzen Haare der Frauen aus dem Umkreis des Eustathius von Sebaste einer Bischofsversammlung als verwerflich, so nahm niemand Anstoß daran, wenn zur selben Zeit in Ägypten Frauen auch aus asketischen Motiven ihr

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Haar kürzten. Bis heute bildet das Abschneiden des Haares, die Tonsur, einen wichtigen Bestandteil der Aufnahmeritus für das orthodoxe Mönchtum. 389 Hieronymus, der durch seine Aufenthalte im Orient die Praxis des Haareabschneidens bei Asketinnen kannte, bemüht sich in einem Brief zu betonen, daß diese ihm anstößig erscheinende Praxis doch noch mit dem Apostelgebot aus 1 Kor 11 vereinbar sei. "In den Klöstern Ägyptens und Syriens ist es Sitte, daß sich Jungfrauen und Witwen, die sich Gott geweiht haben und der Welt entsagend auf alle irdischen Vergnügungen verzichten, das Haar abschneiden lassen. Dies besorgen die Mütter der Klöster. Wer sich die Haare schneiden läßt, zeigt sich später nicht mehr mit unbedecktem Haupt, um nicht gegen die Vorschrift des Apostels zu verstoßen, sondern eine solche (Frau) trägt ein Tuch und verhüllt ihr Haupt. Darüber wissen nur zwei Bescheid: wer sich das Haupt scheren ließ, und wer es geschoren hat; es sei denn, daß fast alle es wissen, weil es bei allen gemacht wird. Was aber anfänglich nur Gewohnheit war, ist aus einem zweifachen Grund zur Natur geworden: einerseits weil sie kein Bad mehr besuchen, dann aber, weil sie weder für das Haupt noch für das Gesicht Öl benutzen. Man will dadurch die Belästigung verhindern, welche auf die kleinen Tierchen zurückgeht, welche ins ungepflegte Haar sich einzunisten pflegen. Auch soll verhindert werden, daß sich schmutzige Krusten bilden." 390 Das Unbehagen des Hieronymus ist deutlich zu spüren in der umständlichen Art und Weise, in der gute Gründe für diese Sitte zu finden versucht! In ep. 22 an Eustochium äußert er seinen Unwillen über derlei Praktiken ganz offen. Er bespricht Verhaltensweisen von Frauen, vor denen er seine Schülerinnen warnen möchte. "Andere ändern ihr Gewand und ziehen Männerkleider an. Sie schämen sich, Frauen zu sein, als die sie geboren sind, schneiden das Haar kurz und richten schamlos ihre Eunuchen391 gesichter auf." Oppenheim ist der Ansicht, daß das Haareabschneiden sich nur im Orient ausbreitete. "Im Abendland hatten die Jungfrauen diese Gewohnheit noch nicht. So befahl noch Ambro-

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sius der Susanna, um sie recht zu demütigen, sich zur Buße 392 ihr schönes Haar abschneiden zu lassen." Die von den in Gangra versammelten Bischöfen gefürchtete und verurteilte Auflösung der Hypotage sieht Klaus Thraede in den Frauenklöstern verwirklicht. "Die Klöster waren es dann, in denen das asketische Ideal der Virginität die Frau zur Freiheit von männlicher Vormacht befähigte, zwar außerhalb der jetzt rein männlichen Hierarchie der Weltkirche, aber doch so, daß spirituell die z.B. in Col. geforderte und in Eph. christologisch begründete Οποταγή organisatorisch aufgehoben war. Einer nicht mehr geistlich, sondern ganz einfach nach dem Muster der Matrone normierenden Vorstellung der aus jedweder Form von Öffentlichkeit verbannten Frau steht die jetzt als Braut Christi männlicher Herrschaft entnommene Virgo gegenüber. Auf diese Weise haben sich konservative und liberale antike Auffassungen, römisches Recht und faktische Freiheiten der hellenistischen Frau polarisiert: weltliche und kirchliche Instanzen fordern mehr denn je Unterordnung, die Klöster allein bringen, allerdings um den Preis gesellschaftlichen Lebens, Emanzipation von den Bindungen des Geschlechts, das als hauptsächliche Wurzel der Unmoral anzusehen die Kirche seit dem zweiten Jahrhundert gelernt hatte." 4.2.5.

Schüler und Nachfolger des Eustathius

Eustathius von Sebaste fand trotz der Ablehnung und Ver394 urteilung in Gangra Nachfolger auf seinem Weg der Askese. Aerius, sein Schüler, leitete bis zum Bruch mit Eustathius das von diesem in Sebaste gegründete Pilger- und Armenhaus. Nach Auffassung des Aerius waren asketisches Leben und soziale Tätigkeit nicht länger miteinander vereinbar, und er zog sich, nach dem Bericht des Epiphanius von Salamis, mit seinen Anhängern und Anhängerinnen aus der Stadt 395 in die Einsamkeit zurück. Auch hier also die gemeinsame Askese von Männern und Frauen, die auf kirchlichen Widerstand stieß, denn Epiphanius berichtet ja darüber in seiner

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Sammlung von Häresien

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Derselbe Epiphanius schreibt über die Gruppe der Messalianer u.a., daß einige von ihnen in gemischten Gruppen von Männern und Frauen als Wanderasketen durch die Lande zogen und auf Straßen und Plätzen nächtigten. 397 Andere dagegen lebten in Mesopotamien in Klöstern, die sie "μάνδρα" nann398 ten. Die Männer dieser Gruppierung schnitten sich nicht die Haare und trugen einen Sakkos. Epiphanius verwirft die "weibliche >1ic Haartracht" 399 der Männer unter Hinweis auf 1 Kor 400 11,7. Die Briefe 169, 170 und 171 der Basiliuskorrespondenz, die nach den Untersuchungen A. Cavallins Gregor von Nazianz zuzuweisen sind, 401 behandeln den Fall des Diakons Glykerius, in dem Jean Gribomont einen Schüler des Eustathius sieht. 402 "Aus den Briefen darf man mit Recht nicht mehr und nicht weniger als einen Skandal heraus 1esen." 403 Glykerius war von Gregor von Nazianz zum Diakon der Gemeinde von Venasa geweiht worden. 404 Jedoch anstatt sich seiner Aufgabe zu widmen, "sammelte er nach eigenem Willen einige unglückliche Parthenoi um sich, einige liefen ihm freiwillig zu,... andere unfreiwi11i g " E r raubte dann nachts die Parthenoi, um mit ihnen zu f l i e h e n . D i e Gruppe der Parthenoi ( τδν χορόν ) führt Glykerius zum Ort einer Synode, bei der viel Volk versammelt ist, und die Parthenoi tanzen dort ( περιχορεύοντα ). Gregor bittet seinen Freund Basilius um Hilfe, um die Parthenoi "zu ihrer Mutter, der 407 Kirche" zurückzuführen. Der an Glykerius direkt gerichtete ep. 170 beschuldigt diesen, "den ganzen Stand der Mönche" ( τό κοινόν τάγμα xöv μοναστδν ) zu verunehren. Er wird eindringlich aufgefordert, zusammen mit den Parthenoi zurückzukehren. Der letzte Brief berichtet, daß Glykerius und die Parthenoi im409 mer noch nicht in die Gemeinde zurückgekommen seien. Einiges deutet darauf hin, daß es sich bei diesen Parthenoi um Asketinnen handelt. Als Gruppe werden sie als "χορός " bezeichnet - ich erinnere an die Verwendung dieses

187 410

Begriffs zur Bezeichnung asketischer Frauengemeinschaften. Die Kirche wird die "Mutter" der Parthenoi genannt, und Glykerius wird beschuldigt, mit seinem Verhalten das Mönchtum in Verruf zu bringen.

W.M. Ramsay kommentierte diese Ereignisse 1893:"0ne of the most striking features in the whole incident is the important part played by women. Now this is the most striking feature also in the native religion and society of Asia 411 Minor." Ramsay versuchte, ein christliches Fest in Venasa zu rekonstruieren, das als Ersatz für ein ehemals heidnisches viele Elemente des Volksfestes übernahm, wozu auch Singen und Tanzen gehörte. 412 Er zeichnet Basilius, den er noch für den Autor der Briefe hielt, als strengen Vertreter römischer Kirchendisziplin. "For good or for evil, such prominence given to women in religious ceremonial was hateful to it... The open association of a monk with a band of young women was contrary to the rules of the monastic order." 413 Glykerius dagegen "was acting in accordance with established custom and the general feeling of the Cappado414 kian Church". Ramsays Deutung scheint mir zwar interessant zu sein, jedoch deutet und erklärt sie nicht alle Punkte. Ich möchte die Ereignisse um Glykerius und die Parthenoi nicht so sehr in die Geschichte der christlichen Volksfeste als in die Geschichte der asketischen Bewegungen einordnen. Bestimmte Auffassungen und Lebensformen der Askese müssen Frauen besonders angesprochen haben. Oder aber die Anwesenheit von Frauen in radikalen asketischen Bewegungen fiel den Zeitgenossen in besonderem Maß auf, so daß sie darüber berichteten. Diese Frage können wir heute kaum noch klären. 4.3. Frauenideal und Frauenrealität 4.3.1. "... wenn überhaupt noch eine Frau ..." Bereits denn

Gregor

in

3.1.4.

von

Nyssa

war

dieses

schreibt

Thema in

der

angekündigt Einleitung

worden, zur

Vita

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Begriffs zur Bezeichnung asketischer Frauengemeinschaften. Die Kirche wird die "Mutter" der Parthenoi genannt, und Glykerius wird beschuldigt, mit seinem Verhalten das Mönchtum in Verruf zu bringen.

W.M. Ramsay kommentierte diese Ereignisse 1893:"0ne of the most striking features in the whole incident is the important part played by women. Now this is the most striking feature also in the native religion and society of Asia 411 Minor." Ramsay versuchte, ein christliches Fest in Venasa zu rekonstruieren, das als Ersatz für ein ehemals heidnisches viele Elemente des Volksfestes übernahm, wozu auch Singen und Tanzen gehörte. 412 Er zeichnet Basilius, den er noch für den Autor der Briefe hielt, als strengen Vertreter römischer Kirchendisziplin. "For good or for evil, such prominence given to women in religious ceremonial was hateful to it... The open association of a monk with a band of young women was contrary to the rules of the monastic order." 413 Glykerius dagegen "was acting in accordance with established custom and the general feeling of the Cappado414 kian Church". Ramsays Deutung scheint mir zwar interessant zu sein, jedoch deutet und erklärt sie nicht alle Punkte. Ich möchte die Ereignisse um Glykerius und die Parthenoi nicht so sehr in die Geschichte der christlichen Volksfeste als in die Geschichte der asketischen Bewegungen einordnen. Bestimmte Auffassungen und Lebensformen der Askese müssen Frauen besonders angesprochen haben. Oder aber die Anwesenheit von Frauen in radikalen asketischen Bewegungen fiel den Zeitgenossen in besonderem Maß auf, so daß sie darüber berichteten. Diese Frage können wir heute kaum noch klären. 4.3. Frauenideal und Frauenrealität 4.3.1. "... wenn überhaupt noch eine Frau ..." Bereits denn

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Macrinae, sozusagen als Motto, unter dem alles Folgende zu lesen ist:"Eine Frau war der Gegenstand unserer Erzählung, wenn überhaupt (noch) eine Frau; denn ich weiß nicht, ob man die nach ihrer Natur benennen darf, die sich über die Natur erhoben hat." (140) Zwei Begriffe dieses Mottos müssen im Verlauf dieses Kapitels geklärt werden: " φύσις " und " γυνή Was versteht Gregor unter beiden, und was bedeuten sie in seiner Umgebung und bei seinen Zeitgenos,415 sen? Zunächst soll jedoch Umschau gehalten werden, ob das hier angeschnittene Thema auch in anderen Texten zur Sprache kommt. Die Apophthegmata Patrum berichten von Amma Sarrha, die Besuch von zwei berühmten Geronten erhält. Beim Weggehen sagen die beiden Anachoreten zueinander:" ταπειΛ1C νώσωμεν τήν γραΐδα ταύτην ." Und in der Meinung zu wissen, womit sie Sarrha demütigen können, sprechen sie sie daraufhin an, daß sie eine Frau ist. "Sieh zu, daß sich dein Denken ( ô λογισμός σου ) nicht überhebe und du sagst Sieh, die Anachoreten kommen zu mir, obwohl ich eine Frau 41 7 bin." Amma Sarrha antwortet ihnen:"Der Natur nach ( φ ύ σει ) bin ich eine Frau, aber nicht dem Denken nach ( λογισμφ )."4^8 Wieder begegnen als Sch 1üsse1begriffe "Frau" und "Natur". Wie beziehen sich beide aufeinander? Amma Sarrha nimmt für ihre Person beide ßegriffe in Anspruch - der Natur nach ist sie eine Frau. Wenn schon diese Aussage von den Geronten als Demütigung gemeint war, so nimmt sie sie positiv zustimmend auf. Aus dem Satz der Anachoreten geht hervor, daß es nicht selbstverständlich war für eine Frau, von anderen Einsiedlern besucht zu werden. Der Besuch beinhaltete die Anerkennung, daß die geistliche Wüstenmutter als Frau dazu in der Lage war, spirituelle Weisung zu erteilen. Die Ambivalenz der Gefühle, denen Frauen als Asketinnen in der Alten Kirche ausgesetzt waren, führte manche von ihnen dazu, ihr äußeres Frausein zu verbergen. Amma Sarrha bleibt jedoch auch als Anachoretin das, was sie ihrer natürlichen Beschaffenheit nach ist: eine Frau.

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Der Logismos ist die abstrakte Denkfähigkeit, die als nicht geschlechtsgebunden aufgefaßt wurde. 419 Wenn in der Spätantike über das Verhältnis von "Frau" und "Logos" nachgedacht wurde, dann in der Weise, daß der Frau der Logos ganz abgesprochen wurde. Philo von Alexandrien z.B. teilt genau auf: Mann und λόγος bzw. νους gehören zusammen und auf der anderen Seite stehen Frau und αϋσθησις - die sinnliche Wahrnehmung.4^ Amma Sarrha nimmt für sich Anspruch, daß sie denken kann, ihr Logismos ist dazu in der Lage, es mit den männlichen Einsiedlern aufzunehmen. Die beiden Geronten versuchten, der Wüstenmutter die Denkfähigkeit abzusprechen und sie darauf einzugrenzen, daß sie eine Frau sei. Amma Sarrha entgegnet ihnen darauf, daß Frausein und Denkfähigkeit sich nicht ausschließen. Im Apophthegma Bessarion 4421 wird eine Geschichte erzählt, die unser Thema von anderer Seite beleuchtet. Zwei Mönche treffen bei ihrer Wanderung durch die Wüste auf einen "Bruder", der vor seiner Höhle sitzt und ein Seil flicht. Das einzig Auffallende an diesem Bruder ist, daß er keinen Ton mit den Vorbeikommenden spricht. Vom Schluß der Erzählung her wird dieses Verhalten verständlich. Auf dem Rückweg finden die beiden den Bruder tot. Als sie ihn für die Bestattung zurechtmachen, entdecken sie, " δτι γυνή fiv xÇ 422 φύσει ." Abbas Bessarion bringt sein Erstaunen ( έθαύμοσεν ) mit den Worten zum Ausdruck :"Si ehe, wie auch die 423 Frauen den Satan niederringen." Die "Natur" kann sich verbergen, am Schluß kommt sie aber doch zum Vorschein. 424 Worüber wundern die Geronten sich über die Verwandlung des Bruders in eine Frau oder darüber, daß eine Frau in der Wüste lebt, in einer Höhle, und den Lebensunterhalt mit Seileflechten verdient? Nach dem letzten Satz des Abbas Bessarion zu urteilen, ist das zweite das Erstaunlichere. Von Menschen, die ihrer Natur nach Frauen waren, wurde nicht erwartet, daß sie "den Satan niederringen", d.h. in der Wüste ein asketisches Leben führen. So wie Jesus in der Wüste mit dem Satan gekämpft hatte (Mt 4,1-11), sahen die Mönche ihre Hauptaufgabe in der Nach-

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folge Jesu auch im Kampf mit dem Satan und den Dämonen. Seit den Pastoralbriefen galt die Frau als die Hauptschuldige des Sündenfalls, die sich vom Satan hatte niederringen lassen. Wenn in 1 Tim 2,14 nicht von Eva die Rede ist, sondern von "der Frau", so konnte darunter bald jede Frau verstanden werden. Die Frau hatte sich in der Urgeschichte vom Satan überlisten lassen, und dies war ihr jederzeit wieder zuzutrauen. Bei Tertullian z.B. ist diese Sicht sehr nachhaltig ausgeprägt, denn er sieht in jeder Frau eine Eva, die den Fall der gesamten Menschheit verschuldet hat und nun dafür in ihrer eigenen Person büßen muß. So beschuldigt er in "de cultu feminarum" seine Zeitgenossinnen, die er als "sorores di 1ectissimae" anredet:"Du willst nicht wissen, daß Du eine Eva bist? Der Schuldspruch Gottes über Dein Geschlecht lebt noch in dieser Welt, daher muß auch Deine Schuld noch leben Du bist die Eingangstür für den Teufel, Du hast das Siegel jenes Baumes zerbrochen; Du bist es, die als erste das gött liehe Gesetz im Stich gelassen hat; Du bist es auch, die denjenigen überredet hat, dem der Teufel nicht nahen konnte Du hast das Ebenbild Gottes, den Mann, zu Boden geworfen: wegen Deiner Schuld, wegen des Todes, mußte auch der Sohn 4?S Gottes sterben." Sind Asketinnen eigentlich noch Frauen? 426 - So könnte man Gregors Motto "wenn überhaupt noch eine Frau" auch formulieren. Die drei vorgeführten Textbeispiele zeigen die Schwierigkeiten, die Männer und Theologen der Spätantike mit Frauen hatten, die nicht der üblichen Frauenrolle entsprachen. Auf der einen Seite waren sie fast keine Frauen mehr - sie ordneten sich keiner männlichen Herrschaft unter und setzten keine Kinder in die Welt, sie waren geistig und spirituell selbständig und organisierten auch materiell ihr eigenes Leben. Ihrem Körper, ihrer Natur nach, aber blieben sie Frauen. Die Transvestiten-Legenden beleuchten dieselben Schwierigkeiten von seiten der Frauen, die ihr äußeres Frau sein ablegten, um der Ambivalenz von "Frau" und "Asketin" zu entgehen und ein geistlich selbständiges Leben zu führen.427

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Nicht nur in der christlichen, auch in der philosophischen Literatur der Spätantike wird die Frage nach dem Verständnis und der Rolle der Frauen aufgegriffen. Eunapius von Sardes (ca.345-nach 414) nahm in seinen Katalog der Philosophen eine einzige Frau auf, die er aufgrund ihrer hervorragenden Fähigkeiten für würdig befand, unter den weisen Männern genannt zu werden. 428 Sosipatra wurde von zwei alten Männern erzogen, die als Ziel ihrer Erziehung angaben, Sosipatra werde "nicht wie eine Frau" sein. 429 Diese Voraussage erfüllte sich darin, daß sie eine berühmte Philosophin 430 wurde, um die sich ein großer Schülerkreis sammelte. Für den Neup1atonismus läßt sich festste11 en :"Der Neuplatonismus schließlich kennt eine Gleichheit der Frau nur im Bereich der reinen Lehre, als Begegnung jenseits aller Geschlechtlichkeit; man schätzt Frauen als Schüler ... Aber infolge der Abneigung gegen alles Körperliche einschließlich der Ehe ... steht das Streben nach Geschlechtslosigkeit obenan, und für den Philosophen wird Apathie oder gar Abscheu gegen alles Weibliche erstrebenswerter Zustand..". 431 4.3.2.

Galater 3,28

Auf der Suche nach InterpretationshiIfen, um Gregors Motto zu verstehen, bietet sich die paulinische Taufformel aus Gal 3,28 an. Wenn Makrina kaum noch eine Frau zu nennen ist, so kommt das dem "nicht mehr männlich und weiblich" sehr nahe, besonders unter dem Aspekt,"daß Gal 3,28 tatsächlich als die eschatologische Antithese von Gen 1,27 begrif432 fen sein will." Hier lassen sich Verbindungen herstellen zur eschato1ogisehen Redeweise vom "bios angelikos", bei der es um die bruchstückhafte Verwirklichung des Lebens nach der Auferstehung schon auf Erden geht. Das Leben der Engel kann in dem Maß nachgeahmt werden, wie die Natur überwunden wird, d.h. auch die geschlechtliche Natur. Auch Gal 3,28 verweist auf die bruchstückhafte Realisierung des Eschaton, in der Behauptung nämlich, "die alte Ordnung, 'männlich und weiblich schuf er sie', sei im Bereich des Christus als des neuen Adam aufgehoben, denn da gilt nicht mehr 'männlich

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und weiblich1 Kannte Gregor von Nyssa diese paulinischen Aussagen des Galaterbriefes? In c. 20 seiner Schrift "de virginitate" zitiert er sie im Zusammenhang über die geistliche Ehe mit Christus. "Es ist offensichtlich, daß diese Rede in gleicher Weise für Männer und Frauen gilt, daß sie sich mit Eifer um diese Ehe bemühen. Denn wie der Apostel sagt:'es gibt nicht mehr männlich und weiblich1, sondern Christus ist alles in allen ...". 434 Jeder, Mann und Frau, kann die wahre 435 Weisheit und die Liebe zu Gott erwerben. Gregor sagt hier also, daß es in bezug auf die Parthenia keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Vom heutigen Verständnis her ist Gal 3,28 ein entscheidend wichtiger Text in der Diskussion um die Rolle der Frau436 en in der Kirche. Nicht nur ein innerliches Verhältnis wird in diesen Gleichheitsforderungen angesprochen gesehen, sondern die paulinischen Aussagen werden für reale Forderungen nach Gleichheit und Freiheit in Anspruch genommen. "Blickt man dagegen auf die Zeugnisse der griechischen und lateinischen Kirchenväter sowie auf die entstehende und sich ausbreitende Kommentarliteratur, so zeigt sich, daß Gal 3,28 im Blick auf die realgeschichtliche Rolle der Frauen in Kirche und Gesellschaft nicht reflektiert worden ist." 43 7 Hierzu wurden vielmehr Paulinen und Deuteropau1inen herangezogen, die die Unterordnung der Frauen forderten und sie zur Schuldnerin der Verführung des Mannes erklärten. Umso mehr erstaunt es, Gal 3,28 bei einigen Kirchenvätern an bezeichnenden Stellen zitiert zu finden. Theodoret von Cyrus, der in 30 Kapiteln das syrische Mönchtum beschreibt, reserviert die letzten beiden Kapitel für Frauen. Die Begründung, die er hierfür abgibt, ist zweigleisig: auf der einen Seite erinnert er an die Gleichheit von Männern und Frauen, und auf der anderen Seite geht er davon aus, daß die Frauen eine eigene Rolle zu erfüllen haben. Beide Argumentationen passen nicht zusammen, sondern bringen eine tiefgründige Ambivalenz zum Ausdruck.

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Am Beginn von c. 29 erklärt Theodoret, daß die Frauen "nicht geringer, wenn nicht sogar stärker" als die Männer 438 gekämpft haben. "Sie verdienen größere Lobreden, da sie bei schwächerer Natur den gleichen Mut wie die Männer gezeigt haben und ihr Geschlecht von einer überkommenen Schande befreit haben." 439 Die "überkommene Schande" ist das Eva zugeschriebene Verhalten, das Tertullian jeder Frau zur Last 440 legte. Wenn für beide Geschlechter die Überwindung der Natur das erklärte Ziel bildet, so hat doch das weibliche Geschlecht mehr zu überwinden. Es muß sich erst von der ihm anhaftenden Schwäche befreien, um dann noch den Kampf aufzunehmen, den auch die Männer kämpfen. Theodorets Mutmaßung, daß die Frauen "stärker" gekämpft haben, ist nicht in erster Linie als Anerkennung zu verstehen, sondern erklärt sich aus der niederen Stufe, auf der die Frauen seiner Meinung nach durch ihr Geschlecht stehen. Freilich gesteht er den Asketinnen zu, daß sie die Befreiung erreicht haben. Nachdem Theodoret über einige Frauen berichtet hat, nimmt er zum Abschluß in c. 30 den Faden seiner einleitenden Begründung noch einmal auf und kommt nun auf Gal 3,28 zu sprechen. Seiner Meinung nach kann man "männliche und weibliche Arete nicht unterscheiden, wie man auch die Philosophie nicht in zwei Kategorien aufteilt, denn der Unterschied bezieht sich auf die Körper und nicht auf die Seelen. 'In Jesus Christus', sagt der göttliche Apostel,'gibt es nicht mehr männlich und weiblich'. Ein Glaube wurde Männern und 441 Frauen gegeben." Für alle gibt es einen Kyrios, eine Taufe, einen Gott und Vater (Eph 4,5-6) und ein Reich der Himmel.442 Der Unterschied von männlich und weiblich liegt nach Theodoret auf der Ebene der Körper und der Natur. Wenn nun Frauen einen schwächeren Körper und eine schwächere Natur haben, wo wird es im Rahmen dieses Denkens verständlich, daß sie mehr überwinden müssen, um das gleiche zu erreichen wie die als stärker betrachtete männliche Natur. 443 Aussagen wie Gal 3,28 ermöglichten es Theodoret, Frauen als Asketinnen überhaupt ernst- und anzunehmen. Während die männlichen Asketen den Großteil seines Berichtes füllen und keiner Be-

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gründung bedürfen, können Frauen nur mit Hilfe einer theologischen Begründung ganz ans Ende gesetzt werden. Die Asketinnen stellten einen Stein des Anstoßes dar, der im Hinblick auf die eschato1ogisehe Aufhebung des Geschlechterunterschiedes ertragen werden konnte. Die Historia Lausiaca verwendet Gal 3,28 in ihrem 49. Kapitel in einem Sinn, der mehr als das bei Theodoret darunter Verstandene die ursprüngliche Aussage trifft. Interessant an diesem Kapitel bei Palladius ist ferner, daß Sisinnius, ein Kappadokier, in seiner Heimat asketisch lebende Frauen und Männer um sich sammelte. Das gemeinsame asketische Leben von Frauen und Männern, das schon aus anderen Quellen für Kappadokien belegt war, tritt hier nicht in Form einer der Häresie verdächtigen Gruppe auf. Palladius beschreibt Sisinnius als strengen Asketen, dem Macht über die Dämonen verliehen wurde. 444 Nach Kappadokien zurückgekehrt, wird er zum Priester geweiht und " συναγαγών Αδελφότητα άνδρών . 445 τε και γυναικών ", - er versammelte eine "Geschwisterschaft". "Durch den ernsten Lebenswandel hat er sowohl bei sich die männliche Begierde ausgelöscht, als auch bei den Frauen die weibliche Begierde durch Enkrateia zum Schweigen gebracht, damit erfüllt wird, was geschrieben steht:'In 446 Christus gibt es nicht mehr männlich und weiblich'." In der Legende der heiligen Nino, der Apostolin Georgiens, nimmt Gal 3,28 einen ähnlichen Stellenwert ein wie bei Theodoret, insofern als auch hier der Paulustext zur Rechtfertigung des ungewöhnlichen Handelns einer Frau herangezogen wird, ja man könnte die Reihe, in der Gal 3,28 steht, eine Art "Theologie des Amtes einer Frau" nennen. 447 Nino wird vom Jerusalemer Patriarchen in einer Art Weihe beauftragt, die Auferstehung Christi zu verkündigen und zu pre448 digen. Nachdem sie in Jerusalem gepredigt und getauft hat, begibt sie sich nach Georgien, um dort ihren Auftrag weiterauszuführen. 449 Als auf der Reise gen Osten zwei ihrer Gefährtinnen, Ripsime und Gaiane, getötet werden, möchte Nino ihren Weg wegen der zu großen Beschwernisse aufgeben

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und sterben. An dieser Stelle enthält ein Kodex des 14. Jahrhunderts eine Vision, in der Nino zehn Sprüche zu lesen erhält, die ganz deutlich den Zehn Geboten nachgebildet sind. Diese Sprüche antworten auf Ninos Verzweif1ung:"Herr, ich bin eine landfremde und unwissende Frau, wenn ich hingehe, weiß ich nicht einmal, in welcher Sprache ich mit den fremden Stämmen reden soll." 450 Die Spruchreihe hält Nino vor Augen, daß eine Frau aufgrund der neutestament1ichen Textzeugnisse dazu in der Lage ist, die Botschaft Christi zu ver45 1 kündigen. Der zweite dieser Sprüche ist Gal 3,28. Die älteste Tradtion über Nino, die noch aus dem 4. Jahr452 hundert stammt, hält fest, daß sie "Apostel und Evangelist" war. Spätere Zeiten kamen damit nicht mehr zurecht und unternahmen verschiedene Versuche, diese sperrige Tradition einer predigenden und taufenden Apostolin zurechtzurücken. Mit der Zusammenstellung der zehn neutestament1ichen Sprüche wurde versucht, Ninos Tätigkeiten von der neutestament1ichen Botschaft her zu verstehen und zu legitimieren. Apostolisches Handeln von Frauen bedurfte einer ausdrücklichen Rechtfertigung, um akzeptiert zu werden. Theodor Studites beendet einen Brief an die Leiterin 453 eines Frauenklosters mit dem Zitat von Gal 3,28. Das bedeutet, daß er ein deutliches Gespür dafür hatte, daß die von ihm angesprochene Frau auf den Spuren dieser Vision lebte. Wichtig ist es, daß Theodor diesen Bibeltext keiner weltlichen Frau, sondern einer Asketin gegenüber anführt. Auf dem Weg der Askese wird nach Auffassung der Alten Kirche die Aufhebung der Unterschiede von männlich und weiblich eingeholt. Epiphanius von Salamis berichtet in seiner Geschichte der Häresien, daß bei den Montanisten, bzw. Kataphrygern, wie er sie nennt, Gal 3,28 als Begründung dafür diente, daß Frau454 en Presbyter und Bischöfe waren. Da es in Christus keinen Unterschied zwischen männlich und weiblich gebe, könnten Frauen auch diese Ämter wahrnehmen. Solche Praxis lehnte die Großkirche ab und damit jedwede Bemühung um die Verwirkli-

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chung der paulinischen Gleichheitsvision, die mit der Taufe in Christus Wirklichkeit wird. 455 In den apokryphen Thomas-Akten verknüpft sich Gal 3,28 mit Todeswünschen. Mygdonia, eine Frau aus der Umgebung des Königshauses, die von der Botschaft des Apostels Thomas ergriffen wurde, wünscht sich, das Leben zu verlassen, "damit ich schneller weggehe und jenen Schönen sehe, von dem ich durch Hörensagen gehört habe, den Lebendigen, der allen Leben schenkt, die an ihn glauben, dorthin (gehe), wo weder Tag und Nacht ist noch Licht und Finsternis, weder Gutes noch Böses noch Armer und Reicher, Mann und Weib, nicht Freier und Sklave, nicht Hochmütiger und der die Demütigen unterwirft."456 Bis heute wird in den orthodoxen Kirchen Gal 3,23-4,5 als Epistel an den Gedenktagen einiger Märtyrerinnen, u.a. der heiligen Thekla, Charitina, Euphemia, Katharina, Anastasia und Marina, gelesen, zusammen mit folgendem Troparion: "Mit lauter Stimme, Jesus, schreit Dein Schaf: Nach Dir, Bräutigam; sehne ich mich; Dich suchend mühe ich mich ab; mit Dir zusammen werde ich gekreuzigt und mit Dir werde ich begraben durch Deine Taufe: ich leide wegen Dir, so wie ich mit Dir herrschen werde; ich sterbe für Dich, damit ich in Dir leben werde. Nimm diese, die aus Liebe zu Dir geopfert wurde, als untadeliges Opfer an. Auf ihre Fürbitten hin rette als Erbarmender unsere Seelen."457 Wie der Überblick gezeigt hat, wurde Gal 3,28 zwar nicht vergessen, erhielt in den großkirchlichen Gemeinden jedoch fast ausschließlich die Funktion, weibliches asketisches Leben zu begründen und theologisch einzuordnen. Asketen und Asketinnen befanden sich auf dem Weg der eschatologischen Aufhebung von Gen 1,27, der Aufhebung von männlich und weiblich als lebensbestimmender Kategorie, scheiterten jedoch

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oft, wie die beiden Geronten, die Amma Sarrha wegen ihres Frauseins demütigten. Nicht die Amma, vielmehr die beiden Geronten waren gefangen in den von ihrer Gesellschaft geprägten Vorstellungen von Frauen und Männern, wonach die Frauen die schwächeren waren. Dieses Verständnis aufzuhellen wird der nächste Schritt sein. 4.3.3.

Männlichkeit als Vorbild

Während die Vita Macrinae dabei stehenblieb, zu sagen, was Makrina kaum noch ist, geht die Vita Melaniae einen Schritt weiter. Gerontius, der Verfasser der Vita, berichtet, daß Melania auf ihrer Reise von den Mönchen des Natrontals aufge458 nommen wurde "wie ein Mann". Als Erklärung dafür folgt, daß Melania "das weibliche Maß ( τό γυναικεΐον μέτρον ) überschritten" und eine "männliche Gesinnung ( φρόνημα , 459 460 dvôpeïov)", vielmehr "eine himmlische" erreicht habe. Die Hinzufügung von "himmlisch" zu "männlich" schwächt das erstere nicht ab, sondern macht das Verständnis nur noch umso deutlicher. Das Himmlische wurde nach dem Maß und Modell des Männlichen vorgestellt. Da das Unvorstellbare immer nach Analogie des Vorliegenden ausgemalt wird, wurde das Männliche als das in der Gesellschaft Wertvollste genommen, um danach das Zukünftige sich vorzustellen. 461 In der Antike, Spätantike und noch weit darüber hinaus, (z.T. noch bis in unsere Gegenwart) wurde das männliche Geschlecht als das starke und das weibliche als das schwache betrachtet. Diese Überzeugung war so verbreitet, daß wir ihrer Geschichte und Entwicklung hier nicht nachgehen können. Nur einige für unseren Zusammenhang wichtige Beispiele sollen genannt werden. Plato und Aristoteles gingen fraglos von der ÜberlegenAC.O heit des männlichen Geschlechtes über das weibliche aus. Wie wir oben gesehen haben, ordnet Philo von Alexandrien den νοΟς dem Mann und die αίσθησις der Frau zu, so daß auf diese Weise die Unterlegenheit der Frau noch krasser herausgestrichen wird, da die Sinneswahrnehmung dem Geist "an Rang und Kraft nachsteht.

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Im 1. Petrusbrief werden die Frauen in einem Atemzug als "das schwächere Geschlecht" und als "Miterben der Gnade" bezeichnet ( 1 Petr 3,7). Die Spannung zwischen dem "schwachen Geschlecht" und der Fähigkeit, sich durchzusetzen, fiel den Kirchenvätern beson464 ders bei den Märtyrerinnen auf. Euseb berichtet in seiner Kirchengeschichte über eine Märtyrerin aus Antiochien, die "heilig und von wunderbarer Tugend ihrer Seele, dem Körper nach aber eine Frau" war. 465 Eine Christin aus Alexandrien stellte sich dem Tyrannen Maximinus mit "männlicher Widerstandskraft" entgegen. Auch Männer werden aufgefordert, sich beim Martyrium männlich zu zeigen. Als Polykarp die Arena zum Todeskampf betritt, hört er eine Stimme aus dem Himmel:" Γσχυε, Πολύκαρπε, καί άνδρίζου ."4^ yQn ^βη -^heba isehen Märtyrern Phi 1oromus und Phileas heißt es bei Euseb, daß sie "mit männlicher ΛCO und philosophischer Entschlossenheit" widerstanden. Das erstaunlichste Zeugnis stammt von Perpetua, die einen Bericht über ihre Erfahrungen während der Gefangenschaft vor dem Martyrium hinterließ. 469 Am Tag vor dem Kampf in der Arena erlebte sie dieses Geschehen in einer Vision voraus. Sie wurde in die Arena geführt, entkleidet, "et facta sum 470 masculus". "Und wurde ein Mann" - wie ist das zu interpretieren? Perpetua fühlt sich nicht männlich stark, sondern sie wird ein Mann. Visionen haben eine eigene Sprache der Bilder und Symbole, denen wir auf die Spur kommen müssen, um diesen Satz zu verstehen. Rosemary Rader gibt eine Interpretation dieser Vision, die Perpétuas gesamte Persönlichkeit in Betracht zieht, die sich nach der Meinung Raders für die Befreiung von Geschlechterrollen einsetzte. 471 "In keeping with the spirit of the narration it seems erroneous to interpret this as a belief in one's having to become a man in order to be saved. It is more consistent with the account to view it as symbolic of the necessity to prove oneself in battle before attaining the final prize. Since women were ordinarily not combatants in public games, both Perpe-

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tua's modesty and the metaphor's intent suffered less by Per472 petua's male appearence." "This section written by Perpetua is an appropriate climax to the androgynous account, in that Perpetua appears male in battle, female in victory. The female/male attributes are so intrinsic to her character that the sexual imagery can be interchanged without loss of essential significance." 473 Bei aller positiven Gewichtung, die R. Rader der Perpetua-Vision abzugewinnen versucht, bleibt doch durchscheinend, daß das männliche Geschlecht in der Spätantike als dem weiblichen weit überlegen betrachtet wurde. Bei Hieronymus wird diese Vorstellung bestätigt,wenn er in seinem Kommentar zu Eph 5,28 schreibt:"So 1ange die Frau für Geburt und Kinder lebt, besteht zwischen ihr und dem Mann derselbe Unterschied wie zwischen Leib und Seele; wenn sie aber Christus mehr dienen will als der Welt, wird sie aufhören, Frau zu sein, und wird 'Mann' genannt werden, weil wir wünschen, daß alle zum Mann erhoben werden (Eph 4,13)." 474 Haye van der Meer gewinnt diesen und ähnlichen Zitaten eine recht positive Bedeutung ab, wenn es bei ihm heißt: die Väter "haben sogar ausdrücklich gesagt, daß, wenn eine Frau glaubt, sie dem Mann vollständig gleich geworden ist. Sie nennen das:'sie ist Mann geworden'. Wir würden da lieber sagen: sie ist als Frau dem Mann gleichwertig, denn das Frausein ist nicht etwas, das eine Frau abstreifen sollte, um dann endlich einmal Mann zu werden. Aber die Väter haben das auch nicht gemeint. Für sie implizierte das Frausein irgendeinen Makel, und diesen verliert die Frau, wenn sie g 1aubt. Gegen die positiven Interpretationen van der Meers und R. Raders möchte ich die ersten Eindrücke, die beim Lesen von Texten wie der Perpetua-Vision und dem Hieronymus-Kommentar entstehen, nicht durch historische Erklärungen verwischen. Aus vielen dieser Texte spricht eine tiefgründige Frauenverachtung, die die Frauen nicht als Frauen das christliche Heil erreichen sehen konnte. Um das Ziel des christlichen Lebens zu erreichen, mußten Frauen ihre weibliche Na-

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tur überwinden, um als "kaum-noch-Frauen" das gleiche wie die Männer zu erleben. Das androzentrische Weltbild war "von nahezu allen ... einschließlich der Frauen" internalisiert und wurde "auch durch das Christentum in seiner Domi476 nanz kaum erschüttert". "Für die herkömmliche Stellung und Schätzung des Weibes ist charakteristisch ein bei Persern, Griechen und Juden verschieden überlieferter Dankspruch des Mannes, daß er kein Ungläubiger bzw. Ungebildeter, kein Weib, kein Unfreier sei." 477 Ebenso bezeichnend für die Betrachtung alles Weiblichen ist die Benutzung von "effeminatus" als Angriff und Vorwurf. "Verweiblichung von Männern 478 ist unwürdig und schlimmer ali Vermännlichung von Frauen." Frauenverachtung bildet die eine Seite der so stark aus479 geprägten Ambivalenz, auf deren anderer Seite höchste Anerkennung für Frauen zu finden ist. Diese Ambivalenz - bei Paulus in dem spannungsvollen Gegenüber von Gal 3,28 und 1 Kor 11,3 ausgedrückt - war kennzeichnend für die gesamte Antike und Spätantike, und sie konnte kaum von einzelnen Personen überwunden werden. Wohl konnte die eine oder die andere Seite der Ambivalenz betont werden, die unausgeglichene Spannung blieb jedoch bestehen. Berücksichtigt werden muß für unser heutiges Bild, daß Aussagen theologischer Traktate und archäologischer Quellen in mancher Hinsicht ein völlig unterschiedliches Bild entwerfen. Trotz der christlich begründeten Unterordnungsforderung läßt sich gerade für das hellenistische Kleinasien belegen, daß vermögende Frauen "eine überraschend selbständige und einflußreiche Stellung sogar im öffentlichen Leben gehabt" h a b e n . F ü r das 2. Jahrhundert belegen die Pastoralbriefe auf der einen und die apokryphen Apostelakten, besonders die der Thekla, auf der anderen Seite völlig entgegengesetzte Auffassungen von der Rolle der Frauen. Die angesprochene Ambivalenz findet sich auch in der Vita Macrinae. Als Makrina vom Tod ihres Bruders Naukratius erfährt, zeigt sie nichts "Unedles und Weibisches" (172) ( δυσγενές τι καί. γυναικείον ), sondern sie bewahrt die "Andreia" (172). Durch ihr Beispiel erzieht sie auch die eige-

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ne Mutter zu eben dieser Andreia (174). In der Beschreibung Gregors sind Positives und Negatives eindeutig verteilt das Erstrebenswerte ist die Andreia, eine der vier platonischen Kardinaltugenden, die sich von der Vorstellung des kämpfenden Mannes ableitet und im Deutschen gern mit "Tapfer keit" wiedergegeben wird. F. Quéré-Jaulmes weist sehr richtig darauf hin, daß sich Ανδρεία auch sprachlich von άνήρ ableitet.4®^ In einer patriarchalischen Gesellschaft ist es nicht verwunderlich, wenn die höchsten Ideale nach dem Bild des Mannes geformt werden. Wenn Andreia auch von allen Gliedern der Gesellschaft, von Männern und Frauen, gefordert wird, so ver liert sie weder sprachlich noch inhaltlich ihre männliche Prägung. Der Andreia gegenüber stehen von γυνή abgeleitete Begriffe wie γυναικείος mit der Bedeutungsbreite von "weiblich, weibisch und weichlich". Der in der antiken Gesellschaft verachtete Weichling trägt die Bezeichnung " γυναικίας ". Obwohl Makrina eine γυνή ist, unterliegt sie nicht dem dazugehörigen Verhalten. Als typisch weiblich betrachtet Gregor von Nyssa das Ausbrechen in Trauer und Verzweiflung angesichts des Todes eines nahen Verwandten. Wenn Makrina dieses von ihr als Frau erwartete Verhalten nicht zeigt, ist sie "kaum noch eine Frau". Bei Gregor als einem Vertreter der Spätantike zeigt sich, daß von Männern und Frauen und dem korrespondierenden Verhalten feste, ja starre Vorstellungen bestanden. Wenn eine Frau anders reagiert und lebt, als die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen, ist sie eigentlich keine Frau mehr. Wenn ein Mann im Auftreten und Empfinden weiche Züge zeigt, wird er in den Augen der anderer ein γυναικίας - mehr eine Frau als ein Mann. Das Frauenbild des Basilius von Caesarea, das ihn als typischen Vertreter seiner Zeit mit durchaus eigenständigen Auffassungen zeigt, 484 soll anhand seiner Predigt auf die 485 Märtyrerin Julitta untersucht werden. Julitta, aus Caesarea in Kappadokien stammend, starb zu Beginn des 4. Jahrhunderts und hat ihren Gedenktag am 30.

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Juli. Vermutlich hielt Basilius die Predigt zur Gedenkfeier der Märtyrerin an ihrem Jahrestag. Julitta zog vor Gericht, um einen Mächtigen der Stadt anzuklagen, der ihr Äcker, Dörfer, Vieh und Sklaven geraubt hatte. Schon dieser Besitz weist Julitta als reiche, einflußreiche Frau der Oberschicht aus. Anstatt ihr Recht vor Gericht zu erringen, wurde sie dort als Christin denunziert und deswegen zum Tode verurteilt. Basilius beschreibt seinen Zuhörern das Martyrium als einen Kampf, der zur größten Verwunderung der Zuschauer auf "männlichste Weise" ( άνδρειΛQC οτάτην ) in einem weiblichen Körper geführt wurde. Ähnlich wie Gregor fragt Basilius,"ob es noch angemessen ist, die eine Frau zu nennen, die durch ihren großen Mut die 487 Schwäche der weiblichen Natur verborgen hat". Einen für unsere Ohren fast belustigenden Klang hat das Folgende, wenn Basilius beschreibt, wie "unser gemeinsamer Widersacher ... die Niederlage durch Frauen nicht ertragen kann." 488 Der Satan "erschien weiblicher Arete unterlegen" und versuchte mit allen Mitteln, Julitta "von der Schwäche ihrer Natur" zu überzeugen. 489 Wegen der körperlichen Konstitution wurde Frauen die Härte eines Märtyrerkampfes kaum zugetraut, und wenn sie ihn trotzdem durchstanden, erregten sie umso größere Bewunderung. Julitta aber wurde "männlicher als ihre Natur" ( ά,νδρειοτέραν xfie «ρύσεως ) und starb den Märtyreri n 490 TOO· Den Höhepunkt erreicht die Predigt, als Basilius Julitta selber sprechen läßt. Sie ist bereits zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt und wendet sich in einer leidenschaftliehen Ansprache an die umstehenden Frauen. 491 Diese fordert Julitta auf, "nicht schwach zu werden vor den mit dem Glauben verbundenen Mühen und nicht die Schwäche der Natur als Entschuldigung anzuführen." 492 Sie sagt:"Wir sind aus demselben Stoff wie die Männer (geschaffen). Nach dem Bild Gottes sind wir geschaffen wie auch sie. Für die Arete geeignet ist das weibliche Geschlecht genauso wie das männliche vom Schöpfer gemacht worden. Sind wir denn nicht den Männern in allem verwandt? Nicht nur das Fleisch wurde zur Erschaffung der Frau genommen, sondern auch die Knochen von

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seinen Knochen. So daß auch wir genau wie die Männer dem 493 Schöpfer Festigkeit, Kraft und Geduld schulden." Julittas Rede spricht so für sich, daß ich sie nicht weiter interpretiere. Basilius beschließt seine Predigt mit je einem Aufruf an die Männer und an die Frauen. "Ihr Männer, zeigt euch im Glauben nicht schwächer als die Frauen! Ihr Frauen, wendet euch nicht ab von diesem Vorbild, sondern haltet ohne Ausrede fest am Glauben! Durch diese Tat konntet ihr erfahren, daß die Schwäche der Natur euch nicht am Guten hindert."4^4 Von der Schwäche der weiblichen Natur und des weiblichen Körpers zeigen sich hier alle überzeugt, sowohl Basilius und der Widersacher als auch Julitta selber. Trotzdem wird von Julitta ein sehr starkes und ermutigendes Bild festgehalten, das Frauen und Männern als Vorbild empfohlen wird. Die Männer werden sogar aufgefordert, sich dieser Stärke ebenbürtig zu zeigen. Julitta vereint in sich Schwäche und Stärke, die zu keiner Diskriminierung ihrer Weiblichkeit führt, da sie davon ausgeht, daß Frau und Mann Ebenbild Gottes sind. Aufgrund dieser Vorstellung ist sie in der Lage, die ihr und ihrem Geschlecht nachgesagte Schwäche und Weichlichkeit hinter sich zu lassen und zu einem erstrebenswerten Vorbild für beide Geschlechter zu werden. Zum Abschluß dieses Kapitels über "Männlichkeit als Vorbild" sollen die anthropologischen Vorstellungen des Pal 1adius betrachtet werden, der in seiner Historia Lausiaca im Vergleich zu anderen Mönchsgeschichten viele Frauen berücksichtigt. Gleich in der Vorrede heißt es, daß in diesem Buch von Männern und Frauen die Rede sein wird. "Auch der alten Frauen ( γυναικών πρεσβυτίδων ) und der berühmten geisterfüllten Mütter wollen wir gedenken, die durch männliche und vollkommene Gesinnung den Kampfpreis für strenge Askese ge495 wonnen haben". Palladius will berichten "von den Kämpfen großer Männer und jener Frauen, die männlicher als ihre Natur wurden ( άνδρειοτέρων τής φύσεως γυναικών ) durch die Hoffnung auf Christus".496 Diese Formulierung gleicht

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derjenigen aus der Predigt über Julitta. Im Verlauf der Einleitung redet Palladius viermal von "Männern und Frau498 en", d.h. daß ihm sehr deutlich bewußt ist, daß Frauen einen wichtigen Teil der asketischen Bewegung bilden. Im Prolog direkt vor den Berichten heißt es noch einmal, daß es um "Männer und Frauen" ( άρρένων τε καί θηλειων ) 499 gehen wird. Nachdem Palladius neun Abschnitte fast ausschließlich Frauen gewidmet hat,500 folgt in c. 41 ein erneuter Ansatz, der die Berücksichtigung von Frauen erklärt und 12 Frauen namentlich aufführt: Paula, Eustochium, Veneria, Theodora, Hosia, Adolia, Basianilla, Photina, die Diakonissin Sabinia501 na, Asella, Avita und Eunomia. Der Anfang von c. 41 lautet:"Es ist notwendig, in diesem Buch auch jener männlichen Frauen zu gedenken, denen Gott die gleichen Kampfpreise gab wie den Männern, damit wir nicht denken, daß sie schwächer seien in bezug auf die Erfüllung der Arete". 502 Da die Arete den asketisch lebenden Christen als das Wichtigste galt, bedeutet diese Aussage des Palladius, daß Frauen in bezug auf die Hauptinhalte des asketischen Lebensverständnisses den Männern gleichwertig waren, freilich wieder unter der Voraussetzung, daß sie die ihnen anhaftende Schwachheit hinter sich lassen und sich um Männlichkeit bemühen. Im Anschluß an dieses Frauenkapitel folgen bei Palladius von 13 weitere Abschnitte, die Frauen zum Hauptinhalt haben.503 4.3.4.

Mutter-Bilder

Zu der angesprochenen Ambivalenz der Spätantike in bezug auf Frauen gehört es, daß das Bild der Mutter Verwendung fand in theologis-chen Schriften. In einer ganz stark männlich geprägten Welt kann von Männern mütterlich-weibliches Verhalten ausgesagt werden. Ein Motiv dafür ist die Stellung und Bedeutung der realen Mutter; einige Kirchenväter haben ihre eigene Mutter mit besonderer Verehrung betrachtet und schriftliche Zeugnisse dafür hinterlassen. 504

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Paulus schreibt im 1. Brief an die Thessa1onieher :"Wir waren in eurer Mitte ganz klein, wie wenn eine Amme ihre Kin der nährt." (2,7) Basilius übernimmt dieses Bild in seine Regeln und fordert von Oberen, daß er die Brüder behandeln soll "wie eine Amme, die ihre Kinder nährt". 505 Von der Rolle der Mutter im Neuen Testament gilt insgesamt:"Ist die Stellung, die das NT der Mutter zuweist, auch frei von Gefühlsüberschwang, mythologischer Übertreibung und Erhebung zum religiösen Symbol, so ist der Blick doch offen für die Bedeutung der Mutter und des Mütterlichen und seine Einordnung in die Schöpfung Gottes. Euseb hat in seiner Kirchengeschichte eine sehr schöne Be Schreibung überliefert. Alexander, ein Arzt aus Phrygien, der die Christenverfο 1gungen in Gallien miterlebte, begleitete die dortigen Christen auf ihrem Gang ins Martyrium; den Umstehenden kam er dabei vor "wie eine gebärende Mutter". 507 Der Übersetzer des in der Bibliothek der Kirchenväter veröffentlichten Textes hielt diese Stelle anscheinend für mißver ständlich und fügte als Erklärung hinzu:"Alexander gebar geCAO wissermaßen Kinder für die Kirche." In der Vita Macrinae heißt es, daß Makrina für ihren jüngsten Bruder Petrus "Vater und Mutter" (192) wurde. Daß eine Frau Vater sein kann, ist genauso erstaunlich wie das mütterliche Verhalten von Männern in einer androzentrisehen Umgebung. Wenn Gregor von Nyssa seine Schwester "Vater" nennen kann, so scheint es nicht so sehr erstaunlich, daß er zu den wenigen Kirchenvätern gehört, die Muttermetaphern für Gott verwenden. Mit dem Gebrauch des Mutterbildes betrat Gregor ein Gebiet, das nach den ersten Abgrenzungsprozessen der christlichen Gruppierungen gegeneinander den sogenannten Häretikern überlassen worden war. 509 "Die Muttergestalt spielt in den gnostischen Systemen eine außerordentlich große Rolle. Teils ist die Mutter neben dem höchsten Gott als Urprinzip wirksam, teils ist sie die gefallene Gottheit, die Ursprung der Materie ist." 510 Gregor schreibt in seiner Auslegung zu Kapitel 3,11 des

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Hohen 1iedes:"Denn weil das Göttliche weder männlich noch weiblich ist (wie wäre so etwas in der Gottheit denkbar, wenn dieses nicht einmal bei uns Menschen für immer bleibt, sondern wir alle in Christus eins geworden sind, werden wir zugleich die Zeichen dieser Unterscheidung mit dem ganzen alten Menschen ausziehen), darum hat jeder Vorgefundene Name gleiche Kraft für die Bezeichnung der unsagbaren Natur, denn weder das Weibliche noch das Männliche besudelt die Bezeichnung 6 11 seiner Natur." Karin Bjerre-Aspegren, die eine Auswahl der infrage kommenden Texte bei Gregor untersucht hat, schreibt:"In den Muttermetaphern überwiegt die Unerreichbarkeit Gottes trotz des intimen Charakters des Bildes. Ausserdem scheint mir das Bild interessant und bewußt herausfordernd zu sein, da man auch in der heidnischen Umwelt weibliche Symbole gebraucht hat, um religiöse Begriffe auszudrücken." 512 Bjerre-Aspegren arbeitet heraus, daß Gregor sich in seinem Verständnis 51 3 stark an Jes 49,15 anlehnt. Vor dem Hintergrund seiner Zeit "erscheint Gregors Gebrauch des Mutterbildes und des Frauensymbols als kühn und anstößig," kann allerdings kaum damit erklärt werden, "dass er von der herrschenden Frauenauffassung seiner Zeit merkbar abweicht". 51 4 Hier soll noch ein Text aus "de virginitate" angeführt werden, der bei Bjerre-Aspegren nicht berücksichtigt wurde, und der die Breite von Gregors Muttermetaphern belegt. Als Auslegung zu Mt 12,50 heißt es in c. 14, daß jeder Mensch zur Mutter Christi werden kann, da dieser gesagt hat:"Wer meinen Willen tut, ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. Gregors Verwendung der Muttermetapher wurde von mir herangezogen, um die Breite seiner Vorstellungswelt aufzuzeigen. Neben festgelegten Zuschreibungen von männlichem und weiblichem Verhalten und von Frau und Mann finden sich Bilder, die diese starren Rollen sprengen. Makrina kann zum Vater werden, und in Gott sind mütterliche Züge zu entdecken. Die Ambivalenz wird keineswegs aufgehoben, sondern eher noch verstärkt. Makrina ist väterlich, trägt mütterliche Züge und ist dennoch "kaum noch eine Frau". Wenn auch die Welt der

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Kirchenväter eindeutig androzentrisch geprägt war, so scheint mir das heutige Bild dieser Zeit mehr auf dem Selektionsprozeß der Überlieferung zu beruhen als auf der wirklichen Kenntnis der Zeitumstände. Heute wird mühsam und sorg sam daran gearbeitet, gerade auch in der gottesdienstlichen Sprache, daß an Gott nicht nur die väterlich-männlichen Eigenschaften, sondern auch die mütterlich-weiblichen gesehen und benannt werden. 5 1 6 Für viele Frauen ist das ein lebenswichtiger Prozeß, um sich selber und ihre Erfahrungen im Raum und in der Sprache der Kirche wiederzufinden; für andere dagegen erscheinen solche Versuche wie ein Sakrileg an alten Traditionen. Dabei ist in Vergessenheit geraten, daß noch ältere Traditionen eine andere Sprache und andere Bilder zur Verfügung hatten, nach denen heute wieder mühsam gesucht wird. Gregor von Nyssa konnte ganz selbstverständlich von den weiblichen und mütterlichen Zügen Gottes reden.5” Die tiefe Ambivalenz in bezug auf die Rolle der Frauen durchzieht die Spätantike und kann nicht von uns nachträglich aufgelöst werden, weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Weder dürfen die Spätantike und die Kirchenväter als ihre theologischen Schriftsteller nur als misogyn hingestellt werden, noch darf man die Kirchenväter zu Vorreitern der Frauenbefreiung erklären. Beide Seiten dieser Ambivalenz müssen von uns zur Kenntnis genommen werden, wollen wir ein angemessenes Bild der Spätantike gewinnen. 4.3.5.

Frau als Bild Gottes

Bei allen Aussagen der Kirchenväter müssen der unmittelbare Zusammenhang und der "Sitz im Leben" beachtet werden. So spiegeln theologische Äußerungen nicht unbedingt die soziale Wirklichkeit wieder; wer sich für die schöpfungsmäßige Gleichheit von Mann und Frau ausspricht, kann trotzdem der Meinung sein, daß die Frau sich in der realen Welt dem Mann unterzuordnen hat. Dennoch ist es wesentlich, wie die Kirchenväter sich theo

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logisch grundsätzlich über Frauen äußerten, denn hier sind C 1 Q große Unterschiede zu verzeichnen. Während die drei Kappadokier die Frau genau wie den Mann als Ebenbild Gottes betrachteten, ist die Frau nach Ansicht des Ambrosiaster, eines Anonymus des 4. Jahrhunderts, nicht als Ebenbild Gottes geschaffen worden. 519 Für Augustin ist sie nur mittelbar Bild Gottes, nur über die Vermittlung des Mannes kommt der Frau 520 diese Würde der Ebenbildlichkeit zu. Die Kappadokier folgten der Tradition des Clemens von Alexandrien (+ vor 215), der in seinen "Stromata" davon ausgeht, daß die Arete von Mann und Frau die gleiche ist, und daß von beiden in gleicher Weise σωφροσύνη und δικαιοσύνη 521 zu fordern sind. Die Schrift "Paidagogos" des Clemens enthält einen eigenen Abschnitt darüber, daß der " λόγος παιδαγωγός " für Mann und Frau der gleiche ist. Beide Geschlechter haben denselben Gott, alles ist ihnen gemeinsam: Atem, Sinne, Erkenntnis, Hoffnung, Liebe, Gnade und Heil. 522 In seiner Exegese zu Gen 1,26 schreibt Gregor von Nyssa, daß die Frau nach dem Bild Gottes geschaffen wurde wie auch der Mann. Die Naturen ( αί φύσεις ) beider Geschlechter sind gleichwertig. Gregor geht auf mögliche Einwände einer weiblichen Gesprächspartnerin ein. Die Frau könne sich nicht damit entschuldigen, daß sie schwach sei, denn die Schwäche bezieht sich nur das Fleisch. 524 Erfüllung der Arete und der guten Werke sind beiden Geschlechtern in gleicher Weise möglich. Dann folgt eine Aufzählung weiblicher Stärken: Frauen sind ausdauernd im Wachen, Fasten, Beten und beim Vollbringen guter Werke. 525 Gregor von Nazianz vertritt in der Rede auf seine Schwester Gorgonia eine ähnliche Auffassung: weibliches und männliches Geschlecht sind nur dem Körper, nicht der Seele nach verschieden.®^® In der Homilie zu Psalm 1 ist bei Basilius von Caesarea zu lesen:"Mann und Frau haben ein und dieselbe Arete, da auch die Schöpfung beider gleiche Würde hat, so daß beiden

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auch der gleiche Lohn zuteil wird." 527 Basilius ging aus von der Formulierung des ersten Verses, der 1autet:"Seiig ist der Mann Er führt aus, daß die Frau in diesem Satz mitgemeint sei und zieht dazu den Schöpfungsbericht von Gen 1,27 heran, um zu zeigen, daß beiden Geschlechtern eine φύσις eigen sei. Im Psalmvers wird der Mann erwähnt, die Frau dagegen nicht, weil, da das Wesen der Natur beider gleich ist, "das Ganze durch das führende (Geschlecht) ( έκ τοΟ ήγεCOQ μονικωτέρου ) bezeichnet werden kann". - So nah liegt im Denken des Basilius beides nebeneinander: er bemüht sich um die Betonung der Gleichheit, um dann im nächsten Satz von dem führenden Geschlecht zu reden. Wenn er sich allerdings Gedanken darüber macht, wie Psalm 1,1 auf Frauen wirkt, so zeigt das deutlich, daß Basilius mit weiblicher Zuhörerschaft und Leserschaft rechnete, die ebenfalls angesprochen werden wolIte. In der asketischen Prodiatyposis 529 hebt Basilius einen anderen Aspekt hervor. Nachdem er ausgeführt hat, was das Kämpfen für Christus bedeutet, schreibt er:"Dieses Wort gilt nicht nur für Männer. Denn auch das weibliche (Geschlecht) kämpft für Christus, das wegen seiner seelischen Männlichkeit ( t Ç ψυχικζ ôvôpeig ) zum Kampf ausgewählt und nicht wegen der Schwäche des Körpers zurückgewiesen wurde. Und viele Frauen haben sich in ihrem Mut nicht geringer als die Männer gezeigt; es gibt sogar einige, die größeren Ruhm erlangt haben. Zu diesen gehören diejenigen, die den Chor der Parthenoi bilden. Zu diesen gehören diejenigen, die durch Kämpfe des Bekenntnisses und durch Siege des Martyriums hervorstrahlen. Denn dem Herrn folgten auf Erden nicht nur Männer, sondern auch Frauen und durch beide wurde der Dienst 530 des Retters ( ή λειτουργία τοΟ Σωτΐΐρος ) vollbracht." An dieser Stelle müßte untersucht werden, was Basilius unter " λειτουργία τοΟ Σωτήρος " versteht, und welche Funktion er den Jesus nachfolgenden Frauen zuweist. Dieser Frage hier nachzugehen ist leider nicht möglich.

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4.3.6.

Soziale Strukturen

Nach verschiedenen Entwürfen des Frauenideals soll nun die Realität der Frauen zur Sprache kommen. Eine eingehende Arbeit über Frauen in der Spätantike unter Berücksichtigung der kirchlichen Strukturen fehlt bisher völlig. Zum Teil können Studien über Frauen in der Antike herangezogen werden, 531 da neben dem Wandel auch Kontinuitäten zu verzeichnen sind. Ähnliches ist über Studien zur Rolle der Frauen in Byzanz zu sagen, 532 die in größerem oder geringerem Umfang die Vorgeschichte berücksichtigen. F. Quéré-Jaulmes versuchte, einen Überblick über die Situation der Frau in der Spätantike zu geben, bleibt jedoch vielfach an der Oberfläche, ohne die Zusammenhänge aufzeigen zu können. 533 Viel Material bietet Klaus Thraede in seinem Artikel "Frau" im Reallexikon für Antike und Christentum. 534 Das schon genannte Thema der Geschlechtertrennung 535 soll noch einmal als soziales Strukturmerkmal aufgegriffen werden. Nicht nur innerhalb des Mönchtums, auch für die gesamte Gesellschaft gilt dieses Prinzip. Es gab Frauenarbeit, wie das Spinnen, und Männerarbeit. Das zur Beerdigung Makrinas herbeiströmende Volk wird nach dem Geschlecht ( κατά γένος , 248) getrennt, die Frauen werden in den Chor der Parthenoi eingeordnet und die Männer zu den Mönchen ( τφ τψν μοναζόντων τάγματι , 248), damit die Psalmen im Wechsel gesungen werden können. Theodoret von Cyrus hat seinen Mönchsgeschichten u.a. deswegen Berichte über Frauen hinzugefügt, damit, wie er selber sagt, auch Frauen für sich ein Vorbild finden können, eben unter den weiblichen Heiligen. 536 Auch die Heiligenverehrung trägt geschlechtsspezifische Züge, da Frauen die Namen weiblicher Heiliger erhielten und Männer die männlicher Heiliger. Makrina erhält Thekla zum Vorbild; Julitta wendet sich in ihrer Rede besonders an die Frauen, obwohl anzunehmen ist, daß bei ihrem Martyrium auch Männer anwesend waren. An den Gedenktagen weiblicher Heiliger wird über die eine verehrte Person hinaus besonders über

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Frauen als Nachfolgerinnen Christi gepredigt. 537 Durch die Orientierung der Namensgebung an christlichen Vorbildern entstand eine enge Bindung zwischen der Trägerin eines Namens und der Namenspatronin, so daß besonders Frauen zu Trägerinnen der Verehrung weiblicher Heiliger wurden, wie es sich im Fall Theklas gut beobachten läßt. Die aus der Vita Macrinae erkennbaren Sozia 1Strukturen, die das Leben der Frauen bestimmten, sollen im folgenden ana lysiert werden, um einen Beitrag zu der noch ausstehenden Sozia 1geschichte christlicher Frauen im spätantiken Kleinasien zu leisten. Aus Abschnitt C der Vita geht hervor, daß das Erbe der Eltern unter die neun Geschwister verteilt wurde und jeder den gleichen Anteil ( τήν Ισομοιρίαν , 208) erhielt, d.h. daß die Brüder gegenüber den Schwestern nicht bevorteilt wur den. Klaus Thraede hebt für das nichtchristliche Griechenland die "Gleichstellung in Erb- und Vermögensrecht" als Zeichen der "privatrecht1iche(n) Emanzipation der Frau" herroh vor. Der Justinianischen Gesetzgebung bescheinigt er das gleiche Bemühen, daß "im Laufe der Zeit die Ansätze zur erbrechtlichen Gleichstellung der Frau nicht unwesentlich" weiterentwickelt wurden. 539 Die vermögensrechtlich selbständige Stellung kleinasiatischer Frauen wird von der Vita in dem Bericht bestätigt, daß Emmelia nach dem Tod ihres Mannes die Verwaltung des Besitzes übernahm (158,160). Nicht ein männlicher Verwandter, sondern die älteste Tochter Makrina unterstützt sie dabei (160). Die kappadokisehe Märtyrerin Julitta war Besitzerin von Feldern, Dörfern, Vieh und Sklaven, wobei wir allerdings nicht wissen, ob sie diesen Besitz von ihren Eltern oder von einem Ehemann erbte oder sich anderweitig erwarb. Sie tritt jedenfalls als selbständige Frau auf, die ihre Besitzrechte vor Gericht verteidigen will.^40 Die in der Vita berichteten Eheschließungen verlaufen unterschiedlich. Emmelia, die im heiratsfähigen Alter Waise war, wählte ( έλομένη , 144) selber einen Ehepartner. Aus der Vita geht nicht hervor, ob dieses Recht ihr zukam, weil

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sie keine weiteren Verwandten hatte oder ob diese selbständige Wahl eine normale Möglichkeit von Frauen war. Für Makrina traf der Vater die Auswahl des künftigen Ehepartners (152), ohne daß von einer Zustimmung der Tochter die Rede ist. Während Emmelia sich unter dem Zwang der Verhältnisse für die Ehe entscheidet, obwohl sie lieber ein eheloses Leben geführt hätte, kann ihre Tochter sich, auch gegen den Willen der Eltern, für einen ehelosen Lebensstil entschließen. Diesen Umschwung möchte ich auf die Ausbreitung der asketischen Bewegung zurückführen, die das ehelose Leben für Frauen zunehmend attraktiv machte und auch soziale Räume und Institutionen dafür schuf. Zu Emmelias Zeit wäre für eine Asketin noch der Rahmen der Familie das gebotene Lebensmodell gewesen, da sie aber Waise war, kam diese Lebensform für sie nicht in Frage. Emmelia sucht in der Ehe und in ihrem Ehepartner einen Schutz, da ihr eine Entführung drohte (144). Mit dem Thema der Entführung von Frauen beschäftigt sich auch Basilius in seinen Briefen. In c. 30 des ep. 199 ordnet der Bischof von Caesarea einen dreijährigen Ausschluß aus der Kirchengemeinschaft für die Entführer und ihre Helfer an. 541 In c.22 desselben Briefes beschäftigt er sich mit der Frage, was mit den entführten Frauen zu geschehen hat, und ordnet an, daß sie ihren Familien zurückzugeben sind und daß unter bestimmten Umständen eine Eheschließung mit dem Entführer möglich 542 ist. Nach der Vita und diesem Brief zu urteilen, waren Entführungen von Frauen durchaus an der Tagesordnung, auch wenn die kirchliche Gesetzgebung dagegen einschritt. Aus c. 22 geht hervor, daß Entführungen oft mit Vergewaltigungen verbunden waren, dann trifft die Täter ein vierjähriger Ausschluß. Joel le. Beaucamp stellte für die byzantinische Gesetzgebung heraus, sowohl für die kirchliche als auch für die zivile, daß das Thema der Entführung von Frauen einen breiten Raum einnimmt. 543 Diese Tatsache erhellt, daß Entführungen nach wie vor ein gesellschaftliches Problem darstell-

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4.3.7.

Frauenleben in Kleinasien

Bezeichnend für das Interesse bzw. Desinteresse der Geschichtsschreibung ist es, daß wir wohl.alle vier Brüder Makrinas mit Namen kennen, über die Schwestern dagegen fast gar nichts wissen. In den Bericht der Vita Macrinae flicht Gregor von Nyssa kurze Mitteilungen über Basilius, Naukratius und Petrus ein, während die Schwestern nur erwähnt werden. So heißt es, daß Emmelia "Mutter von vier Söhnen und fünf Töchtern" war (158), und daß sie sie Versorgung der Schwestern Makrinas regelte "nach der Zustimmung jeder" 545 (160). Auf ihrem Sterbebett erwähnt Emmelia, daß sie zehn Kinder zur Welt brachte, Makrina als erste und Petrus als zehnten (184,186). J.E. Pfister löste diese Differenz damit, daß er wahrscheinlich machte, daß ein Kind sehr früh starb.546 Eventuell kennen wir eine der Schwestern Makrinas mit Namen. Hauser-Meury geht davon aus, daß die in zwei Briefen Gregors von Nazianz erwähnte Theosebeia 547 nicht die Ehefrau Gregors von Nyssa, sondern dessen Schwester war, also eine Tochter der Emmelia. Diese These bleibt allerdings umstritten. Die Annahme Pfisters, daß alle Schwestern Makrinas heiCΛQ rateten, läßt sich nicht eindeutig belegen. Dagegen spricht die Aufzählung Gregors von Nazianz, der nicht nur eine Parthenos, sondern Parthenoi im Plural als Nachkommen Basilius d.A. und Emmelias erwähnt. 549 Zumindest eine der Schwestern muß Nachkommen hinterlassen haben, denn Basilius widmet seine Schrift über den Gebrauch der griechischen Literatur seinen Neffen, und der Bischof Gaudentius von Brescia (+ nach 406) trifft im kappadokisehen Caesarea zwei Nichten des Basilius, die ihm von diesem geerbte Reliquien der Vierzig 551 Märtyrer von Sebaste übergeben. Die beiden Frauen führten die asketische Familientradition fort, denn Gaudentius beschreibt sie als "monasterii sanctarum virginum dignissimas matres" und vergleicht sie mit Maria und Martha aus dem Neu552 en Testament.

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Um einen Eindruck vom Frauenleben in Kleinasien zu gewinnen, sollen die Lebensläufe von zwei Frauen, die Makrina vermutlich gekannt hat, betrachtet werden. Gregor von Nazianz setzte seiner Mutter und seiner Schwester in Trauerreden literarische Denkmäler, so daß wir ihren Lebensweg verfolgen können. Die Mutter Gregors von Nazianz, Nonna, starb um 374 und wird in den orthodoxen Kirchen am 5. August als Heilige verehrt. 553 Basilius Hermann nahm sie in seine 1931 veröffentlichte Sammlung "Verborgene Heilige des griechischen Ostens" auf und widmete ihr ein Kapitel unter der Überschrift "Der 554 Segen der Mutter". Entsprechend dem Titel hebt Hermann vor allem Nonnas Mutterrolle hervor und empfiehlt sie allen Müttern zum Vorbild. Er sieht in ihr "etwas wie die Prieste555 rin des Hauses". F.J. Dölger befaßte sich 1936 in einer Studie mit den in der Trauerrede enthaltenen religiösen 556 Bräuchen, jedoch nicht mit Nonnas Rolle als Frau. Ein völlig unzutreffendes Bild Nonnas gibt das "Lexikon der Namen und Heiligen" von Wimmer/Melzer, nach dessen Auskunft sie ihr Leben "als Nonne des Basi1ianerordens" beschloß. 557 Weder wurde Nonna eine "Nonne", noch gab es einen "Basil ianerorden"! In seiner Rede "de vita sua" geht Gregor von Nazianz kurz auf seine Eltern ein und beschreibt seine Mutter als " θήλυς τό σώμα, τόν τρόπον 6* άνδρός πέρα " - eine Frau dem Leib nach, in ihrem Wesen aber einem Mann überlegen. 558 Einige Zeilen weiter unten nennt er sie " μέγας διδάσκαλος ". 559 Das Erstaunlichste an dieser Beschreibung ist, daß Gregor nicht zu den Worten greift, seine Mutter sei "kaum noch eine Frau" gewesen, sondern daß er einfach sagt, sie sei einem Mann überlegen gewesen. Vielleicht war sie als Frau und Mutter für ihn so prägend erlebbar, daß er nicht daran zweifeln mochte, daß sie eine Frau war. Die unter 4.3.1. erwähnten Frauen, in denen die Zeitgenossen kaum noch Frauen zu sehen vermochten, standen zu keinem ihrer Berichterstatter in einem so engen Verhältnis wie Gregor zu seiner Mutter, und außer der Philosophin Sosipatra^®® setzte keine dieser Frau-

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en leibliche Kinder in die Welt. Nonna stammte von christlichen Vorfahren ab, 561 während ihr Mann, Gregor d.Ä., zunächst den Hypsistariern angehörte, einer synkretistischen Gruppe, die neben christlichen auch heidnische und jüdische Elemente enthielt. 562 Unter dem Einfluß Nonnas wandte sich Gregor d.Ä. der Großkirche zu und wurde 329 zum Bischof von N'azianz geweiht. Gregor entwickelt das Bild seiner Mutter ganz stark nach alttestamentl ichen Vorbildern. So beginnt er ihre Beschreibung in der Trauerrede mit einem Zitat aus Proverbia 31,10: CC o " γυναίκα μέν Ανδρείαν τίς εύρήσει. ", dem Anfang des alphabetischen Gedichtes auf die nach jüdischen Vorstellungen tüchtige Frau. Im weiteren Verlauf seiner Lobrede kommt Gregor auf diese Spruchsammlung zurück, indem er die umsichtige Haushaltsführung Nonnas rühmt, die " κατά τους Σολομδντος περί τής Ανδρείας γυναικός δρους " den Wohlstand ihres Hauses vermehrte. 564 Die Ehe der Eltern stellt der Sohn als körperliche und geistige Bindung dar. 565 Neben den Proverbia greift Gregor den Schöpfungsbericht aus Genesis 2 auf. Die dem Adam zugedachte Hilfe ( ή δοθεΐσα κατ' αύτόν βοηθός wurde seine Gegnerin ( Αντίθετος ), da sie den Mann durch Sinnlichkeit ( δι* ήδονής ) verführte. 567 Diese Interpretation des Sündenfalls, die Gregor gibt, daß Eva durch die " ήδονή " Adam verführte, kann sich nicht auf Genesis 3 berufen, denn dort heißt es ledigCC Q lieh, daß die Schlange Eva verführte, von " ήδονΑ " ist nicht die Rede. Allerdings ist in Gregor von Nazianz nicht der Urheber dieser Auffassung zu sehen, denn zwischen dem Genesistext und dem Kirchenvater des 4. Jahrhunderts liegen jüdische Interpretationen, die einen sexua1isierten Sündenbegriff entwickelten, der die Verführung Evas durch die Schlange so verstand, daß Eva mit der Schlange Unzucht getrieben habe. 569 Dieses Verständnis des Sündenfalls schlägt sich auch in 1 Tim 2,14 nieder. Der Gedanke, daß Eva durch ihre " ήδονή " zur Urheberin des Sündenfalls wurde, findet sich ebenfalls bei Philo von Alexandrien. 570 Nonna nun allerdings, wie Eva ihrem Mann von Gott gegeben, wurde diesem nicht nur eine Mitarbeiterin ( συνεργός ) ^ 1 -

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sondern sie wurde ihrem Mann eine Wegweiserin ( άρχηγός ), "die ihn durch ihr Tun und Reden zum Besten leitete", 572 das bedeutet, daß sie die Eva zugedachte Aufgabe nicht nur erfüllte, sondern sogar übertraf. Eva war zur " βοηθός " bestimmt worden, Nonna wurde eine Vorausgehende. In Christus und durch Christus ist die alte Schöpfungsordnung aufgehoben, es gilt nicht mehr Männerrolle und Frauenrolle, sondern eine neue Gemeinschaft der Nachfolgenden bricht an. 57S Für die soteriologische Bedeutung der Frauen sehr wichtig ist es, daß Gregor hier seine Mutter als Gegenbild zu Eva sieht, die nach der Ansicht seiner Zeit den Sündenfall verschuldete und diese Schuld allen Frauen weitergab. Seit Justin dem Märtyrer (+ um 165) 5 74 und Irenäus von Lyon (+ 5 75 2.Jh.) wurde eine Eva-Maria-Typologie entwickelt, die in Maria die Schuld Evas aufgehoben sah und Maria als neue Eva pries, die dem neuen Adam (Christus) entsprach und mit ihm zur Rettung der Welt beitrug. 576 Neben den beiden genannten Theologen hinterließen vor allem Epiphanius von Salamis 577 und Cyrill von Jerusalem (+ 444) 578 Reden auf die "neue Eva". So heißt es bei Cyrill in der 12. Taufkatechese, die die Inkarnation Christi zum Thema hat:"Durch eine Jungfrau, Eva, kam der Tod; so mußte auch durch eine Jungfrau, vielmehr: aus einer Jungfrau das Leben erscheinen. Wie die Schlange jene betrogen hatte, so brachte Gabriel dieser die frohe Botschaft. Während seit dem Konzil von Ephesus 431 und der Festsetzung der Bezeichnung "Theotokos" die Verehrung Marias con immer mehr in den Vordergrund trat und auch den Kult anderer weiblicher Heiliger verdrängte, ist Gregor von Nazianz noch ein Vertreter der Auffassung, daß jede Frau, und nicht nur Maria, eine neue Eva sein kann. In einer Predigt zu Ostern ford-ert Gregor die Frauen auf, sich in Maria, Salome oder Johanna hineinzuversetzen, die sich früh am Morgen zum Grab Jesu aufmachten. "Steh Eva zur Seite ( τζ Eög. βοήθησον ), die als erste gefallen ist, die aber auch die erste war, um Christus zu begrüßen und den Jüngern die KunCΟ Λ de zu bringen." Wer ist mit dieser Eva gemeint, von der Gregor hier redet? Nach Mk 16,9 par war es Maria von Magda-

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la, die als erste dem Auferstandenen begegnete und den Jüngern verkündete Ich habe den Herrn gesehen." Einen Aspekt der sich ausbreitenden Marien Verehrung bildet die Erhebung Marias zum Vorbild der Jungfrauen. Im 9. Jahrhundert ist diese Vorstellung allgemein anerkannt, wie rnp ein byzantinischer Kanon aus dieser Zeit belegt. Im 4. Jahrhundert dagegen bahnt sich diese Entwicklung erst an und wird auch nicht in allen kirchlichen Gebieten in gleicher Weise vollzogen. E. Patlagean nennt Belege dafür, daß der Marienkult sich im Orient und besonders in Kleinasien vor CQ O dem 6. Jahrhundert kaum sehr stark ausbreitete. Ich möchte die These vertreten, daß dort, wo der Kult weiblicher Heiliger lebhaft ausgeprägt war und von der Bevölkerung getragen wurde, sich die Verehrung Marias viel langsamer durchsetzte als in anderen Gebieten. Am Beispiel Theklas soll diese These in Kapitel 5. belegt werden. So nennt beispielsweise Gregor von Nyssa nicht die Gottesmutter Maria, sondern die alttestamentliche Prophetin Miriam den Urtypos der Jung584 frauen. Im Westen scheint sich die Entwicklung Marias zum alleinigen Vorbild der Jungfrauen insgesamt schneller vollzogen zu haben. Ambrosius von Mailand allerdings, der Maria als "Spiegel der Keuschheit und Norm des jungfräulihhen Lebens" 585 große Abschnitte seiner Schrift "de virginibus" widmet, kennt neben ihr auch noch Thekla als Vorbild der Jungfrauen. Doch nun zurück zu Gregors Beschreibung seiner Mutter. Deutlich ist zu merken, wie der Sohn versucht, seine eigene Erinnerung an die Eltern in Übereinklang mit dem herrschenden Eheverständnis seiner Zeit zu bringen, bzw. die Spannung zwischen beiden Polen nicht zu groß werden zu lassen. Von Gott als Mitarbeiterin gegeben, wurde Nonna zur Wegweiserin. "Nach dem Gesetz der Ehe hielt sie es für das beste, sich ihrem Mann unterzuordnen, in bezug auf den Glauben aber COT schämte sie sich nicht, sich als Lehrerin zu zeigen." Gesetz der Ehe und Erfordernisse des Glaubens stehen sich hier gegenüber, der Glaube steht jedoch höher, da Nonna die von ihr geforderte Unterordnung überwinden und zur Lehrerin werden kann. Gregor hält es für bewundernswert, daß den Eltern

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dieses Verhalten gelang. Nonna vereinte in sich die Tugenden einer guten Haus- und Ehefrau mit den asketischen Tugenden, soweit diese von ihr praktiziert werden konnten. Sie hielt sich an die Gebetszeiten, praktizierte Fasten, Wachen und Psalmengesang, verehrte die Parthenia und sorgte für Witwen, Waisen und Trauernde. 589 Wenn es heißt, daß "ihre Stimme in den heiligen Versammlungen niemals zu hören war außer an den Stellen, wo dies notwendig war", so klingt dahinter die Forderung von 1 Kor 14,34 an, die Frauen zum Schweigen in den gottesdienstlichen Versammlungen auffordert. Eine Scholie erklärt das "notwendige Sprechen" als liturgische Antworten wie "Amen", "und 591 mit Deinem Geist", "Heilig, heilig, heilig" usw. Einige Zeilen später streicht Gregor noch einmal heraus, daß Nonna 592 "das Heilige mit Stillschweigen ehrte". Warum diese starke Betonung des Wohlverhaltens im Gottesdienst? Vielleicht befürchtete Gregor, seine Zuhörer und Leser könnten auf die Idee kommen, daß Nonna alle von Frauen geforderten Verhaltensmaßregeln abgeschüttelt habe, wenn sie schon Wegweiserin und Lehrerin für ihren Ehemann und ihre Kinder war. Gregor scheint die Wirksamkeit Nonnas als Lehrerin auf den häuslichen Bereich einschränken zu wollen; hie*r konnte die gesellschaftlich und kirchlich geforderte Unterordnung der Frau aufgehoben werden, in der Öffentlichkeit allerdings blieb sie voll in Geltung. "Im Hause" 593 erhielt der Vater durch Nonna Anregungen zum Glauben - damit ist die Forderung von 1 Kor 14,35 umgekehrt, nach der Frauen zu Hause ihre Männer befragen sollen, wenn sie etwas wissen wollen. Bei den Versuchen, ihren Mann von den Hypsistariern zur Großkirche zu bekehren, schildert Gregor seine Mutter als " stärkste und männlichste der Frauen" ( καρτερικωτάτην οΰσαν γυναικών καί άνδρικωτάτην ). 594 Nonna blieb für ihre Umgebung als Frau erkennbar; wenn sie ihre Stärken zeigte, so konnten das jedoch nur männliche Stärken sein. In der Trauerrede für Gorgonia streift Gregor kurz die Eltern und stellt diese als neuen Abraham und neue Sara 595 hin. Beide wurden zu Vorbildern für ihr Geschlecht, Gregor für die Männer und Nonna für die Frauen.^96

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Gorgonia, die Tochter Nonnas und Schwester Gregors von Nazianz, starb zwischen 369 und 374 und wird in den orthodoxen Kirchen am 23. Februar und in der römischen Kirche am 9. Dezember als Heilige verehrt. 597 Sie war verheiratet und brachte wahrscheinlich sechs Kinder zur Welt, von denen drei Töchter aus der Korrespondenz Gregors von Nazianz namentlich 598 bekannt sind: Alypiana, Eugenia und Nonna. In vielem ist Gorgonia der Mutter Nonna ähnlich, so rühmt Gregor auch an ihr sowohl ihre Hausfrauentätigkeit als auch 599 ihre asketischen Übungen. Gorgonia "hatte ihren Mann zum Haupt, vergaß deswegen aber nicht das erste Haupt".600 Mit diesem Satz ist die paulinische Kefale-Ordnung von 1 Kor 11 abgeändert, denn dort ist Christus die Kefale des Mannes und der Mann die Kefale der Frau. Die "erste Kefale" in dem Zitat ist jedoch eindeutig als Christus zu verstehen, und so ist Christus auch zum Haupt der Frau geworden ohne den Umweg über den Mann. Nach der weltlichen Ordnung bleibt der Mann der Frau übergeordnet, in der neuen geistlichen Gemeinschaft stehen Frau und Mann beide unter dem Haupt Christus, da auch die Frau ein Abbild des göttlichen Urbildes darstellt.601 Auch Gorgonia wird von ihrem Bruder an den Sprüchen der Proverbia über die gute Hausfrau gemessen. Die von Gregor fif)? erwähnten Tugenden der " οΐχουρία " und " φιλανδρία " stammen allerdings nicht aus den Proverbia, sondern begegnen in der Liste der Frauentugenden von Tit 2,4-5. Die "Liebe zum Haus" und die "Liebe zum Mann" gehören zu den Forderungen hellenistischer Moralphilosophen, die in Traktaten das Bild der idealen Frau entwarfen und dabei oft schon gefi Λ Ο seilschaftlich längst überholte Muster aufgriffen. Im Neuen Testament begegnen beide Begriffe nur im Titusbrief, so daß sich für das neutestamentliche Frauenbild schließen läßt, daß es sich nicht in erster Linie an der sich unterordnenden Hausfrau orientiert. Gregor vermischt den Text der Proverbia, der "wichtige Funktionen und Entscheidungskompetenzen der Frau innerhalb der häuslichen Produktion"604 erkennen läßt, mit seiner eigenen Interpretation, die auf gängigen Vorstellungen seiner Zeit beruhen. Die deutliche Ge-

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genüberstel1ung der zwei Frauenbilder - die schlechte Frau treibt sich außen auf der Straße herum und die gute erfüllt innerhalb des Hauses ihre Pflichten - stammt ebenfalls von Gregor und stellt seine Interpretation des Proverbiatextes dar. Prov 31,10 ( γυναίκα Ανδρείαν τίς εύρήσει ) gibt Gregor wieder als “die Frau, die männlich ihre weiblichen Pflichten erfüllt" (Ανδριζομένην τΑ γυναικός).®^ Gregor scheint sehr daran gelegen zu sein, daß die Frauen seiner Zeit sich weniger in der Öffentlichkeit aufhalten, denn er redet seine Zuhörerinnen ausdrücklich an und empfiehlt ihnen seine Schwester als Vorbild, die sehr selten in der Öffentlichkeit erschien und "sich vor den Augen der Männer z u r ü c k h i e l t " A u f der anderen Seite rühmt er Gorgonias Tätigkeiten zur Unterstützung aller Bedrückten, die ohne irgendeinen Kontakt mit der Öffentlichkeit nicht vonstatten gehen konnten. Man muß Gregors persönliche Schilderungen seiner Verwandten von den allgemeinen Charakterisierungen unterscheiden, denn an seiner Schrift "Gegen die fiOft Putzsucht der Frauen" zeigt sich, daß er hier vor allem traditionelle Topoi verwendet, aus denen wir heute nicht die Schilderung der Verhältnisse seiner Zeit herauslesen dürfen. Die Darstellung in der Trauerrede auf Gorgonia, die alle anderen Frauen als mit Kleidung und Schmuck beschäftigt und fast auf einer Ebene mit Prostituierten stehend erscheinen läßt,^^ dient hauptsächlich als Klischee, um das Leben seiner Schwester vor diesem dunklen Hintergrund der Masse der Frauen als bewundernswert abzugrenzen. Diesem Interesse müssen auch offensichtliche Widersprüche dienen, denn nachdem Gregor die Zurückhaltung Gorgonias gelobt hat, stellt er heraus, daß sie einen wichtigen Mittelpunkt bildete, den nicht nur Nachbarn und Verwandte, sondern die ganze Umgebung um Rat fragte.® ^ Gorgonia kannte sich aus im göttlichen Wissen und war befi1p wandert im Alten und Neuen Testament. Trotzdem oder auch gerade deswegen betont Gregor, daß Gorgonia schweigend "in den den Frauen durch den Glauben gesetzten Grenzen blieb" ( έφθέγξατο έν τοϊς γυναικείους δροις τής εύσεβείας μείνασα

).

Die Hervorhebung des Schweigens war auch bei

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Nonna zu beobachten. Wie bei Nonna möchte ich auch hier vermuten, daß Gregor ängstlich darauf bedacht war, daß die von ihm beschriebenen geistig und geistlich selbständigen Frauen nicht alle Grenzen sprengten. Diese Vermutung muß für seine Leser nahegelegen haben, in deren Umgebung starke, selbständige Frauen in kirchlich an den Rand gedrängten Gruppen eine große Rolle spielten. Bei den Montanisten etwa überschritten die Frauen nach Meinung der Großkirche "die durch den Glauben gesetzten Grenzen", wenn die Prophetinnen Maximilla und Priscilla öffentlich lehrten. 615 Die Grenze für die Wirksamkeit von Frauen wurde zwischen den Bereichen "öffentlich" und "privat" gezogen, wie sich an der Argumentation des Origenes zu 1 Kor 14,34 sehen läßt.^1^ In den asketischen Übungen wie Wachen, Beten und Psalmensingen zeigte sich Gorgonia "nicht nur den Frauen überlegen, fi 1 7 sondern auch männlicher als die besten Männer". Die Ausmalung ihres asketischen Lebensstils findet ihren Höhepunkt in der Interpretation Gregors Ihre weibliche Natur zeigte sich stärker als die männliche wegen des gemeinsamen Kampfes für das Heil, und sie zeigte, daß sich das Weibliche vom Männlichen nur dem Körper,nicht aber der Seele nach unterscheidet. Wie Nonna so wird auch Gorgonia zu einer neuen Eva, die durch ihre Enkrateia die alte Eva, "die Mutter der Völker und der Sünden, die täuschende Schlange und den Tod" endgül619 tig besiegt hat. "Die Entäußerung Christi und seine Knechtsgestalt (Phil 2,7) und seine Leiden hat sie durch ihfi? fi re Abtötung geehrt." Mehr und Besseres kann über den Weg einer Christin nicht ausgesagt werden, als dieses, daß sie cp 1 den Leiden Christi nachfolgte. Wenn christliche Frauen in der Spätantike auch in ihnen gezogene Grenzen und Schranken verwiesen wurden, so wurde ihnen doch nicht abgesprochen, vollgültige Nachfolgerinnen Christi zu sein. Zumindest darin waren sie den Männern gleich. 4.4. Die einige

Frauen als theologische Lehrerinnen Bezeichnung Male

Makrinas

erwähnt:

die

als

Vita

"Didaskalos"

zeigt

Makrina

wurde als

bereits

Lehrerin

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Nonna zu beobachten. Wie bei Nonna möchte ich auch hier vermuten, daß Gregor ängstlich darauf bedacht war, daß die von ihm beschriebenen geistig und geistlich selbständigen Frauen nicht alle Grenzen sprengten. Diese Vermutung muß für seine Leser nahegelegen haben, in deren Umgebung starke, selbständige Frauen in kirchlich an den Rand gedrängten Gruppen eine große Rolle spielten. Bei den Montanisten etwa überschritten die Frauen nach Meinung der Großkirche "die durch den Glauben gesetzten Grenzen", wenn die Prophetinnen Maximilla und Priscilla öffentlich lehrten. 615 Die Grenze für die Wirksamkeit von Frauen wurde zwischen den Bereichen "öffentlich" und "privat" gezogen, wie sich an der Argumentafi 1 fi tion des Origenes zu 1 Kor 14,34 sehen läßt. In den asketischen Übungen wie Wachen, Beten und Psalmensingen zeigte sich Gorgonia "nicht nur den Frauen überlegen, fi 1 7 sondern auch männlicher als die besten Männer". Die Ausmalung ihres asketischen Lebensstils findet ihren Höhepunkt in der Interpretation Gregors Ihre weibliche Natur zeigte sich stärker als die männliche wegen des gemeinsamen Kampfes für das Heil, und sie zeigte, daß sich das Weibliche vom Männlichen nur dem Körper,nicht aber der Seele nach unterscheidet. Wie Nonna so wird auch Gorgonia zu einer neuen Eva, die durch ihre Enkrateia die alte Eva, "die Mutter der Völker und der Sünden, die täuschende Schlange und den Tod" endgül619 tig besiegt hat. "Die Entäußerung Christi und seine Knechtsgestalt (Phil 2,7) und seine Leiden hat sie durch ihco o re Abtötung geehrt." Mehr und Besseres kann über den Weg einer Christin nicht ausgesagt werden, als dieses, daß sie fi? 1 den Leiden Christi nachfolgte. Wenn christliche Frauen in der Spätantike auch in ihnen gezogene Grenzen und Schranken verwiesen wurden, so wurde ihnen doch nicht abgesprochen, vollgültige Nachfolgerinnen Christi zu sein. Zumindest darin waren sie den Männern gleich. 4.4. Die einige

Frauen als theologische Lehrerinnen Bezeichnung Male

Makrinas

erwähnt:

die

als

Vita

"Didaskalos"

zeigt

Makrina

wurde als

bereits

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der Frauengemeinschaft (230) und ihres Bruders Petrus von Sebaste( διδάσκαλος, παιδαγωγός , 182); in ep. 19 nennt 622 Gregor sie mit diesem Titel und der Dialog "de anima et resurrectione" hat die Lehrtätigkeit Makrinas zur Grund623 idee; das Menologium Basilius II griff diesen Terminus auf.624 Patricia Wi1son-Kastner ging der Bedeutung dieser Bezeichnung für Makrina nach und charakterisiert diese als zweite Thekla und als "christlichen Sokrates". 625 Sie unterstreicht nachdrücklich, daß sowohl die Vita als auch der Dialog die 626 Heilige als "Lehrerin des Wortes" verstehen. Um zu erfassen, was der Terminus "Didaskalos" aussagt, soll versucht werden, seine Bedeutung innerhalb der spätantiken Kirche und Theologie zu skizzieren. Makrina war nicht die einzige Frau, die von ihrer Umgebung als Lehrerin erlebt und bezeichnet wurde. Wie oben bereits erwähnt, nennt Gregor von Nazianz seine Mutter Nonna " μέγας διδάσκαλος " und porträtiert sie als Führerin und 62 7 Wegweiserin in Fragen des religiösen Lebens. Die Vita der heiligen Synkletike nennt in der Überschrift den Titel "Didaskalos",628 und nicht nur die Überschrift, sondern die ganze Vita zeigt Synkletike in der Gestalt der Didaskalos, die vornehmlich Frauen in Lehre und Leben der Wüstenaskese einweist. Nach einer Einleitung umfaßt der Hauptteil der Vita von c. 22 bis c. 103 die Lehren ( τα διδάγ629 ματα ) der Wüstenmutter, die mit 18 Sprüchen in die Samm6in lung der Apophthegmata Patrum aufgenommen wurde. Auch inhaltlich beschäftigt sich die Synkletike der Vita und der Apophthegmata mit dem Thema des Lehrens, wie c. 56 der Vita und AP 12 zeigen.681 Die Apophthegmata Patrum überliefern einen Spruch der Amma Theodora, der sich mit den notwendigen Eigenschaften 6 02 des Lehrers befaßt. Indem Theodora diesen Spruch formuliert, ist sie selber eine Lehrende, für die, wenn auch von 6οo δ διδάσκαλος die Rede ist, die aufgestellten Forderungen gelten. Denn die Apophthegmen überliefern ja nicht theo-

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retisches Wissen, sondern gelebte Erfahrung. Insgesamt werden allerdings in den Apophthegmata die Termini "didaskalos" und "didaskein" selten verwendet. In ägyptischen Papyri des 4. Jahrhunderts erscheint eine "didaskalos" als Leiterin einer Gemeinschaft, deren Mitglieder sich selbst "kyria" nennen. 634 Die Überlieferung der Nino, deren Kern darin besteht, daß 635 Nino "Apostel und Evangelist" von Georgien war, bezeichcoc net sie daneben als "Lehrerin", "Leiterin" und "Meisterin". Bevor Nino selber lehrt und tauft, erhält sie Unterweisungen von einer Frau in Jerusalem. Der Bericht über Ninos Leben läßt sie selber sprechenIch aber diente zwei Jahre lang bei einer armenischen Miapora aus Dvin. Und ich befragte sie über die Leiden Christi, seine Kreuzigung, seine Grablegung und seine Auferstehung, und über sein Gewand und die Kreuze und die Leinentücher und das Leichengewand, alles nach und nach, denn es hatte in Jerusalem niemanden gegeben und es gab auch keinen, der ihr gleichgekommen wäre an Wissen sowohl über den alten C07 Weg der Religion als über den neuen." Während Nino ihre religiöse Bildung von einer im Alten und Neuen Testament (alter und neuer Weg) gebildeten Frau erhät, erteilt der Patriarch von Jerusalem ihr in einer Art Weihe den Auftrag, nun selber eine Lehrerin zu werden. Auf den Stufen des Altars legt er ihr die Hände auf die Schultern und spricht: "Herr Gott der Väter und der Jahrhunderte, in deine Hände befehle ich diese Waise, das Kind meiner Schwester, und ich sende sie, deine Göttlichkeit zu predigen und daß sie deine Auferstehung verkündet, wo immer du Gefallen an ihrem Lauf haben wirst. Sei, Christus, ihr der Weg, der Gefährte, der Hafen, der Lehrer in der Sprachenkunde, wie denen, die vorC oQ * dem deinen Namen fürchteten." Die Erzählung berichtet, daß Nino daraufhin nach Osten zieht, um die noch heidnischen Völker zu missionieren. In der Vita Macrinae wurde der Begriff "Didaskalos" eingeführt, als beschrieben wurde, wie die Parthenoi um den Tod Makrinas trauerten (230). In einem ähnlichen Zusammen-

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hang ist in der Vita Melaniae von dieser als einer Didaskalos die Rede. Kurz vor ihrem Tod gibt Melania den Parthenoi ihrer Klostergemeinschaft letzte Weisungen ( πνευματικήν... διαθήκην ), auf die hin die Frauen mit großer Trauer antworten. Sie beweinen Melania als " όδηγόν Αγαθήν καί θεό639 πνευστόν διδάσκαλον ". Im Laufe ihres Lebens hatte Melania viele Menschen durch ihre Didaskalia beeinflußt.®4® Die mit ihr im Kloster lebenden Frauen unterrichtete sie durch ihre gotterfüllten Lehren ( τάς δέ... ένθέους CA 1 διδασκαλίας )· Diejenigen, die von Melania unterrichtet 642 wurden, empfanden ihre Lehrtätigkeit als geistliche Lehre. In Fragen der theologischen Auseinandersetzungen griff Melania ein und durch ihre theologischen Gespräche ( ούκ έπαύετο θεολογοΟσα ) führte sie ihre Gespächspartner wieder zum "orthodoxen Glauben" zurück.®4^ Melanias Reden und Lehren erscheinen dem Schreiber ihrer Vita als vom Heiligen Geist bewegt, der in ihr wohnt ( δνοικον δχουσα το ΠνεΟμα τό Ά γ ιον) .®44 Theodor Studites, der einen regen Briefwechsel mit der Klosterleiterin Euphrosyne führte und ihr u.a. Ratschläge zur Leitung der Frauengemeinschaft erteilte, redet diese 645 in einem seiner Briefe an:" σύ ή διδάσκαλος " und fordert sie damit auf, ihren Mitschwestern eine gute Lehrerin zu sein. Lehrerin und geistliche Mutter scheinen viele gemeinsame Zuge zu u haben. 646 In der Vita der Matrona, 647 die von dem Wunsch der Heiligen berichtet, das eheliche Leben zu verlassen, begegnet diese einer Didaskalos Eugenia, die sie in ihren Wünschen nach einem asketischen Leben unterstützt. Von dieser Vita ausgehend stellte E. Patlagean die These auf, daß διδάσκαλος "in jeder Epoche gebraucht wird, um den Verantwortliehen einer häretischen Unterweisung zu bezeichnen". 649 In der Tendenz möchte ich Patlagean zustimmen, jedoch etwas vorsichtiger formulieren und darauf hinweisen, daß Didaskalos ja auch, wie gezeigt, im großkirchlichen Raum begegnet. Eine Zurückhaltung gegenüber diesem Terminus ist hier aller-

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dings nicht zu übersehen. Sowohl diese Zurückhaltung als auch die religiöse Lehrtätigkeit von Frauen möchte ich auf die Gestalt Theklas zurückführen, die nach dem Bericht der Apostelakten von Paulus den Auftrag erhielt, Gottes Wort zu lehren, und besonders stark von häretischen Gruppen aufgegriffen wurde. Im folgenden Abschnitt soll ein weiterer Grund für die Zurückhaltung genannt werden, der darin liegt, daß die Begriffe "Apostel" und "Didaskalos" sehr dicht beieinander lagen und inhaltlich viele Berührungspunkte auf-weisen. 4.4.1.

Didaskalos und Apostolos

Besonders die Berichte über Nino, die diese sowohl "Lehrerin", "Meisterin" als auch "Apostel" und "Verkünderin des Sohnes Gottes" n e n n e n , z e i g e n deutliche Anklänge an die Thekla-Tradition. Nino erhält wie Thekla den ausdrücklichen Auftrag zur Verkündigung und bekehrt als erstes eine Frau "aus königlichem Geschlecht, mit Namen Ripsime" und deren Haus. 65 1 Thekla bekehrt die königliche Verwandte Tryphaina und deren Dienerinnen. 652 Beide bleiben in den Häusern der 65T von ihnen Bekehrten, Nino zwei Jahre und Thekla acht Tage. Von Thekla heißt es, daß sie Tryphaina "das Wort Gottes lehrte" ( κατηχήσασα αύτήν τόν λόγον τοΟ θεοΟ und Nino berichtet über Ripsime:"Und die Frau gab mich in ihre Hände und ich taufte sie unter meiner Hand, sie und vierzig Seelen ihres Hauses mit ihr." 655 Thekla wird in den Apostelakten ganz deutlich als Apostel stilisiert, jedoch erscheint der Terminus selber nicht, ist aber spätestens seit dem 5. Jahrhundert für sie belegt. Von der Didaskalos Synkletike heißt es, daß sie ein apostolisches Leben führte ( Άποστολικός μέν οΰν αύτής ò 65 7 βιος ). Diese Heilige wird zwar nicht "Apostel" genannt, aber der Weg dahin ist nicht mehr weit. Im Neuen Testament liegt der Schwerpunkt der Verwendung von "didaskein" in der Umgebung Jesu und im Urchristentum.

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"Nach dem einhelligen Zeugnis der Evangelien gehört das διδάσκειν zu den vornehmsten Funktionen, mit denen Jesus vor 658 das Volk trat," "Schon zu Lebzeiten Jesu und in seinem Aufträge haben seine Jünger angefangen zu 'lehren' (Mk 6,30) und darin Jesu Anspruch auf das Volk zu ihrer eigenen Sache gemacht. Mt 28,20 wird die Fortsetzung dieser Arbeit durch den Auferstandenen zur Lebensaufgabe der Seinen gemacht." 659 Mit der Entfernung vom jüdischen Hintergrund tritt auch der Gebrauch von διδάσκειν zurück. "Erst im Kol wird der Umschwung sichtbar, und in den Past tritt der Begriff διδάσκειν , treten aber auch die von διδασχ- abgeleiteten Worte sogar stark in den Vordergrund. Ob man daraus schließen darf, daß das AT nun im Begriff ist, sich vor allem in seinen gesetzlichen Teilen als die Norm christlicher Ethik durchzusetzen, die es für die altkatholische Kirche geworden ist?"®®® In der griechischen Antike ist διδάσκαλος zuerst in fi fi 1 der weiblichen Bedeutung als Lehrerin belegt. Über die alttestamentliche Vorstellung des Gesetzes 1ehrers prägt dieser Begriff die neutestament1iche Lehrvermittlung. Zur Gestalt des Didaskalos gehört es dazu, daß er/sie Schüler um fifip sich versammelt. Rengstorf grenzt das neutestament1iche Didaskalos-Verständnis sehr stark vom altkirchlichen ab, das er besonders im alexandrinischen Schulbetrieb ausgeprägt sieht und als dessen Folge er eine "Intellektualisierung des fifiΟ Christentums und des Glaubens" konstatiert. Folgen wir der Linie Rengstorfs, dann könnte man vor allem das ägyptische Wüstenmönchtum mit seiner Struktur des persönlichen Lehrer-Schüler-Verhältnisses als genuine Fortsetzung der neutestament 1ichen Didaskaloi aus der Umgebung Jesu betrachten.*^4 Zu fragen ist nun allerdings, wieweit diese Ableitung auch für Frauen gilt. Dazu müssen die neutestamentlichen Texte noch einmal in Betracht gezogen werden. Der Apostelbegriff wird von den einzelnen neutestamentlichen Autoren verschieden definiert, vor allem bei Lukas ist eine auffällige Abgrenzung der Zwölf zu beobachten. Paulus nennt in 1 Kör 9,1 als Kriterium des

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Apostelseins die Begegnung mit Christus:"Bin ich nicht Apostel? Habe ich nicht unseren Herrn Jesus gesehen?" Nach dieser Definition ist auch Maria von Magdala Apostel, da sie nach dem übereinstimmenden Bericht der Evangelien dem Auferstandenen begegnete. Allerdings nennt das Neue Testament sie nicht so, sondern erst die spätere Tradition, wie z.B. 667 Abaelard, der von ihr als "Apostel der Apostel" spricht. Die Untersuchung von Bernadette Brooten hat in jüngster Zeit die Diskussion um Röm 16,7, um Andronikus und Junia, neu entfacht. Brooten konnte zeigen, daß es sich bei Junia um einen Frauennamen handelt, und daß demnach Paulus eine 668 Frau mit dem Aposteltitel belegte. Bei Johannes Chrysostomos war diese Tradition noch lebendig und er predigte über Röm 16,7 :"Ein Apostel zu sein ist etwas Großes. Aber berühmt unter den Aposteln - bedenke, welch großes Lob das ist. Sie (Junia und Andronikus) waren hervorragend aufgrund ihrer Werke und ihrer Tätigkeit. Wie groß muß doch die Weisheit ( fi φιλοσοφία ) dieser Frau gewesen sein, daß sie für den Titel Apostel würdig befunden wurde" ( τϋς των Αποστόλων Λξιωθήναι προσηγορίας Wir müssen uns heute klar darüber werden, daß es in der Alten Kirche noch Traditionen gab - F.v. Lilienfeld sprach von der Schuld des Vergessens von Traditionen®^ - ,die irgendwann abbrachen und die heute fast unmöglich und unglaublich erscheinen. Zu diesen Traditionen gehört die Anwendung des Aposteltitel s für Frauen, der Johannes Chrysostomos in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts noch geläufig war, dann aber in Vergessenheit geriet. Soweit wir wissen, bezeichnete Paulus in seinen Schriften außer dieser einen Junia keine andere Frau als Apostel. Harnack möchte diesen Titel auch für die in Röm 16,3-4 genannte Prisca anwenden. "Sie war eine Mitarbeiterin des Paulus, also eine Missionarin, und zugleich die Leiterin einer kleinen Gemeinde. Beides konnte sie nur sein, wenn sie lehrte; missionieren und lehren aber durfte sie nur, wenn sie vom Geist erweckt und bezeichnet war, denn sonst hätte Paulus sie nicht anerkannt. Man darf sie also als 1 f| Απόστολος ' in Anspruch nehmen, wenn Paulus sie’auch nicht so genannt

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hat."671 An zwei Stellen des Neuen Testamentes werden Apostel und Lehrer zusammen erwähnt. Bei beiden Texten handelt es sich um eine Aufzählung der an die Gemeinde als Leib Christi verliehenen Charismata. In 1 Kor 12,28 werden nacheinander aufgezählt: Αποστόλους, προφήτας und διδασκάλους , dann folgen noch andere Gnadengaben. In Eph 4,11 lautet die Reihenfolge: Αποστόλους, προφότας, εύαγγελιστός, ποιμένας und διδασκάλους . Das grammatikalische Bezugswort dieser Gaben und Aufgaben bildet jeweils ein maskulines Pronomen im Akkusativ Plural: ούς und τούς . Grammatikalisch werden die weiblichen Formen von Apostel und Lehrer durch die Hinzufügung des weiblichen Artikels " ή" gebildet: ή διδάσκαλος und ή Απόστολος . Da der Sprachgebrauch des neutestamentlichen Griechisch inklusiv war, d.h. sobald Männer dabei waren, wurde die sprachliche Form ins Maskuline gesetzt und Frauen galten dann als darin eingeschlossen, kann man von den beiden zitierten Textstellen ausgehend weder belegen, daß Frauen mitgemeint waren, noch davon ausgehen, daß sie ausdrücklich von diesen Gaben ausgeschlossen waren. Von der grammatikalischen Struktur her ist es also durchaus möglich, daß Frauen in Korinth und Ephesus neben den Männern als Apofi 7 ? stel, Evangelisten, Propheten und Lehrer tätig waren. Diese Grundlegung schien mir nötig, um die späteren Traditionen in ihrer ganzen Breite und Bedeutung würdigen und richtig erfassen zu können. Georg Kretschmar hat "Zur Frage nach dem Ursprung frühchristlicher Askese" auf die Bedeutung der syrisch-palästinischen Wanderpropheten, -asketen und Wanderlehrer hingewiesen, die sich als genuine Nachfolger Jesu und der Apostel verstanden, und diese Nachfolge so praktizierten, daß das frühe Mönchtum daran anknüpfen konnc7o te. "Der eigentliche geschichtliche Ursprung der christlichen Askese im syrisch-palästinensischen Raum liegt dann in dem Versuch, den Ruf Jesu zur Nachfolge und seine Jünger674 belehrung in eine christliche Lebensordnung umzuprägen." Als Modell für die Gesamtkirche scheiterte dieses Konzept, einzelne Gruppen der Kirche konnten es jedoch aufgreifen.

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Kretschmar weist auf sehr enge Beziehungen zwischen SyrienPalästina und Kleinasien hin, 675 so daß wir für unser Gebiet mit einer Bekanntschaft dieser Wanderlehrer und Wanderasketen-Tradition rechnen können. Apostel, Lehrer, Prophet und Charismatiker sind in dieser Tradition nicht deutlich voneinander getrennt, sondern sie sind alle von asketischen Zügen geprägt und gehen vielfach ineinander über. Im ägyptischen Wüstenmönchtum wird dies daran deutlich, daß die Geronten sowohl über charismatische Gaben verfügten, als auch sich als Nachfolger der Propheten, besonders des Elias, sahen und als Lehrer das Evangelium Christi verkündigten. Neben diesem Verständnis der Jüngerschaft als radikaler Nachfolge Jesu im asketischen Wander 1eben*^ zeigt sich bereits im Neuen Testament, in den Pastoralbriefen, ein ganz anderes Verständnis: hier wird an die bürgerliche Gesellschaftsstruktur der seßhaften Gemeinde mit Familie und Haus als Kern angeknüpft®^ und dementsprechend werden hier feste Ämter notwendig. Auf diesem Hintergrund entsteht das Lehrverbot für Frauen in 1 Tim 2,12. 4.4.2.

1. Timotheus 2,12

Der Verfasser des Briefes an Timotheus läßt Paulus sprechen :"διδάσκει,ν δέ γυναικί ούκ έπιτρέπω, ούδε αύθεντεΐν άνδρός, άλλ* εΕναι fev ήσυχιςι ." Zwei Sachverhalte werden hier miteinander verbunden: lehren und herrschen: Würde die Frau lehren, würde sie den Mann beherrschen. Das heißt nun umgekehrt, daß die lehrenden Männer Herrschaft über die Frauen ausüben. Die Frage stellt sich, ob nicht die eigentliche Intention von V. 12 darin besteht, genau wie V. 11, die Unterordnung der Frau unter den Mann zu fordern. Das "mulier taceat in ecclesia" aus 1 Kor 14,34-35, das eine ähnliche fi7 ft Tendenz vertritt, wird seit Fitzers Aufsatz von 1963 in der neueren exegetischen Diskussion als Interpolation betrachtet, die aus der Zeit und dem Gedankengut der Pastoralbriefe stammen könnte. Auf die gewichtigen Fragen zur Textund Literarkritik der Korintherstelle kann hier nicht näher eingegangen werden, dazu sei auf Fitzer verwiesen.

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Nehmen wir zu diesen Rede- und Lehrverboten Titus 2,3-5 hinzu, dann wird deutlich, was den Frauen eigentlich untersagt wurde. Im Rahmen einer Ständetafel werden im Titusbrief die alten Frauen ( πρεσβύτιδας ) aufgefordert, gute Lehrerinnen ( καλοδιδασκάλους ) für die jungen Frauen zu sein. Wie ist das zu verstehen, nachdem im Timotheusbrief allen Frauen das "didaskein" verboten worden war? Aus Tit 2,4-5 geht sehr deutlich hervor, was die alten Frauen die jungen lehren sol 1en :"manner 1iebend, kinderliebend, besonnen, keusch, häuslich und gut zu sein und sich ihren Ehemännern unterzuordnen." Die Didaskalia, die Frauen einander weitergeben dürfen, ist eine Didaskalia der Unterordnung und Häuslichkeit. Das Verhältnis zu den Männern wird besonders betont: in V. 4 steht an erster Stelle der Aufzählung " φιλάνδρους ", und die Reihe endet in V. 5. mit " ύποτασσομένας τοίς ίδίοις άνδράσιν ". Verboten wurde den Frauen nicht das Lehren überhaupt, sie durften ihre Erfahrungen weitergeben; verboten wurde ihnen, sich als Lehrende für religiöse Fragen zu betätigen. Umso erstaunlicher ist es, wenn Frauen sich trotz dieses Verbotes als Lehrer des Logos, des Wortes und Christi, zeigten, Frauen wie Thekla, Makrina, Nino und viele andere. Derselbe Johannes Chrysostomos, der Junia als Apostel kannte, interpretiert die Lehrverbote aus den Briefen an die Korinther und an Timotheus, die er für paulinisch hält, als Verbote, daß Frauen sich in den Vordergrund drängen, lange Reden halten und damit die Männer beherrschen. Gleichzeitig macht er aber deutlich, daß Frauen lehrten; wie hätten sie sonst ihre Kinder erziehen oder einen nichtchristlichen Mann bekehren können, was das Neue Testament ja bei679 des ihnen zutraut. - Und ich füge den Gedanken des Chrysostomos hinzu - wie hätte auch sonst Junia Apostel sein können, wenn das absolute Lehrverbot für Frauen gegolten hätte. Hieronymus, der die Römerin Marcella als hochgelehrte Frau rühmt, die viele Männer mit ihrem theologischen Wissen

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übertraf, erwähnt gleichzeitig, daß Marcella das Lehrverbot' des Apostels kannte und sich auch danach verhielt. Hieronymus schreibt: "Wenn nach meiner Abreise über irgendeinen Schrifttext eine Meinungsverschiedenheit entstand, wurde ihr die Entscheidung angetragen. Weil sie nun sehr klug war und jene Gabe besaß, die die Philosophen τό πρέπον nennen, d.h. die Fähigkeit, zu entscheiden, was angemessen ist, so antwortete sie, wenn sie gefragt wurde, so, daß sie auch das Ihre nicht ihres nannte, sondern als meines oder das eines anderen ausgab, so daß, auch wenn sie lehrte, sie so tat, als ob sie selber nur Lernende sei. Denn sie kannte das Wort des Apostels:1Aber zu lehren gestatte ich der Frau nicht.' Sie wollte das männliche Geschlecht, manchmal auch die Priester, die sie um Rat fragten über dunkle und zweifelhafte Stellen, keine Beleidigung spüren lassen." 680 Dieser Versuch des Hieronymus, sowohl der eigenen Erfahrung (Marcella als theologische gebildete Frau, die in der Lage ist, zu lehren) als auch der biblischen Tradition (1 Tim 2,12) gerecht zu werden, erinnert sehr stark an die Charakterisierungen, die Gregor von Nazianz von seiner Mutter und seiner Schwester gab, und an sein ängstliches Bemühen darum, zu zeigen, daß sie sich trotz aller Eigenständigkeit an gewisse Forderungen, z.B. die der Schweigsamkeit, hiel+ ten.681 Bei Tertullian wird vollends deutlich, wogegen die Kirchenväter meinten, sich abgrenzen zu müssen. In seiner Schrift "de praescriptione haereticorum" gibt Tertullian seinem Entsetzen darüber Ausdruck, daß die häretischen FrauC.Q O en es wagten, zu lehren (docere). 4.4.3.

Altkirchliche Lehrverbote für Frauen

Die neutestament1ichen Lehrverbote für Frauen wurden in der Alten Kirche vor allem von solchen Texten aufgegriffen, die versuchten, eine Lebensordnung für die christlichen Gemeinden zu erstellen. Dabei wurde die neutestament1iche Tradition für die Bedingungen der Zeit neu formuliert und weitergeschrieben. In der Didascalia Apostolorum, einer syri-

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sehen Kirchenordnung aus der Mitte des 3. Jahrhunderts, heißt es:"Weder ziemt es sich noch ist es nötig, daß Frauen lehren, insbesondere über den Namen Christi und die Erlösung durch sein Leiden. Denn nicht dazu seid ihr bestellt, daß ihr lehrt, o Frauen, und am meisten die Witwen, sondern daß ihr betet und Gott, den Herrn, bittet. Denn er, Gott, der Herr, Jesus Christus, unser Lehrer, hat uns, die Zwölf, ausgesandt, das Volk und die Heidenvölker zu lehren. Es waren aber mit uns Jüngerinnen (discipu 1ae): Maria von Magdala, Maria, die Tochter des Jakobus, und die andere Maria; er hat sie jedoch nicht ausgesandt, mit uns das Volk zu lehren. Denn wenn es nötig gewesen wäre, daß die Frauen lehrten, so C QO hätte unser Lehrer ihnen befohlen, mit uns zu lehren." Als Hintergrund dieser Stellungnahme ist nur eine Situation vorstellbar, in der syrische Frauen das Recht, zu lehren, für sich beanspruchten. Texte wie diese Kirchenordnung haben ein Ziel im Auge, das sie erreichen wollen. Hier soll den Frauen im Bereich der syrischen Didascalia das Lehren über die Person Christi, über den Hauptinhalt des christlichen Glaubens, mit biblischer Autorität untersagt werden. Die Apostolischen Konstitutionen, eine Kirchenordnung des 4. Jahrhunderts, die große Teile der Didascalia wörtlich übernahm, wiederholen das Lehrverbot :"Wir erlauben nicht, daß Frauen in der Kirche lehren; sie dürfen nur beCQΛ ten und den Lehrenden zuhören." Tertullian zitiert in seiner Schrift "de virginibus velandis" als Kirchenlehre (disciplinae ecc 1esiasticae praescripta):"Es ist der Frau nicht erlaubt, in der Gemeindeversammlung zu reden, das bedeutet: nicht lehren, taufen, das Opfer darbringen noch ein männliches Amt, geschweige denn die Aufgabe des priester 1ichen Dienstes, für sich zu coc beanspruchen." Das neutestamentliche Lehrverbot hat sich deutlich auf alle kirchlichen Aktivitäten, die mit einem Amt verbunden waren, ausgeweitet. Tertullian geht in dem zitierten Abschnitt der Frage nach, ob die Virgines von diesen für Frauen formulierten Bestimmungen ausgenommen sind und kommt zu dem Ergebnis, daß, da die weibliche Natur der

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männlichen gegenüber untergeordnet ist, diese Verbote ausnahmslos für alle Frauen gelten. Ein weiteres Verbot, das sich aus dem Lehrverbot ableitet, soll im nächsten Abschnitt besprochen werden. 4.4.4.

Verbot des Bücherschreibens

Gerhard Ficker edierte 1905 einen anonymen griechischen Text mit der Überschrift "Gespräch eines Montanisten und eines Orthodoxen". Im Grunde handelt es sich dabei um die "Widerlegung eines Montanisten", wie Ficker seinen Aufsatz CÛ7 nannte. Ein ganz ähnlicher Passus findet sich im 3. Buch des Werks "de trinitate" des Didymus von Alexandrien (313398), in welchem der Autor sich mit dem Montanismus auseineoo andersetzt. Die Echtheit dieses Werks ist allerdings umstritten. Nach den Untersuchungen Fickers entstand der anonyme Dialog in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, und con Didymus erweist sich als abhängig von dieser Vorlage. Der Dialog berührt verschiedene, die Auseinandersetzung zwischen Montanismus und Großkirche betreffende Fragen, wobei im Laufe des Gesprächs der Orthodoxe, entsprechend der Intention des Textes, als der Überlegene erscheint. Wir grei fen hier nur die das Lehrverbot enthaltenden Passagen heraus Der Montanist fragt:"Warum verabscheut ihr die heiligen Maximilla und Priscilla und sagt, daß es für Frauen nicht erlaubt sei, prophetisch zu reden? Hatte nicht auch Philippus vier Töchter, die prophetisch redeten und war nicht Debora eine Prophetin? Sagt nicht der Aposte 1 : 1Jede Frau, die betet oder weissagt mit unbedecktem Kopf1. (Würde er das sagen), wenn es den Frauen nicht erlaubt wäre, zu weissagen und zu beten? Wenn sie aber beten, reden sie auch prophetisch .1,690 Der Orthodoxe antwortet :"Wir verabscheuen weibliche Prophetinnen nicht. Die heilige Maria weissagte, als sie sprach 'Von nun an werden mich seligpreisen alle Völker.' Und wie Du selber gesagt hast, hatte Philippus prophetisch redende Töchter, und Maria, die Schwester Aarons, prophezeite. Wir erlauben ihnen aber nicht, in den gottesdienstlichen Ver-

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Sammlungen zu sprechen noch über die Männer zu herrschen, so daß sie auch Bücher in ihrem eigenen Namen schreiben würden. Denn dieses bedeutet, daß sie mit unverhülltem Kopf beten und prophezeien und sich nicht vor ihrem Haupt, d.h. dem Mann, schämen. Hätte nicht die heilige Theotokos Maria Bücher in ihrem eigenen Namen schreiben können? Aber sie tat es nicht, um das Haupt nicht zu entehren, indem sie über 69 1 die Männer herrschte." Diese Argumentationskette klingt für heutige Ohren atemberaubend abenteuerlich. Halten wir fest, was hier alles miteinander verbunden wird. Das von dem Orthodoxen zitierte 692 Verbot " λαλεΐν êv έκκλησίαις " ist eine Paraphrase 693 zu 1 Kor 14,34. Das " αύθεντεΐν άνδρων " stammt aus 1 Tim 2,12, dort steht allerdings άνδρός im Singular. Während im Timotheusbrief das Herrschen über den Mann mit dem Lehren verbunden wird, bildet hier das Bücherschreiben das Problem. Der Autor des anonymen Dialogs faßt das Schreiben von Büchern als eine Form der Lehre auf und aktualisiert das biblische Verbot für seine Zeit; damit sagt er gleichzeitig aus, daß Frauen im 4. Jahrhundert in der Lage waren, Bücher zu schreiben,und diese Fähigkeit auch ausübten. Der folgende Satz des Zitates greift 1 Kor 11,4 auf unter Wiederholung von V. 3, daß der Mann die Kefale der Frau sei. Das Beispiel der Theotokos Maria illustriert, was der Autor meint: er empfiehlt Maria den Frauen als Modell der Unterordnung. Diese vorgelegte Argumentationskette läßt den Montanisten nachfragen :"Das mit unbedecktem Kopf Beten oder Prophezeien 694 bedeutet, Bücher zu schreiben?" Und die Antwort lautet: 695 "Ganz genau!" Der Orthodoxe erläutert seine Exegese noch einmal am Beispiel der Maria:"Sie hat als Schleier den Evangelisten. Denn das Evangelium ist nicht in ihrem Namen geschrieben."®^ Das Gespräch bewegt sich eine Weile um die Berechtigung allegorischer Auslegungen, um dann auf Maximilla und Priscilla, die montanistischen Prophetinnen, zurückzukommen. Der Montanist fragt:"Nehmt ihr Priscilla und Maximilla deswegen nicht an, weil sie Bücher verfaßt haben?" 697 Die Antwort des Orthodoxen :"Nicht deswegen allein, sondern auch, weil sie Pseudo-Prophetinnen waren mit ihrem Führer

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Montanus." Aus diesen letzten beiden Zitaten läßt sich gut erkennen, wogegen der Orthodoxe argumentiert: gegen die Gefahr, daß auch die Frauen der Gemeinden, als deren Vertreter er auftrat, Bücher schreiben würden und darin eigene Anschauungen vertreten könnten. Weibliche Prophetinnen kennt und anerkennt der Orthodoxe, allerdings nur unter dem Vorbehalt, daß sie sich nicht zu Herrschern über die Männer erheben. Um seine Position zu untermauern, greift der Autor zu der für ihn höchsten Autorität, der Heiligen Schrift, und versucht so, seine Ansicht unanfechtbar zu gestalten. In das richtige Licht gerät diese Auseinandersetzung erst dann, wenn wir uns klarmachen, daß Frauen in dieser Zeit Bücher in ihrem eigenen Namen schrieben, und daß dies keineswegs nur montanistische Frauen waren. 1981 erschien eine Arbeit unter dem Titel "A Lost Tradition. Women Writers of the Early Church", 699 in der die von Frauen geschriebenen Werke in englischer Übersetzung herausgegeben wurden. Vier Frauen werden von den Autoren und Autorinnen dieses Bandes genannt: Perpetua verfaßte einen großen Teil des unter ihrem Namen überlieferten Martyriums ;7^® die Römerin Proba schrieb um 360 die biblische Schöpfungs- und Hei1sgeschich701 te nach dem Vorbild der Dichtwerke Vergils; Aetheria (oder Egeria) hinterließ einen Reisebericht über eine um das Jahr 400 unternommene Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten des Orients; 702 die byzantinische Kaiserin Eudokia bearbeitete im 5. Jahrhundert u.a. biblische Bücher mit den Versen Homers.703 Dieser Zusammenstellung der vier Schriftstellerinnen ist der Legendenzyklus über Nino von Georgien hinzuzufügen, der sich nach Ausweis der Überlieferung als teilweise von Frauen aufgeschrieben darstellt. Da die Ninolegenden erst im 10. Jahrhundert schriftlich fixiert wurden, läßt sich nicht mehr nachweisen, ob die im Text des "Mokcevay Kartlisay" genannten Schreiberinnen Perozavri von Sivnieti,704 Salome von Uzarma7^3 und Sidonia, die Tochter des jüdischen Priesters Abiatar7^®, wirklich an der Niederschrift der Ninovita beteiligt waren, oder ob ihnen diese Rolle nur später zuge-

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sprochen wurde. Ferner ist zu nennen der Bericht der Klostervorsteherin Sergia über die Translation der heiligen Olympias ( Διήγησις τής... ήνουμένης Σεργιας ) Sergia war Nachfolgerin der Olympias als Leiterin in der von dieser gegründeten Frauengemeinschaft in Konstantinopel und berichtet über die 708 Übertragung der Reliquien der Olympias. Gerade Maria, die der orthodoxe Gesprächspartner als Beispiel gegen das Bücherschreiben im eigenen Namen anführte, wurden bereits vor dem 4. Jahrhundert und auch noch später verschiedene Schriften zugeschrieben, so die in der Mitte 709 des 2. Jahrhunderts entstandene gnostische "Genna Marias". Die Korrespondenz des Ignatius von Antiochien wurde um einen Briefwechsel mit Maria erweitert, der von Maria verfaßte Ant710 wortschreiben enthielt. Andere Werke, die den Namen Maria im Titel führen, haben Maria Magdalena zum Mittelpunkt und wurden dieser zugeschrieben, wie z.B. das gnostische "Evangelium der Maria"^^3 und die ebenfalls bei Gnostikern verbreiteten 711 "Großen Fragen Marias" und die "Kleinen Fragen Marias". Vor diesem Hintergrund kämpft ein Vertreter der Großkirche für das Verbot des Bücherschreibens von Frauen in ihrem eigenen Namen. Er schließt also nicht aus, daß Frauen Texte verfassen konnten, wie Maria das Magnificat, nur durften sie damit nicht mit ihrem eigenen Namen in die Öffentlichkeit treten. Falls diese Auffassung in der Alten Kirche aufgegriffen wurde, so ist zu fragen, ob vielleicht von Frauen verfaßte Texte unter dem Pseudonym eines Mannes in die Öffentlichkeit getreten sind. 712 Didymus von Alexandrien versucht, in seine Argumentation eine breitere neutestamentl iche Textbasis einzubeziehen als der anonyme Dialog und stützt sich dabei wesentlich auf die Pastoralbriefe, die ihm als Apostelwort des Paulus gelten. Wurde im anonymen Dialog das Schreibverbot in Rede und Gegenrede entwickelt, so hat es bei Didymus die Form einer Abhandlung. "Als Prophetinnen kennt die Schrift die vier Töch-

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ter des Philippus, Debora, Maria, die Schwester des Aaron, und die Gottesgebärerin Maria, die gesagt hat, wie es das Evangelium sagt:'Von nun an werden mich seligpreisen alle Frauen und alle Völker.' (Lk 1,48) Aber in ihrem Namen verfaßte Bücher kennt sie (die Schrift) nicht. Sondern der Apostel verbietet es im ersten Timotheusbrief, wenn er schreibt: 'Ich erlaube den Frauen nicht zu lehren.' (1 Tim 2,12) Und nochmals im ersten Korintherbrief:'Jede Frau, die betet oder weissagt mit unbedecktem Kopf, schändet ihr Haupt.' (1 Kor 11,5) D.h., daß es einer Frau nicht erlaubt ist, aus eigener Anordnung unverschämt Bücher zu verfassen noch zu lehren, weil sie damit ihr Haupt, d.h. den Mann entehrt. 'Denn das Haupt der Frau ist der Mann, das Haupt des Mannes aber ist Christus.' (1 Kor 11,3) Die Ursache, warum die Frauen schweigen sollen, ist klar; denn die Lehre der Frau im Anfang hat nichts Gutes für das gemeinsame Geschlecht gebracht. Deswegen schreibt der Apostel:'Der Mann wurde nicht verführt, 7 1? sondern die Frau.' (1 Tim 2,14)." Auffällig ist, wie Didymus das Magnificat zitiert, denn bei Lk 1,48 heißt es lediglich, daß " πάσαι al γενεαί " Maria seligpreisen werden, " πάσαι al γυναίκες " ist eine Hinzufügung des Kirchenvaters, der die Gottesgebärerin allen Frauen besonders nahebringen möchte. Hier wird wieder die geschlechtsspezifische Denk- und Lebensstruktur deutlich: als Frau eignet sich Maria zum Vorbild für Frauen, nach Didymus: für alle Frauen. Didymus geht über den Dialog hinaus, wenn er den Bücher schreibenden Frauen vorwirft, sie . handelten " άναιδην "714 - frech, unverschämt. Mit der "Didaskalia einer Frau im Anfang" bezieht er sich -auf die Sündenfallgeschichte der Genesis und schreibt Eva die alleinige Schuld zu, da sie den Mann Adam falsch belehrte. Anders ausgedrückt sagt Didymus: wenn Frauen lehren, kann die Folge nur entsetzlich sein. Zur Zeit des Didymus lehrten jedoch Frauen nicht nur die Unterordnung unter den Mann, sondern auch die Lehre Christi und sie richteten auffälligerweise nicht nur keinen Schaden an, sondern sie führten ihre Schüler, Männer und Frauen, zum Heil. Dieses Beispiel macht einmal mehr deutlich, mit wie

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großer Meinungs- und Lebensvielfalt wir in der Alten Kirche zu rechnen haben. Ein Kirchenvater konnte Frauen das Schreiben von Büchern untersagen, andere lasen von Frauen verfaßte 715 Bücher, wie z.B. Augustin die Passio der Perpetua. Neben diesen Äußerungen theologischer Werke, die Verhaltensmaximen aufstellen wollten, müssen sozialgeschichtliche Gegebenheiten berücksichtigt werden, wie z.B. die Tatsache, daß Origenes neben männlichen Schreibern Schönschreiberinnen zur 7 1 fi Verfügung standen, die seine Gedanken zu Papier brachten. Wenn Frauen als Schönschreiberinnen ausgebildet waren, lag es nicht fern, daß sie auch eigene Gedanken niederschrieben.

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wirkt. Deshalb wird es das Ziel dieses Kapitels sein, die Bedeutung der Thekla für die Entstehung des weiblichen Mönchtums und speziell für Makrina zu entschlüsseln und aufzuzeigen . 5.1.

Thekla-Traditionen in der Zeit Makrinas

Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, welche Rolle Thekla in der näheren Umgebung Makrinas spielte, um dann die Verbreitung der Theklatradition bei einigen Kirchenvätern des Westens in der gleichen Zeit nachzuzeichnen. Außerhalb der Vita Macrinae erwähnt Gregor von Nyssa Thekla in seiner 14. Homilie zum Hohenlied. In der Erläuterung zu Cant 5,13 wird Thekla als Beispiel der heiligen Parthenia vorgeführt. Ausdrücklich heißt es von ihr, daß 2 sie eine Parthenos war. Thekla ließ die Welt und "den äus3 seren Menschen" weit hinter sich. "Durch die gute Lehre war ihre Jugend tot, tot auch ihre offensichtliche Schönheit, tot waren alle körperlichen Empfindungen, und nur der Logos lebte in ihr, durch den die ganze Welt für sie gestorben war und durch den auch die Parthenos für die Welt gestorben war (Gal 6,14)".4 Für Gregor ist Thekla ein Beispiel, wie jemand in dieser Welt und doch nicht von dieser Welt leben kann. Sie hat die "gute Lehre", die hier als Lehre der Parthenia verstanden wird, ganz in sich aufgenommen und sich von ihr formen lassen. Als nächstes folgt in der Erläuterung des Canticum Canticorum der Hauptmann Kornelius aus Act 10,34-48, der Christus annahm und so "zu 5 einem Toten wurde" für das Leben. Thekla steht nach dieser Interpretation des Hohenliedes für Gregor von Nyssa auf einer Stufe mit den neutestamentlichen Glaubenszeugen, die als nachzuahmende Vorbilder hingestellt werden. Gregor von Nazianz, der Makrina das Grabgedicht widmete, kannte nicht nur die Theklatraditionen, er zog sich für einige Jahre an den Ort der Thek1a-Verehrung, nach Seleukia,

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zurück. Um vor dem Bischofsamt in Sasima zu fliehen, das ihm von seinem Vater aufgedrängt worden war, begab er sich zum Thekla-Heiligtum.^ In seinem Werk "carmen de vita sua", in dem er seinen Aufenthalt in Seleukia beschreibt, sagt er von sich selber, daß ihn eine Sehnsucht zu den monastisch Lebenden trieb ( πλείων δέ u* εϋχε τών μοναστικών πόθος ) J Die Reise nach Seleukia gibt er mit folgenden Worten wieder: " πρώτον μέν Αλθον ε£ς Σελεύκειαν 0 φυγάς, τόν παρθενώνα τΠε άοιδίμου κόρης Θέκλας Der Herausgeber des "carmen de vita sua" , Jungck, übersetzt " παρθενών " als "Mädg chenkammer" der gepriesenen Jungfrau Thekla. Jungck begründet diese Übersetzung damit, daß "Gregor im Nonnenkloster" eine "etwas seltsame Vorstellung" sei.1^ Dieser Überlegung Jungcks kann durchaus zugestimmt werden, jedoch begründet sie noch nicht diese Wiedergabe von " παρθενών ". Wenn Gregor von Nazianz nach Seleukia ging, so mußte das nicht unbedingt bedeuten, daß er sich in einem Frauenkloster aufhielt, denn am Ort des Theklaheiligtums waren zahlreiche 11 Frauen- und Männerklöster entstanden. Die Verbindung von "Parthenon" und Seleukia bringt zum Ausdruck, daß in den Frauenklöstern die genuinen Fortsetzerinnen der Geschichte und Gestalt Theklas gesehen wurden. Etwa vier Jahre, von 375 bis 379, hielt sich Gregor in Seleukia auf. 12 Bei diesem langen Aufenthalt am Mittelpunkt der Thekla-Verehrung nimmt es nicht Wunder, daß diese Heilige auch in anderen Werken Gregors in Erscheinung tritt. Unter den "Poemata Moralia" Gregors von Nazianz befinden sich "Vorschriften für Parthenoi". 13 In einer Aufzählung von bewundernswerten Ereignissen und Gestalten des Alten und Neuen Testamentes werden u.a. Elias, Daniel, Jona, Johannes der Täufer und Susanna genannt, zwischen Johannes und Susanna steht Thekla. 14 "Wer hat Thekla aus dem Feuer gerettet und wer band die große Kraft der wilden Tiere? 0 großes Wunder! Die Parthenia bringt wilde Tiere zur Ruhe, und sie erkühnen sich nicht, den heiligen Körper der Jungfrau mit ihren Kinnbacken zu entweihen." 15 Wie bei Gregor von Nyssa im Kommentar zum Canticum Canticorum klingt Thekla auch hier als Beispiel für die Parthenia an, sie wird zu einer Art

Z*fZ

Personifizierung der Parthenia. Worauf die Errettung aus dem Feuer und von den wilden Tieren sich bezieht, erläutert Gregor von Nazianz nicht. Die wunderbare Errettung vor wilden Tieren ist Daniel, Jona und Thekla gemeinsam, so daß sich daraus ihre Nennung in dieser Reihe erklären kann. In einem Gedicht mit dem Titel "Ermahnung für Parthe1 fi noi" fordert Gregor die von ihm angesprochene "Braut Christi" am Schluß auf, nur auf Gott zu blicken. " Σοί δέ μέριμνα μία πρός θεδν Αεί βλέπειν ." Wenn die Parthenos sich nur diese einzige Sorge zu eigen macht, wird sie sich um andere Notwendigkeiten des Lebens nicht zu kümmern brauchen. "Der Rabe wird dich nähren wie den Elias in der Wüste. Schau auf Thekla, die aus dem Feuer und vor den Tieren floh, nach dem großen Paulus verlangend und sich freiwillig entsetzend, damit Du lernst, o Parthenos, nur auf Gott zu blikken, der in der Wüste auch Tausende zu ernähren weiß." 18 Wie in dem vorher zitierten Gedicht wird Thekla auch hier in einem Atemzug mit biblischen Vorbildern genannt, hier zu19 sammen mit dem Propheten Elia. Wieder sind Feuer und Tiere als Beispiele einer nicht näher beschriebenen Gefahr erwähnt, der Thekla entkam. In diesen Zeilen wird ferner ein Zusammenhang von Paulus und Thekla angesprochen. 20 Die der Arete gewidmete Dichtung desselben Autors nennt Thekla im Zusammenhang, mit anderen Parthenoi, die alle "Gott die eingeprägte Schönheit bewahren wollten, auch wenn sie 21 Gefahren durchliefen." Während die anderen Parthenoi namenlos bleiben, ist Thekla die einzige, die aus der Anonymität hervortritt. Ohne daß Gregor von Nazianz auf Einzelheiten eingeht, stellt er Thekla auch hier im Zusammenhang einer Gefahr dar, die sie wegen ihres Glaubens auf sich 22 nahm. In seinem Gedicht für Olympias, die Diakonisse der Konstantinopler Hagia-Sophia-Kirche, erwähnt Gregor, daß Olympias von Theodosia, 23 der Schwester des Bischofs Amphilochius von Ikonium(+ nach 394), erzogen wurde. Amphilochius 24 wurde durch Gregor mit der heiligen Thekla bekannt gemacht. Seleukia als Stadt "der schönen und heiligen Parthenos Thekla" erwähnt Gregor von Nazianz in seiner Lobrede auf den

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Bischof Athanasius von Alexandrien.

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Festhalten läßt sich, daß sowohl Gregor von Nazianz als auch Gregor von Nyssa Thekla in einem Atemzug mit biblischen Gestalten nennen, die aufgrund ihres Glaubens der Verehrung und Nachahmung für wert gehalten werden. Alle zitierten Texte bringen Thekla in engen Zusammenhang mit der Lebensweise der Parthenoi, Thekla wird diesen ausdrücklich als Vorbild empfohlen. Eine wunderbare Errettung von Feuer und wilden Tieren klang an, ohne daß deutlich wurde, auf welche Ereignisse damit angespielt wird. Ein weiteres Indiz für die Berühmtheit Theklas in Kleinasien kann in der Verbreitung des Thekla-Namens in diesem Gebiet gesehen werden. In der Korrespondenz des Gregor von Nazianz sind vier an eine Empfängerin Thekla adressierte Briefe erhalten: epp. 56, 57, 222, 223.^ Die Empfängerin der Briefe 222 und 223 ist dieselbe Person, und vermutlich kann auch die Thekla von ep. 56 mit dieser identifiziert 27 werden. In ihren Untersuchungen über christliche Familien im 4. Jahrhundert in Kleinasien konnte E. Patlagean feststellen, daß der Name Thekla sehr häufig vertreten war. 28 Nicht nur in Kleinasien, auch im Westen war Thekla im 4. Jahrhundert eine bekannte und verehrte Heilige. Am Schluß eines ausführlichen Briefes an seine geistliche Tochter und Schülerin Eustochium malt Hieronymus ihr den Lohn für das Leben als Parthenos vor Augen. Eustochium soll sich im Geiste in das Paradies versetzen, und sie wird sehen, daß ein ganzer Zug von Frauen mit dem himmlischen Bräutigam ihr entgegenkommt. An zweiter Stelle nach Maria, der Mutter des Herrn, wird Thekla genannt :"Dann wird die heilige Thekla 29 freudig in Deine Arme eilen." Als Anführerin der Verheirateten wird ihr Sara entgegentreten und als Anführerin der Witwen Anna, die Tochter des Phanuel. 30 Aus dieser Aufzählung geht hervor, daß Thekla zusammen mit der Gottesmutter Maria die Parthenoi repräsentiert. 31 Die Charakterisierung des Hieronymus steht in Übereinklang

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mit derjenigen Gregors von Nyssa in der Vita Macrinae, daß Thekla berühmt sei unter den Parthenoi. Ambrosius von Mailand (+ 397) widmete seiner Schwester 32 Marcellina eine Schrift "de virginibus ad Marcellinam sororem". Im zweiten Kapitel des Buches II dieses Werkes führt er als Beispiel» nach dem die Parthenoi sich ausrichten kön33 nen, die Gottesmutter Maria an. Das dritte Kapitel stellt Thekla als weiteres Vorbild hin:"So weise denn die heilige Maria die Ordnung des Lebens, Thekla lehre, den Opfertod 34 zu sterben". Thekla wird im Verlauf dieses Kapitels "virgo", Märtyrerin und Schülerin des Völkerapostels (Paulus) genannt. Auch wenn Ambrosius eingangs Theklas Opfertod erwähnt, so schildert er nicht ihren Tod, sondern Szenen aus einem Martyrium, bei dem Thekla mit wilden Tieren, vor allem mit Löwen, kämpfen sollte. Das Verhalten der Tiere wird von Ambrosius aus Beispiel herangezogen, um die die ganze Schöpfung betreffenden Auswirkungen der Virginität zu demonstrieren. Die Tiere erweisen sich als besser und weitsichtiger als die Menschen, denn im Gegensatz zu diesen, die Thekla verurteilt hatten, zollen die Raubtiere ihr Verehrung und Anerkennung. "So große Bewunderung ruft die Virginität hervor, daß selbst die Löwen sie verehren." 35 Obwohl dazu vorgesehen, die ihnen zugedachte Beute zu vernichten, fällt alle Wildheit von den Tieren ab. In seiner Lobrede auf die Löwen geht Ambrosisus soweit zu sagen, daß sie "die Religion OC lehrten" und "die Enthaltsamkeit lehrten", denn diese Tiere leckten Thekla, die zum Märtyrerkampf entkleidet worden war, nur die Füße, hielten aber ihren Blick zur Erde gesenkt, "damit nichts Männliches, und seien es auch Tiere, die nackte Jungfrau anblicke." 37 Für Ambrosius bildet die ganze Schöpfung eine Einheit, und die Tiere nehmen genauso Anteil an der Verwirklichung des Heilswillens Gottes. 38 Ähnlich wie Gregor von Nyssa scheint auch Ambrosius vorauszusetzen, daß Thekla den Parthenoi und besonders seiner Schwester Marcellina, der er seine Schrift widmet, bekannt ist, denn er greift einige Szenen aus ihrem Martyrium heraus, ohne aber die näheren Umstände zu erläutern. Am Schluß des Kapitels über Thekla

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greift er die Frage auf, warum er gerade diese Heilige vorgeführt habe. "Ich führe euch ein solches Beispiel aus jüngster Zeit an, damit ihr daran erkennt, daß der Apostel nicht nur der Lehrer einer einzigen, sondern aller Jungfrauen ist."39 Mit dem Apostel ist Paulus gemeint, als dessen Schülerin Thekla galt. In dem Maß, wie Paulus zum Lehrer aller Parthe40 noi erhoben wurde, konnte sich auch die Verehrung seiner Schülerin ausbreiten, die ihm, nach dem Bericht der apokryphen Akten, zu seinen Lebzeiten nachgefolgt war. 41 An das Kapitel über Thekla schließt sich bei Ambrosius in der Reihe der Vorbilder die Erzählung über eine anonyme Virgo aus Antiochien an, die zur Prostitution gezwungen wer42 den sollte, und die als Märtyrerin starb. Thekla und die antiochenische Virgo sind durch das Thema des Martyriums miteinander verbunden. Als letzter Zeuge für die Verbreitung der Thekla-Verehrung im Westen sei der heilige Martin von Tours (316/17-397) genannt, über den Sulpicius Severus (+ um 420) in seinen Dia43 logen berichtet. Als Martin bereits Bischof war, wurde Sulpicius Ohrenzeuge eines nächtlichen Gesprächs, das Martin 44 in seiner Zelle führte. Später befragt, wer denn seine Besucher gewesen seien, erzählte der heilige Martin zögernd: "Ich sage es euch, aber bitte euch, es niemandem zu sagen: 45 Agnes, Thekla und Maria waren bei mir." Martin kann den Gesichtsausdruck und die Kleidung jeder einzelnen beschreiben, und gesteht, daß sie ihn schon öfter besucht haben. Auch Petrus und Paulus habe er öfter gesehen. 46 Agnes wurde in der römischen Kirche als Jungfrau und Märtyrerin mit dem Gedächtnistag am 21.1. gefeiert. Ihr Martyrium wird ans Ende des 3. oder an den Anfang des 4. Jahrhun47 derts datiert. Bemerkenswert ist die Übereinstimmung in der Zusammenordnung dieser drei Frauen: auch Ambrosius geht neben Thekla und Maria in der oben erwähnten Schrift "de vir48 ginibus" auf Agnes ein. Mit Maria ist bei Martin vermutlich die Gottesmutter gemeint; dies wäre dann ein Indiz für die allmählich sich ausbreitende Verehrung Marias, die erst im Laufe einer längeren Entwicklung zur Schutzpatronin aller Jungfrau-

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en wurde. Die Zusammenstellung des Dreigestirns ist bezeichnend für das 4. Jahrhundert, östliche und westliche Heilige sind nicht streng voneinander getrennt. Thekla ist eine gemeinsame Heilige der frühen noch ungeteilten Kirche. 49 5.2.

Die ursprüngliche Thekla-Tradition der apokryphen Apostelakten

Die ältesten Taditionen über Thekla liegen in Gestalt der der Paulusakten vor und gehören literarisch zur Gattung der 50 apokryphen Apostelakten. Um die Gestalt Theklas auf ihrem historischen Hintergrund zu verstehen, müssen eine Einführung in die Entstehung der Paulusakten und in die Literaturgattung der Apostelakten gegeben werden. 5.2.1.

Die Paulusakten

51 Die Akten des Paulus bilden zusammen mit denen des Johannes, Petrus, Andreas und Thomas die fünf großen und bedeutendsten Apostelakten. Als Entstehungszeit der fünf grossen Akten sind das 2. bis 3. Jahrhundert anzusetzen. 52 Weder inha 111ich. noch gattungsmäßig bilden die Apostelakten eine Einheit; während die Thomasakten ganz enge Bezüge zur Gno53 54 sis aufweisen, gilt das etwa für die Paulusakten kaum. Gemeinsam ist diesen Schriften die Ausrichtung auf die Gestalt des jeweiligen Apostels als Mittelpunkt und eine enkratitische Tendenz, die sich auch in anderen Schriften derselben Zeit beobachten läßt. 55 Heute wird der Wert der apokryphen Apostelgeschichten gesehen "in dem Einblick, den sie in die Lage und den Gesichtskreis einer späteren Zeit vermitteln, und der Kenntnis von Tendenzen und Neigungen des volkstümlichen Christentums, im Gegensatz zu den mehr theologisch orientierten Traktaten der frühen Väter." 56 Seit der Entdeckung eines koptischen Papyrus im Jahre 1894 und eines griechischen 1927 konnten bis dahin offene Fragen zur Geschichte der Paulusakten geklärt werden, "weil dadurch die Acta Pauli et Theclae, das Martyrium und der

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apokryphe Briefwechsel der Korinther mit Paulus als Teile . der alten AP (= Acta Pauli) erwiesen wurden." Aus •dem griechischen Papyrus, der in Faijum gefunden wurde, ist zu lernen, "daß nämlich die Acta Pauli im 4. Jahrhundert eine ungemein große Verbreitung in Ägypten gehabt haben, d.h. bei den dortigen Christen eine sehr beliebte Lektüre gewesen CQ sein müssen." "Offensichtlich handelt es sich um eine Bibel handschr ift , die mehr einen privaten Charakter trug, indem der Urheber sich Texte zusammenschrieb, wie er sie liebte und brauchte. Denn die Acta Pauli besaßen ja in der ägyptischen Kirche quasi-kanonisches Ansehen und wurden in Bibelhandschriften nach Ausweis der Kanonsverzeichnisse weiter trad iert.1,59 Die genannten drei Teile, Acta Pauli et Theclae, das Martyrium und der Korintherbriefwechsel, bildeten ursprünglich ein Ganzes, dessen Teile sehr bald je für sich getrennt überliefert wurden. Die Gestalt Theklas kommt nur in dem nach ihr benannten Teil vor, so daß wir darauf unser Hauptaugenmerk richten werden. Auf Tertullian, den ältesten Zeugen für die Bekanntschaft mit den Paulusakten, werden wir unten £f) zurückkommen. Schneemelcher hat die altkirchlichen Belege für die Verbreitung der Akten zusammengestellt, 61 so daß wir nur denen nachgehen, die eine Bekanntschaft mit Thekla zum Ausdruck bringen. Die Rezeptionsgeschichte der Paulusakten ist, wie die aller apokryphen Apostelakten, gekennzeichnet von Spannungen und Widersprüchen. Gleich der erste Zeuge, Tertullian, fi? verwirft die Acta Pauli aus theologischen Gründen. Euseb, der sie zweimal in seiner Kirchengeschichte erwähnt, 63 meldet Zweifel an ihrer Echtheit an und rechnet sie nicht zu den kanonischen Schriften. "Auch hier ist deutlich, daß die AP zwar keine kanonische Dignität besitzen, daß sie aber von den häretischen Machwerken unterschieden werden." 64 Während die Paulusakten vor allem bei den Manichäern große Bedeutung erhielten, 65 wurden sie im Decretum Gelasianum als apokryph verurteilt.*^ Entstanden sind die Paulusakten in Kleinasien in der Zeit zwischen 185 und 195.

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5.2.2.

Apokryphe Apostelakten als Literaturgattung

Otto Bardenhewer äußerte sich 1913 folgendermaßen über die apokryphe Literatur :"Al len mehr oder weniger historisch gehaltenen Apokryphen - und sie bilden den weitaus größten Teil der gesamten Apokryphenliteratur - ist ein sehr hervorstechender Zug gemeinsam. Es ist die Absonderlichkeit, Abenfio teuerlichkeit und Abgeschmacktheit des Inhaltes." Und: "An dieser ganzen Literaturgattung, welche sich von Haus aus nur hinter falscher Flagge sicher fühlte, haftet nun einmal der Fluch der Lüge."^ Seit diesem niederschmetternden Urteil hat sich das Verständnis der apokryphen Akten vor dem Hintergrund ihrer Zeit grundlegend gewandelt. Besonders die Arbeit von Rosa Söder aus dem Jahr 1932 konnte dazu beitragen, die Apostelakten als Literaturgattung mit bestimmten eigenen Zielen zu verste hen.^ Unter fünf Gesichtspunkten arbeitete Söder die Verbin düngen der Apokryphen zum hellenistisch-sophistischen Liebes roman und zur antiken Roman 1iteratur heraus. Diese fünf Punkte sind: das Motiv der Wanderung, das aretalogisehe Element, das teratologische Element, das tendenziöse Moment und das erotische Element. Die apokryphen Apostelakten sind "romanhafte Erzählungen" 71 und "im Gegensatz zu den auf gebildete Leser berechneten hellenistischen Romanen sind sie für das Volk bestimmt, dem leicht faßlich, eindringlich und anregend durch eine unterhaltende Lektüre bestimmt geartete, von der katholischen Kirche vielfach abweichende Gedanken vermittelt werden sollen; sie sind deshalb auch volkstümlich gehalten, mag sich auch ... in der äußeren Form die rhetorische Schulung und hellenistische Bildung der Verfasser und ihre Kenntnis der im hellenistischen Roman zur Verwendung kommenden Formen noch so sehr verraten; da ist es doch natürlich, daß der Verfasser nicht nur einzelne Motive aus den Erzählungen des Volkes übernahm, sondern daß solche Erzäh72 lungen ihm geradezu zum Vorbild dienten." Erst wenn man die apokryphen Apostelakten von ihrem eigenen literarischen Zweck her befragt, können sie richtig verstanden werden. Sie wollten nicht in erster Linie theologi-

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sehe Lehre vermitteln, sondern sie wollten die Helden und Heldinnen ihrer Geschichten den Lesern nahebringen, sie gehören zur volkstümlichen Unterhaltuns- und Erbauungs1itera74 tur. wie schon im Verlauf der Evangelien-uberl ieferung das Interesse an dem persönlichen Schicksal Jesu, und vor allem 75 seiner Kindheit, zunahm, so wuchs dieses Interesse bei den nachfolgenden Generationen gegenüber der Lebensgeschichte der Apostel. Wer waren diese gewesen, die die Botschaft Jesu in alle Erdteile gebracht hatten? Die Apostelakten halten fest, wie die Christen des 2. und 3. Jahrhunderts sich diese großen Gestalten der ersten Nachfolger Jesu unter den Bedingungen ihrer Zeit vorstellten. Zu den Bedingungen der Zeit gehört das enkratitisehe Element, das sich allerorten in der Christenheit ausbreitete und so auch den Aposteln nachgesagt wurde. Alle Apostel der apokryphen Akten verkünden die christliche Botschaft als Aufruf zur sexuellen Enthaltsam. -+ 76 keit. Der Lebensform nach waren diese Apostel Wanderasketen und Wanderlehrer, für die nicht nur die sexuelle Enthaltsamkeit, sondern auch Armut und Heimatlosigkeit^ zur Konsequenz der 78 79 Nachfolge Jesu gehörte. Georg Kretschmar und Gerd Theißen haben gezeigt, daß es vom Anfang der christlichen Verkündigung an bis tief ins 2. Jahrhundert hinein diesen Typus des umherziehenden Wanderapostels gab. Die radikalen Forderungen des Evangeliums, wie sie die Seligpreisungen und die Aussendung der Jünger ohne Stab, Sack und Sandalen enthalten, wur80 den von diesen Gruppen tradiert und gelebt. "Die AGG ( apokryphe Apostelgeschichten) sind die wichtigsten Zeugnisse für die Frömmigkeit eines großen Teils des christlichen Volkes, einer Frömmigkeit, die vielleicht nicht immer in den Bahnen, die später als gut kirchlich angesehen wurden, ging. Aber es ist keine Frage, daß es für die historische Kenntnis der Verhältnisse in der Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts von eminenter Bedeutung ist, diese Frömmigkeit in den Blick zu bekommen." 81

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5.3. Die Thek1aakten®^ 5.3.1. Der Inhalt Der Titel der als "Akten des Paulus und der Thekla" ( npd83 Εεις Παύλου καί θέκλης ) bekannten Schrift ist wie bei anderen Apostelakten auch der lukanischen Apostelgeschichte nachgebildet. 84 Die in den verschiedenen Handschriften überlieferten Überschriften sind schon gleich sehr aufschlußreich für das Verständnis Theklas. Drei Manuskripte des 10. und 11. Jahrhunderts (BEF) überschreiben das Werk: " μαρQC τύριον τής άγιας πρωτομάρτυρος θέκλης .1,00 Ein Codex des 12. Jahrhunderts (I) nennt das Martyrium " τής άγιας καί ϊσαποστόλου θέκλης τής έν γυνσιΕί πρωτομάρτυρος und eine Handschrift des 13. Jahrhunderts (K) spricht von οy ihr als " πρωτομάρτυρος καί άποστόλου ". Die "Taten des Paulus und der Thekla", im folgenden Theklaakten genannt, lassen sich gut nach den verschiedenen Orten gliedern, in denen die Geschichte spielt. 88 In einem einleitenden Teil (c.1-6) 89 wird geschildert, wie Paulus, aus Antiochien kommend, nach Ikonium zieht und dort seine enkratitisehe Botschaft verkündet. Dieser Teil schließt mit den Seligpreisungen. Von c. 7 an steht Thekla im Mittelpunkt des Interesses, und die Ereignisse in Ikonium reichen bis c. 22. 90 Thekla, die verlobt ist, hört vom gegenüberliegenden Haus her auf die Predigt des Paulus und wendet sich ganz dieser Botschaft zu. Ihre Mutter und ihr Verlobter finden als einzige Erklärung für dieses Verhalten, daß Thekla sich in den fremden Mann verliebt haben müsse. Nicht nur auf Thekla, auch auf andere Frauen der Stadt Ikonium wirkt die Botschaft des Apostels von der Enthaltsamkeit, und die Männer sehen sich um ihre Frauen betrogen. Sie verklagen Paulus als Zauberer beim Statthalter. Paulus wird ins Gefängnis geführt, wo Thekla ihn durch Bestechung der Wachen nachts besucht. Von ihrer Familie bei Paulus aufgefunden, wird sie ebenfalls vor den Statthalter gebracht. Paulus wird aus der Stadt vertrieben und Thekla zum Feuertod verurteilt. Das Feuer ist be-

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reits an den Scheiterhaufen gelegt, als durch göttliches Eingreifen Wolken sich ergießen, Menschen durch den H.agel umkommen und Thekla befreit wird. 91 Der nächste Abschnitt (c.23-25) hat das Wiedertreffen von Paulus und Thekla auf der Straße zwischen Ikonium und Daphne zum Inhalt. Thekla berichtet von ihren Erlebnissen und wünscht, von Paulus getauft zu werden, welches dieser aber ablehnt. 92 Antiochien ist der Ort, an dem sich das zweite Marty93 rium Theklas ereignet (c.26-39). Als sie die Aufdringlichkeiten des einflußreichen Alexander auf offener Straße zurückweist, bringt dieser sie vor den Statthalter, und Thekla wird zum Tierkampf verurteilt. Bevor der Tierkampf stattfindet, nimmt eine Königin Tryphaina sie zu sich in ihr Haus. Für die soeben verstorbene Tochter Tryphainas, Falconilla , spricht Thekla ein Gebet, das sie in der späteren Tradition zur Fürsprecherin der Verstorbenen werden läßt. 94 In der Arena kann keines der wilden Tiere ihr etwas anhaben, vielmehr stellt sich eine Löwin auf ihre Seite und kämpft gegen die übrigen Tiere. Eine nicht leicht zu deutende Episode ist die Selbsttaufe Theklas, die sich in der Arena in eine Wassergrube stürzt und die Taufformel dazu spricht. Als schließlich Tryphaina in Ohnmacht fallt , wird Thekla vom Statthalter frei gel assen, dem sie ihre Botschaft verkündet. Thekla bekehrt Tryphaina und deren Haus zum Christentum und zieht dann fort, um Paulus zu suchen. Das Gegenstück zur Begegnung mit Paulus nach dem ersten Martyrium bildet ihr Wiedersehen in Myra (c.40-41). 95 Hier erhält Thekla von Paulus den Auftrag, das Evangelium zu verkünden und zieht nun endgültig allein weiter. Der Schluß der Erzählung (c.42-43)^ berichtet, daß Thekla noch einmal nach Ikonium zurückkehrt, ihre Mutter besucht und dann nach Seleukia zieht, wo sie das Wort Gottes verkündet und eines sanften Todes entschläft ( μετά καλοδ δπνου έκοιμήθη ).^

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5.3.2.

Die Verkündigung des Paulus

Paulus predigt das "Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung" ( λόγος Θεοϋ περί έγκρατείας ναι άνα98 99 στάσεως). Nachdem er im Haus des Onesiphorus in Ikonium aufgenommen wurde, verkündet der Apostel seine Botschaft in 13 Seligpreisungen, die den Makarismen der Bergpredigt bei Matthäus nachgebildet sind (Mt 5,3-11). Der erste Makarismus ist eine wörtliche Wiederholung von Mt 5,8:"Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen."1^0 Die folgenden Verse lehnen sich zum Teil noch an die neutestamentlichen Vorbilder an, vertreten aber insgesamt eine ganz eigene Anschauung. In der Sprache und den Vorstellungen des 2. Jahrhunderts wird versucht auszudrücken, welches Verhalten selig zu preisen sei. Genausowenig wie die apokryphen Apostelakten insgesamt die lukanische Apostelgeschichte ablösen wollten, 101 so wenig sollten diese neuen Seligpreisungen die Gültigkeit der alten aufheben. Ganz deutlich fällt die enkratitisehe Tendenz in dem zweiten Satz auf, der lautet;" μακάριοι ol Αγνήν τήν σάρκα τηρή102 σαντες Im dritten Vers werden die Enthaltsamen ( ot έγκρατεϊς ) seliggepriesen. 103 Der vierte Makarismus preist die, die sich von dieser Welt getrennt haben ( ot άποταξάμενοι τφ κόσμψ τούτψ ). ^ ^ Das paulini sehe "haben als hätte man nicht" (1 Kor 7,29) wurde im fünften Vers aufgegriffen :"Sei ig sind, die Frauen haben, als hätten sie 105 nicht." Der sechste Makarismus verheißt denen, die Gottesfurcht haben, daß sie "Engel Gottes sein w e r d e n " . D a s Thema des vierten Satzes wird im 11. wieder aufgenommen: "Selig sind, die wegen der Liebe Gottes έξελθόντες τοΟ σχήματος τοΟ κοσμικοΟ Der letzte Makarismus lautet: " μακάρια τά σώματα των παρθένων, δτι αύτά. εύαρεστήσουσιν τφ 6εφ καί ούκ άπολέσουσιν τόν μισθόν τής Αγνείας αύτών . Die entscheidenden Worte sind hier " παρθένοι " und 109 " Αγνεία ". Anders als der Paulus des neutestament1ichen Kanons, der die jungfräuliche Lebensweise zwar empfahl, aber 110 nicht verpflichtend für alle machte, predigt der Paulus der Akten die zwingende Notwendigkeit der Enkrateia, ja

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Enthaltsamkeit und Auferstehung werden voneinander abhängig gemacht. Die Mutter Theklas, Theokleia, faßt die Botschaft des Paulus so zusammen :"man muß nur den einen Gott fürchten und enthaltsam ( άγνδς ) leben." Paulus fordert die jungen Frauen und Männer Ikoniums auf, nicht zu heiraten, sondern unverheiratet zu bleiben. 112 Die sexuelle Askese steht eindeutig im Vordergrund, aber auch in anderen Lebensbereichen gilt die Forderung nach Askese und Trennung von den Gewohnheiten dieser Welt. So ernähren sich Paulus, Thekla und die Familie des Onesiphorus von Brot, Gemüse und Wasser. 113 Paulus fastet mehrere Tage 114 ·· lang. Uber Armut wird nicht eigens reflektiert, aber aus dem Bericht, daß Paulus seinen Mantel versetzt, um Brot kaufen zu können, geht hervor, daß Besitzlosigkeit das Selbstverständliche war. 115 In einem anderen Teil der Paulusakten hält der Apostel der reichen Artemilla eine Predigt über die Vergänglichkeit und Nutzlosigkeit des irdischen Reichtums. Obwohl es im Christentum von Anfang an asketische Tendenzen gab, 117 blieben diese doch nur eine Nebenströmung, die zwar ihr Lebensrecht behauptete, nicht aber einen Alleinvertretungsanspruch erheben konnte. In der Spätantike zeigten sich zunehmend, auch in den Philosophenschulen, enkratitische Tendenzen, für deren Entstehen verschiedene Motive verantwortlich waren, denen wir hier nicht weiter nachgehen 118 können. Wichtig ist es allerdings festzuhalten, daß eine asketische Lebensauffassung in der Spätantike so etwas wie eine Zeit- und Modeströmung war, von der alle Gruppen und Schichten der antiken Welt erfaßt wurden. Fragt man nach den spezifisch theologischen Motiven, so mag eines darin zu suchen sein, daß mit der Verzögerung und dem Ausbleiben der den Kosmos umfassenden Parusie sich der Blick mehr auf die persönliche Lebensführung richtete. Wenn das christliche Leben in dieser Welt weitergeführt werden mußte, dann jedenfalls so, daß in den einzelnen·die Trennung von der Welt vorgenommen wurde. 119

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5.3.3.

Die Darstellung Theklas

Direkt nach den Seligpreisungen richtet die Erzählung den Blick auf Thekla, die als " θέκλα τις παρθένος " vorgestellt wird mit ihrer Mutter Theokleia und ihrem Verlobten 120 Thamyris. Diese zwei sind die wichtigsten Bezugspersonen in Theklas Leben, von einem Vater oder Geschwister ist nirgends die Rede. Diese Parthenos Thekla sitzt in einem dem Haus des Onesiphorus benachbarten Haus am Fenster und hört Tag und Nacht auf die Predigt des Paulus, " τόν περί άγνείας 121 λόγον ." Sie wünscht sich, Paulus, von dem sie nur die Stimme kennt, von Angesicht zu sehen. 122 Das Verhalten Theklas muß ungewöhnlich sein, denn die Mut ter läßt Thamyris rufen. Der Erwartung des Verlobten - er kommt freudig in der Hoffnung, daß die Hochzeit stattfinden solle - und das dann Geschehende stehen in krassem Widerspruch zueinander. Die Mutter berichtet dem künftigen Schwie gersohn, daß Thekla drei Tage und Nächte am Fenster sitze, weder esse noch trinke und nur dem Fremden lauschen. 123 Die Mutter drückt ihr Befremden darüber aus, "wie ein Parthenos mit so großer Zurückhaltung ( αιδώς ) sich so heftig belästigen läßt." "Auch meine Tochter, die wie eine Spinne am Fenster klebt, wird durch seine Worte von einer neuen Begierde ( έπιθυμία ) und tiefen Leidenschaft ( πάθος ) ergriffen. Die Parthenos hat sich ganz dem zugewendet, was er sagt und ist von ihm gefangen." 125 Thamyris geht zu seiner Verlobten, zerissen von Liebe und Furcht. Theklas Zustand deutet er als "Erschütterung" ( êxπληξις ). 126 Er redet sie an:"Thekla, meine Braut"; sie solle, ohne sich zu schämen, zu ihm, "deinem Thamyris", zurückkehren. 127 Die Bemerkungen des Thamyris und der Mutter deuten daraufhin, daß sie sich die Anziehung, die Paulus auf Thekla ausübt, nur als erotische vorstellen können. Nur weil Thekla Leidenschaft für einen anderen Mann entwickelt, wendet sie sich von Thamyris ab. Diese Interpretation steht in großer Spannung zu der enkratitischen Botschaft des Paulus, der ja gerade dazu auffordert, die ehelichen Bindungen zu verlassen. Rosa Söder hat darauf aufmerksam gemacht, daß as-

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ketische und erotische Motive auch schon in den griechischen Liebesromanen ineinander verwoben sind. 128 Die weiblichen Nachfolgerinnen huldigen einer "vergeistigte(n) mystische(n) 129 Liebe" zum Apostel. Weder den Zureden des Verlobten noch der Mutter antwortet Thekla, sie bleibt sitzen, nur dem Wort des Paulus zugewandt. Nach dieser Szene ist der Bruch offensichtlich, und das ganze Haus trauert um den Verlust Theklas. In symbolischer Ausdrucksweise war die Abwendung Theklas von ihrem gewöhnlichen Leben schon in der Dreizahl zum Ausdruck gebracht 130 worden - drei Tage und Nächte hörte sie nur Paulus zu. In der Aufzählung der um Thekla Trauernden werden die sozialen Bezüge deutlich, in denen sie lebt: Thamyris trauert um seine "Frau", Theokleia um ihr "Kind" und die Dienerinnen um ihre "Herrin". ^ Der soziale Status Theklas kommt auch noch in anderen Details zum Ausdruck. Ihr Verlobter sagt von sich selber:"Ich bin der erste der Stadt." 132 Weitere Einzelheiten, wie das Angebot des Thamyris, mit Hilfe einer großen Geldsumme die Angelegenheit um Thekla und Paulus zu bereinigen 1 3 3 und das Aufzählen des wertvollen Schmucks, mit dem Thekla Türhüter und Gefängniswärter besticht, 1 3 4 machen das Bemühen der Theklaakten deutlich, die Hauptpersonen als vermögend darzustellen. Die tätlichen Angriffe des Alexander in Antiochien weist Thekla damit zurück, daß sie ihn auf ihre soziale Position aufmerksam macht. 135 Als Paulus vom Statthalter ins Gefängnis gebracht worden war, besucht Thekla ihn dort in der Nacht. Der Besuch des Geliebten im Kerker bildet ein typisches Motiv der griechi1o£ sehen Roman 1iteratur. Auch die Bestechung der Wärter mit Gold und Silber hat Vorbilder in der antiken Literatur. 137 Die Kerkerszene selber ist einer neutestament 1ichen Szene nachgebildet: wie Maria, die Schwester Marthas, sich zu Jesu Füßen setzte, um sein Wort zu hören (Lk 10,39), so sitzt Thekla zu Füßen des Apostels Paulus und hört, wie dieser die großen Taten Gottes verkündet. 138 Überträgt man die Aussagen der lukanischen Perikope auf

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Thekla, so bedeutet das, daß sie mit Maria den guten Teil erwählt hat (V.42). Wie Maria sich ganz Jesus zuwandte und seine Nachfolgerin wurde, so folgt jetzt Thekla Paulus nach. Nicht mehr die alte Rolle der sorgenden Hausfrau gilt es in der Nachfolge Jesu aufzugreifen, sondern die alten Muster hinter sich zu lassen. Ganz auf das Wort ausgerichtet, wird Thekla alles verlassen, was innerhalb des sozialen Gefüges von ihr erwartet wurde. Thamyris erwartete, daß Thekla ihn bald heiraten werde. Mit allen Mitteln kämpft er gegen den drohenden Verlust der Braut. Angesichts der Veränderungen seiner Braut sagt er: "Ich ängstige mich sehr um Thekla, weil sie den Fremden so 1 liebt und ich um die Hochzeit gebracht werde." Die aufgebrachte Menge zieht vor das Haus des Onesiphorus, in dem Paulus sich aufhält, und Thamyris schreit:"Du hast die Stadt der Ikonier verdorben, und meine Verlobte, so daß sie mich nicht will."^® Auf sein Betreiben hin wird Paulus zum Statthalter geführt, von einer Verurteilung Theklas ist vorerst nicht die Rede. Vielleicht hoffte Thamyris, Thekla wiederzugewinnen, wenn der Fremde aus ihren Augen verschwunden sei. Thekla jedoch besucht den gefangenen Apostel und wird erst dann verurteilt, als sie von ihrer Verwandschaft bei Paulus gefunden wird. Vom Statthalter wird sie gefragt :"Warum hei141 ratest du nicht nach dem Gesetz der Ikonier den Thamyris?" Was ist unter diesem Satz zu verstehen? Vermutlich bestand die Verlobung Theklas mit Thamyris aus einem Ehevertrag, der beide Seiten verpflichtend band. Es war nicht mehr in Theklas Belieben gestellt, wen sie heirate. Der Verlobte, die Mutter und die Stadt, d.h. die ganze Umgebung, erwarteten von ihr, daß sie den Verlobten heirate. Das war die Ordnung ( νόμος ) und der Gang der Dinge. An der Reaktion der Mutter, als Thekla auf diese Frage des Statthalters nicht antwortet, wird deutlich, was Thekla durch ihren Schritt verletzt. Sie lehnt die Rolle der Mutter und damit die Mutter selber ab. Theokleia reagiert mit blankem Haß und sie ist es, die dem Statthalter vorschlägt, ihre Tochter zu töten :"Verbrenne die Gesetzlose, verbrenne die Unglücksbraut in der Mitte des Theaters, damit alle Frauen,

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die von diesem belehrt worden sind, in Furcht geraten." Wenn die Mutter ihre Tochter als "Gesetzlose" ( τ#ιν Ανομον ) bezeichnet, greift sie damit die Redeweise des Statthalters von dem "Gesetz der Ikonier" auf. Thekla entzieht sich diesen Gesetzen, sie haben für sie keine Gültigkeit mehr. Die "Unglücksbraut" bedeutet wörtlich eine Braut, die keine Braut ist. Die heftige Reaktion der Mutter kann am ehesten mit Märchenmotiven verglichen werden, die ebenfalls die ihren Kindern den Tod wünschende Mutter kennen. 143 Angesichts dieser Todeswünsche, die Theokleia über ihre Tochter ausspricht, fällt das Verhalten Theklas am Schluß der Erzählung besonders auf. Thekla kehrt noch einmal nach Ikonium zurück, an ihren Ausgangspunkt, findet Thamyris gestorben und besucht die Mutter. Thekla akzeptiert Theokleia als ihre Mutter und nennt sich selber deren Kind. 144 Zusammen mit dem ganzen Haus hatte die Mutter um den Verlust der Tochter getrauert. 145 Herrin und Verlobte wird Thekla nicht wieder, aber nachdem sie ihren eigenen Weg gefunden hat, kann sie wieder Kind dieser Mutter sein, die ihr den Tod gewünscht hatte. Allerdings bleibt sie nicht bei der Mutter, sondern zieht weiter. 146 5.3.4.

Thekla und Paulus

Der uns hier beschäftigende Teil der Paulusakten trägt zwar den Titel "Akten des Paulus und der Thekla", aber eigentlich bildet Thekla den Mittelpunkt, Paulus ist mehr oder weniger nur eine Randfigur. Die beiden Martyrien durchsteht Thekla ohne daß Paulus dabei ist. Er verschwindet immer wieder aus der Geschichte, um dann kurz wieder aufzutauchen. Dieser inhaltlichen Gewichtung entspricht es, wenn dieser Teil der Paulusakten als "Theklaakten" bezeichnet wird. Frauen spielen zwar in allen apokryphen Apostelakten eine wichtige Rolle als Zuhörerinnen und Nachfolgerinnen der Apo147 stel, aber nirgends tritt eine Frau so stark in den Vordergrund wie Thekla. Die Frauen bleiben die Anhängerinnen des Apostels, dem das Hauptinteresse gilt. So kann ich dem

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Urteil Söders nicht zustimmen, wenn sie sagt:"Die Frauengestalten Mygdonia, Thekla, Maximilla und wie sie alle heißen, zeigen ebenso wenig persönliches Leben und individuelles Handeln wie die Heldinnen in den griechischen Romanen: sie sind nach einem Schema gebildete Figuren, keine Wesen von Fleisch und Blut; sie müssen einfach so handeln nach einem vorgeschriebenen Plan, um der Idee zum Siege zu verhelfen. Wie groß die Verwandschaft zum Roman ist, zeigen die ganz bestimmten typischen Züge, die wir fast immer und überall verwendet sehen: ständige Erwähnung der Schönheit, Liebe auf den ersten Blick, Zurückweisung des Erstberechtigten, Kleidungswechsel, Eifersucht und Liebesklagen der Verlassenen, Besuche im Kerker mit dem Versuch zur Bestechung der Wächter; das Motiv der verschmähten Liebe, die sich in Haß wendet und sich äußert a) gegen die frühere Geliebte, b) gegen den Nebenbuhler; das Motiv des Aufschubs und der Ausflucht, Standhaftigkeit gegen Schmeicheleien, Drohungen und selbst gegen die brutale Gewalt, getreue Sklaven u.a.m. Aus diesen τόποι^ wie sie jeder der uns bekannten antiken Liebesromane verwendet, sind auch die erotischen Erzählungen der AGG aufgebaut." 148 Zumindest für Thekla kann diese Einschätzung nicht in der von Söder formulierten Weise gelten. Die eigenständigen Züge ihrer Person und ihrer Geschichte sollen im folgenden dargestellt werden. Zu Anfang der Theklageschichte ist Paulus der Handelnde, er predigt und Thekla hört zu. Dann tritt sie in Aktion und besucht den Gefangenen unter großen Gefahren nachts im Gefängnis. Die Strafen fallen für beide sehr unterschiedlich aus: Paulus wird aus der Stadt vertrieben und Thekla zum Märtyrertod durch Feuer verurteilt. Während sie ins Theater geführt wird, sieht Thekla Paulus in einer Vision., in der 149 ihr Christus in der Gestalt des Paulus erscheint. Nach der überstandenen Verurteilung zum Tode ist es Thekla, die sich auf die Suche nach Paulus macht. Sie sagt:"Ich laufe Paulus nach, nachdem ich aus dem Feuer gerettet worden 150 bin." Als sie ihn gefunden hat, bittet sie Paulus um die Taufe:" Μόνον δός μοι τήν έν Χριστφ σφραγίδα, καί ούχ

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1c ι άψεταί μοι πειρασμός Paulus lehnt die Erfüllung dieses Wunsches ab und fordert sie auf, Geduld zu haßen. Als nächstes wird berichtet, daß Paulus Thekla mit sich nahm ( οϋτως λαβόμενος τήν θέκλαν ) und sie nach Antiochien 152 kamen. Dieser Passus bedeutet, daß Thekla als Nachfolgerin des Wanderapostels diesen auf seinen Wegen begleitete. Darauf begründete sich später ihr Ruhm. Gleich bei der Ankunft in Antiochien treffen sie auf Alexander, der sich auf Anhieb in Thekla verliebt. Thekla reiste in männlicher Begleitung, und so versucht Alexander, Paulus Geschenke zu machen. Dieser antwortet auf die Anfrage Alexanders:" Ό ύ κ οϋδα τήν γυναίκα fiv λέγεις, ούδε έστιν 153 έμό ." Was bedeutet diese Antwort des Paulus? Zum einen tritt Paulus damit von der Bildfläche zurück, denn ihn verbindet nichts mit Thekla, auf die sich nun das alleinige Interesse konzentriert. Eine Parallele hat die kategorische Ablehnung des Paulus in der Verleugnung des Petrus (Mt 26,72), der auf wiederholte Fragen nach dem Nazarener antwortet: " Ούκ οΓδα τόν άνθρωπον Der Skopus der Verleugnung des Petrus ist allerdings ein anderer als bei der Leugnung des Paulus, Thekla zu kennen. Zwei alttestamentliche Geschichten weisen auffallende Ähnlichkeiten auf (Gen 12,10-20; Gen 20, 1-18), in denen Abraham seine Frau Sara nicht als seine Frau ausgibt. 154 Der Hinweis auf diese Parallelen kann das Verhalten des Paulus nicht zur Genüge klären, vorderhand scheint mir jedoch mehr an Interpretation nicht möglich zu sein. Nach dem zweiten überstandenen Martyrium "sehnt sich" Thekla nach Paulus und läßt ihn überall suchen. 155 Wieder geht die Bewegung von ihr aus. Als sie ihn gefunden hat, berichtet Thekla Paulus alles, was geschehen ist, auch von ihrer Taufe. Als sie aufsteht und sagt, daß sie nach Ikonium gehen wolle, erteilt Paulus ihr den Auftrag zur Verkündi156 gung; d.h. daß Paulus im Grunde auf ihren Entschluß, allein davon zu ziehen, reagiert. Die Taufe begehrte Thekla von Paulus - erhielt sie aber nicht. Der Verkündigungsauftrag, nach dem sie selber nicht fragt, wird ihr von Paulus gegeben.

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Nach dem Bericht der Akten war Thekla nur für sehr kurze Zeit direkte Nachfolgerin des Paulus, zählt man die genannten Zeitspannen zusammen, so ergeben sich wenige Tage. Dennoch gilt sie später als seine beste Schülerin, die seinen Auftrag fortsetzte. Thekla war eine Schülerin, die von Anfang an ihre Selbständigkeit bekundete. Sie kehrte bis zu dem Zeitpunkt immer wieder zu ihrem Meister zurück, bis der Meister sie zu einer ihm gleichen erklärte und sie aufforderte, das zu tun, was er ihr vorgelebt hatte. 5.3.5.

Die beiden Martyrien und die Selbsttaufe

Eines der erstaunlichsten Phänomene der Thekla-Tradition liegt darin, daß sie gerade als Märtyrerin verehrt wurde, obwohl sie nicht den Märtyrertod starb. Zwei Verurteilungen zum Tode überstand sie lebend und hätte damit in die Klasse der Bekenner gerechnet werden können. 15 7 Aber die Tradition machte sie zur Märtyrerin, sogar zur Protomärtyrerin, zu dem weiblichen Gegenstück des Protomartyrers Stephanus, über den 1 CO die lukanische Apostelgeschichte berichtet. Gerade in den bildlichen Darstellungen wurde die Thematik der beiden Martyrien besonders gerne aufgegriffen. So zeigt z.B. eine Thekla-Menas-Ampulle aus dem Louvre die Heilige 159 auf einer Löwin sitzend. Daß Thekla zwei Martyrien zu durchstehen hatte, hat in der Forschung viele Diskussionen ausgelöst und zu verschiedenen Hypothesen über die Priorität des einen oder des anderen Martyriums geführt. Ramsay hält nur das antiocheni sehe Martyrium für historisch und urteilt über die Ereignisse in Ikonium fo1gendermaßen:"The trial of Thekla in Iconium is an anachronism from beginning to the end. ...The bitter spirit of the mother, who urges the governor to burn her daughter as an example to other women in future, is quite unnatu1fiΠ ral." M.E. sind jedoch moralische Kategorien kein geeigneter Ausgangspunkt, um Literaturgattungen zu erfassen. Heute geht man davon aus, daß der Verfasser der uns vorliegenden Theklaakten ihm zur Verfügung stehende Traditionen bearbeitet hat. "Ob dazu auch die auffallende doppelte Erzäh-

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lung von Theklas Errettung in Ikonium und Antiochien gehört oder ob hier zwei verschiedene unter Umständen konkurrierende Traditionen verwertet sind, ist kaum zu entscheiden."161 Martin Blumenthal, der "Formen und Motive in den apokryphen Apostelgeschichten" untersuchte, hebt das gestalterische Prinzip der Doppelung hervor, das sich in allen Akten beobachten läßt. Für die Paulusakten hat das "Zwei1cn heitsgesetz" unbedingte Geltung. Wenn Blumenthal jedoch versucht, das Martyrium in Antiochien in eine aus zwei Gruppen bestehende "Wunderkette" aufzulösen, in der jede Gruppe aus zwei Gliedern besteht, 163 so scheint das Prinzip doch etwas überzogen. Beide Martyrien sind in der Tat sehr unterschiedlich und unterscheiden sich schon von der Länge her wesentlich voneinander. Die Ereignisse in Ikonium werden ganz knapp geschildert, die Szenerie, das Theater und das Volk werden nur kurz erwähnt.164 Sofort ( εύθέως ) nach der Verurteilung zieht der Statthalter ins Theater, den Schauplatz für 165 die Ausführung der Todesurteile. Die einzige Unterbrehhung der stringenten Berichterstattung liegt in der Erzählung der Vision Theklas. "Wie ein Lamm in der Wüste schaut sie umher nach dem Hirten" und sieht dann den Kyrios in der Gestalt des Paulus.166 " Παΐδες " und " παρθένοι " bringen Holz und Stroh herbei, ein Haufen wird aufgeschichtet, und Thekla, die nackt hereingeführt worden ist, erhält den Befehl, auf den Scheiterhaufen zu klettern. Thekla steigt hinauf, " τόν τύπον τού σταυρού ποιησαμένη "1^ - sie breitet die Arme in Kreuzform aus und deutet damit symbolisch an, daß sie Christi Kreuzestod nachfolgt und ihr eigenes Kreuz auf sich nimmt. Die einzige menschliche Regung zeigt der Statthalter, der beim Anblick der nackten Thekla weint 1 fi ft und "die Kraft in ihr bestaunt". Das Feuer wird angezündet, leuchtet auf, kann Thekla aber nichts anhaben. Die Erklärung dafür lautet:"Denn Gott hatte Erbarmen".169 Die Schöpfung nimmt Anteil am Schicksal Theklas: unter der Erde und über der Erde gerät etwas in Bewegung, eine Wolke mit

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Regen und Hagel löscht das Feuer aus, viele Menschen sterben und Thekla wird befreit. Im Stil einer ganz nüchternen Berichterstattung wird alles beobachtet, die technischen Abläufe werden genau festgehalten; das Herbeibringen von Holz und Stroh, das Aufschichten, das Anzünden des Feuers von unten. Dieser Stil gleicht 171 dem der frühen Märtyrerberichte. Gottes Erbarmen findet seinen natürlichen Ausdruck in einer Wolke, die in ganz normaler Weise das Feuer löscht. Allerdings sind die Grenzen des ganz Alltäglichen da überschritten, wo es heißt, daß durch die Wolke "viele in Gefahr gerieten und starben". 1 7 2 Wie Thekla freikommt, wird nicht beschrieben, es heißt lediglich, daß sie gerettet wurde. Wie anders wirkt dagegen das Martyrium in Antiochien. Alles zieht sich in die Länge, Gespräche und Gefühlsausbrüche lassen die Schilderung lebendig werden. Von Anfang an ist eine große Menge von Zuschauern aktiv beteiligt, es ist nicht einfach nur "das Volk", sondern die Frauen treten als Gruppe aus dem Volk deutlich hervor. Schon gleich als Thekla zu den Tierkämpfen verurteilt wird, sind Frauen anwesend und ergreifen Partei, sie schrei1 73 en:"Ein schlechtes Urteil! Ein gottloses Urteil!" Hier ist die Öffentlichkeit nicht mit allem einverstanden wie in Ikonium, sondern besonders die Frauen wehren sich lautstark. Eine der ihren ist betroffen, obwohl Thekla keine Bürgerin Antiochiens ist. Thekla bittet darum, bis zu den Tierkämpfen 174 unberührt ( άγνή ) zu bleiben. Es hätte durchaus antiker Rechtspraxis entsprochen, die Verurteilte zur Schändung freizugeben. 1 7 5 Eine reiche Frau, die in einigen Handschriften auch "Königin" genannt wird, nimmt Thekla zum Schutz in ihr Haus auf.^® Wie lange-Thekla sich bei Tryphaina, der reichen Frau, aufhält, wird nicht gesagt. Als nächstes wird der Umzug der Tiere beschrieben, bei dem Thekla an eine Löwin gebunden wird, von der es ausdrücklich heißt, daß sie feindselig und 177 wild sei. Dieses Tier leckt ihr wider alles Erwarten die1 1 7 ft Füße. 1/0 An der Reaktion des Volkes wird ablesbar, wie er-

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staunlich das Verhalten der Löwin ist, es kommt einem Wunder gleich und das Volk "gerät außer sich". 179 Wie Thekla in Ikonium andeutete, daß sie Christi Kreuzigung nachfolge, so kommt auch in Antiochien zum Ausdruck, daß ihr Leiden Christusnachfolge bedeutet. Über Christi Kreuz wurde nach Mk 15,26 eine Inschrift angebracht, die lautete:"Der König der Juden". Markus beschreibt diese Inschrift:" και fiv fi έπιγραφή τής αίτιας αύτοΟ έπιγεγραμμένη ." - über die an die Löwin gebundene Thekla heißt es: ipn " fi 6t αίτια τής έπιγραφής αύτης ήν ‘Ιερόσουλος ." Die Parallelität sticht deutlich ins Auge, wobei allerdings im Fall Theklas schwer vorstellbar ist, wo die Inschrift angebracht sein sollte. Die Schuld der "Tempel räuberin" könnte damit in Zusammenhang stehen, daß in Alexander vielleicht der Priester eines heidnischen Kultes zu sehen ist, dessen 1 ft 1 Ehre Thekla verletzte. Nach dem Umzug kehrt Thekla zu Tryphaina zurück, um erst am nächsten Morgen zum eigentlichen Tierkampf abgeholt zu werden. Die nun bei Tryphaina sich abspielende Szene ist in gewisser Weise mit der Taufe Theklas vergleichbar. Beim ersten Auftreten Tryphainas wurde gleich erwähnt, daß ihre Tochter gestorben sei. Im Traum hatte die verstorbene Falconi 1la der Mutter aufgetragen, daß Thekla dafür beten sol182 le, daß sie "an den Ort der Gerechten versetzt werde". Thekla erfüllt diesen Wunsch und betet dafür, daß "Falconilla leben möge in Ewigkeit." 183 Wenn Thekla im Gebet für Verstorbene bei Gott eintreten kann, dann ist es auch denkbar, daß sie die Vollmacht erhält, eine Taufe zu vollziehen. 184 Die Ereignisse am Tag des vorgesehenen Martyrerkampfes werden genau festgehalten und alle Gefühlsregungen ausführlich beschrieben. Nacheinander ereignet sich folgendes: der Abschied von Tryphaina, Thekla wird in der Arena von der Löwin verteidigt, die Selbsttaufe, Thekla wird an Stiere gebunden, Tryphaina fällt in Ohnmacht und die Befreiung Theklas. Tryphaina wehrt sich mit allen Mitteln, Thekla loszulas1ftc sen, bis schließlich Soldaten kommen und sie abholen. Der Aufbau dieser Szene ist mit der Passionsgeschichte Jesu

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vergleichbar, der auch von Bewaffneten weggeführt wird. Vor der Gefangennahme Jesu berichten die Evangelien über sein Gebet in Gethsemani - vor ihrer Gefangennahme weint Thekla und seufzt zum Herrn. 187 Sie bittet nicht für sich 1 QQ selber, sondern für Tryphaina. Während der Ereignisse in der Arena ergreifen die anwesenden Frauen lautstark Partei für Thekla. Sehr genau wird beschrieben :"Thekla wurde entkleidet, erhielt einen Schurz und wurde ins Stadium gestoßen." 189 In der Schilderung kommt die brutale Gewalt, die den Märtyrern zuteil wurde, zum Ausdruck. Löwen und Bären werden auf sie gehetzt - die wilde Löwin legt sich ihr zu Füßen und verteidigt sie gegen andere Tiere, bis sie schließlich getötet wird. Neue Tiere stürzen in die Arena. 190 Thekla kämpft selber nicht, sondern die Tiere tragen an ihrer Stelle den Kampf aus. 191 Thekla steht und hat die Hände ausgebreitet zum Gebet ein Gegensatz zu den miteinander ringenden Tieren. Sie sieht eine Grube voll Wasser und spricht:" NOv καιρός λούσασθαι ue ." 192 Was dieser "Kairos" bedeutet, wird im nächsten Satz deutlich - es ist der letzte Tag. Thekla stürzt sich ins Wasser und spricht die Taufformel :"*Ev τψ όνόματι *ΙησοΟ ΧριστοΟ ύστέρςι ήμέρςι βαπτίζομαι ."193 Thekla hält ihre letzte Stunde für gekommen und da niemand anderes erreichbar ist, tauft sie sich selber. Die Taufformel, die Thekla benutzt, entspricht neutestamentlicher Tradition und Praxis, wie z.B. in Act 2,38 und 10,48 bezeugt ist. Daneben kennt das Neue Testament auch dreigliedrige Taufformeln (Mt 28,19). Bei Paulus ist vor allem der Gedanke an die Taufe auf den Namen Christi ausge194 prägt, so daß Thekla als seine Schülerin der paulinischen Tauftheologie folgt, wenn sie nur Christus in der Taufformel erwähnt. Der große Unterschied zur neutestament1ichen Taufpraxis besteht allerdings darin, daß diese keine Selbsttaufe war, "sondern sie wurde durch einen Täufer vollzogen (Apg 1 9G 8,38)." "Die Taufe erfolgte durch Untertauchen in fließendem Wasser ...; nur in Ausnahmefällen war eine Taufe durch Übergießen des Kopfes mit Wasser gestattet". 196 Dieser Taufsitte entspricht Thekla fast - das Wasser floß zwar nicht,

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aber es heißt ausdrücklich, daß die Grube voll von Wasser war, so daß sie darin untertauchen konnte . Wenn ferner Robben in dieser Grube sich befanden, so müßte sie eine beträchtliche Größe gehabt haben. Schneemelcher stellt die Selbsttaufe Theklas in den Gesamtzusammenhang der Acta Pauli und meint,"daß das Verhältnis des Verfassers der Paulusakten zur Taufe merkwürdig gebrochen ist. Selbstverständlich hält er an der Taufe fest. Aber sie hat für ihn offenbar nicht den Wert, den sie nach der sonst bezeugten Auffassung in der Kirche seiner Zeit hatte___ In dem apokryphen Korintherbrief, in dem Paulus doch eine kurze Zusammenfassung seiner Lehre gibt, wird die Taufe nicht erwähnt. Dagegen ist es immer die Predigt des Paulus, die Anhänger findet oder Feindschaft erregt. Es sieht so aus, als ob die Taufe eines Tieres für den Verfasser gar nicht so anstößig war, wie sie seiner Mitwelt erschien oder auch uns erscheint. Er kann diese Mirakel berichten, weil die Taufe für ihn offenbar keine so zentrale Bedeutung hat wie die Predigt von der Auferstehung und der Enthaltsamkeit. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß daraus nicht zu schließen ist, der Verfasser hätte das Sakrament der Taufe überhaupt abgelehnt. Er hat ihm aber wohl eine andere Bedeutung zugemessen 197 als viele seiner Zeitgenossen." Aus dem weiteren Verlauf der Theklaakten geht hervor, daß Paulus diese Selbsttaufe akzeptiert, denn er tauft Thekla nicht noch einmal. Als Thekla ihn in Myra trifft, berichtet 198 sie Pau 1us:“ Έλαβον τό λουτρόν, ΠαΟλε ". Dann folgt eine theologische Erläuterung zu der Selbst-Taufe, die das eigentliche Wirken nicht der Person Theklas, sondern dem Kyrios Christus zuschreibt. Dieser Deutung nach war Thekla nur die Ausführende eines anderen, so daß das Gewicht nicht auf der Eigenhandlung liegt. Thekla fährt fort:"£> γάρ σοΙ συνεργήσας Pts τό εύαγγέλιον κάμοι συνήργησεν είς το λούσασθαι ." 1 9 9 Die Arbeit des Paulus für das Evangelium und die Taufe Theklas werden auf eine Stufe gestellt. Paulus ist Werkzeug zur Verkündigung des Evangeliums Christi und dasselbe gilt auch für Thekla - sie ist genauso Werkzeug Christi, um in diesem Fall ihre eigene Person zu taufen.

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Von der Komposition der Theklageschichte her ist zu anzunehmen, daß die Ausgestaltung der Taufepisode im Zusammenhang mit ihrem Überleben der Märtyrerkämpfe steht. Denn bei Märtyrern, die als Katechumenen für ihren Glauben starben, wurde das Martyrium als Bluttaufe gerechnet. Für die Zuschauer sah es so aus, als ob Thekla sich ins Wasser stürze, um sich das Leben zu nehmen. Die Robben würden sie fressen. Die Frauen weinen und der Statthalter weint 201 auch. Während der Statthalter in Ikonium Theklas Kraft bewunderte, trauert sein Kollege in Antiochien um ihre Schönheit.202 Wie in Ikonium,so geschehen auch in Antiochien Wunder sobald Thekla sich ins Wasser gestürzt hat, umgibt sie eine Wolke von Feuer ( νεφέλη τιυρός ), und die Tiere schwimmen 203 tot an der Oberfläche. In Ikonium starben Menschen, hier die Tiere. Die Tiere sind in alles einbezogen, und so ist es dem Verfasser der Akten auch wichtig, daß diese Thekla nicht nackt sehen können. 204 Neue Tiere werden hereingeführt, die aber die Frauen mit 205 Gewürzen und Kräutern betäuben. Der letzte Versuch, Thekla zu Tode zu bringen, wird von Alexander gestartet, der sie or\c an wilde Stiere binden läßt. Glühendes Eisen, das die Stiere noch mehr reizen soll, verbrennt die Stricke, so daß Thekla ist "als ob sie nicht gebunden" sei. 207 Die Versuche, Thekla zu töten, sind alle erfolglös gescheitert. Der Blick der Leser wird von Thekla ab- und auf Tryphaina hingelenkt. Diese fällt in Ohnmacht, und ihre Dienerinnen 208 halten sie für tot. Dieser Zwischenfall verändert schlagartig alles, weil die Basilissa Tryphaina eine Verwandte des Kaisers ist, und wenn dieser von der Ursache ihres Todes erführe, würde er die Stadt bestrafen. 209 Alexander, auf dessen Initiative hin Thekla gefangengenommen wurde, bittet den Statthalter, die Tierkämpferin freizulassen. Derjenige, der aus verletzter Liebe den Tod Theklas wollte, bittet nun für ihr Leben. Sein Plan hat sich nicht ausführen lassen, und wenn das Leben der ganzen Stadt durch Tryphainas Tod gefährdet ist, ist auch sein Leben bedroht. Der zu Beginn Starke

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und Mächtige ist jetzt der Machtlose. Die Befreiung Theklas geschieht hier-nicht wie in Ikonium durch wunderbares· Eingreifen Gottes, sondern durch scheinbar natürliche Ursachen. Der Statthalter, der die ganze Zeit teilnahmsvoll gegenüber Thekla geschildert wurde, - er weinte - läßt diese zu sich rufen und ein Gespräch entsteht, 210 das seine Parallele in dem Gespräch des Paulus mit dem Statthalter in Ikonium

.Πd + 211 t .

Noch einmal kehrt Thekla zu Tryphaina zurück und bleibt 212 acht Tage in ihrem Haus. Die Bekehrung Tryphainas und einiger Dienerinnen bilden sozusagen den Abschluß und die Bestätigung der Ereignisse während des Tierkampfes. Theklas Glaube hat sich als stark erwiesen und dieser wird nun auch von den Bewohnern der Stadt angenommen. 5.3.6.

Theklas missionarisch-apostolische Tätigkeit

Die missionarisch-apostolische Tätigkeit Theklas setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Wir folgen der Reihenfolge und Anordnung der Akten, die eine Steigerung zum Schluß hin aufweisen. Als erstes muß hier die Reaktion des Statthalters in Ikonium genannt werden. Er bewundert die " όύναμις ", die in Thekla ist. 213 Neben allen anderen Bedeutungen, die dieses Wort annehmen kann, hat es in der apostolischen Tradition eine ganz bestimmte Aussage - die Wunder und Heilungstaten der Apostel werden so genannt, z.B. in 2 Kor 12,12. Denn nach neutestament1iehern Verständnis sind die von den Nachfolgern Christi vollbrachten Wunder keine " θαύματα " im 214 Sinn der Antike, sondern sie sind Erweise der Macht Gottes. Thekla steht in dieser apostolischen Tradition. Die Wunder, die an ihr und durch sie geschehen, schreibt sie nicht sich selber, sondern der Kraft Gottes zu. Sie betet, als sie nach allen turbulenten Geschehnissen nach Ikonium zurückkehrt: "Christus Jesus, Sohn Gottes, mein Helfer ( βοηθός ) im Gefängnis, mein Helfer bei den Statthaltern, mein Helfer im Feuer, mein Helfer bei den Tieren, Du bist Gott und Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen."215

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An einigen hervorragenden Stellen fallen Bezeichnungen Theklas auf, die ihr Verhältnis zu Gott zum Ausdruck bringen. Paulus, der Thekla noch in der Gefahr des Märtyrerkampfes wähnt, bittet um ihre Rettung vor dem Feuer. Er betet zum "Vater Christi" und begründet seine Bitte:" δτι σή έστιν ." 2 1 6 Thekla ist nicht mehr Kind ihrer Mutter und nicht mehr die Verlobte eines Bürgers der Stadt Ikonium, ihre engste Beziehung besteht zu Gott. Von hier aus fällt auch noch einmal ein anderes Licht auf die Leugnung des Paulus in Antiochien, Thekla zu kennen, wenn er sagte:"Sie ist nicht meine." 2 1 7 Paulus hat keinen Anspruch auf Thekla, denn sie gehört nicht unabdingbar zu ihm. Die Szene in Antiochien läßt das Selbstverständnis Theklas deutlich werden. Alexander hatte sich zuerst an Paulus gewandt, um so an Thekla heranzukommen. Als Paulus klargestellt hatte, daß Thekla nicht seine Frau sei, konnte Alexander annehmen, sie gehöre keinem Mann, und er umarmt sie auf offener Straße. Als Frau ohne fest definierte Beziehung zu einem Mann ist Thekla schutzlos dem Begehren jedes Mannes auf der Straße ausgeliefert. Thekla schreit jedoch, wehrt sich, zerreißt die Kleidung des Alexander und zerrt ihm den Kranz vom 218 Kopf herunter. Sie nennt das, was Alexander ihr antut, Gewalt. " Mf) βιάση τήν ξένην, μή βιάση τήν τοϋ θεοΟ δούλην ." 21 9 Auf die erste Selbstbezeichnung als "Fremde" ppn gehen wir weiter unten ein, in der zweiten nennt Thekla sich "Magd Gottes". Gegen die Übergriffe des Alexander stellt sie sich als in Beziehung stehend heraus, sie ist geschützt. Der Verfasser der Theklaakten scheint davon ausgehen zu können, daß die "Fremde" und die “Magd Gottes" von seinen Zeitgenossen als Ausweis einer bestimmten Lebensweise akzeptiert 22 1 werden. Festgehalten werden kann, daß die Theklaakten ein wichtiges Bindeglied zwischen der biblischen δούλος / δούλη θεού - Vorstellung und der im frühen Mönchtum begegnenden Redeweise von der Magd Gottes darstellen. Am Ende der Ereignisse in Antiochien erscheint die Formel der Magd Gottes noch einmal in sehr bezeichnender Weise. Der Statthalter läßt Thekla, nachdem Tryphainas Ohnmacht

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den Tierkämpfen ein Ende gesetzt hat, zu sich rufen und 222 fragt:"Wer bist Du?" Er möchte wissen, warum die Tiere ihr nichts haben antun können. Aus diese Frage antwortet Thekla:" 'Εγώ μέν etui θεοΟ τοΟ ζώντος δούλη Diese Antwort trägt das ganze Gewicht, alle wunderbaren Ereignisse im Stadion zu erklären. Ihre gesamte Persönlichkeit mit ihrer Geschichte wird mit dieser Bezeichnung vorgestellt. Thekla nennt sich nicht "Christin", wie andere Märtyrer, die nach 224 ihrem Namen gefragt werden, es tun. Mit " δούλη θεοΟ " wird ihre asketisch-prophetische Lebensweise umfaßt. Das Magd-Gottes-Sein drückt sowohl ihre enge Gottesbeziehung als auch ihre Aufgabe, ihre Sendung in die Öffentlichkeit, aus. Denn auf diese Selbstvorstellung folgt eine Christus-Predigt vor dem Statthalter. 225 Der Statthalter nimmt die Selbstbezeichnung Theklas auf und erklärt damit öffentlich ihre Freilassung:" Θέκλαν τήν 226 τού θεού δούλην τήν θεοσεβή άπολύω ύμΐν ." Die Hinzufügung des "fromm" wirkt wie eine Bestätigung, daß Thekla auch in den Augen des Statthalters eine Magd Gottes ist. Wie schon an anderen Stellen zu beobachten war, ist auch diese Szene von der Passionsgeschichte Jesu inspiriert. Wie hier der Statthalter und die Frauen, so stehen sich im Neuen Testament Pilatus und das Volk gegenüber. Pilatus kann entweder Jesus oder Barrabas freigeben. Der Statthalter in Antiochien verkündet :" ich gebe euch frei,." Pilatus fragt: 227 "Wollt ihr, daß ich euch freigebe ...?" Das Volk entscheidet sich für die Freigabe des Barrabas. - Hier endet die Parallelisierung, denn Thekla und Barrabas sind nicht gleichzusetzen. Theologisch gedeutet besagen die Ähnlichkeiten und die Unterschiede der beiden Szenen, daß Christus für alle, auch für Thekla, gestorben ist, so daß sie mit dem Leben davonkommen kann. Als Magd Gottes nimmt sie ihr Kreuz auf sich und predigt den gekreuzigten Christus. Auf die Bekanntmachung des Statthalters reagieren die Frauen Antiochiens, indem sie ein Gottesbekenntnis ablegen: " Είς θεός ò Θέκλαν σώσας ." In der Sprache des Neuen Testamentes und der frühen Christenheit hat eine Bekenntnis-

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formel großen Wert, sie drückt mehr aus als lange Reden. Tryphaina wiederholt mit eigenen Worten das Bekenntnis zu Gott, der die Toten auferweckt. 230 Diese Reaktionen sind Bestätigungen des Glaubens, den Thekla ausstrahlt. Im Haus Tryphainas setzt Thekla ihre Missionstätigkeit fort. Bis auf die Predigt vor dem Statthalter hatte sie bisher hauptsächlich durch ihr Handeln missioniert; jetzt beginnt sie das, was in neutestament1ieher und apostolischer Zeit vor allem als Mission verstanden wurde - sie lehrt das Wort Gottes. Acht Tage bleibt Thekla bei Tryphaina " κατηχήσασα αύτήν τόν λόγον τοΟ θεοΟ ·" Das Ergebnis ist, daß Tryphaina und einige der Dienerinnen den Glauben annehmen, " πιστεΟσαι ". 232 Theklas Missionstätigkeit hat Erfolg. Nachdem all dieses geschehen ist, kehrt Thekla zu Paulus zurück. Thekla hat eine gültige Taufe vollzogen (an sich selber) und sie hat Menschen zum Glauben an Christus bekehrt. Erst jetzt, sozusagen als nachträgliche Bestätigung, erhält sie von Paulus den ausdrücklichen Auftrag, das Evangelium zu verkündigen. Paulus sagt zu ihr:" "Υπαγε καί δίδασκε τόν 233 λόγον τοϋ θεοΟ Das ist die wörtliche Wiederholung des Missionsauftrages, den Jesus nach Mt 28,19 seinen Jüngern gab. Nach der matthäischen Überlieferung gehören Didaskalia und Taufe zusammen. Thekla wird damit von Paulus unter die Jünger und Apostel eingereiht. Im gleichen Jahrhundert, in dem die Timotheusbriefe, die ebenfalls in Kleinasien entstanden, Paulus das Lehrverbot für Frauen in den Mund legten, berichten die Theklaakten, daß genau dieser Paulus eine Frau ausdrücklich beauftragt, das Wort Gottes zu lehren. Thekla erhält nicht den Auftrag, die Frauen im Verborgenen zu lehren, wie sie sich ihren Männern unterordnen sollen, 234 sondern sie erhält den Auftrag, der allen Aposteln galt. Auch wenn sie nicht so genannt wird, so wird sie doch wie eine Apostolin geschildert. Die letzten Sätze der Theklaakten berichten, wie Thekla den ihr von Paulus gegebenen Auftrag ausführt. Sie ging 235 nach Seleukia " καί πολλούς φωτίσασα τφ λογφ τοΟ θεού ." Das Verb " φωτίζειν " heißt wörtlich übersetzt "erleuch-

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ten", ist in dieser Zeit aber gleichzeitig ein Synonym für "taufen" und "unterrichten" . Thekla lehrte das Wort Gottes und taufte, sie unterscheidet sich von den übrigen Aposteln nur dadurch, daß sie eine Frau war. 5.3.7.

Die Männerkleidung

Nach beiden Martyrien wird je eine Episode berichtet, die in Parallele zu dem korrespondierenden Ereignis steht. Nach dem Märtyrerkampf in Ikonium sagt Thekla zu Paulus:" ΠερικαροΟμαι Mal άκουλοθήσω σοι δηον 6dv πορεύω ." Dann folgt die Bitte um die Taufe, die ihr abgeschlagen wird. Alle drei Elemente scheinen zusammen zugehören: das Abschneiden der Haare, die Nachfolge und die Taufe. Thekla kündigt lediglich an, daß sie das Haar abschneiden will, es wird nicht berichtet, ob sie diese Absicht ausführt, und es wird auch nicht berichtet, wie Paulus auf diese Ankündigung reagierte. Die Taufe lehnte er ab, alles andere anscheinend nicht. Den Vorsatz des Nachfolgens setzt Thekla in die Tat um, sie folgt Paulus nach Antiochien. Will Thekla ihr Haar abschneiden, um Paulus nachfolgen zu können? Das folgende Ereignis in Antiochien macht deutlich, daß eine reisende Frau auf den Straßen gefährdet ist. Alexander hat sie ohne Schwierigkeiten als Frau erkannt. Heißt das, daß sie ihr Haar nicht abschnitt? Bevor Thekla den Wunsch äußert, ihr Haar abzuschneiden, erlebt sie große Konflikte mit ihrer Mutter und ihrem Verlobten. Sie hat ihre Familie, ihr Haus und ihre Stadt verlassen, damit hat sie auch die ihr zugedachte Frauenrolle zurückgelassen. Sie ist nicht mehr die Frau, die sie vorher war. Das Abschneiden des Haares kann ein äußeres Zeichen dieser Veränderung sein. Nach den Tierkämpfen in Antiochien und dem Aufenthalt bei Tryphaina macht Thekla sich auf die Reise zu Paulus, der sich in Myra aufhält. Dazu trifft Thekla Reisevorbereitungen, sie nimmt Diener und Dienerinnen mit und verändert ihre Kleidung:" άναζωσαμένη καί ράψασα τόν χιτώνα été έπενόύτην 2 38 σχήματι άνδρικφ ." Ramsay erklärt, wie wir uns diese

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Veränderung der Kleidung vorzustellen haben. "This description, so brief yet so particular, was perfectly clear in the second century to readers familiar with the old Greek dress; ... Thekla wore the woman's long tunic, reaching to the feet and confined by a girdle round the waist. Ordinarily, when a woman wished to take active exercise, she took hold of the tunic above the girdle, and pulled it up, so that it formed a wide loose fold, which hung down over the girdle round her body, and which she usually confined by a second girdle; thus the tunic, even though as short as a man's, still continued distinguishable as a feminine garment. Thekla, instead of allowing the fold to hang down outside, kept it inside, so that it was unseen; and she sewed the tunic together in this position, thus shortening it by a broad 'tuck'. Her girdle would conceal the seam, and the garment would resemble a man's short tunic." 239 Hier spricht Thekla nicht nur die Absicht aus, sondern sie ändert ihre Kleidung tatsächlich, so daß sie Männerkleidung trägt. Bevor sie diese Änderung vornimmt, wird sie missionarisch tätig im Haus der Tryphaina und daran anschließend folgt die Beauftragung zur Verkündigung durch Paulus. Wieder müssen ähnliche Fragen gestellt werden wie bei der Veränderung der Haare. Haben die Männerkleidung und der Verkündigungsauftrag etwas miteinander zu tun? Ist Thekla in Männerkleidung weniger gefährdet auf den Straßen, auf denen sie zur Verwirklichung ihres Auftrages ziehen wird? Was bringt die Änderung der Kleidung zum Ausdruck? 240 Theklas Verkleidung und das Abschneiden der Haare haben zu verschiedenen Hypothesen Anlaß gegeben. Ludwig Radermacher, der in Thekla das weibliche Gegenstück zu der antiken Herosgestalt Hippolytos, deren Geschichte Euripides überlieferte, 241 sieht, sucht für alle Geschehnisse der Theklaakten nach antiken Vorlagen. Da seiner Meinung nach der "letzte Ursprung" des Kleiderwechsels in einem griechischen Romanmotiv liegt, so folgt daraus "unmittelbar, daß wir aus ihm keine Schlüsse auf das ursprüngliche Wesen Theklas ableiten dür242 fen; denn er haftete am Stoff und nicht an der Person."

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Neben der Gestalt des Hippolytos wirkten Xenophons Romanfiguren Aigialeus und Thelxinoe, deren Liebesgeschichte in 243 Sparta spielt, bestimmend auf die Gestaltung Theklas ein. In Sparta bestand der Hochzeitsbrauch, daß der Braut die Haare abgeschnitten wurden und sie Männerkleider anzog. 244 Radermacher erliegt insgesamt zu sehr der Versuchung, Thekla nur als leblose Nachahmerin antiker Bräuche und Vorlagen zu sehen. Heutiger literaturwissenschaftlicher Forschung reicht der einfache Nachweis von Ähnlichkeiten nicht aus, sondern gleichzeitig muß die Frage nach dem jeweiligen Skopus beantwortet werden, und der ist bei den spartanischen Hochzeitsbräuchen und in der Theklageschichte sehr verschieden. Das Hauptmotiv des Hochzeitsbrauches liegt in der Abwehr von dämonischen Kräften, die die Hochzeitsnacht bedro245 hen. Bei Thekla geht es um den Aufbruch einer Frau in die Nachfolge Christi. Marie Delcourt untersuchte 1958 diejenigen Heiligenlegenden, die eine Verkleidung von Frauen zum Inhalt haben. Ihr Bemühen richtete sich vor allem auf die psychologische Deutung des auffallenden Verhaltens der Frauengestalten. In fol genden Elementen erblickt Delcourt den symbolischen Sinn der Verkleidung :"rupture avec le passé féminin, hostilité à l'égard de la famille et de l'autorité, renoncement à la vie 246 sexuelle." All diese Elemente können ohne Schwierigkeiten auf Thekla übertragen werden. Darüber hinaus macht Delcourt auf die große Verbreitung und Bedeutung eines androgynen Menschenbildes in der Antike und Spätantike aufmerksam, für das eine Gestalt wie Thekla mit sowohl weiblicher als auch männlicher Identität durchaus denkbar ist.^4^ Delcourt ging es nicht um die historische Entwicklung die ser Legenden, sondern um die psychologische Aussage. Auf Thekla geht sie nur kurz ein. Ihre Fragerichtung aufnehmend möchte ich die Frage stellen, ob aus psychologischer Perspektive gesehen, Theklas Ablegen der Frauenkleidung und der Frauenrolle mit dem ausgeprägten Mutterkonflikt in Verbindung gebracht werden kann. Mutter und Tochter lehnen sich gegenseitig ab. Die Tochter will nicht so sein- und werden

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wie die Mutter, und die Mutter erlebt an der Tochter das völlig entgegengesetzte Bild zu ihrem eigenen Lebensentwurf. John Anson, der sich den gleichen Legenden zuwendete wie auch Delcourt, sieht den Hintergrund für die Theklageschichte mit dem Kleidungswechsel im Montanismus, der gerade in Kleinasien große Bedeutung erlangte. 248 Dem Montanismus wa249 ren androgyne Visionen nicht fremd, so daß eine Gestalt wie Thekla, die Männer- und Frauenrollen sprengt, in diesem Rahmen entstehen konnte. Zu den Spannungen und Widersprüchen der Thekla-Überlieferung gehört es, daß sie auf bildlichen Darstellungen überall als Frau erscheint-, mir sind keine Darstellungen bekannt 250 geworden, auf denen sie in Männerkleidung gezeigt würde. In der Nachahmung Theklas gab es sowohl Frauen, die unter bewußter Berufung auf sie ebenfalls ihr Haar abs.chnitten und Männerkleidung trugen, als auch andere Frauen, die ihrer äußeren Erscheinung nach Frauen blieben, aber trotzdem der 25 1 Meinung waren, Thekla nachzufolgen. Die Männerkleidung wurde in der Tradition nicht zum entscheidenden Kriterium ihrer Annahme oder Ablehnung. Viel brisanter waren ihre Taufen und ihre Verkündigung, so daß ihr Äußeres dagegen als nebensächlich erschien. Daß beides miteinander zusammenhing, wurde nicht gesehen. 5.3.8.

Die Rolle der Frauen

In allen apokryphen Apostelakten kommt den Frauen eine wichtige Bedeutung zu. In den Paulusakten spielen sie "eine große, man darf sagen, die erste Rolle. Dieses apokryphe Werk ist dezidiert feministisch." 252 Harnack kommentiert die starke Präsenz der Frauen in den Apokryphen damit, daß diese richtig zum Ausdruck bringen, "daß die christliche Predigt vor allem von den Frauen ergriffen worden ist, und daß der Prozentsatz der christlichen Frauen, besonders in den vornehmen Ständen, viel größer war als der der christlichen Männer." 253 Diese Einschätzung Harnacks bedeutet, daß die Theklaakten nicht nur ein Wunschbild über die aktive Betei-

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ligung der Frauen ausmalen, sondern in gewissem Grade die Realität der Gemeinden wiederspiegeln. 254 Gleich bei der ersten Predigt des Paulus in Ikonium zeigt sich, daß die Frauen sich von seiner Botschaft ansprechen ließen. Thekla betrachtet von ihrem Fenster aus, wer das Haus des Onesiphorus betritt, und sie sieht:" Πολλάς γυναίκας 255 καί παρθένους Schon nach kurzer Zeit zeigen sich in Ikonium die Auswirkungen der Predigt des Apostels. Paulus wird beschu1digt:"Er raubt den jungen Männern die Frauen und 256 den Parthenoi die Männer." Parthenoi sind in diesem Zusammenhang junge unverheiratete Frauen. An erster Stelle werden die Frauen genannt, die sich durch Paulus von der Idee, zu heiraten, abbringen lassen. Es hat den Anschein, als ob sich in Ikonium zwei Gruppen bilden: auf der einen Seite die Frauen, die sich von Paulus ansprechen lassen, und auf der anderen Seite die Männer, die sich in ihrem Haß gegen den fremden Mann solidarisieren . Ob allerdings der folgende Vorwurf in der geäußerten Schärfe zutrifft, ist zumindest fraglich. Die Ikonier klagen Paulus an:"Er hat alle unsere Frauen verdorben." 257 Entnehmen können wir diesem Vorwurf auf jeden Fall, daß auffällig mehr Frauen als Männer der asketischen Predigt des Apostels zustimmten. Vor dem Statthalter wird noch einmal deutlich ausgesprochen, worin die Bedrohung liegt, die für die Stadt von Paulus ausgeht, er will die Parthenoi nicht heiraten lassen. 258 Die Solidarisierung der Frauen mit Paulus wird nur durch die Angriffe der Männer für uns deutlich, als eigene Gruppe treten die Frauen in Ikonium nicht in Erscheinung. Die Mutter Theklas wünscht sich, daß die Verbrennung ihrer Tochter allen Frauen ein Exempel sei. 259 Eine der Anhängerinnen des Paulus soll stellvertretend für die anderen bestraft werden. Ganz anders ist die Stimmung in Antiochien. Von Anfang an wird Thekla von einer Solidarität der Frauen umgeben. Die Frauen sind die stärkste Gruppe, während "das Volk" dagegen sehr blaß und farblos bleibt.

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Thekla wird von einem Mann auf offener Straße angegriffen - weil sie sich dagegen wehrt, wird sie verurteilt. Gleich bei der ersten Gerichtsverhandlung ergreifen ihre Geschlechtsgenossinnen lautstark Partei, sie beschimpfen das ocn Gericht und das Urteil als schlecht und gottlos. Weil Thekla eine Frau ist, wurde sie von Alexander belästigt, und weil sie eine Frau ist, stellen die anderen Frauen sich bedingungslos auf ihre Seite. Achtmal insgesamt während der Ereignisse in Antiochien treten die Frauen (at 6è γυναίκες ) als Gruppe in Erscheinung. 261 Tryphaina spielt eine besondere Rolle unter den Thekla unterstützenden Frauen. Wieder wird das Bemühen des Autors der Theklaakten deutlich, den Hauptpersonen eine hohe sopc p ziale Stellung zuzuweisen. In Tryphaina erhält Thekla, die von ihrer eigenen Mutter verstoßen wurde, eine neue Mutter. Die leibliche Mutter schlug dem Statthalter vor, ihre Tochter zu verbrennen - die Ohnmacht der neuen Mutter trägt zu Theklas Rettung aus den Tierkämpfen bei. Am Anfang und am Ende der Martyrien stehen zwei Frauengestalten, die auf unterschiedliche Weise Theklas Weg entscheidend prägen. Die Gemeinschaft mit der leiblichen Mutter zerbrach, als Thekla sich für den Glauben an Christus entschied. Tryphaina wird zur ersten Person, die durch Theklas Mission für diesen Glauben gewonnen wird. Die Frauensolidarität in den Theklaakten ist nicht ungebrochen. Wo aber eine Frau Thekla in den Rücken fällt, ist eine andere da, um sie zu verteidigen. Die Löwin in der Arena verteidigt zuerst Thekla gegen eine Bärin, bis diese besiegt wird. Im Kampf mit einem Löwen kommt die Löwin dann selber um. Tryphaina hat ihre Tochter Falconilla verloren, und Falcon i11a fordert ihre Mutter im Traum auf, Thekla als Tochter 263 anzunehmen. Nicht nur Thekla erhält eine neue Mutter, sondern auch Tryphaina eine neue Tochter. Dies sind die in Erzählung umgesetzten Sprüche Jesu, daß derjenige, der "den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mut-

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Die Solidarität der Geschlechtsgenossinnen endet nicht an der Grenze von Mensch und Tier. Dieser Zug ist typisch für die legendenhafte Literatur der Alten Kirche. In den Apophthegmata Patrum gehört das neue Verhältnis von Mensch und 265 Tier wesentlich zur Abkehr von der alten Ordnung der Welt. Wer den "bios angelikos" auf Erden lebt, lebt nicht mehr in Feindschaft zu den Tieren; die eschato1ogisehe Vision der wiederhergestellten Schöpfung realisiert sich bereits in der Wüste. Die Tiere sehen in den Asketen und Asketinnen, den Wüstenbewohnern, nicht mehr ihren Feind, sondern sie erkennen die in diesen Menschen wohnende Heiligkeit. So gehört die wilde Löwin, die beim Tierumzug Theklas Füße leckt, in die Reihe der Frauengestalten, die Thekla beschützen. Genau diese Löwin ist es dann auch, die in der Arena stellvertretend für Thekla kämpft. Als diese Löwin stirbt, klagen die Frauen sehr laut, denn die Löwin war Theklas βοηθός ,2 6 7 Ganz massiv wird das Eintreten der Frauen für Thekla, als OfLQ sie die Tiere in der Arena mit Gewürzen betäuben. Die Frauen widersetzen sich damit offen ihrer Obrigkeit. Sie sind nicht mehr bereit, den Beschluß des Statthalters einfach hinzunehmen. Allerdings hat ihr Eingreifen nicht den gewünschten Erfolg, denn neue Tiere werden herbeigebracht. 269 Das Bekenntnis der Frauen am Schluß " ΕΪς θεός " könnte ein Hinweis darauf sein, daß gerade die Frauen sich durch den Märtyrerkampf einer Frau zum Christentum bekeh270 ren. Obwohl sie von Anfang an für Thekla, die als Christin verurteilt wurde, Partei ergreifen, ist nicht deutlich, ob diese Frauen bereits Christinnen sind. -Das Bekenntnis könnte die Umkehrung andeuten, die durch das Verhalten und die Person Theklas bewirkt wurde. 5.3.9.

Die Theklaakten und der Aufbruch des Mönchtums

Zeitlich gehören die Theklaakten und der Aufbruch des frühen Mönchtums verschiedenen Epochen an. Die Theklaakten liegen uns als ein Stück der Unterhaltungs- und Romanliteratur vor, und das Mönchtum begegnet uns als soziale Bewe-

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gung. Wie können beide miteinander in Beziehung gesetzt werden? Ich hoffe, deutlich gemacht zu haben, daß die Theklaakten uns zwar als Literaturgattung vorliegen, daß hinter ihnen aber genauso eine soziale Bewegung stand, das Wanderasketentum der frühen Kirche. Theklaakten und frühes Mönchtum haben einiges miteinander gemeinsam. Die Seligpreisungen, die Paulus in Ikonium pre271 digt, könnten als Beschreibung des frühen Mönchtums dienen. ‘Εγκράτεια und άγνεία sind die wichtigsten Ideale der asketisch-monastischen Bewegung. 272 Die Asketen und Asketinnen trennen sich von dieser Welt und suchen die Wüste als Lebensraum auf. 273 Sie verstehen ihre Lebensweise als Nachahmung der Engel. 274 Martin Blumenthal hat eine für unseren Zusammenhang interessante Beobachtung gemacht, die auf eine Kontinuität zwischen Apostelakten und Mönchtum hindeutet. "Die späteren Akten vertreten die kraftbewußte Stimmung der nachkonstantinischen Zeit; Tempelstürmen und Verfolgungen des Heidentums gilt ihr Interesse. Demgegenüber weiß man mit der Askese nicht viel anzufangen; sie verschwindet aus den Akten und geht in die Mönchs 1iteratur über. So steht die Entwicklung der Akten in engster Beziehung zum Verlaufe der Kirchenge275 schichte überhaupt." In seiner Studie zum "bios angelikos" zeigte K.S. Frank, daß die frühen Mönche sich als Nachfolger verstanden, Nachfolger Christi, der Propheten, der Apostel usw. Unter den ? 7 fi Aposteln spielt Paulus eine große Rolle. Auch Frauen galten als nacheifernswerte Vorbilder. "Häufig wird die Paulusschülerin Thekla als Vorläuferin des asketischen Lebenswandels und damit als nachahmenswerter τύπος vorgestellt." 277 "Wenn die Nachfolge der Apostel im frühen Mönchtum zur 'vita apostolica' führte, so darf das nicht dahin verstanden werden, daß damit die apostolisch-tätige, gar missionarisch-wir kende Seite des Mönchslebens getroffen werden sollte. Die an geführten Beispiele sollten zeigen, daß der Mönch in seiner nachvol1zogenen 'vita apostolica' es zur gleichen Vollkommenheit und Heiligkeit gebracht hat wie seine Vorläufer in

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der urkirchlichen und apostolischen Zeit. Mehr als aus den Evangelien wurde das dafür nötige Apostelbild aus den apokryphen Apostelakten entnommen." 278 Georg Kretschmar stellte bei seiner Untersuchung der Thomasakten fest, daß "im syrischen und griechischen bereits bestimmte Worte (auftauchen ), die später als feste Termini für die Lebensform der Asketen, besonders der syrischen Wanderasketen belegt sind und anscheinend schon in den Thomasakten technisch verwandt zu werden beginnen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß offenbar auch in diesen Akten die Gestalt des Apostels unter dem Einfluß des zeitgenössischen Wanderasketentums gezeichnet wird." 279 Die bei Kretschmar zur Diskussion stehenden Termini sind 280 beides Begrifim Griechischen ξένος und άποτεταγμένος fe, in denen das frühe Mönchtum sein Selbstverständnis zum 281 Ausdruck bringt. Das, was Kretschmar für die Thomasakten beobachtet, läßt sich auch für die Theklaakten nachvo 11ziehen . Die Seligpreisungen reden von denen, " ol άποταξάμενοι. τφ κόσμψ τουτψ ." 282 Von Paulus wird als von dem fremden Mann ( άνδρί. ξένψ ) ge283 284 sprochen. In Antiochien nennt sich Thekla " τήν ξένην ", Sie gibt damit zutreffend ihre Situation wieder, Antiochien ist nicht ihre Heimatstadt und sie kennt dort niemanden; Paulus hat gerade abgelehnt, etwas mit ihr zu tun zu haben. Gleichzeitig kommt dieser Selbstbezeichnung, ähnlich wie δούλη θεού , noch mehr an Gewicht zu als nur das einer nüchternen Beobachtung. Als Wanderasketin ist Thekla überall eine Fremde, das Fremdsein ist wesentliches Element ihres Lebenssti 1s. Die verstorbene Falconilla erscheint ihrer Mutter im Traum und beauftragt sie, Thekla an Kindesstatt anzunehmen. Sie beschreibt Thekla mit folgenden Worten:" τήν ξένην τήν ppc έρημον ". Die Asketen und Asketinnen der frühen monastischen Bewegung zogen in die " έρημία ", sie wurden "Eremiten" genannt.^®® Wir wissen nicht, wieviele andere Frauen auch so lebten wie Thekla. Spätere Zeiten waren versucht, sie zu einer Einzelfigur zu erheben, für die es keinen Vergleich gebe. Mei-

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ner Ansicht nach wären die Theklaakten nicht geschrieben worden, hätte es nicht Frauen wie Thekla gegeben. Diese Frauen nahmen vieles vorweg, was Frauen in Makrinas Generation entdeckten. Thekla trennt sich von ihrer Familie, ihrer Stadt und zieht in die Fremde, als "Eremitin", durch die verschiedenen Städte Kleinasiens. Sie lebt in einer Zeit und Gegend, in der das Christentum erst dabei ist, Fuß zu fassen. Das unterscheidet ihre Zeit von der Makrinas. Noch ein Element soll genannt werden, das eine Verbindung zwischen Theklaakten und frühem Mönchtum sichtbar werden läßt. Nachdem Paulus aus Ikonium vertrieben worden ist, hält er sich in einer Grabanlage an der Straße von Ikonium nach Daphne auf. Der Aufenthaltsort wird beschrieben:" έν μνημε£ψ 287 άνοικτφ ". Aus dem Textzusammenhang ergibt sich kein einsichtiger Grund, warum Paulus gerade ein Grab als Unterkunft wählt. Von der späteren Zeit her fällt ein bezeichnendes Licht auf die Wahl dieses Ortes. Als Antonius anfängt, Mönch zu werden, zieht er sich aus seinem ägyptischen Dorf 288 zurück und wohnt für einige Jahre in einem Grab. Gräber galten als die Wohnstätten der Dämonen und gerade diesen sollte ja der Kampf angesagt werden. Synkletike läßt sich, als ersten Schritt zu ihrer Entscheidung auf dem Weg der Parthenia, in einem Grab ( ήρωεΐον ) nieder und lebt dort mit ihrer Schwester. 289 5.4.

Zur Historizität der Thekla-Gestalt

Der erste Zeuge für die Existenz der Theklaakten ist auch zugleich ihr erster großer Gegner. Zwischen 198 und 200 schrieb Tertullian sein Werk "de baptismo". Anlaß dazu war eine Frau aus der Sekte der Kainiten, die in Karthago aufgetreten war und die Taufe ganz und gar ablehnte. Tertullian versucht nun, Grundsätzliches für die Taufe und Grundsätzliches gegen die theologische Lehre von Frauen zu sagen. Im Anfang seiner Schrift betont er, daß Frauen nicht das Recht haben, zu lehren. 290 In c. 17 führt er aus, wem das Recht zusteht, die Taufe zu spenden. Als erstes dem Bischof, dann 291 den P r e s b y t e r n und D i a k o n e n mit Z u s t i m m u n g des Bisc h o f s .

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ner Ansicht nach wären die Theklaakten nicht geschrieben worden, hätte es nicht Frauen wie Thekla gegeben. Diese Frauen nahmen vieles vorweg, was Frauen in Makrinas Generation entdeckten. Thekla trennt sich von ihrer Familie, ihrer Stadt und zieht in die Fremde, als "Eremitin", durch die verschiedenen Städte Kleinasiens. Sie lebt in einer Zeit und Gegend, in der das Christentum erst dabei ist, Fuß zu fassen. Das unterscheidet ihre Zeit von der Makrinas. Noch ein Element soll genannt werden, das eine Verbindung zwischen Theklaakten und frühem Mönchtum sichtbar werden läßt. Nachdem Paulus aus Ikonium vertrieben worden ist, hält er sich in einer Grabanlage an der Straße von Ikonium nach Daphne auf. Der Aufenthaltsort wird beschrieben:" έν μνημείψ 287 άνοικτφ ". Aus dem Textzusammenhang ergibt sich kein einsichtiger Grund, warum Paulus gerade ein Grab als Unterkunft wählt. Von der späteren Zeit her fällt ein bezeichnendes Licht auf die Wahl dieses Ortes. Als Antonius anfängt, Mönch zu werden, zieht er sich aus seinem ägyptischen Dorf 288 zurück und wohnt für einige Jahre in einem Grab. Gräber galten als die Wohnstätten der Dämonen und gerade diesen sollte ja der Kampf angesagt werden. Synkletike läßt sich, als ersten Schritt zu ihrer Entscheidung auf dem Weg der Parthenia, in einem Grab ( ήρωεΐον ) nieder und lebt dort mit ihrer Schwester. 289 5.4.

Zur Historizität der Thekla-Gestalt

Der erste Zeuge für die Existenz der Theklaakten ist auch zugleich ihr erster großer Gegner. Zwischen 198 und 200 schrieb Tertullian sein Werk "de baptismo". Anlaß dazu war eine Frau aus der Sekte der Kainiten, die in Karthago aufgetreten war und die Taufe ganz und gar ablehnte. Tertullian versucht nun, Grundsätzliches für die Taufe und Grundsätzliches gegen die theologische Lehre von Frauen zu sagen. Im Anfang seiner Schrift betont er, daß Frauen nicht das Recht haben, zu lehren. 290 In c. 17 führt er aus, wem das Recht zusteht, die Taufe zu spenden. Als erstes dem Bischof, dann 291 den P r e s b y t e r n und D i a k o n e n mit Z u s t i m m u n g des Bisc h o f s .

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In Ausnahmefällen kommt auch Laien dieses Recht zu ( alioquin etiam laicis jus est). 292 Was ist unter "Laien" zu verstehen, sind auch Frauen damit einbezogen? Auf diese Frage geht Tertullian im weiteren Verlauf desselben Kapitels ein. "Die Frechheit der Frau, die für sich in Anspruch genommen hat, zu lehren, wird sich doch wohl nicht auch das Recht, zu taufen, verschaffen... Wenn die, die die fälschlicherweise den Namen des Paulus tragenden Schriften lesen, das Beispiel Theklas für die Erlaubnis der Frauen, zu lehren und zu taufen, verteidigen, so sollen sie wissen, daß der Presbyter in Asien, der diese Schrift zusammengestellt hat, als ob er dem Ansehen des Paulus aus seinem eigenen etwas hinzufügen könne, nachdem er überführt war und gestanden hatte, dies aus Liebe zu Paulus getan zu haben, aus seinem Amt entfernt wurde. Denn wie sollte es zu glauben sein, daß der, der den Frauen hartnäckig nicht erlaubte, zu lernen, der Frau die Macht, zu lehren und zu taufen, gegeben habe. 'Sie sollen schweigen und zu Hause ihre Männer befragen.'" 293 Zu dieser Reaktion des Tertullian gibt es vieles zu sagen. Wir gehen heute davon aus, daß die Paulusakten im 2. Jahrhundert entstanden, aber selber so verstanden sein wollten, daß sie authentische Paulustraditionen überlieferten. Daß ein kleinasiatischer Presbyter die Akten zusammengestellt und aufgeschrieben hat, ist durchaus möglich. Das Verfahren, das er anwendete, ist dasselbe wie bei den pseudo-pau1inisehen Briefen. Unter dem Namen des Paulus wurden Briefe verfaßt, die angesichts neuer Probleme den Apostel sprechen ließen, wie z.B. die Timotheusbriefe. Dieses Vorgehen galt nicht als Fälschung, sondern als legitime Fortschreibung der 294 Tradition. Tertullian besteht darauf, daß die Akten nicht von Paulus selber stammen und eine Fälschung sind, weil er mit der in ihnen enthaltenen Lehre nicht einverstanden ist. Der Skopus von c. 17 des Werkes "de baptismo" liegt darin, zu zeigen, daß Frauen nicht das Recht haben, zu taufen. Wenn die Paulusakten nun eine offenkundige Fälschung sind, kann sich nach Tertullians Meinung niemand zu Recht auf sie berufen . Von der Frontstellung des Tertullian ausgehend kann man

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vermuten, daß Frauen in Karthago mit Berufung auf Thekla 295 das Recht zu taufen für sich in Anspruch nahmen. Tertullian nimmt den Ausgangspunkt der Schrift bei in Karthago auf gebrochenen Problemen und seine Reaktion wäre in ihrer Heftigkeit nicht verständlich, wenn er nur gegen eventuelle Möglichkeiten zu Felde ziehen wollte. Tertullian argumentiert zweigleisig: das Werk der Theklaakten ist eine Fälschung, und außerdem stimmt es theologisch nicht mit der Lehre des Paulus, die aus den, kanonischen Briefen bekannt ist, überein. Aber darum ging es ja gerade den Tradenten der Thek1a-über1ieferung: zu sagen, daß ein Paulus vorstellbar ist, der Frauen zu apostolischem Dienst berief, zu lehren und zu taufen. Im Grunde dreht sich die Auseinandersetzung zwischen Tertullian und dem Presbyter um die Frage der richtigen Paulus-Rezeption an diesem Punkt. Wenn um 200, also etwa fünf bis fünfzehn Jahre nach ihrer Entstehung, die Theklaakten in Karthago bekannt sind, läßt das auf eine enorm schnelle Verbreitung schließen. 296 Zumindest Tertullian kannte die Akten und auch Teile der Christen in Karthago. Sehr verständlich wäre es, wenn die Thekla akten besonders unter Frauen großen Anklang fanden, worauf die Äußerungen Tertullians hindeuten. 297 Tertullian sagt, daß die Schriften eine Fälschung seien, er sagt jedoch nichts zur Person Theklas. Da er es allerdings für absolut unmöglich hält, daß eine Frau lehren und taufen könne, wird er auch Theklas Existenz kaum für historisch halten können. Jedenfalls eine taufende und predigende Thekla kann es in seinen Augen nicht gegeben haben. Tertullians Diktum konnte jedoch nicht verhindern, daß die Akten sich weiter verbreiteten und zu einer beliebten Unterhaltungs- und Erbauungsliteratur wurden. 298 Ebensowenig konnte Tertullian verhindern, daß Thekla zum Vorbild für viele Frauen wurde. Die Meinungen über die Historizität Theklas gehen auch in der Moderne weit auseinander. Carl Holzhey brachte seine An299 sicht 1905 auf den Ausdruck :"fabu1a tota". Adolf von Harnack äußerte:"Es ist unwahrscheinlich, daß der Romanschreiber diese Figur einfach erfunden hat. Es wird wirklich ein

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von Paulus in Iconium bekehrtes Mädchen, namens Thecla, gegeben haben, die in der Mission tätig gewesen ist.""^^ Friedrich Heiler nimmt in der legendären Ausschmückung einen "Wahrheitskern" an. "Danach wurde Thekla von Paulus zur Evangeliumsverkündigung bevollmächtigt:1Gehe hin und lehre das Wort Gottes!1 Sie lehrte nicht nur in Frauengemächern - so im Hause der Tryphaina in Ikonium - sondern taufte auch viele. „301 Ludwig Radermacher, der Thekla fast nur als Schablone zu antiken Vorbildern betrachtet, nimmt dennoch an, daß sie gelebt hat. "Wir haben keinen sicheren Anlaß zu zweifeln, daß 302 eine christliche Märtyrerin namens Thekla existie'rt hat". Für Kurt Aland zeigen die Theklaakten, "welchen Ansehens eine Frau sich damals in der Gemeinde noch hat erfreuen kön„303 nen." Selbst Bardenhewer, der sein moralisches Vernichtungsurteil gegen die gesamten Apokryphen schleuderte, gesteht Thekla Historizität zu:"Aber Körner geschichtlicher Wahrheit kann auch eine Dichtung in sich bergen. Es wird wirklich eine Thekla in Ikonium gelebt und durch Paulus den Weg zur Wahrheit gefunden und um ihres Glaubens willen Verfolgung erlitten haben. Die reichen Zeugnisse der späteren kirchlichen Literatur über Thekla können nicht in Bausch und Bogen auf die Akten zurückgeführt werden." 304 Wie können heute nicht mehr zweifelsfrei beweisen, ob eine Frau mit Namen Thekla zu der Zeit in Ikonium lebte, als Paulus dort missionierte. Das scheint mir auch nicht das Wichtigste zu sein. Entscheidend ist es, herauszuarbeiten, daß es solche Lebenformen von Frauen, wie die Theklaakten sie darstellen, gegeben hat. Wenn es diese Lebensform für Frauen gegeben hat, dann hängt nicht das ganze Gewicht der Beweislast an der Person Theklas. Die neutestamentlichen Forschungen der letzten Jahre haben vergessene Frauentraditionen ans Licht bringen können, wie z.B. die Forschungen Bernadette Brootens die der Apostolin Junia. 305 Zieht man die große Beteiligung von Frauen in der Nachfolge Jesu in Betracht, dann ist es nicht unwahrscheinlich, daß Frauen auch in den

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folgenden Generationen sich weiter aktiv an der Ausbreitung der Christusbotschaft beteiligten. Auch hier gilt, was Fairy von Lilienfeld in bezug auf die Nino-Traditionen aussprach: οΓ)c wir müssen mit dem Vergessen von Traditionen rechnen. Das, was wir im 20. Jahrhundert für möglich oder unmöglich halten, darf nicht von vornherein den Horizont dessen begrenzen, was im 2. Jahrhundert und in der ganzen Alten Kirche möglich gewesen sein kann. 5.5. Die Entwicklung der Thekla-Tradition 5.5.1. Das Symposium des Methodius von Olympos Gregor von Nyssa ist einer der ersten Kirchenväter, von dem wir wissen, daß er die Gestalt Theklas und das weiblihhe Mönchtum in Verbindung brachte. Vor ihm gab es andere Theologen, die den Weg dahin vorbereiteten. Zu ihnen gehört Methodius von Olympos. Methodius von Olympos schrieb zwischen 260 und 290 ein Werk mit dem Titel " συμτιόσιον ", das sowohl stilistisch als auch der Form nach Platos Symposium nachahmt. 307 Inhaltlich ist es eine einzige große Lobrede auf die Parthenia, 308 die von zehn Parthenoi vorgetragen wird. Alle zehn Rednerinnen zeigen sich in den Regeln der Rhetorik bestens unterrichtet. Arete, die 11. Teilnehmerin, ist Leiterin und Initiatorin des Gesprächs, die immer wieder kommentierend eingreift und die einzelnen Parthenoi zum Reden auffordert. Musurillo ging davon aus, daß Methodius bei der Abfassung seines Werkes einen bestimmten Adressatenkreis im Auge hatte. "Concrètement, je pense qu'il visait à l'édification de la mystérieuse Dame de Termesseus, et sans doute d'une communauté de femmes consacrées, en Lycie." 309 Thekla, die als achte Redenerin auftritt, hält eine außergewöhnlich lange Rede, die hauptsächlich der Auslegung von 310 Apk 12,1-6 gewidmet ist. Bevor sie zu reden beginnt, wird Thekla den anderen Frauen von Arete vorgestellt. Ihr Wissen in bezug auf das Evangelium und das Göttliche wird allen anderen Frauen gegenüber hervorgehoben, da Thekla von Paulus unterrichtet worden sei.311 Paulus spielt auch in den Reden

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folgenden Generationen sich weiter aktiv an der Ausbreitung der Christusbotschaft beteiligten. Auch hier gilt, was Fairy von Lilienfeld in bezug auf die Nino-Traditionen aussprach: wir müssen mit dem Vergessen von Traditionen rechnen. Das, was wir im 20. Jahrhundert für möglich oder unmöglich halten, darf nicht von vornherein den Horizont dessen begrenzen, was im 2. Jahrhundert und in der ganzen Alten Kirche möglich gewesen sein kann. 5.5. Die Entwicklung der Thekla-Tradition 5.5.1. Das Symposium des Methodius von Olympos Gregor von Nyssa ist einer der ersten Kirchenväter, von dem wir wissen, daß er die Gestalt Theklas und das weiblihhe Mönchtum in Verbindung brachte. Vor ihm gab es andere Theologen, die den Weg dahin vorbereiteten. Zu ihnen gehört Methodius von Olympos. Methodius von Olympos schrieb zwischen 260 und 290 ein Werk mit dem Titel " συμτιόσιον ", das sowohl stilistisch als auch der Form nach Platos Symposium nachahmt. 307 Inhaltlich ist es eine einzige große Lobrede auf die Parthenia, 308 die von zehn Parthenoi vorgetragen wird. Alle zehn Rednerinnen zeigen sich in den Regeln der Rhetorik bestens unterrichtet. Arete, die 11. Teilnehmerin, ist Leiterin und Initiatorin des Gesprächs, die immer wieder kommentierend eingreift und die einzelnen Parthenoi zum Reden auffordert. Musurillo ging davon aus, daß Methodius bei der Abfassung seines Werkes einen bestimmten Adressatenkreis im Auge hatte. "Concrètement, je pense qu'il visait à l'édification de Ta mystérieuse Dame de Termesseus, et sans doute d'une communauté de femmes consacrées, en Lycie." 309 Thekla, die als achte Redenerin auftritt, hält eine außergewöhnlich lange Rede, die hauptsächlich der Auslegung von 310 Apk 12,1-6 gewidmet ist. Bevor sie zu reden beginnt, wird Thekla den anderen Frauen von Arete vorgestellt. Ihr Wissen in bezug auf das Evangelium und das Göttliche wird allen anderen Frauen gegenüber hervorgehoben, da Thekla von Paulus unterrichtet worden sei.0,1 Paulus spielt auch in den Reden

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der übrigen Parthenoi eine wichtige Rolle Nach Beendigung ihres Vortrages wird Thekla gelobt:"*βς λίαν άγωνιστικώς 31 3 ή θέκλα καί ένδόξως ." Die eigentliche Bedeutung Theklas kommt erst am Schluß zum Ausdruck, als Arete Thekla vor allen anderen heraushebt. Allen anwesenden Parthenoi spricht Arete für ihre Reden den Sieg zu und alle will sie bekränzen, "Thekla aber mit dem größten und dichtesten Kranz, denn sie leuchtet als erste und herrlichste unter euch." 314 Zum Abschluß stellen sich alle Parthenoi als Chor im Kreis auf, um einen Psalm zu singen. Thekla wird aufgefordert, an31 5 zufangen und vorzusingen. Der Platz Theklas, zur Rechten der Arete, deutet auf ihre Ehrenstellung hin. Nach dieser Einleitung wird der folgende Hymnus so gesungen, daß Thekla alle 24 Strophen singt, während die anderen Frauen jeweils mit den Refrain antworten. Der Refrain bezieht sich auf die neutestamentl iche Perikope der klugen Jungfrauen und lautet: " *Αγνέυω σοι καί λαμπάδας ωαεσφόρους κρατοϋσς: νυμφίε, ύπαντάνω σοι #ν 3 1 6 Die vierte Strophe des Psalms spielt auf die Berichte der Theklaakten an, auf die beiden Martyrien:" έτλην δέ καί πυρός φλόγα καί θηρίων άνημέρων όρμάς βροτοφθόρους ." 317 Auch die fünfte Strophe paßt zu den Erlebnissen Theklas, denn es heißt in ihr, daß sie nicht an das Vaterland und nicht mehr an die Mutter denke. "Denn Du, Christus, bist mir 318 alles." In der 11. Strophe wird Abel erwähnt als einer, der den Tod Christi als Typos vorgebildet hat ( προεκτυ31 9 πών ). Mit Abel beginnt die Aufzählung einer Reihe von Vorbi 1dern ,die mit de.r Gottesmutter Maria ( ζωητόκος ) en320 321 det; zwischen Abel und Maria werden genannt: Susanna, 322 323 die Tochter des Jephta, Judith und Johannes der Täu324 fer. Diese Aufzählung weist große Ähnlichkeit auf mit dem Gedicht Gregors von Nazianz, in dem er Thekla in einer ähnlichen Reihe von Glaubensvorbildern erwähnte. 325 Während Thekla bei Gregor von Nazianz ein Glied in dieser Kette bildet, ist sie bei Methodius diejenige, die das ganze Gedicht vorträgt. Der Epilog, in dem Methodius zwei Frauen alles vorher Ge-

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schilderte kommentieren läßt, beginnt mit dem Ausruf " ά££ως " für Thekla:"sie ist würdig, daß sie den ersten Preis erhält. " 326 Über das Leben des Methodius ist nur sehr wenig bekannt, soviel ist jedoch sicher, daß er im Raum Kleinasien lebte. "Vieles spricht dafür, daß er als freier Lehrer und Asket in Lycien und vielleicht auch in Pamphylien lebte." 327 Die Thekla-Traditionen, die in Kleinasien große Verbreitung fanden, können ihm hier begegnet sein. Über die Namen der übrigen im Symposium auftretenden Frauen ist nichts weiter auszumachen, als daß es in Kleiansien verbreitete christliehe Frauennamen sind. 328 Wir wissen nichts darüber, welche Traditionen über Thekla, außer den Akten, Methodius vorfand. So muß die Frage offenbleiben, wieweit das Theklabild des Methodius Spiegelbild seines eigenen literarischen Schaffens oder der Vorarbeiten anderer ist. Zwischen der Abfassung der Theklaakten und der Entstehung seines Werkes liegen etwa 100 Jahre, in denen die Theklaakten Möglichkeiten hatten, die Verehrung Theklas auszubreiten. Als ein sehr wichtiges Element für die Verbreitung der Thekla-Verehrung in Kleinasien muß die Stadt Seleukia in Betracht gezogen werden, über deren Verbindung mit dem Thekla-Kult wir allerdings erst Nachrichten haben, die dem 4. Jahrhundert angehören. 5.5.2.

Die Thekla-Verehrung in Seleukia

Die von Lipsius edierte Handschrift der Akten endete damit, daß Thekla von Ikonium aus nach Seleukia ging ( άπβλθεν 329 ε£ς Εελεύκιαν ) und dort eines friedlichen Todes starb. Unter allen im Verlauf der Akten genannten Städten scheint Seleukia keine besondere Bedeutung zuzukommen. Diese Stadt wird nun aber gerade der Heimatort und Mittelpunkt der Thek330 laverehrung. Bernhard Kötting geht davon aus, daß die Theklaakten bereits Ausdruck eines in Seleukia verankerten Kultes sind. "Am Ende des 2. Jhs ist die Geschichte der Thekla schon in Karthago bekannt, um so mehr in Kleinasien, etwa in ihrer Geburtsstadt Ikonium. Ihr Kult, zumindest in

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Seleukia, geht den Akten vorher, reicht also noch in frühere Zeiten zurück... Da die Ausbreitung ihres Kultes sicher in die Zeit der Abfassung ihrer Akten zu datieren ist, haben wir also auch für das Ende des 2. Jhs einen regelrechten Pilgerverkehr anzunehmen, der, wenn auch zunächst aus näherer Umgebung, etwa bis Ikonium hin, nach Seleukia strömt. Die Anfänge des Pilgerns zu Heiligenwallfahrtsorten gehen also auch schon bis ins 2. Jh zurück, ebenso wie die Pilgerfahrten zum Hl. Land. " 331 Allerdings liegen Kötting für das 2. Jahrhundert außer den Akten keine anderen Quellen vor. Für das 4. Jahrhundert ist bekannt, daß Gregor von Nazianz sich am Heiligtum der Thekla aufhielt und daß es dort Frauenklöster gab. 332 Neben der von Lipsius als Text edierten Handschrift gibt es noch andere Manuskripte der Theklaakten, die über das Lebensende der Heiligen sehr unterschiedlich berichten. Dagron teilt die verschiedenen Versionen in drei Kategorien ein. Kategorie I ist die von Lipsius als Text edierte Version. 333 Version II berichtet, daß Thekla sich in einer Grotte ( σπήλαιον ) außerhalb der Stadt Seleukia niederläßt. Ihr Ruf verbreitet sich und Frauen schließen sich ihr an ( τινες των εύγενίδων γυναικών... καί πολλαΐ έξ αύτών άπετάξαντο τφ 334 ßttp καί. συνήσκουν αύτξί ). Die heidnischen Ärzte der Stadt fühlen sich durch Theklas Heilungswunder bedroht und meinen, ihre Kraft durch eine Vergewaltigung zerstören zu können. Vor den zu der Schandtat gewonnenen Männern wird Thekla auf ihr Gebet hin gerettet, indem der Fels sich öffnet. Sie verschwindet in dem Felsen, um nicht mehr zurückzukehren. Die Angreifer behalten nur ein Stück ihres Gewandes zurück. Der Schluß dieser Version hält fest, daß Thekla insgesamt 90 Jahre lebte, 18 Jahre vor ihren Martyrien und 72 danach in Askese. 333 Die III. Version erzählt, daß Thekla angesichts der drohenden Gefahr der Vergewaltigung lebend in den Felsen eintritt und unterirdisch nach Rom wandert, um dort Paulus zu suchen. Als sich herausstellt, daß Paulus bereits tot ist, stirbt Thekla ebenfalls und wird in der Nähe, ihres Meisters

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begraben. Diese Version schließt damit, daß Thekla 90 Jahre OQC alt wurde und am 24. September starb. Der Grundstock der Version II stammt nach der Datierung 337 Festugières aus dem 4. Jahrhundert, Version III könnte 338 aus dem 7. Jahrhundert stammen. Aus der Zeit um 4oo besitzen wir den Bericht einer Pilgerin, die in Seleukia Station machte und den Kultort Theklas 339 besuchte. Aetheria bereiste in Ägypten, Palästina, Mesopotamien und Kleinasien Erinnerungsstätten, die das Leben Christi, der Heiligen des Alten Testamentes und der Apostel und Märtyrer bezeugen. In Ephesus macht sie Station, um am Martyrium des Apostels Johannes zu beten, 340 in Edessa, um ·■ den Apostel Thomas zu verehren. 341 Uber drei Märtyrer-Verehrungsstätten berichtet Aetheria, über den Märtyrer Helpidius 342 in Mesopotamien, über die Märtyrerin Euphemia in Chalce343 don und über die heilige Thekla. Hätte Aetheria alle im 4. Jahrhundert bekannten Kultstätten von Märtyrern besuchen wollen, hätte ihre Reise viel länger gedauert. Aetheria wähl te bestimmte Orte aus, nach welchen Gesichtspunkten, wissen wir nicht. Es ist aber zu vermuten, daß sie die Kultorte derjenigen Heiligen besuchte, die ihr besonders nahestanden. So ist es auffällig, daß sie in Kleinasien gerade die Vereh· rungsstätten von zwei Märtyrerinnen aufsuchte. 344 Uber den Aufenthalt in Chalcedon berichtet Aetheria nur in einem halben Satz, ihre Beobachtugen in Seleukia dagegen hält sie genau fest. Darf man daraus schließen, daß Thekla für Aetheria unter den Heiligen der apostolischen Zeit eine besondere Bedeutung hatte?"^ Aetheria berichtet, daß bei Seleukia auf einem Hochplateau außerhalb der Stadt das "martyrium sanctae Teclae" 346 liegt. "Ibi autem ad sanctam ecclesiam nichil aliud est nisi 347 monasteria sine numero uirorum ac mulierum." Inmitten der Klöster auf dem Hügel "befindet sich eine hohe Mauer, die eine Kirche einschließt, in der das Martyrium ist." 348 Aethe ria berichtet weiter, daß die Mauer errichtet wurde, um die Kirche gegen die Angriffe der umwohnenden Isaurier zu schü-

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tzen. Der eigentliche Verehrungsort ist die Kirche mit dem Martyrium. " Ibi ergo cum uenissem in nomine Dei, facte oratione ad martyrium nec non etiam et lectus omnis actus sanc349 tae Teclae". Wie an den heiligen Stätten Palästinas jeweils die entsprechenden Schrifttexte des Alten und Neuen Testamentes gelesen wurden, 350 so liest Aetheria hier die Theklaakten, die über das Leben der Heiligen berichten. 351 Da ausdrücklich von dem "actus sanctae Teclae" die Rede ist, werden wir davon ausgehen können, daß am Ort der Thekla-Verehrung auch nur dieser Teil der Paulusakten verlesen wurde. Bardenhewer sah die Ursache für die Heraustrennung der Theklaakten als Einzelstück aus den Paulusakten darin, daß sie "als kirchliche Festlektion dienen sollte(n)." 352 Aetheria weiß anscheinend nichts davon, daß die Theklaakten als apokryph und damit nicht zur öffentlichen Lesung geeignet verurteilt wurden, sondern die Akten haben für sie den gleichen Wert zur Bezeugung eines heiligen Lebens wie die Heiligen Schriften. Für sie gibt es auch keine Zweifel an der Existenz Theklas, die genauso gelebt hat, wie alle anderen von ihr besuchten Heiligen. Thekla hat einen festen Kultort, ganz in der Nähe der Paulusstadt Tarsus, mit einem Martyrium als Mittelpunkt. Wie allerdings dieses Martyrium aussieht, beschreibt die Pilgerin nicht. Auffallend für die vielgereiste Berichterstatterin sind die vielen Klöster, die sie zweimal erwähnt und deren Anzahl sie mit "sine numero" wiedergibt. 353 Was bedeutet dieses "zahllos"? Erlag Aetheria hier einem Hang zur Übertreibung, der vielen Berichterstattern ihrer Zeit 354 eigen ist? Auf jeden Fall war das Plateau um die TheklaKirche ein monastisches Zentrum, das viele Frauen und Männer angezogen hatte. 355 Während Aetheria in ihrem Bericht viele Male "monachi" 356 und "monasteria" erwähnt, ist es das erste Mal bei der Beschreibung des Theklakultes, daß sie von Frauenklöstern 357 spricht. Von "virgines" redet sie nur ein einziges Mal oC0 und zwar im Zusammenhang der Klöster in Seleukia. Bei der Beschreibung der Liturgie von Jerusalem kommen "mona-

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zontes et parthenae" vor, die augenscheinlich außerhalb Jerusalems, vermutlich auf den Hügeln des Zion, wohnen. 359 5.5.2.1.

Die Apotaktiten

In Seleukia trifft Aetheria auf eine Bekannte, die sie in Jerusalem kennengelernt hatte, als diese ebenfalls eine Pilgerreise unternahm. Diese Bekannte heißt Marthana ( sancta diaconissa nomine Marthana) und leitet Klöster des TheklaHeiligtums (haec autem monasteria aputactitum seu uirginum 360 regebat). Aetheria bleibt zwei Tage am Kultort, dem heutigen Dorf Ayatekla, und sieht in dieser Zeit viele Mönche und Apotaktiten (Ac sic ergo facta ibi biduo uisis etiam sanctis monachis uel aputactitis, tarn uiris quam feminas, qui ibi erant ... ) Eingangs hatte Aetheria beschrieben, daß es in Seleukia 3 6? "monasteria uirorom ac mulierum" gebe. Zweimal erscheint im Zusammenhang mit den Klöstern der Begriff "Apotaktiten". Im ersten Fall scheinen die Apotaktiten und Virgines sich zu entsprechen, im zweiten Fall wird betont, daß es sich bei den Apotaktiten um Männer und Frauen handelt. Während der Terminus "monachi" bei Aetheria den männlichen Asketen vorbehaloc o ten ist, erwähnt sie an zwei weiteren Stellen, an denen Apotaktiten Vorkommen, ausdrücklich, daß es sich dabei um Frauen und Männer handelt. 364 Sind demnach Mönche und Apotaktiten voneinander zu unterscheiden? In der Beschreibung Aetnerias der Gottesdienste in Jerusalem bestätigt sich dieser Eindruck, wenn dort beide als unterscheibare Größen aufgeführt werden (... turbae non solum monachorum uel aputac365 titum...). Die hier genannten Mönche und Apotaktiten stammen selber nicht aus Jerusalem, sondern aus Mesopotamien, 366 Syrien und Ägypten, wie genau beschrieben wird, so daß wir auf eine weite Verbreitung der Apotaktiten schließen können. Aus c. 44 von Aetherias Bericht geht hervor, daß die Apotaktiten sich sowohl vom Volk als auch vom Klerus unter3 fi7 scheiden. Die Apotaktiten spielen nach der Schilderung Aetherias eine wichtige Rolle in den Gottesdiensten Jerusalems und fallen a 15 Gruppe durch ihre strenge Fastenpraxis 3fiQ auf. Außer der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten nehmen

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sie pro Tag nur eine Mahlzeit zu sich. 3 6 9 Hélène Pétré sieht in den Apotaktiten, über die Aetheria berichtet, eine Art freies Asketentum. "Cependant les aputàc titae ne se rencontrent pas exclusivement à Jérusalem, et, dans deux passages, ce nom, coordonné à monachi, suggère qu'un peu partout on rencontrait de ces hommes et de ces fern mes voués à une vie de prière et de pénitence, sans être entièrement séparés du monde, tantôt vivant d'aumônes, tantôt conservant l'administration de leurs biens pour en consacrer les revenues aux pauvres. Ce sont sans doute les mêmes que ces Remoboth si fort malmenés par l'irascible saint Jérôme, 370 les Sarabaitae de Cassien." Vielleicht müßte man doch etwas vorsichtiger sein, mit der Gleichsetzung, die H. Pétré hier vornimmt. Denn der gros se Unterschied zwischen den Apotaktiten Aetherias und den Remoboth des Hieronymus 371 und den Sarabaiten des Johannes Cassian 372 liegt darin, daß erstere von den Apotaktiten als hoch zu schätzenden Asketen spricht, während die beiden Kirchenväter Gruppen beschreiben, die ihrer Ansicht nach kaum den Namen Asketen verdienen. Im 4. und 5. Jahrhundert gab es sehr viele verschiedene Formen asketischen Lebens, die ihren Ausdruck in den unterschiedlichen Benennungen finden, so daß wir heute nicht nachträglich vereinen und vereinheitlichen können, was damals je seine Eigenart hatte. Ein Teil der von Aetheria beschriebenen Apotaktiten lebt in Klöstern, denn Marthana leitet "monasteria aputactitum". Daß Diakonissen im Lauf des 4. Jahrhunderts in die Klöster zogen und dort leitende Aufgaben übernahmen, war bereits in 4.1.8. gezeigt worden. 3 73 Anscheinend leitete Marthana mehrere Klöster, denn Aetheria schreibt:"monasteria ... regebat". Nach allem, was wir über die Klosterstrukturen des 4. und 5. Jahrhunderts wissen, ist zu vermuten, daß Marthana Leiterin der weiblichen Apotaktiten war. Einen männlichen Leiter der Apotaktiten erwähnt sie nicht; daraus darf allerdings nicht geschlossen werden, daß es einen solchen mit Sicherheit nicht gab.Aetheria ging es nicht darum, die Struk turen des klösterlichen Lebens am Thek 1a-H-ei 1igtum festzu-

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halten, sondern sie berichtet über Marthana, weil sie mit ihr befreundet war, und weil sie den Empfängerinnen ihres Schreibens diese Diakonisse vorstellen möchte. 374 So wissen wir nicht, ob nur die weiblichen Apotaktiten in Klöstern lebten oder ob auch die männlichen fest organisierte Gemeinschaften hatten. Wir wissen nicht, ob die "monasteria sine numero uirorum ac mulierum" die Klöster der Apotaktiten sind oder die Klöster der von diesen noch zu unterscheidenden Asketen und Asketinnen. Gilbert Dagron, der aus dem 5. Jahrhundert stammende Wunderberichte über Thekla, die in Seleukia verankert sind, untersuchte, 375 plädiert für eine Unterscheidung von Apotaktiten und Virgines aus folgendem Grund:"Le premier terme, même s'il n'a plus de connotations hérétiques, garde une saveur particulière, et nous le retrouvons dans les Miracles à propos de femmes qui abondonnent leur famille pour s'installer au martyrium de Thècle, et qui ne sont pas exactement de 'vierges'." Eine dieser Frauen flüchtet ins Thek0 7 7 laheiligtum "dans une sorte de révolte féministe". Angesichts der Biographie dieser Frauen fragt Dagron:"Les femmes ne sont-elles pas des 'apotactites' au sens élémentaire du mot? " 378 Alanna Emmett, die sich mit asketischen Termini in griechischen Papyri beschäftigt, schreibt zu der Frage nach der Bedeutung von Apotaktiten: "Despite Egeria's description and other literary references, the place in the world of 'apotactics' and how they stand in relation to ascetics in general is far from clear." 379 Wie Emmett zeigen konnte, besagt der Gebrauch von " άποτακτικός " nichts über das Verhältnis zum materiellen Besitz, es gab sowohl Apotaktiten, die Eigentümer waren, als auch solche, die nichts besaßen. 380 Ein Papyrus aus dem Jahr 400 erwähnt zwei μοναχαΐ άποτακτικαί . "It shows the word άποτακτικός used in subordination to the word μοναχός and presumably means that not 382 all μοναχοί were άποτακτικοί ." Als Hypothese stellt Emmett drei Schritte zur Entwicklung des Verständnisses von Apotaktiten auf: "1. In the early stages of the growth of monasticism in

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Egypt, άποτάσσεσθαι and related words were current in church circles as expressive of the ideal and άποτακτικός was digestible by officialdom as well for the withdrawers. 2. As monasticism developed, άποτακτικός accumulated more usages but remained a term which drew a line between those who remained more or less in conformity with regular ways of handling family, property and other social ties and those who renounced customary patterns. 3. With the hardening of institutional forms and the spread of the terms μοναχός and then μονόζων , άποτακτικός reasserted itself in a more specialised sense, with something of the original eremitic overtones emphasized." 383 5.5.3. 5.5.3.1.

De Vita et Miraculis S. Theclae Der Verfasser

Bei Altaner/Stuiber, die noch davon ausgingen, daß dieses Werk aus der Feder des Basilius von Seleukia (+ um 468) stamme, ist zu lesen:"Sein weitschweifiges Werk de vita et miraculis s.Theclae (am Schluß verstümmelt) besitzt keinen geschichtlichen Wert. Die Wundertäterin Thekla hat im 2. Buch mehr von einer heidnischen Göttin als einer christlichen 384 Heiligen an sich." Das genannte Schriftwerk besteht aus zwei Teilen: in der Vita wird nach der Vorlage der apokryphen Theklaakten das Leben der Heiligen referiert, während der zweite Teil über Wunder berichtet, die sich in Seleukia am Sitz des ooc Theklakultes zur Zeit des Autors ereignen. André-Jean Festugière veröffentlichte 1971 .in der Sammlung "collections grecques de miracles" 31 Wunder der heiligen Thekla in französicher Übersetzung nach dem bei Migne ooc edierten Text. Drei Jahre später kündigte Gilbert Dagron in einem Aufsatz "L'auteur des 'Actes' et des 'Miracles' de sainte Thècle" 387 völlig neue Entdeckungen an, die mit der Neuherausgabe der Vita und der Mirakel 1978 zum Ab388 Schluß gebracht wurden. Anstatt der bisher bekannten 31 Wunder konnte Dagron nach zwei von ihm herangezogenen Manuskripten 46 Wunder publizieren, die ein ganz verändertes Licht auf den Autor werden.

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Eine Notiz des Photius, die ein metrisches Werk des Basilius von Seleukia über Thekla erwähnte, könnte zu dem Mißverständnis der fälschlichen Zuschreibung beigetragen ha389 ben. Die Photius noch bekannte Schrift muß heute als verloren gelten, denn es handelte sich dabei nicht um das heute unter dem Namen des Bischofs von Seleukia umlaufende Schriftstück. Aufgrund der erstmals veröffentlichten 15 zusätzlichen Mirakel kommt Dagron zu folgenden Ergebnissen :"i1 était de toute façon bien naturel d'attribuer une oeuvre parlant de Séleucie au Ve s., et qu'un accident ou une sorte de damnatio memoriae avait rendue anonyme, au seul évêque et grand 390 écrivain connu de cette ville." Vita und Mirakel stammen nicht vom Bischof, sondern von einem Anonymus, der den Bischof als seinen Gegner und sogar als seinen Verfolger betrachtete. "Ils sont, en réalité, l'oeuvre majeure et même unique d'un personnage de moindre volée, mais bien plus représentatif de son temps et de la première floraison hagiographique: un rhéteur, devenu prêtre et excommunié, doucement obsédé par la sainte à laquelle il consacre sa plume et un talent dont il n'est pas peu fier. Au demeurant, le plus violent adversaire de Basile de Séleucie, qu'il condidère comme son persécuteur, qu'il n'hésite pas à traiter de 'blanc-bec' et ivronge, et qu'il juge indigne du trône épiscopal." Die Wunder, die der Autor aus eigener Anschauung beschreibt, ereignen sich in Seleukia und der näheren Umgebung. Der Autor selber ist zunächst Rhetor, dann Priester des Theklaheiligtums. 392 5.5.3.2.

Die Theklaakten und De Vita et Miraculis S.Theclae

Der anonyme Autor des 5. Jahrhunderts ist der Meinung, daß er keine neue Geschichte über Thekla schreibe, sondern nur die alte, bereits bekannte, wiederhole. 393 Die alte Geschichte besteht in den Theklaakten, die in Seleukia viel 394 gelesen wurden, wie Aetheria berichtete. Schon im Titel des Werkes aus dem 5. Jahrhundert zeigen sich gravierende Unterschiede zu den apokryphen Akten. Während die Akten des 395 2. Jahrhunderts " Πράξεις Παύλου κοι βέκλης " hießen, lautet die Überschrift der Vita:" Πράξεις τής άγιας άπο-

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στόλου καί μάρτυρος τοϋ ΧριστοΟ θέκλας Im Verlauf des ganzen Werkes nennt der Autor Thekla immer O Q 7 wieder "Apostolin und Märtyrerin". Die Akten hatten sie zwar in ihrer Tätigkeit als Apostolin geschildert, sie aber nicht so genannt. Im 5. Jahrhundert erhält Thekla diese BeZeichnung wie selbstverständlich. 398 Wir greifen im folgenden einige bezeichnende Passagen auf, um an ihnen zu untersuchen, wie sich das Thekla-Bild gegenüber den apokryphen Akten verändert hat. Andere Aspekte, wie etwa die theologischen Veränderungen, können hier nur am Rande berücksichtigt werden. Nach einer Einleitung folgt die Vita im Aufbau der Chronologie der Akten. In der Einleitung hebt der anonyme Autor die große Bedeutung Theklas hervor und erläutert sein Vorhaben. Thekla ist für ihn nicht eine unter vielen Märtyrern und Märtyrerinnen, sondern sie ist die zweite, die auf Stephanus folgte, und die erste der Frauen ( πρώτη δέ πασών 399 Stephanus steht an der Spitze der Männer, γυναικών die für Christus gekämpft haben.und Thekla an der Spitze der Frauen, die in gleicher Weise kämpften. 400 Thekla wird vom Verfasser der Vita als παρθένος eingeführt. 401 Ihre hohe soziale Stellung wird ausführlich beschrieben, wegen ihres Reichtums und ihrer Schönheit warben außer Thamyris noch viele andere um sie. 402 Paulus wird eine ausführliche Predigt in den Mund gelegt, die zu παρθενία und άγνεία auffordert. Die Predigt enthält einige Male die Formulierung " μακαριστός hat sich aber von dem Vorbild der neutestament1ichen Seligpreisungen ganz entfernt. 400 Anders als nach dem Bericht der Akten hören Männer und Frauen, wie zweimal unterstrichen wird, Alte und Junge der Botschaft des Paulus zu, alle vergessen zu essen und zu trinken. 404 Das Verhalten Theklas wird mit gesellschaftlichen Normen erklärt: sie bleibt am Fenster sitzen und verläßt das Haus nicht, um die Predigt des Paulus zu hören, weil das den Vorschriften für ihr Alter und für unverheiratete Frauen ent-

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spricht (ή γάρ αίδώς τής ήλικίας, καί τό νόμον είναι ταΐς £τι παρθένοις μή θυραυλεΐν, άλλ' ëvôov ήρεμεΐν ).4^ Dieser Erklärung zufolge wäre es unmöglich, daß die Parthenoi das Haus des Onesiphorus betreten, um den Apostel zu hören, wie es nach dem Bericht der Acta geschah.4®^ Haben sich die Sitten zwischen dem 2. und dem 5. Jahrhundert so verändert, daß, während Parthenoi sich im 2. Jahrhundert auf den Strassen bewegen konnten, sie dieses im 5. Jahrhundert nicht mehr können? Kann man davon ausgehen, daß der Autor der Vita die Verhaltensnormen seiner Gegenwart für Frauen zum Ausgangspunkt seiner Erklärung für Theklas Betragen nahm, oder war er der Meinung, mit seiner Erklärung die zu Theklas Lebzeiten geltenden Regeln wiederzugeben? Die Mutter Theokleia läßt den Verlobten Theklas, Thamyris, rufen und berichtet ihm, daß Thekla sowohl die Mutter als auch ihn verachte ( ύπερορφ ) . 4®'7 Thamyris soll seine Thekla zu der Mädchen und Jungfrauen geziemenden αίδώς und σωφροσύνη zurückrufe n Die Mutter in den Theklaakten sprach nur von der αίδώς ihrer Tochter - mit αίδώς und σωφροσύνη greift der Verfasser der Vita das Frauenbild der Pastora 1briefe auf, die in 1 Tim 2,9 von den Frauen diese beiden Tugenden fordern. 409 Thamyris erinnert in der Vita seine Verlobte an ihre sonstige αίδώς und σεμνότης und hält einen schlechten Dämon für die Ursache ihrer Veränderung. 410 Thekla jedoch ist wie eine "der von Gott ergriffenen Frauen" und reagiert auf keine Bitten. 411 Von Paulus heißt es, daß er sich von der Ordnung des normalen Lebens entfernt habe ( καί κατά τής κοινής τού βιοϋ τάξεώς τε καί εύταξίας άλώμενος ) - darin liegt die Bedrohung, die von ihm ausgeht. Er verbietet den von der Natur vorgesehenen Weg des Heiratens und Kinderzeugens. 41 3 Nicht mehr die Verführung der Parthenoi, wie in den apokryphen Akten, wird dem Apostel vorgeworfen, sondern die Zerstörung der natürlichen Ordnung. Im 5. Jahrhundert haben sich die Christen viel mehr als im 2. Jahrhundert in der Welt und ihren Ordnungen eingerichtet und sich mit diesen identifiziert. Sie sind nicht mehr die Außenseiter, die als

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Heimatlose durch eine ihnen feindlich gesinnte Welt ziehen. Sie sind Teil der Gesellschaft, und wenn deren Ordnungen angegriffen werden, werden auch sie angegriffen. Vor dem Richter in Ikonium hält Thamyris eine Anklagerede gegen Paulus, in der er die Ehe als άρχή,ί>ίζα und πηγή aller natürlichen und sozialen Ordnungen verteidigt. 414 Theklas Besuch bei Paulus im Gefängnis wird als sehr ungewöhnlich und mutig für eine Frau beschrieben ( γυναικός 41 5 δέ άνδρικώτερον ). Der Apostel hält seiner Schülerin eine lange Rede, in der er sie auffordert:" Μηδέν έτι θήλυ Δ 1 fi φρσνήσης και &νανδρον ." Davon war in den Theklaakten nicht die Rede. Bei dem anonymen Verfasser der Vita läßt sich eine Ambivalenz beobachten: auf der einen Seite benutzt er negative weibliche Klischees und auf der anderen Seite, scheinbar davon ganz unberührt, lobt er die Frau Thekla über alle Maßen. 41 7 Am Schluß seiner Rede im Gefängnis vergleicht Paulus seine Zuhörerin mit den Aposteln Petrus und Johannes und verΛ 1Ο heißt ihr, daß sie viele Schüler haben wird. Der Richter, vor den Thekla geführt wird, fragt sie, warum sie die Ehe fliehe, und hält ihr alle Vorteile eines 41 9 ehelichen Lebens vor Augen. Die Aufgabe der Frau ist es in seinen Augen nicht, sich über Lehren wie die des Paulus Gedanken zu machen, sondern sie soll am Webstuhl und an der Spindel sitzen bleiben ( ίστψ δέ μδλλαν καϋ ήλακότη πρασκαθήσθαι δ καί μόνα γυναιΕίν, ώς είπειν, ή φύσις άπένειμεν ). Thekla schweigt zu allem. Als Begründung dafür verweist der Autor auf das seiner Ansicht nach übliche Verhalten von Frauen: der weiblichen Wohlerzogenheit und der αΙδώς einer Parthenos entspricht es, in der Öffentlichkeit 421 zu schweigen. In seinen Augen hält Thekla sich an diese gesellschaftlichen Normen. Theklas Erlebnisse auf dem brennenden Scheiterhaufen werden mit denen der drei Jünglinge in Feuerofen verglichen. 422 Paulus hält sich während dieses Martyriums in einem τύμβας auf,

A

Ο Ο

w0 Thekla, die nun

ή μάρτυς

genannt wird, ihn wie-

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4-24· derfindet. Der Apostel lobt Gott in einem Gebet für die Errettung seiner Magd ( τής δούλης σου θέκλας ) und nennt 425 diese μάρτυς , μαθήτρια und εύαγγελίστρια . Als Frucht ihrer Lebensweise wird sie Tausende von Parthenoi hervorbringen.426 Thekla kündigt dem Apostel an, daß sie ihm folgen will, nachdem sie ihr Haar geschnitten hat ( τής χορικής ταύτης καί Απατηλής κόμης ΑφελοΟσα τό πλέον ). Diese äußere Veränderung soll ihre Schönheit verdecken, die bei Männern Wünsche und sexuelle Gelüste hervorruft. 428 Paulus macht seine Schülerin darauf aufmerksam, wie schwer ihr Entschluß angesichts der "weiblichen Natur und Schwäche" zu verwirkliehen sei. 429 Wenn schon Männern der Kampf schwerfällt, wieviel schwerer ist dieser "für Frauen und Mädchen, die gerade erst aus den Frauen- und Sch 1afgemächern herausgetreten 430 sind." Wie in den Akten, so bittet Thekla auch hier vergeblich darum, die Taufe ( τήν έν Χριστώ σφραγίδα ) zu erhalten .43^ In der Schilderung der Ereignisse in Antiochien liegt ein großer Unterschied zu den Theklaakten darin, daß die Frauen nicht als Thekla unterstützende Gruppe auftreten. Thekla steht mehr als Einzelperson im Rampenlicht, als Märtyrerin, di-e schon einen Märtyrerkampf sieghaft überstanden hat. Beim Zusammentreffen mit Alexander distanziert sich Paulus von seiner Nachfolgerin und sagt, daß er nicht einmal 432 genau wüßte, " et έστι γύναιον " - ob sie eine Frau ist. Thekla verhält sich so, wie man es nach Ansicht des Verfassers der Vita nicht von einer Frau erwarten würde ( ή παρθένος θαρραλεώτερον ή κατό γυναίκα τολμήσασα καί βουλευσαμένη ), sie wehrt sich und zerreißt Alexanders Gewänder . 433 Thekla begrüßt freudig die zweite Möglichkeit zu einem Martyrium. 434 Sie fürchtet allerdings, daß Alexander versuhhen könnte, "mit Gewalt die Jungfräulichkeit zu rauben", wenn er sie allein anträfe, und bittet daher, vor dieser Schän435 dung rein bewahrt zu bleiben. Um Thekla herum haben sich einige Frauen versammelt, und eine von ihnen, Tryphaina,

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nimmt sie durch Gottes Vorsehung bei sich auf. 4 3 6 Als die wilde Löwin die Füße der Märtyrerin leckt, protestieren Frauen gegen die bevorstehende grausame Behandlung. Sie sehen in Thekla eine Frau, die leiden muß " ύπέρ σωφροσύνης, ύπέρ σεμνότητος, ύπέρ ών où προΐέται nopvetqt καί άσελγείςι τό σώμα _n437 Die im Theater während der Tierkämpfe anwesenden Frauen beschreibt der Verfasser der Vita als in zwei Gruppen gespalten: die einen begrüßen, was mit Thekla geschieht, die anderen möchten am liebsten mit ihr sterben. 438 Die drei Jünglinge im Feuerofen und Daniel unter den Löwen werden von dem anonymen Autor als Parallelen herangezogen, die allerdings von Theklas Bewahrung in der Arena an Wunderbarkeit noch übertroffen werden. 439 Die Selbsttaufe Theklas ist so dargestellt, daß Thekla sich mit der Hoffnung in die Wassergrube stürzt, durch ihren 440 Tod die Taufe zu erhalten. Als Tryphaina in Ohnmacht fällt, bittet Alexander um die Freilassung Theklas und sagt, daß er nicht wisse, wie er diese nennen solle: γυνή oder δαίμον oder κακοδαίμον 441 Thekla selber stellt sich vor dem Richter als γυνή, κόρη, ξένη und έρημος vor.^^ Nachdem er Theklas Rede vor dem Richter wiedergegeben hat, unterstreicht der Verfasser, daß das theologische Wissen der Märtyrerin weit über das anderer Frauen hinausreiche. 443 Der Statthalter bestaunt die vor ihm stehende Frau, " τό τε έντονον καί άνδρικόν τής κόρης ". 444 Er besteht darauf, daß die während der Tierkämpfe Nackte sich wieder so kleidet, wie es einer anständigen und enthaltsamen Frau zukommt .445 Ihr Beispiel hat in seinen Augen den Frauen Antiochiens gezeigt, nichts höher als die σαχρροσύνη zu ach+ Qn 446 ΐθΠ · Das Haus der Tryphaina, in dem Thekla sich nach der Freilassung einige Zeit aufhält, wird "wie zu einer Kirche", in 447 der die Märtyrerin unterrichtet und tauft. Genau wie nach dem Bericht der Theklaakten kleidet die Märtyrerin sich auch hier nach den Tierkämpfen in Männerklei-

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dung; die Begründung dafür lautet, daß sie damit ihre Schönheit verdecken wollte.44® Ihre auffallende Schönheit war ja in Antiochien für Alexander der Grund gewesen, sich für Thekka zu interessieren. Als Paulus von ihren Erlebnissen hört, bewundert er sie( έθαύμασε μέν αύτήν τήν παρθένον τής ύπομονής, τής καρτερίας, τής άνδρείας ).45° Thekla hält ihrem Lehrer gegenüber eine lange Dankrede, in der sie ihren Glauben an die Trinität darlegt und erwähnt, daß sie von Paulus "über die Gnade und die Kraft der Taufe" belehrt worden 451 sei. Von ihm habe sie den großen Gewinn von αγνεία, παρθενία, έγκράτεια, καρτερία, εύχή, νηιστεία und έλεημοσύνη 452 gelernt. Nun sei es an der Zeit, sich von ihm zu trennen. Thekla bittet ihren Lehrer, für sie als seine Tochter zu beten.453 Paulus entläßt Thekla mit einem Auftrag zur Verkündigung, der den gleichen Inhalt hat wie in den Akten, zusätzlich aber noch eine Begründung erfährt. Der Apostel sagt zu seiner Schülerin:"... Du hat die apostolischen Mühen und den apostolischen Lauf schon übertroffen, so daß Dir nichts mehr fehlt, um Apostolin und Nachfolgerin der göttlichen Botschaft zu sein. Gehe hin und lehre das Wort und vollende den evangelischen Lauf und teile meinen Eifer für Christus. Denn dazu hat Dich Christus durch mich erwählt, daß Du zum Apostelamt geführt wirst und einige der noch nicht belehrten Städte in Deine Hände gegeben werden. Es ist nötig, daß auch Du Deine Talente vermehrst." 454 Implizit war das hier Ausgesprochene auch schon in den Akten vorhanden: weil Thekla apostolisch tätig war und missionierte, erhält sie als Bestätigung ihrer schon gelungenen Tätigkeit den ausdrücklichen Auftrag. Hier heißt es, daß sie die Mühen der Apostel bereits übertroffen hat und deshalb selber auch Apostolin genannt werden kann. So selbstverständlich wie auf der einen Seite der Autor der Vita diese Bezeichnung für Thekla benutzt, so muß ihm andererseits deutlich gewesen sein, daß dieser Titel für eine Frau ungewöhnlich ist und einer Begründung bedarf. Die Begründung liegt in der Verhaltensweise dieser ungewöhnlichen Frau, die der Autor ausführlich und anschaulich geschildert hat. Theklas Gestalt setzt er deutlich gegen das Verhalten anderer Frauen

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ab, indem er in seinen Kommentaren zum Ausdruck bringt, was seiner Meinung nach weiblich und männlich sei. Damit steht im Zusammenhang, daß auch das Thema der Ehe und der geschlechtlichen Beziehungen eine ungleich größere Rolle spielen als in den Theklaakten. Die Bedrohung, die von Paulus und Thekla ausgeht, liegt in der Ablehnung der Ehe. Die Kehrseite davon ist, daß Thekla sexuellen Angriffen ausgesetzt ist. In Ikonium gab es außer Thamyris viele andere Bewerber; Thamyris fordert sie auf, die Ehe vor der offiziellen Hochzeit zu vollziehen ( περαίνωμεν γάμου ); 455 Alexander 456 geht es darum, ihre Parthenia zu zerstören und selbst die wilden Löwen lassen sich von nackten Körpern erregen. 45 7 Obwohl die Bezeichnung " δούλη θεού " noch auftaucht, 458 spielt sie gegenüber den Theklaakten eine viel geringere Rolle. Stattdessen treten Bilder der geistlichen Ehe mit Christus in den Vordergrund, die in den apokryphen Akten gar nicht erwähnt wurden. Die starke Hervorhebung der Ehe als sozialer Institution und natürlicher Lebensordnung zieht die Betrachtung des Gottesverhältnisses als eheähnliche Lebensform nach sich. In seiner Rede im Gefängnis von Ikonium verheißt Paulus seiner neu gewonnenen Anhängerin Schüler, die sie zu ihrem Bräutigam führen wird ( Μαθητεύσεις γάρ καί αύτή πολλούς άλλους καί τψ σφ νυμφίψ προσάγεις ).459 Nach dem Martyrium in Antiochien zählt der Autor der Vita auf, was Thekla alles dem Apostel Paulus verdankt und nennt u.a. die bräutliche Verbindung mit Christus ( τό άρμοσθήναι δλως καί, συναφθήναι Χριστφ In ihrer großen Abschlußdankrede an Paulus spricht Thekla die Hoffnung aus, das Reich der Himmel und Christus " τύν έμόν βασιλέα καί 461 νυμφίον " zu erreichen. Die Einführung der Braut-Bräutigam-Topik entspricht der theologischen Betrachtungsweise, die sich in der Zeit zwischen der Abfassung der apokryphen Akten und der Vita entwickelt hat. 462 Entgegen der Überzeugung des Autors, er wiederhole nur das in den Theklaakten bereits Gesagte, müssen wir heute feststellen, daß zwischen der Betrachtungs- und Darstellungsweise beider Werke große Unterschiede bestehen. Der anonyme Autor des 5. Jahrhunderts wiederholt nicht ein-

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fach, sondern er schreibt von den Bedingungen seiner Zeit her eine völlig neue Vita der Thekla. Die Heilige ist inzwischen anerkanntes Vorbild für weibliche Asketinnen und hat einen weit verbreiteten Kult. Diese beiden letzten Punkte stellen gravierende Veränderungen gegenüber dem 2. Jahrhundert, der Abfassungszeit der Akten, dar. Der größte Unterschied zwischen der Vita und den Theklaakten liegt in der Darstellung des Lebensendes der Heiligen. Darin, daß Thekla nach Seleukia zog, stimmen beide überein. Während sie nach den Theklaakten dort eines friedlichen Todes stirbt, läßt sie sich nach dem Bericht der Vita auf einem Hügel in der Nähe der Stadt nieder, "wie Elia auf dem Kar463 mel, wie Johannes in der Wüste." Mit ihrem Wohnsitz auf dem Hügel tritt Thekla in Konkurrenz zu Sarpedon und Athena, die von der heidnischen Bevölkerung auf den gegenüberl iegenden Hügeln verehrt wurden. 464 Von ihrer Niederlassung auf dem Hügel aus übt Thekla vielfältige Tätigkeiten aus:" εύαγγελισαμένη, κατηχόσασα, σφραγισαμένη στρατολογήσασα τφ Χριστφ, θαυματουργήσασα ". In den Akten hieß es lediglich, daß sie "viele e r l e u c h t e t e " D i e entscheidende Frage für den Autor der Vita lautet, ob Thekla nach all dem einfach entschlief und eines gewöhnlichen Todes starb. Der Anonymus antwortet, daß sie lebend in die Erde, in den Fels, eintrat und von dort aus weiter ihre wohltätigen Wirkungen entfa 1tete. Genau über dem Ort, wo sie in die Erde eintrat, wurde ein Altar erΛCO richtet, der zum Mittelpunkt des Theklaheiligtums wurde. Wegen der Menge der Besucher, die kommen,um zu beten und von Thekla Heilung fü alle Arten von Gebrechen zu suchen, wurde der ehemals einsame Hügel zu einer S t a d t . D i e Vita schließt mit einer An470 rufung Theklas:"