Das Ich im Wir

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Das Ich im Wir

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Axèl Honneth Das Ich im Wir Studien zur Anerkennungstheorie

In den Aufsãtzen dieses Bandes verfolgt Axel Honneth seine Überlegungen zu einer Theorie der Anerkennung weiter, vertieft klassische Fragestellungen und erschlieít neue Forschungsfelder. Im Vordergrund steht dabei die Absicht, die ursprünglich von Hegel entwickelten Ideen Rir eine zeitgenõs.sische Konzeption der Gerechtigkeit fruchtbar zu machen. Es soll aber auch gezeigt werden, dag von einem normativen Begriff der Anerkennung aus eine Brücke zu sozialwissenschaft!ichen Themen zu sch!agen ist, wie sie in der soziologischen Gegenwartsdiagnose oder der Psychoanalyse verhande!t werden. Axe! Honneth ist Professor Rir Philosophie an der Goethe-Universitãt in Frankfurt am Main undgeschftsfiihrender Direktor des dortigen Instituts flir Sozialforschung. Im Suhrkamp Ver!ag sind zuletzt erschienen: Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie (2005), Pathologien der Vernunfi. Geschichte und Gegenwart der Kritischen Theorie (stw 1835), Das Recht der Freiheit. Grundri:f? einer demokratischen Sittlichkeit (zoii).

Suhrkamp

Inhalt o

Vorbemerkung

7 1.

Hegelsche Wurzeln

Von der Begierde zur Anerkennung. Hegeis Begründung von Selbstbewu&sein Das Reich der vërwrkIichten Freiheit. Hegeis Idee einer »Rechtsphilosophie«

II.

Bibliografische Informatiõn der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1959 Erste Aiiflage zoro' © Suhrkainp Verlag Berlin ioio Alie Rechte vorbehaken, insbesondere das der Übersetzung, des bffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teu des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilni oder andere Verfahren) ohné schrifdichç Genehmlgung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeiter, vervielfáltigt oder verbreitet werden. Uinschlag nach Entwürfen von WIlly Fleckhaus und Rolf Staudt Druck Druckhaus Nomos, Sinzheim Printed in Germany ISBN 978-3-518-29559-5 345678-17 16 15 14 13 12

15

33

Systematische Konsequenzen

Das Gewebe der Gerechtigkeit. Über die Grenzen des zeitgenõssischen Prozeduralismus\. ...

51

Arbeit und Ãnerkennung. Versuch einer theoretischen Neubestimmung

78

Anerkennung ais Ideologie. Zum Zusammenhang von Moral und Macht

103

Verflüssigungen des Sozialen. Zur Gesellschaftsthorie von Luc Boltanski und Laurent Thévenot

'3'

Philosophie ais Sozialforschung. Zur Gerechtigkeitstheorie von David Milier

i8

III. Sozialtheoretische Anwendungen Anerkennung zwischen Staaten. Zum moralischen Untergrund zwischenstaatlicber Beziehungen

181

Organiserte Selbstverwirklichung. Paradoxien der Individualisierung Paradoxien der kapitalistischen Modernisierung. Ein Untersuchungsprogramm (gemeinsam mit Martin Hartmann)

Vorbemerkung zoz

222.

1V. Psychoanalytische Weiterungen Das Werk der Negativitât. Eine anerkennungstheoretische Revision der Psyehoanalyse

251

Das Ich im Wir. Anerkennung ais Triebkraft von Gruppen

261

Facetten des vorsozialen Selbst. Rifle Rrwidertg aufJoei Whitebook

28o

Entmâchtigungen der Realitât. Sãkulare.Formen des Trostes

298

Textnachweise

307

Der vorliegende Band vereinigt Aufsxze und Diskussionsbeitrâge, die in den letzten Jahren mit dem Ziel entstanden sind, die Grundannahmen einer an Hegél aiknüpfenden Anerkennungstheorie weiter auszubuchstabieren. Nachdem ich im Ka mpfum Anerkennung zum erstenMal meine eigene Deutung des Hegelschen• Ansatzes umrissen hatte, war ich zwar nach meinem súbjektiven Rindruck schon genügend damit beschftigt, die dort entwickelte Position auf Rinw.nde hin entweder zu korrigieren oder zu prizisieren; vor aliem die Auseinandersetzung mit Nancy Fraser und die Tanner-Lectures an der Universitãt Berkeiey gaben mir wilikommene Gelegenheiten, meinen zunãchst noch vagen Uberlegungen eine genauere Fassung zu geben.' Aber auf dem damit beschrittenen Weg, der auch Versuche einsch1oí, die Anregungen alteriiativer Intersubjektivitàtstheorien zu verarbeiten,2 blieben noch viele Fragen ungeiôst; immerhin hatte ich ja den Versuch unternehmen wolien, die Hegelsche Anerkennungsiehre SO zu rekonstruieren, da:R daraus Einsichten nicht nur flir eine Neufassung des Gerechtigkeitsbegriffs, so,ndern auch flir eine verbesserte Bestimmung des Verh1tnisses von Vergesellschaftung und Individuierung, von sozialer Reproduktion und individueiler Identitãtsbiidung folgen soilten. Die vie1f1tigen Klàrungsbemühungen, zu denen mich diese weitgespannten Zieisetzungen in den letzten Jahren genõtigt haben, finden sich in dem vorliegenden Band versammelt; mit wenigen Ausnahmen bewegen sie sich an jenen Bi.ndern der Sozialphilosophie, an denen sich normative Fragen nur unter Einbeziehung der empirischen Anstrengungen anderer, benachbarter Disziplinen sinnvoll beantworten jassen. Den Auftakt macht allerdings ein Teu, in dem zwei Beitràge enthalten sind, in denen ich mich noch einmal auf wesentliche Elemente der praktischen Philosophie Hegeis zurückwende.\Wãhrend i Nancy Fraser und Axel Honneth, Umverteilung oder Anerkennung? Eine politischphilosophischeKontroverse, Frankfurt/M. 2003; Axel Honneth, Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt/M. 2005: z Axel Honneth, Unsichtbarkeit. Stationen einer 2heoie der Intersubjektivitit, Frankfurt/M. 2003. 7

ich im Ka mpfumAnerkennungnoch von der Prmisse ausgegangen war, dag nur die Jenaer Systementwürfe tragf'.hige Elemente einer Anerkennungstheorie enthalten, habe ich mich spãter infolge einer vertieften Besch.ftigung mit den reiferen Schriften eines Besseren belehren lassen; inzwischen glaube ich nicht mehr, daf Hegel seinen anfânglichen Intersubjektivismus im Zuge seiner Entwicklung einem monologischen Konzept des Geistes geopfert hat, sondem ich gehe davon aus, daí er zeit seines Lebens den objektiven Geist, also die soziale Realitãt, ais ein VerhJtnis aus geschichteten AnerkennungsverhJtnissen begreifen wolite. Von dieser Neueinschãtzung aus hatte ich mich schon vor einigen Jahren an an Versuch gemacht, nun auch dieHegeische Rechtsphiiosophie für die Ausarbeitungeiner Anerkennungstheorie fruchtbar zu machen; viei stãrker ais in den Frühschriften war hier ja bereits der bahnbrechende Gedanke anzutreifen, daE wir die soziale Gerechtigkeit mit Blick auf die Erfordernisse wechselseitiger Anerkennung bestimmen und dabei von den historisch jeweils gewachsenen, bereits institutionalisierten Anerkennungsverh1tnissen ausgehen müssen.311n dem Aufsatz zu Hegeis Begriff des Selbstbewu&seins, der sich mit einem Schlüsselkapitel der Phünomenologie des Geistes besch..ftigt, versuche ich nun zu klàren, was wir in diesem Kontext systematisch unter Anerkennung verstehen kõnnen; darunter 1ít sich beim reifen Hegel, so will ich zeigen, die Art von moralischer Selbstbeschr.nkung begreifen, die wir angesichts anderer Personen voliziehen kõnnen müssen, um überhaupt zu einem Bewu&sein von uns selbst zu gelangen. Der Aufsatz zur Hegelschen Rechtsphilosophie versucht demgegenüber die schwierige Frage zu beantworten, wie wir uns den internen Zusammenhang zwischen einer soichen Form von Anerkennung und der menschlichen Freiheit vorstellen solien; diese Verknüpfung wird nach meiner Auffassung von Hegel hergestelit, indem er gegçnüber dem Liberalismus seiner Zelt vorzuführen versucht, dag wir nur durch Teilnahme an institutionalisierten Praktiken der individuelien Se1bstbeschrnkung unseren Wiilen tatsãchuich ais unbeschr.nkt.frei erfahren kõnnen. Der zweite Teil enthJt Auftze, in denen.ich,die soeben skizzierten Ideen Hegeis se1bstndig weiterzuentwickeln versuche, um mit ihrer Hilfe einige zentrale Probleme einer zeitgenõssischen Gerech3 Axel Honneth, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie, Stuttgart iooi. 8

tigkeitstheorie zu kliiren. Dabei kann ais systematische Rahmung ali dieser VorstõRe durchaus der erste hier abgedruckte Beitrag verstanden werden, der die uns heute gelãufige ;Vorsteiking von sozialer Gerechtigkeit dadurch korrigieren sou, daL er sie von der Fixierung auf Prinzipien der Güterverteilung auf Mafnahmen der Schaffung von symmetrischen AnerkennungsverhJtnissen umieitet. Eine soiche theoretische Umpolung darf freilich, wie ich in den beiden nãchsten Aufsàtzen zeigen m&hte, weder vor der Problematisierung der gegebenen Organisation von Arbeit noch vor der schwierigen Frage haitmachen, weiche Formen von sozialer Anerkennung heute indirekt zur Festigung sozialer Herrschaft beitragen; weder die Sphire der gesellschaftlichen Arbeit noch die Wirkung von machtstabiiisierenden Ideologien Iassen sich aus dem Korpus einer Gerechtigkeitstheorie durch begriffliche Vorentscheidungen einfach herausdefinieren: In der Auseinandersetzung mit der hõchst instruktiven Studie Uber die Rechzfertigung von Luc Boltanski und Laurent Thévenot fiihre ich einige der zuvor entwicke1tenÜber1egungen noch einmal zusammen, indem ich gegen derep Tendenz zur Entstrukturieruhg der geseilschaftlichen Morai das. 1ormative Gewicht von bereits institutionalisierten Sph.ren der Anerkennung herausarbeite. Ãhnliches unternehme ich in einem Beitragzur Gerechtigkeitstheorie von David Milier, der ursprünglich ais. Vbrwort zu dessen inzwischen klassischer Monographie übà, die Grunatze sozialer Gerechtigkeit erschienen ist; auch hier versuche ich darzulegen, dag eine im Hegelschen Geist vorgenommene »Rekonstruktion« der historisch bereits etablierten Anerkennungèpiinzipien uner1.i1ich ist, wenn sich die ins Auge gefa&e Gerechtigkeitskonzeption stàrker an der sozialen Wirklichkeit orientieren soil. Im dritten Teu, dem ich mit einem reiativ vagen Begriff dieAufgabe der sozialtheoretischen Anwendung zugewiesen habe,. geht és mim darum, die zuvor entwickelten Ideen fim expianatorisçheZwekke nutzbar zu machen; nicht mehr normative Fragen, sondem Probieme der soziologischen Erklàrung stehen daher im Mittelpünkt der hier versammelten Aufsatze Allerdings la& sich bei derartigen »Anwendungen«, wie sich schnell zeigen wird, keine saubee Abtrennung der sozialen Fakten von normativen Geltungsanspruchen vornehmen, sobald wir mit Hegel Anerkennungsbeziehupgçn ais konstitutiv fur alie geselischaftliche Wirklichkeit begreifen,mussen wirvielmehr feststelien, daE wir bei jeder Erklãrung sozialeiJkozesse 9

ai

auf geltende Normen und Prinzipien Bezug nehmen müssen - diese géhbren ais Ansprüche oder Forderungen, ais Verbindlichkeiten oder Überzeugungsgehalte ebenso zu der zu erk1renden Wirklichkeit wie die angeblich rein »objektiven« Sachverhalte. Der erste der hier abgedruckten Beitrãge stelit eine noch sehr tentative Reaktion auf neuere Versuche innerhalb der Politikwissenschaften dar, die .Spannungen und Dynamiken innerhalb der internationalen Beziehungen mit Hilfe der Anerkennungsbegrifflichkeit zu erklãren; mir geht es dabei um nichts anderes ais um eine Klãrung des Umfangs, in dem es explanatorisch sinnvoll sein kann, sich die Beziehungen zwischen Staaten ais durch Erwartungen der Anerkennung reguliert zu denken. Die beiden anderen Aufsãtze dieses Teus verdanken sich Prozessen der theoretischen Selbstverstãndigung am Institut flir Sozialforschung; ich versuche hier, im zweiten Fali gemeinsam mit Martin Hartmann, die von uns dort interdisziplinãr untersuchten »Paradoxien« in der Entwicklung des gegenwãrtigen Kapitalismus dadurch genauer zu erlãutern, daí .empirisch veranschaulicht wird, inwieferg historisch gewachsene Anerkennungserwartungen heute durch õkonomische Strukturwandlungen in disziplinierende Zumutungen an die Subjekte verkehrt werden. Im Zusammenhang des vorliegenden Buches kinnen diese beiden, im engeren Sinn soziologischen Aufsãtze freilich nur erste Hinweise dãrauf geben, wie eine anerkennungstheoretisch angelegte Gegenwarts diagnose verfaít sein müfte. Der vierte Teil nimmt sch1ief1ich einen theoretischen Faden wieder auf, den ich seit meinem Buch über den »Kampf um Anerkennung(( beinahe vollstãndig liegengelassen habe.'. Von Anfang an war ich davon überzeugt, dag sich soziale Anerkennungsbeziehungen nur unter der Voraussetzung von entsprechenden Strukturbildungen innerhalb der menschlichen Psyche entfalten kônnen, wie sie vorbildhaft von der psychoanalytischen Schule der Objektbeziehungstheorie untersucht werden. Auch wenn mir diese Rückbindung an die Psychoanalyse gelegentlich den Vorwurf emgebracht hat, die Annerkennungstheorie insgesamt zu »psycholo-

gisch« anzulegen, sehe ich bis heute keinen Grund dafiir, von dem Vorhaben einer Verschrãnkung von àuferer sozialer Anerkennung und psychischer Strukturbildung abzulassen; natüriich darf man nicht den genetischen Fehisch1uf begehen, Anerkennungsforderungen mit Verweis auf die Gefahr psychischer Beeintrãchtigungen zu rechtfrtigen, aber ansonsten scheinen mir in einer Verzahnung von Anerkennungstheorie und Psychoanalyse nur Vorteile zu liegen. Einige dieser Erkenntnisgewinne habe ich in den beiden hier abgedruckten Aufsxzen zur Bedeutung sozialer Gruppen und zum Stellenwert psychischer Entgrenzungen herausarbeiten wolien; die beiden anderen Beitrãge, vor aliem die Auseinandersetzung mit meinem Freund Joel Whitebook, stelien Versuche dar, meine eigene, anêrkennungstheoretische Interpretation der Psychoanalyse gegen den naheiiegenden Einwand einer Vernachiãssigung destruktiver, antisozialer Triebe zu verteidigen. Für die technische Hilfestellung bei der Fertigstellung des Bandes habe ich tephan Altemeier und Frauke Kõhler zu danken, die beide mit grofer Ruhe und Umsicht daflir Sorge getragen haben, da1 die verstreut erschienenen Aufsãtze eine einheitliche und aufeinander abgestimmte Form fanden. Auf seiten des Veriages hat Eva Gilmer mich wie inirnr vorzüglich beraten; ihr mõchte ich fih Jahre vertrauensvoller Zusammenarbeit danken.. Frankfurt am Main, im Februar 2010

Axel Honneth

4 Die Ausnahmen stellen dar: Axel Honneth, »Objektbeziehungstheorie und postmoderne Identitãt. Über das vermeintliche Veralten der Psychoanalyse((, in: ders., Unsichtbarkeit, a. a. O., S. 138-161; Axel Honneth, »Arieignung von Freiheit. Freuds Konzeption der individuelien Se1bstbeziehung, in: der., Pathologien der Vernunfi. Geschichte und Gegenwart der Kritischen Theorie, Frankfurt/M. 2007, S. I7-179. Io

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I. Hegelsche Wurzeln

\on der Begierde zur Anerkennung t-Iegels Begründung von Selbstbewu&sein

Kaum ein Text aus dem Werk Hegeis hat von Beginn an griRere Aufmerksamkeit auf sich gezogen ais das Kapitel über »Selbstbewu&sein(( in der Phãnomenologie des Geistes. So schwierig, 50 unzugãngllch das Buch im ganzen auch sein mochte, hier, wo der Geist nach Hegeis eigenen Worten »aus der leeren Nacht. des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart< (145)1 übertreten solite, schien dem Verstndnis endlich ein Anhaltspunkt gegeben: Die Darstellung der Selbsterfahrung des Geistes nahm mit einem Mal lebhaftere Farben an, dem einsamen SelbstbewuRtsein wurden unvermutet Mitsubjekte zur Seite gestelit, das abstrakte, bislang bloR kognitive Geschehen verwandelte sich in das soziale Drama eines »Kampfs auf Leben und Tod« - kurz, es waren alie Elemente versammelt, die dem Wirklichkeitshunger der nachidealistischen Phulosõphie Stoff flir Konkretion undAusschmückung iiefern konnten. Schon die unmittelbaren Schüier Hegeis nutzten die Chance dieses einen Kapitels, um seine spekuiative Phiiosophie vom ãtherischen Reich der Ideen und Begriffe auf den Boden der sozialen Wirklichkeit zurückzuversetzen; und seither sind von Lukcs über Brecht bis zu Kojève die Versuche nicht mehr abgerissen, in der Abfolge von Begierde, Anerkennung und Kampf die Umrisse eines historisch situierbaren, politischen Hergangs zu entdecken. Allerdings war mit dieser Zuspitzung aufs Konkrete und Handgreifliche stets auch die Gefahr verknüpft, neben ali der konflikthaften Interaktion den argumentativen Kern des Kapitels aus den Augen zu veriieren. Hegel ging es ja um anderes und weitaus mehr, ais bloR den Nachweis anzutreten, dag die Subjekte untereinander in einen Kampf treten müRten, sobald sie sich die Abh.ngigkeit von ihreni sozialen Gegenüber klargemacht hatten; er woiite vieimehr mit Hilfe seiner phãnomenologischen Methode beweisen, daS ein Subjekt zu einem »BewuRtsein« seines eigenen »Seibst« nur i Alie nachfolgenden Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf. Georg Wiihelm Friedrich Hegei, Phãnomenologie des Geistes, in: Werke in zwanzig Btnden, Theorie Werkausgabe, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd.3, Frankfurt/M. 1970. '5

dann gelangen kõnnte, wenn es mit einem anderen Subjekt in em VerhJtnis der »Anerkennung treten würde. Die Zielsetzungen von Hegel waren von viel grundsãtzlicherer Art, ais es die historisierende oder soziologisierende Deutung wahrhaben wolite: Nicht an einem geschichtlichen Ereignis, nicht an einem Konfliktgeschehen war ihm primãr gelegen, sondern an einem geradezu transzendentalen Faktum, das sich ais Voraussetzung alier menschlichen Sozialitàt erweisen soilte. Wenn es im »Se1bstbewu&seins-Kapitel der Phãnomenologie überhaupt die Darstellung eines historisch-sozialen Geschehens gibt, dann setzt es erst ein, nachdem passiert ist, worauf es Hegel eigentlich ankommt: Das Subjekt ist aus der Selbstbezüglichkeit der b1oí1en Begierde so weit herausgetreten, daí es um die Abhãngigkeit weií, die es an sein menschliches Gegenüber bindet. Den Übergang vom natürlichen zum geistigen Wesen, vom menschiichen Tier zum rationalen Subjekt, nichts Geringeres ist es, was Hegel sich hier darzustelien vorgenommen hat; und alies, was an sozialem Konfllkt in seinem Kapitel dann folgt, mõchte er nicht anders verstehen ais eine prozessualeArtikulation der Implikationen, die jene zuvor freigelegte Geistigkeit flir den Menschen besitzt. Ich will im Folgenden versuchen, den entscheidenden Beweisschritt in Hegeis Argumentation, den Übergang von der »Begierde< zur »Anerkennung