The notions of Islam that are prevalent in the public imagination are founded and shaped by public discourse itself. Thi
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German Pages 330 [376] Year 2013
Table of contents :
Einleitung
I. Theorie, Gegenstand, Methode
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit
1.1 Die Diskursanalyse – deskriptiv oder kritisch?
1.2 Der Bedeutungsbegriff dieser Arbeit
2. Gegenstand
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden
3.1 Möglichkeiten und Grenzen der Korpuslinguistik
3.2 Möglichkeiten und Grenzen der Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse
3.2.1 Die Frame-Analyse
3.2.2 Toposanalyse
3.2.3 Schlagwortanalyse
3.3 Möglichkeiten und Grenzen einer detaillierten Einzeltextanalyse
II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
1. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse
2. Die Untersuchungskorpora
3. Vorgehen
4. Ergebnisse
4.1 Keywordanalyse
4.2 N-Gramme
4.3 Kollokationsanalysen
4.3.1 Kollokationsanalysen des Lexems Islam
4.3.2 Kollokationsanalyse der Adjektive islamisch, muslimisch, christlich und islamistisch
4.3.3 Adjektive unmittelbar vor Muslim, Christ und Jude
4.3.4 Adjektive unmittelbar vor Islam, Christentum und Judentum
5. Resümee
III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
1. Zum Gegenstand
2. Vorgehen
3. Das Textkorpus
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte
4.1 Das Konzept A
4.1.1 Frame-Analyse
4.1.1.1 Kategorie: Islam und Politik
4.1.1.2 Kategorie: Islam und Gewaltbereitschaft
4.1.1.3 Kategorie: Islam und die Unterdrückung der Frau
4.1.1.4 Kategorie: Islam und Kritik(fähigkeit)
4.1.1.5 Die Kotextualisierungen als Fillers im Konzept Islam (A)
4.1.2 Toposanalyse
4.1.3 Schlagwortanalyse
4.1.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzept A)
4.2 Das Konzept B
4.2.1 Frame-Analyse
4.2.1.1 Kategorie: Islam im Vergleich zu anderen Religionen
4.2.1.2 Kategorie: Islam und die deutsche Gesellschaft
4.2.1.3 Die Kotextualisierungen als Fillers im Konzept Islam (B)
4.2.2 Toposanalyse
4.2.3 Schlagwortanalyse
4.2.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzept B)
4.3 Die Konzepte C und D
4.3.1 Die Unterscheidung verschiedener Islamformen
4.3.2 Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bezogen auf das Konzept C
4.3.3 Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bezogen auf das Konzept D
4.3.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzepte C und D)
5. Resümee
IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab
1. Der kommunikativ-pragmatische Rahmen
2. Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil
2.1 Nominalstil
2.2 Fremdwörter/Fachwörter
2.3 Verwendung von Zahlen
2.4 Zitate von vermeintlichen Experten
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab
3.1 Formen der Bedeutungskonstitution auf der lexikalischen Ebene
3.1.1 Bedeutungsbildung durch Schlagwörter
3.1.2 Bedeutungsbildung durch Wortneubildungen
3.1.3 Bedeutungsbildung durch qualifizierende Adjektive
3.1.4 Bedeutungsbildung durch Personalpronomen
3.1.5 Zusammenfassung
3.2 Formen der Bedeutungskonstitution auf der syntagmatischen Ebene
3.2.1 Bedeutungsbildung durch Prädikation
3.2.2 Bedeutungsbildung durch Fokus auf das Vorfeld
3.2.3 Bedeutungsbildung durch Aufzählung
3.2.4 Bedeutungsbildung durch Metaphorik
3.2.5 Bedeutungsbildung durch Präsupposition
3.2.6 Zusammenfassung
3.3 Formen der Bedeutungskonstitution durch im Handlungskontext Mitzuverstehendes
3.3.1 Bedeutungsbildung durch rhetorische Fragen
3.3.2 Bedeutungskonstitution durch Exemplifikation
3.3.3 Bedeutungsbildung durch Verallgemeinerung
3.3.4 Zusammenfassung
4. Vergleich mit Konzept A im Kölner Moscheebaudiskurs
5. Resümee
V. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Forschungsliteratur
Nina Kalwa Das Konzept »Islam«
Sprache und Wissen
Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning Ingo H. Warnke und Martin Wengeler
Band
Nina Kalwa
Das Konzept »Islam« Eine diskurslinguistische Untersuchung
DE GRUYTER
Zugl.: Kassel, Univ., Diss., Fachbereich , Geistes- und Kulturwissenschaften Tag der Disputation: ..
Für Wajeeh
ISBN ---- e-ISBN ---- ISSN - Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Das Konzept Islam beschäftigt mich nun schon seit einigen Jahren. Während meines Master-Studiums an der Philipps-Universität Marburg entwickelte ich große Sympathie für die Diskurslinguistik. Prof. Dr. Joachim Herrgen unterstützte mich dabei, dieses Interesse an Diskursen sowie an der Konstitution von Konzepten mit meinem Interesse am Gegenstand Islam zu verbinden. Damals in den ersten Gesprächen mit ihm hätte ich mir nicht träumen lassen, dass mich das Konzept Islam noch so viele weitere Jahre beschäftigen wird. Ich danke Joachim Herrgen dafür, dass er mich seit meiner Studienzeit auf meinem akademischen Weg begleitet hat und für meine Fragen bis heute immer offen ist. Noch während meines Master-Studiums wandte ich mich mit Fragen zu den Methoden der Diskursanalyse an Prof. Dr. Martin Wengeler. Seit dieser ersten EMail war auch Martin Wengeler für mich ein wichtiger Begleiter auf meinem akademischen Weg. Für seine stetige Unterstützung sowie dafür, dass er sich bereit erklärte, die Zweitbetreuung meiner Arbeit zu übernehmen, bin ich ihm sehr dankbar. Mein ganz besonderer Dank gilt jedoch meinem Doktorvater Prof. Dr. Andreas Gardt, meinem akademischen Lehrer. Wann immer man als sein/e Doktorand/in Rat bei Andreas Gardt sucht, man wird fündig. Die Stunden, die ich mit ihm über meine Arbeit diskutierte, kann ich nicht zählen. Ich bin ihm außerordentlich dankbar für jeden Rat und jede Kritik und für seine Bestärkung, immer weiter zu machen. Vielen herzlichen Dank für dein stetiges Vertrauen in meine Fähigkeiten, auch dann, wenn es mir selbst gefehlt hat. Ich danke Junior-Prof. Friedemann Vogel, Dr. Noah Bubenhofer und Hagen Hirschmann, ohne die Korpuslinguistik für mich heute noch ein Fremdwort wäre. Außerdem danke ich Prof. Dr. Alexander Ziem, der sich stets bereit erklärte, mir zur Seite zu stehen, wenn ich bezüglich des Framebegriffs Diskussionsbedarf hatte. Mein herzlichster Dank gilt auch Prof. Dr. Ekkehard Felder, der mir die Publikation in der Reihe „Sprache und Wissen“ ermöglichte, sowie den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Verlags de Gruyter, vor allem Daniel Gietz und Katja Brockmann. In der Endphase meiner Promotion unterstützten mich meine Kasseler Kollegen und Kolleginnen, ohne die ich diese anstrengende Zeit sicherlich nicht so gut überstanden hätte. Ich danke Nils Lehnert, Bernd Maubach, Miriam Langlotz, Paul Reszke, Sven Kotowski, Nina-Maria Klug, Marco Benincasa, Sandra Issel-Dombert und Malte Bickmeyer ganz herzlich für die tolle Unterstützung.
VI Vorwort Zum Abschluss möchte ich noch einigen besonderen Menschen danken. Zum Einen Katharina Urbaniak, die mich als gute Freundin seit meiner Studienzeit auf meinem Weg begleitet und mir bei meiner Arbeit mit bestärkenden Worten, aber auch durch kritisches Lesen zur Seite stand. Ich danke zum Anderen von Herzen meiner Oma, Renate Hartmann, und meinen Eltern Carola und Jürgen Kalwa, die mich immer unterstützen und mir stets das Gefühl geben, das Richtige zu tun. Und ich danke Wajeeh, der diese Arbeit von Anfang an mit großem Interesse begleitet hat. Ohne die zahlreichen Diskussionen mit dir und deinen kritischen Blick sowohl auf Sprache im Allgemeinen als auch konkret auf diese Arbeit würde es dieses Buch nicht geben.
Kassel im Juni 2013
Nina Kalwa
Inhalt Einleitung 1 I. 1. 1.1 1.2 2. 3. 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3
II. 1. 2. 3. 4. 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 5.
Theorie, Gegenstand, Methode 7 Theoretischer Hintergrund der Arbeit 7 Die Diskursanalyse – deskriptiv oder kritisch? 8 Der Bedeutungsbegriff dieser Arbeit 14 Gegenstand 20 Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 26 Möglichkeiten und Grenzen der Korpuslinguistik 27 Möglichkeiten und Grenzen der Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse 31 Die Frame-Analyse 32 Toposanalyse 35 Schlagwortanalyse 39 Möglichkeiten und Grenzen einer detaillierten Einzeltextanalyse 44 Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse 46 Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse 47 Die Untersuchungskorpora 49 Vorgehen 54 Ergebnisse 59 Keywordanalyse 60 N-Gramme 76 Kollokationsanalysen 93 Kollokationsanalysen des Lexems Islam 93 Kollokationsanalyse der Adjektive islamisch, muslimisch, christlich und islamistisch 113 Adjektive unmittelbar vor Muslim, Christ und Jude 121 Adjektive unmittelbar vor Islam, Christentum und Judentum 126 Resümee 136
VIII Inhalt III. 1. 2. 3. 4. 4.1 4.1.1 4.1.1.1 4.1.1.2 4.1.1.3 4.1.1.4 4.1.1.5 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 5.
Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 138 Zum Gegenstand 139 Vorgehen 142 Das Textkorpus 160 Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 161 Das Konzept A 162 Frame-Analyse 164 Kategorie: Islam und Politik 164 Kategorie: Islam und Gewaltbereitschaft 170 Kategorie: Islam und die Unterdrückung der Frau 174 Kategorie: Islam und Kritik(fähigkeit) 176 Die Kotextualisierungen als Fillers im Konzept Islam (A) 178 Toposanalyse 185 Schlagwortanalyse 195 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzept A) 198 Das Konzept B 200 Frame-Analyse 202 Kategorie: Islam im Vergleich zu anderen Religionen 202 Kategorie: Islam und die deutsche Gesellschaft 206 Die Kotextualisierungen als Fillers im Konzept Islam (B) 212 Toposanalyse 215 Schlagwortanalyse 224 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzept B) 226 Die Konzepte C und D 228 Die Unterscheidung verschiedener Islamformen 228 Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bezogen auf das Konzept C 232 Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bezogen auf das Konzept D 247 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzepte C und D) 259 Resümee 259
Inhalt IX
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 4. 5.
Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 263 Der kommunikativ-pragmatische Rahmen 265 Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil 266 Nominalstil 268 Fremdwörter/Fachwörter 269 Verwendung von Zahlen 271 Zitate von vermeintlichen Experten 272 Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 275 Formen der Bedeutungskonstitution auf der lexikalischen Ebene 275 Bedeutungsbildung durch Schlagwörter 275 Bedeutungsbildung durch Wortneubildungen 280 Bedeutungsbildung durch qualifizierende Adjektive 284 Bedeutungsbildung durch Personalpronomen 288 Zusammenfassung 292 Formen der Bedeutungskonstitution auf der syntagmatischen Ebene 293 Bedeutungsbildung durch Prädikation 293 Bedeutungsbildung durch Fokus auf das Vorfeld 298 Bedeutungsbildung durch Aufzählung 300 Bedeutungsbildung durch Metaphorik 303 Bedeutungsbildung durch Präsupposition 305 Zusammenfassung 308 Formen der Bedeutungskonstitution durch im Handlungskontext Mitzuverstehendes 309 Bedeutungsbildung durch rhetorische Fragen 311 Bedeutungskonstitution durch Exemplifikation 314 Bedeutungsbildung durch Verallgemeinerung 319 Zusammenfassung 322 Vergleich mit Konzept A im Kölner Moscheebaudiskurs 322 Resümee 325
V.
Fazit 328
1. 2.
Literaturverzeichnis 338 Quellen 338 Forschungsliteratur 348
IV. 1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 3. 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.3
Einleitung Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gerät der Islam verstärkt in den Fokus öffentlicher Debatten. Er wird zum Gegenstand der Diskussion, etwa wenn der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung anmerkt, dass der Islam ein Teil von Deutschland ist. Es wird darüber geredet, ob der Islam bereits in die deutsche Gesellschaft integriert oder ob der Integrationsprozess gescheitert sei. Moscheebauten werden öffentlich diskutiert, der Islam wird zum Thema der Debatte, wenn islamistisch-terroristische Anschläge verübt oder vereitelt werden, wenn über das Kopftuchverbot oder die Mohammed-Karikaturen gestritten wird. Ob wir über den Islam in Deutschland reden oder über die Rolle des Islam im Nahen Osten – es scheint immer Konsens zu sein, was wir eigentlich unter Islam verstehen. Tatsächlich wird jedoch die Bedeutung von Islam in jeder Diskussion neu ausgefochten, ein Konzept Islam jeweils erneut konstruiert, der Islam dabei anders perspektiviert. Plötzlich ist etwa von einem radikalen, moderaten, friedlichen, dialogoffenen oder politischen Islam1 die Rede: Verschiedene Formen des Islam werden dabei sprachlich konstituiert. Die Adjektive beschreiben den Islam nicht einfach, sondern sie verleihen ihm durch die sprachliche Darstellung inhaltliche Konturen und machen ihn als so konturierte Größe zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung – der Islam ist schließlich das, als was er im Diskurs erscheint. Die Arbeit setzt es sich zum Ziel, das Konzept Islam, das der öffentlichen Diskussion um den Islam zugrunde liegt, zu erfassen. Leitend für die vorliegende Arbeit ist die Annahme, dass Konzepte nicht an einzelne sprachliche Ausdrücke geknüpft sind, sondern Bedeutungsbildung vorwiegend ein flächiges Phänomen ist, d.h., dass über weite Teile eines Textes, etwa über die Art und Weise der Verknüpfung einzelner Konstituenten, Konzepte entstehen. Flächige Bedeutungsbildung geschieht (…) durch die Summe der semantischen Wirkung von Textelementen, ohne dass ein einzelnes dieser Textelemente bereits die nur über die Gesamtfläche des Textes entstehende Bedeutung anzeigt. (Gardt 2008, 214f)
Der folgende Auszug aus einem SPIEGEL-Artikel verdeutlicht, wie über die Textfläche hinweg ein Konzept Islam konstituiert wird:
1 In dieser Arbeit verwende ich Kursivierung sowohl für die Kennzeichnung metasprachlicher Ausdrücke als auch als Mittel der Hervorhebung. Zudem wird kursiviert, wenn Äußerungen von Diskursteilnehmern sinngemäß wiedergegeben werden.
2 Einleitung Nudschud sitzt im Riesenrad, in einer Gondel mit bunten Glühlämpchen, der Wind bläst ihr ins Gesicht, zerrt am Schleier, zerzaust ihr Haar. Neben ihr die Schwester, sie juchzen, sie sind Kinder, hier oben geht das, noch eine Runde und noch eine, ein Nachmittag im einzigen Vergnügungspark von Sanaa, der verwunschenen Hauptstadt des Jemen, einer Stadt, die kein Spaß ist für Mädchen. Nudschud al-Ahdal, gerade mal 1,20 Meter groß, freches Gesicht, zehn Jahre alt, soweit sie weiß. Hier oben, über der drückend heißen Stadt, kann sie jung sein, unbeschwert. Unten wartet das Mittelalter. Im Schatten sitzen Frauen in schwarzen Umhängen, das Gesicht verhüllt bis auf einen schmalen Schlitz für die Augen. Männer stehen abseits, kauen Kat, die Volksdroge, und am Bund ihrer Wickelröcke blitzen Krummdolche. Unten warten Brauchtum und Regeln. Unten wartet Nudschuds Vergangenheit. (SPIEGEL, 02.02.2009, Aufstand der Bräute)
Dieser Textausschnitt lässt keinen Zweifel daran, welcher Religion das kleine Mädchen Nudschud angehört, welcher kulturelle Hintergrund ihr zuzuordnen ist. Für jeden Leser ist es offensichtlich, dass hier der Islam thematisiert wird. Betrachtet man den Auszug jedoch genauer, so fällt auf, dass weder der Ausdruck Islam noch der Ausdruck Muslim oder Moslem überhaupt vorkommen. Auf subtile Weise wird hier Wissen über den Islam sprachlich konstruiert. Das Konzept Islam wird evoziert, ohne dass der Ausdruck Islam verwendet wird. Hingegen wird mithilfe bestimmter Schlüsselausdrücke und der Art und Weise ihrer Verknüpfung das Konzept Islam aufgerufen – Schleier, Jemen, schwarze Umhänge, vielleicht bereits der Mädchenname Nudschud – und Bedeutung wird konstituiert, indem dem Islam indirekt bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.2 Das Konzept Mittelalter wird mit dem Islam verbunden3 (unten wartet das Mittelalter), die Unterdrückung durch die Verhüllung der Frau auch im weiteren Verlauf des Textes noch als wesentliche Eigenschaft des Islam gekennzeichnet, die Vorstellung von einer Religion, die das Leben ihrer Anhänger durch strikte Regeln bestimmt (unten warten Brauchtum und Regeln), wird konstruiert. Über die Schaffung von Gegensätzen (oben: jung, unbeschwert; unten: drückend heiß, Mittelalter, Brauchtum, Regeln) wird ein bestimmtes Bild von der kulturellen Umgebung dieses kleinen Mädchens geschaffen. Die Bedeutungskonstitution vollzieht sich hier mithilfe eines konkreten Beispiels: Nudschuds Schicksal fungiert als ein Exempel aus der islamischen Welt. Durch diese Exemplifikation wird Bedeutung konstruiert. In diesem Fall ist die Bedeutungsbildung flächig. Die Evokation eines Konzepts Islam kann auch durch die explizite Nennung des Ausdrucks Islam erfolgen oder aber durch die Nennung be
2 Zum Begriff des Konzepts siehe Kapitel I. 3 Die Verbindung von Islam mit Rückschrittlichkeit ist im Diskurs keine Seltenheit, wie die Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses sowie des Kapitels Zuwanderung und Integration aus Deutschland schafft sich ab noch zeigen wird.
Einleitung 3
stimmter anderer Ausdrücke wie etwa Ehrenmord. In diesen Fällen erfolgt die Bedeutungsbildung punktuell, sie geschieht mittels zentraler lexikalischer Ausdrücke (vgl. Gardt 2008, 214). Der folgende Artikel aus der Online-Ausgabe der BILD-Zeitung vom 17.05.2008 veranschaulicht das Phänomen der Bedeutungskonstitution ohne explizite Nennung des Ausdrucks Islam ebenfalls: Ehrenmord! SIE KÄMPFTE FÜR ANDERE UND MUSSTE STERBEN Hamburg – Dieser Ehrenmord schockt Deutschland: Morsal O. (16) wurde vor zwei Tagen von ihrem Bruder Ahmad (23) mit 20 Messerstichen getötet. Sie war ein Teenager, der ein freies Leben führen wollte – und ein Mensch, der sich auch für andere einsetzte. Im Dezember 2006 wurde Morsal für ihr Engagement von der Alfred-Toepfer-Stiftung ausgezeichnet. „Prima Klima“ hieß das Projekt ihrer Schule; Ziel war es, das Miteinander zu fördern, respektvoll miteinander umzugehen. Morsal O. damals stolz: „Es gibt jetzt weniger Prügeleien.“ Doch zu Hause hörte der Stress nicht auf. Ahmad schlug Morsal vor einem Jahr zusammen, weil er fand, dass sie zu westlich lebte. Laut Polizei habe Morsal Hilfe bei Sozialeinrichtungen gesucht. Freitagnacht stach Ahmad auf seine Schwester ein. Gegen den Deutsch-Afghanen wurde Haftbefehl wegen Mordes erlassen, er sitzt in Untersuchungshaft.4 (bild.de, 17.05.2008, Ehrenmord)
Weil das Konzept Ehrenmord eng an das Konzept Islam geknüpft ist, wird durch die Nennung von Ehrenmord das Konzept Islam mit aufgerufen. Betrachtet man das Vorkommen von Ehrenmord im deutschen Sprachgebrauch – etwa über eine Suche per Google5 – so lässt sich feststellen, dass Ehrenmord beinahe ausschließlich eine Bezeichnung für Tötungsdelikte muslimischer Täter ist. In dem vorliegenden Textausschnitt erfolgt die Bedeutungskonstitution erneut über das konkrete Beispiel. Das Konzept Ehrenmord ist so eng mit dem Konzept Islam vernetzt, dass der Autor des BILD-Artikels davon absieht, darauf hinzuweisen, dass es sich hier um den Mord an einem muslimischen Mädchen handelt. Trotz
4 http://www.bild.de/BILD/news/vermischtes/2008/05/18/ehrenmord/sie-kaempfte-fuerandere.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 5 Teubert (2006a) zeigt unter anderem am Beispiel von Zwangsehe auf, wie mittels einer Google-Treffersuche ein erster Eindruck über die Bedeutung von Ausdrücken gewonnen werden kann. Selbstverständlich ist eine Google-Treffersuche kein adäquates Untersuchungsmittel zur Bedeutungsanalyse, da beispielsweise nicht deutlich gemacht wird, nach welchen Kriterien Google eine Trefferliste erstellt. Für einen ersten Eindruck über die Bedeutung eines Ausdrucks wie Ehrenmord wurde nach dem Beispiel von Teubert (2006a) hier dennoch eine solche Analyse durchgeführt, um deutlich zu machen, wie stark das Konzept des Ehrenmordes mit dem Konzept Islam verknüpft ist.
4 Einleitung dem wird kein Leser daran zweifeln, denn auch die im Text vorkommenden Namen (Morsal, Ahmed) rufen das Konzept Islam – zumindest im Kontext des hier beschriebenen Ehrenmords – auf. Wird Ehrenmord im Diskurs kotextualisiert – also in eine sprachliche Umgebung eingebunden –, dann dienen diese Kotextualisierungen nicht nur der Bedeutungszuschreibung des Ausdrucks Ehrenmord, sondern die evozierten Bedeutungselemente sind auch Teil des Konzepts Islam. Auch in folgendem Beispiel konstituiert sich ein Konzept Islam: Kübra Yücel ist hochintelligent, eloquent, gut vernetzt und integriert. Warum sie trotzdem voller Überzeugung ein Kopftuch trägt.6
Über den Schlüsselausdruck Kopftuch wird in diesem Beispiel das Konzept Islam mit aufgerufen. Es wird deutlich, dass wir hier über die Kotextualisierung dieses Ausdrucks weniger Bedeutungswissen über Kopftuch als vielmehr über den Islam erhalten. Dieses Bedeutungswissen konstituiert sich ganz subtil über die Herausarbeitung des Gegensatzes: Mittels des Adverbs trotzdem wird das Tragen eines Kopftuchs Intelligenz, Eloquenz, sozialer Vernetzung und Integration antonymisch entgegengesetzt. Das westliche Abendland sieht sich durch die muslimische Immigration und den wachsenden Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen mit autoritären, vormodernen, auch antidemokratischen Tendenzen konfrontiert, die nicht nur das eigene Selbstverständnis herausfordern, sondern auch eine direkte Bedrohung unseres Lebensstils darstellen. (Sarrazin 2010, 266)
Dass Thilo Sarrazin in dieser Äußerung muslimische Immigration mit Islamismus und Bedrohung in einen Zusammenhang bringt, lässt auf ein bestimmtes Konzept Islam schließen. Sarrazin schreibt den islamistischen Glaubensrichtungen autoritäre, vormoderne und antidemokratische Tendenzen zu, wobei die drei Adjektive negativ-deontisch sind und damit die negativen Bedeutungsanteile des Ausdrucks islamistische Glaubensrichtungen noch unterstrichen werden. Dass neben dem wachsenden Einfluss dieser islamistischen Glaubensrichtungen auch die muslimische Immigration als Bedrohung dargestellt wird – Sarrazin stellt beide Phänomene unmittelbar nebeneinander –, konstruiert eine semantische Nähe zwischen dem Konzept Islam und dem Konzept Islamismus. Die Prämisse, die sich aus den dargestellten Beispielen ergibt, nämlich dass Konzepte nicht nur an einzelne Ausdrücke gebunden sind, sondern sich oft über weite Teile des Textes konstituieren, hat Konsequenzen für die auszuwäh
6 http://stellenmarkt.sueddeutsche.de/cms/fileadmin/OSM/uni-und-job_ii_2010_161010.pdf; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
Einleitung 5
lenden Methoden. Obwohl Konzepte auf verschiedene Art und Weise entstehen können, vollzieht sich Bedeutungskonstitution doch zumeist durch Sprache.7 „Wenn Sprache dazu beiträgt, Wirklichkeit zu konstruieren, dann muss man an ihr die Spezifik ihrer Konstruktion ablesen können“ (Gardt 2008, 205). Die lexikalische Semantik und die Diskurslinguistik verfügen über Methoden, die es ermöglichen, das in Texten sedimentierte, kollektive Wissen einer Gesellschaft, dabei auch eben das zwischen den Zeilen nur Angedeutete, aufzuzeigen. Die vorliegende Arbeit wird deutlich machen, dass es nur mittels der Kombination verschiedener Methoden möglich ist, diese Konstitution von Konzepten zu erfassen. Es werden drei Analyseschritte durchgeführt, die sich jeweils auf Textkorpora unterschiedlich großen Ausmaßes beziehen. Dabei werden qualitative und quantitative Analysen miteinander kombiniert. Diese Kombination verschiedener methodischer Zugänge wird als unabdingbar für die Bedeutungsanalyse erachtet: Weil Bedeutung mehr ist als die Summe der Gebrauchsweisen eines bestimmten Ausdrucks, müssen zur Bedeutungsanalyse Methoden eingesetzt werden, die neben dem sprachlichen Umfeld eines bestimmten Suchausdrucks auch den Text in seiner Gesamtheit erfassen. Dies ist nur mithilfe einer detaillierten Textanalyse möglich, die wiederum den Nachteil hat, dass damit nur ein kleiner Ausschnitt des Diskurses erfasst wird, der für den Gesamtdiskurs nur eingeschränkt repräsentativ sein kann. Nachdem in Kapitel I Theorie, Gegenstand und Methode der Arbeit ausführlich dargelegt werden, skizziert Kapitel II das Konzept Islam mithilfe einer korpuslinguistischen Untersuchung. Die Korpuslinguistik wird dabei verstanden als eine Methode, die quantitative und qualitative Analyseverfahren kombiniert. Ergänzt wird diese Art der Untersuchung durch eine rein qualitative Analyse eines Textkorpus zum Kölner Moscheebaudiskurs in Kapitel III. Sowohl die korpuslinguistische Analyse als auch diese rein qualitative Untersuchung bedingen und ergänzen sich gegenseitig bei der Herausarbeitung des Konzepts Islam. Die Untersuchung wird mit der Analyse des Kapitels Zuwanderung und Integration aus Sarrazins Deutschland schafft sich ab in Kapitel IV dieser Arbeit abgeschlossen. Dabei wird aufgezeigt, wie ein einzelner Akteur im Islamdiskurs ein Konzept Islam sprachlich konstruiert und auf welchen verschiedenen Ebenen der Sprache sich Bedeutungskonstitution vollziehen kann. Die Arbeit verfährt somit wie eine Art Zoom, der den zu untersuchenden Textausschnitt mehr und mehr verkleinert und ihn dadurch in jedem Schritt genauer betrachten kann. Mithilfe der Kombination verschiedener Methoden der Text- und Diskurs
7 Selbstverständlich kann Bedeutung auch durch nicht-sprachliche Faktoren, etwa durch Bilder, gebildet werden.
6 Einleitung linguistik ist schließlich eine umfassende Beschreibung von Konzepten möglich. Kapitel V fasst die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit zusammen.
I. Theorie, Gegenstand, Methode 1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit Wenn Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft betrieben wird – wie es auch das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist –, so liegt das Ziel einer solchen Untersuchung darin, über die Betrachtung von Sprache etwas über die jeweilige kulturelle Gemeinschaft zu erfahren. Genauer: Das Erkenntnisinteresse einer Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft liegt darin, die Wissensbestände einer kulturellen Gemeinschaft aufzudecken, schließlich manifestiert sich, ja konstituiert sich Wissen erst durch Sprache. Sprache als Teil einer solchermaßen bestimmten Kultur aufzufassen, sprachliche Konventionen, Regeln und Muster als Teil der Gewohnheiten sozialer Gruppen zu beschreiben und zu zeigen, welche (Be-)Deutungen damit/darin sich ausdrücken und kommuniziert werden, entspricht also einem solchen Verständnis von Kultur und macht Sprachanalyse zu einem Teil von Kulturanalysen. (Wengeler 2006a, 7)
Sprache ist dabei also mehr als nur Mittel zum Zweck. Sprache ist nicht nur Teil der Kultur, „sondern konstituiert diese wesentlich, und in ihr spiegeln sich nicht außer-sprachliche Konstellationen, Strukturen o.ä., sondern mit ihrer Analyse erhalten wir Zugang dazu, wie welche Gruppen sich mittels des sprachlichen Symbolsystems ihre Wirklichkeiten, ihr soziales Wissen erst schaffen (…)“ (Wengeler 2006a, 9). Hinter einer Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft, wie sie von Busse et al. (2005), Hermanns (u.a.) 1995 und 1999), Gardt et al. (1999) und Gardt (2003), Warnke (2004 und 2007b), Wengeler (2006a) und vielen anderen vertreten wird, steckt also immer auch ein konstruktivistischer Ansatz. Der Mensch steht nicht einfach einer natürlichen und kulturellen Wirklichkeit gegenüber, die er sich intellektuell aneignet und auf die er reagiert, sondern er ist in bestimmte Symbolsysteme eingebunden, die ihm die Kategorien für die Wahrnehmung und intellektuelle Verarbeitung der Wirklichkeit erst bereitstellen. Da diese Symbolsysteme zugleich von der kulturellen Gemeinschaft geschaffen werden, bringt der Mensch die Kriterien für die Erkenntnis von Wirklichkeit selbst hervor. So schafft er seine eigene Welt. Die Sprache bildet dabei die Sachverhalte der Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern in ihren Begriffen spiegelt sich bereits die spezifische Gestaltung der kulturellen Welt. Kulturwissenschaft bedeutet dann die analysierende Offenlegung dieser Vorgänge. (Gardt 2003, 286)
Will man sich also das Wissen einer kulturellen Gemeinschaft über die Betrachtung von Sprache zugänglich machen, so eignet sich als Gegenstand für die Analyse nichts besser als der Diskurs, denn die „[l]inguistische Diskursanalyse
8 I. Theorie, Gegenstand, Methode (in dem auf Foucault zurückführbaren Sinne) dient der Erfassung des – notwendig gesellschaftlich geprägten – verstehensrelevanten Wissens (…)“ (Busse 2007, 81). Laut Busse (1987, 254) geschieht Sinnkonstitution „in kommunikativen Handlungen.“ Um diese Art der Sinnkonstitution zu erfassen, eignet sich vor allem die linguistische Diskursanalyse, denn [d]as handelnde Subjekt ist eben nicht frei in seinen Äußerungen, sondern in einen sozialund kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingebunden, der das mitbestimmt, was zu sagen möglich ist und was konkret gesagt wird. Diskurs ist ein geeigneter Begriff, um all die gesellschaftlichen, epistemischen und sprachlichen Voraussetzungen, die die einzelnen sprachlichen Handlungen überindividuell beeinflussen, in den Blick zu nehmen. (Wengeler 2005a, 269)
1.1 Die Diskursanalyse – deskriptiv oder kritisch? Die von Busse und Teubert (1994) aufgeworfene Frage, ob „Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt“ sei, wird längst von keinem Sprachwissenschaftler mehr verneint. Busse und Teubert verstehen unter Diskurs „im forschungspraktischen Sinn virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche bzw. semantische Kriterien bestimmt wird“ (ebd. 14). Gardt (2008, 206) definiert Diskurs als die Auseinandersetzung mit einem Thema, ‒ die sich in Äußerungen und Texten der unterschiedlichsten Art niederschlägt, ‒ von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, ‒ das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt ‒ als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt.
Dass die Diskursanalyse hier in einem Unterkapitel des Theorieteils behandelt wird, ist allein dem Wunsch geschuldet, dass sie an frühestmöglicher Stelle genannt werden sollte. Sie hätte ebenso gut als Unterkapitel des Methodenteils diskutiert werden können, denn: Die Diskursanalyse ist Methode, Theorie und Haltung zugleich. Sie zielt, gelegentlich mit aufklärerischem Duktus, auf die semantische Tiefenstruktur vorzugweise schriftlicher Texte, die in ihrem Zusammenspiel einen individuellen Diskurs bilden. Die Diskursanalyse ist erkenntnis- und sprachtheoretisch konstruktivistisch orientiert (…). (Gardt 2007, 44)
Die Betrachtung von zugrunde liegenden Denkmustern kultureller Gemeinschaften, von Strukturen von Wissen, liegt vor allem im Interesse der histori-
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit 9
schen Sprachwissenschaft, die sich auf Basis der genannten Theorien Zugänge zu Wissen historischer Gesellschaften verschafft. Diskursanalyse ist – ob gewollt oder ungewollt – Teil einer Semantik im weitesten Sinne. Ob sie nun analytisch-deskriptiv und explizit semantisch aufgefasst wird, wie in meinem Ansatz, oder stärker als machtkritisch verstanden wird (…), stets verbleibt die Diskursanalyse im Rahmen einer Semantik, d.h. der Entfaltung von gesellschaftlich konstituiertem, historisch bedingtem und relativem Sinn. (Busse 2003, 16)
Die Frage nach kulturellem Wissen einer Gemeinschaft resultiert also vor allem aus einem historischen Interesse. Herausgefordert durch Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft, vor allem durch die Begriffsgeschichte (Koselleck), setzte in der Linguistik eine Debatte über die Frage ein, inwiefern Sprache etwas über bewusstseins- und mentalitätsgeschichtliche Prozesse verraten könne. Diese Debatte ist vor allem mit den Namen Dietrich Busse und Fritz Hermanns verknüpft. Busse (1987) entwarf in Anlehnung an Foucault das Programm einer historischen Diskurssemantik und Hermanns (1995) schloss das neue Forschungsparadigma an die Mentalitätsgeschichte an. (Scharloth 2005, 119)
Hermanns (1995) plädiert für eine Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte, unter anderem um etwas über die Denkmuster und Denkgewohnheiten einer historischen kulturellen Gemeinschaft zu erfahren. Mentalitätsgeschichte skizziert Hermanns als einen Bestandteil der Begriffsgeschichte. Diese zielt nach Busse (2008a, 117) „eigentlich immer auf das Denken und die Strukturen des Wissens, die hinter Wortverbindungen stehen.“ Auch Gardt et al. (1999) vertreten eine Sprachgeschichte als Kulturgeschichte8, bei der Sprachgeschichtsschreibung bedeutet, den Wandel sprachlicher Phänomene vor dem Hintergrund der Geschichte u.a. der Philosophie, der Religion, des politischen Denkens, der gesellschaftlichen Institutionen, selbstverständlich auch der Kunst (speziell der Literatur) und der Sozialgeschichte, bis hin zur Geschichte der „Mentalitäten“ und einer „Alltagsgeschichte“ zu beschreiben und zu beurteilen. (ebd., 1f)
Wenngleich die genannten Ansätze, die Sprachgeschichte als Kulturgeschichte, die Mentalitätsgeschichte sowie die Begriffsgeschichte allesamt geschichte in ihren Titeln enthalten, so sind ihre Inhalte nicht minder interessant für die Betrachtung eines gegenwärtigen Diskurses. Was diese Arbeit sich zum Ziel setzt, ist damit quasi Begriffsgeschichte, Mentalitätsgeschichte eines Gegenwartsdis
8 Als einen Beitrag zu einer Sprachgeschichte als Kulturgeschichte betrachten sich beispielsweise die Arbeiten von Faulstich (2008), Klug (2012) und Lobenstein-Reichmann (2008).
10 I. Theorie, Gegenstand, Methode kurses.9 Die Denkmuster, das Wissen über den Islam, das der öffentlichen Diskussion um den Islam zugrunde liegt, soll auf Basis der erwähnten Theorien herausgearbeitet werden. Die Ziele, die für die Begriffs- und Mentalitätsgeschichte formuliert wurden, schlagen sich schließlich in den Theorien der linguistischen Diskursanalyse nieder. Die Diskursanalyse zielt auf den semantischen Tenor eines Diskurses, seine semantische Tiefenstruktur, und begreift diese Tiefenstruktur, nicht selten mit aufklärerischem Duktus, als Hinweis auf epistemische Grundlagen, auf Denkformen, auf Mentalitäten in einer Gesellschaft. (Gardt 2007, 35)
Die Frage, ob die linguistische Diskursanalyse einen aufklärerischen Duktus haben sollte, wird kontrovers diskutiert. Bis heute spaltet sich die Diskurslinguistik grob in zwei Lager: die kritische und die deskriptive Diskurslinguistik. Während die Diskurslinguistik, so wie sie in Busses (1987) Historischer Semantik sowie Busses Folgearbeiten (u.a. 2000, 2008b, 2008c) vorgeschlagen wird, deskriptiv-analytisch verfährt (vgl. dazu Blum et al. 2000), postuliert Jäger (1999, 223), es sei das Ziel der Diskursanalyse, aufzuzeigen, „mit welchen Mitteln und für welche Wahrheiten in einer Bevölkerung Akzeptanz geschaffen wird, was als normal und nicht normal zu gelten habe, was sagbar ist (und tubar) und was nicht.“ Wengeler (2005a, 262) schlägt vor, auch Arbeiten, die in der Tradition der Historischen Semantik zu betrachten sind, nicht als rein deskriptiv zu lesen, sondern dabei eine „implizite Sprachkritik“ anzunehmen (vgl. dazu auch Schiewe 2003, 133, Schiewe/Wengeler 2005, 5 und Wengeler 2011, 40). [I]nsofern durch die Analysen das jeweils geltende kollektive Wissen zu einem Thema in einer bestimmten Zeitspanne als ein sprachlich konstruiertes „Wissen“ deutlich wird, das andere Wissenselemente ausschließt oder in den Hintergrund drängt, und durch die Analyse auch die Verfahren der Durchsetzung bestimmten sozialen „Wissens“ in den Blick genommen werden, sind diese Ansätze auch implizit diskurs- und sprachkritisch (…). (Wengeler 2005a, 264)
Weil das Potenzial vieler diskurslinguistischer Arbeiten mit deskriptiven Analysen darin liege, „bewusst zu machen, mit welchen sprachlichen Mitteln bestimmte Wirklichkeitskonstruktionen in bestimmten Zeiten etabliert werden und damit als ‚kollektives Wissen‘ wichtiger Gesellschaftsgruppen oder als dominantes Wissen einer Gesamtgesellschaft gelten können“, können sie als eine kritische Linguistik gewertet werden (Wengeler 2005a, 280f). Während
9 Als weitere linguistische Beiträge, die sich mit gegenwärtigen Diskursen befassen, sind beispielsweise Radeiski (2011) und Vogel (2012) zu nennen.
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit 11
Jäger (2005, 68f) die kritische Diskurslinguistik als ein „politisches Konzept“ charakterisiert, das in der Lage sei, „Vorschläge zur Vermeidung herrschender Mißstände zu entwickeln, indem sie nicht nur vor euphemistischen und sensationslüsternem Sprachgebrauch warnt, nicht nur Kritik, sondern Gesellschaftskritik betreibt“, sieht zwar Wengeler ebenfalls ein kritisches Moment in der Historischen Semantik nach Busse (1987), das sich allerdings maßgeblich von der Kritik der Kritischen Diskurslinguistik unterscheidet: Sie wären dann insofern „kritische Linguistik“, als sie bewusst machen, mit welchen sprachlichen Mitteln wie bestimmte Wirklichkeitskonstruktionen in bestimmten Zeiten etabliert werden und damit als „kollektives Wissen“ wichtiger gesellschaftlicher Teilgruppen oder als dominantes „Wissen“ einer Gesamtgesellschaft gelten können. (Wengeler 2011, 40)
Wengeler (2011, 42) gibt an, dass wir uns fragen lassen müssen, „ob es Grenzen des nur beschreibenden Nebeneinanderstellens von Wirklichkeitskonstruktionen durch Sprache gibt oder ob wir bestimmte Wirklichkeitskonstruktionen auch kritisch bewerten wollen.“ Wenn ich mir diese Frage stelle, so kann ich darauf nur antworten, indem ich feststelle, dass mir die kritische Bewertung solcher Wirklichkeitskonstruktionen als Sprachwissenschaftlerin im Grunde unnötig und zudem als Bruch mit dem wissenschaftlichen Duktus der Analyse erscheint. Die „implizite Sprachkritik“ im Sinne von Schiewe (2003) geht jedoch beispielsweise aus dem letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit, das sich mit der Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab befasst, geradezu selbstverständlich hervor. Als kritischer Leser dieses letzten Kapitels kommt man schlichtweg nicht umhin, die Art und Weise der Konstruktion dieses Konzepts negativ zu bewerten. Das Offenlegen von Konstruktionsmechanismen impliziert fast immer eine kritische Haltung, die allerdings nicht mit normativen Forderungen einhergehen sollte. Eine linguistische Diskursanalyse sollte also nicht, wie Jäger (2005, 68f) es postuliert, „Vorschläge zur Vermeidung herrschender Mißstände entwickeln“, wenngleich ich Jäger in seiner Behauptung recht gebe, dass das Offenlegen bestimmter Arten von Wirklichkeitskonstruktionen „dazu zwingt, Position zu beziehen, sei es gegen Krieg, gegen Rassismus, gegen Ausgrenzung aller Art, gegen ökologische Fehlentwicklungen (…)“ (ebd.). Allerdings darf dies nicht zum Hauptziel der Analyse gemacht werden. Obwohl ich also ebenfalls der Meinung bin, dass die Analyse des Konzepts Islam in Deutschland schafft sich ab „dazu zwingt, Position zu beziehen“, so war diese Erkenntnis nicht das Ziel der Analyse und wird auch nicht explizit in ihr ausgeführt. Das kritische Moment ist vielmehr eine unvermeidliche Nebenerscheinung, die aus der Analyse solcher gesellschaftlich brisanter Diskurse hervorgeht. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, das Konzept Islam, das der
12 I. Theorie, Gegenstand, Methode allgemeinen Diskussion um den Islam in Deutschland zugrunde liegt, aus der sprachlichen Auseinandersetzung abzuleiten und Formen der Bedeutungskonstitution aufzuzeigen. Wenn nicht ich, sondern ein anderer sich dieser Forschungsfrage angenommen hätte und wenn diese Person auch zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, dann würde auch diesem Ergebnis wohl eine implizite Sprachkritik zugrunde liegen. Jedem Rezipienten wird deutlich werden, welche Position ich zu dem Ergebnis dieser Arbeit beziehe, wenngleich ich mich bemühe, rein deskriptiv zu verfahren. Die Brisanz des Themas lässt eine vollständig neutrale Haltung nicht zu. Der Sprachwissenschaftler Noah Bubenhofer hat am 02.08.2009 der taz ein Interview gegeben, in dem er einige Ergebnisse der korpuslinguistischen Analyse der Sprache der Grünen und der Linken vorstellt, die von der Forschergruppe Semtracks durchgeführt wurde. Unter anderem stellt Bubenhofer fest: „Besonders signifikant ist aber, dass die Linke in der dritten Person als Die Linke fordert, nicht wie bei den Grünen: wir Grünen wollen“ (taz.de, 24.08.2009, „Die Linke nutzt Schimpfvokabular“). Dass die Grünen das Personalpronomen wir häufiger verwenden als die Linke, ist das Ergebnis einer quantitativen Untersuchung und zudem einer corpus-driven Analyse10, d. h. dass Bubenhofer nicht mit der konkreten Fragestellung Welche Partei verwendet das Personalpronomen „wir“ häufiger? an das Korpus herangetreten ist, sondern dies aus der Berechnung der signifikantesten Keywords im Korpus hervorging. Trotzdem meinen die Leser des Artikels, eine politische Haltung Bubenhofers in der Darstellung seiner Untersuchungsergebnisse erkennen zu können: 03.08.2009 11:09 UHR von Roger Beathacker: Das waere auch sehr viel kuerzer gegangen, z.B. so: „Sprachforscher Noah Bubenhofer, sagt: „Die Gruenen finde ich toll, Die Linke ist mir suspekt.“ Aber das Zeilenhonorar, das Zeilenhonorar .. - das will schliesslich hart „erarbeitet“ werden ...
10 Zur genauen Erklärung dieser Analyseverfahren siehe Kapitel II, 3.
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit 13 03.08.2009 06:31 UHR von vic: „Sprachforscher Noah Bubenhofer, der die Rhetorik der Politik untersucht“ Pardon, aber eigentlich sollte er sich erst um seine eigene kümmern. Und nebenbei sollte nicht nach Wahlkampf-Werbung entschieden werden, sondern was danach davon übrig ist sein wird. Und so fühle ich mich mit den Grünen überhaupt nicht verbunden 02.08.2009 18:40 UHR von berni: Aaah Ja! Die TAZ hat ihre heiße Wahlkampfphase eröffnet! Das ist leider schon seit bestehen der Linken zu beobachten. Rechtzeitig vor dem Wahlkampf beginnt das schon regelmäßig erwartbare „Linke Bashing“. Die FR legt sicher auch bald los. Eigenartigerweise ist dies eine Schreibe, welche vor allem ehemalige linke Blätter regelmässig vor Wahlen pflegen. Da das Abschreiben ja mittlerweile zur Medienkultur gehört, ist es eine Frage der Zeit bis der Linken Partei wieder heillose Zerstrittenheit und Krisen von allen Medien angedichtet werden. 02.08.2009 14:28 UHR
Obwohl Bubenhofer die vorwiegend quantitativen Analysen der SemtracksGruppe vorstellt, ohne sie zu interpretieren, werten einige Leser des Artikels die Ergebnisse als eine Kritik an der Sprache der Linken. Dass die Leser dies so auffassen, resultiert aus der Omnipräsenz der Sprache: Sie funktioniert nicht ohne Haltung. Deutlich wird also, dass mit der Analyse von sprachlichen Wirklichkeitskonstruktionen – im politischen oder gesellschaftlichen Kontext – immer eine gewisse implizite Sprachkritik einhergeht, auch dann, wenn sie vom Analysierenden nicht intendiert wird. Denn: Jede Art der Wirklichkeitskonstruktion ist ein Ausschluss von anderen Arten der Wirklichkeitskonstruktion. „Wenn (…) RezipientInnen bewusst wird, wie gegenwärtige und historische soziale Wirklichkeit sprachlich konstruiert bzw. konstituiert ist, wirkt dies dem Mythos von der sprachunabhängig gedachten Wirklichkeit (Stichwort „Fakten, Fakten, Fakten“) entgegen“ (Wengeler 2011, 41). Somit ist auch die vorliegende Untersuchung als eine deskriptive Analyse zu verstehen, die eine Sprachkritik impliziert, sich aber von der Sprachkritik der kritischen Diskurslinguistik unterscheidet, weil sie zum einen nicht zum Hauptziel der Analyse gemacht wird, und zum anderen „Normalternativen nicht explizit formuliert, sondern ihre Möglichkeit und ihre Existenz implizit“ (Schiewe 2003, 133) aufgezeigt werden.
14 I. Theorie, Gegenstand, Methode 1.2 Der Bedeutungsbegriff dieser Arbeit Unter Konzepten verstehe ich im Anschluss an Gardt (2008, 214) kognitive Einheiten, „die einen Sachverhalt repräsentieren und durch unterschiedliche linguistische Formen realisiert werden, wie etwa das Konzept der Erwerbstätigkeit durch die Ausdrücke ‚Beruf‘, ‚Arbeit‘, ‚Job‘ usw.“ Um zu unterstreichen, dass verschiedene Ausdrücke dasselbe Konzept evozieren können, nennt Gardt somit Ausdrücke, die demselben Wortfeld zuzuordnen, also partiell synonym sind. Es sind jedoch nicht nur die Ausdrücke eines bestimmten Wortfeldes, die dasselbe Konzept aufrufen können. Das Konzept Islam beispielsweise kann zum einen durch die Ausdrücke Islam, Religion der Muslime usw. evoziert werden, zum anderen aber auch durch weitere Ausdrücke – etwa durch Kopftuch oder Ehrenmord –, selbst durch einen arabisch oder türkisch klingenden Namen in Kombination mit bestimmten anderen Ausdrücken. Die einfachste Möglichkeit, ein spezifisches Konzept zu evozieren, ist selbstverständlich die Nennung des Ausdrucks, der das jeweilige Konzept prototypisch benennt. In der Äußerung Die Bücher liegen doch auf dem Tisch evoziert der Ausdruck Tisch eben auch das Konzept des Tisches. Etwas komplexer wird dies bei dem in der Einleitung erwähnten Beispiel: Kübra Yücel ist hochintelligent, eloquent, gut vernetzt und integriert. Warum sie trotzdem voller Überzeugung ein Kopftuch trägt.11
Wissen über den Islam wird hier konstituiert bzw. evoziert, ohne dass der Ausdruck Islam verwendet wird. Das Konzept Islam wird durch den Ausdruck Kopftuch in Verbindung mit dem türkischen Namen Kübra Yücel aufgerufen. Wichtig ist auch hervorzuheben, dass diese Äußerung zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als in Deutschland erneut über die Integration muslimischer Zuwanderer debattiert wurde, kurz nach der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab.12 Es erscheint plausibel, dass in bestimmten Kound Kontexten das Konzept Islam durch den Ausdruck Kopftuch mit aufgerufen wird, schließlich ist ein Bedeutungselement des Ausdrucks das Symbol des muslimischen Glaubens. Somit werden in oben stehender Äußerung bestimmte Bedeutungselemente aktiviert, während andere ausgeblendet werden. In einem anderen Kontext, etwa wenn davon die Rede ist, dass sich eine Bäuerin ihr
11 http://stellenmarkt.sueddeutsche.de/cms/fileadmin/OSM/uni-und-job_ii_2010_161010.pdf; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 12 Das Kapitel Zuwanderung und Integration aus Deutschland schafft sich ab ist in Kapitel IV Gegenstand der Analyse.
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit 15
Kopftuch aufbindet, würde wiederum das Bedeutungselement Symbol des muslimischen Glaubens nicht realisiert werden. Letztlich hat ein Ausdruck eine nahezu unendliche Menge an Bedeutungsaspekten, die in einem jeweiligen Kotext evoziert werden können. Sie hatten einen schönen Abend, haben lange geredet, und ein bisschen verliebt hatte sie sich schon. Als sie dann vor ihrem Haus anhielten, wagte sie es und fragte: Kommst du noch auf einen Kaffee mit rauf? In diesem Beispiel evoziert der Ausdruck Kaffee nicht mehr seine Kernbedeutung „anregendes, leicht bitter schmeckendes, meist heiß getrunkenes Getränk von dunkelbrauner bis schwarzer Farbe aus gemahlenem, mit kochendem Wasser übergossenem Kaffee.“13 Er evoziert vielmehr das Konzept des Rendezvous oder des ‚Dates‘, das sicherlich eine seiner Bedeutungsanteile ist, in einem Wörterbucheintrag jedoch nicht erwähnt wird, weil eben diese Bedeutung nur in ganz bestimmten Kontexten auftritt, vielleicht wenn eine junge Frau einen jungen Mann nach einem Abendessen zu einem Kaffee einlädt. Das Konzept des Dates ist damit jedoch nicht an den Ausdruck Kaffee, sondern an das Konzept Einladung zum Kaffee14 geknüpft, das ausdrucksseitig unterschiedlich evoziert werden kann, in diesem Fall eben durch Kommst du noch auf einen Kaffee mit rauf? Damit wird deutlich, dass es wiederum eine nahezu unendliche Menge an Ausdrücken gibt, die bestimmte Konzepte evozieren können. Im Falle von Melda Akbaş Roman So wie ich will, der im Frühling 2010 erschien, wird bereits durch den Titel des Buches in Kombination mit dem Namen der Autorin das Konzept Islam aufgerufen.15 Der türkische Frauenname im Kotext von „So wie ich will“ lässt uns den Inhalt erahnen, dass hier eine muslimische Frau über ihren Weg der Selbstbestimmung erzählt. Das Konzept Islam wird deshalb evoziert, weil wir Melda Akbaş – So wie ich will in einen Kontext einbetten können, in eine aktuell stattfindende Debatte über die Einwanderung muslimischer Zuwanderer. Vorstellbar ist auch, dass bereits die Reihung arabisch klingender Laute in einem bestimmten Kotext das Konzept Islam aufruft. Damit unterscheidet sich diese Auffassung von Konzepten von Ziems (2008) Definition des Frames, der immer an den jeweiligen einzelnen Ausdruck gebunden ist. Während Ziem (2008, 294) davon ausgeht, dass Wörter Frames evozieren und damit unter Frames quasi die Inhaltsseite eines Ausdrucks versteht,
13 http://www.duden.de/rechtschreibung/Kaffee; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 14 Genauer: Einladung zum Kaffee durch einen jungen Mann oder eine junge Frau in einer bestimmten Kommunikationssituation. 15 Der Untertitel Mein Leben zwischen Moschee und Minirock verstärkt natürlich den Aufruf dieses Konzepts, allein durch die Verwendung des Ausdrucks Moschee.
16 I. Theorie, Gegenstand, Methode
Abb. 1: Evokation des Konzepts Islam
A1 Islam
an
Kombination
An X…
An X…
An X…
Kombination
Weise ihrer
An intelligent
An Kübra Weise ihrer
Rückbindung
An Kopftuch Die Art und
evoziert
evoziert
evoziert
A2 Ehrenmord
evoziert
Das Konzept Islam
evoziert
An X…
Die Art und
wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass Konzepte auf verschiedene Art und Weise evoziert werden können und diese nicht mehr an den jeweiligen Ausdruck gebunden sind. Das folgende Schaubild veranschaulicht Möglichkeiten der Evokation eines Konzepts Islam:
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit 17
In dem Schaubild wird verdeutlicht, dass sich Bedeutungskonstitution sowohl punktuell als auch flächig vollziehen kann. Das Konzept Islam wird somit auf unterschiedliche Art und Weise evoziert. Dies kann zum einen durch die explizite Nennung des Ausdrucks Islam erfolgen oder aber durch die Nennung bestimmter anderer Ausdrücke, wie etwa Ehrenmord. In diesen Fällen erfolgt die Bedeutungsbildung punktuell, sie geschieht durch zentrale lexikalische Ausdrücke (vgl. Gardt 2008, 214). Das Konzept Islam kann zum anderen aber auch – wie das Beispiel aus dem SPIEGEL-Artikel Aufstand der Bräute in der Einleitung dieser Arbeit bereits verdeutlicht hat – durch eine Reihe von Schlüsselausdrücken und der Art und Weise ihrer Kombination aufgerufen werden. In diesem Fall ist die Bedeutungsbildung flächig, da erst durch die Kombination einzelner Konstituenten über weite Teile des Textes hinweg ein Konzept evoziert wird: Neben ihr die Schwester, sie juchzen, sie sind Kinder, hier oben geht das, noch eine Runde und noch eine, ein Nachmittag im einzigen Vergnügungspark von Sanaa, der verwunschenen Hauptstadt des Jemen, einer Stadt, die kein Spaß ist für Mädchen. (SPIEGEL, 02.02.2009, Aufstand der Bräute)
Auf subtile Art und Weise wird hier nun ein Konzept Islam konstruiert, indem beispielsweise der Islam in einen Widerspruch zu Spaß haben gesetzt wird. Dieses neu konstruierte Wissen bindet sich zurück an den Ausdruck Islam. Islam ist nun mit kein Spaß verbunden – umgekehrt geschieht diese Rückbindung jedoch nicht. Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werde ich in solchen Fällen von Entstehung von Bedeutungsaspekten (wahlweise ersetzt durch die Ausdrücke Bedeutungsanteile und Bedeutungselemente) sprechen. Wann immer im Folgenden davon die Rede ist, dass ein Konzept bestimmte Bedeutungsaspekte enthält oder ein Konzept entsteht, so ist damit gemeint, dass durch die Sprache/den Text Bedeutungsanteile im Konzept konstituiert, d. h. durch den Leser am Text gebildet werden. So wie es Ziem (2008) bezogen auf den Frame verdeutlicht,16 gehe auch ich davon aus, dass ein Konzept bestimmte Leerstellen enthält, die mit konkreten Füllwerten, sogenannten Fillers, gefüllt werden können. Frames bestehen aus drei Strukturelementen und der Menge ihrer Beziehungen zueinander. Strukturelemente sind: (1) Slots, also konzeptuelle Leerstellen, die in Gestalt von sinnvoll zu stellenden Fragen identifiziert werden können.
16 Zur genauen Unterscheidung der Begriffe Frame und Konzept vgl. Kapitel III, 2.1.
18 I. Theorie, Gegenstand, Methode (2) Fillers, das sind Füllelemente dieser Slots, die der Menge der in der gegebenen Datenbasis enthaltenen Informationseinheiten (das Gesagte, das Gesehene, das Gehörte) entsprechen. (3) Default-Werte, das sind vorausgesetzte und prototypisch erwartbare Füllelemente der Slots. Obwohl sie in der gegebenen Datenbasis nicht auftreten, sind sie verstehensrelevant. Jeder Filler/Default-Wert bildet dabei selbst wiederum einen Frame, so dass Frames insgesamt eher in einer netzwerkartigen als in einer hierarchischen Struktur verbunden sind (Minsky 1975; auch: Fillmore 1982, Langacker 1987, Taylor 2000). (Ziem 2005a, 4)
Mithilfe einer Frame-Analyse können diese Fillers herausgearbeitet werden: Mit welchen konkreten Füllwerten werden die Leerstellen im Konzept Islam durch die öffentliche Diskussion also gefüllt? Interessant bei einer solchen Analyse sind jedoch auch die Standardwerte in einem Konzept, die Ziem bezogen auf den Frame wie folgt darstellt: Aktiviert ein Sprachbenutzer oder eine Sprachbenutzerin einen Frame, stellt er oder sie einen kognitiven Bezug zu einem Frame her, dessen Leerstellen im Akt der Referentialisierung teilweise schon mit Standardwissen gefüllt sind. (…) Solche referenzermöglichenden Eigenschaftsattribuierungen nenne ich fortan „implizite Prädikationen.“ (Ziem 2008, 335f)
Um zu verdeutlichen, was Ziem unter einer solchen impliziten Prädikation versteht, gibt er ein Beispiel (vgl. dazu auch Coulson 2001, 55): Alle hatten so viel Spaß daran, vom Baum in den Swimmingpool zu springen, dass wir uns dazu entschlossen haben, ein wenig Wasser einzulassen. (Ziem 2008, 336)
Laut Ziem (ebd.) „ruft das Wort Swimmingpool zunächst einen Frame auf, der durch eine explizite Prädikation spezifiziert ist.“ Personen springen also in den Swimmingpool. Diese epistemische Perspektivierung motiviert sodann allerlei implizite Annahmen, so beispielsweise über die erwartbare Größe eines Swimmingpools (…). Die Pointe des Witzes kommt dadurch zustande, dass eine – scheinbar unerschütterliche – implizite Prädikation getilgt wird und infolgedessen eine semantische Reininterpretation des Hauptsatzes einsetzt. (Ebd.)
Ziem liegt hier jedoch nicht ganz richtig. Nicht der Ausdruck Swimmingpool allein ruft die implizite Prädikation auf, sondern die hier durchgeführte Verknüpfung zweier widersprüchlicher Sachverhalte führt zur Irritation und macht damit die Pointe des Witzes aus. Die Eigenschaft des „Mit-Wasser-gefüllt-Seins“ ist keine unerschütterliche Prädikation, die fest an den Ausdruck Swimmingpool
1. Theoretischer Hintergrund der Arbeit 19
gebunden ist. Diese implizite Prädikation wird durch den Kotext17 gesteuert. Ohne dass es beim Rezipienten zu Irritationen kommt, kann sie durch den Kotext wieder aufgehoben werden. In folgendem Beispiel fehlt die Pointe, die jedoch auftreten müsste, wenn Ziem Recht behielte: Die Kinder haben solange mit traurigen Augen vor dem Swimmingpool gestanden, dass wir uns entschlossen haben, ein wenig Wasser einzulassen. Während in Ziems Beispiel die zwei genannten Sachverhalte in einem Widerspruch stehen, taucht eben dieser Widerspruch in meinem Beispiel nicht auf. Der Grund dafür ist, dass die Verknüpfung der zwei Sachverhalte im ersten Beispiel irritierend ist, weil es zu unserem Weltwissen gehört, dass man nicht von einem Baum in einen Swimmingpool springen kann, (ohne sich zu verletzen,) wenn dieser nicht mit Wasser gefüllt ist. Hingegen evoziert der Hauptsatz Die Kinder haben solange mit traurigen Augen vor dem Swimmingpool gestanden vorab schon eine ganz andere Szene, eine andere Erwartungshaltung. Der Widerspruch zum im Nebensatz implizierten Sachverhalt erscheint in diesem Fall nicht: 1. A Wir springen vom Baum in den Swimmingpool. B Der Swimmingpool ist nicht mit Wasser gefüllt. 2. A Die Kinder stehen mit traurigen Augen vor dem Swimmingpool. B Der Swimmingpool ist nicht mit Wasser gefüllt. Während im ersten Beispiel die beiden Propositionen aufgrund unseres Weltwissens im Widerspruch stehen, ergänzen sich die beiden Propositionen im zweiten Beispiel. Die Proposition dass der Swimmingpool nicht mit Wasser gefüllt ist stellt die Begründung für die Proposition dass die Kinder mit traurigen Augen vor dem Swimmingpool stehen dar. Somit lässt sich festhalten: 1.
Ausdrücke evozieren isoliert bestimmte Konzepte. Würde man etwa einer Klasse Grundschulkindern die Aufgabe geben, sie sollen einen Swimmingpool malen, so würde die Zeichnung vermutlich in jedem Fall einen mit Wasser gefüllten Pool darstellen, schließlich gehört es zur Hauptfunktion des Swimmingpools, dass man darin schwimmen (oder vielleicht auch von einem Baum hineinspringen) kann.
17 Wie Gardt (2005, 152) verwende ich hier Kotext „im Sinne der sprachlichen Umgebung des Wortes im Text, Kontext im Sinne des über den Text hinausgehenden Zusammenhangs (wie in historischer Kontext).“
20 I. Theorie, Gegenstand, Methode 2.
3.
Innerhalb eines Textes evoziert jedoch nicht jeder Ausdruck ein einzelnes Konzept. Der Auszug aus dem SPIEGEL-Artikel Aufstand der Bräute in der Einleitung dieser Arbeit sowie das Schaubild in der Abbildung 1 haben gezeigt, dass Konzepte durch verschiedene sprachliche Ausdrücke und die Art und Weise der Verknüpfung evoziert werden können. Die kognitive Realisation von Konzepten wird durch den Kotext gesteuert. Das Swimmingpool-Beispiel verdeutlicht, dass der Kotext mitbestimmt, welche Bedeutungsanteile eines bestimmten Konzeptes evoziert und welche ausgeblendet werden können.
Bedeutung kann also auf sehr viele Arten und Weisen konstituiert werden. Sie entsteht zum einen auf der lexikalischen Ebene durch die Verwendung bestimmter Ausdrücke, sie entsteht zum anderen auch auf der syntagmatischen Ebene, beispielsweise durch eine syntaktische Gleichsetzung verschiedener Konstituenten. Bedeutung entsteht zudem zwischen den Zeilen (vgl. Polenz 1989), Zusammenhänge werden implikatiert, Denkmuster können über durch den Kontext Mitzuverstehendes evoziert werden. Dies hat Auswirkungen auf die zu verwendende Methode zur Analyse von Konzepten. Sowohl die Frame-Analyse als auch die Korpuslinguistik betrachten die Kotexte einzelner Ausdrücke. Es wird untersucht, wie ein bestimmter Ausdruck in eine sprachliche Umgebung eingebettet ist. Damit kann jedoch eine umfassende Bedeutungsanalyse nicht gelingen, weil ein Konzept eben nicht nur durch den Ausdruck, der das jeweilige Konzept benennt, aufgerufen werden kann. In Kapitel 3 wird ausführlich dargelegt, welche Methoden zur Analyse der Bedeutungskonstitution in Diskursen verwendet werden müssen.
2. Gegenstand Ob bei der durch Thilo Sarrazin ausgelösten Debatte um die deutsche Migrationspolitik, ob bei der Kopftuchdebatte oder bei Diskussionen um den Bau einer Moschee – der Islam steht seit dem 11. September 2001 immer wieder im Fokus der öffentlichen Diskussion. Nach Schiffer (2005, 13) herrscht [i]n weiten Kreisen der nichtmuslimischen deutschen Bevölkerung ein Negativbild über den Islam vor, das durch wenig konkrete Sachkenntnis über Kultur und Religion sowie die geo-politischen Verhältnisse in der so genannten islamischen Welt geprägt ist, sondern vornehmlich aus emotionalen Komponenten besteht. Neben Gewaltassoziationen herrschen zudem stereotype Vorstellungen über das Frauenbild vor sowie die Idee von Rückschrittlichkeit und Weltmachtstreben bis hin zum Empfinden eines starken Bedrohungspotenzials von Seiten des Islams.
2. Gegenstand 21
Wahl (2011, 13) ist ebenfalls der Meinung, dass „der Islam sich in vergangener Zeit zu einem Medienthema entwickelt [hat], über das oftmals einseitig und negativ berichtet wird.“ Lüders (2007, 13) hält die seiner Meinung nach zunehmende Islamophobie in Deutschland „für eine Neuauflage des Antisemitismus unter anderen Vorzeichen.“ Denn qualitativ bestehe „zwischen den Aussagen ‚Die Juden sind unser Unglück‘ und ‚Der Islam ist eine fanatische Religion‘ kein Unterschied.“ Die Rolle des Islam in der und für die westliche(n) Gesellschaft wird in unterschiedlichen Debatten kontrovers diskutiert. Somit lässt sich feststellen, dass es den Islamdiskurs eigentlich gar nicht gibt, sondern der Islam vielmehr Gegenstand unterschiedlicher Teildiskurse ist: Der Islamdiskurs ist die Summe dieser Teildiskurse. Eben diese Teildiskurse ausfindig zu machen, stellt eine schwierige Aufgabe dar, zum einen, weil es eine große Anzahl sehr unterschiedlicher Debatten gibt, die sich mit dem Islam auseinandersetzen, zum anderen, weil diese Debatten beziehungsweise Diskurse häufig nicht eindeutig voneinander abgrenzbar sind. So gibt es – niemand wird es abstreiten – seit vielen Jahren immer wieder eine zu bestimmten Zeiten intensivere, zu anderen Zeiten weniger intensive Diskussion über die Integration muslimischer Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft. Ob diese Diskussion nun thematisch einen eigenen Teildiskurs darstellt, ist nicht leicht zu beantworten, schließlich wird über die Integration der Muslime auch in weiteren Teildiskursen des Islamdiskurses diskutiert, nämlich beispielsweise im Kölner Moscheebaudiskurs, wie auch die Darstellung der Diskursanalyse in Kapitel III deutlich macht. Zudem hat der Islamdiskurs regionale, nationale und internationale Komponenten. Bestimmte Diskurse über Moscheebauten beispielsweise finden auf regionaler Ebene statt, gelangen aber nicht immer in das nationale Bewusstsein. Andere Diskurse beschäftigen sich mit der Rolle des Islam in anderen Ländern. Die Debatte um islamistischen Terrorismus wird auf nationaler Ebene wie auch auf internationaler Ebene geführt. Auf nationaler Ebene wurden beispielsweise die sogenannten „Sauerland-Terroristen“ diskutiert. Der islamistische Terrorismus spielt aber vor allem in einer Reihe von Teildiskursen, die sich mit dem „internationalen Islam“ beschäftigen, eine Rolle, zum Beispiel in der Diskussion um den Afghanistan-Einsatz, den Irak-Krieg und selbstverständlich in den Diskussionen um die Anschläge vom 11. September sowie um den Terrorismus in Europa (London, Madrid). Mit der Diskussion um den islamistischen Terrorismus geht auch häufig eine Diskussion über die Rolle des Islam einher. Der Islamdiskurs zeichnet sich somit durch eine Reihe von Teildiskursen und deren thematische Verflechtung aus. Dies zeigt ebenfalls die Betrachtung des Untersuchungskorpus „2009“ für die korpuslinguistische Analyse in Kapitel II. Das Korpus besteht aus 7504 Zeitungsartikeln sowie Artikeln aus Magazinen und stellt ein Diskurskor-
22 I. Theorie, Gegenstand, Methode pus zum Islamdiskurs dar.18 Über die Browser-Suchfunktion wurde in einer Voruntersuchung nach dem Lexem Islam gesucht, um Teildiskurse des Diskurses ausfindig zu machen. Die Teildiskurse, die sich über das stichprobenartige Lesen einzelner Artikel aus diesem Korpus und deren Zuordnung zu einem jeweiligen Subthema ergeben, sind unter anderem die Debatte um die Rolle des Irans, der Nahostkonflikt, Debatten um Terrorismus (im Inland und Ausland), Diskussionen um Moscheebauten (vor allem in der Schweiz), Karikaturenstreit, Afghanistan-Einsatz, Irakkrieg, Berichte über Ehrenmorde, Kopftuchstreit, Integration im Allgemeinen etc. Im Korpus finden sich auch Artikel zu einem gesellschaftlich weniger brisanten Unterdiskurs, nämlich zu islamischer Kunst (bildender Kunst, Literatur, Film). Die Liste der Debatten, die allein im Jahr 2009 von den deutschen Zeitungen aufgegriffen wurden, könnte noch lange weiter geführt werden. Diese Arbeit beschäftigt sich noch mit einem weiteren Teildiskurs des Islamdiskurses, der nach dem Jahr 2009 in Deutschland eine Rolle gespielt hat. Ich nenne diesen Diskurs die Sarrazindebatte, weil die Diskussion um den Islam in Deutschland durch Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab ausgelöst wurde und diese Diskussion außerdem mit einer Diskussion um die Person Thilo Sarrazin einhergeht. Folgende Abbildung zeigt einige Teildiskurse des Islamdiskurses, die sich vor allem aus dem Korpus „2009“ ableiten ließen. Hinzugefügt wurde – weil sich diese Arbeit mit diesem Diskurs beschäftigt, der jedoch in das Jahr 2010 eingeordnet werden muss – noch die Sarrazin-Debatte. Das Schaubild erhebt nicht den Anspruch, vollständig zu sein.19
18 Für die genaue Erläuterung des Korpus siehe Kapitel II, 2. 19 So könnten beispielsweise auch die Diskussionen um den Arabischen Frühling mit in das Schaubild aufgenommen werden, in denen die Rolle des Islam ebenfalls diskutiert wird.
2. Gegenstand 23
KopftuchIslamische
verbot
Moschee-
Kunst
bau
Terrorismus
Sarrazin
IslamDiskurs
Ehren-
Karikatu-
morde
ren
Iran als Integration
Atommacht Afghanis-
Nahost-
taneinsatz
Konflikt
Abb. 2: Der Islamdiskurs
Der Islamdiskurs stellt also keinen eigenen Diskurs dar, sondern ist vielmehr die Summe seiner Teildiskurse. Dabei diskutieren die Diskursakteure in Deutschland nationale Themen und somit Themen, die direkt vor der eigenen Haustür präsent sind, wie etwa den Kölner Moscheebau oder den Streit um das Kopftuch an deutschen Schulen, oft deutlich emotionaler als in Teildiskursen, die internationale Themen, wie etwa den Nahostkonflikt oder den Irak-Krieg, betreffen. Daraus folgt, dass es verschiedene Diskursakteure gibt, die nicht Teilnehmer eines jeden Teildiskurses des Islamdiskurses sind. So ist etwa George W. Bush ein Akteur des Islamdiskurses, weil er sich zum Irak-Krieg oder zum Nahost-Konflikt äußert, ebenso wie der ehemalige Oberbürgermeister von Köln, Fritz Schramma, als Diskursakteur erscheint, obwohl sich seine Äußerun-
24 I. Theorie, Gegenstand, Methode gen zumeist auf einen anderen Gegenstand, nämlich den Kölner Moscheebaudiskurs, beziehen. Zudem finden die verschiedenen Teildiskurse zeitlich nicht parallel statt. Deshalb ist es möglich, dass sowohl George W. Bush, der 43. USPräsident, als auch Barack Obama, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, Akteure des Islamdiskurses sind. Während in Kapitel II mithilfe der korpuslinguistischen Untersuchung die Diskussionen über den Islam im Allgemeinen in den Blick genommen werden und nicht hinsichtlich der verschiedenen Teildiskurse differenziert wird, beschäftigen sich die Kapitel III und IV mit ‚nationalen‘ Diskursen, also Diskursen, in denen der Islam in Deutschland thematisiert wird. Die Brisanz der Teildiskurse, die sich mit dem Islam auseinandersetzen, spiegelt sich allein in der Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten, vor allem in dem Bereich der Sozial- und Medienwissenschaften, deren Titel an dieser Stelle alle zu nennen schier unmöglich erscheint. Deshalb werde ich im Folgenden nur einige Arbeiten exemplarisch aufführen. Schiffhauer (1998, 419) konstituiert den Islam als Diskursfeld, „als eine Arena, in der zahlreiche Akteure untereinander aushandeln, was der Islam ‚ist‘.“ Während für Schiffhauer die entscheidende Frage die „nach dem Verhältnis von Diskurs und Macht“ (ebd.) ist, legt die vorliegende Arbeit allerdings den Fokus eher auf die Bedeutung von Islam, die diskursiv ausgehandelt wird, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die Machtstrukturen, die zur Konstitution eines Konzepts Islam beitragen, aufzudecken. Halm (2008) beschäftigt sich ebenfalls mit dem „Islam als Diskursfeld“. Wie die vorliegende Arbeit geht auch Halm (2008, 101ff) davon aus, dass der Islam in Deutschland durch den Diskurs konstruiert wird. Dabei geht es ihm jedoch nicht um eine sprachliche Konstruktion des Islam, sondern vielmehr um die Frage, „wie Akteure (…) ihre Sicht auf den Islam und die Muslime im Diskurs etablieren und damit (gesellschafts-) politische Positionen zu legitimieren suchen“ (ebd. 101). Schiffer (2005) setzt sich mit der Darstellung des Islam in der Presse auseinander. Der Arbeit liegt die Annahme zu Grunde, „dass Rassismus durch den Elite- und Mediendiskurs induziert, gar verstärkt wird“ (2005, 32). Schiffer (2005, 224) gibt an, dass ihre Arbeit aufzeigt, „wie durch übliche Wahrnehmungsvorgänge und Reparaturmechanismen einerseits und Konstruktionsprinzipien (presse-)medialer Darstellungen andererseits leicht ein kohärentes System entstehen kann, das sich immer wieder selbst zu bestätigen scheint.“ Die Arbeit ist – wenngleich Schiffer dies nicht explizit selbst vornimmt – in die Tradition der kritischen Diskurslinguistik einzuordnen und unterscheidet sich damit von der Herangehensweise der vorliegenden Arbeit. Auch Hafez und Richter (2007) beschäftigen sich mit dem Islambild in den Medien, genauer gesagt von ARD und ZDF; Schenk (2009) untersucht das „Islambild im interna-
2. Gegenstand 25
tionalen Fernsehen.“ Mit der muslimischen Migration in Deutschland beschäftigen sich Rauer (2004), Rommelspacher (2002) und Salama (2010). Kirchhoff (2010) analysiert die Mediendiskurse über die Anschläge vom 11. September. Eine große Anzahl an Arbeiten setzt sich mit dem Karikaturenstreit auseinander. Die Debatte um die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen wurde sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene geführt. Görlach (2009) legt eine linguistische Auseinandersetzung mit dem Karikaturenstreit in deutschen Printmedien vor. Ziel seiner Arbeit ist es, „den Diskurs, der im Kontext des Karikaturenstreits in deutschen Zeitschriften und Zeitungen geführt wurde“ (2009, 14), zu beschreiben. Auch wenn zur Beschreibung des Diskurses in Görlachs Ausführungen unter anderem eine Toposanalyse durchgeführt wurde, die auch zum Methoden-Repertoire dieser Arbeit gehört, unterscheidet sich Görlachs Herangehensweise von meinen Ausführungen. Meine Kritik an Görlachs Ausführungen beginnt bereits bei seinem Verständnis von Diskurs, der seiner Meinung nach „in deutschen Zeitschriften und Zeitungen geführt“ wird. Eine Reflektion darüber, was einen Diskurs denn ausmacht und warum eine Untersuchung eines Diskurses wie den des Karikaturenstreits sinnvoll ist, fehlen in Görlachs Arbeit. Auch wenn er sich bei seinen Ausführungen zur Diskursanalyse unter anderem auf die Überlegungen von Busse (2000) bezieht, thematisiert er nicht dessen Grundprämisse. Dabei war mir vor allem wichtig, dass Foucault seine Diskursanalyse als Genealogie, als Analyse der Genese und Genesebedingungen gesellschaftlichen Wissens in diskursiven Formationen verstanden hat. (Busse 2000, 40)
Während Busse also davon ausgeht, dass Diskurse Orte der Wissensgenerierung sind, und für ihn die Diskursanalyse unter anderem den Zweck hat, „Prozesse der Bedeutungskonstitution“ zu erklären sowie „in welcher Weise gesellschaftliches Wissen in die Konstitution und den Wandel von Wort- und Textbedeutungen eingreift“ (ebd. 42), geht Görlach (2009, 34) davon aus, dass „Texte (…) Teile der Wirklichkeit ab[bilden].“ Jäger (2007) setzt sich als einer der Hauptvertreter der kritischen Diskurslinguistik ebenfalls mit der Diskussion um die Mohammed-Karikaturen auseinander. Die sozialwissenschaftliche Arbeit von Ata (2011) führt eine Diskursanalyse des Karikaturenstreits durch. Mit diesem Streit beschäftigen sich außerdem Debatin (2007a), Meier (2007) und Rosiny (2007), die hier exemplarisch aufgeführt werden. Eine ganze Reihe an Publikationen findet sich zudem zur Kopftuchdebatte. Karakasolu setzt sich bereits 1998 mit „‚Kopftuch-Studentinnen‘ türkischer Herkunft an deutschen Universitäten“ auseinander. Arbeiten zum Kopftuchstreit in Deutschland legen außerdem Amir-Moazami (2007), Boshammer (2003), Haupt (2010), Ekardt (2009), Wiese (2009) und Nökel (2004)
26 I. Theorie, Gegenstand, Methode vor. Eine linguistische Auseinandersetzung mit der „Bedeutung des muslimischen Kopftuchs“ liefert Şahin (demn.). Mit Streit um Moscheebauten setzen sich Schmitt (2003), Bozay (2008), Müller und Tanner (2009), Tanner (2009), Lauterbach und Lottermoser (2009), Beinhauer-Köhler und Leggewie (2009) sowie Gaudernack (2001) auseinander. Behloul (2009, 104) beschäftigt sich mit der „aktuelle[n] Minarettdebatte“ in der Schweiz und stellt dabei ebenfalls eine Besonderheit des Islamdiskurses bzw. der Islamdiskurse fest: Zusammenfassend lässt sich jedoch für alle europäischen Islam-Diskurse feststellen, dass sie eine Art Seismograph sowohl für das wandelnde Selbst- und Fremdverständnis Europas wie auch für die Wahrnehmung eigener sozialer Umbrüche und Probleme darstellen. So gesehen, stellen diese Diskurse keine blossen Religions- bzw. Islamdiskurse dar. Sie sind vielmehr Kreuzungsfelder unterschiedlicher gesellschaftsrelevanter Diskurse. (Ebd. 118)
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden Die vorliegende Arbeit setzt es sich zum Ziel, das Konzept Islam, wie es der gegenwärtigen Diskussion um den Islam in Deutschland zugrunde liegt, möglichst umfassend zu beschreiben. Zudem soll herausgearbeitet werden, mithilfe welcher sprachlichen Mittel ein solches Konzept konstruiert wird. „Mit linguistischen Mitteln sollen kollektiv wirksame Bedeutungskonstruktionen oder ‚Mentalitäten‘ rekonstruiert werden (…)“ (Ziem 2005b, 316). Die zuvor ausführlich dargelegte Annahme, dass Konzepte auf verschiedene Weise entstehen können und nicht an einzelne Ausdrücke gebunden sind, hat Konsequenzen für die Auswahl der Methoden. Um eine ausführliche Beschreibung eines Konzeptes zu ermöglichen, müssen verschiedene Methoden der lexikalischen Semantik und der Diskursanalyse miteinander kombiniert und schließlich auf Textkorpora mit unterschiedlicher Größe angewandt werden. Jede der verwendeten Methoden hat für sich genommen bestimmte Vorzüge und ist gleichzeitig in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Die Herangehensweise ist deshalb – wie bereits in der Einleitung dargelegt – vergleichbar mit einem Zoom, der das zu betrachtende Korpus in jedem Schritt verkleinert und dadurch einen detaillierteren Blick auf die Texte ermöglicht.
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 27
3.1 Möglichkeiten und Grenzen der Korpuslinguistik In einem ersten Schritt wurde mittels einer korpuslinguistischen Untersuchung auf sehr große Korpora, die aus weit über 3000 Zeitungstexten bestehen, zugegriffen.20 Korpuslinguistik wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Bubenhofer (2009) aufgefasst als eine Methode der Diskursanalyse. Die Größe der Textkorpora ließ einen Blick auf eine Vielzahl von Kotextualisierungen des Lexems Islam zu. Unter einer Kotextualisierung wird hier das Einbetten eines Lexems in eine unmittelbare sprachliche Umgebung verstanden. Ein großes Textkorpus, das als Diskurskorpus verstanden wird (vgl. Kapitel II, 2) – also als ein Korpus, dessen Texte sich mit dem Islamdiskurs auseinandersetzen –, gewährleistet die Analyse des allgemeinen sprachlichen Umgangs mit dem Lexem Islam. Dabei wird unter anderem die Frage beantwortet, welche Schlüsselwörter und Mehrworteinheiten besonders häufig vorkommen beziehungsweise besonders signifikant für den Islamdiskurs sind. Außerdem gibt sie Antwort auf die Frage, in welchen Kollokationen21 Islam häufig auftaucht. Diese Art der Untersuchung skizziert das Konzept Islam, das in der öffentlichen Diskussion konstituiert wird, und macht zudem einen diachronen Vergleich des sprachlichen Umgangs mit dem Islam möglich. Wie hat sich dieser nach den Anschlägen vom 11. September verändert? Ist dieses damals konstituierte Islambild ein anderes als das gegenwärtige? Gleichzeitig sind durch den Blick auf große Mengen von Sprachdaten die Möglichkeiten einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung doch sehr eingeschränkt. Laut Teubert (2005b, 98) ist die Bedeutung eines Ausdrucks dann erfasst, wenn man jede einzelne sprachliche Umgebung, in der er vorkommt, betrachtet hat: The full meaning of the word is only available once all occurrences of the word in the texts of the English discourse community have been taken into account.
Durch die Analyse sehr großer Textkorpora ist es möglich, eine große Menge an Kotextualisierungen zu betrachten. Damit – so könnte man Teuberts Aussage interpretieren – kann sich der umfassenden Bedeutungsbeschreibung eines Ausdrucks angenähert werden. Die Korpuslinguistik bietet eine Reihe an Werkzeugen, mithilfe derer sich die Kotextualisierungen eines bestimmten Ausdrucks gezielt herausarbeiten lassen. Steht nun ein sehr großes Korpus zur Verfügung mit einer auffällig häufigen Verwendung eines bestimmten Lexems,
20 Zur genauen Beschreibung der Korpora vgl. II, 2. 21 Zum Begriff der Kollokation vgl. II, 3.
28 I. Theorie, Gegenstand, Methode so ist es möglich, frequente Kotextualisierungen herauszuarbeiten und somit – so könnte man meinen – die Bedeutung des jeweiligen Lexems nahezu vollständig zu bestimmen. Folgt man Teuberts Definition von Bedeutung, so erscheint auch diese Schlussfolgerung plausibel. Die in der Einleitung der Arbeit diskutierten Beispiele haben jedoch gezeigt, dass Konzepte wie das Konzept Islam auch ohne explizite Nennung des Ausdrucks Islam evoziert und konstituiert werden können. Das Konzept Islam kann auch dann evoziert werden, wenn bestimmte Schlüsselausdrücke wie Ehrenmord, Kopftuch, Moschee oder sogar nur ein arabisch klingender Name verwendet werden. Die Ausdrücke können deshalb das Konzept Islam evozieren, weil sie zuvor bereits vermehrt im Kotext von Islam verwendet wurden. Konsequenterweise müssten die Korpora nun auch auf diese Ausdrücke hin abgefragt werden. Die Menge dieser Ausdrücke ist jedoch zum einen sehr groß und zum anderen evozieren diese Ausdrücke wiederum nicht in jedem Kotext das Konzept Islam (Die Bäuerin band sich ein Kopftuch um). Somit eignet sich die Korpuslinguistik nicht, um all diese Möglichkeiten der Evokation zu erfassen.22 Will man, wie Teubert (2006a) veranschaulicht, die Polysemie von arm beschreiben, so sind die Methoden der Korpuslinguistik fast hinreichend, wird das Konzept arm doch in den meisten Fällen auch über die Verwendung des Adjektivs arm evoziert. Die verschiedenen Lesarten von arm können mittels korpuslinguistischer Methoden wahrscheinlich gänzlich ermittelt werden, was allein damit begründet werden kann, dass arm ein Adjektiv ist. Bei der Bedeutungsbeschreibung von abstrakten Substantiven wie Islam kann sich jedoch aus oben genannten Gründen nicht allein auf diese Methoden verlassen werden, schon deshalb, weil Islam im Text durch weitere Nominalphrasen (beispielsweise diese Religion oder es) wiederaufgenommen werden kann. Man kann in diesem speziellen Fall wahrscheinlich davon ausgehen, dass in der Diskussion vielleicht sogar absichtlich auf die Verwendung des Ausdrucks verzichtet wird, da der Islam im öffentlichen Diskurs kontrovers diskutiert wird und es sich um ein brisantes Thema handelt. Dem Islam oder gar den Muslimen direkt und explizit bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, macht angreifbar. Dies wird von den
22 Texte müssten zudem ohne Mittel der Wiederaufnahme auskommen, damit die vollständige Bedeutung eines Ausdrucks auf diese Weise erfasst werden könnte. Auf den Islam wird sich jedoch nicht alleine mit dem Ausdruck Islam bezogen, man könnte sich auf den Islam ebenso mit einer anderen Nominalphrase – wie etwa diese Religion – oder mithilfe eines Pronomens beziehen. Wird im Text zu diesen Mitteln der Wiederaufnahme gegriffen – wie in nahezu jedem Text –, dann kann der auf den Islam Bezug nehmende Ausdruck mithilfe der korpuslinguistischen Methoden nicht mehr erfasst werden.
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 29
Diskursteilnehmern – etwa im Kölner Moscheebaudiskurs – häufig auch explizit thematisiert: 1.
2.
3.
Eine Einzelhandelsfrau aus Ehrenfeld steht auf dem Bürgersteig und erklärt: „Ich fürchte mich einfach davor, dass sich fundamentalistische Muslime immer weiter ausbreiten.“ Aber es sei kaum möglich, diese Angst differenziert zur Sprache zu bringen, denn dann werde man gleich in die rechte Ecke gestellt. (SPIEGEL, 16.06.2007, Die zwei Welten von Köln) Die vielen Briefe, Faxe und Anrufe, die mich seither erreichten, hatten dann auch einen ebenso einheitlichen wie bestürzenden Tenor: „Wir stehen hinter Ihrer Kritik, fürchten aber, in die falsche, die neonazistische Ecke gestellt zu werden, wenn wir sie aussprechen.“ Auf der ganzen Linie also Triumph des niederträchtigsten aller niederträchtigen Totschlagargumente der „Political Correctness“: „Wer gegen die Moschee ist und das laut sagt, besorgt die Sache der Nazis von heute.“ (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“) Weil er davor warnt und beschreibt, was jetzt schon passiert, mitten in Deutschland, muss er sich einen neuen Kampfbegriff um die Ohren schlagen lassen: „Islamophobie“. Wer Ehrenmorde, Zwangsehen und andere religiös motivierte Gewalt anklagt, der wird als islamophob diffamiert. Wer will schon islamophob sein? Das klingt nach Rückständigkeit und Intoleranz, also reagieren viele so, wie es auf Broders Buchumschlag steht: Sie kapitulieren und knicken ein. (FAZ, 25.06.2007, Waffen gegen die deutsche Elefantenhaut)
Etwas gegen den Islam zu sagen, sei laut vieler Diskursteilnehmer nicht möglich, ohne dabei in die neonazistische Ecke gestellt zu werden (Beispiel 2). Es kann also davon ausgegangen werden, dass sprachbewusste Diskursteilnehmer dem Islam beziehungsweise den Muslimen nicht direkt bestimmte Eigenschaften zuschreiben, sondern dass diese Zuschreibungen häufig nur mittels des ‚Zwischen-den-Zeilen-Lesens‘ (in Anlehnung an Polenz 1989) aufgezeigt werden können.23 Nachdem nun die Einschränkungen einer korpuslinguistischen Untersuchung zur Bedeutungsbeschreibung aufgezeigt wurden, soll im Folgenden dargestellt werden, weshalb sie trotz allem notwendig erscheint. Es eröffnet sich ein Blick auf eine sehr große Menge an Sprachdaten, was eine völlig neue Herausforderung für die Linguistik bedeutet. Es bietet sich nunmehr die Chance, anhand sehr großer Sammlungen natürlichsprachiger Texte auch solche sprachliche Verwendungsmuster und Strukturen zu erkennen, die sich bisher dem Blick der Sprachteilhaber und auch der Linguisten oft noch entzogen haben. Es bietet sich die Chance, sprachlichen Usus in einer neuen Dimension zu erfassen und zu beschreiben. (Belica/Steyer 2006, 3)
23 Vor allem die Analysen der Äußerungen Thilo Sarrazins in Kapitel IV werden dies veranschaulichen.
30 I. Theorie, Gegenstand, Methode Mittels korpuslinguistischer Methoden ist es möglich, eine sehr große Menge an Sprachdaten zu bewältigen und Musterhaftigkeiten, Regelhaftigkeiten ausfindig zu machen. Über eine korpusgesteuerte24 Analyse geraten Sprachdaten in den Blick, die bei einer Analyse ‚per Hand‘ vielleicht gar nicht aufgefallen wären. Vor allem bei einer Analyse eines gegenwärtigen Diskurses ist es auf diese Weise möglich, die Daten zu objektivieren: Bei der Untersuchung eines Gegenwartsdiskurses wie dem Islamdiskurs ist man schließlich Wissenschaftler und Diskursteilnehmer zugleich. So gerät etwa bei der automatischen Analyse der häufigsten Mehrworteinheiten25 im Korpus plötzlich die Wendung in der islamischen Welt in den Blick, die im Diskurs scheinbar inflationär gebraucht wird. Für die Beschreibung des Islamkonzepts ist die Erfassung einer Wendung wie in der islamischen Welt von besonderer Bedeutung, wie im Kapitel II 4.2 ausführlicher dargestellt wird. Fillmore (1992, 35) stellt ebenfalls fest, dass sich mittels korpuslinguistischer Untersuchungen ganz neue Perspektiven eröffnen: I have two main observations to make. The first is that I don’t think there can be any corpora, however large, that contain information about all of the areas of English lexicon and grammar that I want to explore; all that I have seen are inadequate. The second observation is that every corpus that I’ve had a chance to examine, however small, has taught me facts that I couldn’t imagine finding out about in any other way.
Als Vorteil einer korpuslinguistischen Analyse zu diskurslinguistischen Zwecken sieht Bubenhofer (2008a, 413f) vor allem die korpusgesteuerten Zugangsweisen: Eine induktive Analyse, bei der Sprachgebrauchsmuster im Zentrum stehen, bietet (…) zusätzlich die Chance, Diskurse nicht nur thematisch zu definieren, sondern als Cluster von ähnlichem Sprachgebrauch. Dazu wird in einem großzügig gewählten Ausgangskorpus (z.B. alle Zeitungsartikel aus allen Ressorts eines Jahrgangs) nach typischen Sprachgebrauchsmustern gefahndet.
Für Bubenhofer (2008a, 410f) sind mit der Analyse von Sprachgebrauchsmustern zwei Vorteile verbunden:
24 Was genau unter einer korpusgesteuerten Analyse zu verstehen ist, wird in Kapitel II, 3 ausführlich dargestellt. 25 Unter einer Mehrworteinheit verstehe ich wie Bubenhofer (2009, 8) „[z]wei oder mehr Wörter, die frequent und/oder überzufällig oft nahe zusammen in einem Korpus auftreten.“
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 31 1.
2.
Es wird möglich, die eher inhaltliche Beschreibung von Diskursen zu ergänzen durch die Analyse der diskursiven Praxis, also die Frage „nach Gebrauchsweisen von Begriffen, den Ausformungen von Texten und den Routinen des sprachlichen Handelns“ (Linke 2003:40) zu stellen. Das Auffinden von formal bestimmten Sprachgebrauchsmustern ist die algorithmisch einfacher operationalisierbare Aufgabe als das Auffinden von Konzepten wie Topos oder Metapher, die auf der Textoberfläche sehr unterschiedlich formalisiert werden können. Damit ebnet sich ein Weg, um mit korpuslinguistischer Hilfe und großen Datenmengen diskursanalytisch zu arbeiten.
Aber auch die korpusbasierten Methoden26 ermöglichen eine Beschreibung des Konzepts Islam. Geht man davon aus, dass die Kotextualisierungen eines Ausdrucks zumindest einen Teil seiner Bedeutung ausmachen, so kann man mithilfe von Kollokationsanalysen Teilaspekte der Bedeutung von Islam ermitteln. Mit solchen Analysen ist es möglich, bestimmte Fragen sehr genau zu beantworten: Welche attributiv gebrauchten Adjektive stehen häufig vor Muslim? In welchen Kotexten werden islamisch und islamistisch gebraucht? Ergibt sich aus dem Gebrauch ein Bedeutungsunterschied? Haben sich Bedeutungselemente im Konzept Islam mit dem 11. September verändert? Fragen wie diese können bezogen auf sehr große Korpora ausschließlich mittels korpuslinguistischer Analysen beantwortet werden. Damit kann das zu untersuchende Konzept zu großen Teilen erfasst werden, wenn ich jedoch auch wie Bubenhofer (2008a, 431) davon ausgehe, dass diese Methoden die bekannten, inzwischen traditionellen diskurslinguistischen Methoden nur ergänzen und nicht ersetzen können.
3.2 Möglichkeiten und Grenzen der Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse Bei der korpuslinguistischen Untersuchung werden die Texte im Untersuchungskorpus nicht als Ganzes zum Analysegegenstand, nur kleine Ausschnitte geraten in den Blick des Untersuchenden und wichtige Bestandteile des Textes, die an der Konstitution eines Konzepts beteiligt sind, gehen verloren. Eine Analyse eines Konzepts kann also nach einer solchen korpuslinguistischen Untersuchung nicht aufhören, auch wenn diese einen großen Beitrag zur Beschreibung leisten kann. Sie muss immer ergänzt werden durch eine rein qualitative Analyse, die es möglich macht, den Text als Ganzes zu untersuchen. Ein weiteres, kleineres Untersuchungskorpus, das ein Segment des Kölner Moscheebaudiskurses darstellt, wurde deshalb erstellt und mittels einer Frame-, Schlagwortund Toposanalyse untersucht. Der Vorteil dieser Art der Analyse liegt auf der
26 Auch was unter korpusbasiert zu verstehen ist, wird in Kapitel II, 3 ausführlich dargelegt.
32 I. Theorie, Gegenstand, Methode Hand: Eine genauerer Betrachtung der Texte ist möglich, damit kann das Konzept Islam noch genauer umschrieben werden. Die durchgeführte Untersuchung hat vier verschiedene Islamkonzepte zum Ergebnis, die Diskursteilnehmer haben also nicht alle dasselbe Verständnis vom Islam. Diese Differenzierung war mittels der korpuslinguistischen Analyse nicht möglich. Wenngleich also präzisere Aussagen über das Konzept Islam beziehungsweise die Konzepte Islam gemacht werden können, berücksichtigt auch diese Untersuchung nicht alle Formen der Bedeutungskonstitution, die an der Entstehung des Konzeptes Islam beteiligt sind. So werden beispielsweise bei der FrameAnalyse ebenfalls nur die Kotextualisierungen einzelner Ausdrücke – im vorliegenden Fall der Ausdrücke Islam, Moslem und Muslim – betrachtet. Es werden also Prädizierungen und deren Präsuppositionen untersucht. Diese stellen jedoch nur punktuelle Formen der Bedeutungskonstitution dar. Wenn ein Konzept flächig konstituiert wird, wie etwa im eingangs beschriebenen Beispiel aus dem SPIEGEL-Artikel Aufstand der Bräute, so kann diese Form der Bedeutungskonstitution auch bei einer Frame-Analyse nicht berücksichtigt werden. Auch die anhand des Segments aus dem Kölner Moscheebaudiskurs durchgeführte Topos- und Schlagwortanalyse erfasst nicht alle Formen der Bedeutungskonstitution.27 Vor allem flächige Formen der Bedeutungsbildung, aber auch bestimmte punktuelle Formen, können nur mithilfe einer detaillierten Textanalyse ermittelt werden. Dies ist der Grund, warum sich an die Analyse eines Segments aus dem Kölner Moscheebaudiskurs noch die Analyse eines Einzeltextes aus dem Islamdiskurs anschließt, deren Möglichkeiten und Grenzen in Kapitel 3.3 dargestellt werden.
3.2.1 Die Frame-Analyse In der gegenwärtigen sprachwissenschaftlichen Forschung konkurriert die Bezeichnung Konzept mit der Bezeichnung Frame. Die Begriffe werden häufig gleichgesetzt (vgl. Hermanns 2002). Die Frametheorie geht auf den Linguisten Charles Fillmore (1968) und den Kognitionswissenschaftler Marvin Minsky (1975) zurück. Laut der Frametheorie ist verstehensrelevantes Wissen in Rahmen organisiert, die bestimmte Leerstellen enthalten:28
27 Zumal in dieser Arbeit die Topos-Analyse in die Frame-Analyse integriert ist. 28 Vgl. dazu auch Fillmore (1982), Langacker (1987), Minsky (1975).
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 33 Die Füllungen von Leerstellen sind typischerweise selbst wieder (andere) Wissensrahmen. Letztlich ist jeder Begriff (jedes Konzept), der (das) als Füllung die Positionen eines allgemeinen Wissensrahmen besetzt (die Leerstellen füllt), selbst wieder ein Rahmen. Sprachverstehen heißt daher: Rahmen mit (anderen) Rahmen vernetzen. Rahmen sind Systeme von Konzepten, damit aber (…) Systeme von (Unter-)Rahmen. (Busse 2009, 84)
In Busses Darstellung wird die schwierige Unterscheidung von Konzepten und Rahmen (Frames) deutlich. Konzepte sind in seiner Ausführung den Rahmen untergeordnet und stellen gleichzeitig (Unter-)Rahmen dar. Ziem (2005b, 325) definiert Frames als komplexe, abstrakte Wissenseinheiten mit ganzheitlichem Charakter. Sie bündeln Wissenssegmente zu komplexen Wissenszusammenhängen so, dass sie als ganze Struktureinheiten kognitiv abrufbar sind.
Diese Definition von Frames scheint auf den ersten Blick meiner Definition von Konzepten zu entsprechen. In den Ausführungen von Ziem (2008, 2) wird jedoch ein Unterschied zu meinem Konzeptbegriff deutlich: Frames sind konzeptuelle Wissenseinheiten, die sprachliche Ausdrücke beim Sprachverstehen evozieren, die also Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer aus ihrem Gedächtnis abrufen, um die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu erfassen. Zu wissen, was ein Ausdruck bedeutet und wie ein Ausdruck zu verwenden ist, heißt demnach, über eine bestimmte kognitive Struktur zu ‚verfügen‘, die mit einem Ausdruck konventionell assoziiert ist.
Anders als Ziem gehe ich nicht davon aus, dass Konzepte „mit einem Ausdruck konventionell assoziiert“ sind. Ziem (2008, 294) ist der Auffassung, dass jedes Wort einen Frame evoziert. Wie meine Ausführungen jedoch deutlich machten, sind diese komplexen abstrakten Wissenseinheiten eben nicht nur an einzelne sprachliche Ausdrücke gebunden (vgl. Abb. 1 in 1.2). Zum einen um diesen Unterschied zu Ziems Ausführungen deutlich zu machen, spreche ich im Folgenden nicht von Frames, sondern von Konzepten, obwohl ich mich der Methode der Frame-Analyse bediene. Mir erscheint zum anderen die Bezeichnung Konzept in der gegenwärtigen Semantikforschung nach wie vor als die gängigere Bezeichnung für komplexe Wissenseinheiten. Um diese komplexen Wissenseinheiten zu analysieren, wende ich unter anderem die Frame-Analyse an. Mithilfe der Frame-Semantik können die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke bezüglich des kulturellen Wissens analysiert werden.
34 I. Theorie, Gegenstand, Methode Frame-Semantik ist eine Form der (linguistischen) Semantik, die überhaupt zum ersten Mal explizit und gezielt die Frage nach der Rolle, der Form und dem Umfang des für das Verstehen eines sprachlichen Ausdrucks (eines Wortes, Satzes, Texts) relevanten Wissens auch jenseits der Grenzen des rein „linguistischen“ Wissens gestellt hat (…). Da sie nach dem verstehensrelevanten Wissen in seiner ganzen Breite fragt (…), kann man die FrameSemantik als Teil eines Forschungsbestrebens betrachten, das man als eine „linguistische Epistemologie“, eine linguistische Analyse des zum Verstehen und Gebrauch sprachlicher Mittel notwendigen Wissens in seiner ganzen Breite, Form, Struktur und Funktion bezeichnen könnte. (Busse 2012, 11)
Nach Ziem (2005b, 325f) modellieren Frames (oder hier: Wissensrahmen) „Wissen als zusammenhängende epistemische Strukturgefüge.“ Sie „ergeben sich induktiv aus der Schnittmenge ähnlicher Einzelerfahrungen. Sie sind typisierte und strukturierte Segmente kollektiven Wissens und deshalb zugleich dynamische und kulturspezifische Entitäten.“ Außerdem werden sie „ganzheitlich aktiviert“ und „konstituieren sich inhaltsspezifisch.“ Die Methode der linguistischen Frame-Analyse geht auf Konerding (1993) zurück und wurde vor allem von Fraas (1996, 2005, 2007, im Druck), Lönnecker (2003) und Ziem (2005a und b, 2008, demn.) erweitert. Unter Frames versteht Konerding (1993) im forschungspraktischen Sinne sprachliche Texte, die den rationalen Zugang zu stereotypischem Wissen ermöglichen. Diese sprachlichen Texte sind als Listen von Fragen konzipiert (vgl. dazu auch Fraas 1996, 16). Die Präsuppositionen zu diesen Fragen wie auch die Fragen selbst spezifizieren und charakterisieren dabei schon die beschriebenen Entitäten in Umrissen (vgl. etwa die mögliche Frage: „Welche wesentlichen Teile hat ein Auto?“) (Konerding 1993, 161).
Konerding (1993, 163) interessiert vor allen Dingen das stereotypische Wissen um eine Entität, das „gerade über die Menge der usuellen Prädikationen rational zugänglich“ wird. Dabei setzt er voraus, dass das Konzept jedes deutschen Substantivs mithilfe von Frames erschlossen werden kann. Da es jedoch müßig wäre, für jedes von insgesamt ca. 80.000 Substantiven der deutschen Standardsprache einen Katalog von Frames zusammen zu stellen, entwickelt er ein Verfahren zur Konzeption von Frames für eine übersichtliche Zahl von Substantiven (vgl. Konerding 1993, 172). Er strebt eine umfassende Beschreibung möglicher Dimensionen an, nach denen an Substantive gebundene Frames entwickelt werden können. Mithilfe von Wörterbüchern (im Zentrum stand nach eigenen Angaben [siehe 1993, 173] das Deutsche Universalwörterbuch der Dudenredaktion) entwickelt er eine Typologie des Substantivbestands der deutschen Standardsprache. Dies geschieht mithilfe von Reduktionsketten. Aus einem Substantiv leitet er das Hyperonym ab, von diesem Hyperonym das nächste Hyperonym usw., nach dem Schema Maus < Tier < Lebewesen (vgl.
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 35
Konerding 2007, 115). Konerding (1993) fasst die von ihm ermittelten Endglieder der Reduktionskette schließlich zusammen und benennt sie mit GEGENSTAND, ORGANISMUS, INSTITUTION, PERSON/AKTANT, EREIGNIS, HANDLUNG, ZUSTAND, TEIL, GANZES, UMGEBUNG. Die Typologie der Substantive bildet also die Grundlage für die Frame-Typen, die Konerding als Matrix-Frames bezeichnet. Die Matrixframes werden konstruiert, indem die für den betreffenden Substantivtyp relevanten Prädikatorenschemata in Fragen transformiert, thematisch gruppiert und zusammengefaßt werden. (Fraas 1996, 20)
Schließlich steuern die Fragen eines Matrix-Frames die Aktivierung und Vertextung von Wissen über ein Substantiv, das mit diesem Typ verbunden ist. Beispielsweise steuern die Fragen des Matrix-Frames Gegenstand die Aktivierung und Vertextung des Wissens über Auto. Für die Matrix-Frames stellt Konerding (1993) also Listen von Fragen bereit (zur Kritik daran vgl. Ziem 2008, 323 und Klein 1999, 160). In einem weiteren Schritt systematisiert Konerding diese Liste, indem er ähnliche Fragen zu übergeordneten Prädikatorenklassen zusammenfügt. Somit entstehen sogenannte gekürzte Matrixframes. Diese Arbeit führt eine Hyperonymentypenreduktion des Lexems Islam durch und ermittelt auf diese Weise verschiedene Matrixframes (vgl. III, 2). Die aus dem Untersuchungskorpus ermittelten Kotextualisierungen der Ausdrücke Islam und Muslim/Moslem sowie deren Präsuppositionen gelten als Antworten auf die aus den Matrixframes abgeleiteten Fragen. Dabei stellt diese Art der Untersuchung eine genauere Betrachtung des Textkorpus dar, als bei der korpuslinguistischen Untersuchung möglich war.
3.2.2 Toposanalyse Um die Islamkonzepte, die der öffentlichen Diskussion um den Bau der Großmoschee in Köln-Ehrenfeld zugrunde liegen, möglichst umfassend zu beschreiben, schlage ich vor, in die Frame-Analyse eine Toposanalyse zu integrieren, weil eine Frame-Analyse als solche nur die expliziten Prädikationen erfasst. Für die genaue Erläuterung der hier durchgeführten Modifizierung der Toposanalyse ist es zunächst notwendig, den Toposbegriff dieser Arbeit darzulegen. Eine Toposanalyse, die auf den Überlegungen Kienpointners (1992), Kopperschmidts (1989 und 1991) und Wengelers (u.a. 2003a) basiert, versteht sich als eine Analyse von Argumentationsmustern. Mithilfe dieser Analyse soll auf standardisiertes Wissen zugegriffen werden. Denn: „Nicht in einzelnen sprachlichen Ausdrücken, sondern in argumentativen Mustern verdichtet sich gesellschaftliches Wissen einer Zeit“ (Ziem 2005b, 321). Wengeler (2003a) stellt mit
36 I. Theorie, Gegenstand, Methode der Toposanalyse am Beispiel des Migrationsdiskurses eine Methode der linguistischen Diskursanalyse vor, die sich als eine Umsetzung der von Dietrich Busse (1987) vorgestellten „Historischen Semantik“ sowie der von Fritz Hermanns (1995) eingeführten „Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte“ versteht, „immer eingedenk der Defizite, die jede empirische Umsetzung gegenüber diesen anspruchsvollen Programmen haben muss“ (Wengeler 2008, 210). Der der hier durchgeführten Analyse wie auch anderen Untersuchungen der Sprachund Literaturwissenschaft zugrunde liegende Toposbegriff basiert auf den Überlegungen der antiken Aristotelischen Rhetorik. 29 Topos meint (…) einen vielseitig verwendbaren, für den Argumentierenden bereitliegenden und von ihm dann sprachlich hergestellten Sachverhaltszusammenhang, der zur argumentativen Begründung konkreter, zur Diskussion stehender Positionen herangezogen wird. (Wengeler 2000, 222)
Dieser Toposbegriff ist sowohl von der Literaturwissenschaft (v.a. Bornscheuer 1976) als auch von der Sprachwissenschaft (v.a. Kienpointner 1992 und 1996, Kopperschmidt 1991, Ottmers 1996) inspiriert. Unter einem Topos wird dabei wie auch in dieser Arbeit eine Schlussregel verstanden, die von einem Argument auf eine Konklusion gezogen wird. Eine strittige Aussage (die Konklusion) wird dadurch glaubhaft, überzeugend gemacht, dass ein Argument, eine unstrittige Aussage vorgebracht wird. Deren Überzeugungskraft für die Plausibilität der die Konklusion bildenden Aussage wird garantiert durch das, was seit Toulmin Schlussregel (vgl. Toulmin 1975, S.89) heißt. (Wengeler 2003, 179)
Zwischen dem Argument und der Konklusion muss ein sinnvoller Zusammenhang bestehen (vgl. Kienpointner 1992, 20). In einer fiktiven Äußerung wie Die Moschee muss gebaut werden, weil es ein Gebot des Grundgesetzes ist stellt der Hauptsatz die Konklusion dar, die mit dem Argument weil es ein Gebot des Grundgesetzes ist gestützt wird. Daraus lässt sich eine allgemeine Schlussregel – ein Topos – ableiten: Wenn etwas ein Gebot des Grundgesetzes ist, so muss dem stattgegeben werden. Wengeler (2003) unterscheidet in Anlehnung an Kopperschmidt (1989) zwischen formaler und materialer Topik. Ziem (demn.2, 5) macht die Unterschiede deutlich:
29 Für eine ausführliche Übersicht unterschiedlicher Toposbegriffe siehe Wengeler (2003, 188ff).
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 37 Während die materiale Seite des Topos die inhaltliche Ausgestaltung einzelner Argumentationsmuster, also den konzeptuellen Gehalt der Propositionen, betrifft, adressiert die formale Seite die Logik des zugrunde liegenden Schlussprozesses (Kausalschluss, Analogieschluss usw.).
Ottmers (1996, 92) skizziert die formalen und materialen Topoi als Pole auf einer topischen Skala. Zwischen den kontextabstrakten (auch: allgemeinen) Topoi auf der einen Seite und den kontextbasierten (auch: besonderen) Topoi gibt es also eine skalare Abstufung. Das wesentliche Kennzeichen allgemeiner Topoi liegt darin, dass sie eine Argumentation an keine distinkte Diskursposition binden. Mit ihnen können die verschiedensten, auch gegensätzlichen Standpunkte vertreten werden, da sie „in keiner Weise inhaltlich bestimmt“ sind (Wengeler 2003, 182), sondern auf einem „abstrakten Strukturprinzip“ (Ottmers 1996, 90) beruhen, das lediglich festlegt, wie ein Argument in eine Konklusion überführt werden kann. (Pundt 2008, 109)
Von den allgemeinen Topoi unterscheiden sich die besonderen Topoi, die „inhaltlich spezifizierte ‚Schlussregeln‘“ darstellen, „die entsprechend nur in einem bestimmten inhaltlichen Bereich verwendbar sind, um plausible Argumentationen zu realisieren“ (Wengeler 2003a, 183). Wengeler (ebd. 184f) interessieren bei seiner diskurslinguistischen Untersuchung weder die allgemeinen Topoi, noch möchte er „die einzelnen, mit singulären Tatsachen angereicherten Argumente“ vergleichen, „sondern die ihnen bei verschiedenen Fragestellungen zu Grunde liegenden sprachlich-argumentativ hergestellten Sachverhaltszusammenhänge“ darstellen. Ziel der Untersuchung ist es, gemeinsame Denkmuster herauszuarbeiten, die bei der Argumentation von Bedeutung sind. Klug (2012, 368) siedelt zwischen den Polen der materialen Topoi, also den einzelnen Argumenten, und den kontextabstrakten (d.h. den formalen und allgemeinen) Topoi neben den besonderen Topoi noch eine weitere Gruppe an, die sie mit „meso-kontextbasierte Topoi“ bezeichnet. Diese Topoi siedeln sich auf einer mittleren Abstraktionsstufe an.
Abb. 3: Abstraktionsgrad der Topoi (aus Klug 2012, 368)
Im Untersuchungskorpus findet sich etwa folgende Textstelle, die als ein Argument für den Bau der Moschee gewertet werden kann:
38 I. Theorie, Gegenstand, Methode Die Gegner der Moschee werden dies aushalten müssen. Beim Moscheebau spielen juristische Fragen meist eine untergeordnete Rolle. Rechtlich sind Moscheen letztlich nicht zu verhindern. Das sollte auch bei der politischen Diskussion bedacht werden, gerade von den Gegnern des Kölner Projekts. Ihnen wird nicht weniger als Toleranz abverlangt. In einer religiös-pluralen Gesellschaft kann Religionsfreiheit nur gelebt werden, wenn nicht nur staatliche Stellen sie achten, sondern auch die Andersgläubigen, die Atheisten, die Agnostiker. Das mag diesmal besonders schwerfallen, weil der Islam in einigen seiner heutigen Erscheinungsformen in weit geringerem Maße auf Toleranz, Menschenrechte, Säkularität des Staates und andere prägende Elemente des freiheitlichen Rechtsstaates hin ausgerichtet ist als etwa das Christentum. (KSTA, 24.07.2007, Rechtlich sind Moscheen nicht zu verhindern)
Aus dieser Äußerung lässt sich nun ein Topos ableiten, der hier mit Grundgesetz-Topos benannt werden soll: Weil ein Moscheebau eine Ausübung der religiösen Freiheit darstellt und dies ein Gebot des Grundgesetzes ist, muss es den Muslimen gestattet werden, die Kölner Moschee zu bauen. Dieser Topos kann nun zunächst zu einem etwas allgemeineren Topos abstrahiert werden. Wengeler (2003a, 309) leitet aus seinem Korpus zum Migrationsdiskurs den Gesetzestopos ab, den er selbst als kontextspezifischen Topos bezeichnet, der laut der Skala von Klug (2012, 368) nun jedoch bezogen auf das eigene Beispiel als meso-kontextbasierter Topos fungiert: Weil ein Gesetz oder eine anderweitig kodifizierte Norm oder eine gerichtliche Entscheidung eine bestimmte Handlung vorschreibt bzw. nahelegt/verbietet, sollte diese ausgeführt/nicht ausgeführt werden. (Wengeler 2003a, 309)
Der Gesetzestopos nach Wengeler lässt sich nun wiederum auf ein allgemeines Schlussschema abstrahieren, nämlich auf ein Kausalschema nach Kienpointner (1992, 328f). Genau wie bei Klug (2012) sind auch für die vorliegende Untersuchung die meso-kontextbasierten Topoi besonders relevant, schließlich geht es auch hier „weniger darum, die typologische Zugehörigkeit eines konkreten Topos zu einer besonderen oder allgemeinen Definitionsgruppe zu etablieren“ (ebd. 368), als vielmehr darum, diejenigen Muster ausfindig zu machen, die für die Argumentation für oder gegen den Bau der Moschee von Relevanz sind. Ob ein Sprecher nun für oder gegen den Bau der Großmoschee in KölnEhrenfeld eingestellt ist, hängt davon ab, welches Konzept Islam ihm zugeschrieben werden kann. Dies bedeutet im Rückschluss wiederum, dass die Analyse der vorkommenden Argumentationsmuster dabei behilflich sein kann, die Islamkonzepte weiter auszudifferenzieren. Es erscheint daher sinnvoll, die Toposanalyse in die Frame-Analyse zu integrieren. Dabei wird davon ausgegan-
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 39
gen, dass mit der Analyse der Topoi vor allem auf die Default-Werte im Konzept Islam zugegriffen werden kann. In Kapitel 1.2 wurde verdeutlicht, dass die Realisation von eben diesen Standardwerten durch den Kotext gesteuert wird. Deutlich wurde dies an einem Beispiel: Alle hatten so viel Spaß daran, vom Baum in den Swimmingpool zu springen, dass wir uns dazu entschlossen haben, ein wenig Wasser einzulassen. (Ziem 2008, 336)
Während es in Ziems Beispiel zu einem Widerspruch der beiden Propositionen kommt, tritt dieser Widerspruch im Beispiel Die Kinder haben solange mit traurigen Augen vor dem Swimmingpool gestanden, dass wir uns entschlossen haben ein wenig Wasser einzulassen nicht auf (vgl. Kapitel 1.2). Die implizite Prädikation, die in Ziems Beispiel evoziert wird, lässt sich auch so ausdrücken, dass sie die Form eines Topos hat: Wenn man vom Baum in den Swimmingpool springt, dann sollte dieser mit Wasser gefüllt sein. Der (hier: Pseudo-)Topos gibt Aufschluss über Default-Werte im Konzept Swimmingpool. Er zeigt an, dass es für bestimmte Funktionen des Pools notwendig ist, dass er mit Wasser gefüllt wird. Wenn also die Diskursteilnehmer für oder gegen den Bau der Moschee argumentieren, können über die Analyse der Topoi auch einige implizite Prädikationen im Konzept Islam herausgearbeitet werden. Die Herausarbeitung der Topoi stellt ein interpretatives Verfahren dar, denn Topoi manifestieren sich nicht punktuell, sondern flächig über weite Stellen des Textes hinweg. Auch Ziem (2005b, 321f) gibt an, „dass Argumentationsstrukturen (…) eo ipso kein direktes sprachliches Ausdrucksformat [haben]. Sie sind interpretative und analytisch erschlossene Größen ohne direkte sprachliche Oberflächenrepräsentation. Argumentationsstrukturen finden sich zwischen den Sätzen und zwischen den Texten.“ Demnach können die einzelnen Topoi nicht ausgezählt werden, es können lediglich dominierende Argumentationsmuster aufgezeigt und die zugrunde liegenden Denkmuster erschlossen werden.
3.2.3 Schlagwortanalyse Auf der Wortebene liegt die Analyse programmatisch aufgeladener „Leitvokabeln“ oder „Schlüsselbegriffe“ nahe. Denn ganz im Sinne der Begriffsgeschichte der Historiker (Brunner/Conze/Koseleck 1972ff) verstehen wir diese als „Vehikel von Gedanken“, so dass über die Analyse ihres Gebrauchs etwas über das Denken, das kollektive Wissen von sozialen Gruppen (…) zu erfahren ist (…). (Wengeler 2005a, 272)
40 I. Theorie, Gegenstand, Methode Durch die Untersuchung der unterschiedlichen Argumentationsschemata können bestimmte Denkstrukturen der Diskursteilnehmer aufgezeigt werden. Schlagwörter fungieren häufig als verkürzte Argumente und geben deshalb ebenfalls Aufschluss über Einstellungen und Denkmuster. Wörter und Begriffe sind nicht nur ein unentbehrliches Mittel zur Beschreibung und Beurteilung geschichtlicher Erscheinungen, sie bilden selbst ein wesentliches Element politischen Agierens, wirken als geschichtsmächtiger Antrieb der Veränderung und als Machtfaktor, dessen man sich zur Durchsetzung und Rechtfertigung der Politik seit je bedient hat. (Bracher 1978, 9)
Laut Dieckmann (1969, 101) ist das Schlagwort „die auffälligste Erscheinung der politischen Meinungssprache (...).“ Seine Funktion liege in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung im System der Meinungsbildung und der Meinungsveränderung. Außerdem haben Schlagwörter eine appellative Funktion. Sie sind Teil des politischen Wortschatzes, genauer: Sie zählen zum Ideologievokabular. Das Ideologievokabular umfaßt die Wörter, in denen politische Gruppierungen ihre Deutungen und Bewertungen der politisch-sozialen Welt, ihre Prinzipien und Prioritäten formulieren. (Klein 1989a, 7)
Neben Lexemen, „in denen artikuliert wird, was jeweils als grundlegende soziale Beziehungen und Formationen gilt“, und Lexemen, „in denen die favorisierten Prinzipien der Organisation des politischen Lebens formuliert sind“ (1989a, 8), zählt Klein auch all jene Lexeme zum Ideologievokabular, in denen grundlegende Werte und Handlungsorientierungen zum Ausdruck kommen, wie Würde des Menschen, Menschenrechte, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden, Recht, Ordnung, Fleiß, Ehrfurcht vor Gott, (…). (Klein 1989a, 8)
Während Schmidt (1972a) einen sehr engen Ideologiebegriff vertritt und nur all jene Wörter als ideologiegebunden bezeichnet, die Teile eines ideologischen Systems sind (vgl. Schmidt 1972a, 14), schlagen Strauß und Zifonun (1982/83) eine Erweiterung des Begriffs der Ideologiegebundenheit auf andere Wortschatzbereiche vor (vgl. auch Girnth 2002, 50). ‚Ideologiegebundenheit‘ soll die semantische (deskriptive und/oder evaluative) Determination eines Wortes heißen, die allgemein durch seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ideologie und der sie tragenden relevanten (Meinungs-)Gruppe(n) gegeben ist und die (möglicherweise) speziell durch seine Zugehörigkeit zu und durch seinen Stellenwert im terminologischen Begriffssystem einer bestimmten Ideologie bzw. einer bestimmten ideologischen Variante gegeben sein kann. (Strauß/Zifonun 1982/83, 72)
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 41
Ideologiegebundene Wörter haben denotative, evaluative und deontische Merkmale. Den Kernbestand machen die sogenannten Symbolwörter aus. Diese haben die Funktion, die komplexe Wirklichkeit vereinfacht darzustellen. Sie sind leicht verfügbar und besitzen eine starke emotionale Anziehungskraft. Somit haben sie eine wichtige Funktion in der öffentlichen Kommunikation (vgl. Girnth 2002, 52). Das Symbolwort teilt sich all diese Eigenschaften mit dem Schlagwort. Während nach Girnth (2002, 53) ein Symbolwort allerdings „einen historisch gewachsenen Orientierungspunkt darstellt und fest in das ideologische Wertesystem einer Gemeinschaft eingebunden ist“, ist das Schlagwort abhängig von der politischen Situation und von dem Sachverhalt, auf den es Bezug nimmt. Hermanns (1994) bezeichnet Ladendorfs „Schlagwörterbuch“ aus dem Jahre 1906 als „ein Juwel der deutschen Lexikographie.“ Ladendorf versteht unter Schlagwörtern „solche Ausdrücke und Wendungen…, denen sowohl eine prägnante Form wie auch ein gesteigerter Gefühlswert [Hervorhebung von Ladendorf] eigentümlich ist (...).“ (Hermanns 1994, 8). In den Schlagwörtern werden Programme kondensiert; sie erheben Relatives zu Absolutem, reduzieren das Komplizierte auf das Typische, Überschaubare, EinfachGegensätzliche und bilden dadurch bipolare Wortschatzstrukturen aus; sie bringen das Abstrakt-Ferne sprachlich nahe und geben der Meinungssprache ihre emotionellen Obertöne. (Dieckmann 1969, 103)
Strauß et. al (1989, 32) heben die Eigenheit des Schlagworts über seine Gebrauchsweise hervor: Ein Wort ist nie als solches ein Schlagwort, sondern wird dazu immer erst durch den Gebrauch in bestimmten Situationen und Texten. Schlagwörter sind prinzipiell nicht ablösbar von den Sprechern. Schlagwort zu sein ist also keine systematische, konstante Eigenschaft von Wörtern.
Für Klein (1989a, 11) handelt es sich um politische Schlagwörter, „wenn sie in öffentlichen Auseinandersetzungen häufig, oft inflatorisch verwendet werden und wenn sie in komprimierter Form politische Einstellungen ausdrücken oder provozieren.“ Sie dienen dabei als Instrumente der politischen Beeinflussung und haben neben der deskriptiven – wie auch von Ladendorf und Dieckmann betont – auch eine evaluative sowie eine deontische Funktion. Die Wirksamkeit eines Schlagwortes lässt sich nach Klein danach beurteilen, will man etwa eine politische Entscheidung verhindern,
42 I. Theorie, Gegenstand, Methode inwieweit seine darstellend-charakterisierenden Bedeutungselemente geeignet sind, bei den Adressaten die gewünschte Ablehnung zu evozieren. Der semantische Stratege entwickelt daher Hypothesen über Einstellungen, Vorurteile, Wissen und Informationsdefizite seiner Adressaten. (Klein 1989a, 14f)
Wiederum davon hänge ab, welche „Aspekte des Sachverhalts im Schlagwort thematisiert und als charakteristisch für den Sachverhalt hervorgehoben werden“ (Klein 1989a, 15). Somit stellt sich die Genese eines Schlagwortes als „Kette aus Voraussetzungen und praktischen Konsequenzen“ dar (ebd.). Zu Beginn der Kette steht die Motivation des Schlagwortproduzenten, der einen gegebenen Sachverhalt entweder positiv oder negativ bewertet und somit die Herbeiführung bzw. Verhinderung eines bestimmten Sachverhaltes zum Ziel hat. Schließlich muss der Schlagwortproduzent eine oder mehrere Adressatengruppe/n ermitteln, für die diese Herbeiführung bzw. Verhinderung von Interesse ist, um dann einen möglichst wirksamen Appell an diese Gruppen zu planen und den Sachverhalt schließlich in einer Weise darzustellen, die beim Adressaten die Zustimmung bzw. Ablehnung eines Sachverhaltes evoziert (vgl. Klein 1989a, 15f). Kaempfert (1990, 198f) fasst zusammen, welche verschiedenen Eigenschaften auf das Schlagwort für zutreffend gehalten werden: 1.
Bestandteil der Öffentlichkeitssprache oder der politischen/ideologischen Sprache;
2.
temporäre Gebrauchshäufigkeit;
3.
Mittel der (agitatorischen) Rede (Kampfmittel, Beeinflussung, Argument);
4.
hochgradige Affektbesetzung;
5.
Ausdruck eines Parteistandpunkts / wertender Charakter;
6.
aufreizender / auffordernder / appellativer Charakter;
7.
Solidarisierungseffekt;
8.
Programmverdichtung;
9.
semantische Unbestimmtheit (bei scheinbarer Klarheit);
10. prägnante Prägung.
Der Punkt der scheinbaren Klarheit wird auch bei Strauß et. al thematisiert: „In den Schlagwörtern werden nicht nur Ideologien oder Lehren kondensiert, mit ihnen werden auch politische Programme und Persönlichkeiten in griffige Kürzel gepresst“ (1990, 32f). Dennoch dürfe man den Schlagwörtern begriffliche Inhalte nicht absprechen. Kaempfert (1990, 200) definiert Schlagwörter als „solche Ausdrücke, in denen sich ein Programm konzentriert oder die eine Zielvorstellung benennen.“ Er fügt eine pragmatische Komponente hinzu und stellt fest, dass ein Ausdruck
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 43
erst dadurch zum Schlagwort wird, „daß er in einer gegebenen Gesellschaft oder Gruppe (…) besondere Aktualität und Bedeutung gewinnt.“30 Geht man wie Ladendorf (1906) davon aus, dass sie den Standpunkt für oder gegen etwas betonen, so kann man zwei verschiedene Arten von Schlagwörtern unterscheiden, die jeweils eine von zwei möglichen Appellfunktionen beinhalten (vgl. Hermanns 1994, 13). „Positiv konnotierte Fahnenwörter dienen dazu, die Eigengruppe aufzuwerten, mit Hilfe negativ konnotierter Stigmawörter wird der politische Gegner diffamiert“ (Girnth 2002, 54). Strauß und Zifonun (1986) unterscheiden verschiedene Möglichkeiten des Gebrauchs. Ein Wort kann beispielsweise gleichzeitig als Fahnen- und Stigmawort gebraucht werden (vgl. 1986, 107f). Als Beispiel für letzteren Fall führt Girnth (2002, 54) Pazifismus an. „Ist Pazifismus für die Anhänger einer Friedensbewegung ein Fahnenwort, so wird es von Politikern, Militärs und eher rechtsstehenden politischen Gruppierungen als Stigmawort verwendet.“ Schlagwörter können somit gleichzeitig von unterschiedlichen Sprechern als Fahnen- und als Stigmawörter verwendet werden. Die evaluative und deontische Bedeutung variiert dann je nach Verwendung etwa einer bestimmten Partei. Es gibt allerdings auch all jene Schlagwörter, bei denen stetig die gleiche evaluativ-deontische Bedeutung evoziert wird, unabhängig davon, wer das Wort gebraucht. So ist die positiv-deontische Bedeutung von Freiheit in unserem kulturellen Raum nicht anfechtbar beziehungsweise aushandelbar. Neben jenen Schlagwörter, die sowohl als Fahnen- als auch als Stigmawörtern verwendet werden, gibt es somit auch Ausdrücke, die bei Hermanns (1994, 18f) als „Hochwertwörter“ oder „Grundwertwörter“ und analog dazu als „Unterwertwörter“ bezeichnet werden. Unter „Hochwertwörter“ fasst Hermanns (1994) alle Ausdrücke, die kontextunabhängig positiv-deontisch sind, als „Unterwertwörter“ bezeichnet er jene Ausdrücke, die in jedem Äußerungskontext negativdeontische Bedeutung evozieren. Strauß et. al (1989, 36) fassen sowohl Fahnenals auch Stigmawörter als Kampfwörter zusammen, weil man „mit Wörtern sowohl für als auch gegen eine Sache (unter Umständen die gleiche) kämpfen kann. Politische Kampfwörter sind daher durch ihre ambivalente (positive oder negative) Wertungsfunktion gekennzeichnet.“ In ihrem Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch legen Strauß et. al (1989, 37) ein besonderes Augenmerk auf die Feindwörter.
30 Kaempfert (1990, 200) definiert das Schlagwort zusätzlich auch morphologisch: „Schlagwörter sind Lexeme oder Syntagmen mit dem Status von Mehrwortlexemen. (Neuere Beispiele: ,Nachrüstung‘, ,Kernenergie‘, ,alternativ‘, ‚antiautoritäre Erziehung‘.)“
44 I. Theorie, Gegenstand, Methode Zu ihnen gehören viele sog. Ismen, also die Substantive auf -ismus, die entsprechenden Personen- und Gruppenbezeichnungen auf -ist sowie die Adjektive auf -(ist)isch, aber auch Adjektive und Substantive, gelegentlich auch Verben, die mit den -ismusFeindwörtern in bestimmten Kontexten (…) eine enge Verbindung eingehen oder dort stereotyp wiederholt werden (z.B. im Umfeld von Terrorismus das Feindwort Sympathisant oder die Adjektive militant, konspirativ und subversiv.) (Strauß et al. 1989, 37)
In der vorliegenden Arbeit wird unter einem Schlagwort ein Ausdruck verstanden, der neben denotativen Bedeutungsanteilen auch evaluative und deontische Bedeutung evoziert und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung dient (vgl. Dieckmann 1969, 102).31 Ein Schlagwort hat somit den Zweck des politischen Agierens. Ein Ausdruck kann zudem nur durch eine bestimmte Vorkommenshäufigkeit zum Schlagwort werden (vgl. Klein 1989a, 11). In die Betrachtung der Analyse fallen in dieser Arbeit jedoch auch das ein oder andere Mal weniger frequente Ausdrücke oder Ad-hoc-Bildungen, wenn sie eine ähnliche Funktion wie die Schlagwörter haben und ebenfalls evaluative und deontische Bedeutung evozieren. Wie in den Ausführungen deutlich wurde, gibt es zur Einordnung und Kategorisierung des Schlagwortes in der Literatur unterschiedliche Auffassungen und Vorschläge für dessen Bezeichnung. Im Folgenden werde ich mich an den von Hermanns (1994) festgelegten Termini orientieren und verwende damit die Bezeichnungen Hochwertwörter und Unterwertwörter sowie Fahnen- und Stigmawörter.
3.3 Möglichkeiten und Grenzen einer detaillierten Einzeltextanalyse Schließlich wird in einem dritten Schritt das Konzept Islam, das von Sarrazin in Deutschland schafft sich ab konstruiert wird, herausgearbeitet, und die verschiedenen Formen, die an der Konstitution dieses Konzepts beteiligt sind, werden beschrieben. Es wird also eine detaillierte Textanalyse durchgeführt. Die Konstruktion eines Konzepts Islam wird dabei auf bestimmte sprachliche Mittel zurückgeführt. Einige Formen der Bedeutungsbildung sind auf der lexikalischen Ebene anzusiedeln. Bedeutung entsteht also etwa durch die Verwendung von Schlagwörtern. Andere Formen der Bedeutungsbildung sind der syntagmatischen Ebene zuzuordnen, Bedeutung entsteht beispielsweise durch die Verknüpfung einzelner Konstituenten im Satz. Bedeutung konstituiert sich aber auch „zwischen den Zeilen“ (Polenz 1989), durch die Einbeziehung des Kontex
31 Im Allgemeinen bezieht sich die Bezeichnung Schlagwort nur auf Substantive beziehungsweise Nominalphrasen. In manchen Fällen können jedoch auch andere Wortarten, wie etwa Adjektive, Schlagwortcharakter haben.
3. Zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden 45
tes, etwa durch das Hervorrufen von Präsuppositionen und Implikaturen. Die verschiedenen Formen der Bedeutungsbildung, die an der Konstitution eines Konzepts Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab beteiligt sind, werden in Kapitel IV aufgezeigt. Durch diese detaillierte Analyse eines einzelnen Textes kann ein Konzept umfassend beschrieben werden. Anders als bei der korpuslinguistischen Untersuchung in Kapitel II und der Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse in Kapitel III kann dabei untersucht werden, auf welch komplexe Weise in einem einzelnen Text ein Konzept, in diesem Fall das Konzept Islam, konstruiert wird. Wenngleich damit die umfassendste Beschreibung der Konstitution von Konzepten möglich ist, so liegt die Grenze einer solchen Analyse doch auf der Hand: Das herausgearbeitete Konzept sowie die ermittelten Formen der Bedeutungsbildung wird nur im untersuchten Text evoziert. Aussagen über den Diskurs können nach Abschluss einer solchen Analyse nur unzulänglich gemacht werden beziehungsweise muss die Repräsentativität des Textes für den gesamten Diskurs genau geprüft werden. Im vorliegenden Fall wird durch die Einzeltextanalyse nur das Konzept eines einzelnen Akteurs im Diskurs – nämlich das Thilo Sarrazins – beschrieben. Auf der Basis allein dieser Analyse hätten keine Aussagen über das Konzept Islam, das der allgemeinen öffentlichen Debatte zugrunde liegt und zugleich in ihr konstituiert wird, getroffen werden können. Die Arbeit kombiniert somit verschiedene Methoden, die auf Textkorpora unterschiedlicher Größe angewandt werden.
II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Bei einer korpuslinguistischen Analyse zu diskurslinguistischen Zwecken werden quantitative und qualitative Untersuchungsmethoden miteinander kombiniert. Ähnlich wie es Vogel (2010a) für seine „linguistische Imageanalyse“ vorsieht, bedient sich auch diese Arbeit eines Sets aus solchen quantitativen und qualitativen Methoden mit dem Ziel, Sprachmuster in einem großen Textkorpus transparent zu machen. Eine linguistische Imageanalyse nach Vogel (2010a, 5) schließt sich den Methoden der historischen Semantik und der Diskurslinguistik an, insistiert jedoch auf folgende Unterschiede in den Prämissen: Erstens abstrahiert sie weitestgehend von konkreten Akteuren, insb. von einzelnen Textproduzenten oder rezipienten; zweitens wendet sie sich damit (heuristisch) zugleich ab von dem Paradigma der geschlossenen Texteinheit als Basis für Ganztextanalysen und fokussiert vielmehr auf großkorpusbasierte, textübergreifende rekurrente Sprachmuster als Indikatoren für mediale Zuschreibungsmuster, die schließlich drittens (vorsichtige) Rückschlüsse zulassen auf prototypisch verankertes Wissen in der Bevölkerung.
Dass solche Sprachmuster also Rückschlüsse auf das prototypisch verankerte Wissen einer Bevölkerung zulassen, erscheint schlüssig, erweisen sich Diskurse doch „als geregelte und diskrete Serien von diskursiven Ereignissen, in deren Analyse es vor allem auf die Identifizierung von Regelmäßigkeiten ankommt“ (Busse 2008b, 80). Die korpuslinguistische Analyse von Sprachmustern ist jedoch auf die Analyse einzelner Stellen im Text beschränkt. Das Wissen einer Diskursgemeinschaft sowie die sich im Text konstituierende Bedeutung gehen selbstverständlich über das hinaus, was man mithilfe der Analyse von einzelnen Sprachmustern ermitteln kann (vgl. Kapitel I, 3.1). Wenngleich sich eben dieses Wissen einer Diskursgemeinschaft zum großen Teil viel subtiler als über solche mithilfe der Korpuslinguistik erfassbaren Muster zeigt, geben sie dennoch einen Hinweis auf die Denkweisen einer Gesellschaft. Eine Ergänzung der korpuslinguistischen Analyse – dies ist bereits deutlich gemacht worden – durch eine rein qualitative Untersuchung ist für die Bedeutungsanalyse zwingend notwendig. Für die Beschreibung des Konzepts Islam ist die korpuslinguistische Analyse also nur der erste Schritt. Diese Untersuchung sehr großer Textkorpora sowie die darauffolgende, rein qualitative Analyse eines Ausschnitts des Kölner Moscheebaudiskurses anhand eines kleineren Textkorpus bedingen und ergänzen sich gegenseitig.
1. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse 47
1. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse32 Ob die Korpuslinguistik eine Methode oder eine eigene linguistische Teildisziplin darstellt, darüber ist sich die Forschung bis dato uneinig. Während Berthele (2006, 7) konstatiert, die Korpuslinguistik sei „keine Theorie, sondern eine Methode, und zwar eine exzellente Methode“ und auch Scherer (2006, 2) angibt, Korpuslinguistik sei „neben der Befragung von Sprechern und Experimenten eine der Methoden, um Sprachgebrauch anhand von authentischen Sprachdaten zu untersuchen“, bezeichnet Sinclair (1998, 111) die Korpuslinguistik als eine eigenständige Disziplin. Dies geht ebenfalls aus Teuberts (2006a) Überlegungen hervor, in denen die Korpuslinguistik der kognitiven Linguistik gegenübergestellt wird. Anders als der kognitiven Linguistik geht es der Korpuslinguistik nicht darum, zu verstehen, was der Sprecher will, wie wir also von einer sprachlichen Äusserung auf die Intentionen des Sprechers schliessen können. Die Diskursteilnehmer, die Mitglieder einer Diskursgemeinschaft mit ihren jeweiligen Intentionalitäten, entziehen sich dem Zugriff der Korpuslinguistik. Nur der Diskurs, verstanden als die vergangene und gegenwärtige Kommunikation zwischen den Diskursteilnehmern, ist ihr Gegenstandsbereich.
Mithilfe der Korpuslinguistik kann authentisches Sprachmaterial untersucht werden, um beispielsweise sprachliche Strukturen in einem Diskurs aufzuzeigen. Korpora stellen zwar nur einen Ausschnitt der Sprache dar und können nur bedingt ‚repräsentativ‘ sein, sie enthalten ab einer bestimmten Größe aber so viel latentes Wissen über sprachliche Strukturen, dass die auffälligen und typischen sprachlichen Phänomene abgedeckt sind und aufgedeckt werden können. (Perkuhn 2007, 468f)
Die besondere Eigenschaft der Korpuslinguistik besteht in ihrem induktiven Vorgehen. Auf der Grundlage von theoretischem Vorwissen wird durch die Beobachtung des Datenmaterials auf allgemeine Prinzipien und Regeln geschlossen (vgl. Müller 2009, 364). Dabei hat die Korpuslinguistik also keinen festen Gegenstandsbereich, sie kann gleichermaßen systemlinguistischen Betrachtungsweisen dienen wie auch diskurslinguistischen. Somit stellt sie aus meiner Sicht
32 Zur Einführung in die Korpuslinguistik siehe Bubenhofer (2006), Halliday et. al. (2005), Institut für deutsche Sprache (2004), Lemnitzer/Zinsmeister (2006), Scherer (2006), Sinclair (1991) und Tognini-Bonelli (2001).
48 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse keine eigenständige Disziplin dar, sondern kann von verschiedenen Disziplinen der Sprachwissenschaft mit unterschiedlichem Erkenntnisinteresse verwendet werden. Felder et. al. (2012a, 3) sprechen bei korpuslinguistischen Untersuchungen, die nicht aus der Systemlinguistik heraus motiviert sind, von einer Korpuspragmatik: Vor diesem Hintergrund lassen sich nun aber Studien, die ein sprachstrukturimmanentes Interesse haben, von solchen unterscheiden, die Regelhaftigkeiten in den Phänomenbereichen ‚Kognition‘, ‘Handlung‘, ‘Interaktion‘, ‘Gesellschaft‘ oder ‘empirische Epistemik‘ auf der Basis authentisch verwendeter Sprache (gesprochen und geschrieben) erforschen. Diese wollen wir unter dem Etikett Korpuspragmatik zusammenfassen.
Ist die Korpuslinguistik also nur eine Methode? Für Bubenhofer ist die Korpuslinguistik mehr als das: Ihre Art der Sprachanalyse führte zu wichtigen Paradigmenwechseln in der linguistischen Theorie: Stichwort ist hier das Prinzip einer ‚corpus-‘ oder ‚data-driven‘ Korpuslinguistik, die mitunter traditionelle Sichtweisen auf Sprache auf den Kopf stellt. Dieser Paradigmenwechsel kommt einer linguistischen Diskursanalyse sehr entgegen (…). (Bubenhofer 2009, 97)
Wenn sie auch im Bereich der corpus-driven Analyse über einen reinen „Methodenapparat und Werkzeugkasten“ hinausgeht (ebd.), so bezeichnet Bubenhofer (2009) bereits im Titel seiner Arbeit die Korpuslinguistik ebenfalls als eine „Methode der Diskurs- und Kulturanalyse“. Zusammenfassend lässt sich mit den Worten Scharloths und Bubenhofers (2012, 195) sagen: Zwar gilt die Korpuslinguistik als keine Subdisziplin der Linguistik sondern als eine Methode, korpuslinguistisches Arbeiten folgt aber einer eigenen Logik und generiert einen Denkstil, der viele Bereiche der Sprachwissenschaft nachhaltig verändert.
In jüngster Zeit gab es einige Arbeiten, die sich der Korpusanalyse bedienten, um diskurslinguistische beziehungsweise kulturanalytische Fragestellungen zu beantworten. Zu nennen wären dabei einige Arbeiten Bubenhofers (2008a, 2008b, 2009), die die Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse betrachten. Auch Bubenhofer et. al. (2009), Bubenhofer und Scharloth (2010, 2012) und Bubenhofer und Schröter (2012), sowie Scharloth et. al. (2012) und Schröter et. al. (2012) ordnen sich in diese Tradition ein. Viele Heidelberger Arbeiten sind zudem als korpuspragmatische Arbeiten zu lesen. Zu nennen wären Felder (2009a, 2012a, 2012) und Vogel (2009, 2010a, 2010b und 2012). Ziem (demn.) macht deutlich, wie das Konzept Krise im politischen Wahlkampf mittels korpuslinguistischer Analyseprogramme skizziert werden kann. Thunert (2010) beschreibt mittels korpuslinguistischer Methoden der Forschergruppe
2. Die Untersuchungskorpora 49
Semtracks die Rhetorik Barack Obamas. Vogel (2010a) skizziert ebenfalls mithilfe der Korpuslinguistik das Bild der Ungarn in den deutschsprachigen Medien. Motschenbacher (2010) setzt korpuslinguistische Methoden im Bereich der Queer Studies ein. Kolb et. al. (2009) nutzen korpuslinguistische Verfahren zur Analyse politischer Sprache, Bopp (2010) zur Untersuchung von Plenardebatten des deutschen Bundestages. Auch die vorliegende Arbeit betrachtet Korpuslinguistik als eine Methode. Diese Methode wird hier zur Analyse von Wissensbeständen einer Gesellschaft verwendet.
2. Die Untersuchungskorpora In der vorliegenden Untersuchung wird mithilfe korpuslinguistischer Zugangsweisen eine Bedeutungsanalyse durchgeführt. Dies ist der erste Schritt, um die Ausgangsfrage, welches Konzept Islam der öffentlichen Auseinandersetzung um den Islam zugrunde liegt, zu beantworten. Da also der Diskurs zum Gegenstand der Analyse wird, ist es notwendig, Korpora zu erstellen, die als Diskurskorpora aufgefasst werden können. Ein Textkorpus im Sinne eines Diskurskorpus bietet laut Böke et. al. (2005, 254) Gewähr dafür, dass weder wesentliche Diskurskomponenten fehlen, noch dass bestimmte Komponenten überbetont werden. Betrachtet man den zu analysierenden Teildiskurs als argumentative Auseinandersetzung über ein Thema, so bedeutet Repräsentativität nicht zuletzt die angemessene, sprich: richtig gewichtete Berücksichtigung aller argumentativen Positionen, die im Diskurs eingenommen worden sind.
Bei der Erstellung der Untersuchungskorpora konnte aufgrund der großen Textmenge die Gewichtung der argumentativen Positionen, die im Islamdiskurs eingenommen werden, nicht nachvollzogen werden. Alle argumentativen Positionen zu erfassen, ist im Falle des Islamdiskurses ohnehin sehr schwierig, ist dieser doch nur die Summe seiner Teildiskurse, die allerdings wiederum sehr heterogen sind (vgl. Kapitel I, 2). Weil es also den Islam-Diskurs nicht gibt, können auch seine argumentativen Positionen nicht festgelegt werden. Wenngleich für die vorliegenden Untersuchungskorpora somit nicht diese von Böke et al. (2005) geforderten argumentativen Positionen aufgezeigt werden konnten, erscheint es trotzdem sinnvoll, sie als Diskurskorpora aufzufassen. In Anlehnung an Gardt (2007, 30 und 2008, 206) wurde Diskurs bereits definiert als „die Auseinandersetzung mit einem Thema, die sich in Äußerungen und Texten der
50 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse unterschiedlichsten Art niederschlägt (…).“33 Wenn man von dieser Definition ausgeht, so ist für das Untersuchungskorpus als Diskurskorpus zunächst jeder Text relevant, in dem der Islam thematisiert wird. Denn wann immer der Islam Thema eines Textes ist, so ist dieser Text Teil des Islamdiskurses. Selbst wenn sich ein Text hauptsächlich mit dem Christentum befasst und dieses nur in einem Nebensatz mit dem Islam verglichen wird, ist auch dieser Vergleich relevant für den Diskurs. Bei der Auswahl der Texte für die korpuslinguistische Analyse konnte aufgrund der Menge keine eindeutige thematische Zugehörigkeit der Texte zum Islamdiskurs – etwa über ein erstes Lesen der Artikel – sichergestellt werden. Die Texte wurden automatisch heruntergeladen, eine Einschränkung gab es nur hinsichtlich der Suchwörter, die im Korpus vorkommen sollten. Voraussetzung dafür, dass ein Text ins Korpus aufgenommen wird, war, dass mindestens einmal die Buchstabenfolge islam oder muslim oder moslem oder moschee (als freistehendes oder gebundenes Morphem) vorkommen sollte.34 Das Vorkommen einer dieser Buchstabenfolgen im Text macht den Islam, die Muslime oder eine Moschee jedoch nicht gleichzeitig zum Hauptthema des Textes. Häufig erscheint einer dieser Ausdrücke nur als Randbemerkung im Text, als Teil eines Kompositums wie etwa Islamkonferenz oder gar als Teil eines Eigennamens wie etwa bei dem Musiker Yusuf Islam, der früher unter dem Namen Cat Stevens bekannt war. Wenn man sich im Falle von Yusuf Islam auch streiten kann, ob ein Text über den Sänger wirklich Teil des Islamdiskurses ist, so scheint es in den meisten anderen Fällen doch eine eindeutige Zugehörigkeit zum Diskurs zu geben.35 Ein Bericht über eine Islamkonferenz ist ebenso Teil des Islamdiskurses wie ein Artikel über die als radikal-islamische Organisation bezeichnete Hamas. Auch wenn das Hauptthema des Textes nicht der Islam darstellt, ist dieser Text Teil des Diskurses, sobald Hamas, Islamkonferenz etc. im Text vorkommen. Da die Untersuchungskorpora also ausschließlich Texte beinhalten, in denen der Islam, die Muslime und/oder eine Moschee mindestens einmal thematisiert werden, kann man sie als Diskurskorpora auffassen. Ein Diskurskorpus wird hier also verstanden als ein Korpus, dessen Texte thematisch einem bestimmten Diskurs zuzuordnen sind, auch dann, wenn der Text den Gegenstand des Diskurses nur in einem Nebensatz aufgreift und dieser nicht das Hauptthema des Textes darstellt.
33 Siehe Kapitel I, 1.1 . 34 Die Groß- und Kleinschreibung ist für die durchgeführte Suche irrelevant. 35 Die Anzahl der Texte, die sich auf den Sänger Yusuf Islam beziehen, ist so gering, dass sie die Ergebnisse nicht beeinflussen.
2. Die Untersuchungskorpora 51
In dieser Arbeit soll ein möglichst gegenwartsnahes Konzept Islam beschrieben werden, was zwangsläufig zur Folge hat, dass auch gegenwartsnahe Texte analysiert werden müssen. Um sich jedoch ein Bild von einem bestimmten Konzept zu einem bestimmten Zeitpunkt zu machen, ist ebenfalls ein diachroner Vergleich von Vorteil. Die Erstellung von Korpora als Basis einer korpuslinguistischen Untersuchung konfrontiert den Untersuchenden mit besonderen Schwierigkeiten. Die thematische Zugehörigkeit zum Diskurs kann nicht für jeden Einzeltext sichergestellt werden, so wie es bei kleineren Untersuchungskorpora beispielsweise für eine rein qualitative Analyse (vgl. Kapitel III) möglich ist. Über ein erstes Lesen der Texte kann in letzterem Fall die thematische Zugehörigkeit eines Textes zum Diskurs beurteilt werden. Das Kriterium thematische Zugehörigkeit zum Diskurs greift bei der Zusammenstellung der Korpora für diese korpuslinguistische Analyse nur bedingt, weil ein Lesen einer so großen Anzahl von Texten nicht möglich ist. Argumentiert man jedoch, wie oben geschehen, dass der Islam genau dann ein (Sub-)Thema des Textes ist, wenn der Islam an einer Stelle im Text thematisiert wird, so kann die Zugehörigkeit der Texte zum Korpus entschieden werden, indem das Vorkommen bestimmter Ausdrücke in den Texten sichergestellt wird. Sofern nun ein Text den Ausdruck Islam beinhaltet, wird er ins Korpus aufgenommen, genauso aber, wenn er die flektierten Formen islamisches oder islamistischer etc. beinhaltet. Ein weiteres Kriterium für die Zugehörigkeit zum Untersuchungskorpus war der Zeitpunkt der Veröffentlichung. In der Geschichte des Islamdiskurses kann der 11. September 2001 unumstritten als ein wesentliches diskursives Ereignis betrachtet werden. Es wurden somit drei Untersuchungskorpora erstellt: Ein Korpus beinhaltet Texte aus dem Jahr vor dem 11. September 2001, eines Texte aus dem Jahr danach. Das dritte Korpus, das gegenwartsnahe Korpus, besteht aus Texten aus dem Jahr 2009. Somit kann das aktuelle Islambild mit dem Islamkonzept von kurz nach dem 11. September verglichen werden. Auch wie sich das Islambild mit dem 11. September verändert hat, kann auf diese Weise nachvollzogen werden. Alle Korpora bestehen aus Zeitungstexten und Texten aus Magazinen. Man kann davon ausgehen, dass alles, was gesellschaftlich relevant ist, von den regionalen und überregionalen Zeitschriften und Zeitungen aufgegriffen wird. Für die Beschreibung des Wissens einer Diskursgemeinschaft ist es unumgänglich, öffentliche Texte zu verwenden, die wiederum von einem großen Teil der Diskursgemeinschaft rezipiert werden können. Die Datenbank LexisNexis36
36 http://www.lexisnexis.de; zuletzt abgerufen am31.05.2013.
52 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse ermöglicht es, eine große Anzahl an Zeitungstexten zum Zweck einer wissenschaftlichen Analyse automatisch herunterzuladen. Die drei Korpora bestehen aus Zeitungsartikeln aus: Die WELT, Die WELT am Sonntag, Focus, taz, SPIEGEL, stern, Bonner Generalanzeiger, Berliner Morgenpost, Die Bunte und dem Hamburger Abendblatt. Bei der Auswahl der ins Korpus aufzunehmenden Texte spielte zum einen die regionale und politische Verteilung eine Rolle, zum anderen musste beachtet werden, dass nicht alle Zeitschriften und Zeitungen ihre Artikel in der Datenbank LexisNexis für den gesamten zu untersuchenden Zeitraum zur Verfügung stellen. Da es aber wichtig war, dass die drei Untersuchungskorpora Artikel aus denselben Zeitungen und Zeitschriften enthalten, konnten nur diejenigen verwendet werden, die zu allen abzufragenden Zeiträumen in der Datenbank zur Verfügung standen. Die genannten Zeitungen und Zeitschriften decken ein breit gefächertes politisches Meinungsspektrum ab. Während die WELT eher konservative Wertvorstellungen vertritt, gilt die taz als politisch eher links stehend. Die anderen Zeitungen und Magazine situieren sich zwischen den beiden Polen. Insgesamt zeigt sich das gesellschaftlich relevante Wissen im Korpus somit gut repräsentiert. Anzahl der Texte
Anzahl der Tokens
Korpus „vor 9/11“
3584 Artikel
2.086.699
Korpus „nach 9/11“
8084 Artikel
5.364.156
Korpus „2009“
7504 Artikel
4.636.483
Tab. 1: Die Untersuchungskorpora
Das Korpus „vor 9/11“ besteht aus 3584 Artikeln, das Korpus „nach 9/11“ aus 8084 Artikeln, das Korpus „2009“ aus 7504 Artikeln. Allein die Größe der Korpora zeigt die Veränderung des öffentlichen Interesses am Islam. Das Korpus „nach 9/11“ ist mehr als doppelt so groß wie das Korpus „vor 9/11“. Das bedeutet, dass die gesuchten Buchstabenfolgen im Jahr nach dem 11. September – wie zu erwarten war – wesentlich häufiger vorkommen. Das öffentliche Interesse am Islam ist 2009 nur unwesentlich geringer als kurz nach dem 11. September. Die Korpora wurden schließlich mittels des sogenannten Treetaggers (Schmid,
2. Die Untersuchungskorpora 53
1994) nach der „Stuttgarter-Tübinger-Tagset (STTS)“-Tabelle37 automatisch hinsichtlich Wortarten annotiert.38 Bei einigen korpuslinguistischen Analyseschritten bietet es sich außerdem an, die Ergebnisse mit einem Referenzkorpus abzugleichen. Sollen etwa die Schlüsselausdrücke39 in den jeweiligen Korpora, die schließlich Diskurskorpora darstellen, ermittelt werden, so wird der Computer zunächst die häufigsten Ausdrücke anzeigen. Zu diesen Ausdrücken gehören vor allem Funktionswörter, wie etwa die Präposition in oder das Pronomen es. Besteht nun die Möglichkeit, das Ergebnis mit einem Referenzkorpus abzugleichen, so werden nur die für das Diskurskorpus relevanten Schlüsselausdrücke angezeigt. Das hat den Vorteil, dass vor allem Inhaltswörter in den Keywordlisten auftauchen und Funktionswörter – sofern sie im Untersuchungskorpus nicht signifikant häufiger vorkommen als im Referenzkorpus – ausgespart werden. Prinzipiell kann jedes der erstellten Untersuchungskorpora als ein Referenzkorpus zu einem anderen Untersuchungskorpus dienen. Es bietet sich jedoch an, Referenzkorpora zu erstellen, die Diskurskorpora zu einem anderen Diskurs darstellen, um spezifischere Aussagen zum Islamdiskurs treffen zu können. Zum Vergleich wurden also drei Referenzkorpora erstellt, die die gleichen Zeiträume und gleichen Zeitungen beziehungsweise Magazine beinhalten, jedoch statt der Buchstabenfolgen islam oder moslem oder muslim oder moschee, die Buchstabenfolge wiedervereinigung beinhalten und somit die Referenzkorpora Diskurskorpora zum Wiedervereinigungsdiskurs darstellen. Auch die Referenzkorpora wurden mithilfe des Treetaggers automatisch nach Wortarten annotiert.
37 http://www.ims.uni-stuttgart.de/forschung/ressourcen/lexika/TagSets/stts-table.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 38 Dieses Verfahren wird als Part-Of-Speech-Tagging bezeichnet. Man versteht darunter die Zuordnung von Wörtern und Satzzeichen zu bestimmten Wortarten, sogenannten Tags. Das attributiv gebrauchte Adjektiv bekommt dabei etwa den zugeordneten Tag ADJA, eine satzbeende Interpunktion, wie ein Punkt oder Fragezeichen, wird mit /$. annotiert. 39 Unter Schlüsselwörtern werden hier nicht wie etwa von Klaus (1971, 139) Symbolwörter verstanden. Der Ausdruck Schlüsselwort oder Keyword bezeichnet im Analysetool AntConc ein Wort, das im Vergleich zu einem Referenzkorpus im Untersuchungskorpus signifikant häufig auftaucht.
54 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Referenzkorpus „Wiedervereinigung“ (Zeitraum vor 9/11) Referenzkorpus „Wiedervereinigung“ (Zeitraum nach 9/11) Referenzkorpus „Wiedervereinigung“ (Zeitraum 2009)
Anzahl der Texte 1252 Artikel
Anzahl der Tokens 1.087.939
1061 Artikel
859.786
1886 Artikel
1.345.589
Tab. 2: Die Referenzkorpora
3. Vorgehen Eine korpuslinguistische Untersuchung als Methode der Diskursanalyse wählt sowohl einen corpus-based als auch aus einen corpus-driven Zugang. Während eine korpusbasierte Untersuchung konkrete Fragen an das Korpus stellt, wird bei einer korpusgesteuerten (corpus-driven) Analyse das Korpus nicht hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung analysiert, sondern es wird nach allgemeinen Auffälligkeiten befragt. While corpus linguistics may make use of the categories of traditional linguistics, it does not take them for granted. It is the discourse itself, and not a language-external taxonomy of linguistic entities, which will have to provide the categories and classifications that are needed to answer a given research question. This is the corpus-driven approach. (Teubert 2005a, 4)
Wie Bubenhofer (2009, 102) gehe ich davon aus, dass es bei einer korpuslinguistischen Analyse zu diskurslinguistischen Zwecken unumgänglich ist, corpusdriven zu beginnen, um musterhafte Strukturen in Korpora zu finden, die der Diskursanalyse dienen sollen. Denn damit scheint es am ehesten möglich, zum einen Strukturen aufzudecken, die ihre Wirkung im Diskurs mehr oder weniger verdeckt entfalten und gleichzeitig aufgrund empirischer Evidenz Kategorien zu bilden, die nicht unbedingt mit bestehenden (linguistischen) Kategoriesystemen übereinstimmen müssen.
Da die korpuslinguistische Analyse zum Zweck der Bedeutungsanalyse durchgeführt wird und die rein qualitative Untersuchung im zweiten Teil der Arbeit ergänzen soll, erscheint es also sinnvoll, neben einer korpusbasierten Analyse, in der vor allem die Kotexte von Ausdrücken wie Islam und Muslime in den Blick genommen werden, auch eine corpus-driven Analyse durchzuführen – und mit
3. Vorgehen 55
eben dieser auch zu beginnen –, um aufzuzeigen, welche sprachlichen Muster sich im Diskurs finden. Dabei kann die Tatsache, dass das Korpus ein sehr heterogenes Diskurskorpus darstellt und nicht alle Texte thematisch eindeutig einem Teildiskurs des Islamdiskurses zuzuordnen sind, natürlich problematisch sein. Würde der Analyse ein großes Korpus zugrunde liegen, deren Texte eindeutig dem Moscheebaudiskurs zuzuordnen sind, könnte man Aussagen treffen wie Das Muster XY ist typisch für den Moscheebaudiskurs. Die Ergebnisse dieser Analyse können jedoch nicht ganz problemlos als typisch für den Islamdiskurs betrachtet werden, weil es zum einen – wie ausführlich dargelegt wurde – den Islamdiskurs nicht gibt und die Texte zum anderen sehr heterogen sind und den Islam teilweise nur am Rande thematisieren. Dennoch wird mit einer solchen korpusgesteuerten Analyse begonnen, um eventuelle Musterhaftigkeiten eben doch aufzuspüren, mögliche Teildiskurse des Islamdiskurses zu erkennen und die Daten zu objektivieren. Korpusgesteuert vorzugehen, bedeutet, sich nach folgenden empirischen Grundprinzipien zu richten: – – – – – –
Beobachtung der Sprachdaten; Akzeptanz aller Evidenzen; Bildung von Hypothesen auf Basis der Evidenzen; empirisches Prüfen der Hypothesen (Zusammenspiel von Induktion und Deduktion); deskriptive Aussagen, die die Evidenzen reflektieren; Generalisation im Sinne von Gebrauchsregeln. (Steyer/Lauer 2007, 493)
Für eine korpusgesteuerte Herangehensweise bieten sich eine Keywordanalyse sowie eine Analyse der typischen Mehrworteinheiten im Korpus an. Die Analysesoftware AntConc40 gleicht die am häufigsten vorkommenden Ausdrücke im Korpus mit denen eines Referenzkorpus ab und bestimmt so die für das Korpus typischen Schlüsselwörter. Die am häufigsten vorkommenden Ausdrücke in beiden Korpora – also jeweils im Untersuchungs- und Referenzkorpus – werden miteinander abgeglichen und schließlich die in beiden Korpora häufig auftauchenden Ausdrücke aussortiert. Dabei wird die ‚keyness‘ der Wörter berechnet, indem man entweder die statistische Maßgröße ‚chi-squared‘ oder ‚loglikelihood‘ (vgl. Anthony 2005, 734) verwendet. Bei der Herausarbeitung der Schlüsselwörter geht es also darum, welche Wörter im Korpus im Vergleich zum Referenzkorpus signifikant häufig vorkommen. Um dies herauszufinden, arbeitet AntConc mit einem Signifikanztest. Dabei wird getestet, ob das frequente Vorkommen eines Wortes zufällig ist oder nicht. Die Annahme, dass das Vor
40 http://www.antlab.sci.waseda.ac.jp/software.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
56 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse kommen eines Wortes zufällig ist, wird als Nullhypothese bezeichnet. Beim Signifikanztest wird also geprüft, ob die Nullhypothese mit genügend großer Wahrscheinlichkeit verworfen werden kann.41 Eine Standardformel für einen solchen Signifikanztest ist der genannte ‚chi-squared-test‘ (2-Test). Für die vorliegende Untersuchung wurde jedoch mit dem Log-LikelihoodRatio gearbeitet, weil dieser nicht so stark von der Voraussetzung einer Normalverteilung abhängt wie der 2-Test und weder häufige noch seltene Ereignisse bevorzugt werden (vgl. Grzybek 2007, 198). Im Prinzip werden zwei Hypothesen (H1 und H2) miteinander verglichen, indem berechnet wird, wie viel Mal wahrscheinlicher die zweite von beiden ist: H1 würde etwa die Unabhängigkeit von w1 (‛new’) und w2 (‘companies’) postulieren: P(w1 | w2) = p = P (w1 | ¬w2), H2 hingegen die Abhängigkeit: P (w1 | w2) = p1 ≠ p2 = P (w1 | ¬w2). (Grzybek 2007, 198)
Ein weiterer Vorteil des Log-Likelihood-Koeffizienten (LLR) gegenüber dem chisquare-Test ist, dass der LLR auch bei kleineren Ergebnissen zuverlässig ist (vgl. Dunning 1993, 61). In relation to our simple case, of finding the most surprisingly frequent words in a corpus without looking at the internal structure of the corpus, the G2 is a mathematically wellgrounded and accurate measure of surprisingness (…). (Kilgarriff 2001, 105)
Eine mithilfe von AntConc ermittelte Keywordliste zeigt die für das Untersuchungskorpus signifikanten Schlüsselausdrücke an. Diese müssen nun interpretiert werden. An dieser Stelle geht die corpus-driven Analyse in eine corpusbased Untersuchung über. Eine weitere Möglichkeit, corpus-driven zu arbeiten, ist das Erstellen sogenannter N-Gramme. N-Gramme sind Listen von Mehrworteinheiten, also Listen von Wörtern, die im Korpus häufig direkt nebeneinander stehen. kfNgram42 ist ein Programm zur Erstellung solcher Mehrworteinheiten, wobei der Benutzer selbst wählen kann, welche Größe diese Einheiten haben sollen. Das Programm bietet nicht die Möglichkeit, mit einem Referenzkorpus zu arbeiten, und zeigt deshalb nicht die signifikantesten Cluster43, sondern die häufigsten in einer Rangliste an. Mit weiteren Analyseprogrammen kann ein Abgleich mit einem Referenzkorpus nachgeholt werden. Diese arbeiten dann wieder mit dem 2-
41 Vgl. http://www.bubenhofer.com/korpuslinguistik/; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 42 http://www.kwicfinder.com/kfNgram/kfNgramHelp.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013 43 Unter einem Cluster werden Einheiten aus zwei oder mehr Wörtern verstanden. Die Ausdrücke Cluster und Mehrworteinheiten werden in dieser Arbeit referezidentisch verwendet.
3. Vorgehen 57
Test und dem Log-Likelihood-Koeffizienten.44 Allerdings erwies sich dieser Abgleich für die vorliegende Arbeit als nicht ertragreich. Hier wurden nur einzelne frequente Daten interpretiert. Die besondere Herausforderung bei einer corpus-driven-Analyse liegt darin, potenziell interessante von restlichen Daten zu scheiden. Denn mit den Berechnungen entstehen umfangreiche Daten. Der Datenumfang hängt von den Parametern ab, die für die Berechnung der Mehrworteinheiten gewählt wurden. Es würde der Philosophie des corpus-drivenParadigmas jedoch widersprechen, wenn bereits dort besonders rigide Parameter gewählt würden. Deshalb muss der Schritt des Filterns besonders spät erfolgen. (Bubenhofer 2009, 149f)
Nach Abschluss der korpusgesteuerten Analysen geht die Untersuchung in eine korpusbasierte Untersuchung über. The essential characteristics of corpus-based analysis are: – – – –
it is empirical, analyzing the actual patterns of use in natural texts; it utilizes a large and principled collection of natural texts, known as a “corpus,” as the basis for analysis; it makes extensive use of computers for analysis, using both automatic and interactive techniques; it depends on both quantitative and qualitative analytical techniques. (Biber et. al. 2000, 4)
Die corpus-based Untersuchung wird hier als eine Art der Vorsortierung der Daten verstanden, die dann im weiteren Verlauf interpretiert werden müssen. Wichtig ist also, dass man diese korpuslinguistische Untersuchung wie Biber et. al. (2000) als eine Kombination quantitativer und qualitativer Analysetechniken versteht. Während quantitative Korpusuntersuchungen Häufigkeiten im Korpus bestimmen und Ergebnisse miteinander abgleichen, legen qualitative Korpusanalysen ihren Schwerpunkt auf „die Ermittlung, die Klassifizierung, die Einordnung und Interpretation von bestimmten Phänomenen“ (Scherer 2006, 36). Anders als bei der korpusgesteuerten Analyse werden in der corpus-based Untersuchung nun konkrete Fragen an das Korpus gestellt. Diese Fragen ergeben sich in dieser Arbeit zum Teil aus der vorangegangenen corpus-driven Untersuchung oder auch aus der diskurslinguistischen Analyse, die in Kapitel III
44 Das von Friedemann Vogel entwickelte Programm kontrakorp (http://www.friedemannvogel.de/software-/kontrakorp; zuletzt abgerufen am 31.05.2013) ermöglicht ein Abgleich der mit kfNgram ermittelten N-Gramme mit denen eines Referenzkorpus. Damit lassen sich die signifikantesten Cluster anzeigen.
58 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse vorgestellt wird. Mit dem Ziel, das Konzept Islam möglichst umfassend zu beschreiben, könnten mittels korpusbasierter Methoden etwa folgende Fragen beantwortet werden: 1. 2. 3. 4. 5.
Mit welchen anderen Substantiven/Adjektiven/Verben kommt Islam/Moslem/Muslim häufig vor? Wie unterscheiden sich die Bedeutungen von islamisch und islamistisch? Hat das Lexem Islam verschiedene Lesarten? Hat sich die Bedeutung von Islam mit dem 11. September verändert? Ist die gegenwärtige Bedeutung von Islam eine andere als kurz nach dem 11. September?
Die Analysetools AntConc und das CQP-Webinterface45 des Lehrstuhls für Korpuslinguistik der HU Berlin bieten nun verschiedene Möglichkeiten, auf diese und weitere Fragen eine möglichst konkrete Antwort zu finden. Die Untersuchungskorpora liegen sowohl in einer nach Wortarten annotieren Datei als auch in einer Datei ohne diese Annotationen vor. AntConc bearbeitet das nichtannotierte Korpus46, mithilfe des CQP-Webinterfaces kann hingegen das annotierte Korpus untersucht werden. Über die Auswahl concordance ist bei AntConc beispielsweise eine KWIC47-Ansicht möglich, bei der man die Kotexte einzelner Suchausdrücke ansehen, diese – beispielsweise alphabetisch – sortieren und somit schließlich besser interpretieren kann. Konkordanzen erlauben es, Bedeutungen von Wörtern im Kontext zu analysieren. Eine Konkordanz ist eine Liste, die Okkurrenzen eines Suchwortes in einer sogenannten KWICAnsicht anzeigt. Der angegebene Kontext umfasst aus Darstellungsgründen in der Regel eine Textzeile, wobei das Suchwort in der Mitte der Textzeile steht. (Ziem demn., 7f)
Um das Konzept Islam zu beschreiben, bietet sich aber vor allem eine Kollokationsanalyse bestimmter Ausdrücke an, die dieses Konzept evozieren, so etwa die Ausdrücke Islam, Moslem, Muslim, Muslime usw.
45 https://korpling.german.hu-berlin.de/cqpwi/login.php; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 46 Wobei es mithilfe von Zusatztools möglich ist, auch mittels AntConc annotierte Korpora zu bearbeiten. 47 KWIC ist die Abkürzung für Keyword in Context. Es werden dabei die Umgebungen eines bestimmten Suchausdrucks aufgezeigt, wie beispielsweise Abb. 4 veranschaulicht.
4. Ergebnisse 59 Welche Techniken stehen nun zur Verfügung, um in Korpusdaten nach Sprachgebrauchsmustern zu suchen? Der Kernbegriff in diesem Zusammenhang ist ‚Kollokation‘. Er geht auf Firth (1957:194) zurück und wird in der Korpuslinguistik heute als statistisch signifikantes gemeinsames Auftreten von Wörtern (je nach Definition von Lexemen und Wortformen) definiert. (Bubenhofer 2008a, 415)
Bubenhofer (ebd.) weist außerdem auf die oft schwierige Differenzierung zwischen Kollokationen und Kookkurenzen hin. Anders als bei Lehr (1996, 37) wird hier nicht davon ausgegangen, dass Kollokationen „eine interne hierarchische Struktur aufweisen“. Unter einer Kollokation wird das frequente und/oder signifikante Miteinandervorkommen zweier oder mehrerer Ausdrücke in einer definierten Umgebung verstanden. Wie Bubenhofer (2008a) unterscheidet auch diese Arbeit nicht, wie etwa Steyer (2003, 33), zwischen Kollokation und Kookkurrenz. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in der Linguistik gegenwärtig zwei gegensätzliche Kollokationsbegriffe konkurrieren. Es stehen sich gegenüber der basisbezogene Kollokationsbegriff, wie er für das Fremdsprachenlernen und die darauf ausgerichtete Lexikographie unverzichtbar ist – und auf der anderen Seite der computerlinguistische Kollokationsbegriff, der damit jede Art von Clusterbildung meint. (Hausmann 2004, 320f)
In der vorliegenden Arbeit wird sich mit der Bezeichnung Kollokation auf die Clusterbildung bezogen.
4. Ergebnisse Mithilfe der Kombination korpusgesteuerter und korpusbasierter Analyseverfahren konnte das Konzept Islam skizziert werden. Begonnen wurde mit einer korpusgesteuerten Keywordanalyse, die an bestimmten Stellen, an denen sich konkrete Fragestellungen ergaben, in eine korpusbasierte Untersuchung überging. Im Anschluss an die Keywordanalyse wurde eine ebenfalls korpusgesteuerte Analyse von N-Grammen durchgeführt, bei der häufig vorkommende Mehrworteinheiten in den Korpora identifiziert werden konnten. Auch dabei ergaben sich weiterführende Fragen, die die Analyse erneut in eine korpusbasierte Untersuchung übergehen ließen. Schließlich wurden korpusbasierte Kollokationsanalysen durchgeführt, die bestimmte Bedeutungsaspekte des Konzepts Islam aufzeigen. Denn das häufige Miteinandervorkommen eines Ausdrucks mit einem anderen Ausdruck kann als Teil seiner Bedeutung aufgefasst werden. Firth (1968, 182) gibt ein Beispiel: „One of the meanings of dark is its collocability with night.“ Das häufige Kovorkommen von Islam mit anderen
60 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Ausdrücken gibt demnach Aufschluss über bestimmte Bedeutungsaspekte des Konzepts.
4.1 Keywordanalyse One of the first things that a user will do when analyzing a new corpus is to generate a list of all the words in the corpus. Word lists are useful as they suggest interesting areas for investigation and highlight problem areas in a corpus. (Anthony 2005, 732)
Wie bereits in Kapitel 3 beschrieben gleicht das Analysetool AntConc die am häufigsten vorkommenden Ausdrücke im Untersuchungskorpus mit denen eines Referenzkorpus ab und bestimmt so die für das Korpus typischen Schlüsselwörter48. Die folgende Übersicht stellt diese zunächst für das Korpus „2009“ dar und zeigt die 25 signifikantesten Schlüsselwörter aus diesem Korpus.
48 Wichtig zu beachten ist, dass bei der Analyse mit AntConc mit den nicht-annotierten Korpora gearbeitet wurde. Wäre es möglich, nach der Lemmatisierung eine Keywordanalyse durchzuführen, so wären die Ergebnisse aussagekräftiger. AntConc zählt hier jedoch nur jede einzelne Wortform und gleicht sie mit dem Referenzkorpus ab. Das ist der Grund, warum etwa bei der Tab. 4 („nach 9/11“) auf Rang 7 islamischen und später auf Rang 22 islamische erscheint.
4. Ergebnisse 61
Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Freq 3454 3358 3694 3319 2413 3314 2209 2325 2533 9056 3321 1585 1710 1771 1564 3264 1831 5087 1517 4022 1355 1714 2004 1216 1192
Korpus „2009“ LLR 1.619.716 1.511.572 1.506.481 1.492.209 1.163.640 1.156.428 1.099.689 1.070.215 1.030.732 835.292 828.442 793.995 793.448 780.675 744.494 720.403 705.043 702.301 662.025 653.255 647.857 644.621 625.760 577.885 542.389
Wortform Islam Taliban Iran Muslime Hamas Israel Moschee Islamischen Al Gegen Afghanistan Ahmadinedschad Teheran Pakistan Islamisten Obama Religion Uhr Qaida US muslimischen Tel Türkei islamische Mohammed
Tab. 3: Die signifikantesten Keywords im Korpus „2009“
In der ersten Spalte der Tabelle ist die Rangordnung der einzelnen Keywords angeben. Diese sind nach Signifikanz sortiert. Der Signifikanzwert – berechnet nach dem LLR-Wert (vgl. Kapitel 2) – findet sich in der dritten Spalte. An dieser Stelle werden aus Anschaulichkeitsgründen nur die 25 signifikantesten Schlüsselausdrücke aufgezeigt. Anhand der zweiten Spalte kann abgelesen werden, wie häufig eine Wortform im Korpus „2009“ vorkommt. Insgesamt gibt es 3454 Treffer für den Ausdruck Islam im Korpus „2009“. Die folgende Tabelle enthält zum Vergleich die 25 signifikantesten Keywords aus dem Korpus „nach 9/11“.
62 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Freq 6991 5842 6995 5313 5143 9994 3708 3717 8076 14580 3411 3628 2820 2414 2527 2376 3210 3685 1967 2256 2112 1865 5721 6587 1926
Korpus „nach 9/11“ LLR Wortform 1700.172 Taliban 1381.080 Laden 1366.984 Afghanistan 1278.412 Islam 1174.023 Bin 1044.956 USA 959.509 Islamischen 955.222 Pakistan 946.872 US 823.954 Gegen 817.185 Al 738.333 Terroristen 710.679 Muslime 634.696 Kabul 602.594 Osama 590.041 Arafat 565.796 Terrorismus 564.193 Terror 534.880 Mohammed 515.290 Al 514.834 Qaida 497.382 Islamische 484.288 Krieg 468.411 September 462.103 Anschlag
Tab. 4: Die signifikantesten Keywords im Korpus „nach 9/11“
Es folgen die signifikantesten Schlüsselwörter aus dem Korpus „vor 9/11“:
4. Ergebnisse 63
Rang 1 2 3
Freq 2149 1354 1226
4 5 6
Korpus „vor 9/11“ LLR 1285.341 1056.270 919.422
Wortform Israel Taliban Arafat
1225 1171 1108
903.699 860.361 847.899
Palästinenser Islam islamischen
7 8 9
1110 1186 1021
790.994 784.456 769.514
Jerusalem israelischen Scharon
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
1025 932 771 756 724 2825 804 753 1037 739 557 563 594 1042 4207 615
736.609 637.517 609.398 597.164 571.070 543.930 542.892 539.899 468.465 450.363 444.737 431.240 426.565 405.940 390.720 385.362
israelische Israelis Barak Muslime Moschee taz Israels Iran Armee Afghanistan Abu islamische Palaestinenser Gewalt gegen arabischen
Tab. 5: Die signifikantesten Keywords im Korpus „vor 9/11“
Nachfolgend werden nochmals die 25 signifikantesten Keywords aller drei Korpora aufgezeigt und im Anschluss diskutiert. Auf die Angabe der Signifikanzen wurde aus Darstellungsgründen in dieser Tabelle verzichtet. Die LLR-Werte finden sich in den zuvor gezeigten Tabellen.
64 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Korpus „vor 9/11“ Rang Freq
Wortform
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Rang Freq
Wortform
Rang Freq
Wortform
1
2149 Israel
1
6991
Taliban
1
3454 Islam
2
1354
2
5842
Laden
2
3358 Taliban
3
1226 Arafat
3
6995
Afghanistan 3
3694 Iran
4
1225
Palästinenser
4
5313
Islam
4
3319
Muslime
5
1171
Islam
5
5143
Bin
5
2413
Hamas
6
1108
islamischen
6
9994
USA
6
3314
Israel
7
1110
Jerusalem
7
3708
islamischen 7
2209 Moschee
8
1186
israelischen
8
3717
Pakistan
8
2325
Islamischen
9
1021
Scharon
9
8076
US
9
2533
Al
10
1025
israelische
10
14580 gegen
10
9056 Gegen
11
932
Israelis
11
3411
Al
11
3321
Afghanistan
12
771
Barak
12
3628
Terroristen
12
1585
Ahmadinedschad
13
756
Muslime
13
2820
Muslime
13
1710
Teheran
14
724
Moschee
14
2414
Kabul
14
1771
Pakistan
15
2825 taz
15
2527
Osama
15
1564
Islamisten
16
804
Israels
16
2376
Arafat
16
3264 Obama
17
753
Iran
17
3210
Terrorismus 17
1831
18
1037
Armee
18
3685
Terror
5087 Uhr
19
739
Afghanistan
19
1967
Mohammed 19
1517
20
557
Abu
20
2256
al
20
4022 US
21
563
islamische
21
2112
Qaida
21
1355
muslimischen
22
594
Palaestinenser
22
1865
islamische
22
1714
Tel
23
1042 Gewalt
23
5721
Krieg
23
2004 Türkei
24
4207 gegen
24
6587
September
24
1216
Islamische
25
615
25
1926
Anschlag
25
1192
Mohammed
Taliban
arabischen
18
Religion Qaida
Tab. 6: Keywordlisten der drei Korpora49
49 Mithilfe von AntConc wurde hier die Keyness (Schlüsselhaftigkeit) der Ausdrücke im Vergleich zum Referenzkorpus auf der Basis des Log-Likelihood-Koeffizienten gemessen. Die Sortierung der Rangliste erfolgte also auf der Basis der Keyness und nicht auf der Basis der Frequenzen.
4. Ergebnisse 65
In der abgebildeten Tabelle sind erneut nur die 25 signifikantesten Schlüsselwörter der jeweiligen Untersuchungskorpora aufgelistet. Weil sich die Rangordnung der Ausdrücke aus der Signifikanz ergibt, kann es also sein, dass ein weniger frequentes Wort einen höheren Rang einnimmt als ein frequenteres. So kommt beispielsweise der Ausdruck taz im Korpus „vor 9/11“ 2825 Mal vor und damit häufiger als das Keyword Israel auf Platz 1 der Liste. Da aber taz auch im Referenzkorpus häufig auftaucht, ist es ein weniger signifikantes Keyword als Israel.50 Auch die von AntConc ermittelte Keywordliste legt nahe, die Untersuchungskorpora als Diskurskorpora zu begreifen – wenn man auch davon ausgehen muss, dass der Islam nicht das Hauptthema eines jeden einzelnen Textes ist und dieser eben häufig nur ein Subthema der Texte darstellt –, schließlich geht aus den ermittelten Schlüsselwörtern eindeutig eine thematische Zuordnung der Korpustexte zum Islamdiskurs hervor. Der Vergleich der Keywordlisten für die drei verschiedenen Untersuchungskorpora macht deutlich, dass sich der Fokus bei der Auseinandersetzung mit dem Islam im Laufe der Zeit verschoben hat. Die aus dem Korpus „vor 9/11“ ermittelte Keywordliste zeigt, dass vor allem in Texten mit dem Thema Nahostkonflikt auf den Islam Bezug genommen wird – dies zeigen etwa die Schlüsselausdrücke Israel, Arafat, Scharon, Jerusalem und Palästinenser. Hingegen nehmen die für das Korpus „nach 9/11“ ermittelten Schlüsselausdrücke – wie nicht anders zu erwarten war – verstärkt Bezug auf die Anschläge vom 11. September (Laden, Bin, Terroristen, USA, September, Anschlag). Bei der Keywordliste des Korpus „2009“ ist eine eindeutige thematische Zuordnung nicht möglich. Einige Schlüsselwörter beziehen sich auf den Teildiskurs Iran als Atommacht (Ahmadinedschad, Teheran, Iran) – schließlich kam es 2009 zur Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads, die aufgrund der Manipulationsvorwürfe verstärkt in den Fokus der deutschen Presse geriet –, aber auch andere Teildiskurse spielen eine Rolle, wie es zum einen nationenbezogene Schlüsselausdrücke wie Israel, Pakistan, Türkei und Afghanistan, und zum anderem Eigennamen von Personen und Organisationen wie Obama, Qaida, Al und Hamas vermuten lassen. Im Allgemeinen ist die große Anzahl an Eigennamen unter den Schlüsselwörtern der drei Untersuchungskorpora auffällig. Dabei ist jedoch noch einmal hervorzuheben, dass sich diese Schlüsselwörter aus dem Abgleich mit den Referenzkorpora zum Wiedervereinigungsdiskurs ergeben. Somit besteht die Auffälligkeit der großen Anzahl von Eigennamen nur im Vergleich zu den Texten zum Wiedervereinigungsdiskurs. Trotzdem sind die genannten Eigennamen auf
50 Zur Funktion des Referenzkorpus vgl. Kapitel 2.
66 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse schlussreich. Sie geben zum einen an, welche Staaten zu den verschiedenen Zeitpunkten im Islamdiskurs eine besondere Relevanz hatten. Dies sind in dem Jahr vor dem 11. September 2001 Israel, Iran und Afghanistan, in dem darauffolgenden Jahr Afghanistan, USA und Pakistan und im Jahr 2009 Iran, Israel, Afghanistan, Pakistan und die Türkei. Zum anderen werden mittels Personennamen und Namen von Organisationen bestimmte Diskursakteure fokussiert. Im Jahr vor den Anschlägen sind das die Taliban, der damalige Anführer der palästinensischen Partei Fatah Jassir Arafat, Ehud Barak, der bis 2001 Ministerpräsident von Israel war, sowie dessen Nachfolger Ariel Sharon.51 Nach den Anschlägen werden die Taliban, Osama Bin Laden, Al Qaida und der Terrorist Mohammed Atta52 besonders häufig genannt. Im Jahr 2009 dominieren ebenfalls die Taliban sowie die Hamas, Mahmud Ahmadinedschad und Barack Obama.53 Es fällt jedoch zugleich auf, dass viele Namen über die Zeit hinweg eine Rolle spielen. So scheinen etwa vor allem Afghanistan und die Taliban im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 die öffentlichen Debatten um den Islam zu dominieren. In allen drei Korpora taucht unter den 25 signifikantesten Schlüsselwörtern die Präposition gegen auf. Dies erscheint vor allem deshalb interessant, weil normalerweise durch den Abgleich eines Untersuchungskorpus mit einem Referenzkorpus vorwiegend Inhaltswörter unter den signifikantesten Schlüsselausdrücken hervorstechen, da Funktionswörter schließlich in Texten zu den verschiedensten Themen sehr häufig vorkommen. Die Präposition gegen erscheint allerdings im Untersuchungskorpus im Vergleich zum Diskurskorpus zur Wiedervereinigung signifikant häufig. Für die Interpretation dieser Auffälligkeit ist nun ein weiterer Analyseschritt notwendig. An dieser Stelle muss die corpusdriven Analyse in eine corpus-based Analyse umgewandelt werden. Es erscheint plausibel, sich die Konkordanzen von gegen anzusehen, sie zu sortieren und schließlich zu interpretieren, denn eine „korpuslinguistische Diskursanalyse, die corpus-driven begonnen wurde, wird erst dann hilfreich, wenn sie corpus-based ergänzt wird“ (Bubenhofer 2008a, 421). AntConc ermöglicht es, die Kotexte eines Ausdrucks in einer KWIC-Ansicht genauer zu betrachten. Dies soll im Folgenden exemplarisch am Korpus „2009“ gezeigt werden. Laut der Keywordanalyse erscheint die Präposition gegen in
51 Der beliebte arabische Namenszusatz Abu referiert im Korpus auf sehr viele unterschiedliche Personen und wird deshalb nicht weiter beachtet. 52 Auch der Name Mohammed bezieht sich im Korpus auf viele verschiedene Personen, wobei die Referenz auf Mohammed Atta aus offensichtlichen Gründen stark dominiert. 53 2009 variiert die Referenz von Mohammed wieder sehr stark. Oft wird sich auch auf den Propheten Mohammed im Streit um die Mohammedkarikaturen bezogen.
4. Ergebnisse 67
diesem Korpus 9056 Mal. Die Übersicht ist zunächst nach dem Vorkommen des Suchausdrucks im Korpus geordnet. Der erste Treffer in der Übersicht zeigt also den ersten Treffer im Textkorpus an, der zweite Treffer den zweiten usw. Die große Anzahl der Treffer lässt nun bei der ersten Betrachtung keine Interpretation der Ergebnisse zu, weshalb es notwendig ist, die Ergebnisliste weiter zu sortieren. Mittels AntConc können die Ausdrücke, die links und rechts neben dem jeweiligen Suchausdruck stehen, alphabetisch sortiert werden.
Abb.4 : KWIC-Ansicht gegen im Korpus „2009“
In dieser KWIC-Ansicht wurden im Korpus „2009“ auf der ersten Ebene die Ausdrücke direkt rechts von gegen alphabetisch sortiert, auf der zweiten Ebene dann die Ausdrücke zwei Wörter rechts von gegen und schließlich noch die Ausdrücke, die drei Wörter rechts von gegen stehen. Über diese alphabetische Vorsortierung lässt sich ein erster Eindruck über den Kotext von gegen im Kor-
68 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse pus gewinnen. In der Abbildung erscheint also den Bau von Minaretten als etwas, wogegen die Diskursteilnehmer sind. Nimmt man eine andere Sortierung vor und betrachtet, was links von gegen steht, so fallen als häufige Wörter Widerstand, Kampf, Votum usw. auf. Die genaue Betrachtung der Kotexte zeigt, dass gegen häufig der Kern einer Präpositionalphrase ist, die wiederum in eine Nominalphrase eingebettet ist: Abstimmung gegen Islamisierung, Kampf gegen Minarette, Widerstand gegen israelische Besatzungsmächte etc. Das CQP-Webinterface des Lehrstuhls für Korpuslinguistik der Universität Berlin ermöglicht es, die annotierten Korpora zu analysieren. Dabei ist es möglich, abzufragen, welche Substantive beispielsweise direkt vor gegen stehen54 und diese nach Frequenz sortieren zu lassen. In der Tabelle 7 werden die dreißig häufigsten Lemmata, deren Wortart ein normales Nomen55 ist, vor gegen angezeigt:
54 In der Abfragesprache: [pos="NN"] [word="gegen"]. 55 Mit normalen Nomen sind in der Stuttgarter-Tübinger-Tagging-Liste all jene Nomen gemeint, die keine Eigennamen sind.
4. Ergebnisse 69
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Wort Kampf 56 Protest Krieg Prozess Widerstand Verstoß Gewalt Sanktion Offensive Vorwurf Anklage Verbrechen Verfahren Demonstration Vorgehen Kampagne Anschlag Haftbefehl Klage Ermittlung Hass Drohung Angriff Abneigung Aufstand Armee Urteil Misstrauen Einsatz
Absolute Freq. 549 340 223 202 178 96 92 68 64 62 50 46 44 44 43 43 40 35 33 32 30 29 29 28 27 26 26 25 24 24
Relative Freq. 0.101180 0.062661 0.041098 0.037228 0.032805 0.017693 0.016955 0.012532 0.011795 0.011426 0.009215 0.008478 0.008109 0.008109 0.007925 0.007925 0.007372 0.006450 0.006082 0.005898 0.005529 0.005345 0.005345 0.005160 0.004976 0.004792 0.004792 0.004607 0.004423 0.004423
Tab. 7: Substantive vor gegen im Korpus „2009“
Die Präposition gegen hat laut der Onlineausgabe des DUDEN eine ganze Reihe an unterschiedlichen Bedeutungen:
56 Das unknown auf Rang 2 der Liste erscheint, weil der Treetagger bestimmten Nomen kein Lemma zuordnen konnte.
70 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse 1. (räumlich) a) kennzeichnet die [Aus]richtung auf jmdn., etw. (…); kennzeichnet eine gegenläufige Bewegung (…); c) kennzeichnet die Weise, in der eine zielgerichtete Bewegung auf etw. auftrifft (…). 2. a) kennzeichnet ein Entgegenwirken, ein Angehen gegen jmdn., etw., ein Sichentgegenstellen (…); kennzeichnet eine Gegensätzlichkeit, ein Entgegenstehen, ein Zuwiderlaufen (…); kennzeichnet ein bestimmtes [gegeneinandergerichtetes] Agieren von Personen, Gruppen miteinander (…); 3. kennzeichnet eine in bestimmter Weise geartete Beziehung zu jemandem, einer Sache gegenüber (…); 4. (zeitlich) a) zur Angabe eines ungefähren Zeitpunktes, der unter- oder überschritten werden kann (…); b) zur Angabe eines bestimmten Zeitraumes, der nicht überschritten wird (…); 5. im Vergleich, im Verhältnis zu (…); 6. [im Austausch] für (…)57
Bei der Betrachtung der Verwendungsweise von gegen fällt auf, dass die Präposition im Korpus mit der Bedeutung 2a) (kennzeichnet ein Entgegenwirken, ein Angehen gegen jmdn., etw., ein Sichentgegenstellen) verwendet wird. Für diese Lesart gibt der DUDEN folgende Beispiele: gegen den Hunger in der Welt kämpfen; der Kampf gegen Krankheit und Armut; etwas gegen die Missstände tun; gegen etwas protestieren; sich gegen jemanden auflehnen; ein Mittel gegen Husten (das den Husten vertreibt; eine Impfung gegen (zum Schutz vor) Pocken58
Die Verwendungsweise von gegen im Korpus ähnelt genau diesen Beispielen. Auffällig ist, dass dabei immer zwei Komponenten gegenübergestellt werden. Jemand kämpft gegen etwas, jemand protestiert gegen etwas. Dass die Verwendungsweise der von der im DUDEN unter 2a) angegebenen Lesart entspricht, wird bereits bei der Betrachtung der Nomen, die im Korpus „2009“ am häufigsten vor der Präposition stehen, sehr deutlich: Protest gegen, Krieg gegen, Prozess gegen, Widerstand gegen usw. Insgesamt kann man die Nomen, die im Korpus „2009“ vor der Präposition gegen stehen, in zwei semantische Felder einteilen. Zum einen gibt es ein semantisches Feld, das man mit Krieg/Kampf überschreiben könnte. Dazu gehören die Substantive Protest, Krieg, Widerstand, Gewalt, Offensive, Anschlag, Angriff, Aufstand, Armee und Einsatz. Zum anderen lassen sich einige Substantive in das semantische Feld Strafrecht, Strafverfolgung einordnen. Dazu gehören die Substantive Prozess, Verstoß, Sanktion, Vorwurf, Anklage, Verbrechen, Klage, Ermittlung und Urteil. Des Weiteren muss untersucht werden, welche Nominalphrasen am häufigsten in die Präpositionalphrase mit gegen im Kern eingebettet sind. Da das
57 http://www.duden.de/rechtschreibung/gegen_zu_wider_an; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 58 http://www.duden.de/rechtschreibung/gegen_zu_wider_an#Bedeutung2a; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
4. Ergebnisse 71
Korpus nicht hinsichtlich Phrasen annotiert wurde, ist diese Frage an das Korpus nicht ganz einfach zu beantworten. Mittels des CQP-Webinterfaces wurde zunächst eine Vorsortierung vorgenommen. Dafür musste überlegt werden, wie eine Nominalphrase nach gegen aussehen könnte. Diese könnte beispielsweise aus nur einem Nomen bestehen oder aber auch aus einem Nomen und Artikelwort. In die Nominalklammer kann schließlich noch ein Adjektiv treten (oder auch mehrere). Dieses Adjektiv kann möglicherweise durch eine Gradpartikel näher bestimmt werden.59 Alle Präpositionalphrasen mit gegen im Kern wurden schließlich in ein Textdokument extrahiert. AntConc ermittelte die häufigsten Cluster mit gegen in der linken Position, die aus zwischen zwei und fünf Wörtern bestehen. Unter Clustern werden bei AntConc Mehrworteinheiten verstanden, die nicht corpus-driven, sondern corpus-based über die Verwendung eines Suchausdrucks (im vorliegenden Fall war der Suchausdruck die Präposition gegen) ermittelt werden. Die folgende Tabelle zeigt die frequentesten60 Cluster mit gegen in linker Position im Korpus „2009“.61
59 Die Anfrage im CQP-Webinterface lautete: [word=“gegen“] [pos=“ART“] {0,2} [pos=“ADV“] {0,2} [pos=“ADJA“] {0,3} [pos=“NN“]. 60 Es wurde hier darauf verzichtet, die signifikantesten Cluster anzuzeigen, stattdessen wurden nur frequente Cluster angegeben. Die Begründung dafür ist, dass hier nicht jeder Einzeltreffer für sich interpretiert werden muss, sondern vielmehr das Ergebnis in seiner Gesamtheit. 61 Cluster in denen gegen nur zusammen mit einem Artikelwort vorkommt, wurden nicht in die Tabelle übernommen.
72 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Rang
Freq
Cluster
4
84
gegen den Terror
5
71
gegen den Islam
6
65
gegen den Bau
9
58
gegen Rassismus
10
47
gegen die Menschlichkeit
11
46
gegen Demonstranten
12
32
gegen den Terrorismus
13
31
gegen die Regierung
14
29
gegen die Sauerland62
16
28
gegen das Regime
17
28
gegen die umstrittene
18
27
gegen die Hamas
19
26
20
21
gegen die SauerlandGruppe gegen Minarette
21
20
gegen den mutmaßlichen
22
20
gegen die Juden
23
18
24
18
gegen den mutmaßlichen Mörder gegen die Opposition
25
18
26
17
27
17
Wiederwahl gegen Extremisten
28
17
gegen Homosexuelle
29
16
gegen den Westen
30
16
gegen islamische
31
15
gegen die Wiederwahl
32
15
gegen islamistische
33
14
gegen die Demonstranten
34
14
gegen die Islamische
35
14
gegen die islamische
36
14
gegen Frauen
37
13
gegen den Schah
38
13
gegen Gewalt
gegen Rechtsextremismus gegen die umstrittene
62 Hier wird auf die sogenannten Sauerland-Attentäter Bezug genommen.
4. Ergebnisse 73 39
13
gegen muslimische
40
12
41
12
gegen die Islamische Republik gegen die Terroristen
42
12
gegen Homophobie
43
11
gegen das islamische
44
11
gegen die Bundesrepublik
45
11
gegen die Islamisten
46
11
gegen die israelische
47
11
gegen die Wahl
48
11
gegen Islamisten
49
10
gegen Antisemitismus
50
10
gegen den Krieg
51
10
gegen die Extremisten
52
10
gegen die Korruption
53
10
gegen Korruption
54
10
gegen Okzident
55
10
gegen US
56
10
gegen Weißrussland
Tab. 8: Cluster mit gegen in der Position ganz links (Korpus „2009“)
Auffällig ist, dass sich die Nominalphrasen nach gegen doch häufig dem Islamdiskurs zuordnen lassen (gegen den Terror, gegen den Islam, gegen den Terrorismus, gegen die Sauerland, gegen die Hamas, gegen die Sauerland-Gruppe, gegen Minarette, gegen islamische, gegen islamistische). Die Bezugnahme auf verschiedene Teildiskurse des Islamdiskurses wird deutlich (Moscheebaudiskurs, Terrorismusdiskurs), wobei diese Teildiskurse scheinbar dadurch geprägt sind, dass jemand gegen etwas ist beziehungsweise etwas gegen etwas unternommen wird. Um die Einzelergebnisse zu interpretieren, ist wieder eine genaue Sicht der Kotexte der Präpositionalphrasen mit gegen im Kern notwendig. Schaut man sich beispielsweise die Konkordanzen links von gegen den Islam an, dann steht dort unter anderem Abstimmung, Feldzug, Hassäußerungen, Hetze‚ Kampf, Krieg, Verbrechen. In Äußerungen wie Feldzug gegen den Islam, Hass(…) gegen den Islam, Hetze gegen den Islam, Kampf gegen den Islam und Verbrechen gegen den Islam wird jeweils eine Bewertung der Diskursteilnehmer deutlich. Bei den
74 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Substantiven vor der Präpositionalphrase handelt es sich um Stigmawörter63. Sie evozieren somit eine negative Bewertung und eine daraus resultierende deontische Bedeutung, dass eben diese Hetze, dieser Kampf, dieses Verbrechen unterbunden werden soll. Dies wird vor allem bei der genauen Betrachtung der Kotexte deutlich: 1.
2.
3.
4.
In Afghanistan konnten sich weder britische noch sowjetische Armeen behaupten. Heute stellt sich die Frage, welche Siegeschancen westliche Truppen haben, die in den afghanischen Bergen umherirren oder zwischen die Fronten des Drogenhandels geraten und sich auch noch dem Vorwurf ausgesetzt sehen, einen Krieg gegen den Islam zu führen. (taz, 13.11.2009, Kämpfen für Karsai) Das ist nicht vertretbar im christlichen Abendland, konterte Elisabeth Motschmann, religionspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Nicht-christliche Religionen würden im BGU hinreichend behandelt. Sie fordert, dass das aktuelle Modell aus BGU und den Ersatzfächern Philosophie und Islamkunde beibehalten wird. Dem Vorwurf, dies sei ein Kampf gegen den Islam, hielt sie entgegen, sie sei ein Kampf für die Frau. (taz, 18.06.2009, Zankapfel Bibel) Gegen das Ende November in einer Volksabstimmung in der Schweiz beschlossene Minarettverbot haben rund 700 Muslime am Samstag in Bern friedlich demonstriert. Unter dem Motto Islam ohne Vorurteile beklagten die Kundgebungsteilnehmer besonders eine Hetze gegen den Islam. (taz, 14.12.2009, Hunderte Schweizer Muslime protestieren) All die Anstrengungen und Assimilierungs-Erfolge dieser Amerikaner, ob eingewandert oder zum Islam übergetreten, ersterben, wenn ein Mann namens Abdulhakim Mujahid Muhammad, aus dem Jemen eingewandert, in Little Rock (Arkansas) auf offener Straße zwei GIs niederschießt. So geschah es am 1. Juni, und der bekennende Dschihadist" erklärte, er hasse das US-Militär wegen seiner Verbrechen gegen den Islam". (WELT Online, 7.11.2009, Nach dem Amoklauf von Fort Hood; Die Angst der amerikanischen Muslime vor Rache)
Die Wendungen Hetze gegen den Islam und Verbrechen gegen den Islam werden vor allen Dingen von muslimischen Diskursteilnehmern oder von Diskursteilnehmern, die islamistischen Gruppen zugeordnet werden, verwendet. Schaut man sich dagegen nur die Konkordanzen links neben gegen den Terror*64 an, so stechen vor allem die Substantive Kampf* (44 Treffer) und Krieg* (40) ins Auge. In dieser Kombination erscheinen Krieg und Kampf jedoch nicht als Stigmawörter, weil das Lexem Terror eine sehr starke negativ-deontische Bedeutung hat, sodass der Kampf beziehungsweise Krieg dagegen legitimiert
63 Vgl. Hermanns (1994, 15f). 64 Mit dem * wird in der Software AntConc deutlich gemacht, dass auch nach Ende der Buchstabenfolge noch etwas stehen kann. Somit werden sowohl Terror als auch Terrorismus in derselben Analyse berücksichtigt.
4. Ergebnisse 75
erscheint. Der Krieg beziehungsweise Kampf gegen den Terror wird also von den Diskursteilnehmern befürwortet, während der Krieg/Kampf gegen den Islam abgelehnt wird. Ausschließlich im Korpus „2009“ taucht unter den 25 signifikantesten Keywords Islamisten auf, obwohl zumindest zu erwarten gewesen wäre, dass bereits im Korpus „nach 9/11“ sich auch das Konzept Islamismus in den Schlüsselausdrücken widerspiegelt. Die Erklärung dafür liegt jedoch nahe: Das Lexem Islamisten tritt im Korpus „nach 9/11“ 1610 Mal auf. Es ist also sehr frequent. Allerdings verdrängen andere Ausdrücke, die sich noch eindeutiger auf die Anschläge vom 11. September beziehen (Terroristen, Taliban, Laden sind alles Ausdrücke, die noch weit frequenter sind als Islamisten), das Wort auf Rang 30 der Signifikanzliste. Es ist also nicht so, dass das Konzept Islamismus im Jahr nach den Anschlägen in den öffentlichen Debatten noch keine Rolle gespielt hat.
Zusammengefasst: Die Keywordanalyse hat bestätigt, dass die drei Korpora als Diskurskorpora aufzufassen sind. Allein anhand der 25 signifikantesten Schlüsselausdrücke lässt sich die Relevanz verschiedener Teildiskurse des Islamdiskurses zu den unterschiedlichen Zeitpunkten ablesen. Sollten auch einige Texte im Korpus thematisch nicht dem Islamdiskurs zuzuordnen sein – die Texte über den Sänger Yusuf Islam, der früher Cat Stevens hieß, sind etwa nicht dem Islam-Diskurs zuzuordnen –, so fallen diese, wie die Keywordanalyse bestätigt hat, doch nicht allzu stark ins Gewicht, sonst müsste etwa Yusuf auch unter den signifikantesten Schlüsselwörtern auftauchen.65 Im Zeitraum vom 11. September 2000 bis zum 10. September 2001 thematisieren die ins Korpus aufgenommenen deutschen Zeitungen den Islam vor allem in Texten, die sich mit dem Nahostkonflikt befassen. Im darauffolgenden Jahr beziehen sich die Texte, die den Islam thematisieren, hingegen vorwiegend auf die Anschläge vom 11. September 2001. In den Texten des Korpus „2009“ sind bereits in den 25 signifikantesten Schlüsselwörtern verschiedene Teildiskurse repräsentiert, die sich vor allem in den Nationenbezeichnungen widerspiegeln (Iran, Pakistan, Türkei, Afghanistan). In allen drei Untersuchungskorpora stellt die Präposition gegen ein signifikantes Schlüsselwort dar. Exemplarisch wurde anhand des Korpus „2009“ zum
65 Solche Ausnahmen stellen nicht nur Yusuf Islam, sondern auch noch weitere Eigennamen wie etwa Islamabad dar.
76 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse einen gezeigt, welche Nomen häufig direkt links vor gegen stehen. Diese Nomen sind vor allem zwei verschiedenen semantischen Feldern zuzuordnen: Krieg/Kampf und Strafrecht/Strafverfolgung. Zum anderen wurden schließlich auch die Nominalphrasen ermittelt, die in eine Präpositionalphrase mit gegen im Kern eingebettet sind. Über die ermittelten Nomen vor gegen und die Nominalphrasen im Anschluss an gegen wurden schließlich Nominalphrasen mit wiederum eingebetteter Präpositionalphrase, die gegen im Kern enthält, ermittelt – etwa Krieg gegen den Islam, Kampf gegen den Terror etc. Bei der Betrachtung der Nominalphrasen nach gegen fiel auf, dass sie sich wiederum häufig auf den Islamdiskurs beziehen (gegen den Terror, gegen den Islam). Eine Auffälligkeit des Islamdiskurses ist somit, dass die Diskursakteure sich gegen etwas äußern.
4.2 N-Gramme Als eine weitere corpus-driven Methode wurde das Erstellen sogenannter NGramme aufgeführt. Unter N-Grammen versteht man Mehrworteinheiten aus n Komponenten. Für diese Arbeit wurden drei Untersuchungskorpora erstellt, bei denen besonders die genaue Betrachtung der Vierwortgramme als sehr ertragreich erschien. Mithilfe des Programms kfNgram,66 das von William H. Fletcher entwickelt wurde, ist es möglich, frequente Mehrworteinheiten zu listen. Bei der hier durchgeführten Analyse erfolgte kein Abgleich mit einem Referenzkorpus, auch wenn nach Bubenhofer (2008a, 417) Listen dieser Art noch nicht von großem Wert sind, da sie sehr lang sind und erst Sprachgebrauchsmuster zeigen, die zwar eine häufige Wortkombination darstellen, jedoch nicht unbedingt typisch für das Korpus sind. Um die Typik zu berechnen, muss diese Liste mit einer auf gleiche Weise generierten Liste eines Referenzkorpus verglichen werden.
Der Abgleich mit einem Referenzkorpus ist mittels spezieller Programme (wie etwa kontrakorp von Vogel67) möglich, erwies sich jedoch für diese Untersuchung und für die gegebenen Zwecke als nicht sinnvoll. In den unten stehenden Tabellen sind nur die frequentesten Vierworteinheiten angegeben, die allerdings bereits für sich sprechen. Ein Abgleich mit dem Referenzkorpus ergab ebenfalls eine lange Liste an Einheiten, deren Relevanz jedoch genauso inter
66 http://www.kwicfinder.com/kfNgram/kfNgramHelp.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013 67 http://friedemann-vogel.de/software/kontrakorp; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
4. Ergebnisse 77
pretiert werden müsste, wie die in der unten stehenden Tabelle. In letzterer wurden allerdings all jene Cluster entfernt, die sich ganz offensichtlich nicht auf die Textinhalte, sondern auf die äußere Form des Textes, beziehen. Da beispielsweise nur bestimmte Zeitungen und Magazine ins Korpus aufgenommen wurden, kommen bestimmte Häufungen etwa von Eigennamen der jeweiligen Blätter vor (Axel Springer Verlag AG). Im Folgenden wird ein Beispiel solcher Vierworteinheiten gegeben, die nachträglich aus der Liste der N-Gramme aus dem Korpus „2009“ entfernt wurden: ####68 sprache german deutsch 7504 sprache german deutsch publication-type 5508 german deutsch publication-type zeitung 5449 publication-type zeitung copyright #### 5184 all rights reserved dokument 5044 dokument #### von #### 4507 #### axel springer verlag 4376 axel springer verlag ag 4376 copyright #### axel springer 4376 deutsch publication-type zeitung copyright 4315 reserved dokument #### von 3018 rights reserved dokument #### 3018 dokument ### von #### 2700
Es wird deutlich, dass es aufgrund des immer gleichen Textaufbaus der Zeitungen und Zeitschriften zu den Häufungen dieser Einheiten kommt. Nach der Aussortierung der Vierwort-Cluster, die sich eindeutig auf die Textoberfläche beziehen, sind nun also in den folgenden Tabellen die zehn häufigsten inhaltlichen Vierwortcluster der drei Korpora gelistet.
68 Mit dem #-Zeichen wird sich auf eine Ziffer bezogen.
78 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Rang
Wortgruppe
Absolute Häufigkeit
237
in den letzten Jahren
69
269
in der vergangenen Woche
63
288
zwischen Israelis und Palästinensern
58
319
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
50
353
auf der Suche nach
45
358
in Westjordanland und im
44
359
in den besetzten Gebieten
44
362
handelt es sich um
43
375
in der Nähe von
38
394
auf der anderen Seite
38
Tab. 9: Vierwortgramme im Korpus „vor 9/11“
Rang
Wortgruppe
Absolute Häufigkeit
90
New York und Washington
577
94
nach dem # September
541
115
das World Trade Center
465
138
Kampf gegen den Terrorismus
357
143
in New York und
338
150
auf das World Trade
286
156
US-Präsident George W Bush
280
157
im Kampf gegen den
275
170
von New York und
239
175
des World Trade Center
220
Tab.10: Vierwortgramme im Korpus „nach 9/11“
4. Ergebnisse 79
Rang
Wortgruppe
Absolute Häufigkeit
261
in den vergangenen Jahren
171
365
in der islamischen Welt
100
367
in der arabischen Welt
99
381
den Bau von Minaretten
94
415
in den letzten Jahren
80
418
auf der anderen Seite
79
419
der Muslime in Deutschland
79
427
von US-Präsident Barack Obama
78
436
in der Nähe von
76
437
in der vergangenen Woche
76
Tab. 11: Vierwortgramme im Korpus „2009“
Vergleicht man die oben stehenden Tabellen, so fällt an den aufgeführten Clustern auf, dass die Themen der Texte in den Korpora doch zum Großteil dem Islamdiskurs zuzuordnen sind, da jedes Korpus unter den zehn häufigsten relevanten Vierworteinheiten Cluster aufweist, die sich eindeutig auf einen der in Kapitel I beschriebenen Teildiskurse des Islamdiskurses beziehen. Somit zeigt sich erneut bestätigt, dass die drei Untersuchungskorpora als Diskurskorpora gewertet werden können, auch wenn aufgrund der großen Anzahl der Texte ihre thematische Zugehörigkeit zum Diskurs nicht über ein Lesen der Texte sichergestellt werden konnte. Es finden sich im Korpus „vor 9/11“ vor allem Einheiten, die sich auf den Nahostkonflikt beziehen, wie zwischen Israelis und Palästinensern, in Westjordanland und im und in den besetzten Gebieten. In den letzten Jahren, in der Nähe von und handelt es sich um sind Sprachgebrauchsmuster, die auf die im Korpus enthaltenen Textsorten (Zeitungsartikel, Kommentar) zurückzuführen sind. Auch die Häufigkeit von auf der anderen Seite als textstrukturierendes Element ist mit den im Korpus enthaltenen Textsorten zu begründen. „Kontexte werden mit Mitteln der sprachlichen Oberfläche konstituiert. Zu diesen Mitteln gehören sprachliche Formeln, die für bestimmte Textsorten oder Textfunktionen typisch sind“ (Bubenhofer/Scharloth 2010, 85). Auffällig hingegen ist auf der Suche nach, das ebenfalls einen vorderen Rang einnimmt. Bei einer näheren Betrachtung der Kotexte von auf der Suche nach zeigen sich jedoch keine eindeutigen Tendenzen weder eines Agens, das auf der Suche nach etwas ist, noch nach was jemand auf der Suche ist. Die folgenden, zufällig ausgewählten Beispiele aus dem Korpus „vor 9/11“ zeigen dies:
80 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse 5.
6.
7. 8.
9.
Zwar erklärte Mary Robinson, die UN-Beauftragte für die Menschenrechte und Generalsekretärin der Weltkonferenz, die Formulierung, „Zionismus gleich Rassismus“ sei vom Tisch. Es gebe auf der Suche nach Sprachregelungen „Flexibilität“. Doch Israel und die USA wollen dem Frieden nicht trauen. (WELT, 29.08.2001, Israel boykottiert Konferenz der UNO gegen Rassismus) Im Pergamonmuseum werden sie die antiken Vasen und Büsten bestaunen, werden Gemälde und Skulpturen von Galerien und Sammlungen in ihre pochenden Herzen schließen und kulturberauscht durch die sternenklare Nacht schwärmen auf der Suche nach mehr. (WELT, 25.08.2001, Architektur, Film, Tanz im Glanze Preußens) Assad: Auf der Suche nach dem Frieden ist alles vorstellbar. Das gilt jedenfalls für die arabische Seite. (SPIEGEL, 09.07.2001, „Scharon plant den Krieg“) „Die sieben Jahre zwischen dem Oslo-Abkommen und dem Ausbruch der Al-AksaIntifada haben junge Menschen von der Politik entfernt“, erklärt Abdel Kareem Bargouthi, der für studentische Angelegenheiten zuständige Professor an der Bir-ZeitUniversität. „Sie sind noch auf der Suche nach geeigneten Methoden, sich auszudrücken.“ (taz, 06.07.2001, Friedenstauben an der Märtyrer-Uni) Der Mann hieß Lorenz Mäder und war seit zehn Jahren auf der Suche nach dem Ort, den noch kein Tourist verdorben, noch kein Taucher erkundet, noch kein Dynamitfischer zerbombt, noch keine Multinational Company ausgebeutet hatte. (Stern, 10.05.2001, GESUCHT UND GEFUNDEN)
Wie zu erwarten war, beziehen sich die häufigsten relevanten Vierworteinheiten im Korpus „nach 9/11“ meist ganz direkt auf den Diskurs um die Anschläge vom 11. September, so nach dem # September, das World Trade Center, im Kampf gegen den Terrorismus, auf das World Trade, des World Trade Center. Auch die anderen Vierworteinheiten in der Liste beziehen sich implizit – so wird es doch mithilfe unseres Hintergrundwissens deutlich – auf eben diesen Diskurs (New York und Washington, US-Präsident George Bush, etc.) Auffällig ist, dass die Vierworteinheiten, die sich offensichtlich auf das Textthema die Anschläge des 11. Septembers beziehen, sogar noch häufiger sind, als die texsortenspezifischen Wendungen aus dem Korpus „nach 9/11“ (Tab. 9) wie in den letzten Jahren, in der Nähe von und auf der anderen Seite. Bei der Liste der Vierworteinheiten im Korpus „2009“ wiederum fällt das Ergebnis heterogener aus. Einzelne Vierworteinheiten beziehen sich auf nationale, also ‚deutsche’ Diskurse, so etwa den Bau von Minaretten69 und der Musli-
69 Genauer genommen bezieht sich den Bau von Minaretten auf einen Schweizer Volksentscheid gegen den Bau von Minaretten. Dieser Volksentscheid wurde jedoch auch in Deutschland bezüglich seiner Bedeutung für das eigene Land diskutiert. Der folgende Auszug gibt ein Beispiel:
4. Ergebnisse 81
me in Deutschland. Neben den textsortenspezifischen Wendungen (in den vergangenen Jahren, in den letzten Jahren, auf der anderen Seite, in der Nähe von, in der vergangenen Woche) fallen zum einen US-Präsident Barack Obama, und zum anderen in der islamischen Welt und in der arabischen Welt auf. Da Barack Obama im Januar 2009 zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde und im selben Jahr eine Rede an die islamische Welt hielt, ist es nicht verwunderlich, dass das Vierwortcluster US-Präsident Barack Obama unter den frequentesten Clustern im Korpus „2009“ auftaucht. Auffällig hingegen ist die frequente Verwendung der Wendungen in der arabischen Welt und in der islamischen Welt. Es stellt sich zunächst die Frage, ob die beiden Cluster referenzidentisch verwendet werden. An dieser Stelle geht die corpus-driven Analyse wieder in eine korpusbasierte Analyse über. Dabei werden die Konkordanzen der beiden Cluster näher betrachtet. AntConc ermöglicht es, die Fensterspannweite des zu betrachtenden Ausschnitts genau festzulegen. Für die Untersuchung wurde die window-size 100 gewählt: das entspricht etwa 12-18 Wörter vor und nach der entsprechenden Wendung. Die Kotexte wurden nun einer ausführlichen Betrachtung unterzogen. Dabei konnte eine annähernde Referenzgleichheit der beiden Ausdrücke festgestellt werden. Beide Wendungen scheinen sich auf die gleichen Staaten zu beziehen, allerdings ist bei in der arabischen Welt die Türkei meistens nicht mit eingeschlossen. Hinweise auf eine Referenzidentität finden sich in folgenden Beispielen: 10. Washington schwebt eine strategische Partnerschaft mit Jakarta vor. Die indonesische Demokratie soll allen Muslimen als Beispiel dienen. Hillary Clintons Hymne impliziert zugleich mehr Verantwortung und die Hoffnung, Indonesien könne als Brücke zwischen den Religionen und Kulturen dienen. Allerdings hat Indonesien bisher nie eine größere Rolle in der islamischen Welt gespielt. In der arabischen Welt werden die Indonesier mit ihrem gemäßigten "Volksislam" nicht ernst genommen. Das Land müsste seinen Anspruch auf Führung erst profilieren. (WELT am Sonntag, 29.03.2009, Kampagnenkarneval in Indonesien) 11. Die Türkei hatte in den vergangenen Jahren mit einer erfolgreichen Geheimdiplomatie zwischen Israel und Syrien vermittelt. Doch wer Erdogans antiisraelische Tiraden in Davos verfolgt, sieht den Vermittler nicht mehr. Dass Hamas eine sozialreformatorische Bewegung ist, wie der Ministerpräsident behauptet, glauben wohl nur stramme Islamisten. Hamas hat ein Ziel: einen Schariastaat in ganz Palästina zu errichten. Die ideologische Formation dieser Bewegung ist bekannt. Von einer Reformierung
Die Mehrheit der Berliner ist gegen ein Verbot von Minaretten, wie es die Schweizer Ende November in einer Volksabstimmung beschlossen haben. 53 Prozent der Hauptstädter lehnen es ab, Moscheen den Bau von Minaretten grundsätzlich zu untersagen, wie aus einer Infratestdimap-Umfrage im Auftrag von Berliner Morgenpost und RBB- Abendschau hervorgeht. (taz, 12.12.2009, … und sonst)
82 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
12.
13.
14.
von Hamas war bislang nicht viel zu merken. Erdogan aber scheint sich selbst inzwischen als Vorbild für Islamisten in der arabischen Welt zu sehen, die einen Ausweg aus der internationalen Isolation suchen. Ist aber der erste Schritt aus der Isolation nicht die Abkehr von Gewalt? Gehört nicht eine geistig-mentale Anstrengung dazu, den Koran zeitgemäß zu interpretieren? (WELT am Sonntag, 01.02.2009, Warum Erdogan seiner Wut freien Lauf lässt) Während Körperkontakt in Asien eher zurückhaltend gepflegt wird, gehört Händeschütteln in der arabischen Welt zwar zur Begrüßung, allerdings nur unter Angehörigen des gleichen Geschlechts. „Ein Mann darf einer Frau dagegen nicht die Hand reichen“, weiß Lüdemann und auch „im Geschäftsleben streckt eine Frau nicht jedem Mann die Hand zur Begrüßung entgegen, sondern bevorzugt ein kurzes Kopfnicken.“ Hingegen ist das Anbieten von Getränken hier „ein Brauch, der nicht abgelehnt werden darf.“ Gegessen wird ausschließlich mit der rechten Hand. „Die linke Hand gilt im islamischen Raum als unrein.“ (Die WELT, 10.01.2009, Fünf Tipps zur Business-Etikette) Beim Stichwort arabische Welt denkt man nicht nur im Westen unwillkürlich an den Karikaturenstreit 2005 die hitzige Debatte darüber, worüber man sich lustig machen darf und worüber nicht, ausgelöst durch Mohammedkarikaturen in einer dänischen Tageszeitung, die für viel Protest in der arabischen Welt sorgte. Die dänischen Karikaturen, glaubt Abla, waren eine gezielte Provokation, mit der Europa und die USA den neuen Feind Islam herausfordern wollten. (taz, 29.04.2009, Eine Oase für die Satire) Die Ermittler fanden unter anderem Videos, die Aufnahmen des Redaktionsgebäudes von „Jyllands-Posten“ zeigten. Unter dem Codenamen „Mickey-Mouse-Projekt“ soll im Zentrum des geplanten Anschlags die Tötung des verantwortlichen Kulturredakteurs von „Jyllands-Posten“, Flemming Rose, sowie von Karikaturen-Zeichner Kurt Westergaard gestanden haben. Dessen Mohammed-Bilder hatten in der islamischen Welt einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. (WELT, 29.10.2009, FBI verhindert islamistische Anschläge in Dänemark)
In Beispiel 10 werden in der islamischen Welt und in der arabischen Welt referenzidentisch verwendet. Indonesien spiele in der islamischen Welt keine große Rolle, werde in der arabischen Welt nicht ernst genommen. Gerade in Bezug auf Indonesien verwundert diese Referenzidentität, kann doch Indonesien als ein islamisches Land, jedoch nicht als ein arabisches Land aufgefasst werden. Ob laut des Verfassers Indonesien zur islamischen beziehungsweise arabischen Welt gehört, wird in dem gezeigten Ausschnitt selbst nicht deutlich. Auf welche Staaten genau sich die Ausdrücke in der arabischen Welt und in der islamischen Welt beziehen, wird vom Verfasser nicht explizit gemacht. Dies ist auch im nächsten Beispiel der Fall, in dem in der arabischen Welt scheinbar nur Bezug auf die Gebiete nimmt, in denen die Hamas eine größere Bedeutung spielt. So scheine der türkische Ministerpräsident Erdogan ein Vorbild für Islamisten in der arabischen Welt zu sein – damit nimmt der Verfasser, wie aus dem Kotext der Äußerung hervorgeht, Bezug auf die Mitglieder der Hamas. In Beispiel 12 wie-
4. Ergebnisse 83
derum wird deutlich, dass die Bedeutungsunterschiede zwischen der arabischen Welt und der islamischen Welt verschwimmen. Händeschütteln gehöre in der arabischen Welt zwar zur Begrüßung, allerdings nur unter Angehörigen des gleichen Geschlechts. Damit zielt der Autor des Textes ganz eindeutig nicht auf das Brauchtum arabischer Länder, sondern auf das Brauchtum muslimischer Geschäftsleute ab. Es wird also deutlich, dass im Diskurs zwischen in der arabischen Welt und in der islamischen Welt referentiell häufig kein Unterschied besteht. Dies wird auch an den nächsten beiden Beispielen deutlich, die sich auf dasselbe Phänomen beziehen, nämlich auf die Reaktion, die die Abbildung der Mohammedkarikaturen in einer dänischen Zeitung hervorriefen. In Auszug 13 wird von Reaktionen in der arabischen Welt gesprochen, im darauffolgenden Beispiel von Reaktionen in der islamischen Welt. Beide Male wird jedoch auf die vielen Proteste – vor allem in den arabischen Ländern – Bezug genommen. Hier werden die Ausdrücke islamische Welt und arabische Welt referenzidentisch verwendet. Es stellt sich die Frage, warum die Diskursteilnehmer hier überhaupt die Idee einer islamischen beziehungsweise arabischen Welt entwerfen. Die arabische beziehungsweise islamische Welt wird der westlichen Welt gegenübergestellt. Unter der westlichen Welt verstehen die Diskursteilnehmer neben Europa und den USA auch Israel. Ein Blick in deutsche Wörterbücher zeigt, dass die Ausdrücke islamische Welt und arabische Welt (noch) nicht als idiomatische Wendungen betrachtet werden, sie haben zumindest keinen eigenen Lexikoneintrag. Wikipedia70 hingegen greift beide Ausdrücke auf und weist auf eine fehlende exakte Definition hin. Islamische Welt kann laut Wikipedia auf unterschiedliche Art und Weise definiert werden: Islamische Welt (auch islamische Staaten) ist kein exakt definierter Begriff. Er wird verwendet für ‒ ‒ ‒
die Gesamtheit jener Nationen, in denen der Islam die Mehrheitsreligion ist; in der islamischen Rechtstradition Dar al-Islam genannt die Staaten, die Mitglieder der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) sind selten auch: die Gemeinschaft aller gläubigen Muslime (Umma) im religiösen Sinne71
Die Verwendungsweise von islamische Welt in den Untersuchungskorpora entspricht am ehesten der ersten von Wikipedia vorgeschlagenen Definition. Allerdings referiert die Bezeichnung Dar al-Islam nur auf all jene Staaten, die unter
70 www.wikipedia.de, zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 71 http://de.wikipedia.org/wiki/Islamische_Welt; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
84 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse muslimischer Herrschaft stehen. Islamische Welt ist laut vorliegender Analysen jedoch nicht referenzidentisch mit Dar al-Islam, weil islamische Welt in der Verwendungsweise in den Untersuchungskorpora auch Staaten mit einbezieht, die nicht vom Islam regiert werden. 15.
Das Verhalten der Türkei in der Personalie Rasmussen hat einmal mehr gezeigt, dass die türkische Politik zunehmend von religiösen Strömungen beeinflusst wird. Leider sind viele westliche Politiker offenbar so naiv zu glauben, man müsse der Türkei immer wieder entgegenkommen, weil sie ein wichtiger Brückenkopf des Westens in der islamischen Welt sei. (Focus, 27.04.2009, Brückenkopf des Islam)
Die Türkei gilt jedoch als laizistischer Staat und ist somit kein islamischer Staat, weil sie nicht nach den Grundsätzen des Islam regiert wird. Die durchgeführten Analysen zeigen, dass die Türkei (wie auch in Beispiel 15) allerdings zur islamischen Welt gezählt wird. Indonesien stellt den Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung dar, dennoch ist der Islam dort nicht Staatsreligion. Somit können die islamische Welt und die islamischen Staaten nicht gleichgesetzt werden wie oben in der Definition von Wikipedia. Die durchgeführte Untersuchung lässt ebenfalls davon ausgehen, dass all jene Staaten zur islamischen Welt gezählt werden können, in denen die Mehrheitsreligion der Islam ist. Um die Referenz von islamische* Welt etwas näher zu bestimmen, wurde die KWIC-Ansicht des Suchausdrucks abgespeichert und automatisch nach Wortarten annotiert. In der getaggten Datei kann nun nach verschiedenen Wortarten (bestimmt nach dem Stuttgarter Taggset) gesucht werden. Mittels der Betrachtung der Eigennamen ist es möglich, einen Eindruck über die Referenz des Ausdrucks islamische Welt zu erhalten. In der folgenden Tabelle sind alle Eigennamen, die im Korpus im Kotext von islamische* Welt vorkommen, abgebildet:
4. Ergebnisse 85
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Absolute Freq. 63 47 43 34 33 29 29 25 19 18 18 17 17 17 15 14 14 13 13 12 12 12 10 10 10
Wortform Türkei USA S Iran Kairo Rasmussen Israel Muslime Afghanistan Qaida Obama Europa Erdogan Deutschland Israels Prag Irak Istanbul Bush Teheran Nato Mohammed GERMAN Fogh Berlin
Tab. 12: Eigennamen im Kotext von islamische* Welt im Korpus „2009“
Selbstverständlich ist diese Übersicht der Eigennamen nicht gleichzusetzen mit der Referenz des Ausdrucks islamische Welt. Sie gibt uns dennoch weitere Hinweise auf Bedeutungsaspekte des Ausdrucks. Zum einen fallen – wie es zu erwarten war – Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung auf, so etwa Türkei, Iran, Afghanistan, Irak oder auch Städte, die in eben solchen Staaten liegen, wie Kairo, Istanbul und Teheran.72 Als weitere Staatenbezeichnungen
72 Bei der automatischen Bestimmung der Wortarten sind dem Treetagger – wie die Übersicht deutlich macht – auch einige Fehler unterlaufen. S in der Verwendung als Abkürzung für Seite wurde fälschlicherweise als Eigenname bestimmt. Auch die in jedem der von LexisNexis automatisch heruntergeladenen Texte vorkommende Angabe über die Sprache, in der der Text verfasst ist, GERMAN, wurde hier als Eigenname bestimmt. Die fehlerhafte Annotation hat außerdem zur Folge, dass einige Staatenbezeichnungen nicht als Eigennamen erkannt wurden. So wurde Frankreich als normales Nomen (NN) und nicht als Eigenname (NE) bestimmt.
86 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse stechen zudem USA, Israel und Deutschland sowie die Städtenamen Prag und Berlin hervor. Auch Europa wird oft im Kotext von islamische* Welt genannt. Es ist selbsterklärend, dass USA, Israel, Deutschland und Europa nicht in der Denotation von islamische Welt enthalten sind, sie werden ihr vielmehr gegenüber gesetzt. Die westliche Welt und die islamische Welt bilden in den Texten des Untersuchungskorpus häufig ein Gegensatzpaar. 16.
17.
18.
Das westliche Demokratieverständnis ruht auf der Vorstellung des autonomen Individuums. Für die islamische Welt, meist traditionelle Gesellschaften, steht dagegen die Gemeinschaft im Zentrum, nicht der Einzelne. Familie, Klan, Sippe, Stamm und letztlich die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen. Die Freiheit des Individuums verwirklicht sich allein im Islam. (SPIEGEL, 19.12.2009, Die Rückkehr des Allmächtigen) Die islamische Welt ist in sich tief gespalten, heterogen, von vielerlei Klüften und fremden Einflüssen geprägt. Der Unterschiede zum christlichen und nachchristlichen Europa gibt es viele, keiner prägender als die Abfolge der Revolutionen, die das Abendland veränderten, das Morgenland aber nicht. Das begann im Mittelalter mit dem geschichtsmächtigen Streit zwischen Kaiser und Papst. (WELT, 10.12.2009, Die Schweiz ist anders) Der Umgang mit dem Islam ist die vielleicht größte Herausforderung für Europa. Gelingt es, die eigenen Werte zu bewahren, ohne Muslime zu diskriminieren, dann kann daraus ein neuer Wertekonsens entstehen, dann könnten europäische Muslime zum Vorbild für die islamische Welt werden. Gelingt es nicht, könnte Europa seine eigenen Werte verraten, könnten die Populisten gewinnen, deren einfache Lösungen den Kampf der Kulturen anfachen. (SPIEGEL, 07.12.2009, Angst vor Eurabien)
Die Beispiele machen deutlich, dass die islamische Welt der westlichen Welt entgegengesetzt wird. Während etwa im Westen die Vorstellung eines autonomen Individuums existiere, stehe in der islamischen Welt hingegen die Gemeinschaft im Vordergrund (16). In Beispiel 17 wird explizit gesagt, dass es viele Unterschiede zwischen der westlichen und der islamischen Welt gebe. Bezogen auf die islamische Welt schwingt hier die Idee der Rückschrittlichkeit mit, wenn ausgesagt wird, dass das Abendland eine Abfolge von Revolutionen prägt, das Morgenland jedoch nicht. Schließlich wird in Beispiel 18 Europa der islamischen Welt gegenübergestellt, wenn die unterschiedlichen Wertevorstellungen thematisiert werden. Insgesamt werden also die westliche und die islamische Welt als ein konträres Gegensatzpaar dargestellt: Die Zugehörigkeit zur einen Welt schließt dabei die Zugehörigkeit zur anderen Welt aus.
Gerade bei der Entscheidung zwischen Eigenname oder Nomen unterlaufen dem Treetagger häufig noch Fehler. Diese Analyse soll trotzdem einen Eindruck davon geben, welche Eigennamen häufig im Kotext von islamische* Welt vorkommen.
4. Ergebnisse 87
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Absolute Freq. 36 23 20 19 15 14 11 10 10 9 8 7 7 6 6 6 6 6 6 6 6 5 5 5 5
Wortform Israel Ägypten S Deutschland USA Gaza Iran Muslime Jerusalem Beirut Europa Marwa Israels Syrien Libanon KARIM Kairo Jordanien GAWHARY EU El Sherbini Ramzy Indien Dresden
Tab. 13: Eigennamen im Kotext von arabische* Welt im Korpus „2009“
Vergleicht man die Ortsnamen, die im Kotext von islamische* Welt vorkommen, mit den Ortsnamen im Kotext von arabische* Welt, so fallen Gemeinsamkeiten auf. Die USA, Deutschland, Israel und Europa scheinen ebenfalls der arabischen Welt gegenübergesetzt zu werden. Die Ortsnamen, die im Kotext von arabische Welt vorkommen, sind allerdings vorwiegend arabische Staaten- oder Städtenamen (Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten Kairo). Auffällig ist, dass auch der Iran häufiger im Kotext von arabische* Welt auftaucht.
88 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse 19.
Außenpolitisch versuchte die Hamas, Unterstützung in der arabischen Welt zu finden, von Ägypten über Saudi-Arabien bis in den Golf und bis hin in den Iran. (taz, 06.01.2009, Politik der Tunnel) 20. Stattdessen beugt Ahmadinedschad sich dann vor, um Chameneis Schulter zu küssen, verfehlt sie aber. Er macht einen zweiten Versuch, und erst dann treffen seine Lippen. Mit dieser in der arabischen Welt bekannten Geste will er seine Loyalität demonstrieren, doch den Handkuss, im Iran die stärkste Geste der Unterwürfigkeit, lässt der Geehrte nicht zu. Auch wenn Chamenei Ahmadinedschad später als „hart arbeitenden, intelligenten und couragierten Mann“ würdigt, sind die Risse auch im einst monolithischen Block der Hardliner unübersehbar. (WELT, 04.08.2009, Griff nach der Staatsgewalt) 21. Die Reaktionen: In der arabischen Welt und in der iranischen Regierung löste der Mord umgehend heftige Proteste aus. (Berliner Morgenpost, 19.07.2009, Der Fall Marwa)
Dass der Iran häufig im Denotat von arabische* Welt enthalten ist, machen die Beispiele 19 und 20 deutlich. Obwohl der Iran kein arabischer Staat ist, wird er im Bewusstsein der Diskursteilnehmer anscheinend oft zur arabischen Welt gezählt. Es finden sich jedoch auch Beispiele, in denen der Iran nicht in der Referenz von arabische* Welt enthalten ist. Der Auszug in 21 belegt dies. Die Türkei hingegen wird im Kotext von arabische* Welt ausgespart, was dafür spricht, dass sie anders als der Iran nicht als Teil der arabischen Welt betrachtet wird. Es sind allerdings nicht nur die Staaten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung muslimischen Glaubens ist, die zur islamischen Welt gezählt werden können. Häufig referiert der Ausdruck islamische Welt nicht auf Staaten: 22.
23.
Ein päpstliches Zeichen gegen die „dunklen Wolken am Horizont“, gegen die drohenden Gefahren für die Menschheit durch „neue, erschütternde Konflikte“, will er setzen, einen Anstoß geben zu Kooperation und gegenseitiger Achtung aller Religionen. Wichtigster Adressat der Botschaft ist die islamische Welt. Den Anhängern des Propheten signalisierte der Papst schon vor Weihnachten mit einer symbolischen Aktion seinen Willen zu religionsüberschreitendem Respekt: Für den 14. Dezember rief er seine Gläubigen weltweit zum Fasten auf. Weil das zugleich der letzte Tag des muslimischen Fastenmonats Ramadan war, hungerten Millionen Katholiken und Muslime gemeinsam. Viele Kardinäle in Rom, aber auch Bischöfe in den Kirchenprovinzen fanden das überhaupt nicht schicklich. (SPIEGEL, 21.01.2002, Christ oder Raubtier) Der marokkanische Außenminister Taleb Fassi-Fihri offenbarte wenige Tage nach den Ereignissen den wahren Grund, der von Nordafrika bis in den rund 5000 Kilometer entfernten Nahen Osten Besorgnis erregt: Die islamische Welt fürchtet eine kulturelle Infiltration durch den Iran. Man habe „schiitischen Aktivismus festgestellt“, so der Außenminister, „insbesondere in der diplomatischen Vertretung in Rabat“, die sich gegen „fundamentale religiöse Werte Marokkos“ richtete und „den
4. Ergebnisse 89 sunnitischen Maliki-Glauben bedrohen.“ (WELT am Sonntag, 05.04.2009, Geheime Mission: Weltrevolution)
In Beispiel 22 wird deutlich, dass sich der Ausdruck islamische Welt nicht auf bestimmte Staaten, sondern auf die Gesamtheit aller Muslime bezieht. Die islamische Welt wird hier mittels der Nominalphrase den Anhängern des Propheten wiederaufgenommen. Referent von islamische Welt sind also die Muslime. Man kann allerdings nicht davon ausgehen, dass hier die Gesamtheit der Muslime im Sinne der Umma, wie von Wikipedia vorgeschlagen, gemeint ist, denn die Online-Version des DUDEN schlägt für Umma zwar die Definition Gesamtheit der Muslime vor, die Bedeutung von Umma geht jedoch darüber hinaus. Mit Umma ist eigentlich eine islamische Gemeinschaft gemeint, die das Konzept der Nation ablehnt. Muslime aus allen Ländern fühlen sich sehr stark miteinander verbunden. Zwischenzeitliche Bestrebungen, den Muslimen eine über die islamische Identität hinausgehende nationale, völkische oder ethnische Identität anzuerziehen waren immer nur zeitweilig erfolgreich und sind letztendlich gescheitert, weil Muslime die Abstammung von Adam (a.) und Eva auch als politisches Signal verstehen, dass letztendlich alle Menschen direkt miteinander verwandt sind.73
Auch im darauffolgenden Auszug (23) kann sich der Ausdruck nicht auf Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung beziehen, schließlich würde dann der Iran in diese Bezeichnung mit eingeschlossen und die Äußerung die islamische Welt fürchtet eine kulturelle Infiltration durch den Iran wäre widersprüchlich. Der damalige marokkanische Außenminister Fassi-Fihri kann außerdem nicht für Staaten wie Syrien oder den Libanon sprechen. Der Referent von islamische Welt ist hier, wie in vielen anderen Beispielen, nicht ganz eindeutig. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass der Ausdruck im Diskurs beinahe inflationär gebraucht wird. Es wird eine Rede an die islamische Welt gehalten, mit der islamischen Welt in den Dialog getreten, Politik gegenüber der islamischen Welt gemacht, es gibt Bemühungen für eine Partnerschaft mit der islamischen Welt. Wenn mit jemandem in Dialog getreten wird, Politik gegenüber jemandem gemacht wird, müsste das Patiens jedoch eindeutig benennbar sein. So sind im Konzept von mit jemandem in Dialog treten zwei Leerstellen offen. Man braucht jemanden, der in den Dialog tritt, also ein Agens, den aktiven Teil. Die Dialogbereitschaft geht im Untersuchungskorpus immer von einer ‚westlichen’ Instanz aus: Obama tritt in den Dialog, die katholische Kirche tritt in den Dialog, die
73 http://www.eslam.de/begriffe/i/islamische_weltgemeinschaft.htm; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
90 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse evangelische Kirche sucht den Dialog. Das Patiens, also derjenige, mit dem in Dialog getreten wird, müsste eigentlich ebenfalls eindeutig benannt werden, denn ein Dialog mit einem nicht eindeutigen Referenten kann nicht funktionieren. Die vage Bezeichnung der islamischen Welt erscheint somit auffällig. Neben der islamischen Welt definiert Wikipedia auch die arabische Welt, diese etwas ausführlicher. Der Begriff Arabische Welt (arabisch اﻟﻌﺎﻟﻢ اﻟﻌﺮﺑﻲ, al-ʻālam al-ʻarabi), der trotz seiner vielfachen Verwendung nicht exakt definiert ist, beschreibt eine Gruppe von Regionen in Nordafrika und auf der Arabischen Halbinsel, die geologisch zu Afrika gehört. Er beinhaltet Staaten mit einer mehrheitlich arabischen Kultur als Gemeinsamkeit. Es lassen sich mehrere Kriterien anwenden um die Zugehörigkeit zur arabischen Welt zu definieren: Die Wichtigkeit der arabischen Sprache (sprachliches Kriterium), des Islam (religiöses Kriterium) und schließlich die Mitgliedschaft in der Arabischen Liga (politisches Kriterium).74
Auch der Ausdruck arabische Welt wird in den Korpora sehr häufig gebraucht. Im Korpus „2009“ erhält er 239 Treffer. Die durchgeführten Analysen haben ergeben, dass die Referenz des Ausdrucks jedoch nicht – wie bei Wikipedia angegeben – die arabischen Staaten sind. Folgendes Beispiel veranschaulicht dies noch einmal: 24. Außenpolitisch versuchte die Hamas, Unterstützung in der arabischen Welt zu finden, von Ägypten über Saudi-Arabien bis in den Golf und bis hin in den Iran. (taz, 06.01.2009, Politik der Tunnel)
Der Iran ist kein arabischer Staat, wird im Diskurs dennoch häufig als Teil der arabischen Welt gewertet. Wenn außer auf Wikipedia in deutschen Wörterbüchern der Gegenwart die Ausdrücke islamische und arabische Welt nicht als eigenständige Lemmata aufgeführt sind, erhalten sie dennoch einen Eintrag unter dem Lemma Welt. Als vierte mögliche Definition von Welt schlägt die Online-Ausgabe des DUDEN „in sich geschlossener [Lebens]bereich; Sphäre“75 vor und gibt folgenden Beispiele:
74 http://de.wikipedia.org/wiki/Arabische_Welt; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. Interessant erscheint hierbei, dass in der Übersetzung von arabischer Welt in Klammern, al-alam al-arabi angegeben ist. Betrachtet man doch den Wikipedia-Eintrag der arabischen Übersetzung, so ist dieser mit ( اﻟﻮﻃﻦ اﻟﻌﺮﺑﻲal-watan al-arabi) überschrieben, was mit arabische Nation zu übersetzen ist. 75 http://www.duden.de/rechtschreibung/Welt; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
4. Ergebnisse 91 die W. der Religion, der Kunst, des Zirkus, der Arbeit, des Sports, der Mythen, des Märchens, der Erscheinungen, der Ideen; die W. des Kindes, der Erwachsenen; die [religiöse] W. des Islams, die arabische, die zivilisierte, kapitalistische W. (die arabischen, zivilisierten, kapitalistischen Länder), die freie W. (Politik; die Länder mit einem freiheitlichen politischen System), die westliche W. (Politik; der Westen 3), eine völlig neue W. tat, ganz neue -en taten sich ihm auf; Bücher sind seine W. (sein Lebensinhalt)76
Sowohl die Welt des Islams als auch die arabische Welt tauchen in den Beispielen für die Definition in sich geschlossener Bereich auf. Dass gerade die Geschlossenheit bei der Definition hervorgehoben wird, erscheint bei der Vagheit der Referenz der Ausdrücke laut der korpuslinguistischen Untersuchung fast paradox. Obwohl die Referenz der Ausdrücke nicht eindeutig ist, so soll damit ein geschlossener Bereich bezeichnet werden. Für arabische Welt wird auch hier wieder die Bedeutung arabische Länder angegeben, was ebenfalls der hier durchgeführten Untersuchung widerspricht. Für Hermanns (1999, 357) ist Welt der „Totalitätsbegriff par excellence“. Unter einer Totalitätsbezeichnung oder einem Totalitätsbegriff bezeichnet Hermanns ein Wort, das eine Gesamtheit irgendwelcher gleichartiger Entitäten (Elemente) benennt, und zwar unabhängig davon, ob diese Gesamtheit vielleicht außerdem – aus zusätzlichen Gründen – eine „Einheit“ darstellt, außer einer sozusagen rechnerischen. Eine Vorentscheidung hinsichtlich des ontologischen Charakters der Gesamtheit soll also mit der Beschreibung eines Wortes (…) als Totalitätsbezeichnung gerade nicht vorausgesetzt und impliziert bzw. suggeriert sein. Jeder neue Totalitätsbegriff konstituiert (…) einen neuen Gegenstand des Redens und Denkens, eben die „Gesamtheit“ der von ihm zusammenfassend bezeichneten Entitäten. (Hermanns 1999, 356f)
Dass mit einer Totalitätsbezeichnung wie arabische oder islamische Welt ein neuer Gegenstand des Redens und des Denkens konstituiert wird, konnte auch hier deutlich gemacht werden. Die islamische Welt entsteht erst im Diskurs, die Referenz des Ausdrucks ist nicht eindeutig. Laut Hermanns (1999, 357) ist es oft sprach- und denkökonomisch, über Mengen – statt umständlich über alle ihre Elemente oder die Gesamtheit ihrer Elemente – Aussagen zu machen; deshalb (und nur deshalb) spricht man überhaupt von Mengen. Und aus diesem Vorteil läßt sich ohne weiteres wohl auch erklären, daß auch in den natürlichen Sprachen Totalitätsbezeichnungen geprägt und verwendet werden.
Islamische Welt und arabische Welt, sogar das Wort Islam, können jeweils als Totalitätsbezeichnung im Sinne von Hermanns aufgefasst werden. Durch die
76 http://www.duden.de/rechtschreibung/Welt#Bedeutung4; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
92 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Totalitätsbezeichnungen werden Einheiten sprachlich konstruiert: Eine einheitliche islamische Welt, eine arabische Welt, der Islam. Auch eine der islamischen Welt gegenüberstehende, westliche Welt wird im Diskurs konstituiert. Die Untersuchung von kleineren Mehrworteinheiten brachte keine repräsentativen Ergebnisse hervor. So stellten etwa die häufigsten Dreiworteinheiten neben den Einheiten, die sich direkt auf die Textoberfläche bezogen, im Korpus „2009“ zumeist Ortsbezeichnungen77 dar – was für die Textsorte Zeitungsartikel ebenfalls typisch ist.
Zusammengefasst: Die Auswertung der Vierwortgramme hat ein weiteres Mal die Fokussierung auf unterschiedliche diskursive Ereignisse zu den verschiedenen Zeitpunkten aufgezeigt. Die Vierworteinheiten im Korpus „vor 9/11“ beziehen sich meist auf den Diskurs um den Nahostkonflikt, die im Korpus „nach 9/11“ hauptsächlich auf die Anschläge vom 11. September. Da die betrachteten Cluster aus dem Korpus „2009“ sich stärker auf „deutsche“ Diskurse beziehen (den Bau von Minaretten, der Muslime in Deutschland) kann davon ausgegangen werden, dass im gegenwartsnahen Islamdiskurs verstärkt der Islam „vor der eigenen Haustür“ thematisiert wird, während im Jahr vor dem 11. September vor allem der Islam „weit weg von der eigenen Haustür“ fokussiert wurde. Die corpus-driven Analyse der Vierwortgramme gab Anlass zu einer anschließenden korpusbasierten Untersuchung, da bei der Analyse der Cluster aus dem Korpus „2009“ die frequente Verwendung von in der islamischen Welt und in der arabischen Welt auffiel. Die genaue Analyse der Kotexte von arabische* Welt und islamische* Welt zeigt, dass die Referenz der beiden Ausdrücke nicht eindeutig ist, obwohl der enthaltene Ausdruck Welt eine Abgeschlossenheit suggeriert. Zudem weisen die Ausdrücke arabische und islamische Welt Gemeinsamkeiten in der Referenz auf. Beiden Welten wird die westliche Welt gegenüber gestellt. Es konnte zudem deutlich gemacht werden, wie im Diskurs die Idee verschiedener Welten überhaupt erst konstituiert wird.
77 In der Liste der häufigsten Dreiworteinheiten kam auf Rang 138 mit 446 Treffern in der Türkei, auf Rang 142 mit 433 Treffern in die Schweiz und auf Rang 145 mit 420 Treffern in die USA. Die Auswertung dieser Trigramme könnte interessant sein, um die Teildiskurse des Islamdiskurses näher zu bestimmen und etwa thematische Schwerpunkte im Jahr 2009 herauszufinden. In dieser Arbeit steht jedoch das Konzept Islam im Vordergrund und weniger der Diskurs, dessen inhaltliche Strömungen und Akteure natürlich ebenfalls einen interessanten Untersuchungsgegenstand darstellen, der jedoch im Rahmen dieses Kapitels nicht näher betrachtet werden kann.
4. Ergebnisse 93
4.3 Kollokationsanalysen Die Untersuchung der sprachlichen Umgebung, in denen Ausdrücke vorkommen, ermöglicht es, etwas über die Bedeutung der jeweiligen Ausdrücke zu erfahren. Aufgrund dessen werden im Folgenden Kollokationsanalysen durchgeführt. Betrachtet werden zunächst die Kollokatoren des Lexems Islam. Indem wir erfassen, in welchem unmittelbaren Kotext das Lexem auftaucht, welche anderen Konzepte also mit Islam in Verbindung gebracht werden, können wir Kenntnisse über positive oder negative Bedeutungsanteile im Konzept Islam erhalten. Im Anschluss daran werden Kollokationen mit islamisch, muslimisch, christlich und islamistisch untersucht und außerdem die attributiv gebrauchten Adjektive unmittelbar vor Muslim, Christ und Jude miteinander verglichen sowie ebenfalls die Adjektive unmittelbar vor Islam, Christentum und Judentum, um etwas über Bedeutungsunterschiede der jeweiligen Heteronyme herauszufinden.
4.3.1 Kollokationsanalysen des Lexems Islam Die Clusteranalyse stellt eine spezielle Form der Kollokationsanalyse dar, in der nur diejenigen Ausdrücke untersucht werden, die unmittelbar vor oder nach einem gegebenen Suchausdruck stehen.78 Um sich der Beschreibung der Bedeutung von Islam anzunähern, wurde geprüft, in welchen unmittelbaren Kotexten das Lexem Islam vorkommt. Mithilfe des Programms AntConc lassen sich Listen von Mehrwortclustern erstellen, in denen ein bestimmter Ausdruck in einer bestimmten Position vorkommt. Für die Bedeutungsbeschreibung interessierte zunächst, welche Ausdrücke häufig direkt vor Islam stehen. Erneut wurden nur die frequentesten Cluster erhoben. Für die vorliegende Untersuchung wäre die Durchführung eines statistischen Signifikanztests nicht effektiv gewesen, weil gerade die Kombination verschiedener einzelner Treffer, die semantische Nähe zwischen den einzelnen Ausdrücken, beachtet werden muss. Es erscheint deshalb sinnvoll, auch weniger frequente und deshalb nicht signifikante Treffer mit zu berücksichtigen. Die folgende Tabelle zeigt Dreiwortcluster mit Islam in der Position ganz rechts:
78 Im Programm AntConc wird unter Collocation das Miteinandervorkommen von zwei Ausdrücken verstanden. Dabei ist es auch möglich, dass die Ausdrücke nicht direkt nebeneinander, sondern zwischen den Ausdrücken noch weitere Ausdrücke stehen. Das Vorkommen mehrerer Ausdrücke direkt nebeneinander wird von AntConc als Cluster bezeichnet.
94 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
1
37
mit dem Islam
1
165
Mit dem Islam
1
126
mit dem Islam
2
23
gegen den Islam
2
130
2
97
3
15
dass der Islam
3
104
gegen den Islam über den Islam
3
60
gegen den Islam dass der Islam
4
12
Nation of Islam
4
58
dass der Islam
4
58
über den Islam
5
11
über den Islam
5
51
für den Islam
5
46
vor dem Islam
6
9
6
44
auf den Islam
6
43
für den Islam
7
8
Namen des Islam auf den Islam
7
41
7
31
8
8
8
34
8
27
Christentum und Islam und den Islam
9
8
Christentum und Islam sich der Islam
9
31
Christentum und Islam gegenüber dem Islam ueber den Islam
9
25
10
7
ist der Islam
10
27
10
25
11
7
sie den Islam
11
24
des politischen Islam ist der Islam
gegenüber dem Islam um den Islam
11
22
auf den Islam
12
6
auch der Islam
12
22
um den Islam
12
19
e]Der Islam
13
6
13
21
und dem Islam
13
19
ist der Islam
14
6
14
21
und den Islam
14
18
15
6
Auslegung des Islam des politischen Islam die im Islam
15
21
Welt des Islam
15
18
der Deutschen Islam und der Islam
16
6
die vom Islam
16
21
16
16
17
6
für den Islam
17
19
zwischen dem Islam Form des Islam
17
16
Namen des Islam Saif al-Islam
18
6
18
die den Islam
18
15
Farbe des Islam
19
6
Geschichte des 18 Islam Regeln des Islam 19
18
Nation of Islam
19
14
20
6
Saif al-Islam
18
Stätten des Islam
20
13
Judentum und Islam Der politische Islam
20
Tab. 14: Dreiwortcluster mit Islam in der Position rechts
Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass ein diachroner Vergleich der Cluster wenige Unterschiede aufzeigt. Mit dem Islam und gegen den Islam sind in allen drei Korpora die beiden häufigsten Dreiwortcluster mit Islam in der Position ganz rechts. Der Ausdruck ist häufig Kern einer Nominalphrase, die wiederum in eine Präpositionalphrase eingebettet ist. Bereits die Keywordanalyse hat
4. Ergebnisse 95
angezeigt, dass mittels der Präposition gegen im Korpus häufig zwei Positionen gegenübergesetzt werden. Laut dieser Clusteranalysen kommen die Präpositionalphrasen mit dem Islam und gegen den Islam im Korpus sehr häufig vor. Dies für sich genommen lässt noch keine weiteren Schlüsse zu. Erneut müssen dafür die Kotexte der Präpositionalphrasen untersucht werden. Mittels AntConc wurden in einem nächsten Schritt zunächst für das Korpus „2009“ die unmittelbaren Kollokatoren links der Präpositionalphrase mit dem Islam ermittelt. Dabei war aufgrund der geringen Anzahl der einzelnen Kollokatoren nur die Frequenz, nicht aber die Signifikanz von Relevanz. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Absolute Freq. 13 9 8 6 5 5 5 4 4 4 3 3 3 2 2 2 2 1 1 1
Wortform Dialog Krieg Umgang nicht man Erfahrungen Auseinandersetzung die dass allem sich nichts Befassung Gesprächsbeziehungen Gespräch Deutschen Buches Österreich Zusammenhang Wettbewerb
Tab. 15: Kollokatoren links von mit dem Islam im Korpus „2009“
Die häufigsten Ausdrücke, die links der Präpositionalphrase mit dem Islam stehen, sind im Korpus „2009“ Dialog, Krieg, Umgang, nicht, man, Erfahrungen etc. Wenn man von nicht und man absieht, wird also insgesamt immer wieder die Auseinandersetzung und Beschäftigung mit dem Islam thematisiert. Durch diese Nominalphrasen mit eingebetteter Präpositionalphrase wird das Gegenübersetzen des Islam mit einer zweiten Instanz deutlich gemacht: Jemand führt Krieg mit dem Islam, jemand tritt in einen Dialog mit dem Islam, jemand macht bestimmte Erfahrungen mit dem Islam. Diese zweite Instanz kann nur über die
96 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Betrachtung der weiteren Kotexte dieser Nominalphrasen näher charakterisiert werden. Dieses soll nun am Beispiel von Dialog mit dem Islam gezeigt werden. 25.
26.
27. 28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
Um Ausschreitungen und vielleicht Blutvergießen zu verhindern, äußerte Benedikt sein Bedauern. Seither sucht er verstärkt einen behutsamen Dialog mit dem Islam. (SPIEGEL, 25.09.2009, Das Fremde bei uns) Die „Intoleranz“ der Beteiligten zeige, „welchen weiten Weg wir (im Dialog mit dem Islam) noch vor uns haben“. (Bonner Generalanzeiger, 23.05.2009, Unabhängig und unbequem) Benedikt XVI. schien dabei der Dialog mit dem Islam leichter zu fallen als der mit dem Judentum. (SPIEGEL, 18.05.2009, Es gilt das ungesprochene Wort) Die Beziehungen zum Judentum, zu Israel und Palästina, der Nahost-Konflikt, der Dialog mit dem Islam, die Lebensbedingungen der Christen im Heiligen Land: Viele Themen von höchster Bedeutung erwarten den Papst auf seiner Reise. (Hamburger Abendblatt, 07.05.2009, Papst Benedikt erwarten zwiespältige Situationen) Die evangelische Kirche im Rheinland will den Dialog mit dem Islam intensivieren. Im Mittelpunkt soll dabei das theologische Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede stehen. (Bonner Generalanzeiger, 17.01.2009, Dialog mit dem Islam) „Der Dialog mit dem Islam erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben und den eigenen Traditionen“, stellt die Synode in einer Arbeitshilfe über das „Verhältnis von Christen und Muslimen“ fest. Sie soll in der Öffentlichkeit evangelische Positionen in diesem Dialog verdeutlichen, zu dem es keine Alternative gebe, betonte Präses Schneider. (Bonner Generalanzeiger, 17.01.2009, Fünf Pfarrer für die Polizei) Wir brauchen den Dialog mit dem Islam, der nur zum kleinsten Teil aus radikalen Islamisten besteht und vor allem aus gemäßigten und Reformmuslimen, die einen positiven Einfluss ausüben können. (WELT am Sonntag, 27.12.2009, CDU und Grüne loten Bündnisoptionen aus) „Dem Dialog mit dem Islam messen wir besondere Bedeutung zu“, heißt es weiter im Koalitionsvertrag, „wir achten und schätzen die reiche kulturelle Tradition der islamischen Welt und setzen uns für ein friedliches Miteinander der westlichen Demokratien mit den islamisch geprägten Staaten ein“. (WELT, 26.10.2009, Der neue Kulturminister ist der alte) Die evangelische Kirche hat mit ihrer Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ aus dem Jahr 2006 für sehr viel Verärgerung unter den islamischen Interessenverbänden gesorgt, weil sie seitdem für einen ehrlich-kritischen Dialog mit dem Islam eintritt. (Bonner Generalanzeiger, 21.09.2009, Kein Druck auf Muslime) Auch die evangelische Handreichung redet keineswegs einer Mission unter Muslimen im herkömmlichen Sinn das Wort, sondern sorgt lediglich für den notwendigen Dialog mit dem Islam für eine klare Darstellung der Unterschiede. Doch das ist bereits von vielen Islam-Vertretern scharf zurückgewiesen worden und zeigt, wie schwer letztlich dieser Dialog nach wie vor ist. (Bonner Generalanzeiger, 21.09.2009, Kein Druck auf Muslime)
Die Beispiele machen deutlich, dass vor allem die evangelische und die katholische Kirche mit dem Islam in einen Dialog treten wollen beziehungsweise getre-
4. Ergebnisse 97
ten sind. Die Bereitschaft zum Dialog geht laut der Beispiele immer von dem Dialogpartner aus, was sich natürlich bereits rein syntaktisch aus der Nominalphrase mit eingebetteter Präpositionalphrase ergibt: Jemand anderes – und natürlich nicht der Islam selbst – führt, möchte einen, setzt sich ein für einen Dialog mit dem Islam. Dies ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil die Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses zeigt, dass viele Diskursakteure dem Islam mangelnde Dialogbereitschaft vorwerfen. In den Beispielen 31 und 32 geht die Suche nach einem Dialog mit dem Islam von politischen Parteien aus. Mithilfe der korpuslinguistischen Analyse können Belege für eine Dialogsuche, die vom Islam ausgeht, nur schwierig ausfindig gemacht werden. Denn eine solche Suche nach einem Dialog kann sprachlich ganz unterschiedlich realisiert werden. Beachtlich erscheint jedoch das Phänomen, dass der Dialog, das Gespräch, die Auseinandersetzung mit dem Islam überhaupt thematisiert werden. Allein aus den Kollokatoren des häufigsten Clusters mit dem Islam geht hervor, dass ein Dialog, eine Auseinandersetzung mit dem Islam beziehungsweise den Anhängern des Islam – so sind, wenn man von dem Islam spricht, doch häufig die Muslime gemeint79 – keine Selbstverständlichkeit darstellt. Der Islam wird einer weiteren Instanz – in den Beispielen sind es zumeist die evangelische und die katholische Kirche – gegenübergestellt. Man möchte sich mit dem Islam auseinandersetzen, mit ihm in den Dialog treten. Die Kollokatoren von mit dem Islam zeigen zugleich die Wahrnehmung des Islam als etwas Andersartiges. Es scheint im Empfinden der Diskursteilnehmer eine Barriere zwischen der jeweiligen Institution und dem Islam zu geben, die überwunden werden soll. Der diachrone Vergleich der Wortformen, die unmittelbar vor mit dem Islam vorkommen, zeigt kaum Unterschiede auf. Auch im Korpus „nach 9/11“ finden sich der Dialog mit dem Islam, die Auseinandersetzung mit dem Islam, Umgang, Problem, Konflikt, Beschäftigung mit dem Islam. Die Auseinandersetzung mit dem Islam, der Umgang, der Krieg mit dem Islam tauchen ebenso im Korpus „vor 9/11“ auf. Auffällig ist, dass es in diesem Korpus allerdings keinen Treffer für Dialog mit dem Islam gibt. Der Dialog mit dem Islam scheint somit erst nach den Anschlägen vom 11. September angestrebt beziehungsweise als solcher benannt worden zu sein. Die folgende Tabelle gibt die Wortformen links der Präpositionalphrase gegen den Islam in den drei Untersuchungskorpora an:
79 Vgl. Kapitel III.
98 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Freq
Wortform
Freq
Wortform
Freq
Wortform
1
3
nicht
23
Krieg
14
Krieg
2
2
Propaganda
17
Kreuzzug
10
Welt
3
2
Kriegführung
16
nicht
6
nicht
4
2
Krieger
9
Westens
5
Verbrechen
5
1
Verbrechen
7
Kampf
5
mehr
6
1
und
5
Feldzug
5
Kampf
7
1
sich
4
oder
5
Hetze
8
1
Minen
3
ist
3
hier
9
1
Krieges
2
Vorurteile
3
Hassäußerungen
10
1
Krieg
2
Plateforme
2
Verschwörung
11
1
Kaempfer
2
Misstrauen
2
spezifisch
12
1
je
2
Hass
2
Kreuzzug
13
1
Invasion
2
aber
2
Kampagne
14
1
hat
1
Zeigefinger
2
Flaig
15
1
Hassbücher
1
weder
2
Feldzug
16
1
Gruene
1
verstößt
2
Abstimmung
17
1
angeblich
1
1
Westens
18
1
agitiere
1
Verschwörung Verbrechen
1
19
1
USA
1
Weltanschauungskampf Weihnachtsfest
20
1
und
1
verstoße
Tab. 16: Kollokatoren links von gegen den Islam
Zunächst fällt auf, dass in allen drei Tabellen das Konzept Krieg eine herausragende Rolle spielt. Im Korpus mit den Texten aus dem Jahr vor dem 11. September 2001 stehen vor der Präpositionalphrase gegen den Islam beispielsweise die Substantive Kriegführung, Krieger, Krieges, Krieg, Kämpfer und Invasion, im
4. Ergebnisse 99
Korpus „nach 9/11“ dann Krieg, Kreuzzug, Kampf, Feldzug und auch im Korpus „2009“ wird der Krieg gegen den Islam noch thematisiert. Auch wenn die Frequenz der Cluster zum einen variiert und auch das Vorkommen des Ausdrucks Krieg gegen den Islam im Verhältnis zu der gesamten Anzahl der Token im Korpus nicht hochsignifikant erscheint, so ist es doch beachtlich, dass der Krieg gegen den Islam in allen drei Korpora thematisiert wird. Beim diachronen Vergleich der Wortformen direkt vor gegen den Islam fällt auf, dass der Westen dem Islam erst nach den Anschlägen vom 11. September gegenübergestellt wurde. Die Dichotomie westliche und islamische Welt entstand also scheinbar erst nach dem 11. September. Die zehn Treffer für Welt im Korpus „2009“ beziehen sich allesamt auf die westliche Welt, die Kollokation lautet also westliche Welt gegen den Islam. Das Gegenüberstellen zweier Instanzen ist als typisch für den Islamdiskurs zu erkennen. Das, wogegen jemand ist oder zu sein scheint, ist wiederum häufig der Islam. Wenn auch die Präpositionalphrase gegen den Islam in allen drei Korpora sehr häufig auftaucht, so sind die Kotexte der Präpositionalphrase doch wiederum sehr unterschiedlich, was bereits Tab. 16 veranschaulicht und auch in den folgenden Beispielen noch einmal deutlich wird: 35.
Die radikalislamischen Taliban haben den Gebrauch des Internets in Afghanistan verboten. „Wir sind nicht gegen das Internet, aber es wird benutzt, um Obszönitäten, Unmoral und Propaganda gegen den Islam zu verbreiten“, so der Außenminister Mutawakil gestern. (taz, 14.07.2001, Internet verboten) 36. Der US-Präsident erwähnte das Wort „Kreuzzug“. Er greift damit nicht nur den Sprachgebrauch seines Vaters während des zweiten Golfkrieges auf. Auch Ussama Bin Laden spricht von Kreuzrittern, wenn er zur Vernichtung der amerikanischen Feinde aufruft. Pingpong. In Ägypten sprechen die Menschen vom Kampf des Westens gegen den Islam. (taz, 16.11.2001, Drei gegen den Kulturenclash) 37. Denn dieser gewalttätige Extremismus nährt sich aus der allgemeinen Wahrnehmung, dass die USA einen Krieg gegen den Islam führen. Nicht nur, indem sie muslimische Länder überfallen, sondern auch, indem sie in der Atomfrage mit zweierlei Maß messen, Israel trotz dessen Besetzung und Kolonisierung Palästinas uneingeschränkt fördern, wo es ihnen gelegen kommt. (Stern, 10.06.2009, OBAMAS WORTE HABEN UNS BERÜHRT) 38. Gelowicz, Sohn eines Ingenieurs und einer Ärztin, war kurz vor seinem 16. Geburtstag konvertiert. Zunächst habe er dem Islam sogar „eher skeptisch gegenüber“ gestanden, sagte er. Zur Radikalisierung sei es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gekommen. Damals habe „der Westen sein wahres Gesicht gezeigt“, weil er offen Krieg gegen den Islam geführt habe. (Berliner Morgenpost, 12.08.2009, Angeklagter gesteht Anschlagspläne) 39. Den durch diese allgemeine Verunsicherung Verängstigten und in ihrem Selbstbewusstsein Erschütterten bot die medial perfekt aufgezogene Kampagne für ein Minarettverbot ein kommodes Feindbild. Ermutigt von dem gestrigen Sieg werden die Ini-
100 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse tiatoren als nächsten Schritt das Verbot von Moscheen und islamischen Kulturzentren fordern. Zu befürchten ist, dass sich Gewaltübergriffe gegen solche Einrichtungen häufen. In den letzten Wochen wurde bereits zweimal die größte Moschee des Landes in Genf, einer multinationalen Stadt, demoliert. Und auch in anderen Ländern Europas dürfte die Hetze gegen den Islam, gegen Muslime und Musliminnen nach dieser traurigen Schweizer Vorleistung zunehmen. (taz, 30.11.2009, Rassismus aus verletztem Nationalstolz)
Betrachtet man die Kotexte von gegen den Islam im Korpus „vor 9/11“ genauer, so lässt sich feststellen, dass in den Texten häufig Muslime in einem islamischen Land der Meinung sind, dass etwas dem Islam widerspricht. In dem Beispiel in 35 etwa ist ein Muslim der Auffassung, dass das Internet dazu benutzt werden könne, um Propaganda gegen den Islam zu verbreiten. Insgesamt wird in den Texten im Korpus häufig der Islam weit weg von Deutschland thematisiert, so etwa der Islam im Iran, in Afghanistan und in Israel. Im Korpus „nach 9/11“ steigt die Zahl der Treffer für gegen den Islam von 26 auf 130. Der Kampf/Krieg gegen den Islam rückt nun in den Vordergrund, wie auch folgende KWIC-Ansicht verdeutlicht:
4. Ergebnisse 101
Abb. 5: KWIC-Ansicht gegen den Islam im Korpus nach „9/11“
Dass es einen Krieg gegen den Islam gibt, konstatieren vor allem islamistische Extremisten und nicht zuletzt der damalige Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden. Die USA und der Westen versuchen den Ausdruck Krieg gegen den Islam zu vermeiden. 40. Ex-Boxweltmeister Muhammed Ali soll in einem Werbespot der Welt erklären, dass die USA keinen Krieg gegen den Islam, sondern gegen das Terror-Netzwerk Al Qaida führen. Der kurze Film ist einer von mehreren demnächst in den USA gezeigten Spots einer „Anti-Hate-Werbung“, die Vorurteile der Amerikaner gegenüber arabischen Mitbürgern und dem Islam vermindern sollen. Der Ali-Spot soll auch außerhalb der USA gezeigt werden. (WELT am Sonntag, 23.12.2001, Muhammed Ali kämpft gegen Hass)
102 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Jedoch evoziert auch das Negieren einer Aussage den Frame, wie Lakoff und Wehling (2009, 131) am Beispiel Krieg gegen den Terror darstellen: Das Entscheidende dabei ist, dass sie damit die Metapher vom „Krieg gegen den Terror“ in den Köpfen der Menschen am Leben erhalten! Einen Frame zu negieren bedeutet, ihn zu aktivieren! Mit solchen Aussagen helfen die Progressiven also – ohne es zu merken – den Konservativen, ihre Metapher vom Krieg zu propagieren.
Im Korpus „nach 9/11“ wird der Ausdruck Krieg gegen den Islam häufig verneint. Die KWIC-Ansicht in Abb. 5 veranschaulicht dies ebenfalls. Dort kommen häufig kein Krieg gegen den Islam oder nicht Krieg gegen den Islam vor. Vor allem aber bei Muslimen – so wird es in vielen Artikeln aus dem Jahr 2009 dargestellt – bleibt die Annahme von einem Krieg gegen den Islam ausgehend von den USA beziehungsweise dem Westen bestehen. In Beispiel 40 wird ausgesagt, dass im Jahr 2009 die Annahme vom Krieg gegen den Islam die allgemeine Wahrnehmung bestimmt. Auch Beispiel 41 verdeutlicht die Wahrnehmung eines Kriegs gegen den Islam. Obwohl die USA und der Westen betonen, keinen Krieg gegen den Islam zu führen, erscheint der Ausdruck auch im Korpus „2009“ weiterhin häufig. Dieser Sachverhalt bestätigt Lakoffs These, dass auch die Negation den Frame, hier: das Konzept (vgl. Kapitel I, 1.2), hervorruft. Neben dem Krieg gegen den Islam ist aber auch von einem Kampf, einem Verbrechen, einer Hetze (etc.) gegen den Islam die Rede. Die Analyse hat gezeigt, dass die Nomen vor der Präpositionalphrase gegen den Islam häufig Stigmawörter (vgl. Hermanns 1994) sind. Hetze, Kampf, Verbrechen sind Ausdrücke mit einer negativ-deontischen Bedeutung. In einem Kommentar in der taz (Beispiel 42) wird beispielsweise die Hetze gegen den Islam thematisiert. Die Hetze gegen den Islam bezieht sich in diesem Beispiel nicht mehr auf einen Islam, der weit weg vom eigenen Zuhause ist, sondern auf den Islam in einem deutschen Nachbarland, nämlich der Schweiz. Die Tabelle 14 hat gezeigt, dass Islam häufig in einer Präpositionalphrase vorzufinden ist, die wiederum in eine Nominalphrase eingebettet ist, zum Beispiel Krieg gegen den Islam, Dialog mit dem Islam. Über das Korpusanalyseprogramm CQP-Webinterface der Humboldt Universität Berlin lassen sich mit einer gezielten Suchanfrage Nominalphrasen mit eingebetteter Präpositionalphrase mit Islam im Kern anzeigen, wobei die Einbettung der Präpositionalphrase in Einzelfällen nicht sichergestellt werden kann, da das Korpus nicht hinsichtlich seiner Phrasenstruktur annotiert wurde. Neben Nominalphrasen mit integrierter Präpositionalphrase wie Dialog mit dem Islam kommen also auch eingliedrige Nominalphrasen plus Präpositionalphrase vor, wie etwa in um zersetzende Gedanken in den Islam hineinzuträufeln, Islamismus von Islam zu trennen, Angst vor
4. Ergebnisse 103
Überfremdung, im Besonderen vor dem Islam. Mit dem CQP-Webinterface wird also im Korpus „2009“ nach einem normalen Nomen (NN) plus Präposition (APPR) plus Artikel (ART) plus Islam gesucht. Die häufigsten Nomen (als Kern einer Nominalphrase mit integrierter PP beziehungsweise als Kern der NP mit anschließender PP) werden in der folgenden Tabelle für das Korpus „2009“ angezeigt: Absolute Freq. 27 24 16 13 12 10 10 9 9 9 8 8 8 8 7 6 6 6 5 5
Wortform Angst Krieg Verhältnis Dialog Haltung Frauen Welt Furcht Auseinandersetzung Kampf Übertritt Kritik Debatte Umgang Frau Ängste Hetze Jahren Verbrechen Podiumsdiskussion
Tab. 17: Nomen vor Präposition + Artikel + Islam im Korpus „2009“
An der Tabelle lässt sich die Thematisierung, die Beschäftigung mit dem Islam ablesen. Die genaue Betrachtung der Treffer macht deutlich, dass neben dem Verhältnis zum Islam, vom Verhältnis von Islam und Gewalt und vom Verhältnis zwischen Islam und Christentum die Rede ist. Die Texte des Korpus „2009“ thematisieren:
104 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Krieg, Dialog, Auseinandersetzung, Umgang, Erfahrungen, Befassung, Diskussionen, Gesprächsbeziehungen, Verständigung, Vereinbarkeit, Beschäftigung mit dem Islam, Debatte um den Islam, Diskussionsrunde zwischen Islam und Vatikan, Diskussionen um und über den Islam, Rede, Wissen über den Islam, Kontakt zum Islam, Verhältnis zum Islam, Haltung, Vorurteile, Unbehagen, Toleranz gegenüber dem Islam, Podiumsdiskussion zum Islam, Verbindung, Kontakt zum Islam, Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen, Konflikt um den Islam, Krieg, Kampf, Hetze, Verschwörung, Abneigung, Stimmung gegen den Islam, Annäherung an den Islam, Kritik am Islam, Achtung, Angst, Furcht, Ängste vor dem Islam, Auffassung vom Islam, Abstimmung über und gegen den Islam, Thesen zu Islam und Homosexualität, Bild vom Islam, Vertrauen zwischen Islam und Christentum. Zum Vergleich wurde über das CQP-Webinterface die gleiche Anfrage für eine Präpositionalphrase, in der das Nomen Christentum enthalten war, gestellt. Die folgende Tabelle zeigt die häufigsten Nomen der Nominalphrase mit integrierter beziehungsweise anschließender PP mit integrierter NP mit Christentum im Kern bezogen auf das Korpus „2009“:
4. Ergebnisse 105
Absolute Freq.
Wortform
6
Islam
5
Gewalt
4
Gebote
2
Vertreter
2
Verhältnis
2
Menschen
1
Nachwirken
1
Vertrautheit
1
Zwist
1
Werber
1
Fasten
1
Attacken
1
Schmerzes
1
Grausamkeitsbejahung
1
Brücken
1
Islams
1
Sauberkeit
1
Perspektive
1
Abendmahls
1
Miteinander
Tab. 18: Nomen vor Präposition + Artikel + Christentum im Korpus „2009“
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist wichtig, zu beachten, dass das Untersuchungskorpus ein Diskurskorpus zum Islamdiskurs darstellt. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass das Christentum im Korpus häufig in Bezug auf den Islam charakterisiert und mit ihm verglichen wird. So ist etwa vom Übertritt vom Islam zum Christentum sowie von Gewalt im Christentum und im Islam die Rede. Außerdem spielen im Korpus die zehn Gebote im Christentum, Vertreter von Christentum, Judentum und Islam, das Verhältnis zwischen Christentum und Islam etc. eine Rolle. Es fällt jedoch auf, dass in den Texten kein Dialog, keine Auseinandersetzung, Diskussionen, Kontaktbeziehungen etc. mit dem Christentum thematisiert werden, die vom Islam beziehungsweise Vertretern des Islam initiiert werden. Es ist außerdem nicht von Krieg/Kampf/Hetze/Verschwörung/Stimmung/etc. gegen das Christentum die Rede.
106 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Interessanterweise wird die Auseinandersetzung mit dem Islam fortlaufend thematisiert und diskutiert, was deutlich macht, dass diese nicht als selbstverständlich erscheint. Es findet zum Beispiel eine Beschäftigung mit dem Islam statt (Auseinandersetzung, Beschäftigung mit dem Islam, Debatten über den Islam etc.). Dabei ist der Islam Gegenstand der Diskussion, aber nicht unbedingt Teilnehmer der Diskussion. Des Weiteren gibt es aber auch einen Dialog beziehungsweise den Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem Islam (Dialog mit dem Islam, Kontakt zum Islam etc.) Schließlich wird im Diskurs auch der Konflikt und weiter sogar auch der Kampf/Krieg mit dem Islam thematisiert (Krieg, Kampf, Hetze gegen den Islam etc.) sowie auch eine Angst vor dem Islam. In allen Fällen wird der Islam einer zweiten Instanz (ganz allgemein dem Westen, aber auch einzelnen westlichen Institutionen) gegenübergesetzt. Mithilfe einer solchen Clusteranalyse lässt sich somit ein erster Eindruck über den häufigen Kotext des Lexems Islam gewinnen, der einen Hinweis auf Bedeutungsanteile im Konzept Islam gibt. Schon auf den ersten Blick wurde deutlich, dass Islam in den häufigsten Clustern oft als Kern einer in einer Präpositionalphrase enthaltenen Nominalphrase vorkommt, nicht nur in mit dem Islam und gegen den Islam, sondern auch in über den Islam, auf den Islam, für den Islam, um den Islam. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil es dieses Phänomen in allen drei Untersuchungskorpora gibt, eine Clusteranalyse des Heteronyms Christentum jedoch nur wenige Präpositionalphrasen mit Christentum im Kern aufzeigt, wie in der folgenden Tabelle deutlich wird.
4. Ergebnisse 107 Absolute Freq. 19 5 5 4 4 4 4 3 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 2 2
Wortform Islam und Christentum Judentum und Christentum nicht, das Christentum Gebote im Christentum Islam zum Christentum mit dem Christentum sich das Christentum ist das Christentum Unterricht (Thema: Christentum von Regierung, Christentum zunächst das Christentum zwischen Judentum, Christentum über das Christentum auch das Christentum auch im Christentum die zum Christentum einem evangelikalen Christentum erlebte das Christentum gegen das Christentum im westlichen Christentum
Tab. 19: Cluster mit Christentum in Position rechts (Korpus „2009“)
Es muss noch einmal erwähnt werden, dass in diesem Analysebeispiel nach Clustern mit Christentum in rechter Position im Korpus „2009“ gesucht wurde, welches ein Diskurskorpus Islam darstellt. Somit wird jede Kotextualisierung von Christentum im thematischen Kontext des Islam durchgeführt. Die Ergebnisse können auch deshalb nur unter Vorbehalt betrachtet werden, weil die Suche nach dem Lexem Christentum im Korpus „2009“ insgesamt nur 294 Treffer ergab. Unter den Treffern jedoch finden sich auch einige Präpositionalphrasen: vier Mal mit dem Christentum, drei Mal von Regierung, Christentum, drei Mal zwischen Judentum, Christentum, drei Mal über das Christentum, je zwei Mal gegen das Christentum, im westlichen Christentum, nach dem Christentum, von Judentum, Christentum. Das Christentum wird also teilweise mit dem Islam und dem Judentum verglichen. Ein explizites Gegenübersetzen zu einer zweiten Instanz, so wie es bei Islam der Fall ist, findet im Untersuchungskorpus bezogen auf Christentum nicht statt. Der Vergleich von Christentum und Islam fiel bereits bei der Betrachtung der häufigsten Cluster mit Islam in rechter Position auf. In allen drei Korpora – das zeigt die Tabelle 14 – ist Christentum und Islam eines der zehn häufigsten Dreiwortcluster. Der Vergleich des Islam mit dem Christentum spielt also zu
108 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse allen drei abgefragten Zeitpunkten eine wichtige Rolle. Außerdem fällt in dieser Tabelle der politische Islam auf, der ebenfalls in allen drei Korpora unter den frequentesten Dreiwortclustern erscheint. Dies ist besonders interessant, weil die Verbindung von Islam und Politik auch in der Untersuchung des Kölner Moscheebaudiskurses von Relevanz ist. Eine ablehnende Haltung gegenüber dem Islam – dies zeigen die Analysen im Kapitel III – resultiert bei den Akteuren im Kölner Moscheebaudiskurs zum großen Teil aus der Annahme, dass der Islam eine politische Religion sei. Dass auch hier der Ausdruck der politische Islam unter den frequentesten Mehrworteinheiten mit Islam in der Position ganz rechts vorgefunden wird, ist auffällig. Würde man davon ausgehen, dass der Islam per se politisch ist, so würde die Attribuierung in der Nominalklammer keinen Sinn ergeben. Gerade aber die Form eines politischen Islam scheint für die Diskursteilnehmer eine herausragende Rolle zu spielen, was auch bei der Untersuchung des Kölner Moscheebaudiskurses deutlich wird: Weil eine Verbindung zwischen Religion und Politik nicht dem westlichen Demokratieverständnis entspricht, ist der Islam beziehungsweise der politische Islam für einige Diskursteilnehmer nicht in die deutsche beziehungsweise westliche Wertegemeinschaft integrierbar. Der deutsche Islam hingegen taucht unter den 25 häufigsten Dreiwortclustern mit Islam in rechter Position zum ersten Mal im Korpus „2009“ auf.80 Dies gibt Anlass zu der Vermutung – darauf lässt bereits die corpus-driven Analyse schließen –, dass vor den Anschlägen vom 11. September 2001 der Islam eher in Debatten thematisiert wurde, die sich mit internationalen Themen, wie etwa dem Nahostkonflikt, befassen. Mit den Anschlägen vom 11. September schließlich gerät der internationale Terrorismus in den Vordergrund. Die verstärkte Auseinandersetzung mit dem Islam in nationalen Diskursen, wie etwa den Debatten um den Bau einer Moschee, der Kopftuch- oder Integrationsdebatte, rückt im gegenwartsnächsten Korpus in den Vordergrund. Die Thematisierung eines deutschen Islam verdeutlicht, dass – zumindest einige – Diskursteilnehmer verschiedene Islamformen unterscheiden. Auch bei der anschließend dargestellten Untersuchung des Kölner Moscheebaudiskurses ist der deutsche Islam von zentraler Bedeutung. Einige Diskursteilnehmer betrachten ihn als eine bereits real existierende Islamform, die sehr positiv bewertet wird. Andere Sprecher sind der Meinung, dass der Islam erst mit einigen Reformen und Modernisierungsmaßnahmen in die deutsche Gesellschaft integrierbar ist, somit also zu einem deutschen Islam werden könnte. In jedem Fall zeigt die Bezeichnung der deutsche Islam die Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen,
80 Der Islam in Deutschland hingegen wird bereits im Korpus „vor 9/11“ thematisiert.
4. Ergebnisse 109
präsupponiert doch die Bezeichnung deutscher Islam, dass es auch einen nichtdeutschen Islam gibt. Nachdem nun die Cluster mit Islam in der Position ganz rechts ausführlich betrachtet wurden, sollen im Folgenden die Cluster mit Islam in der Position ganz links untersucht werden. Die folgende Tabelle zeigt die Dreiwortcluster mit Islam in der linken Position im diachronen Vergleich:
110 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Freq
Cluster
Freq
Cluster
Freq
Cluster
1
11
Islam in der
28
24
Islam in der
2
11
28
23
3
9
Islam in Deutschland Islam in den
Islam in Deutschland Islam ist eine
27
Islam und die
19
4
9
Islam und der
23
19
5
8
Islam und den
21
Islam und Christentum Islam in der
Islam braucht eine Islam in Deutschland Islam und Christentum Islam in Europa
6
6
21
Islam und den
16
7
4
Islam und seine Islam auf dem
17
Islam und der
16
8
4
Islam gibt es
17
Islam zu tun
15
9
4
Islam in die
16
Islam sei eine
15
10
4
Islam ist eine
16
Islam und dem
13
11
4
13
Islam in seiner
12
12
4
Islam und Demokratie Islam und die
Islam und Judentum Islam und den
13
Islam ist nicht
10
Islam gibt es
13
4
12
Islam ist eine
4
11
Islam als Religion Islam nichts zu
10
14
Islam und Islamismus Islam zu einer
9
15
4
11
Islam und das
8
16
3
10
Islam eine Religion
8
Islam al-Gaddafi
17
3
10
Islam ist die
8
Islam ist die
18
3
IslamUnterricht an Islam Bairamukow (Kasachstan Islam in Bayern Islam ist nicht
Islam für Anfänger Islam [#x201e
9
Islam auf der
8
Islam mit den
9
3
9
3
Islam und Demokratie Islam-Unterricht an
8
20
Islam und Christentum Islam und dem
Islam und Islamismus Islam in den
9
16
7
Islam und Demokratie Islam und die Islam als Religion Islam und der
Tab. 20: Dreiwortcluster mit Islam in der linken Position (diachroner Vergleich)
Obwohl der deutsche Islam im Korpus „2009“ zum ersten Mal vorkommt, wird im Korpus „vor 9/11“ der Islam in Deutschland bereits erwähnt. Diese Kollokati-
4. Ergebnisse 111
on gehört in allen drei Korpora zu den frequentesten Dreiwortclustern mit Islam in der Position ganz links. Wie auch die Untersuchungen im anschließenden Kapitel III zeigen werden, spielt also der Islam in Bezug auf die deutsche Gesellschaft für die Diskursteilnehmer eine große Rolle. Betrachtet man die Ergebnisse im Korpus „2009“, so gibt es allerdings noch weitere Auffälligkeiten: Der Islam wird mit anderen Religionen verglichen, nämlich mit dem Christentum und dem Judentum; der Islam in Europa spielt – im Vergleich zu den Korpora „vor 9/11“ und „nach 9/11“ – eine Rolle, ebenso das Verhältnis von Islam und Demokratie. Die Analyse der Diskussionen um den Bau der Großmoschee in Köln-Ehrenfeld in Kapitel III zeigt, dass der Islam häufig in Hinblick auf das deutsche demokratische Wertesystem diskutiert wird. Passt der Islam nach Deutschland? Ist er mit dem Demokratieverständnis zu vereinbaren? Das Cluster Islam und Demokratie deutet an, dass diese Fragen auch in den Texten aus dem Korpus „2009“ thematisiert werden. Unter den Clustern mit Christentum in der Position links außen findet sich keine Kollokation mit Demokratie.81 Dass hingegen Islam häufig in der Umgebung von Demokratie vorkommt, zeigt die Relevanz für die Diskursteilnehmer: Der Islam wird somit hinsichtlich seiner Bedeutung für die Demokratie diskutiert, während es anscheinend für eine solche Diskussion bezogen auf das Christentum keine Notwendigkeit gibt. Im Korpus „2009“ taucht schließlich der Islam als Religion unter den frequentesten Clustern mit Islam in der Position links auf. Dass der Islam als Religion hier hervorgehoben wird, zeigt, dass der Islam eben nicht ausschließlich als eine Religion wahrgenommen wird. Dies wird deutlicher, wenn man die Kotexte des Clusters näher betrachtet: 41.
In seinem ersten Interview seit dem Amtseid hat Präsident Barack Obama sich an die muslimische Welt gewandt. Er sagte dem in Dubai ansässigen Sender al-Arabija, seine Regierung mache einen klaren Unterschied zwischen al-Qaida einerseits und dem Islam als Religion und der islamischen Welt andererseits. (WELT, 28.01.2009, Obama sucht das Gespräch mit dem Iran) 42. Berlin – Die Schweizer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten sorgt auch hierzulande weiter für Diskussionen. Innenminister Thomas de Maizière versicherte, der Islam als Religion sei in Deutschland willkommen. Dagegen habe der extremistische Islamismus keinen Platz in unserer Gesellschaft. (WELT, 03.12.2009, De Maizière erwägt Ausweisung von Imamen)
81 Bei der Interpretation der Ergebnisse muss wieder angefügt werden, dass es nicht genügend Treffer für Christentum im Korpus gibt, um allgemeingültige Aussagen zu treffen.
112 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse 43. Die Schweizer sind die erste europäische Nation, die sich in einer freien Abstimmung gegen die Islamisierung ihres Landes entschieden hat. Nicht gegen die Religionsfreiheit, nicht gegen Lokale, in denen halal gegessen wird, nicht gegen den Islam als Religion. (WELT, 01.12.2009, Einer muss den Anfang machen) 44. Die Initiatoren hatten in anderthalb Jahren mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt und so die Volksabstimmung durchgesetzt. Sie betonen, dass sich das Referendum nicht gegen den Islam als Religion wende. (taz, 30.11.2009, Schweizer verbieten Minarette) 45. „Die Stadt braucht eine viel intelligentere Befassung mit dem Problem. Denn ohne Integration der Migranten ist die Wirtschaftspolitik in dieser Stadt zum Scheitern verurteilt.“ Viele Einwandererfamilien seien hilfsbedürftig, weil sie mit der Situation ihrer Kinder nicht zurechtkämen. Schuld daran sei nicht der Islam als Religion, sondern vielmehr eine antiautoritäre Erziehung der zweiten Generation der Zugezogenen. (Berliner Morgenpost, 06.11.2009, CDU-Vize: Islam nicht bekämpfen)
Im Ausschnitt 41 wird Al Qaida dem Islam als Religion gegenübergestellt. Der damalige Innenminister Thomas de Maizière – das wird in der Äußerung in 42 deutlich – fasst den extremistischen Islamismus als eine Unterform des Islam auf, der von dem Islam als Religion abzugrenzen ist. Hier wird also erneut die Aufteilung des Islam in verschiedene Teilformen deutlich, wobei im Islamkonzept, das de Maizière zugeschrieben werden kann, auch der Islamismus eine Form des Islam darstellt. Der Islam wird, wie bereits vorangegangene Analysen deutlich gemacht haben, häufig als politisch wahrgenommen. Durch die Bezeichnung Islam als Religion wird der Islam als eine Entität konstituiert, die in verschiedenen Formen auftreten kann, wobei in allen Äußerungen der Islam als Religion ausdrücklich nicht negativ bewertet wird. Die Betonung, dass der Islam als Religion nicht abgelehnt wird, präsupponiert gleichzeitig, dass der Islam als ‚Nichtreligion‘ hingegen vermieden werden soll beziehungsweise als negativ bewertet wird. Was genau diese ‚Nichtreligion‘ beinhaltet, wird nicht explizit bestimmt. Aus den Texten geht jedoch hervor, dass vor allem der politische Islam abzulehnen ist. Dabei werden die negativen Bedeutungsanteile des Lexems Islam deutlich: Die Diskursteilnehmer sagen nicht, dass sie den Islam in seiner Gesamtheit nicht ablehnen, sondern betonen, dass sie den Islam als Religion nicht ablehnen. Durch diese Hervorhebung wird signalisiert, dass, wenn von dem Islam gesprochen wird, nicht automatisch der Islam als Religion gemeint ist. Für viele Diskursteilnehmer impliziert die Bezeichnung der Islam auch den Islam als politische Institution. Dies wird auch im Ausschnitt 43 deutlich, in dem die Islamisierungsprozesse dem Islam als Religion gegenübergestellt werden.
4. Ergebnisse 113
Zusammengefasst: Die Kollokationsanalysen des Lexems Islam haben gezeigt, dass Islam häufig als Kern einer Präpositionalphrase vorkommt, die wiederum in eine Nominalphrase eingebettet ist. Beispiele dafür sind etwa Dialog mit dem Islam, Kampf gegen den Islam, Angst vor dem Islam. Insgesamt wird also die Auseinandersetzung mit dem Islam sehr häufig thematisiert. Dabei wurde deutlich, dass der Islam einer weiteren Instanz gegenüber gestellt wird. Diese Instanz ist zumeist der Westen beziehungsweise eine näher bestimmte Institution des Westens. Eine solche Instanz tritt in den Dialog mit dem Islam, hat Angst vor dem Islam, hat ein Problem mit dem Islam. Dabei wird deutlich, wie der Islam innerhalb solcher Kollokationen als ein Totalitätsbegriff im Sinne von Hermanns (1999) fungiert. Durch diese Nominalphrasen mit enthaltener Präpositionalphrase mit Islam im Kern wird der Islam als eine Einheit konstruiert. Die Kollokation Dialog mit dem Islam suggeriert einen feststehenden Dialogpartner. Zum einen wird der Islam also oft als eine Einheit wahrgenommen, zum anderen weisen andere Kollokationen darauf hin, dass die Diskursteilnehmer zwischen verschiedenen Formen des Islam unterscheiden. Kollokationen wie Islam und Demokratie, der politische Islam, Islam in Deutschland fielen auf, weil sie auf die Aufspaltung des Islam hinweisen, die auch bei der Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses im anschließenden Kapitel sichtbar wird. Zudem erschien interessant, dass der Islam als Religion explizit thematisiert wurde. Der Ausdruck Islam als Religion macht deutlich, dass der Islam nicht per se als Religion wahrgenommen wird. Der Islam als Religion wird dem politischen Islam beziehungsweise dem Islamismus gegenübergestellt, der aber auch als Form des Islam aufgefasst wird. Indem betont wird, dass man den Islam als Religion nicht ablehnt, wird gleichzeitig deutlich gemacht, dass der politische Islam, also der Islam als ‚Nichtreligion‘, abgelehnt wird.
4.3.2 Kollokationsanalyse der Adjektive islamisch, muslimisch, christlich und islamistisch Die drei Untersuchungskorpora wurden schließlich hinsichtlich Kollokationen, die die Adjektive islamisch, muslimisch, christlich oder islamistisch (in den verschiedenen Flexionsformen) enthalten, untersucht. Dabei interessierte, welcher Ausdruck unmittelbar nach einem der drei Adjektive steht, welchem Wort also das Attribut islamisch, muslimisch, christlich oder islamistisch hinzugefügt wird. Gibt es einen Bedeutungsunterschied zwischen islamisch und muslimisch? Zeigt sich in einer solchen Analyse eventuell eine (partielle) Synonymie von islamisch und islamistisch? Wie unterscheiden sich die Ausdrücke, die mit islamisch attri-
114 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse buiert werden, von denen, die mit christlich attribuiert werden? Die folgenden Tabellen zeigen die Kollokatoren der Adjektive:
Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Rang
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
1
110
Republik
787
Welt
587
Republik
2
97
Dschihad
293
Dschihad
443
Welt
3
86
Welt
232
Extremisten
234
Dschihad
4
83
Föderation
228
Staaten
232
Revolution
5
76
Taliban
193
217
Taliban
6
76
Recht
174
Fundamentalisten Ländern
130
Hamas
7
60
153
Föderation
127
Recht
8
57
Fundamentalisten Staaten
144
113
Gemeinde
9
52
Extremisten
142
Fundamentalismus Gemeinde
108
Ländern
10
47
Hamas
132
Terroristen
84
Kunst
11
44
Revolution
115
Recht
79
Bewegung
12
41
114
Gemeinschaft
76
Extremisten
13
37
Religionsunterricht Staat
105
Länder
68
Religionsunterricht
14
30
103
Gruppen
62
Staaten
15
29
Fundamentalismus Gruppen
96
Revolution
61
Land
Tab. 21: islamische* + X
4. Ergebnisse 115
Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Rang
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
1
42
Missionierung
66
Kirchen
80
Kirchen
2
40
Kirchen
53
und
45
und
3
29
und
28
Abendland
26
Glauben
4
16
Glauben
18
Welt
21
Religion
5
10
Kirche
17
Minderheit
19
Gemeinden
6
9
16
Religion
15
Tradition
7
7
Hilfsorganisation Glaubens
16
Glaubens
15
Minderheit
8
6
Minderheit
13
Missionierung
14
Kirche
9
6
Konfessionen
13
Glauben
14
Glaubens
10
6
Botschaft
13
Fundamentalisten
14
Bevölkerung
11
5
Süden
12
Tradition
14
Abendland
12
5
Religion
11
Gemeinden
10
Werte
13
5
9
Kirche
9
14
5
Hilfsorganisationen Europa
8
Werte
9
Religionsunterricht Minderheiten
15
5
Byzanz
8
Palästinenser
9
Glaube
Tab. 22: christliche* + X
116 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Rang
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
1
22
Frauen
113
Welt
178
Welt
2
19
und
59
Extremisten
81
Frauen
3
17
Welt
40
Glaubens
80
Schüler
4
14
Separatisten
38
Frauen
61
Ländern
5
10
Rebellen
33
Bevölkerung
58
Glaubens
6
10
Kinder
32
Gemeinde
47
Land
7
10
Gemeinde
28
Ländern
38
Bevölkerung
8
9
Viertel
27
Staaten
37
Gemeinde
9
9
25
Gruppen
36
und
10
9
Fundamentalisten Frau
24
und
36
Mädchen
11
8
Glaubens
22
Organisationen
36
Kinder
12
8
Extremisten
22
Metzger
36
Gemeinden
13
7
Bevoelkerung
21
Verbände
32
Uiguren
14
6
Schüler
21
Kinder
31
Verbände
15
6
Lehrerin
20
Land
31
Länder
Tab. 23: muslimische* + X
4. Ergebnisse 117
Korpus „vor 9/11“
Korpus „nach 9/11“
Korpus „2009“
Rang
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
Freq
Kollokat
1
25
Extremisten
165
Terroristen
56
Terroristen
2
21
Gruppen
136
Extremisten
46
Terrorismus
3
13
Gruppierungen
112
Gruppen
39
Gruppen
4
12
Organisationen
91
Organisationen
32
Szene
5
11
Taliban
61
Terror
29
Extremisten
6
10
Terroristen
51
Terrorismus
25
Terror
7
10
Hamas
45
23
Kämpfer
8
9
Bewegung
44
Fundamentalisten Organisation
20
Organisationen
9
7
Partei
36
Terrors
19
Extremismus
10
6
Opposition
34
Gruppierungen
16
Rebellen
11
5
32
Bewegung
15
Regime
12
5
Wohlfahrtspartei und
31
Bewegungen
15
Hamas
13
5
Organisation
24
Gruppe
14
Milizen
14
4
Tugendpartei
21
und
12
Bewegung
15
4
Terrors
20
Szene
11
Sauerland
Tab. 24: islamistische* + X
118 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Die Tabellen zeigen die Kollokatoren, die genau ein Wort rechts der abgefragten Ausdrücke islamische*, christliche*, islamistische* und muslimische* stehen.82 Die Rangordnung ergibt sich aus der Frequenz der Kollokatoren.83 Die gezeigten Tabellen ermöglichen sowohl einen diachronen als auch einen synchronen Vergleich. Vergleicht man zunächst die Kollokatoren von islamische* in den drei Korpora „vor 9/11“, „nach 9/11“ und „2009“, so wird deutlich, dass sich diese sehr ähneln. Die 15 häufigsten Kollokatoren nach islamische* sind bis auf ein paar Ausnahmen in den Korpora nahezu identisch – wenn sich auch die Rangliste leicht verschoben hat.84 Die islamische Republik, der islamische Dschihad und die islamische Welt belegen sowohl im Korpus „vor 9/11“ als auch im Korpus „2009“ die ersten drei Plätze, die islamische Republik verschwindet im Korpus „nach 9/11“ aus dem Fokus, stattdessen tritt islamischen Extremisten hinzu. Überraschenderweise fehlen in der Liste für dieses Korpus die Kollokatoren Taliban und die islamische Hamas unter den ersten 15, islamische* + Terroristen kommt hingegen nur in diesem Korpus unter den 15 häufigsten Kollokationen vor. Auffällig ist, dass die Kollokatoren fast ausnahmslos dem semantischen Feld Politik und Extremismus zuzuordnen sind. Vergleicht man die Kollokationen islamische* + X mit den Kollokationen christliche* + X, so fällt auf, dass letztere Kollokationen sich einem anderen semantischen Feld, nämlich stärker dem Feld Glauben/Religion, zuordnen lassen. Darauf weisen etwa die Kollokatoren Missionierung, Kirchen, Konfessionen, Religion hin. Dass sich die Kollokationen islamische* + X eher dem semanti
82 Das Symbol * bedeutet in der Eingabesprache bei AntConc, dass nicht nur Treffer für die eingegebene Buchstabenfolge angezeigt werden sollen, sondern zudem auch die Buchstabenfolge plus weitere Buchstaben ohne Leerzeichen. Obwohl mit AntConc nur das nicht-annotierte Korpus analysiert wurde, ist es nun möglich, auch Treffer für die Formen islamisches, islamischen und islamischer zu erhalten. Unter die beachteten Zeichen fallen jedoch nur Buchstaben, keine anderen Zeichen – wie etwa ein Bindestrich –, so dass keine Kompositabildungen, wie etwa islamisch-fundamentalistisch, sofern sie mithilfe eines Bindestrichs gebildet sind, berücksichtigt werden. 83 Wieder wurde davon abgesehen, die Signifikanz der Einzeltreffer mit aufzuzeigen. Es kann daher sein, dass einzelne Treffer nicht signifikant sind. Nicht jede einzelne Kollokation kann deshalb für sich interpretiert werden. So sind etwa die Kollokatoren von muslimische* im Korpus vor „9/11“ nicht hochsignifikant. Die Kollokation muslimische Frauen weist laut AntConc einen t-score von 4.643 auf, was laut der Tabelle für die T-Verteilung (http://psydok.sulb.unisaarland.de/volltexte/2004/268/html/tvert.htm; zuletzt abgerufen am 31.05.2013) einem nicht signifikanten Wert entspricht. 84 Dass sich die Frequenz der Kollokatoren unterscheidet, liegt u.a. an der unterschiedlichen Größe der Korpora. Auch die Anzahl der Treffer für beispielsweise die Suchanfragen Islam und Muslime steigen im Korpus „nach 9/11“ gegenüber dem Korpus „vor 9/11“ stark an, während es im Korpus „2009“ wieder weniger Treffer sind.
4. Ergebnisse 119
schen Feld Politik und Extremismus zuordnen lassen, legt zugleich den Fokus auf die mitschwingende negative Bedeutung des Ausdrucks. Denn dadurch, dass im westlichen Verständnis eine Verbindung von Religion und Politik unzulässig ist, erhält der Islam durch das Zusprechen eben dieser Verbindung eine negative Bewertung. Bei der Interpretation der Kollokationsanalyse von christliche* ist ein weiteres Mal zu betonen, dass der Suchausdruck jeweils in einem Text vorkommt, in dem auch die Buchstabenfolge islam, moslem, muslim oder moschee enthalten ist. Das bedeutet, dass somit der thematische Rahmen, in dem das Wort auftaucht, vorgegeben ist. Es lassen sich hier also keine allgemeingültigen Aussagen über die Kotextualisierungen von christliche* treffen, es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Konzept christlich/Christ/Christentum in den Texten aufgerufen wird, um es mit dem Konzept Islam abzugleichen. Dies wird ebenfalls deutlich, wenn man die Kollokationsspanne um das Suchwort christliche* erweitert und sich bis zu fünf Wörter links und rechts des Ausdrucks ansieht: Unter den häufigsten Kollokatoren finden sich – wie es zu erwarten war – dann nämlich auch muslimischen, Islam und islamischen. Für die Analyse der Kollokatoren ein Wort direkt nach christliche* zeigt AntConc ebenfalls und als frequenten Kollokationspartner an. Bei der KWICAnsicht der Kollokation christliche* und im Korpus „2009“ wird wiederum deutlich, dass das Konzept mit Heteronymkonzepten in Beziehung gesetzt wird:
120 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Abb. 6: KWIC-Ansicht christliche* und im Korpus „2009“
Bei der Betrachtung der häufigsten Kollokatoren zu muslimische* fallen Überschneidungen mit den Kollokatoren zu islamische* auf, was einen Hinweis darauf gibt, dass die Ausdrücke synonym gebraucht werden. Vergleicht man etwa konkret die Kollokatoren von muslimische* und islamische* im Korpus „2009“, so treten unter den häufigsten beide Male Welt, Land, und Ländern sowie Gemeinde und Gemeinden auf. Auffällig ist, dass das attributiv gebrauchte Adjektiv muslimisch eher vor wertneutralen Personenbezeichnungen (Frauen, Gruppen, Metzger, Kinder, Schüler, Lehrerin, Mädchen, Uiguren) verwendet wird, während das gleich gebrauchte Adjektiv islamisch häufiger Bezeichnungen von Personengruppen attribuiert wird, die negative Bedeutungsaspekte evozieren (Taliban, Fundamentalisten, Extremisten, Hamas, Terroristen). Diese Aufteilung
4. Ergebnisse 121
lässt sich allerdings nicht konsequent durchziehen, es finden sich auch unter den häufigsten Kollokatoren von islamische* wertneutrale Personengruppen (Gruppen, Gemeinschaft) und andersherum unter den frequenten Kollokaten von muslimische* auch Ausdrücke mit negativen Bedeutungsaspekten (Extremisten, Rebellen, Fundamentalisten), jedoch werden zumindest Präferenzen sichtbar. Auffällig ist zudem, dass sehr häufig in allen Texten durch die drei Korpora hinweg sowohl von einer islamischen als auch von einer muslimischen Welt gesprochen wird. Im Korpus „nach 9/11“ kommt unter den häufigsten Kollokatoren von islamistische* zum ersten und einzigen Mal Fundamentalisten vor. Da das Wort Islamismus den Fundamentalismus beinhaltet, kommt es hier zu einer Redundanz, die einen Hinweis auf identische Bedeutungsaspekte von islamisch und islamistisch geben könnte. Der Vergleich des Gebrauchs von islamisch und islamistisch – zumindest als attributiv gebrauchtes Adjektiv – zeigt jedoch sehr viele Unterschiede auf, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie referenzidentisch sind.
Zusammengefasst: Die Kollokatoren von christliche* und islamische* lassen sich unterschiedlichen semantischen Feldern zuordnen. Während die Kollokationen mit christlich* als attributiv gebrauchtes Adjektiv eindeutig im semantischen Feld Religion zu verorten sind, bezieht sich islamisch* eher auf Substantive aus dem semantischen Feld Politik und Extremismus. Die Verbindung von Islam und Politik ist bei der korpuslinguistischen Untersuchung schon an anderer Stelle aufgefallen und wird auch von den Teilnehmern des Kölner Moscheebaudiskurses thematisiert (vgl. Kapitel III). Die Adjektive muslimisch und islamisch werden fast synonym gebraucht, wobei sich eine leicht positivere Bewertung des Adjektivs muslimisch zeigte. Ein synonymer Gebrauch von islamisch* und islamistisch* konnte über die Kollokationsanalyse nicht nachgewiesen werden.
4.3.3 Adjektive unmittelbar vor Muslim, Christ und Jude Mithilfe des CQP-Webinterfaces des Lehrstuhls für Korpuslinguistik der Humboldt Universität Berlin ist es möglich, die nach Wortarten annotierten Korpora zu untersuchen. Zunächst interessieren die attributiv gebrauchten Adjektive vor Muslim, Christ und Jude (in den verschiedenen Kasus und Numeri). Es soll dargestellt werden, wie die Heteronyme jeweils näher spezifiziert werden, um Gemeinsamkeiten beziehungsweise Unterschiede aufzuzeigen.
122 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Rang
Lemma jung
Absolute Freq 77
Relative Freq 0,083878
1 2
gläubig
63
0,068627
3
50
0,054466
4
deutsch
48
0,052288
5
lebend
45
0,04902
6
radikal
40
0,043573
7
bosnisch
31
0,033769
8
strenggläubig
29
0,03159
9
gut
25
0,027233
10
ander
23
0,025054
Tab. 25: ADJA vor Muslim im Korpus „2009“ (in den verschiedenen Flexionsformen) Rang
Lemma
Absolute Freq 35
Relative Freq 0,145228
1 2
gläubig
11
0,045643
3
katholisch
11
0,045643
4
bibeltreu
10
0,041494
5
evangelisch
9
0,037344
6
ander
9
0,037344
7
fromm
8
0,033195
8
orthodox
8
0,033195
9
gut
8
0,033195
10
engagiert
7
0,029046
Tab. 26: ADJA vor Christ im Korpus „2009“ (in den verschiedenen Flexionsformen)
4. Ergebnisse 123
Rang
Lemma
Relative Freq
1
Absolute Freq
irakisch
19
0,087963
orthodox
14
0,064815
türkisch
12
0,055556
9
0,041667
europäisch
8
0,037037
ermordet
7
0,032407
messianisch USamerikanisch
6
0,027778
6
0,027778
ukrainisch
5
0,023148
gläubig
5
0,023148
2 3 4 5 6 7 8 9 10
Tab. 27: ADJA vor Jude im Korpus „2009“ (in den verschiedenen Flexionsformen)
Wird die relative Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen ADJA85 betrachtet, so sind diese nicht auffällig. Die Anzahl der Treffer für die ADJA vor MUSLIM86 sind jeder für sich nicht signifikant. Im Vergleich der ADJA in ihrer Gesamtheit mit denen vor JUDE und CHRIST fällt jedoch auf, dass die Adjektive semantisch unterschiedlich klassifiziert werden können. So werden Juden häufig hinsichtlich ihrer Herkunft näher beschrieben (irakisch, türkisch, europäisch usw.), Christen zum einen hinsichtlich ihrer Konfession (katholisch, evangelisch), und zum anderen mithilfe von Adjektiven mit positiv-deontischer Bedeutung (bibeltreu, fromm, gut). Bei den ADJA zu MUSLIM spielen ebenfalls Adjektive zu Staatenbezeichnungen eine Rolle. Neben den deutschen Muslimen werden vor allem bosnische Muslime hervorgehoben. Auch das Adjektiv lebend bezieht sich im Korpus „2009“ auf eine Ortsangabe. Bei den NE87 vor dem Lemma lebend handelt es sich mit einer relativen Häufigkeit von ca. 0,7, d.h. 70% um Deutschland.
85 ADJA ist die Bezeichnung für attributiv gebrauchtes Adjektiv nach dem Stuttgarter Tagset http://www.ims.uni-stuttgart.de/projekte/corplex/TagSets/stts-table.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 86 Die Großschreibung soll hier die verschiedenen Flexionsformen verdeutlichen. 87 NE ist die Bezeichnung für Eigennamen nach dem Stuttgarter Tagset.
124 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Abb. 7: KWIC-Ansicht lebend* im Korpus „2009“
Gerade die Muslime in Deutschland spielen also in der öffentlichen Wahrnehmung im Jahr 2009 eine besondere Rolle. Bei der Attribuierung von MUSLIM wie auch bei CHRIST fällt zudem das Adjektiv gut auf. Die Betrachtung der Kotexte des Adjektivs zeigt, dass es synonym zu gläubig verwendet wird. MUSLIM wird jedoch häufig mit dem Adjektiv strenggläubig attribuiert. Dieses enthält – zumindest in Verbindung mit dem Konzept Muslim/Islam – negativ-deontische Bedeutung. Folgende Auszüge aus dem Korpus belegen dies exemplarisch: 46. Mehr als 95 Prozent der Berliner Muslime wollten nichts anderes als in Frieden das Leben zu gestalten, so Körting. Das gelte auch für die strenggläubigen Gruppen. Nur sehr wenige missbrauchen die Religion, lassen sich von Radikalen einfangen, die
4. Ergebnisse 125 Dschihad predigen, also vom Krieg gegenüber den Ungläubigen. (Berliner Morgenpost, 29.12.2009, Körting: Türkei erschwert die Integration) 47. HIGHLIGHT: Im Vorstand der einstigen Vorzeigemoschee von Duisburg-Marxloh ist ein heftiger Streit ausgebrochen. Politiker und Islamkritiker befürchten nun zunehmenden Einfluss strenggläubiger oder ultranationalistischer Muslime – das könnte allerdings eine folgenschwere Fehleinschätzung sein. (WELT am Sonntag, 20.12.2009, Eine ganz normale Moschee) 48. Doch dieses Bild bekommt nun Risse. Seit dieser Woche wird erstmals offen gestritten in dem 2008 eingeweihten Gotteshaus, das bislang als Vorzeigemoschee der Republik gefeiert wurde. Der Gemeindevorsitzende trat zurück, sein Sprecher wurde des Amtes enthoben. Das wäre kaum erwähnenswert, wenn dieser Streit nicht sogleich als Richtungskampf zwischen Liberalen und Orthodoxen, ja Radikalen gedeutet worden wäre. Der Duisburger Bundestagsabgeordnete Johannes Pflug (SPD) warnte, hier vollziehe sich ein „strategisch angelegter Wechsel“ hin zu einem strenggläubigen Islam. (WELT am Sonntag, 20.12.2009, Eine ganz normale Moschee)
Strenggläubige Muslime werden von den Diskursteilnehmern oftmals als bedrohlich wahrgenommen. Dies wird deutlich, wenn der Berliner Innensenator Körting betont, dass auch die strenggläubigen Muslime meist nichts anderes wollen als in Frieden das Leben zu gestalten (46). Aus der Äußerung geht hervor, dass man anscheinend vor allem den strenggläubigen Muslimen unterstellt, dass sie ihr Leben eben nicht friedlich gestalten wollen. Auch in 47 wird dies deutlich, wenn ausgesagt wird, dass Politiker und Islamkritiker den zunehmenden Einfluss strenggläubiger Muslime fürchten. Zudem übertragen sich in diesem Beispiel die negativen Bedeutungsaspekte von ultranationalistisch auf strenggläubig. In 48 werden diese negativen Bedeutungsaspekte ebenfalls deutlich. Wenn der Bundestagsabgeordnete davor warnt, dass sich ein strategischer Wechsel zum strenggläubigen Islam vollzieht, so präsupponiert diese Äußerung, dass ein strenggläubiger Islam abzulehnen ist. Auslöser der Präsupposition ist an dieser Stelle das Verb warnen. Mit Ausnahme von radikal und strenggläubig finden sich unter den frequentesten ADJA vor MUSLIM keine Adjektive mit negativ-deontischer Bedeutung. Auch strenggläubig kann nicht in jedem Fall als ein negatives Attribut gewertet werden. Den Muslimen werden somit im Korpus anscheinend nicht ganz direkt über ein attributiv gebrauchtes Adjektiv bestimmte negative Eigenschaften zugeschrieben. Dies bestätigen ebenfalls die Ergebnisse der im anschließenden Kapitel dargestellten Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses, bei der auffiel, dass es häufig vermieden wird, den Muslimen direkt negative Eigenschaften zuzuschreiben, während dies im Fall von Islam hingegen häufiger der Fall ist. Aus eben dieser qualitativen Analyse eines Ausschnitts aus dem Kölner Moscheebaudiskurs ging eine Hypothese hervor, die ich nun mithilfe der korpuslinguistischen Methoden zu belegen versuche: Der Islam – häufig in der Lesart
126 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse Gesamtheit der Muslime – wird als heterogener als das Christentum oder das Judentum wahrgenommen. Diese Hypothese zeigte sich bereits in einigen korpuslinguistischen Analysen bestätigt, da etwa die Kollokation politischer Islam sowie zusätzlich Islam als Religion auffiel. Für viele Sprecher gibt es den Islam nicht, sondern für sie existiert vielmehr eine große Anzahl unterschiedlicher Islamformen. In der Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses zeigte sich eine häufige Verwendungsweise von indefinitem Artikel und Islam, was für die Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen spricht (vgl. Kapitel III). Es stellt sich die Frage, ob diese Aufspaltung typisch für den Islamdiskurs ist oder ob man ebenso oft von einem radikalen, einem friedlichen Christentum spricht.
4.3.4 Adjektive unmittelbar vor Islam, Christentum und Judentum Das Korpus „2009“ wird zunächst daraufhin befragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit der unbestimmte Artikel eine Nominalphrase mit Islam im Kern einleitet beziehungsweise mit Judentum oder Christentum an Stelle von Islam. Eine Nominalphrase kann jedoch neben Artikel und Nomen zudem noch aus einer Adjektivphrase (d.h. entweder aus einem Adjektiv, aus mehreren Adjektiven oder aus Adjektiv und Partikel) bestehen. Das Ergebnis zeigt 1887 Nominalphrasen – bestehend aus Islam und Artikel plus eventuell zusätzlichen Elementen in der Nominalklammer wie etwa ein Adjektiv und eine Partikel. Die folgende Liste zeigt verschiedene Möglichkeiten:88
88 Die folgende Abbildung zeigt eine KWIC-Ansicht des Korpus „2009“ im CQP-webinterface. Die Quellen der einzelnen Elemente können darin nicht ausfindig gemacht werden.
4. Ergebnisse 127 in den letzten Jahren so entwickelt. Stimmt der Eindruck, der hier oft vermittelt wird, dass in Istanbul ein erstarkender Islam bestimmte Lebensweisen wieder verdrängt? Oder wird da etwas aufgebauscht? Dies ist ein sehr kompliziertes Thema . Auch mir und ein Gewand bis zum Knie .So bin ich und viele andere Frauen auch in Khartum öfters angezogen . Der Islam verbietet Hosentragen nicht. Kein Argument für die Sittenpolizei. Auf der Wache müssen die Frauen hin und her laufen Kindes in Sicherheitskreisen als Terrorverdächtiger .Die Münchener Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Anschlags auf Bali . Er huldigt dem fundamentalistischen Islam, billigt die Steinigung von Frauen und lobt den Gottesstaat der Taliban sowie die Terrororganisation al-Qaida. Mit dem Namen veranstalten ,befürchtet er. Ob sein Buch ein Feldzug gegen den Islam sei? Nein, er wünscht sich einen aufgeklärten Islam, eine Religion, die sich der Vernunftkritik unterwirft, keine, die jegliche Hinterfragung als Kriegserklärung betrachtet. In Wunsch nach der Neuerschaffung eines sunnitischen Nationalismus unter einer arabischen salafistischen Doktrin. Von ihm erhoffen sie sich die Verbindung des reinen Islams mit dem arabischen Nationalismus und die Überwindung der Häresie der Schiiten und des iranischen Expansionswillens. Diese gefährliche Tendenz zeigte : Die moderaten Muslime tun dies vor allem unter dem Druck von radikalen Kräften. Die Scharia-Verbreitung zeigt, dass der moderate Islam verliert und die radikale islamistische Version auf dem Vormarsch ist. FOCUS: Wie kommt es zur Radikalisierung des Einzelnen Ausg. 40 LÄNGE: 252 Wörter HIGHLIGHT: Islam-Experte Solomon sieht den moderaten Islam in der Defensive FOCUS: Warum breitet sich der radikale Islam in Afrika aus? Solomon: Das hat nationale und internationale Gründe. Nationale, weil schwache Staaten unfähig sind sich diese Hoffnung zu erfüllen: In Saudi-Arabien ist seine Koranübersetzung wieder erhältlich. In Bosnien wird er als Kopf eines europäischen Islams verehrt. Unter englischsprachigen Muslimen gilt er als Autorität. Und in Deutschland gibt es nun immerhin seine Hauptwerke –
Abb.8: KWIC-Ansicht NP mit Islam im Kern (im CQP-Webinterface)
Die Übersicht zeigt, dass eine Nominalphrase mit Islam im Kern in unterschiedlichen Formen auftritt. Es ist sowohl von dem Islam als auch von einem europäischen Islam die Rede. Auch der definite Artikel + attributiv gebrauchtes Adjektiv + Islam (der radikale Islam) kommt vor. In einem ersten Schritt wird überprüft, welcher Artikel – definit oder indefinit – am häufigsten eine Nominalphrase mit Islam im Kern einleitet. Die gleiche Untersuchung wird schließlich bezogen auf eine Nominalphrase mit Christentum im Kern durchgeführt.
128 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Rang
Lemma
absolute Freq
relative Freq
1
d
1743
0,96086
2
ein
54
0,029768
3
kein
9
0,004961
89
Tab. 28: Artikel vor Islam im Korpus „2009“ Rang
Lemma
absolute Freq
relative Freq
1
d
95
0.959596
2
ein
4
0.040404
Tab. 29: Artikel vor Christentum im Korpus „2009“
Die Wahrscheinlichkeit, dass vor Christentum oder vor Islam ein bestimmter Artikel steht, liegt in beiden Fällen bei ungefähr 96%. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Lexeme also nicht voneinander.90 Die Hypothese, dass der Islam in verschiedene Teilformen gespalten und als heterogener als das Christentum wahrgenommen wird, ist damit jedoch nicht widerlegt, schließlich hängt die Repräsentation einer Teilform des Islam nicht allein an dem unbestimmten Artikel. Eine islamische Teilform könnte auch mit einem bestimmten Artikel plus einem attributiv gebrauchten Adjektiv repräsentiert werden (etwa der friedliche Islam, der politische Islam, der gute Islam), denn eine solche Attribuierung würde gleichzeitig die Existenz des Gegenteils präsupponieren. Stellt man sich eine Äußerung vor wie Der friedliche Islam passt nach Deutschland, so würde diese Äußerung doch präsupponieren, dass der nichtfriedliche Islam eben nicht nach Deutschland passt, beziehungsweise, dass auch ein nichtfriedlicher Islam existiert. Entscheidend ist also nicht der bestimmte beziehungsweise unbestimmte Artikel, sondern vielmehr, ob ein und welches Adjektiv vor Islam, Christentum oder Judentum steht. Betrachtet man nun die verschiedenen
89 Das d steht im Stuttgarter-Tübinger-Tagset für den bestimmten Artikel. 90 Im Stuttgarter-Tübinger-Tagset wird auch die Wortposition „attribuierendes Indefinitpronomen ohne Determiner“ unterschieden und mit dem Tag PIAT versehen. Darunter fallen die indefiniten Artikel kein, keiner usw. Die Tatsache, dass im Korpus vor Christentum nie ein solches attribuierendes Indefinitpronomen ohne Determiner vorkommt, soll aufgrund der Differenz in der Gesamt-Trefferanzahl zwischen Christentum und Islam nicht weiter beachtet werden.
4. Ergebnisse 129
Wortarten, die jeweils vor Islam, Christentum und Judentum stehen, dann fallen deutliche Unterschiede auf: Rang
Wortart
absolute Freq
relative Freq
1
ART
1661
0.562288
2
APPRART
465
0.157414
3
ADJA
371
0.125592
4
APPR
79
0.026743
5
NE
76
0.025728
6
NN
75
0.025389
7
KON
73
0.024712
8
$.
34
0.011510
9
$,
31
0.010494
10
$(
27
0.009140
Tab. 30: Wahrscheinlichkeit Wortart vor Islam im Korpus „2009“
Rang
Wortart
absolute Freq
relative Freq
1
ART
136
0.427673
2
APPRART
49
0.154088
3
$,
32
0.100629
4
KON
31
0.097484
5
APPR
25
0.078616
6
ADJA
14
0.044025
7
$.
8
0.025157
8
$(
6
0.018868
9
ADV
3
0.009434
10
CARD
3
0.009434
Tab. 31: Wahrscheinlichkeit Wortart vor Christentum im Korpus „2009“
130 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Rang
Wortart
absolute Freq
relative Freq
1
ART
57
0.325714
2
APPRART
29
0.165714
3
KON
21
0.120000
4
APPR
18
0.102857
5
$,
17
0.097143
6
$.
9
0.051429
7
ADJA
9
0.051429
8
NN
9
0.051429
9
$(
2
0.011429
10
PPOSAT
2
0.011429
Tab. 32: Wahrscheinlichkeit Wortart vor Judentum im Korpus „2009“
Insgesamt gibt es 2954 Treffer für Islam|Islams, 318 Treffer für Christentum|Christentums und 175 Treffer für Judentum|Judentums. Die Tabellen zeigen, welche Wortarten häufig direkt vor Islam, Christentum und Judentum in den beiden Flexionsformen im Singular vorkommen. Die häufigste Wortart, die direkt vor einem der drei Substantive steht, ist der Artikel (ART). Bei Islam macht das im Korpus „2009“ mehr als 50% aller Fälle aus. An zweiter Stelle folgt bei allen drei Substantiven – aber weitaus seltener – die Präposition mit enthaltenem Artikel (APPRART). Auffällig ist jedoch, dass mit einer relativen Wahrscheinlichkeit von mehr als 12% im Korpus „2009“ vor Islam ein attributiv gebrauchtes Adjektiv (ADJA) steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass vor Christentum ein attributiv gebrauchtes Adjektiv steht, liegt im Korpus 2009 bei unter 5%, dass vor Judentum ein solches steht, bei knapp über 5%. Sowohl vor Judentum als auch vor Christentum befinden sich im untersuchten Korpus häufiger eine nebenordnende Junktion (KON) oder ein Komma ($,). Da das Thema der Texte häufig der Islam ist, kann man vermuten, dass diese Verteilung ihre Ursache darin hat, dass der Islam in einer Aufzählung mit den beiden anderen Religionen häufig zuerst genannt wird. Die Aufzählung Islam, Christentum und Judentum scheint häufiger als die Reihenfolge Christentum, Judentum und Islam. Da Islam in den Korpora insgesamt häufiger vorkommt als die beiden anderen Substantive, ist ebenfalls möglich, dass diese Aufzählungen im Falle von Islam weniger ins Gewicht fallen. Die häufige Verwendung attributiv gebrauchter Adjektive gibt einen Hinwies darauf, dass der Islam in verschiedene Teilformen gespalten wird. Es stellt
4. Ergebnisse 131
sich nun die Frage, welche attributiv gebrauchten Adjektive häufig vor Islam stehen. Zum Vergleich werden erneut auch die gleich gebrauchten Adjektive vor Christentum und Judentum betrachtet: Rang
Lemma
absolute Freq
relative Freq
1
politisch
78
0.210243
2 3
60
0.161725
radikal
36
0.097035
4
schiitisch
32
0.086253
5
deutsch
16
0.043127
6
militant
11
0.029650
7
europäisch
9
0.024259
8
aufgeklärt
8
0.021563
9
türkisch
5
0.013477
10
wahr
5
0.013477
91
Tab. 33: ADJA vor Islam im Korpus „2009“
91 Das bedeutet, dass der Treetagger (Schmid 1994), mit dem das Korpus automatisch annotiert wurde, das Lemma, unter dem das einzelne Adjektiv im Lexikon abgespeichert ist (z.B. politischer – politisch), nicht ausfindig machen konnte. Evangelikales ist beispielsweise ein Adjektiv, das im Korpus vorkommt, vom Treetagger jedoch nicht auf das Lemma evangelikal zurückgeführt wird, weil es im zugrunde liegenden Lexikon nicht vorkommt.
132 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
Rang
Lemma
absolute Freq
relative Freq
1
3
0.214286
2
liberal
2
0.142857
3
westlich
2
0.142857
4
umfassend
1
0.071429
5
aufgeklärt
1
0.071429
6
orthodox
1
0.071429
7
wehrhaft
1
0.071429
8
friedfertig
1
0.071429
9
katholisch
1
0.071429
10
früh
1
0.071429
Tab. 34: ADJA vor Christentum im Korpus „2009“ Rang
Lemma
absolute Freq
relative Freq
1
orthodox
2
0.222222
2
modern
2
0.222222
3
deutsch
2
0.222222
4
ursprünglich
1
0.111111
5
lebendig
1
0.111111
6
traditionell
1
0.111111
Tab. 35: ADJA vor Judentum im Korpus „2009“
Insgesamt kommen im Korpus nur sechs verschiedene attributiv gebrauchte Adjektive vor Judentum, 10 vor Christentum vor. Trotzdem wird deutlich, dass die Adjektive vor Islam einem anderen semantischen Feld zuzuordnen sind als die vor Christentum und Judentum. Politisch, radikal und militant sind Adjektive mit einer negativ-deontischen Bedeutung, haben somit Schlagwortcharakter.92 Das Adjektiv politisch allerdings evoziert nicht für sich genommen eine negativdeontische Bedeutung, sondern erst in Verbindung mit Islam, da in einem westlichen Verständnis Religion und Politik unbedingt voneinander zu trennen
92 Zum Schlagwortbegriff vgl. Kapitel I, 3.2.3.
4. Ergebnisse 133
sind. Die angebliche Eigenschaft des Politisch-Seins des Islam ruft somit eine ablehnende Haltung hervor, denn sollte der Islam eine politische Religion sein, ist er nicht mit den westlichen Werten und dem westlichen Demokratieverständnis zu vereinbaren. Wieder ist also der politische Islam hervorzuheben. Das Lemma politisch erscheint hier mit einer relativen Häufigkeit von 0,210243. Das bedeutet, dass, sofern ein attributiv gebrauchtes Adjektiv vor Islam steht, mehr als jedes fünfte davon politisch ist. Es wird also deutlich, wie stark die Vorstellung eines politischen Islam die öffentliche Diskussion bestimmt. Christentum wird mithilfe attributiv gebrauchter Adjektive hinsichtlich der verschiedenen Konfessionen näher klassifiziert (evangelikal, katholisch, orthodox). Es finden sich in der Tabelle keine negativ-deontischen Wörter. Liberal und friedfertig können als positiv-deontische Adjektive betrachtet werden. Jetzt müsste allerdings auch wieder der Rückschluss gezogen werden, dass etwa das Hervorheben eines liberalen Christentums die Existenz eines nicht-liberalen Christentums ebenfalls präsupponiert. Die Betrachtung der Kotexte der Cluster liberales Christentum und friedfertigen Christentum zeigt jedoch, dass diese Präsuppositionen im Äußerungskontext nicht auftauchen: 49. Den Appell seines Hauptschullehrers „Guckt doch mal Nachrichten“ nahm Ouaqasse sich zu Herzen. Den Bundestagswahlkampf fand er so „spannend“, dass er selbst mitreden wollte. 2005 trat er der Jungen Union bei. „Ein offener Islam und ein liberales Christentum sind sich ähnlich“, erklärt er. „Eine Politik, die auf einem religiösen Fundament aufgebaut ist, finde ich auch als Moslem interessant.“ Er gehe zwar nicht in die Moschee, bete aber täglich. Anfangs sei es seltsam gewesen, als Moslem in einer christlichen Partei. „Aber ich bin sehr locker aufgenommen worden.“ (Bonner Generalanzeiger, 16.03.2009, Ein gläubiger Moslem in der CDU)93 50. Deutschland habe sich lange an der Zukunft vieler Kinder versündigt", weil es sich der Realität der Einwanderung verweigerte", sagte Cohn-Bendit. Nun nehme Laschet die Herausforderung an, räume zugleich auf mit dem Schwarz-Weiß-Bild vom friedfertigen Christentum und dem aggressiven Islam. (WELT am Sonntag, 04.10.2009, Laschet sieht Zuwanderung als Chance)
Im Ausschnitt in 49 wird deutlich, dass das liberale Christentum im Zusammenhang eines offenen Islam erwähnt wird. Damit tritt die Präsupposition eines existenten nicht-liberalen Christentums nicht automatisch auf. Anders ist das, wenn etwa von einem aufgeklärten Islam die Rede ist. In der folgenden Äuße
93 Die absolute Frequenz für liberales Christentum lag bei 2, allerdings kommt die gleiche Textstelle im Korpus zweimal vor. Eine solche Doppelung im Korpus ergibt sich manchmal, da in manchen Zeitungen auf der Titelseite bereits mit einem kurzen Textausschnitt für einen Artikel im Innenteil der Zeitung geworben wird.
134 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse rung wird deutlich, dass die Rede von einem aufgeklärten Islam eben auch die Existenz eines nicht aufgeklärten Islam präsupponiert: 51.
Der Essayist, Lyriker und Hochschullehrer Abdelwahab Meddeb plädiert auch in seinem jüngsten Buch „Pari de civilisation“ (Seuil) erneut für einen modernen, aufgeklärten Islam als Verbindungsglied zwischen dem Osten und dem Westen. (Die WELT, 29.09.2009, Entwicklungshilfe mit dem Mobiltelefon)
Das Plädoyer für einen modernen, aufgeklärten Islam setzt voraus, dass dieser als noch nicht existent angenommen, jedoch als erstrebenswert aufgefasst wird. Vielmehr scheint es bis dato einen unmodernen, nicht aufgeklärten Islam zu geben, was auch im weiteren Verlauf des Artikels hervorgehoben wird: 52.
Denn uns, die wir den Islam modernisieren wollen, stehen jene gegenüber, die die Moderne islamisieren wollen.
Während die Existenzpräsupposition des Gegenteils hier also auftritt, wird die Präsupposition eines nicht-liberalen Christentums im Beispiel 49 nicht ausgelöst. Auch in 50 kann nicht angenommen werden, dass es ein nicht-friedfertiges Christentum gibt, weil hier auch die Existenz eines friedfertigen Christentums nicht wirklich angenommen wird, was erneut durch den Kontext deutlich gemacht werden kann (Mit dem Schwarz-Weiß-Bild wird aufgeräumt). Auch die attributiv gebrauchten Adjektive vor Judentum unterscheiden sich maßgeblich von den Adjektiven vor Islam. Alle Adjektive, die das Judentum attribuieren, sind wertneutral (ursprüngliche, traditionellen) oder positivdeontisch (modernen, lebendigen). 94
94 Wobei auch hier wieder die Präsupposition der Existenz eines nicht modernen und nicht lebendigen Judentums nicht auftaucht: Nun gut, er verspottet durchgeknallte Christen, Juden und Muslime, dazu noch Mormonen, Scientologen, einen Mann, der sich für die Reinkarnation Jesu Christi hält, und den selbst ernannten Führer einer internationalen Cannabis-Religion. Gegen die geistig wendigen und theologisch versierten Vertreter der etablierten Kirchen, des modernen Judentums und des aufgeklärten Islam aber tritt Komiker Bill Maher, der als Cicerone durch die wunderbare Welt des Glaubens auftritt, gar nicht erst an. (WELT am Sonntag, 29.03.2009, Wie lächerlich ist Religion) Die „Kleine jüdische Geschichte“ ist die Geschichte des lebendigen Judentums, nicht nur deshalb widmet Brenner das längste Kapitel der Zeit nach der Shoah. (WELT, 30.05.2009, Die jüdische Geschichte, gut erzählt)
4. Ergebnisse 135
Zusammengefasst: Die Kollokationsanalysen waren besonders hilfreich für die Beschreibung des Konzepts Islam. So haben etwa die Analysen der Dreiwortcluster mit Islam in rechter Position ergeben, dass Islam häufig als Kern einer Präpositionalphrase auftaucht, die wiederum in eine Nominalphrase eingebettet ist. Es konnte so aufgezeigt werden, dass im Diskurs häufig die Auseinandersetzung mit dem Islam thematisiert wird, was wiederum deutlich macht, dass eine solche Auseinandersetzung nicht selbstverständlich erscheint, der Islam also als etwas Andersartiges wahrgenommen wird. Bei der Betrachtung der Dreiwortcluster mit Islam in der linken Position fiel unter anderem die Kollokation Islam in Deutschland auf. Bei der Konzeptionalisierung von Islam unterscheiden Diskursteilnehmer den Islam in Deutschland von dem Islam in anderen Teilen der Welt. Dies bestätigen die im anschließenden Kapitel dargestellten Analysen des Kölner Moscheebaudiskurses. Auch die Kollokation Islam als Religion gab Aufschluss über die öffentliche Wahrnehmung des Islam, der eben nicht nur als Religion, sondern auch als eine politische Institution aufgefasst wird. Die Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen wurde in der abschließenden Analyse der attributiv gebrauchten Adjektive vor Islam bestätigt. Diskursteilnehmer sprechen von dem politischen, dem radikalen, dem aufgeklärten, dem militanten Islam und präsupponieren dabei häufig jeweils die Existenz des gegenteiligen Islam. So präsupponiert die Rede von einem radikalen Islam häufig die Existenz eines nichtradikalen Islam, die Rede von einem aufgeklärten Islam wiederum die Existenz eines nichtaufgeklärten Islam.
136 II. Das Konzept Islam – eine korpuslinguistische Analyse
5. Resümee Die Untersuchung am Beispiel eines Korpus zum Islamdiskurs hat die Vorzüge einer korpuslinguistischen Analyse zum Zweck der Bedeutungsanalyse deutlich gemacht. Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass das Lexem Islam negative Bedeutung evoziert. Ein besonderer Vorteil liegt im corpus-driven Zugang. Dabei gerieten Musterhaftigkeiten in den Blick, wie etwa die Wendung in der islamischen Welt. Solche Musterhaftigkeiten wären dem Betrachter ohne die durch die Korpuslinguistik mögliche Objektivierung der Daten entgangen. Die Beobachtung der inflationären Verwendung des Ausdrucks islamische Welt gibt wertvolle Hinweise darauf, wie die derzeitige politische Weltlage von den Diskursteilnehmern wahrgenommen wird, und gibt Aufschluss über das Konzept Islam. Mittels des Ausdrucks islamische Welt wird ein in sich geschlossener Raum konstituiert, dem ein weiterer Raum, die westliche Welt, gegenübergestellt wird. Die Zugehörigkeit zur einen Welt schließt dabei die Zugehörigkeit zur anderen Welt aus. Die Kollokationsanalysen haben die Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen gezeigt, wobei auch dabei vor allem negative Bedeutungsaspekte evoziert werden: Radikaler, militanter und politischer Islam fungieren allesamt als Schlagwörter durch ihre negativ-deontische Bedeutung. Vor allem der politische Islam ist für die Diskursteilnehmer von besonderer Bedeutung. Dass diese Islamform hervorgehoben wird, ist auffällig und evoziert negative Bedeutungsaspekte durch die Annahme der Unvereinbarkeit von Religion und Politik im westlichen Werteverständnis. Der diachrone Vergleich der Konzepte Islam hat weniger Unterschiede ergeben als erwartet. Der politische, radikale, militante Islam wurde bereits vor den Anschlägen thematisiert. Der deutsche Islam allerdings gerät erst im gegenwartsnahen Korpus verstärkt in den Fokus öffentlicher Debatten. Die Methodik der Korpuslinguistik zeigt auf, dass Wörter keineswegs beliebig kookkurrieren, sondern dass es relativ feste statistische Verhältnisse für das Miteinandervorkommen von Wörtern gibt. Wenn wir diese lexikalischen Muster erkennen, löst sich die Polysemie, die Ambiguität auf, die ein Resultat traditioneller Betrachtungsweise ist. Wie ein Blick in herkömmliche Wörterbücher zeigt, haben vor allem häufigere Wörter eine Vielzahl von 'Bedeutungen'. Indessen ist dieser Befund kontrainduktiv, denn beim Lesen eines Textes sind wir uns dieser Polysemie in den seltensten Fällen bewusst. Der Kontext legt fest, welche Lesart eines Wortes zu wählen ist. In Verbindung mit seinen Kollokaten löst sich die Mehrdeutigkeit eines Einzelworts auf. Wort und Kollokat bilden eine monoseme Bedeutungseinheit, eine Kollokation. (Teubert 2006a)
5. Resümee 137
Wie die anschließende Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses zeigen wird, kann bei Islam ebenfalls eine Ambiguität angenommen werden, die allerdings derzeit nicht in Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache aufgeführt ist. Denn der Großteil der Kontextualisierungen lässt darauf schließen, dass Islam nicht nur – wie etwa im DUDEN vorgeschlagen – „auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion“95 bedeutet, sondern vielmehr in Analogie zu Judentum und Christentum Gesamtheit aller Muslime. Dass der Islam nicht nur eine Religion bezeichnet, wurde ebenfalls bei der korpuslinguistischen Analyse deutlich: Eine der vorkommenden Kollokationen war nämlich Islam als Religion. Indem sie den Islam als Religion hervorheben, machen die Diskursteilnehmer deutlich, dass der Islam eben nicht nur als Religion verstanden wird, sondern – wie die Betrachtung der Kotexte zeigen konnte – auch als eine politische Vereinigung. In diesem Fall verhält es sich anders, als oben von Teubert (2006a) beschrieben: Die korpuslinguistische Analyse hat nicht die im Wörterbuch angegebene Ambiguität aufgelöst, sondern hat eine Mehrdeutigkeit des Lexems Islam erst verdeutlicht, die bisher in Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache noch nicht aufgeführt ist. Die Korpuslinguistik macht keine Annahmen über das, was sich in den Köpfen von Sprechern und Hörern abspielt. Die Bedeutung einer Äußerung ist, in diesem Paradigma, das, was im Kollektiv ausgehandelt wird. Wie eine Äußerung individuell gemeint ist und wie sie individuell verstanden wird, geht die Sprachwissenschaft im Prinzip nichts an. Es handelt sich dabei um Ich-Erlebnisse, auf die es keinen Zugriff gibt. (Teubert 2006a, 296)
Wenn auch das „Ich-Erlebnis“ laut Teubert (2006a) den Sprachwissenschaftler nichts angeht, ist doch das Ausdifferenzieren verschiedener Diskursakteure, das Herausstellen eventuell konkurrierender Konzepte auch für den Linguisten von Bedeutung. Eine solche Nuancierung ist allerdings mittels korpuslinguistischer Analysen nicht möglich. Mithilfe der Korpuslinguistik können dominierende Bedeutungsaspekte herausgearbeitet werden (der politische Islam), ein Konzept Islam konnte skizziert werden. Eine Analyse wie die hier durchgeführte ist jedoch unbedingt durch rein qualitative Analysen zu ergänzen.
95 http://www.duden.de/rechtschreibung/Islam; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Insgesamt machen derzeitige Konflikte um die Ansiedlung von Moscheebauten in München, Köln sowie weiteren Großstädten im In- und Ausland eines deutlich: In Europa haben es Moscheen ausgesprochen schwer, von der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung auch nur ansatzweise als Teil ihrer städtischen Umwelt akzeptiert, geschweige denn als kulturelle Innovation betrachtet zu werden. (Lauterbach/Lottermoser 2009, 9)
Die Diskussionen um den Bau von Moscheen können als Teildiskurse des Islamdiskurses gewertet werden, gehen doch die jeweiligen Debatten einher mit der Diskussion um die Situation und Position des Islam in Deutschland im Allgemeinen. „In Köln gingen in den letzten Jahren die Wogen hoch, als eine neue Moschee mit Minarett gebaut werden sollte“ (Lienemann 2009, 9); und auch diese Diskussion macht deutlich, dass die Grenzen zwischen einer Debatte um den Bau eines muslimischen Gotteshauses und um die Frage, ob der Islam nach Deutschland passt oder gar gehört, fließend sind. Diese Konflikte markieren deutliche Veränderungen im Verhältnis zwischen der deutschen Gesellschaft, der muslimischen Welt innerhalb und außerhalb Deutschlands und den christlichen Konfessionen. (Sommerfeld 2008a, 11)
Eine Diskussion um den Bau der Kölner Großmoschee ist eine Diskussion, die den Islam vor der eigenen Haustür thematisiert, und erhält bereits über diese Tatsache ihre spezielle Brisanz. Diskursiv wird ausgehandelt, was der Islam eigentlich ist, welche Bedeutung er für den nicht-muslimischen Menschen hat und wie ein ‚deutscher‘ Islam aussehen müsste, damit er von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert wird. Im vorliegenden Kapitel wird/werden das Konzept Islam beziehungsweise verschiedene Islamkonzepte, die der öffentlichen Diskussion um den Moscheebau zugrunde liegen und gleichzeitig in ihr überhaupt erst entstehen, herausgearbeitet. Es handelt sich dabei – im Vergleich zum vorangegangenen, korpuslinguistischen Kapitel – um eine rein qualitative Analyse.
1. Zum Gegenstand 139
1. Zum Gegenstand Im untersuchten Kölner Moscheebaudiskurs geht es um den Bau einer Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, deren Grundstein am 09. November 2009 gelegt wurde. Da ca. 100.000 Muslime in Köln leben, beauftragte der Kölner Stadtrat die Stadtverwaltung im Juli 2001, innerhalb von sechs Monaten geeignete Grundstücke zu benennen, die Platz für eine repräsentative Moschee bieten. 96 Die in viele Organisationen aufgeteilten islamischen Verbände wurden sich über das Bauvorhaben zunächst nicht einig. Im Herbst 2002 jedoch gründete sich ein neuer Trägerverein namens Zentralmoschee, der viele verschiedene religiöse Vereine und Nationalitäten repräsentieren sollte. Doch Versuche, sich über den Bau zu einigen, scheiterten, und schließlich stieg die DITIB mit der Begründung aus, dass man nicht mit extremistischen Vereinen zusammen arbeiten wolle.97 DITIB ist die Abkürzung der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Diyanet İşleri Türk İslam Birliği). Nach eigenen Angaben vertritt die Union 880 Moscheegemeinden. Ihre Zentrale befindet sich in Köln-Ehrenfeld. Dort fördert der Verband die Integration muslimischer Mitbürger mit Maßnahmen wie etwa Deutschkursen, Alphabetisierungskursen, Berufsberatungen und Familientherapien. Der Verband wird von der türkischen Religionsbehörde Diyanet mitfinanziert, die Imame werden in der Türkei ausgebildet. Da sich die DITIB am türkischen Staatsislam orientiert, der beispielsweise die Scharia ablehnt, gilt sie als gemäßigt.98 Mit dem Ausstieg der DITIB verlor das Projekt des Trägervereins Zentralmoschee einen einflussreichen Partner, der sich nun entschied, das Bauvorhaben alleine zu realisieren. Entstehen sollte die Moschee auf dem Grundstück der Deutschlandzentrale der DITIB. Dafür musste die bestehende Moschee abgerissen werden. Für die Bauplanung schrieb der Verein einen Architekturwettbewerb aus. Der Gewinner wurde im März 2006 gekürt: Als Kuppelbau mit zwei Minaretten planten die Architekten Gottfried und Paul Böhm seitdem das Gebäude, das „im Übrigen nicht nur ein Gotteshaus, sondern ein Zentrum für Er-
96 Vgl. http://www.moschee-ehrenfeld.info/moschee_ist_keine_zentralmoschee.html; zuletzt abgerufen am 12.02.2011.
97 Vgl. http://www.ksta.de/html/artikel/1144673518292.shtml; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 98 Vgl. http://www.welt.de/nrw/article1134335/Wer_und_was_ist_die_Ditib.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
140 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs ziehung, Bildung und Betreuung der Muslime in Köln“99 darstellen soll. Seit Beginn der Planung wurde das Baukonzept immer wieder überarbeitet. Trotz der Tatsache, dass viele Bürger des Stadtteils Ehrenfeld sich an den hohen Minaretten störten, wurde jedoch an deren Größe festgehalten. Die Moschee sollte etwa 1200 Personen Raum zum Beten bieten. Die Planung der Moschee sorgte von Anfang an für heftige Kontroversen. Durch strittige Aussagen des Schriftstellers Ralph Giordano wurde der Kölner Moscheebaudiskurs national bekannt. In einem Streitgespräch mit dem DITIB-Beauftragten für den interreligiösen Dialog, Bekir Alboga, hatte er massiv Kritik an der geplanten Zentralmoschee geäußert. Sie sei „kein Ausdruck muslimischen Integrationswillens, sondern ein Zentrum integrationsfeindlicher Identitätsbewahrung und Symbol eines Angriffs auf unsere demokratische Lebensform“, so Ralph Giordano damals.100
Durch Aussagen wie „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“101 stieß Giordano vielfach auf Empörung und entfachte eine deutschlandweite Diskussion über den Kölner Moscheebau, die sich bis zu einer allgemeinen Diskussion über Integration ausdehnte. Auch die rechtsextreme Bürgerbewegung ProKöln102 sprach sich öffentlich gegen den Bau einer Zentralmoschee aus. Im Juli 2007 kam es zu einem weiteren Skandal im Moscheebaudiskurs, als der Journalist Günter Wallraff vorschlug, in der neuen Moschee aus Salman Rushdies Die Satanischen Verse zu lesen.103 Wallraff sollte als Unterstützer des Moscheebaus von der DITIB angeworben werden, knüpfte diese Unterstützung jedoch an die Bedingung der Lesung. Die Forderung wurde von der DITIB abgelehnt, trotzdem beharrte Wallraff noch im März 2008 auf diese Lesung.104 Ein öffentliches Wortgefecht zwischen Ablehnern und Befürwortern bestimmte den öffentlichen Diskurs, über den vor allen Dingen die Kölner Regionalzeitungen, wie etwa der Kölner Stadtanzeiger, regelmäßig berichteten. Trotz heftiger Gegenstimmen aus der Bevölkerung hielt der damalige Kölner Ober
99 http://www.welt.de/print-welt/article202462/Boehm-und-Boehm-bauen-Moschee-inKoeln.html; zuletzt abgerufen am 12.07.2010. 100 http://www.daserste.de/ttt/beitrag_dyn~uid,7q5hkztgr3k7rlw0~cm.asp; zuletzt abgerufen am 12.07.2010. 101 Vgl. u.a. FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“. 102 Vgl. Killguss et. al (2008), 55. 103 Die Satanischen Verse gelten für viel Muslime als Gotteslästerung. Seit Veröffentlichung des Buches lebt Salman Rushdie unter Polizeischutz an wechselnden, unbekannten Wohnorten. 104 Vgl. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,543576,00.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
1. Zum Gegenstand 141
bürgermeister Fritz Schramma am Bau fest: Mit dem Bau einer Moschee, die mehr als 1000 Gläubigen Raum bieten soll, sehe er einen großen Beitrag der DITIB zur Integration.105 Fragen, wie etwa die, wofür die Moschee mit ihren 55 Meter hohen Minaretten denn nun stehe, dominierten den Moscheebaudiskurs. Ist die Moschee ein islamisches Herrschaftssymbol, das die fortschreitende Islamisierung Europas widerspiegelt, oder hat die DITIB, die einen großen Teil der in Köln lebenden Muslime repräsentiert, ein Anrecht auf eine Moschee dieser Größe? Im Laufe der Diskussion sprachen sich immer weniger Bürger Kölns für den geplanten Bau der Moschee aus. Eine im Juni 2007 veröffentlichte Umfrage des Meinungsinstituts Omniquest zeigte, dass nur noch 35,6% der Kölner dem Bauvorhaben uneingeschränkt zustimmten. 27,1% der Kölner Bürger befürworteten zwar den Bau der Moschee, forderten jedoch, die Größe zu reduzieren.106 Die öffentliche Diskussion über den Moscheebau wurde von Überlegungen über die Rolle des Islam in Deutschland sowie über die Integration der muslimischen Mitbürger begleitet. So entstand eine große Anzahl von Kotextualisierungen107 des Lexems Islam, die im Rahmen dieser Arbeit zur Beschreibung des durch die Öffentlichkeit entstehenden Konzepts Islam untersucht werden. Der öffentliche Diskurs zum Thema beginnt etwa im Frühling 2006 mit Bekanntwerden des Bauvorhabens und findet im Frühling und Sommer 2007 durch die strittigen Aussagen Ralph Giordanos und Günter Wallraffs seinen Höhepunkt. Ralph Giordano und Günter Wallraff gehören damit zu den Hauptakteuren des Islamdiskurses. Im Folgenden sollen kurz weitere wichtige Akteure im Diskurs aufgelistet werden. Die Wichtigkeit der Akteure bemisst sich hier an der Häufigkeit der zitierten beziehungsweise der durch indirekte Rede wiedergegebenen Aussagen. Welche Akteure melden sich also besonders häufig zu Wort und dominieren somit den Diskurs, so wie er sich in den untersuchten Zeitungen spiegelt? Zu nennen ist da zunächst die CDU, aus der der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma hervorging, der zugleich einen wichtigen Einzelakteur im Diskurs darstellt. Die anderen großen Parteien, SPD, Grüne,
105 Vgl. http://www.ksta.de/html/artikel/1186044298819.shtml; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 106 http://www.ksta.de/ks/images/mdsLink/umfrage_moschee.pdf; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 107 Unter einer Kotextualisierung verstehe ich wie bereits erwähnt die Einbettung eines Lexems in einen Kotext, d.h. in eine sprachliche Umgebung. Der hier verwendete Terminus entspricht dem Begriff der Kontextualisierung in Kalwa (2010). Inzwischen halte ich die Bezeichnung Kotextualisierung jedoch für präziser.
142 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs und FDP sowie die rechtsextreme Bürgerbewegung Pro-Köln108 sind ebenfalls wichtige Diskursakteure. Zu den weiteren Verbänden, die zugleich als Diskursakteure aufzufassen sind, zählen die DITIB, der Zentralrat der Muslime, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sowie die katholische Kirche. Es gibt zudem neben Ralph Giordano und Günter Wallraff eine ganze Reihe an Einzelakteuren, die die Diskussion um den Bau der Moschee in Köln-Ehrenfeld dominieren. Necla Kelek, eine Publizistin und Kritikerin des Islam, sprach sich wie Giordano mehrfach öffentlich gegen den Bau der Moschee aus. Als Beauftragter der DITIB meldet sich zudem Bekir Alboga mehrfach öffentlich zu Wort. Er befürwortet den Bau der Moschee ebenso wie der ehemalige Integrationsminister Nordrhein-Westfalens Armin Laschet, der Architekt Paul Böhm, die SPD-Abgeordnete Lale Akgün und der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Ayyub Axel Köhler. Als Gegner des Baus machte zudem Kardinal Meisner öffentlich auf sich aufmerksam.
2. Vorgehen Mithilfe einer Frame- sowie einer Topos- und einer Schlagwortanalyse wurde das Konzept Islam, das sich im Kölner Moscheebaudiskurs manifestiert, herausgearbeitet. Wie bereits in Kapitel I, 3.2 dargelegt, wurden dabei die verschiedenen Methoden miteinander verbunden, um eine umfassende Beschreibung des Konzepts zu leisten.109 Die Annahme, dass Konzepte nicht an einen festen Ausdruck gebunden sind, erschwert die Frame-Analyse in hohem Maße, schließlich müssten somit anders als bei Ziem (2008) und Fraas (1996) im Prinzip nicht nur die Kotextualisierungen eines einzelnen Ausdrucks betrachtet werden, sondern die Kotextualisierungen sämtlicher Ausdrücke, die das Konzept Islam evozieren. Dass eine solche Analyse praktisch nicht umsetzbar ist, liegt auf der Hand, schließlich könnten bereits arabisch klingende Namen in Kombination mit anderen Ausdrücken das Konzept Islam aufrufen. Eine linguistische Analyse kann in einem Korpus von einer Größe wie der hier gegebenen nicht sämtliche Ausdrücke beziehungsweise Kombinationen von Ausdrücken erfassen, die das Konzept Islam evozieren. Somit werden im Folgenden zunächst die Kotextualisierungen von Islam – als freies und gebundenes lexikalisches Morphem – betrachtet, da zunächst der Ausdruck selbst das Konzept aufruft. Gleichzeitig werden jedoch
108 Vgl. zur Charakterisierung der Partei Pro Köln als Bürgerbewegung Killguss et. al. (2008). 109 In diesem Kapitel werden auch die einzelnen Methoden ausführlich beschrieben.
2. Vorgehen 143
die Kotextualisierungen der Morpheme moslem und muslim betrachtet, weil sie ebenfalls in jedem Fall das Konzept Islam mit aufrufen. Auf welch vielfache Art und Weise ein bestimmtes Konzept Islam konstituiert werden kann, wird im anschließenden Kapitel IV bei der Analyse des Kapitels aus Deutschland schafft sich ab besonders deutlich. Ich gehe also davon aus, dass zu einer umfassenden Frame-Analyse auch die Prädikationen vieler weiterer Ausdrücke in Betracht gezogen werden müssten, dies jedoch forschungspraktisch nicht umsetzbar ist. Wenngleich ich den Ausdruck Konzept gegenüber dem des Frames präferiere, wie in Kapitel I, 1.2 dargestellt, so wäre es dennoch problematisch, nun statt von einer Frame-Analyse von einer Konzept-Analyse zu sprechen, weil sich der Begriff der Frame-Analyse inzwischen etabliert hat. Weil die Frame-Analyse jedoch nur die Umgebungen einzelner Ausdrücke betrachtet, können damit auch nur Frames im Sinne von Ziem (2008) beschrieben werden. Geht man davon aus, dass Konzepte nicht nur an einzelne Ausdrücke gebunden sind, so kann die Untersuchung eines Konzepts wiederum nicht bei der Frame-Analyse aufhören. In der durchgeführten Untersuchung wurden mittels der Frame-Analyse vier verschiedene Islamkonzepte herausgearbeitet. Um die Leerstellen des Konzepts zu füllen, wurden die Kotextualisierungen der freistehenden Lexeme Islam und Muslim/Moslem und der gebundenen lexikalischen Morpheme islam und muslim/moslem betrachtet. Diese können schließlich in Prädikationen umgewandelt werden und füllen dann verschiedene Slots im Frame bzw. Konzept Islam. Konerding (1993) schlägt vor, zur Analyse eines Frames zunächst erst einmal mithilfe einer Hyperonymtypenreduktion seinen Matrixframe zu bestimmen. Hyperonyme treten in den Bedeutungserklärungen typischerweise als Hauptelement von Nominalphrasen auf. Über das Lemma des Hyperonyms wird das nächste Hyperonym identifiziert usw. So entstehen Reduktionsketten, deren Endglieder die Kandidaten für die Substantivtypen bilden. (…)Aus den jeweiligen Endgliedern der Hyperonymtypenreduktionen leitet Konerding durch Übernahme von einzelnen, repräsentativ stehenden Substantiven oder durch zusammenfassende Paraphrasen der jeweiligen Ähnlichkeitsgruppen von Substantiven eine Liste von Substantivtypen ab, die Grundlage für die Bildung sogenannter Matrixframes sind (…). (Fraas 1996, 17)
Eine solche Hyperonymtypenreduktion, die Fraas (1996) am Beispiel von Identität und Deutsche durchführt, Ziem (2008) am Beispiel Heuschrecke veranschaulicht und Klug (2012) unter anderem anhand von Schwein und Hornveilchen
144 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs ausführt, stellt sich am Beispiel von Islam nicht ganz unproblematisch dar.110 Die Online-Ausgabe des DUDEN definiert Islam, wie bereits erwähnt, folgendermaßen: auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion.111 (Hervorhebung hier und im Folgenden von mir)
Das Hyperonym von Islam ist also laut der DUDEN-Definition Religion. Dass diese Definition von der im Diskurs vorkommenden Verwendungsweise abweicht, wird an späterer Stelle noch gezeigt. Zunächst wird also die DUDENDefinition von Religion betrachtet. DUDEN gibt drei unterschiedliche Lesarten von Religion an, wobei die erste am treffendsten erscheint, was auch die angegebenen Beispiele belegen112: Religion: (meist von einer großen Gemeinschaft angenommener) bestimmter, durch Lehre und Satzungen festgelegter Glaube und sein Bekenntnis113
Folgende Beispiele werden angegeben: ‒ ‒ ‒ ‒
die buddhistische, christliche, jüdische, muslimische Religion die alten, heidnischen Religionen eine Religion begründen einer Religion (Glaubensgemeinschaft) angehören114
Somit entsteht ein erstes Problem: Religion ist ein Glaube und sein Bekenntnis. Das heißt, die Reduktionskette muss an dieser Stelle sowohl bei Glaube als auch bei Bekenntnis durchgeführt werden. Glaube wird wie folgt definiert: 1.
gefühlsmäßige, nicht von Beweisen, Fakten o. Ä. bestimmte unbedingte Gewissheit, Überzeugung
110 Ziem (demn.2, 11) berichtet ebenfalls über Probleme bei der Durchführung der Hyperonymentypenreduktion am Beispiel des Wortes Globalisierung. 111 http://www.duden.de/rechtschreibung/Islam; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 112 Die anderen beiden Lesarten sind „gläubig verehrende Anerkennung einer alles Sein bestimmenden göttlichen Macht; religiöse Weltanschauung“ und „Religionslehre als Schulfach, Religionsunterricht.“ http://www.duden.de/rechtschreibung/Religion; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 113 http://www.duden.de/rechtschreibung/Religion; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 114 http://www.duden.de/rechtschreibung/Religion#Bedeutung1; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
2. Vorgehen 145
2.
a. religiöse Überzeugung b. Religion, Bekenntnis115
Es wird an dieser Stelle deutlich, dass sich die Hyperonymtypenreduktion nicht ganz einfach gestaltet. Die unter 2 aufgeführten Angaben Religion und Bekenntnis werde ich an dieser Stelle übergehen, da sich sonst bereits jetzt eine Zirkularität vollzieht, die zu keinem Ergebnis führen kann. Zudem wird die Reduktion ohnehin für Bekenntnis durchgeführt werden. Bevor dies geschieht, wird die Definitionskette für Gewissheit fortgeführt und zugleich für Überzeugung. Gewissheit: sicheres Gefühl, Wissen in Bezug auf etwas (…)116 Überzeugung: 1. 2.
(seltener) das Überzeugen feste, unerschütterliche [durch Nachprüfen eines Sachverhalts, durch Erfahrung gewonnene] Meinung; fester Glaube117
Für Gewissheit werden also wieder zwei Hyperonyme angegeben. Ab Wissen zeigt sich eine Zirkularität, die annehmen lässt, dass das Endglied der Hyperonymenkette erreicht ist. Allerdings ist unter den von Konerding (1993) genannten neun Matrixframes keiner mit dem Namen Wissen oder Gefühl. Konerding hatte zunächst ein zehntes, fakultatives Matrixframe aufgeführt, welches er mit Wissen bezeichnete, fügte seinen Überlegungen aber an, dass sich Wissen als Zustand einer Person reduzieren lasse und verzichtete dann auf einen Fragenkatalog zum Matrixframe Wissen (Vgl. Konerdings 1993, 178).118 Schließlich muss noch das Hyperonym zu Gefühl gefunden werden: 1. 2. 3.
das Fühlen; (durch Nerven vermittelte) Empfindungen das Fühlen; psychische Regung, Empfindung des Menschen, die seine Einstellung und sein Verhältnis zur Umwelt mitbestimmt a. gefühlsmäßiger, nicht näher zu erklärender Eindruck; Ahnung b. Fähigkeit, etwas gefühlsmäßig zu erfassen; Gespür119
115 http://www.duden.de/rechtschreibung/Glaube; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 116 http://www.duden.de/rechtschreibung/Gewissheit; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 117 http://www.duden.de/rechtschreibung/Ueberzeugung; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 118 Die zehn Matrixframes nach Konerding (1993, 177f):.Gegenstand (Konkretum); Organismus; Person/Aktant; Ereignis; Handlung/Interaktion/Kommunikation; Institution/soziale Gruppe; (Teil der) Umgebung (des Menschen). 119 http://www.duden.de/rechtschreibung/Gefuehl; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
146 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Die Hyperonymtypenreduktion scheint an dieser Stelle zu einem Fass ohne Boden zu werden. Deshalb breche ich die Reduktion an dieser Stelle ab und gehe davon aus, dass ich durch Wissen das Endglied der Kette erreicht habe, wenngleich dies selbstverständlich nicht ganz unproblematisch ist. Es muss zudem noch eine weitere Definitionskette erstellt werden, da Religion neben Glaube auch als Bekenntnis definiert wurde. Bekenntnis: 1.
a. das [Sich]bekennen, [Ein]geständnis b. Erinnerungen, Lebensbeichte
2.
das Eintreten für etwas, das Sichbekennen zu etwas
3.
a. formulierter Inhalt des Bekenntnisses, Glaubensformel b. Religionszugehörigkeit, Konfession120
Schaut man sich die Auswahl der angegebenen Hyperonyme an, so scheint man unter Rückbezug auf das Ausgangslexem Islam einige Definitionen ausschließen zu können, wenngleich damit die Gültigkeit des Verfahrens weiter eingeschränkt wird. Trotzdem breche ich auch an dieser Stelle die Analyse ab, weil die Reduktionskette sich an vielen Stellen in Zirkularitäten verliert. Es wird also eine einfache Reduktionskette gewählt: Islam > Religion > Glaube > Wissen > Zustand, obwohl die lexikographischen Definitionen auch einen anderen Verlauf der Definitionskette zugelassen hätten. Bei abstrakten Nomina, deren Bedeutung ja häufig diskursiv ausgehandelt und deshalb für diskurslinguistische Analysen besonders interessant erscheinen, erweist sich die Hyperonymentypenreduktion als schwierig. Auch Fraas (1996, 32) gibt an, dass Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern eine problematische Quelle darstellen – unter dem Aspekt der diachronischen Betrachtung, weil sie lexikographische Aussagen über lexikalische Einheiten, die an sich dynamische Entitäten sind, konservieren, und unter synchronischen Gesichtspunkten, weil sie nur einen Teil des Wissens angeben können, das in einer Sprachgemeinschaft mit einer lexikalischen Einheit verbunden wird.
Fraas (1996) gibt die vorgenommene Reduktionskette für Identität nicht preis und ordnet dieses dem Matrixframe Zustand unter (vgl. Fraas 1996, 32), auch wenn im Wörterbucheintrag gleich mehrere Lesarten von Identität angegeben und somit auch verschiedene Hyperonyme (Feststellung, Selbstverständnis, Übereinstimmung) zur Auswahl gestellt werden. Wenn sich über die Grenzen der Hyperonymtypenreduktion und auch über die Plausibilität der Reduktion von
120 http://www.duden.de/rechtschreibung/Bekenntnis; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
2. Vorgehen 147
Wissen als Zustand einer Person diskutieren lässt, soll im folgenden Islam dem Matrixframe Zustand untergeordnet werden, da es heuristisch sinnvoll erscheint mit den von Konerding vorgestellten Matrixframes und den von ihm bereitgestellten Fragen zu arbeiten. Auch für den Matrix-Frame Zustand stellt Konerding (1993, 349) eine Liste von Fragen bereit. Im Folgenden wird allerdings nur der gekürzte Matrixframe Zustand (ebd. 445ff) dargestellt. Wie Ziem (2008, 321ff) es am Beispiel des Matrixframes Organismus aufzeigt, führe ich nur die von Konerding genannten Prädikatorenklassen, nicht aber die im Einzelnen genannten Fragen im Matrixframe Zustand auf: 1. ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒
2. ‒ ‒ ‒
Manifestation, Äußerungsform der Eigenschaft, des Zustands sowie Konstitutionseigenschaften und –relationen Prädikatoren zur Charakterisierung von Entitäten (Gegenständen, Organismen, Personen Ereignissen, Handlungen, Institutionen/sozialen Gruppen, Umgebungsbestandteilen, Wissensbereichen, Teilen und Gesamtheit von diesen oder anderen Eigenschaften), bei denen der Zustand/die Eigenschaft auftrittPrädikatoren zur Charakterisierung der Existenzphase der Entität, in denen der Zustand/die Eigenschaft auftritt Prädikatoren zur Charakterisierung der wahrnehmbaren oder sonstigen besonderen Eigenschaften des Zustands/der Eigenschaft Prädikatoren zur Charakterisierung der Maße/Außmaße des Zustands/der Eigenschaft Prädikatoren zur Charakterisierung von natürlichen Ereignissen, in denen der Zustand/die Eigenschaft eine Rolle spielt Prädikatoren zur Charakterisierung von Rollen/Funktionen, die der Zustand/die Eigenschaft in diesen Ereignissen spielt Prädikatoren zur Charakterisierung der Rolle der Teileigenschaften/Beschaffenheit des Zustands/der Eigenschaft für das Erscheinungsbild des Zustands/der Eigenschaft Prädikatoren zur Charakterisierung der Entstehungsumstände des Zustands/ der Eigenschaft Prädikatoren zur Charakterisierung der Rollen/Funktionen des Zustands/der Eigenschaft und der jeweiligen Folgen für die Ereignisse, in denen er/sie fungiert Prädikatoren zur Charakterisierung der Zustände/der Eigenschaften, mit denen der Zustand/die Eigenschaft gemeinsam auftritt Bedeutung der Eigenschaft/des Zustands bei den betreffenden Entitäten für den Menschen Weitere Namen für den Zustand/die Eigenschaft Prädikatoren zur Charakterisierung von Handlungen des Menschen, in denen der Zustand/die Eigenschaft eine Rolle spielt Prädikatoren zur Charakterisierung der Rollen/Funktionen, die der Zustand/die Eigenschaft in Handlungen des Menschen spielt
148 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs ‒ ‒
‒ ‒
Prädikatoren zur Charakterisierung der Bedeutung des Zustands/der Eigenschaft für den Menschen Prädikatoren zur Charakterisierung von ähnlichen Zuständen/Eigenschaften, den Unterschieden zu diesen Zuständen/Eigenschaften und für allgemeine Kategorien, in die der Zustand/die Eigenschaft fällt Prädikatoren zur Charakterisierung von Theorien, in denen der Zustand/die Eigenschaft eine Rolle spielt Prädikatoren zur Charakterisierung von Informationen, die über den Zustand/die Eigenschaft vermittelt sind
Diese Prädikatorenklassen fasse ich nun in einem weiteren Schritt noch weiter zusammen und leite daraus wiederum Fragen ab, deren Antworten als Fillers im Konzept Islam dienen. Während sich die Fragen in 1, wie im Matrixframe vorgegeben, auf die Äußerungsform und die Eigenschaften von Islam beziehen, zielen die Fragen in 2 auf die Bedeutung für den Menschen ab. Diese Bedeutung für den Menschen wird hier in dieser konkreten Analyse als Bedeutung sowohl für den muslimischen als auch für den nicht-muslimischen Menschen aufgefasst. 1.
Äußerungsform und Eigenschaften des Islam a)
Welche Personen, Institutionen/sozialen Gruppen sind Anhänger des Islam? b) Wie und auf welche Weise tritt der Islam in Erscheinung, wie ist er ausgeprägt? c) Wie ist das Erscheinungsbild des Islam durch seine Teileigenschaften/Beschaffenheit bestimmt? d) Bei welchen Ereignissen spielt der Islam eine Rolle und welche Funktionen hat er dabei? e) Welchen anderen Zuständen/Eigenschaften ist der Islam ähnlich und wie unterscheidet er sich von diesen? 2.
Bedeutung des Islam für den Menschen a) b)
Unter welchen Namen ist der Islam noch bekannt? Wie handeln Menschen, für die der Islam eine besondere Rolle spielt? c) Welche Funktion hat der Islam bei diesen Handlungen? d) Welche Bedeutung (welchen Stellenwert) hat der Islam für den Menschen (das menschliche Leben und Handeln)? e) In welchen Theorien spielt der Islam eine besondere Rolle?
2. Vorgehen 149
f)
In welcher Weise werden die Informationen über den Islam vermittelt?
Sowohl der DUDEN (beispielsweise 2010 oder Online-Ausgabe) als auch Wahrig (2006) definieren Islam als „auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion“. Auch das online zugängliche digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) gibt eine ähnliche Definition: Islam als „von Mohammed Anfang des 7. Jahrhunderts begründete Religion.“121 Das Lexem Islam wird jedoch im untersuchten Diskurssegment noch in einer anderen Lesart verstanden als die in den Wörterbüchern angegebene. Dies zeigt sich beispielsweise in folgenden Äußerungen: 1.
2.
3.
4.
Der Islam begreift sich nicht nur als spirituelle Weltansicht, sondern als Weltanschauung, die das alltägliche Leben, die Politik und den Glauben als eine untrennbare Einheit sieht. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) Das Welt- und Menschenbild des Islam – auch wenn es einzelne anders und demokratisch verstehen – hängt eng mit Integrationsversäumnissen zusammen. (SPIEGEL Online, 12.07.2007, „Wir haben wahrlich nichts zu feiern“) Der Islam hat es 1400 Jahre lang versäumt, kritische Fragen zu stellen und sich von der Politik zu lösen. (SPIEGEL Online, 12.07.2007, „Wir haben wahrlich nichts zu feiern“) Wirkliche Religionsfreiheit könne nur wechselseitig praktiziert werden. Zuvor war die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dem Vorwurf muslimischer Verbände entgegengetreten, sie beabsichtige beim Dialog mit dem Islam eine christliche Mission. (SPIEGEL Online, 10.06.2007, Kirchentagspräsident fordert Verhandlungen mit Terroristen und Taliban)
Wie kann der Islam nach seiner DUDEN-Definition als eine Religion, deren Definition wiederum ist, ein bestimmter, durch Lehre und Satzungen festgelegter Glaube und sein Bekenntnis zu sein, sich als etwas begreifen? Wie kann eine Religion ein Menschenbild haben oder etwas versäumen? Und wie kann man mit einer Religion in einen Dialog treten? Die Äußerungen 1 bis 4 lassen vermuten, dass Islam nicht nur – wie etwa im DUDEN vorgeschlagen – „auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion“ bedeutet. Islam kann vielmehr – in Analogie zu Judentum, das im DUDEN (2010, 859) neben „Gesamtheit der für den Juden typischen Lebensäußerungen, der durch Religion, Kultur, Geschichte geprägten jüdischen Eigenschaften, Eigenheiten (…)“ auch als „Gesamtheit der Juden in ihrer religi
121 http://www.dwds.de/?kompakt=1&sh=1&qu=islam; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
150 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs ons- und volksmäßigen Zugehörigkeit“ definiert wird, – auch im Sinne von Gesamtheit aller Muslime verstanden werden. Lägen uns Äußerungen vor wie das Judentum begreift sich, bemüht sich oder macht Unterschiede glaubhaft, so gäbe es keinen Zweifel, dass das Judentum hier nun in der vom DUDEN angegebenen zweiten Lesart verstanden werden muss: die Gesamtheit der Juden begreift sich, bemüht sich oder macht Unterschiede glaubhaft. Genauso sinnvoll ist es, in oben stehenden Kotextualisierungen Islam auch als Gesamtheit der Muslime zu verstehen. Wie bereits erwähnt, sind die beiden Lesarten schließlich nicht vollständig getrennt voneinander zu betrachten. Eine Religion kann nie in Unabhängigkeit vom Menschen existieren. Es stellt sich somit die Frage, ob die Diskursteilnehmer immer der Religion, so wie sie im Koran niedergeschrieben ist, bestimmte Eigenschaften zuschreiben oder ob sie den Muslimen diese unterstellen. So charakterisiert Ralph Giordano etwa (wie bei der für das Konzept A durchgeführten Frame-Analyse noch weiter deutlich wird) die Muslime als eine heterogene Masse, differenziert jedoch nicht, wenn er dem Islam bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Der Islam hingegen stellt für ihn in seiner Gesamtheit ein Problem dar, und er differenziert nicht wie einige andere Sprecher zwischen verschiedenen Islamformen. Wird der Islam angegriffen, so werden jedoch häufig auch dessen Anhänger angegriffen. 5.
Die Zahl der Sekten und konkurrierender Glaubensrichtungen des Islam ist kaum zu überschauen, doch wird vorgegeben, man trete gemeinsam auf und es wird die taqiyya, die Kunst der Verstellung und des Verschweigens der wahren Haltung gegenüber „Ungläubigen“ praktiziert. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Betrachtet man die oben stehende Äußerung, so kann man Islam natürlich als die auf den Propheten Mohammed zurückgehende Religion verstehen, die sich in verschiedene Sekten und konkurrierende Glaubensrichtungen aufspaltet. In dieser Äußerung tritt eine Deagentivierung auf: Es wird vorgegeben, man trete gemeinsam auf und es wird die taqiyya praktiziert. Die Äußerung erweckt den Eindruck, als wolle die Verfasserin Necla Kelek den direkten Angriff auf die Muslime verhindern, indem sie hier das Lexem Muslim ausspart und stattdessen das Indefinitpronomen man verwendet. Wieder wird verallgemeinernd von dem Islam gesprochen, es wird jedoch deutlich, dass die Muslime gemeint sind. 6.
Gegen das von den Befürwortern des Baus angeführte Recht auf Religionsfreiheit weisen Kritiker wie Giordano vor allem auf die unverändert andauernde Unterdrückung der Frau im Islam hin. (FAZ, 14.06.2007, Wofür steht die Kölner Moschee?)
2. Vorgehen 151
Auch wenn dem Islam vorgeworfen wird, dass nach wie vor die Unterdrückung der Frau vorherrsche, dann ist dies letztendlich doch wieder auf die Muslime zurückzuführen. Versteht man unter Islam eine religiöse Lehre, dann wäre es zwar möglich, an dieser zu kritisieren, dass in ihr die Unterdrückung der Frau festgeschrieben sei, indem man dies beispielsweise durch eine Textstelle belegt. Man könnte dieser Lehre jedoch nicht vorwerfen, dass die Unterdrückung der Frau dort nach wie vor vorherrsche, denn eine Veränderung kann schließlich nicht durch die Lehre selbst, sondern nur durch deren Anhänger geschehen. 7.
Giordano greife mit seinem polemischen Brief nicht nur den Islam, sondern auch das Judentum und das Christentum an. Vor diesem Hintergrund muss nun die Diskussion um die möglichen zukünftigen Ansprüche des Islams auch als politisches System in Deutschland diskutiert werden. (FAZ, 17.08.2007, „Koran unvereinbar mit Grundgesetz“)
Greift Giordano den Islam an, dann greift er den Islam als Institution an und nicht den Islam als Religion, denn diese könnte er zwar kritisieren, jedoch nicht angreifen. Auch wenn es um zukünftige Ansprüche des Islam geht, kann nicht die religiöse Lehre gemeint sein. Eine Lehre kann schließlich keine Ansprüche haben. Zumindest im untersuchten Diskurssegment lässt sich eine Bedeutung von Islam feststellen, die über die im DUDEN (2010) und von Wahrig (2006) angegebenen Bedeutungen hinausgeht. Dass diese Bedeutungserweiterung nicht ausschließlich ein Phänomen des Moscheebaudiskurses ist, hat bereits die korpuslinguistische Analyse in Kapitel 3 deutlich gemacht. Dort stellte der Islam als Religion eine häufige Kollokation dar, die deutlich macht, dass der Islam eben nicht nur als Religion wahrgenommen wird. Zudem zeigte die Analyse das häufige Ko-Vorkommen von Islam und in Dialog treten, was auch in dem hier analysierten Diskurssegment auffiel: 8.
Gute Tradition auf Kirchentagen ist seit eh und je der christlich-jüdische Dialog – an sie wird in Köln mit einer Vielzahl von Veranstaltungen angeknüpft. Neu ist die Einbeziehung islamischer Geistlicher, etwa bei einem Podium „Imame und Rabbiner für den Frieden“, bei dem es um interreligiöses Engagement in Europa geht, Integrationsgipfel, Islam-Konferenz und wohl auch die Auseinandersetzungen um den Bau einer Großmoschee in Köln – all dies hat die Organisatoren dazu bewogen, intensiver als je zuvor auf einem Kirchentag in einen Dialog mit dem Islam einzutreten. (KSTA, 04.06.2007, Chancen ausloten) 9. Zuvor war die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dem Vorwurf muslimischer Verbände entgegengetreten, sie beabsichtige beim Dialog mit dem Islam eine christliche Mission. (SPIEGEL Online, 10.06.2007, Kirchentagspräsident fordert Verhandlungen mit Terroristen und Taliban) 10. Der EKD-Ratsvorsitzende betonte darüber hinaus, dass er im Dialog mit dem Islam auch in Zukunft auf kritische Fragen nicht verzichten werde: „Dialog verdient den
152 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
11.
12.
Namen erst, wenn auch strittige Themen darin Platz haben.“ (KSTA, 10.06.2007, „Keine Kollekte für Moschee“) Aber wenn, dann will ich nicht nur als Galionsfigur und Abnicker sitzen, sondern auch etwas im Dialog mit dem Islam bewegen. (SPIEGEL Online, 11.07.2007, „Dann kann es richtig zur Sache gehen“) „Was mir nicht gefällt, ist die Schärfe der Auseinandersetzung. Die Situation ist so aufgeheizt, dass es guttäte, wenn ein Moderator käme“, erklärte der CDULandtagsabgeordnete Michael-Ezzo Solf als Vorsitzender der fraktionsübergreifenden AG „Islamdialog“ im NRW-Parlament. (WELT, 18.08.2007, Politiker fordern Schlichter im Moscheestreit)
Die Kollokation von Islam und in Dialog treten ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Bedeutung von Islam über „die auf den Propheten Mohammed zurückgehende religiöse Lehre“ hinaus erweitert werden muss. Islam muss zusätzlich auch als Institution beziehungsweise Gesamtheit der Muslime verstanden werden. In folgendem Schaubild wird deutlich gemacht, wie die Bedeutung von Islam, so wie sie im Wörterbuch aufzufinden ist, erweitert werden muss:
2. Vorgehen 153
Islam „auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion“ (DUDEN 2010, 1985)
besteht fort durch
ist begründet auf GESAMTHEIT DER MUSLIME = Islam als soziale Gruppe
formiert sich zu
‚ISLAMISCHE KIRCHE‘ = Islam als Institution
Abb. 9: Erweiterte lexikographische Bedeutung von Islam
Es wird deutlich, dass die verschiedenen Lesarten von Islam nicht nebeneinander anzusiedeln und auch nicht strikt voneinander zu trennen sind. Betrachtet man Äußerungen, in denen das freistehende Lexem Islam kotextualisiert wird, so ist häufig nicht eindeutig feststellbar, ob sich diese Äußerung auf die Gesamtheit der Muslime, auf den Islam als eine Institution oder auf die religiöse Lehre bezieht. Gerade bei den Lesarten Gesamtheit der Muslime und Islamische Kirche wird deutlich, dass der Islam einen Totalitätsbegriff im Sinne von Hermanns (1999) darstellt. Islam in der Lesart Gesamtheit der Muslime konstruiert eine Einheit. Während es die Diskursteilnehmer – wie beispielsweise Ralph
154 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Giordano – häufig vermeiden, den Muslimen in ihrer Gesamtheit bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben und sie damit als eine homogene Masse zu charakterisieren, wird oftmals allein durch die Verwendung des Lexems Islam – das ja auch Gesamtheit der Muslime bedeutet – eine homogene Masse sprachlich konstruiert. Bei Konerding (1993, 425ff) findet sich ebenfalls ein Matrixframe mit der Bezeichnung Institution/soziale Gruppe. Geht man nun davon aus, dass Islam ebenfalls als Gesamtheit aller Muslime beziehungsweise als eine Institution, als eine soziale Gruppe aufzufassen ist, dann ist es sinnvoll, auch diesen zweiten Matrixframe zu betrachten. Sowohl Islam in der Lesart Institution als auch Islam in der Lesart Gesamtheit der Muslime = soziale Gruppe können also auf denselben Matrixframe abstrahiert werden. Im Folgenden werden die Prädikatorenklassen von Konerding für eben diesen Matrixframe übernommen: 1. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ 2. ‒
Konstitutionsrelationen und Eigenschaften Prädikatoren zur Charakterisierung von gesellschaftlichen Prozessen oder Zusammenhängen, in denen die soziale Gruppe/Institution eine wichtige Rolle spielt Prädikatoren zur Charakterisierung der Rollen/Funktionen, die die soziale Gruppe/Institution in diesen gesellschaftlichen Prozessen oder Zusammenhängen spielt Prädikatoren zur Charakterisierung der Bestandteile und Manifestationen der sozialen Gruppe/Institution Prädikatoren zur Charakterisierung der Personen, die an der sozialen Gruppe/Institution interessiert sind Prädikatoren zur Charakterisierung der Art und Weise, auf die Personen in bestimmte Teile der sozialen Gruppe, Klasse, Schicht, Körperschaft, Institution einbezogen sind Prädikatoren zur Charakterisierung der Teile der Gruppe/Institution, in denen Personen auf bestimmte Art und Weise figurieren Prädikatoren zur Charakterisierung der Aktivitäten der Gruppe/Institution, an denen Personen auf eine bestimmte Art und Weise mitwirken Prädikatoren zur Charakterisierung der Rollen und Funktionen, in denen Personen an der sozialen Gruppe/Institution mitwirken Prädikatoren zur Charakterisierung der Vorteile, die die Institution oder die Mitgliedschaft in der sozialen Gruppe für Personen mit sich bringt Prädikatoren zur Charakterisierung der Verbote, die die Institution erlässt oder die Mitgliedschaft in der sozialen Gruppe für Personen mit sich bringt Prädikatoren zur Charakterisierung der sonstigen Eigenschaften der Institution/der sozialen Gruppe Prädikatoren zur Charakterisierung der Ausmaße der Institution/der sozialen Gruppe Existenzphasen und Verbreitung Prädikatoren zur Charakterisierung der Entstehungsumstände der Institution/der sozialen Gruppe
2. Vorgehen 155 ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
3. ‒ ‒ ‒ ‒
‒ ‒
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Prädikatoren zur Charakterisierung der Umstände, die zur Auflösung der Institution/sozialen Gruppe führen Prädikatoren zur Charakterisierung der Möglichkeiten, die Institution/soziale Gruppe zu zerstören Prädikatoren zur Charakterisierung der typischen Existenzphasen der Institution/sozialen Gruppe Prädikatoren zur Charakterisierung der Verbreitung der Institution/sozialen Gruppe Prädikatoren zur Charakterisierung der Bedingungen, unter denen die Institution/soziale Gruppe vorhanden/verfügbar ist Bedeutung der sozialen Gruppe/Institution für den Menschen Weitere Namen für die Institution/soziale Gruppe Prädikatoren zur Charakterisierung der Intentionen, Bedürfnisse, Zwecke, Ziele des Menschen, denen die Institution/soziale Gruppe ihre Existenz verdankt Prädikatoren zur Charakterisierung der Handlungen und Handlungszusammenhänge des Menschen, in denen die Institution/soziale Gruppe eine Rolle spielt Prädikatoren zur Charakterisierung der Rollen und Funktionen, die die Institution/soziale Gruppe in Handlungen und Handlungszusammenhängen des Menschen einnimmt122 Prädikatoren zur Charakterisierung der Ziele, die die Institution/soziale Gruppe in Handlungen und Handlungszusammenhängen des Menschen verfolgt Prädikatoren zur Charakterisierung der Bedingungen, unter denen Ziele, die die Institution/soziale Gruppe in Handlungen und Handlungszusammenhängen des Menschen verfolgt, gutgeheißen werden Prädikatoren zur Charakterisierung der Art und Weise, auf die die Institution/soziale Gruppe arbeitet Prädikatoren zur Charakterisierung der Art und Weise, auf die die Institution/soziale Gruppe wirksam wird Prädikatoren zur Charakterisierung der Bedingungen, unter denen die Institution/soziale Gruppe, jemandes Verhalten sanktioniert, jemanden ausstößt Prädikatoren zur Charakterisierung der Aufgaben und Pflichten, die die Institution/soziale Gruppe wahrnimmt Prädikatoren zur Charakterisierung der Rechte, die die Institution/soziale Gruppe besitzt Prädikatoren zur Charakterisierung der Mittel, die die Institution/soziale Gruppe bei Ausführung ihrer Handlung benutzt Prädikatoren zur Charakterisierung der Bedeutung des Nutzens der Institution/sozialen Gruppe für den Menschen Prädikatoren zur Charakterisierung von ähnlichen sozialen Gruppen/Institutionen, den Unterschieden zu diesen Gruppen/Institutionen und von allgemeinen Kategorien, in die die Gruppe/Institution fällt
122 Auf die Darstellung der Prädikatoren, die sich auf die Institution/soziale Gruppe als abstrakter Aktant beziehen (vgl. Konerding 1993, 431) wurde verzichtet, da sie für die Beschreibung des Konzepts Islam nicht von Relevanz sind.
156 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs ‒ ‒
Prädikatoren zur Charakterisierung von Theorien, in denen die Gruppe/Institution eine Rolle spielt Prädikatoren zur Charakterisierung von Informationen, die über das Erscheinen/Auftreten der sozialen Gruppe/Institution für Dritte vermittelt sind
In einem weiteren Schritt wurden erneut die Prädikatorenklassen zu Fragen gebündelt und gleich direkt auf den Islam (mit der Bedeutung Gesamtheit der Muslime beziehungsweise Institution) bezogen. Dabei wird deutlich, dass es bei der Entwicklung dieser Fragekomplexe zu Überschneidungen mit den aus dem Matrixframe Zustand entwickelten Fragen kommt. Der Analyse kommt dies insofern entgegen, als in den analysierten Texten häufig nicht eindeutig ausfindig zu machen ist, ob im jeweiligen Fall der Islam als religiöse Lehre, als Gesamtheit der Muslime oder als soziale Gruppe aufzufassen ist. Dies wiederum lässt sich damit begründen, dass die verschiedenen Lesarten nicht wie bei einem homonymen Ausdruck nebeneinander anzusiedeln, sondern häufig nicht voneinander abzugrenzen sind, weil beispielsweise eine religiöse Lehre wie der Islam nicht von seinen Anhängern, den Muslimen, zu trennen ist und diese wiederum sich zu einer Gruppe formieren, sich institutionalisieren. Ich halte es dennoch für sinnvoll, zunächst von den unterschiedlichen Matrixframes auszugehen, da sich das Lexem eben nicht nur eindeutig einem Matrixframe zuordnen lässt. Außerdem bietet diese Mehrfachperspektivierung die Chance, nicht ausschließlich die Kotextualisierungen des Lexems Islam in den Blick zu nehmen, sondern eben auch weitere Lexeme wie etwa Muslime/Mosleme. Bei der späteren Analyse können schließlich die beiden Fragekomplexe an der einen oder anderen Stelle zusammengefasst werden, nämlich immer dann, wenn es zu Überschneidungen kommt oder diese Mehrfachperspektivierung nicht als sinnvoll erscheint. Die Fragen unter 1 beziehen sich auf die Prädikatorenklassen zu Konstitutionsrelationen und Eigenschaften, unter 2 auf die Klassen zu Existenzphasen und Verbreitung und unter 3 auf die Prädikatorenklassen zu Bedeutung der sozialen Gruppe/Institution für den Menschen. 1.
Konstitutionsrelationen und Eigenschaften a) b)
In welchen Handlungszusammenhängen fungiert der Islam? Wer ist Anhänger des Islam? Wie sind die Anhänger zu charakterisieren? Wie sind die Anhänger in bestimmte Teile der Institution/sozialen Gruppe einbezogen? Was sind das für Teile?
2. Vorgehen 157
c)
An welchen Aktivitäten des Islam wirken dessen Anhänger mit? Welche Rollen und Funktionen haben die Anhänger des Islam in der sozialen Gruppe? d) Welche Vorteile haben der Islam/die Anhänger des Islam? Welche Verbote erlässt der Islam? e) Welche sonstigen Eigenschaften hat der Islam? 2.
Existenzphasen und Verbreitung a. b. c. d.
3.
Wie ist der Islam entstanden? Welche Umstände führen zur Auflösung des Islam? Welche Möglichkeiten gibt es, den Islam zu zerstören? Welche Existenzphasen kann man am Islam beschreiben? Wie stark ist der Islam verbreitet?
Bedeutung der sozialen Gruppe/Institution für den Menschen a) b) c)
d) e) f) g) h) i) j) k) l)
Welche anderen Namen hat der Islam? Was waren die Ziele und Zwecke des Gründers des Islam? In welchen Handlungszusammenhängen des Menschen spielt der Islam eine Rolle und welche Funktionen nimmt der Islam in diesen Handlungszusammenhängen ein, welche Ziele verfolgt er dort? Unter welchen Bedingungen können diese Ziele gutgeheißen werden? Auf welche Art und Weise arbeitet der Islam? Wie wird er wirksam? Unter welchen Bedingungen sanktioniert der Islam das Verhalten seiner Anhänger oder stößt sie gar aus? Welche Aufgaben und Pflichten hat der Islam? Welche Rechte hat er? Welche Mittel benutzt der Islam zur Ausführung seiner Handlungen? Welche Bedeutung/welchen Nutzen hat der Islam für den Menschen? Welchen anderen Gruppen ist der Islam ähnlich und wie unterscheidet er sich von ihnen? In welchen Theorien spielt der Islam eine Rolle? Welche Informationen sind über den Islam über Dritte vermittelt?
158 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Ziel einer Frame-Analyse ist es nun, die vorgegebenen Prädikatorenklassen beziehungsweise Fragen mit konkreten Werten, d.h. Antworten, zu füllen. Dabei werden die fillers, die konkreten Füllwerte, von den sogenannten default values, den Standardwerten, unterschieden. Aktiviert ein Sprachbenutzer oder eine Sprachbenutzerin einen Frame, stellt er oder sie einen kognitiven Bezug zu einem Frame her, dessen Leerstellen im Akt der Referentialisierung teilweise schon mit Standardwerten gefüllt sind. (Ziem 2008, 335f).
Dieses vorausgesetzte Wissen bezeichnet Ziem (2008) als implizite Prädikationen. Die hier durchgeführte Frame-Analyse setzt sich zum Ziel, sowohl die impliziten als auch die expliziten Prädikationen zu erfassen. Ihre konkrete Umsetzung geschieht im ersten Schritt über eine Kookkurenzanalyse. Dabei werden die unmittelbaren Kotexte der freien und gebundenen lexikalischen Morpheme islam und muslim beziehungsweise moslem erfasst. Es werden aufgrund der Annahme, dass das Konzept Islam durch eine Reihe verschiedener Ausdrücke evoziert werden kann, an gegebener Stelle auch weitere Aussagen betrachtet, wenn sie zu einer Konstitution des Konzepts Islam beitragen. Vorwiegend bezieht sich die Analyse jedoch auf die Kotextualisierungen der Morpheme islam und moslem/muslim. In einem zweiten Schritt werden diese schließlich kategorisiert und hinsichtlich Präsuppositionen und Impliktaturen untersucht. Diesem Verfahren liegt die Annahme zugrunde, dass stillschweigendes Wissen vor allem über Präsuppositionen und weiteres Mitzuverstehendes (vgl. Polenz 1989) ermittelt werden kann. An dieser Stelle wird die Frame-Analyse mit einer Toposund Schlagwortanalyse verbunden. Eine Toposanalyse, wie in Kapitel I, 3.2.2 dargestellt, ermittelt die dem Diskurs zugrunde liegenden Denkmuster. Dieses sedimentierte Wissen kann uns Aufschluss geben über die sogenannten Defaultwerte, also das Standardwissen in einem zu analysierenden Frame. Über die Frame-Analyse werden also zunächst die expliziten Prädikationen herausgearbeitet. Dies geschieht vorwiegend durch die Untersuchung der Prädikationen der Lexeme Islam und Moslem/Muslim. Mithilfe einer Toposanalyse werden schließlich einige implizite Prädikationen herausgearbeitet. Dabei kann auf zugrunde liegendes, standardisiertes Wissen zurückgegriffen werden. 13.
„Wenn die Moschee gebaut wird, dann gibt das der Integration der türkischen Bürger wichtige Impulse – Toleranz und gegenseitiger Respekt ist das alles Entscheidende.“ (KSTA, 11.06.2007, Gäste mit einem Gläschen Tee begrüßt)
Wichtig ist, dass diese impliziten Prädikationen für alle Islamkonzepte (A-D) gelten. Argumentiert ein Sprecher, dass die Moschee gebaut werden soll und
2. Vorgehen 159
begründet es wie in oben stehendem Beispiel damit, dass die Integration damit begünstigt werde, so kann daraus ein Integrationstopos abgeleitet werden: Weil es die Integration des Islam begünstigt, soll die Moschee gebaut werden. Argumentiert ein Sprecher indessen gegen den Bau der Moschee und begründet dies mit dem Scheitern der Integration, so kann daraus ebenfalls ein Integrationstopos abgeleitet werden: Weil die Integration gescheitert ist, soll die Moschee nicht gebaut werden. Beide Ausführungen des Integrationstopos können auf denselben mesokontextbasierten Topos abstrahiert werden. Wenn etwas die Integration des Islam begünstigt, muss dem stattgegeben werden. bzw. Wenn etwas der Integration schadet, so muss dies verhindert werden. Die Frage, welche Bedeutung der Islam für den Menschen hat, kann damit beantwortet werden, dass er positiv für den nicht-muslimischen Menschen ist, sobald er in die Gesellschaft integriert ist. Dies kann als ein Default-Wert betrachtet werden. Der Ausdruck Integration ist positiv-deontisch. Die Analyse des Moscheebaudiskurses zeigt, dass es fest im Verständnis der Diskursteilnehmer verankert ist, dass alles, was der Integration dient, gefördert werden muss. Sprecher, die gegen den Bau der Moschee sind, begründen dies damit, dass ihrer Meinung nach die Integration bereits gescheitert sei (vgl. Beispiel 3 in Kapitel 4.5.1). Der meso-kontextbasierte Topos kann also als Standardwert im Konzept Islam betrachtet werden. Da Schlagwörter wiederum häufig als verkürzte Argumente fungieren, werden in dieser Arbeit bei der Beschreibung des Konzepts Islam die Frame-, Toposund Schlagwortanalyse direkt miteinander verbunden. Die Analyse wird zeigen, wie mithilfe dieser Methoden eine umfassende Beschreibung von sich im Diskurs konstituierenden Konzepten vollzogen werden kann.
160 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
3. Das Textkorpus Für die Herausarbeitung des Konzepts Islam im Diskurs um den Kölner Moscheebau musste zunächst ein Korpus zusammengestellt werden. Laut Busse und Teubert (1994, 14) gehören zu einem Diskurs alle Texte, die ‒
‒
‒
sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen, den als Forschungsprogramm vorgegebenen Eingrenzungen in Hinblick auf Zeitraum/Zeitschnitte, Areal, Gesellschaftsausschnitt, Kommunikationsbereich, Texttypik und andere Parameter genügen, und durch explizite oder implizite (text- oder kontextsemantisch erschließbare) Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden.
Wie Wengeler (2003a, 294) – bezogen auf sein Korpus zum Einwanderungsdiskurs – versuche auch ich mich bei der Erstellung eines Diskurskorpus an die von Busse und Teubert vorgegebenen Kriterien zu halten. Die Eingrenzung auf ein Thema hat dabei bereits durch die Wahl des Untersuchungsgegenstandes stattgefunden. Es müssen somit Texte gewählt werden, die thematisch dem Kölner Moscheebaudiskurs zuzuordnen sind. Die geforderte Eingrenzung des Zeitraums geschieht durch die Begrenzung auf ein diskursives Ereignis. Der Kölner Moscheebaudiskurs fand im Zeitraum zwischen Juni und August 2007 seinen Höhepunkt, der auf zwei Ereignisse zurückzuführen ist: Ralph Giordano erklärte in einem öffentlichen Brief: „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“123, was anschließend kontrovers diskutiert wurde. Im selben Zeitraum machte der Journalist Günter Wallraff den Vorschlag, in der Moschee aus Salman Rushdies Satanischen Versen zu lesen.124 Aufgrund dieser beiden Vorfälle berichtete die Presse in diesem Zeitraum verstärkt über die Debatte um den Bau der Kölner Großmoschee.
123 Vgl. u.a. FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“. 124 Der Roman wurde von vielen Muslimen als eine Diffamierung des Islam und des Korans wahrgenommen. Aufgrund dessen kam es überall auf der Welt zu heftigen Demonstrationen. Der damalige Staatsführer der iranischen Republik Ruhollah Chomeini sprach eine Fatwa aus, die die Muslime zur Tötung Rushdies aufrief. Dass Wallraff vorschlug, in der Moschee aus den Satanischen Versen zu lesen, stieß deshalb vielfach auf Empörung.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 161
Eine weitere Einschränkung des Korpus geschieht durch die Auswahl von Pressetexten. Was wir über die Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. (Luhmann 2009, 9)
Es ist unumstritten, dass für die Konstitution kollektiven Wissens klassische Medien eine zentrale Rolle spielen. Medien koppeln Kognition und Kommunikation, denn „Individuen kommunizieren, indem sie Medienangebote produzieren/präsentieren, also Meinungen in Äußerungen übersetzen und zum Verstehen anbieten (...)“ (Schmidt 2000, 60f). Für das Korpus wurden deshalb Zeitungstexte ausgewählt. Diese Zeitungstexte repräsentieren den Sprachgebrauch im Moscheebaudiskurs als eine Art Probe. Das Textkorpus besteht aus 210 Zeitungstexten aus der FAZ, der WELT, der SUEDDEUTSCHEN ZEITUNG, dem SPIEGEL und dem KÖLNER STADTANZEIGER. Berücksichtigt wurden sowohl die Online-Artikel als auch die Artikel aus der jeweiligen Print-Ausgabe. Ins Korpus aufgenommen wurden dabei alle Texte, die im Zeitraum vom 01.06.2007 und 31.08.2007 erschienen125 und sich inhaltlich mit dem Moscheebaudiskurs in Köln beschäftigen. Diese thematische Zugehörigkeit wurde zum einen dadurch sichergestellt, dass in jedem Text die Ausdrücke Moschee und Köln vorkommen, und außerdem durch die Lektüre der Texte überprüft.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte Die Analyse hat ergeben, dass den Diskussionen um den Bau der Kölner Großmoschee vier verschiedene Islamkonzepte zugrunde liegen beziehungsweise in ihnen konstituiert werden. Sie werden im Folgenden im Detail dargestellt. Diese vier Islamkonzepte, die mit A, B, C und D benannt werden, unterscheiden sich unter anderem im Grad der negativen beziehungsweise positiven evaluativen Bedeutungsanteile. Konzept A repräsentiert das Islambild mit den meisten negativen Bedeutungselementen. Diese negativen Bedeutungselemente resultieren mitunter aus der Ansicht, dass der Islam per se politisch und dies nicht mit dem westlichen Wertesystem sowie dem Demokratieverständnis zu vereinbaren
125 In einem Fall wurde ein Online-Artikel aus dem Kölner Stadtanzeiger zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal überarbeitet: Der Artikel „Stoppt den Bau dieser Moschee“ erschien ursprünglich am 16.05.2007 und wurde zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal überarbeitet und deshalb automatisch mit ins Korpus aufgenommen.
162 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs sei. Demgegenüber steht das positive Islambild der Sprecher mit Konzept B. Für die Diskursteilnehmer mit diesem Konzept ist der Islam eine friedliche Religion und muss vom Islamismus abgegrenzt werden. Den Konzepten C und D ist gemeinsam, dass sie den Islam nicht als eine Einheit betrachten, sondern zwischen verschiedenen Islamformen unterscheiden. Während die Sprecher, denen das Konzept D zugeordnet werden kann, den deutschen Islam – also den Islam, der von deutschen Muslimen gelebt und repräsentiert wird, – als eine positive Islamform betrachten, gehen die Sprecher, denen das Konzept C zugeschrieben werden kann, davon aus, dass es verschiedene Islamformen gibt, von der aber keine völlig den in Deutschland beziehungsweise Europa vorherrschenden Wertevorstellungen entspricht. Die vier Islamkonzepte sowie die einzelnen Analyseschritte zu ihrer Herausbildung werden im Folgenden beschrieben.
4.1 Das Konzept A Wie bereits erwähnt, ist das Konzept A das Islamkonzept mit den stärksten negativen Bedeutungsaspekten. Dieses Konzept kann Ralph Giordano, der Publizistin Necla Kelek, Kardinal Meisner und verschiedenen Pro-Köln-Anhängern zugeschrieben werden. Dass sich sowohl der jüdische Schriftsteller Ralph Giordano, der sich selbst als Vertreter einer breiten Meinung bezeichnet,126 sowie die rechtsextreme Bürgerbewegung127 Pro-Köln in dem Punkt einig sind, dass der Bau der Moschee verhindert werden muss, wird in den Texten des Korpus häufig thematisiert. Sprecher formulieren die Angst, mit der Ablehnung der Moschee in die „rechte Ecke“128 gestellt zu werden. Deshalb – so fürchtet wiederum Ralph Giordano – schweigen viele Bürger, die eigentlich Angst vor dem Islam haben und gegen den Moscheebau sind, zu diesem Thema. Giordano fordert: 14.
Dass einem falsche Bundesgenossen auf die Schulter zu klopfen versuchen, ist hässlich, mundtot machen lassen sollte man sich dadurch aber nicht. Man braucht, verdammt noch mal, kein Überlebender des Holocaust zu sein, um mit bürgerlichem Selbstbewusstsein den nach wie vor in linken Denkschablonen steckenden Multikulti-Illusionisten, xenophilen Einäugigen und Appeasement-Doktrinären couragiert die Stirn zu bieten. Niemand sollte sich durch politische Diffamierung deutscherseits oder muslimische Drohungen einschüchtern lassen. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
126 Vgl. FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“. 127 Vgl. zur Charakterisierung der Partei Pro Köln als rechtsextreme Bürgerbewegung Killguss et. al. (2008). 128 SPIEGEL, 16.07.2007, Die zwei Welten von Köln.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 163
In diesem Beispiel wird neben der Ansicht Giordanos zugleich die Brisanz der Diskussion deutlich: Mundtot machen lassen will man sich nicht, und zwar nicht von den in linken Denkschablonen feststeckenden Multikulti-Illusionisten, xenophilen Einäugigen und Appeasement-Doktrinären. Multikulti-Illusionisten, xenophile Einäugige und Appeasement-Doktrinäre haben die Funktion von Schlagwörtern. Sie dienen dem Zweck, die Befürworter des Baus sowie die Verteidiger des Islam zu diffamieren und rufen dadurch gleichzeitig zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam auf. Das Konzept A ist das im untersuchten Diskurssegment dominierende Islamkonzept. Dominierend bedeutet in diesem Fall nicht, dass dieses Konzept dem größten Anteil der Diskursteilnehmer zugeschrieben werden kann, es ist allerdings das Konzept, das die Texte des Untersuchungskorpus am stärksten prägt. Das hängt vor allem damit zusammen, dass dieses Konzept Ralph Giordano zugeschrieben werden kann, dessen Äußerungen in dem untersuchten Diskurssegment immer wieder zitiert werden, wenngleich seine Aussagen häufig als strittig gekennzeichnet werden und andere Diskursteilnehmer oftmals versuchen, sich von seinen Aussagen zu distanzieren: 15.
Trotzdem stimme ich nicht vorbehaltlos Giordanos These zu, dass die Integration gescheitert sei. Dagegen sprechen die vielen türkischen Geschäftsleute, die sich, vom Döner-Imbiss oder Gemüseladen bis zur Computerwerkstatt, durch ihren familiären Zusammenhalt und ihre Freundlichkeit eine Existenz geschaffen haben und seit vielen Jahren eine Bereicherung der städtischen Lebensvielfalt sind. (FAZ, 14.06.2007, Wofür steht die Kölner Moschee?) 16. Ralph Giordano sagt, von einer Großmoschee an dieser Stelle werde Unruhe und Unfrieden ausgehen. Ich denke, mittel- und langfristig wird genau das Gegenteil passieren. (FAZ, 08.06.2007, Ich möchte die Muslime aus dem Hinterhof holen) 17. Trotz seiner wütenden Proteste gegen den Bau eines islamischen Gotteshauses in Köln ist Ralph Giordano kein Rechtsradikaler. Seine Kritik steht vielmehr für das Erschrecken vor dem sichtbar werdenden Islam – und weist Denkfehler in der Argumentation auf. (Sueddeutsche Zeitung, 01.06.2007, Der alte Mann und die Moschee) 18. In einem Manifest zur Verteidigung der Meinungsfreiheit hat der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano die islamischen Verbände in Deutschland in äußerst scharfer Form angegriffen (KSTA, 01.06.2007, Giordano attackiert erneut Islamisten)
Beispiel 15 zeigt, wie der Autor des hier zitierten Kommentars, Dieter Wellershoff, sich ganz explizit von Giordanos These, dass die Integration gescheitert sei, distanziert. Auch der Architekt Paul Böhm gibt in einem Interview in der FAZ an, dass er nicht Giordanos Meinung ist (Beispiel 16). Der Journalist Matthias Drobinski unterstellt Giordano sogar Denkfehler in der Argumentation (17). Manchmal ist es aber auch nur ein Attribut, wie die Adjektivphrase in Beispiel 18 – äußerst scharfer –, die eine Distanzierung des Autors von der Argumentati-
164 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs on Giordanos deutlich macht. Wenn also vor allem die Äußerungen Giordanos die Texte des Korpus dominieren, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Mehrheit der Diskursteilnehmer das Konzept A zugeschrieben werden kann. In den folgenden Unterkapiteln wird die Herausarbeitung des Konzepts A mittels der Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse im Detail beschrieben.
4.1.1 Frame-Analyse Für die Beschreibung des Konzepts Islam wurden aus dem Untersuchungskorpus sämtliche Kotextualisierungen der freien und gebundenen Morpheme islam und moslem/muslim extrahiert. Wie bereits erwähnt, konnten die Kotextualisierungen vier verschiedenen Islamkonzepten zugewiesen werden, von denen in diesem Kapitel nur diejenigen betrachtet werden, die das Konzept A repräsentieren. Diese Kotextualisierungen konnten wiederum im Wesentlichen vier verschiedenen Kategorien zugeordnet werden, die ich Islam und Politik, Islam und Gewaltbereitschaft, Islam und die Unterdrückung der Frau sowie Islam und Kritik nenne.
4.1.1.1 Kategorie: Islam und Politik Die folgenden Äußerungen stellen einen Auszug all jener Äußerungen dar, die in der Kategorie Der Islam und Politik zusammengefasst werden konnten: 19.
Der Islam begreift sich nicht nur als spirituelle Weltansicht, sondern als Weltanschauung, die das alltägliche Leben, die Politik und den Glauben als eine untrennbare Einheit sieht. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 20. Nach außen gebe man sich offen und grundgesetztreu, aber im Inneren würden „Verbindungen zu Organisationen unterhalten, die gegen das Grundgesetz sind“, so Giordano. Dieser politische Islam sei ein direkter Angriff auf „unsere Lebensform“. (SPIEGEL Online, 12.06.2007, „Ich bin doch kein Türkenschreck“) 21. Der Islam hat es 1400 Jahre versäumt, kritische Fragen zu stellen und sich von der Politik zu lösen. (SPIEGEL Online, 12.07.2007, „Wir haben wahrlich nichts zu feiern“) 22. Es wird Ihnen jeder Theologe bestätigen, dass im Islam Politik und Religion nicht zu trennen sind. (SPIEGEL Online, 12.07.2007, „Wir haben wahrlich nichts zu feiern“) 23. Der Islam ist und macht Politik. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 24. Während in der Öffentlichkeit die Furcht umgeht, die Muslime leugneten die absolute Geltung des Grundgesetzes, stellt sich die Lage in der Arbeitsgruppe genau umgekehrt dar. (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“)
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 165 25.
Sie sprechen von der Religionsfreiheit. Nun kennen die meisten Muslime dieser Welt die Trennung von Staat und Religion nicht. Der Islam ist eine genuin politische Religion. Staat und Religion gehören seit den Anfängen zusammen. (KSTA, 21.06.2007, „Ich habe ein ungutes Gefühl“)
Die genannten Äußerungen kotextualisieren die Lexeme Islam sowie Muslime. In jeder dieser Kotextualisierungen wird das Konzept Islam mit dem Konzept Politik in Verbindung gebracht. So behauptet Necla Kelek in Äußerung 19, dass der Islam mehr ist als eine spirituelle Weltansicht. Für sie sind im Islam das alltägliche Leben, Politik und Glauben nicht voneinander zu trennen, was in dem Fall dem westlichen Demokratieverständnis widersprechen würde. Ralph Giordano formuliert es in der Äußerung 20 sogar noch schärfer und bezeichnet den Islam, der für ihn eine genuin politische Religion ist, – wie wiederum in Äußerung 25 deutlich wird – als einen direkten Angriff auf unsere Lebensform. Für Sprecher, denen das Konzept A zugeordnet wird, ist also die Verbundenheit zur Politik eine wesentliche Eigenschaft des Islam. Der Islam ist und macht Politik (23) – so die Meinung des Schriftstellers Ralph Giordano. Dies wiederum widerspricht dem Demokratieverständnis der Diskursteilnehmer. Aus der wiederholten Betonung, dass der Islam eine politische Religion sei, lässt sich das zugrunde liegende Verständnis von Religion ableiten, die demnach nicht politisch zu sein hat. Es wird von einem direkten Angriff auf unsere Lebensform gesprochen, dem Islam wird vorgeworfen, dass er sich nur nach außen grundgesetztreu verhalte. Aus dieser Einstellung resultieren wiederum verschiedene Argumentationsmuster gegen den Bau der Moschee. Dass der Islam politisch ist, führt bei Sprechern mit Konzept A zu dem Schluss, dass er nicht in die deutsche Gesellschaft integrierbar ist: Der Islam passe nicht in die deutsche Gesellschaft. Die Ablehnung des Moscheebaus bei Sprechern mit diesem Islamkonzept resultiert also vor allem aus diesem Verständnis von Islam als eine Religion, die mit Politik verbunden ist. Für die Sprecher symbolisiert die Moschee unter anderem diese Verbundenheit zur Politik und wird dadurch als politisches Statement gewertet: 26. Für die Dissidentin und Soziologin Necla Kelek ist die in Köln geplante DitibMoschee ein politisches Statement des Islam in Beton. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 27. Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 28. Andere dafür umso mehr: Bernd Schöppe von „Pro Köln“ sieht in dem Bau der Moschee einen „weiteren Schritt zur Islamisierung Europas“. Auch Thomas Bendt glaubt, dass mit der Moschee ein islamistisches Machtsymbol gesetzt werden solle. (SPIEGEL Online, 16.06.2007, Die zwei Welten von Köln)
166 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 29. Islam-Kritiker können die Autorität Annemarie Schimmels dafür anfügen, dass das Minarett „das sichtbare Zeichen des Islam in einem neu eroberten Gebiet“ ist. (FAZ, 13.08.2007, Mit den Türmen siegt die Tradition)
Islamisierung und islamistisch sind Schlagwörter, die von den Sprechern mit Konzept A häufig verwendet werden (vgl. Kapitel 4.1.3). Die Angst vor einer bevorstehenden Islamisierung spielt für die Diskursteilnehmer, denen das Konzept A zugeordnet wird, eine große Rolle. Den Muslimen wird von den Sprechern mit Konzept A unterstellt, einen Herrschaftsanspruch zu haben, der mit dem Bau dieser Großmoschee symbolisiert werden soll. So bezeichnet etwa Necla Kelek die geplante Großmoschee als ein politisches Statement des Islam in Beton (Beispiel 26), das Minarett sei ein Herrschaftssymbol (27). Gerade im Minarett sehen auch weitere sogenannte Islamkritiker ein sichtbares Zeichen des Islam in einem neu eroberten Gebiet (29). Die Moschee insgesamt stellt für den Pro-Köln-Anhänger Bernd Schöppe ein solches politisches Symbol dar, wenn er den Bau als einen weiteren Schritt zur Islamisierung Europas bezeichnet (28). Die Meinung, dass eine Islamisierung Europas bevorstehe, wird auch von anderen Diskursteilnehmern, denen das Konzept A zugeordnet werden kann, geteilt. So wird diese auch von Ralph Giordano thematisiert: 30. Noch war der erste Pulverdampf des Kampfes um den Bau einer zentralen Großmoschee in Köln nicht verflogen, da hatte sich auch schon eine Unruhe von bundesweiten Ausmaßen gemeldet – die Furcht vor einer schleichenden Islamisierung unseres Landes. Sie ist nur zu begründet – lokal, national und international. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
Einige Sprecher unterscheiden in ihren Äußerungen häufig nicht zwischen Islam und Islamismus. Dies wird in Beispiel 28 deutlich, wenn angegeben wird, dass mit dem Bau der Moschee ein islamistisches Machtsymbol gesetzt werde. Die Bauherrin der Kölner Großmoschee DITIB wird vom deutschen Verfassungsschutz jedoch nicht als islamistisch eingestuft. Vielen Diskursteilnehmern scheint die Möglichkeit der Unterscheidung nicht bewusst zu sein. Ralph Giordano, dem ebenfalls Konzept A zugeschrieben werden kann, streitet in einer weiteren Äußerung sogar ab, dass es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gibt: 31.
Wenn es denn stimmen sollte, dass es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gibt (was wiederum gerade Muslime bestreiten), dann sollte der Islam bemüht sein, den Unterschied glaubhaft zu machen. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 167
Teilweise werden die Begriffe Islam und Islamismus auch von Journalisten gleichgesetzt, wie es diese Über- und Unterüberschrift aus dem Kölner Stadtanzeiger deutlich machen: 32.
Giordano attackiert erneut Islamisten In einem Manifest zur Verteidigung der Meinungsfreiheit hat der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano die islamischen Verbände in Deutschland in äußerst scharfer Form angegriffen. (KSTA, 01.06.2007, Giordano attackiert erneut Islamisten)
In der Überschrift ist von Islamisten die Rede, hingegen wird in der Unterüberschrift von islamischen Verbänden gesprochen. Hier werden also die Ausdrücke islamisch und islamistisch synonym verwendet. Diese Nichtdifferenzierung ist ein wesentliches Merkmal des Islamkonzeptes A: Das Konzept Islam A ist mit dem Konzept Islamismus gleichzusetzen. Islamismus definiert der DUDEN als die „dem islamischen Fundamentalismus zugrunde liegende Ideologie“129. Die Verwendungsweise in den Texten des Korpus spricht allerdings für noch einen weiteren Bedeutungsaspekt: Der Ausdruck Islamismus beinhaltet für die Diskursteilnehmer bereits die Eigenschaft des Politisch-Seins. So definiert etwa die Bundestagsabgeordnete Lale Akgün Islamismus wie folgt: 33.
Der Islam ist die gelebte Religion, der Islamismus instrumentalisiert Religion für politische Zwecke. (KSTA, 29.08.2007, Gesucht: Der deutsche Islam)
Während von den Diskursteilnehmern mit Konzept A dem Islam generell eine Verbindung zur Politik unterstellt wird, werden die Anhänger des Islam, die Muslime, nicht als eine homogene Masse charakterisiert. Den Diskursteilnehmern erscheint es einfacher, dem Islam diese Eigenschaft zuzuschreiben, als den Muslimen diese Verbindung zwischen Religion und Politik zu unterstellen. Es findet sich eine große Anzahl (mehr als 50130) an Kotextualisierungen von Islam und Politik im untersuchten Diskursausschnitt, jedoch nur sehr wenige Kotextualisierungen von Muslim(en) und Politik. Während der Islam in den Augen der Diskursteilnehmer mit Konzept A aktiv politisch ist, wird das Poli-
129 http://www.duden.de/rechtschreibung/Fundamentalismus; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 130 Die Art der Analyse lässt es nicht zu, ganz exakte Zahlen der Kotextualisierungen anzugeben. Das Lexem Islam wird zum Teil durch Pronomina oder Nominalphrasen wiederaufgenommen, teilweise wird der Islam mit Ausdrücken in Verbindung gebracht, die zum Wortfeld Politik gehören.
168 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs tisch-Sein den Muslimen häufig nur indirekt zugeschrieben, wie auch in folgender Lesermeinung aus der FAZ deutlich wird: 34. Wir verkennen meistens, dass der Islam mehr als eine Glaubensgemeinschaft ist. Der Koran bietet den Muslimen eine Rechtsprechung, religiöse Grundlagen und strikte Anweisungen über die Lebensführung. Wir müssen abwägen, ob wir es akzeptieren wollen, dass fremde Regierungen anderer (zumeist muslimischer) Staaten weiter in unser christlich geprägtes Abendland hineinregieren, wie es in Köln der Fall ist. Der Islam kennt keine Säkularisierung. (FAZ, 27.08.2007, Eine weitere Moschee in Frankfurt)
Im Beispiel wird dem Islam die Verbindung zur Politik zugeschrieben: Er sei mehr als eine Glaubensgemeinschaft, kenne keine Säkularisierung. Der Koran biete den Muslimen eine Rechtsprechung etc. Den Muslimen wird diese Rechtsprechung und diese Anweisungen über Lebensführung geboten, die Muslime nehmen also in der Darstellung des Leserbriefes eine passive Haltung ein. Die Tatsache, dass dem Islam sehr häufig eine Verbindung zur Politik zugesprochen wird, man jedoch eine solche explizit gemachte Verbindung zwischen Muslimen und Politik im Korpus überhaupt nicht vorfindet, ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Verwendungsweise von Islam im Diskurs – wie in Kapitel 2 dargelegt – weitere Lesarten des Lexems vermuten lässt, nämlich nicht den Islam als eine auf den Koran zurück gehende religiöse Lehre, sondern Islam als Gesamtheit aller Muslime. Betrachtet man nun erneut die Äußerungen 19 bis 25, stellt sich die Frage, ob die Diskursteilnehmer dem Islam als Religion, so wie sie im Koran niedergeschrieben ist, eine Verbindung zur Politik zuschreiben oder ob sie dem Islam als Gesamtheit aller Muslime die Unfähigkeit zur Trennung zwischen Religion und Politik unterstellen. Dann hat es nicht der Islam als Religion versäumt, sich von der Politik zu lösen, sondern es ist laut der Diskursteilnehmer ein Versäumnis der Muslime. Hingegen wird jedoch den Muslimen, wie bereits erwähnt, selten explizit eine Verbindung zur Politik zugesprochen. Dies könnte einen Hinweis darauf geben, dass man es für politisch inkorrekt hält, eine Menge von Menschen im Allgemeinen mit einer solchen Eigenschaft zu charakterisieren, während es problemloser erscheint, sie dem Islam zuzusprechen. In Kapitel II wurde bereits gezeigt, dass Islam häufig als ein Totalitätsbegriff im Sinne von Hermanns (1999) fungiert. Während der Islam von Sprechern, denen das Konzept A zugeschrieben wird, als eine Einheit wahrgenommen wird, werden die Muslime von den Diskursteilnehmern – etwa von Ralph Giordano – nicht als eine homogene Masse dargestellt:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 169 35.
Und wenn es denn der Preis sein sollte, in diesem Konflikt Freunde zu verlieren und persönlich bedroht zu werden, dann bin ich bereit, ihn zu zahlen. Und das, wie bisher, an der Seite so tapferer und gefährdeter Frauen wie Necla Kelek, Arzu Toker, Emine Özdamar, Seyran Ates, Ayya Hirsi Ali - und aller friedlichen Muslime! (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“) 36. Giordano betont, an der Seite aller „säkularisierten Muslime“ zu stehen, „die mit Reformen den Weg zu einer Integration freimachen wollen, die diesen Namen verdient“. Dieses Ziel liege aber noch in weiter Ferne. (KSTA, 01.06.2007, Giordano attackiert erneut Islamisten) 37. Seine Moscheekritik unterscheide sich zudem klar von der Pro Kölns, die aus "nazistischen, rechtsextremen, fremdenfeindlichen" Motiven gegen den Bau sei. Er hingegen stelle Muslime nicht unter einen Generalverdacht, werde ihnen aber auch keinen Blankoscheck ausstellen. (SPIEGEL Online, 12.06.2007, „Ich bin doch kein Türkenschreck“)
Giordano betont, an der Seite der tapferen und gefährdeten muslimischen Frauen (35) und säkularisierten Muslime (36) zu stehen und die Muslime nicht unter einen Generalverdacht zu stellen (37). Er bringt aber hingegen den Islam als Gesamtheit mit Politik in Verbindung und unterscheidet nicht – wie etwa Sprecher, denen die Konzepte C und D zugeordnet werden können, – verschiedene Islamformen. Für ihn praktiziert der Islam per se Politik oder noch weiter: Er ist Politik. Würde man Islam in Giordanos Äußerung Der Islam ist und macht Politik (23) also in dieser zweiten Lesart – Islam als Gesamtheit der Muslime – begreifen, so läge hier ein Widerspruch vor, schließlich würden in dem Fall tatsächlich die Muslime unter einen Generalverdacht gestellt. Allerdings kommt man kaum umhin, den Islam in dieser Äußerung Giordanos, der Islam ist und macht Politik, als Gesamtheit aller Muslime zu verstehen, denn die Personifizierung der Religion als ein durch Lehren und Satzungen festgelegter Glaube kann an dieser Stelle nicht anders interpretiert werden, als dass sich damit auf die Anhänger dieser Religion bezogen wird. Dass der Islam im Sinne von ein durch Lehren und Satzungen festgelegter Glaube Politik ist, erscheint noch einleuchtend, wenn man wie Giordano davon ausgeht, dass im Islam beziehungsweise im Koran das alltägliche Leben geregelt wird und er ein komplettes Rechtssystem beinhaltet (vgl. FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“). Politik machen hingegen können nur die Muslime. Wieder wird deutlich, dass im Prinzip die beiden Lesarten nicht voneinander zu trennen sind, weil eine Religion nicht unabhängig von seinen Anhängern existieren kann. Es scheint also für die Diskursteilnehmer einfacher, dem Islam – sei es in der ersten oder zweiten Lesart – bestimmte Eigenschaften im Allgemeinen zuzuschreiben als den Muslimen. Bei der expliziten Charakterisierung der Anhänger der Religion gibt man sich vorsichtiger.
170 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Die extrahierten Kotextualisierungen können nun in Prädikationen umgewandelt werden. Diese Prädikationen dienen als Fillers für die Slots im Konzept Islam. Es sind folgende Prädikationen aus den Kotextualisierungen der Kategorie Islam und Politik abzuleiten:
Der Islam
ist nicht nur Religion, sondern auch Politik.
Der Islam
gibt mit dem Bau der Moschee ein politisches Statement.
Der Islam
erhebt den Anspruch, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens eines Gläubigen in Vorschriften und Gebote zu fassen – und dies über vierundzwanzig Stunden eines jeden Tages.
Der Islam
ist kein demokratieverträglicher Glaube, solange die Muslime nicht die Trennung von Staat und Religion verinnerlichen.
Abb. 10: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept A (Kategorie: Islam und Politik)
Zudem ließen sich aus den betrachteten Kotextualisierungen auch Standardwerte im Konzept Religion ableiten. Eine Religion ist nach dem Verständnis der Diskursteilnehmer immer strikt von Politik zu trennen. Sie hat sich zudem dem Grundgesetz unterzuordnen, darf diesem nicht widersprechen. Wenn eine Religion dem Grundgesetz widerspricht, so ist sie von der Mehrheitsgesellschaft strikt abzulehnen.
4.1.1.2 Kategorie: Islam und Gewaltbereitschaft Eine weitere Kategorie der Kotextualisierungen nenne ich Islam und Gewaltbereitschaft. Beispielsweise folgende Äußerungen können dieser Kategorie zugeordnet werden:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 171 38. Die Merkmale anhand gegebener historischer Vergleichsmöglichkeiten sind alarmierend genug: Absolute Entgrenzung der Gewalt und ihre ebenso absolute Rechtfertigung; Ausrufung von Gewalt als revolutionäre Notwendigkeit; ein Feindbild von Menschen als Schädlinge auf Grund ihrer Rassen-, Klassen- oder Religionszugehörigkeit, kurz die Instrumentalisierung und Politisierung des Islam für das erklärte Ziel: „Umsturz der gottlosen Regierungen des Westens und ihre Ersetzung durch islamische Herrschaft.“ (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“) 39. Der Zentralrat setzt beim Sicherheitsthema schon seit Jahren einen doppelten Akzent: Einerseits wendet er sich gegen den „Generalverdacht“, andererseits empfiehlt er sich als vernünftige Kraft aufklärerischer Einwirkung auf die Muslime in Deutschland, wodurch er implizit zugesteht, dass es nicht vollkommen abwegig ist, in muslimischen Lebenswelten ein spezifisches Gewaltpotenzial zu vermuten. (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“) 40. „Die Muslime haben bewiesen, wie schnell und effektiv sie Massen mobilisieren können, und der freie Westen, der sonst bei jedem Hakenkreuz auf einer Hauswand ‚Wehret den Anfängen!‘ ruft, hat gezeigt, dass er der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat – außer Angst, Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz.“ (FAZ, 25.06.2007, Waffen gegen die deutsche Elefantenhaut) 41. Zunächst mal haben Menschen Angst vor Veränderung. Das haben die Protestanten auch erlebt, als sie nach Westfalen kamen. Beim Islam kommt hinzu, dass er zu einem gewissen Maß mit Totalitarismus, mit der Neigung zur Gewalt verbunden wird. Das ist ja kein Zufall, denn es waren eben keine Bahai-Jungs, die Kofferbomben in deutschen Regionalzügen abgestellt haben. Es sind keine Hindus, keine Juden, keine Christen, die in Europa Anschläge verüben oder geplant haben. Man darf das nicht vergessen. (KSTA, 21.06.07, Eine Moschee für eine Kirche)
Sowohl den Muslimen als auch dem Islam wird von Sprechern mit Konzept A im untersuchten Diskursausschnitt wiederholt die Eigenschaft der Gewaltbereitschaft zugeschrieben. Auffällig in dieser Kategorie ist, dass Muslime hier häufiger kotextualisiert wird als in der Kategorie Islam und Politik. Die Äußerung in 38 ist wieder Ralph Giordano zuzuordnen, der hier allerdings wieder das Lexem Muslime – bewusst oder unbewusst – vermeidet. Der Islam, der für ihn politisch ist, rechtfertige Gewalt für das erklärte Ziel, die westlichen Regierungen umzustürzen. Erneut wird durch die Personifizierung deutlich, dass hier Islam in der Lesart Gesamtheit der Muslime zu verstehen ist. Die Äußerung in 39 zeigt einen Widerspruch auf: Einerseits wehren sich Diskursteilnehmer – und hier explizit der Zentralrat der Islamkonferenz – häufig gegen den Vorwurf, die Muslime unter einen Generalverdacht zu stellen, andererseits werde den Muslimen doch immer ein gewisses Gewaltpotenzial unterstellt. In Äußerung 40 wird den Muslimen indirekt die Bereitschaft zur Gewalt zugeschrieben, weil sie in der Lage seien, Massen zu mobilisieren, die eine Offensive bilden.
172 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Äußerung 41 macht ein weiteres Mal deutlich, wie das Lexem Muslime vermieden, jedoch Islam im Sinne von Gesamtheit aller Muslime verwendet wird. Es sind keine Hindus, keine Juden, keine Christen, die in Europa Anschläge verüben oder geplant haben. Man darf das nicht vergessen. Es wird allerdings nicht explizit gesagt, dass es Muslime sind, die diese Anschläge verüben oder geplant haben. Dem Islam und nicht den Muslimen wird hier ein gewisses Gewaltpotenzial zugeschrieben, wobei es in diesem Beispiel besonders nahe liegt, Islam als Gesamtheit der Muslime zu verstehen. Die Annahmen, die in den Kotextualisierungen deutlich werden, die den Kategorien Islam und Politik sowie Islam und Gewaltbereitschaft zugeordnet werden können, stehen in Verbindung mit der Ansicht, dass der Islam nicht nach Deutschland passt.131 Dass für die Diskursteilnehmer mit Konzept A der Islam nicht in das deutsche Wertesystem einzufügen ist, wird in den folgenden Kotextualisierungen deutlich: 42. „Wer glaubt im Islam verhaftet zu sein, soll zurück in seine Heimat gehen. Schnürt euren Ranzen und geht nach Hause,“ ruft er. (SPIEGEL Online, 16.06.2007, Die zwei Welten von Köln) 43. So wie in vielen Moscheen in Deutschland der Islam praktiziert wird, erweist er sich als ein Hindernis für die Integration.(FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 44. Der Schriftsteller Ralph Giordano hat sich gegen den Bau ausgesprochen, da er verschleiere, dass die Integration der Muslime hierzulande gescheitert sei. (FAZ, 14.06.2007, Wofür steht die Kölner Moschee?) 45. Millionen Muslime leben in Deutschland, doch sich anpassen wollen viele nicht. Ein Plädoyer für ein Ende der Multikulti-Illusionen. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
Die Äußerung unter 42 stammt von einem Pro-Köln-Anhänger, der hier ganz explizit zum Ausdruck bringt, dass der Islam nicht nach Deutschland gehört. Die Publizistin Necla Kelek ist der Meinung, dass der in Deutschland praktizierte Islam ein Hindernis für die Integration darstelle (43). Auch Ralph Giordano glaubt (44), dass die Integration der Muslime hierzulande gescheitert sei. Er plädiert für ein Ende der Multikulti-Illusionen (45), denn das Ergebnis der gescheiterten Immigrationspolitik Deutschlands sei
131 Dies wird in Kapitel 4.1.2 bei der Darstellung der durchgeführten Toposanalyse noch näher ausgeführt.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 173 46. die Anwesenheit von Millionen Menschen aus einer gänzlich anderen Kultur, viele von ihnen ohne jede Qualifikation und nur bedingt integrationsfähig und -willig. Erschreckenderweise deuten viele Anzeichen darauf hin, dass die derzeitige, dritte Generation islamischer denkt als ihre Eltern und Großeltern und dass ein Teil von ihr anfälliger ist für radikale Ideen als diese. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
In diesem Auszug fungiert islamisch als Schlagwort, was in der verwendeten Komparationsform besonders deutlich wird: Die Annahme, dass die dritte Generation islamischer denkt als ihre Eltern und Großeltern, wird negativ bewertet. Eine detaillierte Schlagwortanalyse findet sich in Kapitel 4.1.3. Dass der Islam nicht nach Deutschland passe beziehungsweise nicht in das deutsche Wertesystem zu integrieren sei, wird unter anderem mit dem vom Islam ausgehenden Gewalt- beziehungsweise Bedrohungspotenzial begründet. Der Islam bedrohe laut Sprecher mit Konzept A sowohl unsere Demokratie als auch unsere Sicherheit. Der jüdische Schriftsteller Ralph Giordano bezieht die Gewaltbereitschaft des Islam vor allem auch auf die Juden. 47. Der Schriftsteller Ralph Giordano (84) hält die Lehren des Korans für unvereinbar mit dem Grundgesetz. „Ich frage mich, wie jemand, dem der Koran, diese Stiftungsurkunde einer archaischen Hirtenkultur, heilig ist, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen kann... das eine schließt das andere aus“, schrieb der jüdische Autor in einem offenen Brief an die türkisch-islamische Organisation Ditib, die in Köln eine große Moschee bauen will. „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem!“, kritisierte Giordano. Der Koran sei eine „Lektüre des Schreckens und der Fassungslosigkeit, mit ihren unzähligen Wiederholungen, Ungläubige zu töten, besonders aber Juden“. (WELT Online, 17.08.2007, Schriftsteller greift Koran-Lehre an)
Im Folgenden sollen die extrahierten Prädikationen der Kotextualisierungen aus der Kategorie Islam und Gewaltbereitschaft dargestellt werden, bevor eine weitere Kategorie, nämlich Islam und die Unterdrückung der Frau, aufgezeigt wird:
174 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
Der Islam
Den Muslimen
Der Islam
entgrenzt und rechtfertigt Gewalt.
kann ein gewisses Gewaltpotenzial zugeschrieben werden.
ist mit Totalitarismus und der Neigung zur Gewalt verbunden.
Abb. 11: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept A (Kategorie: Islam und Gewaltbereitschaft)
4.1.1.3 Kategorie: Islam und die Unterdrückung der Frau 48. Sollten Sie aber ebenso erschüttert sein wie ich über das, was türkische Kritikerinnen berichtet haben aus dem Alltag von Unterdrückung, Abschottung, Ausbeutung, Zwangsehe und Gefangenschaft muslimischer Frauen und Mädchen als Norm – dann meine ich Sie nicht. (KSTA, 19.08.2007, Giordanos Brief im Wortlaut) 49. Es sind türkische Kritikerinnen und Kritiker, die authentisch berichten von einem Alltag der Unterdrückung, der Abschottung, der Ausbeutung, der Zwangsehe und der Gefangenschaft muslimischer Frauen und Mädchen als Norm, bis hinein in die namenlose Perversität der „Ehrenmorde“. Sie prangern eine Kultur an, in der Frauen nicht wählen und nicht entscheiden dürfen, mit wem sie zusammen sein wollen, und die bei Widerspruch und Widerstand Gefahr laufen, verletzt oder gar getötet zu werden. Die Gleichberechtigung der Frau in der muslimischen Gesellschaft bleibt die Schlüsselfrage – für jede Integration. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
In der Äußerung 48, die von Ralph Giordano stammt, wird die Unterdrückung der Frau im Islam als erschütternd bezeichnet. Sie scheint also eine hohe Relevanz zu haben, die neben anderen Aspekten – wie etwa die Verbundenheit des Islam mit Politik und der Gewaltbereitschaft, die Sprecher mit Konzept A den Muslimen zuschreiben, – zu dem Schluss führt, dass der Islam nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Giordano verwendet in seinen Äußerungen (48 und 49) eine Reihe von Schlagwörtern: Unterdrückung, Abschottung, Ausbeutung, Zwangsehe, Gefangenschaft. All diese Schlagwörter haben eine negative evaluative Komponente. In der deskriptiven Bedeutung der Ausdrücke steckt eine Asymmetrie zwischen Agens und Patiens. Das Agens, also der- oder dieje-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 175
nige, der/die unterdrückt, abschottet, ausbeutet, zwangsverheiratet und gefangen hält, hat besonders viel Macht, das Patiens besonders wenig. Giordano bezieht diesen Unterschied im Machtverhältnis hier auf Männer und Frauen. Die Männer sind diejenigen, die abschotten, ausbeuten und unterdrücken, die Frauen diejenigen, die ausgebeutet und zwangsverheiratet werden. Die Beispiele sind alle Unterwertwörter (vgl. Hermanns 1994) mit einer stark negativen evaluativen und der daraus resultierenden deontischen Komponente, dass wir all diese Zustände ablehnen und vermeiden sollen. Denn diese Zustände, die sich nicht mit unserem Demokratieverständnis vereinbaren lassen, bezeichnet Giordano als Norm im Islam. 50. Frauen werden – es soll eine Ausnahme geben – nur in separaten Räumen geduldet. Eine Demokratie, vor allem unsere Gesellschaft lebt aber davon, dass Männer und Frauen gemeinsam in der Öffentlichkeit Verantwortung tragen, sie haben gleiche Rechte, und sie müssen gleich behandelt werden. Die Trennung der muslimischen Gemeinde in die der Männer, die in der Moschee sitzen, beten und ihre Geschäfte machen, und die der Frauen, die in ihre Wohnungen verbannt sind, kann kein Integrationsmodell sein. Wenn über Moscheebau diskutiert wird, muss darum die Frage gestellt werden, welche Möglichkeiten der gleichberechtigten Teilhabe die Frauen haben. Solange aber Moscheen archaische und patriarchalische Strukturen befördern, sind solche Häuser für mich nicht akzeptabel. (FAZ, 26.06.07, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Necla Kelek geht in oben stehender Äußerung schließlich direkt auf den Widerspruch zwischen der Unterdrückung der Frau und der Demokratiefähigkeit ein. Mit der angeblich vorherrschenden Unterdrückung der Frau im Islam begründet sie gleichzeitig ihre Ablehnung des Baus der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Zusammenfassend lässt sich also das Lexem Islam hinsichtlich dieser Kategorie folgendermaßen prädizieren:
Im Islam
existiert nach wie vor die Unterdrückung der Frau, die zu unserem westlichen Verständnis von der Notwendigkeit der Gleichberechtigung im Widerspruch steht.
Abb. 12: Abgeleitete Prädikation bezogen auf das Konzept A (Kategorie: Islam und die Unterdrückung der Frau)
176 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 4.1.1.4 Kategorie: Islam und Kritik(fähigkeit) Einige der Kotextualisierungen der Morpheme islam und muslim/moslem konnten schließlich in der Kategorie Islam und Kritik(fähigkeit) zusammengefasst werden. Die Sprecher mit Konzept A bemängeln eine fehlende Selbstkritik bei den Muslimen. Dies wird in folgenden Beispielen deutlich: 51.
Und alles ist wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Sie färben schön. Sie antworten wie jemand aus einem Kulturkreis, dem die kritische Methode völlig unbekannt ist. Diese Errungenschaft der abendländischen Kultur ist dem Islam total unbekannt. Gibt es überhaupt irgendetwas, das sie kritisieren? (KSTA, 16.05.2007, „Stoppt den Bau dieser Moschee“) 52. Aber ich habe von Deutschen schonungslose Selbstkritik gelernt – ganz anders ist es in der muslimischen Gemeinschaft. (SPIEGEL Online, 12.07.2007, „Wir haben wahrlich nichts zu feiern“) 53. Statt auf Kritik beleidigt zu reagieren, sollten sich Muslime dem Streit stellen. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 54. Die Organisationen sollten sich deshalb nicht wundern, wenn die Sorge und das Misstrauen wachsen, zumal sie auf Kritik immer wieder beleidigt reagieren. Für unsere westliche Gesellschaft gilt der Satz von Max Frisch: „Demokratie bedeutet, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.“ Der Islam ist eine Realität in Deutschland. Und er ist deshalb eine Angelegenheit der ganzen deutschen Gesellschaft. Muslime müssen es sich gefallen lassen, wenn andere sie fragen, wie sie leben wollen und wie sie es mit den Grundwerten dieser Gesellschaft halten. So wie es Ralph Giordano in Köln getan hat. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
In allen Äußerungen wird dem Islam die Fähigkeit, sich selbst kritisch zu betrachten, abgesprochen. Dies führt implizit wieder zu der Annahme, dass der Islam nicht in die deutsche Gesellschaft passe. In Beispiel 51 wird der Islam der abendländischen Kultur gegenübergestellt. Im Gegensatz zu dieser fehle es dem Islam an Selbstkritik. Diese Ansicht kommt ebenfalls in Beispiel 52 zum Ausdruck, in dem die muslimische Gemeinschaft mit den Deutschen verglichen wird: Während laut der Meinung der Sprecherin die Deutschen in der Lage sind, schonungslos Selbstkritik zu üben, kann das die muslimische Gemeinschaft nicht. Interessanterweise werden in dieser Äußerung die Muslime den Deutschen gegenübergestellt, Muslime werden also nicht als Teil der Deutschen aufgefasst. Die Meinung, dass Muslime mit Kritik nicht umgehen können, dass sie beleidigt darauf reagieren, wird auch in den Beispielen 53 und 54 deutlich. Weil die Sprecher befürchten, dass eine Bedrohung vom Islam ausgeht, sobald dieser kritisiert wird, stehe er im Widerspruch zum westlichen Wertesystem. Diese Befürchtung wird in folgenden Beispielen deutlich:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 177 55.
Ich selbst habe ja mein Buch ‚Die fremde Braut‘ auch in einer Moschee vorgestellt, unter Polizeischutz. (FAZ, 12.07.2007, „Das ist ein echter Test“) 56. Mazyek, von Beruf Publizist, ließ wissen, dass er nach einem Artikel gegen Selbstmordanschläge Morddrohungen erhalten hatte. (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“) 57. Giordano hatte den geplanten Bau der Moschee zuvor scharf kritisiert und dafür Morddrohungen erhalten. (WELT Online, 17.08.2007, Schriftsteller greift Koran-Lehre an) 58. Wallraff erklärte, er werde „notfalls unter Polizeischutz“ lesen. „Ich bin ja kein ängstlicher Mensch, ich werde da dran bleiben“, sagte er in einem anderen Interview. (WELT Online, 11.07.2007, Wallraff will „Satanische Verse“ in der Moschee lesen)
Die Bedrohlichkeit, die vom Islam ausgehe, sobald er sich Kritik stellen muss, ist in den oben stehenden Aussagen impliziert. Necla Kelek gibt an, sie habe während einer Lesung unter Polizeischutz gestanden (55) und Günter Wallraff (58) vermutet, dass ebenfalls Polizeischutz von Nöten sein wird, wenn er in der Moschee aus den Satanischen Versen liest. Sowohl Mazyek (Beispiel 56) als auch Giordano (57) geben an, für kritische Äußerungen Morddrohungen von Muslimen erhalten zu haben. In Artikel 5 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes ist verankert, dass jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung hat. Wenn man also dem Islam vorwirft, es mangele ihm an Kritikfähigkeit, dann ist dies für die Sprecher ein weiterer Grund, dass der Islam nicht mit dem deutschen Wertesystem zu vereinbaren ist. Aus den untersuchten Kotextualisierungen lassen sich folgende Prädikationen ableiten: Der Islam
Ist nicht in der Lage, sich selbst kritisch zu betrachten.
Die Muslime
reagieren teilweise mit Morddrohungen, wenn der Islam kritisiert wird.
Der Islam
passt nicht nach Deutschland, weil er nicht kritikfähig ist.
Abb. 13: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept A (Kategorie: Islam und Kritk(fähigkeit))
178 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 4.1.1.5 Die Kotextualisierungen als Fillers im Konzept Islam (A) In Konzept A werden die Verbundenheit mit der Politik, die Unterdrückung der Frau, die mangelnde Kritikfähigkeit sowie die Gewaltbereitschaft als zentrale Eigenschaften des Islam aufgeführt. In Kapitel 2 wurden in Anlehnung an Konerding (1993) Fragen entwickelt, die als Slots im Konzept Islam zu verstehen sind. Die herausgearbeiteten Prädikationen dienen nun als Fillers im Konzept Islam. Da für das Lexem Islam unterschiedliche Lesarten festgelegt wurden und es aus diesem Grund zwei unterschiedlichen Matrixframes zugeordnet werden kann, wurden in Kapitel 2 zwei Listen von Fragen konzipiert, eine Liste für den Matrixframe Zustand und eine Liste für den Matrixframe Soziale Gruppe/Institution. Zunächst werden nun die Fragen, die sich aus dem Matrixframe Zustand ableiten, beantwortet. 1. Äußerungsform und Eigenschaften des Islam (Matrixframe Zustand) a) Welche Personen, Institutionen/sozialen Gruppen sind Anhänger des Islams? Die Muslime sind die Anhänger des Islam. b) Wie und auf welche Weise tritt der Islam in Erscheinung, wie ist er ausgeprägt? Für Sprecher mit Konzept A ist die Erscheinungsweise des Islam sehr negativ geprägt. Von Seiten des Islam gehe ein starkes Bedrohungspotenzial aus, das mit der Gewaltbereitschaft der Muslime begründet wird. Zudem stehe die Erscheinungsweise des Islam im Widerspruch zum deutschen beziehungsweise westlichen Wertesystem, weil er zum einen die Trennung zwischen Staat und Kirche nicht vornehme, und zum anderen auch nicht kritikfähig sei. c) Wie ist das Erscheinungsbild des Islam durch seine Teileigenschaften/Beschaffenheit bestimmt? Die Teileigenschaften des Islam kommen bereits in der Art und Weise der Kategorisierung der Kotextualisierungen zum Ausdruck. Die Haupteigenschaft des Islam ist für die Sprecher mit Konzept A die Verbundenheit mit der Politik. Dies zeigt die große Anzahl der Kotextualisierungen des Lexems Islam mit den Le-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 179
xemen Politik, Staat usw. Eine weitere Eigenschaft des Islam ist für die Sprecher die Gewaltbereitschaft. Für Sprecher mit Konzept A ist der Islam eine Religion mit einer starken Neigung zur Gewalt. Dies führt dazu, dass der Islam als sehr bedrohlich wahrgenommen wird. Außerdem prägen den Islam die Unterdrückung der Frau und die mangelnde Kritikfähigkeit. Die Annahme, dass im Islam keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen vorherrsche und dass der Islam nicht in der Lage sei, sich selbst kritisch zu betrachten, führt zu dem Schluss, dass der Islam nicht nach Deutschland passe. Da die deutsche beziehungsweise die westliche Gesellschaft die Gleichberechtigung sowie die freie Meinungsäußerung für die Demokratie für unabdingbar hält, führt dieser angebliche Mangel im Islam zu starken negativen Bedeutungsanteilen im Konzept. d) Bei welchen Ereignissen spielt der Islam eine Rolle und welche Funktionen hat er dabei? In diesem konkreten Fall geht es für die Sprecher um die Rolle des Islam beim Bau der Moschee. Der Islam beziehungsweise dessen Anhänger fordern in den Augen der Sprecher mit Konzept A diese Moschee ein, obwohl sie ihnen durch die Beschaffenheit des Islam als eine politische Religion eigentlich nicht zusteht. e) Welchen anderen Zuständen/Eigenschaften ist der Islam ähnlich und wie unterscheidet er sich von diesen? Sprecher mit Konzept A zeigen – anders als etwa Sprecher mit Konzept B, wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch deutlich wird – keine Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und anderen Religionen wie etwa dem Judentum und dem Christentum auf. 2. Bedeutung des Islam für den Menschen (Matrixframe Zustand) a) Unter welchen Namen ist Islam noch bekannt? Es wurde festgestellt, dass Sprecher mit Konzept A häufig nicht zwischen Islam und Islamismus unterscheiden. Demnach wäre die Frage, unter welchem anderen Namen Islam noch bekannt ist, beantwortet, wenn man davon ausgeht, dass beide Ausdrücke synonym verwendet werden. b) Wie handeln Menschen, für die der Islam eine besondere Rolle spielt?
180 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Die Anhänger des Islam werden von Sprechern, denen das Konzept A zuzuordnen ist, als gewaltbereit charakterisiert. Häufig wird es von den Sprechern jedoch umgangen, den Muslimen direkt bestimmte negative Eigenschaften zuzusprechen. c) Welche Funktion hat der Islam bei diesen Handlungen? Der Islam legitimiert beziehungsweise rechtfertigt die Ausübung von Gewalt. d) Welche Bedeutung (welchen Stellenwert) hat der Islam für den Menschen (das menschliche Leben und Handeln)? Diese Frage nach der Bedeutung des Islam für den Menschen wird hier als Bedeutung für den nicht-muslimischen Menschen verstanden. Für die Sprecher mit Konzept A kann diese Frage eindeutig beantwortet werden: Der Islam sei ein Angriff auf die westliche Lebensform. Die Werte der Demokratie seien ganz andere als die, die im Islam vertreten werden. Wie bereits erwähnt führt die angenommene Gewaltbereitschaft im Islam zu dem Schluss, dass der Islam eine Bedrohung darstellt. Diese Bedrohung wird von Sprechern mit Konzept A noch weiter konkretisiert, wenn sie davon ausgehen, dass der Islam die Islamisierung Europas anstrebe. Da für Sprecher mit Konzept A der Islam im Widerspruch zu dem westlichen Wertesystem steht, die Muslime aber ihrer Meinung nach versuchen – beispielsweise mit dem Bau der Moschee –, dieses Wertesystem zu unterwandern beziehungsweise Deutschland und Europa zu ‚islamisieren‘, wird der Islam für Sprecher mit Konzept A ganz eindeutig als sehr bedrohlich wahrgenommen. Sie sind der Meinung, dass die Muslime diese Islamisierung der westlichen Länder anstreben. Vertreter von Konzept A beharren darauf, dass dies verhindert werden müsse. e) In welchen Theorien spielt der Islam eine besondere Rolle? Diese Frage wird nicht beantwortet. f) In welcher Weise werden die Informationen über den Islam vermittelt? Diese Frage wird nicht beantwortet. Aus dem zweiten Matrixframe Soziale Gruppe/Institution leiten sich drei weitere Fragekomplexe ab, die sich teilweise mit den Fragen aus dem Matrixframe Zustand überschneiden. Da die beiden Lesarten in Verbindung stehen, nur eine
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 181
doppelte Perspektivierung vorgenommen wird, wird sich auf die Fragen an den jeweiligen Stellen nicht noch einmal bezogen. So wurden etwa die Fragen zu den Konstitutionsrelationen und Eigenschaften bereits für den Matrixframe Zustand und die Frage nach den gesellschaftlichen Prozessen, in denen der Islam fungiert, bereits durch das Textkorpus beantwortet: Die Rolle des Islam beim Bau der Moschee ist schließlich das Thema sämtlicher Texte im Korpus. Hervorzuheben sind dabei vielleicht die Ziele des Islam als Institution. Der Islam strebt in den Augen der Sprecher mit Konzept A die Islamisierung Europas an und setzt mit dem Bau der Moschee dahingehend ein Zeichen. Über die Verbote, die der Islam erlässt sowie über die Vorteile des muslimischen Glaubens wird im untersuchten Diskurssegment von Seiten der Sprecher mit Konzept A nicht diskutiert. Die Fragen unter 2 bezogen sich auf die Existenzphasen und Verbreitung des Islam. Interessanterweise spielen diese Aspekte bei der öffentlichen Diskussion um den Islam beim Kölner Moscheebaudiskurs für die Sprecher mit Konzept A keine Rolle. Wie der Islam entstanden ist und sich verbreitet hat, wird im Diskurs nicht thematisiert, die Geschichte des Islam ist für die Diskursteilnehmer nicht wichtig. Auch die Möglichkeit, den Islam aufzulösen, wird von den Diskursteilnehmern nicht thematisiert. Dabei wird ein weiterer Standardwert im Konzept Islam deutlich: Einerseits enthält das Konzept A Islam starke negative Bedeutungsaspekte, die aus der Annahme resultieren, dass der Islam eine gewaltbereite Religion ist, die die Trennung von Staat und Kirche nicht kennt, und zudem die Meinung zur Konsequenz hat, dass der Islam nicht in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Andererseits kommt die Überlegung einer Auflösung des Islam, einer Zerstörung der Religionsgemeinschaft niemandem in dem Sinn, da es in unserem Denken fest verankert ist, dass eine Religionsgemeinschaft nicht zerstört werden, nicht aufgelöst werden darf. Ganz anders würde man mit rein politischen Vereinigungen umgehen, die klar dem Grundgesetz widersprechen. So sehr der Islam auch negativ wahrgenommen wird, die Auflösung oder Bekämpfung des Islam kommt den Diskursteilnehmern nicht in den Sinn. Die Verbreitung des Islam, die in Frage 2d des Matrixframes Institution/soziale Gruppe thematisiert wird, spielt für die Diskursteilnehmer hingegen eine Rolle, weil sie davon ausgehen, dass der Islam die Islamisierung Europas anstrebe. Für den Matrixframe Institution/soziale Gruppe werden nun noch die Fragen aus dem Komplex Bedeutung des Islam für den Menschen beantwortet, weil dort noch einige neue Aspekte thematisiert werden.
182 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 1. Bedeutung des Islam für den Menschen (Matrixframe Soziale Gruppe/Institution) a) Welche andere Namen hat der Islam? Diese Frage wurde bereits für den Matrixframe Zustand beantwortet. b) Was waren die Ziele und Zwecke des Gründers des Islam? Diese Frage wird nicht beantwortet. c) In welchen Handlungszusammenhängen des Menschen spielt der Islam eine Rolle und welche Funktionen nimmt der Islam in diesen Handlungszusammenhängen ein, welche Ziele verfolgt er dort? Der Islam möchte den Bau einer repräsentativen Großmoschee. d) Unter welchen Bedingungen können diese Ziele gutgeheißen werden? Unter der Bedingung, dass der Islam die Trennung zwischen Staat und Kirche sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau akzeptiert, können diese Ziele gutgeheißen werden. Zudem muss sich der Islam friedlich zeigen und Kritikfähigkeit unter Beweis stellen. e) Auf welche Art und Weise arbeitet der Islam? Wie wird er wirksam? Diese Frage wird nicht beantwortet. f) Unter welchen Bedingungen sanktioniert der Islam das Verhalten seiner Anhänger oder stößt sie gar aus? Diese Frage wird nicht beantwortet. h) Welche Aufgaben und Pflichten hat der Islam? Welche Rechte hat er? Der Islam setzt sich zur Aufgabe, das Leben seiner Anhänger zu regeln und zu bestimmen. Weil der Islam laut der Sprecher dem deutschen Grundgesetz und Wertesystem widerspreche, ist es notwendig, dem Islam nicht alle Rechte einzuräumen. So habe der Islam kein Recht auf den Bau einer solchen Großmoschee.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 183
i) Welche Mittel benutzt der Islam zur Ausführung seiner Handlungen? Diese Frage wird nicht beantwortet. j) Welche Bedeutung/welchen Nutzen hat der Islam für den Menschen? Diese Frage wird nicht beantwortet. k) Welchen anderen Gruppen ist der Islam ähnlich und wie unterscheidet er sich von ihnen? Der Islam ist mit Institutionen wie dem Christentum oder dem Judentum nicht zu vergleichen. l) In welchen Theorien spielt der Islam eine Rolle? Diese Frage wird nicht beantwortet. m) Welche Informationen sind über den Islam über Dritte vermittelt? Diese Frage wird nicht beantwortet. Somit lässt sich das Islamkonzept der Sprecher schematisch folgendermaßen darstellen:
184 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
passt nicht nach Deutschist eine Neigung
land
ist eng mit
zur Gewalt
Politik verbun-
nicht abzuspre-
den
chen
Hat das Merkmal der Unterdrückung der Frau
Islam (als eine
ist nicht kritikfähig
Einheit)
strebt die Isla-
ist mit dem
misierung
Grundgesetz
Europas an
nicht zu verhat seine eigene
einbaren
Rechtsordnung
Abb. 14: Das Konzept A
Das Konzept A enthält sehr starke negative Bedeutungsanteile, die aus den Annahmen resultieren, dass der Islam die Trennung von Staat und Kirche nicht kenne und eine eigene Rechtsordnung besitze, dass er nicht kritikfähig sei, eine gewisse Gewaltbereitschaft vorherrsche, es keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gebe. Diese Merkmale führen zu dem Schluss, dass der Islam nicht mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren sei, dass der Islam also nicht nach Deutschland passe. Der Islam wird als sehr bedrohlich wahrgenommen. Manche Sprecher gehen sogar so weit anzunehmen, der Islam strebe die Islamisierung Europas an. Eine wesentliche Eigenschaft dieses Konzepts ist die Überlappung der Konzepte Islam und Islamismus. Die Sprecher unterscheiden häufig nicht zwischen
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 185
den beiden Begriffen, die Ausdrücke werden teilweise synonym gebraucht. Ralph Giordano streitet explizit ab, dass es einen Unterschied zwischen dem Islam und Islamismus gibt. Diese Überlappung der Bedeutung der beiden Ausdrücke resultiert aus den negativen Bedeutungsanteilen des Konzepts A Islam. Die Sprecher, denen das Konzept A zugeordnet wurde, argumentieren häufig gegen den Moscheebau beziehungsweise sind nur unter den Umständen für den Bau, dass der Islam bestimmte Eigenschaften ablegt beziehungsweise reformiert wird. Die Toposanalyse zeigt die Argumentationsmuster der Sprecher mit Konzept A auf.
4.1.2 Toposanalyse Wengeler (2003a) stellt mit der Toposanalyse am Beispiel des Migrationsdiskurses eine Methode der linguistischen Diskursanalyse vor, die sich unter anderem als eine Umsetzung der von Dietrich Busse (1987) dargelegten historischen Semantik versteht, „immer eingedenk der Defizite, die jede empirische Umsetzung gegenüber diesen anspruchsvollen Programmen haben muss“ (Wengeler 2008, 210). Ein Topos ist für ihn – wie bereits in Kapitel I, 3.2.2 ausführlich dargestellt – eine argumentationsanalytische Kategorie. Auch bei der Argumentation gegen den Moscheebau im Kölner Stadtteil Ehrenfeld lassen sich bestimmte Schemata herausarbeiten. So argumentieren die Sprecher mit Konzept A beispielsweise gegen den Bau der Moschee, indem sie darauf verweisen, dass der Bau einen Kulturbruch im Stadtpanorama darstelle: 59. Was mich stutzig gemacht hat, ist: Ein solches Großprojekt wird hier mitten in Köln errichtet als Religionsausdruck einer fremden Kultur, und die Bevölkerung wird überhaupt nicht gefragt, ob sie damit einverstanden ist. (KSTA, 16.05.07, „Stoppt den Bau dieser Moschee“) 60. Fast zeitgleich juckte es auch die Würdenträger der katholischen Kirche. Kölns Kardinal Joachim Meisner warnte vor „Territorien, auf denen sich die Scharia in unseren Graden immer mehr entfaltet“, und äußerte sein „Erschrecken“ bei dem Gedanken, das Kölner Panorama werde bald von einer gewaltigen Moschee geprägt. (WELT, 25.08.2007, Hässlich der Streit, schön die Moschee)
Ralph Giordano betrachtet die Moschee als einen Religionsausdruck einer fremden Kultur (59). Meisner, dem auch das Konzept A zugeordnet werden kann, äußert Erschrecken bei dem Gedanken an eine Großmoschee im Kölner Stadtpanorama (60). Aus Äußerungen wie diesen leitet sich der Kulturbruch-Topos ab: Weil der Bau der Großmoschee einen Kulturbruch darstellt, muss er verhindert werden.
186 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Darüber hinaus sind die Sprecher gegen den Bau, weil die Moschee den Herrschaftsanspruch des Islam symbolisiere. 61.
Tatsächlich scheinen die Ausmaße des geplanten Bauwerks mit eine Kuppelhöhe von 34 Metern und Minaretten von 55 Metern auf viele Bürger bedrohlich zu wirken. (FAZ, 16.08.2007, Zustimmung und Protest) 62. Der Weg für den umstrittenen Bau einer Großmoschee in Köln ist frei. Doch die Kölner fühlen sich von dem Bauwerk weiterhin bedroht. (WELT Online, 22.08.2007, Kölner Minarette bleiben so hoch wie geplant) 63. Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 64. Bernd Schöppe von „Pro Köln“ sieht in dem Bau der Moschee einen „weiteren Schritt zur Islamisierung Europas“. (SPIEGEL Online, 16.06.2007, Die zwei Welten von Köln)
Die geplante Moschee wird von einigen Bürgern als bedrohlich wahrgenommen. Dies wird in den Beispielen 61 und 62 besonders deutlich. Die Äußerungen in 63 und 64 geben Gründe für diese Wahrnehmung an: Die Moschee stehe für etwas anderes, wird also als Symbol wahrgenommen. 65. Noch war der erste Pulverdampf des Kampfes um den Bau einer zentralen Großmoschee in Köln nicht verflogen, da hatte sich auch schon eine Unruhe von bundesweiten Ausmaßen gemeldet – die Furcht vor einer schleichenden Islamisierung unseres Landes. Sie ist nur zu begründet – lokal, national und international. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
Die Furcht vor der schleichenden Islamisierung Europas wird in den Augen einiger Sprecher durch die Kölner Großmoschee symbolisiert. Es lässt sich somit aus den Äußerungen der Symbolisierungstopos ableiten: Weil die Moschee die schleichende Islamisierung Europas symbolisiert, muss sie verhindert werden. Durch die geplante Größe stellt die Moschee für einige Sprecher ein Machtsymbol dar, was als ein Argument gegen den Bau der Moschee dient. 66. „Es gibt zwischen Hinterhofmoschee und einer Großmoschee viele Abstufungen.“ Es gebe ein Recht auf Religionsfreiheit, aber nicht auf religiöse Monstrositäten. (SPIEGEL Online, 12.06.2007, „Ich bin doch kein Türkenschreck“)
Die Sichtbarkeit spielt also für die Diskursteilnehmer eine große Rolle. Im Diskurs wird die Angst vor dem Islam häufig durch den Ausdruck Angst vor dem sichtbar werdenden Islam konkretisiert. Somit scheint die Hinterhofmoschee für
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 187
viele Diskursteilnehmer völlig akzeptabel, die Großmoschee nur deshalb nicht, weil sie die schleichende Islamisierung symbolisiere. 67. „Eine Art Siegesturm“ nennt die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel das Minarett: „das sichtbare Zeichen der Gegenwart des Islam in einem neu eroberten Gebiet“. Also Ausdruck eines Triumphes. (FAZ, 08.06.2007, Ich möchte die Muslime aus dem Hinterhof holen) 68. Trotz seiner wütenden Proteste gegen den Bau eines islamischen Gotteshauses in Köln ist Ralph Giordano kein Rechtsradikaler. Seine Kritik steht vielmehr für das Erschrecken vor dem sichtbar werdenden Islam – und weist Denkfehler in der Argumentation auf. (Sueddeutsche Online, 01.06.2007, Der alte Mann und die Moschee)
Beide Äußerungen enthalten den Ausdruck sichtbar werdender Islam. Für Annemarie Schimmel (67) ist die Großmoschee sogar Ausdruck eines Triumphes. Die Annahme, dass die Hinterhofmoschee in Ordnung, die Großmoschee hingegen bedrohlich wirkt, wird auch in folgender Äußerung deutlich: 69. Oft stehen auch einige Männer rauchend und miteinander redend vor der Tür, um nach einer Weile wieder hineinzugehen. Es ist ein friedliches, entspanntes Bild. Dagegen haben mich Filmaufnahmen muslimischer Großveranstaltungen, bei denen Massen gleichgekleideter Männer, dicht aneinandergedrängt, mit der Stirn auf dem Boden lagen, immer befremdet und abgestoßen. Ich empfand diese hingestreckten Menschenleiber als eine kritische Masse unberechenbarer Energien, die von der lautsprecherverstärkten Stimme des Imams beherrscht und zu Teilen eines mächtigen Gesamtwillens verschmolzen werden. Die Größe der geplanten Kölner Moschee bietet Platz für solche Szenen. (FAZ, 14.06.2007, Wofür steht die Kölner Moschee?)
Die angenommene Bedrohung, die von Großmoscheen, wie der in KölnEhrenfeld geplanten, ausgeht, wird hier weiter konkretisiert. Es sind die Muslime in der Masse, die dem Sprecher Angst machen. Wenn man annimmt, dass von den Muslimen in der Hinterhofmoschee keine Gefahr ausgeht, dann wirken die Massen gleichgekleideter Männer, die dicht aneinandergedrängt, mit der Stirn auf dem Boden liegen für den Autor doch befremdlich. Während also die einzelnen rauchenden Männer vor der Hinterhofmoschee noch friedlich wirken, so werden sie dann zur Bedrohung, wenn sie Teil der großen gleichgekleideten Masse werden. Die Betenden der Großmoschee werden hier vom Verfasser der Äußerung als eine homogene Masse dargestellt. Sie liegen dicht aneinandergedrängt, mit der Stirn auf dem Boden und werden durch die lautsprecherverstärkte Stimme des Imams zu unberechenbaren Energien. Weiterhin spricht er von der Verschmelzung zu Teilen eines mächtigen Gesamtwillens. Hier kommt also die Angst vor den Muslimen in der Masse zum Ausdruck. Während der einzelne Moslem als friedlich und ungefährlich erscheint, wird er dann zur Bedrohung,
188 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs wenn er Teil der Betenden der Großmoschee wird. Auch auf Necla Kelek wirken vor allem die Großmoscheen bedrohlich: 70. Vor allem die größeren Moscheen in Deutschland entwickeln sich zu „Medinas“. Dort praktizieren die Muslime, was sie das Gesetz Gottes nennen. Dort wird eben nicht nur die Spiritualität gepflegt und sich um das Seelenheil der Gläubigen gesorgt, sondern dort wird das Weltbild einer anderen Gesellschaft gelehrt und ein Leben im Sinne der Scharia praktiziert. Dort üben schon Kinder die Abgrenzung von der deutschen Gesellschaft, dort lernen sie die Gesellschaft in Gläubige und Ungläubige zu unterscheiden, dass Frauen den Männern zu dienen haben, dass Deutsche unrein sind, weil sie Schweinefleisch essen und nicht beschnitten sind. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Necla Kelek drückt hier ebenfalls die Vorbehalte gegenüber den Muslimen in der Masse aus. Indirekt kommt an dieser Stelle erneut die Angst vor einer Parallelgesellschaft zum Vorschein, wenn Kelek behauptet, dass die Muslime in der Großmoschee das Gesetz Gottes praktizieren und ihnen gelehrt wird, sich von der deutschen Gesellschaft abzugrenzen. Eine weitere Begründung gegen den Bau der Moschee ist der Mehrheitstopos, der in folgenden Äußerungen deutlich wird: 71.
„Der Kulturkampf hat längst begonnen.“ Er warnt vor Überfremdung und beruft sich auf die schweigende Mehrheit. (FAZ, 18.06.2007, Noch einmal über alles sprechen) 72. Konnte man früher davon ausgehen, dass ein Bezirksvorsitzender seine 20 bis 30 Delegierten auf seine Linie einschwor, lässt sich heute schwer absehen, wer zum Parteitag überhaupt erscheint, wie sich die Diskussion entwickelt und wie die Mehrheiten ausfallen. Zu vermuten ist, dass sich mehr Moscheegegner mobilisieren lassen als Befürworter des Bauvorhabens. (FAZ, 13.08.2007, Schrammas schwerer Gang) 73. Sollte der Bau in seiner jetzigen Gigantomanie hochgezogen werden, geschähe das also gegen den erklärten Willen einer nicht unbeträchtlichen Mehrheit. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“) 74. Den „Mehrheitswillen“ vertrete seine Initiative in Köln, sagt der Geschäftsführer der fünf Abgeordneten starken Stadtratsfraktion, Rohs. (FAZ, 17.06.2007, Noch einmal über alles sprechen)
Die Ablehnung der Moschee begründen die Sprecher häufig mit der mehrheitlichen Meinung der Gesellschaft: Die Mehrheit der Gesellschaft sei gegen den Bau der Moschee in der geplanten Größe. Somit lässt sich der Mehrheitstopos wie folgt beschreiben: Weil die Mehrheit der Gesellschaft den Bau der Moschee (in der geplanten Größe) ablehnt, muss er verhindert werden.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 189
Viel interessanter – und auch weitaus dominanter – als die bisher dargestellten sind aber die im Folgenden aufgeführten Topoi. Diese lassen sich in ihrer Gesamtheit zu einem meso-kontextbasierten Topos abstrahieren, der mit Verhaltenstopos bezeichnet werden soll: Weil der Islam sich in einer bestimmten Art und Weise verhält, dürfen ihm bestimmte Dinge untersagt werden. Begründen die Diskursteilnehmer mit Konzept A ihre Ablehnung der Großmoschee, so führen sie beispielsweise häufig an, dass der Bau von Kirchen in islamischen Ländern nicht uneingeschränkt möglich ist, wie die folgenden Äußerungen zeigen: 75.
Oder warum tritt die Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, die eine große Moschee in Köln bauen will, nicht hilfreich zugunsten der Christen bei ihren Glaubensbrüdern in der Türkei ein, denen der Bau von kleinen Kirchen in der Türkei verboten wird? Wie soll denn dieses Schweigen gedeutet werden? Das nährt gleichsam die Ängste vieler Mitbürger. (KSTA, 21.06.2007, „Ich habe ein ungutes Gefühl“) 76. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat die in Deutschland lebenden Muslime aufgefordert, sich in ihren Herkunftsländern für die Glaubensfreiheit von Christen einzusetzen. Es nähre „Urängste unserer Mitbürger“, wenn die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Köln eine große Moschee bauen wolle, aber zur Verfolgung von Christen in der Türkei schweige, sagte Meisner am Mittwoch im Deutschlandfunk. (KSTA, 20.06.2007, Meisner fordert Glaubensfreiheit in der Türkei) 77. In der Diskussion um die geplante Großmoschee in Köln hat sich der Publizist Henryk M. Broder für den Bau ausgesprochen. „Man kann Leuten, die hier leben und hier arbeiten, nicht das Recht verweigern, ihre Religion auszuüben und Gebetshäuser zu bauen“, sagte Broder in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Zugleich forderte Broder allerdings ein „Junktim“. Für jede Moschee, die hier gebaut werde, müsse auch eine Kirche in der Türkei gebaut werden. (KSTA, 21.06.2007, Henryk M. Broder für Zentralmoschee)
Die meisten Diskursteilnehmer mit Konzept A lehnen den Bau der Großmoschee ab. Auch wenn der Titel des Artikels, dem die Äußerung 77 zuzuordnen ist, „Henryk M. Broder für Zentralmoschee“ lautet, so wird doch deutlich, dass Broder nur scheinbar für den Bau der Moschee ist, schließlich stellt er eine Bedingung, die nicht einfach zu erfüllen scheint: Für jede Moschee, die hier gebaut werde, müsse auch eine Kirche in der Türkei gebaut werden. Die Annahme, dass der Bau der Moschee verhindert werden muss, weil sich der Bau von Kirchen in der Türkei nach wie vor schwierig gestaltet, ist unter den Sprechern mit Konzept A weit verbreitet. Der aus den oben genannten Äußerungen resultierende Topos wird Analogietopos genannt:
190 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Weil der Bau von Kirchen in islamischen Ländern nicht möglich ist beziehungsweise erheblich erschwert wird, ist auch der Bau der Moschee abzulehnen. Beziehungsweise: Dem Bau der Moschee ist nur unter den Umständen zuzustimmen, dass auch der Bau von Kirchen in islamischen Ländern uneingeschränkt möglich gemacht wird. Die Sprecher mit Konzept A sind zumeist gegen den Bau der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld oder befürworten diesen nur mit erheblichen Einschränkungen. Die Gründe für die Ablehnung konnten zum Teil schon in den vorgestellten Kotextualisierungen der Lexeme Islam und Muslim/Moslem deutlich gemacht werden. So wurde dort bereits sichtbar, dass Diskursteilnehmer mit Konzept A – wie etwa Ralph Giordano – der Ansicht sind, dass die Integration der Muslime in die deutsche Mehrheitsgesellschaft gescheitert sei. 78. Stoppt den Bau dieser Moschee. Es ist ein falsches Signal. Wahr ist, dass die Integration der muslimischen Minderheit in Deutschland gescheitert ist. (KSTA, 16.05.2007, „Stoppt den Bau dieser Moschee“) 79. Es gibt eine Reihe großer sozialer Probleme: mit der deutschen Sprache, in den Familien, mit der Erziehung, in Fragen der Gleichberechtigung. Es gibt das Problem der Jungenkriminalität, der Gewalt in der Familie und mit der Integration. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 80. Und eine zweite Frage darf und muss gestellt werden: Dienen sie der Integration? Hier sind Zweifel angebracht. So wie in vielen Moscheen in Deutschland der Islam praktiziert wird, erweist er sich als ein Hindernis für die Integration. Diese Moscheen sind Keimzellen einer Gegengesellschaft. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Aus diesen Beispielen lässt sich der Integrationstopos ableiten: Weil die Integration der Muslime gescheitert ist/weil die Moschee die Integration behindert, soll der Bau einer repräsentativen Moschee untersagt werden. Das Argument, dass die Integration gescheitert sei, kann wiederum als Konklusion dienen, die mit den Argumenten gestützt wird, dass der Islam politisch ist, dass seine Anhänger ein Gewaltpotenzial haben und dass im Islam die Unterdrückung der Frau vorherrscht, die wiederum zu unserem Grundgesetz im Widerspruch steht. Wenn der Islam politisch ist, dann steht er im Widerspruch zum deutschen Wertesystem, woraus sich wiederum schließen lässt, dass der Islam nicht in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Gegen die Integration
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 191
sprechen ebenfalls die angebliche Gewaltbereitschaft der Muslime sowie die Annahme von Sprechern mit Konzept A, dass im Islam die Unterdrückung der Frau vorherrsche. Somit ergeben sich drei weitere Topoi: Der Politik-Topos: Weil der Islam die Trennung zwischen Staat und Kirche nicht kennt, ist er nicht in die deutsche Gesellschaft integrierbar. Der Gewalttopos: Weil dem Islam eine gewisse Neigung zur Gewalt nicht abzusprechen ist, ist er nicht in die deutsche Gesellschaft integrierbar. Der Unterdrückungstopos: Weil im Islam nach wie vor die Unterdrückung der Frau vorherrscht, ist er nicht in die deutsche Gesellschaft integrierbar. Die in den Topoi ausgedrückten Argumente stützen neben der Konklusion, dass der Islam nicht integrierbar sei, noch eine weitere Konklusion, nämlich dass der Islam im Widerspruch zum deutschen Grundgesetz stehe. So könnte man des Weiteren auch einen Grundgesetztopos formulieren: Weil der Islam im Widerspruch zum deutschen Grundgesetz steht, muss der Bau der Moschee verhindert werden. Auch für die jeweiligen Konklusionen des Politik-, Gewalt- und Unterdrückungstopos lassen sich in den Texten des Korpus Argumente finden. Auf die genaue Aufzeigung der Argumentationsstruktur wird an dieser Stelle verzichtet. Stattdessen liegt der Fokus der Analyse auf dem Erkenntniszuwachs für die Beschreibung des Konzepts Islam. Denn aus dem Integrationstopos lässt sich nun wiederum eine implizite Prädikation ableiten, die uns Aufschluss über das Konzept Islam gibt: Der Islam wird nur in dem Fall als gut bewertet, wenn er in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Diese implizite Prädikation gilt für alle vier Islamkonzepte, wie auch im weiteren Verlauf der Arbeit noch deutlich wird. Die Bewertung des Islam in Deutschland ist in hohem Maße abhängig von dem Grad seiner Integration in die deutsche Gesellschaft. Integration wird von Sprechern aller Konzepte als Schlagwort mit positiv-deontischer Bedeutung verwendet. Eine Diskussion über den Islam in Deutschland ist nur unter der Prämisse möglich, dass von allen Sprechern angestrebt wird, den Islam in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
192 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Zudem ist die Angst vor einer entstehenden Parallelgesellschaft bei den Diskursteilnehmern von Bedeutung, wenn es darum geht, den Bau der Großmoschee zu verhindern. Der Parallelgesellschaftstopos und der Integrationstopos stehen in einer engen Verbindung, da in der öffentlichen Diskussion die Ausdrücke Integration und Parallelgesellschaft in einer Art Antonymiebeziehung stehen. Während der Ausdruck Integration positiv-deontisch ist, ist Parallelgesellschaft negativ-deontisch. Je stärker sich der Islam in einer Parallelgesellschaft verhaftet zeigt, desto weniger ist er logischerweise in die deutsche Gesellschaft integriert. 81.
Die erste unbequeme Wahrheit ist: Die Integration ist gescheitert! Und die „Parallelgesellschaften“ sind der deprimierende Ausweis dafür. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“) 82. Fördert es die Parallelgesellschaft, wenn eine Moschee neben dem Gebetshaus Räume besitzt, in denen Geschäfte angesiedelt werden? (FAZ, 03.07.2007, Die Angst vor dem Nachbarn) 83. „Mit dem Gemeindezentrum darf keine Parallelgesellschaft entstehen.“ (KSTA, 21.08.2007, Bebauungsplan wird offen gelegt) 84. Ist Ihnen eigentlich entgangen, was in der letzten Zeit an Kritischem über das Zusammenleben von muslimischer Minderheit und nicht-muslimischer Mehrheit gesagt wurde, weil so viel innerhalb der Parallelgesellschaft geschehen ist, das nicht mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen ist? (KSTA, 16.05.2007: „Stoppt den Bau dieser Moschee“)
Bei den Äußerungen muss eine Differenzierung vorgenommen werden. Sprecher – wie etwa Ralph Giordano in Beispiel 84 – gehen davon aus, dass es in Deutschland bereits eine muslimische Parallelgesellschaft gibt, während andere Sprecher nur die Angst vor einer entstehenden Parallelgesellschaft äußern (82, 83). Parallelgesellschaften werden laut der Sprecher durch den Bau der Großmoschee begünstigt: 85. Diese Moscheen entwickeln sich zu Zentren, in denen wie in einer kleinen Stadt alle Bedürfnisse abgedeckt werden. So finden sich meist in unmittelbarer Nähe, oft in örtlicher Einheit, die Koranschule, koschere Lebensmittelläden, Reisebüros, der Friseur, das Beerdigungsinstitut, Restaurants, Teestuben und anderes mehr – eben alles, was ein Muslim außerhalb seiner Wohnung braucht, wenn er nicht nur beten, sondern auch nichts mit der deutschen Gesellschaft zu tun haben will. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Parallelgesellschaftstopos: Weil der Bau der Moschee das Aufkommen einer Parallelgesellschaft begünstigt, muss er verhindert werden.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 193
Parallelgesellschaft wäre nach Hermanns (1994, 18) ein „Unterwertwort“, denn es wird in jedem Kontext mit negativer Wertung verwendet. Der Parallelgesellschaftstopos steht mit dem Grundgesetztopos in Verbindung, weil Parallelgesellschaften dem deutschen Grundgesetz widersprechen. Diese Angst vor einer Parallelgesellschaft hat nicht im Kölner Moscheebaudiskurs seinen Ursprung, sondern sie ist eine Angst, die sich in Deutschland bereits seit Ende des 20. Jahrhunderts immer stärker manifestiert: Anfang der 1990er Jahre hatte der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer den Begriff Parallelgesellschaft in die Debatte eingebracht. Zunächst ohne großes Echo. Doch seit drei, vier Jahren ist mit dem eher flüchtig hingeworfenen Wort plötzlich eine Sprach- und Bilderlawine losgetreten. Nun sind es Politiker, die diesen Begriff als Alarmwort benutzen, um die Migrationsproblematik zu beklagen. Von „Fördern und Fordern“ ist zwar auch die Rede, vor allem aber von Überwachung und Kontrolle. Sonst drohten uns No-go-areas wie in den Pariser Vorstädten. Bayerische Politiker fangen solche Sätze gern mit der Formulierung an: „Es kann nicht sein, dass in Deutschland …“132
Die vorgestellten Topoi können hierarchisch angeordnet werden. Ganz oben steht die Annahme, dass der Bau der Moschee verhindert werden muss. Diese Konklusion wird durch verschiedene Argumente gestützt. Der Bau soll verhindert werden, weil der Islam nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist und die Muslime deshalb keinen Anspruch auf ein repräsentatives Gotteshaus haben. Außerdem sei die Integration der Muslime gescheitert – auch damit wird die Ablehnung des Baus begründet. Weitere Argumente gegen den Bau sind die Annahmen, dass von der Moschee eine Bedrohung ausgehe, dass sie Parallelgesellschaften begünstige und dass die Mehrheit der Bevölkerung den Bau der Moschee ablehne etc.
132 http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/wie-fremde-gemachtwerden/798460.-html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
194 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
weil der Islam poliweil der Islam mit dem
tisch ist.
Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist,
weil der Islam gewaltbereit ist.
weil der Islam nicht in die deutsche Gesell-
Der Bau der Moschee muss verhindert werden,
schaft integriert ist,
weil im Islam die Unterdrückung der
weil der Bau die Bildung von Parallelgesellschaften begünstigen könnte. weil der Bau von Kirchen in islamischen Ländern weiterhin erheblich erschwert wird. weil die Mehrheitsgesellschaft den Bau ablehnt.
weil die Moschee die Islamisierung Europas symbolisiert und den Islam sichtbar macht. weil die Moschee einen Kulturbruch im Stadtbild darstellen würde.
Abb. 15: Argumentationsmuster der Sprecher mit Konzept A
Frau vorherrscht.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 195
Sprecher mit Konzept A sind mehrheitlich der Meinung, dass der Moscheebau verhindert werden muss und begründen dies auf unterschiedliche Weise. Während der Kulturbruchtopos und der Mehrheitstopos im Diskurs weniger dominieren, begründen die Sprecher mit Konzept A die Ablehnung des Baus der Moschee vor allem mit einer bestimmten Verhaltensweise des Islam: Der Islam sei politisch, gewaltbereit und setze sich nicht für die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ein. Deshalb sei er nicht in die deutsche Gesellschaft integriert und widerspreche zudem dem deutschen Grundgesetz. Dabei wird deutlich, dass die Bewertung des Islam maßgeblich davon abhängt, wie er sich ‚verhält‘: Nur wenn der Islam mit den deutschen Werten konform geht und sich in die deutsche Gesellschaft integriert, wird er von den jeweiligen Sprechern als positiv bewertet. Die negative Bewertung des Islam von Sprechern mit Konzept A resultiert also vor allem aus der angeblichen Ferne des Islam zum westlichen Wertesystem. Für die Sprecher mit Konzept A spielt auch die Sichtbarkeit des Islam eine große Rolle. Während die Hinterhofmoschee von vielen Sprechern akzeptiert wird, wird die geplante Moschee aufgrund ihrer Größe und ihres daraus entstehenden Symbolwerts abgelehnt.
4.1.3 Schlagwortanalyse Die Akteure im Moscheebaudiskurs verwenden zudem verschiedene Schlagwörter. An dieser Stelle sollen jedoch nur diejenigen Schlagwörter interessieren, derer sich die Sprecher bedienen, um einen Sachverhalt, der mit dem Islam oder dem Moscheebau zusammenhängt, darzustellen und zu bestimmten Handlungen aufzufordern. In Kapitel 4.1.1.3 wurden in einer Äußerung Giordanos bereits Unterdrückung, Abschottung, Ausbeutung, Zwangsehe und Gefangenschaft als Schlagwörter identifiziert. Sie alle beziehen sich auf eine von den Sprechern angenommene Teileigenschaft des Islam, nämlich die Unterdrückung der Frau. Die Wörter evozieren allesamt starke negative Bedeutungsanteile und provozieren beim Rezipienten, dass diese Sachverhalte abzulehnen sind, weil sie nicht mit unserem Verständnis von Demokratie zu vereinbaren sind. Man könnte also all jene Schlagwörter als verkürzte Argumente betrachten, die begründen, warum der Islam im Widerspruch zum deutschen Grundgesetz steht und daraus resultierend den Muslimen untersagt werden muss, eine Moschee (in dieser Größenordnung) zu bauen. Bei den Sprechern mit Konzept A fungiert dass Lexem islamisch häufig selbst als Schlagwort, was in folgendem Beispiel deutlich wird:
196 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 86. Erschreckenderweise deuten viele Anzeichen darauf hin, dass die derzeitige, dritte Generation islamischer denkt als ihre Eltern und Großeltern und dass ein Teil von ihr anfälliger ist für radikale Ideen als diese. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
Durch die Verwendung des Adverbs erschreckenderweise wird deutlich, dass das Adjektiv islamisch negative Bedeutungsanteile evoziert, aus der wiederum eine appellative Bedeutungskomponente resultiert, dass eine islamische Denkweise etwas Abzulehnendes, weil Gefährliches, ist. Islamisch wird dabei als Schlagwort verwendet. Die Analyse des Kapitels Zuwanderung und Integration aus Sarrazins Deutschland schafft sich ab (siehe Kapitel IV) ergab, dass dort die Ausdrücke islamisch und westlich semantisch komplementär verwendet werden. Dadurch, dass der Islam durch die angenommene relative Ferne zum westlichen Wertesystem von den Sprechern mit Konzept A als negativ bewertet wird, zeichnet sich diese Dichotomie von islamisch und westlich an dieser Stelle bereits ab. Auch das vom Lexem Islam abgeleitete Verb islamieren hat negativdeontische Bedeutung: 87. Für Muslime ist ein christliches Gotteshaus islamiert, wenn man darin in Richtung Mekka Allah gerufen hat. Können Sie sich gemeinsame Veranstaltungen mit der muslimischen Gemeinde im Dom vorstellen? (KSTA, 21.06.2007, „Ich habe ein ungutes Gefühl“)
Islamieren ist eine Wortneubildung und bedeutet – so wie es hier verwendet wird – in etwa Missionierung durch Menschen muslimischen Glaubens. Die Missionierung durch eine Religion wie den Islam wird von den Diskursteilnehmern abgelehnt. Ob es für die Sprecher einen Bedeutungsunterschied zwischen islamieren und islamisieren gibt, ist nicht eindeutig erkennbar. Islamisierung dient jedoch als weiteres Schlagwort für die Diskursteilnehmer. Der Zustand der Islamisierung soll verhindert werden. Diese deontische Komponente ist Teil der Bedeutung von Islamisierung. Somit wird erneut sichtbar, dass dieses Schlagwort als verkürztes Argument betrachtet werden kann, das die Konklusion, den Moscheebau abzulehnen, stützt. 88. Der Moscheebau von Köln, so Debie, bedeute: „Die Islamisierung geht weiter.“ Man müsse „den politischen Mut haben, unsere Werte zu verteidigen“. Und Strache ruft dem Häuflein der „pro Köln“-Demonstranten entgegen: „Der Kulturkampf hat längst begonnen.“ Er warnt vor Überfremdung und beruft sich auf die schweigende Mehrheit. (FAZ, 18.06.2007, Noch einmal über alles sprechen) 89. „Was wird eigentlich“, fragen einige, „wenn sich die befürchtete Islamisierung in der Türkei fortsetzt? Wird das durch Ditib hierher übertragen?“ (FAZ, 18.06.2007, Noch einmal über alles sprechen)
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 197 90. Seine Sorge vor einer schleichenden Islamisierung in Deutschland wolle er trotzdem äußern dürfen. (SPIEGEL Online, 12.06.2007, „Ich bin doch kein Türkenschreck“)
In Äußerung 88 wird deutlich, dass für den Sprecher die Islamisierung im Widerspruch zu unseren Werten steht und diese deshalb abgelehnt werden muss. Diese negativen Bedeutungsanteile sowie der Appell zur Verhinderung werden ebenfalls in 89 durch das Attribut befürchtete evoziert. In 90 wird Islamisierung durch schleichend personifiziert. Zu schleichend haben wir zudem viele Assoziationen, die mit dem Konzept Bedrohung zusammenhängen. Dies wird ebenfalls deutlich, wenn man sich die Wörterbuchbedeutung von schleichend ansieht. Der DUDEN definiert schleichend als „allmählich, fast unbemerkt beginnend und sich ausbreitend und verstärkend“ und gibt zwei Beispiele, die die Verbindung zum Konzept der Bedrohung zusätzlich verdeutlichen: „eine schleichende Krankheit“ sowie „schleichende Inflation“133. Schleichen vollzieht sich also sehr langsam, so dass wir gar nicht merken, wie die Bedrohung immer näher an uns herantritt. Das Adjektiv verstärkt also die negativen Bedeutungsaspekte von Islamisierung. Auch Islamismus dient für Sprecher mit Konzept A, die diesen häufig nicht von Islam eindeutig abgrenzen, als Schlagwort: 91.
Er fragt sich und sorgt sich, wie viele andere auch, ob der fanatische Islamismus unsere Freiheiten bedrohen und einschränken kann. (FAZ, 25.06.2007, Waffen gegen die deutsche Elefantenhaut) 92. Beraten wird über den kausalen Nexus von Islamismus und Terrorismus, fanatischem Glauben und revolutionärer Gewalt. (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“) 93. Wenn es denn stimmen sollte, dass es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gibt (was wiederum gerade Muslime bestreiten), dann sollte der Islam bemüht sein, den Unterschied glaubhaft zu machen. Denn wenn das nicht geschieht, kann er bald schon identifiziert werden mit einer Bewegung, die das Zeug zum Totalitarismus des 21. Jahrhunderts in sich trägt. (FAZ, 12.08.2007, „Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“)
Für Strauß et. al fällt Islamismus unter die sogenannten Feindwörter. Zu ihnen gehören viele sog. Ismen, also die Substantive auf -ismus, die entsprechenden Personen- und Gruppenbezeichnungen auf -ist sowie die Adjektive auf -(ist)isch, aber auch Adjektive und Substantive, gelegentlich auch Verben, die mit den -ismusFeindwörtern in bestimmten Kontexten (…) eine enge Verbindung eingehen oder dort ste-
133 http://www.duden.de/rechtschreibung/schleichend; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
198 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs reotyp wiederholt werden (z.B. im Umfeld von Terrorismus das Feindwort Sympathisant oder die Adjektive militant, konspirativ und subversiv.) (Strauß et al. 1989, 37)
Der in Kapitel 4.1.2 dargestellte Parallelgesellschaftstopos erhält seine Wirkung bereits durch das Schlagwort Parallelgesellschaft. Dieses Wort beinhaltet die Aufforderung, dass eine solche Parallelgesellschaft verhindert werden muss. Gleicherweise verhält es sich mit dem Kulturbruchtopos, der ebenfalls ein Schlagwort, Kulturbruch, enthält, das negative Bedeutungsanteile evoziert, woraus die deontische Komponente resultiert, dass ein Bruch in der Kultur verhindert werden soll. Viele der Schlagwörter mit negativ-deontischer Bedeutung beinhalten das Morphem islam, wie Islamismus/islamistisch, islamieren, islamisieren/Islamisierung, islamischer. Diese Tatsache unterstützt die These, dass Islam selbst zum Schlagwort mit negativ-deontischer Bedeutung wird. Die negativen Bedeutungsanteile von Islam werden ebenso dadurch deutlich, dass die jeweiligen Sprecher den Islam nicht vom Islamismus abgrenzen.
4.1.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzept A) Für die Beschreibung des Islamkonzepts A wurden verschiedene Methoden der Text- beziehungsweise Diskurssemantik angewandt. Zunächst wurde mithilfe einer Frame-Analyse das Konzept A herausgearbeitet. Dabei wurde festgestellt, dass die Sprecher dem Islam bestimmte Eigenschaften zuschreiben. So gehen sie davon aus, dass der Islam eine politische Religion ist, der die Trennung zwischen Staat und Kirche nicht vollzieht. Des Weiteren schreiben sie dem Islam die Eigenschaft der Gewaltbereitschaft zu und die Fähigkeit der Selbstkritik ab. Dass im Islam keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen vorherrsche, halten Sprecher ebenfalls für ein wesentliches Merkmal. Da all diese Eigenschaften im Widerspruch zum westlichen Wertesystem und Demokratieverständnis stehen, enthält das Konzept A Islam insgesamt starke negative Bedeutungsanteile. Die Frame-Analyse hat deutlich gemacht, dass in der Debatte um den Bau einer Großmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld der Islam vor allem hinsichtlich seiner Bedeutung für den nicht-muslimischen Menschen charakterisiert wird. Dabei wird der Islam zunehmend im Sinne Gesamtheit der Muslime, also als eine soziale Gruppe wahrgenommen. Die Analyse hat zudem gezeigt, dass bestimmte Leerstellen im Konzept Islam – von Konerding (1993) als Listen von Fragen aufgeführt – durch den Diskurs nicht gefüllt werden. So wird der Islam beispielsweise nicht hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte diskutiert.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 199
Es konnte außerdem deutlich gemacht werden, dass aus dem negativen Islambild bestimmte Argumentationsmuster resultieren. Gerade weil dem Islam bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, die im Widerspruch zu den westlichen Werten stehen, soll laut Sprecher mit Konzept A der Moscheebau verhindert werden. Besonders zentral erscheint für die Sprecher die Eigenschaft des Politisch-Seins, denn es fanden sich besonders häufig Kotextualisierungen, die den Islam als eine politische Religion charakterisieren. Für die Sprecher symbolisiert die Moschee diese Eigenschaft des Islam in doppelter Hinsicht: Zum einen wirkt die geplante Größe der Moschee auf die Diskursteilnehmer bedrohlich, weil sie in deren Augen einen Machtanspruch symbolisiert. Dem Islam wird dabei unterstellt, die Islamisierung Europas anzustreben. Zum anderen geht man davon aus, dass gerade Moscheen Orte sind, an denen politische Entscheidungen getroffen werden. Die Analyse der Argumentationsmuster hat wiederum bestimmte Rückschlüsse auf das Konzept Islam zugelassen. Es wurde die implizite Prädikation herausgearbeitet, dass der Islam sich in die deutsche Gesellschaft integrieren beziehungsweise dem deutschen Wertesystem annähern muss, um positiv bewertet zu werden. Diese implizite Prädikation – das wird die Arbeit noch zeigen – ist in allen vier Islamkonzepten verankert. Schließlich konnte aufgezeigt werden, dass Diskursteilnehmer bestimmte Schlagwörter mit negativ-deontischer Bedeutung verwenden und damit die Ablehnung der Moschee zusätzlich begründen. Unter anderem ergab die Untersuchung, dass durch die Nicht-Differenzierung zwischen Islam und Islamismus das Lexem Islam per se schon negative Bedeutung evoziert, die eine ablehnende Haltung hervorruft. Viele der diskutierten Schlagwörter enthalten das Morphem islam, sodass zu vermuten ist, dass durch die häufige Verwendung von Schlagwörtern wie Islamismus und Islamisierung sich deren negativ-deontische Bedeutung dann auch auf das Lexem Islam überträgt. Bei der Analyse fiel außerdem auf, dass dem Islam häufiger explizit negative Eigenschaften zugeschrieben werden als den Muslimen, obwohl deutlich gemacht wurde, dass Islam ebenfalls mit der Bedeutung Gesamtheit der Muslime verwendet wird. So gibt etwa Ralph Giordano an, die Muslime als heterogene Gruppe wahrzunehmen, er schreibt dem Islam jedoch in seiner Gesamtheit negative Eigenschaften zu. Durch die Personifizierung des Lexems Islam (Der Islam macht Politik) wird allerdings deutlich, dass mit seiner Verwendung auch die Muslime charakterisiert und letztendlich doch – auf einem Umweg – als eine homogene Masse dargestellt werden.
200 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 4.2 Das Konzept B Die extrahierten Kotextualisierungen der Lexeme Islam und Moslem/Muslim ließen sich sehr häufig dem Konzept A, nur wenige (weniger als 10%) eindeutig dem zweiten Konzept B zuordnen. Das zweite Konzept enthält die positivsten Bedeutungsanteile. Genau wie das Konzept A zeichnet sich auch das Konzept B dadurch aus, dass der Islam als eine Gesamtheit wahrgenommen und nicht – wie in den Konzepten C und D – in verschiedene ‚Teilislams‘ gespalten wird. Anders jedoch als von Sprechern, denen das Konzept A zugeordnet werden konnte, konstituieren die Sprecher mit Konzept B den Islam als eine friedliche Religion und grenzen ihn klar vom Islamismus ab. Obwohl die Anzahl der Kotextualisierungen, die Sprechern mit Konzept B zugeordnet werden können, wesentlich geringer ist als die für Sprecher mit Konzept A, konnten diese insgesamt zwei Kategorien zugeordnet werden: zum einen der Kategorie Islam im Vergleich mit anderen Religionen und zum anderen Islam und die deutsche Gesellschaft. In dieser hier vorgenommenen Kategorisierung werden einige der für das Konzept A aufgestellten Kategorien zusammengefasst. So wird etwa in der Kategorie Islam im Vergleich mit anderen Religionen die dem Islam von Sprechern mit Konzept A unterstellte Gewaltbereitschaft mit aufgegriffen. Die Unterdrückung der Frau wird in dieser Kategorie ebenfalls thematisiert. Bevor diese Kategorien näher herausgearbeitet werden, stellt sich zunächst noch die Frage, woran es liegt, dass das Konzept B in den Texten derart stark unterrepräsentiert ist. Man könnte annehmen, dass das Konzept B vor allen Dingen Muslimen zugeordnet werden kann. Jedoch ist auffällig, dass selbst muslimische Sprecher dem Islam nicht absolut kritikfrei gegenüberstehen, sondern mehrere Islamformen unterscheiden und dabei oft (implizit) einräumen, dass es auch Formen des Islam gibt, die nicht ungefährlich sind, wie etwa die folgenden Äußerungen zeigen: 94. Imam Benjamin Idriz, der seit 1995 in Penzberg arbeitet, stammt aus der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und vertritt, wie er sagt, einen „offenen, modernen Islam“. (Sueddeutsche Zeitung, 03.08.2007, Ausbildung für Gelehrte des Islams) 95. In Deutschland bildet bislang nur der Verband der Islamischen Kulturzentren mit Sitz in Köln Imame aus, ein theologisch konservativer, türkisch dominierter Verein. Die Münchner Ausbildungsstätte soll für Muslime aus allen Ethnien offen sein und den „Reformgedanken eines in Europa angekommenen Islam“ vertreten. (Sueddeutsche Zeitung, 03.08.2007, Ausbildung für Gelehrte des Islams)
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 201
Auch wenn Idriz betont, einen offenen, modernen Islam zu vertreten, so gesteht er damit doch zugleich ein, dass es auch einen nicht offenen, unmodernen Islam gibt (94). In dem Satz Ich vertrete einen offenen, modernen Islam liegt eine faktische Präsupposition vor, die besagt, dass es einen offenen modernen Islam gibt. Ebenfalls präsupponiert die Äußerung in 95, dass es einen in Europa angekommenen Islam gibt. Durch den unbestimmten Artikel wird allerdings deutlich, dass es also noch mehrere Formen des Islam geben muss, beispielsweise auch einen Islam, der nicht in Europa angekommen ist beziehungsweise dessen Werte nicht mit den europäischen übereinstimmen. Es besteht also ein großer Unterschied, ob man dem Islam in seiner Gesamtheit positive Eigenschaften zuspricht, wie es etwa Sprecher mit Konzept B machen, oder ob man zwischen verschiedenen Formen des Islam unterscheidet. Während ein Sprecher, dem das Konzept B zugeordnet wird, der Auffassung ist, dass der Islam in seiner Gesamtheit beispielsweise offen und modern ist, sprechen Diskursteilnehmer mit Konzept D diese positiven Eigenschaften nur einigen Islamformen zu. Somit wird deutlich, dass sich bei der Argumentation für den Moscheebau bei vielen Sprechern ein differenziertes Islambild zeigt. Sie spalten den Islam in verschiedene Formen auf, die sie wiederum unterschiedlich bewerten. Den meisten Sprechern, die den Moscheebau verteidigen, konnte das Konzept D zugeordnet werden. Auch Vertreter der DITIB, der türkisch-islamischen Union, stehen dem Islam nicht immer kritiklos gegenüber. Einige Äußerungen deuten jedoch auch auf dieses zweite Konzept B hin, so wie die folgende: 96. „Der Islam ist eine friedliche und gemäßigte Religion. Die fortschrittliche Religionsauffassung des Islams rechtfertigt unter keinen Umständen die Androhung oder den Einsatz von Gewalt“, teilte der Verband am Freitag in Köln mit. (KSTA, 13.07.07, Ditib verteidigt Salman Rushdie)
In diesem Beispiel wird also deutlich, dass der Islam in seiner Gesamtheit als friedlich und gemäßigt betrachtet wird. Es wird auch gleichzeitig die dem Islam von Sprechern mit Konzept A unterstellte Gewaltbereitschaft aufgegriffen und ausgesagt, dass der Islam Gewalt oder dessen Androhung unter keinen Umständen rechtfertigt. Das Konzept B ist der Islambegriff, der die meisten positiven Bedeutungsanteile enthält. Zu den Sprechern, denen das Konzept zugeordnet werden kann, gehört etwa der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Ayyub Axel Köhler. Auch der Architekt Paul Böhm steht laut seiner Äußerungen dem Islam als Gesamtheit weitgehend kritiklos gegenüber.
202 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 4.2.1 Frame-Analyse Wie bereits erwähnt, konnten die ermittelten Kotextualisierungen bezogen auf das Konzept B vor allem zwei Kategorien, nämlich Islam im Vergleich zu anderen Religionen sowie Islam und die deutsche Gesellschaft, zugeordnet werden. Die Themen Islam und Gewaltbereitschaft und Islam und die Unterdrückung der Frau spielen in diesen Kotextualisierungen allerdings ebenfalls eine Rolle.
4.2.1.1 Kategorie: Islam im Vergleich zu anderen Religionen 97. Ich interessiere mich für Menschen, ob sie Christen, Juden, Muslime oder Buddhisten sind, baue ich ihnen gerne ein adäquates Haus. Es sind jedenfalls Menschen, die ihren Frieden suchen. (FAZ, 08.06.2007, Ich möchte die Muslime aus dem Hinterhof holen)
Mit Konzept B liegt ein Islambegriff vor, in dem Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Judentum vorherrschen beziehungsweise diese hergestellt werden. So charakterisiert der Architekt Paul Böhm in oben stehender Äußerung Christen, Juden, Buddhisten und Muslime, indem er eine Gemeinsamkeit herausstellt: Es seien alles Menschen, die ihren Frieden suchen. Auch der Journalist Muhammad Kalisch vergleicht den Islam mit dem Judentum und dem Christentum: 98. Ebenso muss betont werden, dass diese heutigen ethischen und menschenrechtlichen Standards nicht dem Judentum, Christentum oder Islam zu verdanken sind, sondern der Aufklärung. Judentum, Christentum, Islam und selbstverständlich auch andere Religionen wie Hinduismus oder Buddhismus haben jeweils eigenständige Beiträge zum menschlichen Fortschritt geleistet, die natürlich ebenfalls nicht zu leugnen sind, aber Demokratie, Pluralismus, Menschenrechte und Rechtsstaat in der Form, wie wir sie heute kennen, sind das Produkt der Aufklärung. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Kalisch verdeutlicht hier, dass auch das Judentum und Christentum nicht uneingeschränkt kritiklos betrachtet werden können. Er versucht die Auffassung zu widerlegen, dass wir dem Judentum und Christentum diese heutigen ethischen und menschenrechtlichen Standards verdanken. Er führt weiter aus: 99. Der Islam ist mit der Aufklärung genauso viel oder wenig kompatibel wie das Judentum oder Christentum. Es hängt einzig davon ab, mit welcher Methodik Muslime ihre religiöse Tradition erforschen. Was Aufklärung und Menschenrechte betrifft, so ist die Haltung des „Westens“ keineswegs so eindeutig, wie stets nach außen bekundet wird. Wir sehen, dass bestimmte politische Kräfte immer mehr in die Freiheitsrechte
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 203 von Bürgern eingreifen und gängige Menschenrechtsstandards systematisch abbauen wollen. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Der Sprecher argumentiert hier nicht, indem er versucht, den Islam aufzuwerten und damit zu zeigen, wie er entgegen der Auffassung der Sprecher mit Konzept A doch mit dem westlichen Wertesystem zu vereinbaren ist, sondern er argumentiert, indem er das Christentum und Judentum abwertet und aussagt, dass diese genauso wenig mit den in der Aufklärung tradierten Werten zu vereinbaren sind. 100. Nun, ebenso wie islamische Fundamentalisten nicht das geringste Problem damit haben, den Islam als die Religion des Friedens zu bezeichnen und dann Menschen zu töten, so wenig haben fundamentalistische Christen ein Problem damit, von Nächstenliebe zu sprechen und dann Menschen zu töten. Christliche Gewalt ist kein Problem von Altertum und Mittelalter, sie ist aktuell bis in die Gegenwart. Ob Francos Spanien, Ustascha-Kroatien, der Nordirlandkonflikt oder der Balkankrieg – die Liste von Gewaltherrschaft und Krieg mit christlicher Begründung ist lang. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
In dieser Äußerung wird zum einen die Gewaltbereitschaft nicht dem Islam, sondern islamischen Fundamentalisten zugeschrieben. Damit wird die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus deutlich. Zum anderen geht der Sprecher darauf ein, dass das Phänomen des gewaltbereiten Fundamentalismus ebenfalls dem Christentum zugeschrieben werden kann. Der Sprecher greift somit hier wieder die von Sprechern mit Konzept A angenommene Verbundenheit des Islam mit Gewalt auf. In allen Äußerungen wird deutlich, dass der Sprecher den Islam aufzuwerten versucht, indem er den Religionen Judentum und Christentum genau diese negativen Eigenschaften ebenfalls zuschreibt, die dem Islam unterstellt werden. So existiere das Phänomen der Gewaltbereitschaft auch im Christentum: 101. Der Koran, so heißt es, sei eine zur Gewalt aufrufende und Gewalt verherrlichende Schrift. Hier nun hilft den so argumentierenden Verteidigern des Abendlandes die Tatsache, dass hierzulande kaum jemand die Bibel liest. Das Alte Testament enthält viele Gewalt verherrlichende Passagen, und auch das Neue Testament ist ethisch nicht unproblematisch. Die simple Wahrheit nämlich ist, dass Bibel wie Koran in ihren wörtlichen Aussagen nicht den heutigen ethischen und menschenrechtlichen Mindeststandards entsprechen. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Ralph Giordano hatte geäußert, dass er die Lehren des Korans für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält (44), der Sprecher der oben stehenden Äußerung nimmt darauf Bezug und erklärt, dass auch die Bibel Gewalt verherrlichende Passagen enthalte. Auffällig ist wieder, dass der Sprecher dem Islam bzw. dem
204 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Koran eine bestimmte Neigung zur Gewalt nicht abspricht, sondern betont, dass es genau diese Gewaltbereitschaft auch in anderen Religionen gibt. Auch die folgende Sprecherin, die Anhängerin des muslimischen Glaubens ist, räumt ein: 102. Natürlich gebe es auch im Islam extreme Positionen. „Doch die gibt es in jeder Religion. Ich muss nicht für solche Ausnahmen geradestehen.“ (KSTA, 19.08.07, „Meinen Sie uns, Herr Giordano“)
Die extremen Positionen werden hier allerdings als Ausnahmen bezeichnet. Auch die dem Islam unterstellte Eigenschaft der Unterdrückung der Frau wird von den Diskursteilnehmern mit Konzept B aufgegriffen: 103. Wenn die Religionsfreiheit in Deutschland an ästhetische Kriterien geknüpft wird, oder an sonst welche Leistungen auf völlig anderen Gebieten, der Integration zum Beispiel, dann sind wir geliefert. Wenn sich heute das Argument durchsetzt, dass Moscheen nicht in Ordnung sind, weil dort Frauen getrennt von Männern beten, dann wird es sich mit Sicherheit morgen gegen die orthodoxen Synagogen richten, in denen das auch der Fall ist. (WELT, 08.06.2007, Nie wieder Hinterhof)
In der Äußerung wird auf die laut Sprecher mit Konzept A vorherrschende Unterdrückung der Frau im Islam Bezug genommen und erneut auf eine andere Religion, hier das Judentum, verwiesen. Denn – so der Sprecher – auch in Synagogen beten Frauen und Männer getrennt voneinander. Außerdem kommt hier bereits ein bestimmtes Argumentationsmuster zum Ausdruck, das später in der Toposanalyse noch näher beschrieben werden soll. Sprecher mit Konzept B argumentieren häufig für den Moscheebau, indem sie auf das Recht auf Religionsfreiheit im Grundgesetz verweisen. Sprecher mit Konzept B stellen also vor allem Gemeinsamkeiten mit dem Judentum und dem Christentum heraus. Sie räumen ein, dass es eine gewisse Gewaltbereitschaft im Islam geben kann, jedoch existiere das Problem des Fundamentalismus, der die Gewalt zu rechtfertigen versucht, auch im Christentum und Judentum. Damit wird das Phänomen der Gewaltbereitschaft also auch von Sprechern mit diesem zweiten Konzept thematisiert. Die Gewaltbereitschaft wird hier dem Islam nicht gänzlich abgesprochen, es wird sogar eingeräumt, dass es fundamentalistische Strömungen mit einem Hang zur Gewalt im Islam gibt, allerdings sei dies auch ein Phänomen anderer Religionen. Auf genau diese Äußerungen wird wiederum von Sprechern mit Konzept A Bezug genommen, wenn sie beispielsweise angeben, dass das Christentum im Vergleich zum Islam friedlich und harmlos ist, wie Muhammad Kalisch im gleichen Artikel darstellt:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 205 104. Im Christentum gibt es fundamentalistische Strömungen, die versuchen, immer stärkeren Einfluss auf die Politik zu nehmen – wobei Christen generell dazu tendieren, sich unpolitischer darzustellen, als sie es in Wirklichkeit sind. Regelmäßig wird hier erwidert, dass es diese Probleme sicherlich gäbe, aber ein fundamentaler Unterschied zum Islam eben darin bestünde, dass der Islam gewalttätig und kriegerisch und das Christentum friedlich und daher eigentlich harmlos sei. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Auch auf den Vorwurf, dass der Islam mit der Politik verbunden ist, geht Kalisch in dieser Äußerung ein, indem er auch dem Christentum diese Eigenschaft zuschreibt (wobei Christen generell dazu tendieren, sich unpolitischer darzustellen, als sie es in Wirklichkeit sind). Wenn Ralph Giordano sagt, der Islam sei eine gewaltbereite Religion, so wäre vorstellbar, dass andere Diskursteilnehmer darauf reagieren, indem sie behaupten, dass der Islam eine friedliche Religion ist. Wenn Giordano den Islam mit Terrorismus in Verbindung bringt, so wäre als Reaktion die Frage vorstellbar, was diese beiden Phänomene eigentlich miteinander zu tun haben. Ähnlich verhält es sich mit der Unterdrückung der Frau. Wird dem Islam vorgeworfen, im Islam werden nach wie vor Frauen unterdrückt, so könnte man sich als Reaktion eines Sprechers vorstellen, dass er dem Islam dies abspricht und behauptet, der Islam und die Unterdrückung der Frau haben nichts miteinander zu tun. Weiterhin wäre möglich, dass ein Sprecher Giordano darauf hinweist, dass der Islam eine moderate und aufgeklärte Religion sei. All dies wären erwartbare Reaktionen. Auffällig im untersuchten Diskurssegment ist jedoch, dass es eben diese Reaktionen nicht – beziehungsweise nur sehr selten – gibt. Auf den Vorwurf, der Islam sei eine gewaltbereite Religion, der die Trennung von Staat und Kirche nicht kennt, bei der Frauen unterdrückt werden und keine Kritik zugelassen wird, reagiert die Gegenseite nicht, indem dem Islam genau diese Eigenschaften abgesprochen werden. Manche Sprecher halten dagegen, indem sie den Islam in verschiedene Formen aufteilen (Konzepte C und D) und etwa angeben Wir vertreten einen friedlichen Islam. Andere Sprecher, nämlich die Sprecher mit Konzept B, kontern, indem sie einen Gegenvorwurf äußern, wie es oben stehende Aussagen deutlich machen. Wenn auf die Vorwürfe Giordanos reagiert wird, indem man den Islam mit anderen Religionen vergleicht und zu dem Schluss kommt, dass auch das Christentum eine gewaltbereite Religion sei, in der die Unterdrückung der Frau ebenfalls vorherrsche, so wird damit gleichzeitig eingeräumt, dass man diese Vorwürfe für nicht ganz ungerechtfertigt hält. Es wird deutlich, dass die Verbindung von Islam mit Gewalt(bereitschaft) konzeptübergreifend eine Rolle spielt. Auch wenn der Islam von den Sprechern unterschiedlich bewertet wird, so kann eine Verbindung von Islam mit Gewalt von den Sprechern nicht gänz-
206 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs lich abgesprochen werden: Zu häufig wurde der Islam in der öffentlichen Diskussion mit Gewalt oder mit Terrorismus in Verbindung gebracht, sodass die Konzepte Islam und Gewaltbereitschaft scheinbar verknüpft wurden. Die Kotextualisierungen in der Kategorie Islam im Vergleich zu anderen Religionen können nun in nachfolgenden Prädizikationen zusammengefasst werden. Die meisten hier aufgezeigten Kotextualisierungen stammten aus einem einzigen Artikel des Korpus. Das Konzept B ist in den Texten so stark unterrepräsentiert, dass es hier nur grob skizziert werden kann. Die hier formulierten Prädikationen werden später wieder als Fillers im Konzept Islam verwendet.
Der Islam
Dem Islam
ist eine Religion wie das Judentum und das Christentum.
ist eine gewisse Neigung zur Gewalt nicht abzusprechen, aber auch das Judentum und Christentum sind nicht genuin friedlich.
ist eine gewisse Verbundenheit zur Politik nicht abzuDem Islam
Im Islam
sprechen, aber auch das Judentum und Christentum sind nicht genuin unpolitisch.
herrscht die Unterdrückung der Frau vor, aber die gibt es auch in anderen Religionen.
Abb. 16: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept B (Kategorie: Islam im Vergleich zu anderen Religionen)
4.2.1.2 Kategorie: Islam und die deutsche Gesellschaft Während Sprecher mit Konzept A häufig der Auffassung sind, dass der Islam aufgrund seiner angeblichen Gewaltbereitschaft, der Verbindung zur Politik und der Existenz der Unterdrückung der Frau nicht in die deutsche Gesellschaft zu integrieren ist, vertreten Sprecher mit Konzept B die Gegenposition und sind der Meinung, dass der Islam zu dem deutschen beziehungsweise europäischen
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 207
Wertesystem nicht im Widerspruch steht. Die geplante Großmoschee ist für die Sprecher – anders als für Ralph Giordano, Necla Kelek und weitere Sprecher mit Konzept A – kein Symbol für einen Herrschaftsanspruch, sondern für die Präsenz des Islam in Deutschland. 105. Unterdessen sprach sich der Politologe und Publizist Klaus Leggewie für den Bau der Kölner Moschee aus. „Wenn die Muslime an die große Öffentlichkeit treten und selber Transparenz unter Beweis stellen, dann ist das für die deutsche Gesellschaft gut“, sagt Leggewie im Deutschlandradio Kultur. „Man sagt, wir sind angekommen und wir akzeptieren auch die Grund- und Bürgerrechte in diesem Land.“ Die Moschee sei Zeichen dafür, dass die Emigranten der zweiten und dritten Generation ihren Glauben nicht aufgeben, sondern weiter praktizieren würden. (KSTA, 01.06.2007, Giordano attackiert erneut Islamisten)
Bei der in Kapitel 4.1.2 für das Konzept A durchgeführten Toposanalyse wurde festgestellt, dass Sprecher mit diesem Konzept häufig die Angst äußern, nicht zu wissen, was in der Moschee vor sich gehe, und deshalb mehr Transparenz von Seiten der Muslime fordern, um Parallelgesellschaften zu vermeiden. In Äußerung 105 wird wiederum das Schlüsselwort Transparenz aufgegriffen, das auf diese Forderung Bezug nimmt. Der Sprecher der Äußerung betont, dass die Muslime, wenn sie an die Öffentlichkeit gehen und diese Transparenz unter Beweis stellen, gut sind für die deutsche Gesellschaft. Hier kommt also ein völlig anderes Islambild zutage, als das beispielsweise von Giordano konstruierte, dass der Islam ein Problem sei, dass der Islam nicht nach Deutschland passe. Auch in folgenden Äußerungen kommt indirekt zum Ausdruck, dass der Moscheebau gut für die deutsche Gesellschaft ist: 106. „Wenn die Moschee gebaut wird, dann gibt das der Integration der türkischen Bürger wichtige Impulse – Toleranz und gegenseitiger Respekt ist das alles Entscheidende.“ (KSTA, 11.06.2007, Gäste mit einem Gläschen Tee begrüßt) 107. Der Moscheebau sei ein Zeichen der Integration. (KSTA, 17.08.2007, „Meinen Sie uns, Herr Giordano“) 108. Die Absicht, dem bestehenden Gotteshaus eine würdige, schöne Form als Moschee zu geben, ist gerade ein Zeichen dafür, dass wir mit unseren Dienstleistungen für das Gelingen einer Integration in Köln sichtbar werden möchten. (KSTA, 16.05.2007, „Stoppt den Bau dieser Moschee“) 109. „Es stimmt, dass der Islam durch den Bau der Ditib-Moschee in Deutschland sichtbar werden und das traditionelle Bild in den deutschen Städten ändern wird.“ Das sei eine Bereicherung und ein Beitrag zur Integration derjenigen, „die ihre Heimat in Deutschland wissen“. Die Moschee sei kein Machtsymbol, sondern „ein Zeichen für die Präsenz von Muslimen in dieser Gesellschaft“. (KSTA, 21.06.2007, „Wir sind Teil dieses Landes“)
208 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Den von Sprechern mit Konzept A verwendeten negativ-deontischen Ausdrücken wie beispielsweise Problem, Angst, Unterdrückung, Abschottung, Ausbeutung, Zwangsehe und Gefangenschaft stehen hier die positiv-deontischen Ausdrücke Impuls, Gelingen und Bereicherung gegenüber. Sprecher mit Konzept B versuchen also nicht nur zu widerlegen, dass der Islam ein Problem für die deutsche Gesellschaft darstellt, sie gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass der Islam gut ist für die deutsche Gesellschaft. In Äußerung 106 werden die Ausdrücke Toleranz und Respekt verwendet, die ebenfalls Schlagwörter mit positiv-deontischer Bedeutung sind. Eine Analyse der einzelnen von Sprechern mit Konzept B verwendeten Schlagwörter folgt in Kapitel 4.2.3. Für die Sprecher mit Konzept B symbolisiert die Moschee die Integration (107 und 108) sowie die Präsenz der Muslime in Deutschland (109). Auch dem Architekten Paul Böhm kann das Konzept B zugeordnet werden. Er sieht – wie bereits weiter oben beschrieben – ebenfalls Gemeinsamkeiten zwischen Judentum, Christentum und dem Islam. In der Äußerung in 97 macht Böhm deutlich, dass er sich für Menschen interessiert, die ihren Frieden suchen. Böhm verwendet darin also den Ausdruck Frieden, der ein Hochwertwort darstellt, weil er in jedem vorstellbaren Kontext durch die positive evaluative Komponente die deontische Bedeutung erhält, dass Frieden anzustreben ist. Insofern, als auch der Islam eine Religion sei, die Frieden suche, ist also auch Böhms Islambegriff positiv. Das Konzept Frieden spielt auch in folgender Äußerung eine Rolle: 110. In einem ZDF-Interview wollte der Ratsvorsitzende Köhler unlängst „zunächst einmal“ festgestellt wissen, „dass von den muslimischen Gemeinden in Deutschland bisher keine Gefahr ausgegangen ist“. Das Ausbleiben von Terroranschlägen einheimischer Täter schreibt Köhler sich gleich zweimal gut. Es soll die Friedlichkeit des Islams belegen, aber auch den Erfolg der Vorbeugungsmaßnahmen des Zentralrates: „Wir können also wohl Einfluss ausüben auf unsere Gemeinden.“ (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“)
Wenn der Islam von dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime hier auch als friedlich dargestellt wird, so fällt zugleich auf, dass der Verfasser des Artikels sich von den Aussagen Köhlers distanziert. Köhler wollte festgestellt wissen und hat nicht einfach festgestellt. Durch die Verwendung des Modalverbs macht der Verfasser deutlich, dass er die angebliche Feststellung nicht als eine solche betrachtet. Wenn dieser dann des Weiteren sagt, dass sich Köhler das Ausbleiben von Terroranschlägen einheimischer Täter gleich zweimal gutschreibt, werden die Äußerungen Köhlers fast lächerlich gemacht. Wie bereits erwähnt, gibt es nur sehr wenige Kotextualisierungen, die dem Konzept B zugeordnet werden können. Rein intuitiv erscheinen jedoch Aussa-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 209
gen wie Der Islam ist eine uneingeschränkt friedliche Religion merkwürdig. Hier gibt es einen Hinweis darauf, dass das Lexem Islam im deutschen Sprachgebrauch negative Bedeutungsanteile evoziert. Dafür sprechen auch die Ergebnisse der Analyse für die Konzepte C und D. Sprecher mit diesen beiden Konzepten unterscheiden mehrere Islamformen. Auch dem Großteil der muslimischen Sprecher, die sich zum geplanten Moscheebau äußern, ist nicht das Konzept B, sondern das Konzept D zuzuordnen. Der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Ayyub Axel Köhler ist einer der wenigen Sprecher, die den Islam als uneingeschränkt friedlich betrachten. Indem der Verfasser dieses Artikels die Formulierung wollte festgestellt wissen anstatt eine Formulierung wie ist der Meinung dass, behauptet oder einfach stellt fest verwendet, wird die Distanzierung von der Äußerung Köhlers hervorgehoben. Eine solche Distanzierung wird im selben Artikel noch an einer weiteren Stelle deutlich: 111. Die Moschee, laut Köhler der einzige Ort muslimischen Lebens, soll nicht beschmutzt werden. Zufall soll es sein, wenn eine Verabredung zum Mord in einer Moschee getroffen wird; Mazyek vergleicht sie mit einem Bahnhof. (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“)
Zufall soll es sein; durch das Modalverb sollen grenzt sich der Verfasser hier von der Aussage Köhlers ab. Erneut wird deutlich, dass der Verfasser des Artikels nicht mit Köhler übereinstimmt. Es scheint intuitiv merkwürdig zu sein, wenn dem Islam in seiner Gesamtheit die Gewaltbereitschaft und eine Verbindung zum Terrorismus abgesprochen werden. So wie die Aussagen Ralph Giordanos im Diskurs als strittig beschrieben werden, wird sich auch von den Äußerungen, die den Islam als uneingeschränkt friedlich und gut darstellen, distanziert. In folgender Äußerung greift Ayyub Axel Köhler den Vorwurf, dass im Islam die Unterdrückung der Frau vorherrscht, auf: 112. Neben dem Thema Terrorismus, das aber nicht im Vordergrund stand, spielte in der Diskussion zwischen Huber und den muslimischen Funktionären vor allem die Stellung der Frau in der islamischen Gesellschaft eine wichtige Rolle: Auch hier schilderte Köhler die Muslime praktisch als Spitze der Bewegung – „eines der obersten Anliegen der koranischen Botschaft ist die Gleichberechtigung“ – und betonte: „Unser Prophet hat nie eine Frau geschlagen.“ Alboga hingegen bekannte selbstkritisch: „Wir haben zu lange zu den Rechten der Frauen geschwiegen. Ich entschuldige mich dafür.“ (KSTA, 07.06.2007, Heftiger Streit zwischen Religionen)
Wieder distanziert sich der Verfasser von den Aussagen Köhlers, diesmal mit dem stilistischen Mittel der Ironie. Auch hier schilderte Köhler die Muslime praktisch als Spitze der Bewegung; diese Äußerung ist insofern interessant, als die
210 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Ironie nur dann verstanden werden kann, wenn man annimmt, dass der Adressat ebenfalls die Unterdrückung der Frau als Eigenschaft des Islam betrachtet. Denn würde man davon ausgehen, dass die Unterdrückung der Frau von nur einem geringen Teil der Diskursteilnehmer als für den Islam wesentlich betrachtet wird, dann würde das Stilmittel der Ironie an dieser Stelle nicht greifen. Denn laut Searle (1982a, 135) funktioniert der Mechanismus der Ironie ganz grob gesagt so, daß die Äußerung wörtlich genommen ganz offensichtlich nicht zur Situation paßt. Weil sie so offensichtlich nicht paßt, muß der Hörer sie so reininterpretieren, daß sie paßt, und die natürlichste Methode besteht darin, sie so zu interpretieren, daß sie gerade das Gegenteil von dem bedeutet, was sie wörtlich besagt.
Das bedeutet in diesem Fall, dass die Ironie nur dann verstanden werden kann, wenn dem Leser auch bewusst ist, dass der Islam, was die Gleichberechtigung betrifft, eben nicht an der Spitze der Bewegung stehe, dass eher das Gegenteil der Fall sei. Wäre es stattdessen so, dass der Islam wirklich die Spitze der Gleichberechtigungsbewegung ist, so könnte der Leser diese Äußerung nicht als ironisch erkennen. Würde man etwa eine Äußerung betrachten wie Der Verein XY steht, was die Gleichberechtigung betrifft, an der Spitze der Bewegung, so könnten wir – sofern wir diese Äußerung in der Schriftform rezipieren und wir keine Ironiesignale wie etwa die Intonation haben – nicht erkennen, ob diese Äußerung ironisch oder ernst gemeint ist. Es muss also der Fall sein, dass dem Großteil der deutschen Sprachteilnehmer eine Verbindung der Konzepte Islam und Unterdrückung der Frau gewöhnlich erscheint. Es gibt somit einen weiteren Hinweis darauf, dass das Lexem Islam negative Bedeutungsanteile evoziert. Wie auch in der Kategorie Islam im Vergleich zu anderen Religionen deutlich wird, geht die Tendenz der Sprecher mit Konzept B nicht dahin, dem Islam das Phänomen der Unterdrückung der Frau abzusprechen, sondern stattdessen wird es den anderen Religionen ebenfalls zugesprochen. Auch Köhler weist auf Mängel innerhalb der christlichen Religion hin: 113. Ayyub Axel Köhler, der Vorsitzende des Koordinierungsrates der Muslime, wies sogleich darauf hin, dass die Bekämpfung und Abwehr nichtchristlicher Religionen ein „schwarzer Teil“ der europäischen Geschichte sei. Nach dem Grundsatz „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein“ habe Europa eine „breite Blutspur“ in der Welt hinterlassen. Eine Abkehr von dieser Tradition sei unter anderem mit der Festschreibung der Religionsfreiheit ins Grundgesetz gegeben. „Muslime gehören in die erste Reihe derer, die dieses Recht verteidigen“, bekräftigte Köhler. (FAZ Online, 08.06.2007, „Appeasement an dieser Stelle wäre Verrat“)
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 211
Für Sprecher mit Konzept B sind die Muslime bereits Realität in Deutschland. Die Auffassung Giordanos, dass die Integration gescheitert ist, versuchen Sprecher mit Konzept B zu widerlegen: 114. Giordano urteile „aus seinem Elfenbeinturm“ und verkenne völlig, dass Muslime bereits „ein Teil dieser Stadt“ sind. (KSTA, 17.08.2007, „Meinen Sie uns, Herr Giordano“)
Muslime sind ein Teil dieser Stadt; es wird also darauf hingewiesen, dass viele Muslime bereits integriert seien beziehungsweise dass die Integration nicht – wie Giordano behauptet – gescheitert sei. Der Ausdruck Teil dieser Stadt steht im Gegensatz zu dem von Sprechern mit Konzept A verwendeten Schlagwort Parallelgesellschaft. Sprecher mit Konzept B sind also der Meinung, dass Muslime in die deutsche Gesellschaft zu integrieren beziehungsweise bereits integriert sind. Von den Kotextualisierungen, die der Kategorie Islam und die deutsche Gesellschaft zugeordnet wurden, lassen sich folgende Prädikationen ableiten:
Der Islam
ist gut für die deutsche Gesell-
Der Islam
ist Realität in Deutschland.
Die Muslime
Der Islam
schaft.
sind bereits in die deutsche Gesellschaft integriert beziehungsweise werden gerade integriert.
ist eine friedliche Religion.
Abb. 17: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept B (Kategorie: Islam und die deutsche Gesellschaft)
Die Aussagen Köhlers stellen dabei allerdings einen Sonderfall dar. Er ist der einzige Diskursteilnehmer, der den Islam als uneingeschränkt friedlich beschreibt und ihm absolut kritiklos gegenübersteht. Wie jedoch in Hinblick auf die Kotextualisierungen der Kategorie Der Islam im Vergleich zu anderen Religi-
212 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs onen bereits festgestellt wurde, schreiben andere Diskursteilnehmer mit diesem positiven Konzept dem Islam nicht jede negative Eigenschaft ab, sondern versuchen, ihn aufzuwerten, indem sie behaupten, dass die dem Islam vorgeworfenen negativen Eigenschaften auch Eigenschaften anderer Religionen sind. So ist auch die dem Islam zugeschriebene Friedlichkeit relativ zu werten. Für die Sprecher ist der Islam keine mehr oder minder friedliche Religion als das Christentum oder Judentum. Köhler ist der einzige Sprecher, der dem Islam das Vorkommen der Unterdrückung der Frau abspricht. Andere Sprecher versuchen dies zu relativieren, indem sie dies auch als ein Phänomen anderer Religionen betrachten (andere Sprecher mit Konzept B) oder sie unterscheiden verschiedene Formen des Islam, in denen das Phänomen in unterschiedlichen Maßen eine Rolle spielt (Sprecher mit Konzept C und D). Köhler befindet sich als Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in einer Sonderposition. In seiner Funktion repräsentiert er den Islam in seiner Gesamtheit und muss deshalb dem Islam als Ganzes bestimmte Eigenschaften zu- oder absprechen.
4.2.1.3 Die Kotextualisierungen als Fillers im Konzept Islam (B) In Kapitel 2.1 wurden aus dem Matrixframe Zustand sowie dem Matrixframe Soziale Gruppe/Institution Fragen für die Erarbeitung des Konzepts Islam abgeleitet, die nun im Folgenden auch bezogen auf das Konzept B beantwortet werden. Aufgrund der Tatsache, dass dieses Konzept im Korpus stark unterrepräsentiert ist, konnten jedoch auch nur einige wenige Fragen beantwortet werden. Das Konzept Islam wurde hinsichtlich seines Matrixframes doppelt perspektiviert. Dadurch, dass Islam sowohl im Sinne einer religiösen Lehre als auch einer sozialen Gruppe verwendet wird, leiten sich aus dem Lexem zwei verschiedene Matrixframes ab. Diese stehen nicht nebeneinander, sie sind vielmehr miteinander verbunden, da schließlich auch die verschiedenen Lesarten von Islam, wie die Abb. 1 in Kapitel I, 1.2 abgebildet hat, in einer Beziehung stehen, d.h. nicht klar voneinander abgegrenzt werden können. Sowohl aus dem Matrixframe Zustand als auch aus dem Matrixframe Soziale Gruppe/Institution leitet sich die Frage nach den Eigenschaften des Islam ab (vgl. Frage 1c des Matrixframes Zustand und Frage 1e des Matrixframes Soziale Gruppe/Institution in Kapitel 2.1). Für das Konzept Islam B kann diese Frage folgendermaßen beantwortet werden: Für Sprecher mit Konzept B ist die Erscheinungsweise des Islam insgesamt sehr positiv geprägt. Der Islam wird als eine friedliche Religion wahrgenommen beziehungsweise als nicht weniger friedlich als das Judentum oder Christentum. In den Kotextualisierungen, die dem Konzept B zugeordnet wurden, verglichen die Sprecher den Islam häufig mit anderen Religionen/Institutionen wie dem Judentum oder Christentum. Die Kotextualisierungen geben somit Antwor-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 213
ten auf die Fragen 1e des Matrixframes Zustand und Frage 3j des Matrixframes Soziale Gruppe/Institution, also den Fragen danach, wie sich der Islam von anderen Zuständen beziehungsweise sozialen Gruppen unterscheidet oder inwiefern er diesen ähnelt. Anders als Sprecher mit Konzept A finden Sprecher mit Konzept B viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und anderen Religionen. So wird der Islam als eine Religion wie das Christentum und Judentum wahrgenommen. Laut der Sprecher haben diese drei Religionen viele Gemeinsamkeiten. Die Frage, welche Bedeutung der Islam für den Menschen hat (2d beziehungsweise 3i), wurde hier als Frage nach der Bedeutung für den nichtmuslimischen Menschen beantwortet. Sprecher mit Konzept B sind der Meinung, dass der Islam bereits Realität in Deutschland sei und sehr wohl in die deutsche Gesellschaft passe. Die Muslime seien bereits in die deutsche Gesellschaft integriert, beziehungsweise der Integrationsprozess finde derzeit noch statt. Viele der konzipierten Fragen blieben unbeantwortet, es gibt also viele Leerstellen im Konzept Islam B. Das konstituierte Konzept B perspektiviert den Islam ebenfalls nicht bezüglich seiner Entstehungsgeschichte oder Relevanz für die Muslime.
214 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
ist eine friedliche Religion
hat nicht die
ist Realität in
Unterdrückung der Frau als
Deutschland
Islam
Merkmal
(als eine Einheit)
hat viele Gemeinsamkeiten
passt nach
mit Christentum
Deutschland
und Judentum
Abb.18: Konzept B
Ein wesentlicher Unterschied zu Konzept A ist zunächst also, dass dieses zweite Konzept B eindeutig zwischen Islam und Islamismus unterscheidet. Diese Unterscheidung wird auch in folgender Äußerung thematisiert: 115. Die Bezeichnungen „Muslim“ und „Islamist“ würden gleichgesetzt, so dass der durchschnittliche Muslim sich vor sich selbst zu fürchten begonnen hat und seine Eigenwahrnehmung in Frage stellt. (KSTA, 21.06.2007, „Wir sind Teil dieses Landes“)
Anders als für Diskursteilnehmer mit Konzept A stellt der Islam hier keine Bedrohung dar, der Islam als Ganzes sei eine friedliche Religion, beziehungsweise – so stellen Sprecher mit Konzept B fest – der Islam sei nicht mehr oder weniger
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 215
gewaltbereit als andere Religionen wie etwa das Christentum oder Judentum. Eine wichtige Eigenschaft der Sprecher mit Konzept B ist, dass sie Gemeinsamkeiten mit Christentum und Judentum zu finden versuchen. Sie grenzen also nicht wie Sprecher mit Konzept A den Islam von den anderen Religionen ab, sondern zeigen Gemeinsamkeiten auf. Laut Diskursteilnehmern mit Konzept B spiele die Unterdrückung der Frau auch in anderen Religionen eine Rolle. Obwohl dieses Konzept das mit den meisten positiven Bedeutungsanteilen ist, erscheint der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Ayyub Axel Köhler als der einzige Sprecher im Diskurs, der dem Islam die Unterdrückung der Frau gänzlich abzusprechen versucht. Andere Sprecher mit diesem Konzept räumen ein, dass auch der Islam gewisse negative Eigenschaften hat, versuchen diese jedoch zu relativieren, indem sie aufzeigen, dass diese Eigenschaften auch in anderen Religionen eine Rolle spielen. Während Sprecher mit Konzept A der Meinung sind, dass der Islam nicht mit dem deutschen Wertesystem zu vereinbaren ist, erklären Sprecher mit Konzept B, dass der Islam sehr wohl in die deutsche Gesellschaft passt und gehen häufig noch einen Schritt weiter, indem sie behaupten, dass der Islam eine Bereicherung für die deutsche Gesellschaft darstellt.
4.2.2 Toposanalyse Bei der Argumentation für den Bau der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld derjenigen Diskursteilnehmer, denen das Konzept B zugeordnet werden konnte, zeichnen sich ebenfalls bestimmte Muster ab. Der Integrationstopos ließ sich bereits aus Äußerungen von Sprechern mit Konzept A ableiten, wenn diese argumentieren, dass der Bau der Moschee verhindert werden muss, weil die Integration gescheitert sei. Sprecher mit Konzept B sind nicht dieser Meinung, sie gehen vielmehr davon aus, dass es bereits Beispiele für eine gelungene Integration gibt und dass die Muslime sehr wohl in die deutsche Gesellschaft integrierbar sind. Anders als von Sprechern mit Konzept A wird hier die Moschee nicht als Symbol einer schleichenden Islamisierung betrachtet, sondern als Zeichen einer gelungen Integration, was diese bereits im vergangenen Kapitel diskutierte Äußerung zeigt: 116. „Es stimmt, dass der Islam durch den Bau der Ditib-Moschee in Deutschland sichtbar werden und das traditionelle Bild in den deutschen Städten ändern wird.“ Das sei eine Bereicherung und ein Beitrag zur Integration derjenigen, „die ihre Heimat in Deutschland wissen“. Die Moschee sei kein Machtsymbol, sondern „ein Zeichen für die Präsenz von Muslimen in dieser Gesellschaft“. (KSTA, 21.06.2007, „Wir sind Teil dieses Landes“)
216 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Auch Jürgen Rüttgers argumentiert für den Bau der Moschee: 117. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rüttgers (CDU) hat sich auf dem Evangelischen Kirchentag in Köln erstmals deutlich für den umstrittenen Bau einer großen Moschee in Köln ausgesprochen: „Hier in Köln gibt es eine Debatte um den Bau einer Moschee. Da gibt es Menschen, die das für falsch halten. Ich gehöre nicht dazu. Wenn Integration gelingen soll, dann spielt auch Religionsfreiheit dabei eine wichtige Rolle.“ (FAZ, 08.06.2007, Meldungen aus Köln)
Zwischen der Meinung – etwa von Ralph Giordano –, dass die Integration des Islam gescheitert sei, und der Meinung einiger Sprecher mit Konzept B, dass die Integration bereits gelungen sei, postiert sich noch eine weitere Meinung: Einige Sprecher gehen davon aus – und dies scheint auch bei der Äußerung Jürgen Rüttgers’ (117) durch –, dass der Integrationsprozess sich zwar vollziehe, jedoch noch nicht abgeschlossen ist. Diese Meinung lässt sich beispielhaft an der folgenden Äußerung ablesen: 118. An diesem Dienstagabend sind die 5500 Mitglieder des Kreisverbandes in die Stadthalle Mülheim eingeladen, um über einen Leitantrag des Parteivorstandes abzustimmen, der den Moscheebau mit einigen integrationsfördernden Auflagen befürwortet. Die Ditib, die dem staatlichen türkischen Religionsamt untersteht, will an der Stelle eines ihr seit 1984 gehörenden Gebäudekomplexes die größte Moschee Deutschlands und ihre Verwaltungszentrale errichten. (FAZ, 13.08.2007, Schrammas schwerer Gang)
Zum einen symbolisiert die Moschee für die Sprecher also die gelungene Integration beziehungsweise den Integrationsprozess, zum anderen gibt der Bau aus der Sicht einiger Sprecher selbst seinen Beitrag dazu. Aus Äußerungen wie diesen lassen sich also der Symbolisierungstopos sowie der Integrationstopos ableiten: Symbolisierungstopos: Weil sie eine gelungene Integration beziehungsweise den Integrationsprozess symbolisiert, muss die Moschee gebaut werden. Integrationstopos: Weil es der Förderung der Integration dient, muss der Bau der Moschee befürwortet werden. Daraus kann wiederum der etwas allgemeinere, meso-kontextbasierte Topos abgeleitet werden, dass, wenn etwas die Integration begünstigt, dem stattgege-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 217
ben werden soll. Dieser Topos resultiert aus der positiv-deontischen Bedeutung von Integration und kann wiederum als implizite Prädikation im Konzept Islam gewertet werden. Zudem argumentieren die Diskursteilnehmer mit Konzept B häufig, indem sie auf das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf freie Religionsausübung verweisen. 119. Der Parlamentarische Grünen-Geschäftsführer Volker Beck kritisierte Lehmanns Aussagen. Dieser könne nicht „aus der unzweifelhaft christlichen Prägung Europas beziehungsweise Deutschlands die rechtliche Diskriminierung anderer Religionsgemeinschaften“ schlussfolgern. „Die rechtliche Gleichstellung des Islam ist letztlich ein Gebot des Grundgesetzes“, sagte Beck. (KSTA, 21.06.2007, Moschee-Streit schlägt immer höhere Wellen)
Die Angabe, dass es sich letztlich um ein Gebot des Grundgesetzes handelt, ist ein sehr dominantes Argumentationsmuster: Wenn etwas ein Gebot des Grundgesetzes ist, dann darf dem nicht widersprochen werden. Auch der Sprecher der folgenden Äußerung ist der Meinung, dass es ein Recht auf die Moschee gebe: 120. „Ich bin Kölner und deutscher Staatsbürger, spreche fünf Sprachen und habe christliche und jüdische Freunde“, sagt der 29-jährige Jungunternehmer Ertun Tekbas. Die Frage nach Integration stelle sich für ihn persönlich überhaupt nicht mehr. Seine Verbindung zur Ditib-Moschee sei „der liebe Gott“. Er komme zum Beten. „Giordano hat Angst, weil er zu wenig weiß. Deshalb laden wir ihn ein.“ Der Moscheebau sei ein Zeichen der Integration. „Wir haben das Recht auf ein schönes Gebäude.“ (KSTA, 19.08.07, „Meinen Sie uns, Herr Giordano“)
Es ergibt sich aus Äußerungen wie dieser also der Grundgesetz-Topos: Weil es letztlich ein Gebot des Grundgesetzes ist, dass jeder das Recht auf freie Religionsausübung hat, muss die Moschee gebaut werden dürfen. Sprecher mit Konzept A können diesem Argument nur deshalb widersprechen, weil sie annehmen, dass der Islam eben keine Religion ist wie etwa das Christentum oder das Judentum. Dass die Sprecher mit Konzept B nun aber vom Gegenteil ausgehen, stützt wiederum den Grundgesetztopos. 121. Der Islam sei eine friedliche Religion. „Christentum, Judentum und Islam haben gleiche Wurzeln.“ (KSTA, 19.08.07, „Meinen Sie uns, Herr Giordano“)
Vergleichstopos: Weil der Islam genauso eine Religion ist wie das Christentum und Judentum, tritt das Gebot des Grundgesetzes auf freie Religionsausübung in Kraft.
218 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Dass der Islam nicht von allen Diskursteilnehmern als Religion wahrgenommen wird, hat neben der Betrachtung des Konzepts A auch die korpuslinguistische Analyse im vorangegangenen Kapitel II gezeigt. Dort wurde die Kollokation Islam als Religion herausgearbeitet und darauf hingewiesen, dass wenn der Islam als Religion so häufig und explizit hervorgehoben wird, es für die Diskursteilnehmer nicht selbstverständlich sein kann, dass Islam ein Hyponym zu Religion darstellt. Bei dem herausgearbeiteten Grundgesetztopos wird der Bau der Moschee mit dem Grundrecht auf freie Religionsausübung begründet. Das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Religionsausübung kann jedoch nur dann als Argument gelten, wenn der Islam auch als Religion wahrgenommen wird. Sprecher mit Konzept A konstituieren den Islam jedoch häufig als politische Institution. Außerdem ist der angesprochene Artikel des Grundgesetzes für die Sprecher nicht gleichzusetzen mit dem Recht auf eine Großmoschee: 122. Den linken Ralph Giordano hat sich die rechtsradikale Initiative „pro Köln“ als Kronzeugen gewählt. Hinter seinem Satz „Es gibt kein Grundrecht auf den Bau einer Großmoschee“ hat sie am Samstag knapp 200 Demonstranten versammelt. (FAZ, 18.06.2007, Noch einmal über alles sprechen)
Ralph Giordano argumentiert gegen den Bau, indem er darauf verweist, dass es kein Grundrecht auf den Bau einer Großmoschee gebe. Bei der Toposanalyse für Konzept A wurde bereits aufgezeigt, dass die Angst vor dem Islam auf die Angst vor dem sichtbar werdenden Islam konkretisiert werden kann: 123. „Es gibt zwischen Hinterhofmoschee und einer Großmoschee viele Abstufungen.“ Es gebe ein Recht auf Religionsfreiheit, aber nicht auf religiöse Monstrositäten. (SPIEGEL Online, 12.06.2007, „Ich bin doch kein Türkenschreck“)
Während die Hinterhofmoschee für Sprecher mit Konzept A akzeptabel erscheint, empfinden sie die geplante Großmoschee als ein Machtsymbol. Der Architekt Paul Böhm schildert einen anderen Eindruck von den Hinterhofmoscheen als Sprecher mit Konzept A: 124. Ich beobachte schon seit Jahren, wie Muslime ihrem Glauben und ihrem Gemeindeleben in Hinterhöfen und aufgelassenen Ladenlokalen nachgehen. Mich hat das immer gestört. Das hat auch etwas Konspiratives, wie sie aus ihren Höhlen herauskriechen, schnell in die Schuhe schlüpfen und sich an der Wand entlangdrücken. Ich hatte das Gefühl, Muslime genieren sich für diese Orte. Als wir zu dem Wettbewerb eingeladen wurden, war es für mich keine Frage, dass ich mitmache. (FAZ, 08.06.2007, Ich möchte die Muslime aus dem Hinterhof holen)
Hier kommt also eine völlig gegenteilige Meinung zum Ausdruck. Während einige Sprecher die Muslime der Hinterhofmoschee als friedlich, jedoch die
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 219
Masse der Betenden in der Großmoschee als bedrohlich empfinden, ist Böhm der Meinung, dass gerade die Hinterhofmoschee etwas Befremdliches in sich birgt. Die Muslime kriechen aus ihren Höhlen und genieren sich für diese Orte. Somit wird hier erneut die Annahme deutlich, dass Muslime ein Recht auf eine Großmoschee haben. Auf der einen Seite wird von einigen Diskursteilnehmern immer wieder mehr Transparenz von Seiten der Muslime gefordert, andererseits bringen die gleichen Sprecher ihre Angst vor dem sichtbar werdenden Islam zum Ausdruck. Sprecher mit dem Konzept B sind der Meinung, dass es nun gerade der Hinterhofmoschee an Transparenz mangele: 125. Um noch einmal auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Wer Muslimen ein würdiges Gotteshaus verweigert und sie weiterhin in Hinterhofmoscheen in Rotlichtvierteln sehen möchte, der darf sich dann auch nicht wundern, wenn sich dort entsprechend dubiose Predigergestalten der Gemeinde annehmen. Auch eine genauere Beschäftigung mit Wesen und Bedeutung von Grundrechten wäre anzuraten. Ein Moscheeprojekt wie in Köln gibt den Muslimen das Gefühl, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Dadurch wird die Mehrheit der Muslime gestärkt, die mit Extremismus nichts zu tun haben möchte. Und es wird die für die Festigung von Vertrauen notwendige Transparenz gefördert. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Transparenz stellt ein Schlüsselwort im untersuchten Diskurssegment dar. 126. Die islamischen Organisationen drängen auf öffentliche Anerkennung. Sie wollen mit den christlichen Kirchen gleichgestellt werden. Wie kann man diesen Anspruch besser deutlich machen als mit Steinen, die sagen: Seht her, wir haben auch solche Gebäude wie Christen und Juden? Dass sich gegen eine solche Politik Widerstand erhebt, ist verständlich. Denn die Muslime in Deutschland haben ein großes Problem: das der Glaubwürdigkeit. Wort und Tat liegen zu oft und zu weit auseinander. Öffentlich gibt man sich verfassungstreu, doch was in den Gemeinden gedacht und gemacht wird, das wird verschleiert, dort gibt es keine wirkliche Transparenz. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) 127. Zu dem Argument, die neue Großmoschee mache die muslimische Community erst transparent und befördere sie endlich aus dem Hinterhof hinaus, sei also der Integration förderlich, sagte der Schriftsteller: „Es gibt zwischen Hinterhofmoschee und einer Großmoschee viele Abstufungen.“ (SPIEGEL Online, 12.06.2007, „Ich bin doch kein Türkenschreck“) 128. Die beiden Minarette mit Halbmondsichel auf der Spitze sollen 55 Meter in die Höhe ragen, die Kuppel wird 34,50 Meter hoch gebaut, die Bruttogeschossfläche wird weiterhin mit rund 20 000 Quadratmetern beziffert, davon ist ein kleiner Teil für Einzelhandelsgeschäfte reserviert. Ein soeben gegründeter Beirat zum Moscheebau sei „sehr angetan von der Lösung“, betonte Beiratsmitglied und Architekt Erwin Zander. Es sei nun „viel transparenter“ geworden. (WELT, 23.08.2007, Muslime beharren auf Großplänen für Kölner Moschee)
220 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 129. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) lobte indessen die hohe Akzeptanz der im Bau befindlichen Moschee in Duisburg-Marxloh. Grund dafür sei sicher die „Offenheit und Transparenz“, die das islamische Gotteshaus ausstrahle, sagte er am Donnerstag bei einem Besuch der Moschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). Die „bauliche Verzahnung“ der Gebetsräume mit der Begegnungsstätte sei gelungen. So könne das Haus zu einem Anziehungspunkt im Stadtteil werden und eventuelle Vorbehalte würden überwunden. Um ähnliche Moscheeprojekte in Köln und Berlin gibt es große Diskussionen. (KSTA, 30.08.2007, Präses gegen „triumphierende Architektur“) 130. Der Verband baut in Köln seine neue Zentralmoschee und verspricht, dass sie ein Ort der Transparenz und des Dialogs werden soll. (KSTA, 12.07.2007, Entscheidung über Rushdie-Lesung offen)
Ein Argument für den Bau der Großmoschee, dessen sich Sprecher mit Konzept B bedienen, ist also, dass diese die muslimische Community erst transparent mache. Denn wie oben stehende Äußerungen zeigen, fordern einige Diskursteilnehmer von den Muslimen immer wieder mehr Transparenz. Tiefensee lobt die Akzeptanz des Baus der Moschee in Duisburg-Marxloh und erklärt, dass diese auf die Offenheit und Transparenz zurückgehe (Beispiel 129). Daraus geht hervor, dass für Tiefensee der Bau einer Großmoschee nicht unmittelbar mit dem Transparentmachen des Islam gleichzusetzen ist, sondern dass der Bau einer Großmoschee mit dem Transparentmachen der eigenen Aktivitäten einhergehen muss. Was in den Gemeinden gedacht und gemacht wird, das bleibe verschleiert, so Ralph Giordano (126). Für einige Diskursteilnehmer erscheint der Bau der Moschee also dann akzeptabler, wenn die Bauherrin DITIB ihre Aktivitäten transparent macht. Für die DITIB hingegen symbolisiert die Moschee selbst schon eine gewisse Transparenz. Allein der Umzug aus dem Hinterhof in ein sichtbares Gebäude symbolisiert für einige Sprecher den Vorgang des Transparent-Machens. Necla Kelek (Konzept A) sieht dies allerdings anders: 131. Der Entwurf für die Kölner Moschee nimmt diese Tradition des Gestus der Eroberung auf. Eine offene Kuppel mit stilisierter Weltkugel zeigt noch keine Weltoffenheit. Es ist entscheidend, was darunter passiert. Man könnte diese Kuppel und das Minarett auch als Hegemonieanspruch deuten, ganz so wie der Islam sich als „Siegel“, als Vollendung der Religionen begreift und den Anspruch auf Weltherrschaft reklamiert. Jedenfalls steht auch dieser Entwurf in osmanischer Tradition und zielt weder von der äußeren Form, noch von der inneren Funktion her auf Erneuerung oder Integration. Die Architekten haben geliefert, was ihre konservativen Auftraggeber wollten: ein politisches Statement des Islam in Beton. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Aus den Äußerungen, die dem Konzept B zugeordnet werden können, lassen sich ein weiterer Symbolisierungstopos und der Transparenztopos ableiten.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 221
Symbolisierungstopos: Weil die Groß-Moschee Transparenz symbolisiert, soll sie gebaut werden. Transparenztopos: Weil durch die Großmoschee die Aktivitäten des Islam transparent gemacht werden, soll sie gebaut werden. Der Transparenztopos kann auf eine höhere Ebene, auf einen mesokontextbasierten Topos abstrahiert werden, der dann wiederum eine implizite Prädikation im Konzept Islam ausdrückt: Wenn der Islam seine Aktivitäten transparent macht, ist er positiv zu bewerten. Es lässt sich aus den Topoi also erneut die implizite Prädikation ableiten, dass der Islam nur dann positiv zu bewerten ist, wenn er seine Aktivitäten transparent macht, beziehungsweise negativ bewertet wird, wenn er eben dieses Transparentmachen verweigert. Diese implizite Prädikation gilt konzeptübergreifend. Analog zu dem Gewaltbereitschaftstopos in Konzept A, verwenden die Diskursteilnehmer, denen Konzept B zugeordnet wird, den hier genannten Friedenstopos. Dieser wird etwa an folgenden Äußerungen deutlich: 132. Die Moschee, laut Köhler der einzige Ort muslimischen Lebens, soll nicht beschmutzt werden. Zufall soll es sein, wenn eine Verabredung zum Mord in einer Moschee getroffen wird; Mazyek vergleicht sie mit einem Bahnhof. (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“) 133. Ich interessiere mich für Menschen, die glauben. Ich finde das bewundernswert, weil es mir selber sehr schwerfällt. Für diese Menschen, ob sie Christen, Juden, Muslime oder Buddhisten sind, baue ich gerne ein adäquates Haus. Es sind in jedem Fall Menschen, die ihren Frieden suchen. (FAZ, 08.06.2007, Ich möchte die Muslime aus dem Hinterhof holen)
Der Friedenstopos: Weil der Islam eine friedliche Religion ist beziehungsweise weil Gewaltbereitschaft auch ein Phänomen anderer Religionen ist, darf den Muslimen der Bau eines adäquaten Gotteshauses nicht verwehrt werden. Ein Sprecher im untersuchten Diskurssegment, dem eindeutig Konzept B zugeordnet werden konnte, ist der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in
222 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Deutschland Ayyub Axel Köhler. Die folgende, bereits diskutierte Äußerung zeigt ebenfalls die Wahrnehmung des Islam als friedlich: 134. In einem ZDF-Interview wollte der Ratsvorsitzende Köhler unlängst „zunächst einmal“ festgestellt wissen, „dass von den muslimischen Gemeinden in Deutschland bisher keine Gefahr ausgegangen ist“. Das Ausbleiben von Terroranschlägen einheimischer Täter schreibt Köhler sich gleich zweimal gut. Es soll die Friedlichkeit des Islams belegen, aber auch den Erfolg der Vorbeugungsmaßnahmen des Zentralrates: „Wir können also wohl Einfluss ausüben auf unsere Gemeinden.“ (FAZ, 14.07.2007, „Wenn wir Moschee sagen, verstehen sie Bahnhof“)
Diese Friedlichkeit, die dem Islam zugeschrieben wird, dient also gleichzeitig als ein Argument für den Moscheebau und wird beispielsweise hier von Köhler wiederum damit begründet, dass von den muslimischen Gemeinden in Deutschland bisher keine Gefahr ausgegangen ist. Hieraus lässt sich also ein weiterer Topos ableiten, der als Stütze für den Friedenstopos dient: Gefahren-Topos: Weil von den muslimischen Gemeinden in Deutschland bisher keine Gefahr ausgegangen ist, ist der Islam eine friedliche Religion. Auch die vielen Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen belegen laut der Sprecher die Friedlichkeit des Islam. 135. Der Koran, so heißt es, sei eine zur Gewalt aufrufende und Gewalt verherrlichende Schrift. Hier nun hilft den so argumentierenden Verteidigern des Abendlandes die Tatsache, dass hierzulande kaum jemand die Bibel liest. Das Alte Testament enthält viele Gewalt verherrlichende Passagen, und auch das Neue Testament ist ethisch nicht unproblematisch. Die simple Wahrheit nämlich ist, dass Bibel wie Koran in ihren wörtlichen Aussagen nicht den heutigen ethischen und menschenrechtlichen Mindeststandards entsprechen. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Ein weiterer Vergleichstopos kann somit formuliert werden: Weil auch die Bibel Gewalt verherrlichende Passagen enthält, ist der Islam im Vergleich keine besonders gewaltbereite Religion. Somit ergibt sich folgendes Argumentationsschema für Konzept B:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 223
weil die Moschee eine gelungene Integration
Der Bau der Moschee muss befürwortet werden,
bzw. den Integrationsprozess symbolisiert.
weil die Moschee Transparenz symbolisiert.
weil es der Förderung der Integration dient.
weil es letztlich ein Gebot des Grundgesetzes ist,
weil der Islam genauso eine Religion wie das Christentum oder Judentum ist.
weil in der Großmoschee die Aktivitäten des Islam transparent gemacht werden.
weil von den muslimischen Gemeinden bisher keine Gefahr ausgegangen
weil der Islam eine friedli-
ist.
che Religion ist bzw. Gewaltbereitschaft auch ein Phänomen anderer Religionen ist,
weil auch die Bibel Gewalt verherrlichende Passagen enthält.
Abb. 19: Argumentationsmuster der Sprecher mit Konzept B
Zusammenfassend lässt sich aussagen, dass das Transparentmachen der Aktivitäten des Islam von allen Sprechern konzeptübergreifend gefordert wird. Der Islam wird von den Sprechern nur dann positiv bewertet, wenn er seine Aktivi-
224 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs täten nicht verschleiert. Sprecher mit Konzept B gehen von der Friedlichkeit des Islam aus, vergleichen ihn mit anderen Religionen wie dem Judentum und dem Christentum und begründen auch damit ihr Befürworten des Baus. Ein dominantes Argumentationsmuster für den Bau der Moschee ist außerdem der Grundgesetztopos.
4.2.3 Schlagwortanalyse Die positiven Bedeutungsanteile im Konzept B konstituieren sich durch die häufige Nennung von Islam beziehungsweise Muslim/Moslem in Verbindung mit positiv-deontischen Schlagwörtern. Wie bereits erwähnt, wird beispielsweise das Lexem Frieden von Sprechern mit Konzept B häufig im unmittelbaren Kotext des Lexems Islam verwendet. Frieden ist ein Hochwertwort, denn man kann sich in einer demokratischen Gesellschaft keinen Kontext erdenken, in dem es negativ-deontisch verwendet wird. Das Lexem hat also ausschließlich positive Bedeutungsanteile und erhält dadurch die deontische Komponente, dass Frieden angestrebt beziehungsweise erhalten werden muss. Wenn dem Islam das Attribut friedlich zugeschrieben wird, dann wird damit versucht, den von Sprechern mit Konzept A verwendeten Gewaltbereitschaftstopos zu widerlegen. Wird der Islam als friedlich dargestellt, dann resultiert daraus im Diskurs immer eine Befürwortung des Moscheebaus. Weitere positiv-deontische Schlagwörter, die häufig von Sprechern mit Konzept B verwendet werden, sind die Ausdrücke Respekt und Toleranz. Man soll Respekt haben vor anderen Menschen, soll tolerant sein gegenüber den Muslimen, ist die Meinung der Sprecher, denen dieses Konzept zugeordnet werden kann. Der Bau der Moschee wird schließlich als der Beweis dafür aufgefasst, dass man tolerant und respektvoll ist. Integration fungiert ebenfalls als ein Schlagwort mit positiv-deontischer Bedeutung. Alle Sprecher im Diskurs, ganz gleich welches Konzept ihnen zugeordnet werden kann, bewerten Integration als etwas Positives. Während viele Sprecher mit Konzept A der Meinung sind, dass die Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft gescheitert sei und es ihnen deshalb auch verwehrt werden müsse, ein repräsentatives Gotteshaus zu bauen, sind Sprecher mit Konzept B der Meinung, dass der Bau die Integration der Muslime begünstige oder sogar symbolisiere, dass diese bereits erfolgreich war. Wenn also etwas die Integration begünstigt, dann muss dieses auch befürwortet werden – so der meso-kontextbasierte Topos, der vielen Äußerungen im Diskurs zugrunde liegt.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 225
Ein weiteres von Sprechern mit Konzept B verwendetes Schlagwort ist Islamophobie. Islamophobie bezeichnet die „Abneigung gegen den Islam [und seine Anhänger]; negative, feindliche Einstellung gegenüber Muslimen.“134 Das Wort evoziert negative Bedeutungsanteile durch die Analogie zu Xenophobie. Ayyub Axel Köhler verwendet beispielsweise den Ausdruck Islamophobie: 136. Gerade von den Protestanten, die doch der Kampf um die Glaubensfreiheit bis hin zum Augsburger Religionsfrieden viel gekostet habe, hätten sich die deutschen Muslime mehr Verständnis erhofft. Leider spreche die Handreichung der EKD „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ die Sprache der Abgrenzung und der eigenen Profilierung. Sie verstärke die „Islamophobie“ in Deutschland. Köhler schlug vor, in Analogie zum Augsburger Religionsfrieden im Anschluss an die Islamkonferenz einen „Berliner Religionsfrieden“ zu schließen. (FAZ, 08.06.2007, „Appeasement an dieser Stelle wäre Verrat“)
Das vor allem von Sprechern mit Konzept B verwendete Schlagwort Islamophobie wird wiederum von den angeblich islamophoben Sprechern aufgegriffen: 137. Er fragt sich und sorgt sich, wie viele andere auch, ob der fanatische Islamismus unsere Freiheiten bedrohen und einschränken kann. Weil er davor warnt und beschreibt, was jetzt schon passiert, mitten in Deutschland, muss er sich einen neuen Kampfbegriff um die Ohren schlagen lassen: „Islamophobie“. Wer Ehrenmorde, Zwangsehen und andere religiös motivierte Gewalt anklagt, der wird als islamophob diffamiert. Wer will schon islamophob sein? Das klingt nach Rückständigkeit und Intoleranz, also reagieren viele so, wie es auf Broders Buchumschlag steht: Sie kapitulieren und knicken ein. (FAZ, 25.06.2007, Waffen gegen die deutsche Elefantenhaut)
Sprecher wie der Autor des FAZ-Artikels wehren sich gegen die Zuschreibung der Eigenschaft des Islamophob-Seins und behaupten, wer Ehrenmorde, Zwangsehen und andere religiös motivierte Gewalt anklagt, der wird als islamophob diffamiert. Die negativen Bedeutungsanteile, die der Ausdruck evoziert, werden hier von dem Sprecher direkt aufgegriffen: Das klingt nach Rückständigkeit und Intoleranz. Es wird deutlich, dass sich gegen den Vorwurf der Islamophobie wiederum durch die Verwendung anderer Schlagwörter gewehrt wird. Denn auch Ehrenmord und Zwangsehe sind Schlagwörter, die in dieser Äußerung zusätzlich durch das Schlagwort der religiös motivierten Gewalt ergänzt werden. Sowohl die Zwangsehe als auch die Ehrenmorde und die religiös motivierte Gewalt sind abzulehnen. Diese Schlagwörter stellen verkürzte Argumente gegen den Moscheebau dar.
134 http://www.duden.de/rechtschreibung/Islamophobie; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
226 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Ein weiteres, wiederum von Sprechern mit Konzept B verwendetes Schlagwort ist Feindbild, das ebenfalls starke negative Bedeutungsanteile – durch den Kopf des Kompositums – evoziert und dadurch appelliert wird, dass eben solche Feindbilder abgelehnt werden sollen, wie auch in nachstehender Äußerung deutlich wird: 138. Wer ein Bild vom Islam zeichnet, das dem Islam jegliche zivilisatorische Leistung abspricht, die Vielfalt seiner Geistesgeschichte ignoriert und jeden Muslim als Terroristen sieht, der leugnet Tatsachen und konstruiert ein absurdes Feindbild. Die Menschen sollten sich sehr genau fragen, wer ein Interesse an einem solchen Feindbild haben könnte und wofür es dienen soll. (KSTA, 24.08.2007, Kritik ohne Selbstkritik)
Religionsfreiheit ist außerdem ein Schlagwort, das von Sprechern mit Konzept B häufig verwendet wird. Die positiv-deontische Bedeutung von Religionsfreiheit ergibt sich aus der zweiten Konstituente des Kompositums: Freiheit kann als ein Hochwertwort im Sinne von Hermanns (1994) gewertet werden. Freiheit muss unbedingt erstrebt werden beziehungsweise erhalten bleiben. Da Religionsfreiheit im Grundgesetz festgeschrieben ist, muss diese im Verständnis der Diskursteilnehmer unbedingt gewahrt werden. Im analysierten Diskurssegment stellt bereits der Ausdruck Religionsfreiheit ein verkürztes Argument für den Bau der Moschee dar. Die Sprecher mit Konzept A versuchen das Argument dadurch außer Kraft zu setzen, dass sie den Islam nicht als eine (typische) Religion charakterisieren, und außerdem davon ausgehen, dass einige seiner Teileigenschaften dem Grundgesetz widersprechen.
4.2.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzept B) Auch für die Beschreibung dieses zweiten Islamkonzepts B wurden eine Frame-, eine Topos- und eine Schlagwortanalyse durchgeführt. Bei der Untersuchung fiel auf, dass die Anzahl der Kotextualisierungen, die dem Konzept B zugeordnet werden können, wesentlich geringer ist als die derjenigen Kotextualisierungen, aus denen sich das Konzept A ableiten ließ. Auch im Vergleich zu den im weiteren Verlauf der Arbeit beschriebenen Konzepte C und D sind Sprecher mit diesem Konzept B im untersuchten Diskurssegment am wenigsten vertreten. Sprecher, denen dieses Konzept zugeordnet werden kann, haben ein sehr positives Islambild. Dieses Bild betrifft – anders als bei Sprechern mit den Konzepten C und D – den Islam in seiner Gesamtheit. Ein typischer Sprecher, dem das Konzept B zugeordnet werden kann, ist der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Ayyub Axel Köhler. Er ist der einzige Sprecher im untersuchten Diskurssegment, der dem Islam in seiner Gesamtheit bestimmte positive Eigenschaften wie etwa Friedlichkeit zuspricht. Bei der Untersuchung
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 227
fiel auf, dass auch muslimische Sprecher vermeiden, dem Islam in seiner Gesamtheit bestimmte Eigenschaften zuzuteilen, sondern eher ausweichen auf Formulierungen wie Wir vertreten einen moderaten Islam, die zugleich präsupponiert, dass es auch weniger moderate Islamformen geben muss. Bei der Darstellung der Analyse der Konzepte C und D wird dies noch weiter aufgezeigt. Ayyub Axel Köhler kann aufgrund seiner Position als Vorsitzender des Zentralrats der Muslime diese Differenzierung nicht vornehmen. Da er die Muslime insgesamt vertritt, kann er nicht von verschiedenen Teilislams sprechen und ist deshalb allein durch seine Position gezwungen, dem Islam in seiner Gesamtheit bestimmte positive Eigenschaften zuzusprechen. Die Tatsache, dass jedoch selbst muslimische (deutsche) Sprecher dem Islam nicht in seiner Gesamtheit bestimmte Eigenschaften zu- oder absprechen, sondern vielmehr von verschiedenen Islamformen ausgehen, gibt einen Hinweis darauf, dass das Lexem Islam negative Bedeutungsanteile evoziert. So finden sich Aussagen wie Der Islam ist eine friedliche Religion deutlich weniger im untersuchten Diskurssegment als Aussagen wie Wir vertreten einen friedlichen Islam. Die Kotextualisierungen der Lexeme Islam und Moslem/Muslim konnten im Wesentlichen zwei Kategorien zugeordnet werden, nämlich zum einen der Kategorie Islam im Vergleich zu anderen Religionen und zum anderen der Kategorie Islam und die deutsche Gesellschaft. Auffällig war, dass auch Sprecher mit diesem positiven Konzept B dem Islam nicht bestimmte negative Eigenschaften – wie etwa die Gewaltbereitschaft – absprechen, sondern den Islam aufzuwerten versuchen, indem sie den Religionen Judentum und Christentum ebenfalls negative Eigenschaften zusprechen. Somit räumen auch Sprecher mit Konzept B implizit ein, dass die dem Islam vorgeworfenen negativen Eigenschaften in gewisser Weise zutreffend seien. Wie bereits erwähnt, stellt dabei der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime eine Ausnahme dar. Bei der Wiedergabe der Äußerungen Ayyub Axel Köhlers wurden diese jedoch häufig ironisiert, sodass deutlich wird, dass die Verfasser der Artikel davon ausgehen, dass es zum allgemeinen Verständnis von Islam gehört, dass dieser eben nicht friedlich oder dass das oberste Anliegen der koranischen Botschaft eben nicht die Gleichberechtigung sei. Alles in allem sind Sprecher mit Konzept B anders als Sprecher mit Konzept A der Meinung, dass der Islam in die deutsche Gesellschaft passt und gehen noch einen Schritt weiter, wenn sie behaupten, dass der Islam gut ist für die deutsche Gesellschaft. Auch das Voranschreiten der Integration der Muslime bewerten sie anders als Sprecher mit Konzept A und sind der Meinung, dass die Muslime bereits gut in die deutsche Gesellschaft integriert seien beziehungsweise, dass sich der Integrationsprozess gerade vollziehe.
228 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Sprecher mit Konzept B sind aufgrund ihres sehr positiven Islambildes allesamt für den Bau der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Mithilfe der Toposanalyse konnten verschiedene Argumentationsmuster herausgearbeitet werden. So argumentieren die Sprecher für den Bau, indem sie darauf hinweisen, dass dieser eine bereits gelungene Integration beziehungsweise einen sich gerade vollziehenden Integrationsprozess symbolisiere. Häufig verweisen die Diskursteilnehmer auch auf das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Religionsfreiheit, wenn sie die Befürwortung des Baus begründen. Außerdem sind sie der Meinung, dass, weil der Islam ebenso eine Religion sei wie etwa das Judentum oder Christentum, der Bau der Moschee befürwortet werden müsse. Bei der Analyse fielen zudem verschiedene positiv-deontische Schlagwörter auf, wie etwa Frieden, Toleranz und Integration. Außerdem wird von Sprechern mit Konzept B – bezogen auf die Moscheegegner – der Ausdruck Islamophobie verwendet, der negativ-deontische Bedeutung aufruft. Diese negative Deontik evoziert auch der Ausdruck Feindbild, der von Sprechern mit Konzept B häufig verwendet wird, wenn sie das Islambild der Gegenseite beschreiben.
4.3 Die Konzepte C und D Wie bereits deutlich geworden ist, hat die Untersuchung vier verschiedene Islamkonzepte ergeben. Die ersten beiden vorgestellten Konzepte A und B haben gemeinsam, dass sie den Islam als eine Einheit ansehen. Sie betrachten den Islam in seiner Gesamtheit und befürworten (B) den Bau der Moschee, weil sie den Islam nicht als bedrohlich wahrnehmen und weil sie ihn für eine Religion ähnlich wie das Christentum und das Judentum halten, oder sie lehnen den Bau ab beziehungsweise stimmen nur sehr eingeschränkt zu (A), weil für sie der Islam per se die Trennung zwischen Staat und Kirche nicht kenne, weil die Unterdrückung der Frau dort nach wie vor vorherrsche und weil sie dem Islam eine gewisse Gewaltbereitschaft zuschreiben. Bei den Konzepten C und D kommt ein differenzierteres Islambild zum Ausdruck.
4.3.1 Die Unterscheidung verschiedener Islamformen Sowohl Sprecher mit Konzept C als auch Sprecher mit Konzept D unterscheiden verschiedene ‚Islamformen‘, die von ihnen unterschiedlich bewertet werden. Das Konzept D zeichnet sich dadurch aus, dass von den Sprechern gerade der ‚deutsche‘ Islam für gemäßigt gehalten wird. So räumen Sprecher mit diesem Konzept zwar ein, dass es gefährliche Formen des Islam gebe, empfinden jedoch den in Deutschland gelebten beziehungsweise den von der Türkisch-
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Islamischen Union DITIB repräsentierten Islam als moderat und friedlich. Die Argumentationsmuster der Sprecher mit Konzept D sind nahezu identisch mit denen der Sprecher mit Konzept B, denn der deutsche Islam wird von Sprechern mit Konzept D ebenso positiv bewertet wie der Islam in seiner Gesamtheit von Sprechern mit Konzept B. Somit sind beide Sprechergruppen uneingeschränkt für den Moscheebau. Sprecher, denen das Konzept C zugeordnet werden konnte, unterscheiden ebenfalls verschiedene Islamformen, sind aber bezogen auf den in Deutschland gelebten Islam nicht ebenso positiv eingestellt.135 Diese Sprecher halten den Islam beziehungsweise verschiedene Islamformen für nicht ganz ungefährlich. Sie stehen dem Islam skeptisch gegenüber, sind aber der Meinung, dass er sich, sofern er einige Reformierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchführe, durchaus in die deutsche Gesellschaft integrieren lassen könne. Die Sprecher mit Konzept C befürworten zum größten Teil den Bau der Moschee mit dem Hauptargument, dass er sich rechtlich nicht verhindern lasse. Die Unterteilung in verschiedene Formen des Islam wird etwa an folgendem Beispiel deutlich: 139. Wenn man den Eindruck erweckt, der Islam – egal welcher Couleur – habe einfach keinen Platz in Deutschland, dann schweißt man die Radikalen mit den Moderaten zusammen und erzeugt so den Effekt überhaupt erst, den man anprangert. (WELT, 08.06.2007, Nie wieder Hinterhof)
In diesem Auszug aus einem Artikel aus der WELT wird explizit ausgesagt, dass der Islam verschiedene Couleur haben kann, das heißt, dass er sich auf unterschiedliche Art und Weise zeigen kann. Der Islam kann demnach eine dunkle oder eine helle Farbe haben, er kann also radikal oder moderat sein. 140. Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet (CDU) plädierte vor der Abstimmung für den Bau einer repräsentativen Moschee. Er bescheinigte der Organisation Ditib, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Ditib stehe für einen offenen, demokratischen Islam. (Sueddeutsche Online, 15.08.2007, CDU für Verkleinerung der geplanten Moschee)
Wenn der frühere Integrationsminister Nordrhein-Westfalens Armin Laschet sagt, dass die Ditib für einen offenen, demokratischen Islam stehe, dann präsupponiert er damit gleichzeitig, dass es auch einen nicht offenen, nicht demokrati-
135 Die Skizzierung des Konzepts C weicht hier leicht von meinen früheren Darstellungen (vgl. Kalwa 2010) ab. Da bei der vorliegenden Untersuchung aufgrund des größeren Korpus eine genauere Darstellung der Konzepte möglich wurde, musste ich meine Beschreibung des Konzepts C leicht korrigieren.
230 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs schen Islam gibt. Die Wahl des unbestimmten Artikels in Verbindung mit dem Lexem Islam ruft in den meisten Fällen eine solche Präsupposition hervor. Auffällig ist, dass Ralph Giordano den indefiniten Artikel vor Islam fast nie verwendet, während Diskursteilnehmer mit Konzept D – wie etwa Integrationsminister Laschet – sehr häufig von einem Islam sprechen. Im Korpus fand sich kein Beispiel für die Verwendungsweise des unbestimmten Artikels und dem Lexem Islam bei den untersuchten Kotextualisierungen, die Ralph Giordano zugeordnet werden konnten. Bei einer Äußerung, die allerdings nicht in den Zeitraum des gewählten Korpus fällt, ist dies jedoch der Fall: 141. Muslimische Zuwanderer hätten sich hierzulande eine eigene Welt aufgebaut, in muslimischen Verbänden und Heimen würden Kinder von der Mehrheitsgesellschaft abgeschottet, es werde ein an der Scharia orientierter Islam gelehrt und strenge Geschlechtertrennung verlangt. (WELT, 27.05.2007, Kulturkampf um Moschee in Köln)
In dieser Äußerung wird die Rede Ralph Giordanos indirekt wiedergegeben.136 Giordano spricht von einem an der Scharia orientierten Islam. Normalerweise würde also hier ebenfalls präsupponiert werden, dass es auch einen Islam gibt, der sich nicht an der Scharia orientiert. Durch den Kontext wird diese Präsupposition jedoch gelöscht. Betrachtet man die Gesamtheit der Äußerungen Giordanos, wird dies deutlich: 142. Die Scharia, das Gesetz des Islams, sei „notorisch grundgesetzwidrig, ein skandalöser Anachronismus und ein schweres Hindernis auf dem Weg zur Reformierung und Modernisierung des Islams“. (WELT Online, 11.06.2007, Ralph Giordano attackiert Muslime) 143. Giordano wettert seitdem gegen den Koran als „Lektüre des Schreckens“ und behauptet, wem der Koran heilig sei, der könne nicht hinter dem Grundgesetz stehen. (WELT, 25.08.2007, Hässlich der Streit, schön die Moschee)
In Äußerung 142 bezeichnet Giordano die Scharia als das Gesetz des Islams und nicht als das Gesetz eines Islams beziehungsweise einer bestimmten Islamform. Für ihn ist der Islam per se notorisch grundgesetzwidrig. Auch wenn er in Äußerung 143 sagt, dass diejenigen, denen der Koran heilig ist, nicht hinter dem Grundgesetz stehen können, greift er damit den Islam in seiner Gesamtheit an, dessen theologische Grundlage der Koran ist. Im untersuchten Korpus findet sich keine Verwendung des unbestimmten Artikels in Verbindung mit dem
136 Die Äußerung im Original konnte nicht mehr nachvollzogen werden, deshalb ist nicht ganz eindeutig, ob Giordano selbst die Äußerung im selben Wortlaut getätigt hat oder ob der unbestimmte Artikel erst in der Redewiedergabe erscheint.
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Lexem Islam bei Ralph Giordano, was beweist, dass Giordano nicht zwischen verschiedenen Islamformen differenziert, wie es jedoch bei Diskursteilnehmern mit den Konzepten C und D der Fall ist. Dass nicht in jeder Äußerung durch die Verwendung von unbestimmtem Artikel und Islam die Präsupposition, dass verschiedene Islamformen existieren, ausgelöst wird, kann an folgendem Beispiel beobachtet werden: 144. „Wir glauben nicht an das Konzept eines angeblich moderaten Islam“, erklärt Anders Gravers von der dänischen Anti-Islam-Partei SIOE. (WELT, 11.08.2007, „Wir glauben nicht an den moderaten Islam“)
Gravers Aussage könnte zwar auf den ersten Blick ebenfalls präsupponieren, dass verschiedene Formen des Islam zu unterscheiden sind, schließlich erklärt er, dass er nicht glaubt, dass es einen moderaten Islam gibt. Wenn es jedoch, wie Gravers annimmt, keinen moderaten Islam gibt, dann kann – und muss hier – daraus andererseits auch geschlossen werden, dass es nur den radikalen Islam gibt. Dies wäre dann wiederum nur eine bestimmte Form des Islam und so müsste diese Äußerung wieder dem ersten Konzept, nämlich Konzept A, zugeordnet werden. An dieser Stelle werden erneut die Vorzüge einer rein qualitativen Analyse deutlich: Jede Kotextualisierung von Islam – teilweise auch jene Äußerungen ohne die Kotextualisierung des Ausdrucks – muss einzeln interpretiert werden, da manche Präsuppositionen nur in bestimmten Kontexten entstehen oder durch diesen aufgelöst werden. 145. Eine Fülle von Leserbriefen und Gastbeiträgen zur geplanten Kölner Zentralmoschee und zum Islam zeigt das Interesse der Bürger. Weil es um eine Moschee geht? Weil es um „den“ Islam als Religion geht? (KSTA, 27.08.2007, Schweigen auf rechtlichem Neuland)
Die Tatsache, dass den hier in Anführungsstriche gesetzt wurde, weist wiederum auf die Annahme des Verfassers hin, dass es den Islam gar nicht gibt, sondern dass der Islam in so vielen unterschiedlichen Formen auftreten kann, dass es schwierig ist, den Islam als eine Einheit zu definieren. Hier kommt also ein anderes Islambild als das von Ralph Giordano zum Ausdruck. Dieses ist positiver bewertet, denn sobald zwischen verschiedenen Islamformen differenziert wird, werden diese von den Sprechern auch unterschiedlich bewertet. Somit gibt es mehr oder weniger positiv beziehungsweise negativ bewertete Formen des Islam. In der Bewertung der verschiedenen Islamformen kann bei den Sprechern jedoch noch einmal eine Differenzierung vorgenommen werden, was die Unterteilung in die beiden Islamkonzepte C und D begründet.
232 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 4.3.2 Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bezogen auf das Konzept C In den Texten des Korpus ist das Konzept C ähnlich wie das Konzept B stark unterrepräsentiert. Es leitet sich aus weniger als 10% der untersuchten Kotextualisierungen ab, kann anhand dieser Äußerungen jedoch trotzdem belegt werden. Auf einer Skala der positiven beziehungsweise negativen Bedeutungsanteile werden im Folgenden die übrigen drei Konzepte verortet, damit im Anschluss diskutiert werden kann, wo das Konzept C positioniert werden muss.
B
D (der deutsche
A
Islam)
friedlich
bedrohlich
Abb. 20: Negative bzw. positive evaluative Bedeutungsanteile der Konzepte A, B, D
Das Konzept B ist das Konzept mit den meisten positiven Bedeutungsanteilen. Die Sprecher betrachten den Islam in seiner Gesamtheit als friedlich und sprechen ihm Gewaltbereitschaft ab beziehungsweise behaupten, dass Christentum und Judentum in ähnlicher Weise gewaltbereit sind. Die Sprechergruppe, denen das Konzept D zugeordnet wird, unterscheidet zwischen verschiedenen Islamformen. Die genaue Beschreibung dieses Konzepts erfolgt in Kapitel 4.3.3. Das Konzept D zeichnet sich dadurch aus, dass zwar gefährliche Formen des Islam angenommen werden, der deutsche Islam beziehungsweise der von der DITIB repräsentierte Islam jedoch als eine gemäßigte Islamform konstituiert wird, die mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren ist. Dem Integrationsminister Armin Laschet beispielsweise kann dieses Konzept zugeordnet werden. Sowohl das Konzept B als auch das Konzept D positionieren sich am linken Rand der Skala, sind also Konzepte, in denen sich eine positive Bewertung des Islam widerspiegelt. Am anderen Ende der Skala ist das Konzept A anzusiedeln, das stark negative Bedeutungsanteile beinhaltet. Laut dieser Sprecher sind die Eigenschaften der Politikverbundenheit und der Gewaltbereitschaft wesentliche Bestandteile des Islam. Somit wird dieser in seiner Gesamtheit als sehr bedrohlich wahrgenommen. Auf der Skala in Abb. 20 lässt sich das Konzept C nicht eindeutig einordnen. Konzept C unterscheidet wie D verschiedene Islamformen,
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 233
einen ‚guten deutschen‘ Islam gebe es jedoch noch nicht. Der angestrebte deutsche Islam würde sich jedoch dann am linken Rand der Skala anordnen. Die Sprechergruppe, der das Konzept C zuzuordnen ist, erscheint heterogener als die anderen Sprechergruppen, ähnelt sich jedoch in ihren Äußerungen. An folgenden Beispielen kann dies deutlich gemacht werden: 146. Die Ditib versucht sich seit kurzem an der eigenen Modernisierung, die auch deshalb schwerfällt, weil sie mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden ist. Imame stammen in der Regel aus der Türkei und predigen auf Türkisch. Dazu passt, dass die Ditib erste Informationen zur Ehrenfelder Moschee und ihre Spendenaufrufe lediglich auf Türkisch verfasst hat. Jahrelang erhielten die Anwohner Postwurfsendungen von „Pro Köln“, die gegen die Moschee polemisierten. Von der Ditib kam keine Gegeninitiative. „Wir haben noch keinen deutschen Islam, leider“, sagt Lale Akgün. (FAZ, 03.07.2007, Die Angst vor dem Nachbarn) 147. Die Gegner der Moschee werden dies aushalten müssen. Beim Moscheebau spielen juristische Fragen meist eine untergeordnete Rolle. Rechtlich sind Moscheen letztlich nicht zu verhindern. Das sollte auch bei der politischen Diskussion bedacht werden, gerade von den Gegnern des Kölner Projekts. Ihnen wird nicht weniger als Toleranz abverlangt. In einer religiös-pluralen Gesellschaft kann Religionsfreiheit nur gelebt werden, wenn nicht nur staatliche Stellen sie achten, sondern auch die Andersgläubigen, die Atheisten, die Agnostiker. Das mag diesmal besonders schwerfallen, weil der Islam in einigen seiner heutigen Erscheinungsformen in weit geringerem Maße auf Toleranz, Menschenrechte, Säkularität des Staates und andere prägende Elemente des freiheitlichen Rechtsstaates hin ausgerichtet ist als etwa das Christentum. (KSTA, 24.07.2007, Rechtlich sind Moscheen nicht zu verhindern) 148. Die Absurdität des Gedankens zeigt die Gefahr des Arguments. Giordano schaut nicht mehr darauf, wie Muslime mit ihrer Tradition umgehen; dazu gäbe es viel Kritisches zu sagen. Sondern er diskreditiert schlechthin den Islam. Das aber kann er schon deshalb nicht wollen, weil er erklärtermaßen jene Muslime stärken will, die gegen einen politischen Islam kämpfen. (KSTA, 22.08.2007, Streitkultur braucht Redlichkeit)
In den hier aufgeführten Äußerungen, aus denen sich das Konzept C ableiten lässt, wird ebenfalls davon ausgegangen, dass es verschiedene Islamformen gibt, man ist aber dem deutschen Islam gegenüber nicht so vorbehaltlos eingestellt wie die Sprecher mit Konzept D. So bedauert etwa Lale Akgün in der Äußerung in 146, dass es noch keinen deutschen Islam gebe und impliziert damit, dass auch der Islam, der von der DITIB vertreten wird, nicht uneingeschränkt mit dem deutschen Wertesystem zu vereinbaren ist. Wenn Akgün jedoch sagt, dass es noch keinen deutschen Islam gibt, dann präsupponiert diese Äußerung, dass sie einen deutschen Islam zumindest für möglich hält. Sie ist der Meinung, dass mit bestimmten Modernisierungs- und Reformierungsmaßnahmen der Islam doch in die deutsche Gesellschaft zu integrieren ist. Ähnliches wird auch
234 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs in der Äußerung 147 deutlich. Auffällig ist bei diesem Sprecher zudem – wie auch bei allen anderen Sprechern, denen das Konzept C zugeordnet werden kann –, dass der Moscheebau trotz Vorbehalten gegenüber dem Islam befürwortet wird. Der Sprecher begründet diese Befürwortung des Baus wiederum mit dem Verweis auf das Grundgesetz, wenn er aussagt, dass der Bau rechtlich letztlich nicht zu verhindern ist. Er räumt aber gleichermaßen ein, dass es schwierig sei, den Moscheebaugegnern eine gewisse Toleranz abzuverlangen, weil der Islam eben keine Religion ist wie das Christentum, sondern – und hier wird wiederum nur auf bestimmte Erscheinungsformen Bezug genommen – in weit geringerem Maße auf Toleranz, Menschenrechte, Säkularität des Staates und andere prägende Elemente des freiheitlichen Rechtsstaates hin ausgerichtet ist. Wieder findet also ein Vergleich mit einer anderen Religion, hier: dem Christentum, statt. Toleranz, Menschenrechte, Säkularität und freiheitlicher Rechtsstaat sind Ausdrücke mit positiv-deontischer Bedeutung. Der Islam in einigen seiner Erscheinungsformen wird hier diesen positiv-deontischen Ausdrücken gegenübergestellt, dadurch werden negative Bedeutungsanteile im Konzept Islam konstituiert. Aus der Äußerung 146 lässt sich ein Denkmuster ableiten, das mit Deutschtopos bezeichnet werden soll: Weil die DITIB ihre Imame aus der Türkei holt und diese auf Türkisch predigen, entspricht das nicht der Vorstellung eines deutschen Islam. D.h. Wenn eine islamische Vereinigung ihre Imame aus dem Herkunftsland der Mitglieder der Vereinigung holt und diese dann nicht auf Deutsch predigen, entspricht das nicht der Vorstellung eines deutschen Islam. In der Äußerung wird also implizit auch die Auffassung deutlich, dass der deutsche Islam transparent sein muss. Wenn ein Imam auf Deutsch predigt, so wird das als Transparentmachen der Predigt verstanden. Wenn ein Imam nicht auf Deutsch predigt, so vertritt er einen nicht-offenen Islam. Der deutsche Islam wird als ein transparenter und offener Islam verstanden. Somit dient der Ausdruck deutscher Islam als Schlagwort, weil er positivdeontisch ist. Aus der Äußerung in 147 kann wiederum der Grundgesetztopos abgeleitet werden:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 235
Weil es ein Gebot des Grundgesetzes ist, muss der Bau der Moschee befürwortet werden. Im Beispiel 148 wird ebenfalls eingeräumt, dass der Islam in bestimmten Traditionsformen zu kritisieren ist. Gleichzeitig wird sich aber von Giordanos Kritik am Islam in seiner Gesamtheit distanziert. Auffällig hierbei ist auch, dass der Sprecher in dieser Äußerung die Muslime explizit kritisiert und nicht auf das Lexem Islam – wie es Ralph Giordano oftmals macht – ausweicht. Er unterscheidet zwischen den Muslimen, die nach einer bestimmten Tradition leben, und dem Islam. Eine Sprecherin, der das Konzept C zugeordnet werden kann, ist Lale Akgün. Sie steht dem Islam nicht uneingeschränkt vorbehaltlos gegenüber, distanziert sich jedoch von den Aussagen Necla Keleks und Ralph Giordanos, die gegenüber dem Islam in seiner Gesamtheit Vorbehalte äußern. Wenn Akgün gleichwohl für den Bau der Moschee ist, dann kritisiert sie in einigen Äußerungen doch deren Bauherrin, die DITIB: 149. Die Moschee solle gebaut werden, wie die Ditib als Bauherrin es plane. Sie war Mitglied der Jury, die im März 2006 aus 20 Entwürfen den Plan des Kirchenbaumeisters Paul Böhm als besten auswählte. Gleichwohl spart sie nicht mit Kritik an der staatlichen türkischen Organisation: Die großen Vorbehalte seien die Quittung dafür, dass die Ditib sich jahrelang abgekapselt habe. Es sei falsch, dass der Vorsitzende nur für jeweils vier Jahre aus der Türkei komme und kaum Deutsch spreche; dass kein Interesse an gemeinsamen Veranstaltungen für deutsche und türkische Kinder und Jugendliche bestehe; dass Ditib ein konservatives Rollenbild propagiere. (FAZ, 24.08.2007, Unabhängig)
Die Meinung, dass vor allem die DITIB eine eher konservative Ausrichtung des Islam vertrete, wird auch von anderen Diskursteilnehmern geteilt: 150. Von alldem ist die Ditib bisher weit entfernt: In Nordrhein-Westfalen hat sie sich sogar jahrelang erbittert gegen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache gewehrt. Selbst die höchsten Ditib-Funktionäre, zum Beispiel der seit April amtierende Vorsitzende Sadi Arslan, sprechen kein Deutsch, ebenso wenig die meisten der etwa 500 aus der Türkei entsandten (und bezahlten) Imame. Neuerdings bietet die Konrad-Adenauer-Stiftung Deutschkurse für Imame an. Künftig soll ein neuer Typ Imam herangezogen werden: Kürzlich hat die Ditib 80 Stipendien für junge türkischstämmige Deutsche ausgeschrieben, die sich in Ankara und Marmara zu Imamen ausbilden lassen können, um hernach für die Ditib in Deutschland zu arbeiten. (FAZ, 09.07.2007, Die Moschee-Baumeister)
In Äußerung 149 und 150 wird erneut der Deutschtopos deutlich: Von einem guten deutschen Islam wird Transparenz erwartet. Das bedeutet konkret, dass gefordert wird, die Imame in Deutschland auszubilden und dass diese schließ-
236 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs lich auf Deutsch predigen. Lale Akgün führt in Beispiel 149 des Weiteren an, dass es falsch sei, dass kein Interesse an Veranstaltungen für deutsche und türkische Kinder und Jugendliche bestehe und die Ditib ein konservatives Rollenbild propagiere. Interkulturalitätstopos: Weil die DITIB kein Interesse daran hat, türkische mit deutschen Kindern und Jugendlichen zusammenzubringen, vertritt sie keinen deutschen Islam. Konservativitätstopos: Weil die DITIB ein konservatives Rollenbild propagiert, vertritt sie keinen deutschen Islam. Sprecher mit Konzept C sind zwar im Allgemeinen der Meinung, dass man den Muslimen den Bau eines islamischen Gotteshauses im Kölner Stadtteil Ehrenfeld gewähren sollte, und begründen dies hauptsächlich mit dem im Grundgesetz festgelegten Recht auf freie Religionsausübung, stehen aber den muslimischen Verbänden – und vor allem auch der DITIB – nicht völlig vorbehaltlos gegenüber. Auch der Journalist Joachim Frank hält es zum einen für ein gutes Zeichen, 151. dass die Ditib nun einen variierten Entwurf vorlegt: Zwei schalenförmige Türme ersetzen die stilisierten Minarette. Unabhängig von der Frage nach der Höhe, ist das eine ästhetisch stimmige Lösung. (KSTA, 22.08.2007, Streitkultur braucht Redlichkeit)
Zum anderen kritisiert auch er, dass die DITIB nicht unabhängig vom türkischen Staat agiere: 152. Gleiches gilt für die dreiste Leugnung der Tatsache, dass die Ditib organisatorisch von der staatlichen Religionsbehörde Diyanet in Ankara abhängt. Ihr Vorsitzender, türkischer Botschaftsrat, fährt mit Diplomatenkennzeichen herum. Und dennoch behauptet die Ditib, sie sei lediglich ein Verband nach deutschem Vereinsrecht. Auf solcher Grundlage, da hat Ralph Giordano recht, lässt sich nicht miteinander reden. (KSTA, 22.08.2007, Streitkultur braucht Redlichkeit)
Wenn eine bestimmte Islamform aus dem Ausland gesteuert wird, so widerspricht sie laut der Diskursteilnehmer der Vorstellung von einem ‚deutschen Islam‘. In folgendem Beispiel kommt erneut der Konservatitvitätstopos zutage:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 237 153. So war die Ditib von Anfang an als Provisorium gedacht, und Türkisch ist dort bis heute Umgangssprache, obwohl die dritte Generation bloß noch Urlaub in der Heimat ihrer Vorfahren macht und deutlich besser Deutsch spricht als Türkisch. Viele dieser Deutschtürken fühlen sich von den Verbänden nicht mehr vertreten. „Die Dachorganisationen der Muslime sind männerdominiert und stehen für eine sehr konservative Auslegung des Islam“, sagt Akgün. „Sie dürfen nicht die Definitionsmacht bekommen.“ Der normale Muslim sei viel aufgeklärter. (FAZ, 03.07.2007, Die Angst vor dem Nachbarn)
Akgün und weitere Sprecher präsupponieren in ihren Äußerungen, wenn sie sagen, dass die DITIB eine besonders konservative Islamform lebt, dass es auch weniger konservative Islamformen gibt. Sie lassen jedoch offen, wo man denn eine solche weniger konservative Islamform finden kann. Auch der Sprecher in folgendem Beispiel stuft den Islam in Deutschland als besonders konservativ ein: 154. „Mit diesem Bild des Islam kann und möchte ich mich nicht identifizieren“, sagt der Architekt Seyed Mohammad Oreyzi: „Ich verstehe gar nicht, warum der Islam, der eine schöne, abstrakte Religion und jünger als Judentum und Christentum ist, sich in Deutschland so viel stärker der Tradition verhaftet zeigt…“ (FAZ, 13.08.2007, Mit den Türmen siegt die Tradition)
Der Sprecher scheint ebenfalls verschiedene Formen des Islam anzunehmen. Er spricht zwar von dem Islam, gibt jedoch an, dass sich dieser unterschiedlich zeigen kann, nämlich etwa in Deutschland stärker der Tradition verhaftet. Mit dem deutschen Islam als radikalere Form könnte also gemeint sein, dass der Islam, der von Muslimen in Deutschland gelebt wird, häufig strenger ist, als der, der in ihren Herkunftsländern praktiziert wird. Sprecher mit Konzept C – wie Lale Akgün – äußern eine Unzufriedenheit mit deutschen Islamformen und deuten in Äußerungen wie der in 146 an, dass es den ‚guten‘ deutschen Islam zwar noch nicht gebe, die Möglichkeit, dass es ihn aber eines Tages geben kann, wenn sich verschiedene Reformierungs- und Integrationsmaßnahmen vollzogen haben, jedoch nicht auszuschließen sei. In folgender Äußerung konkretisiert Akgün, was ihrer Meinung nach notwendig ist, damit sich genau diese Maßnahmen vollziehen: 155. Akgün setzte andere Akzente. Sie warf die Frage auf, wie weit die Integration vorangeschritten sein könnte, „wenn nicht alle islamischen Organisationen in irgendeiner Form mit dem Ausland verbandelt wären“. Die Kölner Bundestagsabgeordnete, die in Istanbul geboren wurde, bekannte: „Ich möchte in Deutschland einen Islam, der unabhängig ist von ausländischen Staaten und Kräften.“ Gesucht ist also ein deutscher Islam. Ein Islam, der sich zuallererst als Teil dieser Gesellschaft versteht. (KSTA, 29.08.2007, Gesucht: Der deutsche Islam)
238 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Ähnlich wie in Äußerung 146 wird hier kritisiert, dass der Islam mit islamischen Organisationen im Ausland verbandelt ist. Ein deutscher Islam, so wie Akgün ihn sich vorstellt, ist unabhängig von ausländischen Staaten und Kräften. 156. PR-Aktionen, in denen die Ditib Mitarbeiter als Kronzeugen für die angeblich problemlose Integration aufbietet, fallen klar in die Kategorie „misslungen“. Wer vorgibt, den Unterschied zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft, zwischen „ihr“ und „wir“ nicht zu verstehen, offenbart eine bedenkliche Ausblendung der Wirklichkeit. Gleiches gilt für die dreiste Leugnung der Tatsache, dass die Ditib organisatorisch von der staatlichen Religionsbehörde Diyanet in Ankara abhängt. Ihr Vorsitzender, türkischer Botschaftsrat, fährt mit Diplomatenkennzeichen herum. Und dennoch behauptet die Ditib, sie sei lediglich ein Verband nach deutschem Vereinsrecht. Auf solcher Grundlage, da hat Ralph Giordano recht, lässt sich nicht miteinander reden. (KSTA, 22.08.2007, Streitkultur braucht Redlichkeit)
Vorbehalte gegenüber der DITIB, wie sie etwa von Ralph Giordano geäußert werden, kann Joachim Frank, einem Sprecher, dem ebenfalls das Konzept C zugeordnet werden kann, verstehen, wenn er auch im selben Artikel dieses Verständnis für den jüdischen Schriftsteller wieder einschränkt: 157. Die Absurdität des Gedankens zeigt die Gefahr des Arguments. Giordano schaut nicht mehr darauf, wie Muslime mit ihrer Tradition umgehen; dazu gäbe es viel Kritisches zu sagen. Sondern er diskreditiert schlechthin den Islam. Das aber kann er schon deshalb nicht wollen, weil er erklärtermaßen jene Muslime stärken will, die gegen einen politischen Islam kämpfen. (KSTA, 22.08.2007, Streitkultur braucht Redlichkeit)
Der Unterschied zwischen Sprechern mit Konzept A und Sprechern mit Konzept C wird ebenfalls in der folgenden Äußerung deutlich: 158. Frau Kelek, Sie wollen mit dem Flammenwerfer Unkraut jäten. Ich kritisiere auch einzelne Punkte und muslimische Organisationen, aber es geht zu weit, einer Weltreligion ihren Anspruch auf Religiösität abzusprechen. (SPIEGEL Online, 12.07.2007, „Wir haben wahrlich nichts zu feiern“)
Sprecher mit Konzept C, wie Lale Akgün in dieser Äußerung, kritisieren den Islam in einzelnen Punkten und sind der Meinung, dass einige Modernisierungsmaßnahmen notwendig seien, um den Islam vollständig mit dem deutschen Wertesystem vereinbaren zu können, warnen aber davor, den Islam in seiner Gesamtheit zu kritisieren und distanzieren sich beispielsweise von der Meinung, dass der Islam eine genuin politische Religion sei.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 239 159. So wird mit Pauschalisierungen und Dreiviertelwahrheiten eine differenzierte Diskussion über die Architektur der Moschee abgeblockt. Womöglich auch in der Ditib selbst. Einem Insider zufolge haben dort immer noch die Vertreter der ersten Generation das Sagen – „und das Geld“. (FAZ, 23.08.2007, Wenn man Minarette will, müssen sie groß sein)
Wieder kommt in dieser Äußerung die Auffassung zutage, dass die DITIB eine besonders konservative Form des Islam darstellt. 160. Anders als Frau Ahadi, die in der Islam-Konferenz nur ein Angstsignal deutscher Politiker vor dem politisierten Islam sieht, hält er das Gespräch der Regierung mit den muslimischen Organisationen für richtig. (FAZ, 12.06.2007, Elend der Integration)
Deutsche Politiker haben also Angst vor einer bestimmten Islamform, dem politischen Islam. Die Kategorie Islam und Politik spielt also auch bei Sprechern mit Konzept C eine Rolle. Für sie ist der politische Islam eine besondere Form des Islam. Die FAZ-Redakteurin Uta Rasche spricht beispielsweise von einem türkischen Staatsislam: 161. Dass die Ditib sich vordrängte, war kein Zufall: Sie ist die größte und finanzkräftigste islamische Organisation in Deutschland. Und sie ist die einzige, über die der Verfassungsschutz nicht regelmäßig berichtet. Da sie den türkischen Staatsislam vertritt, gilt sie als kemalistisch-laizistisch. (FAZ, 09.07.2007, Die Moschee-Baumeister)
Wenn Uta Rasche von einem türkischen Staatsislam spricht, dann präsupponiert sie damit zugleich, dass es auch andere Formen des Islam gibt. In ihren weiteren Ausführungen wird ebenfalls eine Besorgnis gegenüber der DITIB deutlich: 162. Es ist jedoch unklar, ob nach der Parlamentswahl in der Türkei am 22. Juli, in der ein Sieg der konservativ-islamischen AKP des amtierenden Premierministers Erdogan erwartet wird, islamistische Bestrebungen nicht auch in der Ditib die Oberhand gewinnen könnten. Erdogan und seinem Präsidentschaftskandidaten Gül wird in der Türkei vielfach unterstellt, den Laizismus auszuhöhlen und das Land zu einem stärker muslimisch orientierten Staat machen zu wollen. (FAZ, 09.07.2007, Die MoscheeBaumeister)
Solange die Türkei ein laizistischer Staat bleibe, sei die DITIB eher akzeptabel, jedoch nicht mehr, wenn dort islamistische Bestrebungen die Oberhand gewinnen. Islamismus ist ein Schlagwort mit negativ-deontischer Bedeutung. Der Islamismus wird von allen Sprechern, ganz gleich welches Konzept ihnen zugeordnet werden kann, abgelehnt. Wenngleich die DITIB von vielen Diskursteilnehmern kritisch betrachtet wird, dann sind die Sprecher mit Konzept C doch häufig für den Moscheebau.
240 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 163. Frau Akgün war zunächst verstimmt, dass die SPD ihr 2002 wie 2005 nur hintere Plätze auf der Landesliste zubilligte. Heute sieht sie das als großen Vorteil: „Es macht mich unabhängig.“ In der Frage des Kölner Moscheebaus positioniert sie sich nicht anders als ihre Partei: Die Moschee solle gebaut werden, wie die Ditib als Bauherrin es plane. (FAZ, 24.08.2007, Unabhängig)
Aufgrund der wenigen Kotextualisierungen und der Schwierigkeit der eindeutigen Zuordnung, konnten die genannten Äußerungen keinen Kategorien zugeordnet werden. Obwohl sich das Konzept C aus nur wenigen Äußerungen ableiten ließ, dann ist doch deutlich geworden, dass sich dieses Konzept von den vorher beschriebenen unterscheidet, weil es verschiedene Islamformen differenziert. Sprecher mit Konzept C haben kein durchweg positives Islambild. Für Lale Akgün beispielsweise ist der Islam – in seiner jetzigen Ausprägung – noch nicht gut genug für die deutsche Gesellschaft. In Kapitel 2.1 wurde aufgezeigt, dass das Lexem Islam verschiedene Lesarten haben kann. Zum einen wird der Islam als Religion definiert, zum anderen kann die Bedeutung des Lexems auch die Gesamtheit aller Muslime bedeuten. Wenn die Sprecher mit den Konzepten C und D den Islam nun in verschiedene Formen aufspalten, dann stellt sich die Frage, ob sich diese Aufspaltung auch auf alle Lesarten bezieht. Definiert man Islam nun als auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion, dann ist es nicht möglich, dass diese Religion unterschiedliche Formen annehmen kann, denn die im Koran niedergelegte Verkündigung steht fest, sie existiert nicht in unterschiedlichen ‚Formaten‘. Gemeint sein kann also nur, dass es verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt. Aussagen wie Das Christentum – egal welcher Couleur –, Wir glauben nicht an das Konzept eines angeblich moderaten Christentums, Weil es um das Judentum als Religion geht kommen im untersuchten Diskurssegment nicht vor. Das an sich wäre noch nicht sonderlich auffällig, da es im Kölner Moscheebaudiskurs vordergründig um die Auseinandersetzung mit dem Islam und nicht um das Judentum oder Christentum geht, allerdings hat bereits die korpuslinguistische Analyse in Kapitel II gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass vor Christentum ein attributiv gebrauchtes Adjektiv steht, wesentlich geringer ist, als dass ein solches Adjektiv unmittelbar vor Islam vorkommt. Auffällig bei der korpuslinguistischen Untersuchung war zudem, dass Christentum mithilfe attributiv gebrauchter Adjektive häufig hinsichtlich der verschiedenen Konfessionen (evangelikalen, katholisches, orthodoxe) näher klassifiziert wurde, also eher mithilfe von relationalen Adjektiven (vgl. DUDEN 2009, 340; vgl. auch Kapitel IV, 3.1.3), während bei der Charakterisierung von Islam eher qualifizierende Adjektive verwendet werden (politisch, radikal, mili-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 241
tant, aufgeklärt). Wenn man sich zusätzlich die hier diskutierten Kotextualisierungen der bisher besprochenen Konzepte ansieht, dann wird noch deutlicher, dass der Islam zunehmend als soziale Gruppe wahrgenommen wird. Der Islam wird im Diskurs nicht nur als Religion konstituiert, sondern zunehmend als eine soziale Gruppe oder Institution. Der Tatsache, dass einige Sprecher (mit dem Konzept A) dem Islam in seiner Gesamtheit negative Eigenschaften zuschreiben, wirken andere Sprecher entgegen, indem sie den Islam in verschiedene Teilformen aufspalten, dabei zwar einräumen, dass es auch gefährlichere Formen des Islam gibt, aber dennoch der Meinung sind, dass ein guter Islam entweder bereits vorhanden ist (D) oder zumindest für möglich gehalten wird. Dabei wird deutlich, dass Islam konzeptübergreifend negative Bedeutungsanteile evoziert, die es kaum mehr möglich machen, dem Islam als Gesamtheit positive Eigenschaften zuzusprechen. Aussagen wie Der Islam ist eine friedliche Religion, Die Unterdrückung der Frau spielt im Islam keine Rolle, Der Islam und Politik haben nichts miteinander zu tun werden von den Diskursteilnehmern nicht mehr für wahr angenommen, weil das Lexem Islam zu oft mit negativ-deontischen Ausdrücken wie Unterdrückung der Frau, Gewaltbereitschaft, Terrorismus in Verbindung gebracht wurde. Diese Aufspaltung in verschiedene Teilformen zeigt jedoch auch eine Präferenz der Lesart Islam als soziale Gruppe. Denn Islam im Sinne der religiösen Lehre, die im Koran niedergeschrieben steht, kann logischerweise nicht in verschiedene Teilformen aufgespaltet werden. Folgende Prädikationen lassen sich aus den Äußerungen der Sprecher mit Konzept C ableiten:
242 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
Den Islam
gibt es nicht, es müssen vielmehr verschiedene Islamformen unterschieden werden.
der von deutschen Muslimen gelebt wird, muss sich Der Islam,
verschiedenen Modernisierungs- und Reformierungsmaßnahmen unterziehen, damit er in die deutsche Gesellschaft integrierbar ist.
Der Islam in Deutschland
Der Islam in Deutschland
Der Islam in Deutschland
ist noch zu abhängig von anderen Staaten, wie etwa der Türkei.
ist eine sehr konservative Islamform.
ist zu männerdominiert.
Abb. 21: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept C
Da deutlich wurde, dass die Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen die Präferenz der Lesart von Islam im Sinne Gesamtheit der Muslime zur Folge hat, werden nachstehend auch nur diejenigen Fragen berücksichtigt, die sich aus dem Matrixframe Institution/soziale Gruppe ableiten (vgl. Kapitel 2.1). Die ersten fünf Fragen bezogen sich dabei auf die Konstitutionsrelationen und Eigenschaften des Islam. Zunächst wurde nach den Handlungszusammenhängen gefragt, in denen der Islam eine Rolle spielt (1a). Diese Handlungszusammenhänge sind sehr unterschiedlich, für die Diskursteilnehmer geht es in der untersuchten Diskussion darum, ob der Islam in Deutschland repräsentative Gottes-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 243
häuser bauen darf. Dies bejahen die Diskursteilnehmer mit Konzept C. Die Anhänger des Islam (Frage 1b) werden nicht als eine heterogene Masse wahrgenommen. Weil verschiedene Teilformen des Islam angenommen werden, die zudem unterschiedlich charakterisiert werden – mal mehr oder weniger politisch, gemäßigt, friedlich etc. – sind auch dessen Anhänger unterschiedlich zu charakterisieren. Die Fragen Wie sind die Anhänger in bestimmte Teile der Institution/sozialen Gruppe einbezogen? Was sind das für Teile? können nicht beantwortet werden. Auch auf die Fragen 1c und 1d bieten die Texte im Korpus keine Antworten. In 1e wird nach den sonstigen Eigenschaften des Islam gefragt: Für Sprecher mit Konzept C ist die Erscheinungsweise des Islam sehr differenziert. Der Islam kann auf verschiedene Art und Weise auftreten, für die Sprecher existieren verschiedene Formen des Islam. Allerdings ist für die Diskursteilnehmer – wie etwa Lale Akgün – keine Islamform mit der deutschen Gesellschaft vollständig zu vereinbaren. Verschiedene Reformierungs- und Modernisierungsmaßnahmen wären nötig, um einen ‚deutschen Islam‘ zu erhalten. Die Fragen nach den Existenzphasen und der Verbreitung des Islam konnten ebenfalls nicht beantwortet werden. Der Islam wird also erneut nicht hinsichtlich seiner Geschichte und seiner Bedeutung für den Muslim charakterisiert, sondern vor allem hinsichtlich seiner Bedeutung für die deutsche Gesellschaft. Die Frage, welche andere Namen der Islam hat, kann folgendermaßen beantwortet werden: In Konzept C werden verschiedene Islamformen unterschieden, die jeweils mit verschiedenen Adjektiven attribuiert werden. So gibt es mehr oder weniger konservative ‚Islams‘; es soll den ‚deutschen‘ Islam möglicherweise eines Tages geben usw. Auch der Islamismus wird als eine Form des Islam wahrgenommen. Außerdem werden die Rechte des Islam thematisiert (Frage 3g): Der Islam muss laut der Sprecher rechtlich mit den anderen Religionen gleichgestellt werden, weil das ein Gebot des Grundgesetzes sei. Folgende Bedeutung hat der Islam im Konzept C für den Menschen (3i): Diese Frage nach der Bedeutung des Islam für den Menschen wird hier als Bedeutung für den nicht-muslimischen Menschen verstanden. Da Sprecher mit Konzept C häufig den deutschen Islam thematisieren, scheint der Islam in Deutschland für sie von großer Bedeutung zu sein. Aufgrund der Tatsache, dass die rechtliche Gleichstellung der Religionen ein Gebot des Grundgesetzes ist, halten es die Sprecher für richtig, dass die Moschee in Köln-Ehrenfeld gebaut wird, auch wenn sie der Bauherrin DITIB nicht völlig vorbehaltlos gegenüberstehen. Frage 3j bezieht sich darauf, welchen anderen Institutionen der Islam ähnlich ist und wie er sich von diesen unterscheidet. Für die Sprecher ist keine Form des Islam mit dem Christentum zu vergleichen. Der Islam sei in einigen seiner heutigen Erscheinungsformen laut einer Äußerung (147) im Korpus in weit
244 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs geringerem Maße auf Toleranz, Menschenrechte, Säkularität des Staates und andere prägende Elemente des freiheitlichen Rechtsstaates ausgerichtet als etwa das Christentum. Im Folgenden findet sich eine graphische Darstellung des Islamkonzepts C:
Es gibt gefährliche und ungefährliche Formen des Islam
Einen guten deutschen
….
Islam gibt es (noch) nicht
Islam = Islam 1
Ein guter deut-
Der politische
Islam 2
scher Islam
Islam ist abzu-
Islam n
wäre moderat
Ein guter deut-
lehnen
Ein guter deut-
scher Islam
scher Islam
wäre nicht
wäre dialog-
politisch
offen
Abb. 22: Konzept C
Das Konzept C unterscheidet also verschiedene Formen des Islam. Neben dem politischen und dem radikalen Islam kennen die Sprecher (beziehungsweise sie präsupponieren) auch einen moderaten Islam, führen jedoch nicht weiter aus, wo dieser moderate Islam denn zu finden sei. Islamismus ist für die Sprecher eine Unterform des Islam. Einen guten deutschen Islam gibt es für die Diskurs-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 245
teilnehmer noch nicht, wenngleich auch nicht ausgeschlossen wird, dass der Islam mit einigen Reformierungsmaßnahmen als gut bewertet werden könnte. Auch wenn sie dem Islam nicht uneingeschränkt kritiklos gegenüberstehen, befürworten die Sprecher mit Konzept C den Bau der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Die Hauptbegründung dafür ist, dass die Verhinderung des Baus der Moschee dem Grundgesetz widerspreche. Die folgende Abbildung zeigt das Argumentationsverhalten der Sprecher:
Die Moschee muss gebaut werden,
246 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
weil es ein Gebot des Grundgesetzes ist.
Die DITIB vertritt keinen guten Islam,
OBWOHL
weil sie einen nicht-
weil sie die Imame in
offenen Islam repräsen-
der Türkei ausbildet.
tiert, weil sie nicht dialogoffen ist.
weil sie ein konservatives Rollenbild propagiert.
Abb. 23: Argumentationsmuster der Sprecher mit Konzept C
Obwohl die Sprecher mit Konzept C der Bauherrin DITIB sehr kritisch gegenüber stehen, sind sie der Meinung, dass die Moschee gebaut werden müsse. Die An-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 247
nahme, dass es letztlich ein Gebot des Grundgesetzes ist, wiegt alle Vorbehalte gegenüber der DITIB auf. Ein guter deutscher Islam muss laut der Sprecher offen, moderat, nicht politisch sein. Der DITIB könne man diese Eigenschaften jedoch nicht zuschreiben. Anders als Sprecher mit Konzept D sind die Sprecher mit Konzept C also nicht der Meinung, dass die in Deutschland gelebte Islamform eine ‚gute‘ Islamform ist. Bei ihren Äußerungen, vor allem bei den Äußerungen Lale Akgüns, wird vielmehr deutlich, dass der Islam verschiedene Reformierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vollziehen müsse, damit er letztendlich mit der deutschen Gesellschaft und dem deutschen Wertesystem zu vereinbaren sei. Die Modernisierungs- und Reformierungsmaßnahmen betreffen die Eigenschaft des Politisch-Seins einiger Islamformen, zudem sei der Islam häufig zu konservativ und männerdominiert. In den herausgearbeiteten Topoi wurde deutlich gemacht, dass dies der Vorstellung eines deutschen Islam widerspricht.
4.3.3 Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bezogen auf das Konzept D Aus einer ganzen Reihe an Kotextualisierungen des Lexems Islam leitet sich das Konzept D ab. Es ist nach Konzept A das zweitdominanteste Islamkonzept in den untersuchten Texten. Sprecher mit Konzept D befürworten den Moscheebau und gehen wie Sprecher mit Konzept C davon aus, dass es verschiedene Islamformen gibt, halten jedoch den deutschen Islam beziehungsweise den Islam, der von der Türkisch Islamischen Union DITIB vertreten wird, für gemäßigt. Auch die Äußerungen muslimischer Sprecher und die einiger Vertreter der DITIB konnten diesem vierten Konzept zugeordnet werden. Anders als beispielsweise Ayyub Axel Köhler, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, dem das Konzept B zugeordnet wurde, betrachten diese Sprecher den Islam nicht als uneingeschränkt friedlich und räumen – zum Teil direkt, zum Teil indirekt – ein, dass es auch bedenkliche Formen des Islam gebe. Anders als Sprecher mit Konzept C gehen sie jedoch davon aus, dass ein ‚guter deutscher Islam‘ bereits vorhanden sei. Sie betrachten den von deutschen Muslimen gelebten Islam beziehungsweise den von der Türkisch-Islamischen Union repräsentierten Islam als gemäßigt. In den folgenden Beispielen zeigt sich das Islambild der Sprecher mit Konzept D:
248 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 164. Laschet warnte vor einer Diffamierung der Bürger mit muslimischem Glauben. „Was haben die Muslime, die hier seit 30, 40 Jahren friedlich leben, mit irgendeinem Osama Bin Laden zu tun?“ Gerade die Ditib sei ein wünschenswerter Bauherr für die Moschee in Ehrenfeld. „Die leben genau den Islam, wie wir ihn uns vorstellen auf der Basis des Grundgesetzes“, sagte der Integrationsminister. (KSTA, 14.08.2007, Parteitag lässt Schramma im Stich) 165. In einem Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) hat Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner vor übertriebener Aufregung gewarnt: „Die Debatte wird viel zu hoch aufgehängt. Die Leute tun so, als passiere etwas völlig Neues. In Wirklichkeit wird ein bestehender Sakralbau verbessert.“ Schock-Werner saß in der Jury, die den Entwurf von Architekt Paul Böhm 2006 ausgewählt hatte. Sie setzt sich dafür ein, den offiziellen Islam zu unterstützen, damit radikale Kräfte nicht noch stärker werden. Die Ditib sei nicht radikal und sollte daher Hilfe bekommen. (KSTA, 27.06.2007, „Das wird doch nur ein kleines Kapellchen“) 166. LASCHET: Man könnte ja auch in angrenzenden Räumen lesen. Die Moschee ist schließlich ein Gotteshaus. Der Streit mit der Ditib ist im Übrigen der falsche. Wenn man einen Islam in Deutschland will, dann doch eher den nach Ditib-Modell, die dialogoffen sind. Wir haben andere Verbände, die viel mehr Probleme machen. (KSTA, 11.07.07, „Der Dialog muss weitergehen“) 167. Imam Benjamin Idriz, der seit 1995 in Penzberg arbeitet, stammt aus der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und vertritt, wie er sagt, einen „offenen, modernen Islam“. (Sueddeutsche Zeitung, 03.08.2007, Ausbildung für Gelehrte des Islams)
Dem Integrationsminister Nordrhein-Westfalens Armin Laschet kann das Konzept D zugeschrieben werden. Laut seiner Äußerungen steht er dem ‚deutschen Islam‘ relativ vorbehaltlos gegenüber und ist uneingeschränkt für den Bau der Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. In Äußerung 164 nimmt er Stellung zur DITIB und behauptet, dass die genau den Islam leben, den wir uns vorstellen auf der Basis des Grundgesetzes. Er nimmt also einen gemeinsamen Konsens an: Wir alle haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie der in Deutschland gelebte Islam aussehen soll. Er konkretisiert dies in derselben Äußerung, wenn er sagt, dass dieser Islam auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Ein deutscher Islam ist also nicht – wie etwa von Ralph Giordano für den Islam als Gesamtheit angenommen – politisch, hat nicht seine eigene Rechtsordnung, sondern ist mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren. Mit dieser Äußerung präsupponiert er jedoch gleichzeitig, dass er auch Formen des Islam kennt, die nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sind, Formen, die etwa ihre eigene Rechtsordnung haben. Erneut wird also in der Äußerung in 164 der Grundgesetztopos deutlich: Wenn eine Islamform auf dem Boden des Grundgesetzes steht, dann entspricht sie den Vorstellungen von einem guten Islam.
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 249
In derselben Äußerung schreibt er dem in Deutschland gelebten Islam noch eine weitere Eigenschaft zu: Er habe nichts mit dem islamistischen Terrorismus zu tun. In seiner rhetorischen Frage Was haben die Muslime, die hier seit 30, 40 Jahren friedlich leben, mit irgendeinem Osama Bin Laden zu tun? schreibt er dem deutschen Islam, beziehungsweise hier explizit den Muslimen, das Attribut friedlich zu. Indirekt wird also wieder auf Giordanos Äußerungen Bezug genommen, denn Ralph Giordano hingegen ist der Meinung, dass der Islam eine gewaltbereite Religion sei. Diese Eigenschaft wird dem Islam von Laschet nicht völlig abgesprochen, sondern es wird angenommen, dass diese Eigenschaft nur auf bestimmte Formen des Islam zutreffe, so etwa auf den Islam, der von Osama Bin Laden repräsentiert wurde, nicht jedoch auf den deutschen Islam. Friedlichkeitstopos: Wenn eine Islamform friedlich beziehungsweise nicht-terroristisch ist, entspricht sie den Vorstellungen von einem guten Islam. Was diesen deutschen Islam zusätzlich von Sprechern mit Konzept D noch akzeptabel macht, wird in der Äußerung 166 – ebenfalls eine Äußerung des Integrationsministers Laschet – deutlich: Der deutsche Islam beziehungsweise der Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, sei dialogoffen. Der offene Islam wird von den Diskursteilnehmern positiv bewertet, der verschlossene hingegen negativ. Eine weitere Anforderung, die also an den deutschen Islam gestellt wird, ist die Bereitschaft zum Dialog. Der Islam soll sich nicht von der deutschen Gesellschaft abgrenzen, sondern im stetigen Dialog mit ihr sein – die Angst vor einer Parallelgesellschaft scheint also auch hier wieder inbegriffen. Offenheitstopos: Wenn eine Islamform offen ist, entspricht sie den Vorstellungen von einem guten Islam. In der Äußerung Schock-Werners (165) wird dem Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, noch ein weiteres Attribut zugeschrieben: Er sei der offizielle Islam. Amtlichkeitstopos: Wenn eine Islamform offiziell ist, so entspricht sie den Vorstellungen von einem guten Islam.
250 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs In Beispiel 167 ist erneut die Rede von einem offenen Islam. An verschiedenen Stellen wurde bereits herausgearbeitet, dass die Mehrheitsbevölkerung vom Islam mehr Transparenz einfordert. Die positive Bewertung eines offenen Islam wird auch in der Äußerung 167 deutlich, wenn der Imam Idriz angibt, dass er einen offenen, modernen Islam vertrete. Transparenztopos: Wenn eine Islamform transparent/offen ist, entspricht sie den Vorstellungen eines guten Islam. Wenn die DITIB also den offiziellen, transparenten Islam darstellt, dann präsupponiert diese Äußerung wiederum auch, dass es einen inoffiziellen Islam gibt. Die folgende Abbildung gibt die verschiedenen Formen des Islam in Konzept D vereinfacht wieder:
Islam X:
Deutscher Islam: - gemäßigt - dialogoffen - friedlich
Islam
Islam
Islam
1
2
3
- ….
positiv
- radikal - verschlossen - gewaltbereit - …
negativ
Abb. 24: Die verschiedenen Formen des Islam in Konzept D
Sprecher mit Konzept D unterscheiden somit verschiedene Formen des Islam, die sich zwischen zwei Polen ansiedeln. Diese Pole wurden in dieser Abbildung vereinfacht mit den Antonymen ‚positiv‘ und ‚negativ‘ bezeichnet, denn es gibt auf der einen Seite den sehr positiv bewerteten deutschen Islam und auf der anderen Seite einen Islam, der negativ bewertet wird, weil er die negativen Eigenschaften der ‚Radikalität‘, der ‚Verschlossenheit‘ etc. beinhaltet. Zwischen diesen beiden Polen positionieren sich weitere Islamformen, die mehr oder weniger positiv bewertet werden. Es wird zwar von unterschiedlichen Islamformen ausgegangen – wie viele es letztendlich sind, wird von den Diskursteilnehmern nicht explizit gemacht –, allerdings werden die Islamformen, die sich zwischen diesen beiden Extrempolen bewegen, von den Sprechern nicht weiter definiert oder benannt. An dieser Darstellung kann auch der Unterschied zwi-
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 251
schen Sprechern mit Konzept D und Sprechern mit Konzept C deutlich gemacht werden: Im Prinzip trifft dieselbe Darstellung auch auf Konzept C zu, mit dem Unterschied, dass für die Sprecher der Islam, der am linken Pol steht, noch nicht existiert. Lale Akgüns Äußerung Gesucht wird der deutsche Islam wird in den untersuchten Artikeln häufig zitiert und bringt eben dies auf den Punkt. Während es also für Sprecher mit Konzept D bereits einen ‚guten‘ deutschen Islam gibt, existiert dieser für Sprecher mit Konzept C nicht. Der in Deutschland gelebte Islam beziehungsweise der Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, postiert sich irgendwo zwischen den beiden Extrem-Polen, er sei nicht absolut radikal, gewaltbereit und widerspricht nicht in seiner Gesamtheit dem deutschen Grundgesetz, aber vollkommen entpolitisiert, friedlich und absolut mit dem deutschen Wertesystem und Grundgesetz zu vereinbaren sei er wiederum auch nicht. Der deutsche Islam wird von Sprechern mit Konzept C zwar nicht völlig negativ bewertet, aber um ebenso positiv bewertet zu werden wie von Sprechern mit Konzept D, bedarf es – laut der Sprecher – noch einiger Modernisierungsmaßnahmen.
Deutscher Islam: - gemäßigt - dialogoffen - friedlich - ….
Islam X: Islam
Der (bisherige )
Islam
2
deutsche Islam
4
- radikal - verschlossen - gewaltbereit - …
positiv
negativ
Abb. 25: Die verschiedenen Formen des Islam bei Sprechern mit Konzept C
Imam Benjamin Idriz, ein Muslim also, vertritt einen offenen, modernen Islam (167). Auffällig ist, dass auch von Seiten der Muslime dem Islam nicht in seiner Gesamtheit die Eigenschaften Offenheit und Modernität zugeschrieben werden, sondern nur einer bestimmten Form des Islam. Denn auch Idriz präsupponiert in seiner Äußerung, dass es auch einen nicht offenen, nicht modernen Islam gibt. Bei Sprechern der DITIB zeigt sich ebenfalls häufig dieses Phänomen. Wenn auch einige Äußerungen von Sprechern der DITIB dem Konzept B zugeordnet wurden, so zeigt sich in der folgenden Äußerung ein Islambild, das eher dem Konzept D entspricht:
252 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs 168. In der Ditib-Erklärung heißt es dazu: „Die Forderung, dass die geplante Moschee den Belangen aller in Köln lebenden Muslimen Rechnung zu tragen habe, widerspricht ebenfalls der Glaubensfreiheit nach Artikel vier des Grundgesetzes. Wir vertreten einen aufgeklärten Islam…“ (FAZ, 15.08.2007, Ditib enttäuscht von Kölner CDU)
Wenn die DITIB erklärt, sie vertrete einen aufgeklärten Islam, dann präsupponiert sie damit, dass es auch einen unaufgeklärten Islam geben muss. Hier wird also wieder der unbestimmte Artikel mit dem Lexem Islam verwendet, was bei den Äußerungen der Sprecher mit Konzept B, wie etwa Ayyub Axel Köhler, nicht der Fall ist. Dass der Moscheebau durchgeführt werden muss, wird auch hier mit dem Argument begründet, dass es ein Gebot des Grundgesetzes sei. Der in Kapitel 4.2.2 für Konzept B aufgezeigte Grundgesetztopos wird also ebenfalls von Sprechern mit Konzept D verwendet. Ein weiterer Topos, der sich aus der Äußerung ergibt, ist der Aufgeklärtheitstopos: Wenn eine Islamform aufgeklärt ist, entspricht sie den Vorstellungen von einem deutschen Islam. Auch der Integrationstopos, der ebenfalls bei Sprechern mit Konzept C bei der Argumentation für den Moscheebau von Bedeutung war, spielt bei Sprechern mit Konzept D eine Rolle, wie folgende Äußerung zeigt: 169. Integration ist ein wechselseitiger Prozess: Die Mehrheitsgesellschaft ist dann fähig, eine neue Gruppe aufzunehmen, wenn diese sich anpasst; umgekehrt ist die jeweilige Gruppe anpassungswillig, wenn sie nicht abgelehnt wird und sich willkommen fühlt. Eine pauschale Gleichsetzung – wie sie bedauerlicherweise oft zu finden ist – von Muslimen und Islamisten verkennt die Realität. Für die Ditib wäre es außerordentlich wünschenswert, wenn Kritiker sich zunächst einmal über die Integrationsarbeit (in den unterschiedlichen Abteilungen wie Bildungs- und Kulturabteilung, Referat für interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit, Frauenabteilung) des Vereins erkundigen würden, um auf einer sachgemäßen Basis ihre Skepsis gegenüber der Vereinsarbeit oder dem Moscheebau oder dem von uns vertretenen gemäßigten Islam oder den Besuchern oder den Mitgliedsvereinen zur Sprache bringen. (FAZ, 28.06.2007, Der Anpassungswille ist vorhanden)
Integrationstopos: Wenn eine Islamform integrationsbereit ist oder Integrationsarbeit leistet, so entspricht sie der Vorstellung von einem deutschen Islam. Im Beispiel 169 wird ebenfalls das Phänomen der Gleichsetzung von Muslimen und Islamisten angesprochen und kritisiert. Durch den Ausdruck dem von uns vertretenen gemäßigten Islam, räumt die DITIB indirekt ein, dass es auch eine
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 253
weniger gemäßigte Form des Islam geben muss. Diese gemäßigte Form wird in folgender Äußerung konkretisiert: 170. Die Ditip als Bauherrin der geplanten Großmoschee ist amtlich mit dem „Ministerium für Religion“ verbunden, das angeblich mit einem Politiker des laizistischen Flügels besetzt ist und für einen gemäßigten Islam stehen soll. (FAZ, 14.06.2007, Wofür steht die Kölner Moschee?)
Die DITIB erscheint deshalb als gemäßigt, weil sie den laizistischen Flügel repräsentiert. Was für Sprecher mit Konzept A also den Islam auszeichnet, nämlich die Verbindung zwischen Staat und Religion, trifft für Sprecher mit Konzept D auf den deutschen Islam, beziehungsweise auf den Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, nicht zu. Auch die von Sprechern mit Konzept A geäußerte Besorgniserregung, die von der angeblichen Gewaltbereitschaft des Islam herrührt, gelte nicht für die DITIB, wie folgende Äußerung deutlich macht: 171. „Wenig segregiert und sehr gemischt“ – zu diesem Urteil kommt Wolf-Dietrich Bukow über den Stadtteil. Sieben Jahre lang hat der Ethnologe von der Universität Köln über Ehrenfeld geforscht und die dortige Integration für gelungen befunden. Der Streit über die Moschee hat ihn überrascht. „Woher kommt die Angst?“ Man kenne sich doch eigentlich. Mittlerweile hat er zwei Erklärungen gefunden. Die eine beruht auf dem, was er die „politische Großwetterlage“ nennt. Sie schüre eine Angst vor der Religion, die wenig mit dem Islam zu tun habe, der bei der Ditib praktiziert werde. „Das ist ein Zeichen von Globalisierung. Wir machen uns heute zu Hause Sorgen, wenn am anderen Ende der Welt etwas Schreckliches passiert.“ (FAZ, 03.07.2007, Die Angst vor dem Nachbarn)
Auch Bukow unterscheidet verschiedene Islamformen, betrachtet die DITIB jedoch auch als gemäßigt. Radikalere Formen des Islam gebe es am anderen Ende der Welt. Er warnt hier vor der Gleichsetzung der verschiedenen Formen und redet von einem Schüren der Angst vor dem Islam. Auch bei Konzept D spielen also die für Konzept A aufgestellten Kategorien Islam und Politik und Islam und Gewaltbereitschaft eine Rolle. Für die zugehörigen Sprecher sind die Politikverbundenheit und die Gewaltbereitschaft keine Eigenschaften des deutschen Islam beziehungsweise des Islam, der von der DITIB repräsentiert wird. Der damalige nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet bezieht die weniger gemäßigten Islamformen auf andere Muslimverbände als die DITIB: 172. Laschet betonte, Muslime hätten ein Recht dazu, ein Gotteshaus zu bauen. Wesentlich begeisterter wurde ein anderer Satz von ihm aufgenommen: „Nicht jeder, der gegen eine Moschee ist, ist rechtsradikal.“ Laschet vermied es, sich zu Größenverhältnissen zu äußern, allerdings erregte er deutlichen Unmut, als er die DITIB aus-
254 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs drücklich lobte: Sie vertrete im Vergleich zu anderen muslimischen Verbänden einen Islam, „der auf Basis des Grundgesetzes der verträglichste“ sei. (WELT, 16.08.2007, Kölner CDU rebelliert gegen geplanten Moschee-Bau)
Auch hier spielt der Grundgesetztopos eine Rolle, wenn Laschet argumentiert, dass die Muslime ein Recht dazu haben, ein Gotteshaus zu bauen. Er gibt an, dass die DITIB den Islam repräsentiere, der auf Basis des Grundgesetzes der verträglichste sei. Die verschiedenen Formen des Islam unterscheiden sich also für ihn durch den Grad der Verträglichkeit mit dem deutschen Grundgesetz. Laschets Äußerungen enthalten häufig den unbestimmten Artikel in Verbindung mit dem Lexem Islam. So auch in der folgenden Kotextualisierung des Lexems: 173. Es sei für ihn nicht wichtig, ob die Minarette 35 oder 55 Meter hoch seien, sondern „was für ein Islam“ in der geplanten Moschee gelebt werde, sagt der nordrheinwestfälische Minister für Integration Armin Laschet (CDU). „Öffnet er sich und ist der Integration verpflichtet?“ Bei der Ditib habe er da wenig Bedenken – „der Islam, den Ditib lebt, ist am besten mit dem Grundgesetz vereinbar“, so der Minister zu SPIEGEL ONLINE. (SPIEGEL Online, 23.08.2007, Neuer Moschee-Entwurf provoziert schon wieder Streit)
Der gemäßigte Islam, der ‚gute‘ Islam, ist also offen. Hier spielt der von Diskursteilnehmern aller vier Konzepte genutzte Transparenzbegriff wieder eine Rolle. Der ‚gute‘ Islam ist durchsichtig und offen für die Integration in die deutsche Gesellschaft. Für Laschet hat der Islam, der von der DITIB gelebt wird, genau diese Eigenschaften: Der Islam, den Ditib lebt, ist am besten mit dem Grundgesetz vereinbar. Die folgenden Prädizikationen machen das Islambild der Sprecher mit Konzept D noch einmal deutlich:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 255
Der Islam
kann in verschiedenen Formen auftreten.
Der Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, Der Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, Der Islam, der von der DITIB repräsentiert wird,
ist offen.
ist ein moderner Islam.
ist kein politischer Islam.
Der Islam, der von der
ist besser mit dem deutschen Wertesystem
DITIB repräsentiert wird,
zu vereinbaren als andere Islamformen.
Abb. 26: Abgeleitete Prädikationen bezogen auf das Konzept D
Wie bereits dargestellt wurde, zeigt die Konstitution von verschiedenen Islamformen, dass der Islam in der Lesart soziale Gruppe beziehungsweise Gesamtheit der Muslime zu verstehen ist. Somit werden im Folgenden auch nur all jene Fragen betrachtet, die aus dem Matrixframe soziale Gruppe/Institution abgeleitet wurden (vgl. Kapitel 2.1). Die ersten fünf Fragen bezogen sich dabei auf die Konstitutionsrelationen und Eigenschaften des Islam. Die Fragen 1a und 1b nach den Handlungszusammenhängen, in denen der Islam fungiert, sowie nach den Anhängern des Islam sind genauso zu beantworten wie für das Konzept C: Der Islam spielt in verschiedenen Handlungszusammenhängen eine Rolle. In dem betrachteten Korpus wird vor allem die Rolle des Islam bei der Diskussion um den Bau der Großmoschee betrachtet. Die Anhänger des Islam sind unterschiedlich zu charakterisieren, weil sie sehr unterschiedlichen Islamformen zuzuordnen sind. Die Fragen 1c und 1d konnten weder für das Konzept C noch für das Konzept D beantwortet werden. Für beide Konzepte gilt allerdings, dass die Erscheinungsweise des Islam sehr differenziert wahrgenommen wird (Frage 1e). Die Sprecher unterscheiden verschiedene Islamformen, die mehr oder weniger positiv zu bewerten sind. Anders als die Sprecher mit Konzept C kennen Sprecher, denen das Konzept D zugeordnet werden kann, bereits eine Islamform, die mit ‚deutschem Islam‘ benannt wird und die durchweg positive Eigen-
256 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs schaften hat. Die Fragen nach den Existenz- und Verbreitungsphasen des Islam konnten für das Konzept D ebenfalls nicht beantwortet werden. Der Islam beziehungsweise seine einzelnen Formen werden im Diskurs nur hinsichtlich seiner Eigenschaften und seiner Bedeutung für den nichtmuslimischen Menschen charakterisiert. Das Konzept D unterscheidet unterschiedliche Islamformen, die mit verschiedenen Adjektiven attribuiert werden: Es gibt beispielsweise den deutschen, den radikalen, den dialogoffenen Islam. Der von den Sprechern mit Konzept D positiv bewertete deutsche Islam hat viele Rechte. Ihm soll es auch gestattet werden, ein repräsentatives Gotteshaus zu bauen. Da Sprecher mit Konzept D ähnlich wie Sprecher mit Konzept C häufig den deutschen Islam thematisieren, scheint der Islam in Deutschland für sie von großer Bedeutung zu sein. Aufgrund der Annahme, dass die rechtliche Gleichstellung der Religionen ein Gebot des Grundgesetzes und dass der in Deutschland gelebte Islam ein ‚guter‘ Islam ist, halten es die Sprecher für richtig, dass die Moschee in Köln-Ehrenfeld gebaut werde. Sprecher mit Konzept D vergleichen den Islam interessanterweise nicht mit anderen Religionen wie etwa dem Christentum oder dem Judentum. Dies könnte einen weiteren Hinweis darauf geben, dass die Sprecher den Islam weniger als Religion und eher als eine soziale Gruppe wahrnehmen. Ausgesagt wird nur, dass der Islam, der in Deutschland gelebt wird, rechtlich mit den anderen Religionen gleichgestellt werden muss, weil das ein Gebot des Grundgesetzes sei und weil der deutsche Islam ein gemäßigter und friedlicher Islam sei. Das Konzept D kann folgendermaßen dargestellt werden:
4. Ergebnis: Die vier Islamkonzepte 257
Es gibt gefährliche und ungefährliche Formen des Islam
Der politische
Der Islam der
Islam ist nega-
DITIB passt
tiv zu bewerten
nach Deutschland
Islam = Islam 1 Der Islam der
Islam 2
…
DITIB ist offen
Islam n
Der Islam der
und transparent
Der Islam der
DITIB ist grund-
DITIB ist integ-
gesetztreu
riert bzw. integrationswillig
Abb. 27: Das Konzept D
Folgende Übersicht gibt die der Argumentation zugrunde liegenden Denkmuster an:
258 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs
weil sie friedlich ist. weil es ein Gebot des
Die Moschee muss gebaut werden,
Grundgesetzes ist.
weil sie dialogoffen ist.
weil sie transparent ist. weil die DITIB einen Islam vertritt, der posi-
weil sie aufgeklärt ist.
tiv zu bewerten ist, weil sie integrationswillig ist.
weil sie grundgesetzkonform ist.
weil sie gemäßigt ist.
Abb. 28: Argumentationsmuster der Sprecher mit Konzept D
Die Sprecher mit Konzept D befürworten den Bau der Großmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld und begründen dies zum einen damit, dass es ein Gebot des Grundgesetzes sei. Wieder wird also deutlich, dass der Grundgesetztopos für die Sprecher einen hohen Stellenwert hat. Zum anderen begründen die Sprecher mit Konzept D ihre Befürwortung des Baus auch mit bestimmten positiven Eigenschaften, die sie der Islamform, die von der DITIB vertreten wird, zusprechen: Sie sei integrationsbereit, gemäßigt, dialogoffen, transparent etc., hat also all jene Eigenschaften, die – das gilt für die Sprecher konzeptübergreifend – der Islam beziehungsweise eine Islamform haben muss, um positiv bewertet zu werden.
5. Resümee 259
4.3.4 Zusammenfassung der Analyseergebnisse (Konzepte C und D) Die Analyse hat die These bestätigt, dass das Lexem Islam im Deutschen negative Bedeutungsanteile evoziert. Ein Resultat daraus, dass der Islam von vielen Sprechern negativ bewertet wird, ist die Aufspaltung in verschiedene Teilformen. Auffällig ist, dass im untersuchten Diskurssegment selbst Muslime häufig nicht mehr dem Islam in seiner Gesamtheit positive Eigenschaften zusprechen, sondern ausweichen auf Formulierungen wie Wir vertreten einen offenen/aufgeklärten/transparenten/moderaten Islam, die präsupponieren, dass eine Islamform, die mit den jeweils antonymen Adjektiven attribuiert wird, ebenfalls existiert. Während Sprecher mit dem Konzept D der Meinung sind, dass die DITIB eine Islamform vertritt, die mit den deutschen Werten zu vereinbaren und deshalb positiv zu bewerten ist, sind Sprecher mit dem Konzept C der Meinung, dass es diesen ‚guten‘ deutschen Islam bisher noch nicht gibt, sie halten seine Existenz jedoch prinzipiell für möglich, sofern der Islam in Deutschland bestimmte Reformierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vollziehe.
5. Resümee Die hier durchgeführten Frame-, Topos- und Schlagwortanalysen ließen eine genauere Beschreibung eines Konzeptes, das sich im Diskurs spiegelt und zugleich dort entsteht, zu: Die Analyse hat vier verschiedene Islamkonzepte zum Ergebnis, die sich im Anteil ihrer negativen beziehungsweise positiven Bedeutungsanteile unterscheiden. Es konnte deutlich gemacht werden, dass das Lexem Islam konzeptübergreifend negative Bedeutungsanteile evoziert. Dies zeigte sich zum einen in der großen Gruppe der Sprecher, denen das Konzept A zugeordnet werden konnte. Ganz direkt und explizit schreiben diese Sprecher dem Islam (betrachtet als eine Einheit) negative Eigenschaften zu: Der Islam sei politisch, sei gewaltbereit, könne sich selbst nicht kritisch betrachten und die Unterdrückung der Frau sei nach wie vor sehr präsent im Islam. Im sprachlichen Umgang mit dem Lexem Islam zeigte sich, dass dieser nicht ausschließlich als eine Religion wahrgenommen wird. Dies war ebenfalls ein Ergebnis der korpuslinguistischen Analyse, in der die Kollokation Islam als Religion auffiel, die präsupponiert, dass der Islam eben noch als etwas anderes als eine Religion wahrgenommen wird. In der Untersuchung des Kölner Moscheebaudiskurses wurde schließlich deutlich, dass die im Wörterbuch angegebene
260 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Bedeutung von Islam „auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion“137 eigentlich ergänzt werden müsste. Denn die Verwendungsweise von Islam zeigt ganz deutlich, dass dieser auch als eine soziale Gruppe aufgefasst wird, dass mit Islam letztlich häufig die Gesamtheit der Muslime gemeint ist. Zudem wird der Islam ab und an auch als eine (politische) Institution aufgefasst. Diese drei Lesarten von Islam – Islam als Religion, Islam als Gesamtheit der Muslime und Islam als Institution – sind nicht eindeutig voneinander abzugrenzen, wie die Analyse zeigen konnte. Dass das Lexem Islam negative Bedeutungsaspekte evoziert, zeigte sich auch darin, dass es nur sehr wenige Sprecher gibt, denen das Konzept B zugeordnet werden konnte. Mit Ausnahme des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Ayyub Axel Köhler, werten diese Sprecher den Islam jedoch häufig nicht auf, indem sie ihm bestimmte positive Eigenschaften zuschreiben, sondern, indem sie die Religionen Christentum und Judentum ebenfalls mit negativ-deontischen Ausdrücken in Verbindung bringen. So reagierten einige Sprecher mit Konzept B auf den Vorwurf, dass der Islam gewaltbereit sei, nicht mit der Aussage Der Islam ist eine friedliche Religion oder Ähnlichem, sondern mit einem Gegenvorwurf: Auch die Bibel enthalte Gewalt verherrlichende Passagen. In dieser Reaktion steckt ein Zugeständnis, das deutlich macht, dass das Konzept Islam negative Bedeutungsanteile enthält: Es scheint kaum mehr möglich, dem Islam in seiner Gesamtheit Attribute wie Friedlichkeit zuzuschreiben, was sich auch darin bestätigt zeigte, dass sich die Autoren der Artikel von den Aussagen Köhlers distanzieren und diese fast lächerlich machen. Weil das Lexem Islam negative Bedeutungsaspekte evoziert, spaltet ein Großteil der Sprecher den Islam in verschiedene Teilformen auf. Dabei wird vor allem der deutsche Islam als eine Form des Islam, die mit dem westlichen Werteverständnis und dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren sei, thematisiert. Während Sprecher mit Konzept C der Meinung sind, dass es einen guten deutschen Islam bisher noch nicht gibt, dessen Existenz nach einigen Reformierungsmaßnahmen jedoch prinzipiell möglich sei, betrachten Sprecher, denen das Konzept D zugeordnet werden konnte, den Islam, der von der DITIB repräsentiert wird, als eine positive Islamform, die mit den deutschen Werten zu vereinbaren sei. Die Rede von einem deutschen Islam, die Suche nach einem deutschen Islam weist jedoch darauf hin, dass es von den Sprechern nicht als selbstverständlich betrachtet wird, dass der Islam bereits ein Teil von Deutschland ist.
137 http://www.duden.de/rechtschreibung/Islam; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
5. Resümee 261
Die durchgeführte Toposanalyse als Ergänzung der Frame-Analyse machte deutlich, dass der Islam (beziehungsweise eine bestimmte Islamform) für die Teilnehmer des Kölner Moscheebaudiskurses nur dann positiv zu bewerten ist, wenn er bestimmte Eigenschaften hat: Der Islam muss offen, transparent, integrationsbereit, aufgeklärt, grundgesetzkonform, friedlich, gemäßigt usw. sein, um von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden. Wenn sich die Konzepte auch teilweise sehr stark voneinander unterscheiden, so haben sie doch bestimmte Standardwerte gemeinsam, die sich vor allem über die Toposanalyse herausarbeiten ließen. Bei der Diskussion um den Islam in Deutschland geht es immer um die Vereinbarkeit mit der deutschen Gesellschaft. Nur wenige Sprecher, diejenigen mit Konzept B, sind der Meinung, dass der Islam in seiner Gesamtheit bereits Teil der deutschen Gesellschaft ist.138 Konzeptübergreifend wird der Islam hinsichtlich verschiedener Kategorien thematisiert. Diskutiert wird beispielsweise, ob es für Muslime ein Recht auf den Bau der Moschee gibt. Sprecher mit den Konzepten B, C und D bejahen dies. Obwohl die Sprecher mit Konzept C der Meinung sind, dass es einen ‚guten deutschen‘ Islam bisher noch nicht gibt, begründen sie die Befürwortung des Baus der Moschee mit dem im Grundgesetz festgelegten Recht auf Religionsfreiheit. Nur Sprecher mit Konzept A sind der Meinung, dass die Muslime kein Recht auf den Bau dieser Moschee haben. Auch das Thema Integration spielt konzeptübergreifend für sämtliche Diskursteilnehmer eine Rolle. Sprecher mit Konzept A gehen davon aus, dass der Islam es versäumt hat, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, er passe auch nicht nach Deutschland. Hingegen sind Sprecher mit Konzept B der Meinung, dass der Islam bereits Realität in Deutschland und sehr gut mit der deutschen Gesellschaft zu vereinbaren sei. Sprecher mit Konzept D gehen davon aus, dass die DITIB eine Islamform repräsentiert, die mit der deutschen Gesellschaft konform geht. Für Sprecher mit Konzept C hingegen gibt es diese Islamform bisher nicht, aber dass es eine integrierte Islamform geben könnte, wenn sich der Islam in Deutschland in einigen Punkten reformiert, wird zumindest nicht ausgeschlossen. Für fast alle Sprecher ist die geplante Großmoschee ein Symbol. Sprecher mit Konzept A sehen in der Moschee ein Machtsymbol, das für die angestrebte Islamisierung Europas stehe. Für Sprecher mit den Konzepten B und D hingegen symbolisiert die Moschee Transparenz von Seiten der Muslime.
138 Dass der Islam in den Augen vieler nicht nach Deutschland gehört, zeigten auch die Reaktionen auf die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulffs zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit am 03. Oktober 2010. Wulffs Aussage „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ wurde anschließend kontrovers diskutiert (vgl. dazu auch Kalwa 2013).
262 III. Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs Die korpuslinguistische Analyse in Kapitel II sowie die Untersuchung eines Ausschnitts des Kölner Moscheebaudiskurses als eine rein qualitative Untersuchung bedingen und ergänzen sich gegenseitig. Die Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen konnte beispielsweise ebenfalls mittels der zuvor dargestellten korpuslinguistischen Analyse nachgewiesen werden. Auch auf die Tatsache, dass der Islam eben nicht nur als eine Religion wahrgenommen wird, gab die diesem Kapitel vorangegangene Untersuchung bereits einen Hinweis. Beide Analyseschritte ermöglichen es jedoch nicht, sämtliche Formen der Bedeutungsbildung zu erfassen. Da auch bei der Frame-Analyse, die hier durch eine Topos- und Schlagwortanalyse ergänzt wurde, immer einzelne Ausdrücke zum Ausgangspunkt genommen werden – bei der Frame-Analyse werden schließlich vor allem die Kotextualisierungen eines bestimmten Lexems betrachtet – können subtile Formen der Bedeutungskonstitution nicht erfasst werden. Dass sich in dem in der Einleitung dieser Arbeit gezeigten SPIEGELArtikel Aufstand der Bräute konstituierende Konzept hätte mittels der in diesem Kapitel durchgeführten Analyseschritte nicht erfasst werden können. Nur mithilfe einer detaillierten Textanalyse können auch subtilere Formen der Bedeutungskonstitution offengelegt werden.
IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Ich muß niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. (Thilo Sarrazin im Herbst 2009 im Lettre International)
Das Beispiel aus dem im Lettre International abgedruckten Interview mit Thilo Sarrazin macht ein weiteres Mal deutlich, wie ein Konzept Islam konstituiert werden kann, ohne dass der Ausdruck Islam oder Muslim/Moslem verwendet wird. Im vorliegenden Kapitel wird der Frage nachgegangen, mit welchen sprachlichen Mitteln ein einzelner Akteur im Diskurs, Thilo Sarrazin, ein bestimmtes Konzept Islam sprachlich konstruiert. Im Auszug aus dem Interview im Lettre International gibt Sarrazin an, dass er niemanden anerkennen muss, der folgende Faktoren erfüllt, nämlich erstens vom Staat lebt, zweitens diesen Staat ablehnt, drittens für die Ausbildung seiner Kinder nicht sorgt und viertens ständig neue Kopftuchmädchen produziert. Durch die syntaktische Gleichsetzung dieser vier Faktoren wird auch eine Gleichsetzung von Bedeutungsaspekten suggeriert. Alle vier Faktoren scheinen gleichsam negativ zu bewerten zu sein. Durch den vierten Faktor wird deutlich gemacht, dass sich die fehlende Anerkennung nur auf muslimische Mitbürger bezieht, weil die von Thilo Sarrazin genannten Kopftuchmädchen nur von Muslimen produziert werden können. Die hier entstehenden negativen Bedeutungsaspekte kommen neben der syntaktischen Gleichsetzung der vier Faktoren zusätzlich durch den Ausdruck Kopftuchmädchen zustande. Das Konzept Kopftuchmädchen selbst enthält bereits negative Bedeutungselemente, weil die erste Konstituente des Determinativkompositums die kopftuchtragenden Mädchen auf eben dieses Merkmal des Kopftuchtragens reduziert beziehungsweise dies zum Hauptmerkmal der Mädchen macht. Außerdem entstehen negative Bedeutungsaspekte durch den ungewöhnlichen Gebrauch des transitiven Verbs produzieren. Produzieren fordert ein Akkusativobjekt, dessen Paradigma eigentlich nur durch nichtbelebte Nomina gefüllt werden kann. Man kann Waren produzieren: Autos, Porzellanteller etc. Wird der Ausdruck Kopftuchmädchen in dieses Paradigma eingesetzt, so werden durch die so suggerierte Gleichsetzung von Kopftuchmädchen mit Gegenständen negative Bedeutungsanteile evoziert. Während in den vorangegangenen Kapiteln II und III das Konzept Islam, das der öffentlichen Diskussion um den Islam zugrunde liegt, mittels verschiedener Methoden der Diskursanalyse ausführlich beschrieben wurde, wird im Folgenden der Fokus auf die Bedeutungskonstitution durch einen einzelnen
264 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Akteur anhand eines einzelnen Textes gelegt. Die hier durchgeführte Analyse stellt damit im Vergleich zu den Analysen in Kapitel II und III die differenzierteste Untersuchung dar. Verschiedene Formen der Bedeutungsbildung können auf diese Weise aufgezeigt werden. Kaum ein anderer Akteur im Islamdiskurs hat die Diskussion um den Islam in Deutschland so stark geprägt und forciert wie Thilo Sarrazin. Die Debatte um Sarrazins Deutschland schafft sich ab bildet ein diskursives Ereignis im Integrationsdiskurs.139 Bereits vor Erscheinen des Buches am 30. August 2010 wurden im SPIEGEL und in der BILD-Zeitung einige Thesen Sarrazins zur Zuwanderung und Integration von Muslimen publiziert, die für heftige Kontroversen sorgten (vgl. SPIEGEL, 25.08.2010, Merkel entrüstet über Sarrazin). Sarrazin wird von der deutschen Presse als der „Spalter der Nation“140, der „Provokateur vom Dienst“141, „Dirty Thilo“142, „Held oder Hetzer“143 etc. bezeichnet. Diese Attribute weisen also bereits auf die Brisanz der Debatte, die durch Deutschland schafft sich ab ausgelöst wurde, hin. In Deutschland schafft sich ab analysiert Sarrazin in neun Kapiteln die aktuellen und zukünftigen sozialen und wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. Laut Klappentext des Buches geht es vor allem um die Folgen, „die sich für Deutschlands Zukunft aus der Kombination von Geburtenrückgang, problematischer Zuwanderung und wachsender Unterschicht ergeben.“ Der Ausdruck problematische Zuwanderung bezieht sich insbesondere auf die laut Sarrazin vorherrschenden Probleme mit muslimischen Zuwanderern, die er ausführlich im siebten Kapitel Zuwanderung und Integration darlegt. Die hier durchgeführte Analyse bezieht sich nur auf dieses Kapitel, in dem sich ein bestimmtes Konzept Islam konstituiert. Weil die Bedeutungskonstitution durch den kommunikativpragmatischen Rahmen und den situationsangemessenen Stil unterstützt wird, ist es zunächst notwendig, diesen zu beschreiben.
139 Vgl. dazu Kapitel I, 2. 140 http://www.spiegel.de/thema/thilo_sarrazin/; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 141 http://www.sueddeutsche.de/thema/Thilo_Sarrazin; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 142 http://www.faz.net/artikel/S30089/thilo-sarrazin-die-verbannung-30304799.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 143 http://www.bild.de/themen/personen/thilo-sarrazin/nachrichten-news-fotos-videos168285-24.bild.html; zuletzt abgerufen am 03.01.2012.
1. Der kommunikativ-pragmatische Rahmen 265
1. Der kommunikativ-pragmatische Rahmen Für die Annahme der Wahrheit von Propositionen ist der kommunikativpragmatische Rahmen entscheidend. Aussagen, die von der deutschen Bundeskanzlerin in einem öffentlichen Rahmen gemacht werden, werden eher für richtig und wahr gehalten, als wenn eine gleiche Aussage als Graffiti auf einem Güterzug zu lesen wäre. Für die Beschreibung der Formen der Bedeutungskonstitution anhand des Kapitels Zuwanderung und Integration in Deutschland schafft sich ab ist es deshalb notwendig, zunächst den kommunikativpragmatischen Rahmen des Textes zu erfassen: Der Verfasser des Textes ist Thilo Sarrazin. Sarrazin ist den meisten Rezipienten seines Buches sowohl als SPD-Politiker und als ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank bekannt als auch für umstrittene Aussagen in der Diskussion um die Integration muslimischer Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft. Sein Interview Klasse statt Masse in der Herbstausgabe 2009 des Lettre International hatte bereits ungefähr ein Jahr vor Erscheinen von Deutschland schafft sich ab für heftige Kontroversen gesorgt. Seit dem Erscheinen eines fünfzehn großformatige Spalten langen Interviews mit ihm in „Lettre International“ in der vergangenen Woche werden einige wenige Zitate daraus zum Anlass für höchste Erregung genommen. In der SPD wurde prompt sein Parteiausschluss verlangt, die Gewerkschaften zeigen sich ebenso tief empört wie türkische Lobbyverbände und sein unmittelbarer Vorgesetzter, Bundesbankchef Axel Weber, legte ihm – wenn auch verklausuliert – den Rücktritt nahe. Die Kritik an Sarrazin bezieht sich dabei – bis auf wenige Ausnahmen – vor allem auf Ton und Klangfarbe der wenigen Interviewausschnitte, die öffentlich wiedergegeben werden.144
Die Empörung bezog sich vor allem auf Sarrazins Äußerungen über die muslimischen Zuwanderer. Wortneubildungen wie Kopftuchmädchen, das im zu Beginn des Kapitels aufgezeigten Beispiel aus dem Interview im Lettre International vorkommt, waren ebenso Thema der kontroversen Diskussionen wie einige Sarrazins Thesen, etwa die, dass es den muslimischen Zuwanderern am Integrationswillen fehle:
144 http://www.welt.de/die-welt/debatte/article4747409/Sarrazins-Ruhestoerung-imMigranten-hain.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
266 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung dieses Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun. (Thilo Sarrazin im Herbst 2009 im Lettre International)
Die Vorab-Promotion des Buches Deutschland schafft sich ab sowie der bereits angesprochene Bekanntheitsgrad des Autors garantierte eine breite Leserschaft; der aus den Reaktionen auf die umstrittenen Thesen resultierende Diskurs hatte zur Folge, dass auch diejenigen mitdiskutierten, die das Buch zwar nicht gelesen, dennoch gewisse Thesen rezipiert hatten (vgl. SPIEGEL Online, 18.09.2010, Merkel hat Sarrazins Buch nicht gelesen). Bei der Rezeption von Deutschland schafft sich ab spielt also das Wissen über den Autor eine große Rolle. Anders, als wenn ein Zeitungsartikel eines unbekannten Journalisten gelesen wird, hat der Leser beim Rezipieren von Deutschland schafft sich ab eine gewisse Erwartungshaltung, die aus dem Wissen über die Person Thilo Sarrazin resultiert und durch die öffentliche Debatte um die Person sowie das Buch noch weiter ausgefeilt wurde. Es ist also der kommunikativ-pragmatische Rahmen von Deutschland schafft sich ab (die Kenntnisse über den Autor Thilo Sarrazin, damaliges Mitglied im Vorstand der DeutschenBundesbank sowie Parteimitglied der SPD, die Textform als bei einem Verlag mit hoher Auflage erschienenen Buches), der die Bedeutungskonstitution unterstützt. Im gegebenen Kontext wird eine Aussage wie Bei keiner anderen Religion [als dem Islam] ist der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend eher als richtig und wahr angenommen, als wenn man die gleiche Äußerung in einem Forum lesen würde, in dem etwa Leser einer Online-Zeitung Kommentare posten und der Autor der Äußerung nicht bekannt ist.
2. Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil Die Konstitution eines bestimmten Konzepts wird durch den situationsangemessenen Stil unterstützt. Sandig (2006) betrachtet Stil als eine Art der Handlungsdurchführung: „Für die Beteiligten ist relevant, dass Handlungen verschiedenen Typs verschiedene Stile aufweisen, sich auch stilistisch unterscheiden“ (ebd. 12). Bestimmte Handlungstypen werden somit auf eine bestimmte Weise durchgeführt beziehungsweise gestaltet. Dadurch kommt es zu verschiedenen Stiltypen wie etwa dem Wissenschaftsstil, dem Predigtstil, dem Feuilletonstil etc. (vgl. Püschel 2008, 1028).
2. Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil 267 ‚Selbstdarstellung‘ (…), ‚Adressatenberücksichtigung‘ und ‚Beziehungsgestaltung‘ sind sozial relevante Typen von Sinn, die durch die Art der Handlungsdurchführung vermittelt werden können, die also über den Stil vermittelt werden. (Sandig 2006, 14)
Somit ist Stil selbst auch bedeutungsbildend: Man hat zu bedenken, dass die jeweils verwendeten sprachlichen Mittel eine je eigene Information vermitteln, dass sie als Elemente der Form des Textes auch „etwas zu sagen haben“, dass sie „etwas zu verstehen geben“. Diese Information ist sozialer Art, sie betrifft zum einen das Selbstbild, das der Textproduzent von sich hat und vermitteln will, und zum anderen die Beziehung, die der Produzent zum Rezipienten herstellen will. Es handelt sich in solchen Fällen dann nicht mehr – oder jedenfalls nicht in erster Linie – um eine ästhetische Wahl, sondern um eine sozial begründete Entscheidung. (Fix 2004, 42)
Stil konstituiert also Bedeutung, gibt etwas zu verstehen, wie Fix hier deutlich macht. Er wirkt aber zudem unterstützend bei der Konstitution von bestimmten Konzepten im Text. Die Konstitution eines Konzepts Islam in Deutschland schafft sich ab wird also dadurch unterstützt, dass sich Sarrazin eines wissenschaftlichen Schreibstils bedient. Bereits die textuelle Makrostruktur vermittelt den Eindruck eines wissenschaftlichen Texts. Deutschland schafft sich ab ist konzeptionell schriftlich (Koch/Österreicher 1994), der Text wird ergänzt durch Tabellen und Abbildungen mit Statistiken und enthält viele Fußnoten. Dass es sich hier nicht wirklich um eine wissenschaftliche Arbeit handelt, geht aus der Art der Quellen und dem kommunikativ-pragmatischen Rahmen des Buches hervor.145 Jedoch erhält der Leser über den wissenschaftlichen Schreibstil des Autors den Eindruck einer gewissen Seriosität des Textes. Der Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit, der durch den Stil hervorgerufen wird, unterstützt schließlich die Konstitution eines bestimmten Islamkonzepts im Text. Folgendes Beispiel gibt einen Eindruck vom Stil Thilo Sarrazins: 1.
Auf die hohe Geburtenrate der muslimischen Bevölkerung in Deutschland wirken mehrere Faktoren ein: 1. die patriarchalischen Verhältnisse in einem großen Teil der Familien muslimischer Migranten Mit diesen hängt der niedrige Emanzipationsgrad zusammen, die geringe Bildung und das frühe Heiratsalter der Mädchen und jungen Frauen.
145 So weist etwa bereits die Überschrift des Buches Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen darauf hin, dass es sich nicht wirklich um einen wissenschaftlichen Text handelt. Dies geht auch aus dem Buchrücken und dem Klappentext hervor.
268 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 2. die geringe Beteiligung am Arbeitsmarkt, und zwar sowohl die der muslimischen Migranten insgesamt als auch insbesondere die der Frauen Das senkt die Opportunitätskosten des Kinderkriegens. 3. die hohe Transferabhängigkeit der migrantischen muslimischen Bevölkerung In Haushalten, die vorwiegend von Grundsicherung leben, steigt der Lebensstandard mit der Zahl der Kinder, und entsprechend ist das Geburtenverhalten. In dieser Gruppe senken Kinder nicht den Lebensstandard, sie erhöhen ihn. 4. die hohe Religiosität der muslimischen Migranten 44 Prozent der türkischen und 37 Prozent der arabischen Migranten bezeichnen sich als hochreligiös. Für 90 Prozent der Hochreligiösen unter den Muslimen sind Familie und Kinder sehr wichtig, und die jungen Muslime sind religiöser als die älteren. (319)146
Im vorliegenden Beispiel wird ein bestimmtes Konzept Islam konstituiert. Die genaue Analyse der Konstitution eines Islamkonzepts im Kapitel Zuwanderung und Integration erfolgt in Kapitel 3. Es soll deshalb darauf verzichtet werden, die verschiedenen Formen der Bedeutungsbildung an dieser Stelle aufzuzeigen, und nur darauf hingewiesen werden, dass das konstituierte Konzept eine Reihe negativer Bedeutungsaspekte enthält: In großen Teilen muslimischer Migrantenfamilien existieren patriarchalische Verhältnisse, ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt ist gering, es existiert hohe Transferabhängigkeit etc. Die Konstitution des Islamkonzepts wird durch einen wissenschaftlichen Schreibstil unterstützt. Der Eindruck der Wissenschaftlichkeit wird im Text durch verschiedene Komponenten erzeugt: Durch einen nominalen Stil, durch die Verwendung von Fremdund Fachwörtern, durch die Verwendung von Zahlen und durch Zitate vermeintlicher Experten.
2.1 Nominalstil 2. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
In allen betroffenen Ländern (…) macht man bei der Gruppe der muslimischen Migranten vergleichbare Beobachtungen, nämlich unterdurchschnittliche Integration in den Arbeitsmarkt überdurchschnittliche Abhängigkeit von Sozialtransfers unterdurchschnittliche Bildungsbeteiligung überdurchschnittliche Fertilität räumliche Segregation mit der Tendenz zur Bildung von Parallelgesellschaften überdurchschnittliche Religiosität mit wachsender Tendenz zu traditionalen beziehungsweise fundamentalistischen Strömungen des Islam
146 Alle nachfolgenden nummerierten Zitate stammen aus Sarrazin (2010). Es werden deshalb nur die jeweiligen Seitenzahlen angegeben.
2. Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil 269 ‒ 3. 4.
überdurchschnittliche Kriminalität, von der „einfachen“ Gewaltkriminalität auf der Straße bis hin zur Teilnahme an terroristischen Aktivitäten. (264) Die mit einer niedrigen Qualifikation verbundenen niedrigen Chancen auf eine gutbezahlte Arbeit lösen einen Sekundäreffekt im Sozialsystem aus (…). (287) Ein Gradmesser für die Integrationsbereitschaft ist das Heiratsverhalten. (294)
In dem Beispiel in 2 wird deutlich, wie mittels Nominalisierungen eine Informationsverdichtung stattfindet. Da solche Nominalisierungen typisch für wissenschaftliche Arbeiten sind, erhält man automatisch den Eindruck der Fundiertheit der Aussagen. Ähnlich verhält es sich bei den Äußerungen in Beispiel 3 und 4. Nominalisierungen wie hohe Geburtenrate der muslimischen Bevölkerung, der niedrige Emanzipationsgrad, geringe Beteiligung am Arbeitsmarkt etc., die häufig im Kapitel Zuwanderung und Integration vorkommen, lassen den Text nüchtern, neutral und wenig emotional wirken. Ein Nominalstil ist ein charakteristischer „Stilzug informationsvermittelnder Textsorten, besonders in den Fachsprachen von Technik, Wissenschaft und Verwaltung“ (Bußmann 2002, 472).
2.2 Fremdwörter/Fachwörter Der Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit wird unterstützt durch die Vielzahl von Fremdwörtern – etwa Emanzipationsgrad im Beispiel 1 – oder Fachwörtern. So ist etwa Opportunitätskosten ein Ausdruck aus der Wirtschaftssprache, Transferabhängigkeit ist der Sprache der Politik zuzuordnen. Die Ausdrücke Transferabhängigkeit und Opportunitätskosten sind in der OnlineAusgabe des DUDEN147 nicht aufgeführt, was ein Anzeichen dafür ist, dass es keine standardsprachlichen Ausdrücke sind. Es ist davon auszugehen, dass vor allem das Fachvokabular der breiten Leserschaft im Einzelnen nicht bekannt ist, da Deutschland schafft sich ab an die breite Öffentlichkeit und nicht nur an Wirtschaftswissenschaftler adressiert ist. Über die fachsprachlichen Ausdrücke wird der Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit vermittelt. Ein weiteres Beispiel dafür ist die häufige Verwendung des Adjektivs autochthon über den ganzen Text hinweg. Folgende Auszüge aus dem Kapitel Zuwanderung und Integration zeigen beispielhaft, welcher Eindruck durch die Verwendung von autochthon vermittelt wird:
147 www.duden.de; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
270 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 5.
6. 7.
Bleibt die Geburtenrate der Migranten dagegen dauerhaft höher als die der autochthonen Bevölkerung, so werden Staat und Gesellschaft im Laufe weniger Generationen von den Migranten übernommen. Damit wäre das Argument widerlegt, die niedrige deutsche Geburtenrate sei die quasi schicksalhafte Konsequenz der Modernisierung, denn wenn das zuträfe, könnten ja auch die Migranten dauerhaft keine höhere Geburtenrate haben. (259) Das mittlere Alter der muslimischen Migranten liegt unter 30 Jahren, während das mittlere Alter der autochthonen deutschen Bevölkerung etwa 45 Jahre beträgt. (262) Das hatte zur Folge, dass in allen betroffenen europäischen Ländern die Aggressionen der autochthonen Mehrheitsbevölkerung gegen diese fremde Bevölkerungsgruppe wuchsen, die in überdurchschnittlichem Maße von öffentlicher Unterstützung abhängig ist. (265)
Der DUDEN kennzeichnet den Ausdruck autochthon als einen fachsprachlichen Ausdruck aus der Völkerkunde. Er bedeutet „(von Völkern oder Stämmen) eingeboren, einheimisch, indigen“.148 Für denjenigen Leser, dem die Bedeutung von autochthon nicht bekannt ist, erschließt sich diese über den unmittelbaren Kotext. Die autochthone Bevölkerung wird den Migranten gegenübergestellt. Die Migranten werden in Beispiel 7 als fremde Bevölkerungsgruppe beschrieben. Die Verwendung des fachsprachlichen Ausdrucks hat zur Folge, dass nicht auf den ersten Blick deutlich wird, dass Sarrazin das Deutschsein über die Abstammung definiert. Die explizite Definition des Deutschen über das deutsche Volk, über das Deutschsein durch Geburt und Vererbung hätte sicherlich weitere strittige Diskussionen über Sarrazins Thesen herbeigeführt. Insofern fungiert autochthon hier als Euphemismus. Sarrazin setzt nicht explizit die Deutschen (durch Geburt) den Nicht-Deutschen gegenüber, sondern die autochthone Bevölkerung der nicht-autochthonen, beziehungsweise die autochthone Bevölkerung den Muslimen. Zusätzlich erhält man über die Verwendung des fachsprachlichen Ausdrucks wieder den Eindruck der wissenschaftlichen Fundierung, wenn etwa ausgesagt wird, dass das mittlere Alter der Migranten unter 30 Jahren liegt, während das mittlere Alter der autochthonen deutschen Bevölkerung etwa 45 Jahre beträgt, der nicht in gleichem Maße vorhanden wäre, würde man hier autochthon durch einheimisch ersetzen.
148 vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/autochthon#Bedeutung1; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
2. Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil 271
2.3 Verwendung von Zahlen Prozentzahlen, Angaben von Statistiken, aber auch die im Beispiel 1 verwendeten Unterpunkte 1-4 unterstützen ebenfalls den Eindruck einer wissenschaftlichen Arbeit. 8.
9.
Von den gut 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland stammen also 25 bis 45 Prozent aus muslimischen Ländern. Auf diese Gruppe sind aber 70 bis 80 Prozent aller Probleme von Migranten in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt, Transferleistungen und Kriminalität zurückzuführen. (262) Von den in Deutschland lebenden Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund haben 30 Prozent überhaupt keinen Schulabschluss und 14 Prozent Abitur. Darunter haben bei denen mit türkischem Migrationshintergrund 27 Prozent keinen Schulabschluss und acht Prozent Abitur, wenn sie keine eigene Migrationserfahrung haben, erreichen neun Prozent keinen Abschluss und 12 Prozent schaffen das Abitur. Sie liegen damit weit hinter den gleichaltrigen Deutschen zurück, die zu 1,6 Prozent keinen Abschluss haben und zu 34 Prozent Abitur. Aber auch der Abstand zu den Migranten aus der EU ist groß, diese haben zu sieben Prozent keinen Abschluss und zu 27 Prozent Abitur. (286f)
Die Beispiele 8 und 9 zeigen, wie mithilfe von Zahlen der Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit gestützt wird. Durch die Verwendung von Zahlen wie in Beispiel 8 (15 Millionen, 25 bis 45 Prozent sowie 70 bis 80 Prozent) wird der Eindruck der Genauigkeit vermittelt. Man könnte auch sagen, die Genauigkeit wird implikatiert, denn geht man von den Konversationsmaximen nach Grice (1975) aus, so besteht kein Grund, von 70 bis 80 Prozent zu sprechen, wenn man nicht genau weiß, dass es genau 70 bis 80 Prozent sind, andernfalls würde man auf Ausdrücke wie ein Großteil, sehr viele etc. ausweichen, jedoch nicht eine Prozentzahl verwenden. Die Verwendung der Prozentzahlen in Beispiel 8 suggeriert, dass es eine statistische Erhebung gibt. Diese Suggestion wird wiederum dadurch unterstützt, dass am Ende des Beispiels eine Fußnote steht. Fußnoten sind im Falle von Deutschland schafft sich ab nur am Ende des Buches aufgeführt. Wenn der Leser die Fußnote nachschlägt, erhält er eine Einschränkung Sarrazins über die Tragweite der Zahlen: 10. Gleichwohl bleiben viele Wünsche an die amtliche Statistik offen. Bei der Geburtenstatistik im Mikrozensus fehlt zum Beispiel die Angabe der Religionszugehörigkeit. Auch wird bei der Geburtenstatistik nicht der sozioökonomische Status der Eltern erhoben. Dass die gruppenspezifischen Unterschiede unter den Migranten im Integrationsbericht der Bundesregierung unerwähnt bleiben, ist politische Absicht sowie irreführend und beruht nicht auf Mängeln in der statistischen Basis (…). (432)
272 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab In Beispiel 8 interpretiert Sarrazin die Statistik des Mikrozensus, in der jedoch Angaben über Religionszugehörigkeit fehlen (siehe 10). Diese versucht Sarrazin sich selbst herzuleiten. Die in 8 genannten Zahlen beruhen also nicht auf einer statistischen Erhebung. Würde stattdessen ausgesagt werden, dass ein Großteil aller Probleme in den genannten Bereichen auf die Migranten aus den muslimischen Ländern zurückzuführen sei, so entfiel der Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit, der Eindruck einer statistischen Erhebung. In Beispiel 9 bezieht sich Sarrazin laut seiner gesetzten Fußnote mit den Prozentzahlen auf den Mikrozensus 2007 und auf eigene Berechnungen. Dass er diese eigenen Berechnungen der Leserschaft nicht zur Verfügung stellt, konterkariert den Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit, den die Zahlen hier hervorrufen, der jedoch nur bemerkt wird, wenn die Fußnote, die sich am Ende des Buches befindet, auch nachgeschlagen wird. Dadurch dass vom Kooperationsprinzip und der Einhaltung der Qualitätsmaxime ausgegangen wird (vgl. Grice 1975), geht der Leser, wann immer eine Zahl verwendet wird, davon aus, dass es sich um eine genaue Angabe handelt.149
2.4 Zitate von vermeintlichen Experten Der Eindruck einer wissenschaftlichen Arbeit wird außerdem unterstützt durch eine Reihe von Zitaten vermeintlicher Experten. Dadurch, dass Sarrazin das Zitat durch Einrücken und Verkleinerung der Schriftart kennzeichnet, wird der Eindruck der Wissenschaftlichkeit bereits über das Text-Layout hervorgerufen. Mithilfe von Zitaten vermeintlicher Experten stützt Sarrazin seine eigene Argumentation. In Beispiel 11 führt Sarrazin seine These aus, dass der Islam ein belastetes Verhältnis zur Moderne habe. 11.
Das wirtschaftliche und zivilisatorische Zurückfallen der islamischen Welt seit Beginn der Neuzeit hat bei den islamischen Führungsschichten zu einer narzisstischen Kränkung geführt (…). Die relative Ferne der arabischen Welt von der abendländischen Kultur zeigt sich schon daran, dass von Beginn des Islam bis heute weniger Bücher ins Arabische übersetzt wurden, als heute in einem Jahr ins Spanische übersetzt werden. Auch dass der höchste Wolkenkratzer der Welt mittlerweile ölfinan-
149 Es sei denn, durch den Kontext wird deutlich, dass es sich um eine übertriebene Darstellung handelt. Bsp.: Ich habe 100 Mal versucht, dich anzurufen.
2. Die Fundierung der Bedeutungskonstitution durch einen wissenschaftlichen Stil 273 ziert im Wüstensand und nicht in New York steht, kann da nur für sehr naive Gemüter ein Trost sein. (280f)150
Um diese These zu stützen, zitiert Sarrazin den FAZ-Journalisten Günter Lerch: 12.
Wolfgang Günter Lerch bemerkt dazu: „Als eine selbstbewusste Religion, die sich zudem als das Ende und der Abschluss der monotheistischen Offenbarung versteht, muss es der Islam als eine Art Skandalon empfinden, dass er in den vergangenen Jahrhunderten so in Rückstand geraten ist. Das Aufholen und die eigenständige Gestaltung der Moderne werden ihn in kommenden Jahrzehnten... in Atem halten... Der Ausgang der umfassenden Gärung, die den Islam zwischen Marokko und den indonesischen Inseln erfasst hat, ist offen, wobei gegenwärtig die islamistischen Kräfte in der Oberhand sind.“ (281)
Dass Lerch sich in seiner Argumentation im zitierten FAZ-Artikel nur auf den Bau des Burj Khalifa in Dubai bezieht und seine eigenen Behauptungen im darauffolgenden Satz relativiert, verschweigt Sarrazin: Allerdings ist diese Auseinandersetzung differenziert zu betrachten: Gerade in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land, gibt es ermutigendere Zeichen als etwa in Pakistan oder Afghanistan. In Iran haben sich die islamischen Revolutionäre von einst längst selbst entzaubert – durch gesellschaftliche Unterdrückung und ökonomische Ineffizienz. In Algerien hat der Bürgerkrieg der neunziger Jahre, in dem die islamischen Integristen in den Hintergrund gedrängt wurden, furchtbare Wunden geschlagen. Weitaus mehr Muslime als „Ungläubige“ sind dem Terror zum Opfer gefallen, insbesondere im Irak, wo Amerika durch seinen Krieg die latenten Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten freisetzte. Momentan sind – neben Pakistan und Afghanistan – Somalia und der Jemen die größten Brandherde. (FAZ, 06.01.2010, Der Turm von Dubai)
Es ist also neben der Auswahl der Quellen auch der Umgang mit den Quellen, die Sarrazins Deutschland schafft sich ab als nichtwissenschaftlichen Text entlarven. Dies ist jedoch nur für den geschulten und genauen Leser zu erkennen. Da die Leserschaft des Buches allerdings nicht nur aus Akademikern besteht und Deutschland schafft sich ab zudem von der breiten Leserschaft nur in Teilen rezipiert wurde, ist es durchaus möglich, dass der Text von einem großen Teil der Leserschaft für eine wissenschaftliche Arbeit gehalten wurde. Zumindest wird über die Verwendung stilistischer Merkmale einer wissenschaftlichen Arbeit der Eindruck der Fundiertheit suggeriert, die die Konstitution eines bestimmten Islamkonzepts unterstützt. Der Text vermittelt also flächig eine gewis
150 In diesem Ausschnitt ist auch wieder die in Kapitel 3 dargestellte Gleichsetzung der arabischen und islamischen Welt zu beobachten.
274 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab se Seriosität, einen Eindruck einer wissenschaftlichen Fundiertheit, die es zulässt, dass auch weniger subtile Formen der Bedeutungskonstitution, wenn etwa dem Islam ganz direkt bestimmte Eigenschaften zugewiesen werden (Alle islamischen Gesellschaften beschränken die Freiheiten der Frau und weisen ihr einen niedrigeren Rang zu. (313)), hingenommen, ihre Proposition für wahr gehalten werden kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass Sarrazin diesen wissenschaftlichen Stil bewusst einsetzt, um seine Thesen zu unterstützen: Es gibt Texte, die sofort auffallen, weil sie sich von anderen durch einen besonderen Stil unterscheiden, den man – mehr oder weniger positiv oder negativ wertend – als „gehoben“, „vornehm“, „gewählt“, „elitär“, „manieriert“, „sophistiziert“, „preziös“, „ambitioniert“, „gespreizt“ usw. bezeichnen könnte. Wenn Stil Abweichung bedeutet, dann ist es hier eine Abweichung „nach oben“, nicht ein Fall von Delinquenz, sondern eher von Exzellenz. Wenn Stil Wahl voraussetzt, dann ist dieser Stil wirklich „gewählt“, man merkt ihm an, wie er wohlgesetzt ist, er erscheint als Gegenteil vom spontanen „Reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist“. (Holly 2001, 423)
So lässt sich also zusammenfassend aussagen, dass Stil Anteil hat an der Fundierung der Bedeutungsbildung. Ein situationsangemessener Stil trägt dazu bei, dass die Konstitution bestimmter Konzepte überhaupt gelingen kann. Sarrazin wählt in seinem Buch Deutschland schafft sich ab einen wissenschaftlichen Stil, der den Eindruck der wissenschaftlichen Fundiertheit vermittelt, und erhöht damit die Chance, dass seine Äußerungen von seiner Leserschaft als wahr angenommen werden. Im Folgenden sollen nun verschiedene Formen der Bedeutungsbildung aus dem Kapitel Zuwanderung und Integration dargestellt und diskutiert werden.
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 275
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab Die Formen der Bedeutungsbildung lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache ansiedeln. So kann Bedeutung zum einen durch einzelne Ausdrücke oder Phraseologismen, also auf der lexikalischen Ebene, entstehen, sie kann zum anderen aber auch auf einer syntagmatischen Ebene konstituiert werden, etwa über Präsuppositionen, durch Aufzählungen, durch die Fokussierung auf das Vorfeld. Bedeutung entsteht jedoch auch zwischen den Zeilen (vgl. Polenz 1989), flächig (vgl. Gardt u.a. 2008, 2013), d.h. über weite Teile des Textes hinweg. Es stellt sich die Frage, wie ein einzelner Akteur im Diskurs, in diesem Fall Thilo Sarrazin, ein Konzept Islam konstituiert. Bei der Analyse, welche Formen der Bedeutungsbildung in Zuwanderung und Integration aufzufinden sind, sind für diese Arbeit also nur all jene Textstellen relevant, an denen ein Konzept Islam konstituiert wird. Im ersten Teil der Darstellung meiner Analyse werden zunächst die Formen der Bedeutungskonstitution aufgezeigt, die auf der lexikalischen Ebene anzusiedeln sind, bevor in Kapitel 3.2 die Formen der Bedeutungskonstitution, die auf der syntagmatischen Ebene anzuordnen sind, dargestellt werden. Kapitel 3.3 zeigt schließlich jene Formen der Bedeutungskonstitution auf, die erst durch den Ko- und Kontext zu verstehen sind.
3.1 Formen der Bedeutungskonstitution auf der lexikalischen Ebene Bei der Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam im Kapitel Zuwanderung und Integration spielen Schlagwörter, Wortneubildungen, qualifizierende Adjektive sowie die Verwendung bestimmter Personalpronomen eine besondere Rolle. Allen nachfolgenden Formen der Bedeutungskonstitution ist gemeinsam, dass sie auf einzelnen lexikalischen Ausdrücken basieren, also punktuelle Formen der Bedeutungsbildung darstellen.
3.1.1 Bedeutungsbildung durch Schlagwörter In Kapitel III wurde die Funktion von Schlagwörtern bei der Konstitution der verschiedenen Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs bereits ausführlich dargelegt und diskutiert. Auch im untersuchten Kapitel aus Deutschland schafft sich ab kommen eine Reihe von Schlagwörtern vor, deren Verwendung für die Konstitution eines Konzepts Islam eine Rolle spielt, weil sich deren negativdeontische Bedeutung auf das Konzept Islam überträgt. Denn wenn der Aus-
276 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab druck Islam oder andere Ausdrücke, die das Konzept Islam ebenfalls evozieren (Muslim, Kopftuch etc.), häufig im Kotext negativ-deontischer Ausdrücke vorkommen, so kann davon ausgegangen werden, dass diese negativ-deontischen Bedeutungen auch Teil des Konzepts Islam sind, das hier konstituiert wird. So entstehen negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam schon dann, wenn etwa von muslimischen Parallelgesellschaften die Rede ist wie im folgenden Beispiel: 13.
Die Deutschtürkin Güner Yasemin Balci wuchs als Kind eines türkischen Arbeitsmigranten in Neukölln auf. Sie hat das Wachstum und die Verfestigung einer muslimischen Parallelgesellschaft aus türkischer und arabischer Unterschicht selbst erlebt und hat die Gangkarriere des jungen Arabers Rashid im Neuköllner Rollbergviertel beschrieben. (305f)
Der Ausdruck Parallelgesellschaft – das wurde bereits in Kapitel III deutlich – kann als Schlagwort gewertet werden, da er negativ-deontische Bedeutung evoziert. Parallelgesellschaften als Gesellschaften neben der „Hauptgesellschaft“ werden negativ bewertet und sollen unbedingt vermieden werden, denn sie widersprechen dem deutschen Grundgesetz. Dass Gesellschaften neben der deutschen Gesellschaft existieren, Gesellschaften mit eigener Rechtsordnung, mit eigenen Gesetzen, kann nicht akzeptiert werden. Somit wird deutlich, dass, wenn ausgesagt wird, dass eben diese muslimischen Parallelgesellschaften wachsen und sich verfestigen, das Konzept Parallelgesellschaft mit dem Konzept Islam in eine direkte Verbindung gebracht wird. Die negativ-deontische Bedeutung von Parallelgesellschaft überträgt sich somit auf das Konzept Islam. 14.
In der deutschen Islamdiskussion setzen liberale Gutmenschen und Multikulturalisten gerne den Fundamentalismus, mit dem jemand wie Necla Kelek die bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechte gegen die Zumutungen bestimmter islamischer Glaubensrichtungen verteidigt, moralisch gleich mit den fundamentalistischen Positionen des Islam. (275)
Beispiel 14 enthält eine Reihe verschiedener semantisch aufgeladener Wörter. Zunächst sind da die negativ-deontischen Ausdrücke liberale Gutmenschen und Multikulturalisten zu nennen, wobei Multikulturalisten eine Ad-hoc-Bildung darstellt, auf die im Unterpunkt Wortneubildungen noch ausführlicher eingegangen wird. Die negativen Bedeutungsaspekte von Gutmensch kommen bereits in dessen DUDEN-Definition zum Ausdruck:
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 277 [naiver] Mensch, der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o. ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält, sich für die Political Correctness einsetzt151
Die Adjektive, die das Nomen Gutmensch näher bestimmen, sind allesamt negativ-deontisch: unkritisch, übertrieben, nervtötend, naiv. Im Beispiel 14 sind also mit liberale Gutmenschen die unkritischen Islambefürworter gemeint, die zudem Kritikerinnen des Islam wie etwa Necla Kelek ablehnen. Liberale Gutmenschen setzen laut Sarrazin zwei Positionen gleich, die seiner Meinung nach nicht gleichzusetzen sind, nämlich beispielsweise Necla Keleks Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten gegen die Zumutungen bestimmter islamischer Glaubensrichtungen mit den fundamentalistischen Formen des Islam. Der Ausdruck Gutmensch kommt im Kapitel Zuwanderung und Integration häufiger vor: 15.
16. 17.
Es ist eine intellektuelle Anmaßung, wenn ein liberaler Gutmensch säkulare Muslime und Vorkämpfer für Frauenrechte wie Hirsi Ali und Necla Kelek als „Säkularisten“ bezeichnet und ihnen damit etwas Sektenhaftes anheftet. (274) Die mangelnde Integration liegt an den Attitüden der muslimischen Einwanderer. Das möchte die gutmenschelnde Liberale Inge Klöpfer nicht wahrhaben (…). (289) In Nord-Neukölln leben zwei Drittel bis drei Viertel aller Kinder von Hartz IV. Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister dieses Berliner Bezirks, ist bundesweit bekannt geworden, weil er die Probleme mit profunder Erfahrung und Faktenkenntnis konkret benennt, dabei aber stets differenziert. In seiner eigenen Partei, der Berliner SPD, war er lange nicht beliebt, weil er unangenehm konkret ist und allgemeines Integrationsgesäusel sowie Gutmenschengetue ad absurdum zu führen pflegt. (300)
Der liberale Gutmensch wird Islamkritikern wie etwa Hirsi Ali und Necla Kelek gegenübergestellt (Beispiel 15). Auf diese Weise evoziert plötzlich das Adjektiv liberal ebenfalls negative Bedeutungsaspekte, auch weil die Ausdrücke liberale Gutmenschen (15) und gutmenschelnde Liberale (16) synonym gebraucht werden. Erneut wird deutlich, dass die kognitive Realisation von Konzepten durch den Kotext gesteuert wird. Während der Ausdruck liberal isoliert positiv-deontisch ist, evoziert er in diesem bestimmten Kotext in Verbindung mit Gutmenschen negative Bedeutung. Diejenigen, die den Islam verteidigen, werden von Sarrazin als Gutmenschen bezeichnet. Durch diese Bezeichnung macht Sarrazin gleichzeitig seine Haltung deutlich, dass der Islam nicht zu verteidigen ist. Auch wenn wie in Beispiel 17 von Gutmenschengetue die Rede ist, wird dies deutlich.
151 http://www.duden.de/rechtschreibung/Gutmensch; letzter Zugriff am 31.05.2013.
278 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab In Beispiel 14 kommen aber zudem noch zwei weitere Schlagwörter, genauer Hochwertwörter (vgl. Hermanns 1994), vor, nämlich bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte. Diese Wörter evozieren positiv-deontische Bedeutung. Die Freiheit des einzelnen Bürgers sowie die Menschenrechte müssen nach dem westlichen Verständnis von Gesellschaft in jedem Fall geschützt und gewahrt werden. Durch die Gegenüberstellung dieser durchweg positiven Ausdrücke mit den Zumutungen bestimmter islamischer Glaubensrichtungen werden diese (hier nicht näher) bestimmten islamischen Glaubensrichtungen abgewertet. Über die Herstellung von Gegensätzen wird hier Bedeutung konstituiert. Gegensätze können auf der lexikalischen Ebene über einzelne Ausdrücke – wie es dieses Beispiel zeigt, aber auch im Unterpunkt 3.1.4 bei der Darstellung der Bedeutungsbildung durch Personalpronomen deutlich wird – hergestellt werden, Gegensätze entstehen aber auch auf der syntagmatischen Ebene, etwa explizit durch das Zu- oder Abschreiben bestimmter Eigenschaften. 18.
In Deutschland arbeiten ein Heer von Integrationsbeauftragten, Islamforschern, Soziologen, Politologen, Verbandsvertretern und eine Schar von naiven Politikern Hand in Hand und intensiv an Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung. (279)
Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung in 18 sind ebenfalls Schlagwörter, die negativ-deontische Bedeutung aufrufen. Im Kapitel Zuwanderung und Integration stellt Sarrazin zwei Gruppen gegenüber. Für ihn gibt es zum einen diejenigen, die sich kritisch gegenüber dem Islam äußern, beispielsweise die von Sarrazin als islamische Frauenrechtlerinnen bezeichneten Personen Ayaan Hirsi Ali, Seyran Ates und Necla Kelek. Sarrazin selbst zählt sich auch zu dieser Gruppe der Islamkritiker. Demgegenüber steht die zweite Gruppe, die sich nicht nur durch eine Verteidigungshaltung gegenüber dem Islam auszeichnet, sondern außerdem dadurch, dass sie die Islamkritiker angreift und ihnen beispielsweise Rassismus und Islamophobie unterstellt (vgl. 278f). 19.
Mir wurde beispielsweise Rassismus vorgeworfen, als ich mich in einem Interview kritisch mit der mangelnden Bereitschaft vieler muslimischer Migranten zur Eingliederung in Deutschland auseinandersetzte (…). (279)
Wenn Sarrazin behauptet, dass Integrationsbeauftragte, Islamforscher, Soziologen, Politologen, Verbandsvertreter und eine Schar von naiven Politikern an Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung arbeiten (Beispiel 18), so drücken die genannten Schlagwörter Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung die Annahme aus, dass es in Deutschland ein Problem mit der muslimischen Migration gibt, das nicht zu verharmlosen beziehungsweise zu
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 279
leugnen ist. Durch solch eine mithilfe einzelner lexikalischer Ausdrücke hervorgerufene implizite Argumentation entstehen weitere negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam. 20. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Islam in der großen Mehrheit seiner Strömungen der Aufklärung verweigert und dem Pluralismus ablehnend gegenübersteht, kann er nicht gedacht werden ohne Islamismus und Terrorismus, auch wenn 95% der Muslime friedliebend sind. (277)
Der Islam wird in Beispiel 20 den positiv-deontischen Schlagwörtern Aufklärung und Pluralismus gegenübergestellt. Der hier personifizierte Islam verweigert sich der Aufklärung, steht dem Pluralismus ablehnend gegenüber (vgl. Kapitel 3.2.4). Aufklärung und Pluralismus sind Hochwertwörter, sowohl die Aufklärung als auch der Pluralismus bilden die Grundlage für das westliche Demokratieund Wertesystem. Der Islam wird im Kapitel Zuwanderung und Integration an verschiedenen Stellen der Aufklärung gegenübergestellt. Durch die Herstellung dieses Gegensatzes entstehen weitere negative Bedeutungsanteile, die noch verstärkt werden, wenn ausgesagt wird, dass der Islam nicht denkbar sei ohne Islamismus und Terrorismus. Denn Terrorismus und Islamismus sind Ausdrücke mit wiederum negativ-deontischer Bedeutung. Ausdrücke mit diesem Suffix beziehungsweise dem Suffix -ismus fallen für Strauß et. al (1989, 37) unter die sogenannten Feindwörter: Zu ihnen gehören viele sog. Ismen, also die Substantive auf -ismus, die entsprechenden Personen- und Gruppenbezeichnungen auf -ist sowie die Adjektive auf -(ist)isch, aber auch Adjektive und Substantive, gelegentlich auch Verben, die mit den -ismusFeindwörtern in bestimmten Kontexten (…) eine enge Verbindung eingehen oder dort stereotyp wiederholt werden (z.B. im Umfeld von Terrorismus das Feindwort Sympathisant oder die Adjektive militant, konspirativ und subversiv.)
Sowohl der Terrorismus als auch der Islamismus fungieren als eben solche Feindwörter. Ihre Inhalte sind abzulehnen und – das zeigen vor allem Kollokationen mit diesen Ausdrücken (vgl. Kapitel II), so zum Beispiel Kampf gegen den Terrorismus – müssen bekämpft werden. Wird ausgesagt, dass der Islam ohne Terrorismus und Islamismus nicht denkbar ist, übertragen sich die negativen Bedeutungsaspekte, die die Ausdrücke evozieren, auch auf das Konzept Islam. Dies hat sich bereits bei der Analyse der Islamkonzepte im Kölner Moscheebaudiskurs gezeigt: Sprecher mit Konzept A differenzieren nicht zwischen Islam und Islamismus. Die negativen Bedeutungsaspekte im Konzept A resultieren unter anderem aus dieser Nichtdifferenzierung. Wird also (wie in Beispiel 20) der Islamismus als Teil des Islam aufgefasst, so entstehen negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam.
280 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Indem also Schlagwörter mit negativ-deontischer Bedeutung in einen direkten Zusammenhang mit dem Islam gebracht werden und Schlagwörter mit positiv-deontischer Bedeutung dem Islam gegenübergestellt werden, konstituieren sich negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam. Da bestimmte Schlagwörter, wie etwa Parallelgesellschaft, immer wieder mit dem Islam in Verbindung gebracht werden, färben die negativen Bedeutungsaspekte auf das Konzept Islam ab. Islam wird somit selbst zum Schlagwort mit negativ-deontischer Bedeutung.
3.1.2 Bedeutungsbildung durch Wortneubildungen Im Kapitel Zuwanderung und Integration fällt zudem die Verwendung von Wortneubildungen beziehungsweise Ad-hoc-Bildungen auf, die ebenfalls auf der lexikalischen Ebene anzusiedeln sind und im Folgenden dargestellt werden. Ad-hoc-Bildungen sind „(s)pontane, meist stark kontextgebundene Wortneubildungen zur Bezeichnung von neuen oder bisher nicht benannten Sachverhalten bzw. zum Ausdruck der spezifischen Einschätzung eines Referenten durch den Sprecher“ (Bußmann 2002, 105). Unter diese Ad-hoc-Bildungen fällt auch der in Beispiel 14 verwendete Ausdruck Multikulturalisten. Anhand des Ausdrucks Multikulturalist wird die von Bußmann (2002, 105) beschriebene enthaltene, spezifische Einschätzung eines Referenten durch den Sprecher besonders deutlich. Der Ausdruck Multikulturalisten referiert auf die Befürworter einer multikulturellen Gesellschaft. Indem damit eine negative Einstellung gegenüber den Befürwortern der multikulturellen Gesellschaft ausgedrückt wird, wird auch gleichzeitig eine negative Einstellung gegenüber der multikulturellen Gesellschaft selbst deutlich gemacht. Durch das Anhängen des Suffix -ist kommt es hier zu einer Derivation von Multikultur, wodurch gleichzeitig eine Einstellung zu dieser durch Multikultur bezeichneten Gesellschaft, in der Menschen verschiedener Nationen, Religionen und Kulturen nebeneinander leben, preisgegeben wird. Den Befürwortern der multikulturellen Gesellschaft wird mit der Bezeichnung Multikulturalisten eine Bewertung zugeschrieben, die wiederum aus der Bedeutung des Suffixes resultiert. Das Feindwort Rassist wiederum wird häufig von Verteidigern der muslimischen Migranten verwendet, wenn diese sich auf die sogenannten Islamgegner beziehen. Auch Sarrazin selbst beklagt, als Rassist bezeichnet worden zu sein (Beispiel 19). Die Untersuchung macht deutlich, dass das Suffix -ist im gesamten Islamdiskurs als sehr produktiv erscheint. So werden etwa die Gegner sogenannter Islamkritikerinnen (wie etwa Necla Kelek) als Säkularisten bezeichnet. Dieser
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 281
Ausdruck evoziert ebenfalls negativ-deontische Bedeutung, die wieder auf das Suffix -ist zurückzuführen ist. 21.
Interessant sind die Schwierigkeiten, die liberale Geister in Deutschland mit der Forderung nach einem säkularen Islam haben. Der Zeit-Redakteur Thomas Assheuer nennt Vorkämpfer eines säkularen Islam »Säkularisten«. Er ist der Ansicht, der Kampf von »Säkularisten« wie Hirsi Ali und Necla Kelek habe selbst eine fundamentalistische Schlagseite (…) (273f).
Die beiden Gruppen, die sich im Diskurs um die muslimische Integration gegenüberstehen und hier vereinfacht als Islamkritiker und Islambefürworter bezeichnet werden152, bedienen sich also beide des Mittels der Wortneubildung, um die jeweils andere Gruppe abzuwerten. Während Islamkritiker die Islambefürworter mit Multikulturalisten bezeichnen und durch das Suffix ihre Einstellung zu dieser Gruppe deutlich machen, bezeichnen die Islambefürworter Islamkritiker wie die in Beispiel 21 genannten Hirsi Ali und Necla Kelek mit Säkularisten, geben damit auch ihre Einstellung gegenüber dieser Gruppe preis und machen deutlich, dass sie diese in ihrer Forderung eines säkularen Islam für fundamentalistisch halten. Da es hier um die Beschreibung der Konstitution eines Konzepts Islam geht, ist vor allem der Ausdruck Multikulturalist interessant, der indirekt auch negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam konstituiert. Im Folgenden sollen weitere Wortneubildungen aus dem Kapitel Zuwanderung und Integration aufgezeigt werden, die ihren Beitrag zur Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam leisten. 22.
23.
Die Journalistin Ingrid Kloepfer nimmt das Leben einer islamischen Importbraut namens Dilek als Beleg für die fehlende Integrationsbemühung der deutschen Gesellschaft: 27 Jahre alt, zehn Jahre in Deutschland, drei Kinder, fünf Jahre Dorfschule in der Türkei. Dilek kennt nur den Haushalt und kann kaum Deutsch. Was tat denn der amerikanische Staat für die Integration der einwandernden Deutschen, Juden, Iren oder Italiener? Die integrierten sich selbst, weil sie gar keine andere Wahl hatten, wenn sie nicht untergehen wollten. Da gab es keine Sozialhilfe für Importbräute. (288) Die türkischen Migranten heiraten zu über 90 Prozent wiederum Türken; rund 60 Prozent der Ehen türkischer Staatsbürger in Deutschland werden mit einem Partner aus der Türkei geschlossen. Diese Importpartner weisen durchweg eine sehr niedrige
152 Die Akteure des Teildiskurses zur Integration muslimischer Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft lassen sich selbstverständlich nicht nur in zwei verschiedene Gruppen einteilen. Um die Rolle der einzelnen Akteure zu beschreiben, müsste man jedoch eine intensivere Betrachtung des Diskurses vornehmen. Da es in diesem Kapitel um die Formen der Konstitution eines Konzepts Islam in Deutschland schafft sich ab geht, wird von der genauen Beschreibung des Integrationsdiskurses mit seinen Diskursteilnehmern abgesehen.
282 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Bildung auf. In Berlin sind zehn Prozent von ihnen Analphabeten, 28 Prozent haben eine Schule nur bis zum fünften Schuljahr besucht. Durchweg kommen die Importpartner aus dem regionalen Umfeld und häufig auch aus der engen Verwandtschaft der Familie, in die sie einheiraten. (316) 24. Der Berliner Bezirk Neukölln hat 305 000 Einwohner. Nach den offiziösen Zahlen sind 120 000 migrantischer Herkunft, davon 60 000 Passausländer. (299)
Sarrazin verwendet den Ausdruck Importbraut in Beispiel 22 völlig unmarkiert, als sei es ein Wort, das in der deutschen Standardsprache etabliert und im Wörterbuch nachschlagbar sei. Das Wort Importbraut kommt im Diskurs zwar vor, ist also keine von Sarrazin eingeführte Wortneubildung, ist allerdings auch kein gängiger Ausdruck. Importbraut/-bräute oder Importpartner (siehe Beispiel 23) erscheinen im Kapitel Zuwanderung und Integration fünf Mal. Der Ausdruck Importbraut evoziert negative Bedeutungsaspekte durch den Widerspruch der beiden Konstituenten des Kompositums. Das Verb importieren fordert ein Akkusativobjekt, dessen Paradigma wiederum meist mit unbelebten Gegenständen gefüllt wird. Dies wird bereits im weiteren Kontext des Buches deutlich, da Sarrazin selbst mehrfach den Ausdruck Import in der Bedeutung Einfuhr von Ware verwendet. 25.
Der heutige Massenkonsum ist nur möglich dank der Mechanisierung und Automatisierung aller Produktionsabläufe sowie der meisten Dienstleistungen und der billigen Importe aus Fernost, die wir nur bezahlen können, weil dort deutsche Maschinen so begehrt und die Menschen bei niedriger Entlohnung so unendlich fleißig sind. (151) 26. Versteht man unter dem Basareffekt die Tendenz eines steigenden Vorleistungsanteils in der Exportproduktion, so ist dieser eine zwingende Wirkung zunehmender Globalisierung, bei der die kostenorientierte Zergliederung von Produktionsprozessen vorangetrieben und immer attraktiver wird, was sich natürlich genauso bei den Importprodukten auswirkt. (164)
Importbraut ist somit ein Ausdruck, der sehr starke negative Bedeutungsaspekte aufruft und deshalb quasi als Schimpfwort fungiert. Wenn Ehepartner wie Ware nach Deutschland importiert werden und dann der deutschen Staatskasse zur Last fallen, dann darf das nicht toleriert werden lautet der Topos, der dem Ausdruck inhärent ist. Das wird auch noch einmal deutlich gemacht, wenn ausgedrückt wird, dass es in den USA eben keine Sozialhilfe für Importbräute gibt. Durch die hier zusätzlich unmarkierte und vor allem häufige Verwendung durch das gesamte Kapitel hinweg wird dieses Schlagwort etabliert. In Beispiel 23 wird eine leicht abgewandelte Form des Ausdrucks verwendet, Importpartner, der wieder durch die erste Konstituente des Kompositums negative Bedeutungsaspekte evoziert, den Partner also hier implizit wieder mit Ware gleich-
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 283
setzt. Durch die Verwendung der Ausdrücke Importbraut oder Importpartner werden Menschen mit Ware verglichen und es entstehen auf diese Weise negative Bedeutungsaspekte, ähnlich wie bei dem zu Beginn des Kapitels genannten Beispiel, in dem von der Produktion von kleinen Kopftuchmädchen die Rede war. Über eine direkte Prädikation werden den Importpartnern in Beispiel 23 wiederum weitere Eigenschaften zugeschrieben, nämlich niedrige Bildung und außerdem die angenommene Tatsache, dass sie häufig aus dem näheren Umfeld der Familie kommen. In Beispiel 24 taucht der Ausdruck Passausländer auf, der ebenfalls eine Adhoc-Bildung darstellt. Negative Bedeutungsaspekte werden durch das Zweitglied des Determinativkompositums hervorgerufen. Zur Bedeutung von Ausländer macht der DUDEN folgende Anmerkung: Die Bezeichnung Ausländer für (aus Sprecherperspektive) im eigenen Land lebende Menschen ausländischer Herkunft gilt immer mehr als diskriminierend. Sie wird deshalb zunehmend durch Bezeichnungen wie ausländischer Mitbürger ersetzt.153
Die Ad-hoc-Bildung Passausländer enthält eine Redundanz, wenn man die im Wörterbuch verzeichnete Bedeutung von Ausländer betrachtet: Angehöriger eines fremden Staates; ausländischer Staatsangehöriger oder Staatenloser. Beispiele: er ist Ausländer einem Ausländer helfen154
Versteht man unter Ausländer einen Angehörigen eines fremden Staates, so macht die Hervorhebung des ausländischen Passes in Passausländer keinen Sinn. Interessant ist dabei, dass durch die Bezeichnung Passausländer wiederum eine bestimmte Einstellung zu den Menschen mit Migrationshintergrund ausgedrückt wird, die einen deutschen Pass haben. Wenn Sarrazin angibt, dass von den 305.000 Einwohnern des Berliner Stadtteils Neukölln 120.000 migrantischer Herkunft und davon 60.000 Passausländer sind, so werden also auch die 60.000 anderen Menschen mit deutschem Pass als Ausländer konstituiert. Welches Kriterium anzuführen ist, um eine Person der Kategorie Ausländer zuzuordnen, wird offen gelassen. Ob Menschen, die in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben und einen deutschen Pass haben, in Sarrazins Rechnung unter die 120.000 Menschen fallen, wird nicht näher determiniert.
153 http://www.duden.de/rechtschreibung/Auslaender; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 154 http://www.duden.de/rechtschreibung/Auslaender; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
284 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Dass durch die Bezeichnung Ausländer und somit selbstverständlich auch durch das Determinativkompositum Passausländer negative Bedeutungsaspekte evoziert werden, wird bereits bei der Betrachtung der im Wörterbuch angegebenen Bedeutung deutlich. Durch die in Ad-hoc-Komposita enthaltenen Sprechereinstellungen sind die Ausdrücke semantisch sehr stark aufgeladen. Die evozierten negativen Bedeutungsaspekte übertragen sich auf das Konzept Islam.
3.1.3 Bedeutungsbildung durch qualifizierende Adjektive Auf der lexikalischen Ebene werden im Kapitel Zuwanderung und Integration Bedeutungsaspekte im Konzept Islam auch über die Verwendung von qualifizierenden Adjektiven oder Adjektivphrasen konstituiert, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen. Unter einem qualifizierenden Adjektiv wird hier ein Adjektiv verstanden, das einer Person oder Sache eine Eigenschaft zuordnet (vgl. DUDEN 2009, 339). 27.
Das westliche Abendland sieht sich durch die muslimische Immigration und den wachsenden Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen mit autoritären, vormodernen, auch antidemokratischen Tendenzen konfrontiert, die nicht nur das eigene Selbstverständnis herausfordern, sondern auch eine direkte Bedrohung unseres Lebensstils darstellen. (266)
Die Adjektive autoritär, vormodern und antidemokratisch in Beispiel 27 evozieren negativ-deontische Bedeutung. In Kombination mit Tendenzen fungieren sie als Schlagwörter: autoritäre, vormoderne und antidemokratische Tendenzen sollen unterbunden werden. Diese Tendenzen, die der muslimischen Immigration und dem wachsenden Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen zugeschrieben werden, stehen dem westlichen Abendland gegenüber. Durch das In-BezugSetzen der muslimischen Immigration mit diesen Adjektiven werden die negativdeontischen Bedeutungsaspekte auf das Konzept Islam übertragen, schließlich werden die autoritären, vormodernen und antidemokratischen Tendenzen als Eigenschaft der muslimischen Migranten konstituiert. 28. Die zum großen Teil arbeitslosen männlichen Familienoberhäupter haben zwar zu Hause das Sagen, aber nach außen können sie gegenüber ihren Söhnen nicht mit dem Prestige des Ernährers aufwarten. Umso eifriger vermitteln sie dem männlichen Nachwuchs übersteigerte Vorstellungen von einer tapferen, um der „Ehre“ willen jederzeit gewaltbereiten Männlichkeit. Diese Rolle nehmen die jungen Männer umso eher an, je mehr ihre Erfolge im Schulsystem zu wünschen übrig lassen – und ihre Leistungen sind noch schlechter als die der muslimischen Mädchen. (296)
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 285
Mithilfe von attributiv gebrauchten Adjektiven und Adjektivphrasen werden in Beispiel 28 Informationen verdichtet. Thematisiert wird dort etwa eine tapfere, um der „Ehre“ willen jederzeit gewaltbereite Männlichkeit. Diese Adjektivphrase verdichtet Informationen. So werden der Männlichkeit, die hier laut Sarrazin in den Vorstellungen muslimischer Familienoberhäupter existiert, bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Die Vorstellungen werden zudem als übersteigert – also „über das normale Maß hinausgehend“155 – näher bestimmt. Schon den Vorstellungen wird also durch den Gebrauch des qualifizierenden Adjektivs übersteigert eine negative Bewertung zugeschrieben, die durch die Attribute von Männlichkeit noch verstärkt wird. Der Männlichkeit wird zum einen die Eigenschaft des Tapferseins attribuiert, und zum anderen die Adjektivphrase um der „Ehre“ willen jederzeit gewaltbereiten. An diesem Beispiel wird deutlich, wie auch Satzzeichen Bedeutung konstituieren können: Durch die Anführungszeichen werden die in dem Konzept Ehre enthaltenen positiven Bedeutungsaspekte aufgehoben. Es wird deutlich gemacht, dass der Sprecher der Meinung ist, dass das eigene Konzept von Ehre nicht mit dem Ehrbegriff muslimischer Sprecher zu vereinbaren ist. Dass jemand der Ehre willen gewaltbereit ist, hebt die positiven Bedeutungsaspekte im Konzept Ehre auf, weil das Konzept Gewaltbereitschaft negative Bedeutungsaspekte enthält. Im Beispiel kommt außerdem noch eine weitere Adjektivphrase vor, nämlich umso eifriger. Dadurch, dass diese Adjektivphrase im Vorfeld des Satzes steht, wird der Fokus auf sie gelenkt. Ihre Bedeutung wird besonders hervorgehoben: Umso eifriger vermitteln sie dem männlichen Nachwuchs übersteigerte Vorstellungen von einer tapferen, um der „Ehre“ willen jederzeit gewaltbereiten Männlichkeit. Auf die Bedeutungskonstitution durch den Vorfeldfokus wird später noch ausführlicher eingegangen. Die Adjektivphrase stellt hier eine Begründung des Verhaltens der muslimischen Familienoberhäupter her: Weil die männlichen Familienoberhäupter arbeitslos sind und nicht mit dem Prestige des Ernährers aufwarten können, vermitteln sie umso eifriger die beschriebenen Vorstellungen. Interessant ist hierbei, dass die Konjunktion umso im Deutschen laut Online-DUDEN entweder in Verbindung mit je und Komparativ auftritt und dann eine proportionale Verstärkung ausdrückt, oder aber eine Verstärkung ausdrückt, „die als Folge des im mit »als« oder »weil« angeschlossenen Nebensatz genannten Sachverhalts oder Geschehens anzusehen ist.“156 Im Beispiel ist weder das eine Phänomen noch das andere der Fall. Die Kausalität wird hier implikatiert, der durch die Subjunktion
155 http://www.duden.de/rechtschreibung/uebersteigert; zuletzt abgerufen am 31.05.2013. 156 http://www.duden.de/rechtschreibung/umso; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
286 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab weil eingeleitete kausale Nebensatz wird quasi mitgedacht. Die Entstehung der Implikatur wird zudem durch den Fokus auf das Vorfeld begünstigt. 29. 28 Prozent der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen haben einen Migrationshintergrund. Sie leben häufiger in größeren Haushalten mit Kindern. Diese werden im Vorschulalter seltener als Kinder aus anderen Haushalten außerhäuslich betreut. Die Lebenszufriedenheit in diesen Haushalten ist höher als in Haushalten ohne Migrationshintergrund. Man empfindet weniger, am unteren Ende der Hierarchie zu stehen. Es gibt auch seltener häusliche Konflikte. Die Türken unter den Hilfebedürftigen sind – relativ gesehen – am unzufriedensten. (285)
Für die Interpretation des Beispiels in 29 ist es wichtig, Informationen über den Kotext der Äußerung zu kennen. Dort wird angegeben, dass in einer von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Statistik der Empfänger von Grundsicherung „weder eine indirekte noch eine direkte Information zum Gewicht der muslimischen Migranten bei den Beziehern von Transfereinkommen“ (285) angegeben werden. 30. Immerhin erschien im Herbst 2009 ein im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstelltes Gutachten, das sich mit der Gesamtgruppe der Personen mit Migrationshintergrund unter den Transferempfängern befasst und Rückschlüsse auf die Lebensweise der muslimischen Migranten zulässt. (285)
In Beispiel 29 zieht Sarrazin dann einen solchen Rückschluss. Es wird hier wieder Bedeutung über die Verwendung qualitativer Adjektive konstituiert. Mittels konverser Adjektive werden die muslimischen Transferempfänger sowohl anderen Transferempfängern mit Migrationshintergrund als auch Transferempfängern ohne Migrationshintergrund gegenübergestellt. Dabei stellen für Sarrazin die muslimischen Transferempfänger eine Untergruppe der Empfänger mit Migrationshintergrund dar. Die konversen Adjektive haben hier bezogen auf das Konzept Islam bedeutungsbildende Funktion, weil sie der Herstellung von Gegensätzen dienen. Die Komparationen der antonymen Adjektive häufig, selten, wenig und hoch setzen die verschiedenen Gruppen von Transferempfängern zueinander in eine Vergleichsbeziehung. In den Komparationsformen steckt zugleich eine Bewertung, die nicht durch das Adjektiv selbst, sondern durch den Kotext bestimmt wird. Es gibt seltener häusliche Konflikte – seltener heißt hier also besser aufgrund der negativ-deontischen Bedeutung von häusliche Konflikte. Die Lebenszufriedenheit ist höher – höher bedeutet hier ebenfalls gleichzeitig besser wegen der positiv-deontischen Bedeutung von hoher Lebenszufriedenheit. Wenn schließlich die Türken unter den Hilfebedürftigen – relativ gesehen – am unzufriedensten sind, so wird dies also auch am schlechtesten bewertet.
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 287 31.
Im Grunde genommen hat der Islam bis heute ein belastetes Verhältnis zur abendländischen Moderne. (280)
In Beispiel 31 gebraucht Sarrazin das attributiv gebrauchte Adjektiv abendländisch, das über das ganze Kapitel hinweg sehr häufig verwendet wird. Nach der DUDEN-Klassifikation handelt es sich bei abendländisch – so könnte man zunächst annehmen – um ein relationales Adjektiv. Relationale Adjektive drücken eine Beziehung oder Zugehörigkeit aus. Geografie: afrikanisch, asiatisch, kontinental Staat/Volk/Sprache: englisch, französisch, spanisch Religion: katholisch, evangelisch, islamisch Epoche: römisch, mittelalterlich, romanisch Beruf: ärztlich, polizeilich, richterlich Bereich: wirtschaftlich, staatlich, technisch Stoff: golden, hölzern Zeitpunkt: heutig, gestrig, letztjährig Räumliche Lage: dortig, vordere, linke (DUDEN 2009, 340)
Da die im Wörterbuch angegebene Bedeutung von abendländisch „das Abendland betreffend“ lautet157, müsste abendländisch den relationalen Adjektiven zugeordnet werden, drücken relationale Adjektive doch „eine Beziehung oder Zugehörigkeit aus“ (DUDEN 2009, 340). Der DUDEN (2009) weist jedoch darauf hin, dass es vor allem eine Eigenschaft qualifizierender Adjektive ist, oft als Gegensatzpaare zu existieren (vgl. DUDEN 2009, 340) und einer Person oder Sache bestimmte Eigenschaften zuzuordnen (vgl. DUDEN 2009, 339). Der Verwendungskontext von abendländisch im Kapitel Zuwanderung und Integration in Deutschland schafft sich ab zeigt, dass abendländisch starke positive Bedeutungsaspekte evoziert. Folgende Tabelle zeigt die Ausdrücke, die ein Wort rechts von abendländisch* stehen. Die Untersuchung wurde mit der Analysesoftware AntConc, das ebenfalls für die korpuslinguistische Untersuchung in Kapitel II verwendet wurde, durchgeführt.
157 http://www.duden.de/rechtschreibung/abendlaendisch; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
288 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 2
Kultur
2
Europa
1
Wertsystem
1
Werte
1
Muster
1
Moderne
1
Freiheiten
1
Demokratiemodell
1
Demokratie
1
Aufklärung
Tab. 36: Wörter 1R nach abendländisch* in Deutschland schafft sich ab
Die Substantive, die durch das attributiv verwendete Adjektiv abendländisch in Deutschland schafft sich ab näher bestimmt werden, haben allesamt positivdeontische Bedeutung. Diese positiven Bedeutungsaspekte übertragen sich auf das Adjektiv abendländisch. Über den durchweg positiven Kotext erhält abendländisch selbst positiv-deontische Bedeutung. Es wird somit zum qualifizierenden Adjektiv, dessen Antonym islamisch ist, das somit ebenfalls zum qualifizierenden Adjektiv mit negativ-deontischer Bedeutung wird. Sowohl abendländisch als auch islamisch sind also keine relationalen Adjektive (unter den relationalen Adjektiven führt der DUDEN 2009 u.a. das Adjektiv islamisch auf), sondern sie werden in Deutschland schafft sich ab zu qualifizierenden Adjektiven. Sie drücken nicht primär eine Zugehörigkeit, sondern eine Wertung aus.
3.1.4 Bedeutungsbildung durch Personalpronomen Eine weitere Form der Bedeutungsbildung, die ebenfalls der lexikalischen Ebene zuzuordnen ist, ist die Bedeutungsbildung durch Personalpronomen. Im Kapitel Zuwanderung und Integration fällt vor allem die häufige Verwendung des Personalpronomens wir auf. 32.
Überall wirkt der Gegensatz von »Die« und »Wir« und schafft Bindung und Solidarität durch Abgrenzung, ist aber stets auch der Ausgangspunkt für Streit, Aggression und Gewalt. (255)
Das Personalpronomen wir hat im untersuchten Kapitel hauptsächlich zwei Funktionen. Es stärkt zum einen das Gefühl einer Gruppenzugehörigkeit und
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 289
die Annahme von gemeinsamen Interessen. Zum anderen hat es die Funktion der Abgrenzung gegenüber einer anderen Gruppe, nämlich der Gruppe der muslimischen Migranten. In Beispiel 32 thematisiert Sarrazin selbst die Funktion der Pronomina die und wir. Dabei stellt er die Herstellung von Gegensätzen durch diese Pronomina, die er selbst durch die häufige Verwendung des Pronomens wir im Kapitel Zuwanderung und Integration forciert, gleichzeitig als allgemeine Regel hin. Durch die Verwendung des Personalpronomens wir/uns stellt Sarrazin die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, in diesem Fall der Gruppe der ‚Nicht-Muslime‘, her und grenzt sich gleichzeitig von den Muslimen ab. Die Funktion der Kennzeichnung gleicher Gruppenzugehörigkeit wird in der FaceTheorie von Brown und Levinson (1987) thematisiert. In dieser Theorie wird von einer sogenannten model person ausgegangen, die sowohl mit Rationalität als auch mit zwei faces ausgestattet ist. All MPs have positive face and negative face, and all MPs are rational agents – i.e. chose means that will satisfy their ends. (Brown/Levinson 1987, 59)
Der von Brown und Levinson (1987) verwendete face-Begriff leitet sich von dem Goffmanschen (1967) Imagebegriff ab. Das sogenannte positive face steht für den Wunsch eines Individuums nach Anerkennung. Man möchte zumindest von einigen Mitgliedern der Gesellschaft respektiert werden. Das negative Gesicht symbolisiert den Wunsch nach Handlungsfreiheit, dem eigenen Territorium. negative face: the want of every 'competent adult member' that his actions be unimpeded by others, positive face: the want of every member that his wants be desirable to at least some others. (Brown/Levinson 1987, 62)
Die Adjektive positiv und negativ sind in diesem Fall nicht wertend gemeint. In der alltäglichen Kommunikation kommen wir nach Brown und Levinson (1987) nicht umhin, die Gesichter unserer Mitmenschen anzugreifen. Bitte ich etwa jemanden, das Fenster zu öffnen, greife ich sein negatives Gesicht an, kritisiere ich mein Gegenüber, greife ich hingegen dessen positives Gesicht an. Zusätzlich nennen Brown und Levinson Strategien der Face-Wahrung. Möchte ich meinen Gesprächspartner dazu auffordern, das Fenster zu öffnen und muss deshalb sein negatives Gesicht angreifen (schließlich zieht eine Aufforderung immer eine Einschränkung der Handlungsfreiheit nach sich), so ist es möglich, diesen Face-Angriff mittels positiver oder negativer Höflichkeit abzuschwächen. Negative Höflichkeit gibt mehr Handlungsfreiheit. Dabei könnte ich meine Aufforderung etwa als Frage verpacken, um somit diese Handlungsfreiheit zu gewähren:
290 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Könntest du vielleicht das Fenster öffnen? Mittels positiver Höflichkeit ist es hingegen möglich, den anderen aufzuwerten: Sei doch so lieb und öffne bitte das Fenster! Bouchara (2002, 34) fasst die Strategien der Face-Wahrung nach Brown und Levinson bezogen auf die positive Höflichkeit wie folgt zusammen: 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11 1.12 1.13 1.14 1.15
Achte auf den Hörer (H), seine Interessen, Bedürfnisse und Güter. Übertreibe dein Interesse, deine Wertschätzung oder deine Sympathie für H. Intensiviere dein Interesse einer Mitteilung für H. Verwende Kennzeichen gleicher Gruppenzugehörigkeit. Suche Zustimmung. Vermeide Widerspruch. Nimm eine gemeinsame Basis an oder behaupte sie. Mache einen Scherz. Zeige, daß du die Bedürfnisse H’s kennst und auf sie eingehst. Mache Angebote und Versprechungen. Sei optimistisch. Beziehe H in die Aktivität mit ein. Gib Gründe an oder frage danach. Nimm Gegenseitigkeit an oder behaupte sie. Gib dem Hörer Geschenke.
Indem Sarrazin im Kapitel Zuwanderung und Integration für Veränderung in der Integrationspolitik argumentiert, führt er Face-Angriffe im Sinne von Brown und Levinson (1987) durch: Er versucht, seine Leser von seinen Ansichten zu überzeugen, und greift somit deren negatives Gesicht an. Um dies zu erreichen, hält er sich an verschiedene Untermaximen der Strategien zur Face-Wahrung. Mittels der Verwendung des Pronomens wir verwendet er beispielsweise die genannten Kennzeichen gleicher Gruppenzugehörigkeit. 33.
Dänische Milchprodukte werden in islamischen Ländern wegen der MohammedKarikaturen boykottiert. Millionen Frauen in unserer Mitte werden durch den sozialen Druck ihrer Religion und Kultur zur Beachtung von Kleidervorschriften gezwungen, die sie als selbstständige Individuen herabwürdigen, und von ihren Familien an ihrer beruflichen und persönlichen Entfaltung gehindert. Das alles haben wir eigentlich gar nicht nötig. Wirtschaftlich brauchen wir die muslimische Migration in Europa nicht. (266f)
So wird in Beispiel 33 deutlich, wie mittels des Personalpronomens wir ein solches Gruppenzugehörigkeitsgefühl aufgebaut wird, wenn ausgesagt wird, dass wir das alles eigentlich gar nicht nötig haben. Und auch der Grund dafür wird gleich mit angegeben: Wirtschaftlich brauchen wir die muslimische Migration nicht. Gleichzeitig findet also mittels der Verwendung von wir eine Abgrenzung gegenüber einer anderen Gruppe, nämlich den muslimischen Migranten, statt.
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 291
Ein wir und die wird hier somit sprachlich konstruiert, zwei gegensätzliche Gruppen – die Muslime und wir – werden entworfen. Das wir wird dabei nicht näher definiert, das Gegenübersetzen der Muslime zu uns suggeriert, dass unter das wir alle ‚Nicht-Muslime‘ fallen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen werden in 34 deutlich gemacht: 34. Die Muslime in Deutschland und im übrigen Europa unterliegen einem fremden kulturellen und religiösen Einfluss, den wir nicht überblicken und schon gar nicht steuern können. Wir dulden das Anwachsen einer kulturell andersartigen Minderheit, deren Verwurzelung in der säkularen Gesellschaft mangelhaft ist, die nicht unsere Toleranzmaßstäbe hat und die sich stärker fortpflanzt als ihre Gastgesellschaft. Wir dürfen die widersprüchlichen Bewegungen in der islamischen Welt und die Tendenz zur Ausbreitung von Radikalisierung nicht ausblenden, die übrigens nichts mit Armut und Unbildung zu tun hat, wie immer wieder suggeriert wird. (277)
Der Unterschied liegt in der kulturellen Andersartigkeit, im Gegensatz zu den ‚Nicht-Muslimen‘ ist die muslimische Minderheit in der säkularen Gesellschaft mangelhaft verwurzelt, sie hat andere Toleranzmaßstäbe und pflanzt sich stärker fort. 35.
Was wollen wir? (308)
Indem Sarrazin ein wir konstituiert, fördert er das Gefühl einer gemeinsamen Gruppenzugehörigkeit mit seinen nicht-muslimischen Lesern. Er fragt, was wollen wir (35) und beantwortet diese Frage, indem er die erste Person Singular verwendet: 36. Für mich ist es wichtig, dass Europa seine kulturelle Identität als europäisches Abendland und Deutschland seine als Land mit deutscher Sprache wahrt, als Land in Europa, vereint mit den umgebenden Franzosen, Niederländern, Dänen, Polen und anderen, aber doch mit deutscher Tradition. Dieses Europa der Vaterländer ist säkular, demokratisch und achtet die Menschenrechte. (308) 37. Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden, auch regional nicht. (309)
Die Grenzen zwischen ich und wir verschwimmen, wenn in der Überschrift gefragt wird, was wir wollen, und diese Frage beantwortet wird, indem die erste Person Singular verwendet wird. Sarrazin selbst ist ein Teil von wir. Wenn Sarrazin nicht will, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden, so wird gleichsam suggeriert, dass wir das auch nicht wollen, denn Fremde im eigenen Land ist wieder ein Ausdruck, der negativ-deontische Bedeutung evoziert. Beispiel 37 ist demnach ein Beispiel für eine deontische Tautologie, denn im Ausdruck Fremde im eigenen Land steckt bereits die Forderung, dass dies unbedingt vermieden
292 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab werden soll. Was Sarrazin will, wollen wir somit letztendlich alle – dies wird in den Aussagen suggeriert. Durch das Personalpronomen wird in den genannten Beispielen eine Gruppe konstruiert, eine Gruppe nicht-muslimischer Deutscher, die in ihrer Gesamtheit bestimmte Ziele verfolgt. 38. Sagen wir es zurückhaltend: Die Türkei Erdogans passt kulturell nicht nach Europa, und ein Land, das seine Migranten dafür lobt, dass sie sich nicht in den Gastländern assimiliert haben, ist ein Störenfried im friedlichen Zusammenleben. (312)
Dass die Grenzen zwischen der 1. Person Singular und der 1. Person Plural im Kapitel Zuwanderung und Integration mehr und mehr verschwimmen, wird auch in Beispiel 38 deutlich, wenn Sarrazin seine Meinung explizit kundtut, dass die Türkei kulturell nicht nach Europa passt und ein Störenfried im friedlichen Zusammenleben ist und dies mit einem Satz mit dem Personalpronomen in der 1. Person Plural einleitet: Sagen wir es zurückhaltend.
3.1.5 Zusammenfassung Es konnte deutlich gemacht werden, wie Sarrazin mittels der Verwendung einzelner Ausdrücke negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam konstituiert. Durch die Verwendung von Schlagwörtern mit negativ-deontischer Bedeutung wie Parallelgesellschaft, Islamismus, Terrorismus, die in einen direkten Zusammenhang mit dem Islam gebracht werden, durch die Bezeichnung von den Befürwortern des Islam mit dem Schlagwort Gutmensch, aber auch durch die Verwendung von Ausdrücken mit positiv-deontischer Bedeutung wie Pluralismus und Aufklärung, die dem Islam gegenübergestellt werden, wird der Ausdruck Islam selbst zum Schlagwort mit negativ-deontischer Bedeutung. Das konstruierte Konzept Islam erhält negative Bedeutungselemente, die eine ablehnende Haltung hervorrufen. Geht man davon aus, dass der Islam mit Islamismus und Terrorismus in einer direkten Verbindung steht, dass der Islam mit Pluralismus und Aufklärung nicht zu vereinbaren ist, so ist er abzulehnen. Dieses Bild wird durch die Verwendung von Wortneubildungen, die ebenfalls negative Bedeutungselemente evozieren, verstärkt. Ausdrücke wie Importbräute und Multikulturalisten drücken etwa eine negative Einstellung zu muslimischen Migranten und auch deren Verteidigern aus. Werden Ehepartner wie Ware aus dem Ausland importiert und fallen hier zur Last der deutschen Staatskasse, so ruft das eine ablehnende Haltung hervor. Die negativen Bedeutungsaspekte im Konzept Islam sind auch auf die Verwendung von qualifizierenden Adjektiven zurückzuführen. Vormodern, autoritär, antidemokratisch waren beispielsweise Adjektive, die dem Ausdruck Tendenzen attribuiert wurden; diese wiederum
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 293
wurden dem Islam zugeschrieben. In Kapitel 3.1.4 wurde schließlich gezeigt, wie auch mittels der Verwendung von Personalpronomen ein bestimmtes Konzept Islam entstehen kann. Indem ein wir und ein die konstruiert werden, werden zwei Gruppen gegenübergestellt, die sich in ihren Eigenschaften und in dem, was sie anstreben, unterscheiden. Negative Bedeutungsaspekte entstehen also, indem durch die Pronomen wir und die die Muslime den Nichtmuslimen gegenübergestellt werden. Nachdem dargestellt wurde, wie im Kapitel Zuwanderung und Integration mittels der Verwendung einzelner Ausdrücke Bedeutung entsteht, wird im folgenden Kapitel auf jene Formen der Bedeutungsbildung eingegangen, die der syntagmatischen Ebene zuzuordnen sind.
3.2 Formen der Bedeutungskonstitution auf der syntagmatischen Ebene Zu den Formen der Bedeutungsbildung, die im Kapitel Zuwanderung und Integration ein bestimmtes Konzept Islam konstituieren und die auf der syntagmatischen Ebene der Sprache anzusiedeln sind, gehören die Bedeutungsbildung durch Prädikation, durch den Fokus auf das Vorfeld, durch Aufzählung, durch Metaphorik und durch Präsuppositionen. Sie werden im Folgenden ausführlich beschrieben und diskutiert.
3.2.1 Bedeutungsbildung durch Prädikation Bedeutung entsteht auf der syntagmatischen Ebene durch das In-Bezug-Setzen verschiedener Phänomene. Die einfachste Form der Bedeutungsbildung – man könnte auch sagen, die direkteste Form – ist die durch Prädikation. Ganz direkt werden dabei einer Entität bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Wie Bußmann (2002, 528) verstehe ich unter einer Prädikation einen Vorgang und Ergebnis der Zuordnung von Eigenschaften zu Objekten beziehungsweise Sachverhalten. Durch P. werden Gegenstände spezifiziert hinsichtlich Qualität, Quantität, Raum, Zeit, u.ä. oder in Beziehung gesetzt zu anderen Gegenständen. P. ist somit die Basis jeglicher Form von Aussagen.
Hätte man etwa eine Aussage wie: Der Islam ist eine friedliche Religion, dann wird dem Islam ganz direkt die Eigenschaft des Friedlichseins zugeschrieben, es läge die einfachste beziehungsweise direkteste Form der Bedeutungsbildung vor. Die folgenden Auszüge aus dem Kapitel Zuwanderung und Integration ge-
294 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab ben Beispiele für eine Bedeutungskonstitution durch Prädikation, die hier allerdings häufig subtilere Formen der Bedeutungsbildung nach sich zieht: 39. Weit ausgeprägter noch als andere Migrantengruppen haben Muslime in Deutschland eine unterdurchschnittliche Beteiligung am Arbeitsmarkt, unterdurchschnittliche Erfolge im Bildungswesen und eine überdurchschnittliche Quote von Transferleistungsempfängern sowie eine überdurchschnittliche Beteiligung an der Gewaltkriminalität. (262)
Im Beispiel werden den Muslimen in Deutschland als Migrantengruppe direkt und im Vergleich zu anderen Migrantengruppen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: unterdurchschnittliche Beteiligung am Arbeitsmarkt, unterdurchschnittliche Erfolge im Bildungswesen und eine überdurchschnittliche Quote von Transferleistungsempfängern sowie eine überdurchschnittliche Beteiligung an der Gewaltkriminalität. Durch die Adjektive über- und unterdurchschnittlich werden diese Eigenschaften bewertet. Die Art der Prädikation unterscheidet sich von den Prädikationen in den Ergebnissen der Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses, denn dort wurde meist vermieden, den Muslimen ganz direkt bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben. Während dem Islam bestimmte Eigenschaften prädiziert und attribuiert wurden, war eben diese Prädikation und Attribuierung beim Ausdruck Muslime eher selten. Hingegen werden den Muslimen im Beispiel 39 ganz direkt bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Auffällig ist dort auch die Wortstellung. Dadurch, dass die Adjektivphrase weit ausgeprägter noch als andere Migrantengruppen ins Vorfeld gezogen wird, liegt der Fokus im Satz auf dem Vergleich mit anderen Religionen.158 Auf die Bedeutungskonstitution durch den Vorfeldfokus wird später noch ausführlich eingegangen. 40. ‒
Keine andere Religion in Europa tritt so fordernd auf.
‒
Keine andere Immigration ist so stark wie die muslimische mit Inanspruchnahme des Sozialstaats und Kriminalität verbunden.
‒
Keine Gruppe betont in der Öffentlichkeit so sehr ihre Andersartigkeit, insbesondere durch die Kleidung der Frauen.
‒
Bei keiner anderen Religion ist der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend. (292)
158 Auffällig ist selbstverständlich auch, dass Sarrazin hier die Religion als Merkmal in den Vordergrund stellt und nicht wie üblicherweise die Herkunftsnation.
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 295
In Beispiel 40 spielt ebenfalls der Vergleich mit anderen Religionen eine Rolle (keine andere Religion, keine andere Immigration, keine andere Gruppe). Gleichzeitig wird hier der Islam als Religion personifiziert (tritt so fordernd auf), wobei schon deutlich wird, dass hier nicht nur eine direkte Form der Bedeutungsbildung durch Prädikation vorliegt, sondern darüber hinaus indirekt und subtil noch mehr Bedeutung konstituiert wird, als auf den ersten Blick sichtbar ist. Wenn der Islam fordernd auftritt, der Islam also personifiziert wird, so wird deutlich, dass mit dem Ausdruck Islam auch Sarrazin nicht die in der DUDENDefinition aufgeführte religiöse Lehre meint, sondern mit dem Ausdruck letztlich auf die Muslime referiert (vgl. Kapitel III). Die Bedeutungsbildung durch Metaphorik wird in Kapitel 3.2.4 ausführlich beschrieben. Wenn Sarrazin behauptet, dass bei keiner anderen Religion der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend ist, dann wird der Islam mit Schlagwörtern mit negativdeontischer Bedeutung in Verbindung gebracht. Dadurch wird ein Konzept Islam konstituiert, das negative Bedeutungselemente enthält. 41.
Das Kopftuch bedeutet gleichzeitig die Akzeptanz der Unterordnung der Frau unter den Mann, das heißt die Ablehnung der Emanzipation der Frau nach abendländischem Muster. (299)
Da das Konzept Kopftuch eng mit dem Konzept Islam vernetzt ist, wird hier neben einem Konzept Kopftuch auch Bedeutung im Konzept Islam konstituiert. Sarrazin versucht, das Kopftuch als Symbol zu etablieren, indem er explizit macht, was das Kopftuch seiner Meinung nach eigentlich bedeutet: Es steht für die Unterordnung der Frau. An verschiedenen Stellen im untersuchten Kapitel versucht Sarrazin, das Kopftuch als Symbol zu konstituieren, indem er immer wieder deutlich macht, was das Kopftuch bedeutet, wofür es ‚eigentlich‘ steht: 42. Sichtbares Zeichen für die muslimischen Parallelgesellschaften ist das Kopftuch. (299) 43. Das Tragen des Kopftuchs drückt niemals nur Religiosität aus (…), sondern den Wunsch, sich von den „Ungläubigen“ auch optisch abzugrenzen. (299) 44. Der sichtbare Unterschied zwischen den muslimischen Migranten und der aufnehmenden Gesellschaft liegt nicht in der Hautfarbe und im Schnitt der Gesichter. (…). Der sichtbare Unterschied, der ein Gefühl der Distanz schafft und wohl auch schaffen soll, besteht in der Kleidung der Frauen, vor allem im Kopftuch. Es wurde zum Zeichen dafür, dass der Islam eine gesellschaftliche Dimension jenseits der Religion hat. (313) 45. Wer ein Kopftuch trägt, bekennt sich zu einer traditionellen Interpretation des Islam. (314) 46. Das Kopftuch steht nämlich nicht für das Bekenntnis zum Islam, sondern für die Einheit von religiöser und gesellschaftlicher Ordnung, die in der Schari’a normiert ist. (315)
296 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Mittels expliziter Prädikation konstituiert Sarrazin das Kopftuch als Symbol. Das Kopftuch stehe für die Einheit religiöser und gesellschaftlicher Ordnung, sei Zeichen für Parallelgesellschaften, für eine gesellschaftspolitische Dimension jenseits der Religion. Durch die ständige Explikation dessen, wofür das Kopftuch denn nun eigentlich steht, wird jedoch gleichzeitig deutlich, dass das Kopftuch eigentlich nicht als Symbol für Unterdrückung, Parallelgesellschaften etc. anzusehen ist, schließlich ist nach der Zeichentheorie von Peirce (1903) die Bedeutung eines Symbols auf die Konventionalität zurückzuführen. Anscheinend besteht die Konvention, dass das Kopftuch für die in den Beispielen 42 bis 46 genannten Dinge steht, unter der Leserschaft von Deutschland schafft sich ab nicht, denn sonst wäre die ständige Hervorhebung nicht notwendig. Sarrazin versucht hier vielmehr, eine noch nicht vorhandene Symbolhaftigkeit zu etablieren. Zudem wird deutlich, dass erneut eine Dichotomie konstituiert wird: Steht das Kopftuch für die Ablehnung der Emanzipation der Frau nach abendländischem Muster (Beispiel 41), so werden wieder zwei Gegensatzpole hergestellt: abendländisch vs. islamisch. Es wird hier bereits deutlich, dass die verschiedenen Formen der Bedeutungsbildung nicht nebeneinander anzusiedeln sind, sondern Bedeutung vor allem durch die Kombination verschiedener solcher Formen entsteht. Dadurch, dass der Islam immer wieder mithilfe verschiedener sprachlicher Mittel dem Westen beziehungsweise der abendländischen Kultur gegenübergestellt wird, etabliert sich im Text die Idee von zwei gegensätzlichen Polen, die sich einander widersprechen. Die Kombination verschiedener Formen der Bedeutungsbildung wird auch in Beispiel 47 deutlich. 47. Die türkischen Migranten heiraten zu über 90 Prozent wiederum Türken; rund 60 Prozent der Ehen türkischer Staatsbürger in Deutschland werden mit einem Partner aus der Türkei geschlossen. Diese Importpartner weisen durchweg eine sehr niedrige Bildung auf. (316)
Zum einen wird hier erneut den muslimischen Migranten159 durch Prädikation eine Eigenschaft zugesprochen: Sie heiraten zu 90% wiederum Türken. Die Be
159 Der Ausdruck türkische Migranten schließt bei Sarrazin die Eigenschaft des Muslimischseins mit ein: (…) die Herkunftsgebiete Bosnien und Herzegowina, Türkei, Naher und Mittlerer Osten sowie Afrika (…). Die Migranten aus diesen Herkunftsgebieten werden im Folgenden muslimische Migranten genannt. Sicher gibt es unter ihnen auch einige mit christlichem oder anderem religiösen Hintergrund. Aber diese fallen kaum ins Gewicht und verändern den statistischen Ausweis der Integrationsproblematik durchweg in eine günstigere Richtung, weil Christen und Juden aus diesen Gebieten stets ein überdurchschnittliches Integrationsverhalten zeigen. (261)
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 297
deutungsbildung wird durch den Stil gestützt, die Prozentzahlen vermitteln hier erneut den Eindruck einer wissenschaftlichen Fundiertheit. Durch die verwendeten Prozentzahlen kommt es zur bereits angesprochenen konversationellen Implikatur. Der Leser geht von genauen Angaben aus, sonst hätte man genauso gut von sehr vielen oder einem Großteil der türkischen Migranten sprechen können (vgl. Kapitel 2.3). Obwohl Sarrazin hier auf keine statistische Erhebung Bezug nimmt, schwingt der Eindruck der Wissenschaftlichkeit erneut mit und fundiert die direkte Bedeutungsbildung durch Prädikation. Die Ehepartner dieser Migranten werden schließlich durch den bereits diskutierten Ausdruck Importpartner wiederaufgenommen. So entstehen negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam. 48. Leider ist aber nicht zu bestreiten, dass unter den vielen teils uneindeutigen, teils widersprüchlichen Strömungen des Islam ein Gesellschaftsbild dominiert, bei dem die Trennung von Religion und Staat weitgehend noch nicht angekommen ist, die Gleichberechtigung der Geschlechter kaum existiert, wo vormoderne Lebensformen eine weitere deutliche Vermehrung der sowieso jungen Gesellschaften, auch bei den Migranten, begünstigen und insgesamt zu unseren Lebensformen eine große kulturelle Distanz besteht. (269)
Auch in 48 werden dem Islam bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, wenn auch nicht ebenso direkt wie im konstruierten Beispiel Der Islam ist eine friedliche Religion. Durch die Nominalphrase mit Genitivattribut wird über den Islam zunächst ausgesagt, dass es viele teils uneindeutige, teils widersprüchliche Strömungen gibt. Schließlich werden dem Islam direkt Eigenschaften zugeschrieben: Die Trennung von Staat und Religion sei beim Islam noch nicht angekommen, die Gleichberechtigung der Geschlechter existiere kaum, vormoderne Lebensformen begünstigten eine Vermehrung der jungen Gesellschaften und schließlich wird noch ausgesagt, dass zu uns eine große kulturelle Distanz besteht. Auch über die Prädikation hinaus wird Bedeutung konstituiert: Über Schlagwörter wie vormodern werden dem Islam negative Eigenschaften zugeschrieben und über die Verwendung des Pronomen uns gegensätzliche Pole hergestellt. Die hier getroffenen Aussagen werden intensiviert durch den einleitenden Hauptsatz mit Kommentaradverb im Vorfeld (Leider ist aber nicht zu bestreiten). Durch die Verwendung von Schlagwörtern und bestimmten lexikalischen Ausdrücken, durch die Herstellung von Gegensätzen, sogar durch die Syntax wird hier ein Konzept Islam konstruiert, das negative Bedeutungselemente enthält. Dadurch, dass das Kommentaradverb leider ins Vorfeld gezogen wurde, wird der Fokus auf die Bewertung der Aussage gelegt. Auf der syntagmatischen Ebene vollzieht sich Bedeutungskonstitution häufig durch diesen Fokus auf das Vorfeld, der im folgenden Kapitel näher ausgeführt wird.
298 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 3.2.2 Bedeutungsbildung durch Fokus auf das Vorfeld Indem emotionsgeladene Ausdrücke (Schlagwörter, qualifizierende Adjektive) ins Vorfeld gezogen werden, wird der Fokus auf die negativen beziehungsweise positiven Bedeutungsaspekte, die durch die Prädikation entstehen, gelegt und somit intensiviert: 49. Besorgniserregend ist, dass die in der mangelhaften Beteiligung am Arbeitsmarkt und der hohen Transferabhängigkeit zum Ausdruck kommenden Probleme der muslimischen Migranten auch bei der zweiten und dritten Generation auftreten, sich also quasi vererben, wie der Vergleich der Bildungsabschlüsse der 26- bis 35-Jährigen zeigt (…). (284) 50. Besondere Probleme bereiten die Libanesen und Palästinenser. (301) 51. Die Hoffnung, dass die an Bildung, Auftreten auf dem Arbeitsmarkt und Sprache gemessene Integration der muslimischen Migranten mit den Jahren Fortschritte macht, hat sich kaum erfüllt. (262) 52. Richtig ist jedenfalls, dass den muslimischen Einwanderern in Europa eine besondere Mischung aus islamischer Religiosität und traditionellen Lebensformen anhaftet. (292)
In Beispiel 49 wird der Fokus auf die Bewertung der Aussage gelegt. Dass die Probleme der Migranten auch in der zweiten und dritten Generation auftreten, ist besorgniserregend. Die Verwendung eines Kopulaverbs in Verbindung mit einem Adjektiv ruft zudem eine Existenzpräsupposition hervor. Die mangelhafte Beteiligung am Arbeitsmarkt und die hohe Transferabhängigkeit der muslimischen Migranten sind besorgniserregend präsupponiert, dass es eine mangelhafte Beteiligung am Arbeitsmarkt und eine hohe Transferabhängigkeit der muslimischen Migranten gibt. Die Existenz der Probleme wird also in der Äußerung vorausgesetzt. Indem man das Adjektiv mit negativ-deontischer Bedeutung ins Vorfeld rückt, werden wieder negative Bedeutungsaspekte hervorgerufen. Negative Bedeutungsaspekte werden auch dann verstärkt, wenn wie in Beispiel 50 das negativ-deontische Wort Probleme ins Vorfeld und damit in den Fokus gerückt wird. In 51 wird der positiv-deontische Ausdruck Hoffnung, der durch einen Attributsatz näher bestimmt wird, ins Vorfeld gestellt und später negiert. Auch hier tritt erneut eine Existenzpräsupposition auf. Dass es eine solche Hoffnung gegeben hat, wird hier vorausgesetzt. Auffällig ist weiterhin die Deagentivierung: Wer genau diese Hoffnung hatte, wird verschwiegen. Die angesprochene unerfüllte Hoffnung ruft erneut negative Bedeutungsaspekte im Konzept Muslime hervor: Man hatte gehofft, die Muslime machen Fortschritte in der Integration, diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Daraus ergibt sich zudem die Schlussfolgerung, dass die Integration gescheitert sei.
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In Beispiel 52 wird durch den Vorfeldfokus die Richtigkeit der Aussage noch einmal betont. Die Proposition dass den muslimischen Einwanderern in Europa eine besondere Mischung aus islamischer Religiosität und traditionellen Lebensformen anhaftet wird intensiviert. Dass die Proposition wahr ist, wird auf diese Weise hervorzuheben versucht. Im untersuchten Kapitel weist Sarrazin darauf hin, dass es seiner Meinung nach ein Problem mit der Integration muslimischer Zuwanderer in Deutschland gibt. Um diese Behauptung zu stützen, bedient er sich also verschiedener Argumente. Das Beispiel in 52 kann als ein solches Argument gewertet werden. Als Topos formuliert, würde dies also lauten: Weil den muslimischen Einwanderern eine besondere Mischung aus islamischer Religiosität und traditionellen Lebensformen anhaftet, gibt es ein Problem mit der Integration dieser Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft. Die These, dass es ein Integrationsproblem gibt, wird also mit dem Argument gestützt, dass den Zuwanderern eine Mischung aus traditionellen Lebensformen und islamischer Religiosität anhaftet. Man würde erwarten, dass die hier in dem Topos als Stütze fungierende Behauptung, dass den muslimischen Zuwanderern eine besondere Mischung aus Religiosität und Traditionen anhaftet nun durch weitere Argumente gestützt wird. Indem Sarrazin das Adjektiv richtig in das Vorfeld stellt, umgeht er diese Stütze des Arguments. Richtig und falsch sind semantisch komplementär. Wenn Sarrazin behauptet, dass seine These richtig ist, und dies auch durch die Stellung im Vorfeld fokussiert, so betont er, dass dies nicht zu bestreiten ist. Eine Stütze der Konklusion durch ein weiteres Argument wird damit hinfällig. Sarrazin verwendet die Kollokation Richtig ist … als Mittel der Hervorhebung über das gesamte Buch hinweg: 53. 54. 55.
56. 57.
58.
Richtig ist, dass für den Einzelnen die spürbaren Unsicherheiten und Brüche in der globalisierten Weltwirtschaft zugenommen haben. (144) Richtig ist aber auch, dass die Menschen trotz stark gestiegener Realeinkommen ihr Geld ausgeben. (155f) Richtig ist daran, dass der Anteil der unbefristet sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an allen Erwerbstätigen in den letzten Jahren gesunken ist und jetzt noch 66 Prozent beträgt, während der Anteil der atypisch Beschäftigten (in Minijobs, Teilzeit, Zeitarbeit) zugenommen hat. (158) Ganz gewiss richtig ist das lateinische Wort non multa, sed multum. In freier deutscher Übersetzung heißt das »Konzentration auf das Wesentliche«. (198) Richtig ist, dass man häufig Menschen trifft, die gut auswendig lernen, aber schlecht denken können. Richtig ist aber auch, dass man eigentlich nie jemanden trifft, der gut denken kann, aber ein schlechtes Gedächtnis hat. Das Denken kann man – in Grenzen – üben, und das muss man auch. (206) Richtig ist allerdings, dass bei jahrgangsübergreifendem Lernen jedes Unterrichtsmodell, das nicht von vornherein extrem auf Differenzierung angelegt ist, scheitern muss. Richtig ist auch, dass nach der Logik des Modells die nötige Differenzierung
300 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab zusätzliche Räumlichkeiten für Gruppenarbeit erfordert, ferner zusätzliche Lehrerkapazitäten (weil sonst innerhalb der jahrgangsübergreifenden Gruppen nicht ausreichend differenziert werden kann und zudem der erhöhte Abstimmungsbedarf sehr viel Zeit erfordert) sowie eine zusätzliche Qualifikation eines großen Teils der Lehrer. (238) 59. Richtig ist, dass über der Erblichkeit geistiger Potentiale die kolossale Bildsamkeit des menschlichen Geistes nicht vernachlässigt werden darf. Richtig ist auch, dass sich die menschliche Entwicklung aus der kulturellen Evolution ergibt, die durch die geistigen Anlagen des Menschen ermöglicht wird. (351)
Die Beispiele 53-59 verdeutlichen, dass durch die Stellung des Adjektivs richtig im Vorfeld Sarrazin also all das betont, was seiner Meinung nach keiner weiteren Belegung bedarf. Es ist für ihn unstrittig. Der Fokus in den einzelnen Beispielen wird auf die Richtigkeit der Aussage gelegt.
3.2.3 Bedeutungsbildung durch Aufzählung Eine weitere Form der Bedeutungskonstitution auf der syntagmatischen Ebene ist die Bedeutungskonstitution durch Aufzählung. Indem verschiedene Konstituenten syntaktisch nebeneinander gereiht werden, werden gemeinsame Bedeutungselemente suggeriert: 60. Die unscharfe Trennlinie zwischen Islam und Radikalität, Fundamentalismus und Gewalt, die hohe Fertilität der muslimischen Migranten und die Einschränkung der Frauen, die viele abstößt, das alles bereitet der nicht-muslimischen Bevölkerung Sorgen und lässt ihre Ablehnung wachsen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. (278)
Im Beispiel wird deutlich, wie durch Aufzählung Gemeinsamkeiten hergestellt werden. Indem Radikalität, Fundamentalismus und Gewalt syntaktisch nebeneinander gestellt werden und somit als Konstituenten syntaktisch dieselbe Funktion erhalten, werden ihnen gemeinsame Bedeutungsaspekte zugeschrieben. Sowohl Radikalität, Fundamentalismus als auch Gewalt fungieren hier als Schlagwörter mit negativ-deontischer Bedeutung. Nimmt man jedes Wort für sich, mag der Grad an negativer Bedeutung variieren, werden sie wie hier in einer Aufzählung nebeneinander gereiht, werden damit aber genau ihre negativen Bedeutungsaspekte hervorgehoben. In diesem Fall haben die durch Aufzählung aneinander gereihten Schlagwörter dieselbe Funktion: Der Islam wird mit diesen Schlagwörtern in eine direkte Verbindung gebracht: Die Trennlinie ist unscharf. Diese Bestimmung und Hervorhebung der Nähe des Islam zur Radikalität, zum Fundamentalismus und zur Gewalt wird nun wiederum neben die hohe Fertilität der muslimischen Migranten und die Einschränkung der Frau gestellt.
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Durch die syntaktische Gleichstellung der Phänomene wird auch eine Gleichstellung der Bewertung suggeriert. Indem ausgesagt wird, dass die genannten Phänomene der nicht-muslimischen Bevölkerung Sorge bereiten, wird wiederum die Existenz der Phänomene, nämlich die Nähe des Islam zu Radikalität, Fundamentalismus und Gewalt, die hohe Fertilität der Migranten, die Einschränkung der Frau präsupponiert. Das, was präsupponiert wird, muss nun nicht näher gestützt werden. Dadurch, dass die Existenz der Phänomene vorausgesetzt und nicht expliziert wird, umgeht Sarrazin erneut die Stützung der Behauptungen, ähnlich wie es bei der Verwendung des Kopulaverbs sein plus das Adjektiv richtig der Fall war. 61.
Integrationsgrad und -bereitschaft scheinen im Gegenteil vielfach eher zu sinken. Ursachen dafür sind die unzureichenden Erfolge der Muslime im Bildungs- und Beschäftigungssystem, der ganz erhebliche Familiennachzug von Heiratspartnern aus den Heimatländern, aber auch eine starke Fixierung auf die heimatliche Kultur. (262)
Auch in Beispiel 61 werden die unzureichenden Erfolge der Muslime im Bildungsund Beschäftigungssystem, der ganz erhebliche Familiennachzug von Heiratspartnern und eine starke Fixierung auf die heimatliche Kultur nebeneinandergestellt, wobei letzteres durch die Konjunktion aber noch hervorgehoben wird. Die Gemeinsamkeit der Phänomene besteht darin, dass sie laut Sarrazin allesamt Gründe für die mangelnde Integrationsbereitschaft der muslimischen Zuwanderer bieten, wobei das Phänomen der starken Fixierung auf die heimatliche Kultur durch die adversative Konjunktion aber als ein besonderer Grund hervorgehoben wird. Die Existenz einer mangelnden Bereitschaft zur Integration wird im Satz präsupponiert. Obwohl im vorangegangenen Satz noch ausgesagt wurde, dass die Bereitschaft zur Integration zu sinken scheint, wird im folgenden Satz diese fehlende Bereitschaft als existent vorausgesetzt. 62. Das westliche Abendland sieht sich durch die muslimische Immigration und den wachsenden Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen mit autoritären, vormodernen, auch antidemokratischen Tendenzen konfrontiert, die nicht nur das eigene Selbstverständnis herausfordern, sondern auch eine direkte Bedrohung unseres Lebensstils darstellen. (266)
In Beispiel 62 werden die muslimische Immigration und der wachsende Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen direkt nebeneinander gestellt. Beide sind für die Konfrontation mit autoritären, vormodernen und antidemokratischen Tendenzen verantwortlich. Damit übertragen sich die negativen Bedeutungsaspekte von wachsender Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen auch auf die muslimische Immigration. Die negativen Bedeutungsaspekte werden intensiviert, wenn schließlich sowohl den islamistischen Glaubensrichtungen als auch der
302 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab muslimischen Immigration die Verantwortung für die Konfrontation mit autoritären, vormodernen und antidemokratischen Tendenzen zugeschrieben werden – wobei die drei Adjektive wieder als Schlagwörter mit negativ-deontischer Bedeutung fungieren. Dass hier beide Phänomene – sowohl die muslimische Immigration als auch der wachsende Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen direkt nebeneinander gestellt werden und sich das Präpositionalobjekt mit autoritären, vormodernen, auch antidemokratischen Tendenzen auf beide Phänomene bezieht, bewirkt, dass auch muslimische Immigration negative Bedeutungsaspekte evoziert, die auch dadurch intensiviert werden, dass die Immigration als Bedrohung unseres Lebensstils dargestellt wird – die Verwendung des Pronomens verstärkt hier erneut die Wahrnehmung zweier sich gegenüberstehender Lager. Muslimische Immigration wird somit selbst zum Schlagwort mit negativ-deontischer Bedeutung. Dies wird ebenfalls bei der Betrachtung des Beispiels in 63 deutlich. 63. Wir dulden das Anwachsen einer kulturell andersartigen Minderheit, deren Verwurzelung in der säkularen Gesellschaft mangelhaft ist, die nicht unsere Toleranzmaßstäbe hat und die sich stärker fortpflanzt als ihre Gastgesellschaft. (277)
Die muslimischen Migranten werden hier durch kulturell andersartige Minderheit wieder aufgenommen. Dabei konstituiert die Attribuierung durch die Adjektivphrase kulturell andersartige erneut den Eindruck zweier sich gegenüberstehender Gruppen. Ebenfalls durch Aufzählung wird aber auch in diesem Beispiel ein Konzept Islam beziehungsweise muslimische Migranten konstruiert, das negativ-deontische Bedeutung enthält. Drei Eigenschaften werden im Beispiel der kulturell andersartigen Minderheit zugeschrieben und direkt nebeneinandergestellt: Ihre Verwurzelung in die säkulare Gesellschaft ist mangelhaft, sie hat nicht unsere Toleranzmaßstäbe und sie pflanzt sich stärker fort als ihre Gastgesellschaft. Interessant ist, dass dabei wieder eine Gleichwertigkeit in der Bewertung suggeriert wird, die greifbar wird, wenn man sich die hier deutlich werdenden Topoi genauer ansieht: Migration ist dann abzulehnen, wenn 1. die Verwurzelung der Migranten in die säkulare Gesellschaft mangelhaft ist, 2. die Migranten nicht unsere Toleranzmaßstäbe haben, 3. die Migranten sich stärker fortpflanzen als wir. Wenn also bemängelt wird, dass wir das Anwachsen einer kulturell andersartigen Minderheit dulden, und die implizite Ablehnung dieser Tatsache mit den
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drei genannten Gründen gestützt wird, so wird durch die syntaktische Gleichsetzung eine Gleichwertigkeit in den negativen Bedeutungsaspekten konstituiert. Dass die muslimischen Migranten sich stärker fortpflanzen, gilt genauso als Grund für die Ablehnung der muslimischen Immigration wie die Annahme, dass sie unsere Toleranzmaßstäbe nicht akzeptieren. Die Existenz der in der Begründung genannten Phänomene wird wieder vorausgesetzt. Dadurch, dass sie wieder nur präsupponiert werden, umgeht Sarrazin die Stützung der Behauptung.
3.2.4 Bedeutungsbildung durch Metaphorik Bei der Konstitution des Konzepts Islam spielt im Kapitel Zuwanderung und Integration auch Metaphorik eine Rolle. Bezogen auf das Beispiel 40 wurde bereits das Phänomen der Personifizierung angesprochen. Im Beispiel Keine andere Religion in Europa tritt so fordernd auf wird der Islam durch das Verb auftreten personifiziert, da das Verb ein belebtes Agens fordert. Betrachtet man weitere Beispiele der Metaphorisierung von Islam, so kann festgestellt werden, dass dieser häufig als Gegner dargestellt wird, ähnlich wie es Lakoff und Johnson (2003, 45) für das Beispiel Inflation festgestellt haben: Die Inflation hat die Grundfeste unserer Volkswirtschaft erschüttert. (…) Die Inflation hat eine geldgierige Nation hervorgebracht. In diesen Sätzen wird die Inflation personifiziert, doch die Metapher ist nicht nur: DIE INFLATION IST EINE PERSON. Die Metapher ist viel differenzierter, nämlich: DIE INFLATION IST EIN GEGNER. Sie bietet uns nicht nur an, in einer sehr spezifischen Weise die Inflation zu betrachten, sondern zeigt uns auch einen Weg, wie wir mit der Inflation umgehen können. Wir nehmen die Inflation als einen Gegner wahr, der uns angreifen, uns verletzen, uns berauben, uns sogar vernichten kann. Die Metapher DIE INFLATION IST EIN GEGNER initiiert und rechtfertigt somit politisches und wirtschaftliches Handeln von Seiten unserer Regierung (…).
Wenn ausgesagt wird, dass der Islam so fordernd auftritt, dann wird der Islam ebenfalls als eine Art Gegner konstituiert. Diese Art der Personifizierung und der Darstellung des Islam als Gegner lässt sich auch anhand von folgenden Beispielen aus dem untersuchten Kapitel beobachten: 64. Der Islam habe 1000 Jahre lang von der Schlacht bei Tours und Poitiers bis zur Belagerung Wiens durch Suleiman gegen den Westen einen Heiligen Krieg geführt. (271)
304 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 65. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Islam in der großen Mehrheit seiner Strömungen der Aufklärung verweigert und dem Pluralismus ablehnend gegenübersteht, kann er nicht gedacht werden ohne Islamismus und Terrorismus, auch wenn 95 Prozent der Muslime friedliebend sind. (277) 66. Im Grunde hat der Islam bis heute ein belastetes Verhältnis zur abendländischen Moderne. (280)
In Beispiel 64 wird diese Darstellung des Islam als Gegner besonders deutlich, wenn sich Sarrazin auf die Äußerungen Necla Keleks bezieht und aussagt, dass der Islam gegen den Westen einen Heiligen Krieg geführt habe. Aber auch in Beispiel 65 kommt diese Auffassung zutage: Der Islam verweigert sich in der großen Mehrheit seiner Strömungen der Aufklärung und dem Pluralismus. Bereits bei der Diskussion der Bedeutungsbildung durch Schlagwörter wurde gezeigt, dass negative Bedeutungsaspekte evoziert werden, wenn Islam den positivdeontischen Schlagwörtern Aufklärung und Pluralismus gegenübergestellt wird. Wenn er sich dem Pluralismus und der Aufklärung sogar verweigert, werden diese negativen Bedeutungsaspekte noch intensiviert. Der Gegensatz zwischen dem Westen und dem Islam wird in Beispiel 66 deutlich gemacht. Indem ausgesagt wird, dass der Islam ein belastetes Verhältnis zur abendländischen Moderne hat, wird der Islam erneut personifiziert, als Gegner der abendländischen Moderne dargestellt. Die Perspektivierung des Islam als einen Gegners hat selbstverständlich erneut die Konstitution eines wir und eines die zur Folge, was sich bereits bei der Analyse der Personalpronomen in Kapitel 3.1.4 gezeigt hat. Der Islam wird zudem in einen Gegensatz zur Moderne gesetzt, was die Idee der Rückschrittlichkeit des Islam, die in dieser Arbeit bereits diskutiert wurde – einige Sprecher im Kölner Moscheebaudiskurs forderten die Modernisierung des Islam –, erneut bestätigt. Zur Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam durch die Verwendung von Metaphern kommt es auch in folgenden Beispielen: 67. Religionsfreiheit – und damit Gedankenfreiheit – ist im Islam bestenfalls ein zartes Pflänzchen, das hier und da auf kargem Boden sprießt. (271) 68. Wir dulden das Anwachsen einer kulturell andersartigen Minderheit, deren Verwurzelung in der säkularen Gesellschaft mangelhaft ist, die nicht unsere Toleranzmaßstäbe hat und die sich stärker fortpflanzt als ihre Gastgesellschaft. (277) 69. Das Aufholen und die eigenständige Gestaltung der Moderne werden ihn in kommenden Jahrzehnten... in Atem halten... Der Ausgang der umfassenden Gärung, die den Islam zwischen Marokko und den indonesischen Inseln erfasst hat, ist offen, wobei gegenwärtig die islamistischen Kräfte in der Oberhand sind. (281)
Die positiv-deontischen Ausdrücke Religionsfreiheit und Gedankenfreiheit werden in Beispiel 67 bezogen auf den Islam als ein zartes Pflänzchen dargestellt,
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das hier und da auf kargem Boden sprießt. Damit wird deutlich, wie mithilfe dieser Metapher negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam konstituiert werden. Religionsfreiheit und Gedankenfreiheit werden als eine Ausnahmeerscheinung dargestellt, wobei dies zudem noch durch die Verwendung des Adverbs bestenfalls weiter eingeschränkt wird. Die Pflanzenmetaphorik wird auch in Beispiel 68 fortgeführt: Eine kulturell andersartige Minderheit wächst an; deren Verwurzelung in der säkularen Gastgesellschaft wird hier als mangelhaft beschrieben. In diesem Beispiel wird der Islam als ein Gewächs dargestellt, das andersartig ist als seine Umgebung. Wird ausgesagt, dass seine Verwurzelung in die säkulare Gesellschaft mangelhaft ist, so entstehen erneut negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam: Verwurzelung in der säkularen Gesellschaft ist positiv-deontisch. Wird diese als mangelhaft bezeichnet, wird wiederum eine negative Deontik evoziert. In Beispiel 69 wird erklärt, dass der Ausgang der umfassenden Gärung offen ist. Dabei zitiert Sarrazin den Journalisten Wolfgang Günter Lerch. Sarrazin hebt im Anschluss an das Zitat den Ausdruck umfassende Gärung selbst noch einmal hervor, wenn er erklärt, dass sich diese „‚umfassende Gärung‘ (…) in einer einzigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ spiegelt (281). Durch die Metapher umfassende Gärung wird eine gewisse Bedrohlichkeit des Islam konstituiert. Für Hass-Zumkehr (2001) ist gären im Zusammenhang mit politischen Unruhen eine durchaus übliche Metapher: „Nach dem Gären kommt naturgesetzlich das (Über-)Schäumen“ (HassZumkehr 2001, 178). Wenn laut Lerch der Ausgang der umfassenden Gärung noch offen ist, so scheint das (Über-)Schäumen zwar nicht naturgesetzlich zu folgen, es scheint aber möglich zu sein: Zwischen Marokko und den indonesischen Inseln gärt der Islam vor sich hin. Es ist deutlich geworden, wie mithilfe von Metaphern negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam entstehen. Über die Darstellung des Islam als Gärung wird eine gewisse Bedrohlichkeit sprachlich konstruiert. Diese Bedrohlichkeit entsteht zudem durch die Personifizierung des Islam als Gegner.
3.2.5 Bedeutungsbildung durch Präsupposition In den zuvor genannten Beispielen ist bereits an einigen Stellen auf die Bedeutungsbildung durch Präsuppositionen hingewiesen worden. Diese Form der Bedeutungsbildung ist ebenfalls auf der syntagmatischen Ebene anzusiedeln und soll im Folgenden ausführlicher beschrieben werden. „Präsuppositionen kann man sich als Sinnvoraussetzungen vorstellen, die in der Äußerung selbst nicht angesprochen, für das Verständnis aber vorausgesetzt werden“ (Ernst 2002, 31). In der semantischen Definition der Präsupposition wird ihre Konstanz unter Negation betont:
306 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab p: Sie weiß, dass Sören heut Geburtstag hat. p: Sie weiß nicht, dass Sören heut Geburtstag hat. q: Sören hat heute Geburtstag. Oder wie im berühmten Beispiel: p: Der König von Frankreich hat eine Glatze. p: Der König von Frankreich hat keine Glatze. q: Es gibt einen König von Frankreich. Die Präsupposition ist nach ihrer semantischen Definition relativ kontextunabhängig.160 Wichtig ist also, dass die Präsupposition auf den Wahrheitswert einer Äußerung keinen Einfluss hat (vgl. Ernst 2002, 30). Im folgenden Beispiel aus dem Kapitel Zuwanderung und Integration entsteht eine solche Präsupposition: 70. Viele Deutsche geben sich gern der Illusion hin, Zuwanderung könne irgendeines unserer demografischen Probleme lösen, und es könne sogar gelingen, in großer Zahl qualifizierte Zuwanderer anzuziehen. (259)
In diesem Beispiel kommt es zu einer sogenannten nicht-faktiven Präsupposition (vgl. Meibauer 2008, 46f). Es wird also präsupponiert, dass Zuwanderung keines der demografischen Probleme lösen könne und es auch nicht gelinge, in großer Zahl qualifizierte Zuwanderer anzuziehen. Auslöser dieser Präsupposition ist das Funktionsverbgefüge sich der Illusion hingeben. Die Präsuppositionen q, die hier ausgelöst werden, können ebenfalls in Prädikationen, wie solche, die in den Beispielen 39-43 vorkommen, ausgedrückt werden: q1= Zuwanderung löst keines unserer demografischen Probleme. q2= Es kann uns nicht gelingen, in großer Zahl qualifizierte Zuwanderer anzuziehen. Aus diesen Prädikationen lassen sich wiederum Topoi ableiten: 1.
Weil Zuwanderung keines unserer demografischen Probleme löst, muss sie abgelehnt/gestoppt werden.
160 Wohl wissend, dass dieser Präsuppositionsbegriff nicht ganz unumstritten ist und es zahllose Beispiele gibt, wie die Präsupposition durch den Kontext aufgehoben werden kann, soll für die vorliegende Arbeit von eben diesem Verständnis von Präsuppositionen ausgegangen werden, weil für die durchgeführte Untersuchung nur jene Präsuppositionen im Text betrachtet werden, die Anteil an der Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam haben. Die aufgeführten Beispiele sind allesamt Präsuppositionen nach der semantischen Definition.
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2.
Weil es uns nicht gelingt, in großer Zahl qualifizierte Zuwanderer anzuziehen, muss Zuwanderung abgelehnt/gestoppt werden.
Dass diese Prädikationen hier nicht direkt ausgedrückt, sondern indirekt über die Präsuppositionen q1 und q2 mitgesagt werden, hat zur Folge, dass man die Stützung des Arguments umgehen kann. Stellt man die Behauptung auf, dass Zuwanderung keines unserer demografischen Probleme lösen kann, so wird erwartet, dass diese These durch Argumente gestützt wird. Warum denn kann Zuwanderung keines unserer demografischen Probleme lösen? Dadurch dass, diese Aussage hier nur präsupponiert wird, umgeht Sarrazin eine Begründung. Die Präsupposition kann nicht negiert werden, sie kann nicht als falsch entlarvt werden, ohne sie explizit zu machen, wie das viel zitierte Beispiel des Königs von Frankreich gezeigt hat. Wenn auf die Aussage der König von Frankreich hat eine Glatze die Aussage das ist falsch folgt, so bezieht sich diese Falschheit eben nicht auf die Existenzpräsupposition (Nicht: Es ist falsch, dass Frankreich einen König hat), sondern nur auf die explizite Prädikation: Es ist falsch, dass der König von Frankreich eine Glatze hat. Die Präsupposition ist somit bedeutungsverstärkend. Wird Bedeutung über eine Präsupposition konstituiert, kann die stützende Argumentation umgangen werden. Das, was in Beispiel 70 präsupponiert wird – Zuwanderung kann keines unserer demografischen Probleme lösen –, wird eben durch die Präsupposition als selbstverständlich konstituiert. Auch das, was weiterhin noch über das explizit Prädizierte hinaus ausgesagt wird, die Implikatur, dass Zuwanderung den Zweck hat, demografische Probleme des Ziellandes zu lösen und dass es ein allgemeiner Konsens ist, dass nur die Zuwanderung qualifizierter Migranten erwünscht ist, wird hier als völlig unstrittig dargestellt. Die Bedeutungsbildung durch Implikatur ist jedoch auf der pragmatischen Ebene anzusiedeln, da sie nur mithilfe des Ko- und Kontextes herausgearbeitet werden kann (vgl. Kapitel 3.3). Auch Polenz (1989, 308) weist darauf hin, dass, da „die Präsupposition nicht explizit geäußert wird, (…) ihr nur dann WIDERSPROCHEN werden [kann], wenn sie durch Heraustreten aus dem normalen Kommunikationsablauf, also nur metakommunikativ, ausformuliert wird.“ 71.
72.
Wir dürfen die widersprüchlichen Bewegungen in der islamischen Welt und die Tendenz zur Ausbreitung von Radikalisierung nicht ausblenden, die übrigens nichts mit Armut und Unbildung zu tun hat, wie immer wieder suggeriert wird. (277) Sichtbares Zeichen für die muslimischen Parallelgesellschaften ist das Kopftuch. Seine zunehmende Verbreitung zeigt das Wachsen der Parallelgesellschaften an. (299)
308 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab In Beispiel 71 liegt eine Existenzpräsupposition vor. Es wird präsupponiert, dass es in der islamischen Welt widersprüchliche Bewegungen sowie eine Tendenz zur Ausbreitung von Radikalisierung gebe. Auch in 72 liegt eine solche Präsupposition vor, wenn vorausgesetzt wird, dass derzeit eine Verbreitung des Kopftuches stattfindet. Auch in diesen Beispielen wird deutlich, wie über die Präsupposition die Stützung des Arguments umgangen werden kann. Würde explizit ausgesagt werden, dass es derzeit eine Verbreitung des Kopftuchs gebe, so würde man eine Stützung dieser Behauptung erwarten. Diese wird hier umgangen. Zudem wird in Beispiel 72 eine Kausalität zwischen dem Tragen eines Kopftuches und der Existenz einer Parallelgesellschaft angenommen. Wer Kopftuch trägt, lebt demnach in einer Parallelgesellschaft. Damit wird der vage Begriff der Parallelgesellschaft näher bestimmt. Parallelgesellschaft wurde bereits oben als Schlagwort mit negativ-deontischer Bedeutung bestimmt. Wenn nun wie hier das Kopftuch als Zeichen für eine Parallelgesellschaft konstituiert wird, dann übertragen sich die negativ-deontischen Bedeutungsaspekte von Parallelgesellschaft auf den Ausdruck Kopftuch, das schließlich selbst als Schlagwort (Hermanns 1994) fungiert. 73.
Muslimische Familien, die abendländische Werte teilen und Liberalität ernst nehmen, halten ihre Töchter nicht dazu an, Kopftuch zu tragen, und ermutigen ihre Angehörigen auch sonst nicht, sich optisch von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. (299)
Auch in Beispiel 73 wird präsupponiert, dass das Kopftuch-Tragen im Widerspruch zu abendländischen Werten und Liberalität steht. Sowohl abendländische Werte als auch Liberalität evozieren positiv-deontische Bedeutung. Wird das Kopftuch nun in einen Widerspruch zu diesen positiv-deontischen Ausdrücken gesetzt, werden somit negativ-deontische Bedeutungsmerkmale evoziert.
3.2.6 Zusammenfassung Es konnte deutlich gemacht werden, wie auf der syntagmatischen Ebene durch das In-Bezug-Setzen des Islam mit anderen Phänomenen ein bestimmtes Konzept Islam konstituiert wird. So schreibt Sarrazin beispielsweise über Prädikationen dem Islam ganz direkt bestimmte Eigenschaften zu oder spricht sie ab. Durch den Fokus auf das Vorfeld werden häufig negative Bedeutungselemente im Konzept Islam konstituiert und hervorgehoben. Mittels Aufzählungen kommt es zu einer syntaktischen Gleichsetzung einzelner Konstituenten, die häufig auch eine semantische Gleichsetzung dieser Konstituenten zur Folge hat. Dabei entstehen im Kapitel Zuwanderung und Integration aus Deutschland schafft sich
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 309
ab ebenfalls negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam. Durch Metaphorik wird schließlich eine gewisse Bedrohlichkeit des Islam konstituiert. Mittels der Personifizierung des Islam wird dieser beispielsweise häufig als ein Gegner konstituiert. Zudem konnte aufgezeigt werden, wie sich durch das Vorkommen von Präsuppositionen Bedeutungsverstärkungen vollziehen können: Durch das Verpacken einer nicht-verifizierten Behauptung in eine Präsupposition kann die Stützung dieser Behauptung umgangen werden. Das hat zur Folge, dass die in Präsuppositionen dargestellten Sachverhalte als unstrittig konstituiert werden. Die Infragestellung der Richtigkeit einer Präsupposition kann sprachlich nur durch die Umwandlung in eine Prädikation vollzogen werden.
3.3 Formen der Bedeutungskonstitution durch im Handlungskontext Mitzuverstehendes Während bisher die punktuellen Formen der Bedeutungsbildung diskutiert wurden, sind die folgenden Formen der Bedeutungsbildung als flächige Formen zu betrachten. Bedeutungsbildung vollzieht sich – das hat Polenz (1989) deutlich gemacht – auch zwischen den Zeilen. Ich übernehme deshalb an dieser Stelle Polenz’ (1989) Terminus und spreche bei den folgenden Formen der Bedeutungsbildung von durch den Handlungskontext Mitzuverstehendem.161 Die hier vorgestellten Formen der Bedeutungsbildung – die Bedeutungsbildung durch eine rhetorische Frage, durch Exemplifikation und durch Verallgemeinerung – beruhen allesamt auf der Entstehung von Implikaturen. Bußmann (2002, 295) definiert Implikatur wie folgt: Terminus von Grice [1975]: Ein Sprecher induziert mit der Äußerung eines Satzes S die Implikatur (…), dass p der Fall ist, wenn seine Äußerung den Schluss auf p erlaubt, ohne dass er mit S wörtlich gesagt hätte, dass p.
Demnach wird alles, was über das wörtlich Gesagte hinausgeht, aber erschlossen werden kann, als Implikatur aufgefasst. Bußmann (2002, 295) weist auf die oft schwierige Abgrenzung der konventionellen Implikatur von der Präsupposition hin: Beruht der Schluss ausschließlich auf der konventionellen Bedeutung der Wörter und grammatischen Konstruktionen, die in S vorkommen, so heißt der Schluss eine „konventionelle Implikatur“. Seit KARTTUNEN & PETERS [1979] werden die meisten Präsuppositi-
161 Da der Ausdruck Handlungskontext tautologisch ist, wird er im vorliegenden Kapitel an einigen Stellen durch Kontext ersetzt.
310 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab onen als konventionelle I. interpretiert. Sie können ausgelöst werden durch Faktive Prädikate wie vergessen (Philip hat nicht vergessen, dass Caroline heute Geburtstag hat implikiert konventionell: „Caroline hat heute Geburtstag“) (…).
Das, was Bußmann (2002) hier als konventionelle Implikatur beschreibt, wurde in dieser Arbeit im Kapitel 3.2.5 unter dem Begriff der Präsupposition gefasst. Polenz (1989, 307) beschreibt diese Art der Präsuppositionen als semantische Präsuppositionen und grenzt diese von den pragmatischen Präsuppositionen und stillen Folgerungen ab. Unter den stillen Folgerungen versteht Polenz (1989, 310) das, was sich in der übersetzten Literatur zu Grice (1975) häufig unter dem Terminus konversationelle Implikatur findet: Statt der schlecht übersetzten Linguistenformulierungen „Konversationsmaximen“, „konversationelle Implikaturen“ sagen wir besser Gesprächsprinzipien und stille Folgerungen, denn es handelt sich dabei um allgemeine Grundsätze jeder Art von Gespräch, nicht um etwas Elitär-Intellektuelles wie das, was man im Deutschen unter Konversation und Maxime versteht; und bei den „implicatures“ handelt es sich um FOLGERUNGEN, die Hörer/Leser aus Verletzungen solcher Prinzipien durch Sprecher/Verfasser in Form von ANNAHMEN über Mitzuverstehendes ziehen können. (Polenz 1989, 310)
Im Folgenden verstehe ich all das unter einer Implikatur oder einer stillen Folgerung im Sinne von Polenz (1989), was über die wörtliche Bedeutung der einzelnen Ausdrücke hinausgeht und aus dem Kontext und dem Weltwissen erschlossen werden kann. Das Auftreten von konversationellen Implikaturen hat immer auch mit der Einhaltung oder der scheinbaren Verletzung der Konversationsmaximen zu tun (vgl. Grice 1975). Konversationelle Implikaturen erfüllen die Eigenschaften der Rekonstruierbarkeit, der Kontextabhängigkeit und der Streichbarkeit (vgl. Meibauer 2008, 31f). Folgender Auszug gibt ein Beispiel, wie sich Bedeutungskonstitution im Kapitel Zuwanderung und Integration über durch den Handlungskontext Mitzuverstehendes (vgl. Polenz 1989, 310ff) vollzieht: 74. Der soziale Druck auf Mädchen und Frauen, ein Kopftuch zu tragen, sich zu verhüllen und traditionell zu kleiden, stieg, und die optische Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft trat immer deutlicher hervor. (265)
Im Beispiel kommt es zu einer konversationellen Implikatur. Den beiden hier durch ein und verbundenen Hauptsätzen Der soziale Druck auf die Mädchen und Frauen (…) stieg und die optische Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft trat immer häufiger hervor wird – weil man davon ausgeht, dass die Relevanzmaxime eingehalten wird – ein Zusammenhang unterstellt. Der zweite Hauptsatz erhält nur dann eine Relevanz für den ersten, wenn man davon ausgeht, dass
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 311
das Hervortreten der Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft eine Konsequenz aus dem Anstieg des sozialen Drucks auf Mädchen und Frauen, ein Kopftuch zu tragen, ist. Der Zusammenhang zwischen dem sozialen Druck ein Kopftuch zu tragen und der optischen Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft wird hier also implikatiert. Implikatiert wird somit der Topos Das Tragen eines Kopftuchs dient dem Zweck der Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft. Dieser Topos wird an verschiedenen Stellen im Kapitel Zuwanderung und Integration implikatiert, wie es auch aus den Beispielen zur Symbolifizierung des Kopftuchs (vgl. Kapitel 3.2.1) hervorging. Die im Folgenden dargestellten Formen der Bedeutungsbildung durch rhetorische Fragen, durch Exemplifikation und durch Verallgemeinerung haben somit gemeinsam, dass sie allesamt die Entstehung von Implikaturen zur Folge haben. Die Implikaturen weisen wiederum häufig auf zugrundeliegende Denkmuster hin.
3.3.1 Bedeutungsbildung durch rhetorische Fragen Dass rhetorische Fragen als solche erkannt werden, kann durch den Handlungskontext (Polenz 1989) erklärt werden. Erweitert man die Konversationsmaximen etwas, fordert etwa von Fragen, daß sie ernsthaft gestellt werden (man erfragt nichts, was man schon weiß), so bilden rhetorische Fragen weitere Beispiele für Verstöße gegen die Maximen der Qualität. (Grewendorf et al. 1987, 407)
Im folgenden Beispiel aus dem Kapitel Zuwanderung und Integration kommt eine rhetorische Frage vor, die zur Entstehung einer Implikatur führt: 75.
Man mag es einen Kulturbruch oder auch anders nennen: Wenn die beschriebenen Trends sich fortsetzen, dann wird die säkulare und aus unserer Sicht kulturell vorzuziehende Lebensform Europas letztlich unterlaufen durch die höhere Fertilität der muslimischen Migranten und den durch sie ausgelösten Nachzug. Wer sich stärker vermehrt, wird am Ende Europa besitzen. Wollen wir das? (320)
In Beispiel 75 ist die Frage Wollen wir das als rhetorische Frage zu verstehen. Die Identifizierung der Frage als rhetorische Frage ergibt sich wiederum aus dem Kontext: Dass die aus unserer Sicht vorzuziehende Lebensform Europas letztlich unterlaufen wird, kann von uns nicht gewollt werden. Dies ergibt sich auch bereits aus den Ausdrücken kulturell vorzuziehende Lebensform und unterlaufen. Die durch die Verwendung der Personalpronomen hervorgerufene Konstitution des Gegensatzes wurde bereits diskutiert. Die rhetorische Frage Wollen wir das
312 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab implikatiert an dieser Stelle, dass wir das selbstverständlich nicht wollen können. Im vorliegenden Beispiel wird also ein Topos implikatiert: Weil die säkulare und kulturell vorzuziehende Lebensform durch die höhere Fertilität der muslimischen Migranten und den durch sie ausgelösten Nachzug unterlaufen wird (sofern die Trends sich fortsetzen), müssen wir die muslimische Zuwanderung ablehnen/kritisch betrachten. Weil die Muslime sich schneller vermehren und dadurch irgendwann Europa besitzen werden, ist die muslimische Zuwanderung abzulehnen/kritisch zu betrachten. In Beispiel 76 kommt ebenfalls eine rhetorische Frage vor: 76. Der 18-jährige Mordschütze Ayham Sürücü, der im Februar 2005 in Berlin im Auftrag seiner strenggläubigen türkisch-kurdischen Großfamilie seine fünf Jahre ältere Schwester Hatun Sürücü erschoss, weil sie anders lebte, war streng religiös und Repräsentant einer breiten Meinungsrichtung unter Muslimen. Ist illiberal, wer solche Art von Religion mit einem Unwerturteil versieht, auch wenn sie nicht gleich zu einem Mord führt? (279f)
Ist illiberal, wer solche Art von Religion mit einem Unwerturteil versieht, auch wenn sie nicht gleich zu einem Mord führt? Wieder wird aus dem Kontext deutlich, dass diese Frage nur als rhetorische Frage verstanden werden kann. Ayham Sürücü erschoss seine Schwester, weil sie anders lebte. Es scheint selbstverständlich, dass man nicht illiberal ist, wenn man solche Art von Religion mit einem Unwerturteil versieht. Erneut kann die rhetorische Frage in einen Topos beziehungsweise mehrere Topoi aufgelöst werden: Weil der Mordschütze Ayham Sürücü eine breite Meinungsrichtung unter Muslimen repräsentiert, ist diese Meinungsrichtung abzulehnen. Solche Art von Religion, wie Ayham Sürücü sie vertritt, ist auch dann abzulehnen, wenn sie nicht zum Mord führt. Wenn man solche Art von Religion mit einem Unwerturteil versieht, ist man nicht illiberal. Es wird an dieser Stelle bereits deutlich, dass über die Verwendung von rhetorischen Fragen weitere negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam entstehen. Rhetorische Fragen können in Topoi aufgelöst werden, die sich in den aufgezeigten Beispielen um die Ablehnung der muslimischen Zuwanderung drehen. Auch im Beispiel 77 ist dieses Phänomen zu beobachten.
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 313 77.
In Berlin werden rund 20 Prozent aller Gewalttaten von nur 1000 türkischen und arabischen jugendlichen Tätern begangen, eine Gruppe, die 0,3 Promille der gesamten Berliner Bevölkerung stellt. Aber im Integrationsbericht der Bundesregierung wird deren Kriminalität relativiert. Es heißt dort: „Zumindest für die Gruppe junger Menschen gehen Kriminologen davon aus, dass bei einem Vergleich der Gruppe mit gleichen familiären, schulischen und sozialen Rahmenbedingungen sowie übereinstimmende Werteorientierung eine höhere Belastung von Nichtdeutschen letztlich nicht mehr feststellbar“ sei. Bei diesem Geschwurbel wird offenbar empirische Wissenschaft mit politischer Theologie verwechselt. Wem ist eigentlich geholfen, wenn man offenkundige Tatsachen unterdrückt, die selbst die einsichtigen Betroffenen nicht leugnen. (297)
Die rhetorische Frage Wem ist eigentlich geholfen, wenn man offenkundige Tatsachen unterdrückt, die selbst die einsichtigen Betroffenen nicht leugnen? implikatiert Niemandem ist geholfen, wenn man offenkundige Tatsachen unterdrückt, die selbst die einsichtigen Betroffenen nicht leugnen. Interessanterweise tritt auch hierbei gleichzeitig eine Präsupposition auf. Präsupponiert wird, dass im Integrationsbericht der Bundesregierung Tatsachen unterdrückt werden. Dabei wird der Bundesregierung unterstellt, dass sie die hohe Kriminalität der muslimischen Zuwanderung bewusst verschleiert. Die durch die rhetorische Frage entstehende Implikatur kann ebenfalls in einem Topos ausgedrückt werden. Weil es offenkundig ist, dass viele muslimische Migranten gewalttätig sind, ist niemandem geholfen, wenn diese Tatsache verschleiert wird. beziehungsweise: Weil es offenkundig ist, dass viele muslimische Migranten gewalttätig sind, müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen/die muslimische Zuwanderung kritisch betrachten. Im vorliegenden Beispiel taucht zudem die Bezeichnung Geschwurbel auf, dessen Bedeutung aus deren Phonologie sowie aus der Analogie zu Geschwafel hervorgeht. Erneut wird dadurch deutlich gemacht, dass im Integrationsbericht der Bundesregierung Tatsachen bewusst relativiert werden. Die in der rhetorischen Frage steckende Präsupposition wird also gleichzeitig durch die hier verwendete Wortneubildung unterstützt. Somit wird deutlich, wie die Formen der Bedeutungsbildung auf den verschiedenen Ebenen der Sprache gemeinsam an der Konstitution eines Konzepts beteiligt sind.
314 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 3.3.2 Bedeutungskonstitution durch Exemplifikation Im Kapitel Zuwanderung und Integration vollzieht sich die Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam außerdem häufig über die Darstellung eines konkreten Beispiels. Dieses Phänomen soll hier mit Bedeutungsbildung durch Exemplifikation bezeichnet werden. 78. Das Problematische am heutigen Islam ist die Kombination von im Grunde rückständigen Gesellschaften, jugendlichen, stark wachsenden Völkern und einem Sendungsbewusstsein, dessen Facetten von aggressionsfreier Frömmigkeit bis zum Djihad reichen, wobei die Übergänge fließend sind. 1997 sagte Erdogan, damals noch Oppositionsführer, übrigens: „Die Minarette sind unsere Lanzen, die Kuppeln unsere Helme, die Gläubigen sind unsere Armee.“ (268)
In Beispiel 78 wird ein weiteres Mal deutlich, wie verschiedene Formen der Bedeutungsbildung kombiniert werden, um ein bestimmtes Konzept Islam zu konstituieren. So wird die in Kapitel 3.2.2 angesprochene Form der Bedeutungsbildung durch den Fokus auf das Vorfeld ebenfalls in diesem Beispiel sichtbar. Indem der Fokus auf die Nominalphrase im Vorfeld Das Problematische am heutigen Islam gelegt wird, werden negative Bedeutungsaspekte konstituiert, da das substantivierte Adjektiv problematisch aufgrund seiner negativ-deontischen Bedeutung Schlagwortcharakter hat. Ebenfalls fällt hier wieder die Verwendung qualifizierender Adjektive (beziehungsweise Adjektivphrasen) auf, wenn von im Grunde rückständigen Gesellschaften und von jugendlichen, stark wachsenden Völkern die Rede ist. Interessanterweise evoziert der Ausdruck jugendlich in Verbindung mit dem Konzept Islam im untersuchten Kapitel häufig negative Bedeutungsaspekte, was unzählige Beispiele belegen. Im Folgenden sollen nur einige dargestellt werden: 79. Leider ist aber nicht zu bestreiten, dass unter den vielen teils uneindeutigen, teils widersprüchlichen Strömungen des Islam ein Gesellschaftsbild dominiert, bei dem die Trennung von Religion und Staat weitgehend noch nicht angekommen ist, die Gleichberechtigung der Geschlechter kaum existiert, wo vormoderne Lebensformen eine weitere deutliche Vermehrung der sowieso jungen Gesellschaften, auch bei den Migranten, begünstigen und insgesamt zu unseren Lebensformen eine große kulturelle Distanz besteht. (268f) 80. Die Geschichte des islamischen Terrorismus zeigt vielmehr, dass gerade gebildete junge Männer aus wohlhabenden muslimischen Familien – und zunehmend auch Konvertiten aus europäischen Ländern – besonders anfällig sind für radikale Positionen bis hin zur Unterstützung von Terror. (277) 81. In Bonn erregten die systematischen Überfälle jugendlicher Migranten auf Gymnasiasten im ansonsten friedlichen Stadtteil Bad Godesberg Aufsehen. Ein Fußballverein klagte dort, dass sein Integrationsmodell von einem syrischen Club torpediert werde, der die jungen Araber abwerbe und ihnen alles durchgehen ließe. Als ein junger Ma-
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 315 rokkaner, der aussieht wie ein Deutscher, in die Fänge der Gewalttäter geriet und mit ihnen arabisch sprach, haben sie ihn gar nicht verstanden. Offenbar sind Teile dieser Jugend mittlerweile im sprachlichen Niemandsland angekommen. (291) 82. Während das Kopftuch unter den Älteren auch Ausdruck der bäuerlichen Tradition war, ist es unter den Jüngeren, soweit es freiwillig getragen wird, ein bewusst gesetztes Signal. (314) 83. Für 90 Prozent der Hochreligiösen unter den Muslimen sind Familie und Kinder sehr wichtig, und die jungen Muslime sind religiöser als die älteren. (319) 84. Aus den männlichen arabischen Kindern dieser Grundschule werden die jugendlichen Gewalttäter von morgen, während die jungen Mädchen früh heiraten, viele Kinder bekommen und durch mehr Transferleistungen das Familieneinkommen sichern. (323f)
Die Beispiele verdeutlichen, dass gerade das Konzept der jugendlichen Muslime sehr negativ konstituiert wird. Die junge muslimische Gesellschaft wird als bedrohlich wahrgenommen, weil sie sich schnell vermehrt (Beispiel 79), jugendliche Muslime besonders anfällig sind für radikale Positionen (80), Teile dieser jugendlichen Gesellschaft im sprachlichen Niemandsland verschwinden (81), die jungen Muslime religiöser sind als die älteren und das Kopftuch als bewusstes Signal tragen (82+83). Jugendliche Muslime sind häufig gewaltbereit, vermehren sich schnell und sichern das Familieneinkommen durch Transferleistungen (84). In Kombination mit dem Konzept Islam erhält das sonst positiv-deontische Konzept Jugendlichkeit also negative Bedeutungsaspekte. Durch die Zuschreibung vieler negativer Eigenschaften wird das Konzept jugendlicher Muslim/jugendlicher Islam negativ-deontisch. Im Beispiel 78 entstehen negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam jedoch schließlich auch durch die Verwendung eines konkreten Beispiels: Sarrazin zitiert an dieser Stelle eine Aussage des derzeitigen Ministerpräsidenten der Türkei, der zur Zeit der Äußerung noch Oppositionsführer war. Durch die Verwendung der Metapher Die Minarette sind unsere Lanzen, die Kuppeln unsere Helme, die Gläubigen sind unsere Armee stellt Erdogan einen Bezug zwischen dem Konzept Religion und dem Konzept Krieg her. Indem Sarrazin hier also aufzeigt, dass selbst der Ministerpräsident der Türkei den Islam mittels Kriegsmetaphorik beschreibt, unterstützt er seine oben angeführte These, dass der Islam ein Sendungsbewusstsein hat, dessen Facetten von aggressionsfreier Frömmigkeit bis zum Djihad reichen, wobei die Übergänge fließend sind. Ein Zusammenhang zwischen seiner These und dem angefügten Zitat wird hier erneut implikatiert. Der Leser nimmt den Zusammenhang aufgrund des Relevanzprinzips an. Wenn selbst der derzeitige Präsident der Türkei, eines laizistischen Staates, sich also solch einer Redeweise bedient, dann wird somit deutlich, dass die Übergänge zwischen aggressionsfreier Frömmigkeit und dem Djihad flie-
316 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab ßend sind. Die hier hervorgerufene Implikatur kann somit erneut in einem Topos ausgedrückt werden: Dass selbst der Präsident der Türkei einen Zusammenhang zwischen Religion und Krieg herstellt, zeigt, dass der Islam zur Gewaltbereitschaft tendiert. Folgendes Beispiel zeigt ebenfalls Bedeutungsbildung durch Exemplifizierung: 85. Deutlich wurde dies erstmals, als Ajatollah Chomeini eine Fatwa gegen den indischbritischen Autor Salman Rushdie aussprach, weil dieser sich ein paar dichterische Freiheiten erlaubt hatte. Wegen einiger Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung gab es dann 2005 weltweit islamische Demonstrationen und Gewalttätigkeiten mit 150 Toten. (266)
Die im Auszug aufgeführten Beispiele, die Aussprache der Fatwa durch Ajatollah Chomeini, die Demonstrationen als Reaktion auf die in einer dänischen Zeitung abgedruckten Mohammedkarikaturen werden hier als Beleg angeführt, dass das westliche Abendland sich durch die muslimische Immigration (…) mit autoritären, vormodernen, auch antidemokratischen Tendenzen konfrontiert sieht, die nicht nur das eigene Selbstverständnis herausfordern, sondern auch eine direkte Bedrohung unseres Lebensstils darstellen (vgl. Beispiel 27.) Die Beispiele dienen also als Stütze im folgenden Topos: Dass Chomeini eine Fatwa gegen Salman Rushdie ausgesprochen hat, dass Muslime aufgrund von Mohammed-Karikaturen zu gewaltbereiten Demonstrationen neigen, belegt, dass die muslimische Immigration das westliche Abendland mit autoritären, vormodernen und antidemokratischen Tendenzen konfrontiert. beziehungsweise: Weil es Beispiele für gewaltbereite Muslime gibt, ist die muslimische Zuwanderung abzulehnen/kritisch zu betrachten. Beispiel 86 wurde schon einmal bei der Bedeutungsbildung durch eine rhetorische Frage diskutiert: 86. Der 18-jährige Mordschütze Ayham Sürücü, der im Februar 2005 in Berlin im Auftrag seiner strenggläubigen türkisch-kurdischen Großfamilie seine fünf Jahre ältere Schwester Hatun Sürücü erschoss, weil sie anders lebte, war streng religiös und Repräsentant einer breiten Meinungsrichtung unter Muslimen. (279f)
Es wird hier erneut aufgeführt, weil es ebenfalls ein Beispiel für die Bedeutungsbildung durch Exemplifikation ist. Ayham Sürücü, dem Sarrazin das Att-
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 317
ribut Mordschütze beifügt und zudem weitere Informationen über ihn in einem Relativsatz verdichtet, nämlich, dass er im Februar 2005 in Berlin im Auftrag seiner strenggläubigen türkisch-kurdischen Großfamilie seine fünf Jahre ältere Schwester Hatun Sürücü erschoss, weil sie anders lebte, wird hier als Repräsentant einer breiten Meinungsrichtung unter Muslimen dargestellt. Es bedarf keiner Erklärung, dass der hier beschriebene, im Auftrag der Familie durchgeführte Mord an der eigenen Schwester vom Leser verurteilt wird. Ayham Sürücü wird schon durch das Attribut Mordschütze mit negativen Bedeutungsaspekten behaftet. Der Relativsatz disqualifiziert ihn schließlich völlig. Wenn das, was Ayham Sürücü getan hat, eine breite Meinungsrichtung unter Muslimen repräsentiert, so ist hier eine Schlussfolgerung implikatiert, die besagt, dass diese breite Meinungsrichtung schließlich von der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert werden kann. 87. Das Beispiel Neukölln (299)
Das Beispiel Neukölln ist die Überschrift eines ganzen Unterkapitels im Kapitel Zuwanderung und Integration. Sarrazin beschreibt darin die Probleme des Berliner Stadtteils Neukölln und stellt schließlich dessen Bedeutung für den gesamten Diskurs um die Integration muslimischer Zuwanderung selbst dar: 88. Die Situation in Neukölln bringt die Frage der muslimischen Zuwanderung exemplarisch auf den Punkt. Es geht um die geballte Mischung aus Mangel an Bildung, fehlenden Sprachkenntnissen, aus Transferabhängigkeit, traditionellen Lebensformen, Jugendkriminalität, kultureller Distanz, und es geht um die Verfestigung dieser Mischung. (304)
Mithilfe der Darstellung eines konkreten Beispiels – so führt das Sarrazin hier in Beispiel 88 selber aus – soll deutlich gemacht werden, worum es bei der Frage um die muslimische Zuwanderung eigentlich geht. Bei seiner Ausführung verwendet Sarrazin eine Reihe an Schlagwörtern beziehungsweise Schlagausdrücken: Mangel an Bildung, fehlende Sprachkenntnisse, Transferabhängigkeit, traditionelle Lebensformen, Jugendkriminalität, kulturelle Distanz, Verfestigung dieser Mischung. Während einige dieser Ausdrücke ihre negativ-deontische Bedeutung auch isoliert evozieren, rufen andere Ausdrücke negativ-deontische Bedeutung hier durch den Kontext auf. So evoziert der Ausdruck traditionelle Lebensformen nur deshalb negativ-deontische Bedeutung, weil er im Kapitel häufig im Kotext anderer negativ-deontischer Ausdrücke steht, wie auch die folgenden Beispiele zeigen.
318 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab 89. überdurchschnittliche Religiosität mit wachsender Tendenz zu traditionalen beziehungsweise fundamentalistischen Strömungen des Islam (264) 90. Überall in Europa ging man zunächst – nachträglich erscheint das naiv – davon aus, dass diese Migranten das abendländische Wertsystem – Demokratie, kulturelle und religiöse Freiheit, individuelles Streben nach Wohlstand und Selbstverwirklichung – teilen und dass sich die Unterschiede in zwei, spätestens drei Generationen verwischen würden. Das geschah nicht, im Gegenteil: Unter den eingewanderten Muslimen und ihren Nachkommen nahm die Tendenz zu, sich kulturell und räumlich abzugrenzen. Das europäische Sozialsystem behinderte die Integration in den Arbeitsmarkt und erleichterte es, unter sich zu bleiben – auf Kosten der europäischen öffentlichen Kassen. Die traditionalen autoritären Familienstrukturen blieben erhalten. (264f) 91. Durch die traditionellen Ansichten, die viele Migranten mitbringen, werden plötzlich wieder alle Fragen hinsichtlich der Stellung der Frau diskutiert, und das Recht auf freie Meinungsäußerung ist wieder umstritten. (266)
Wenn wie in Beispiel 89 die traditionalen sowie die fundamentalistischen Strömungen durch den Ausdruck beziehungsweise verbunden werden, so werden den beiden Adjektiven gleiche Bedeutungsaspekte zugeschrieben, bedeutet doch beziehungsweise laut Onlineausgabe des DUDEN „oder; oder vielmehr, genauer gesagt“162. Da fundamentalistisch negativ-deontische Bedeutung evoziert – das Morphem -ist wurde in Kapitel 3.1.2 bereits ausführlich diskutiert – übertragen sich diese Bedeutungsaspekte durch den Kotext auch auf das Adjektiv traditional. Auch in 90 wird deutlich, dass traditional negative Bedeutungselemente evoziert. Sie entstehen auch hier durch den Kotext: Die Muslime grenzen sich kulturell und räumlich ab, sie bleiben unter sich, erhalten ihre traditionalen autoritären Familienstrukturen. Auch wenn die traditionellen Ansichten der Migranten als ein Grund angeführt werden, warum plötzlich wieder alle Fragen hinsichtlich der Stellung der Frau diskutiert werden und das Recht auf freie Meinungsäußerung wieder umstritten ist, erhält der Ausdruck traditionelle Ansichten hier Schlagwortcharakter durch die Konstitution von negativdeontischer Bedeutung. Im gesamten Kapitel Das Beispiel Neukölln werden anhand von konkreten Beispielen des Berliner Stadtteils Neuköllns ein Konzept Islam beziehungsweise Muslime konstituiert. Muslime werden gekennzeichnet als eine Gruppe von Zuwanderern, der es an Bildung sowie an Sprachkenntnissen mangelt, die von Sozialleistungen lebt und sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt. Das
162 http://www.duden.de/suchen/dudenonline/beziehungsweise; 31.05.2013.
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konkrete Beispiel Neukölln gilt als Stütze für die Konklusion, dass die muslimische Zuwanderung abzulehnen ist. 92. Die meisten lesen keine deutsche Zeitung, schon gar keine deutschen Bücher. Die meisten sehen ausschließlich türkisches Fernsehen, kaufen in türkischen Läden und haben keine privaten Kontakte zu Deutschen. (306)
In Beispiel 92 werden weitere konkrete Beispiele für Eigenschaften muslimischer Zuwanderer gegeben: Die meisten lesen beispielsweise keine deutsche Zeitung, keine deutschen Bücher, haben keine privaten Kontakte zu Deutschen und kaufen nur in türkischen Läden ein. Das konkrete Beispiel dient hier als Konklusion im implikatierten Topos: Weil die meisten muslimischen Zuwanderer keine deutsche Zeitung oder Bücher lesen, sind sie nicht integriert in die deutsche Gesellschaft. Weil die meisten muslimischen Zuwanderer keine Kontakte zu Deutschen haben, sind sie nicht integriert in die deutsche Gesellschaft. usw. Es wird deutlich, wie mithilfe des konkreten Beispiels bestimmte Denkmuster implikatiert werden. Diese Implikaturen betreffen Informationen darüber, was Integration eigentlich bedeutet, Begründungen dafür, warum die muslimische Zuwanderung abzulehnen beziehungsweise kritisch zu betrachten ist.
3.3.3 Bedeutungsbildung durch Verallgemeinerung Wenn im Kapitel Zuwanderung und Integration Bedeutungsbildung häufig über das Mittel der Exemplifikation durchgeführt wird, so verwendet Sarrazin dort auch das gegenteilige Mittel, nämlich die Verallgemeinerung, und konstituiert dadurch ebenfalls Bedeutungselemente im Konzept Islam. 93. Der Mensch ist ein territorial orientiertes Wesen. (…) Daneben ist er auch ein gruppenorientiertes Wesen. (…) Überall wirkt der Gegensatz von „Die“ und „Wir“ und schafft Bindung und Solidarität durch Abgrenzung, ist aber stets auch der Ausgangspunkt für Streit, Aggression und Gewalt. (…) Das in der Gruppenzugehörigkeit liegende Bindungs- und Kooperationsverhalten ist neben der menschlichen Intelligenz die wesentliche Quelle seines Erfolgs als Gattung, es ist allerdings auch gleichzeitig die Quelle aller Kriege und eines großen Teils der Gewalt, die Menschen gegen Menschen ausüben. (255f)
320 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Sarrazin führt in das Kapitel Zuwanderung und Integration ein, indem er das, was er im Laufe dieses Kapitels darstellen möchte, auf die Menschheit im Allgemeinen abstrahiert (Beispiel 93). Es liegt somit sozusagen in der Natur des Menschen, der sowohl ein territorial orientiertes als auch ein gruppenorientiertes Wesen ist, dass er sich wiederum von anderen Gruppen abgrenzt und es dadurch zu Krieg und Gewalt kommt, die Menschen gegen Menschen ausüben. 94. Die großen Wanderungsbewegungen verliefen selten unblutig, es sei denn, die Einwanderer ließen sich auf unbesiedeltem Terrain nieder. (257)
In Beispiel 94 wird der Zusammenhang zum Integrationsdiskurs schließlich ganz deutlich: Wenn Menschen umsiedeln, so kommt es nach Sarrazin häufig zu Auseinandersetzungen, die in der Geschichte der Menschheit selten unblutig verliefen. Auch da kommt die Auffassung zutage, dass eine Debatte wie die Integrationsdebatte quasi in der Natur des Menschen liegt. Hierbei fällt bereits das Argumentationsmuster auf: Weil der Mensch ist wie er ist, kommt es durch die Zuwanderung der Migranten zwangsläufig zu Problemen. Die Probleme, die sich aus der Zuwanderung ergeben, werden damit als unvermeidlich dargestellt. In Beispiel 95 werden die Debatten um Zuwanderung ebenfalls durch die Abstraktion auf ein allgemeines Phänomen begründet:
95. Die Aufhebung von Binnengrenzen in staatlichen Organisationen hatte aber auch immer die Abgrenzung nach außen zur Voraussetzung, und das staatliche Großgebilde war umso stabiler und überdauerte umso länger, je besser die Sicherung der Außengrenzen gelang. Diese dienten nicht nur dem Schutz vor militärischen Einfällen, sondern auch der Zuwanderungskontrolle. (256)
Auch aus dieser Äußerung lässt sich ein Topos ableiten: Weil Zuwanderung in der Geschichte der modernen Zivilisation immer kontrolliert wurde, sollte sie auch heute kontrolliert werden. Dieser Topos wird implikatiert. Die Abstraktion auf die Menschheitsgeschichte kann für den Leser nur dann sinnvoll interpretiert werden, wenn sie eine Relevanz für die hier diskutierte Integrationsdebatte erhält. Somit kommt es auch bei der Bedeutungsbildung durch Abstraktion zu Implikaturen, die in Topoi aufgelöst werden können. An verschiedenen Stellen bekräftigt Sarrazin die hier abgeleiteten Topoi, etwa wenn er aussagt:
3. Formen der Bedeutungskonstitution in Deutschland schafft sich ab 321 96. Die Aufhebung von Binnengrenzen in staatlichen Organisationen hatte aber auch immer die Abgrenzung nach außen zur Voraussetzung, und das staatliche Großgebilde war umso stabiler und überdauerte umso länger, je besser die Sicherung der Außengrenzen gelang. Diese dienten nicht nur dem Schutz vor militärischen Einfällen, sondern auch der Zuwanderungskontrolle. (256) 97. In deutschen Medien wird dies häufig ausgeblendet. Zuwanderungsfragen werden dort oft mit mahnend erhobenem Zeigefinger behandelt und mit einer Attitüde, die wohl am treffendsten charakterisiert wird durch das Sprüchlein: „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb.“ Dieser Ansatz ist so unhistorisch wie albern. (257)
Sarrazin versucht deutlich zu machen, dass Zuwanderungskontrolle sowie die Abgrenzung in verschiedenen Gruppen mit der Natur und der Geschichte des Menschen erklärt werden kann, dieser Aspekt in der Diskussion in den Medien jedoch häufig ausgeblendet wird. Indem also ausgesagt wird, dass die Probleme mit der muslimischen Zuwanderung mit der Geschichte des Menschen und mit seiner Natur erklärt werden können, wird begründet, warum es in Ordnung ist, Zuwanderung kritisch zu betrachten beziehungsweise abzulehnen. Auch das Verhalten der muslimischen Zuwanderer begründet Sarrazin durch die Abstraktion auf das menschliche Verhalten im Allgemeinen: 98. Der Mensch bevorzugt das Vertraute und pflegt dem Fremden gegenüber Distanz zu zeigen. Das gilt für Sprache Speisen, Sitten und Gebräuche. „Gleich und gleich gesellt sich gern“, heißt es. So ist es nur verständlich, dass Einwanderer in einer fremden Umgebung zunächst die Nähe der eigenen Landsleute, das vertraute Umfeld der eigenen Sprache, der eigenen Religion und der eigenen Lebensweise suchen. Mit der Zeit verliert sich das dort, wo die Menschen für ihren Lebensunterhalt selber aufkommen, denn dazu muss man hinaus ins „feindliche“ Leben und Geld verdienen. (…) Parallelgesellschaften lösen sich schneller auf, je mehr eine Einwanderergruppe bereit ist, sich zu integrieren, und je erfolgreicher sie wirtschaftlich und im Allgemeinen ist. (293f)
Auf das Allgemeine abstrahiert Sarrazin schließlich auch, dass sich mit der Zeit dieses verliert, dass sobald man für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen möchte, sich in das „feindliche“ Territorium begeben muss. Damit wird in diesem Beispiel für Bedeutungsbildung durch Verallgemeinerung wiederum folgender Topos implikatiert: Wer in sogenannten Parallelgesellschaften lebt, hat kein Interesse daran, seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Auf das Allgemeine abstrahiert Sarrazin auch die Annahme, dass sich Parallelgesellschaften schneller auflösen, je mehr eine Einwanderergruppe bereit ist, sich zu integrieren, und je erfolgreicher sie wirtschaftlich und im Allgemeinen ist. In
322 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Kombination mit verschiedenen Beispielen an unterschiedlichen Stellen des untersuchten Kapitels tritt auch hier das Denkmuster zutage, dass Zuwanderung nur dann akzeptiert werden darf, wenn die jeweilige Zuwanderungsgruppe neben der Bereitschaft zur Integration auch wirtschaftlichen Erfolg für das Gastland mit sich führt.
3.3.4 Zusammenfassung Es konnte deutlich gemacht werden, dass durch die Formen der Bedeutungsbildung, die auf der Ebene des durch den Handlungskontext Mitzuverstehenden – also auf einer pragmatischen Ebene – anzusiedeln sind, häufig Implikaturen entstehen, die sich wiederum in Topoi auflösen lassen. Diese zugrunde liegenden Denkmuster, die in den Äußerungen zwischen den Zeilen stehen, konstituieren erneut negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam. Sarrazin etabliert auf diese Weise Argumente, die die Ablehnung muslimischer Zuwanderung stützen oder die gescheiterte Integration belegen. Die Formen der Bedeutungsbildung, die auf dieser dritten Ebene der Sprache, auf der Ebene der Pragmatik angeordnet werden, sind allesamt flächige Formen der Bedeutungsbildung. Bedeutung entsteht dabei über weite Teile des Textes hinweg, zumeist zwischen den Zeilen (vgl. Polenz 1989).
4. Vergleich mit Konzept A im Kölner Moscheebaudiskurs Während für die Teilnehmer des Moscheebaudiskurses mit Konzept A vor allem die Verbindung des Islam zur Politik eine herausragende Rolle gespielt und zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam geführt hat, legt Sarrazin den Fokus eher auf die angeblich vorherrschende Gewaltbereitschaft des Islam, wenngleich die Annahme, dass der Islam mit Politik verbunden ist, in einigen seiner Äußerungen deutlich wird (Bei keiner anderen Religion ist der Übergang zu Gewalt, Diktatur und Terrorismus so fließend (292); … dass unter den vielen (…) Strömungen des Islam ein Gesellschaftsbild dominiert, bei dem die Trennung von Religion und Staat weitgehend noch nicht angekommen ist (…) (264)). Das durch Sarrazin konstituierte Islamkonzept hat mit dem Konzept A außerdem gemein, dass von der Unvereinbarkeit des Islam mit der deutschen Gesellschaft ausgegangen wird. Als Begründung dafür gibt Sarrazin ebenfalls die seiner Meinung nach im Islam nicht vorherrschende Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen an (Millionen Frauen in unserer Mitte werden durch den sozialen Druck ihrer Religion und Kultur zur Beachtung von Kleidervor-
4. Vergleich mit Konzept A im Kölner Moscheebaudiskurs 323
schriften gezwungen, die sie als selbstständige Individuen herabwürdigen, und von ihren Familien an ihrer beruflichen und persönlichen Entfaltung gehindert (267)). Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Nicht-Differenzierung zwischen Islam und Islamismus. Islam ja, Islamismus nein? ist der Titel eines Unterkapitels in Zuwanderung und Integration. Sarrazin kommt darin zu dem Schluss, dass ein Unterschied zwischen Islam und Islamismus nicht vorhanden ist. 99. „Der Islam ist uns willkommen, der Islamismus nicht“, sagte Bundesinnenminister de Maiziere in seiner ersten Parlamentsrede nach Amtsantritt. Er sollte sich einmal mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan unterhalten, der 2008 erklärte: „Es gibt keinen Islam und Islamismus. Es gibt nur einen Islam. Wer etwas anderes sagt, beleidigt den Islam.“ (267) 100. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Islam in der großen Mehrheit seiner Strömungen der Aufklärung verweigert und dem Pluralismus ablehnend gegenübersteht, kann er nicht gedacht werden ohne Islamismus und Terrorismus, auch wenn 95% der Muslime friedliebend sind. (277)
Der in Beispiel 100 dargestellte Gegensatz zwischen dem Islam und der Aufklärung sowie dem Pluralismus spielt im Kapitel Zuwanderung und Integration eine herausragende Rolle. Damit werden – so hat die vorliegende Analyse gezeigt – weitere negative Bedeutungsaspekte im Konzept Islam konstituiert. Der Islam stehe im Widerspruch zum westlichen Wertesystem. Der gleichen Auffassung sind auch die Diskursteilnehmer mit Konzept A in der Debatte um den Bau einer Kölner Großmoschee. Die Auffassung, dass der Islam sich der Aufklärung verweigert, zieht eine Idee der Rückschrittlichkeit des Islam nach sich. Durch die Gleichsetzung des Islam mit dem Islamismus wird dem Islam zudem eine gewisse Bedrohlichkeit zugeschrieben. Dieser Eindruck der Bedrohlichkeit des Islam wird durch die im Kapitel Zuwanderung und Integration verwendete Metaphorik unterstützt. Wird der Islam personifiziert, so wird er beispielsweise häufig gleichzeitig als Gegner dargestellt. Die häufige Personifizierung des Islam unterstützt die im Kapitel III aufgestellte These, dass unter Islam nicht eine religiöse Lehre, sondern letztendlich häufig auch die Gesamtheit der Muslime verstanden wird. Nicht der Islam, die Muslime haben einen Heiligen Krieg geführt, verweigern sich der Aufklärung, treten fordernd auf etc. Dem Islam werden im Kapitel Zuwanderung und Integration in seiner Gesamtheit bestimmte Eigenschaften zu- oder abgesprochen. Die Kotextualisierungen von islam/muslim/moslem konnten bei der Analyse des Korpus zum Kölner Moscheebaudiskurses bezogen auf das Konzept A vor allem vier Kategorien zugeordnet werden: Islam und Politik, Islam und Gewaltbereitschaft, Islam und die Unterdrückung der Frau und Islam und Kritikfähigkeit. Die Kategorien
324 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Islam und Politik, Islam und Gewaltbereitschaft und Islam und die Unterdrückung der Frau spielen auch im Kapitel Zuwanderung und Integration eine Rolle, wobei vor allem die Gewaltbereitschaft der Muslime sowie die im Islam vorherrschende Unterdrückung der Frau thematisiert werden. Mangelnde Kritikfähigkeit wird dem Islam im untersuchten Kapitel aus Deutschland schafft sich ab ebenfalls zugeschrieben. Auch die Angst, sich durch Kritik am Islam dem Vorwurf des Rassismus und der Islamophobie auszusetzen, wird von Sarrazin thematisiert. 101. Die ausgeübte Gewalt wie auch der maßlose und aggressive Ton, der gegenüber Kritikern mancher Erscheinungsformen des Islam angeschlagen wird, wirken einschüchternd und haben bereits schleichend Einfluss genommen auf die Offenheit des europäischen Meinungsklimas. (279) 102. In der öffentlichen Debatte legte schließlich Patrick Bahners, Feuilletonchef der FAZ, das entscheidende Gewicht in die Waagschale. In einem hochintelligenten Artikel, den keiner verstand, wies er zwingend nach: Erst die kulturelle Selbstaufgabe des deutschen Bürgertums sei der Beleg dafür, dass es seine Liberalität wirklich ernst nehme. Er wiederholte zudem seine bereits 2010 gefallene Äußerung, dass »sich die Islamkritik tatsächlich mit dem Antisemitismus der Gebildeten im deutschen Kaiserreich vergleichen« lasse. (398) 103. Viele Stimmen in den deutschen Medien sind auf jeden Fall mit Begeisterung bereit, den Islamkritikern und mithin großen Teilen des deutschen Bürgertums Illiberalität und Xenophobie vorzuwerfen, und verlieren dabei das Gefühl für die Risiken zahlreicher Formen des Islam. Diese Auswüchse offenbarte auch die durch Birgit Rommelspachers taz-Artikel ausgelöste Diskussion. (280)
Bei der Konstitution eines Konzepts Islam in Deutschland schafft sich ab spielen aber neben den vier genannten Kategorien, die sich auch für die Sprecher mit Konzept A in der Analyse des Kölner Moscheebaudiskurses festmachen ließen, noch zwei weitere Kategorien eine besondere Rolle, nämlich Islam und Fertilität und Islam und Traditionalität. Sowohl die hohe Fertilität des Islam als auch seine Traditionalität werden als Gründe dafür angeführt, warum der Islam nicht nach Deutschland passe beziehungsweise nicht in die deutsche Gesellschaft integrierbar ist. Sowohl Fertilität als auch Traditionalität werden im Kotext von Islam zu Ausdrücken mit negativ-deontischer Bedeutung. 104. (…) die hohe Fertilität der muslimischen Migranten und die Einschränkung der Frauen, die viele abstößt, das alles bereitet der nicht-muslimischen Bevölkerung Sorgen und lässt ihre Ablehnung wachsen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. (278) 105. Eroberung durch Fertilität? (316) 106. Unabhängig davon, dass die deutsche Bevölkerung abnimmt, deutet sich aufgrund der Fertilitätsunterschiede zwischen Autochthonen und muslimischen Einwanderern
5. Resümee 325 eine Verschiebung der Strukturen an, und dies gilt mehr oder weniger für ganz Europa. (320) 107. überdurchschnittliche Religiosität mit wachsender Tendenz zu traditionalen beziehungsweise fundamentalistischen Strömungen des Islam (264) 108. Die traditionalen autoritären Familienstrukturen blieben erhalten. (264f) 109. Durch die traditionellen Ansichten, die viele Migranten mitbringen, werden plötzlich wieder alle Fragen hinsichtlich der Stellung der Frau diskutiert, und das Recht auf freie Meinungsäußerung ist wieder umstritten. (266)
Die Beispiele 104 bis 106 kotextualisieren den Ausdruck Fertilität und zeigen seine negative Deontik. So bereitet die hohe Fertilität Sorge, ein ganzes Unterkapitel aus Zuwanderung und Integration heißt Eroberung durch Fertilität, was auf die Wahrnehmung der Bedrohlichkeit der angeblich hohen Fertilität der Muslime schließen lässt. Sorge bereitet auch die angeblich hohe Traditionalität des Islam, was sich in den Beispielen 107 bis 109 widerspiegelt. In den Beispielen 111 und 112 wird die negativ-deontische Bedeutung von traditional durch weitere qualitative Adjektive deutlich gemacht (autoritär und fundamentalistisch), deren negative Bedeutungsaspekte sich dadurch auf traditional übertragen. Traditionalität wird mit Rückschrittlichkeit und der Unterdrückung der Frau in Verbindung gebracht (109). Die Eigenschaft der Traditionalität wird von Sarrazin außerdem vor allem mit jungen Muslimen beziehungsweise dem jungen Islam in Verbindung gebracht, sodass das Konzept Jugendlichkeit in Verbindung mit dem Konzept Islam ebenfalls negativ-deontisch wird (vgl. Kapitel 3.3.2)
5. Resümee Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass sich Bedeutungskonstitution auf verschiedenen Ebenen der Sprache vollzieht. Bedeutung kann durch die punktuelle Präsenz einzelner Ausdrücke entstehen, durch Schlagwörter oder Ad-hoc-Bildungen. Sie konstituiert sich jedoch zudem flächig. Dies wurde in der Betrachtung der Formen der Bedeutungsbildung deutlich, die auf der pragmatischen Ebene der Sprache anzusiedeln sind. Es konnte jedoch auch gezeigt werden, dass erst die Kombination und die Wiederholung bestimmter Formen ein bestimmtes Islamkonzept konstituieren. So spielt in Sarrazins Deutschland schafft sich ab die Konstitution zweier gegensätzlicher Pole eine Rolle, die durch die immer wiederkehrende Rede von einem wir und einem die konstruiert wird, aber auch durch die Konstitution einer semantischen Komplementarität zwischen abendländisch und islamisch. Das in Deutschland schafft sich ab konstituierte Konzept Islam ist negativ-deontisch. Das Lexem Islam erscheint häufig im Kotext negativ-deontischer Ausdrücke, die sich schließlich auf das Konzept
326 IV. Das Konzept Islam in Sarrazins Deutschland schafft sich ab Islam übertragen, etwa Parallelgesellschaft oder Islamismus. Negative Bedeutungsanteile im Konzept Islam werden auch dann evoziert, wenn in Ad-hocBildungen bestimmte Einstellungen ausgedrückt werden: Multikulturalist, Gutmensch, Importbraut. Sarrazin schreibt – das hat das Kapitel 3.2.1 gezeigt – dem Islam aber auch häufig ganz direkt und explizit bestimmte Eigenschaften zu. Dass diese Prädikationen vom Leser als wahr angenommen werden können, wird durch den kommunikativ-pragmatischen Rahmen unterstützt. Der gewählte Rahmen macht das Gelingen der Konstitution von Konzepten überhaupt erst möglich. Diese wird zudem durch einen situationsangemessenen Stil fundiert. Für Deutschland schafft sich ab wählt Sarrazin einen wissenschaftlichen Stil, der die Konstitution eines bestimmten Konzepts Islam unterstützt. Durch den wissenschaftlichen Stil wird eine Fundiertheit der Äußerungen suggeriert. In Sarrazins Äußerungen wird auch dann ein bestimmtes Konzept Islam konstituiert, wenn beispielsweise bestimmte semantisch brisante Ausdrücke (wie beispielsweise Schlagwörter) ins Vorfeld verlagert werden. Durch die Position im Vorfeld erhalten diese Ausdrücke die besondere Aufmerksamkeit des Lesers. Eine weitere Form der Bedeutungsbildung, die auf der syntagmatischen Ebene anzuordnen ist, ist die Bedeutungsbildung durch Aufzählung, bei der durch die syntaktische Gleichsetzung einzelner Konstituenten eine Gleichsetzung bestimmter Bedeutungsanteile bewirkt wird. Besonders auffällig und effizient erscheint jedoch die Bedeutungsbildung durch Präsupposition. Auch aus den Präsuppositionen lassen sich bestimmte Topoi ableiten. Die Proposition der Präsupposition erscheint durch das Nicht-explizit-Machen als unstrittig. Eine Stütze der Argumentation kann auf diese Weise umgangen werden, weil die Inhalte der Präsupposition als selbstverständlich erscheinen. Zugrunde liegende Denkmuster lassen sich auch aus Implikaturen ableiten, die auf der Ebene des durch den Handlungskontext Mitzuverstehenden angesiedelt werden müssen. Diese Implikaturen entstehen beispielsweise durch rhetorische Fragen, durch Exemplifizierung oder Verallgemeinerung. Zur Frage der Integration von Migranten aus muslimischen Ländern enthält mein Buch „Deutschland schafft sich ab“ zahlreiche statistische und analytische Aussagen sowie Schlussfolgerungen daraus. Über die Interpretation des einen oder anderen Sachverhalts kann man sicherlich unterschiedliche Einschätzungen haben. Beleidigungen oder allgemeine Abqualifizierungen der Türken oder Araber als Volksgruppe oder des Islam als Religion enthält das Buch jedenfalls nicht. (WELT Online, 17.07.2011, Wie ein geprügelter Hund vom Multi-Kulti-Kiez verjagt)
Wenn Sarrazin mit Kritikern seines Buches in Kontakt gerät, die seine Ausführungen als Beleidigungen oder Abqualifizierungen empfinden, behauptet er
5. Resümee 327
häufig „Das hab’ ich so nicht gesagt, das steht nicht so in meinem Buch.“ (WELT Online, 15.07.2011, Sarrazin ist in Kreuzberg nicht willkommen) Dass Sarrazin ein Konzept Islam konstruiert, das starke negative Bedeutungsanteile aufweist, konnte mittels der vorliegenden Analysen nachgewiesen werden. Das konstruierte Islamkonzept ist mit dem in dieser Arbeit aus dem Segment des Kölner Moscheebaudiskurses herausgearbeiteten Islamkonzept A (vgl. Kapitel III) zu vergleichen, wenngleich bei Sarrazin noch zusätzliche Kategorien an der Konstitution dieses Konzepts beteiligt sind. Die detaillierte Textanalyse des Kapitels Zuwanderung und Integration hat aufgezeigt, dass Konzepte auf subtile Art und Weise entstehen und bei ihrer Konstitution verschiedene Formen der Bedeutungsbildung eine Rolle spielen, die auf den unterschiedlichen Ebenen der Sprache anzusiedeln sind. Dabei ist erneut deutlich geworden, dass für die Analyse eines Konzepts, das sich im Diskurs konstituiert, verschiedene text- und diskurslinguistische Methoden miteinander kombiniert werden müssen. Eine korpuslinguistische Untersuchung allein kann eine umfassende Bedeutungsanalyse nicht leisten. Auch eine framesemantische Untersuchung wie die in Kapitel III durchgeführte kann nur die Kotexte einzelner sprachlicher Ausdrücke erfassen. Die detaillierte Textanalyse hat schließlich gezeigt, wie auch subtil – teilweise sogar durch Syntax oder Satzzeichen – Bedeutungselemente konstituiert werden. Über diese Art der Analyse kann jedoch nur ein sehr kleines Textkorpus erfasst werden, was wiederum die Kombination mit anderen Methoden nahelegt.
V. Fazit Ob der Islam nach Deutschland gehört, da sind sich der derzeitige Bundespräsident Joachim Gauck und der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff weitgehend uneinig. Die Aussage Wulffs in seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Widervereinigung Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland relativierte Gauck, indem er bekannte: Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.163 Tatsächlich scheint es so zu sein, als stelle diese Aussage eine Relativierung der Aussage Wulffs dar. Für Gauck wie für viele andere der deutschen Gesellschaft scheint der Satz Die Muslime gehören zu Deutschland wesentlich akzeptabler zu sein als die Formulierung Der Islam gehört zu Deutschland. Der Vergleich der Reaktionen auf die beiden Äußerungen lässt darauf schließen, dass es zwischen der Bedeutung von Islam und der Bedeutung von Muslime gravierende Unterschiede gibt. Die vorliegende Arbeit hat jedoch gezeigt, dass nicht in allen Debatten um den Islam diese Trennlinie zwischen Islam und Muslime so scharf gezogen wird. Der öffentlichen Diskussion um den Islam liegt ein Konzept Islam zugrunde, das im Diskurs gespiegelt wird und zugleich auch dort entsteht. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, zu erfassen, mit welchen sprachlichen Mitteln ein solches Konzept konstituiert wird. Damit wurde ganz konkret die Frage danach gestellt, wie dieses spezielle Konzept gebildet wird, und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat beziehungsweise wie es in unterschiedlichen Debatten auch unterschiedlich konstruiert wird. Zum anderen interessierte ganz allgemein, wie Konzepte, die sich in Diskursen wie dem Islamdiskurs konstituieren, methodisch erfasst werden können. Mit der vorliegenden Arbeit wird eine Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft vertreten, deren Interesse darin besteht, zu erkennen und zu beschreiben, wie sich die Wissensbestände einer kulturellen Gemeinschaft sprachlich manifestieren. Leitend dabei ist immer ein konstruktivistischer Ansatz: Das Wissen einer Gesellschaft konstituiert sich zumeist durch Sprache. Der Ort, an dem dieses Wissen ausgehandelt wird, ist der Diskurs. Die linguistische Diskursanalyse macht es mithilfe ihrer zahlreichen Methoden möglich, diese Wissensbestände zu untersuchen. Die Arbeit hat diskutiert, ob eine linguistische Diskursanalyse deskriptiv verfahren oder kritisch sein sollte. Es wurde deutlich, dass das Offenlegen von Konstruktionsmechanismen fast immer eine kritische Haltung impliziert – sofern brisante Diskurse betrachtet werden, in denen un
163 Vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article106396522/Muslime-die-hier-lebengehoeren-zu-Deutschland.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.
V. Fazit 329
terschiedliche Positionen eingenommen werden können –, die allerdings nicht mit normativen Forderungen einhergehen sollte. Das kritische Moment einer linguistischen Diskursanalyse ist oftmals eine unvermeidliche ‚Nebenerscheinung‘, die aus der Analyse solcher gesellschaftlich brisanten Diskurse hervorgeht. Leitend für die Analyse war die Annahme, dass Bedeutung sowohl ein punktuelles als auch ein flächiges Phänomen ist (vgl. Gardt 2009 und 2013). Ein Konzept Islam kann zum einen evoziert werden, indem etwa der Ausdruck Islam selbst verwendet wird oder auch ein anderer Ausdruck, mit dem Islam konventionell assoziiert wird – wie etwa Moschee. Zum anderen kann das Konzept Islam aber auch – wie das Beispiel aus dem SPIEGEL-Artikel Aufstand der Bräute in der Einleitung dieser Arbeit verdeutlicht hat – durch eine Reihe von Schlüsselausdrücken und der Art und Weise ihrer Kombination aufgerufen werden. In diesem Fall funktioniert die Bedeutungsbildung flächig. Konzepte können somit auf sehr viele Arten und Weisen konstituiert werden. Sie bilden sich auf der lexikalischen Ebene durch die Verwendung bestimmter Ausdrücke, sie bilden sich auf der syntagmatischen Ebene, beispielsweise durch eine syntaktische Gleichsetzung verschiedener Konstituenten, und sie konstituieren sich zudem ‚zwischen den Zeilen‘, also durch das, was Polenz (1989) als „durch den Handlungskontext Mitzuverstehendes“ beschreibt. Die vorliegende Arbeit hat deutlich gemacht, dass erst durch die Kombination verschiedener Methoden, die auf Korpora unterschiedlicher Größe zugreifen, eine umfassende Bedeutungsanalyse, eine Analyse von Konzepten, gelingen kann. Eine erste Methode, die sich für die Beschreibung eines Konzepts wie des Konzepts Islam als besonders ertragreich erwies, war die Korpuslinguistik. Mit deren Hilfe ist es möglich, ein sehr großes Korpus zu betrachten und dabei Musterhaftigkeiten und Regelhaftigkeiten aufzuzeigen. Für die vorliegende Arbeit wurden dabei, wie von Bubenhofer (2009) vorgeschlagen, qualitative und quantitative Zugänge miteinander kombiniert. Vor allem die corpus-driven Verfahren zeigten Vorteile gegenüber anderen Methoden der linguistischen Diskursanalyse. Über solch eine korpusgesteuerte Analyse geraten Sprachdaten in den Blick, die bei einer Analyse ‚per Hand‘ vielleicht gar nicht aufgefallen wären. Während andere Methoden der linguistischen Diskursanalyse doch häufig interpretativ gelagert sind, ist es mithilfe des corpus-driven Zugangs möglich, die gegebenen Daten zu objektivieren. Aber auch die korpusbasierten Methoden ermöglichen die Beschreibung von Bedeutungsaspekten von Konzepten. Geht man davon aus, dass die Kotextualisierungen eines Ausdrucks zumindest einen Teil seiner Bedeutung ausmachen, so kann man mithilfe von Kollokationsanalysen Teilaspekte der Bedeutung von Lexemen wie Islam ermitteln. Dabei ist es möglich,
330 V. Fazit konkrete Fragen sehr genau zu beantworten: Mit welchen attributiv gebrauchten Adjektiven wird ein Lexem näher beschrieben? Haben sich Bedeutungsaspekte eines Lexems im Laufe der Zeit verändert oder gibt es Unterschiede, wie ein bestimmter Ausdruck in verschiedenen Debatten in eine sprachliche Umgebung eingebettet wird? In welchen Kotexten taucht ein Lexem wie Islam überhaupt auf? Die Korpuslinguistik kann zur umfassenden Bedeutungsbeschreibung jedoch nicht hinreichend sein. Sie zielt – abgesehen von den corpus-driven Verfahren – immer darauf ab, einen bestimmten Suchausdruck in seinem Vorkommen in einer bestimmten sprachlichen Umgebung zu betrachten. Mithilfe solcher Analysen können Konzepte zwar skizziert werden; schließlich können wir davon ausgehen, dass wir etwas über die Bedeutung von Islam erfahren, wenn betrachtet wird, in welchem Kotext der Ausdruck Islam vorkommt. Zur umfassenden Bedeutungsanalyse reicht das Instrumentarium der Korpuslinguistik jedoch nicht aus, weil Bedeutung vorwiegend ein flächiges Phänomen ist und Konzepte oftmals über weite Teile eines Textes konstituiert werden. Ergänzend wurden deshalb anhand eines kleineren Korpus, das Texte aus dem Kölner Moscheebaudiskurs enthält, eine Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse durchgeführt. Diese Methoden stellen rein qualitative Analyseverfahren dar und haben gegenüber der Korpuslinguistik gewisse Vorteile, wenngleich damit nur ein wesentlich kleineres Korpus untersucht werden kann. Eine genauere Betrachtung der Texte ist also möglich, somit kann ein Konzept wie das Konzept Islam noch genauer beschrieben werden. Mittels der Frame-Analyse können neben den Kotextualisierungen eines bestimmten Lexems auch deren Präsuppositionen erfasst werden. In einer Äußerung wie Wir vertreten einen moderaten Islam spiegeln sich bestimmte Wissensbestände, so wie die Auffassung, dass es eben auch einen nicht-moderaten Islam geben muss (vgl. Kapitel III, 4.3.1). Auf diese Weise können weitaus differenziertere Aussagen über Konzepte getroffen werden, als es mit der Korpuslinguistik möglich ist. Die FrameAnalyse wurde in der Untersuchung mit einer Topos- und Schlagwortanalyse kombiniert. Die Topos-Analyse machte es möglich, auch bestimmte Standardwerte im Konzept Islam zu erfassen. Schlagwörter wiederum stellten häufig verkürzte Argumente für oder gegen den Bau der Moschee dar. Aber auch mittels der Frame-Analyse können nur die punktuellen Formen der Bedeutung erfasst werden, wird doch immer nur die Einbettung eines bestimmten Lexems in eine sprachliche Umgebung erfasst. Die Topos-Analyse lässt zwar den Blick auf einige flächige Formen der Bedeutungsbildung zu, jedoch konnte erst die detaillierte Textanalyse anhand eines einzelnen Textes aus dem Diskurs deutlich machen, auf welch vielfach verschiedene Weise ein Konzept Islam konstituiert werden kann. Die Analyse des Kapitels Zuwanderung
V. Fazit 331
und Integration aus Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab hat gezeigt, dass Konzepte auf den verschiedenen Ebenen der Sprache konstituiert werden. Mithilfe von einzelnen Ausdrücken wie Schlagwörtern oder qualifizierenden Adjektiven können Konzepte konstituiert werden, aber auch durch bestimmte syntaktische Strukturen oder Implikaturen, die erst erkennbar sind, wenn der Ko- und Kontext einer Äußerung betrachtet wird. In Deutschland schafft sich ab wurde erst durch die Kombination dieser verschiedenen Ebenen ein Konzept Islam konstituiert. Mithilfe dieser feingliedrigen Analyse war also eine sehr detaillierte Beschreibung des Konzepts Islam möglich, das durch einen einzelnen Akteur im Diskurs konstituiert wird. Damit wird zugleich die Grenze einer solchen Analyse deutlich: Das beschriebene Konzept bildet sich lediglich im untersuchten Text. Aussagen über den gesamten Diskurs können nach Abschluss einer solchen Analyse nur unzulänglich gemacht werden. Im vorliegenden Fall kann das Kapitel Zuwanderung und Integration aus Deutschland schafft sich ab nicht als repräsentativ für den gesamten Diskurs betrachtet werden. Es spiegelt sich darin eine einzige Position im Diskurs. Auf der Basis allein dieser Analyse hätten also keine Aussagen über das Konzept Islam, das der allgemeinen öffentlichen Debatte zugrunde liegt und zugleich in ihr konstituiert wird, getroffen werden können. Es konnte deutlich gemacht werden, dass es zur umfassenden Beschreibung eines Konzepts notwendig ist, die verschiedenen Methoden, die auf Korpora unterschiedlicher Größe abzielen, miteinander zu kombinieren. Jede der aufgeführten Methoden hat bestimmte Vorteile und ist zugleich für sich genommen in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Mithilfe der korpuslinguistischen Untersuchung konnte ein allgemeines Konzept Islam skizziert werden. So fiel beispielsweise während der quantitativen Untersuchung von N-Grammen die beinahe inflationäre Verwendung von in der islamischen Welt auf, an die sich eine qualitative Untersuchung anschloss und die Kollokation im Kotext betrachtet wurde. Dabei wurde deutlich, dass in der Diskussion um den Islam über die Ausdrücke islamische Welt und westliche Welt ein konträres Gegensatzpaar gebildet wird: 1.
2.
Das westliche Demokratieverständnis ruht auf der Vorstellung des autonomen Individuums. Für die islamische Welt, meist traditionelle Gesellschaften, steht dagegen die Gemeinschaft im Zentrum, nicht der Einzelne. (…) Die Freiheit des Individuums verwirklicht sich allein im Islam. (SPIEGEL, 19.12.2009 (S.102), Die Rückkehr des Allmächtigen) Die islamische Welt ist in sich tief gespalten, heterogen, von vielerlei Klüften und fremden Einflüssen geprägt. Der Unterschiede zum christlichen und nachchristlichen Europa gibt es viele, keiner prägender als die Abfolge der Revolutionen, die das Abendland veränderten, das Morgenland aber nicht. (WELT (Ausg. 288, S. 7), 10.12.2009, Die Schweiz ist anders)
332 V. Fazit Während etwa im Westen die Vorstellung eines autonomen Individuums existiert, steht in der islamischen Welt hingegen die Gemeinschaft im Vordergrund (1). In Beispiel 2 wird explizit gesagt, dass es viele Unterschiede zwischen der westlichen und der islamischen Welt gebe. Bezogen auf die islamische Welt schwingt hier die Idee der Rückschrittlichkeit mit, wenn ausgesagt wird, dass das Abendland eine Abfolge von Revolutionen prägt, das Morgenland jedoch nicht. Die genaue Betrachtung des Kotextes von islamische Welt hat gezeigt, dass nicht nur die Staaten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung muslimischen Glaubens ist, zur islamischen Welt gezählt werden können. Die Referenz der Kollokation variierte in den verschiedenen Beispielen aus dem Untersuchungskorpus. Es war also nicht ganz eindeutig auszumachen, was eigentlich diese islamische Welt ist. Dies ist vor allem deshalb erstaunlich, weil der Ausdruck im Diskurs überaus häufig gebraucht wird: Es wird eine Rede an die islamische Welt gehalten, mit der islamischen Welt in den Dialog getreten, Politik gegenüber der islamischen Welt gemacht, es gibt Bemühungen für eine Partnerschaft mit der islamischen Welt. Wenn mit jemandem in Dialog getreten wird oder Politik gegenüber jemandem gemacht wird, müsste das Patiens jedoch eindeutig benennbar sein. Durch die Wendung islamische Welt wird ein in sich geschlossener Raum konstruiert. Damit liegt ein Totalitätsbegriff im Sinne von Hermanns (1999) vor. Die westliche und die islamische Welt werden als ein konträres Gegensatzpaar dargestellt: Die Zugehörigkeit zur einen Welt schließt dabei die Zugehörigkeit zur anderen Welt aus. Obwohl also einerseits eine Geschlossenheit suggeriert wird, geht aus den untersuchten Textausschnitten nicht eindeutig hervor, was eigentlich die Referenz von islamische Welt ist. Die Idee dieser islamischen Welt ist also eine rein sprachliche Konstruktion. Bei der corpus-based Untersuchung ergab vor allem der Vergleich der attributiv gebrauchten Adjektive direkt vor Islam, Christentum und Judentum interessante Ergebnisse.
V. Fazit 333
Rang
ADJA vor Islam
ADJA vor Christentum
ADJA vor Judentum
1
politisch
orthodox
2
liberal
modern
3
radikal
westlich
deutsch
4
schiitisch
umfassend
ursprünglich
5
deutsch
aufgeklärt
lebendig
6
militant
orthodox
traditionell
7
europäisch
wehrhaft
8
aufgeklärt
friedfertig
9
türkisch
katholisch
10
wahr
früh
164
Tab. 37: ADJA165 (Lemma) vor Islam, Christentum und Judentum im Korpus „2009“
Unter den häufigsten attributiv gebrauchten Adjektiven vor Islam fanden sich u.a. politisch, radikal und militant, Adjektive mit negativ-deontischer Bedeutung – wobei politisch nicht für sich genommen negativ-deontisch ist, aber in Verbindung mit Islam immer negative Bedeutung evoziert. Zudem werden im Korpus der europäische Islam und der deutsche Islam thematisiert. Unter den Adjektiven fand sich nur eines mit positiv-deontischer Bedeutung: aufgeklärt. Christentum wurde durch attributiv gebrauchte Adjektive hinsichtlich der verschiedenen Konfessionen näher klassifiziert (evangelikal, katholisch, orthodox). Es fanden sich keine negativ-deontischen attributiv gebrauchten Adjektive vor Christentum. Liberal und friedfertig fielen als Adjektive mit positiv-deontischer Bedeutung auf. Auch die Adjektive vor Judentum unterschieden sich maßgeblich von denen vor Islam. Sie waren entweder wertneutral (ursprünglich, traditionell) oder positiv-deontisch (modern, lebendig). Bei der Betrachtung der Kotexte der Kollokationen aus attributiv gebrauchten Adjektiven und Islam wurde deutlich, dass diese Kollokationen Präsupposi
164 Das bedeutet, dass der Treetagger (Schmid 1994), mit dem das Korpus automatisch annotiert wurde, das Lemma, unter dem das einzelne Adjektiv im Lexikon abgespeichert ist (z.B. politischer – politisch), nicht ausfindig machen konnte. 165 ADJA ist die Bezeichnung für attributiv gebrauchtes Adjektiv nach dem Stuttgarter Tagset (http://www.ims.uni-stuttgart.de/forschung/ressourcen/lexika/TagSets/stts-table.html; zuletzt abgerufen am 31.05.2013.)
334 V. Fazit tionen hervorrufen. Der Ausdruck radikaler Islam präsupponierte die Existenz eines nicht-radikalen Islams, der Ausdruck aufgeklärter Islam die Existenz eines nicht-aufgeklärten Islam etc. Diese Präsuppositionen wurden durch die Kollokation attributiv gebrauchtes Adjektiv + Christentum beziehungsweise Judentum nicht ausgelöst – wobei natürlich festgehalten werden muss, dass es für die Ausdrücke Christentum und Judentum im Korpus insgesamt erheblich weniger Treffer gab, da es sich um ein Diskurskorpus Islam handelte. Diese Aufspaltung des Islam in verschiedene Teilformen zeigte sich in der Untersuchung eines Ausschnitts aus dem Kölner Moscheebaudiskurs mithilfe einer Frame-, Topos- und Schlagwortanalyse bestätigt. Vier verschiedene Islamkonzepte, die sich vor allem in der Anzahl der positiven beziehungsweise negativen evaluativen Bedeutungsanteile unterscheiden, hatte diese Untersuchung zum Ergebnis. Sie wurden mit A, B, C und D bezeichnet. Während Sprecher, denen das Konzept A zugeordnet werden kann, den Islam insgesamt negativ bewerten und ihm die Eigenschaft des Politisch-Seins, Gewaltbereitschaft und mangelnde Kritikfähigkeit zuschreiben sowie die Unterdrückung der Frau als wesentliches Merkmal betrachten, haben Sprecher, denen das Konzept B zugeordnet werden kann, insgesamt ein positives Islambild. Sie glauben, dass der Islam eine Religion wie das Judentum und Christentum sei. Hingegen nehmen die Sprecher mit Konzept A den Islam nicht mehr primär als eine Religion wahr: 3.
4.
Der Islam begreift sich nicht nur als spirituelle Weltansicht, sondern als Weltanschauung, die das alltägliche Leben, die Politik und den Glauben als eine untrennbare Einheit sieht. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol) Der Islam ist und macht Politik. (FAZ, 06.06.2007, Das Minarett ist ein Herrschaftssymbol)
Die anderen beiden Sprechergruppen nehmen eine Differenzierung vor: Sowohl Sprecher mit Konzept C als auch Sprecher mit Konzept D unterscheiden verschiedene ‚Islamformen‘, die von ihnen unterschiedlich bewertet werden. Das Konzept D zeichnet sich dadurch aus, dass die Sprecher gerade den ‚deutschen‘ Islam – im Sinne des Islam, der von deutschen Muslimen gelebt und repräsentiert wird – für gemäßigt halten. Die Unterscheidung verschiedener Islamformen findet sich ebenfalls bei den Sprechern, denen das Konzept C zugeordnet werden konnte. Diese sind jedoch der Meinung, dass es einen ‚guten‘, deutschen Islam noch nicht gibt, präsupponieren aber zugleich durch eben dieses noch, dass sie die Existenz eines guten Islam doch prinzipiell für möglich halten. Auffällig war, dass selbst muslimische Sprecher dem Islam nicht in seiner Gesamtheit bestimmte Eigen-
V. Fazit 335
schaften zu- oder absprechen, sondern ausweichen auf Formulierungen wie Wir vertreten einen moderaten Islam. Es scheint, als ob der Islam zuvor zu oft mit negativ-deontischen Ausdrücken in Verbindung gebracht wurde, so dass manche Sprecher vermeiden, dem Islam in seiner Gesamtheit bestimmte positive Eigenschaften zuzuschreiben. Um in der Diskussion standhalten zu können, schreiben sie nur bestimmten Formen des Islam diese positiven Eigenschaften zu. Eine Äußerung wie Wir vertreten einen moderaten Islam präsupponiert jedoch erneut die Existenz eines nicht-moderaten Islam. Die Analyse der Argumentationsmuster der einzelnen Sprecher hat gezeigt, dass der Islam in der Diskussion um den Kölner Moscheebau ausschließlich hinsichtlich seiner Bedeutung für die deutsche Gesellschaft reflektiert wird. Sofern sich der Islam beziehungsweise eine bestimmte Islamform als positiv für die deutsche Gesellschaft zeigt, ist er beziehungsweise diese Form auch als positiv zu bewerten. Der Islam muss offen, transparent, integrationsbereit, aufgeklärt, grundgesetzkonform, friedlich, gemäßigt usw. sein, um von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden. Bei der Diskussion um den Islam in Deutschland geht es also immer um die Vereinbarkeit mit der deutschen Gesellschaft. Im letzten Schritt der Untersuchung wurde eine Analyse eines einzelnen Textes durchgeführt. Dadurch konnte schließlich das Konzept Islam, das von einem Einzelakteur im Diskurs konstituiert wird, beschrieben werden. Es wurde gezeigt, wie der kommunikativ-pragmatische Rahmen eines Textes sowie der vom Autor gewählte Stil an der Konstitution von Konzepten beteiligt sind. Bei dem untersuchten Text, dem Kapitel Zuwanderung und Integration aus Deutschland schafft sich ab, wurde vom Autor Thilo Sarrazin ein wissenschaftlicher Stil gewählt, der die Konstitution des Konzepts Islam unterstützen soll. Das von Sarrazin konstruierte Islamkonzept hat stark negative Bedeutungsanteile. Sarrazin schreibt dem Islam zum Teil subtil, zum Teil aber auch sehr direkt bestimmte Eigenschaften zu. Es wurde deutlich, dass die Bedeutungsbildung durch Präsuppositionen besonders effizient ist. Dort, wo eine These in einer Präsupposition vorkommt, wird sie als unstrittig markiert. Denn dadurch, dass eine nicht-verifizierte Behauptung in eine Präsupposition verpackt wird, kann die Stützung dieser Behauptung umgangen werden. Will man nun die Richtigkeit einer Präsupposition infrage stellen, kann dies sprachlich nur erfolgen, indem man die Präsupposition explizit macht: 5.
Sichtbares Zeichen für die muslimischen Parallelgesellschaften ist das Kopftuch. Seine zunehmende Verbreitung zeigt das Wachsen der Parallelgesellschaften an. (299)
336 V. Fazit Im vorliegenden Beispiel liegt eine Existenzpräsupposition vor. Seine zunehmende Verbreitung zeigt das Wachsen der Parallelgesellschaften an präsupponiert, dass derzeit eine Verbreitung des Kopftuches stattfindet. Es wird deutlich, wie über die Präsupposition die Stützung des Arguments umgangen werden kann. Würde explizit ausgesagt werden, dass es derzeit eine Verbreitung des Kopftuchs gebe, so würde man eine Stützung dieser Behauptung erwarten. Zudem wird im Beispiel eine Kausalität zwischen dem Tragen eines Kopftuchs und der Existenz einer Parallelgesellschaft präsupponiert. Das bei Sarrazin konstruierte Konzept Islam ist dem durch die Texte des Untersuchungskorpus zum Kölner Moscheebaudiskurs evozierten Konzepts A am ähnlichsten. Sowohl Sarrazin als auch die Sprecher mit Konzept A gehen davon aus, dass der Islam nicht in die deutsche Gesellschaft integriert werden kann. Während die Sprecher des Kölner Moscheebaudiskurses diese Unvereinbarkeit mit der deutschen Gesellschaft vor allem damit begründen, dass sie dem Islam eine Verbindung zur Politik unterstellen, legt Sarrazin den Fokus mehr auf die von ihm angenommene vorherrschende Gewaltbereitschaft des Islam. Ähnlich wie auch in den untersuchten Texten der korpuslinguistischen Analyse deutlich wurde, konstruiert auch Sarrazin einen Gegensatz zwischen dem Islam und dem Westen. Diese Diskrepanz führt zur Ablehnung des Islam. Er wird als Bedrohung für die westliche Gesellschaft wahrgenommen. Anhand des Kapitels Zuwanderung und Integration konnte gezeigt werden, dass auch positive oder neutrale Ausdrücke im Kotext von Islam eine negative Deontik evozieren können. Das Konzept Jugendlichkeit in Verbindung mit Islam evoziert negative Bedeutungsanteile: Vor allem der ‚jugendliche Islam‘ wird als bedrohlich wahrgenommen. Auch das Konzept der Traditionalität erhält in Verbindung mit dem Konzept Islam negative Bedeutungsaspekte. Dabei wurde erneut deutlich, wie der Kotext die kognitive Realisation von Konzepten steuert: Während das Wort jugendlich isoliert eher positive Bedeutungsanteile aufruft, wird jugendlich in Verbindung mit dem Islam oder den Muslimen plötzlich negativ bewertet. In allen drei Analyseschritten wurde deutlich, dass die Diskursteilnehmer den Islam nicht ausschließlich als eine Religion wahrnehmen. Der Islam wird vielmehr konstituiert als eine soziale Gruppe oder Institution. In Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache wird jedoch eine Definition von Islam vorgeschlagen, die sich von der Bedeutung von Islam, wie sie im Diskurs konstituiert wird, unterscheidet. Denn der Großteil der Kotextualisierungen lässt darauf schließen, dass Islam nicht nur – wie etwa in der Online-Ausgabe des DUDEN sowie im DUDEN (2010) und bei Wahrig (2006) vorgeschlagen – „auf die im Koran niedergelegte Verkündigung des arabischen Propheten Mohammed zurückgehende Religion“ bedeutet, sondern vielmehr in Analogie zu Judentum und Christentum Gesamtheit aller Muslime. Im Untersuchungskorpus zum Köl-
V. Fazit 337
ner Moscheebaudiskurs etwa finden sich Äußerungen, in denen der Islam ein Statement gibt, Politik macht, sich als Siegel begreift oder sich bemüht, Unterschiede glaubhaft zu machen. Es findet also eine Personifizierung des Lexems Islam statt, die darauf schließen lässt, dass hier die Muslime gemeint sind, beziehungsweise der Islam nicht als religiöse Lehre, sondern als Institution verstanden wird. Die Muslime geben ein Statement und machen Politik im Namen des Islam. Die in Wörterbüchern angegebene Bedeutung von Islam müsste nach seiner Verwendungsweise im Diskurs eigentlich auf Gesamtheit der Muslime und Islam als Institution erweitert werden.
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Yvonne Scheller Thorsten Krauel Thomas Meyer Stephanie Rupp Perlentaucher Rainer Haubrich Autor unbekannt
nemark WELT
01.12.2009
WELT
03.12.2009
WELT
10.12.2009
Einer muss den Anfang
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machen
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De Maizière erwägt
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Ausweisung von Imamen
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Die Schweiz ist anders
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Henryk M. Broder Autor unbekannt Michael Stürmer
288 WELT
31.08.2010
WELT
27.05.2007
am Sonntag WELT am
23.12.2001
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01.02.2009
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Sonntag WELT am
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Sonntag WELT am
05.04.2009
Sonntag WELT am Sonntag
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Hannes Stein
den Genpool“
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Kulturkampf um Mo-
S.9, Heft
schee in Köln
21/2007
Muhammed Ali kämpft
S. 15
Autor unbekannt
Warum Erdogan seiner
S.10, Heft
Zafer Senocak
Wut freien Lauf lässt
5/2009
Kampagnenkarneval in
S.11, Heft
Indonesien
13/2009
Wie lächerlich ist Religi-
S.63, Heft
on
13/2009
Geheime Mission: Welt-
S.8, Heft
Alfred Hackens-
revolution
14/2009
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Laschet sieht Zuwande-
Die Woche
Peter Lamprecht
rung als Chance
im Landtag,
Kristian Frigelj
gegen Hass
Sonntag WELT am
„Hochzeiten bewahren
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Sophie Mühlmann Alan Posener
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schee
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Berlin,
Jens Anker Joa-
Bündnisoptionen aus
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chim Fahrun
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08.06.2007
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Franz Sommer-
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16.05.2007
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01.06.2007
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kel/1179819732524.shtml Heftiger Streit
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Religionen
kel/1181199508347.shtml
„Keine Kollek-
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Stadtanzei-
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Stadtanzeiger Kölner
Harald Biskup
10.06.2007
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Gäste mit
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Stadtanzei-
11.06.2007
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Timm Gatter
begrüßt Kölner
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Stadtanzei-
20.06.2007
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Stadtanzei-
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kel/1182318861714.shtml
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http://www.ksta.de/html/
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kel/1182404870269.shtml
Kölner
21.06.2007
21.06.2007
Thomas Mayer
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21.06.2007
Stadtanzeiger Kölner
21.06.2007
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27.06.2007
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11.07.2007
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Peter Berger,
Stadtanzei-
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feld, Bert Gerhards, Astrid Wirtz
Kölner
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Stadtanzei-
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Kölner
12.07.2007
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Autor unbe-
Stadtanzei-
13.07.2007
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Stephan Muckel
hindern Kölner
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Parteitag lässt
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Schramma im
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kannt
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Stadtanzei-
Brief im Wort-
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Stadtanzeiger Kölner
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Ralph Giordano
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„Meinen Sie
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1187344806202.shtml
Kritik ohne
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Muhammad
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Kölner
Kölner
Kölner
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Stadtanzeiger
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27.08.2007
Stadtanzeiger Kölner
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Paul Stelkens
Tobias Peter
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land/0,1518,488040,00.ht ml SPIEGEL
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Anna Reimann
deutschland/0,1518,488987,00.ht ml SPIEGEL
12.07.2007
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23.08.2007
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29.08.2010
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Matthias Dro-
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Monika Maier-
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Gelehrte des
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Online
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SUEDDEUT-
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Autor unbe-
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A. Seibel, H.
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